Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/8/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zu Beginn einige amtliche Mitteilungen zu machen. Zuerst geht es um Nachwahlen zu Gremien, und zwar zunächst zum Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Fraktion der SPD schlägt als neues ordentliches Mitglied aus dem Kreis der Fraktionen den Kollegen Siegmund Ehrmann vor. Neues ordentliches Mitglied aus dem Kreis der Personen, die in Fragen der Aufarbeitung besonders engagiert sind, soll anstelle von Professor Hermann Weber der frühere Abgeordnete Markus Meckel werden. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind der Kollege Siegmund Ehrmann und Herr Markus Meckel hiermit in den Stiftungsrat gewählt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dass die Kollegin Dr. Valerie Wilms für den aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Kollegen Winfried Hermann neues stellvertretendes Mitglied im Eisenbahninfrastrukturbeirat werden soll. Stimmen Sie auch diesem Vorschlag zu? - Das ist der Fall. Dann ist die Kollegin in den Eisenbahninfrastrukturbeirat gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen des europäischen Stabilisierungsmechanismus zu erweitern, die jetzt gleich im Anschluss als Erstes aufgerufen werden soll. Außerdem ist vorgesehen, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus - Drucksache 17/6916 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({0}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Parlamentsrechte im Rahmen zukünftiger europäischer Stabilisierungsmaßnahmen sichern und stärken - Drucksache 17/6945 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({1}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren Ergänzung zu TOP 3 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen - Drucksache 17/6610 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Universaldienste für Breitband-Internetanschlüsse jetzt - Drucksache 17/6912 Redetext

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Ausschuss für Kultur und Medien c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen - Drucksache 17/6918 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Memet Kilic, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anerkennung ausländischer Abschlüsse tatsächlich voranbringen - Drucksache 17/6919 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit ZP 4 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 4 Beratung des Antrags der Bundesregierung Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung - Drucksache 17/6670 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 10. Juni 2011 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts - Drucksache 17/6052 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Der am 30. Juni 2011 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({4}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ({5}) - Drucksache 17/6263 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({6}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Der am 1. Juli 2011 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt - Drucksache 17/6277 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Ich kann auch dazu Ihr offensichtliches Einvernehmen feststellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben. ({9}) Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges Mitglied Hans Apel, der vorgestern nach langer Krankheit im Alter von 79 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg verstorben ist. Hans Apel gehörte dem Deutschen Bundestag für sieben Wahlperioden von 1965 bis 1990 an. In diesem Vierteljahrhundert hat er unserem Land in höchsten Ämtern gedient. Hans Apel wurde am 25. Februar 1932 in HamburgBarmbek geboren. Nach dem Abitur 1951 absolvierte er eine kaufmännische Lehre und studierte nach kurzer beruflicher Tätigkeit für einen Mineralölkonzern Wirtschaftswissenschaften in Hamburg und promovierte in diesem Fachbereich. Schon während des Studiums war er 1955 der SPD beigetreten, deren Vorstand er später für beinahe zwei Jahrzehnte angehören sollte. Nachdem er einige Jahre für das Europäische Parlament gearbeitet hatte, gehörte er ihm als Mitglied von 1965 bis 1969 an. 1965 wurde er auch Mitglied des Präsident Dr. Norbert Lammert Deutschen Bundestages, in den er - mit Ausnahme einer Legislaturperiode - stets direkt gewählt wurde. Nachdem er Vorsitzender des Verkehrsausschusses und dann stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion gewesen war, wurde er 1972 zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt mit der Zuständigkeit für Europafragen ernannt. 1974 wurde er im ersten Kabinett von Bundeskanzler Helmut Schmidt dessen Nachfolger im Amt als Bundesminister der Finanzen. 1978 übernahm Hans Apel, selbst Angehöriger der sogenannten weißen Jahrgänge, das Bundesministerium der Verteidigung und erwarb sich schnell hohe Anerkennung in seinem neuen Amt. Er bekleidete es bis zum Ende der sozialliberalen Koalition im Herbst 1982, also in der Zeit, die von der anhaltenden Debatte um die Nachrüstung und dem Erstarken der Friedensbewegung gekennzeichnet war. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahre 1990 widmete er sich vor allem der Finanzpolitik. Von ihm - konfrontiert mit den unbeabsichtigten Folgen selbst herbeigeführter politischer Entscheidungen stammt der später vielzitierte Satz: „Ich glaub, mich tritt ein Pferd.“ Nach dem Abschied aus der Politik, der jedoch kein Abschied von der Politik war, leistete er in verschiedenen Funktionen vor allem in der Energiewirtschaft in den neuen Bundesländern einen Beitrag zum Aufbau Ost und der inneren Einheit unseres Landes. Hinzu kam eine rege publizistische Tätigkeit, die einige vielbeachtete Bücher erbrachte. Das gesamte öffentliche Wirken von Hans Apel - in der Politik, in der Wirtschaft, als Publizist - war geprägt von seiner Orientierung an der protestantischen Ethik und seiner tiefen christlichen Glaubensüberzeugung. Seine Ehrlichkeit und Offenheit wurden geschätzt, gelegentlich auch gefürchtet, wobei er auch die eigene Partei nicht ausnahm von seinem manchmal unbequemen Urteil. Hans Apel hat sich bleibende Verdienste um unser Land erworben: als leidenschaftlicher Parlamentarier, als verantwortungsvoller Bundesminister und als ein Politiker, der maßgeblich an wichtigen Weichenstellungen in der Geschichte der Bundesrepublik mitgewirkt hat. Wir werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren. Seiner Familie spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Ich rufe nun die Zusatzpunkte 1 und 2 auf, die wir gerade auf die Tagesordnung gesetzt haben: ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus - Drucksache 17/6916 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({10}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Parlamentsrechte im Rahmen zukünftiger europäischer Stabilisierungsmaßnahmen sichern und stärken - Drucksache 17/6945 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({11}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich stelle dazu Einvernehmen fest. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte steht, wie die öffentlichen Diskussionen in diesen Wochen, im Zeichen der Turbulenzen der Finanzmärkte und der Notwendigkeit, unsere gemeinsame europäische Währung in diesen schwierigen Entwicklungen stabil zu halten und zu verteidigen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner gestrigen Entscheidung erneut bestätigt, dass diese Politik, die gemeinsame europäische Währung mit Stabilisierungsmaßnahmen stabil zu halten, in vollem Umfang dem Grundgesetz entspricht und die Besorgnisse, wir würden auf irgendeine Weise gegen die Bestimmungen unserer Verfassung verstoßen, unbegründet sind. Wir werden im Zuge der Beratungen darüber diskutieren, wie die parlamentarische Umsetzung der Entscheidung im Einzelnen aussehen wird; das Haushaltsrecht des Bundestages ist das Grundprinzip unserer parlamentarischen Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht hat aber ausdrücklich klargestellt, dass die bisher getroffenen Entscheidungen in vollem Umfang dem Grundgesetz entsprechen. Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus passen wir unsere nationale Gesetzgebung an die Änderungen des Rahmenvertrags für die Europäische Finanz-StabilitätsFazilität an, die im März und im Juli von den Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone beschlossen worden sind, um diese vorübergehend geschaffene europäische Finanzierungsanstalt in die Lage zu versetzen, den Herausforderungen der wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung an den Finanzmärkten gerecht zu werden. Ich will bei dieser Gelegenheit ausdrücklich darauf hinweisen: Der EFSF-Rahmenvertrag, den wir im Mai vergangenen Jahres sehr kurzfristig schaffen mussten, ist ein privatrechtlicher Vertrag. ({0}) Die Finanzierungsanstalt ist eine privatrechtliche Gesellschaft nach luxemburgischem Recht. Deswegen, Herr Kollege Trittin, ist es nach dem Grundgesetz gar nicht möglich, diesen Vertrag der Ratifizierung zuzuführen. Nur völkerrechtliche Verträge können nach dem Grundgesetz ratifiziert werden. Wir haben ihn allerdings mit dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus entsprechend in die nationale Gesetzgebung umgesetzt. Das ist nicht in allen Ländern der Euro-Zone gleich geregelt. Wir haben das Stabilisierungsmechanismusgesetz beschlossen, um eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Das ist kein völkerrechtlicher Vertrag; aber wir wollen einen völkerrechtlichen Vertrag. Das wird der Vertrag über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus sein, der - so ist es vorgesehen - 2013 in Kraft treten und dann eine internationale Finanzinstitution schaffen wird. Dieser Vertrag bedarf der Ratifizierung. Ich sage das, damit wir keinen Streit zu führen brauchen, der allenfalls zu Missverständnissen führen könnte. Wir mussten diesen Mechanismus schaffen, damit aus den Problemen eines Landes der Euro-Zone keine Gefahr für die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes werden kann. Denn wir mussten im vergangenen Jahr lernen - daraus haben wir die Konsequenzen gezogen -, welche Folgen die Schwierigkeiten eines Landes haben können. Es geht um Griechenland, ein Land mit einer hohen Verschuldung, hohen Defiziten, hoher Staatsverschuldung, unzureichenden Wachstumszahlen und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. All das stand durch den Druck, der durch die gemeinsame Währung entsteht, sehr viel stärker im Fokus der politischen Entwicklung. Damit aus den Problemen eines Landes mit einem Anteil von 2 Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung der EuroZone wegen der Ansteckungseffekte auf den Märkten keine Gefahr für die Stabilität der Euro-Zone insgesamt werden kann, brauchen wir diesen Stabilisierungsmechanismus. Ich füge aber gleich hinzu: Es geht bei all diesen Hilfen im Zusammenhang mit dem Rettungsschirm immer um Hilfe zur Selbsthilfe. Anders ist das gar nicht möglich. Wir haben in der Euro-Zone die Währung vergemeinschaftet, aber nicht die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Deswegen können wir den Mitgliedsländern, die in Schwierigkeiten sind, helfen, Zeit zu gewinnen, ihre Probleme zu lösen; aber die Ursachen der Probleme müssen die Mitgliedsländer selbst beseitigen. Daran führt kein Weg vorbei; das ist das Grundprinzip der europäischen Architektur. Das darf nicht übersehen werden. ({1}) Deswegen kommen Länder, die in Schwierigkeiten sind, nicht um die notwendigen Anpassungen ihrer Haushalte und die Rückführung ihrer zu hohen Defizite herum. Das ist übrigens der Weg, den auch wir in Deutschland gehen, gerade auch mit dem Haushalt 2012. Diesen Weg müssen alle in Europa gehen. So ist es verabredet. Das muss eingehalten werden. Dazu haben sich alle verpflichtet. Wenn sie Probleme mit der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit haben, dann sind Strukturreformen in diesen Ländern unvermeidlich, damit sie in einer Welt, in der der Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung der wirtschaftlichen Entwicklung größer wird und auf allen lastet, dem Wettbewerb standhalten können. Hilfe zur Selbsthilfe: Wir verschaffen Ländern, die in Schwierigkeiten sind, mit diesem Rettungsschirm Zeit für die notwendige Anpassung und für die Lösung ihrer Probleme, damit sie die Zeit überbrücken können, in der sie aufgrund von nicht tragbaren Zinsbelastungen keinen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten haben, auf den sie angewiesen sind. Das geht nicht über Nacht. Es geht darum, ihnen Zeit zu verschaffen. Die Lösung der Strukturprobleme können wir ihnen nicht ersparen. Deshalb stehen all diese Maßnahmen im Einzelfall und generell unter der Voraussetzung einer Vereinbarung strikter Konditionalität, dass also die notwendigen Anpassungsmaßnahmen zur Rückführung der Defizite und zur Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit den betroffenen Ländern vereinbart werden. So lautet das Stabilisierungsmechanismusgesetz. Dies muss eingehalten werden und wird bei der Auszahlung jeder Tranche durch die unabhängigen Institutionen des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Kommission der Europäischen Union überprüft. So ist es schon bei dem vom EFSF geschaffenen Griechenland-Programm. Wir haben vereinbart, dass die Voraussetzungen für die Auszahlung der nächsten Tranche vierteljährlich überprüft werden müssen. Erst wenn die Überprüfung ergibt, dass die Voraussetzungen vorliegen und dass die Vereinbarungen eingehalten sind, kann die Tranche ausgezahlt werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Lage in Griechenland ist ernst, denn im Augenblick ist die Mission der Troika unterbrochen. Darüber darf es überhaupt keine Illusionen geben. Solange diese Mission nicht bestätigen kann, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, kann die nächste Tranche für Griechenland nicht ausgezahlt werden. ({2}) Hier gibt es keinen Entscheidungsspielraum. Das ist in den Verträgen und in unserem Gesetz so beschlossen. Das muss jeder wissen. Deshalb ist die Situation ernst. Wir haben Verständnis für die Probleme in GriechenBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble land. Ich habe es im Rahmen einer früheren Debatte gesagt: Die Rückführung der Defizite bringt für die betroffene Bevölkerung schwere Belastungen mit sich. ({3}) Darüber sollte niemand mit Häme reden. Wer aber jahrelang zu hohe Schulden macht, kommt um Anpassungsmaßnahmen nicht herum. Daher sage ich bei allem Respekt und bei aller Sympathie für das griechische Volk: Die Anpassungsmaßnahmen können wir Griechenland nicht ersparen. Letzten Endes ist es Sache Griechenlands selbst, zu entscheiden, ob man dort bereit und in der Lage ist, die notwendigen Maßnahmen durchzuführen, um die Defizite und die zu hohe Verschuldung zurückzuführen. Das muss Griechenland selbst entscheiden. Anspruch auf Solidarität hat Griechenland, und Deutschland wird seine Solidarität zur Verteidigung der gemeinsamen Währung nicht verweigern. Darauf kann sich Griechenland verlassen. Es muss aber seinen eigenen Beitrag leisten, und es muss am Ende selbst entscheiden. Daran führt kein Weg vorbei. ({4}) Die Änderungen des Rahmenvertrags über die europäische Finanzierungsanstalt sehen vor, dass wir sicherstellen, dass die ursprünglich vereinbarte Summe an Finanzhilfen bis zu einer Obergrenze von 440 Milliarden Euro, für die entsprechende Anpassungsprogramme vereinbart werden mussten und vereinbart worden sind, zur Verfügung gestellt werden kann. Diese Finanzierungsanstalt arbeitet nach dem Prinzip, dass sie Finanzhilfen zur Verfügung stellt und die Mittel dazu auf den Finanzmärkten aufnimmt. Dafür verbürgen sich die Mitgliedsländer der Euro-Zone. Da für eine entsprechende Bewertung der Ratingagenturen nur die Verbürgung durch die Mitgliedsländer der Euro-Zone, die über die Höchstbewertung durch das sogenannte Triple A verfügen, zählt und angerechnet wird, brauchen wir in dieser Finanzierungsanstalt eine Übersicherung. Daher ergibt sich die komplizierte Zahl. Um 440 Milliarden Euro darzustellen, brauchen wir eine Garantiesumme von rund 750 Milliarden Euro. Deutschland muss - seinem Anteil an der wirtschaftlichen Gesamtleistung der Euro-Zone entsprechend - davon einen Anteil von rund 28 Prozent tragen. Das heißt, unsere Garantieleistungen belaufen sich nach der vorgeschlagenen Änderung auf bis zu 211 Milliarden Euro, wobei die Zinsen - unserem Haushaltsrecht entsprechend - nicht eingeschlossen sind. Wir machen es bei allen Gewährleistungen nach der Bundeshaushaltsordnung so, dass die Zinsen nicht eingerechnet werden. Dies muss man im Auge haben. Daher sagen manche, es werden bis zu 250 Milliarden Euro. Wir sollten aber durch unterschiedliche Zahlen keinen Grund für neue Verunsicherungen schaffen. Das festgelegte Garantievolumen beläuft sich auf 211 Milliarden Euro. Dazu kommen - unserem Haushaltsrecht entsprechend - Zinsen in einer entsprechenden Größenordnung. Darüber hinaus haben wir im Änderungsvertrag zum Rahmenvertrag vereinbart, dass wir der europäischen Finanzierungsanstalt zusätzliche Instrumente zur Verfügung stellen. Diese Instrumente werden nur unter der Voraussetzung eingesetzt, dass mit einem Land, zu dessen Gunsten sie eingesetzt werden sollen, entsprechende Anpassungsmaßnahmen vereinbart sind. Alle Maßnahmen des EFSF unterliegen der Voraussetzung, dass entsprechende Programme vereinbart sind. Das ist eine ganz klare Regelung. Aber es sollen zusätzlich zu dem bisherigen Instrument, dass man gegebenenfalls Finanzhilfen zur Verfügung stellen kann, weitere Instrumente geschaffen werden, sodass man analog zu den Möglichkeiten, über die der Internationale Währungsfonds verfügt, einen - ich sage es einmal untechnisch - Überziehungskredit vereinbart, also dass man die Möglichkeit hat, eine Kreditlinie einzuräumen. Diese muss ein Land nicht in Anspruch nehmen, aber das stärkt das Vertrauen der Finanzmärkte, weil ein Land unter allen Umständen liquide bleiben kann, weil es entsprechende Überziehungsmöglichkeiten hat. Gerade wegen der besorgniserregenden Meldungen aus der Euro-Zone ist es ganz wichtig, dass die Finanzierungsanstalt in der Lage ist, Ländern notfalls kurzfristig Mittel für die Kapitalisierung von Banken zur Verfügung zu stellen. Wenn wir eine Zuspitzung der Krise bekommen sollten - wir wollen sie vermeiden, daran arbeiten wir, aber man muss auch an unangenehmere Entwicklungen denken -, ist es wichtig, dass wir Ansteckungsgefahren im Bankensektor durch Zurverfügungstellung von zusätzlichem Kapital bekämpfen können. Mit dem Änderungsvertrag verschaffen wir der Finanzierungsanstalt die notwendigen Möglichkeiten. Schließlich wollen wir ein Anpassungsprogramm vereinbaren. Unter engen Voraussetzungen soll die Möglichkeit bestehen - unter Berücksichtigung der Gefährdung der Stabilität der Euro-Zone als Ganzes durch Ansteckungsgefahren; das muss ausdrücklich noch einmal zusätzlich von der Europäischen Zentralbank bestätigt werden -, an europäischen Sekundärmärkten zu operieren. Ich denke an die Diskussion im vergangenen Jahr, bei der es darum ging, ob es denn unserem Verständnis einer unabhängigen Europäischen Zentralbank entspreche, wenn die Europäische Zentralbank am Sekundärmarkt operiert. Bisher gibt es außer der Europäischen Zentralbank niemanden, der das tun kann. Wir schaffen im Rahmen der Finanz-Stabilitäts-Fazilität die Möglichkeit, das unter engen Voraussetzungen zu tun. Ich wiederhole: Alles nur unter der Voraussetzung, dass entsprechende Anpassungsmaßnahmen mit den betreffenden Ländern vereinbart worden sind. Ich will hinzufügen: Wir haben schon im März vereinbart, dass die Finanzierungsanstalt unter engen Voraussetzungen auch am Primärmarkt operieren kann. Angesichts mancher Missverständnisse will ich darauf hinweisen - das ist im März ausdrücklich vereinbart worden -: nur unter der Voraussetzung, dass die Finanzierungsanstalt dem Land unmittelbar einen Kredit gewähren könnte. Dann kann es dort freie Gestaltung geben, wo es wirtschaftlich sehr viel sinnvoller ist. Man gibt also keinen Kredit, sondern man operiert in einem begrenzten Umfang am Primärmarkt. Das ist keine generelle Ermächtigung, dass die Finanzierungsanstalt die Haushalte von Mitgliedern der Euro-Zone finanzieren kann. Genau dies ist ausgeschlossen. Nur unter der Voraussetzung der Gewährung einer Finanzhilfe kann in Ausnahmefällen auch auf dem Primärmarkt operiert werden. Wir müssen die derzeitigen Schwierigkeiten auf der Grundlage geltender Verträge - eine andere Grundlage haben wir nicht - bewältigen. Das ist das, was wir leisten können. Angesichts der Debatte über die Beteiligung der Privatgläubiger will ich darauf hinweisen - das muss man wissen -, was Privatgläubigerbeteiligung auf der Grundlage geltender Verträge bedeutet - das betrifft insbesondere die geltenden Verträge bezüglich der im Markt befindlichen Anleihen -: Wenn man einen Default, also einen Konkurs mit der Auslösung aller Kreditversicherungsverträge vermeiden will, kann die Beteiligung nur im Wege der Vereinbarung erfolgen. Deswegen haben wir bei dem Entwurf eines zweiten Griechenland-Programms den mühsamen Weg gehen müssen, der in der Öffentlichkeit nicht einfach darzustellen und zu erläutern ist. Das liegt in der Natur der Sache. Deswegen nutze ich die Gelegenheit, das zu erläutern. Wir haben den Weg der Vereinbarung mit den Finanzinstituten gehen müssen, weil alles andere den getroffenen Vereinbarungen widersprochen hätte, und wir können in Europa nicht anfangen, uns an getroffene Verträge nicht mehr zu halten. Deswegen sieht der Vertrag zur Schaffung der internationalen Institution Europäischer Stabilisierungsmechanismus, ESM, vor, dass wir den Stabilisierungsmechanismus ab 2013 ausdrücklich in das Regelwerk aufnehmen und alle Anleihen, die ab 2013, also in der Zukunft, von Mitgliedstaaten der Euro-Zone begeben werden, eine Klausel enthalten, die im Falle einer nicht vorhandenen Schuldentragfähigkeit eine Anpassung vorsieht. In Zukunft werden wir also mehr Möglichkeiten haben. Gegenwärtig müssen wir aber mit den vorhandenen Instrumentarien zurechtkommen. Ich füge hinzu: Die Debatte über ein zweites Programm für Griechenland ist angesichts der Schwierigkeiten, Griechenland im Rahmen des jetzigen Programms die nächste Tranche auszuzahlen, sehr verfrüht. Deswegen glaube ich, dass wir uns zunächst einmal darauf konzentrieren müssen: Erfüllt Griechenland überhaupt die entsprechenden Voraussetzungen, damit die nächste Tranche ausbezahlt werden kann? Es mag sein, dass daraus Konsequenzen gezogen werden müssen, und zwar auch für ein neues Griechenland-Programm. Wir leisten das, was wir auf der Grundlage der im Augenblick geltenden Verträge leisten können. Die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident haben eine Menge Vorschläge erarbeitet, wie wir die Handlungsfähigkeit innerhalb der Euro-Zone und die Mechanismen, nach denen wir in der Euro-Zone zu Entscheidungen kommen, verbessern können. Das erfordert keine Vertragsänderungen. Wir sollten vielleicht darüber nachdenken, wie wir die Sanktionsmechanismen verändern können, damit bei Verstößen gegen eingegangene Verpflichtungen Sanktionen schneller ausgesprochen werden können. Es muss auch um die Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission und die quasi automatischen Sanktionen bei Verletzung des Stabilitätsund Wachstumspakts gehen. Das müssen wir verbessern. ({5}) - Quasi automatisch. ({6}) - Ja, gut: Quasi automatisch mit dem sogenannten Sixpack. - Das ist das, was auf der Grundlage geltender Verträge möglich ist. In diesen Tagen zeichnet sich ab, dass wir ein Ergebnis finden werden. Ich möchte eine weitere Bemerkung hinzufügen: Gerade die Schwierigkeit, auf Grundlage der geltenden Verträge und der geltenden Rechtslage eine Beruhigung der Märkte herbeizuführen, zeigt, dass die Märkte erwarten, dass wir eine Struktur für Europa schaffen, dass wir für die gemeinsame Währung bessere institutionelle Vorkehrungen treffen. Das wird ein langer Weg sein. In diese Richtung müssen wir gehen. Dafür müssen wir arbeiten; aber heute und morgen müssen wir unsere gemeinsame Währung - das liegt in unserem gemeinsamen Interesse und ist im Sinne unserer Verantwortung mit den Mitteln, die wir haben, verteidigen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion. ({0})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Schäuble, wir alle wissen, dass Sie nicht nur ein konservativer, sondern vor allen Dingen auch ein leidenschaftlicher und überzeugter Europäer sind. Ich erinnere mich noch gut an die Rede, mit der Sie hier vor einigen Monaten das Festhalten am europäischen Projekt begründet haben. Vieles von dem, was Sie damals und heute hier erläutert haben, teilen wir. Wir finden das - das sage ich ausdrücklich - richtig. Ich frage mich nur: Warum haben Sie als einer der überzeugtesten Europäer Ihrer Koalition zugelassen, dass die gesamte europäische und internationale Politik, vor allem die Finanzmärkte, von denen Sie jetzt sagen, wir müssten sie beruhigen, durch die deutsche Haltung bei der Lösung der Krise so stark irritiert und verunsichert wurden? Bei allem Respekt für Ihre Haltung: Was war denn das, was wir in den letzten 18 Monaten erlebt haben? Sie persönlich, Herr Schäuble, und Ihre Bundeskanzlerin haben vor einem Jahr behauptet, keinen Cent für Griechenland geben zu wollen. ({0}) - Oh. - Am 30. Dezember 2009 ging es im Handelsblatt los. Ich zitiere Herrn Schäuble: „Es wäre falsch verstandene Solidarität, wenn wir den Griechen … unter die Arme greifen würden.“ ({1}) Herr Brüderle sagte am 5. März: „Wir haben nicht die Absicht, einen Cent zu geben.“ Herr Schäuble, wir haben Sie von Anfang an vor diesem Euro-Populismus gewarnt. Aber auch im Jahr 2011 wurden Sie nicht klüger. Erst haben Sie monatelang eine europäische Wirtschaftsregierung abgelehnt, um sie dann in einer deutsch-französischen Initiative einzufordern. Natürlich hat Ihnen Ihr bayerischer Ministerpräsident sofort widersprochen; vermutlich hat er Ihre Äußerungen gegen eine Wirtschaftsregierung vorher für ernst gemeint gehalten. Ihnen blieb dann nichts anderes mehr übrig, Frau Bundeskanzlerin, als das als einen Übersetzungsfehler darzustellen; ich vermute: bei der Übersetzung in die bayerische Mundart. Ich kann die Liste der Beispiele fast endlos fortsetzen: von der Ablehnung der Gläubigerbeteiligung, dem Schuldenschnitt, der Finanztransaktionsteuer im EuroRaum, die Sie, Herr Schäuble, heute selber fordern, bis zum Kauf von Staatsanleihen der Krisenländer durch den Rettungsschirm. Es gab Tage, da musste man Gedächtnisverlust im Stundentakt haben, um die Widersprüche Ihrer Politik nicht zu bemerken. Herr Kollege Schäuble, jeder, der sich mit der Krise befasst, weiß, dass es schwer ist, den richtigen Weg zu finden. Jeder weiß, dass es keine einfachen Lösungen gibt und dass manches, was man gestern noch für undenkbar hielt, morgen bereits gemacht werden muss. Deshalb werfe ich Ihnen den Wechsel mancher Positionen nicht wirklich vor - Sie mussten sich vorsichtig vortasten -, aber was ich Ihnen vorwerfe, ist die Selbstgerechtigkeit, mit der Sie uns vorgestern und gestern hier im Haus Lehren erteilen wollten. ({2}) Noch viel schlimmer ist: Sie haben mit Ihren kurzsichtigen und dummen Parolen die Öffentlichkeit und Ihre eigenen Abgeordneten immer erst richtig auf die Bäume getrieben ({3}) und wissen jetzt nicht, wie Sie sie wieder herunterbekommen sollen. ({4}) Sie haben dem Boulevard und den Stammtischen Ihrer eigenen Fraktion Zucker gegeben, und deshalb müssen Sie jetzt um Ihre eigene Mehrheit fürchten. ({5}) Frau Merkel und Sie sind wie zwei Zauberlehrlinge, die die Geister nicht mehr loswerden, die sie selber gerufen haben. Die Rede der Kanzlerin gestern war das beste Indiz dafür. ({6}) Die Rechtfertigungsrhetorik und die Haltet-den-DiebRhetorik dienen doch ausschließlich dazu, die unübersehbaren Lücken in Ihrer Koalition zu vertuschen. Frau Bundeskanzlerin, Sie und Ihr Finanzminister tun jetzt so, als sei das, was Sie heute hier dem Parlament vorlegen, keine Vergemeinschaftung von Schulden. Sagen Sie einmal: Für wie dumm halten Sie eigentlich Ihre eigenen Abgeordneten? ({7}) Frau Bundeskanzlerin, viele Ihrer Kollegen durchschauen doch, dass Sie selbst längst die Vergemeinschaftung der Schulden von Griechenland, Portugal, Spanien und Italien vorangetrieben haben. Wer haftet denn für die Schuldtitel der Krisenstaaten in Höhe von 120 Milliarden Euro, die die Europäische Zentralbank aufkaufen musste, weil Sie, Frau Merkel, diesen Aufkauf durch den Rettungsschirm noch im März dieses Jahres verhindert haben? ({8}) Natürlich die Euro-Staaten, die an der Europäischen Zentralbank beteiligt sind, also auch Deutschland. In den Tresoren der Europäischen Zentralbank liegen die ersten 120 Milliarden Euro an vergemeinschafteten Schulden. Das sind die ersten Merkel-Bonds, die wir hier im Hause bekommen haben. ({9}) - Ihre Kollegen lachen nicht, weil sie wissen, dass Sie schon die ersten 120 Milliarden Euro vergemeinschaftet haben. Es war übrigens Deutschland, es war einer Ihrer Vorgänger, Frau Bundeskanzlerin, Helmut Kohl, und einer der Vorgänger von Herrn Schäuble, Herr Waigel, die bei der Währungsunion darauf geachtet haben, dass die Europäische Zentralbank eine neutrale Rolle als Währungshüterin genauso wie vorher die Bundesbank als Auftrag bekommen hat. Die Neutralität der Europäischen Zentralbank war einmal der sicherste Stabilitätsanker des Euro. Und was machen Sie? Sie haben aus diesem Stabilitätsanker, aus der EZB, eine europäische Bad Bank gemacht, ({10}) die sich inzwischen gegen die Gläubigerbeteiligung in der Finanzkrise wehren muss, weil sie sonst selber in Gefahr gerät. Sie haben sie zum Bestandteil der Krise statt zum Schützer der Währung in Europa gemacht, meine Damen und Herren. ({11}) Herr Schäuble, wir verstehen ja, dass Sie auf der Basis der geltenden Verträge eine Gläubigerbeteiligung nur in Verhandlungen durchsetzen können. Aber das heißt nicht, dass man das, was die Banken einem vorlegen, auch gleich unterschreiben muss. Wissen Sie: Sie nehmen den Mund ja gern ziemlich voll, ({12}) wenn Sie SPD und Grüne für den damaligen Umgang mit den Stabilitätskriterien von Maastricht kritisieren. ({13}) - Ja, das wusste ich. Ich wollte Ihnen auch einmal einen Gefallen tun ({14}) und das in meiner Rede erwähnen. Selbst wenn man unterstellt, Sie hätten recht: Niemals zuvor hat jemand den wichtigsten Stabilitätsanker des Euro so sehr und nachhaltig beschädigt wie Sie und Ihre orientierungslose Regierung im Umgang mit der Europäischen Zentralbank. Dafür sind Sie zu Recht vom Bundespräsidenten heftig kritisiert worden. ({15}) Heute folgt nun der zweite Schritt zur Vergemeinschaftung von Schulden, diesmal Gott sei Dank nicht mehr über die EZB, sondern über den Rettungsschirm, die EFSF. Herr Schäuble, Frau Merkel, Sie haben noch vor wenigen Monaten erklärt, Sie seien gegen den Ankauf von Schuldtiteln auf den Sekundärmärkten durch den Euro-Rettungsschirm. ({16}) Heute schlagen Sie in dem vorgelegten Gesetzentwurf genau diesen Ankauf von Schuldtiteln vor, weil Sie wahrscheinlich gemerkt haben, dass Ihre fatale Haltung zur EZB die Währungsstabilität auf Dauer gefährdet. Heute schlagen Sie also das genaue Gegenteil von dem vor, was Sie noch vor wenigen Monaten verteufelt haben: den Ankauf von Schuldtiteln durch die EFSF. ({17}) Natürlich setzen Sie damit den Weg in die Vergemeinschaftung der Schulden in der Euro-Zone fort. Deutschland haftet im schlimmsten Fall mit mehr als 200 Milliarden Euro. Das ist die zweite Tranche der MerkelBonds, meine Damen und Herren. Das ist die Realität, vor der wir stehen. ({18}) Bei Ihnen und Ihrer Haltung wächst nichts mehr zusammen, weil auch nichts zusammengehört. Der Unterschied zu Euro-Bonds ist doch nur noch, dass diese tatsächlich eine echte Änderung der EU-Verträge erfordern und deshalb wirklich nicht so schnell realisierbar wären. ({19}) Wir glauben, dass wir diese Vertragsänderungen mittelfristig brauchen. Denn die Einflussnahme auf die Haushalts-, die Finanz- und die Steuerpolitik der EuroKrisenstaaten ist ohne Vertragsänderungen aus unserer Sicht zu gering. Wer die Hilfe anderer Mitgliedstaaten braucht, muss akzeptieren, dass diese Mitgliedstaaten über die Europäische Union auch Einfluss auf die Finanzpolitik, die Haushalte und die Steuerpolitik der Krisenstaaten erhalten. Nur so schaffen wir auf Dauer Stabilität. ({20}) Sie selbst, Herr Schäuble, wollen diese Vertragsänderungen ja. Nur: Ihre Kanzlerin folgt Ihnen mal wieder nicht. Nichts scheut die Bundeskanzlerin so sehr wie starke EU-Institutionen. Anders als Sie, Herr Schäuble, nimmt die Kanzlerin lieber die Risiken eines schwachen Europas in Kauf, als Souveränität an Europa abzugeben. ({21}) Genau das ist der politische Bruch mit allen Kanzlern vor ihr. Angela Merkel ist die erste Kanzlerin der Republik, der genau dieses Bewusstsein fehlt. Deshalb schrieb Helmut Kohl ihr ins Stammbuch - ich zitiere -: „… keinen Standpunkt oder keine Idee …, wo man hingehört und wo man hin will.“ Meine Damen und Herren, wenn der Kopf der Regierung nicht wirklich von Europa überzeugt ist, wie soll es dann der Rest sein? Kein Wunder, dass bei Ihnen ständig alles zerstritten und zerredet wird. ({22}) Ein Hühnerhaufen ist im Vergleich zu Ihrer Truppe eine ziemlich geordnete Formation. Wer heute von außerhalb Deutschlands auf Ihre Europapolitik schaut, der kann vieles erkennen, aber keine klare Linie und kein Konzept. ({23}) Herr Schäuble, Sie hätten das, was Sie wissen und auch selber meinen, von Anfang an offen sagen müssen, vor allen Dingen hätten Sie konsequent die Wahrheit sagen müssen. Die Wahrheit ist: Sie sind längst auf dem Weg in die Vergemeinschaftung von Schulden. Die heimliche Vergemeinschaftung von Schulden durch die Zerstörung der Handlungsfähigkeit der EZB muss ein Ende haben. Deshalb ist die EFSF jetzt der richtige Schritt. Die damit verbundenen Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf die Haushalte und Schulden der EuroMitgliedstaaten müssen aber dringend erweitert werden. Dabei müssen wir endlich die Geburtsfehler des Euro beheben. Wir brauchen mehr europäischen Einfluss auf die Stabilitäts-, Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten. ({24}) Was wir heute hier im Bundestag vorgelegt bekommen, sind erste Schritte auf diesem richtigen Weg. Das ist in der Tat schwierig und wird vermutlich auch nicht ausreichen; aber es sind eben die ersten richtigen Schritte dieser Regierung in der Euro-Krise. Deshalb werden wir sie mitgehen. Neben Ihrem Zickzackkurs ist der wohl fundamentalste europapolitische Fehler von CDU/CSU und FDP die verkürzte Kosten-Nutzen-Rechnung der gesamten Euro-Debatte, die Sie hier ständig angeführt haben. Deutschland wird von Ihnen ständig als Zahlmeister hingestellt, der für die Faulheit anderer immer zur Kasse gebeten werden soll. Auch wir Sozialdemokraten wollen die Fehler - die Korruption und vor allen Dingen den Betrug unter der konservativen christdemokratischen Regierung in Griechenland, der Vorgängerregierung des heutigen Ministerpräsidenten - nicht rechtfertigen. Das wäre unverantwortlich. Auch wir sagen: Griechenland kann nur europäische Hilfen erhalten, wenn es seine Zusagen einhält. Aber es sind eben nicht vor allem unverantwortliche Regierungen gewesen, die Europa an den Rand des Abgrunds geführt haben. ({25}) In Irland, in Spanien und Portugal sind es vor allen Dingen unverantwortliche Banken und Spekulanten gewesen, die diese Euro-Länder in die katastrophale Verschuldung getrieben haben. ({26}) Nichts anderes ist auch bei uns der Fall. Es ist wirklich unfassbar, dass Ihre Kanzlerin gestern schon wieder so getan hat, als wären die Staatsschulden in den EuroMitgliedstaaten allein durch falsches Regierungshandeln entstanden, als litten alle unter zu hohen Staatsschulden, weil sie über ihre Verhältnisse gelebt hätten. ({27}) - Sie rufen auch noch „Ja“. - Die Wahrheit ist doch, dass diese Staatsschulden ganz wesentlich durch den Verlustsozialismus des Bankensektors entstanden sind. ({28}) - Interessant, dass die CDU das eigentlich unkommentiert hinnimmt, aber ausgerechnet die FDP unruhig wird, wenn man die Banken kritisiert. Sie verkleistern die Gründe für die Schuldenkrise, und man fragt sich: Warum? Weil Sie die Finanzmärkte immer noch schonen wollen? In Wahrheit ist dieses dumme Modell der wirtschaftlichen und sozialen Staatsfeindlichkeit, das Sie noch ständig verteidigen, doch längst gescheitert. In Wahrheit hat das Modell weltweit gewonnen, das Sie in den 90er-Jahren so massiv bekämpft haben und das die FDP noch heute bekämpft, nämlich das deutsche Modell der Zusammenarbeit von Wirtschaft, Gewerkschaften und Staat. Es ist das Modell der Sozialpartnerschaft, das Spielregeln für Wirtschaft, Entwicklung und soziale Entwicklung setzt. Ausgerechnet dieses Modell, bei dem der Staat in Krisenzeiten interveniert, hat Ihre Kanzlerin noch gestern zum Hauptgrund der Krise in Europa erklärt. Vielleicht sollten diejenigen in der CDU/CSU, die sich in der Geschichte der Republik ein bisschen besser auskennen, der Kanzlerin mal erklären, wo tatsächlich die Schulden in Deutschland entstanden sind. ({29}) - Herr Kauder, wollen Sie es vorgelesen bekommen? Das kann ich gerne machen. Bei Ihnen kann man ja relativ häufig mit Zwischenrufen rechnen. - Frau Kanzlerin, es ist sehr interessant, dass Sie gestern - da habe ich zugehört - gesagt haben, das habe mit der Großen Koalition in den 60er-Jahren begonnen. Bis 1982 - da fand die Regierungsübernahme durch CDU/CSU und FDP statt hatte Westdeutschland 314 Milliarden Euro Schulden. Das waren ungefähr 37 Prozent des BIP. 1989 waren es schon 474 Milliarden Euro und 45 Prozent des BIP. Dann kam das Versprechen des CDU-Bundeskanzlers, die deutsche Einheit koste nichts, und dann waren es 1,2 Billionen Euro und 60 Prozent des BIP. ({30}) Unsere Schulden haben ganz wenig damit zu tun, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt hätten, aber ganz viel mit Ihrer gescheiterten Ideologie freier Märkte und ganz viel mit gebrochenen Wahlversprechen in Deutschland, unter anderem auch beim Umgang mit der deutschen Einheit. ({31}) Anstatt daraus etwas zu lernen und endlich aufzuhören, den Menschen unhaltbare Versprechungen zu machen, machen Sie - Sie haben nichts gelernt - im Gegenteil so weiter wie vorher. Jetzt versprechen Sie schon wieder Steuergeschenke, die unbezahlbar sind. Während wir noch fast 30 Milliarden Euro neue Schulden machen, fantasieren Sie über Steuersenkungen von mehr als 10 Milliarden Euro pro Jahr. Sie sind wirklich nicht mehr ganz bei Trost, meine Damen und Herren. Anders kann man das nicht bezeichnen. ({32}) Die Krise des Euro ist ganz wesentlich eine Krise der verwahrlosten Finanzmärkte. Es war eben ein konservativer und liberaler Irrglaube, diese Ideologie der Marktgläubigkeit und der Staatsfeindlichkeit, die Einstellung, alles das, was Finanzmärkte tun, ihren eigenen Regeln zu überlassen, jahrelang vertreten zu haben. Wir sagen Ihnen: Diese Dominanz der Finanzmärkte sind wir nicht länger bereit zu dulden; denn sie ist ohne jede demokratische Legitimation. Sie berührt inzwischen auch die Demokratie selbst. Sie bedroht Europa nicht nur als Wirtschaftsstandort, sondern auch als Lebensort, Wertegemeinschaft und funktionsfähige Demokratie. Weil Ihre Diagnose falsch ist und Sie immer noch glauben, die Menschen lebten über ihre Verhältnisse, statt zu schauen, welche Krisen in den Finanzmärkten entstehen, und diesen Verlustsozialismus zu beenden, haben Sie auch noch die falsche Therapie. Es reicht eben nicht aus, einzig und allein auf das Sparen zu setzen. Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Natürlich gehört Sparen dazu. Vor allem die konjunkturunabhängigen Staatsausgaben in den Krisenstaaten müssen runter. ({33}) Aber ich weiß auch noch, wie uns hier von Herrn Westerwelle und anderen Irland als leuchtendes Beispiel eines deregulierten Niedriglohn- und Niedrigsteuerlandes vorgestellt wurde. ({34}) Das heißt, neben dem Sparen muss man als Zweites Ihre Ideologie des Niedrigsteuerlandes beenden. Man muss dafür sorgen, dass in diesen Ländern die Steuern erhoben werden, die nötig sind, um den Staatshaushalt zu finanzieren. Wir können doch nicht in Deutschland den Menschen Steuern abverlangen und anderswo in einen Steuerdumpingwettbewerb eintreten. Das muss doch endlich beendet werden. Dazu gab es von Ihnen kein einziges Wort. ({35}) Ludwig Erhard mit seinen Sparappellen - Sie haben ja mit Ihrem Blick zurück auf die erste Große Koalition weit in die Vergangenheit geschaut, Frau Bundeskanzlerin; ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie darüber nicht allzu viel wissen ({36}) und seiner Aufforderung, Maß zu halten - für ihn war Sparen die einzige Antwort auf die erste Krise -, ist rasant gescheitert. Danach kamen unter anderem Schmidt und Schiller und haben erklärt: Preisstabilität ist wichtig, aber wir müssen genauso in Wachstum und Beschäftigung investieren. Ich sage Ihnen, was wir brauchen: Weniger Erhard und Merkel, mehr Schmidt und Schiller in Europa! Das ist die richtige Entwicklung für Deutschland. ({37}) - Haben Sie etwas zu sagen, Herr Kauder? ({38}) - Herr Kauder, Sie scheinen nicht einmal zu wissen, dass das Gesetz, das damals in der Großen Koalition gegen den Willen von Ludwig Erhard beschlossen wurde, bis heute gilt. Das ist das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. ({39}) Dass bei Ihnen offensichtlich der Zustand erreicht ist, dass Sie inzwischen selber nicht mehr wissen, was in Deutschland Recht und Gesetz ist, das wundert mich allerdings. ({40}) - Anscheinend doch, sonst würden Sie nicht so seltsame Zwischenrufe machen. Schade, dass die nicht jeder hören kann. Damit Sie wissen, worum es geht, Herr Kauder: Das ist nicht nur Philosophie. Es geht um Folgendes: Wie wachsen die Menschen auf, die morgen und übermorgen Europa sein werden? Als wir alle groß geworden sind, war Europa ein Zeichen der Hoffnung und der Perspektive für junge Menschen. Das hat sich ins Gegenteil verkehrt: 45 Prozent Arbeitslosigkeit in Spanien, 40 Prozent in Griechenland, 22 Prozent in Frankreich und 20 Prozent in England. ({41}) - Wissen Sie, warum bei uns die Arbeitslosigkeit niedriger ist? Weil wir das getan haben, was Ihre Kanzlerin gestern als Ursache aller Krisen angesehen hat: Wir haben in der Krise investiert, Konjunkturprogramme aufgelegt und uns in der Krise verschuldet. Das ist der Grund, warum wir aus der Krise besser als andere herausgekommen sind. ({42}) Jetzt, wo die Krise vorbei ist, wollen wir die Schulden herunterführen und keine Steuergeschenke machen. Statt dumme Vorschläge über Goldreserven und anderes zu machen, mit denen Frau von der Leyen in der letzten Zeit aufgefallen ist, sollte die deutsche Arbeitsministerin ihre Kollegen einmal einladen und darüber reden, ein Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa aufzulegen. Das sind nämlich die Menschen, die morgen Europa tragen sollen. Aber nichts davon bringen Sie auf den Weg. ({43}) Stellen Sie das dumme Gerede vom „Zahlmeister Europas“ ein. In Wahrheit sind wir die politischen und die wirtschaftlichen Gewinner Europas und des Euros politisch, weil es die deutsche Einheit ohne Europa gar nicht gäbe und weil nichts, was wir jetzt erleben, so teuer sein kann, wie es ohne die deutsche Einheit geworden wäre. Der Zugewinn an Freiheit und Sicherheit und die wirtschaftliche Prosperität können durch nichts ersetzt werden. ({44}) - Nein, ich habe Ihnen vorgeworfen, dass Sie damals die Menschen über die Kosten der Wiedervereinigung beschwindelt haben. Das habe ich Ihnen vorgeworfen, nicht die Kosten selber. ({45}) Sie haben doch gesagt: Dafür brauchen wir keine Steuererhöhung, das zahlen wir alles so. - 1,2 Billionen Euro Staatsverschuldung sind daraus geworden. Wir sind auch die wirtschaftlichen Gewinner, weil wir eine Exportnation sind. Statt das als Bundesregierung von Anfang an zu sagen und für die Mithilfe in Europa durch Deutschland zu werben, haben Sie die Leute erst mit Stammtischparolen - die Griechen sollen ihre Inseln verkaufen, und ich weiß nicht, was noch alles - auf die Bäume gebracht. Die Sozialdemokraten haben als Antwort auf -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Gabriel, möchten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Altmaier beantworten?

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gabriel, Sie haben vorhin gesagt: Wir brauchen mehr Schmidt und Schiller. - Ist Ihnen erstens bekannt, dass der damalige Finanz- und Wirtschaftsminister Karl Schiller 1972 aus der SPD ausgetreten und als Minister zurückgetreten ist, weil er mit der Verschuldens- und Inflationspolitik seiner eigenen Partei nichts zu tun haben wollte? ({0}) Ist Ihnen zweitens bekannt, dass sein Nachfolger damals Helmut Schmidt war, der bereit war, diese Politik mit dem Spruch „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit“ fortzusetzen, und dass am Ende der Amtszeit dieses Ministers 5 Prozent Arbeitslosigkeit und 5 Prozent Inflation zu verzeichnen waren? ({1})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erstens. Mir ist bekannt, dass Karl Schiller später wieder in die SPD eingetreten ist. Ich glaube, heute ist Peer Steinbrück Vorsitzender einer Gesellschaft, die das Ziel hat, sein Erbe und seine Vernunft im Bereich der Wirtschaftspolitik in Deutschland wachzuhalten. ({0}) - Ja, natürlich. Wenn man wieder eintritt, muss man vorher ausgetreten sein. Anders geht das, glaube ich, selbst bei Ihnen nicht. ({1}) Zweitens. Es ändert nichts daran, Herr Kollege Altmaier, dass der Grundgedanke des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, sich eben nicht nur um ein Thema zu kümmern, also nicht nur um Preisstabilität, sondern um die Balance von Preisstabilität, Wirtschaftswachstum, hohem Beschäftigungsniveau und Außenhandelsgleichgewicht, die richtige Antwort auf die nationale Wirtschaftskrise war. Und das war die Antwort von Schmidt und Schiller. Das wäre auch jetzt die richtige Antwort in Europa. ({2}) Wir brauchen das berühmte magische Viereck dieser vier Ziele als gemeinsame Wirtschaftspolitik in Europa. Darum geht es. ({3}) Ihr Sparappell führt doch, wenn er nicht durch Wachstum und durch die Schaffung von Beschäftigungschancen ergänzt wird, nur dazu, dass die Staaten immer mehr in die Krise hineingeraten und dass wir in Deutschland damit nicht herauskommen. - Das war die Antwort zum Thema Schmidt und Schiller. ({4}) - Vorsicht, halt; Sie wollten doch noch etwas zu Helmut Schmidt wissen. ({5}) - Ich kann Ihnen das nicht ersparen. - Helmut Schmidt ist derjenige, der mit Valéry Giscard d’Estaing die europäische Einheit vorangetrieben hat. Helmut Kohl hat das fortgesetzt und zu großem Erfolg gebracht. Wir wären heute alle froh, wenn wir in Europa politische Führungspersönlichkeiten vom Schlage Schmidt, Giscard d’Estaing oder auch Helmut Kohl hätten. Leider müssen wir uns aber mit Frau Merkel und Herrn Sarkozy zufriedengeben. Das ist das, was wir zurzeit erleben. ({6}) - Vielleicht stellen Sie noch eine Zwischenfrage. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben als Antwort auf die Entwicklung der Finanzmärkte 2009 einen Paradigmenwechsel gefordert. Wenn wir nicht ernst machen mit der Regulierung der Finanzmärkte und mit der Verschränkung von Risiko und Haftung auf den globalen Finanzmärkten, also der Beteiligung der Gläubiger an den Kosten der Krise, dann droht ein Kompetenzverlust des Politischen und der Demokratie insgesamt. Wir dürfen eben nicht zulassen, dass solche Propagandaparolen in die Welt gesetzt werden, als seien die Probleme gelöst, wenn die Menschen nicht mehr über ihre Verhältnisse lebten. Ich habe gestern einen Brief eines im Bewachungsgewerbe Tätigen bekommen, der 4,01 Euro pro Stunde verdient. Er hat Ihre Sprüche, er würde über seine Verhältnisse leben, genau verfolgt. Er muss 300 Stunden im Monat arbeiten, um auf 1 000 Euro brutto zu kommen. Das sind die Leute in Deutschland, denen Sie sagen, sie lebten über ihre Verhältnisse. ({7}) Deshalb geht es darum, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die tatsächlich an der Krise schuld sind. Wir müssen dabei Europa neu begründen und unseren Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass wir in Zukunft in der Welt eben nicht mehr als Einzelstaaten Gehör finden. Ob Klimapolitik, Migrationsfragen, Außen- und Sicherheitspolitik oder Wirtschaftspolitik - nur als Europäer werden wir an Einfluss gewinnen. Die Alternative dazu ist noch schmerzlicher. An wen soll ein hochverschuldeter Mitgliedstaat eigentlich seine Kompetenzen abgeben? An eine gemeinsame EU, die demokratisch legitimiert ist? Oder an anonyme Finanzmärkte, die inzwischen gegen alles wetten, was schnellen Gewinn verspricht? Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich zu einer Schuldenkrise ausgeweitet hat, ist auch das Symptom unserer gescheiterten Gesellschaftspolitik der letzten Jahrzehnte. In der Folge waren die Rechnungen für das Streben nach unbegrenztem Wirtschaftswachstum auf Pump und die Gier nach maximalen Renditen und maßlosen Profiten geschrieben. Die notwendige Schaffung verbesserter internationaler Mechanismen muss in Europa beginnen. Wir wollen, dass wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Zusammenhalt wieder zusammenfinden. Darum, Frau Bundeskanzlerin, geht es, nicht nur um Rettungsschirme. Es geht nicht darum, den Menschen ständig zu sagen, sie sollten weniger verbrauchen. ({8}) Es geht vielmehr darum, dass wir dafür Sorge tragen, dass die tatsächlichen Ursachen der Krise endlich bewältigt werden. Sie haben seit der Großen Koalition und den Verabredungen beim G-20-Gipfel in Pittsburgh fast nichts auf den Weg gebracht. Sie haben alles liegen gelassen. Sie sind mit der Finanzkrise so umgegangen wie manche mit dem Elbhochwasser. Immer, wenn das Wasser im Keller steht, dann heißt es: Nie wieder in Überschwemmungsgebieten bauen. Wenn das Wasser weg ist, wird weitergemacht wie bisher. - Sie haben das alles in Europa und international zugelassen. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass in Europa endlich wieder in Wachstum und Beschäftigung investiert wird, damit wir aus der Schuldenkrise herauskommen. Wer das versteht, der wird politisch vernünftig handeln. Wer das nicht versteht, verspielt die Zukunft nicht nur des Euros, sondern der Demokratie in Europa. ({9}) Sie haben mit Ihrer Propaganda gegen Europa und den Euro über Monate nichts anderes gemacht, als Europa in Misskredit zu bringen. Jetzt haben wir es alle miteinander sehr schwer, da wieder herauszukommen. Wir wollten das nicht. Sie wollten als Eiserne Kanzlerin in der Bild-Zeitung abgebildet werden, unter der Überschrift „Keinen Cent für Griechenland“. Jetzt haben wir Mühe, zu erklären, dass das alles in die falsche Richtung gelaufen ist. Man darf sein Volk nicht in eine falsche Richtung aufwiegeln. Man muss als Politiker wissen, in welche Richtung man will, und dafür kämpfen und eintreten. Nichts davon haben Sie in den letzten Monaten getan. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gabriel, wir diskutieren ein sehr ernstes Thema, nämlich wie wir Europa neu gestalten: Europa ja, aber ein Stück anders als bisher. Man kann das auf zwei Wegen machen. Man kann das wie Sie in parteipolitischer Polemik tun. Dabei kann ich Ihnen mindestens so lange, wie Sie es getan haben, vorhalten, was bei Ihnen alles schiefgelaufen ist, mit dicken Backen rauf oder runter. ({0}) Man kann sich dem Thema aber auch ernsthaft nähern. Es geht darum, wie wir das Vertrauen der Menschen für eine europäische Zukunft gewinnen. Wir haben andere Bedingungen in Europa. Europa ist nicht mit den Vereinigten Staaten von Amerika gleichzusetzen. Es ist kein Melting Pot. Europa ist Vielfalt. Wir haben eine Wirtschafts- und Währungsunion, keine politische Union. Wir müssen Regeln haben, damit es funktioniert. Gegen diese Regeln darf nicht verstoßen werden, sonst kann es nicht funktionieren. Was Herr Schäuble heute vorgelegt hat, bedeutet die Gründung einer neuen Stabilitätskultur. Es hat auch keinen Sinn, einen billigen Weg zu gehen. Die Euro-Bonds haben Sie gar nicht mehr erwähnt, nachdem Ihnen das Verfassungsgericht klar ins Stammbuch geschrieben hat: So geht es nicht, weil das eine gesamtschuldnerische Haftung für alle europäischen Staatsschulden bedeutet. ({1}) Diese Wundertüte will selbst Ihre SPD-Basis nicht. Erklären Sie Ihren Arbeitnehmern doch einmal, welche Haftung wir mit einer solchen Wundertüte von EuroBonds eingehen würden! ({2}) Es geht vielmehr darum, dass wir die Strukturen anpassen. Man hat damals einen Stabilitäts- und Wachstumspakt gemacht. Denn die deutsche Mitgift für die europäische Zukunft ist die Idee der Geldwertstabilität. Jede deutsche Familie kann vom Großvater und Urgroßvater berichten, die in Deutschland zweimal ihr Geld verloren haben. Wir hatten zweimal einen Währungsschnitt. Deshalb war es für uns ganz entscheidend, die Unabhängigkeit der Notenbank und die Verpflichtung auf Geldwertstabilität in den Prozess einzubringen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens kann eine Marktwirtschaft nur dann funktionieren, wenn die sie steuernden Signale, nämlich die Preise, die Knappheitsrelation richtig widerspiegeln. Bei einer inflationären Entwicklung spiegeln sie die Knappheitsrelation nicht richtig wider. Der zweite Grund ist die soziale Dimension. Die größte soziale Schweinerei ist Inflation. ({3}) Es sind die kleinen Leute, die ein Sparbuch und ein Girokonto haben, die der Inflation nicht ausweichen können. Deshalb war der Hinweis des Kollegen Altmaier richtig. Es ist eine Illusion, zu meinen, dass man, wenn man eine lockere Geldpolitik betreibt, EuroBonds einführt und die Stabilitätsregeln bricht, etwas erreicht. Man erzielt vielleicht einen kurzfristigen Effekt, aber langfristig sind es die kleinen Leute und die Schwachen, die dafür die Zeche zahlen. Das ist das Resultat, wenn man Grundsätze nicht durchhält. Das aber, nämlich Grundsätze durchhalten, ist es, was wir erreichen müssen. Die soziale Marktwirtschaft ist bei uns Realität. Wir müssen sie wieder nach Prinzipien ausrichten, und wir müssen Grundsätze durchhalten ({4}) und diese hier in Europa einpflanzen, damit Europa eine Erfolgsstory wird. Was ist denn im Bankensektor passiert? Es war doch die WestLB, die unter Ihrer Kontrolle in Nordrhein-Westfalen ist, die das Geld verbrannt hat. Die staatseigenen Landesbanken in Deutschland haben bisher 130 Milliarden Euro verbrannt. Das war Steuerzahlergeld, für das die Steuerzahler hart arbeiten mussten, und jetzt empfehlen Sie uns staatliche Eingriffe als Lösung. ({5}) Die Bundeskanzlerin hatte mit ihren Ausführungen recht. Ihre Polemik wegen ihres anderen Lebenswegs ist fehl am Platz. Wir sollten stolz darauf sein, dass jemand, der einen anderen Lebensweg hatte, der einen Teil seines Lebens in der DDR gelebt hat, an der Spitze unseres Staates steht; denn das ist ein Symbol dafür, dass wir gemeinsam unseren Weg gehen. Sie aber greifen zu billiger Polemik und sagen: Sie waren ja bei der ersten Großen Koalition nicht dabei. - Was Sie hier machen, ist einer parlamentarischen Debatte unwürdig. Das gilt selbst für Sie, Herr Gabriel. ({6}) Was sie gemeint hat, ist richtig. Es handelt sich um ein generelles Problem. Man hat sich zu sehr von den realwirtschaftlichen Strukturen entfernt. Sie hingegen glauben, immer neue Konjunkturprogramme aufzulegen und Geld zu drucken, würde zu Wirtschaftswachstum führen. Nein, am Schluss muss man effizient sein, man muss Ressourcen anders kombinieren. ({7}) Der Wiederaufstieg in Deutschland war nicht allein durch konjunkturelle Maßnahmen bedingt, sondern er war dem Fleiß und Einsatz der Menschen geschuldet, er war möglich aufgrund der mittelständischen Strukturen und des Ideenreichtums der Menschen. Deshalb ist der schnelle Wiederaufstieg Deutschlands erfolgt. ({8}) Sie sind dem Münchhausen-Theorem verpflichtet, das besagt, möglichst viele Staatsausgaben zu tätigen und immer weitere Konjunkturprogramme aufzulegen. Als wir die Konjunkturprogramme schrittweise zurückgeführt haben, wurde dies kritisiert. Ich kenne diese Kritik. Wenn sich die Situation verbessert, dann muss man die Sondermaßnahmen zurückführen. Sie hingegen denken immer noch in der Tonnenideologie. Das ist verkehrt. Man muss in realwirtschaftlichen Strukturen denken. Wirtschaftspolitik gleicht der Uhrmacherarbeit, sie hat nichts mit dem globalen Hin- und Herschieben von Staatsausgaben zu tun. ({9}) Man kann über viele Ihrer Ausführungen über Irland oder andere Staaten reden. Irland hat, was die Realwirtschaft betrifft, einen guten Weg eingeschlagen. Die Lösung kann doch nicht sein, dass der Deutsche Bundes14562 tag oder gar die deutsche Sozialdemokratie die politische Führung in Irland übernimmt. Es sind übrigens Ihre Genossen in Spanien, die gerade eine Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von 40 Prozent produziert haben. Die Lösung kann vielmehr nur sein, dass wir unter Wahrung der Souveränität von Irland und mit allem Respekt gemeinsam Regeln vereinbaren, die Irland auf den Pfad der Tugend führen. Es geht eben nicht, dass man mit einer finalen Bankenbesteuerung von 10 Prozent den Wettbewerb in Europa verzerrt. Wenn diese Regierung nicht hart gehandelt und sich Zeit genommen hätte, dann hätten wir jetzt nicht eine Entwicklung in Europa hin zu einer Stabilitätskultur. Jetzt wird die Schuldenbremse in Spanien und in Italien in der Verfassung verankert. Auch Frankreich geht in diese Richtung. Prinzipien setzen sich durch, wenn man beharrlich ist. Nicht das Heischen nach schnellem Beifall und das schnelle Nachgeben sind die Lösung, sondern Prinzipientreue in elementaren Fragen der Politik. ({10}) Ein bisschen mehr Rückgrat und weniger Eiermann! Herr Steinmeier hat es gestern gezeigt: Er ist von den Euro-Bonds quasi abgerückt, weil das Verfassungsgericht Ihnen eine schallende Ohrfeige für den Grundgedanken „Die anderen sollen es auch machen“ erteilt hat. ({11}) Ein Sirtaki-Siggi-Konzept, nach dem man schnell einmal locker etwas bewegt, ist keine Lösung. Sie lenken von Ihrer Fehlsteuerung durch Euro-Bonds ab. Sie lenken davon ab, dass Sie als große deutsche Partei bei der ersten Hilfsmaßnahme für Griechenland nicht in der Lage waren, eine Entscheidung zu treffen. Sie haben kraftvoll gesagt: Enthaltung. ({12}) Sie haben sich weggeduckt. Sie haben weder Ja noch Nein gesagt, weil Sie in den entscheidenden Fragen keine Grundsatztreue haben. ({13}) Es wäre gut, wenn Sie sich in den Wettbewerb der Ideen - nicht der Polemik - engagiert einbringen würden, ({14}) wie wir es schaffen, Europa voranzubringen. ({15}) Europa ist unsere Zukunft. Deutschland darf sich nie wieder singularisieren. Der Euro ist elementar für die europäische Entwicklung. Es geht darum, wie wir dies mit einer Stabilitätskultur verknüpfen, damit es funktioniert. Viele draußen in der Welt, auch unsere amerikanischen Freunde, haben gar nicht geglaubt, dass das mit dem Euro auf den Weg kommt. Sie haben nicht geglaubt, dass wir das so weit führen können. Sie glauben auch heute nicht, dass wir die Kraft haben, es so zu richten, dass es funktioniert. Es gilt das, was Wolfgang Schäuble gesagt hat: Es gibt bei Griechenland klare Vereinbarungen, und die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission ist aus Athen abgereist, weil Zusagen nicht eingehalten worden sind. Wenn die Griechen Zusagen nicht einhalten, gibt es kein Geld; das ist die Spielregel. ({16}) Das kennt jeder Sportler, das kennt jeder Fußballspieler: Wenn man die Spielregeln nicht einhält, wird man notfalls vom Platz gestellt. Wenn Griechenland nicht mitmacht, kann nicht die Konsequenz sein, dass ganz Europa keine Zukunftsperspektive entwickelt. Die Griechen müssen sich entscheiden. Sie sind eingeladen - sie wurden damals unter falschen Bedingungen aufgenommen -, mitzumachen. Es liegt jetzt an Griechenland, ob sie den Weg mitgehen oder ob sie - Stichwort: Europa der zwei oder drei Geschwindigkeiten, à deux, à trois vitesses - einen anderen Weg in Europa wählen. Wir können uns nicht die Zukunftsentwicklung - die Menschen wollen eine Perspektive; ich verweise auf die jungen Leute in Spanien, in Italien und anderswo, die auf die Straße gehen und protestieren - kaputtmachen lassen, weil ein Teil Europas nicht bereit ist, geschlossene Verträge einzuhalten. ({17}) Irgendwann ist die Stunde der Wahrheit: Entweder sie machen mit, wie es vereinbart worden ist, oder sie machen nicht mit. ({18}) Wir können uns den ganzen Weg nach Europa nicht von einem Mitglied, das die Regeln nicht einhält, verbauen lassen. Es geht darum, die Grundsatztreue einzuhalten, damit Europa einen guten Weg nimmt. ({19}) Sie vollführen kurzfristig Eiertänze, mit denen Sie ablenken von der Unfähigkeit in Nordrhein-Westfalen, von Ihrer Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Haben Sie Mut! Stehen Sie zu Grundsätzen! Das zahlt sich aus und nicht das Herumeiern, wie Sie es heute vorgeführt haben. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Brüderle, ich habe den Eindruck, Ihnen wird gerade dazu gratuliert, dass Sie Ihre eigenen Leute auf Linie bringen. ({0}) Offensichtlich sind die Widersprüche in Ihrer eigenen Regierungsfraktion mindestens so groß wie die, die gegenwärtig in der Bevölkerung vorhanden sind. Ich sage Ihnen eines: Wenn Ihnen die Bürger draußen zuhören, wie Sie hier in regelmäßiger Wiederkehr vertreten, dass Hunderte von Milliarden Euro für Bankenrettungen beschlossen werden, dann halten sie sich inzwischen bei jedem Ihrer Worte die Geldbörse zu; denn sie wissen, dass sie letztendlich für das zu zahlen haben, was Sie hier vertreten, Herr Brüderle. Das ist die Wahrheit. ({1}) Wir sagen Nein zu dem, was Sie hier vorlegen. Ich will Ihnen sagen, warum. Erstens. Sie retten mit diesem Gesetz weder den Euro noch die Europäer. Einzig und allein die Banken, die Versicherungskonzerne, die Hedgefonds und die Finanzinvestoren werden gerettet, und das einmal mehr, nicht zum ersten Mal. Zweitens. Wir sagen Nein zu diesem Gesetz, weil Sie nichts gegen die Ursachen der Wirtschaftskrise unternehmen. Die Ursachen liegen nämlich bei den Zockerbuden. Die Ursachen liegen in diesem Bankensystem. Die Ursachen liegen in nicht regulierten Finanzmärkten. Da hat diese Regierung nichts getan, um auch nur eine wirkliche Maßnahme zu beschließen. Dafür sind Sie mitverantwortlich, Herr Brüderle. ({2}) Drittens. Wir sagen Nein, weil dies eine beispiellose Selbstentmachtung des Parlaments ist. Die Mehrheit dieses Hauses streitet wochenlang um 5 Euro mehr für die Menschen mit Arbeitlosengeld-II-Bezug; das ging wochenlang, monatelang und sogar bis zum Vermittlungsausschuss. Wenn es hier um 90 Milliarden zur Erweiterung des Rettungsschirms geht, stellt die Regierung sogar die Frage, in welcher Weise das Parlament überhaupt beteiligt werden muss. Meine Damen und Herren, das versteht draußen bei den Bürgern dieses Landes kein Mensch mehr, und das zu Recht. ({3}) Viertens. Wir sagen Nein, weil sich Ihre Strategie der Euro-Rettung auf einen einfachen Nenner bringen lässt, und der heißt: Milliarden für die Banken, für die Versicherungen, für die Hedgefonds, auf der anderen Seite Sozialkürzungen bei den Menschen nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in den Ländern, die Sie angeblich retten wollen. ({4}) Wenn es darum geht, wie Ihre Rezepte wirken, so ist Griechenland das beste Beispiel: 4,5 Prozent Minuswachstum 2010, weitere 5 Prozent Minuswachstum 2011. Wissen Sie, was das bedeutet? Sie kommen mir vor wie ein Arzt, der einem Patienten Medikamente gibt und der, wenn der Patient das nächste Mal kommt und schon hereinkriecht, weil er gar nicht mehr stehen kann, sagt: Wir erhöhen die Dosis. - Wie lange wollen Sie denn die Dosis erhöhen? Bis Europa gänzlich gescheitert ist? Das ist Ihr Konzept, das Sie anderen Leuten, anderen Ländern aufdrängen wollen. ({5}) Wir sitzen heute hier als Anwälte der Bürger. Die Bürger haben Angst um ihr Geld, und diese Angst haben sie zu Recht. Drei Jahre nach der Lehman-Pleite stehen wir vor der nächsten Bankenkrise. Immer neue Rettungsschirme werden aufgespannt. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise sind die gesamtstaatlichen Schulden durch Stützungsmaßnahmen zugunsten der Finanzinstitutionen bei uns in der Bundesrepublik in den Jahren 2008, 2009 und 2010 um 315 Milliarden Euro gestiegen. Allein auf die Bad Banks entfallen nach Aussagen der Bundesregierung 190 Milliarden Euro. Das waren, wie Sie wissen, bis vor kurzem noch Privatbanken, die Sie dann verstaatlichen mussten. So viel dazu, Herr Brüderle, da Sie sich gerade so über die Landesbanken erregt haben. Sie haben die falschen Konzepte, und Sie haben vor allem durch Zaudern geglänzt. Sie verstärken bei den Bürgern den Eindruck, dass diese Regierung der Krise nicht gewachsen ist, und dieser Eindruck täuscht nicht. Lassen Sie mich zu den wirklichen Ursachen der Krise kommen. Wer diese Krise nur als Schuldenkrise bezeichnet, hat sie nicht verstanden. Was die erste Ursache betrifft - wir haben gerade darüber gesprochen; auch mein Kollege Gabriel -: Wie verhält es sich denn eigentlich mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz? ({6}) Zahlen lügen nicht. Wir haben in den zehn Jahren von 2000 bis 2010 Handelsbilanzüberschüsse von 1 552 Milliarden Euro erzielt. Das ist der Saldo. Das heißt, wir haben in dieser Größenordnung mehr verkauft, als wir importiert haben. In dem Stabilitätsgesetz, über das wir gerade gesprochen haben, geht es unter anderem um die Stabilität des Preisniveaus. Es geht um einen hohen Beschäftigungsstand und um - ich zitiere - „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“. Erklären Sie mir doch einmal - Frau Merkel ist ja nicht mehr da -, wie Sie eigentlich diese 1 552 Milliarden Euro Außenhandelsüberschuss mit diesem Gesetz in Einklang bringen wollen. Sie haben die staatliche Politik auf eine einseitige Steigerung der Exporte ausgerichtet und haben nicht berück14564 sichtigt, dass Sie damit alle anderen Länder an die Wand drücken. Sie haben im Ergebnis dieser Politik erreicht, dass sich die anderen Länder verschulden müssen; denn eines ist doch klar: Wer ständig mehr verkauft, als er kauft, muss nach dem Gesetz der Logik davon ausgehen, dass den Käufern irgendwann das Geld ausgeht und damit auch die wirtschaftliche Puste. Bei den anderen Ländern hat unser Exportüberschuss zu einem Berg von Schulden geführt. In einem vereinten Europa - das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben - gilt der einfache Satz: Unsere Überschüsse sind die Schulden der anderen. Deshalb müssen wir es politisch so gestalten, dass unsere Überschüsse durch mehr Importe reduziert werden. Das geht nur durch höhere Löhne, höhere Renten und nicht durch Ihr Lohndumping. ({7}) Zweitens. Ihr Lohndumping führte letztendlich dazu, dass es in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahr 2000 ein Reallohnminus von 4 Prozent gibt. Auf der anderen Seite sind die Exporte und die Gewinne der großen Konzerne gestiegen. Deshalb erinnere ich Sie an eine weitere einfache Formel, die im Finanzkapitalismus gilt: Der den Arbeitnehmern vorenthaltene Lohn ist das Spielgeld der Spekulanten. Mit Ihrer Lohndumpingpolitik in dieser Republik haben Sie die Krise erst ermöglicht, weil Sie dadurch die Kapitalakkumulation an den Finanzmärkten hervorgerufen haben. ({8}) Zum Dritten: Sie haben nichts getan, um die Entfesselung der Finanzmärkte einzudämmen. Ich zitiere aus der Financial Times von gestern. Dort heißt es: Die Bilanzsumme des britischen Bankensektors, ({9}) die ein Vielfaches des BIPs ausmacht, dient nur zu zehn Prozent der Kreditvergabe an die Industrie. Die Deutsche Bank begnügte sich 2010 mit 4,1 Prozent ihrer Bilanzsumme, um sie an Handel, Gewerbe und gewerbliche Immobilienfinanzierung auszureichen … Was heißt das? Das heißt, dass die Banken ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht werden, nämlich die Realwirtschaft mit Krediten zu versorgen. Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie eigentlich gemacht, um das wieder ins Lot zu bringen? ({10}) Was haben Sie gemacht? Nichts haben Sie gemacht. Sie sind weiter auf dem Trip, die Banken zu stützen, obwohl diese die Verursacher der Krise sind. Das vierte Problem, das mit zu erwähnen ist, ist, dass die Staaten, die vorher die Banken gerettet und die Finanzmärkte stabilisiert haben, sich nun selbst an den Finanzmärkten zu hohen Zinsen verschulden müssen. An diesem Punkt erkennen Sie eines nicht: Wir müssen die Finanzierung der Staaten von der Spekulation und von den Finanzmärkten loslösen. ({11}) Wenn Sie das nicht machen, werden wir uns damit in zwei bis drei Monaten wieder befassen müssen. Dann werden wir weiteres Geld der Bürger ausgeben müssen, und das alles nur, weil Sie nicht bereit sind, die richtigen Maßnahmen zu treffen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({12}) Ich sage Ihnen nun, was notwendig wäre, um tatsächlich die Probleme zu lösen, die den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes wirklich auf den Nägeln brennen. Erstens. Wir brauchen eine Entkopplung der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten. ({13}) Ich sage Ihnen, dass dazu momentan die Ausgabe von Euro-Bonds gar nicht mehr ausreicht. ({14}) Wir brauchen vielmehr eine Euro-Bank für öffentliche Anleihen ({15}) und eine von den Finanzmärkten losgelöste Europäische Zentralbank. So hätten wir Politiker Einfluss auf die Finanzmärkte und auf die Zinsen. Solange das nicht der Fall ist, wird es immer wieder passieren, dass wir wie die Schoßhunde hinter den Finanzmärkten herlaufen und ihnen, wenn sie jaulen, die Kohle geben, damit sie weiter funktionieren. Das ist Ihre Politik. Wir brauchen aber eine Dominanz der Politik und eine Politik, die die Bürger vor der Ausbeutung durch die Finanzmärkte schützt. ({16}) Dazu sind Sie nicht bereit. Deshalb wird sich das, was wir hier beschließen, zu einem Fass ohne Boden entwickeln. ({17}) Wir brauchen zweitens eine gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen. Die öffentlichen Haushalte müssen saniert werden. ({18}) Doch alle hier vertretenen Parteien außer uns haben mit dazu beigetragen, dass die Steuersätze in der Bundesrepublik Deutschland drastisch nach unten gefahren wurden. Die Spitzensteuersätze sind gesenkt worden, auch von Rot-Grün. Jetzt will die SPD sie wieder erhöhen; das finde ich toll. Eine Vermögensbesteuerung fehlt nach wie vor. Mit solchen Mitteln könnte man Staatshaushalte sanieren. Drittens. Wir brauchen eine rechtliche Neuordnung des Bankenwesens. Ohne diese wird es nicht gehen. Rechtliche Neuordnung des Bankenwesens heißt: Die großen privaten Banken müssen unter gesellschaftliche Kontrolle; ansonsten geben wir in diesem Bereich das Demokratieprinzip auf, ({19}) weil wir immer das machen müssen, was die Banken wollen. Das ist nicht im Sinne der Bürger unseres Landes. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält der Kollege Jürgen Trittin das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ernst, Sie haben gemeinsam mit Herrn Brüderle belegt: Es gibt eine unheilige Allianz zwischen einer Partei, die sich selber „links“ nennt, und den Kräften innerhalb der Koalition, die aus falsch verstandenem D-Mark-Chauvinismus eine europäische Lösung dieser Euro-Krise verhindern. Sonst könnten Sie nicht zu diesem Abstimmungsverhalten kommen. ({0}) Jene D-Mark-Chauvinisten in Ihren Reihen, die geklagt haben, haben gestern vor dem Bundesverfassungsgericht eine krachende Niederlage erfahren. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, es sei richtig, dass der Deutsche Bundestag versucht, die Krise nicht durch Rückzug aus dem Euro oder durch Rausschmiss, sondern durch eine Stärkung europäischer Institutionen zu lösen. Das ist die Botschaft aus Karlsruhe, ({2}) und das ist die Botschaft, die die drei antieuropäischen Parteien im Deutschen Bundestag, die Linke, die FDP und die CSU, nicht hören wollen. Das ist die Wahrheit. ({3}) Lieber Herr Brüderle, ich würde mir wünschen, dass Sie, wenn Sie schon gegen Banken wettern, über alle Banken sprechen. Sie hätten natürlich auch erwähnen können, dass die WestLB - jetzt unter dem Schutz des Bankenrettungsfonds, also von uns aus Steuermitteln gerettet - als Bad Bank vier Jahre in der Verantwortung unter anderem eines gewissen Herrn Pinkwart gewesen ist. ({4}) Ich weiß nicht, ob Sie sich an den noch erinnern. ({5}) - Fünf Jahre; Entschuldigung, Axel, ich nehme das zurück. - Sie hätten auch über die Sachsen LB sprechen können. ({6}) Oder vielleicht sollten wir gemeinsam einmal darüber sprechen, was mit der Bayern LB ist, ({7}) gegen die mittlerweile die Staatsanwaltschaften wegen der Zockereien mit Herrn Haider auf dem Balkan ermitteln. Wir können gerne über staatliche Banken sprechen. Aber ich glaube, wir müssen gelegentlich über alle Banken sprechen. Wir müssen auch darüber sprechen, dass das Verhalten zum Beispiel der Deutschen Bank und von Lehman Brothers und die Versuche, in Regulierungsoasen wie Irland Geschäfte zu machen, die man woanders nicht machen kann, genauso Ursachen dieser Krise sind, wie das kriminelle Verhalten der konservativen Regierung in Griechenland es gewesen ist. ({8}) Da hätte ich von Ihnen Klarheit und Prinzipientreue erwartet. Sie haben gesagt, man müsse zu den Prinzipien stehen. Ein zentrales Prinzip sei die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Meine Damen und Herren, wer hat denn die Europäische Zentralbank genötigt, ({9}) für Schulden anderer Staaten aufzukommen und Anleihen aufzukaufen? ({10}) Wer hat denn dafür gesorgt, dass die EZB heute 120 Milliarden Euro Staatsanleihen von Krisenstaaten in ihren Büchern hält? Es war diese Regierung mit dieser Bundeskanzlerin. Niemand anderes trägt dafür die Verantwortung. ({11}) Ich will Ihnen auch sagen, warum das Ihre Verantwortung ist: weil Sie sich noch im März, als über die EFSF verhandelt worden ist, geweigert haben, das zu beschließen, was Sie heute beschließen wollen, nämlich die Möglichkeit, am Sekundärmarkt Anleihen aufzukaufen. Damit haben Sie die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank auf schäbige Weise beschränkt. Deshalb können Sie hier nicht von Prinzipientreue reden. Da meldet sich gleich der Mario Barth der FDP zu einer Zwischenfrage. Bitte schön. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

In Anwendung der Geschäftsordnung mache ich von meiner Möglichkeit Gebrauch, 14566

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigung!

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

- dem Wunsch nach einer Zwischenfrage mit Genehmigung des Redners stattzugeben. - Bitte schön, Herr Kollege Fricke.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dass Sie von Chauvinismus wirklich viel Ahnung haben, haben Sie gerade bewiesen. Herr Trittin, ich darf Sie einmal fragen: Stimmt es, dass die Grünen im Jahre 2009 einen Antrag gestellt haben, in dem wörtlich steht: Der Deutsche Bundestag … fordert - nach dem Willen der Grünen die Europäische Zentralbank auf, verstärkt über den Aufkauf von Wertpapieren an der Stabilisierung der Finanzmärkte und der Sicherung der Kreditversorgung mitzuwirken … Stimmt es also, dass Sie selber - ich glaube, Sie waren damals in einer nicht unwichtigen Position - als Grüne genau diese Forderung erhoben haben und, anders als diese Koalition - auch wenn uns das, was die Europäische Zentralbank gemacht hat, an vielen Stellen nicht gepasst hat -, die Unabhängigkeit eben nicht akzeptieren? ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Fricke, Sie haben richtig zitiert. ({0}) Wenn Sie mich an dieser Stelle zu Ende anhören, dann werden Sie feststellen, dass ich ausdrücklich nicht die Europäische Zentralbank kritisiere. ({1}) Ich finde richtig, dass die Europäische Zentralbank dies gemacht hat ({2}) in einer Situation, in der von dieser Bundesregierung genau die Institution blockiert worden ist, ({3}) die das besser kann, was Sie jetzt selber zugeben, weil Sie diese Kompetenz, die heute leider von der EZB wahrgenommen werden muss, nun an den Europäischen Stabilitätsmechanismus bzw. die EFSF übertragen. ({4}) - Bleiben Sie ruhig stehen. - Sie haben sich an dieser Stelle auch an einem anderen Punkt vergaloppiert. Sie haben gesagt, es gebe keine Vergemeinschaftung von Schulden. Es gibt sie. Mit genau dem Hinweis auf den Aufkauf dieser Staatsanleihen gibt es eine Vergemeinschaftung von Schulden. Sie wettern gegen Euro-Bonds; Sie haben sie längst in diesem Lande eingeführt. ({5}) Hören Sie auf, zu erzählen, das Bundesverfassungsgericht habe sie verboten. Ganz im Gegenteil, das Bundesverfassungsgericht hat selbstverständlich nichts dagegen gesagt, dass die Europäische Union mithilfe von EuroBonds die Spekulationen gegen Ungarn oder Lettland erfolgreich beendet hat. ({6}) Darüber schweigen Sie ja lieber, weil Sie es nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Das zeigt die ganze europapolitische und währungspolitische Geisterfahrt dieser Koalition. ({7}) Herr Schäuble, ich will mit Ihnen nicht darüber in Streit geraten, ob privatrechtliche Verträge, die faktisch hoheitliche Aufgaben erfüllen - und darum handelt es sich bei EFSF -, ({8}) nach Übereinstimmung aller Kommentatoren einem völkerrechtlichen Vertrag gleichkommen und deshalb der Ratifizierung bedürfen. Sie haben ja tätige Reue geleistet, ({9}) indem Sie heute gesagt haben: Wir machen es über eine Vertragsänderung, und ab 2013 machen wir es richtig. Insofern nehme ich schon zur Kenntnis, dass Sie in dieser Frage still und heimlich unsere Position übernommen haben. ({10}) Ich will aber an dieser Stelle eine sehr ernste Frage stellen: Dürfen wir eigentlich solche hoheitlichen Aufgaben in Form von privatrechtlichen Verträgen regeln? Dürfen wir eigentlich europäische Institutionen wie die EZB, wie die Europäische Kommission tätig werden lassen auf der Basis einer Zweckgesellschaft nach Luxemburger Recht? Daran habe ich sehr klare Zweifel - nicht weil das juristisch fragwürdig ist, sondern vor allen Dingen, weil das politisch und gesellschaftlich die falsche Botschaft ist. ({11}) Wenn solch entscheidende Aufgaben übernommen und auf europäische Institutionen übertragen werden, dann darf das nicht in privater Rechtsform geschehen. Dann muss das als hoheitlicher Akt und unter der Aufsicht des Bundestages und gegebenenfalls auch - gerade wenn es auf Europa übertragen wird - unter der Aufsicht des Europäischen Parlaments geschehen. Deswegen war der Weg in die Zweckgesellschaft der falsche Weg. Ich freue mich, dass Sie ihn am Ende korrigieren werden. ({12}) Heute streiten wir darüber, dass der Bundestag ausreichende und hinreichende Kontrollfunktionen hat, solange es diese Institution nicht gibt. Ich glaube, dass wir da zu einem Miteinander kommen werden. ({13}) Ich sage Ihnen - das scheint offensichtlich Unruhe im Regierungslager ausgelöst zu haben -, weil es symptomatisch ist, lieber Herr Westerwelle: Weil Sie die richtige Lösung aufgrund von Uneinigkeit in den eigenen Reihen immer blockiert haben, laufen Sie in solche halbseidenen Zweckgesellschaften. ({14}) Dann wundern Sie sich auch noch über Europamüdigkeit. Sie gehen diesen Weg leider weiter. Jetzt stellen Sie den Stabilisierungsmechanismus auf eine vertragliche Grundlage. Der nächste Schritt wäre vernünftigerweise, zu einer europäischen Wirtschaftsregierung zu kommen, weil die Ursache eben nicht allein Überschuldung ist, sondern weil die Ursache in Regulierungsdumping, Steuerdumping und all den realwirtschaftlichen Problemen in Europa liegt. Frau Bundeskanzlerin, was ist aber Ihr Weg zur Wirtschaftsregierung? Sie stellen sich eine Wirtschaftsregierung so vor, dass Herr Van Rompuy entsprechend dem Minimalkonsens zwischen Ihnen und dem französischen Staatspräsidenten agiert. Das ist keine Wirtschaftsregierung; das ist nichts anderes als die Fortsetzung der Luxemburger Zweckgesellschaft mit anderen Mitteln. Ich sage Ihnen: Das, was wir heute neben den Veränderungen beim Stabilisierungsfonds brauchen, ist eine vertragliche Regelung, die besagt: Wir wollen eine Koordination in der Steuerpolitik, in der Wirtschaftspolitik und bei den Sozialstandards. Diese Koordinierung setzt eine Vertragsänderung voraus. Es ist das Gebot der Stunde, einen Impuls zu setzen, um dieses Europa auf eine neue Stufe der Vergemeinschaftung zu führen. Dafür fehlt Ihnen in dieser Koalition schon lange die Kraft. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner der CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Bartholomäus Kalb. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, eine etwas andere Tonlage zu finden; denn es geht mir darum, dass wir uns nicht gegenseitig irgendetwas an den Kopf schmeißen, sondern die Debatte so führen, dass die Menschen im Lande verstehen können, worum es heute geht, worum es uns geht. ({0}) Wir behandeln heute in erster Lesung eine sehr wichtige und ernste Angelegenheit. Es geht im Kern um die Frage: Was müssen wir tun, was können wir tun, um dafür zu sorgen, dass unsere gemeinsame Währung weiterhin stabil bleibt? Mit dem zu beratenden Gesetzentwurf zur Änderung des Euro-Stabilisierungsmechanismusgesetzes - ich gebe zu: das ist ein komplizierter Ausdruck -, einem Regelwerk zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen der europäischen Hilfsmaßnahmen, setzen wir die Beschlüsse des Gipfels vom 21. Juli 2011 in nationales Recht um. Am 10. Mai 2010 wurde in einer ausgesprochen schwierigen Situation für die Euro-Zone und unter großem Zeitdruck zunächst die Europäische Finanz-Stabilitäts-Fazilität, kurz EFSF, vom EU-Gipfel als vorläufiger Rettungsschirm ins Leben gerufen. Am 21. Juli dieses Jahres haben die Staats- und Regierungschefs der EuroLänder die Erweiterung des Garantierahmens und zusätzliche Instrumente vereinbart, um flexibler reagieren zu können und damit drohenden Ansteckungsgefahren für andere Länder der Euro-Zone wirkungsvoller begegnen zu können. Der EFSF-Rettungsschirm soll künftig auch Staatsanleihen aufkaufen können. Wenn solche Käufe notwendig werden sollten, dann sollen sie von der EFSF, nicht wie bisher notgedrungen von der EZB, durchgeführt werden. Derartige Käufe dürfen allerdings auch künftig nur unter sehr strengen Voraussetzungen stattfinden, zum Beispiel wenn Gefahren für die Finanzstabilität festgestellt werden. Ein Freibrief für umfassende Ankäufe ist abzulehnen. Anleihenkäufe auf dem sogenannten Sekundärmarkt sind im Ausnahmefall künftig ebenfalls möglich. Euro-Länder können sich, um die Finanzmärkte zu stabilisieren, eine Kreditlinie von der EFSF zusichern lassen, die sie natürlich nicht nutzen müssen. Gerät ein Euro-Mitgliedstaat am Finanzmarkt unter Druck, darf die EFSF mit einem Vorsorgekredit helfen, noch bevor es zum echten Hilfsfall kommt. Mit der Möglichkeit der Rekapitalisierung von Kreditinstituten wird ein weiteres wichtiges Instrument geschaffen. Das Volumen der EFSF wird europaweit auf 780 Milliarden Euro aufgestockt, um effektiv über 440 Milliarden Euro verfügen zu können. Das ist dem Umstand geschuldet, dass eine erhebliche Übersicherung erforderlich ist, um nach den Vorgaben der Finanzmärkte eine AAA-Bewertung für die Anleihen bekommen zu können. Einem Hilfe suchenden Land wird allerdings nur dann geholfen, wenn es Auflagen erfüllt und bereit ist, sich einem ehrgeizigen Reformprogramm zu unterziehen. Aufgrund der hohen Summen und aufgrund der Tatsache, dass die Verfügung über deutsche Steuergelder allein beim Parlament liegt, legen wir ganz im Sinne des Bundesverfassungsgerichts größten Wert auf eine intensive und umfassende Parlamentsbeteiligung. Mit dem vorliegenden Entschließungsantrag gehen wir sogar über die Forderungen und Anregungen des Bundesverfassungsgerichts hinaus. ({1}) Wir haben uns bewusst entschieden, zur Sicherung der Finanzstabilität der Euro-Zone Hilfen an Euro-Mitgliedsländer zu gewähren. Die Hilfen stellen keinen Blankoscheck dar. Sie sind, wie bereits gesagt, an strikte Auflagen gebunden, die den betroffenen Ländern ganz erhebliche Anstrengungen abverlangen. Aber auch Solidarität hat ihre Grenzen. Die Hilfen sind Hilfen zur Selbsthilfe, wie es der Finanzminister bereits vorhin zum Ausdruck gebracht hat. Die Notwendigkeit zur Ertüchtigung der EFSF ergibt sich daraus, dass sich die Folgen zu hoher Staatsdefizite in einigen Ländern der Euro-Zone in den vergangenen Wochen auf den Finanzmärkten erneut zugespitzt haben. Auslöser der krisenhaften Zuspitzung waren Zweifel an der Entschlossenheit einzelner europäischer Staaten, eine strikt auf Rückführung der Neuverschuldung bedachte Finanzpolitik zu betreiben. Deutschland zieht im Haushalt Konsequenzen aus der Schuldenkrise. Die aktuelle Schuldenkrise hat ihre Ursachen ganz klar in den zu hohen Haushaltsdefiziten und in einer zu hohen Gesamtverschuldung einiger EuroLänder. Die christlich-liberale Koalition hat frühzeitig die Weichen gestellt und setzt den Kurs der erfolgreichen Haushaltskonsolidierung unverändert und konsequent fort. Wesentliche Ziele sind die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse und der konsequente Abbau der Neuverschuldung. Insbesondere dank des Aufschwungs und des im vergangenen Jahr umgesetzten Zukunftspaketes wird die Neuverschuldung nach den Plänen der Bundesregierung im Jahr 2012 mit rund 27 Milliarden Euro weit geringer als bisher angenommen ausfallen können. Unser Ziel ist und bleibt ein ausgeglichener Bundeshaushalt. Unser Ziel ist und bleibt die Reduzierung der Neuverschuldung und die Einhaltung der Schuldenbremse. Es ist heute schon mehrfach gesagt worden: Viele Länder folgen uns Gott sei Dank jetzt auf diesem Weg. ({2}) Es darf auch erwähnt werden, dass das sogenannte Defizitkriterium nach dem Maastricht-Vertrag von uns schon in diesem Jahr eingehalten werden kann. Wir sind in Relation zum Bruttoinlandsprodukt mit einem Anteil von 1,5 Prozent besser, als bisher angenommen werden konnte. Wir strengen uns also an und sind auf einem guten Weg. Zum Abschluss darf ich eine persönliche Bemerkung machen: Ich habe bei der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung zu den großen Skeptikern gehört. Ich meine, damals gab es gute Argumente dafür. Es bringt aber heute nichts mehr, die Debatten von damals zu führen. Wir stehen heute nicht vor der Frage, ob wir den Euro wollen oder nicht. Der Euro ist unsere gemeinsame Währung. ({3}) Wir haben deshalb alles zu tun, um die Stabilität unserer gemeinsamen Währung sicherzustellen. Das ist unsere Verantwortung, die wir zu tragen haben. Ich gebe zu und sage ganz ausdrücklich: Nach meiner Überzeugung hat uns der Euro sehr stark geholfen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu steigern. Wir sind ein absolut exportorientiertes Land. Damit hat diese Währung dazu beigetragen, dass wir wirtschaftlich gut dastehen, dass der Wohlstand gesichert werden kann, dass unsere sozialen Sicherungssysteme gut sind und dass die Menschen und die Arbeitsplätze sicher sind. Auch wenn wir bisher Zweifel daran gehabt hätten, so brauchen wir bloß Richtung Schweiz zu schauen und zu verfolgen, zu welchen Maßnahmen sich die Schweiz veranlasst sieht, nämlich den Schweizer Franken an den Euro zu binden, weil sie sonst auf den globalen Märkten in Bezug auf ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr mithalten könnte. Ich sage ganz offen: Es ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, langfristig für die Stabilität des Euro einzutreten und ihn zu sichern. Bei allen kritischen Diskussionen, die wir untereinander führen und die die Menschen im Lande mit uns führen, und allen Besorgnissen, die verständlicherweise vorhanden sind: Die Menschen in unserem Land erwarten, dass wir alles tun, um unsere gemeinsame Währung zu sichern. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den EFSF-Rahmenvertrag und damit über die künftige Architektur, aber auch über die Architekten innerhalb der EU. Ich war gestern bei der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Drei Aspekte sind in diesem Zusammenhang Axel Schäfer ({0}) für uns entscheidend. Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat den Weg zur weiteren europäischen Integration geöffnet und uns damit verpflichtet, ihn zu gehen. Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht an die Stelle des Bundestages gesetzt und gesagt: Wir wissen alles besser. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, zu überlegen, wie wir unsere Rolle bei Finanzfragen inhaltlich auszufüllen haben. Drittens. Es hat wieder einmal die Rechte des Deutschen Bundestages gestärkt. ({1}) Deshalb ist es falsch von der Bundesregierung - Herr Minister Schäuble, bei allem Respekt -, dass ein privatrechtlicher Vertrag, in dem Staaten vereinbaren, staatliche Aufgaben wahrzunehmen, nicht dem Bundestag zur Ratifizierung vorgelegt wird. Ich bin mir sicher, es gibt eine große Mehrheit in allen Fraktionen, die diese politische wie rechtliche Auffassung teilen. Nur manche trauen sich nicht, das zu sagen. Wir, die SPD, trauen uns, weil wir es für richtig halten, und auch, weil wir die große Mehrheit der Verfassungsrechtler auf unserer Seite haben. ({2}) Sprechen wir endlich offen über die Architektur der Europäischen Union. Wir dürfen nichts mehr verschwurbeln, auch weil es um Demokratie geht. Eine Stärkung der gemeinsamen europäischen Handlungsfähigkeit funktioniert nur integrativ und nicht nur intergouvernemental, wie das jetzt meist der Fall ist. Es gibt keine Pseudokonstruktion einer Wirtschaftsregierung à la Herr Van Rompuy, die zweimal im Jahr tagt. Es gibt eine real existierende europäische Regierung, die wir dazu ertüchtigen, demokratisch stärken und mit Mitteln ausstatten müssen: Das ist die Europäische Kommission. Das ist bisher die Mehrheitsmeinung im Bundestag gewesen. Leider halten die Kolleginnen und Kollegen von CDU/ CSU und FDP sich nicht mehr an diese gemeinsame Grundlage. Es ist eben kein europäischer Weg, der intergouvernemental gegangen wird. ({3}) Es ist falsch, zu glauben, wir brauchen für alles Vertragsänderungen. Wir brauchen eine Kommission, die mutig ist, all das, was von Jacques Delors begonnen wurde, fortzuführen. Wir hatten in der SPD-Fraktion gerade die Möglichkeit, sehr intensiv mit ihm zu diskutieren. Es geht um die Möglichkeiten, wirtschaftliche Koordinierung in Gesetzesform zu gießen und damit viel mehr an Vorgaben zu machen als das, was bisher auf dem Tisch liegt. Wenn wir diese Form der Ertüchtigung der Europäischen Kommission wählen, stärken wir auf der einen Seite natürlich die Handlungsfähigkeit und die Handlungsmöglichkeit des Europäischen Parlaments, und auf der anderen Seite beziehen wir den Deutschen Bundestag in allen Fragen voll ein. Das ist doch offensichtlich der Wille der Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite des Hauses. Sie müssen das aber auch in ihren praktischen Entscheidungen umsetzen. Weil das in einer Demokratie dazugehört, will ich an dieser Stelle ausdrücklich den Kollegen Oettinger, den neuen EU-Kommissar, loben. Zur Stärkung der Demokratie ist es erforderlich, dass unser Parlament ebenso wie die anderen nationalen Parlamente beteiligt wird, wenn es um die Vorentscheidung, um die Prägung der Kommission geht. Günther Oettinger hat gesagt: Jawohl, bevor die Investitur im Europäischen Parlament stattfindet, bevor ich dort offiziell angehört, befragt und beurteilt werde, gehe ich in den Europaausschuss des Deutschen Bundestages - die SPD hatte die Initiative ergriffen und ihn eingeladen - und stelle mich dort den Fragen; ich stehe Rede und Antwort. Ich sage ehrlich: Er hat in vielen Dingen auch mich überzeugt. Stellen Sie sich vor: Am selben Tag ist hier eine Ministerin ernannt worden. Davon hat der Bundestag vorher nichts gewusst. Der zuständige Ausschuss hatte keine Chance, mit ihr vor ihrer Ernennung über ihre Vorstellungen zu diskutieren, um einen Eindruck von ihren politischen Qualitäten zu bekommen. Diese Möglichkeit hatten wir bei Günther Oettinger. Wenn wir die Kommission stärken wollen, muss auch der Deutsche Bundestag gestärkt werden, wenn es um Entscheidungen über die Kommission geht. Ein weiterer Punkt ist die Selbstverpflichtung, die die europäische Sozialdemokratie eingegangen ist. Die Initiative dafür ging von der SPD aus. Wir werden eine stärker demokratisch legitimierte Kommission nur dann bekommen, wenn sie durch die Europawahl demokratisch legitimiert wird. Dadurch würde die Kommission ein breiteres Kreuz erhalten, das hilft, wenn es um zentrale Finanzfragen geht. Dann würde die Kommission öffentlich ganz anders wahrgenommen und könnte auch gegenüber den Regierungen anders und selbstbewusster auftreten. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden 2014 mit einem Spitzenkandidaten oder einer Spitzenkandidatin antreten und sagen: Wenn es für ihn oder sie eine parlamentarische Mehrheit gibt, wird er oder sie sich im Parlament als Kommissionspräsident zur Wahl stellen. Das ist die Legitimation, die wir brauchen. Dafür kämpfen wir. ({4}) Ich sage noch etwas zu den Architekten: In diesem Haus sind wir uns Gott sei Dank über viele Dinge einig. Zum Beispiel respektieren wir alle die Entscheidungen von Gerichten und halten uns an europäische Gesetze. Natürlich sind wir alle für Medienvielfalt und gegen Rechtspopulismus. Das Problem in Europa ist, dass wir Regierungen haben, in Dänemark, den Niederlanden, Italien und Ungarn, die dieses Grundverständnis nicht teilen. Das hat nichts mit einzelnen Streitpunkten auf den Gebieten Bildung, Soziales oder Energie zu tun. Das sind christdemokratische oder rechtsliberale Regierungen. Die aktuelle europäische Krise ist zum Teil eine Krise der Mehrheit der Christdemokraten, die die Verantwortung in Europa haben. Diese Krise ist nur durch ein anderes Mehrheitsverhältnis in Europa zu bewältigen. Wir werden das gemeinsame Europa nur mit mehr sozialdemokratischer Politik realisieren können. Die EVP wird das definitiv nicht hinbekommen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält jetzt der Kollege Otto Fricke das Wort. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz grundsätzlich ist die Frage zu stellen, die sich jeder Bürger stellt: Warum haben wir eigentlich Schulden? Das ist doch das Kernproblem, über das wir heute reden. Dieses Problem müssen wir lösen. Wir haben nicht wegen irgendwelcher Bankenkrisen Schulden. ({0}) - Doch? Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, warum wir schon vor der Bankenkrise, also zum Ende der rot-grünen Regierungszeit eine Verschuldung von über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hatten, warum wir am Ende der Regierungszeit von Rot-Grün schon weit über 1 000 Milliarden Euro Schulden hatten? Doch nicht wegen der Bankenkrise. Der Grund dafür ist, dass die Politik immer wieder denselben Fehler gemacht hat. Man hat gesagt: Für unsere Politik brauchen wir mehr Geld. ({1}) Herr Ernst, Sie sagen immer, dass wir uns von den Märkten unabhängig machen müssen und Euro-Bonds brauchen - das ist ja schön; auch SPD und Grüne wollen Euro-Bonds -, aber ich muss Sie schon fragen: Wer soll diese Bonds nach Ihrer Meinung kaufen? Diese EuroBonds kauft doch der Markt. Dann haben wir wieder das Problem, dass der Markt darauf vertrauen muss, dass wir das Geld zurückzahlen. Oder er vertraut uns eben nicht. Wer ist denn der Markt? Der Markt ist auch Arbeitnehmer. Der Markt ist auch ein Pensionsfonds. Der Markt ist auch die Altersvorsorge von ganz vielen Arbeitnehmern. Der Markt ist auch jeder Riester-Rentner, der sein Geld dort angelegt hat. Auf dem Markt haben auch Universitäten ihr Geld angelegt. All diese müssen die Sicherheit haben, dass jemand, der sich verschuldet hat, das Geld zurückzahlt. Daran glaubt man nun nicht mehr. Jetzt kommt der nach meiner Meinung für Europa entscheidende Punkt, bei dem sich Links von Bürgerlich deutlich unterscheidet. Für uns heißt Europa: Als starkes Land, als größter Zahler Europas haben wir die Verantwortung, für unseren Teil zu haften und für unseren Teil etwas zu tun. Das ist das - dies will ausdrücklich sagen -, was diese Koalition will: eine Haftung für den Anteil, der der Stärke entspricht. Was wollen Sie? Herr Gabriel, jetzt kommen wir einmal zu Ihren wunderschönen Arten von Euro-Bonds. Sie wollen etwas anderes. ({2}) - Nein, Sie haben nicht zugehört; Sie haben nach hinten geguckt. ({3}) Herr Gabriel, Sie wollen, dass wir - anders als bei der EFSF - nicht auf unseren Anteil begrenzt haften. Nichts anderes tun wir; die Haftung war schon immer auf den Anteil begrenzt. ({4}) Sie wollen eine Gesamthaftung Deutschlands für alle europäischen Staatsschulden. Genau das schwebt Ihnen vor. ({5}) Sie wollen nichts anderes als einen Länderfinanzausgleich auf Kosten von Deutschland. ({6}) Das ist Ihr Wunsch; das bestätigen Sie. Sie haben das gemeinsam mit Herrn Steinmeier, gemeinsam mit Ihrem Weltökonomen Herrn Steinbrück immer wieder bestätigt. ({7}) Man kann es immer wieder finden, zuletzt auch im Spiegel. Sie wollen eine gemeinsame Haftung Deutschlands für alle Schulden. ({8}) Wir wollen eine anteilige Haftung entsprechend der Verantwortung. Das ist der Kern und der wesentliche Unterschied zwischen Rot-Rot-Grün und der bürgerlichen Koalition. ({9}) Bei der Lösung müssen wir auf eines achten - und ich bin dem Bundesverfassungsgericht für seine gestrige Entscheidung dankbar -: Die Hauptaufgabe, die wir bezüglich Europa haben, ist doch, Europa wieder in die Öffentlichkeit und in die Parlamente zu bringen. - Herr Gabriel, hören Sie mir bitte zu; ich habe Ihnen doch auch zugehört. Das wäre fair und nett. ({10}) - Ja, klar, man kann den Rücken zuwenden. Jeder hat seine Art von Höflichkeit. - Ich will auf eines hinaus. Die Bürger fragen sich - das merken wir in all unseren Gesprächen -: Wer entscheidet eigentlich über mein Geld? Wo passiert das? Irgendwo in Brüssel in einem Hinterzimmer, irgendwo in einem Ministerium? Die Parlamentsbeteiligung, Art. 38 des Grundgesetzes und die Verfassungsgerichtsentscheidung - wenn wir wollen, können wir sogar 320 Jahre auf Locke zurückgehen sorgen dafür, dass die Diskussion über die Frage, wie viel Geld wir wem wofür geben, in die Parlamente kommt. Das ist die wesentliche Grundlage, die Voraussetzung für eine Vertiefung Europas. Herzlichen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Maurer für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Lage nicht so extrem ernst wäre und die Folgen nicht so katastrophal, dann wäre es schon fast amüsant, zu sehen, wie Sie sich hier gegenseitig die Verantwortung zuschieben für eine Suppe, die Sie gemeinsam angerührt haben. Die Krise, in der wir uns befinden, hat zwei zentrale Ursachen: zum einen die völlige Deregulierung der Finanzmärkte und die Unterwerfung der Politik unter die Finanzmärkte und zum anderen die Schaffung riesiger volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte, vor allem auch durch die Bundesrepublik Deutschland. Sie alle waren sich einig, dass eine richtige Strategie sei, in Deutschland die Löhne zu senken, die Renten und die Sozialleistungen zu kürzen, um sich auf der Basis des Euro einen Wettbewerbsvorteil für die deutsche Exportindustrie zu verschaffen. Bei dieser Strategie waren Sie sich alle einig. ({0}) Wenn ich den Kollegen Gabriel heute das Schicksal eines Wachmanns beklagen höre, ({1}) dann fällt mir ein, wer die Gesetze zur Einführung der Zeitarbeit, der Sklavenarbeit, der Leiharbeit in Deutschland gemacht hat. Ein bisschen Selbstkritik und ein bisschen Demut wären in dieser Situation angemessen. ({2}) Kollege Trittin, wer hat eigentlich die Finanzmarktförderungsgesetze gemacht? Schauen Sie einmal nach. Wer hat dafür gesorgt, dass die Hedgefonds in Deutschland zugelassen wurden, dass die Derivate zugelassen wurden? Wer ist hier im Deutschen Bundestag herumgerannt - auch unter Ihrem Applaus - und hat geschrien: „Wir müssen Frankfurt zu einem Finanzplatz wie London machen“? Das waren doch Sie alle. Jetzt stehen Sie hier und beklagen die Folgen Ihrer eigenen Politik, ohne ein Wort der Kritik an dem zu verlieren, was Sie da angerichtet haben. ({3}) Ich will einen schwäbischen Unternehmer zitieren, den Vorstandsvorsitzenden von Bosch. Er sagte: Die Finanzmärkte sind kurz davor, die Weltwirtschaft in eine neue Krise zu reißen. Außerdem sagte er: Wenn ich den Finanzsektor zu regulieren hätte, dann würde ich die Universalbanken abschaffen und viele Finanztransaktionen verbieten, die nichts mehr mit realen Geschäften zu tun haben. - Das ist die Position der Linken. Das, was Fehrenbach von Bosch sagt, erzählen wir Ihnen seit Jahren. Wenn Sie weiterhin Billionen Bonds, Derivate und das Treiben der Schattenbanken zulassen und nur Sprüche klopfen, dann wird die Entwicklung so weitergehen wie in den letzten Jahren. ({4}) Wir haben Ihnen gesagt: Wir schlagen vor, die Finanzierung der europäischen Staaten von dem Diktat der Finanzmärkte zu entkoppeln. ({5}) Wir haben vorgeschlagen, dafür zu sorgen, dass in der Tat eine europäische Bank Staatsanleihen zeichnen und begeben muss, anstatt dies den sogenannten Finanzmärkten zu überlassen. Sie sagten, Sie glauben nicht, dass das geht. Ich will Ihnen ein Beispiel liefern, ein revolutionäres Beispiel aus der Schweiz aus den letzten Tagen. Die Schweizerische Nationalbank hat erklärt: Die Preisfindung beim Schweizer Franken durch die internationalen Finanzmärkte wird von uns nicht mehr akzeptiert. - Dann hat sie einen eigenen Preis festgesetzt und gesagt: Diesen Preis werden wir mit allen Mitteln verteidigen. - Oh Wunder: Die internationalen Finanzmärkte haben den diktierten Preis in den ersten Tagen akzeptiert. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das war ein revolutionärer Schritt. ({6}) Warum fahren Sie damit fort, Rettungsschirme zu konstruieren, von denen Sie wissen, dass sie nicht ausreichen werden, um die Spekulationen gegen italienische oder spanische Staatsanleihen zu beenden? So werden die Spekulationen fortgesetzt. Warum unterwerfen Sie sich auch damit wieder dem Diktat der sogenannten Finanzmärkte, anstatt Konsequenzen zu ziehen? Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten in Deutschland nicht mehr das System der Kommunaldarlehen, sondern Duisburg und Dortmund müssten sich an den internationalen Finanzmärkten verschulden. Was glauben Sie, was da los wäre? Genau so gehen Sie jetzt mit der Situation auf europäischer Ebene um. Die Griechen bedecken Sie mit Auflagen. Die Italiener und die Spanier machen jetzt schreckliche Dinge, die ihre Länder in die Depression treiben werden. Warum ziehen Sie nicht die Lehren aus der deutschen Geschichte? Die deutsche Reichsregierung hat sich auf genau die gleiche Art und Weise in die Krise hineingespart, wie Sie es jetzt verordnen, nämlich zulasten der Masseneinkommen. Das hat uns Faschismus und Krieg beschert. Wir sind sehr erregt - das will ich Ihnen sagen -, weil Sie sich bei dem, was Sie da machen, im Hinblick auf die Zukunft Europas insgesamt verantwortungslos verhalten. ({7}) Wenn die Politik nicht grundlegend geändert wird, wenn Deutschland nicht aufhört, den Euro als Plattform zu benutzen, um dann auf der Basis von Lohnsenkungen und Konkurrenzvorteilen die anderen Länder an die Wand zu konkurrieren - das war schon unter Schröder und Fischer so -, wenn die Kaufkraft in Deutschland nicht gestärkt wird, wenn Deutschland nicht auch als Binnenmarkt stark wird und wenn Sie weiter abschreiben, was Ihnen der internationale Bankenverband diktiert - Gregor Gysi hat es gestern nachgewiesen -, dann setzen Sie die Krise fort, von Rettungsschirm zu Rettungsschirm, von Milliardenverlust zu Milliardenverlust. Sie haben es bis heute nicht begriffen: Nicht Rettungsschirme werden Europa retten, sondern eine grundlegende Veränderung der Politik. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält jetzt der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hatte teilweise Züge eines historischen Seminars, Institut für Zeitgeschichte, speziell 70er-Jahre. ({0}) Ich möchte in Richtung der Koalition sagen: Prinzipientreue ist ein großes Wort. Herr Fricke, da Sie von Schulden und Schuldenstaaten geredet haben, muss ich Ihnen sagen: Gerade das Beispiel Irland, das Sie gepredigt haben, hat es doch gezeigt: Vor der Krise lag die Staatsverschuldung in Irland bei unter 30 Prozent, jetzt befindet sich das Land unter dem Rettungsschirm. Das ist neoliberale Politik, die Sie zum Vorbild nehmen. Das gehört zur Wahrheit dazu. ({1}) Zur Wahrheit und zur Prinzipientreue gehört genauso, dass Sie seit Monaten etwas von quasiautomatischen Sanktionen erzählen. Aber genau in diesen Tagen haben Sie das - die Stärkung des Stabilitätspakts - bei den Verhandlungen im Rat gekippt. Quasiautomatische Sanktionen wird es nicht geben, weil Ihr Finanzminister das in Brüssel gestoppt hat. Auch das gehört zur Prinzipientreue dazu. ({2}) Wenn wir über diesen Rettungsschirm diskutieren, dann reden wir auch darüber, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass Politik nicht mehr entscheidet. Sie machen durch Ihre zögerliche Salamitaktik eben nicht deutlich, dass die Änderungen, die jetzt kommen, die Handlungsfähigkeit der Politik steigern. Dieser Schirm wird nicht die endgültige Lösung sein. Es ist nicht sozusagen das Manna, das vom Himmel fällt, aber es ermöglicht der Politik, mehr einzugreifen als vorher. Deswegen ist die neue EFSF besser als die alte. ({3}) Wessen Erfolg ist das? Seien Sie doch mal ehrlich! Sie haben eineinhalb Jahre lang immer wieder Schritt für Schritt versucht, jede dieser neuen Möglichkeiten zu verhindern. Sie haben hinausgezögert und gezaudert. Und jetzt stellen Sie sich hier hin, vertreten genau diese Möglichkeiten und reden von Prinzipientreue. Ihr Zickzackkurs ist der Grund, warum die Menschen nicht verstehen, weshalb es jetzt richtig ist, diesen Schirm so zu verändern. Das kann man Ihnen zu Recht vorwerfen. ({4}) Diese Doppelzüngigkeit und kurzsichtige Note ist das Problem der deutschen Europapolitik. Die Europäische Union ringt um ihre Zukunft, aber Sie ringen immer nur darum, die nächste kleine Nachgabe deutlich zu machen. Anstatt die Zukunft Europas zu beschreiben, die europäischen Institutionen - das Europäische Parlament und die Kommission - zu stärken und für eine demokratisch legitimierte Wirtschaftsregierung zu kämpfen, befassen Sie sich immer noch mit Zwischenrufern, die von EuroAustritt und Nord-Euro sprechen. Andere finde ich interessanter. Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil gestern aus meiner Sicht einen weisen Weg im Hinblick auf einen starken Bundestag und einen handlungsfähigen Rettungsschirm gewiesen, einen Weg, für den wir Grüne immer plädiert haben. ({5}) - Vielleicht sollten Sie sich vergegenwärtigen, was wir damals im Haushaltsausschuss eingefordert haben. Wir haben damals gesagt, dass wir genau das wollen, was das Verfassungsgericht mit seiner verfassungskonformen Auslegung vorgegeben hat. Wir sollten uns also diesbezüglich nicht nur bemühen. Damals haben wir wie in § 10 EUZBBG ein zwingendes Einvernehmen gefordert. Daran werden Sie sich doch noch erinnern können. Wir konnten uns bei Ihnen bzw. beim Ministerium nicht durchsetzen. Das ist die historische Wahrheit, wenn Sie denn schon auf Prinzipientreue setzen. ({6}) Das Bundesverfassungsgericht hat weniger die Grenzen des Grundgesetzes als die europäischer Verträge aufgezeigt und deutlich gemacht: Wir müssen über die Verträge nachdenken, wenn wir die Krise handlungsstark und europäisch lösen wollen. - Das Gericht hat den gegenwärtigen Charakter der Verträge betont und macht uns klar, dass vielleicht Vertragsänderungen - übrigens ein weiteres Extabu Ihrer Koalition - notwendig sein werden. Dabei verhindert es keineswegs die Einführung von Euro-Bonds, sondern denkt im Gegensatz zu Ihnen voraus und setzt Mindeststandards für solche Ideen. Dabei geht es um die Fortentwicklung der europäischen Verträge und um das Budgetrecht dieses Hauses. Es schafft etwas, das Sie nicht nutzen. Das Verfassungsgericht gibt Spielraum für eine proeuropäische Linie in der deutschen Europapolitik, die selbstbewusst ist und wieder zum Motor für die europäische Integration als Lösung der Krise werden kann. Ein Schritt dabei ist die neue EFFS. Diesen Schritt wollen wir als starkes Parlament gemeinsam mit Ihnen gehen. Da Sie in diesem Zusammenhang von Parlamentsrechten reden, möchte ich darauf hinweisen, dass die grüne Bundestagsfraktion gerade Klage gegen die Informationspolitik der Regierung gegenüber dem Bundestag vor Gericht eingereicht hat. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie klar sagen - so ist die einvernehmliche Haltung des Deutschen Bundestages -, dass es sich bei diesen Fragen um Angelegenheiten der Europäischen Union handelt, bei denen die Informationsrechte des Bundestags entsprechend zu berücksichtigen sind. ({7}) Ich sage Ihnen: Noch ist Zeit, in dieser Frage einzulenken. Dazu sollten Sie Ihre Regierung bringen, anstatt hier immer nur große Reden zu schwingen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sarrazin, in einem Punkt gebe ich Ihnen völlig recht: Wenn man die Debatten verfolgt, insbesondere die Argumente der Opposition, kann man heute den Eindruck gewinnen, dass es sich um Vergangenheitsbewältigung handelt, wenn es darum geht, wie wir die Verschuldungskrise innerhalb Europas bekämpfen wollen. Es hilft uns doch nicht weiter, wenn wir darüber räsonieren, ob nun die Regierung Karamanlis oder die Regierung Papandreou an der riesigen Verschuldung Griechenlands Schuld hat. Es hilft uns auch nicht weiter, wenn wir den Blick zurücklenken, Herr Gabriel, um herauszufinden, wer für den hohen Schuldenstand in Deutschland Verantwortung trägt. Das waren nämlich wir alle, alle Parteien, die in diesem Haus vertreten sind. Ausnahme sind die Linken. ({0}) Sie haben im anderen Teil Deutschlands damit ihre besonderen Erfahrungen gemacht. Liebe Kollegen, das Ganze empfinde ich schlichtweg als peinlich. Ich bin überzeugt: Auch die Menschen nehmen es als peinlich wahr, wenn wir uns in dieser Art der Vergangenheitsbewältigung und mit parteipolitischer Polemik auseinandersetzen, anstatt darüber nachzudenken, wie wir diese Krise bewältigen können und wohin es in Europa gehen muss. Das ist doch das Thema. ({1}) Ich kann nur sagen: Ich bin der Bundeskanzlerin ausgesprochen dankbar, die gestern in ihrer Rede dargelegt hat, wohin es in diesem Europa gehen muss. Sie hat uns klargemacht, dass wir eine Stabilitäts- und Soliditätskultur in ganz Europa brauchen. Das ist der richtige Weg; darauf müssen wir unsere Kraft verwenden. Das zeigt uns nicht nur die Situation in Europa, sondern auch in den USA, in Japan und in vielen anderen führenden Industrienationen. Man muss darüber reden, ob man nicht über seine Verhältnisse gelebt hat. Jeder, der über seine Verhältnisse lebt, wird irgendwann dafür bestraft. Damit meine ich nicht den Taxifahrer in Athen, Herr Ernst. Ich meine die gesamte griechische Bevölkerung. ({2}) - Natürlich auch den Porschefahrer; das ist logisch. - Es muss darum gehen, alle Kräfte darauf zu verwenden, unsere Währung erstens stabil zu halten und zweitens zukunftsfest zu machen und damit auch den gesamten europäischen Wirtschaftsraum entsprechend aufzustellen. Das hat inzwischen auch die gesamte deutsche Wirtschaft erkannt. Ich bin froh, dass dies vor wenigen Tagen die führenden Vertreter, Hans Heinrich Driftmann als Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und Otto Kentzler als Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, in einem Namensbeitrag in der Welt deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren: Die deutsche Wirtschaft bekennt sich in dieser schwierigen Phase zum Euro - und unterstützt die Verantwortlichen dabei, die Währungsunion und die EU insgesamt für künftige Krisen zu wappnen. Allein aus demografischen Gründen muss Deutschland auf Europa setzen, und international werden wir uns gegenüber größeren, aufstrebenden Staaten nur als aktionsfähiges Europa Einfluss sichern. Auch die Handwerker haben erkannt, dass die Aktion, Europa zukunftsfest zu machen, allen hilft, auch den Menschen, die in Handwerksbetrieben und in kleinen oder mittleren Unternehmen beschäftigt sind. Das hilft unserer Bevölkerung insgesamt. Deshalb müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir dies insgesamt gestalten. Dabei ist die Ertüchtigung der EFSF nur ein Schritt von vielen Schritten. Aber auch die Ertüchtigung der EFSF ist in diesem Gesamtzusammenhang zu sehen. Es geht um die Stärkung des Regelungsgefüges innerhalb der Europäischen Union. Dabei geht es nicht nur darum, mit möglichst viel Geld Europa zu sichern. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Es geht auch darum, Europa insgesamt gut aufzustellen und es fester gegenüber Angriffen von außen zu machen. Wir stärken deshalb den Stabilitätspakt, schließen einen Euro-Plus-Pakt und führen die europäische Integration fort. Eines ist klar: Aus aufgrund akuter Entwicklungen heraus entstandenen temporären Rettungsmaßnahmen müssen dauerhafte Krisenpräventionsmaßnahmen entstehen. Es muss in Zukunft um präventive Maßnahmen gehen. Darauf stellen wir uns ein, und danach richten wir uns. ({3}) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein Wort zu den bereits besprochenen Euro-Bonds sagen. Liebe Kollegen von Rot und Grün, das Bundesverfassungsgerichtsurteil ist eindeutig: Unter den gegebenen Bedingungen sind Euro-Bonds verfassungswidrig. Deshalb ist es erstaunlich, wie sich SPD und Grüne jetzt mühsam von diesen Euro-Bonds absetzen, ({4}) während sie zuvor tage-, wochen- und monatelang die Bundesregierung aufgefordert haben, sofort Euro-Bonds einzuführen. Das konnte jeder nachlesen. Dabei hat aber sicherlich auch das Urteil von Standard & Poor’s eine Rolle gespielt, nach dem Euro-Bonds genauso bewertet würden wie Griechenland-Anleihen, also als Ramschpapiere eingestuft. Das ist ein eindeutiges Urteil. Meine Damen und Herren, die SPD - erlauben Sie mir diesen Schlenker - lag aber bei den großen politischen Entscheidungen eigentlich schon immer daneben. ({5}) Das begann mit dem NATO-Doppelbeschluss. Das war bei der deutschen Wiedervereinigung so. Bei der Krisenbewältigung in Europa ist es gerade wieder so. ({6}) Ich bin positiv überzeugt, dass wir uns mit dem, was wir derzeit in Spanien, in Italien und in Frankreich erleben, aber auch ganz konkret dort, wo Hilfsmaßnahmen und Rettungsschirme wirken, nämlich in Portugal und Irland, auf dem richtigen Weg befinden. Die Signale aus diesen Ländern zeigen: Das Konzept, ein stabiles Europa zu gestalten und die Verschuldung der Staaten zurückzuführen, wird erkannt und ernsthaft umgesetzt. Mit dem Gesetz regeln wir jetzt die nationale Umsetzung. Damit wollen wir unseren nationalen Beitrag leisten und entsprechend Vorsorge treffen. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, eine Beteiligung des Deutschen Bundestages vorzusehen, die noch über das hinausgeht, was das Bundesverfassungsgericht uns vorgegeben hat. Ich will mich an dieser Stelle ganz bewusst bei der FDP und selbstverständlich auch bei der CSU für die gute und konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Wir haben im Haushaltsausschuss gestern Abend einen Koalitionsantrag vorgelegt, in dem festgehalten ist, wie wir uns die parlamentarische Beteiligung vorstellen. Ich lade die Opposition dazu ein, sich daran zu beteiligen. Wir haben bereits ein Vorgespräch geführt. Ich hoffe, dass wir zueinanderfinden; denn es ist gute parlamentarische Tradition, Gesetze, die die Beteiligung des Parlaments betreffen, in großem Konsens zu verabschieden. Der Gesetzentwurf sieht vor, den gesamten Deutschen Bundestag an allen Entscheidungen bei der EFSF, die zu einer Inanspruchnahme von Gewährleistungen führen, insbesondere dann, wenn es um neue Hilfsprogramme geht, zu beteiligen. Das heißt, dass die Zustimmung des Bundestages Voraussetzung für eine Zustimmung zur EFSF ist. Es ist ein abgestuftes Verfahren vorgesehen. Werden im Rahmen der genehmigten Gewährleistungen zentrale Bedingungen des Programms geändert oder angepasst, ist - genau so wie es das Bundesverfassungsgericht explizit vorschreibt - die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses notwendig. Uns reicht es, wenn der Haushaltsausschuss über das operative Geschäft zeitnah und umfassend informiert wird. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist, um nicht nur Kontrolle, sondern vor allem auch eine parlamentarische Legitimation der Bundesregierung herzustellen; denn dadurch wird die Position der Bundesregierung in den internationalen Verhandlungen gestärkt. Das ist kein Zeichen des Misstrauens, sondern ein Zeichen des Zutrauens und der Stärke bei unseren Verhandlungspositionen auf europäischer Ebene. ({7}) Ich werbe deshalb nachdrücklich dafür: Stimmen Sie allen Teilen dieses Gesetzentwurfes zu! Dann haben wir einen weiteren Baustein zur Sicherung der Zukunft Europas geschaffen. Danke. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP spricht jetzt der Kollege Marco Buschmann. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie Folgendes der Sturm- und Drangphase eines jungen Kollegen geschuldet sein: Wenn wir für jede hohle Phrase der Opposition einen Euro ins Phrasenschwein geworfen hätten, hätten wir die europäische Staatsschuldenkrise schon gelöst. Dann könnten wir diese Beträge überweisen und brauchten keinen EFSF. ({0}) Denn was wir heute hier gehört haben, war der Versuch des geordneten Rückzugs aus den Euro-Bonds. Die Krönung war dann noch der Versuch von Herrn Trittin, der nur austeilen und nicht einstecken kann - zumindest ist er gar nicht da und bereit, sich dem zu stellen -, uns über demokratische Grundsätze und das, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, zu belehren. Das schlägt dem Fass den Boden aus. ({1}) Uns braucht niemand darüber zu belehren, dass ein zentrales Element von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der Parlamentsvorbehalt ist. Dabei geht es auch nicht um Pfründe der Abgeordneten; das ist völlig klar. Es geht vielmehr darum, dass die gewählten Repräsentanten der Bürger das Zepter für politische Prioritäten in der Hand behalten. ({2}) Wenn man ihnen dieses Zepter entreißt, dann entreißt man dem Volk ein Stück seiner Selbstbestimmung. Darüber braucht uns niemand zu belehren. Daher werden wir als Koalition aus Union und FDP - das haben wir Ihnen auch schwarz auf weiß aufgeschrieben - in das Stabilitätsmechanismusgesetz die schärfste Form eines Parlamentsvorbehaltes schreiben, den das deutsche Staatsrecht kennt. Die Vertreter Deutschlands in den Gremien der EFSF müssen bei allen haushaltsrelevanten Entscheidungen mit Nein stimmen, es sei denn, es liegt vorher die ausdrückliche Zustimmung des Deutschen Bundestages vor. Ein Quasi-Ja durch Enthaltung oder Fernbleiben bei der Abstimmung ist nicht möglich. Durch diesen Mechanismus gelangt das Vetorecht Deutschlands in diesen Gremien, das aus dem Einstimmigkeitsprinzip folgt, aus den Händen der Regierung in die Hände des Parlaments. Einen stärkeren Kontrollmechanismus werden Sie im gesamten deutschen Recht nicht finden. Die Koalition setzt hier Maßstäbe. ({3}) Mit diesem Verfahren haben wir vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - denn wir haben schon vorher gehandelt - gezeigt, dass wir sehr genau wissen, was unsere Verfassung von uns verlangt, und dass wir ihren Inhalt verteidigen werden. ({4}) Wir als selbstbewusste Parlamentarier stellen eben keine Blankoschecks aus. Ob man es Euro-Bonds oder Blankoschecks nennt, wir werden sie nicht ausstellen, weder unserer Regierung noch einer anderen europäischen Regierung. Unser Kontrollmechanismus verwandelt die deutschen Vertreter in den Gremien der EFSF von Erfüllungsgehilfen der Regierung in einen starken Arm des Parlaments. ({5}) Das sichert das Budgetrecht des Deutschen Bundestages wie kein anderer Mechanismus, den wir im deutschen Recht kennen. ({6}) Darin unterscheidet sich unser Entwurf von dem, was Sie, lieber Kollege Sarrazin, vorschlagen. Weil Sie das immer abstreiten, möchte ich kurz aus dem Beschluss der AG Haushalt von Bündnis 90/Die Grünen vom 30. August zitieren: Vor der Entscheidung über die Gewährung von Finanzhilfen und vor der Entscheidung über die Bedingungen der Finanzhilfe - also wenn Geld fließen soll soll die Bundesregierung Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Das heißt, es wäre schon schön, wenn man sich im Grundsatz daran halten würde, aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Das ist viel weicher als das, was wir vorschlagen. ({7}) Ihr Vorschlag wäre vom Bundesverfassungsgericht verworfen worden. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Der Bundestag muss vorher zustimmen. Es hat nicht gesagt: Er soll.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Buschmann, der Kollege Sarrazin würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das? ({0})

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege, da Sie höchstrichterliche Rechtsprechung anscheinend ja prophezeien können, frage ich Sie: Sind Sie sich dessen bewusst, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem gestrigen Urteil in der verfassungskonformen Auslegung ausdrücklich auch § 1 Abs. 4 Satz 3 des StabMechG erhalten hat, der eine ähnliche Regelung vorsieht? Verstehen Sie, dass wir uns deswegen durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil vollumfänglich bestätigt sehen?

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, das kann ich nicht verstehen. Sie haben das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht verstanden. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: § 1 Abs. 4 StabMechG bedarf der verfassungskonformen Auslegung. Es hat den Wortlaut anders ausgelegt, nämlich nicht im Sinne eines Bemühens. Das hat Herr Voßkuhle ausdrücklich gesagt, und das wüssten Sie, wenn Sie es verfolgt hätten. Es reicht eben nicht das Bemühen um Einvernehmen. ({1}) - Ich kann doch nichts dafür, wenn er nicht versteht, was das Bundesverfassungsgericht erklärt. Sie haben die Botschaft gestern nicht verstanden. ({2}) Sie wollen mit Nebelkerzen davon ablenken, dass Ihre Maßstäbe gestern grandios gescheitert wären, wenn sie im Bundesgesetzblatt gestanden hätten. Im Übrigen sind auch die Blankoschecks namens Euro-Bonds vom Tisch. ({3}) Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich gesagt: Ein Mechanismus, der automatisch den Steuerzahler belastet, ohne dass das deutsche Parlament davor ist, ist mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen. Genau das haben aber Cem Özdemir, Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel in den letzten Wochen propagiert. Diese Vorschläge sind vom Tisch. Wenn verfassungskonforme Demokraten zu entscheiden haben, dann kommen sie auch nicht wieder auf den Tisch. Das ist eine gute Sache für den deutschen Steuerzahler und das deutsche Parlament. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Peter Altmaier von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir liegt am Ende der Debatte daran, die Gemeinsamkeiten, die deutlich geworden sind, hervorzuheben. Wenn ich das, was Sie heute Morgen gesagt haben und was wir in den letzten Tagen in den Zeitungen lesen konnten, richtig bewerte, dann komme ich zu dem Schluss, dass wir in 14 Tagen diesen Gesetzentwurf mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit von CDU/ CSU, FDP, SPD und Grünen verabschieden werden. Wir kehren damit zu der langen und bewährten Tradition zurück, dass grundlegende europapolitische Entscheidungen von allen verantwortlichen Kräften dieses Hauses gemeinsam getragen werden. ({0}) Von allen verantwortlichen Kräften, habe ich gesagt. Es gibt eine Ausnahme. Das sind die Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei. Aber Sie handeln auch nicht verantwortlich, in europäischen Fragen schon gar nicht. Da Sie allen europapolitischen Entscheidungen nicht zugestimmt haben, bleiben Sie insofern Ihrer Tradition wenigstens treu. Ich bin überzeugt, dass wir mit der Verabschiedung dieses wichtigen Regelungswerks im Rahmen der EuroGruppe das Signal an die Märkte senden, dass die Bundesrepublik Deutschland zu ihren Verpflichtungen und zu ihrer Rolle im Rahmen der europäischen Integration steht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Altmaier, ich möchte Sie kurz unterbrechen. Der Kollege Ernst würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Altmaier, da Sie die Verantwortung so hervorgehoben haben, möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Erstens. Halten Sie es wirklich für verantwortlich, dass sich in einer gemeinsamen Währungsunion ein Land durch Lohndumping und Reduzierung von Löhnen und Renten permanent Vorteile verschafft, was dazu führt, dass andere Länder negative Bilanzen aufweisen und Schulden machen? Zweitens. Halten Sie es wirklich für verantwortlich, dass in einem gemeinsamen Europa anderen Ländern Programme aufgezwungen werden, durch die die Löhne weiter gesenkt, die Renten gekürzt und die Gesundheitssysteme infrage gestellt werden und die gleichzeitig zu einer weiteren Reduzierung des Wirtschaftswachstums führen? Drittens. Glauben Sie, dass dadurch die Zustimmung der Bürger in diesen Ländern zu einem gemeinsamen Europa erhöht oder eher verringert wird? ({0}) Viertens. Glauben Sie, dass durch immer neue Maßnahmen in Milliardenhöhe, die wir hier beschließen, die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Europa erhöht wird? ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor Sie, Herr Altmaier, antworten, will ich darauf hinweisen, dass von Fragenketten nichts in der Geschäftsordnung steht, sondern nur von einer Frage. ({0})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ernst, ich habe gesagt, dass sich die Linkspartei treu bleibt. Das gilt auch für Ihre ZwischenPeter Altmaier frage. Das, was Sie als neoliberal und als Lohndumping kritisiert haben, und alle sozial- und wirtschaftspolitischen Reformen der letzten zehn Jahre, von der Agenda 2010 bis zu dem, was die Koalition von CDU/CSU und FDP in den letzten beiden Jahren getan hat, ist nichts anderes als die Voraussetzung dafür gewesen, dass wir heute in Deutschland ein Wachstum haben, dass wir heute in Deutschland Lohnsteigerungen haben und dass wir heute in Deutschland eine gute Situation in den sozialen Sicherungssystemen haben, was den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute kommt. Wir machen unsere Politik in Europa, weil wir wollen, dass dieses erfolgreiche Wirtschaftsmodell nicht auf Deutschland begrenzt bleibt, sondern dass es sich auf alle Staaten der Europäischen Union ausdehnt und dazu führt, dass die Wirtschaft wächst und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch einen erhöhten Lebensstandard davon profitieren. Das haben Sie nicht verstanden, und das werden Sie auch in Zukunft nicht verstehen. ({0}) Die Frage des Vertrauens in die gemeinsame europäische Währung beantworten jeden Tag die Devisenmärkte. Der Euro ist eine stabile Währung. Er hat in den letzten zehn Jahren an Wert gewonnen. Die Menschen investieren weltweit in den Euro. Es gibt niemanden, der den Euro schlechtredet, wenn ich von Ihnen einmal absehe. Als ich vorhin von der breiten Mehrheit gesprochen habe, habe ich den Kollegen Oppermann gesucht. Er versucht, das umzudrehen, und sagt: Wir stimmen zu. Aber hat denn die Koalition eine Mehrheit? - Wir haben jetzt zwei Jahre Erfahrung mit Abstimmungen. Unsere Koalition hatte nach jeder wichtigen Abstimmung in diesem Hohen Hause eine Mehrheit, die größer war als der Vorsprung ihrer Mandate aufgrund der Zusammensetzung des Deutschen Bundestages. Ich schlage vor: Kümmern Sie sich um Ihre Mehrheiten. Wir kümmern uns um unsere Mehrheiten. Am Ende werden wir mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs ein gemeinsames und starkes Signal für unsere europäischen Partner und für die Märkte senden. ({1}) Ich will ein Wort zu den berühmten Euro-Bonds sagen. Wir sind doch nicht diejenigen gewesen, die dies zu einer ideologischen Frage gemacht haben. Der Bundesfinanzminister hat darüber ganz nüchtern diskutiert, und er hat begründet, warum wir glauben, dass sie auf absehbare Zeit nicht das richtige Instrument seien. Dann haben SPD und Grüne plötzlich und ohne Vorankündigung so getan, als hätten sie ein Allheilmittel zur Lösung aller Probleme in Europa. Das war leider Gottes nicht zielführend. Wenn Sie mir nicht glauben, Herr Kollege Poß, dann glauben Sie vielleicht dem Finanzminister von Nordrhein-Westfalen Walter-Borjans. ({2}) Er hat heute erklärt: Bei Euro-Bonds bin ich zumindest reserviert. ({3}) Die Bedingungen dafür, in die gemeinsame Verantwortung zu gehen, sind nicht erfüllt. ({4}) Es geht nicht, dass man Freibriefe verteilt, nach dem Motto: Man bedient sich dieser Bonds, und die Garantie dafür müssen andere tragen, weil man sonst das gute Rating nicht bekommt. Da macht man es sich zu einfach. ({5}) Herrn Borjans’ Haushalt ist vom Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen schon einmal für verfassungswidrig erklärt worden. Offenbar hat das gewirkt. Hören Sie auf Ihren eigenen Finanzminister, und finden Sie zu einer vernünftigen, sachlichen Diskussion in dieser Frage zurück. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Sarrazin hat auf einen Punkt hingewiesen, der in der öffentlichen Kommunikation schwierig ist. Er hat gesagt: Sie sagen heute dies, und dann ändern Sie Ihre Meinung. Das ist bei Ihnen noch nie vorgekommen; ich weiß das. Der Punkt ist natürlich, dass wir in dieser ganzen Staatsschuldenkrise, die einige Länder in Europa erfasst hat, zwei zum Teil gegensätzliche Ziele gleichzeitig verfolgen müssen: Es geht zum einen darum, dass man Solidarität mit denen übt, die in Schwierigkeiten sind, und ihnen hilft, aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen. Dass wir dazu bereit sind, haben wir in den letzten zwölf Monaten wiederholt bewiesen. Zum anderen geht es darum, dass wir auch dafür sorgen, dass aus den Fehlern gelernt wird und dass in Europa eine Stabilitätskultur verankert wird, in der vermieden wird, dass wir in zwei, drei oder vier Jahren in genau derselben Situation sind. So, wie ich eben gesagt habe, Sie sollten auf Herrn Borjans hören, sage ich: Schauen Sie nach Italien. In Italien war es so, dass man im August, als die Krise plötzlich überhandzunehmen schien, endlich bereit war, sich auf ein Sparprogramm zu einigen. Anschließend hat sich die Europäische Zentralbank an den Märkten betätigt und interveniert. Das Ergebnis war, dass die politisch Verantwortlichen in Italien als Erstes wesentliche Teile dieses Sparprogramms gekippt haben. Lieber Herr Kollege Schneider, was glauben Sie denn, wie viele Regierungen in Europa noch die Chance hätten, Sparprogramme durch ihre Parlamente zu bringen oder Schuldenbremsen in den nationalen Verfassungen zu verankern, wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt Euro-Bonds einführen würden? ({7}) Das ist der Punkt: dass Sie Ihren eigenen Zielen entgegenarbeiten, wenn Sie solche Vorschläge zum falschen Zeitpunkt machen. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass wir eines Tages feststellen werden, dass wir mit der Verabschiedung der EFSF und mit seiner Ertüchtigung in diesem Jahr den nächsten großen Schritt in der europäischen Integration gegangen sind. Es ist richtig, dass die Politik in den letzten Monaten oftmals gezwungen war, in kurzen Abständen zu intervenieren, und dass viele den Eindruck hatten: Wir werden zum Teil zwar nicht getrieben, aber jedenfalls dazu angehalten, den Entwicklungen an den Märkten ein Stück weit hinterherzulaufen. Das ist problematisch. Wir müssen das Primat der Politik wiederherstellen. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht die Märkte, sondern die Politik die Rahmenbedingungen vorgibt. ({9}) Ich sage Ihnen, dass es auch vor diesem Hintergrund richtig ist, jetzt den nächsten qualitativen Schritt in der europäischen Integration zu gehen. ({10}) Niemand kennt das Endziel der europäischen Integration. Niemand weiß, wie viele Schritte man zu welchen Zeiten gehen muss. Aber in der gegenwärtigen Situation - nach der Bankenkrise, vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise - ist das Gebot der Stunde, das zu leisten, was beim Abschluss des Vertrages von Maastricht noch nicht möglich war, nämlich die Währungsunion durch eine Stabilitätsunion und durch eine vernünftige wirtschaftliche Steuerung in Europa zu komplettieren. Sie sind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen und bei der Diskussion darüber, was notwendig ist, mitzumachen. ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist von vielen in dieser Debatte versucht worden, antieuropäische Ressentiments neu zu beleben. Es ist von vielen auch die Behauptung aufgestellt worden, es sei nicht möglich, eine gemeinsame Währung wie den Euro im 21. Jahrhundert dauerhaft zu verteidigen. Ich kann nur sagen: Diejenigen, die den Euro eingeführt haben - es sitzen viele in diesem Hohen Haus, die damals dabei waren, zum Teil mit Bauchschmerzen -, die damals den Mut dazu hatten, haben etwas geschafft, was es weltweit in dieser Form bis heute sonst nicht gibt. Der Euro ist nicht nur eine gemeinsame Währung. Er ist nicht nur ein Ergebnis der europäischen Integration, sondern er ist inzwischen auch weltweit das Symbol für das europäische Sozialmodell. Wenn wir darüber reden, wie wir uns die weltwirtschaftliche Entwicklung in einer globalisierten Welt vorstellen - ob es eine egalitäre, eine neoliberale oder eine andere Entwicklung geben wird -, und uns anschauen, welche Wirtschaftsmodelle in anderen Staaten vertreten werden, dann sage ich Ihnen: Die Frage, ob der Euro Erfolg hat oder nicht, ist nicht nur eine währungspolitische Frage, sondern es ist eine ordnungspolitische Frage allererster Güte. Wir haben als CDU/CSU, als FDP dazu beigetragen, dass der Weg zum Euro möglich geworden ist. Wir werden gemeinsam - hoffentlich auch mit Ihnen dafür sorgen, dass der Euro ein Erfolgsmodell bleibt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/6916 und 17/6945 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt 1 - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 ({0}) - Drucksache 17/6600 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015 - Drucksache 17/6601 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache eine Redezeit von neuneinhalb Stunden beschlossen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09. Als erster Redner hat das Wort der Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler. ({1})

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir alle kennen die guten Zahlen der deutschen Wirtschaft. Trotz einer leichten Abkühlung im zweiten Quartal erwarten wir für das Jahr 2011 2,6 Prozent Wachstum. Wir haben eine grandiose Beschäftigungssituation. Es gibt mehr als 41 Millionen ErBundesminister Dr. Philipp Rösler werbstätige; davon sind über 28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Im letzten Jahr wurden 700 000 neue Jobs geschaffen. Davon waren mehr als die Hälfte Vollzeitjobs. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1992. Die Zahl der Arbeitslosen liegt bei unter 3 Millionen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts solcher Zahlen ({0}) ist Verunsicherung und ist erst recht Angst vor Rezession vollkommen unangebracht. Wir haben eine starke Wirtschaft, und wir erwarten auch weiterhin robustes Wachstum in Deutschland. ({1}) Deswegen war es ein bisschen merkwürdig, wie sich gestern gerade die Sozialdemokraten noch einmal selbst beweihräuchert haben ob der guten Taten damals in der Großen Koalition. Abgesehen davon, dass das jetzt ja eher schon verwelkte Siegerkränze sind, muss man eines deutlich machen: ({2}) Tatsächlich haben wir das Wachstum doch vor allem den Unternehmerinnen und Unternehmern, ihren Beschäftigten und ihren Produkten und Dienstleistungen in Deutschland zu verdanken, also denjenigen Menschen in unserem Lande, die gerade in den Krisenzeiten 2008 und 2009 fleißig gewesen sind. Das sind Menschen, denen wir uns in besonderer Weise verpflichtet fühlen. ({3}) - Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Das bedeutet, Herr Kollege Heil, dass wir alles dafür tun müssen, um das Wachstum, das wir momentan noch haben, auch weiter zu verstetigen, und die richtigen politischen Entscheidungen treffen müssen. Dazu müssen wir zuallererst die größte Wachstumsbremse in Deutschland lösen, und das ist in der Tat der Fachkräftemangel. Wir wollen schwächere Jugendliche mehr fördern als bisher, damit sie Ausbildungsfähigkeit und -reife erhalten. Wir wollen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir sollten auch diejenigen nicht vergessen, die älter sind, aber noch im Arbeitsleben stehen. Ich habe kein Verständnis für große Unternehmen, die sich auf der einen Seite über Fachkräftemangel beklagen, aber auf der anderen Seite Menschen über 55 entlassen. ({4}) Das ist ein Verlust für die Unternehmen und auch ein volkswirtschaftlicher Fehler. Wenn wir Fachkräftesicherung betreiben, müssen wir sie in allen Generationen betreiben. Das kann helfen, das Wachstum gerade in dieser Zeit in besonderer Weise zu verstetigen. Es reicht aber nicht aus, nur im Inland nach Fachkräften zu suchen. Ich füge hinzu: Wir brauchen auch die Zuwanderung Qualifizierter aus dem Ausland. Dazu müssen wir die Regeln verbessern. ({5}) Wir müssen Schluss machen mit bürokratischen Hemmnissen. Die Vorrangprüfung muss weiter reduziert werden. Wir müssen auch, was die sofortige Niederlassungsmöglichkeit hier anbelangt, die Einkommensschwelle - Sie alle kennen die Diskussion - von 66 000 Euro auf 40 000 Euro senken. ({6}) Es geht aber um weit mehr als nur um reine Kennzahlen und Einkommensdaten. Wir brauchen in Deutschland eine Willkommenskultur; denn die Frage der Zuwanderung ist auch, aber nicht nur eine ökonomische Frage, sondern weit darüber hinaus auch eine gesellschaftliche Frage, der wir uns gemeinsam annehmen müssen. ({7}) - Das ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die wir offensichtlich derzeit haben. ({8}) Jetzt komme ich aber zu weiteren Unterschieden. Wer Wachstum verstetigen will, muss natürlich auch an Entlastung denken. Es waren doch die Menschen in den Unternehmen, die in schwierigen Jahren Leistung erbracht haben. Sie müssen auch etwas von dem Geleisteten spüren. Deswegen ist es richtig, untere und mittlere Einkommen steuerlich zu entlasten und gleichzeitig die kalte Progression zu reduzieren. Das ist übrigens nicht nur eine Frage der Entlastung, sondern auch eine Frage der Steuergerechtigkeit. Darüber hinaus haben wir vereinbart, die Lohnzusatzkosten in Deutschland zu senken; denn in Deutschland sind bekanntermaßen nicht die Löhne zu hoch, sondern die Lohnzusatzkosten. ({9}) Wir wollen in Deutschland als christlich-liberale Regierungskoalition nicht nur Wachstum, sondern gleichzeitig auch Beschäftigung. Entlastung ist dazu genau der richtige Weg. ({10}) Natürlich geht es neben der Entlastung im finanziellen Bereich auch um die Entlastung von bürokratischen Aufgaben. Bürokratie ist doch so etwas wie eine Art Mehltau, der sich im Moment über die Unternehmen in Deutschland legt. Deswegen ist es beispielsweise richtig, dass wir endlich mit dem bürokratischen Monstrum ELENA Schluss gemacht haben. Das stellte gerade eine Belastung für die kleinen und mittelständischen Unternehmen dar. Hier kann man sehr schnell sehen, dass man selbstverständlich, ohne viel Geld in die Hand zu nehmen, Wachstum verstetigen und gerade Mittelstand, Handel und Handwerk in Deutschland unterstützen kann. ({11}) Entlastung ist für die SPD allerdings ein Fremdwort. Ich habe mir einmal das Konzept angesehen, das Sie gerade vorgelegt haben. Sie wollen nicht Entlastung, sondern Belastung: bis zum Jahr 2016 zusätzliche Steuererhöhungen in einem Umfang von 37 Milliarden Euro. Das ist Geld, das andere Menschen in Deutschland erst einmal verdienen müssen. Wenn Sie das Geld dann wenigstens zur Haushaltskonsolidierung einsetzen wollten, dann könnte man darüber ja noch diskutieren, aber Sie planen gleichzeitig im Bund Mehrausgaben in Höhe von 85 Milliarden Euro. Das zeigt einmal mehr, Ihre Einnahmen- und Ausgabenrechnung wird am Ende nicht funktionieren. Das beweist die Binsenweisheit, die jeder in Deutschland kennt: Sozialdemokraten können eben einfach nicht mit Geld umgehen. ({12}) Da, wo Sie regieren, geht es immer nur in Richtung Schuldenstaat. ({13}) Dass es auch anders gehen kann, sehen Sie am Einzelplan 09, nämlich am Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Wir schaffen es, 150 Millionen Euro in die Hand zu nehmen für Forschung und Technologie, aber nicht, indem wir die Einnahmen erhöhen, sondern indem wir sparen und kürzen. Dazu sind wir bereit. Die Ausgaben werden um 110 Millionen Euro gekürzt, indem Subventionen zurückgefahren werden. ({14}) Nur so, meine Damen und Herren, kann es gelingen, nachhaltige Haushalte aufzustellen. ({15}) Wir werden mit dem dadurch freiwerdenden Geld neue Märkte fördern, etwa in den Bereichen digitale Welt, Nanotechnologie und auch Energieeffizienz. Ich sage Ihnen: Gerade bei diesen Förderprojekten stehen sich die Grünen selbst im Wege; denn wenn es jemanden gibt, der fortschrittsfeindlich und kulturpessimistisch ist, dann sind es doch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen. ({16}) Wir jedenfalls stehen für Mut zum Fortschritt. Wir sind davon überzeugt, dass es morgen tatsächlich besser werden kann als heute und dass man Probleme, die durch die Anwendung und Nutzung von Technologien entstehen, nicht durch ein Verbot von Technologien wird lösen können. Vielmehr kann man immer nur versuchen, durch bessere technologische Lösungen genau solche Probleme zu vermeiden. Wir sind die Koalition des Fortschritts, und Sie sind die Koalition des Rückschritts und des Kultur- und Fortschrittspessimismus. ({17}) Sehr bemerkenswert fand ich die gesamten Einlassungen der Opposition in den letzten beiden Tagen zur Stabilität des Euro. Eines ist doch klar: Gerade die Wirtschaft braucht eine stabile Währung. 60 Prozent unserer Exporte gehen nach Europa, und 40 Prozent gehen in die Euro-Zone. Deutschland hat wie kein anderer Staat von einer gemeinsamen Währung, von unserem Euro, profitiert. Aber dass gerade Sie uns hier Ratschläge geben wollen, wie wir in diesen schwierigen Zeiten den Euro stabilisieren können, ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte. Sie waren es doch, die 2005 dem Euro in die Kniekehle getreten haben, und jetzt planen Sie sogar das zweite Foul, indem Sie nach wie vor den Euro-Bonds das Wort reden, obwohl das Bundesverfassungsgericht gestern deutlich gemacht hat, dass eine solche Transferunion, wie Sie auf der linken Seite sie sich vorstellen, niemals machbar und niemals zulässig wäre. Wir wollen sie auch politisch nicht. Wir lassen nicht zu, dass der deutsche Steuerzahler für die Schulden anderer Staaten aufkommen muss. ({18}) Was sollen wir Herrn Papandreou sagen, wenn er am 27. September zu uns nach Deutschland kommt, wenn wir ihn bitten, eine Schuldenbremse in die Verfassung aufzunehmen? Oder was wollen wir Herrn Berlusconi oder den Kollegen in Spanien sagen? Die werden sagen: Wir würden das gerne machen. Aber was ist mit euren Ministerpräsidenten in Rheinland-Pfalz, in BadenWürttemberg, in Nordrhein-Westfalen? Da, wo RotGrün regiert, gibt es neue Schulden. Da, wo Grün-Rot regiert, gibt es neue Schulden. ({19}) In Nordrhein-Westfalen, wo im Grunde Rot-Rot-Grün regiert, wird sogar gegen die Verfassung verstoßen. Wie sollen wir von anderen glaubwürdig die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung fordern, wenn Sie nicht in der Lage sind, sich daran vernünftig zu halten? ({20}) Stabilität erreichen wir nicht mit Ihrem Weg in ein Schulden-Europa. Stabilität erreichen wir nur, indem wir europaweit klare Stabilitätskriterien vereinbaren: ({21}) Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassungen und Wettbewerbsfähigkeitstest. Wer diese Tests als Staat nicht besteht, muss sich harten Sanktionsmaßnahmen unterwerfen, damit er wieder auf den Pfad der Stabilität zurückgebracht werden kann. Ich sage ausdrücklich: Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man glaubt, man könne dies durch eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzregierung erreichen, die man mal eben so ins Leben ruft. ({22}) Bevor es eine gemeinsame Regierung gibt, müssen Sie zunächst einmal die Frage klären, in welche Richtung diese Regierung regieren soll. ({23}) Dazu braucht sie diese klaren Kriterien. Sie wollen ein Schulden-Europa, ({24}) wir wollen eine Stabilitätsunion. Das ist der Unterschied zwischen linker Regierung und christlich-liberaler Koalition. ({25}) Unsere Aufgabe in unruhiger werdenden Zeiten ist es, Wachstum zu verstetigen, für Fachkräftesicherung zu sorgen, ({26}) Ressourcen zu sichern. Wir müssen die Menschen und Unternehmen in Deutschland entlasten und so Wachstumskräfte freisetzen. Wir müssen Märkte absichern, neue Märkte finden und unsere Unternehmen von bürokratischen Lasten befreien, damit sie die Chance haben, die neuen Märkte zu nutzen. ({27}) Dazu braucht man eine stabile Währung und den Mut, sich auf den Weg zur Stabilisierung zu machen. Überall da, wo Sie regieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, wachsen die Schulden und die Arbeitslosigkeit. Da, wo wir regieren, ({28}) wachsen die Unternehmen und die Beschäftigung. Das ist das Ziel erfolgreicher Wirtschaftspolitik. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({29})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD hat jetzt das Wort der Kollege Hubertus Heil. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Rösler, als Sie Herrn Westerwelle vor einigen Monaten ablösten oder ablösen mussten - wie auch immer -, haben Sie einen schönen Satz gesagt: Ab jetzt wird geliefert. - Sie werden diesen Satz nicht los; denn Sie haben nicht nur Lieferschwierigkeiten, ({0}) sondern in den Fällen, in denen Sie etwas liefern, liefern Sie tatsächlich nichts, was Deutschland gebrauchen kann. Ihre Rede war dafür ein treffender Beweis. ({1}) Wenn alles so toll und rosig ist, wie Sie das hier beschreiben, müssen Sie sich einmal eines fragen: Warum bekommen Sie dann nach und nach bei Landtagswahlen einen auf den Deckel? ({2}) Die Menschen sehen das offensichtlich anders. Das hat einen ganz realen Hintergrund. Die Menschen spüren, dass Sie von der Substanz einer wirtschaftlichen Entwicklung zehren, die ohne Frage in den letzten Jahren positiv war und die auch in diesem Jahr noch positiv ist. Hierfür können viele etwas - da haben Sie vollkommen recht -: anständige Unternehmer, die in der Krise nicht ihre Leute auf die Straße gesetzt haben, kluge Gewerkschaften, die mitgeholfen haben und die Sie früher noch geschmäht haben, aber auch die Reformpolitik der SPD-geführten Bundesregierung und das Krisenmanagement der Großen Koalition. Sie leben von der Substanz. Damals ist alles gegen die FDP auf den Weg gebracht worden, und jetzt versuchen Sie, sich neben die schönen Zahlen zu stellen. Das werden Ihnen die Menschen nicht durchgehen lassen, Herr Rösler. ({3}) Jetzt, wo an der einen oder anderen Stelle dunkle Wolken aufziehen, wäre es eigentlich Ihre Aufgabe als Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, in den zentralen ökonomischen Debatten Vorschläge zu machen, was zu tun ist, wie man die Kraft des Aufschwungs nutzen kann, um sich auch für schlechtere Zeiten zu wappnen, und wie man den Strukturwandel, in dem Deutschland steckt, tatsächlich bewältigt. Was aber liefern Sie? Nichts. In den zentralen ökonomischen Debatten dieser Zeit ist der Bundesminister Philipp Rösler ein Totalausfall. ({4}) Hubertus Heil ({5}) So war es bei der Diskussion über die Euro-Rettung, wo Sie nicht nur von den Märkten getrieben waren, sondern vor allem von den innerparteilichen Skeptikern - ich sage nur: Herr Schäffler und andere -, die in unverantwortlicher Weise - an dieser Stelle hätte ich ein klares Wort des Bundeswirtschaftsministers und FDP-Vorsitzenden erwartet - einem wirtschaftspolitischen Nationalismus das Wort reden und die den Euro nicht wollen. Denen in den eigenen Reihen müssen Sie Einhalt gebieten, Herr Rösler. Das ist Ihre Aufgabe und Ihre Verantwortung. Sie schweigen zu diesem Thema beredt. Offensichtlich haben Sie die Lage in Ihrer Partei nicht mehr im Griff, und das schon nach wenigen Wochen. ({6}) Wenn wir dann erleben müssen, dass Sie Pappkameraden aufbauen, um die eigenen Reihen wieder zu schließen, und sagen: „Keine Vergemeinschaftung der Haftung in Europa“, dass wir gleichzeitig aber heute Morgen über einen Gesetzentwurf diskutieren, der notwendig sein wird und der genau diesen Weg geht - wir mussten durch das Nichthandeln Ihrer Koalition und das Fehlen von Führung durch Frau Merkel in Europa erleben, dass Sie die EZB geradezu in den Aufkauf von Staatsanleihen getrieben haben -, dann kann ich nur sagen: Sie machen der deutschen Öffentlichkeit etwas vor. Das mag helfen, das Gesetz, das jetzt notwendig ist, in Ihren Koalitionsreihen über die Rampe zu bringen; ich will aber gar nicht wissen, was das für notwendige Vorhaben in der Zukunft bedeutet. Sie haben gerade gesagt, was bei Europa nicht geht, nämlich einen Weg in Richtung Vergemeinschaftung, in Richtung einer Wirtschaftsregierung zu gehen. Ihre Bundeskanzlerin sagt das Gegenteil, Herr Rösler. Sie müssen sich irgendwann entscheiden; denn wir alle wissen, dass die Währungsunion dauerhaft nur dann erfolgreich weiter funktionieren kann, wenn wir auf dem Weg der europäischen Integration nach vorne gehen. Die Unterstellung, dass Sozialdemokraten unkonditioniert die Schulden anderer Länder für Deutschland übernehmen wollten, brauchen Sie als Pappkameraden für die eigenen Reihen. Mit der Realität hat das nichts zu tun. Für uns ist ganz klar: Wer Hilfen in Anspruch nimmt, der muss sich auch in Europa harten Konsolidierungsregeln unterwerfen. Wir haben nie etwas anderes gesagt. ({7}) Aber vielleicht brauchen Sie das, um die eigenen Truppen zu erheitern. In der deutschen Öffentlichkeit wird Ihnen das nicht helfen. ({8}) Ich will Ihnen noch etwas sagen, Herr Rösler: Es gab einige ganz interessante Überschriften, die - neben der Frage nach der Krise - etwas mit dem strukturellen Wandel unserer Wirtschaft zu tun haben. Ohne Frage: Die Wirtschaft in Deutschland ist gut aufgestellt, weil wir - im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften in Europa - zum Beispiel noch eine breite industrielle Wertschöpfungsbasis und -kette haben, von der Grundstoffindustrie bis zu den Hightechschmieden. Das unterscheidet uns von anderen Standorten und Volkswirtschaften in Europa. Ich kann mich gut daran erinnern, wie das vor zehn Jahren war, als uns Oberschlaue - auch aus Ihren Reihen - im Verbund mit irischen und anderen Politikern ins Stammbuch schreiben wollten: Lasst das mit der Industrie mal bleiben! Das gehört alles ins Museum. Setzt vor allen Dingen auf Dienstleistungen, besonders auf Finanzdienstleistungen! - Das waren Ihre Parteifreunde von der FDP, Herr Rösler, ({9}) die uns damals Volkswirtschaften wie Irland als Vorbild an die Wand gemalt haben. ({10}) Wir haben vom keltischen Tiger gesprochen; wir haben erlebt, was passiert, wenn eine Volkswirtschaft sich von der industriellen Basis verabschiedet und sich allein auf Finanzdienstleistungen abstützt. ({11}) Das gibt dann kurzfristig unglaubliche Wachstumsraten; langfristig aber ist die Blase geplatzt, und Europa muss jetzt die Suppe dieser wirtschaftsradikalen, industriefeindlichen Politik auslöffeln, für die in den letzten Jahren die FDP im Geiste gestanden hat. ({12}) Deshalb sage ich Ihnen: Es war gut, dass die damals SPD-geführte rot-grüne Bundesregierung dieser Mode nicht nachgegeben hat. Auch wir wissen, dass wir ein guter Finanzplatz sein müssen, gar keine Frage. Aber wir brauchen eben auch industrielle Wertschöpfung in diesem Land, und davon haben wir uns nicht verabschiedet. Wenn wir jetzt in die Zukunft schauen, sehen wir vier strukturelle Wandlungsprozesse, die unsere Wirtschaft verändern werden: Erstens haben wir aufgrund technischen und wissenschaftlichen Fortschritts weiterhin den Trend zu einer stärker wissensbasierten Wirtschaft, auch in der industriellen Produktion. Da wachsen industrielle Dienstleistungen und Produktionsstärke zusammen. Dabei kommt es eben nicht zu einer Zerstörung der industriellen Basis, sondern zu einem Einbau des Neuen in die bestehenden, erfolgreichen Strukturen. Zum Zweiten erleben wir, dass wir in einer immer stärker vernetzten, internationalisierten Wirtschaft leben. Wir, die deutsche Volkswirtschaft, profitieren als Exportvizeweltmeister von dieser Entwicklung, auch im Euro-Raum. Drittens findet bei uns ein demografischer Wandel statt, der den Arbeitsmarkt dramatisch verändern wird. Hubertus Heil ({13}) Viertens gibt es eine Diskussion um endliche und knappe Ressourcen. Dieser strukturelle Wandel wird weiter stattfinden; er wird an Dynamik zunehmen. Aber wenn wir die Chancen, die für Deutschland in diesem Wandel stecken, nutzen wollen, dann geht es nicht, dass man nur zuschaut, die Risiken, die mit einem solchen Wandel verbunden sind, einfach ausblendet und nicht in der Lage ist, eine zukunftsfähige Struktur- und Industriepolitik zu betreiben. Herr Rösler, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört; das Wort „Industriepolitik“ kam in Ihrer gesamten Rede überhaupt nicht vor. Sie haben keinen Plan, wie Sie den Strukturwandel gestalten wollen. Das wäre aber zum Nutzen Deutschlands notwendig. Sie sind ein Totalausfall im Strukturwandel dieser Republik. ({14}) Ich habe gerade etwas vom Fachkräftemangel und von der Fachkräftesicherung gehört. Das sind schöne Überschriften. Aber wie sieht die Realität aus? Wenn Sie weiter so handeln, wie Sie jetzt handeln, dann wird sich in Deutschland ein Trend verstärken, den man nur als Trend zu einem tief gespaltenen Arbeitsmarkt bezeichnen kann: Auf der einen Seite werden immer mehr Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen; in einzelnen Branchen und Regionen ist das schon heute der Fall. Auf der anderen Seite haben wir Menschen in dauerhafter Arbeitslosigkeit - es gibt einen verfestigten Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit - abgehängt. Herr Rösler, da nützen auch die warmen Worte nichts, die Sie gerade gewählt haben nach dem Motto „Wir wollen jungen Leuten, die ein bisschen Probleme haben, eine Chance geben“. Gleichzeitig kürzen Sie die Mittel für die Qualifizierung dieser Jugendlichen dramatisch. Gehen Sie einmal in unser Heimatland Niedersachsen: Ihre Kürzungspolitik - was Sie da mit Frau von der Leyen anrichten - könnte dazu führen, dass über 100 Jugendwerkstätten dichtmachen müssen. Dann müssen wir Arbeitslosigkeit finanzieren und können die jungen Menschen nicht in Arbeit bringen. Herr Rösler, Sie spalten den Arbeitsmarkt; das ist Ihre Politik. ({15}) - Herr Kauder, Sie haben doch keine Ahnung von Niedersachsen. ({16}) Aber von Zwischenrufen haben Sie Ahnung. Das haben wir heute schon erlebt; das muss man nicht ernst nehmen. Herr Rösler, Sie haben sich mit der Haushaltspolitik auseinandergesetzt und wieder die alte GuidoWesterwelle-Platte „Steuern runter macht Deutschland munter“ aufgelegt. Keine Frage: Entlastungen sind wünschenswert. Aber die spannenden Fragen sind doch: Was ist machbar? Ist die Politik in der Lage, Prioritäten zu setzen? Wir haben klar gesagt: Ein Vorrang muss sein, die Finanzen von Bund, Ländern und Kommunen in Ordnung zu bringen, damit der Staat mit Blick auf schwierige Zeiten handlungs- und zukunftsfähig bleibt. Sie wissen wie ich, dass wir da schon einmal weiter waren: Bundesminister Peer Steinbrück hatte im Jahr 2008, gesamtwirtschaftlich und gesamtstaatlich gesprochen, zum ersten Mal seit 40 Jahren die Situation eines insgesamt ausgeglichenen Haushalts von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen. Es war die Finanzkrise, die uns einen Strich durch die Rechnung gemacht hat; denn, Herr Fuchs, wir mussten uns in der Großen Koalition gemeinsam mit viel Geld gegen die Folgen der furchtbaren Krise stellen. Wir müssen jetzt runter von diesen Schulden. Da geht es nicht an, dass man in dieser Zeit neue Löcher, zum Beispiel bei den Kommunen, reißt. ({17}) Denn wir wissen genau wie Sie, dass die öffentliche Hand mehr Geld beispielsweise in die Bildung investieren muss. Es kann nicht sein, dass Sie den Menschen weismachen wollen, man könne gleichzeitig die Haushalte von Kommunen, Ländern und Bund in Ordnung bringen, Steuergeschenke machen und gleichzeitig mehr in Bildung investieren. Das wird nicht aufgehen. Deshalb haben wir eine Prioritätenliste: Erstens. Wir müssen die Schulden senken und den Haushalt in Ordnung bringen. Zweitens. Wir müssen gleichzeitig mehr in Bildung investieren, ({18}) beispielsweise weil Jahr für Jahr 65 000 junge Menschen unsere Schulen ohne Abschluss verlassen. Diese jungen Menschen haben doch gar keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Das ist der Nachwuchs für Hartz IV, den diese Gesellschaft produziert. Deshalb sagen wir: Ja, wir werden eine Zeit lang ein Stück mehr Solidarität auch von Spitzenverdienern brauchen, damit junge Menschen in diesem Land eine Chance auf gute Bildung bekommen. Das wollen Sie nicht; das ist der Unterschied. ({19}) Herr Rösler, wir werden miteinander darüber zu sprechen haben, dass die Wirtschaft, der wirtschaftliche Fortschritt in diesem Land, verlässliche Rahmenbedingungen braucht. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur ein Thema ansprechen, bei dem die gesamte deutsche Wirtschaft über den Zickzackkurs entsetzt ist, den Sie - nicht so sehr Sie persönlich, denn Sie sind noch nicht so lange im Amt - da gefahren haben: In der energiepolitischen Debatte war der Bundesminister für Wirtschaft ein Totalausfall. Die Entscheidungen wurden woanders getroffen. Sie redeten irgendetwas von Kaltreserven von Atomkraftwerken. Wir wissen jetzt: Die Bundesnetzagentur wird nicht darauf zurückkommen müssen. Hubertus Heil ({20}) Es ist einfach so, dass der Fehler früher - im Herbst letzten Jahres - von Ihrem Vorgänger Brüderle und von Frau Merkel und Herrn Röttgen gemacht wurde. Sie haben einen Energiekonsens, der in diesem Land für Planungs- und Investitionssicherheit gesorgt hat, zugunsten von wenigen Konzernen mutwillig aufgerissen. Dies hat dazu geführt, dass Rechtsunsicherheiten entstanden und dass Stadtwerke milliardenschwere Investitionen auf die lange Bank geschoben haben. Denn verlängerte Restlaufzeiten von alten Atommeilern sind eine feine Sache für die großen Energiekonzerne. Sie verfestigen deren Marktmacht, weil die Investitionen schon abgeschrieben sind - die Folge sind hohe Gewinne - und Investitionen sich nicht lohnen. Dann kam Fukushima, und Sie haben an dieser Stelle eine 180-Grad-Wende gemacht. Mit Gerhard Schröder gesprochen: Ich finde es schön, dass Sie sich an unsere Politik angepasst haben, denn als evangelischer Christ weiß ich: Im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der umkehrt, als über hundert Gerechte. ({21}) Ich sage Ihnen aber auch: Nach dem Schweinsgalopp, in dem Sie in diesem Sommer die Gesetze durchgezogen haben, bleiben, ökonomisch gesehen, massive handwerkliche Fehler. Wir müssen nacharbeiten, damit Deutschland die Chancen der Energiewende nutzen kann. Wir werden eine saubere, sichere und auch bezahlbare Energieversorgung in diesem Land nur bekommen, wenn verlässliche Rahmenbedingungen da sind. Wenn ich mir aber zum Beispiel Ihre Novelle des ErneuerbareEnergien-Gesetzes und Ihr Netzausbaubeschleunigungsgesetz angucke - das ist schon vom Namen her gescheitert, denn es wird nicht zum notwendigen Ausbau von Energienetzen führen -, dann kann ich nur sagen: Was Sie treiben, ist keine Energiewirtschaftspolitik, sondern es ist energiepolitischer Dilettantismus, den Sie hier an den Tag gelegt haben. Auch das schadet diesem Land. Herr Rösler, zum Schluss: Sie mögen persönlich ein netter Mensch sein, aber ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie kümmern sich in diesen Zeiten als FDP-Vorsitzender vor allen Dingen um die Krise der FDP. Wenn ich die Kommentare von Herrn Kubicki und von anderen lese, dann tun Sie dies nicht mit besonders großem Erfolg. Das ist kein Schaden für dieses Land; das ist ein Problem Ihrer Partei, das Sie selbst lösen müssen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Heil.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Problem für dieses Land ist, dass Sie als FDPVorsitzender so viel Zeit investieren, um sich um die Krise in der FDP zu kümmern, dass Sie offensichtlich keine Kraft haben, um sich die Krise im Euro-Raum vorzunehmen. Das ist ein Problem für dieses Land. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Heil.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Rösler, nach einigen Wochen im Amt muss man Ihnen schon sagen: nicht geliefert, Fehlbesetzung. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Sie werden bald nicht mehr im Amt sein. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Heil, es wäre ganz gut, wenn Sie ab und zu mit Ihren Haushältern Kontakt aufnehmen würden. Diese Koalition hat die Kommunen deutlich gestärkt. Der Aufwuchs bei den Kommunen beträgt 4,3 Milliarden Euro, weil der Bund die Kosten der Grundsicherung übernimmt. Diese Mittel fließen direkt in die kommunalen Haushalte ein. ({0}) Das sollten Sie nicht verschweigen. Ich halte es für unfair, wenn Sie hier so argumentieren. Das ist Ihrer auch nicht würdig; Sie sollten das wissen. ({1}) Ich finde das nicht fair. Wir sollten im Deutschen Bundestag nicht einfach darüber hinweggehen, wenn Sie sagen, wir würden die Kommunen ausbluten. Sie wissen genau, dass das nicht stimmt. Das sollte nicht so stehen bleiben. Deutschland geht es nämlich unter der christlich-liberalen Koalition gut, ({2}) und zwar richtig gut. ({3}) Es ist lange her, dass sich unser Land wirtschafts- und beschäftigungspolitisch in einer solch ausgezeichneten Verfassung befunden hat wie jetzt. ({4}) Es gibt in Deutschland mehr Jobs als jemals zuvor. Über 41 Millionen Menschen sind erwerbstätig, und wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose. Ich kann es nur immer wiederholen: Als Gerhard Schröder aufgehört hat, gab es unter Rot-Grün 5 Millionen Arbeitslose. Gerhard Schröder hatte damals versprochen, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Was hat er gemacht? Er hat sie verdoppelt. Angela Merkel hat das Versprechen von Gerhard Schröder eingelöst. Wir sind auf dem Weg, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren, die Gerhard Schröder hinterlassen hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir noch in diesem Jahr die Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen auf 2,5 Millionen erreichen werden. Das ist ein exzellenter Erfolg. ({5}) Herr Heil, Sie sprachen eben das Thema Jugendarbeitslosigkeit an. Da stellen sich mir die Nackenhaare auf. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist so gering wie nie zuvor. ({6}) Es gibt bereits viele Regionen in Deutschland, in denen Unternehmen händeringend Auszubildende suchen und sie nicht finden. In allen anderen europäischen Ländern liegt die Jugendarbeitslosigkeit weit höher. In Spanien ist sie mit 45 Prozent am dramatischsten. Wir müssen überlegen, ob wir nicht europapolitische Solidarität leisten. Ich halte es durchaus für denkbar, unsererseits dafür zu sorgen, dass junge Menschen in Spanien Deutsch lernen. Ich sage an den Außenminister gerichtet: Das wäre eine gute Aufgabe für die GoetheInstitute. Es ist zwar wichtig, dass man sich mit Kulturpolitik beschäftigt, aber es täte not, an Goethe-Instituten in Europa Deutschunterricht anzubieten. Man könnte die jungen Menschen aus anderen europäischen Ländern in Deutschland ausbilden und ihnen damit eine Perspektive bieten. ({7}) Meiner Meinung nach ist das sowohl eine sehr gute Chance für Deutschland als auch im Sinne der europäischen Solidarität, die ich unterstütze. Obwohl die Konjunktur im zweiten Quartal einen kleinen Gang zurückgeschaltet hat, ist die Nachfrage nach Arbeitskräften ungebrochen. Die Unternehmen suchen nach wie vor Auszubildende. Ich habe mich bei der Arbeitsagentur in meinem Wahlkreis erkundigt. Wir haben dort im Moment eine Arbeitslosenquote von 3,9 Prozent, so niedrig wie nie zuvor. In diesem Jahr bewarben sich 1 733 junge Menschen um einen Ausbildungsplatz. Demgegenüber stand ein Angebot von 2 271 Stellen. Das zeigt, welchen Überhang an Stellen wir mittlerweile in Teilen Deutschlands haben. Das sind die Folgen der guten Politik der christlich-liberalen Koalition, und darauf sind wir stolz. ({8}) Wir sollten auch überlegen, welche Wege es gibt, den Fachkräftemangel zu überwinden. Deutschland muss ein offenes Land sein. Wir müssen unsere Chance nutzen, aber wir sollten sie zuallererst im europäischen Raum nutzen. In 25 Ländern herrscht Freizügigkeit. Wir haben also gute Chancen, die Arbeitskräfte zu bekommen, die wir auf dem Arbeitsmarkt brauchen. Jeder hat von der wirtschaftlichen Situation profitiert. Die Unternehmen verdienen wieder Geld. Wir werden in diesem Jahr die höchsten Steuereinnahmen haben, die wir jemals hatten. Das All-time High betrug 561 Milliarden Euro. In diesem Jahr geht es nach neuesten Schätzungen Richtung 570 Milliarden Euro. Auch das ist ein Erfolg dieser Regierung. Dafür sind wir dankbar. ({9}) Zum ersten Mal seit langer Zeit haben wir wieder nennenswerte, vernünftige Lohnerhöhungen, die netto in den Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ankommen. Das war während Rot-Grün nicht der Fall. Die Inflation führte dazu, dass den Arbeitnehmern am Ende des Tages von den damaligen Lohnerhöhungen nichts übrig blieb. ({10}) Auch das zeigt, dass unsere Regierung auf einem guten Weg ist. Dennoch bin ich der Meinung, dass wir jetzt sehr aufpassen müssen. Wir haben zwar enorme Wachstumszahlen zu verzeichnen. Nach minus 4,7 Prozent - für eine reife Volkswirtschaft eine gewaltige Zahl - direkt auf 3,6 Prozent Wachstum umzuschalten - in diesem Jahr geht es Richtung 3 Prozent Wachstum -, das ist schon bemerkenswert. Wir haben die Krise von 2008/2009 de facto überwunden, aber wir müssen aufpassen, dass das auch so weitergeht; denn Deutschland profitiert nicht nur von seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit in allen Bereichen, sondern auch - das hat es unter Rot-Grün ebenfalls nicht gegeben - von einem robusten Konsum der Haushalte. ({11}) Zwei Drittel des deutschen Bruttoinlandsproduktes basieren auf dem Konsum in Deutschland in einer Größenordnung, wie wir sie schon lange nicht mehr hatten. Ich empfehle Diskussionen mit dem HDE und ähnlichen Verbänden. Die werden Ihnen das bestätigen, Herr Heil. Auch das hat es unter Ihrer Regierung nie gegeben. Das heißt aber nicht, dass wir uns jetzt in die Hängematte legen und ausruhen dürfen. Im Gegenteil: Wir müssen einiges in die Wege leiten. Das fängt damit an, dass wir die deutsche Wirtschaft im Außenhandel - dort ist sie stark - unterstützen müssen. Da ist der Bundeswirtschaftsminister gefordert; denn im Außenhandel brauchen wir eine weitere Öffnung der Weltmärkte. ({12}) Insbesondere unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft bzw. die mittelständischen Unternehmen brauchen liberale Handelsmärkte. Darum müssen wir uns bemühen. Bilaterale und regionale Freihandelsabkommen sind für die Mittelständler ein Problem, ({13}) weil sie keine großen Rechtsabteilungen haben, die sich um die Einfuhr- bzw. Exportbedingungen der einzelnen Länder kümmern können. Es ist schade, dass es uns nicht gelungen ist, hinsichtlich der Doha-Runde Fortschritte zu erzielen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Fortschritte auf diesem Gebiet dringend notwendig sind. Den Abschluss der Doha-Runde sollten wir alle anstreben. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich halte es für notwendig, dass die Bundesregierung in Brüssel entsprechende Initiativen ergreift; ({14}) denn die Freihandelsabkommen, die zurzeit überall geschlossen werden, sind für die deutsche Wirtschaft gefährlich. ({15}) Diese Freihandelsabkommen führen dazu, dass ein Bilateralismus entsteht, der für deutsche Unternehmen schwer zu handhaben ist. Die Bundesrepublik Deutschland kann ein Freihandelsabkommen gar nicht mehr selbst abschließen. Das muss in Brüssel abgeschlossen werden, aber das geht viel zu langsam. ({16}) Über ein Freihandelsabkommen mit den sechs Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrates - das sind Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate - wird seit 15 Jahren verhandelt. Lange Zeit waren auch Sie von der Opposition an den Verhandlungen beteiligt. Das Abkommen ist immer noch nicht fertig. Das kann eigentlich nicht sein. Die Amerikaner haben mit diesen Staaten innerhalb von zwei Jahren ein Freihandelsabkommen hinbekommen. Das schadet unserer Wirtschaft erheblich. Deswegen fordere ich Sie auf, dieses Freihandelsabkommen schleunigst abzuschließen - da muss man gegebenenfalls auch einmal mit Pascal Lamy in Genf reden -, wenn wir das mit dem multilateralen Doha-Abkommen nicht besser hinbekommen. Wir brauchen auch bezahlbare Rohstoffe. Wir brauchen bezahlbare Energie. Ich fordere insbesondere Sie, die Grünen, und die anderen Solarfetischisten auf - Herr Kelber ist gerade nicht anwesend -, sich mit den Solarfirmen in Verbindung zu setzen. Schließlich sitzen Sie in den Aufsichtsräten, Beiräten und anderen Gremien dieser Firmen. Am Wochenende las ich in den Zeitungen, dass die Solarwirtschaft im Vergleich mit anderen Bereichen der deutschen Industrie eine lausige Bezahlung bietet. Ich empfinde es als ziemliche Unverschämtheit, wenn in der Solarwirtschaft, ein Wirtschaftszweig, der mit mehr als 6 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert wird, so schlechte Arbeitsbedingungen herrschen. ({17}) Da sind Sie gefordert; denn Sie sitzen ja in den ganzen Gremien. Herr Kuhn, weisen Sie bitte einmal darauf hin, dass das nicht geht. Ihr Kollege Fell, der ebenfalls in so einem Gremium sitzt, ist leider nicht anwesend. Ich verstehe nicht, wie diese Situation entstehen konnte. ({18}) Wir brauchen vernünftige Gaspreise. Es bereitet mir Sorgen, dass wir schon jetzt stark von Russengas abhängig sind: 38 Prozent beziehen wir aus Russland. Die Abhängigkeit wird weiter zunehmen, wenn es uns nicht gelingt, neue Märkte zu erschließen. Wir brauchen in Deutschland einen LNG-, einen Flüssiggasterminal. Es ist schade, dass Eon Ruhrgas sich jetzt in Amsterdam beteiligt und nicht mehr in Wilhelmshaven. Meiner Meinung nach ist das eine Notwendigkeit; denn dadurch könnten die Russen in eine Wettbewerbssituation kommen. Die gegenwärtige Situation bereitet mir Sorgen. Aufgrund der Tatsache, dass die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, müssen wir zusätzliche Gaskraftwerke bauen. Dadurch werden wir noch stärker von Gazprom abhängig. Das mag zwar Herrn Schröder freuen, mich aber nicht. Es ist auch wichtig, dass wir den Rohstoffzugang in anderen Bereichen stärker in den Fokus nehmen, Herr Minister. Die Situation bei den Seltenen Erden bereitet mir Sorgen. China erhebt jetzt Exportzölle auf Seltene Erden. Das schadet der deutschen Wirtschaft in einigen zentralen Bereichen ganz erheblich. Die Preise sind zu hoch und die Chinesen dadurch noch einen Tick wettbewerbsfähiger. Dieses Problem sollten wir in den Fokus nehmen. Wir sollten mit den Ländern, die Seltene Erden abbauen, beispielsweise Kasachstan, Rohstoffabkommen schließen, damit wir an die Quellen kommen, die die deutsche Wirtschaft dringend benötigt. ({19}) Zum Schluss möchte ich noch etwas zur Umverteilungsmentalität der Opposition sagen. Wenn ich mir Ihre Steuererhöhungsvorschläge anschaue, wird mir schlicht schlecht. Haben Sie eigentlich immer noch nicht wahrgenommen, dass 10 Prozent der deutschen Steuerzahler schon heute 52,7 Prozent des Einkommensteueraufkommens aufbringen? ({20}) 25 Prozent der deutschen Steuerzahler bringen 75 Prozent des Einkommensteueraufkommens auf. ({21}) Das zeigt doch, dass wir eine gewaltige Umverteilung von oben nach unten haben. ({22}) 40 Prozent der deutschen Steuerzahler zahlen überhaupt nichts. ({23}) Wenn wir jetzt noch etwas draufsatteln, dann ist das nur demotivierend. Dann gibt es ja auch noch den Halbteilungsgrundsatz, den das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat. Den haben Sie anscheinend vollkommen vergessen. Ein Spitzensteuersatz von 49 Prozent plus Vermögensteuer - diese Mehreinnahmen wollen Sie über Ihre Kanäle umverteilen ({24}) würde nur den Leistungswillen verringern. Bei vielen mittelständischen Unternehmen ist es so, dass zur Einkommensteuer weitere Unternehmensteuern hinzukommen. Diese Belastungen wollen wir ihnen nicht mehr zumuten. ({25}) Einen allerletzten Satz möchte ich zu den Grünen sagen; ich möchte sie nicht vergessen. Ich habe ein bisschen nachgelesen. In Ihrem Fraktionsbeschluss vom 1. September 2011 steht, dass wir eine zwangsläufige Entwicklung zu einer Dienstleistungsgesellschaft haben. Sie schreiben: Denn das traditionelle Industriemodell mit seinem gigantischen Energie- und Rohstoffhunger, seinen immensen Emissionen und einer Ausrichtung auf die Massenfertigung standardisierter Produkte ist nicht zukunftsfähig. Das ist nicht meine Vorstellung. Für mich ist Deutschland ein Industrieland, und das muss es bleiben. Die CDU/CSU wird zusammen mit den Liberalen die Weichen stellen, dass wir ein Industrieland bleiben, und zwar in der vollen Breite. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Linken hat jetzt das Wort der Kollege Roland Claus. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Rösler, es bleibt Ihr Geheimnis, woher Sie die Selbstgefälligkeit nehmen, mit der Sie hier gerade geredet haben. ({0}) Nach den FDP-Wahlergebnissen in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern und vor den Wahlen in Berlin kann ich mir nicht erklären, wie Sie hier auftreten und sagen können: Wir haben alles richtig gemacht. Da bleibt mir nur im Sinne von Bert Brecht der Vorschlag: Wäre es nicht besser, die FDP löste das Volk auf und wählte sich ein anderes? ({1}) Wir hören von der Bundesregierung seit zwei Tagen, man wolle Kurs halten. Das hört sich zunächst nicht schlecht an, aber Kurs halten kann bekanntlich nur, wer auch einen Kurs hat. ({2}) Auch Geisterfahrer - das darf ich Ihnen sagen - halten sich streng an die Devise: Kurs halten. ({3}) Worüber reden wir beim Etat des Bundeswirtschaftsministeriums? Faktisch reden wir über einen verfügbaren Anteil am Bundeshaushalt von 1 Prozent. Er umfasst 6 Milliarden Euro - das sind zunächst 2 Prozent -, aber davon müssen wir ja 3 Milliarden Euro abziehen, die nicht verfügbar sind, weil sie für die Steinkohlesubventionierung und für die Subventionierung staatsnaher Monopolisten im Bereich Luft- und Raumfahrt vorgesehen sind. Ich sage zur Klarstellung, damit niemand denkt, hier seien großen Wirtschaftslenker am Werke: Industrie- und Mittelstandspolitik wird mit diesem Etat leider nicht gemacht. Das würde die Linke gern ändern. ({4}) Nun höre ich oft den Einwand, man würde gern mehr Geld in die Hand nehmen, aber der Sozialetat sei ja so hoch. Das stimmt. Aber wahr ist, dass wir diesen riesigen sozialen Reparaturbetrieb nur deshalb brauchen, weil Sie eine Wirtschafts- und Sozialpolitik machen, die die Gesellschaft spaltet, die einen Niedriglohnsektor etabliert hat und zu solchen Zuständen führt, dass Menschen zum Amt gehen und aufstocken müssen. Das ist ein Versagen Ihrer Wirtschaftspolitik. ({5}) Minister Rösler hat hier erklärt, 50 Prozent der neuen Jobs seien Vollzeitjobs. Das hat er als Erfolg verkündet. Die befristeten sind in diesen 50 Prozent enthalten. Das heißt doch andersherum, Herr Minister, dass über die Hälfte aller neu geschaffenen Jobs in den Bereichen Zeitarbeit, Leiharbeit und befristete Verträge zu finden ist. Das Allerschlimmste und am wenigsten Hinnehmbare ist, dass junge Menschen heutzutage bei ihrem Berufseinstieg in aller Regel nur befristete Verträge bekommen. Das müssten Sie ändern. Dieses Problem müssten Sie angehen, statt hier 50 Prozent als Erfolg zu feiern. ({6}) Zur Klarstellung: Die Linke steht für eine Wirtschaftspolitik, die Mittelstand und Existenzgründern Chancen eröffnet und nicht verbaut, die Arbeit schafft, von der Beschäftigte sorgenfrei leben können. ({7}) Die Linke will eine Wirtschaftspolitik, die gleichermaßen zu mehr wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit beiträgt. ({8}) Herr Bundesminister Rösler wollte mit aller Macht sein neues Amt antreten. Sie wollten liefern. Man hätte vermuten können, dass es jetzt losgeht. Mit diesem Etat liefern Sie nicht. Mit diesem Etat bringen Sie hier nur Murks ein. Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen. Sie versprechen eine Neuausrichtung und Straffung des Förderangebotes - so Ihr Text. Sie wollen eine umfassende Überprüfung und Bündelung der Förderprogramme. Ich betreue den Wirtschaftsetat im Haushaltsausschuss seit nunmehr fünf Jahren. Ich habe diesen Spruch jedes Jahr mehrfach gehört: von Minister Glos, von Minister zu Guttenberg, von Minister Brüderle, nunmehr von Minister Rösler. Passiert ist nie etwas. Sie alle haben versprochen, den Förderdschungel zu lichten, das Förderangebot besser zu bündeln und für einen Service aus einer Hand zu sorgen. Passiert ist nie etwas. Ich will nur an eine Episode erinnern: Als mir gesagt wurde: „Das erfolgt jetzt alles wunderbar aus einer Hand“, habe ich gedacht: Wo es eine Hand gibt, muss es auch einen Kopf und ein Telefon geben. Dann habe ich gefragt: Können Sie mir die Telefonnummer geben? Es hat zehn Monate gedauert, ({9}) bis aus dem Bundeswirtschaftsministerium eine Antwort kam. Jetzt haben Sie die Chance, das zu toppen. ({10}) Ich will ein Wort zur Wirtschaft in Ostdeutschland sagen. Es gibt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die zu einem sehr beachtlichen Teil für die Wirtschaft in den neuen Bundesländern zum Einsatz kommt. Hier nehmen Sie erneut eine empfindliche Kürzung vor. So erreichen wir keine Angleichung der Wirtschafts- und Lebensverhältnisse. Ich will Sie auch daran erinnern, dass nicht eine einzige Firmenzentrale ihren Standort im Osten hat und dass wir dort einen enorm geringen Anteil von Industrieforschung, dafür vorwiegend verlängerte Werkbänke haben. Eigentlich geht es schon heute eher darum, auch die neuen Potenziale im Osten als Chance zu begreifen, die Erfahrungsvorsprünge bei Transformationsprozessen zu nutzen und auch die damit verbundenen Schwierigkeiten anzugehen. Hier ist über die Solarbranche geredet worden. Ich verfolge die Entwicklung in diesem Bereich mit großem Interesse. Ich habe feststellen können: Solange die Rendite gut war, waren die Private-Equity-Fonds mit großen Geldsummen im Geschäft. Als es schwierig wurde, haben sie sich vom Acker gemacht. Deshalb haben wir es heute mit einer Reihe von Schwierigkeiten zu tun. ({11}) Herr Minister, Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen. Man hätte denken können: Jetzt packt er ein Problem an. In Ihren Etat eingestellt haben Sie für die Förderung von Aufgaben zur Bekämpfung des Fachkräftemangels gerade einmal 9 Millionen Euro. Wenn ich diesen Betrag umrechne, komme ich zu dem Ergebnis: Das entspricht 70 bis 75 Vollzeitstellen. Ich sage Ihnen eines: Sie dürfen die Leute nicht verdummen. Die Leute können selber rechnen. Dieses Programm ist einfach nur lächerlich, Herr Minister. ({12}) Nach meiner Überzeugung geht vernünftiges Wirtschaften erst, wenn Industrie, Handwerk, Dienstleistungen, Tourismus und Gewerbe die Übermacht der Finanzmärkte, Banken und Ratingagenturen überwinden. Ein Jegliches hat seine Zeit. Die Börse hatte ihre gute Zeit. Ihre schlechte muss nicht ewig dauern. Auch das Kasino, das wir immer als anonym beklagen, ist Menschenwerk. Es wurde von Menschen geschaffen und kann von Menschen geschlossen werden. ({13}) Kurs halten ist falsch, wenn man merkt, dass man auf dem falschen Kurs ist. ({14}) Dieser Kurs kann geändert werden. Wir haben mit diesem Etat die Chance dazu. Das bedeutet aber in der Tat: Sie müssen auf dem Holzweg, auf dem Sie sich befinden, umkehren. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Parteivorsitzender Rösler! ({0}) Ich sage bewusst „Parteivorsitzender“, weil Sie als Wirtschaftsminister in den letzten vier Monaten nichts Nennenswertes geliefert haben. ({1}) Das hat einen einfachen Grund, den man als Handelskaufmann gleich versteht: Wer liefern will, muss etwas auf Lager haben. ({2}) Ich will jetzt deutlich machen, dass das bei Ihnen in den letzten vier Monaten nicht der Fall gewesen ist. ({3}) In der ganzen Euro-Diskussion, in der es um die Frage geht, wie wir zu stabilen Verhältnissen im EuroRaum kommen können und welche Auswirkungen das auf die Banken haben kann, habe ich von Ihnen nur vernommen, dass Sie sich systematisch und prinzipiell - egal, um welchen Vorschlag es sich handelt - gegen vernünftige, neue Regelungen in Europa wenden und alle Vorschläge abwehren. ({4}) Sie sind die Dagegen-Partei im europäischen Kontext. Jedenfalls wäre es Ihre Aufgabe als Wirtschaftsminister, deutlich zu machen, was Sie tun wollen, damit solche Krisen eingedämmt werden und - vor allem - damit künftige Krisen nicht wieder aufgrund der Mechanismen, die wir heute haben, entstehen können. ({5}) Sie haben in der Energiepolitik und in der Energiewende null Komma null geliefert. Wir steigen aus der Atomwirtschaft aus, aber Sie im Wirtschaftsministerium ändern nichts, was die Fragen der alternativen Energien, der Energiewende und der Energieeffizienz angeht. ({6}) Der neue Haushaltsentwurf sieht für den Bereich der Energieeffizienz im Energie- und Klimafonds 89 Millionen Euro vor. Dieses Jahr werden wahrscheinlich lediglich 1,6 Millionen Euro abfließen, weil Sie gar nicht in der Lage sind, eine Konzeption des Energiesparens und der Energieeffizienz zu entwickeln. Dazu sage ich Ihnen klar: Sie müssen da liefern, sonst schaffen wir den Atomausstieg nicht - jedenfalls nicht, ohne dem Klima zusätzlich zu schaden. ({7}) Herr Fuchs, wir verstehen Industriepolitik so, dass wir auf dem Energiesektor mit höchster Effizienz vorgehen. Dafür brauchen wir einen Wirtschaftsminister, der sich für diese Effizienzrevolution einsetzt. ({8}) Übrigens sagen wir: Die Energieeffizienz in Deutschland muss mit jährlich 3 Milliarden Euro gesteigert werden. Das hat übrigens auch eine soziale Komponente. Mehr Energie einzusparen bzw. die Energieeffizienz zu steigern, muss nicht nur für diejenigen möglich sein, die es sich leisten können, sondern auch für diejenigen, die es sich nicht leisten können, also für Menschen mit geringen Einkünften. Ich sage in Richtung Frau von der Leyen: Auch der Hartz-IV-Kühlschrank muss - das ist heute leider nicht der Fall - ein Energieeffizienzkühlschrank sein. Hier tun Sie nichts. Sie kommen da aber nicht heraus, Herr Rösler. Für uns heißt Industriepolitik Effizienz und nicht Beton. Damit zitiere ich fast Herrn Brüderle von heute früh, stelle aber dazu fest, dass Herr Rösler davon nichts versteht und sich bisher nicht dafür eingesetzt hat. Sie haben nicht einmal die Energiekonzeption der Bundesregierung geändert, sondern verfahren noch immer nach der alten Energiekonzeption, die vor dem Atomausstieg galt, in der Zeit, in der Sie die Atomlaufzeiten verlängert haben. Das ist fossiles Denken. Manchmal kommen Sie mir so vor, als wollten Sie falsifizieren, dass die Energiewende überhaupt möglich ist. Jedenfalls sage ich Ihnen für die Grünen: Mit passivem Herumgucken wird diese Energierevolution nicht stattfinden. ({9}) Sie haben gerade von der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland gesprochen. Das war schon ein dreistes Stück. Sie sprachen von einem Punktesystem und davon, dass die 60 000-Euro-Grenze auf 40 000 Euro heruntergesetzt werden sollte. Es war so, als hätten Sie als Frohnatur zum ersten Mal über dieses Thema geredet. Ich muss Sie aber, Herr Minister, daran erinnern, dass Sie regieren, und zwar die FDP seit zwei Jahren und Sie als Wirtschaftsminister seit vier Monaten. Liefern Sie doch! ({10}) Gehen Sie mit dem Koalitionspartner in Klausur und liefern Sie! Das hatten Sie angekündigt. Sie sollten nicht nur gackern, Herr Minister. Darauf käme es jetzt an. Die Wirtschaft wartet dringend darauf, dass diese Frage endlich geregelt wird. ({11}) Ich finde, dass ein Wirtschaftsminister nicht so feuchtfröhlich, wie Sie es gerade getan haben, über die Frage reden darf, was alles toll ist. Er darf das alles nicht schönmalen. Es gibt nämlich in zunehmendem Maße einen doppelt gespaltenen Arbeitsmarkt. Die Zahl derer, die auf Dauer ausgegrenzt sind, ist zu hoch. Das muss auch Sie als Wirtschaftsminister angehen - und nicht nur Frau von der Leyen. Innerhalb des Kreises derer, die einen Job haben, gibt es viele mit einem prekären Job, von dem sie gar nicht leben können. Da muss doch ein Wirtschaftsminister, der Format hat, folgendes Programm ausrufen: Wir wollen dafür sorgen, dass systematisch mehr Vollerwerbsstellen geschaffen werden, von denen die Leute leben können. Sie müssen dann halt in Gottes Namen auch mal an das Thema Mindestlohn herangehen. Sie können sich da nicht so schamhaft wegdrücken, wie Sie es im Normalfall immer tun. ({12}) Ich komme nun zu einem sehr wichtigen Punkt. Es gab einmal Zeiten, da war das Wirtschaftsministerium sozusagen die Grundsatzabteilung für die soziale Marktwirtschaft in Deutschland. Man war stolz darauf, aus dem Wirtschaftsministerium heraus ordnungspolitisch klar und präzise zu formulieren und weiterzudenken. Bisher aber haben Sie daran überhaupt nicht gedacht. Das Entflechtungsgesetz - es hat ja damit zu tun, ob Wettbewerb in unseren Märkten, auch im Energiebereich und bei den Banken, überhaupt möglich ist ({13}) haben Sie auf Bonsai-Level zusammengestrichen. Jedenfalls haben Sie sich nicht um die entscheidende Frage gekümmert, ob es wirklich Entflechtung im Sinne von mehr Wettbewerb gibt. Darüber haben Sie zwei Jahre lang in irgendwelchen Versammlungen fröhlich geredet, gemacht aber haben Sie nichts. Damit es klar ist: Wir beteiligen uns gerne an dem Streit in Bezug auf die Frage, wer es ordnungspolitisch am Genauesten nimmt. Aber dann können Sie sich das ganze Zeug, das Ihnen irgendwelche mittelmäßigen Berater aufgeschrieben haben nach dem Muster, die Grünen seien Kulturpessimisten, in die Haare schmieren. Machen Sie eine klare Ordnungspolitik und beantworten Sie die großen Fragen, die heute zur sozialen Marktwirtschaft gestellt werden. ({14}) Die erste Frage ist: Haben wir noch eine soziale Marktwirtschaft? Meine Antwort ist klipp und klar: Nein, wir haben sie nicht mehr. Wir müssen wieder eine soziale Marktwirtschaft werden. Davon sind wir weit entfernt. Es ist Aufgabe eines ordnungspolitisch bewussten Ministers, dass er dafür kämpft, sie wiederherzustellen. ({15}) Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Sie schwafeln andauernd von einer Steuersenkung für Beschäftigte, weil das mehr Leistung ermöglichen würde. Zu glauben, dass die heutige Workforce, die arbeitenden Menschen, weniger leistet, weil die Steuern zu hoch sind, ist doch weltfremder Quatsch. Die Leute arbeiten fleißig und redlich. Wir brauchen keine Steuersenkungen. Die Mittel, die wir haben, brauchen wir für Innovation, für Effizienzsteigerung und für mehr soziale Gerechtigkeit. ({16}) Dazu ein ganz einfaches Beispiel: Machen Sie eine ordentliche Energiepolitik in Form von Energieeinsparung. Sorgen wir statt einer Steuersenkung für eine Senkung der Energiekosten für alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, sodass die Menschen weniger für Energie zahlen. Es hätte auch positive Auswirkungen auf die Inflation, wenn wir das schaffen würden. Eine Senkung der Kosten für den Energieverbrauch wäre eine sinnvolle Entlastung der Bevölkerung, insbesondere der Geringverdiener. An dieser Stelle können wir etwas tun. Aber dafür müssen Sie ordnungspolitische Klarheit darüber haben, worauf es gegenwärtig ankommt. ({17}) Ich komme zu dem Punkt, der mich am meisten stört und wo Sie bisher wirklich grandios versagt haben. Wir stellen fest, dass die Finanzmarktkrise nichts anderes bedeutet, als dass sich die Akteure der Realwirtschaft nicht mehr darauf verlassen können, dass sie, wenn sie investieren wollen, zu vernünftigen Bedingungen verlässliches Geld von den Banken bekommen. Das ist doch der Kernpunkt der Beunruhigung in der Realwirtschaft. Hier würde ich von einem Minister, der ordnungspolitisch für die Grundsätze der Marktwirtschaft zuständig ist, schon Vorschläge hören wollen, wie er, seine FDP und die Regierung sicherstellen wollen, dass die ursprünglich dienende Funktion der Finanzmärkte in unserem wirtschaftspolitischen Geschehen wieder Realität wird. Man muss sich einmal fragen: Warum haben wir eigentlich Finanzmärkte? Doch nicht deshalb, damit es irgendwelchen Spekulanten gut geht und sie etwas zu tun haben, sondern damit die Funktion, Ersparnisse der Gesellschaft in Investitionen zu verwandeln, schnell, reibungslos und effektiv erfüllt werden kann. Davon sind Sie meilenweit entfernt. Ich habe keinen Vorschlag von Ihnen gehört, der irgendein ordnungspolitisches Konzept der Finanzmärkte beinhalten würde, sodass es an dieser Stelle weitergeht. Deswegen, Herr Rösler, komme ich wirklich zu dem Urteil, dass Sie zwar in den letzten Tagen und Wochen als Parteivorsitzender eine große Klappe gehabt haben, aber als Wirtschaftsminister nichts - ich wiederhole: null Komma null - geliefert haben. Danke schön. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Lieber Kollege Claus, Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz haben Sie in der DDR unter Beweis gestellt. Wir alle kennen das Ergebnis und wundern uns, wie Sie die Stirn haben können, heute so aufzutrumpfen. ({0}) Was den Kollegen Kuhn angeht, so irritiert mich Ihre Pauschalkritik an der Energiepolitik dieser Regierung. Ich würde Ihnen empfehlen, nach Atdorf in den Schwarzwald zu fahren, wo die Grünen momentan Stunk gegen das größte in Planung befindliche Pumpspeicherkraftwerk machen. Sie meinen, es passe nicht in die Landschaft, es sei ein Unding und man dürfe es nicht bauen. Wenn das Ihre Art und Weise ist, eine konsequente Energiepolitik zu betreiben, nämlich hier in der Theorie allgemeine Weisheiten zu verkünden und in der Praxis gegen alles zu sein, dann sollte einen das dazu bewegen, weniger große Töne zu spucken. Ich glaube, dass die europäische Schuldenkrise nicht nur diese Haushaltsdebatte dominiert, sondern auch in den nächsten Monaten unsere Wirtschaftspolitik dominieren wird. Um hier ein paar Dinge geradezurücken, möchte ich kurz zurückblenden. Am 29. Juni 2000 gab Hans Eichel eine Regierungserklärung ab. Damals feierte er geradezu überschwänglich die von Rot-Grün unterstützte Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone. Trotzdem drückte ihn anscheinend schuldbewusst eine gewisse Vorahnung. Ich zitiere: Wer dazugehört, muss sich auch zukünftig so verhalten, wie er sich verhalten hat, um dazugehören zu können. Das war eine ziemlich gestelzt formulierte Anforderung an die Griechen. Dr. Gerd Müller von der CSU konterte damals glasklar: Herr Eichel, die Aufnahme Griechenlands in den Eurokreis war ein schwerer Fehler. Müller spricht explizit von manipulierten Zahlen. Nun kann man behaupten, die Griechen hätten beim Beitritt betrogen. Lässt man das Revue passieren, was damals diskutiert wurde, muss man aber feststellen, dass ihnen offenkundig schon damals niemand geglaubt hat. Mundus vult decipi: Nicht die Welt, aber die Gegenseite wollte betrogen sein - auch und gerade die damalige rot-grüne Bundesregierung. Das ist die Realität, meine Damen und Herren. Auch wenn Sie es in den Debatten diese Woche schon x-mal gehört haben, sage ich es noch einmal: Die Maastricht-Kriterien haben Schröder und Eichel 2003 aufgeweicht, weil ihnen Schulden machen zu können wichtiger war als die Euro-Stabilität. Das war Sündenfall Nummer zwei. Deshalb ärgert mich die Haltet-den-Dieb-Debatte, die wir an dieser Stelle führen. Sie tragen hier Verantwortung, und ich sage Ihnen ganz offen, auch wenn ich unschuldig bin: Ich schäme mich für eine solche deutsche Politik, für diesen gigantischen Wortbruch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Deutsche Mark im Vertrauen auf den Waigel’schen Stabilitätspakt hergegeben haben, den Sie - Sie! - gebrochen haben. ({1}) Was wir heute erleben, was unseren Aufschwung - ich sage das ganz explizit - gefährden kann, ist der Fluch Ihrer bösen Tat. Sie und die Medien hängen uns bei der Gelegenheit gleich einmal das Etikett „schlechteste Bundesregierung“ um, weil wir uns in der Tat schwertun, obwohl wir sehr darum ringen, den Scherbenhaufen zu beseitigen, den Sie angerichtet haben. Ich sage Ihnen ganz offen: Was Sie da machen, ist Hohn. Aber ich will nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen. Wir alle müssen unsere Lehren aus dem ziehen, was gerade passiert. Als CSU-Politiker sage ich an dieser Stelle ganz bewusst: Es muss Schluss sein damit, erst ökonomisch sinnvolle Kriterien zu entwickeln und uns über Kataloge und Auflagen zu einigen, aber dann, wenn es zum Schwur kommt, diese Kriterien mit dem Verweis auf das angeblich Hehre, Große, Ganze, Europäische auf die Seite zu schieben. Mancher EU-Beitritt, der erfolgt ist, und mancher, der noch von Ihnen gestützt wird - Stichwort „Türkei“ -, ist ein Beispiel dafür. Europapolitik muss mit dem Betrachten der Realität beginnen. Europapathos am falschen Platz verstellt den Blick, meine Damen und Herren. Das gilt meiner Ansicht nach auch für die anstehenden Entscheidungen, die man in allen Punkten doch wohl mit dem Begriff „Dilemma“ überschreiben kann und bei denen wir immer die Wahl zwischen Pest und Cholera haben. Dass man sich daher mit der Entscheidung nicht ganz leicht tut, müsste doch nachvollziehbar sein. Meine Damen und Herren, für mich ist aber auch ganz besonders wichtig, dass Europapolitik demokratischer werden muss. Dies geht aus meiner Sicht nur durch eine Rückbindung der Brüsseler Entscheidungen an die Entscheidungen der nationalen Parlamente. Ich finde es schon einigermaßen ungewöhnlich, ja beschämend, dass uns das Bundesverfassungsgericht immer und immer wieder an unsere Rechte und Pflichten als Volksvertreter erinnern muss. Es muss doch unsere vornehmste Aufgabe sein, hier dafür Sorge zu tragen, dass der Bundestag mit im Boot ist und mitentscheidet. Das ist ganz wichtig - nicht nur bei der Euro-Thematik, sondern auch bei allem anderen, was europapolitisch in Zukunft entschieden wird. Ich stehe als CSU-Politiker selbstverständlich für das Konzept eines Europas der Regionen. Wer die schwierige Situation jetzt missbrauchen will, um seine Vision eines europäischen Bundesstaates zu realisieren, kann mit unserer, kann mit meiner Unterstützung jedenfalls nicht rechnen. In der Tat braucht die EU Mittel und Wege - Kompetenzen, wenn Sie so wollen -, um Schuldenstaaten zum Konsolidieren zu zwingen. Dafür darf man aber andere nicht in Sippenhaft nehmen. Subsidiarität steht für uns neben Solidarität. ({2}) - Das eine muss dem anderen nicht widersprechen. Wir verfolgen durchaus eine Linie in diesem Punkt. Als Wirtschaftspolitiker steht für mich fest, dass wir bei all dem, was wir in den nächsten Wochen entscheiden müssen, darauf achten müssen, die Disziplinierung durch die Kapitalmärkte nicht komplett außer Kraft zu setzen. Einen Alkoholiker kann man nicht mit Alkohol therapieren. Das heißt, ein Land, das nicht spart, darf nicht durch vollständige Haftungsübernahmen und da14592 raus resultierend niedrige Zinsen zum Schuldenmachen animiert werden. Deshalb lehnen wir Ihre Euro-Bonds ab. Das heißt außerdem: Ein Investor, der hohe Renditen bekommt, darf nicht am Ende das extra verzinste Risiko an den Steuerzahler delegieren können. Hier müssen wir meines Erachtens noch Ideen entwickeln und auch manche Bankerdrohung hinterfragen: Cui bono? Wem nutzt das? Es muss jedenfalls unser Ziel sein, das im MaastrichtVertrag vereinbarte Verbot der Schuldenübernahme für andere Staaten nicht dauerhaft zu schwächen. Das war auch ein wohlüberlegtes Prinzip, dessen Festlegung sinnvoll war. Deshalb kann man es nicht einfach vom Tisch wischen. Ein ausgeglichener Haushalt, wie ihn die CSU in Bayern realisiert hat, ist wirtschafts- und finanzpolitisch unabdingbar, und auch die Schuldenbremse ist in diesem Land etwas sehr Wichtiges. Sie ist eine entscheidende politische Leistung aller Kolleginnen und Kollegen, die sie mitgetragen haben. Die viel zitierten Märkte - das ist, glaube ich, das Spannende daran - trauen uns die Stabilitätsorientierung zu. Die Verzinsung für deutsche Staatsanleihen ist extrem niedrig, die wirtschaftliche Lage trotz aller Bedrohungen noch immer gut. Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit sind auf einem außerordentlich hohen Niveau. Das Glas ist jedenfalls mehr als halb voll. So sollten wir das aus meiner Sicht sehen. Wir Deutschen müssen, glaube ich, aus dem Dauerpessimismus herauskommen. Wir sollten auch aufhören, in Extremen zu denken. Ich nenne ein Beispiel: Kaum hat man eine Krise hinter sich gelassen und die Zahl der Arbeitslosen einigermaßen abgebaut, schon soll der Fachkräftemangel, der angeblich entsteht, nur über Zuwanderung von außerhalb der EU zu lösen sein, und das bei einem EU-weiten Arbeitsmarkt. Die CSU jedenfalls setzt auf Qualifizierung statt auf neue Multikultiexperimente. ({3}) - Das sage ich auch in Richtung FDP. Ein anderes Beispiel: Kaum ist man sich einig, dass Innovationen unabdingbar sind, wird der hohe Anteil von 1,37 Milliarden Euro für die Luft- und Raumfahrt am Haushalt des BMWi kritisiert. Aus bayerischer Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass nur wenige Innovationsthemen unsere Entwicklung so getrieben haben. Ein wenig mehr Fortschritts- und Technologiezuversicht würde dieses großartige Land noch mehr voranbringen. Lassen Sie uns daran arbeiten. Ich glaube, es lohnt sich. Vielen herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Klaus Brandner. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Den Optimismus von Bundeswirtschaftsminister Rösler kann man wohl nur bewundern. Ich kann verstehen, dass Sie, lieber Herr Rösler, lieber vom Aufschwung reden als von der schwankenden Weltwirtschaft. Während zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung von einem „Eisigen Herbst“ spricht, ihn geradezu prophezeit, hat sich für Sie das Konjunkturklima nur leicht abgekühlt. Obwohl selbst die Wirtschaftswoche schreibt, dass es „Ab mit Schwung“ geht, macht der Aufschwung für Sie nur eine kleine Pause. Sie freuen sich weiterhin über das Wachstumswunderland Deutschland. Damit hatten Sie bisher vielleicht auch recht; denn wir sind überraschend gut aus der Krise gekommen. Es konnten umfangreiche Entlassungen vermieden und viele Insolvenzen abgewendet werden. Doch damit eines klar ist: Auch wenn Sie und die FDP den Erfolg für sich beanspruchen - es war die Große Koalition, die gehandelt hat. Es gab kein Hickhack und kein Zickzack. Sie hat das Vertrauen der Menschen in die Politik gestärkt, indem sie schnell und vor allen Dingen klar und richtig gehandelt hat. ({0}) - Sie? ({1}) - Wie gehen Sie mit den Ergebnissen um? Ihre Ergebnisse haben wir gerade gesehen. Herr Lindner, ich würde nicht so hochmütig auftreten. Wir werden in 14 Tagen hier freudige Debatten über Ihr Wahlergebnis haben. Herzlichen Dank. ({2}) Die Große Koalition hat in der Krise Handlungsfähigkeit bewiesen. Sie hat die Bankenrettung vorangetrieben, damit die Mittelständler sichere Kredite bekommen, sie hat die Konjunkturpakete geschnürt, damit Aufträge erteilt werden konnten, und sie hat eine Arbeitsmarktpolitik gestaltet, die auf Arbeitsplatzsicherung und auf Arbeitsplatzerhalt gesetzt hat. Sie profitieren jetzt davon, dass Deutschland so gut aus der Krise gekommen ist. Aber Sie, Herr Minister Rösler, und die FDP haben damit gar nichts zu tun. ({3}) Das will ich hier eindeutig feststellen. Es scheint, als wären Sie gleich auf zwei Augen blind: Damals wollten Sie nicht sehen, was aus der Krise herausführt, und heute wollen Sie nicht sehen, welche Faktoren für eine drohende zweite Krise sprechen. ({4}) Alle außer Ihnen haben die Zahlen auf dem Tisch. Das deutsche Wachstum kam im zweiten Quartal des Jahres mit 0,1 Prozent fast zum Erliegen. Die Wirtschaft in den 17 Euro-Ländern stagniert. In den USA und in Japan sieht es insgesamt auch nicht besser aus. Auch die GfK-Konjunkturerwartungen der deutschen Konsumenten brachen im August ein und erreichten den niedrigsten Stand seit Juni 2010. Die Konjunkturerwartungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung fielen im August auf den tiefsten Stand seit Dezember 2008. Der DAX - wir alle wissen es - ist seit Ende Juli um 30 Prozent gesunken. Wenn Sie, sehr geehrter Herr Rösler, schon nicht auf mich und meine Interpretation hören wollen, so hören Sie wenigstens auf warnende Expertenstimmen, zum Beispiel die des Weltbankpräsidenten Zoellick, der sagt: Für die globale Wirtschaft besteht das Risiko, in diesem Herbst in eine neue Gefahrenzone zu rutschen. KfWChef Schröder sagt: Die Lage ist viel dramatischer als 2008. IWF-Chefin Lagarde sagt: Es droht der Rückfall in die Rezession. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um eine drohende Abwärtsspirale abzuwenden. Sie aber tun so, als sei alles in Butter. Sie tun so, als sei all das nur Oppositionsgeschwätz. ({5}) Als Haushälter jedenfalls kann ich diese Zahlen und Prognosen nicht einfach ignorieren. Man muss als Haushälter und - nach meinem Verständnis - auch als Minister wachsam sein und Vorsorge treffen. Deshalb erwarte ich mehr von Ihnen, sehr geehrter Herr Minister. Sie müssen jetzt endlich liefern. ({6}) Immerhin - das will ich hier klar sagen - waren Sie nicht ganz untätig. Sie haben dem Haushalt des Wirtschaftsministeriums ein neues Gewand gegeben, Sie haben den Haushaltsplan übersichtlicher gestaltet und klarer strukturiert. Er ist transparenter als vorher. Aber eine Verpackung allein bringt noch nichts; auf den Inhalt kommt es an. Da aber ist - das haben die Vorredner schon deutlich gemacht - von Umdenken nichts zu sehen. Wenn Sie sich trotz schwankender Weltwirtschaft allein auf die Exportwirtschaft verlassen, dann muss ich sagen: Das ist ein Standbein zu wenig. Das reicht nicht aus. Obwohl die Nachfrage aus dem Ausland schon fast komplett zusammengebrochen ist, wird der Binnenmarkt nach wie vor von Ihnen total vernachlässigt. Dabei hat der Bundeswirtschaftsminister so viele Stellschrauben. Zum Beispiel könnte man einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn verabschieden. ({7}) - So ist es. - Das wäre ökonomisch vernünftig. Das würde die Nachfrage sichern, und es würde endlich die Würde der Arbeit herstellen. ({8}) Es ist ein Skandal, dass in Deutschland über 1 Million Menschen für weniger als 5 Euro die Stunde arbeiten müssen. Die Schaffung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns wäre eine wichtige und gute Aufgabe. Sinnvoll wäre auch eine breit angelegte Gründungsförderung. Das würde helfen, Menschen in Arbeit zu bringen, neue Arbeit zu schaffen und neue Arbeitsfelder zu erschließen. Die Förderung von Existenzgründungen wird seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, seitdem Schwarz-Gelb regiert, deutlich weniger unterstützt. Es wäre eine wichtige Aufgabe für das Wirtschaftsministerium, sich dieses Themas anzunehmen und dafür zu sorgen, dass auf diesem Gebiet endlich mehr Engagement entfacht wird. Eine gute Aufgabe wäre darüber hinaus, die öffentlichen Vergabeverfahren zugunsten fairer Arbeitsverhältnisse und nicht zugunsten von Lohndumping entscheiden zu lassen. Es kann doch nicht sein, dass der Billigste, der nicht immer der Qualifizierteste ist, als Allererster den Auftrag bekommt. Und es kann auch nicht sein, dass wir einen fairen Wettbewerb einfach ausschließen, in dem der faire Unternehmer, der sich an Regeln hält, am Ende der Dumme ist. Da hätten Sie die Aufgabe, endlich dafür zu sorgen, dass die Nachfrage und damit der Binnenmarkt gestärkt werden. Sie würden einen großen Beitrag zur sozialen Befriedung in diesem Land leisten, wenn Sie endlich diesen Themen nachgehen würden. ({9}) Auch an anderer Stelle, meine Damen und Herren, könnten Sie liefern. Wir alle wissen vom drohenden Fachkräftemangel - auch darauf ist heute schon an mancher Stelle hingewiesen worden -; in manchen Regionen ist er ganz besonders ausgeprägt. Sicherlich wissen wir alle, dass die Beseitigung dieses Mangels eine zentrale Herausforderung ist, für die Sie kein Konzept haben. Sie fördern im Handwerk überbetriebliche Ausbildungszentren. Diese könnten Sie ausbauen. Hier könnten Sie mehr für die Ausbildung tun. Sie könnten insbesondere etwas für die betriebliche Weiterbildung tun. Sie ist in Deutschland nämlich ein Stiefkind, insbesondere in kleinen und mittelständischen Betrieben. Hier hätten Sie Chancen, Zukunftssicherung zu betreiben und eine neue Aufgabe zu übernehmen. Das würde tatsächlich zu längerfristiger und nachhaltiger Beschäftigung führen. Qualifikation ist letztlich das beste Standbein für eine nachhaltige Beschäftigung. Meine Damen und Herren, Sie könnten den Regionen, die wirtschaftliche Nachteile oder Nachholbedarf haben, helfen. Gerade hierzu besteht ein renommiertes Programm, durch das nachweislich Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wird, regionale Investitionen gestärkt und dauerhaft wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden: Ich denke an die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Aber gerade hier kürzen Sie entscheidend. Wir fordern Sie auf, in dieser Angelegenheit umzukehren und dafür zu sorgen, dass gerade diese Felder von Ihnen weiter bedient werden. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, stabil steht man nur auf beiden Beinen. Deshalb: Fördern Sie die Export- und Binnenwirtschaft. Füllen Sie Ihren Haushalt mit mehr Inhalten und Konzepten. Gerade Sie als Wirtschaftsminister und Vizekanzler kann ich nur auffordern: Liefern Sie endlich, damit die deutsche Wirtschaft wieder auf zwei gesunden Beinen stehen kann. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP hat jetzt das Wort der Kollege Florian Toncar. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle mir in dieser Debatte nur einmal einen Moment lang vor, was ein Besucher auf der Besuchertribüne, der nicht aus Deutschland kommt, sondern der hier zu Gast ist, denken mag, wenn er diese Debatte zur Wirtschaftspolitik und zur Wirtschaftslage in Deutschland hört. Ich glaube, er wäre über das Bild, das hier gezeichnet wird, überrascht; denn dieses Bild ist verzerrt, und die großen Erfolge, die wir - zum Teil gemeinsam - erzielt haben, werden völlig vernachlässigt. Wir sollten deutlich machen, dass wir vieles erreicht haben, und kein so tristes Bild der Lage in Deutschland malen. ({0}) Die Wirtschaftslage unterliegt sicherlich großen Herausforderungen, Kollege Brandner. In der Regel spielen dabei externe Herausforderungen eine Rolle, also solche, die wir als nationaler Gesetzgeber nicht allein beeinflussen können. Ich wiederhole: Es ist viel erreicht worden. Das ist nicht nur ein Erfolg der Konjunkturprogramme, die vor mittlerweile zweieinhalb Jahren aufgelegt worden sind. Durch sie ist manches Richtige auf den Weg gebracht worden, beispielsweise die Neuregelung der Kurzarbeit. Man muss es aber differenzierter sehen: Vieles der Konjunkturprogramme, für die Sie 80 Milliarden Euro Schulden gemacht haben, hat Preissteigerungen nach sich gezogen. Letzten Endes ist vieles erst jetzt bezahlt worden. ({1}) Es gab also keine antizyklische Wirkung mehr. Es gibt Dinge aus dem Konjunkturprogramm, die bis heute nicht abbezahlt sind. Was mir aber besonders wichtig ist, ist Folgendes: Ich meine, dass die politische Leistung, in einer Krise 80 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen, was Sie getan haben, und diese 80 Milliarden Euro dann irgendwie zu verteilen, nicht zu überschätzen ist. Das ist etwas, was man, glaube ich, leichter hinkriegt als das, was diese Koalition vor sich hat. Diese Koalition muss nicht 80 Milliarden Euro verteilen, sondern diese Koalition muss in vier Jahren 80 Milliarden Euro einsparen. Das ist eine ganz andere politische Herausforderung. Da sind wir auf einem ganz ausgezeichneten Weg. ({2}) Die Haushaltskonsolidierung schreitet im Rekordtempo voran. Wir sind, ausgehend von 86 Milliarden Euro, wie es Ihr Vorschlag 2010 vorsah, mittlerweile bei einem Haushaltsentwurf, der, vorsichtig gerechnet, mit 27 Milliarden Euro Neuverschuldung auskommt. Das ist eine Reduzierung von über 70 Prozent in lediglich zwei Jahren. Wir haben als Koalition den festen Vorsatz, dass wir im Bund das Ende der Neuverschuldung erreichen, noch bevor die Schuldenbremse im Grundgesetz das von uns verlangt, also noch vor 2016; denn wir wollen stabile Staatsfinanzen. Auf dem Weg sind wir schon weit vorangekommen. ({3}) Wenn ich das mit dem vergleiche, was dort passiert, wo Sie regieren, dann kann ich nur sagen, das ist eine komplett andere Richtung. ({4}) Da kann man, glaube ich, auch sehr deutlich sehen, wie die Alternativen in Deutschland aussehen. ({5}) Sie haben in Nordrhein-Westfalen einen verfassungswidrigen Haushalt vorgelegt. Aber noch interessanter finde ich das, was in Baden-Württemberg passiert. Dort hat der Staat dieses Jahr unerwartet 1,1 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen bekommen, und die Regierung hat entschieden, davon über 800 Millionen Euro zusätzlich auszugeben. Die Regierung in Baden-Württemberg könnte dieses Jahr ohne die Aufnahme neuer Schulden auskommen. Aber der Ministerpräsident, ein grüner Ministerpräsident, sagt: Das schaffen wir erst 2020. Ich glaube, deutlicher als mit dem Vergleich zwischen dem, was in den Ländern geschieht, in denen Sie regieren, und dem, was wir hier im Bund machen, kann man nicht aufzeigen, dass wir ganz unterschiedliche Vorstellungen von guter Wirtschaftspolitik haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Toncar, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil zulassen?

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Zwischenfrage.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne später, wenn dann noch Zeit ist. Aber ich möchte das jetzt im Zusammenhang vortragen. Ich möchte auf das eingehen, was jetzt vor uns liegt. Wir müssen den Haushalt konsolidieren, und wir schaffen das, ohne dass das Wirtschaftswachstum kostet. Wir schaffen das deshalb, weil wir auch im Haushalt des Wirtschaftsministeriums die richtigen Schwerpunkte setzen. Wir als Koalition geben trotz Sparkurs und trotz Reduzierung der Verschuldung in vier Jahren 12 Milliarden Euro extra für Bildung und Forschung aus. Vorgesehen sind dieses Jahr allein 330 Millionen Euro zusätzlich für Zukunftstechnologien im Bereich des Wirtschaftsministeriums. Wir schichten Subventionen um. Es werden Subventionen abgebaut. Ineffiziente Förderprogramme werden deutlich reduziert, und stattdessen wird in die Technologien der Zukunft investiert. Natürlich tun wir auch etwas für die Binnennachfrage. Es ist ja gerade der Vorsatz der Koalition, dadurch, dass kleinere und mittlere Einkommen entlastet werden und dass wir auch bei den Lohnzusatzkosten zu einer Absenkung kommen, die Kaufkraft zu stärken. Dabei geht es um die Einkommensgruppen, die ihr Geld in der Regel auch ausgeben. So fördert man Binnennachfrage und nicht mit irgendwelchen eher fragwürdigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. ({0}) Ich will natürlich auch etwas zum Thema stabiler Euro sagen; denn das ist das große wirtschaftspolitische Thema dieser Zeit. Zum einen finde ich es bemerkenswert, wer da wieder glaubt, diese Koalition belehren zu können. Das sind mit Herrn Steinmeier, Herrn Trittin und vielen anderen die Leute, die verantwortlich dafür sind, dass Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen wurde, ({1}) die verantwortlich dafür sind, dass der Stabilitätspakt faktisch ausgehebelt worden ist, und die zu ihrer Regierungszeit Verantwortung dafür getragen haben, dass die Statistiker aus Europa nicht nachrechnen dürfen, ob Mitgliedstaaten wirklich so viele Schulden machen, wie sie angeben, oder ob es nicht deutlich mehr sind. Von diesen Leuten lassen wir uns heute nicht sagen, wie man den Euro zu stabilisieren hat. Sie sollen einmal an ihre eigene Verantwortung denken. ({2}) Ich habe in dieser Debatte gehört, der Bundeswirtschaftsminister wäre hier bei der Euro-Diskussion in letzter Zeit nicht dabei gewesen. Ich kann nur sagen: Wer das behauptet, der muss einen verlängerten Sommerurlaub von ungefähr acht Wochen hinter sich haben; der hat offenbar etwas verpasst. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was hat er denn durchgesetzt? Denn es ist sehr wohl so gewesen, dass der Bundeswirtschaftsminister eine ganze Reihe von Beiträgen geleistet hat. ({3}) Wir haben erreicht, dass es erstmals Gläubigerbeteiligung gibt. Wenn wir das gemacht hätten, was Sie wollten, wenn wir also frühzeitig Geld ins Schaufenster gestellt hätten, ({4}) frühzeitig Zusagen gemacht hätten, dann hätte doch niemand gesagt: Nun lasst uns doch die Gläubigerbeteiligung einführen. - Es war richtig, dass diese Bundesregierung dafür gekämpft hat, dass Gläubiger auch einen Beitrag leisten müssen, und zwar bevor wir weitere Steuergelder in Aussicht stellen. ({5}) Wir haben darüber hinaus mittlerweile erreicht, dass immer mehr europäische Staaten sich zu Schuldenbremsen bekennen. Das sind Ergebnisse, die vor einem halben Jahr noch völlig undenkbar gewesen wären. Es lohnt sich eben durchaus, nicht sofort Zugeständnisse zu machen, nicht sofort zu sagen, es gibt Geld, sondern zunächst einmal ganz konkrete belastbare Gegenleistungen einzufordern. ({6}) Der Kurs dieser Bundesregierung in der Euro-Politik war, wie ich glaube, richtig und dient der Stabilität unserer Währungsunion. ({7}) Im Übrigen möchte ich auch sagen: Der Bundeswirtschaftsminister hat sich überlegt, wie man es erreichen kann, dass mehr deutsche und auch europäische Unternehmen in Griechenland investieren. ({8}) Ohne diesen Aspekt wird man das Problem am Ende nicht an der Wurzel packen können. Ich glaube, er war einer der Ersten in Europa, die das Thema überhaupt einmal von dieser Seite angepackt haben. ({9}) Wir müssen natürlich diesen Weg weitergehen. Auch bei den Griechen müssen noch einige Voraussetzungen er14596 füllt werden, beispielsweise in den Bereichen Bürokratie und Rechtssicherheit. Es ist aber unverzichtbar, dass wir unsere und die europäische Wirtschaft dazu bringen, sich auch in Griechenland zu engagieren. ({10}) Deshalb war das eine richtige Initiative. ({11}) Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, auf den auch der Kollege Kuhn eingegangen ist, nämlich das Thema Energieeffizienz. Ich glaube in der Tat, Energieeffizienz ist eine Voraussetzung dafür, dass wir weiter vorankommen und die Energiewende funktionieren kann. Ich möchte aber auch daran erinnern, Herr Kollege Kuhn, dass zurzeit ein Gesetzentwurf im Bundesrat liegt, ({12}) der das Thema Energieeffizienz zum Inhalt hat. In diesem Gesetzentwurf geht es darum, die energetische Gebäudesanierung steuerlich zu fördern. Ich möchte Sie einfach fragen, ob es eigentlich im Sinne der Wähler in Baden-Württemberg gewesen ist, dass Ihre Landesregierung hierzu gesagt hat: Wir machen da nicht mit. ({13}) Ich persönlich bin der Meinung, dass die Energiewende eine gesamtstaatliche Aufgabe ist und alle Ebenen betrifft. Daher müssen sich selbstverständlich auch die Länder anteilsmäßig finanziell engagieren. Deswegen empfinde ich die Verzögerung, die da jetzt entstanden ist, als völlig unnötig, als kontraproduktiv, und sie ist sicher auch nicht im Sinne der Wähler in Baden-Württemberg. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie zum Schluss.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen, da ich neu die Hauptberichterstattung für diesen Einzelplan übernommen habe und auch mehrere Kollegen neu dabei sind. Ich möchte betonen, dass wir gemeinsam mit dem Ministerium gute Beratungen hinbekommen können und wir die Ideen, die noch da sind, sicherlich so in den Haushalt einarbeiten können, dass der Haushalt dadurch noch besser wird. Ich hoffe, dass das kollegial ablaufen wird; eigentlich bin ich sogar überzeugt, dass es klappt. Ich wünsche uns allen gute, konstruktive Haushaltsberatungen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Schlecht von der Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Rösler, ich bin es ja von Ihrem Vorgänger gewohnt, dass hier immer relativ fröhlich der Aufschwung und die wirtschaftliche Lage umschrieben wird. So sprach er ja gerne vom XXL-Aufschwung. Dass Sie aber in diesem Tenor weitermachen, finde ich angesichts einer Situation, in der wirklich die Krisenhaftigkeit oder zumindest das Risiko einer nächsten Krise auch hier in Deutschland geradezu mit den Händen zu greifen ist, schon abenteuerlich. Ebenso abenteuerlich ist es, wenn man übersieht, dass sich nach wie vor der Finanzsektor, der ja am Ende für die Durchfinanzierung der Realwirtschaft verantwortlich ist, in einer hoch krisenhaften Situation befindet, wenn man nicht zur Kenntnis nimmt - ansonsten stoßen die Meinungen dieser Leute ja bei Ihnen immer auf offene Ohren -, dass Herr Ackermann Ende letzter bzw. Anfang dieser Woche erklärt hat, dass man sich an eine Situation wie im Jahre 2008 erinnert fühlt, oder der Chef der KfW, Schröder - das ist ja schon erwähnt worden -, die Einschätzung vertritt, dass das Risiko höher ist als im Jahr 2008, weil mittlerweile die Staaten als Retter nicht mehr zur Verfügung stehen, und wenn man nicht zur Kenntnis nimmt, dass die neue Präsidentin des Internationalen Währungsfonds, Lagarde, es als großen Risikofaktor benennt, dass die Banken in Europa um mindestens 200 Milliarden Euro unterfinanziert sind. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ein Wirtschaftsminister, der diese Risiken nicht zur Kenntnis nimmt und während der Aussprache hier nicht thematisiert, ist für mich ein Risiko für dieses Land. Wenn man diese Gefahren nicht sieht, besteht nämlich die Gefahr, dass man darauf nicht reagiert. Jetzt müsste man die Regulierung des Finanzsektors - das ist ja in den letzten Jahren immer wieder verlautbart worden - wirklich nachholen. Aus unserer Sicht müsste man sogar den ganzen Finanzsektor und damit auch die Banken an die Kette legen. Wir teilen die Auffassung von Ackermann, der vor kurzem selbst formuliert hat, dass er unsicher ist, ob die Banken die Daseinsvorsorge vernünftig organisieren. In der Tat müssen wir dafür sorgen, dass das geschieht. Das ist am ehesten möglich, wenn die Banken unter öffentliche Kontrolle gebracht werden. Die ganzen unnützen Geschäfte, die mit dem Begriff „Kasinogeschäfte“ umschrieben werden, müssen beendet werden, und alle Banken in Deutschland müssen so organisiert werden, wie bereits die Sparkassen organisiert sind. Die Sparkassen sind bekanntlich in öffentlicher Hand und immer die Stützpfeiler der Realwirtschaft gewesen. Für diese Organisation sind wir. ({0}) Wenn man sich die realwirtschaftliche Seite, die Verteilungsseite, anschaut, stellt man fest, dass Ihr Blick auf die Realität vollkommen blauäugig ist. Denn der bereits auslaufende Aufschwung war ein Aufschwung, der bei der breiten Masse der Bevölkerung nie angekommen ist. Die Unternehmensgewinne sind in den letzten zehn Jahren, so auch zuletzt, massiv angestiegen; seit 2000 waren es, preisbereinigt, 35 Prozent. Bei den abhängig Beschäftigten haben wir - die Zahl ist schon häufig genannt worden - eine Reallohneinbuße von 4,5 Prozent zu verzeichnen. Das heißt, die Unternehmen haben in den letzten zehn Jahren ihre Gewinne um mehr als ein Drittel steigern können, und die abhängig Beschäftigten müssen heute mit weniger auskommen, und das in einem reichen Land, in dem mit immer höherer Produktivität gearbeitet wird. Das bringt die Ungerechtigkeit auf den Punkt; es ist ein Skandal. ({1}) - Hören Sie zu, ich erkläre Ihnen ja noch etwas! Ein besonderer Skandal ist darüber hinaus, dass die Lohnkürzungen bei den 40 Prozent der Beschäftigten in diesem Lande, die ohnehin am wenigsten verdienen, in den letzten zehn Jahren am massivsten waren. Sie haben Lohnkürzungen in Höhe von 10, 20 und zum Teil mehr Prozent aufoktroyiert bekommen. Es ist wirklich ein riesiger Skandal, wenn diejenigen, denen es am schlechtesten geht, am stärksten zur Kasse gebeten werden. ({2}) Die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, in unserem Land ist beständig gesunken. Anders ausgedrückt, damit das einmal ganz deutlich wird: Wäre der Anteil der Beschäftigten am Volkseinkommen seit 2000 gleich groß geblieben, dann hätten die abhängig Beschäftigten in Deutschland in diesen zehn Jahren 1 000 Milliarden Euro, also 1 Billion Euro, mehr bekommen müssen. Das ist in Euro ausgedrückt der Preis, der hinter dem Lohndumping der letzten zehn Jahre steckt. Es ist ein Skandal, dass die Beschäftigten so schamlos enteignet worden sind; denn das ist es, was in unserem Land passiert ist. Für diese Politik war natürlich nicht nur die jetzige Regierung verantwortlich, sondern das waren alle Regierungen der vergangenen zehn Jahre. Diese Politik wurde von SPD und Grünen eingeleitet mit der Agenda 2010 mit Befristung, Leiharbeit und den Hartz-IV-Gesetzen, und sie wurde immer von dem Applaus von CDU/CSU und FDP begleitet und weiter fortgesetzt - bis heute. Diejenigen, die unter dieser Politik leiden, müssen wissen, dass diese vier Fraktionen dafür verantwortlich sind. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass die Menschen kein Geld in die Geschäfte tragen und dass sich deshalb der Konsum so schlecht entwickelt. ({3}) Grund ist nicht ein vermeintlicher Käuferstreik. Die Rede vom Käuferstreik ist mehr als zynisch. Sagen Sie das einmal jemandem, der vielleicht nur 1 000, 1 100 oder 1 200 Euro verdient! Diese Leute haben keine Sparquote oder eher eine negative. Die aktuelle Situation ist klar: Die Konjunktur ist bereits am Wegknicken. Alle Frühindikatoren stehen auf rot. Im zweiten Quartal wuchs die Wirtschaft nur um 0,1 Prozent. So ist es offiziell verkündet worden. Schaut man genau hin, stellt man fest, dass sie im zweiten Quartal bereits gesunken ist. Denn ein ganz erheblicher Teil dieses sogenannten Wirtschaftswachstums ging auf den Lageraufbau zurück. Entscheidend für diese Entwicklung ist auch, dass der private Konsum bereits im Minus ist. Das hat sehr viel mit dem Lohndumping zu tun. Deswegen wäre es notwendig - quasi als ein Konjunkturprogramm -, als Sofortmaßnahme zumindest einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro aufzulegen. ({4}) Das zweite große Problem ist aber, dass das Auslandsgeschäft schon längst wegbricht. Das ist natürlich kein Wunder angesichts der Tatsache, dass diese Regierung gerade angetreten ist, in Europa ein massives Sozialkürzungsprogramm aufzulegen. Auf Initiative Deutschlands sind EU-weit Kürzungsprogramme in einem Umfang von 400 Milliarden Euro aufgelegt worden. Da mit der Umsetzung bereits begonnen worden ist, ist es kein Wunder, dass sozusagen die Kunden der deutschen Wirtschaft immer weniger Geld haben, um in Deutschland einzukaufen. Die deutsche Regierung hat dadurch selbst einen Beitrag dazu geleistet, dem Export - einer wichtigen Stütze - die Füße wegzuhauen, gleichzeitig aber nicht die Binnennachfrage so zu stärken, wie es notwendig wäre. Denn nach wie vor gelten in Deutschland Gesetze, die es fast verunmöglichen, gegen Lohndumping anzukommen. Diese Tendenzen müssten umgekehrt werden. Wir bräuchten im Grunde eine Rückabwicklung der gesamten Agenda 2010: Befristungen müssten weg, die Leiharbeit müsste weg, gewerkschaftliche Rechte müssten gestärkt werden und zu guter Letzt - ich betone es noch einmal, weil es eine Sofortmaßnahme ist, die schnell umzusetzen wäre -: die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro. Mit 10 Euro würde nicht nur den Menschen in diesem Lande geholfen; die 10 Euro wären auch ein Beitrag für Europa insgesamt. Das würde Europa voranbringen. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ein neuer Abgeordneter; Sie, Herr Rösler, sind ein neuer Minister. Ich muss Ihnen in meiner ju14598 gendlichen Naivität gestehen: Ich hätte von Ihnen einen Haushaltsentwurf mit neuen Schwerpunkten erwartet. ({0}) Sie schreiben selbst in den Erläuterungen zum Etat: „Der Wirtschaftsetat präsentiert sich in einem neuen Gewand“. Ja, das ist richtig, der Wirtschaftsplan wurde neu strukturiert. Sie haben vier neue Oberkapitel gebildet. Und was haben Sie dann getan? Sie haben die bisherigen Förderprogramme einfach nur in diese vier neuen Oberkapitel einsortiert. ({1}) Ist das die neue Strategie Ihres Ministeriums? Es ist kein Gewand, das wir hier vor uns haben, sondern ein Umhang. Und wenn man diesen Umhang lüftet, dann findet man dahinter nur die alten Klamotten von gestern und vorgestern. ({2}) Die Regierung hat die Notwendigkeit einer Klimawende inzwischen akzeptiert. In Ihrem Ressort, Herr Rösler, liegt die Zuständigkeit für die Haupt-CO2-Emittenten. Gerade dann aber, wenn es diese Regierung mit der Klimawende ernst meint, braucht die deutsche Wirtschaft neue Impulse, um auf dem internationalen Markt und auch in Deutschland zukunftsfähig zu bleiben. Wir brauchen neue Technologien rund um den Klimaschutz. 12 Prozent aller Emissionen werden von Industrie und verarbeitendem Gewerbe verursacht. Dabei werden zwei Drittel des Stroms durch ineffektive Pumpen, Antriebe und Anlagen verschleudert. Die Potenziale für Energieeffizienz und Energieeinsparung sind also enorm. Dafür aber braucht es erstens Beratung, zweitens neue Technologien und drittens auch neue Verfahren. Hier könnten Sie Anreize schaffen. Schaut man aber in den Wirtschaftsplan, stellt man fest, dass Sie in diesem Bereich nichts getan haben. Ist das Ihre neue Effizienz? ({3}) Wir brauchen Effizienz nicht nur im Energiebereich. Auch angesichts knapper werdender Rohstoffe und steigender Welthandelspreise ist der Blick auf einen schonenden und effizienten Einsatz in diesem Bereich dringend notwendig. Aber offen gestanden: Sie scheinen auf diesem Auge ganz blind zu sein, wie ein Blick in den Etat zeigt - nicht einmal Ihre eigene Rohstoffstrategie setzen Sie im Etatentwurf irgendwie um. Es gilt, Schlüsseltechnologien voranzubringen. Es geht um Recycling und Stoffkreisläufe; es geht aber auch um den Einsatz alternativer Rohstoffe. Hierzu braucht man Grundlagenforschung, Förderung von Pilotanlagen und natürlich auch neue Finanzierungsinstrumente; hierzu absolute Fehlanzeige im Wirtschaftsministerium. ({4}) Anstatt Innovationen voranzubringen und in die Zukunft zu blicken, fördern Sie die Beteiligung deutscher Unternehmen an Minen im Ausland. Wenn das Ihre neue Rohstoffstrategie ist, dann gute Nacht! ({5}) Wenn wir beim Thema „Gute Nacht“ sind, will ich zum Schluss auf ein weiteres Kapitel in Ihrem Etat eingehen. Leider trägt es den Titel eines Kinderbuchs: Peterchens Mondfahrt. In die Luft- und Raumfahrt investieren Sie 1,3 Milliarden Euro. Das sind rund 20 Prozent des gesamten Etats; das sind 200 Millionen Euro mehr als im Vorjahr; und das in Zeiten knapper Kassen. ({6}) Herr Rösler, ich weiß nicht, warum Sie gerade diesen Schwerpunkt setzen. ({7}) Aber wenn dies, Herr Minister, Ihre Brot-und-ButterThemen sind, wenn Sie sprichwörtlich hinter den Mond wollen, dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Steigen Sie doch gleich mit ein in die Raumrakete. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Joachim Pfeiffer für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Haushalt, heute Morgen auch über den Euro. Insofern ist es sinnvoll, die Bedeutung des Euro für unsere Wirtschaft und den Haushalt herauszustellen. Der Euro hat herausragende Bedeutung für Deutschland. Gerade auch in diesem Jahr, trotz der Krise in Europa, würden wir ohne den Euro deutlich schlechter dastehen, als wir es tun. Der Euro ist stabiler, als es die D-Mark je war: Seit der Einführung des Euro lag die Inflation im Durchschnitt bei 1,6 Prozent; zur Zeit der D-Mark waren es 2,6 Prozent. Das sind die Fakten; ich nenne sie all denen in Deutschland, die das durchaus infrage stellen. Fakt ist weiterhin, dass die EZB in Zeiten eines Aufschwungs in Deutschland, wie wir ihn in diesem Jahr haben, ihren Zinssatz natürlich nicht nur an Deutschland, sondern an ganz Europa orientiert. Deshalb können sich unsere Unternehmen - vom Handwerker bis zum Großunternehmen - in diesem Jahr, also im Aufschwung, mit Krediten zu so guten und günstigen Zinsen versorgen, wie sie es in den letzten Jahrzehnten im Aufschwung sonst nie konnten. Dies gilt auch für jeden Häuslebauer, der günstigere Zinsen erhält, als er sonst erhalten würde. Es gilt auch für den Staat, egal ob Gemeinde oder Bund; denn wir müssen für unsere Schulden - auch wir sind nicht frei von Schuld, geschweige denn von Schulden weniger Zinsen zahlen, als wir es sonst tun müssten. Der Euro bringt unserer Volkswirtschaft darüber hinaus beispielsweise rund 10 Milliarden Euro weniger Absicherungskosten im Export. Gerade dieser Tage hat die KfW festgestellt: Allein in den letzten zwei Jahren hat der Euro uns in Deutschland 50 bis 60 Milliarden Euro zusätzlichen Wohlstandsgewinn gebracht; das wäre nicht der Fall, wenn wir nicht den Euro, sondern noch die D-Mark hätten. Damit entfiel im letzten Jahr - auch das wurde ausgerechnet - ein Wirtschaftswachstum von 1 bis 1,25 Prozent auf den Euro; das ist ein Drittel des gesamten Wirtschaftswachstums, das wir im letzten Jahr in Deutschland hatten. So weit, so gut. Dennoch ist natürlich nicht alles wunderbar; wir können nicht sagen: „Weiter so!“ Der Euro ist, was die Stabilität und die Inflation anbelangt, eine Erfolgsgeschichte. Heute stellt niemand in Europa mehr die Bedeutung einer geringen Inflation infrage. Das war vor 20 oder 30 Jahren anders. Es ist heute Morgen angesprochen worden, dass es deutsche Kanzler gab, die gesagt haben: „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“ Im Ergebnis hatten sie dann beides. Die Kultur einer geringen Inflation, die in Deutschland entwickelt wurde, ist heute in Europa akzeptiert. Nun müssen wir bei der Verschuldung zu einer ähnlichen Entwicklung kommen; da hege ich Hoffnung. Man kann entweder sagen, dass das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich bin Optimist und sage: Das Glas ist halb voll. Ich hoffe, dass die jetzige schwierige Situation, die wir in Europa haben, in den Volkswirtschaften, in der Politik und bei den Bürgern zu der Einsicht führt, dass es nicht mehr geht, dauerhaft über seine Verhältnisse zu leben. Vielmehr sind das Konsolidieren der Haushalte, das Sparen, und die gleichzeitige Bereitstellung wettbewerbsfähiger Produkte und Dienstleistungen der richtige Weg. ({0}) Wenn dies gelingt, dann kann in fünf oder zehn Jahren in der Tat nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa besser dastehen, als dies heute der Fall ist. Ganz Europa kann dann so dastehen, wie Deutschland es heute tut. Wir sind besser aus der Krise herausgekommen, als wir in die Krise hineingegangen sind. Das war immer unser Motto, das hat gestern auch die Frau Bundeskanzlerin angesprochen. Europa hat dann die Chance, insgesamt besser aus der Krise herauszukommen. Dass dies nicht vom Himmel fällt, wie es hier zum Teil nach dem Motto dargestellt worden ist, das sei ein Selbstläufer und selbstverständlich, sieht man, wenn man in die anderen europäischen Länder blickt. Gehen Sie doch einmal nach Portugal, nach Spanien oder auch nach Großbritannien, nach Italien oder nach Estland. Dort wurden in den letzten zwei Jahren zum Beispiel die Gehälter im öffentlichen Dienst um 10 bis 30 Prozent gekürzt. Wir leben in Deutschland auf einer Insel der Glückseligen; dies ist aber kein Zufall, sondern das Ergebnis einer klugen Politik, die wir in der Krise und auch jetzt betrieben haben. ({1}) Das Ergebnis dieser klugen Politik führt heute dazu, dass man unserer Politik nicht deshalb folgt, weil wir schöne blaue Augen haben und weil uns in Europa alle so gern haben, sondern weil man sieht, dass die Politik, die wir in Deutschland gemacht haben, die einzige ist, die in die richtige Richtung führt. Deswegen wird diese Politik in den anderen europäischen Ländern zunehmend übernommen. ({2}) Damit sind wir beim Haushalt. Herr Heil, letztes Jahr haben auch Sie uns noch dafür kritisiert, dass wir für 2010 bis 2014 ein Sparpaket in Höhe von 80 Milliarden Euro geschnürt haben. Sie haben gesagt: Die Konjunktur würde abgewürgt, man müsste das Gegenteil machen, man müsste Konjunkturprogramme auflegen, um die Wirtschaft entsprechend anzuregen, man würde das zarte Pflänzchen des Aufschwungs gleich wieder ersticken. Das war die Kritik, die hier letztes Jahr an unserem Haushalt vorgebracht wurde. Was ist das Ergebnis? Wir hatten im letzten Jahr den größten Aufschwung seit der Wiedervereinigung. Gleichzeitig haben wir die Haushaltskonsolidierung wieder auf den richtigen Weg gebracht. Hier ist immer noch viel zu tun, aber wir werden das schaffen. Die Entwicklung ist weitaus besser als erwartet. In Europa liegen wir mit unserem Defizit von 1,5 Prozent an der Spitze. Vielleicht wird es sogar etwas geringer sein. Wir werden es in diesem Jahr als einzige Volkswirtschaft innerhalb Europas wahrscheinlich sogar schaffen, dass der Anteil der Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt zurückgeht, und zwar von 84 Prozent in Richtung 80 Prozent. Das heißt, wir sind bereits in diesem Jahr dorthin unterwegs, wohin wir in Europa insgesamt wollen. Meine Damen und Herren, das ist kein Zufall, sondern das ist das Ergebnis einer klugen Politik der Konsolidierung auf der einen Seite und einer Politik der Wachstums- und Wettbewerbsorientierung auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Finanzmarkt und auf dem Gütermarkt auf der anderen Seite. ({3}) Der Kollege Heil hat vorhin den Arbeitsmarkt angesprochen und beklagt, was in diesem Bereich alles gekürzt würde. Tatsache ist, dass wir heute über 41 Millionen Menschen in Arbeit haben. Das sind so viele wie noch nie. Wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose, und wir haben die Jugendarbeitslosigkeit halbiert. ({4}) Es ist daher doch klar, dass wir nicht mehr alle Institutionen und Instrumente brauchen, um diese Arbeitslosigkeit zu verwalten und zu betreuen. Selbstverständlich muss auch dort gekürzt werden. Im Übrigen wollen wir, dass dieser Bereich flexibler wird. Wir wollen den Arbeitslosen, den Arbeitswilligen und den Arbeitsuchenden unterstützen, indem die Bundesagentur vor Ort gestärkt wird und sie ihre Mittel und Instrumente flexibler einsetzen kann. ({5}) Wir wollen nicht das, was Sie wollen, nämlich jeden Träger und jede Institution erhalten, die bisher durchaus an der Verwaltung der Arbeitslosigkeit verdient haben. Das ist Klientelpolitik, die wir nicht mitmachen werden. ({6}) Wir werden vielmehr die Instrumentarien am Arbeitsmarkt entsprechend entrümpeln. ({7}) Wir werden auch im Bereich des Finanzmarkts weiterarbeiten. Einiges wurde erreicht. Es wird so getan, als wäre nichts passiert. Die Regulierung an den Finanzmärkten haben wir in Angriff genommen. Es gab deutsche Alleingänge, die kritisiert wurden, zum Beispiel das Verbot ({8}) ungedeckter Leerverkäufe und anderes mehr. Es gibt in Europa und auf der Welt noch viel zu tun, aber wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. ({9}) Was wir auf nationaler Ebene tun konnten, haben wir getan. ({10}) Zum Thema Gütermarkt. Es nützt nichts, zu sagen: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir müssen weiter aktiv werden, und wir sind aktiv. Die Änderung des Telekommunikationsgesetzes, die vom Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagen wurde und dessen Umsetzung sich in der Diskussion befindet, sorgt dafür, dass Deutschland im Bereich Breitbandausbau weiter an der Spitze bleibt und wir diese wichtige Infrastruktur in Deutschland so etablieren, dass weiteres Wachstum möglich ist. ({11}) Auch in anderen Sektoren, beispielsweise bei der Post und im Eisenbahnbereich, werden wir wettbewerbsorientierte Regulierungen einführen. ({12}) Zum Bereich Forschung und Technologie. Es ist hanebüchen, dass hier die Förderung von Luft- und Raumfahrt kritisiert wird. ({13}) Gerade diese Sektoren sind wichtig für die Zukunft. Schauen Sie sich doch einmal an, wo das Wachstum auf internationaler Ebene stattfindet. Wo haben wir die Technologien? Nehmen wir unsere Luft- und Raumfahrtindustrie. Was wären wir denn heute ohne Airbus oder EADS? ({14}) Wo würden wir stehen? Diese Bereiche sind mit Steuergeldern aufgebaut worden. Deshalb werden wir auch Lösungen finden, ({15}) die den Erfolg im europäischen Verbund dauerhaft sichern und zukunftsträchtige Entwicklungen ermöglichen. ({16}) - Wir werden Lösungen für die EADS finden, aber nicht auf dem offenen Markt. Wir werden die Technologie in Europa entsprechend sichern. ({17}) - Es geht nicht um Subventionen. ({18}) Wir werden Schwerpunkte in den Wachstumsbereichen Mittelstand, Energie und Nachhaltigkeit, Chancen der Globalisierung, Innovationen, Technologie, neue Mobilität und Nanotechnologie setzen. Wir wollen im Bereich Technologie nach vorne kommen. Wir werden den Mittelstand entsprechend nach vorne bringen. Dann können wir das Wachstum, das wir haben, stabilisieren und für die Zukunft fortschreiben und damit die Verschuldung weiter reduzieren. Deutschland ist auf dem richtigen Weg, ein Vorbild für Europa zu werden. Es gilt, entsprechend Kurs zu halten und Vollgas zu geben. Einer europäischen Lösung für Konsolidierung und Wachstum steht nichts mehr im Wege, wenn wir in Deutschland den eingeschlagenen Weg konsequent umsetzen. In diesem Sinne: Vielen Dank. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Garrelt Duin für die SPD-Fraktion. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ({0})

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rösler, ich hatte beim Amtswechsel von Herrn Brüderle zu Ihnen, das gebe ich zu, die leise Hoffnung, dass wir einen Wirtschaftsminister für die Bundesrepublik Deutschland bekämen, der das ganze Amt stärker ausfüllen würde, der mit ein bisschen mehr Elan an die Sache herangehen würde, der nicht immer nur reagiert, der nicht nur immer hinterherhechelt und der nicht das Nichtstun im Nachhinein zur Strategie erklärt. ({0}) Es ist leider so - das kann man feststellen, auch am heutigen Tag -: Der Einzige, der wirklich Spaß an diesem Wechsel hat, ist Brüderle. Er lebt wieder ein bisschen auf und muss nicht die fertigen Texte vorlesen, sondern kann hier, wie zu alten Oppositionszeiten, versuchen, ein bisschen auf die Sahne zu hauen. ({1}) Sehr geehrter Herr Minister, wir sind wirklich enttäuscht, dass Sie die Realitäten - das haben Ihre Rede wie auch der gesamte Haushaltsplan heute zum Ausdruck gebracht - nicht erkennen. ({2}) Sie feiern eine Party, die schon zu Ende ist. Sie gucken nach hinten. Sie gucken in die Vergangenheit. Sie erzählen etwas von Zahlen, die in der Vergangenheit liegen. Die aktuellen Zahlen haben Sie mit keinem Wort erwähnt. Heute ist überall nachzulesen: Im Juli hatte die deutsche Wirtschaft bei den Aufträgen für den Export einen Einbruch von minus 7,4 Prozent zu verzeichnen. Das ist der stärkste Rückgang seit zweieinhalb Jahren. Im DB-Research-Bericht, der Ihnen allen zugegangen ist, steht als Überschrift - Herr Pfeiffer, Sie haben das eben so wörtlich hervorgehoben -: „Deutschland: Nicht länger die Insel der Glückseligen“. Wir stehen am Beginn einer sehr kritischen Zeit. ({3}) Als Bundeswirtschaftsminister muss man das Haus rüsten, man muss sich präparieren für die kritische Zeit und nicht die Party von gestern feiern. ({4}) Man muss mehrere Dinge tun und das Problem auch auf nationaler Ebene angehen. Der Kollege Brandner hat vorhin schon gesagt, dass man besser auf zwei gesunden Beinen steht. Was ist mit der Binnennachfrage? Wir brauchen eine Stärkung des Binnenkonsums und mehr Binneninvestitionen, das heißt mehr Investitionen in Deutschland. Zum Konsum ist heute schon so manches gesagt worden. Steuersenkungsdebatten helfen da überhaupt nicht. Aber dadurch, dass man 5 Millionen Menschen, die in Deutschland für weniger als 8 Euro pro Stunde arbeiten, und mehr als 1 Million Menschen, die weniger als 5 Euro pro Stunde verdienen, von diesem Schicksal befreit und einen Mindestlohn einführt, könnte man die Nachfrage in Deutschland stärken. Wer sich an dieser Stelle verweigert, ist wirklich blind. ({5}) Das Investitionsklima in Deutschland könnte man in sehr viel stärkerem Maße anheizen, als diese Koalition das tut. Das wäre unter anderem mit einem Instrument möglich, das - das möchte ich Ihnen an dieser Stelle vorhalten - in Ihrem Koalitionsvertrag steht, mit der steuerlichen Forschungsförderung. Investitionsentscheidungen international aufgestellter Unternehmen hängen unter anderem von steuerlichen Bedingungen ab. Sie reden immer allgemein über Steuersenkungen. Werden Sie doch einmal konkret und legen Sie, wie es in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt wurde, einen Vorschlag zur steuerlichen Forschungsförderung in Deutschland vor. Die Unternehmen und die Gesellschaft warten darauf, dass ein solches Instrument eingeführt wird. Handeln Sie endlich. ({6}) Sie haben über Fachkräfte gesprochen. Vor einem Jahr hat Ihr Vorgänger ein Positions- bzw. Strategiepapier zur Beseitigung des Fachkräftemangels auf den Tisch des Hauses gelegt. In diesem Papier standen ganz viele Punkte, die man alle umsetzen wollte. Passiert ist seit einem Jahr nichts. Lieber Herr Rösler, als Sie hier von einer Willkommenskultur gesprochen haben, haben wir geklatscht. Da stehen wir an Ihrer Seite und sagen: Ja, das müssen wir in Deutschland erreichen. Das, was Herr Nüßlein hier, keine Viertelstunde später, stellvertretend für die CSU und große Teile der CDU gesagt hat, war aber das Gegenteil von Willkommenskultur in Deutschland. ({7}) Mit solchen Reden verhindern Sie, dass die Zuwanderung stattfindet, die wir so dringend benötigen, ({8}) neben all den Maßnahmen zur Qualifizierung von Jungen und Älteren, insbesondere mit Blick auf die Beschäftigungsquote von Frauen in Deutschland. Neben den nationalen Herausforderungen gibt es eine Reihe von Dingen, die Sie, Herr Minister, auf der internationalen und insbesondere auf der europäischen Ebene bewerkstelligen können, wenn Sie dort endlich aktiv werden. Davon ist in den ersten Monaten Ihrer Amtszeit aber genauso wie bei Ihrem Vorgänger nichts zu spüren. Am Dienstagabend waren wir gemeinsam auf einer Ver14602 anstaltung, bei der der deutsche EU-Kommissar, Herr Oettinger, gesprochen hat. Er hat sehr klug gesprochen; das will ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. ({9}) Er hat zum Beispiel über die Energiepolitik gesprochen. Unter anderem hat er gesagt, dass für die Industrie, aber auch für das Handwerk, Herr Hinsken, und für alle Bürgerinnen und Bürger das Thema Energiepreise von entscheidender Bedeutung ist. Darum müssen wir uns kümmern. Wo ist Ihre Initiative, um die Energiepreise in Deutschland verträglich zu halten? Was Sie machen, ist Augenwischerei und hat Bild-Zeitungs-Niveau. Sie schicken zum Beispiel das Kartellamt zu den Tankstellen. Damit lösen Sie das Problem zu hoher Energiepreise in Deutschland doch nicht. Wir brauchen eine breit angelegte Effizienzstrategie. Aus Ihrem Haus und von der Bundesregierung kommt aber nichts dazu. Fehlanzeige! ({10}) Es ist dringend erforderlich, dass die Industriepolitik auf europäischer Ebene koordiniert wird. Wir beobachten mit großer Sorge, dass die europäische Gesetzgebung, die massiven Einfluss auf die Betriebe in Deutschland hat, zunehmend von Staaten in der Europäischen Union gestaltet wird, die längst deindustrialisiert sind. ({11}) Angesichts dieses Umstands müssen wir und zuvorderst der Bundeswirtschaftsminister auf europäischer Ebene auftreten. Dem müssen wir entgegenwirken. Dafür braucht man aber Mumm und Kraft. Das wäre wichtig für die Automobil-, die chemische und die Grundstoffindustrie, für die Maschinenbau-, aber natürlich auch für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Weil das Thema Luft- und Raumfahrt heute schon von mehreren Rednern angesprochen worden ist, will ich Ihnen Folgendes sagen: Durch die öffentliche Diskussion über EADS, durch das öffentliche Überlegen, wer die Anteile übernehmen könnte, ist das Ganze im Grunde genommen schon zum Scheitern verurteilt. Dann schreiben Sie in Ihrer Stellungnahme zum Thema „Übernahme der Anteile durch die KfW“ - das ist ein Synonym für all das, was in dieser Wahlperiode aus dem Wirtschaftsministerium kommt -, es gebe keine konkreten Planungen oder Festlegungen. Dies ist nicht nur schlecht für das, was bei EADS gerade passiert, sondern zieht sich durch alles durch. Wir fragen in jeder Ausschusssitzung und in jeder Obleutebesprechung, wann es eine Arbeitsplanung aus dem Bundeswirtschaftsministerium gibt. Jedes Mal werden wir vertröstet. Es kommt nichts, weil nichts in Arbeit ist, weil nichts in Planung ist, weil dieses Wirtschaftsministerium tatenlos ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind daran nicht schuld; sie würden gerne etwas tun, aber bekommen von der Spitze keine Ansage. Wo ist zum Beispiel Ihr Beitrag für eine der größten Aufgabenstellungen in unserer Republik, die lautet: Wie können wir im Konsens im Bereich der Telekommunikation, des Verkehrs und natürlich - dies ist uns allen nach der Energiewende erst recht bewusst - im Bereich der Energienetze die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen voranbringen? Das TKG ist gerade angesprochen worden. Der Streit in der Koalition verhindert, dass wir hier jetzt endlich zu Potte kommen. ({12}) Finden Sie eine vernünftige Einigung. Dann können wir in diesem Punkt gemeinsam vorankommen. ({13}) Sehr geehrter Herr Minister, Sie sind mit den Aufgaben betraut, die FDP zu retten und dieses Land krisenfest zu machen. Konzentrieren Sie sich darauf - Sie schaffen es eh nicht, die FDP zu retten -, dieses Land krisenfest zu machen. Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die nicht - so wie Sie - orientierungslos, planlos, konzeptionslos und tatenlos ist. ({14}) Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die in Deutschland und auf europäischer Ebene wieder ein Gesicht hat. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ernst Hinsken für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Viele Deutsche, die den Urlaub im Ausland verbracht haben, erinnern sich, dass Sie dort gefragt worden sind: Wie haben Sie das in Deutschland nur geschafft, dass Sie so blendend dastehen, dass Sie eine so niedrige Arbeitslosigkeit haben, dass bei Ihnen die Wirtschaft trotz der Finanzkrise und trotz der Wirtschaftskrise so hervorragend läuft? - Wir werden überall beneidet, und bei uns versucht man, das Ganze so schlechtzureden wie irgendwie möglich. Ich möchte auf noch etwas hinweisen und einen Kronzeugen dafür zitieren, wie es bei uns läuft, wie wir von anderen betrachtet werden. Der französische Premierminister Fillon sagt: Die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist ein Glück für Europa. Meine Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, unsere Industrie genauso wettbewerbsfähig zu machen wie die deutsche. ({0}) Ist das nicht toll? ({1}) Sollten wir darüber nicht glücklich sein? Die Franzosen sind nicht klüger als wir Deutsche, aber sie sind anscheinend ein bisschen ehrlicher als Sie auf der linken Seite dieses Hauses. Das, was Sie heute hier geboten haben, spottet jeder Beschreibung. ({2}) Das waren zum Teil - Herr Kollege Heil, das bin ich von Ihnen nicht gewöhnt - Hasstiraden ohnegleichen. ({3}) Ich habe das Gefühl, Sie könnten zusammen eine neue Partei mit dem Namen „ASR“ gründen. Was heißt das? Alles schlechtreden. Mehr können Sie nicht. Das haben Sie heute ausgiebig gezeigt. ({4}) Wir sind auf das Geschaffene stolz. Wir haben einen Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland so gut dasteht. Wir haben die Rahmenbedingungen geschaffen. ({5}) Der Fleiß der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allen Dingen die Kreativität der Unternehmer haben die Grundlage dafür geschaffen, dass wir so hervorragend dastehen. Es ist bereits mehrmals - auch von Ihnen, Herr Minister Dr. Rösler - auf die Arbeitslosigkeit verwiesen worden. ({6}) Die Arbeitslosenquote in der EU beträgt 9,1 Prozent, in der Bundesrepublik Deutschland 7 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den USA doppelt so hoch, in Frankreich zweieinhalbmal so hoch, in Italien dreimal so hoch und in Spanien sage und schreibe fünfmal so hoch wie in Deutschland. Wir sollten bereit sein, das anzuerkennen und zu würdigen. Reden wir nicht alles schlecht! Seien wir stolz darauf, was wir alles zusammen mit unseren Mitbürgern geschafft und geleistet haben! ({7}) Besonders freut mich, dass vor allen Dingen die Mittelständler, die eine tragende Säule unserer Gesellschaft sind, die Lage positiv beurteilen. Niemand von ihnen rechnet im kommenden Jahr mit einer Rezession. Es wurde natürlich auch in der Vergangenheit viel Positives geleistet. Ich wäre nicht ehrlich genug, wenn ich bestreiten würde, dass gerade in der letzten Wahlperiode von der Großen Koalition richtige Weichenstellungen vorgenommen worden sind, ({8}) insbesondere was die Konjunkturprogramme anbelangt. ({9}) Sie waren richtig, vernünftig und dringend erforderlich. Sie haben sich positiv ausgewirkt, weil dadurch auch die Binnenwirtschaft angekurbelt werden konnte. ({10}) Auch das muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was sind überhaupt die wichtigsten Ressourcen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben? Bodenschätze haben wir nicht. Aber wir haben sehr viel Wissen in den Köpfen. Wir brauchen dringend eine hervorragende Bildung. Meines Erachtens ist auch anzuerkennen, dass die deutsche Wirtschaft - das ist vielfach unbekannt - pro Jahr 30 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, um die Bildung zu fördern. Der Bund stellt dafür in diesem Jahr 12 Milliarden Euro zusätzlich bereit. Ich möchte die Millionenbeträge, die hinzukommen, nicht erwähnen, weil dies den zeitlichen Rahmen sprengen würde. Noch etwas: Das duale System in der Bundesrepublik Deutschland ist - das sollte von allen Seiten anerkannt werden - unser Erfolgsrezept schlechthin. Wo gibt es das denn noch? Überall auf der Welt wird es kopiert. Das duale Berufsausbildungssystem ist das am besten geeignete Konzept, um erfolgreich Fachkräfte auszubilden und so künftig im Wettbewerb bestehen zu können. ({11}) Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Sie, Herr Minister Dr. Rösler, und Ihr Vorgänger, Herr Brüderle, haben mit uns im Koalitionsvertrag das Ziel formuliert, einen Bürokratieabbau vorzunehmen. Was haben wir getan? ({12}) Wir haben uns vorgenommen, die Bürokratie um 25 Prozent zu reduzieren. Eine Senkung um 22,6 Prozent haben wir bereits erreicht. ({13}) - Ich sage das. Ich kann Ihnen auch genau sagen, um was es sich dabei handelt. Wenn Sie mir eine Zwischenfrage stellen - dann bekomme ich nämlich eine Redezeitverlängerung -, ({14}) bin ich gerne bereit, Herr Heil, darauf einzugehen. ({15}) Aber das tun Sie ja nicht. ({16}) Herr Minister Dr. Rösler, ich meine, wir brauchen einen großen Wurf. Ein großer Wurf beim Bürokratieabbau wäre für mich zum Beispiel, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Aufbewahrungsfristen, unter anderem im Hinblick auf Steuererklärungen oder bei Belegen im sozialen Bereich, in Zukunft von zehn auf fünf oder zumindest sieben Jahre verkürzt werden können. ({17}) Das würde eine Entlastung von 3 bis 5 Milliarden Euro bringen. Vor allen Dingen würden wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Bürokratie abgebaut werden kann. ({18}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, noch ganz kurz wenige Worte zum Thema Energie. Energie ist ein bedeutender Wettbewerbsfaktor. Hier gilt es, den Umstieg richtig und klug zu managen. Ich habe bei Ihnen, Herr Minister Dr. Rösler, keine Bange, dass Sie ihn richtig angehen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Ich erwähne wiederum Frankreich: In Frankreich ist Strom um fast die Hälfte billiger als bei uns. ({19}) Das ist ein Wettbewerbsnachteil ohnegleichen. ({20}) Die letzte Bemerkung. Insbesondere in ländlichen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland haben wir große Sorgen. Der demografische Wandel bringt mit sich, dass mehr und mehr Landflucht zu verzeichnen ist. Wir müssen alles tun, um der Landflucht entgegenzuwirken. Ich bitte Sie, Herr Minister, sich dafür einzusetzen, dass für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ weiterhin Mittel zur Verfügung gestellt werden, die wir dafür dringend brauchen. ({21}) Sie hat sich bewährt. Allein in den letzten zehn Jahren wurden im Rahmen der GRW 150 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. ({22}) In den letzten 20 Jahren wurde dafür in der Bundesrepublik Deutschland ein Betrag von 50 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Dies hat sich positiv niedergeschlagen. ({23}) Wenn es in diese Richtung ginge, wäre es der Sache dienlich. Das Allerletzte. Wir müssen alle zusammen - von ganz links bis zu uns herüber ({24}) darum besorgt sein, dass wir bei der europäischen Kohäsionspolitik nicht den Kürzeren ziehen, dass wir bei der Verteilung der Mittel mit dabei sind, dass bei der Neuabgrenzung die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, dass die strukturschwachen Gebiete - um es so zu formulieren - nicht vor die Hunde gehen und dass vor allen Dingen das Leben auf dem Lande auch in strukturschwachen Gebieten weiterhin interessant bleibt. ({25}) Dafür sorgt diese Regierung. Sie wurde dafür gewählt. Ich bin der festen Überzeugung, dass das auch so umgesetzt wird, weil wir es dringend brauchen und weil es der Zukunft unserer Bundesrepublik Deutschland dient. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({26})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Michael Luther von der CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir nähern uns jetzt dem Ende der Haushaltsdebatte. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Regierungsvorlage und das, was als Haushalt erarbeitet worden ist, den Haushältern überantwortet werden. Ich bin mit großer Aufmerksamkeit dieser Debatte gefolgt. Es sind, denke ich, ein paar gute Anregungen gemacht worden, die wir berücksichtigen werden und wollen, aber es sind auch viele Dinge gesagt worden, für die ich wenig Verständnis habe. Darauf werde ich noch im Einzelnen eingehen. Ich glaube, dass wir - das kann ich Ihnen versprechen das, was hier gesagt worden ist, in den Haushaltsberatungen aufnehmen und unter der Maßgabe einer sparsamen Haushaltsführung abwägen werden. Dann werden wir versuchen, es entsprechend zu berücksichtigen. Bevor ich jedoch etwas zu dem Einzelplan selbst sage, sollten wir vielleicht einen Moment innehalten und feststellen, dass wir auf die momentane Situation in Deutschland stolz sein können. Der deutschen Wirtschaft geht es gut. Wir haben ein ziemlich hohes Wirtschaftswachstum, eine niedrige Arbeitslosenquote und eine hohe Beschäftigungsquote, auch was Vollzeitbeschäftigung und die sozialversicherungspflichtigen ArDr. Michael Luther beitsverhältnisse anbelangt. Sie ist höher als die, die wir in den letzten 20 Jahren hatten. Ein Problem der Wirtschaft - ein paar Dinge dazu sind genannt worden - ist der Fachkräftemangel. Wenn man Leuten im europäischen Ausland sagt, was unsere Probleme hier in Deutschland sind, dann schütteln sie nur den Kopf. Letztendlich handelt es sich bei vielem von dem, was angesprochen wurde, um Luxusprobleme. ({0}) Deshalb will ich an dieser Stelle kurz innehalten und sagen: Das ist auch gut so. Wir haben auch festzustellen: Politik hat Einfluss auf die Lage eines Landes. Und die gute Lage des Landes ist auch Resultat einer guten Regierung unter Angela Merkel als Bundeskanzlerin. ({1}) Es ist aber auch richtig, dass wir nicht ausruhen dürfen. Wir leben nach wie vor in schwierigen Zeiten. Die Schuldenkrise vieler Länder - angefangen bei Amerika bis hin zu einigen europäischen Staaten - belastet die Zukunftsaussichten und die Märkte gewaltig. Trotzdem glaube ich: Der Euro ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen einer globalen Welt. Wir haben allerdings festzustellen, dass ein Teil unserer heutigen Probleme darin besteht, dass bei der Einführung des Euro nicht ausreichend geregelt wurde, dass sich die Staaten letztendlich an Stabilitätskriterien zu halten haben. Aber ich füge hinzu: In jeder Krise liegt auch eine Chance. Wir sollten die Chance nutzen und jetzt in Europa die richtigen Zeichen setzen. An dieser Stelle will ich auch ganz klar sagen: Das, was die Bundeskanzlerin, der Finanzminister und auch der Wirtschaftsminister in den letzten Wochen und Monaten geleistet haben und noch leisten müssen, sind richtige Schritte in die richtige Richtung. Ich glaube, wir werden gut aus der Krise herauskommen. ({2}) Was kann nun das Bundeswirtschaftsministerium tun, um die Lage im Land weiter zu stabilisieren? Ich denke, die Lage in Europa mit der Staatsschuldenkrise und in Amerika zeigt eines: Schulden sind Gift - ganz besonders dann, wenn sie aus dem Ruder laufen. Deswegen ist das Gebot der Stunde: sparsame Haushalte. Wir werden in den Haushaltsberatungen prüfen, wo weniger möglich ist. Das ist auch im Sinne unserer deutschen Wirtschaft und aller Deutschen. Deutschland lebt nicht von Dienstleistungen. Unser Land ist deshalb so stark, weil wir eine starke industrielle Basis haben. Diese gilt es zu stärken. Deswegen muss man sich fragen: Was braucht die Industrie? Ein Punkt - das ist auch schon von anderen erwähnt worden ist das Thema Fachkräfte. ({3}) Es wird ein deutliches Signal auch im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers gesetzt, etwas für die Fachkräftegewinnung, Fachkräftesicherung und berufliche Bildung zu tun. Das braucht unsere Wirtschaft, und das ist ein richtiges Signal. Ein zweiter Punkt. Wichtige Wurzeln unserer Wirtschaft sind der industrielle Mittelstand und das hochqualifizierte Handwerk. Beide sind darauf angewiesen, neue und innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Für das, was die große Industrie in ihren Forschungsabteilungen erledigt, braucht der Mittelstand Unterstützung, damit die Ideen der Mittelständler umgesetzt werden können. Diese Unterstützung kann nur in Kooperation mit Hochschulen und Forschungsinstituten erfolgen. Das bewährte Instrument dafür ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, dessen Mittel 2012 um 29 Prozent gesteigert werden sollen. Das ist ein richtiges Signal und eine Antwort auf die Frage der Zeit. ({4}) Das Thema Luft- und Raumfahrt ist hier auch kritisch betrachtet worden. Ich will dazu ein Stichwort nennen: Hochtechnologie. Wer in der Welt spitze sein will, braucht Spitzentechnologie. Entscheidende Entwicklungen im Bereich der Hochtechnologie werden nun einmal auch in der Luft- und Raumfahrt auf den Weg gebracht. Deswegen halte ich es für richtig, dass hierfür ein erhebliches Budget bereitgestellt wird, um diesen Weg - die Erfahrungen, die wir damit in den letzten Jahren gewonnen haben, sind gut - weiterzuverfolgen. Energieforschung ist ein weiteres Stichwort. Mit dem beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie und unserem Energiekonzept hin zu erneuerbaren Energien und zu mehr Energieeffizienz und Sparsamkeit haben wir eine entscheidende Weichenstellung vorgenommen. Mit dem Umbau unserer Energieversorgung werden wir eine internationale Vorreiterrolle einnehmen. Aber dies ist eine große Herausforderung. Klimaschutz. Die Stichworte Elektromobilität und Energieforschung benennen hier wichtige Zukunftsfelder. Auch hier setzt der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums einen Schwerpunkt. Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken ausführen, und zwar auch in eigener Sache. Vor 20 Jahren war ich Berichterstatter für das Thema Wismut. Damals ist die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut in die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland übergeben worden. Es wird nachher im Bundeswirtschaftsministerium eine Veranstaltung mit dem Titel „20 Jahre Wismut GmbH“ geben. Auf die Sanierungsarbeiten, die dabei geleistet worden sind, können wir wirklich stolz sein. ({5}) Worüber ich mich besonders freue, ist, dass es wahrscheinlich heute gelingen wird, einen Vertrag zu unterzeichnen, auf dessen Grundlage die Rekultivierung, die Wismut-Sanierung, bis über das Jahr 2022 hinaus fortgesetzt wird. Ich denke, dann ist dieses Thema abgearbeitet. Dafür bin ich sehr dankbar und will das an dieser Stelle auch zum Ausdruck bringen. Ich komme zum Schluss. Ich danke dem Minister und dem Haus für die gute Vorarbeit. Der Haushalt liegt jetzt in den Händen des Parlamentes. Wir werden mit ihm sorgsam umgehen. Ich wünsche uns allen gemeinsam eine gute Beratung. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11. Das Wort hat Bundesministerin Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Einzelplan des Ministeriums für Arbeit und Soziales einbringen. Schauen wir uns einmal die Daten auf dem Arbeitsmarkt an: Die Zahl der Erwerbstätigen beträgt 41 Millionen. Seit der Wiedervereinigung ist sie noch nie so hoch gewesen. Darunter sind allein 28 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wir haben in der Krise mit 6 Millionen Arbeitslosen gerechnet. Heute haben wir stattdessen unter 3 Millionen Arbeitslose. Bei den Langzeitarbeitslosen haben wir den niedrigsten Stand seit Einführung von Harz IV. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt deutlich unter 10 Prozent. Das ist die Hälfte der Quote, die wir im europäischen Durchschnitt zu verzeichnen haben. Meine Damen und Herren, die von Angela Merkel geführte Regierung ist am Arbeitsmarkt die erfolgreichste deutsche Regierung der letzten 20 Jahre. ({0}) Deshalb ist der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auch ein Haushalt, aus dem der Erfolg spricht. Wir haben in der Krise für das Jahr 2012 noch mit 145 Milliarden Euro für diesen Haushalt geplant. Tatsächlich können wir heute mit knapp 127 Milliarden Euro für das nächste Jahr planen. Das macht 18 Milliarden Euro an Ersparnis - schlicht und einfach, weil mehr Menschen in Arbeit sind. Mehr Menschen in Arbeit - das bedeutet nicht nur weniger Ausgaben für das Arbeitslosengeld, sondern auch höhere Steuereinnahmen für den Finanzminister durch mehr Löhne. Es fallen aber auch Zentnerlasten von der Bundesagentur für Arbeit, weil sie bei mehr Arbeit weniger Ausgaben für das Arbeitslosengeld und steigende Einnahmen durch mehr Beiträge in der Arbeitslosenversicherung hat. Deshalb können wir auch die Bundesbeteiligung an der Arbeitsförderung schrittweise und früher zurückfahren. Das Darlehen der Bundesagentur für Arbeit wird in diesem Jahr voraussichtlich überschaubare 2 Milliarden Euro betragen. Im nächsten Jahr wird es nicht mehr nötig sein. Ab 2014 kann die Bundesagentur für Arbeit bereits wieder anfangen, eine Rücklage zu bilden. Auch aus diesen Zahlen spricht der Erfolg. ({1}) Wir haben im Augenblick rund 1 Million offene Stellen. Die Unternehmen suchen händeringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das bedeutet auch, dass wir in der Arbeitsmarktförderung die Schwerpunkte jetzt richtig setzen müssen. Wir können nicht mehr die Rezepte aus den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit anwenden, wo es in der Tat schwierig war, Beschäftigung zu finden, und sehr viele Menschen in künstlicher Beschäftigung gehalten worden sind, um Struktur in den Alltag zu bekommen und um Beschäftigung - zumindest künstlich aufrechtzuerhalten. Nein, wir müssen jetzt in der Arbeitsmarktförderung die Schwerpunkte konsequent auf Aktivierung, Qualifizierung und Weiterbildung setzen. Das spricht auch aus den Zahlen dieses Haushaltsplans. ({2}) Dass sich diese neue Schwerpunktsetzung auf passgenaue Lösungen lohnt, zeigt die Weichenstellung des vergangenen Jahres. Der Bundestag hat Mittel für eine Förderoffensive für Alleinerziehende bereitgestellt. Wir haben jetzt ein Jahr Zeit gehabt, die neuen Instrumente passgenau zu nutzen, und können sagen, dass diese Frauen - in 95 Prozent der Fälle sind es Frauen - mit den Kindern die Netzwerke der Unterstützung brauchen, um Arbeit zu finden und annehmen zu können. Die Ergebnisse können sich sehen lassen; denn der Rückgang der Arbeitslosigkeit bei den langzeitarbeitslosen Alleinerziehenden - einer Gruppe, bei der sich über Jahre keinerlei Bewegung zeigte - ist inzwischen höher als der Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit überhaupt. Das zeigt, dass die Einführung dieser passgenauen Instrumente und dieser individuellen, auf die Gruppen hin ausgerichteten Betreuung die richtige Antwort gewesen ist. ({3}) Inzwischen haben wir nämlich festgestellt, dass die Haltung, es habe keinen Zweck, diese Frauen in Arbeit zu vermitteln, weil sie sich um Kinder kümmern müssten, nicht mehr richtig ist, sondern dass umgekehrt ein Schuh daraus wird: Gerade weil die Frauen Kinder haben, brauchen sie die Hilfe durch Kinderbetreuung, familienfreundliche Arbeitsplätze und Netzwerke im AllBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen tag, damit sie ihr eigenes Einkommen verdienen sowie für ihre Rente sorgen können und damit auch für sich und die Kinder Zukunft und Perspektive finden. ({4}) Der nächste Schwerpunkt, der mir wichtig ist, ist Weiterbildung und Qualifizierung. 2005 haben wir bei 5 Millionen Arbeitslosen 2 Milliarden Euro in Weiterbildung investiert. Heute, bei weniger als 3 Millionen Arbeitslosen, haben wir die Mittel auf 3 Milliarden Euro gesteigert. Das heißt: Wir investieren ganz gezielt in Weiterbildung, weil das auch die Grundlage dafür ist, dass wir in der Zukunft ausreichend Fachkräfte haben. ({5}) Besonders wichtig ist mir der Schwerpunkt bei den jungen Menschen. Wir investieren dafür 3,2 Milliarden Euro in den Bereichen SGB II und SGB III aus Steuerund Beitragsmitteln. Im laufenden Jahr wird es noch mehr sein als im vergangenen Jahr. Das ist klug investiertes Geld. Davon profitieren 500 000 junge Menschen im Übergang von der Schule in Ausbildung und Lehre und dann hoffentlich auch in den Beruf. Viele der Jugendlichen haben multiple Schwierigkeiten. Häufig fehlt der Schulabschluss; es gibt soziale Schwierigkeiten und Probleme, die Lehre durchzuhalten. Dieses Engagement wird die Bundesregierung mit der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente weiter verstärken und verstetigen. ({6}) - Weil Sie gerade so munter dazwischenrufen, Herr Heil: Sie haben vorhin die niedersächsischen Jugendwerkstätten angesprochen. Sie liegen mir sehr am Herzen, weil ich sie als niedersächsische Sozialministerin mit aller Kraft unterstützt habe. Das gilt auch heute noch. Es geht aber nicht an, dass das Geschäftsmodell dafür genutzt wird, um junge Menschen in 1-Euro-Jobs zu bringen. Junge Menschen haben in 1-Euro-Jobs nichts zu suchen. ({7}) Sie brauchen Aktivierung und Qualifizierung. Ich kann aus dem Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zitieren, das übrigens im Auftrag des Hamburger Senats erstellt wurde. Darin heißt es: Ein langzeitarbeitsloser 1-Euro-Jobber hat geringere Chancen auf einen regulären Job als ein Langzeitarbeitsloser, der überhaupt keine Förderung bekommt. ({8}) Das heißt, wir müssen fragen: Was bewirken eigentlich die 1-Euro-Jobs? Bei den Jugendlichen sind mir Qualifizierung und Aktivierung wichtig. Deshalb müssen wir die Arbeit der Jugendwerkstätten auf solide und nachhaltige Grundlagen stellen, statt weiterhin auf die Mogelpackung 1-Euro-Job zurückzugreifen. Da gehören die Jugendlichen nicht hinein. Qualifizierung, Aktivierung und Weiterbildung: Das muss die Grundlage für die Jugendwerkstätten sein. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ja.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, wenn uns beiden die Jugendwerkstätten in unserer niedersächsischen Heimat so am Herzen liegen, dann bitte ich Sie, zu dem, was zumindest in Ihrem Entwurf vorgesehen ist - ich hoffe, dass sich bei der Instrumentenreform noch Änderungen ergeben -, zur Kenntnis zu nehmen, was durch die Anhörung, vielleicht auch durch Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und durch Rückmeldungen aus Niedersachsen deutlich wurde: Unabhängig davon, dass Sie das Volumen für die Arbeitsmarktförderung massiv herunterfahren - da beißt die Maus keinen Faden ab; das können Sie noch so sehr schönreden -, werden rein rechtlich bestimmte Kofinanzierungen künftig nicht mehr möglich sein, sodass die Strukturen zusammenbrechen. Ich habe noch eine Frage an Sie. Sie beziehen sich immer wieder auf das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Können Sie mir erklären, warum die Mittel für den Gründungszuschuss, der von diesem Institut als hoch erfolgreiches Instrument bewertet wird, damit Menschen sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig machen können, von Ihnen so dramatisch zurückgeführt werden? Bei Ihnen passen Reden und Handeln mal wieder nicht zusammen, Frau von der Leyen, auch wenn Sie schöne Girlanden herumwinden.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Erstens zu der Frage der Jugendwerkstätten, Herr Heil. Jugendliche gehören nicht in 1-Euro-Jobs. Ich glaube, darin sind wir uns einig. ({0}) Das ist bisher die Finanzierungsgrundlage gewesen, und das war nicht richtig. ({1}) Jugendliche brauchen vielmehr Qualifizierung und Aktivierung. ({2}) Genau darauf stellen wir um. Deshalb werden am morgigen Tag das Bundesarbeitsministerium, das niedersächsische Sozialministerium, die Jobcenter und die Träger zusammentreffen, um diese passgenaue neue Finanzierung für die gute Arbeit der Jugendwerkstätten sicherzustellen. Deshalb bitte ich Sie, nicht länger so zu tun, als wäre das der Zusammenbruch der Jugendwerkstätten, ({3}) nur weil wir die Bezahlung für die Arbeit der Jugendwerkstätten von der Mogelpackung 1-Euro-Jobs auf eine nachhaltige, solide Finanzierungsgrundlage stellen. ({4}) Zweitens zum Gründungszuschuss. Wir haben offensichtlich beide das Gutachten gelesen, aber Sie haben den zweiten Teil nicht zitiert, nämlich dass es bei 70 Prozent derer, die den Gründungszuschuss in Anspruch genommen haben, um Mitnahmeeffekte geht. ({5}) Das hat auch das IAB so bezeichnet. Daraus spricht die Erkenntnis: Wenn sich jemand selbstständig machen will, dann muss er erstens ein solides und tragfähiges Konzept haben - das setzen wir voraus - und sich zweitens auch relativ früh, also in einer absehbaren Zeit, dafür entscheiden, statt erst in der Langzeitarbeitslosigkeit - oder bevor diese eintritt - eine Notgründung zu machen. Den Effekt dieser Notgründungen sehen wir daran, dass 120 000 Selbstständige zusätzlich Aufstocker sind. Das kann doch nicht das Ziel einer Gründung sein, und das in einer Zeit, in der es offene sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gibt, die die Menschen besetzen können. ({6}) Deshalb: Weg von den alten Rezepten aus der Zeit der Massenarbeitslosigkeit. Damals waren sie richtig, aber heute sind sie nicht mehr adäquat. Wir müssen weg von der künstlichen Beschäftigung. Die 1-Euro-Jobs sind richtig für Menschen, die derzeit, wo der Arbeitsmarkt aufnahmefähig wie ein Schwamm ist, überhaupt keine Chance haben. Aber ein großer Teil der Langzeitarbeitslosen bekommt jetzt eine neue Chance. Das sieht man auch daran, dass wir zwar die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gekürzt haben, die Langzeitarbeitslosigkeit aber nicht gestiegen ist. Im Gegenteil, sie ist gesunken. Das zeigt, dass die Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeit gefunden haben. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von den Linken?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Nein, ich komme jetzt zum zweiten Teil, nämlich zum Thema Rente, sonst kommt dieses Thema gar nicht mehr dran. Mir ist wichtig, zu sagen, dass die Menschen bei dieser Arbeitsmarktlage nicht nur mehr Chancen haben, in Arbeit zu kommen, sondern dass auch mehr Beiträge in die Sozialversicherung gezahlt werden. Damit haben wir mehr Möglichkeiten, eine demografiefeste Vorsorge für das Alter zu schaffen. Wir haben ein stabiles, ein demografiefestes Rentensystem, für das wir international gelobt werden. Die OECD sagt, dass die Leitplanken, die aufgestellt worden sind - Berechenbarkeit der Entwicklung des Beitragssatzes, Entwicklung des Rentenniveaus und private Vorsorge als zweites Standbein -, vorbildlich sind. Ich möchte die beiden Grundprinzipien herausstellen. Das erste Grundprinzip ist, dass die Rente aufgrund von Arbeitseinkommen und privater Vorsorge möglich ist, und das zweite Grundprinzip ist, dass die Beiträge die jüngere Generation nicht überfordern. Wenn die Linke jetzt jedem eine Durchschnittsrente zahlen will, dann schert sie alle über einen Kamm. Dann ist es ganz egal, ob sich ein Geringverdiener ein ganzes Leben lang krummgelegt und hart gearbeitet hat oder ob jemand überhaupt nicht gearbeitet hat. Das unterhöhlt die Fundamente unseres Rentensystems und ist ungerecht. Das wollen wir nicht. ({0}) Die Rente muss der Lohn für die eigene Lebensleistung bleiben. Wir haben im Augenblick die Situation, dass die große Mehrheit der Älteren, also derjenigen über 65 Jahre, eine eigene Rente hat. Es handelt sich um 97,5 Prozent. Wir wissen aber auch, dass in Zukunft Familienstrukturen und Erwerbsbiografien vielfältiger werden. Es gibt Zeiten der Ganztagsarbeit, der Teilzeit, Arbeit mit geringem Einkommen, unsichere Arbeitsverhältnisse usw. Wir müssen dafür sorgen, dass in Zukunft gerade Menschen mit geringem Einkommen oder mit verschiedenen Aufgaben - Kindererziehung, Pflege, Teilzeitjobs - wissen, dass auch sie sich eine eigene Rente verdienen können; denn eine Gesellschaft im demografischen Wandel lebt davon, dass die Menschen arbeiten, Kinder erziehen und Ältere pflegen. ({1}) Mir geht es vor allem um Frauen, die in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren geboren wurden und die ihre KinBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen der in den letzten Jahren großgezogen haben. Diese haben keine Kindergartenplätze gehabt, ganz zu schweigen von einem Krippenplatz. Das Wort „Ganztagsschule“ ist ein Fremdwort gewesen. Die Unternehmen hatten mit dem Thema „Vereinbarung von Familie und Beruf“ noch nichts am Hut. Wenn die Frauen gearbeitet haben, haben sie Jobs mit geringen Einkommen gehabt. Seit zehn Jahren wissen sie, dass sie privat vorsorgen müssen. Das heißt, sie müssen riestern, wenn es irgendwie geht. Diese fragen sich zu Recht, ob sie eine eigene Rente haben werden, wenn sie all das geleistet haben, oder ob sie in der Grundsicherung landen werden. Das Gleiche gilt für den Geringverdiener, der 35 Jahre lang gearbeitet hat, aber nur wenig Einkommen erzielt hat. Er fragt sich: Habe ich zum Schluss eine eigene Rente? Lohnt es sich überhaupt, zu riestern, wenn die Riester-Rente auf die Grundsicherung angerechnet wird? An diese Schwachstelle müssen wir heran. Wir möchten deshalb im Rentendialog der nächsten Monate vorschlagen, eine Zuschussrente einzuführen. 850 Euro sollen diejenigen erhalten, die ein Leben lang etwas geleistet und die für das Alter vorgesorgt haben. Arbeit, Kindererziehung, Pflege und - seitdem es in den letzten Jahren möglich ist - private Vorsorge, das heißt riestern, hochgefördert vom Staat, sind dafür die Kriterien. Die Botschaft muss sein: Arbeit lohnt sich, und private Vorsorge zahlt sich, wenn man ein Leben lang arbeitet, aus. ({2}) Es gibt rund 20 000 Personen, auf die das zutrifft. Man muss allerdings auch wissen, dass im Augenblick rund 18 000 jährlich in die Grundsicherung fallen. Das zeigt andererseits, dass von 800 000 Menschen eines Jahrgangs, der in Rente geht, die ganz große Mehrheit ihre eigene Rente bezieht. Das ist gut. Wir müssen aber auch vorbeugen, damit das so bleibt. Deshalb ist mir wichtig, dass wir hier die richtigen Schwerpunkte setzen. Wir wollen auch die Zurechnungszeiten bei der Rente wegen Erwerbsminderung weiter absichern. Wir wollen mehr Freiraum für Hinzuverdienste geben. So wichtig es auch ist, die voraussichtliche Rentenhöhe immer wieder zu überprüfen: Wir können mit der Rente selber niemals einen vollen Ausgleich für die Veränderungen im Erwerbsleben in den 30 bis 40 Jahren vor Renteneintritt schaffen. Eine nachhaltige Rentenpolitik beginnt nicht erst im Rentensystem, ({3}) sondern sie reicht von Krippenplätzen - Gott sei Dank gibt es ab 2013 einen Rechtsanspruch auf Krippenplätze über Ganztagsschulen, Tagesambulanzen für Demenzkranke, Vätermonate bis hin zu Pflegezeiten und fairen Löhnen. All das ist das Fundament für eine nachhaltige Rentenpolitik. ({4}) Ich komme zum Schluss. Wir haben heute Morgen in diesem Haus über die Schuldenspirale europäischer Länder gesprochen. ({5}) Deutschland geht es gerade gut. Ich sage: Jetzt ist die richtige Zeit für die richtigen Anreize. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention hat Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie sind unter anderem diejenige, die in Deutschland für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zuständig ist. Diese Konvention ist seit zweieinhalb Jahren geltendes Recht in Deutschland. Sie haben dafür in dieser Haushaltsdebatte kein Wort gefunden. In den letzten Jahren war in Ihrem Haushalt für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - außer für die Monitoring-Stelle, die verpflichtend war - kein Euro eingestellt. Jetzt sehe ich leider wieder nicht, dass Mittel eingestellt sind. Falls ich etwas übersehen habe, klären Sie mich bitte auf. Die Begründung dafür, dass kein Geld eingestellt ist, war in der Vergangenheit immer, Sie müssten erst den Nationalen Aktionsplan aufstellen, damit Sie wissen, wofür Sie das Geld ausgeben sollen. Jetzt liegt etwas vor, was „Nationaler Aktionsplan“ heißt, und Sie stellen wieder nichts ein, mit der Begründung: Jetzt liegt der Nationale Aktionsplan ja vor; wir brauchen aber praktisch nichts zu tun. Sagen Sie mir bitte, wann, wo und durch wen wird diese Menschenrechtskonvention in Deutschland endlich richtig umgesetzt? ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Kollege Seifert, der Nationale Aktionsplan ist etatisiert im Haushaltsplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Der Nationale Aktionsplan zeichnet sich dadurch aus, dass die Bundesregierung selber festlegt, was sie dazu beitragen will, eine inklusive Gesellschaft weiterzuentwickeln. Das heißt, es soll in vielen verschiedenen Bereichen selbstverständlich werden, dass sich Menschen mit Behinderungen anderen nicht anpassen müssen. Es soll eine Selbstverständlichkeit sein, dass Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen, Menschen mit Handicaps und Menschen ohne Handicaps gemeinsam teilhaben und zusammenleben. Unsere Aufgabe ist die Erstellung und Umsetzung des Nationalen Aktionsplans. In diesem Sommer haben wir ihn vorgelegt. Wir machen uns jetzt auf den Weg, ihn in den nächsten Jahren umzusetzen. In 240 Punkten sind detailliert die Selbstverpflichtungen unserer Ressorts beschrieben. Wir sind übrigens eines der ersten Länder, die die UN-Behindertenrechtskonvention so umgesetzt haben, dass daraus ein Nationaler Aktionsplan hervorgegangen ist. ({0}) Im Augenblick hat eines der Bundesländer, RheinlandPfalz, einen eigenen Aktionsplan entwickelt. Andere Bundesländer werden folgen. Das Gleiche gilt für Kommunen, Unternehmen, Vereine und Verbände. Im Arbeitsministerium ist nur die Etatisierung der Arbeit des vor kurzem erstellten Nationalen Aktionsplans vorgenommen worden. Alle anderen Ressorts sind mit verschiedenen Aktivitäten an diesem Aktionsplan beteiligt. Um Ihre Frage jetzt aus dem Stegreif zu beantworten, müsste ich aus allen Ressorts alle entsprechenden Mittel zusammensuchen und aufaddieren. Das würde eine stolze Summe ergeben. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Anette Kramme für die SPD-Fraktion. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, schön, dass Sie da sind. Wir waren uns nicht ganz sicher, ob Sie kommen würden. Sie schweben ja neuerdings in den hohen Sphären der Finanzpolitik. ({0}) Da waren wir uns nicht so sicher, ob Sie sich für das Klein-Klein der Rente und der Arbeitsmarktpolitik tatsächlich noch interessieren. ({1}) Frau Bundesministerin, Sie haben zum wiederholten Male eine riesige Ausgabensenkung zu vertreten. Richtig ist, dass der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nach wie vor der größte Ausgabenbrocken im Gesamthaushalt ist. Er umfasst circa 126 Milliarden Euro. Aber man muss natürlich auch wissen, dass ein Großteil dieses Betrages als Zuschuss für die Rentenversicherung zur Verfügung steht. Wenn man sich das genauer anschaut, dann stellt man fest, dass die Arbeitsmarktpolitik immens betroffen ist. 40 Milliarden Euro stehen für die Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. Davon wollen Sie 4,7 Milliarden Euro streichen, also mehr als 10 Prozent. Nimmt man dann noch eine Differenzierung zwischen aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik vor, dann weiß man: Die aktive Arbeitsmarktpolitik wird rasiert. Sie lassen sich im wahrsten Sinne des Wortes von Wolfgang Schäuble die Butter vom Brot nehmen und Ihre Klientel im Regen stehen. ({2}) Wir wissen natürlich, wie Ihre Argumentation ist. Sie argumentieren mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Bei dieser Gelegenheit sei einmal eingefügt: Da haben einige gute Arbeit geleistet. Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz, Peer Steinbrück haben fantastische Arbeit geleistet. Sie sehen aktuell die Früchte dieser Arbeit. ({3}) Aber - um auf das Thema zurückzukommen -: Gute konjunkturelle Phasen müssen genutzt werden, um strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt zu lösen. ({4}) Von diesen strukturellen Problemen am Arbeitsmarkt haben wir eine ganze Menge. Da ist insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit zu nennen. Langzeitarbeitslose haben zu 20 Prozent keinen Schulabschluss, zu 52 Prozent keine Berufsausbildung und sind zu 45 Prozent im Dauerbezug von SGB II. Wir sehen nicht, dass das Problem des perspektivischen und teilweise schon vorhandenen Fachkräftemangels gelöst ist. Wir sehen keinen Nachweis von Aktivitäten im Bereich Migration. Das Anerkennungsgesetz, das Sie planen, ist unzureichend. Vor allen Dingen: Wo sind bei den vielen Personengruppen, die Sie vorhin angesprochen haben - den Frauen, den Menschen mit Behinderung -, Ihre konkreten Aktivitäten? Sie reden viel. Aber in der Sache wird wenig getan. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das Gefühl, dass wir über zwei verschiedene Dinge sprechen, obwohl der Gesetzentwurf, von dem wir reden, der gleiche ist, nämlich der zur Instrumentenreform. Sie sagen, da werde etwas Positives getan. Wir sehen nur: Die öffentlich geförderte Beschäftigung wird zunichtegemacht; das betrifft die Politik für Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit. Die Jobperspektive haben Sie bereits in der Vergangenheit durch eine andere Finanzierung kaputtgemacht. Die ABM werden gestrichen. Arbeitsgelegenheiten sollen noch arbeitsmarktferner sein und werden damit mit Sicherheit nicht Menschen helfen, zurück in den Beruf zu finden. Es fehlt eine Qualifizierungsinitiative zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Müsste man nicht Geld in die Hand nehmen, um konsequent aus Ungelernten Gelernte, aus Meistern Techniker und aus Technikern Universitätsabsolventen zu machen? Das geplante Anerkennungsgesetz löst den Zuständigkeitswirrwarr nicht auf und gibt keinerlei zusätzliche Möglichkeiten zur Nachqualifizierung. Darüber hinaus gibt es eine Personalreduktion bei der Bundesagentur für Arbeit, das heißt 10 000 bis 17 000 Stellen weniger. Man muss sicherlich darüber reden, dass es in manchen Bereichen der BA weniger Bedarf gibt. Aber wir wissen ganz genau, dass wir an anderen Stellen mehr Personal benötigen, nämlich da, wo es um die Vermittlung von Menschen in Arbeit geht. Warum wird nicht die Chance genutzt, um in diesem Bereich etwas zu machen? Die entsprechenden Modellprojekte waren mehr als erfolgreich. Frau Ministerin, Sie sollten es eigentlich wissen: Fördernde Arbeitsmarktpolitik ist das A und O. Wir müssen die Integration in Arbeit finanzieren statt Arbeitslosigkeit. Gegenüber dem Stern hatten Sie im Februar 2010 erklärt: Die Angebote müssen Schlag auf Schlag kommen. Tempo, Tempo, Tempo. Heute meldest du dich arbeitslos - und morgen hast du was zu tun. Das klingt dynamisch und zupackend. Aber mit Ihrem Haushalt graben Sie genau diesem Ziel das Wasser ab. „Tempo, Tempo, Tempo“ klappt nur, wenn Vermittler da sind, die etwas zu vermitteln haben, und wenn Geld da ist, um Menschen zu qualifizieren und in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn einige Bemerkungen zum „Regierungsdialog Rente“, der gestern begonnen hat. Ich denke, man muss über die entsprechenden Vorschläge noch ausführlich diskutieren und die Details klären. Das betrifft ja nicht den Haushalt 2012, sondern erst den des Jahres 2013. Bei alldem muss man natürlich im Auge haben, dass Verbesserungen bei Sozialleistungen immer das Problem mit sich bringen, dass sie Geld kosten. Ich denke, da kommt noch einiges auf uns zu. Wir werden diesen Punkt noch ausführlich diskutieren müssen. Dabei darf der Blick auf das Machbare nicht verloren gehen. ({0}) Nun zum Haushalt 2012. Dem vorliegenden Entwurf des Einzelplans 11 kann ich als Haushälterin ein gutes Zeugnis ausstellen. Die Hausaufgaben sind gemacht. Hierfür ein Dank an die Ministerin. ({1}) Frau Kramme, ich habe das Gefühl, dass Sie uns diesen Erfolg schlichtweg nicht gönnen. ({2}) Ihre Schwarzmalerei finde ich armselig; das resultiert daraus, dass Sie die Fakten einfach nicht anerkennen. ({3}) Der Etat weist insgesamt 4,7 Milliarden Euro weniger Ausgaben aus als 2011. Dabei hat dieser Etat deutliche Mehrbelastungen schultern müssen: 1,3 Milliarden Euro mehr Bundesgeld für die Rentenversicherung, 1,5 Milliarden Euro mehr Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft, ein um 1,3 Milliarden Euro höherer Bundesanteil bei der Grundsicherung im Alter. Die letzten beiden Positionen entlasten übrigens die Kommunen. Es gibt aber auch Entlastungen - das ist schon gesagt worden -: Die Bundesagentur für Arbeit braucht 2012 kein Darlehen mehr. Sie kann stattdessen bereits mit der Rückzahlung beginnen. Auch die Aufwendungen für das Arbeitslosengeld II sinken. Beides ist natürlich der guten Lage am Arbeitsmarkt zu verdanken. Auch bei der Umsetzung der Sparvorgaben gilt: Die Hausaufgaben sind gemacht. Erstens. Nach den Sparvorgaben vom Sommer 2010 sind 2012 bei den Arbeitsmarktaufwendungen im Bereich SGB II 1,5 Milliarden Euro gegenüber dem damaligen Finanzplan einzusparen. Auch diese Vorgabe wird punktgenau erfüllt. Das Eingliederungsbudget beläuft sich damit im Jahr 2012 auf 8,45 Milliarden Euro. Angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist das auch gut zu leisten und sollte hier keineswegs Anlass zu Kassandrarufen geben; denn wir senken die Eingliederungskosten aufgrund der sinkenden Arbeitslosenzahlen, worüber wir uns sehr freuen sollten. ({4}) Bei alldem wird natürlich der Betreuungsschlüssel nicht außer Acht gelassen. Diesen haben wir sehr wohl im Blick. Zweitens. Wir werden 2012 auch für das Arbeitslosengeld II deutlich weniger Geld ausgeben, als für 2011 veranschlagt ist. Der Ansatz liegt mit 19,5 Milliarden Euro um 900 Millionen Euro niedriger als der für das Jahr 2011. Insgesamt plant der Bund im Jahr 2012 für die Grundsicherung der Arbeitsuchenden Gesamtausgaben in Höhe von 33 Milliarden Euro. Den größten Teil davon, nämlich 25 Milliarden Euro, machen die Ansätze für Arbeitslosengeld II und für die Kosten der Unterkunft aus; das ist schon eine beachtliche Summe. Es ist besonders wichtig, die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente voranzutreiben und diese passgenau und effizient zu machen, damit wir möglichst viele Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zurückbringen. ({5}) Auf die Einzelkritik der Opposition will ich hier nicht weiter eingehen. ({6}) Ich will nur einen grundsätzlichen Unterschied deutlich machen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, möchten natürlich möglichst viele Menschen in öffentlich geförderte Beschäftigung bringen. ({7}) Wir von der Koalition möchten allerdings viele Menschen in den regulären Arbeitsmarkt bringen, ({8}) weil das von Dauer ist. Dazu haben wir gerade jetzt gute Chancen; denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist hervorragend, so gut wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. ({9}) Man kann es gar nicht oft genug sagen - Sie müssen auch einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen -: Seit April haben wir weniger als 3 Millionen Arbeitslose. Kurzarbeit spielt kaum mehr eine Rolle. ({10}) Es gibt vor allem bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einen massiven Zuwachs. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis! Auch die Erwerbstätigenzahl erreicht mit über 41 Millionen einen nie dagewesenen Rekord. Das sind hervorragende Zahlen. ({11}) Auch die Chancen der Langzeitarbeitslosen am Arbeitsmarkt sind derzeit so gut wie lange nicht. Ihre Zahl sinkt seit Monaten deutlich. Die jüngsten Zahlen zeigen einen Rückgang um 6 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Mast?

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich möchte gerne fortfahren. ({0}) Ihre Klage, das seien alles Billigjobs und nur der Niedriglohnsektor würde boomen, ist schlichtweg Unsinn. Schauen Sie sich die Zahlen einmal an: Die Zahl der Erwerbstätigen ist gegenüber dem Vorjahr um 527 000 gestiegen. Zugleich ist bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gegenüber dem Vorjahr ein Zuwachs von 684 000 zu verzeichnen. Da kann doch niemand ernsthaft behaupten, wir hätten nur bei den Billigjobs einen Boom. ({1}) Der beste Schutz gegen Armut ist ein Arbeitsplatz. ({2}) Deshalb richtet sich die FDP-Politik darauf, hier die Chancen zu verbessern. Die gute Lage am Arbeitsmarkt hilft uns natürlich dabei. Sie wird einen weiteren Schub bekommen, weil im kommenden Jahr eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen möglich wird. Die Reserven der Rentenversicherung entwickeln sich so gut, dass wir eine Beitragssenkung vornehmen können. Zum Schluss will ich noch ganz kurz auf die Finanzen der Bundesagentur für Arbeit eingehen. Die Situation der BA stellt sich deutlich günstiger dar als erwartet. 2011 muss die BA ein viel geringeres Defizit abdecken als geplant: nicht 5,4 Milliarden Euro, wie bei der Haushaltsaufstellung 2011 erwartet wurde, sondern lediglich 1,9 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass sie das Darlehen, das sie 2011 vom Bund zum Ausgleich des Defizits bekommt, schon bis 2013 zurückzahlen und dann erneut Rücklagen aufbauen kann. Insofern können wir mit der Entwicklung sehr zufrieden sein. Eines ist klar: Wenn Sie nichts zu kritisieren haben, dann denken Sie sich etwas aus. ({3}) Aber wir können sehr zufrieden sein mit der Entwicklung in dieser Zeit, und auf diesem Weg wird die Koalition auch weitermachen. Danke. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Katja Kipping für die Fraktion Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Winterstein, Ihre Rede war sehr bezeichnend. Wir reden hier über den Sozialhaushalt, und das Einzige, was Ihnen zu den sozialen Problemen in diesem Land einfällt, ist, sich für Kürzungen im Sozialbereich auf die Schulter zu klopfen. Man könnte fast denken, dass Sie hier unbeabsichtigt Wahlkampf für die Opposition machen. Ein klassisches Argument in Haushaltsdebatten zur Abwehr von sozialen Verbesserungen lautet häufig: Die Sozialausgaben steigen immer weiter an. - Ich finde, man muss das einmal genauer beleuchten. Dafür gibt es ein seriöses Kriterium, und zwar die Sozialleistungsquote. Zur Erläuterung: Die Sozialleistungsquote meint die Sozialleistungen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Doch genau diese Quote ist seit 2003 nicht gestiegen, sondern - im Gegenteil - gesunken, und zwar von 31,2 Prozent auf 27,9 Prozent. Also halten wir fest: Dieses klassische konservative Abwehrargument gegen linke Verbesserungsvorschläge ist nicht haltbar. ({0}) Frau von der Leyen, Sie haben sich heute wieder rhetorisch für Alleinerziehende eingesetzt. Das ist ein Anliegen, bei dem ich vollkommen an Ihrer Seite bin. Aber zur ganzen Wahrheit gehört auch: Es war Schwarz-Gelb, die im Zuge des sogenannten Sparpaketes das Elterngeld für Hartz-IV-Beziehende quasi gestrichen haben, indem es angerechnet wird. Von dieser Streichung sind auch 47 000 Alleinerziehende betroffen. Nun weiß ich, dass das nicht aus Ihrer Feder stammt; aber Sie haben es nicht verhindert. Da halten wir doch einmal fest, was schwarzgelbe Familienpolitik heißt: Gerade bei den Ärmsten wird genommen. Ich finde, das ist der falsche Weg. ({1}) Es war schon viel vom Rentendialog die Rede. Tatsächlich müssten wir gegen Altersarmut einiges unternehmen. Immerhin warnt die OECD: International gehört Deutschland zu den Schlusslichtern bei der Alterssicherung von Geringverdienenden. Sie warnt zu Recht; denn leider droht Altersarmut für immer mehr Menschen zur Realität zu werden. Die Zahl der minijobbenden Rentner ist in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen. Viele Rentner müssen noch arbeiten, weil die Rente einfach nicht reicht. ({2}) Wir wissen auch: Wer heute in Rente geht, bekommt im Schnitt eine deutlich niedrigere Rente als jemand, der vor zehn Jahren in Rente gegangen ist. Aber das ist doch nicht vom Himmel gefallen. Das ist doch keine Naturkatastrophe, die über uns gekommen ist. Das ist das Ergebnis von ganz konkreten politischen Maßnahmen, und da muss ich leider sagen: Es ist auch das Ergebnis schwarzgelb-rot-grüner Regierungspolitik. Sie haben das zu verantworten. ({3}) Was plant nun das Haus von der Leyen? Als Erstes sollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentner verbessert werden. Das heißt: noch mehr mini- oder midijobbende Rentnerinnen und Rentner. ({4}) - Sie wollen die Rentner dazu verdonnern, durch Malochen im Alter die niedrige Rente aufzubessern. ({5}) Da muss ich sagen: Das mag mit 65 gehen, das mag auch noch mit 70 gehen. Was machen wir aber mit der 90-jährigen Rentnerin, die sich kaum noch auf den Beinen halten kann und deren Rente trotzdem zu niedrig ist, um damit über die Runden zu kommen? Im Klartext: Sie wollen, dass die Rentner mit Malochen im Alter Ihre Rentenkürzungen ausbaden müssen. Das ist für mich nicht hinnehmbar. ({6}) Dann gibt es die schöne Zuschussrente. Eine von vielen Bedingungen dafür ist, dass man 35 Jahre lang in eine private oder in eine Betriebsrente eingezahlt hat. Nun wird es spannend. Inzwischen gibt es also quasi eine Pflicht, sich über den Rentenfonds am globalen Finanzkasino zu beteiligen. Haben Sie denn gar nichts aus der Finanzkrise gelernt? Eine Zuschussrente unter solchen Bedingungen ist vor allen Dingen eines: ein Treibstoff für die Versicherungskonzerne wie Allianz und Co. Ein Sicherheitsgurt gegen Altersarmut sieht wahrlich anders aus. ({7}) Was wir als Linke dem entgegensetzen, ist eben nicht eine Durchschnittsrente, wie Sie sie darstellen. Was es unserer Meinung nach tatsächlich braucht, ist eine solidarische Mindestrente, die garantiert, dass kein Rentner und keine Rentnerin im Alter unter die Armutsrisikoquote fällt. ({8}) Frau Winterstein, Sie überlegen bei Sozialhaushalten immer nur, wo man noch kürzen kann. Wir haben andere Anforderungen an den Sozialhaushalt. Wir meinen, ein Sozialhaushalt muss vor allen Dingen eine in Zahlen gegossene Teilhabegarantie für alle sein. Von einer solchen Garantie für Teilhabe ist schwarz-gelbe Sozialpolitik wahrlich weit entfernt. ({9}) Das wird unter anderem daran deutlich, wie wenig Mittel Sie für das Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV, einplanen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lindner?

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mit Vergnügen.

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Was sagten Sie gerade? In Zahlen gegossene Teilhabe? Sie regieren jetzt in Berlin seit bald zehn Jahren. ({0}) In Berlin gibt es eine Arbeitslosenquote von 13,5 Prozent, und zwar trotz Wirtschaftsbooms; das ist einmalig in Deutschland. Im Schnitt ist diese Zahl in Deutschland auf 7,7 Prozent zurückgegangen, in Berlin liegt sie bei 13,5. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt deutschlandweit bei 8,3 Prozent, in Berlin bei 23,5 Prozent. ({1}) Zehn Jahre regieren Sie. Die Jugendarbeitslosigkeit ist etwa dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Sie Dr. Martin Lindner ({2}) verweigern in Berlin einer ganzen Generation die Teilhabe. Erklären Sie uns einmal, wie Ihr Reden hier und Ihr praktisches Handeln vor Ort auch nur halbwegs in Deckung zu bringen sind. ({3}) Wenn Sie gleich antworten wollen, das läge an den schlechten finanziellen Konditionen in Berlin, sage ich Ihnen noch ergänzend: Berlin gibt pro Kind 6 100 Euro jährlich aus. In Hessen oder Sachsen sind es etwa 5 500 Euro. Sachsen liegt auf Platz eins im Bildungsmonitor, und Berlin liegt auf Platz 16 von 16 Ländern. Sie machen dort eine hundsmiserable Bildungspolitik, eine miserable Arbeits- und Wirtschaftspolitik, und jetzt stellen Sie sich hierhin und erzählen uns, dass wir keine soziale Politik machen, obwohl wir gerade dafür gesorgt haben, dass mittlerweile fast alle Menschen in Arbeit gekommen sind. ({4})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Lindner, vielen Dank für diese Frage. Ich hätte mich eher mit der Haushaltspolitik beschäftigt und sie diszipliniert abgearbeitet. Ich bin Ihnen aber dankbar, dass Sie jetzt den Bereich „Wahlkampf in Berlin“ eröffnen und mir Gelegenheit geben, außerhalb meiner Redezeit auf einige Erfolge der Politik der Berliner Landesregierung hinzuweisen. ({0}) Es ist tatsächlich Fakt, dass ein Großteil der Rahmenbedingungen auf Bundesebene gesetzt wird. Im Übrigen: Die schlimme Haushaltslage in Berlin ist von den Regierungen vor Rot-Rot verursacht worden; das wissen Sie genau. ({1}) Wer hat denn damals die Bank in den Ruin getrieben? Reden wir aber über rot-rot-grüne Regierungspolitik. ({2}) Zu dieser Bilanz gehört, dass sich in Berlin ein rot-roter Senat für den Erhalt des Sozialtickets starkgemacht hat. Zur rot-roten Regierungspolitik in Berlin gehört auch, dass man Regeln zu Kosten der Unterkunft für die Ärmsten durchgesetzt hat, die bundesweit beispielhaft waren. Leider haben Sie dagegen gekämpft und das Land Berlin über ein Gerichtsurteil dazu gezwungen, das rückgängig zu machen; aber da war einiges erreicht worden. Zur rot-roten Regierungspolitik gehört auch, dass man es - trotz widriger Bedingungen und jeder Menge Knüppel, die das Bundesministerium dem Land zwischen die Beine geworfen hat - geschafft hat, öffentliche Beschäftigung in die Wege zu leiten, die deutlich besser ist: ({3}) In Berlin ging es eben nicht nur um billige 1-Euro-Jobs; man hat Stellen im öffentlichen Beschäftigungssektor mit sinnstiftenden Tätigkeiten geschaffen. Insofern kann ich sagen: Von Berliner Beschäftigungspolitik könnte sich so manches Bundesland eine Scheibe abschneiden. ({4}) - Ich würde jetzt gerne weiter über den Haushalt reden. Sie können gerne noch eine Zwischenfrage stellen und damit meine Redezeit verlängern. Aber dann müssten wir uns an die parlamentarischen Gepflogenheiten halten. ({5}) - Über die Kinderstube des Herrn Lindner wollen wir jetzt hier nicht reden. Kommen wir zurück zum Haushalt. Sie haben deutlich weniger Mittel für das Arbeitslosengeld II eingeplant. Sie können das deswegen tun, weil Sie zuvor mit jeder Menge Tricks das Existenzminimum - wir haben die Pflicht, es zu garantieren - kleingerechnet haben. Inzwischen gibt es ein Gutachten des DGB, das es schwarz auf weiß auf den Punkt bringt: Die schwarz-gelbe Berechnung des Existenzminimums ist verfassungswidrig. Das ist auch ein Ergebnis Ihrer Politik. ({6}) Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens wende ich mich jetzt an Grüne und SPD: Geben Sie sich doch einen Ruck und reichen Sie zusammen mit uns eine Normenkontrollklage ein! Für eine solche Klage bräuchte es 25 Prozent der Abgeordneten. Das schaffen wir Linken leider noch nicht ganz alleine; aber zusammen könnten wir es schaffen. Wenn wir uns zu einer solchen Normenkontrollklage durchringen, dann wird das Gericht sehr wohl entscheiden. Vor allen Dingen würden wir damit den Betroffenen den mühsamen Weg durch die Instanzen ersparen. Nehmen Sie sich also ein Herz! Entscheiden Sie sich gegen die Komplizenschaft mit der CDU und für die Betroffenen! ({7}) Ja, wir Linken meinen - ich habe es selber nachgerechnet -: Sie haben das Existenzminimum mit Tricks kleingerechnet. Wenn man es ordentlich berechnete, müsste es bei rund 500 Euro liegen. Wir werden dazu Änderungsanträge einbringen. Sie können jetzt nicht mit dem Einwand kommen, das sei nicht finanzierbar. Erstens ist das Existenzminimum ein Grundrecht; das kann man nicht einfach nach Kassenlage ausdealen. Zweitens: So knauserig Sie bei den Ärmsten sind, so fahrlässig großzügig sind Sie, wenn es um die Superreichen geht. Es muss Ihnen doch zu denken geben, dass sich die Vermögenden in diesem Land zusammenschließen, um für eine Vermögenabgabe zu plädieren. Die Millionäre drängeln sich quasi, stehen Schlange, um die öffentlichen Kassen zu füllen; aber Sie sorgen mit Ihren ideologischen Scheuklappen dafür, dass die Einzahlungsschalter geschlossen bleiben. Ich finde, so viel Großzügigkeit können wir uns tatsächlich nicht leisten. ({8}) Was uns wirklich etwas kostet, ist die schwarz-gelbe Verweigerungshaltung beim Mindestlohn. Sie kostet uns jedes Jahr Milliarden. Es gibt jetzt eine Prognos-Studie, die unter anderem zu dem Ergebnis kommt: Wenn wir einen Mindestlohn von 10 Euro hätten, dann würde das den Sozial- und Steuerkassen zusammen rund 13 Milliarden Euro im Jahr einspielen. ({9}) Halten wir fest: Dieses Land kann sich die schwarzgelbe Verweigerungshaltung beim Mindestlohn einfach nicht mehr leisten. ({10}) Das ist nur einer von vielen Gründen dafür, warum wir uns Schwarz-Gelb nicht weiter leisten können. Danke. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Kollege Lindner, ich möchte Sie daran erinnern, dass man während der Beantwortung einer Frage, die man gestellt hat, stehen bleibt. ({0}) Wenn man eine lange Frage stellt, dann muss man stehend auch eine lange Antwort ertragen. ({1}) - Das entscheidet nicht der Fragesteller, das ist generell so. Sie kennen die Spielregeln. Das Wort hat nun Frau Kollegin Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier über einen bemerkenswerten Haushalt. Wenn wir in andere Einzelpläne schauen, sehen wir, man könnte dort tatsächlich sinnvoll einsparen; sei es im Verteidigungshaushalt, im Wirtschaftsetat oder beim Subventionsabbau. Es wird aber im Bereich des Einzelplans für Arbeit und Soziales gespart, also dort, wo es um Langzeitarbeitslose und Benachteiligte geht. Da schlagen Sie wirklich in unverantwortlicher Weise zu. ({0}) Da werden mit einem Federstrich erneut 900 Millionen Euro beim Eingliederungstitel eingespart. Zugegeben, die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht zurück. ({1}) - Ja, warten Sie ab. - Seit dem vergangenen Jahr haben wir einen kleinen Rückgang von 6,1 Prozent. ({2}) Aber Sie kürzen den Titel um ein Drittel. Das hat noch nicht einmal eine haushalterische Logik, sondern das sind schlicht und einfach Scheuklappen, die Sie aufhaben. Sie wollen diesen Titel aus ideologischen Gründen rasieren. ({3}) Natürlich gibt es auf dem Arbeitsmarkt eine gute Entwicklung, es gibt eine gute Konjunktur. Das betrifft aber die Langzeitarbeitslosigkeit nicht im gleichen Maße. Frau Ministerin, deshalb wäre es wichtig, dass Sie nicht nur hier am Pult von Qualifizierung reden, sondern dass Sie sich auch für ausreichende Mittel in Ihrem Etat einsetzen, damit die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen tatsächlich stattfinden kann, sodass diese Zugang zum ersten Arbeitsmarkt finden können. Sonst findet das überhaupt nicht statt. ({4}) Wirtschaftsminister Rösler hat erstaunlicherweise etwas Richtiges gesagt. Er sagte nämlich, der Fachkräftemangel sei die zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung. Daraus darf man aber doch keine Kürzungen Priska Hinz ({5}) von Qualifizierungen ableiten. Die Bundesregierung diskutiert seit einem Jahr über ein Konzept gegen den Fachkräftemangel, und die Ministerin, die mit ihrem Haushaltsplan tatsächlich etwas dagegen tun könnte, nimmt ihre Chancen nicht wahr, sondern lässt ihren Haushalt rasieren. Sie setzt sich nicht dafür ein, dass entsprechende notwendige Umstrukturierungen im Gesamthaushalt dazu führen, dass der Arbeitsetat geschont wird. Auch bei Ihrem Umgang mit der Bundesagentur für Arbeit stellt man fest, dass Sie aus der Finanz- und Wirtschaftskrise nichts gelernt haben. Vor der Krise hatte die BA Rücklagen in Höhe von 17 Milliarden Euro. Aus diesen konnte man zum Beispiel das Kurzarbeitergeld finanzieren. Was machen Sie jetzt? - Sie plündern den Haushalt der BA, damit Sie eines der Löcher im Bundeshaushalt schließen können, von denen es leider zu viele gibt. Aufgrund der Ergebnisse des Vermittlungsausschusses übernehmen Sie für die Grundsicherung im Alter die Finanzierung. Aus diesem Grund müssen Sie jetzt Gelder aus der BA nehmen. Das belastet die BA in den nächsten Jahren mit 12 Milliarden Euro. Stattdessen sollte der Bund diese Mittel übernehmen und nicht überlegen, an welcher Stelle konjunkturelle Maßnahmen dazu führen, dass eine Entschuldung stattfindet, sondern er sollte überlegen, welche strukturellen Maßnahmen dazu führten. Sie reißen der BA auch an dieser Stelle die Beine weg. Übrig bleibt eine Instrumentenreform, die nicht zielgenau auf Zielgruppen gerichtet ist, die notwendigerweise eine Unterstützung brauchen. Sie setzen vielmehr den Rotstift an. Damit ist Ihre Instrumentenreform schon vom Grundsatz her gescheitert. ({6}) Notwendig wäre eine Sozialministerin, die die 1,5 Millionen jungen Menschen ins Visier nimmt, die sich ohne Berufsabschluss auf dem Arbeitsmarkt befinden, und die die Instrumente auf sie ausrichtet. Notwendig wäre eine Sozialministerin, die sich für aktive Arbeitsmarktpolitik, für die Qualifizierung von älteren Menschen, die aus der Erwerbstätigkeit herausgedrängt werden, und für Langzeitarbeitslose, die einer besonderen Qualifizierung bedürfen, einsetzt. Dafür wäre eine Instrumentenreform sinnvoll. Sie aber streichen auch ein effektives Mittel wie den Gründerzuschuss weg. Dabei ist gerade dieser effektiv. Was Sie machen, ist ein reiner Kahlschlag. ({7}) Die Ministerin ist gut in der Darstellung, aber weniger gut in der Umsetzung. Das haben wir beim Bildungspaket für Kinder gesehen. Wochenlang ist sie durch Talkshows getingelt und hat erklärt, wie wichtig es ist, dass Kinder in Sportverbänden Mitglied werden und an der Kultur teilhaben können. ({8}) Was ist passiert? Es ist ein bürokratisches Monstrum entstanden, das die Kommunen mit zusätzlichen Verwaltungskosten belastet. Jetzt ist nichts mehr davon zu hören, dass die Umsetzung hapert. Deswegen sage ich: Gut in der Darstellung, schlecht in der Umsetzung. Genauso ist auch Ihr Einzelplan zu lesen. Daraus ist nämlich von guter Umsetzung einer Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nichts herauszulesen. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Karl Schiewerling für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Haushalt wird nun nach der Hälfte dieser Legislaturperiode diskutiert. Im November wird er letztendlich verabschiedet. Frau Kollegin Hinz, ich schätze, ich muss Ihnen leider sagen, dass Ihre letzte Bemerkung in Bezug auf die Bundesarbeitsministerin zwar spannend, aber falsch war. Sie müssen sich einmal genau anschauen, was wir in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode erreicht haben. Ich will Ihnen das in kurzen Sätzen darlegen - so weit zum Thema Reden und nicht Handeln oder nur Schaulaufen und keine Erfolge erzielen -: Wir haben die Jobcenterreform und die Regelsätze organisiert und arbeitsmarktpolitische Instrumente verabschiedet. Wir haben Freiheit und Verantwortung darin verankert. Wir haben die Zeitarbeit reguliert, den Mindestlohn in der Zeitarbeit eingeführt und mehr Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz eingeführt als viele andere vorher. Ich denke, diese Halbzeitbilanz kann sich sehen lassen. Das haben wir gemeinsam geschafft. So weit zum Thema: eine Ministerin, die nur redet, aber nichts hinbekommt. ({0}) Sicherheit geben, Perspektiven ermöglichen, Verantwortung übernehmen - diese Zielsetzung haben wir in der Union und in der christlich-liberalen Koalition in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und im sozialpolitischen Bereich in der Vergangenheit verwirklicht. Wir werden sie auch im kommenden Jahr verwirklichen. Wenn wir uns den Haushalt des Geschäftsbereiches Arbeit und Soziales ansehen, dann stellen wir fest, dass es in der Tat in dem einen oder anderen Bereich Kürzungen gibt. Das bleibt nicht aus; dazu werde ich gleich etwas sagen. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass Arbeitsmarktpolitik keine Arbeitsplätze schafft. Arbeitsplätze werden durch gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen und durch stabile Strukturen in der Arbeitsmarktpolitik in der Wirtschaft geschaffen. ({1}) 800 000 zusätzliche Arbeitsplätze, die in der letzten Zeit geschaffen worden sind, sind beredter Ausdruck dafür. Wir sind zufrieden; das ist gut. Deswegen können wir bestimmte Gelder reduzieren und anders, effektiver sowie effizienter einsetzen. Übrigens: Von den etwa 800 000 bis 900 000 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen sind weit mehr als die Hälfte ohne irgendwelche arbeitsmarktpolitischen Instrumente geschaffen oder besetzt worden. Ich weise darauf hin, dass auch diese Dinge letztendlich gut und sinnvoll funktionieren. ({2}) Rahmenbedingungen schaffen, damit zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen, ist unsere Aufgabe. Das gelingt aber nur, wenn wir Sicherheiten haben. Betriebe brauchen für ihre Planung Sicherheit - das ist keine Frage -, aber auch die Arbeitnehmer brauchen Sicherheit. Arbeit muss für die Arbeitnehmer planbar sein. Mit diesem Haushalt schaffen wir die dafür notwendigen Voraussetzungen. Wir müssen diejenigen fördern, qualifizieren und gegebenenfalls reintegrieren, die keinen Arbeitsplatz haben oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind. ({3}) Wir müssen alles daransetzen - das ist die Zielrichtung -, dass die Menschen in der Lage sind, eigenverantwortlich für sich und ihre Familien zu sorgen. Letztendlich geht es darum, dass Menschen auch im Alter Sicherheit haben. ({4}) Frau Kollegin Kipping, wir sagen, dass Menschen, die eine Rente beziehen, die Möglichkeit haben sollen, etwas hinzuzuverdienen. Das Konzept, das Frau von der Leyen vorgestellt hat, besagt nicht, dass wir Menschen zwingen, zu arbeiten. Wir eröffnen vielmehr Möglichkeiten. ({5}) Diejenigen, die zusätzlich Geld verdienen, zahlen in die Sozialversicherung ein und zahlen Steuern. Ich halte das für eine gute und reizvolle Perspektive unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung. Deswegen unterstützen wir dieses Konzept. ({6}) Wir stehen vor tiefgreifenden Problemen und sehr komplexen Aufgaben. In diesem Zusammenhang ist auch die Politik gefordert. Auch in einer Debatte wie dieser, in der es um den Haushalt geht, ist es wichtig, sich zu vergewissern, mit welchem geistigen Hintergrund wir diese Aufgaben angehen und welches Menschenbild wir dabei zugrunde legen. Wir sind verpflichtet, die Grundlagen und Prinzipien der christlichen Soziallehre zu beachten. Dabei geht es um Personalität, um Solidarität, um Subsidiarität und um Nachhaltigkeit. Unter dem Gesichtspunkt der Personalität muss auch im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik alles getan werden, um Menschen zu motivieren und zu begleiten, damit sie in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und eine Rente zu erwirtschaften, auf die sie stolz sein können, weil die Rente Lohn für Lebensleistung ist. All das steckt hinter dem Prinzip der Personalität. ({7}) Es geht auch um die Frage der Subsidiarität. Das heißt, wenn die Menschen ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft erwirtschaften können, haben sie ein Anrecht auf Unterstützung. Diese Unterstützung ist aber nicht auf Dauer angelegt. Sie ist vielmehr ein Sprungbrett. Mithilfe der Förderung soll man aus der Abhängigkeit vom Staat herauskommen und wieder in die Lage versetzt werden, sein Leben selbstbestimmt und eigenständig zu gestalten. Das ist unser Menschenbild. Daran orientieren wir uns, und daran richten wir unsere Politik aus. ({8}) Drittens geht es um den Bereich der Solidarität. Wir lassen diejenigen, die der Hilfe bedürfen, nicht im Regen stehen. ({9}) Ich freue mich sehr, dass der Beauftragte für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, hier ist. - Nein, er ist schon gegangen. ({10}) Ich sage es trotzdem: Letztendlich geht es auch darum, dass Menschen, die behindert sind, die keine Chance haben, jemals ohne fremde Hilfe zu leben, alle Unterstützung bekommen, die sie brauchen, damit sie ein selbstbestimmtes Leben führen können. ({11}) Ich wünsche mir manchmal, es wäre noch mehr möglich. Wir wollen die Augen aber nicht davor verschließen, dass wir unter dem Gesichtspunkt der Inklusion schon einiges erreicht haben. Ich erinnere zum Beispiel an den Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung. ({12}) Gemeinsam bringen wir die Sache voran, damit wir letztendlich erfolgreich sind. ({13}) Wenn es um die von Ihnen oft angeführte soziale Gerechtigkeit geht, will ich Ihnen sagen, dass diese soziale Gerechtigkeit verschiedene Facetten hat. Im Kern geht es um die Teilhabe und die Chancengerechtigkeit. Es geht aber auch um die Leistungsgerechtigkeit.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Herr Kollege Schiewerling, Sie haben sich gerade mit viel Enthusiasmus für die Teilhabe behinderter Menschen ausgesprochen, haben gesagt, was Sie sich alles wünschen. Können Sie mir bitte sagen, wie Sie angesichts dessen vertreten können, dass in der Regelbedarfsstufe 3 erwachsene Menschen mit Behinderung, die bei ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, Geld abgezogen bekommen mit der Begründung, sie brauchten zu Hause nicht so viel? Als hätten diese Menschen 20 Prozent weniger Kosten als andere! Es ist ein solcher Skandal. Ihre Regierung sagt: Wir überprüfen das am Sankt-Nimmerleins-Tag; denn wir können die Behinderten nicht bevorzugen. Das gehört zur Begründung dazu. Finden Sie nicht, dass das ein Skandal erster Ordnung ist, den man sofort aus der Welt schaffen müsste? ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geschätzter Herr Kollege Seifert, ich weiß, dass über diesen Punkt in der Vergangenheit heftig diskutiert wurde und auch immer noch darüber diskutiert wird. Ich will Ihnen allerdings sagen - ich bitte Sie herzlich, in dieser Frage offen zu sein -, dass es in der Regelstufe 3 unterschiedliche Berechnungen gibt und dass die Lebenssituation vieler Menschen, die behindert sind, so aussieht, dass sie sehr wohl gemeinsam mit anderen in einem Haushalt leben. Dies ist in die Berechnungen und Grundlagen eingeflossen. ({0}) Einzelne Ansätze dürfen wir nicht isoliert betrachten. ({1}) Ich will Ihnen allerdings gerne zugestehen - ich hoffe, dass Sie das akzeptieren -, dass es abgesehen von einer Reihe von Detailfragen - ich gebe zu, dass man über diese trefflich diskutieren kann - unterschiedliche Gesichtspunkte gibt. Es gibt auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene in der Bundesrepublik Deutschland viele Anstrengungen zur Inklusion und zur Integration von Menschen mit Behinderungen; freie Träger und viele Institutionen arbeiten mit großem Nachdruck und mit großer Leidenschaft daran. Dazu gehören auch Leistungen, die den behinderten Menschen insgesamt zukommen. Mit Ihnen hoffe ich, dass wir an der einen oder anderen Stelle weiterhin zu Verbesserungen kommen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage: der Kollegin Kipping?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Ich will zum Punkt Hilfe zur Selbsthilfe kommen. Die Mittel, die im Eingliederungstitel vorgesehen sind, werden - absolut betrachtet - reduziert; das ist richtig. Aber pro Langzeitarbeitslosem stehen mehr Mittel zur Verfügung als noch vor Jahren. ({0}) Daher kommt es jetzt darauf an, dass wir diese Mittel effizient einsetzen. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Hier kommt es darauf an, dass es gute Maßnahmen gibt, die wir fördern und unterstützen. Daran wird es nicht scheitern. Wir werden die Menschen, die Unterstützung benötigen, wieder in Beschäftigung bringen. Wir werden uns noch in diesem Monat in diesem Parlament über die arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu unterhalten haben. Wir werden den entsprechenden Gesetzentwurf hier in zweiter und dritter Lesung im Detail beraten. Ich glaube, dass es notwendig ist, intensiv darauf einzugehen. Lassen Sie mich einen Satz zum Thema Rente sagen. Der Rentendialog ist jetzt entstanden; dafür sind wir sehr dankbar. Wir haben uns im Koalitionsvertrag mit Blick auf die Entwicklungen der Renten und der Alterseinkünfte vorgenommen, diese Dinge in dieser Legislaturperiode möglichst schnell zu regeln. Es gibt ein paar Grundprinzipien, die wir beachten werden. Sie lauten wie folgt. Erstens. Rente ist Lohn für Lebensleistung. Wenn wir dies nicht beibehalten, machen wir Rente zu einem Sozialhilfesystem. Das ist Rente aber nicht. Rente muss Lohn für Lebensleistung bleiben. ({1}) Zweitens. Rente muss aufgreifen, dass innerhalb eines Solidarsystems gewisse Ausgleiche möglich sind. Letztendlich ist all das, was wir der Rentenversicherung als Leistungsträger zusätzlich aufbürden, mit Steuern der Allgemeinheit zu finanzieren und kann nicht von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern gestemmt werden. Das ist ein wichtiger Teil unseres Solidarsystems. ({2}) Wir werden im Haushaltsjahr 2012 alles daransetzen, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen, die in Beschäftigung kommen wollen, wieder in Beschäftigung kommen. Wir werden die Brücken dafür weiter bauen. Wir werden für die Langzeitarbeitslosen, die es besonders schwer haben, die Treppe in den ersten Arbeitsmarkt zielführend weiter stabilisieren und ausbauen. Ich sage Ihnen: Wir wollen dies in der Verantwortung, die wir vor den Menschen haben, tun. Wir sind auf einem guten Weg. Diesen Weg werden wir zum Wohle der Menschen gemeinsam in dieser Koalition fortsetzen, und zwar in einem guten Schulterschluss mit all denjenigen, die wollen, dass wir auf diesem Weg weitergehen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Katja Kipping.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Schiewerling, ich möchte noch einmal auf die Regelbedarfsstufe 3 eingehen. Da das ein komplizierter Begriff ist, zur Erläuterung: Bei der Neufestsetzung der Hartz-IV-Regelsätze hat Ihre Regierung beschlossen, eine neue Stufe für erwachsene bedürftige Behinderte einzuführen. Im Ergebnis werden erwachsenen Bedürftigen - vor allen Dingen betroffen sind Behinderte - im Monat 73 Euro gestrichen. Sie haben den Behinderten also richtig in die Tasche gegriffen und ihnen pro Monat 73 Euro weggenommen. ({0}) Es ging dabei nicht um objektive Berechnungen, sondern um eine ganz klare politische Entscheidung Ihrerseits. Diese Entscheidung war so umstritten und ist so stark kritisiert worden, dass Sie im Vermittlungsausschuss, als es um einen Kompromiss mit dem Bundesrat ging, versprochen haben, zu prüfen, inwieweit man verhindern kann, dass Behinderte so benachteiligt werden. Inzwischen liegt mir eine Antwort des Bundesarbeitsministeriums vor, in der es eindeutig heißt: Wir sehen diesbezüglich keinen Handlungsbedarf. Es bleibt alles so, wie es ist. - Ich finde, das ist nicht hinnehmbar. Ich hätte Sie vorhin gern gefragt, ob Sie die Auffassung der Bundesregierung teilen, dass tatsächlich diesbezüglich kein Handlungsbedarf besteht. Ich glaube, wenn man es mit der UN-Behindertenrechtskonvention ernst meint, dann sollte man nicht gerade den ärmsten Menschen mit Behinderung in die Tasche greifen. ({1})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Kipping, um mit der UN-Behindertenrechtskonvention anzufangen: Wir nehmen sie ernst. Im Kern geht es bei der UN-Behindertenrechtskonvention um Inklusion und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. ({0}) Wir haben keine neue Regelbedarfsstufe eingeführt; darum ging es auch gar nicht. ({1}) - Nein. - Es ging darum, dass Menschen mit Behinderung, die erwerbsfähig sind und zu Hause wohnen, mit Unterstützung und Förderung im Prinzip jederzeit die Möglichkeit haben, aus ihrer Abhängigkeit herauszukommen. Die Diskussion, die wir geführt haben, mündete in die Strukturen, die wir geschaffen haben. Um auf Ihre Frage zu antworten: Ich teile die Auffassung des Bundesarbeitsministeriums. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Katja Mast für die SPD-Fraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Schiewerling, ich hätte gerne von Ihnen gehört, was Sie dazu sagen, dass der Haushalt des Bundesarbeitsministeriums von 2011 bis 2015 um 26,5 Milliarden Euro gekürzt werden soll, ganz egal, wie hoch die Arbeitslosenzahlen sind und was in dieser Republik passiert. Das sind strukturelle Kürzungen, keine konjunkturellen Kürzungen. Ich hätte auch gern etwas von Ihnen zu Folgendem gehört: Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat uns allen mitgeteilt - über 3 000 Unterschriften haben es besiegelt -, dass im letzten Jahr die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die Arbeitslosengeld II beziehen, um 4 Prozent zurückgegangen ist, dass Ihre Haushaltskürzungen, die diese Personengruppe betreffen, aber ein Volumen von 25 Prozent hatten. Auch hier wurde also strukturell gekürzt. Auch hier hätte die Möglichkeit bestanden, Menschen durch Bildung in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Auch hier haben Sie Möglichkeiten gestrichen, echte Beschäftigungspolitik zu betreiben, um Vollbeschäftigung - Sie sprechen ja immer gern von „Arbeit für alle“; wir sagen lieber „gute Arbeit für alle“ - zu erreichen. Sie nehmen langzeitarbeitslosen Menschen mit Ihrer Politik die Perspektiven und die Chancen auf würdevolle Teilhabe an dieser Gesellschaft. Dazu haben Sie gerade nichts gesagt, Kollege Schiewerling. ({0}) Ich frage mich: Was ist eigentlich Ursula von der Leyens Ziel in der Arbeitsmarktpolitik? ({1}) Welche Antwort hat die Ministerin auf die Probleme am Arbeitsmarkt? Wofür kämpft diese Ministerin? Für Goldreserven in Europa oder für gute Arbeit für alle? Das ist doch die Frage an dieser Stelle. In Deutschland ist eine Spaltung am Arbeitsmarkt festzustellen. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die langzeitarbeitslos sind. Diese Menschen befinden sich übrigens in unterschiedlichen Situationen. Manche von ihnen stehen ganz am Rand, weisen vielfache Vermittlungshemmnisse auf und hatten seit vielen Jahren keine Arbeit mehr. Denen müssen wir uns politisch zuwenden; sie stehen am Rand. Auf der anderen Seite haben wir gut ausgebildete Fachkräfte, von denen wir noch mehr brauchen. Ich komme zur zweiten Spaltung am Arbeitsmarkt. Wir haben im europäischen Vergleich die höchste Quote an prekären Beschäftigungsverhältnissen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen in Normalarbeitsverhältnissen. Auch in Bezug auf diese Spaltung gibt es von Ursula von der Leyen bzw. von ihrer Arbeitsmarktpolitik keine Antworten. Es gibt eine dritte Spaltung auf dem Arbeitsmarkt. Frauen verdienen im Schnitt 23 Prozent weniger als Männer. Es geht dabei nicht nur um Alleinerziehende. Das ist eine Geschlechterfrage. Auch darauf gibt es - weder im Haushalt noch in den arbeitspolitischen Instrumenten noch durch irgendwelche Taten - keine Antworten von Ursula von der Leyen. Darum geht es heute in der Haushaltsdebatte. ({2}) Der vorgelegte Haushalt verschärft diese Spaltung; er vermindert sie nicht. Das ist umso bemerkenswerter, weil die Regierung letztes Jahr ein sogenanntes Sparpaket vorgelegt hat. Ich glaube, Sie haben es sogar als Zukunftspaket bezeichnet. Dazu sage ich lieber Kürzungspaket. Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist übrigens die Politik, bei der es um Bildungsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt geht. Dabei geht es nicht um Arbeitslosengeld, sondern um das Schaffen von Chancen durch aktives Tun und Handeln. Dort wird gekürzt. Da wird auch um so viel gekürzt, wie Sie in Ihren Sparbeschlüssen vorgesehen hatten. Aber wo überall wird das nicht getan? Überall dort, wo Sie diejenigen mit belasten wollten, die gut verdienen. Beispielsweise gibt es keine Finanztransaktionsteuer, obwohl Sie sie vorgesehen hatten. Auch die Brennelementesteuer gibt es nicht. Die Wiedereinführung des Fiskusprivilegs bei Insolvenzverfahren gibt es ebenfalls nicht. Die Streitkräfte sollten ihren Beitrag zum Sparpaket leisten. Das alles gibt es nicht. Das Einzige, woran diese Regierung festhält, ist das Kürzen bei den Menschen, die am Rande stehen, und dort, wo es um Investitionen in der Arbeitsmarktpolitik geht. Deshalb regen wir von der Opposition uns auch die ganze Zeit über so auf. Sie kümmern sich nicht um die Menschen, die am Rande dieser Gesellschaft stehen. Sie kürzen in der Arbeitsmarktpolitik und in der Bildungspolitik des Bundes. Das ist der größte Skandal dieser Bundesregierung. ({3}) Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Es gibt in dieser Republik 1,5 Millionen Jugendliche im Alter von 20 bis 30 Jahren, die keine Berufsausbildung haben. ({4}) Wo sind Ihre Antworten für diese 1,5 Millionen Menschen, welche die Fachkräfte unserer Wirtschaft für morgen sind? Sie sind für den Zusammenhalt in der Gesellschaft sowie das wirtschaftliche Wachstum wichtig. Sie geben den Menschen, die am Rande stehen - Langzeitarbeitslose mit vielen Vermittlungshemmnissen -, keine echten Antworten. Sie nehmen Ihnen durch Ihre Instrumentenreform die Perspektive auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Ich habe das Gefühl, dass sich Ihre Ministerin bereits aus der Arbeitsmarktpolitik verabschiedet hat. Sie will noch hoch hinaus und hat vergessen, was man für Menschen tun muss, die am Rande stehen. ({5}) Ich finde, dass es Ursula von der Leyens Aufgabe ist, diesen Menschen ein Gesicht und eine Stimme zu geben. Aber dazu höre ich leider nichts von Ihnen. Deshalb werden wir den von Ihnen vorgelegten Haushaltsentwurf nicht durch das Parlament durchwinken. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Der nächste Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal kann man sich wirklich nur wundern. Als vor einer Woche die neuen Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben wurden, lief die folgende Meldung über den Ticker: Arbeitslosenzahl erreicht niedrigsten Stand seit 20 Jahren - Opposition kritisiert unzureichende Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung. - Darüber habe ich mich gewundert. ({0}) Das zeigt aus meiner Sicht zweierlei. Zum einen zeigt es, wie gut wir sind. Zum anderen zeigt es, wie einfallslos Sie sind. Frau Mast, Sie haben gefragt: Was ist eigentlich das Ziel dieser Koalition bzw. dieser Bundesregierung? Unser Ziel ist es, Menschen in Arbeit zu bringen. Dabei sind wir sehr erfolgreich. Ich will Ihnen die Zahlen nennen; man kann sie nicht oft genug wiederholen. Im August waren noch 2,945 Millionen Menschen arbeitslos, 238 000 weniger als noch ein Jahr zuvor. ({1}) 41,13 Millionen Menschen waren erwerbstätig - das ist ein absoluter Hochstand, ein Allzeithoch -, 527 000 mehr Menschen als noch vor einem Jahr. 28,3 Millionen Menschen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, 684 000 mehr als noch vor einem Jahr. Tiefstand bei der Jugendarbeitslosigkeit: Mit 10 Prozent hat Deutschland in Europa die Spitzenposition inne. Erstmals gibt es mehr angebotene Lehrstellen als Stellenbewerber. Davor können Sie doch nicht die Augen verschließen. Sie können sich doch nicht hier hinstellen und herummäkeln und sagen: Alles, was diese Bundesregierung macht, ist schlecht. Frau Nahles hat ausweislich der Tickermeldung erklärt: Wenn die Bundesregierung nicht alles falsch gemacht hätte, dann hätte sie einen noch stärkeren Rückgang der Arbeitslosigkeit erzielen können. - Dazu will ich eines sagen - Frau Nahles ist jetzt nicht mehr da -: Wenn Frau Nahles und die SPD regiert hätten, hätten Sie diese Zahlen nicht erreicht; denn unsere Zahlen sind so gut, weil wir auf einen Mix der Beschäftigungsformen setzen. Sie aber wollen nur bestimmte Beschäftigungsformen - das haben Sie eben gesagt, Frau Mast - als gute Arbeit anerkennen. Ich sage Ihnen: Wir freuen uns, dass mehr als die Hälfte der neuen Stellen Vollzeitstellen sind. Ich sage Ihnen aber auch: Wenn wir ein hohes Maß an Beschäftigung wollen, dann gehören Teilzeit, Midijobs und auch geringfügige Beschäftigung ebenso zum Erwerbsleben wie Zeitarbeit oder befristete Beschäftigung. ({2}) Dieses hohe Maß an Beschäftigung ist kein Selbstzweck. Ohne diesen Höchststand bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und bei der Erwerbstätigkeit hätten wir nicht diese insgesamt sehr komfortable Situation im Bundeshaushalt - mit der Schuldenbremse -, aber auch in den Sozialkassen. Wie kommt es denn, dass wir beim Rentenbeitrag Senkungsspielräume von 0,8 Prozentpunkten haben, die wir - wie gesetzlich vorgesehen nutzen wollen? ({3}) Weil wir ein hohes Maß an Beschäftigung haben. Sie haben es in der Vergangenheit nicht geschafft, die Beschäftigungspotenziale auszuschöpfen. Deswegen sollten Sie uns hier keine Vorwürfe machen. ({4}) Dass so viele Menschen Arbeit haben, trägt zur soliden Finanzierung unseres Gemeinwesens und zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme bei. Ich habe von dieser Stelle aus immer gesagt: Ein Arbeitsplatz ist das höchste Gut. Man kann auch sagen: Viele Arbeitsplätze sind die beste Garantie für einen funktionierenden Sozialstaat. ({5}) Frau Mast, auch wenn Sie es nicht sofort einsehen wollen: Wir können gute Fortschritte bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit verzeichnen. Allein im August 2010 ist die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - diese Zahl ist nicht direkt mit der Zahl der Langzeitarbeitslosen gleichzusetzen; der Kreis ist größer - im Jahresvergleich um 298 860 zurückgegangen, ein Minus von 6,1 Prozent; die Kollegin Hinz hat darauf hingewiesen. Wir sind bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit erfolgreich. Wir werden - allen Unkenrufen zum Trotz - sogar noch erfolgreicher sein. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Weil unsere Reformen Ihrer verkorksten und vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Hartz-IV-Gesetze auch für die Langzeitarbeitslosen einen Pfad zurück in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schaffen werden: mit kooperativen Jobcentern, mit Zielvereinbarungen, unterjähriger Erfolgskontrolle - demnächst kann übrigens jeder sogar online sehen, wie sein Jobcenter performt, wie gut es also ist -, mit Regelsätzen, die die Existenz sichern, aber Erwerbsarbeit nicht unattraktiv machen, und mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, die die Jobcenter vor Ort in die Lage versetzen, einem Langzeitarbeitslosen in freiem Ermessen die bestmögliche Förderung zukommen zu lassen. Das heißt, wir gehen individuell auf jeden Einzelnen ein. Deswegen werden wir weitere Erfolge bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit erzielen, also dort, wo Sie jahrelang nur nach dem Gießkannenprinzip gearbeitet haben. ({6}) Noch eine kurze Anmerkung zur Rentenpolitik. Ich will hier sehr deutlich sagen: Eine nachsorgende Kompensation im Bereich der Altersarmutsbekämpfung stößt sehr schnell an Grenzen. Auch ein Mindestlohn ist keine Lösung; das wissen Sie so gut wie ich. ({7}) Man müsste einen Mindestlohn von 12 Euro einführen, um nach einem Arbeitsleben von 45 Jahren eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu erzielen. Nein, hier sind wir ganz dezidiert anderer Auffassung. Wir glauben, Prävention ist das Gebot der Stunde. Die Frage wurde gestellt: Lohnt es sich für die Menschen, zu riestern? Diese Frage wollen wir beantworten. Einen Vorschlag hat das BMAS in diesen Tagen gemacht. Sie kennen unseren Vorschlag, der Freibeträge für private und betriebliche Vorsorge vorsieht. In jedem Fall sollte derjenige, der eigene Anstrengungen unternommen hat, belohnt werden. Dieser Weg, den wir hier aufzeigen, ist richtig. Mein letzter Punkt ist das Thema Hinzuverdienstgrenzen. Es geht uns nicht darum, die Anhebung dieser Grenzen als einen Beitrag zur Altersarmutsbekämpfung zu sehen, nach dem Motto: Die Älteren müssen noch arbeiten. - Sie verkennen, dass es für viele Menschen auch etwas mit Teilhabe und dem Selbstwertgefühl zu tun hat, im Alter noch dazuzugehören. Ich erlebe in unglaublich vielen Gesprächen, dass die Menschen sagen: Es ist wirklich überfällig. Warum verdammt ihr uns zu einem 400-Euro-Job, wenn wir als 63-Jährige in Rente gehen? Wir wollen gerne noch mehr machen. Gebt uns Spielraum. - Genau das tut diese Koalition. Wir sind sehr nah am Puls der Menschen. Wir kommen gut voran. Das sieht man an unseren Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Sabine Zimmermann. Bitte schön, Frau Kollegin Zimmermann. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin von der Leyen, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Ich muss Ihnen von dieser Stelle aus sagen: Ihre Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik spaltet die Gesellschaft in Arm und Reich. ({0}) Während Sie und Ihre Regierung zusehen, dass zockende Banken gestützt werden, Reiche immer reicher werden, haben Sie für die Menschen, die arbeitslos sind und täglich um das Überleben kämpfen, nur Peanuts in der Tasche. Das ist unmöglich. ({1}) 20 Milliarden Euro wollen Sie bei den Erwerbslosen abkassieren. Schon im letzten Jahr haben Sie beschlossen, die Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik bis 2014 - die Zahlen wurden bereits genannt - um diesen Betrag zu reduzieren. Da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie wollen: Das ist nichts anderes als eine brutale Kürzung auf dem Rücken von Millionen von arbeitslosen Menschen. ({2}) Als Begründung für diesen Kahlschlag haben Sie in diesem Jahr das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt nachgeschoben. Ich muss schon sagen: Das ist ein dreistes Bubenstück, diesem Kürzungsprogramm auch noch das Etikett „Verbesserung“ aufzudrücken. Ohne Moos, nichts los - das weiß doch jeder, und wenn kein Geld vorhanden ist, können keine Maßnahmen durchgeführt werden. Damit verbessern Sie nicht die Chancen für die Langzeiterwerbslosen, sondern erhöhen nur die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen keinen Job mehr bekommen. Das ist Ihre Politik. ({3}) In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es großspurig: Die Arbeitsmarktpolitik soll dezentraler, flexibler, individuell und letztlich effizienter gestaltet werden. - Ich bitte Sie! Was soll in Zukunft der Arbeitsvermittler vor Ort noch entscheiden können, wenn ihm keine Mittel zur Verfügung stehen? Wollen Sie den Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit, den Jobvermittlern, den Schwarzen Peter zuschieben? Das ist doch wohl unmöglich. Schon jetzt sparen Sie bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, zum Beispiel bei der Weiterbildung. Die Zahl der neuen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Maßnahmen ist seit Jahresbeginn insgesamt um fast 38 Prozent zurückgegangen. Erzählen Sie nicht immer, auch die Arbeitslosigkeit sei zurückgegangen! Deren Rückgang im Vergleich zum Vorjahr - die Zahlen können Sie überall nachlesen - beträgt insgesamt nur 7,5 Prozent, im Hartz-IV-Bereich sind es sogar bloß 3,5 Prozent. Dabei benötigen gerade Langzeiterwerbslose Qualifizierung und Bildung, um überhaupt eine Chance auf einen Job zu bekommen. Nun erzählt uns die Arbeitsministerin, in den kommenden Jahren 330 000 Langzeiterwerbslose wieder in Arbeit bringen zu wollen. Da müsste Frau von der Leyen schon zaubern können; denn dieses Vorhaben ohne Geld durchzuführen zu wollen, das ist wohl ein hehres Ziel. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf: Diese Bundesregierung ist daran interessiert, eine hohe Sockelarbeitslosigkeit beizubehalten, sozusagen als Abschreckung für die Beschäftigten, um sie daran zu erinnern, dass ihnen Hartz IV droht, sollten sie selbstbewusst höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen einfordern. ({4}) Das ist die Logik Ihrer Politik. ({5}) Die Linke fordert die Bundesregierung zu einem grundlegenden Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik auf. Vor allem die Menschen mit den schlechtesten Jobchancen, Langzeiterwerbslose, Menschen mit Behinderung und Ältere, dürfen nicht abgeschrieben werden. Sie müssen verstärkt gefördert werden. ({6}) Sich nur auf leicht vermittelbare Erwerbslose zu konzentrieren, wie Sie es machen, und den Rest seinem Schicksal zu überlassen, ist unchristlich und unsozial. Nehmen Sie endlich Geld in die Hand, und investieren Sie in Qualifizierung und Weiterbildung!

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin, Sie haben noch die Chance, eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lindner zuzulassen.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber natürlich, Herr Lindner. Ich freue mich.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das ist ja schön. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Denken Sie, dass Sie so in Berlin über 5 Prozent kommen? ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie sollten zuerst die Frage anhören, statt schon vorher zu antworten. - Bitte schön, Kollege Lindner.

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn wir schon bei Zahlenspielen sind, Frau Kollegin, und Sie gerade wieder angemahnt haben, dass wir zu wenig Eingliederungshilfen für Behinderte anbieten: Wie erklären Sie es sich, dass der rot-rote Senat im Jahr 2003, ({0}) kurz nachdem er ins Amt gekommen ist, das Blindengeld in Berlin von 585 Euro auf 468 Euro gekürzt hat und Berlin damals beim Blindengeld von Platz eins auf Platz zehn abgerutscht ist? Können Sie sich bei diesem Punkt ebenso wie bei der Jugendarbeitslosigkeit erklären, wie das Reden von Ihnen und Ihren Kollegen irgendwie mit dem in Einklang zu bringen ist, was Sie in der Wirklichkeit fabrizieren?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich finde es gut, dass Sie dieses Podium nutzen, um noch einmal richtig Wahlkampf für Berlin zu machen. Sie haben es auch wirklich nötig. ({0}) Aber Sie verwechseln die Bundespolitik mit der Landespolitik. Was das angeht, was Sie hier anführen, um uns vielleicht in die Bredouille zu bringen: Sie sollten darüber nachdenken, dass Sie in der Bundespolitik viele Menschen in Armut und Hartz IV treiben. ({1}) Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Ihre Kahlschlagpolitik ist kein Rezept für eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Ihr kopfloses Sparen auf dem Rücken der Erwerbslosen wird ein Bumerang sein. Sie tragen dazu bei, dass die Demokratie zerstört und die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich immer weiter vorangetrieben wird. Danke schön. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächste hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Katrin Göring-Eckardt das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Jahre hatten wir keine Rentenministerin. Jetzt haben wir eine, sozusagen im Nebenerwerb. Erst passierte nichts, und dann gab es plötzlich hektische Betriebsamkeit. Zuerst habe ich gedacht, dass das vielleicht etwas mit der Großen Anfrage „Altersarmut“ meiner Fraktion zu tun hat. Die Antworten kann man grob in drei Punkten zusammenfassen. Erstens. Es gibt keine seriösen Studien dazu, sagt die Bundesregierung. Zweitens sagt sie: Wir haben nicht vor, welche zu erstellen. Die dritte Antwort lautet: Altersarmut ist kein Problem. - So ähnlich dachten auch die drei Affen. So ähnlich sind auch die Vorschläge, die die Ministerin jetzt zum Thema Altersarmut vorlegt. Sie kommen typisch von-der-Leyensch daher: Erst gibt es ein Riesentamtam. Aber es ist nicht wie beim Scheinriesen Tur Tur, der größer wird, wenn man näher kommt. Hier handelt es sich eher um einen aufgeblasenen Zwerg. Worüber wird beim Rentendialog eigentlich geredet? Es geht nicht um diejenigen, die sich tatsächlich Sorgen machen und Sorgen machen müssen. Jeder Zweite sorgt sich nämlich in der Tat darum, dass sein Einkommen im Alter nicht ausreicht. Es geht nicht um diejenigen, die mit 63 gerne noch etwas tun wollen, um dazuzugehören. Die Frage ist: Wem muten wir eigentlich zu, dass er im Alter noch arbeiten muss, weil sein Einkommen nicht ausreicht? Es ist Altersarmut, und um die geht es. ({0}) Für die Regelung, die bei der sogenannten Zuschussrente getroffen werden soll, hat die Ministerin im Zeit-Interview fünf Zeilen gebraucht, um alle Bedingungen aufzuzählen, die man erfüllen muss, um vielleicht einen Anspruch darauf zu haben. Das soll bei etwa 20 000 Menschen der Fall sein. Übrigens sind gar keine Mittel dafür eingestellt. Dieses Instrument wird wahrscheinlich niemanden tatsächlich erreichen. Man soll 35 Jahre privat vorgesorgt und 45 Jahre eingezahlt haben. Das dient nicht der Bekämpfung von Altersarmut, sondern das ist eine Mogelpackung und nichts anderes. ({1}) Wen trifft denn die Altersarmut tatsächlich? Sie trifft Frauen. Diese erreichen trotz aller Anrechnungspirouetten der Ministerin mitnichten so viele Beitragsjahre. Heute sind es im Schnitt bei Frauen 26,8, bei Männern 40,2 Beitragsjahre. Wie soll man da auf 45 Beitragsjahre kommen? Die Altersarmut trifft vor allen Dingen die Ostdeutschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien in den letzten 20 Jahren, die jetzt ins Rentenalter kommen und der Gefahr der Altersarmut ausgesetzt sind. Auf diese Probleme gibt es keine Antwort. Wen trifft die Altersarmut noch? Sie trifft die Geringverdiener. Es ist schon erwähnt worden, dass uns die OECD bescheinigt hat, dass wir bei der Altersversorgung für Geringverdiener - darunter befinden sich 69 Prozent Frauen - das Schlusslicht bilden. Es sind heute 6,5 Millionen Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Für die Probleme dieser Menschen gibt es keine Antwort. Das gilt auch für die Langzeitarbeitslo14624 sen. Gerade diese haben unter den Kürzungen im Haushalt zu leiden. Bis 2015 wird es 10 Milliarden Euro weniger geben. Besonders drastisch wirkt sich das Fehlen von 5,2 Milliarden Euro beim Gründungszuschuss aus. Das trifft die Selbstständigen. Weitere Kürzungen gibt es bei der Arbeitsförderung und der Integration.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Weiß?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Kollege Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Göring-Eckardt, bevor durch Ihre Rede in der Öffentlichkeit eine Meldung über den Vorschlag der Bundesministerin Ursula von der Leyen zur Zuschussrente verbreitet wird, möchte ich Sie Folgendes fragen: Zum Ersten. Müssen Sie nicht anerkennen, dass die vorgeschlagene Rentenzahlung von 850 Euro für Menschen, die in ihrem Berufsleben zu wenig für die Rente ansparen konnten, um über 100 Euro über der Grundsicherung liegt, die zu Zeiten von RotGrün für Menschen, die im Alter zu wenig Rente haben, eingeführt worden ist? Zum Zweiten: Ist Ihnen bekannt, dass der Vorschlag der Frau Bundesministerin von der Leyen damit startet, dass man 30 Beitragsjahre haben muss, um diese Rente zu erhalten? Zu den Beitragsjahren zählen auch Zeiten der Kindererziehung und der Pflege. Ferner muss man 40 Versicherungsjahre haben, wozu auch Jahre der Arbeitslosigkeit zählen. ({0}) - Nein. Der Vorschlag der Frau Bundesministerin von der Leyen startet damit, dass man 30 Beitragsjahre haben muss, später sind es 35. Wir reden davon, von welchem Punkt aus wir starten. Zu diesen 30 Beitragsjahren zählen auch Zeiten der Kindererziehung und der Pflege. Zu den 40 Versicherungsjahren, die man haben muss, zählen auch Zeiten der Arbeitslosigkeit. ({1}) Man muss zudem fünf Jahre in eine staatlich geförderte private Altersvorsorge oder in eine betriebliche Altersvorsorge eingezahlt haben. Die Zeiten des Arbeitslosengeld-II-Bezuges werden auf die Rente angerechnet. Sie zählen bei den 40 Jahren mit.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Weiß, Sie sind dabei, eine Frage zu stellen.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Frau Kollegin Göring-Eckardt die Frage stellen, ob sie anerkennt, dass unter diesen Startbedingungen die meisten Erwerbstätigen die Möglichkeit haben, eine Zuschussrente zu erhalten, und dass vor allem Frauen - ich spreche sie als Abgeordnetenkollegin an von einer Zuschussrente profitieren werden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Weiß, das würde ich gerne tun, wenn dem so wäre. Abgesehen davon, dass die Ministerin es vorgezogen hat, nicht dem Parlament ihre Vorschläge vorzulegen - das machen Sie jetzt freundlicherweise, aber das Parlament wird erst nach dem Rentendialog informiert, was bei dieser Bundesregierung so üblich ist; damit können wir notfalls leben -, sage ich Ihnen: 20 000 Menschen sollen im nächsten Jahr - das sagt die Ministerin von dieser Zuschussrente profitieren. 400 000 Menschen bekommen die Grundsicherung im Alter. Zwischen diesen beiden Zahlen scheint mir doch ein gewisser Abstand zu bestehen. Es stimmt also nicht, dass tatsächlich diejenigen von der Zuschussrente profitieren, die besonders von Altersarmut betroffen sind. Ich wäre im Grundsatz für die Zuschussrente, wenn sie nicht wieder eine Mogelpackung nach dem Motto „Wir reden viel und machen es ganz groß“ von Frau von der Leyen wäre. Ich befürchte: Am Schluss profitieren nur ganz wenige. Es wird viel geredet, aber für die Menschen verbessert sich nichts. ({0}) Ich will auf ein Argument eingehen, das Frau von der Leyen in ihrer Rede vorhin deutlich gemacht hat, als sie gesagt hat: Das Rentensystem kann die Veränderungen in der Arbeitswelt und das, was im Arbeitsleben nicht funktioniert hat, nicht ausgleichen. Mein Vorschlag ist ganz einfach: Vielleicht kann die Rentenministerin einmal mit der Arbeitsministerin reden, sodass man tatsächlich Prävention gegen Altersarmut betreiben kann. Der Mindestlohn ist zwar nicht das alleinige Instrument in diesem Zusammenhang, aber wenigstens ist er eines, das man anwenden könnte. ({1}) All die von Koalitionsseite gemachten Vorschläge sind nichts anderes als Trostpflaster. So bekämpft man die Altersarmut nicht. Altersarmut ist übrigens mehr, als ein bisschen an der Rente zu drehen. Altersarmut ist mehr als komplex: Sie bedeutet nicht nur Einkommensarmut, sondern auch schlechteres Wohnen - Sie haben ganz nebenbei den Heizkostenzuschuss gestrichen -, mangelhafte medizinische Versorgung; darauf gibt es keine Reaktion. Auch gibt es keine Lösung für das Problem der geringeren Mobilität. Die Frage, wie Migrantinnen und Migranten oder auch Menschen mit BehindeKatrin Göring-Eckardt rungen heute im Alter leben, spielt überhaupt keine Rolle. Es geht nur mit einem Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Altersarmut und nicht mit einem Trostpflaster für einige wenige. ({2}) Das, was von der Leyen macht - sie gibt keine Antworten -, ist Budenzauber in guter Blüm’scher Tradition, nach dem Motto: Wir verschließen die Augen vor den eigentlichen Problemen. Das ist nicht Armutsbekämpfung, sondern ein Armutszeugnis dieser Bundesregierung - ein weiteres. Vielen Dank. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Paul Lehrieder. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegin GöringEckardt, Sie haben sich in weiten Teilen Ihrer Rede mit dem jetzt anstehenden Rentendialog beschäftigt. Ich würde sagen: Thema verfehlt. Wir reden heute über den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und noch nicht über ein Projekt, das wir unmittelbar nach der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente angehen wollen und für das ich unserer Arbeitsministerin ausdrücklich danken möchte. Frau von der Leyen, was sie machen, das ist gut, das ist wichtig. Das Ganze ist eine Baustelle; da haben Sie recht. Ich will eines sagen: Ich habe, als die Frau Ministerin den beginnenden Rentendialog hier vorgestellt hat, reflexartig vom linken Flügel dieses Hauses, von der Linkspartei, abermals den Ruf „Mindestlöhne!“ gehört. ({0}) Noch einmal zur Klarstellung - ich muss Ihnen schon beim Rechnen helfen -: Um eine über die Grundsicherung hinausreichende Altersrente zu erreichen, kommt man weder mit dem Mindestlohn, den die Gewerkschaften fordern, noch mit dem Mindestlohn, den die Linkspartei vorschlägt - derzeit sind es 10 Euro, Frau Kipping -, hin, sondern man brauchte 12,20 Euro. Ich kann verstehen, dass man vor lauter Liebesbriefschreiben nach Kuba nicht dazu kommt, so etwas nachzurechnen. Vielleicht sollten Sie das einmal tun. ({1}) Meine Damen und Herren, die Gesamtausgaben für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Jahr 2012 belaufen sich auf rund 126,6 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu haben wir in diesem Jahr voraussichtlich ein Soll von 131,3 Milliarden Euro. Dies würde für das Jahr 2012 - ich will in dieser Haushaltsdebatte auch einmal auf Zahlen eingehen - immerhin eine Einsparung von 4,7 Milliarden Euro bedeuten. Für diese Leistung möchte ich der Bundesregierung meine ausdrückliche Anerkennung aussprechen. Wir haben es geschafft, die Krise zu überstehen. Die Wirtschaft wächst und hat das Vorkrisenniveau erreicht. Wir haben einen enormen Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Meine Damen und Herren der Opposition, es gibt keinen Grund zu Schwarzmalerei: Deutschland geht es gut. Hätte Rot-Grün das erreicht, hätte man drei Wochen auf den Marktplätzen getanzt. ({2}) Lassen Sie uns zum Haushalt zurückkehren. Grund für die sinkenden Gesamtausgaben ist zunächst die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit stabilen Arbeitslosenzahlen von unter 3 Millionen; 2,945 Millionen derzeit. Dies führt zu einer deutlichen Entlastung der sozialen Sicherungssysteme. Weniger Ausgaben, mehr Einnahmen - das rechnet sich; zu dieser Erkenntnis dürfte auch Frau Hagedorn kommen. Positive Auswirkungen haben auch die in der Arbeitsmarktpolitik eingeplanten strukturellen Einsparungen im Rahmen des Zukunftspakets vom Juni dieses Jahres. Frau Hinz hat vorhin ausgeführt, die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente würde letztendlich zu einer Verschlechterung führen, weil die Fallmanager der Jobcenter vor Ort in Zukunft weder das Geld noch die richtigen Mittel hätten. Das Gegenteil ist richtig. Machen Sie sich die Mühe und sprechen Sie mit Ihren Jobcentern! Sprechen Sie mit der Bundesagentur! ({3}) Dort wird die Flexibilisierung ausdrücklich begrüßt. Hätten Sie, Frau Hagedorn, sich die Mühe gemacht, am Montag von 11 bis 14 Uhr bei der Anhörung zugegen zu sein, dann hätten Sie gehört, dass die Bundesagentur die Flexibilisierung ausdrücklich begrüßt, weil die Instrumente passgenauer eingesetzt werden können. ({4}) Vorredner haben bereits ausgeführt, dass es unser Bestreben ist, nicht die Arbeitslosigkeit zu fördern, sondern die Rückkehr in Arbeit. Das heißt, die Vermittlung in Arbeit ist unser erklärtes Ziel und nicht das Verbleiben in Arbeitslosigkeit. Meine Damen und Herren, es wurde eben bereits darauf hingewiesen: Der Ansatz des Integrationstitels wurde zwar insgesamt etwas reduziert; das ist richtig. Aber prozentual, das heißt im Verhältnis zu der Anzahl der betroffenen Personen, ist er gestiegen. Es gebietet die Ehrlichkeit, den Mitbürgerinnen und Mitbürgern auch das entsprechend zu sagen. ({5}) - Frau Pothmer, ich will wiederholen: Wir schärfen die arbeitsmarktpolitischen Instrumente, und das ist gut so. Die christlich-liberale Koalition stellt sich den Herausforderungen, die die demografische Entwicklung der kommenden Jahre und Jahrzehnte an uns richtet. Wir gehen aktiv gegen Alters- und Kinderarmut und den Fachkräftemangel vor. Wir verbessern weiter die Beschäftigungsbedingungen für Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich will einräumen: Wir haben mit dem Elterngeld und mit dem Ausbau der Krippenplätze auch mit den Kollegen der SPD in der letzten Legislaturperiode einiges richtig gemacht. Das kann man ja einmal neidlos sagen. Wir entwickeln das weiter fort. Wir verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter. Wir sorgen für eine bessere Integration unserer Migrantinnen und Migranten, um deren Potenziale zu nutzen, und wir erleichtern älteren Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt. Unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Prämissen das erfolgen wird, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten diskutieren. Frau Göring-Eckardt, Sie sind herzlich eingeladen, im Ausschuss mit uns das Für und Wider der einzelnen Maßnahmen im Rahmen des Rentendialogs zu diskutieren. Wie meine Vorredner schon verdeutlicht haben, muss ein vernünftiger und zukunftsorientierter Haushalt zwei Funktionen erfüllen. Er muss für wirtschaftliches Wachstum sorgen und jedem Bürger die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln und einer Arbeit nachzugehen. Er muss aber auch solide und finanzierbar sein. Diese Balance, liebe Kolleginnen und Kollegen, hält der vorliegende Haushaltsentwurf. Meine Damen und Herren, wir haben gemeinsam beschlossen, die Schuldenbremse in das Grundgesetz aufzunehmen. ({6}) - Ja, ihr nicht; das weiß ich schon. - Dieser Schritt war wichtig und richtig, um eine nachhaltige und zukunftsorientierte Politik zu betreiben, eine Politik für unsere Kinder und Enkelkinder. Daran wird die christlich-liberale Koalition festhalten. ({7}) Wie wichtig die Schuldenbremse ist, haben auch Sie heute Morgen in der Debatte von neun bis elf in diesem Hohen Hause vernehmen können. Genau diese Schuldendisziplin muss von den Ländern eingefordert werden, die in den letzten Jahren über ihre Verhältnisse gelebt haben. Wir sind auf einem guten Weg. Wir sollten auf diesem guten Weg voranschreiten. Wir müssen auch im Bereich Arbeit und Soziales sparen. Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, wir haben gerade nicht einfach den Rotstift angesetzt, um zu Einsparungen zu kommen, sondern wir haben es geschafft, durch mehr Effizienz, mehr Transparenz und strukturelle Vereinfachungen bei weniger Ausgaben nicht nur die hohe Qualität unseres sozialen Systems in Deutschland beizubehalten, sondern auch nachhaltige Verbesserungen zu erreichen. ({8}) Erlauben Sie mir, da sich meine Redezeit so langsam dem Ende zuneigt, auf Folgendes hinzuweisen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das geht schneller, als Sie glauben.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe es fast befürchtet, Herr Präsident. ({0}) Die Bundesagentur für Arbeit hat noch im Frühjahr ein Defizit von 5,4 Milliarden Euro zum Jahresende erwartet. Mittlerweile ergeben die Prognosen einen Wert von etwa 1,9 Milliarden Euro. Auch hier macht sich die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung sehr positiv bemerkbar. Das heißt, wir werden in den nächsten Jahren auch bei der Bundesagentur für Arbeit die richtigen Entscheidungen zugunsten unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch zugunsten der Menschen treffen, ({1}) die das Pech haben, derzeit keinen Arbeitsplatz zu haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kollegin Angelika Krüger-Leißner. Bitte schön, Frau Kollegin Krüger-Leißner.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin von der Leyen hat ja in ihren Eingangsworten wieder versucht, uns glauben zu machen, dass sie mit diesem Haushalt alles bewältige: Alle wichtigen arbeitsmarktpolitischen und sozialpolitischen Aufgaben wolle sie damit bewältigen. Wir sehen das ganz anders. Im Übrigen stehen wir damit nicht allein. Dieser Haushalt zeigt dramatische Fehlentwicklungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf. Im Übrigen bestätigen Ihnen, Frau Ministerin, das auch die Länder, die Kommunen, die Verbände, die Sozialträger, die Träger im Umfeld der Arbeitsmarktpolitik. Nicht zuletzt in der Anhörung am Montag - da waren Sie ja nicht zugegen wurde ein vernichtendes Urteil über Ihre Instrumentenreform gefällt. ({0}) Die Instrumentenreform hat zusammen mit den Kürzungen beim Eingliederungstitel in Höhe von 4 Milliarden Euro verheerende Auswirkungen und stellt letztlich nichts anderes dar als eine Kürzungsorgie. ({1}) - Oh, ich war von Anfang bis Ende da. ({2}) Aber es hat sich ja schon öfter gezeigt, dass bei Ihnen Reden und Handeln keine Einheit mehr bilden. Ich habe mir Ihre Kürzungsvorschläge genau angeschaut. Dabei ist mir ein Bild vor Augen gekommen: In Brandenburg finden wir sehr viele Biber. Wenn ich an der Havel entlangfahre, sehe ich diese freundlichen Zeitgenossen. Sie nagen und nagen so lange am Baumstamm, bis er instabil wird, ins Wanken gerät und schließlich umfällt. Genau dieses Bild spiegelt sich in Ihren Kürzungsplänen wider. ({3}) Sie nagen bereits in diesem Jahr mit der Umsetzung der ersten Sparbeschlüsse am soliden Fundament der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Im Bereich der BA und des SGB II werden rund 2 Milliarden Euro gekürzt. Für das nächste Jahr planen Sie eine Verdopplung der Kürzungen auf dann sage und schreibe 4 Milliarden Euro allein in diesem Bereich. Ich finde, das ist ungeheuerlich und entspricht weder den Anforderungen an eine aktive Arbeitsmarktpolitik noch den Erwartungen der Menschen auf Teilhabe. Für diese Prioritätensetzung im Haushalt tragen Sie allein die Verantwortung. ({4}) Bei der BA wollen Sie bis 2015 nur im SGB-III-Bereich 11,5 Milliarden Euro einsparen. Dazu kommt noch ein Verlust durch das Wegfallen der Einnahmen aus einem halben Mehrwertsteuerpunkt. Dieses ununterbrochene Nagen, um im Bild zu bleiben, führt zu leeren Kassen bei der BA und lässt die BA ins Wanken geraten. Das hat Ihnen der Chef der BA, Frank-Jürgen Weise, bereits Anfang Februar gesagt. Er hat Sie mit folgenden Worten gewarnt: Und die 3,0 Prozent - also der aktuelle Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung reichen so gerade eben aus, das operative Geschäft zu finanzieren. Sie reichen nicht, um Defizite infolge der Krise abzubauen oder gar ein Polster für die nächste Krise aufzubauen. Ich frage Sie nun: Warum hören Sie eigentlich nicht auf Ihre Experten? Hat nicht in der Vergangenheit die solide Finanzsituation der BA dazu beigetragen, dass wir seit 2008 gut durch die Krise gekommen sind und dank des Kurzarbeiterprogramms Arbeitsplätze erhalten werden konnten? Ist das alles schon vergessen? Aus meiner Sicht ist gerade angesichts der anhaltenden weltweiten Finanzkrise und ihrer möglichen Auswirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung die Bildung von Rücklagen bei der BA unverzichtbar. Eine Schwächung der BA können wir uns einfach nicht leisten. ({5}) Mein Fazit ist, dass Sie Ihre Prioritäten falsch gesetzt haben. Ich will aber nicht nur meckern, ich will Ihnen auch einen Vorschlag machen. ({6}) - Ja, mit erheblichen Einsparungen. Sie werden staunen. Hören Sie doch auf Ihre Kollegen bei der CDA. Diese haben nämlich vor einigen Tagen einen klugen Beschluss gefasst. Ich weiß, dass Ihnen das nicht passt, aber es sind kluge Köpfe dabei, nicht nur der Vorsitzende, Herr Laumann; auch der Stellvertreter des Bundesvorsitzenden, Herr Brauksiepe, der ja Ihr Staatssekretär ist, und Herr Schiewerling sowie, wie ich nachlesen konnte, Herr Weiß sind in der CDA. ({7}) Sie alle haben sich dazu durchgerungen, zu beschließen, dass es einen allgemeinen flächendeckenden Mindestlohn geben muss. „Endlich!“, kann ich da nur sagen. ({8}) Ich kann jetzt nur noch hoffen, dass Frau Ministerin von der Leyen diesen klugen Vorschlag aufgreift und entsprechende Prioritäten setzt. Hier kann sie nämlich sparen. Fast 7 Milliarden Euro kann sie mit der Einführung des Mindestlohns einsparen. Frau von der Leyen, lassen Sie sich nicht von dieser FDP aufhalten! ({9}) Hören Sie auf die Vertreter des Sozialflügels Ihrer Partei! Es ist noch Zeit, die Prioritäten in diesem Haushalt zu verändern. Danke. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Jetzt für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Axel Fischer. Bitte schön, Kollege Axel Fischer. ({0})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich manche Aussagen der Kolleginnen und Kollegen Revue passieren lasse, dann frage ich mich, in welchem Land sie eigentlich leben oder was sie heute Morgen zu sich genommen haben. ({0}) Wenn die Kollegin Hinz noch da wäre - sie hat bestimmt gute Gründe, nicht da zu sein -, würde ich ihr sagen: Was wir für Eingliederung und Verwaltung für das Jahr 2012 vorsehen, nämlich 8,5 Milliarden Euro, ist der gleiche Betrag wie in 2007. Es gibt nur einen kleinen Unterschied: Im Vergleich zu 2007 wird die Zahl der Arbeitslosen im SGB-II-Bezug jetzt nur noch auf 1,861 Millionen geschätzt. Es steht also deutlich mehr Geld pro Arbeitslosem zur Verfügung. Das muss man hier auch einmal deutlich sagen. ({1}) Der vorliegende Haushaltsentwurf trägt eindeutig die Handschrift der christlich-liberalen Koalition. ({2}) Darin ist deutlich die Orientierung an unseren Zielen zu erkennen: die Menschen wieder in Arbeit zu bringen und den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Die geplanten Ausgaben von 126,6 Milliarden Euro im Einzelplan 11 liegen um knapp 5 Milliarden Euro unter den Ansätzen des laufenden Jahres. Das ist möglich ohne Einschnitte bei der Rente, mit erhöhten Hartz-IVRegelsätzen und mit verstärkter Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund. Die erheblich gesunkenen Haushaltsansätze sind ein erfolgreicher Beitrag zur notwendigen Haushaltskonsolidierung und zur Zurückführung der Neuverschuldung des Bundes. Dieser Beitrag wäre ohne die entschlossene und zielgerichtete Arbeit der christlich-liberalen Koalition und der Frau Bundesministerin von der Leyen in den letzten beiden Jahren nicht möglich gewesen. ({3}) Er ergibt sich im Wesentlichen aus der geplanten Absenkung der Ausgaben im Bereich des Arbeitsmarktes. Diese Absenkung ist nur möglich geworden, weil wir die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft haben und weiter bekämpfen werden. Gleichzeitig steigen die Ausgaben für die Sozialversicherung um mehr als 3 Milliarden Euro auf jetzt 84 Milliarden Euro, davon 82 Milliarden Euro für die Rentner; das sind etwa zwei Drittel des Arbeits- und Sozialhaushalts. Mit diesem Aufwuchs setzen wir trotz allem notwendigen Sparen ein Zeichen dafür, wie wichtig uns ein sicheres Auskommen für unsere Rentner ist; denn Rente ist Lohn für Lebensleistung. ({4}) Auch wenn es durch manch andere politische Diskussion derzeit überdeckt wird: Der bisherige Kurs der christlich-liberalen Koalition, orientiert am Leitbild der Leistungsgerechtigkeit, war mit Blick auf den Arbeitsmarkt sehr erfolgreich. Es ist uns gelungen, seit 2009 die Zahl der Arbeitslosen um 500 000 zu reduzieren, von 3,4 auf nur noch 2,9 Millionen. Für das kommende Jahr, 2012, erwarten wir nur noch gut 2,6 Millionen Arbeitslose. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen im SGB-IIBezug ist in diesem Zeitraum um 200 000 auf knapp 2 Millionen gesunken. Das sind weniger Arbeitslose, als jeder der Anwesenden noch vor zwei Jahren gedacht bzw. erhofft hätte. Das ist es, was wichtig ist für unser Land. Die christlich-liberale Koalition hat vielen Menschen nicht nur Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben mit Arbeit gegeben; vielmehr haben wir die Menschen tatsächlich in Arbeit gebracht. ({5}) Ich rede hier nicht von staatlicher Beschäftigung, von statistikschönendem Parken von Arbeitslosen in mehr oder weniger sinnvollen Schulungen; nein, viele Menschen haben in den letzten zwei Jahren die Erfahrung machen können, dass sie im ersten Arbeitsmarkt bestehen, dass sie ohne staatlichen Schutzraum aus eigener Kraft ihr Auskommen haben und für sich und ihre Familien sorgen können. Das ist es, was für die Menschen im Land zählt. Mit zielgerichteter und angemessener Hilfe für jeden Einzelnen fahren wir fort. ({6}) So erfreulich diese Entwicklung ist, so positiv ist auch die Wirkung auf den Bundeshaushalt: Erheblich weniger Arbeitslose - das bedeutet erhebliche Potenziale für Einsparungen. Wir haben Spielräume eröffnet, die wir dringend zur Haushaltskonsolidierung brauchen, zum Abbau der Neuverschuldung und für viele andere Dinge mehr. Wir werden die Menschen sicher nicht durch noch höhere steuerliche Belastungen ihres Einkommens für mehr und bessere Leistungen motivieren können. Es ist doch geradezu absurd, Menschen mit viel Mühe zu qualifizieren und in produktive Arbeit zu bringen, wenn sie hinterher aufgrund der Steuer- und Abgabenlast nicht mehr haben als ein Arbeitsloser. ({7}) Nein, wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet. Mit steigender Steuer- und Abgabenlast werden wir keinen wirtschaftlichen Aufschwung fördern können. Leistungsgerechtigkeit in einer Verantwortungsgemeinschaft - dieses Leitbild bringt uns weiter als das Leitbild von Verteilungsgerechtigkeit in einer Gemeinschaft mit beschränkter Haftung. „TEAM“ darf nicht zur Abkürzung für den Satz: „Toll, ein anderer macht’s“ werden. Axel E. Fischer ({8}) Nicht nur die sinkende Zahl der Arbeitslosen bringt Entlastung für den Haushalt; vielmehr ermöglichen insbesondere Effizienzverbesserungen bei der Arbeitsmarktvermittlung im Bereich von SGB II erhebliche Einsparungen. ({9}) Dies ist ein Verdienst der Umstrukturierung der Arbeitsvermittlung, wie sie in den vergangenen Jahren erfolgt ist. Ausgangspunkt war vor sieben Jahren der Streit um die Aufgabenwahrnehmung bei der Arbeitsvermittlung. ({10}) Mit der Zulassung unterschiedlicher Träger - kommunaler und der Bundesagentur - wurde damals die Saat ausgebracht für die Früchte, die wir heute ernten können. Denn nur durch dieses gelungene Experiment konnten vielfältige Erfahrungen in allen Teilen Deutschlands gesammelt werden. Diese Erfahrungen sind die Grundlage für die heutige, vielerorts sehr erfolgreiche Vermittlungstätigkeit bei Jobcentern. Dass dies bis heute so erfolgreich umgesetzt wurde, ist nicht zuletzt auch Verdienst der Bundesagentur für Arbeit. Unter Leitung von Herrn Weise hat sich die Bundesagentur in den letzten Jahren permanent weiterentwickelt, hat die politischen Entscheidungen erfolgreich umgesetzt und praktikable Lösungen für den Arbeitsmarkt erarbeitet. ({11}) Aufbauend auf diesen positiven Erfahrungen gehen wir schon einen Schritt weiter. Mit der Internetvergleichsplattform für den SGB-II-Bereich ermöglichen wir es Kommunalpolitikern und anderen Menschen, zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit die Jobcenter in ihrer Region und darüber hinaus anzuschauen und entsprechend zu bewerten. ({12}) Sie sehen, wir nutzen auch die neuen Medien intensiv. Ich glaube, auch da sind wir auf einem guten Weg. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Staatssekretär Fuchtel ansprechen, der sich hier in besonderer Weise verdient gemacht hat. Herzlichen Dank für diesen Einsatz! ({13}) Sie sehen, der vorgelegte Haushaltsentwurf ist eine ideale Grundlage, um bei intensiven Diskussionen in den Ausschüssen zu einem Etat zu kommen, der die Ziele, die wir uns setzen - Leistungsgerechtigkeit, Senkung der Arbeitslosigkeit und Haushaltskonsolidierung -, in Übereinstimmung bringt. Herzlichen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Letzte Rednerin in dieser Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Bettina Hagedorn. Bitte schön, Frau Kollegin Hagedorn. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als letzte Rednerin in dieser Runde sage ich: Herr Kollege Fischer, Sie haben gerade eben gemeint, die Opposition habe heute ausnahmslos etwas Komisches getrunken, um zu einer ganz anderen Wahrnehmung des Einzelplans 11 zu kommen als Sie. ({0}) Den Eindruck hat, glaube ich, die Opposition bei den Redebeiträgen von FDP und CDU/CSU in der heutigen Runde. Wir haben es also nicht nur mit einem gespaltenem Arbeitsmarkt, sondern offensichtlich auch mit einer gespaltenen Wahrnehmung zu tun. ({1}) Darum will ich ein bisschen zur Aufklärung beitragen. Frau Ministerin von der Leyen, Sie haben mit dem Hinweis darauf eingeleitet, der Etat betrage 18 Milliarden Euro weniger als noch in Krisenzeiten, und das sei möglich dadurch, dass man am Arbeitsmarkt so erfolgreich gewesen sei. Das ist richtig. Richtig ist auch, dass wir alle uns darüber freuen und dass alle in der Regierungskoalition, die uns unterstellen wollen, wir würden uns darüber nicht freuen, vollkommen schief gewickelt sind. Wir freuen uns darüber. Der Punkt ist nur: Politik darf sich, wenn es gut geht, nicht im Feiern einer Party genügen. Wir sind im Moment in einer konjunkturell guten Zeit; darüber freuen wir uns. ({2}) Gerade im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik ist es aber unsere Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Sicherheit für die Zukunft geben; ({3}) das hat sogar der Kollege Schiewerling hier gesagt. Wenn das unser Ziel sein soll, dann ist der Etat ungenügend. Das ist er deshalb, Frau von der Leyen, weil die 18 Milliarden Euro an Ersparnis, die Sie hier angesprochen haben, eine konjunkturelle Rendite darstellen, die jede Regierung, egal wie sie heißt, im Haushalt abbilden würde. Das ist sozusagen Sparen im Schlafwagen. Diese Rendite ist das Ergebnis einer guten und vorsorgenden Arbeits- und Sozialpolitik mitten in der Krise, damals gemeinsam in der Großen Koalition. Es ist aber Fakt, dass es leider nicht immer so bleiben muss: Es gibt nicht nur von der OECD Hinweise darauf, dass wir beim Haushalt 2012 - über den sprechen wir hier - nicht unbedingt davon ausgehen können, dass es immer so gut weitergeht wie bisher. Wie sind eigentlich Ihr Haus und die Bundesagentur für Arbeit als wichtiger Player in diesem Feld gerüstet? Die Bundesagentur für Arbeit, die hier schon angesprochen worden ist, hatte 2008 dank unserer gemeinsamen Politik noch eine Rücklage von 17 Milliarden Euro. Darum war die Bundesagentur für Arbeit in der Lage, in der Krise die von uns gewünschten Instrumente, etwa das Kurzarbeitergeld, einzusetzen. 2009 blieb dann von dieser Rücklage aufgrund eines Defizits von 15 Milliarden Euro logischerweise kaum noch etwas übrig. 2010 - da waren wir uns sogar einig - haben wir den Abbau des Defizits bei der Bundesagentur für Arbeit bezuschusst. Jetzt erhält sie ein Darlehen. Sie von der Regierung waren vor neun Monaten der Meinung, dass die Bundesagentur für Arbeit 2011 und 2012 ein Bundesdarlehen in Höhe von 7,4 Milliarden Euro in Anspruch nehmen müsse. Dank der guten Konjunkturdaten, über die wir alle uns freuen, prognostizieren Sie jetzt - Frau Dr. Winterstein hat es vorhin gesagt -, dass die Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr ein Darlehen von nur 1,9 Milliarden Euro braucht, schon im nächsten Jahr 1 Milliarde Euro davon zurückzahlt und ab 2013 wieder eine Rücklage bildet. Sie haben aber nicht einkalkuliert, dass es möglicherweise auch anders kommen kann. Sie von der Regierung haben aber im Sommer 2010 das sogenannte Zukunftspaket - das Kürzungspaket, über das wir hier reden - auf den Weg gebracht, damit die Schuldenbremse eingehalten wird. Dieses Kürzungspaket umfasst strukturelle Kürzungen. Für diejenigen am Fernseher, die es nicht verstehen: Strukturelle Kürzung bedeutet, dass Sie diese Milliardenbeträge in jedem Fall kürzen, völlig egal, wie sich die Arbeitslosigkeit und die Krise weiterentwickeln. Das Geld steht also weder der Bundesagentur für Arbeit noch in Ihrem Bereich zur Verfügung. Wir reden hier über Summen von über 20 Milliarden Euro; die Zahlen sind schon genannt worden. Weil sich viele Menschen in der letzten Zeit bei hohen Beträgen, gerade im Milliardenbereich, nicht mehr richtig vorstellen können, was sich dahinter verbirgt, sage ich Ihnen jetzt konkret, was das eigentlich für das Land Berlin bedeutet. ({4}) Man muss dazu wissen, dass diese Kürzungen sehr unterschiedlich wirken; das haben wir in der Vergangenheit schon besprochen. Der Deutsche Paritätischen Wohlfahrtsverband hat als Sachverständiger dem Haushaltsausschuss eine bemerkenswerte Studie dazu vorgelegt. Sie zeigt, dass es gerade in den östlichen Bundesländern und den Stadtstaaten zu einem Kahlschlag kommt, der noch größer als in anderen Bereichen ist. Auch in den strukturschwachen Flächenländern im Westen und Norden ist es schlimm. Baden-Württemberg und Bayern kommen praktisch ohne Kürzung davon. Was bedeutet es also für Berlin? Berlin hat durch das Sparpaket in diesem Jahr für den SGB-II-Bereich, also für die Jobcenter, nur - so könnte man sagen 136,5 Millionen Euro weniger erhalten; im Bereich der Bundesagentur für Arbeit waren es rund 80 Millionen Euro weniger. Das sind in diesem Jahr summa summarum über 200 Millionen Euro. Man muss aber sagen: Die Kürzungen wurden in diesem Jahr durch die brummende Konjunktur abgefedert. Ich zeige jetzt exemplarisch für Berlin, wie es 2012 weitergeht. 2012 werden sich die Kürzungen im SGB-IIBereich auf 226 Millionen Euro fast verdoppeln. 2013 werden es - nur im SGB-II-Bereich - schon über 400 Millionen Euro sein. 2014 und 2015 werden es jeweils knapp 540 Millionen Euro sein. Das summiert sich bis 2015 in Berlin auf Kürzungen von sage und schreibe 1,7 Milliarden Euro. Dazu kommen die Kürzungen im Bereich der Bundesagentur für Arbeit. Diese summieren sich bis 2015 für Berlin auf 611 Millionen Euro. Summa summarum ergibt sich allein für Berlin bis 2015 ein Kahlschlag von 2,3 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern und in der Bundesagentur für Arbeit nicht wissen, wie sich dies auswirken wird. Sie arbeiten nämlich mit Langzeitarbeitslosen und mit Arbeitslosen, und wir können heute noch gar nicht wissen, wie viele wir davon in den nächsten Jahren aufgrund von möglicherweise krisenhaften Entwicklungen in anderen Teilen der Welt, von denen wir als exportabhängiges Land abhängig sind, haben werden, Frau von der Leyen. Weder die Bundesagentur für Arbeit noch Sie oder Ihre möglichen Nachfolger haben dann im Rahmen des Haushalts noch irgendetwas in der Hand, um präventiv tätig werden zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Katastrophe. ({5}) Ich muss zum Schluss kommen. Frau von der Leyen, Sie sind von Frau Dr. Winterstein dafür gelobt worden, wie brav Sie das Sparpaket umsetzen. ({6}) Das sollte Sie stutzig machen. Von der FDP, die die BA schon immer auf dem Kieker hatte, so gelobt zu werden, bedeutet eigentlich, dass Sie im Kabinett Ihren Job verfehlt haben. Von Ihnen war der geringste Widerstand gegen dieses Sparpaket zu spüren. Kollegen von Ihnen waren da erfolgreicher als Sie. Das ist bitter für die Menschen, für die Sie Verantwortung tragen. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn. Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor. Vizepräsident Eduard Oswald Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages- ordnungspunkte 3 a bis e sowie Zusatzpunkte 3 a bis d auf: 3 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umweltauditgesetzes - Drucksache 17/6611 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verleihung der Rechtsfähigkeit an das Gemeinsame Wattenmeersekretariat - Common Wadden Sea Secretariat ({1}) ({2}) - Drucksache 17/6612 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 21. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Groß- herzogtum Luxemburg über die Erneuerung und Erhaltung der Grenzbrücke über die Mo- sel zwischen Wellen und Grevenmacher - Drucksache 17/6615 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beherbergungsstatistikgesetzes und des Handelsstatistikgesetzes - Drucksache 17/6851 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Innenausschuss Ausschuss für Tourismus e) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2010 - Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2010 - - Drucksache 17/6009 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ZP 3 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen - Drucksache 17/6610 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Universaldienste für Breitband-Internetanschlüsse jetzt - Drucksache 17/6912 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) Ausschuss für Kultur und Medien c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen - Drucksache 17/6918 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Memet Kilic, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anerkennung ausländischer Abschlüsse tatsächlich voranbringen - Drucksache 17/6919 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis c sowie Zusatzpunkt 4 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({8}) - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2009 - Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2009 14632 Vizepräsident Eduard Oswald - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2009 - Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2009 - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2010 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ({9}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrech- nungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2010 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes - Weitere Prüfungsergebnisse - - Drucksachen 17/1500, 17/2305, 17/3650, 17/3956 Nr. 3, 17/5350, 17/5820 Nr. 5, 17/6423 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Michael Luther Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung schlägt der Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2009 vor. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemo- kraten. Gegenprobe! - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Keine. Somit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufor- dern, a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bun- deshaushaltspläne die Feststellungen des Haushaltsaus- schusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungs- hofs zu befolgen, b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entschei- dungen des Ausschusses einzuleiten oder fortzuführen, c) die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den Haushaltsberatungen gewährleistet ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion der Sozialdemokraten, die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist somit angenommen. Tagesordnungspunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({10}) zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2010 - Einzelplan 20 - Drucksachen 17/5385, 17/6424 Berichterstattung: Abgeordnete Rüdiger Kruse Carsten Schneider ({11}) Michael Leutert Priska Hinz ({12}) Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, also für die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? Ich sehe, das sind alle Fraktionen des Hauses. Vorsichtshalber: Gegenprobe! - Keine. Enthaltungen? - Auch keine. Die Beschlussempfehlung ist somit angenommen. Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, also für die Erteilung der Entlastung? - Ich sehe, das sind alle Fraktionen. Vorsichtshalber: Gegenprobe! - Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? - Auch niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({13}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Lange, Dirk Fischer ({14}), Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Döring, Werner Simmling, Oliver Luksic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sicherheit im Eisenbahnverkehr verbessern Streckennetz mit Sicherungssystemen ausstatten - zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Waltraud Wolff ({15}), Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth ({16}), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen aus dem Zugunglück von Hordorf ziehen - zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Umgehend die Konsequenzen aus dem Unglück von Hordorf ziehen - Drucksachen 17/5046, 17/4854, 17/4840, 17/6131 Berichterstattung: Abgeordnete Werner Simmling Dr. Anton Hofreiter Vizepräsident Eduard Oswald Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/5046 mit dem Titel „Sicherheit im Eisenbahnverkehr verbessern - Streckennetz mit Sicherungssystemen ausstatten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Keiner. Enthaltungen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Somit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 4 c. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4854 mit dem Titel „Konsequenzen aus dem Zugunglück von Hordorf ziehen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Die Linksfraktion, die Fraktion der Sozialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4840 mit dem Titel „Umgehend die Konsequenzen aus dem Unglück von Hordorf ziehen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das ist die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 4: Beratung des Antrags der Bundesregierung Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung - Drucksache 17/6670 Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 17/6670? Das sind alle Fraktionen dieses Hauses. Vorsichtshalber: Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Auch niemand. Der Antrag ist somit angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30. Ich darf das Wort der Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan erteilen. Bitte schön, Frau Bundesministerin, Sie haben das Wort. ({17})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zu den vornehmsten Aufgaben einer vorausschauenden, werteorientierten Politik gehört es, die Zukunftschancen der jungen Generation zu sichern. Das ist das große Thema dieser Bundesregierung. Das ist der Auftrag des BMBF. Die Zukunftschancen der jungen Generation zu sichern, das entscheidet über die Zukunftsfähigkeit der gesamten Gesellschaft. Wir machen uns in diesen Tagen im Kontext der Debatten über Europa Gedanken über die nächsten Generationen. In all diesen Debatten wird deutlich: Die große Frage in Europa wird sein: Welche Agenda ist notwendig, um den nächsten Generationen gute Zukunftschancen zu geben? Da stehen im Mittelpunkt: Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung. ({0}) Diese Haushaltsberatungen sind auch so etwas wie eine Zwischenbilanz dieser vierjährigen Legislaturperiode. Zur Zwischenbilanz gehört: In Deutschland gibt es heute mehr Forscher und weniger Schulabbrecher. Mehr junge Menschen beginnen ein Studium. Es gibt mehr Bildungsaufsteiger. Bei den weltmarktrelevanten Patenten gehören wir im globalen Vergleich zur Spitzengruppe und liegen weit vor den traditionellen Innovationsnationen Japan und USA. Im Ranking der weltweit wettbewerbsfähigsten Länder hinsichtlich der Innovationen steht Deutschland auf Platz drei. Diesen Platz haben wir erreicht, weil es in Deutschland viele innovative Unternehmen sowie großartige Hochschulen und Forschungseinrichtungen gibt und weil es in den letzten Jahren gelungen ist, die an Innovationen beteiligten Akteure in einem großen Projekt der gesamten Bundesregierung, der Hightech-Strategie, zusammenzubringen. Auch in Zukunft muss uns leiten, alle Akteure zusammenzubringen und an Zukunftsprojekten zu arbeiten, mit denen wir die große Innovationskraft unseres Landes erhalten und weiter ausbauen können, weil das die Quelle für künftigen Fortschritt und Wohlstand ist. ({1}) Ich will das in Zahlen ausdrücken: Der Etat des BMBF wird 2012 auf 12,8 Milliarden Euro steigen. ({2}) - „Auf“ habe ich gesagt: auf 12,8 Milliarden Euro steigen. ({3}) Wenn Sie eine Vergleichszahl brauchen, um diese Zahl bewerten zu können, nenne ich Ihnen gerne die Zahl aus dem letzten Jahr der rot-grünen Bundesregierung: Damals hatte der Haushalt ein Volumen von 7,6 Milliarden Euro, was auch nicht schlecht war. ({4}) - Lieber Herr Hagemann, wenn ich mir diese zwei Zahlen vor Augen führe, beginne ich, zu verstehen, warum Sie in jedem Jahr, pünktlich zu den Haushaltsberatungen, in Berlin etwas streuen - irgendeinen finden Sie immer, der das dann auch schreibt; irgendwann einmal stellen wir alle Beiträge zusammen -: Von der Leyen lässt sich rasieren, und Schavan wird die Geldsäcke nicht los. Mit Verlaub, das erinnert mich an Dinner for One: Same procedure as every year. ({5}) Die Geschichte geht jedes Jahr gleich aus. Pünktlich zum Ende eines jeden Haushaltsjahres wird klar, dass das Geld, das dieses Parlament für von diesem Parlament beschlossene Projekte und Initiativen zur Verfügung gestellt hat, ausgegeben wurde. ({6}) Dinner for One ist amüsant; dagegen ist das, was Sie tun, schlicht unseriös. Das ist der Unterschied. ({7}) Zu den konkreten Zwischenergebnissen dieser Legislaturperiode gehört, wie ich finde, die ausgesprochen positive Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt. Das zeigt sich gerade jetzt, im September. Diese Entwicklung hat natürlich mit der demografischen Entwicklung in Deutschland zu tun; dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Tatsache ist aber auch, dass im Vergleich zum vergangenen Jahr - das sagt die Bundesagentur für Arbeit - über 10 Prozent mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Die Bewerberzahlen sind um 2,5 Prozent gesunken. Rund 91 000 Stellen sind noch unbesetzt. 88 000 junge Leute sind noch unversorgt. ({8}) Die Bilanz wird von Jahr zu Jahr besser; das ist gut. Dabei ist immer wieder festzustellen, dass die duale Berufsausbildung in Deutschland - und damit verbunden die Bereitschaft der Unternehmen, auszubilden - eine tragende Säule ist, wenn es um die Sicherung der Zukunftschancen der jungen Generation geht. ({9}) Zwei weitere Maßnahmen möchte ich in diesem Zusammenhang nennen, weil ich ihnen große Bedeutung beimesse. Das eine ist der Deutsche Qualifikationsrahmen. Ich gehe davon aus, dass wir hier schon zum Schuljahr 2012 Konsens zwischen den Sozialpartnern, den Ländern und dem Bund haben werden. Dann kann tatsächlich erreicht werden, worüber wir viele Jahre gesprochen haben: eine Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung. ({10}) Das heißt, dass das Abitur und anspruchsvolle berufliche Bildung auf einer Stufe stehen. Das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt. Das ist ein großer Fortschritt mit Blick auf die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. ({11}) Das Zweite sind die Bildungsketten; auch das ist uns wichtig. Ich habe gerade die Zahl 1,5 Millionen gehört. Natürlich, 1,5 Millionen junge Leute bis 25 Jahre ({12}) sind ohne Berufsausbildung. Das heißt, es war richtig, dass wir uns entschieden haben, nicht zu warten, bis sie ohne oder mit schwachem Schulabschluss die Schule verlassen, sondern mit mehr individueller Förderung, mehr Berufsorientierung und mehr persönlicher Begleitung früher anzusetzen. Auch das ist ein großer Fortschritt. Wir wollen, dass jeder junge Mensch in Deutschland einen Schulabschluss und eine Ausbildung bekommt und die Möglichkeit zu einem guten Berufseinstieg hat. ({13}) 2005 haben 37 Prozent eines Jahrgangs ein Studium begonnen. Wir haben damals in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass wir die Zahl auf 40 Prozent steigern wollen. 2010 liegt diese Quote bereits bei 46 Prozent. ({14}) Das heißt, die Lust aufs Studieren war noch nie so groß wie heute. Die jungen Leute wissen, dass es eine tolle Sache ist und dass es gute Angebote gibt. Sie wissen, dass die Studienfinanzierung verbessert worden ist. Um es noch einmal in Zahlen zu sagen - ich bin dem Parlament dafür dankbar, dass wir das gemeinsam auf den Weg gebracht haben -: Im Januar 2012 werden die Länder vom Bund 1,14 Milliarden Euro für den Ausbau des Studienangebots bekommen. Im Jahr 2011 haben sie bereits 600 Millionen Euro bekommen. Wir werden eine halbe Million neuer Studienplätze in einem überschaubaren Zeitraum schaffen. Das ist ein Fortschritt, den es in keinem anderen europäischen Land gibt. ({15}) Wir verbessern die Bildungsfinanzierung: Förderbeiträge, Freibeträge, Modernisierung, Internationalisierung, eine deutliche Steigerung der Zahl derer, die BAföG bekommen - 8 Prozent wurden zusätzlich aufgenommen -, Zuwachs bei den Begabtenförderungswerken und das Deutschlandstipendium. ({16}) - Das passt Ihnen auch nicht; das weiß ich. Wir können gerne weiter darüber streiten. - Am Ende der Legislaturperiode werden wir Bilanz ziehen. ({17}) Das ist ein richtiges, wichtiges und überfälliges Element der Bildungsfinanzierung in Deutschland. ({18}) Eine wichtige Maßnahme ist das Anerkennungsgesetz. Ich möchte diese Haushaltsdebatte nutzen, alle, die mit uns über das Anerkennungsgesetz diskutieren, zu bitten, Sorge dafür zu tragen, dass wir es jetzt zügig verBundesministerin Dr. Annette Schavan abschieden. Bitte lassen Sie sich nicht auf den verschiedenen Ebenen alles Mögliche einfallen, über das man noch diskutieren könnte. Bis zu 300 000 Bürgerinnen und Bürger warten darauf, dass dieser Gesetzentwurf verabschiedet wird und dass sie endlich die Möglichkeit haben, ihren im Ausland erworbenen Abschluss anerkannt zu bekommen. Das ist ein wichtiger Schritt der Internationalisierung. Das ist ein wichtiger Schritt der Gerechtigkeit. Im Übrigen ist es eine, wie ich finde, nicht mehr haltbare Situation, dass wir in Zeiten, in denen wir über Fachkräftemangel sprechen, viele Fachkräfte in Deutschland haben, die hier nicht eingesetzt werden können. Deshalb ist es meine herzliche Bitte - das sage ich bewusst an die Länder und an alle Akteure -, jetzt dieses Gesetz einzuführen und umzusetzen. Es ist ein wichtiges Element der Deckung des Fachkräftebedarfs in Zukunft. ({19}) In den nächsten Wochen und Monaten wird uns, die Länder und den Bund, das Thema Alphabetisierung beschäftigen. Auch hier - das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für alle europäischen Länder; aber das ist kein Argument - müssen wir gemeinsam mit den Unternehmen ansetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass unter dem Stichwort „Weiterbildung“ bessere Möglichkeiten angeboten werden. Der Bund ist bereit, da zu investieren. Ich appelliere an die Länder, es auch zu tun. Es kann nicht sein, dass der Bund investiert und die Länder dann auf die Idee kommen, dort sparen zu können, weil der Bund zahlt. Die Rechnung geht nur auf, wenn sich Bund und Länder gemeinsam engagieren. ({20}) Das gilt auch für dieses wichtige Thema. Zu dem, was Wissenschafts- und Forschungspolitik ausmacht - manche Kolleginnen und Kollegen haben es gestern Abend bei der Eröffnung der Science Gallery der Max-Planck-Gesellschaft erlebt -, gehört der verstärkte Dialog über Wissenschaft und Forschung. ({21}) Dazu gehören die Bürgerdialoge, an denen sich viele Bürgerinnen und Bürger beteiligen, ob zur HightechStrategie oder zur künftigen Energieversorgung. Dazu gehören viele neue Wege der Kommunikation, um nicht nur mit Zahlen, finanziellen Investitionen und neuen Konzepten zu wirken, sondern auch Sorge dafür zu tragen, dass die Wissenschaft im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes in die Mitte der Gesellschaft getragen wird. Alles in allem, so finde ich, ist das eine gute Zwischenbilanz, an der viele, auch in diesem Haus, mitgewirkt haben. Das ist das Fundament, um in den nächsten zwei Jahren weiter voranzukommen. Unser Ziel muss sein, auch mit Blick auf die europäischen Debatten, Sorge dafür zu tragen, dass die Zukunftschancen der jungen Generation in Deutschland sichere Chancen sind. Vielen Dank. ({22})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. - Nächste Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Dagmar Ziegler. Bitte schön, Frau Kollegin Ziegler. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Schavan, Sie sind eigentlich für die Bildungsrepublik Deutschland verantwortlich, und - wir haben es gehört - Sie haben eigentlich viel Geld für Bildung und Forschung in Ihrem Etat. Leider ist und bleibt das die einzig gute Nachricht. ({0}) Erstens entfaltet das ganze Geld viel zu wenig Wirkung. Zweitens bleiben am Jahresende jedes Mal - das belegen die Zahlen; ich wundere mich, dass Sie das gar nicht wahrnehmen wollen - Millionen Euro liegen, und zwar ungenutzt. Drittens bringen Sie unser Land nicht voran, weil Sie die Antworten auf die zentralen Herausforderungen schuldig bleiben, obwohl Sie in Ihrer Rede so getan haben, als würden Sie sie liefern können und wollen. Sie haben kein Konzept zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit. ({1}) Sie können nicht sagen, wie Sie dafür sorgen wollen, dass alle Kinder und Jugendlichen gleiche Chancen haben, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern. Sie bleiben die Antwort auf die Frage schuldig, wie Sie den benachteiligten jungen Menschen mit Migrationshintergrund Zukunftsperspektiven geben wollen. ({2}) Sie haben auch die Chance verpasst, sich zum 40-jährigen Bestehen des BAföG klar zu einer gerechten Bildungsfinanzierung zu bekennen. Stattdessen fördern Sie mit Ihrem nationalen Stipendienprogramm diejenigen, die ohnehin gute Chancen haben. Handwerklich ist es so schlecht gemacht, dass der Abruf der Mittel fast gleich null ist. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bildungsnähe oder Bildungsferne fangen früh an. Ab 2013 hat jedes Kind einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Aber Sie wissen selber: Der Kitaausbau kommt nicht schnell genug voran, weil die Kommunen hierfür nicht genug Geld haben; ({4}) das hat auch mit der Steuerpolitik zu tun, die Ihre Koalition zu verantworten hat. ({5}) Und: Der Bedarf ist größer als angenommen. Auch darauf wird seitens der Bundesregierung und dieser Koalition überhaupt nicht reagiert. Genau hier wäre entschlossenes Handeln notwendig. Wir alle wissen - auch Sie sagen es immer in Ihren Reden -: Frühe Förderung in Kitas sorgt für bessere Bildungschancen, bessere Sprachentwicklung und bessere Integration. Warum nehmen Sie nicht, um eine bessere Wirkung zu erzielen, frühzeitig mehr Geld in die Hand, um später sinnvoll in Schulen und Hochschulen zu investieren? ({6}) Das ist für Sie nicht wichtig. Junge Menschen und kleine Kinder haben bei Ihnen nicht die Priorität, die sie haben müssten. ({7}) - Entschuldigung. Die Zahlen im Haushalt sprechen für sich. ({8}) - Bleiben Sie ganz gelassen. Sie können ja gerne noch einmal richtig ausholen. Lange wird Ihnen dieser Genuss nicht mehr bleiben. ({9}) Ich möchte Ihnen nur sagen: Schauen Sie sich an, an welchen Stellen in den Kinder- und Jugendplänen gekürzt wird und welche Leistungen für benachteiligte Jugendliche gestrichen werden - überall ein großes Streichkonzert. ({10}) Sagen Sie nicht, dass Sie die Chancen für Kinder und Jugendliche in diesem Land verbessern. Sie verschlechtern sie kontinuierlich und von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. ({11}) 2003 hat die rot-grüne Bundesregierung ein 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Ganztagsschulen gestartet. Die jetzige Regierung tritt bei diesem Thema aber auf der Stelle. Es gibt nichts als Stillstand, keine Entwicklung. ({12}) Die SPD-Fraktion hält den weiteren Ausbau der Ganztagsschulen für dringend notwendig. Sie, Frau Schavan, berufen sich auf das Kooperationsverbot. Alle - die Kollegen von der CDU, der FDP, der Linken, der Grünen und der SPD - sind sich einig, dass etwas geschehen muss. Warum tun Sie nichts, Frau Schavan? Sie verharren im Stillstand und sagen nur, es wäre schön, wenn der Bund mehr Einfluss hätte. Sie tun aber nichts dafür. Ich frage mich, wofür eine Bildungsministerin in diesem Lande eigentlich zuständig ist. ({13}) Ich möchte noch einen Aspekt erwähnen, was den Fachkräftebedarf angeht. Alle wissen, dass bei den Frauen in diesem Land ein Fachkräftepotenzial schlummert. Es könnten 460 000 Mütter als Fachkräfte für unsere Wirtschaft gewonnen werden, wenn es ein flächendeckendes Ganztagsangebot in Kitas und Schulen gäbe. ({14}) Auch der Wirtschaftsminister müsste doch dieses Potenzial sehen. Die Bundesregierung müsste ein Gesamtkonzept entwickeln, bei dem ein Rad in das andere greift. Jeder Minister und jede Ministerin kocht aber aus Profilierungssucht das eigene Süppchen. Am Ende bleibt das Land auf der Strecke. ({15}) Ich kündige Ihnen hiermit an, dass wir einen Antrag einbringen werden, in dem wir fordern, dass der Bund einen höheren Finanzierungsanteil am Kitaausbau übernimmt. Wir haben am Montag dieser Woche auch ein Konzept vorgelegt, das zeigt, wie das alles zu finanzieren ist. ({16})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin, lassen Sie sich nicht irritieren. Sie haben das Wort. Niemand sonst. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Koalition irritiert mich jeden Tag - aber nicht bei meiner Rede. Sie, Frau Ministerin Schavan, haben Ihrer Partei ein Bildungskonzept vorgelegt, mit dem Sie nicht mehr erreichen, als endlich in die Gegenwart zu stolpern. Sie vollziehen jetzt das nach, was Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit Jahrzehnten predigen, nämlich dass das dreigliedrige Schulsystem ungerecht ist und zu keinen guten Bildungserfolgen führt. ({0}) Aber selbst mit diesem kleinen Schritt, den Sie vorschlagen, überheben Sie sich; denn Ihre eigene Parteibasis will das nicht, auch Ihre Länderkollegen wollen Ihnen nicht folgen, und die Kanzlerin düpiert Sie. Alles in allem ringen Sie um Ihre eigene Zukunft, aber nicht, wie es Ihre Aufgabe wäre, um die Zukunft unseres Landes. Deshalb wird das mit der Bildungsrepublik leider nichts mit dieser Koalition. Vielen Dank. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Heinz-Peter Haustein. Bitte schön, Kollege Haustein. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Ziegler, ich weiß nicht, von welchem Land Sie gesprochen haben, aber der Einzelplan 30 von Frau Schavan - Bildung und Forschung ist eine reine Erfolgsgeschichte. ({0}) Da Sie meinen, die Zahlen sagten die Wahrheit, werde ich Ihnen die Zahlen, wie es sich als Haushälter gehört, einmal näherbringen. Bildung und Forschung sind ein Grundelement in unserem Land. Wir haben keine Rohstoffe, aber wir haben die Bildung. Unser Rohstoff sind unsere Gehirne. ({1}) Bildung und Forschung schaffen auch Arbeitsplätze. Die Arbeitsmarktstatistik zeigt das auch: Wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose. Das ist doch etwas. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die christlich-liberale Bundesregierung und dieses Parlament die richtigen Weichen gestellt haben. ({2}) Als Haushälter kann ich Ihnen ein paar Zahlen nicht ersparen. Der Haushalt umfasst 12,8 Milliarden Euro. Das bedeutet ein Plus von 9,9 Prozent. ({3}) Das kann sich wohl sehen lassen. ({4}) Das Ministerium selbst braucht 173 Millionen Euro für die Verwaltung. Ich möchte noch etwas zur Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im Hinblick auf die Nachwuchsförderung sagen: Hierfür sind 3,2 Milliarden Euro vorgesehen, Frau Ziegler. Dabei sind die Mittel für den Studenten- und Wissenschaftleraustausch um 19 Prozent auf 131 Millionen Euro erhöht worden. ({5}) Das Budget für die Begabtenförderung ist gar um 34 Prozent auf 264 Millionen Euro erhöht worden. ({6}) Die Mittel für Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung sind seit 2010 sogar um 170 Prozent erhöht worden, ({7}) weil wir wissen: Der Fachkräftemangel ist ein Fakt, und wir müssen etwas dagegen tun. Wir tun das Richtige. Ich nenne Ihnen aber noch mehr Zahlen, weil Sie eben sagten: Zahlen können nicht lügen, Zahlen sagen, was los ist, abgesehen von gewissen - wie sagte der eine Herr noch? - Statistiken; auf jeden Fall war es keiner von uns. ({8}) Zur Position „Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Innovationssystems“. Hierfür stehen 4,8 Milliarden Euro zur Verfügung, ein Aufwuchs von 17 Prozent. Meine sehr verehrten Damen und Herren von Rot-Grün, ein Aufwuchs von 17 Prozent bei diesem Kapitel! Für den Hochschulpakt sind 1,45 Milliarden Euro vorgesehen; er ist bis 2020 konzipiert. Die Mittel für den Qualitätspakt Lehre belaufen sich auf 175 Millionen Euro, ein Plus von 25 Prozent. ({9}) Stichwort Fachkräftemangel. Wir entwickeln den Bologna-Prozess weiter. Dafür sind 45 Millionen Euro vorgesehen. Für das Kapitel „Forschung für Innovationen, Hightech-Strategie“ sind 4,85 Milliarden Euro eingestellt, ein Plus von 7 Prozent. Diese Zahlen können sich doch sehen lassen. ({10}) Darin sind für die Gesundheitsforschung 261 Millionen Euro enthalten, ein Plus von 47 Prozent. Auch bei der Klimaforschung - das versteht sich von selbst - gibt es ein Plus von 52 Prozent, also 277 Millionen Euro. Für die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung sind 237 Millionen Euro geplant, ein Plus von 67 Prozent. Uns ist klar, dass man die Energiewende mit der jetzigen Technologie nicht schafft. Ein Elektroauto mit einer Speichertechnologie von vorgestern ist irgendwann so nicht mehr zu bauen. Wir brauchen neue Forschung, neue Innovationen, neue Technologien. Deshalb geben wir dafür so viel Geld aus. ({11}) Zusammengerechnet ergeben diese Zahlen 12,8 Milliarden Euro. Die Frau Ministerin hat es schon angesprochen, und auch ich habe mir angeschaut, was Rot-Grün in seiner Regierungszeit gemacht hat. Sie, also diese Seite des Hauses, haben sieben Jahre lang regiert und in sieben Jahren eine Steigerung um 900 Millionen Euro erzielt. Die andere Seite dieses Hauses hat in drei Jahren bereits eine Steigerung von 2 600 Millionen Euro für diesen Bereich erzielt. Das macht den Unterschied. Auf der einen Seite sitzen die Bremser, auf der anderen Seite die Lokführer. ({12}) Sie haben es verpennt, wir haben den Turbo reingehauen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Haustein. - Jetzt spricht für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Petra Sitte. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Sitte. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Wir führen diese Debatte in einer Zeit, da längst öffentlich über die Zukunft der Zivilgesellschaft, den sozialökologischen Umbau, ja sogar die Systemfrage diskutiert wird. Wie auch immer die Antworten ausfallen mögen, eines ist sicher: Das bisherige einseitig technologieorientierte Wachstumsmodell ist an seine Grenzen gestoßen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen können, wollen und müssen die systemischen Zusammenhänge ebenjener vielfältigen Krisen, vor denen wir jetzt stehen, komplex bearbeiten. Es geht am Ende um nichts Geringeres als um Erkenntnisse, wie leistungsfähigen, solidarischen und demokratischen Gemeinschaften sowie Menschen ein würdevolles Leben ermöglicht und nachfolgenden Generationen ein lebensfähiger Globus erhalten werden kann. Daran muss sich das, was Sie hier vorlegen, messen lassen. Dabei fordert die Linke, dass mit den Milliarden öffentlicher Forschungsmittel, die Sie gerade gepriesen haben, konsequent gemeinnütziges Wissen erarbeitet und eine verantwortungsvolle Technikfolgenabschätzung betrieben wird. ({0}) - Nein, genau das machen Sie nicht. - Mit Blick auf den Haushalt stellt man fest, dass die Bundesregierung die Zeichen der Zeit eben nicht verstanden hat. Wissenschaftsförderung wird in erster Linie immer noch wie Wirtschaftsförderung praktiziert. Die Anteile der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt bilden für Sie immer noch den Dreh- und Angelpunkt Ihrer Förderpolitik. Ein jüngst von den Hochschulverbänden veröffentlichtes Thesenpapier kritisiert zu Recht genau diesen Umstand. Sie kritisieren dort die rasante Ökonomisierung von Wissenschaftseinrichtungen und die immer stärker geförderte Inszenierung und Vermarktung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Immer weniger Themen werden nämlich wissenschafts- und gesellschaftsbestimmt ausgewählt und bearbeitet. Der Erkenntnisgewinn der Wissenschaft - so heißt es in dem Thesenpapier weiter soll sich auf den Menschen, seine sozialen Lebensformen sowie die ihn umgebende Natur und Technik beziehen. Sie soll sich an das „Alltagsleben“ der Menschen ankoppeln und als „Forschung für den Menschen“ erkennbar sein. Dietrich Grönemeyer hat dazu unlängst geschrieben: An der Neugier und an der Begeisterungsfähigkeit der Wissenschaftler, an ihrer Bereitschaft, dem Fortschritt ein ganz neues Ansehen zu geben, wird es nicht fehlen. Lassen Sie mich das am Beispiel der Gesundheitsforschung illustrieren. Herr Haustein hat sie eben erwähnt. An großen Volkskrankheiten soll verstärkt geforscht werden. Das ist gut so. Um aber eine unvoreingenommene Erprobung neuer Produkte und Verfahren zu gewährleisten, bedarf es in diesem Programm zugleich einer viel breiteren Förderinitiative für nichtkommerzielle klinische Studien. Unabhängiges Herangehen bringt neue Impulse für Wissen und für die Wirkung von Therapien, für die Erkundung von Seuchen, von Krankheitsursachen und vor allem für die Erkenntnis über ihre Verknüpfung mit sozialen Umständen. ({1}) - Nein, das machen Sie nicht. Sie haben 800 Millionen Euro in eine Pharmainitiative gesteckt. Das Geld bekommen also jene Konzerne, die seit Jahren Gewinne in Milliardenhöhe einfahren. Was tun die Konzerne gegenwärtig? Sie fordern noch mehr Geld und reduzieren gleichzeitig ihre eigenen Forschungsausgaben. Das passt doch nicht zusammen. Demzufolge wird für nichtkommerzielle klinische Studien immer weniger Geld übrig bleiben. Es sollen nur noch mickrige 30 Millionen Euro in diesem Bereich eingesetzt werden. Das halten wir für gänzlich inakzeptabel. ({2}) Klinische Studien können bekanntermaßen nur mit Patientinnen und Patienten realisiert werden. Das ist logisch. Also sollen in die neuen Zentren für Gesundheitsforschung bei der Helmholtz-Gemeinschaft Uniklinika eingebunden werden. Das ist ein interessanter Gedanke, immerhin behandeln sie Tausende von Patienten auf medizinisch höchstem Niveau. Das Problem ist nur: Die fiDr. Petra Sitte nanzielle Situation beider Akteure ist gänzlich verschieden. Die Hochschulmedizin in unserem Land ist dramatisch unterfinanziert. Sie müsste endlich ihren Investitionsstau überwinden können, und sie müsste zugleich den Kostendruck in der Krankenversorgung überwinden können. Die neuen Millionen sollten aus unserer Sicht weniger für neue Strukturen, als vielmehr zur Mobilisierung der vorhandenen Potenziale in Universitätsklinika eingesetzt werden, um weitere Forschungspotenziale zu erschließen. Dazu müsste man allerdings gemeinsam mit den Ländern schnelle Lösungen finden. Statt also satte Pharmakonzerne noch satter zu machen, hätte man, wie es die Linke seit Jahren fordert, die Uniklinika stärken müssen, indem man dort investiert. ({3}) Noch eine Anmerkung zu unserer Kritik an der Gesundheitsforschung aus globaler Sicht. Es geht mir um armutsbedingte Krankheiten. Meistens sind sie chronisch, sie sind oft nicht tödlich und sie grassieren vor allem dort, wo es Hunger, Armut, mangelnde Hygiene sowie schlechte bis gar keine medizinische Versorgung gibt. Im Gesundheitsforschungsprogramm taucht nun der Bereich Impfstoffentwicklung auf. In der Tat bieten neue, beispielsweise in Berlin an der Charité entwickelte Verfahren zu Bekämpfung von TBC - übrigens entwickelt mithilfe öffentlicher Mittel - neue Chancen für die Betroffenen. Deshalb sehen wir Deutschland als eines der reichsten Länder, aber eben auch die Pharmakonzerne in der Verantwortung zur Umsetzung der UN-Millenniumsziele; denn diese beinhalten unter anderem, dass Impfstoffe und Therapien genau jene Menschen erreichen müssen, die sie am dringendsten brauchen, sie sich aber am wenigsten leisten können. Was ist unsere Forderung an die Bundesregierung? Unsere Forderung an die Bundesregierung ist, dass man mit derartigen Förderprojekten endlich für faire und gerechte Lizenzen sorgt, Lizenzen, die es ermöglichen, dass die Produkte bei den Betroffenen ankommen und dass sie für die Entwicklungsländer auch wirklich bezahlbar sind. ({4}) Vor allem aber müssten deutlich mehr Mittel zur Lösung globaler Gesundheitsprobleme eingesetzt werden. Sie haben in Ihrem Haushalt lediglich 20 Millionen Euro vorgesehen, aber nicht etwa für das nächste Jahr, sondern auf vier Jahre verteilt. Auch das ist angesichts unseres Reichtums schlicht und ergreifend beschämend. Lassen Sie mich zum Schluss kommen, meine Damen und Herren. Gesundheit bestimmt unmittelbar und individuell Lebensqualität. Das weiß jeder von uns; jeder hat seine Erfahrungen damit gemacht. Versäumnisse in der Forschung von heute gefährden Menschen und Gesellschaften von morgen. Die Erde ist rund. Krankheiten machen nicht vor Staatsgrenzen hält. Aus diesem Grund können wir nur Erfolge erzielen, wenn wir konsequent global handeln und kooperativ vorangehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Priska Hinz. Bitte schön, Frau Kollegin Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweite gute Botschaften zu Beginn, auch wenn das für die Opposition vielleicht ungewöhnlich ist: Die Ausgaben für Bildung und Forschung steigen tatsächlich um knapp 10 Prozent. Darüber freuen wir uns, weil das für Bildung und Forschung gut ist. ({0}) Frau Schavan ist als Ministerin auch für lebenslanges Lernen zuständig. Ich freue mich, dass sie auch selber dazugelernt hat. Letztes Jahr haben Sie nämlich trotz unseres Protestes die Mittel für die Berufsorientierung radikal gekürzt. Diesen Fehler korrigieren Sie jetzt wieder. Sie haben den Mittelansatz für den internationalen Austausch deutlich gesenkt. Dieser Ansatz wird wieder erhöht. Außerdem wollen Sie sich mit der Union von der Hauptschule verabschieden. - All das ist richtig. Da haben Sie dazugelernt. Wir freuen uns, dass Sie grünen Ideen folgen, wenn auch manchmal etwas später. Aber immerhin: Sie lernen dazu. ({1}) Jetzt endet leider die positive Bilanz des lebenslangen Lernens, und ich komme zu den Problemen, die Sie mit Ihrer Politik machen oder haben, und damit auch zu den Schwerpunkten, die Sie im Haushalt setzen. Der Fachkräftemangel, den Sie ebenso wie Frau von der Leyen und der Wirtschaftsminister betont haben, müsste Sie zum Handeln drängen. Aber ein Blick in den Haushalt zeigt, dass die Weiterbildungsmittel, die Sie letztes Jahr um 20 Prozent gekürzt haben, nicht einmal auf das alte Niveau aufgestockt werden. Bei der Weiterbildungsallianz kommt mir nicht so sehr Ihr Bild des „Same procedure as every year“ in den Sinn wie der Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Sie kommt nämlich auch immer wieder, und bis heute ist nichts daraus geworden. ({2}) Ein durchdachtes Konzept für eine bessere Weiterbildungsberatung lässt auf sich warten. Auf das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse warten wir und vor allem diejenigen, die es betrifft, die eine Anpassungsqualifizierung brauchen und endlich arbeiten wollen, seit eineinhalb Jahren, und das nur, weil Sie nicht zu Potte kommen. Das ist eine sehr schlechte Bilanz für eine Bildungsministerin. ({3}) Priska Hinz ({4}) Im Übergangssystem sind immer noch 400 000 Jugendliche, obwohl es eine Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt gibt. Darüber hinaus gibt es aber, wie gesagt, 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss. Statt in der Weiterbildung durchdachte Konzepte zu erarbeiten, die Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung verzahnen und diesen jungen Menschen eine Chance geben - diese Kompetenz haben Sie als Bundesministerin -, ist an dieser Stelle von Ihnen nichts zu verzeichnen. Was die Bertelsmann-Stiftung tut, nämlich mit den Ländern Konzepte zu entwickeln, wie man das Übergangssystem eindampfen kann, wäre eigentlich Ihre Aufgabe gewesen. Das ist eine staatliche Aufgabe und nicht die einer privaten Stiftung. ({5}) Sie von der Koalition haben vorhin über die Aussage von Frau Ziegler, dass viel Geld im Haushalt stehe, aber nicht alles ausgegeben werde, gelacht. Wir haben letzten Winter im Haushaltsausschuss erleben müssen, dass die Koalition einen Maßgabebeschluss gefasst hat, wonach Ausgabenreste in Höhe von 88 Millionen Euro übertragen werden. Das betraf Bereiche von Programmen, die die Ministerin unbedingt durchführen wollte, welche aber aus unserer Sicht unsozial und nicht durchdacht sind und für die sie das Geld nicht ausgeben kann. Ich nenne als Beispiel das Stipendienprogramm, das bis heute ein echter Rohrkrepierer ist. Immer noch sind nicht mehr als 25 Prozent der Mittel ausgeschöpft, aber Sie wollen dieses unsoziale Projekt im kommenden Haushalt mit weiteren Mitteln ausstatten. ({6}) Im Bereich der Bioökonomie versenken Sie Millionenbeträge in die Grüne Gentechnik, obwohl niemand gentechnisch veränderte Nahrungsmittel auf dem Teller haben will. Vielleicht wird das Urteil über den Honig, der Spuren von gentechnisch veränderten Pollen enthielt, zu einem Umdenken bei Ihnen führen. Sie fördern weiterhin die Fusionsforschung. Sie halten an der Finanzierung des Fusionsreaktors ITER fest. ({7}) Es gibt nur zwei Dinge, die hinsichtlich dieses Projekts feststehen: stetige Kostenexplosion und Verschiebung der Zeitpläne. Niemand braucht Ergebnisse einer teuren Fusionsforschung, die erst ab dem Jahr 2050 nutzbar sind. Bis dahin müssen wir auf erneuerbare Energien umgestiegen sein. Da müssen Sie Geld hineinstecken. ({8}) Das Ausgeben von viel Geld bedeutet nicht unbedingt, dass gute Politik gemacht wird. An Ihrem Haushalt, Frau Ministerin Schavan, kann man das ganz besonders gut studieren. Danke schön. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Albert Rupprecht. Bitte schön, Kollege Albert Rupprecht. ({0})

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir erleben derzeit weltweit, dass in vielen Industrieländern, in den USA, in Großbritannien, in Frankreich und anderswo, im Bereich Forschung und Bildung dramatisch gekürzt, gestrichen und rasiert wird. Die Haushaltsschulden erzwingen solche Maßnahmen in diesen Ländern. Wir erleben andererseits, dass wir in Deutschland die siebte Steigerung dieses Etats auf ein neues Rekordniveau haben. Frau Ziegler, ich schätze Sie eigentlich als sehr sachorientierte Kollegin, aber wenn Sie hier die Aussage wagen, dass wir für Kinder und Jugendliche nichts übrig hätten, dann frage ich Sie, was mit diesen Steigerungen in unserem Haushalt passiert. ({0}) Noch einmal die Zahlen: 2012 steigen die Mittel gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozent auf 12,8 Milliarden Euro. Das bedeutet eine Steigerung im Vergleich zu der Zeit, als Sie Verantwortung trugen - 2005, als Rot-Grün abgewählt worden ist -, um 69 Prozent. ({1}) Es ist schlichtweg absurd, zu behaupten, wir hätten für Kinder und Jugendliche, für Forschung und Bildung nichts übrig. Man kann über jedes einzelne Programm oder jede einzelne Maßnahme reden, aber es ist unredlich, zu behaupten, wir hätten nichts für Kinder und Jugendliche übrig. ({2}) Es ist eine weltweit herausragende Leistung, die wir mit diesem Haushalt erbringen. Diese Leistung wird mit Ausnahme von einigen Ländern des asiatischen Raums in keinem Land der Welt erreicht. Wir erleben derzeit, dass US-Wissenschaftler besorgt die Frage stellen, wie sie im nächsten Jahr ihren Haushalt finanzieren sollen, in einem Land, in dem angeblich Milch und Honig für Wissenschaftler fließen. Sie sind besorgt, weil sie nicht wissen, ob sie im nächsten Jahr die Finanzierung noch sicherstellen können. Wir erleben auf der anderen Seite, dass wir in Deutschland den WissenAlbert Rupprecht ({3}) schaftlern der Institutionen, für die wir auf Bundesebene Verantwortung tragen - Helmholtz-Gemeinschaft, MaxPlanck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft, FraunhoferGesellschaft und DFG -, nicht nur sagen können, dass wir das Vorjahresniveau halten, sondern ihnen sogar einen Zuwachs um 5 Prozent versprechen können. Mehr noch: Nicht nur in diesem Jahr bekommen sie einen Zuwachs von 5 Prozent, sondern es gibt die Zusage, dass sie bis zum Jahr 2015 jedes Jahr eine Steigerung von 5 Prozent erhalten. ({4}) Das ist gelebte Kontinuität, das ist gelebte Verlässlichkeit, und das ist gelebte Prioritätensetzung für Forschung und Bildung. Aber das ist auch eine Geisteshaltung, die in der Tat durch die Kanzlerin geprägt ist. Das war schon in der Großen Koalition so, und das wird in der jetzigen Koalition fortgeführt. Wir sind neugierig und offen für neue Technologien, weil wir der festen Überzeugung sind, dass wir nur mit neuen Technologien und mit Forschung die Probleme der Menschheit lösen können. Unter Rot-Grün war es ganz anders: Damals sind massenweise Wissenschaftler, die über Zukunftstechnologien forschen, in die USA ausgewandert oder, besser gesagt, geflohen. ({5}) - Natürlich ist das der Fall. ({6}) - Beispielsweise Wissenschaftler aus der Biotechnologie. ({7}) Wir stellen auf der anderen Seite fest - Befragungen zeigen das -, dass sich im Augenblick 80 Prozent der Wissenschaftler aus Deutschland, die im Augenblick in den USA tätig sind, überlegen, nach Deutschland zurückzukommen - 80 Prozent! ({8}) Wir stellen fest, dass Deutschland als Wissenschaftsund Forschungsstandort wieder attraktiv ist. Wir werden diesen Standortvorteil, den wir als Politiker, als Entscheider gestalten, knallhart nutzen, und wir werden versuchen, die besten Köpfe für Deutschland zu gewinnen. Wir werden im Hinblick auf Wissenschaftler und Forscher das Zuwanderungsrecht verbessern. ({9}) Sehr geehrte Damen und Herren, wir geben nicht nur mehr Geld aus, sondern wir setzen auch wichtige Schwerpunkte. Wir wollen, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen ohne Schul- oder Berufsabschluss halbiert wird. Deswegen setzen wir auf das Instrument der Bildungsketten. Wir investieren dort einen Betrag von 105 Millionen Euro. Wir erwarten uns von diesem Instrument sehr viel. In der Tat ist es unsere Aufgabe, das Bündel an sonstigen Maßnahmen, die existieren, auf die wirklich effektiven Kerninstrumente zu reduzieren. An dieser Stelle sage ich auch: Das ist nicht nur Bundesaufgabe; das Ganze geht vielmehr nur gemeinsam mit den Ländern. ({10}) Für uns sind berufliche Bildung und duale Ausbildung genauso wertvoll und wichtig wie der akademische Abschluss und die akademische Bildung. Deswegen verstetigen wir die Ausgaben für die überbetrieblichen Bildungsstätten des Handwerks; das war uns als Unionsfraktion ein außerordentlich wichtiges Anliegen in den Vorgesprächen zur Abstimmung des Haushalts. Wir steigern darüber hinaus die Ausgaben im Bereich der Berufsorientierung auf 50 Millionen Euro; das ist eine satte Steigerung um 278 Prozent. ({11}) Sehr geehrte Damen und Herren, obwohl wir für die Hochschulen nicht primär verantwortlich sind - sie unterstehen, wie Sie wissen, der Länderverantwortung -, gibt der Bund Milliarden Euro als Unterstützung: 1,1 Milliarden Euro fließen in den Studienplatzausbau im Hochschulpakt. Für den Hochschulbau werden Kompensationsmittel im Umfang von 695 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. 175 Millionen Euro stehen für den Qualitätspakt Lehre bereit. Für die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses sind 46 Millionen Euro veranschlagt; das ist übrigens eine Steigerung um 32 Prozent. Für die Studienfinanzierung geben wir erstmals über 1 Milliarde Euro aus. Der mit Abstand größte Brocken davon ist mit 820 Millionen das BAföG. Zusammenfassend heißt das: Wir geben mehr als 3 Milliarden Euro, also ein Viertel des gesamten Haushalts, für mehr Studienplätze, für Hochschulbau, für strukturelle Verbesserung der Lehre und für die Studienfinanzierung aus, und das, obwohl das alles - mit Ausnahme der Studienfinanzierung - originäre Aufgabe der Länder wäre. ({12}) Sehr geehrte Damen und Herren, die Diskrepanz zwischen verfassungsgemäßer Verantwortung der Länder und tatsächlicher Aufgabenerfüllung ist, wie ich meine, durchaus enorm und auch ein Stück weit bedenklich. Alle Bundesländer müssen sich also ihrer verfassungsgemäßen Verantwortung stellen. Wir erleben, dass die Realität hier sehr unterschiedlich ausschaut. Mein Heimatland Bayern hat für den Haushalt 2012 im Bereich Forschung und Bildung einen deutlichen Anstieg beschlossen, ({13}) während Brandenburg, Ihr Heimatland, Frau Ziegler, im Hochschulbereich massiv kürzt. Schüler und Studenten marschieren dort zu Tausenden auf die Straßen. Albert Rupprecht ({14}) ({15}) Es geht natürlich nicht, dass Länder auf Finanzierungswege wie Studiengebühren verzichten und anschließend beim Bund auf der Matte stehen und verlangen, dass er ihre Aufgaben und Ausgaben kompensiert. ({16}) Zum Zweiten muss, wenn es um die Weiterführung der Pakte geht - wie ich meine -, einiges neu austariert werden. Das kann im Ergebnis auch heißen, dass der Bund mehr Aufgaben übernimmt. Aber ich denke, das muss immer mit Mehrwert begründet sein. In einer föderalen Struktur ist das Subsidiaritätsprinzip das entscheidende Kriterium. Letztendlich muss das von Thema zu Thema genau durchdacht werden. Sehr geehrte Damen und Herren, auch im Bereich der Forschung erhöhen wir die Ansätze und setzen inhaltliche Schwerpunkte. Bei der institutionellen Forschungsförderung im außeruniversitären Forschungsbereich geben wir 5 Prozent mehr aus; wir erhöhen den Ansatz auf 4,3 Milliarden Euro. Bei der Projektförderung gibt es eine erhebliche Steigerung auf 5,4 Milliarden Euro. Für die Gesundheitsforschung stehen im Jahre 2012 1,38 Milliarden Euro zu Verfügung. Das ist nahezu eine Verdoppelung gegenüber dem Ansatz von Rot-Grün im Jahr 2005. Für die Energieforschung - das ist einer unserer Schwerpunkte - geben wir im Gesamthaushalt bis 2014 3,5 Milliarden Euro aus. Davon entfallen 80 Prozent auf erneuerbare Energien. Im Jahr 2012 sind das 657 Millionen Euro. ({17}) Sehr geehrte Damen und Herren, auch in diesem Bereich lässt sich nachweisen, dass wir die Projektfördermittel im Einzelplan 30, beispielsweise im Bereich Energieeffizienz, erneuerbare Energien, gegenüber dem Ansatz von Rot-Grün im Jahre 2005 verdreifacht haben. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir haben als Unionsfraktion unsere Anliegen im Vorfeld eingebracht. Wir werden im Laufe der Verfahren nur noch wenige Änderungsanträge einbringen müssen; denn unsere Anliegen sind weitestgehend oder fast alle berücksichtigt. Wir haben im Jahre 2012 im Bereich Forschung und Bildung eine Steigerung um 10 Prozent. Das ist international vorbildlich; das ist hervorragend, ausgezeichnet. Das ist vor allem gegenüber den Ansätzen in der Zeit, als Sie von Rot-Grün Regierungsverantwortung hatten, eine Steigerung um 69 Prozent. Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist ein Quantensprung. Danke schön. ({18})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt als Nächster für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Klaus Hagemann. Bitte schön, Kollege Klaus Hagemann. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben eben auf die beliebte Fernsehsendung hingewiesen, die Ende eines jeden Jahres ausgestrahlt wird: Dinner for One - „the same procedure as every year“. Die Menschen sehen sie sehr gerne. Es stellt sich nur die Frage, wer dann letztendlich als Bettvorleger landet. Das werden wir sehen, wenn abgerechnet wird. Ich möchte Ihnen, was den Mittelabfluss angeht, mit einer anderen Literaturstelle antworten, nämlich mit dem Buch von Michael Ende Die unendliche Geschichte. Jedes Jahr wieder geben Sie mir die Möglichkeit, dieselbe Presseerklärung herauszuholen und nur die Zahlen durch andere zu ersetzen. Das ist Realität, und das möchte ich Ihnen jetzt noch einmal vorlegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir als Sozialdemokraten begrüßen und unterstützen natürlich den geplanten Aufwuchs von 12 Milliarden Euro in den nächsten Jahren. Wir haben das ehrgeizige Ziel - das wird bei uns in Kürze der Parteitag absegnen -, noch mehr Mittel für Bildung und Forschung oben draufzupacken. Aber es muss glaubhaft sein, dass wir diese Mittel zur Verfügung stellen können. Die ersten Anträge werden wir schon zu diesem Haushalt vorlegen. ({0}) Es ist jetzt auf einige Projekte hingewiesen worden. Daher wollen wir doch einmal gucken, wann sie installiert worden sind, wer sie erdacht hat. Zunächst muss man sich natürlich vor Augen führen, wo wir am Ende der Regierungszeit von Helmut Kohl bei Forschung und Bildung waren, nämlich bei rund 5 Milliarden Euro. Da musste erst etwas aufgebaut werden. Was wurde dann eingeführt, meine Damen und Herren? Unter Rot-Grün wurde der Pakt für Forschung und Innovation eingeführt. ({1}) Die Exzellenzinitiative, die Furore in den Universitäten macht, hat man sich unter Rot-Grün ausgedacht, und sie wurde in der Zeit der Großen Koalition unter Beteiligung der SPD ausgestaltet.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Hagemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck? Sie sehen, dass Ihr Kollege dort schon erwartungsvoll steht.

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ein Kollege aus Osnabrück-Land kriegt immer das Wort.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Kollege Schirmbeck.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Hagemann, das finde ich sehr sympathisch. Sie haben eben davon gesprochen, wo wir am Ende der Regierungszeit von Helmut Kohl waren. Jetzt muss man auch fragen: Wo waren wir, als Helmut Kohl die Regierung übernommen hat? ({0}) Was hat die sozialliberale Koalition hinterlassen? Erst dann können Sie die Lebensleistung von Helmut Kohl nachvollziehen. Von daher wäre das schon einmal eine ganz interessante Frage. ({1})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mein Landsmann Helmut Kohl hat den Satz geprägt: Wichtig ist, was hinten herauskommt. ({0}) Dann schauen wir uns einmal an, was bei Forschung und Bildung hinten herausgekommen ist: Der Ausgangspunkt der rot-grünen Koalition waren 5 Milliarden Euro; ich sagte es schon. Wir haben dann den Pakt für Forschung und Innovation oben draufgepackt. Die Ansätze für diesen werden jetzt wieder aufgebaut - völlig d’accord. Unter Rot-Grün wurde die Exzellenzinitiative, die für Furore bei den Universitäten gesorgt hat, gestartet und in der Großen Koalition umgesetzt. Unter Beteiligung der SPD wurde zu Zeiten der Großen Koalition der Hochschulpakt I und II gestartet. Gemeinsam haben wir den Cluster-Wettbewerb gestartet. All das ist aufgebaut worden. Wir haben die Hightech-Strategie zusammen mit Ihnen, lieber früherer Koalitionspartner, entwickelt und in die Tat umgesetzt. Wir haben eine deutliche BAföG-Erhöhung durchgesetzt, bei der wir Sie zum Jagen tragen mussten. ({1}) Wir haben in dieser Zeit unter Beteiligung der SPD, aber ohne die FDP, lieber Kollege Schirmbeck, die Mittel für die Begabtenförderungswerke aufgestockt. Sie haben sie im vergangenen Jahr leider wieder heruntergefahren. Jetzt fahren Sie die Mittel endlich wieder nach oben, nachdem die Begabtenförderungswerke Rabatz gemacht und sich beschwert hatten. Also, lieber Kollege, so schlecht ist es gar nicht, was die Sozialdemokraten zu verantworten oder mitzuverantworten haben. ({2}) Sie sehen also, lieber Kollege Schirmbeck, wie wir die Dinge weiterentwickelt haben. Lassen Sie mich in meinen Ausführungen fortfahren: Sie haben das 12-Milliarden-Euro-Programm vorgelegt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Frau Ministerin, aber Sie haben immer noch nicht titelscharf festgelegt, wohin die 12 Milliarden Euro fließen werden. Wir erwarten, dass uns dies bald vorgelegt wird. ({3}) - Nein, das ist kein dummes Zeug, Kollege Rehberg. Es ist Realität. Es liegt keine titelscharfe Festlegung auf Einzelmaßnahmen vor. ({4}) Bildung kommt ja nicht nur im Einzelplan 30 vor. Ich frage Sie beispielsweise, warum Sie im Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, im Bereich Bildung die Mittel für Jugendliche, die keinen Schulabschluss bzw. keine abgeschlossene Ausbildung haben, sehr deutlich nach unten fahren. ({5}) Das Jobcenter in Alzey-Worms, in meinem Landkreis, bekommt 25 Prozent weniger Mittel für Maßnahmen für Jugendliche. Warum führen Sie Kürzungsmaßnahmen bei der politischen Bildung durch? Warum kürzen Sie bei dem Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt? Gerade die Forschung auf diesem Sektor ist doch wichtig, wenn Menschen einigermaßen fit bis 67 Jahre arbeiten sollen. Was nützen die schönsten Zahlen und die schönsten Programmtitel, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sie nur auf dem Papier stehen und nicht umgesetzt werden, wenn wir Minderausgaben haben bzw. zusätzlich noch Mittel in die globale Minderausgabe fließen sollen? Allein im letzten Jahr sind 325 Millionen Euro nicht verausgabt worden; und in den letzten sieben Jahren ist das immer wieder geschehen. Dann schauen wir uns einmal die Situation der Studierenden an - im Oktober beginnt ja das neue Semester -: Erstes Beispiel: Das elektronische Zulassungsverfahren ist ein Flop. Es geschah nichts. Sie, Frau Ministerin, haben nicht rechtzeitig die Reißleine gezogen. Ich mache Ihnen persönlich keinen Vorwurf, aber ich halte fest, dass man die HIS zu lange hat gewähren lassen und dass zu spät die Leine gezogen wurde. Zweites Beispiel: Hochschulbau. Wir wissen, meine Damen und Herren, dass gerade angesichts der im Moment starken Studierendenjahrgänge Hochschulbauten notwendig sind. Wie spiegelt sich das aber in den Zahlen wider? Seit 2007 wurden in keinem Jahr alle Mittel abgerufen. Es liegen damit 0,5 Milliarden Euro auf Halde, die eigentlich für den Hochschulbau hätten eingesetzt werden müssen. 500 Millionen Euro stünden hier zur Verfügung. Hier spielen natürlich die Länder mit hinein. ({6}) - Ja. - Aber wenn Sie ständig die Steuern senken und den Ländern die Einnahmen wegnehmen wollen, ({7}) wo bleibt dann den Ländern die Möglichkeit, entsprechend zu investieren und kozufinanzieren? ({8}) Drittes Beispiel: Das Deutschlandstipendium ist schon beleuchtet worden; bisher ist es auch nur ein Flop. Zwei Drittel der Ausgaben sind für Werbung, ein Drittel, 1,5 Millionen Euro, Ausgaben für das Stipendienprogramm. Wenn Sie das Geld für die Begabtenförderung oder das BAföG ausgegeben hätten, wäre das erfolgreicher gewesen. Zum Schluss zum Qualitätspakt Lehre, der dazu dient, dass der Unterricht in den Universitäten besser wird. Hierfür stehen 200 Millionen Euro zur Verfügung. Nach Ihrer Statistik, die wir dieser Tage erhalten haben, sind bis Ende August 0,6 Prozent abgeflossen. 111 Universitäten sind zuvor ausgewählt worden, aber zumindest bis Ende August sind noch keine Bescheide hinausgegangen. Die Universitäten warten dringend auf diese Mittel, damit sie die Lehre in den Universitäten verbessern können. ({9}) Es bleibt also viel zu beraten. Ich freue mich auf die Diskussionen morgen im Berichterstattergespräch und im Haushaltsausschuss. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Martin Neumann für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Hagemann, gehen Sie bitte davon aus, dass kein Geld, so wie Sie es eben behauptet haben, liegen bleiben wird. Vielmehr folgen Wissenschaft, Bildung und Forschung einer besonderen Spezifik, und da geht es tatsächlich darum, das Geld sinnvoll und langfristig auszugeben. Der uns vorliegende Einzelplan 30 für das Haushaltsjahr 2012 ist eben nicht, wie Sie es hier gesagt haben, ein bloßer Sammelkatalog von kurz- und mittelfristigen Maßnahmen im BMBF, sondern Ausdruck - das ist das Neue, hören Sie da genau zu - einer langfristig angelegten wissenschafts- und forschungspolitischen Strategie. ({0}) Diesem Gedanken folgend hat die christlich-liberale Koalition den zugesagten Aufwuchs der Finanzmittel vorgenommen. Die Zahlen sind mehrfach genannt worden. Wir haben ein Volumen von 12,8 Milliarden Euro; das ist eine Steigerung um 1,2 Milliarden Euro, und das vor dem Hintergrund einer umfassenden Haushaltskonsolidierung. Damit kommt sehr deutlich zum Ausdruck, welchen Stellenwert diese Koalition Wissenschaft und Forschung beimisst. Bildung und Forschung sind mehr als in den Jahren zuvor Teil der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit, Frau Sitte, egal ob es um die Stimulierung von Wirtschaftswachstum oder um die Bewältigung der Herausforderungen durch die Energiewende geht. Dabei verfolgt diese Koalition langfristige Ziele, und die Entwicklung zeigt, dass für uns, gerade im wissenschaftlichen Raum, Verlässlichkeit und Kontinuität im Vordergrund stehen. ({1}) Ausdruck der langfristigen Planungssicherheit - das ist für unsere Forschungseinrichtungen ganz wichtig ist der Pakt für Forschung und Innovation. Wir garantieren für die Jahre 2011 bis 2015 4,9 Milliarden Euro. Diese von uns gewollte langfristige Entwicklung zielt vor allem auf die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftssystems ab. Diese gilt es weiter zu fördern, und hier setzen wir auch mit der institutionellen Förderung an, indem wir einen jährlichen Mittelaufwuchs von 5 Prozent garantieren. Im Haushaltsjahr 2012 übertreffen wir die geplante Marke und erreichen sogar einen Aufwuchs von knapp 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr und damit ein Volumen von etwa 4,4 Milliarden Euro. Der Bereich Forschung und Entwicklung folgt einem besonderen und speziellen Konzept. Es ist nicht so, dass man heute an einer Stellschraube dreht und bereits morgen die Effekte oder Ergebnisse sehen kann. So funktioniert Wissenschaft nicht. Die Haushaltsjahre setzen hier manchmal einen zu engen Rahmen - das ist genau das Problem, das Sie, Herr Hagemann, hier angesprochen haben -, der die Begleitung der Forschungsorganisationen bei ihrer langfristigen Entwicklung, ihren Projekten und Ansätzen beeinträchtigt. Am Beispiel der Helmholtz-Gemeinschaft zeigt sich, dass die Planung und der Bau von Großgeräten - durch Kooperationspartner oder durch behördliche Genehmigungsprozesse - sich manchmal so lange erstrecken, dass sie dem Haushaltsjahr und seinen Planungen entwachsen. Es bleibt aber kein Geld liegen, um das ganz deutlich zu sagen. ({2}) Wir brauchen viel mehr Verlässlichkeit und müssen vor allen Dingen auf eines achten: dass wir die haushälterischen Rahmenbedingungen weiter flexibilisieren. Mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz werden wir genau an diesem Punkt ansetzen und damit die Leistungsfähigkeit der Forschungsorganisationen steigern. Der Einzelplan 30 folgt damit einem wichtigen Gedanken, den ich bereits betont habe, nämlich dem der langfristigen Entwicklung und der Kontinuität. Besonders zu nennen ist die Titelgruppe „Naturwissenschaftliche Grundlagenforschung“, wo wir einen Aufwuchs von über 52 Prozent auf nunmehr 277 Millionen Euro haben. Denn ohne genügende Grundlagenforschung kann es keine ausreichenden Innovationen geben. Oder, um es direkt mit den Worten von Max Planck zu sagen, der einDr. Martin Neumann ({3}) mal formulierte: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen“. Wie wichtig dies ist, stellen wir gegenwärtig schmerzlich im Bereich der Elektrochemie vor dem Hintergrund der Energiespeicherfrage fest. Insofern ist es geradezu ein Gebot, die Grundlagenforschung intensiv zu fördern und damit das deutsche Wissenschaftssystem für die wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu stärken. ({4}) Ein letzter Satz zum Thema Hochschule: Hier sind die Verantwortlichkeiten klar; sie liegen bei den Ländern. Wir wollen mit dem Hochschulpakt 2020 die Investitionen um 60 Prozent auf 1,46 Milliarden Euro anheben. Denn Hochschulen sind nicht nur ein wichtiger Pfeiler des deutschen Wissenschaftssystems und damit seiner Leistungsfähigkeit, sondern nach meinem Verständnis auch der Ort, wo Grundlagenforschung stattfindet und diese in die Anwendung überführt werden kann. Dieses klar gezeichnete Profil zeichnet den Haushaltsplan aus

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, der letzte Satz ist schon sehr lang, und Sie haben die Zeit schon deutlich überschritten.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- und sollte nach meinem Dafürhalten in den anstehenden Beratungen nicht verwässert werden. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss Ihnen sagen: Die Zahlenjongliererei, die wir vorhin vorgeführt bekamen, finde ich einigermaßen erbärmlich. Es geht doch nicht um die Frage, wer es erfunden hat: die CDU oder die SPD; oder waren es vielleicht doch die Schweizer? ({0}) Es geht um die Zukunftschancen junger Menschen in diesem Land, und dazu sollte der Bildungshaushalt einen Beitrag leisten. Diesen Satz der Ministerin könnte ich glatt unterschreiben, nur leistet der Bildungshaushalt das nicht. ({1}) Ich kann schon verstehen, dass die Ministerin wenig erfreut gewesen ist über die jüngste Pressemeldung, dass sie nicht wisse, wohin mit ihrem Geld. Nur: Die Zahlen stammen allesamt aus Ihrem Haus, Frau Ministerin. In mehreren Positionen stellt diese Zahlentabelle klar, dass die Auslastung im Haushalt 2011 bis zum 31. Juli deutlich unter 10 Prozent gelegen hat. ({2}) - Das ist keine Zahlenspielerei, das ist eine Tabelle aus dem BMBF. - Wenn man sich anschaut, welche Projekte von dieser geringen Auslastung betroffen sind, dann stellt man fest: Es sind die Prestigeobjekte der Koalition und der Bundesregierung - die Bildungsketten, das sogenannte Deutschlandstipendium und der Qualitätspakt Lehre. In all diesen Positionen schaffen Sie lange nicht das, was Sie vorgeben, schaffen zu können. Das kritisieren wir heftig, ({3}) und zwar nicht, weil wir diese Projekte nicht schön finden, sondern weil das Geld woanders besser aufgehoben wäre. ({4}) Wir werden nicht kritisieren, dass Sie an anderen Stellen zum Teil Geld draufsatteln; denn Geld für Bildung wird sehr dringend gebraucht. Insgesamt muss für allgemeine und berufliche Bildung deutlich mehr aufgebracht werden. Trotzdem müssen Sie uns einmal erklären, woraus sich zum Beispiel der höhere Bedarf bei den Bildungsketten ergibt, wenn bis zum 31. Juli kaum etwas abgeflossen ist. Wäre das Geld dann nicht direkt in den Schulen besser aufgehoben, wo man dafür sorgen könnte, dass die Kinder einen Schulabschluss erlangen und dann eine ordentliche Ausbildung erhalten können? ({5}) Dort aber kommt das Geld doch gar nicht an. Allerdings hätten wir auch gerne im gesamten Bereich der beruflichen Bildung deutlich mehr Mittel, um die kolossalen Defizite der vergangenen Jahre auszugleichen, wenn auch mit einer anderen Zielrichtung. Es gibt zwar für Jugendliche unter 25 Jahren einen Rechtsanspruch auf eine Berufsausbildung, eine Vermittlung in Arbeit oder Beschäftigung oder eine Bildungsmaßnahme. Wer aber bis zum 25. Lebensjahr keinen Berufsabschluss erreichen konnte, ist irgendwann über 25 und wird dann nicht mehr gefördert und hat immer noch keinen beruflichen Abschluss. Etwa 17 Prozent in der Altersgruppe zwischen 25 und 30 Jahren haben keinen beruflichen Abschluss. Hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf. ({6}) Frau Ministerin, das größte Fiasko - es hat heute schon mehrfach eine Rolle gespielt - erleiden Sie offen14646 sichtlich mit Ihrem famosen Deutschlandstipendium für besonders Begabte. Sie wollten 2010 schon einmal 10 Millionen Euro dafür ausgeben; aber nur 20 Prozent davon sind tatsächlich abgeflossen. Das restliche Geld ist liegen geblieben, Herr Neumann. In diesem Jahr sollen es wieder 10 Millionen Euro sein; aber es wird nicht viel mehr abfließen als letztes Jahr. Trotzdem veranschlagen Sie für das nächste Jahr fast den vierfachen Betrag. Frau Schavan, Ihr Lieblingskind findet keine Abnehmer. Da hilft auch nicht der Aufruf, den wir alle kürzlich per Mail erhalten haben: Private werden aufgefordert, über Stipendien Bildung zu finanzieren, wie es in anderen Ländern üblich sei. ({7}) Ich will Sie diesbezüglich gerne mit einer Neuigkeit überraschen, die Sie vielleicht noch nicht kennen: An der Fachhochschule Köthen ist man an solchen Stipendien interessiert. Vor einigen Monaten wandte sich ein Kreistagsabgeordneter aus Köthen mit der Bitte an den Kreistag, doch für die Fachhochschule den Privatanteil in Höhe von 150 Euro über ein Stipendium zu finanzieren, weil man den Betrag selbst nicht aufbringen könne. Vielleicht kennen Sie sich in den Hochschulen nicht aus und wissen nicht, wie schwierig es ist, private Sponsoren für ein solches Stipendium zu finden. ({8}) Frau Schavan, ziehen Sie daraus die Lehre und lenken Sie die dafür eingeplanten Ausgaben in Höhe von 38 Millionen Euro am besten ins BAföG um. Dann kommt das Geld wenigstens da an, wo es gebraucht wird. ({9}) All dies zeigt - man müsste noch viel mehr anführen -, wie falsch Ihr Versuch ist, die Verantwortung des Staates für die Bildungsfinanzierung immer mehr aufzugeben und sie in private Hände zu legen. Das tut die Bundesregierung auch beim Bildungs- und Teilhabepaket, das bestenfalls privaten Nachhilfelehrerinnen und -lehrern zugutekommt. Welch ein Armutszeugnis! ({10}) Es ist überhaupt ein Problem, dass immer mehr Bildungsaufgaben nicht von den Bildungsinstitutionen, die dafür da sind, geleistet werden, sondern von der Bundesanstalt für Arbeit, den Jobcentern, den Sozialämtern usw. Dabei könnte man direkt in den Schulen helfen, wenn man das Geld anders verteilte. ({11}) Für Bildung sind bekanntlich die Länder und Kommunen zuständig, die das Geld in aller Regel auch für Bildung ausgeben, wenn sie es denn haben. In meiner Stadt Magdeburg wurden die Mittel aus dem Konjunkturpaket II vorrangig verwendet, um Schulen, Kitas und Kultureinrichtungen zu sanieren. Das Konjunkturpaket II war aber kein Bildungsprogramm. Damit der Bildungshaushalt des Bundes künftig tatsächlich wieder als Bildungshaushalt bezeichnet werden kann, müsste der Bund in Bildungsfragen wieder mit den Ländern kooperieren können. Dann müssten Bildungsaufgaben nicht über andere Ressorts oder Bundesinstitutionen gesteuert werden; die Mittel könnten direkt in die Bildungsarbeit der Schulen und Hochschulen fließen. Das würde wirklich helfen. Frau Ministerin, meine Damen und Herren von der Koalition, die Anträge für eine Aufhebung des Kooperationsverbots in der Bildung liegen auf dem Tisch. Die Länder sind überwiegend dazu bereit; alle, die ich frage, wollen das. Die Initiative liegt bei Ihnen. Schönen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ ({0}) Gemessen an Ihrem Bildungsetat und vor allem an der Wirklichkeit in unserem Land, muss ich feststellen: Ihr Wachstums- und Bildungsversprechen ist leider ein Versprecher. Chancen gibt es kaum, Wege zum sozialen Aufstieg sind blockiert. Unsere Gesellschaft bleibt leider viel zu undurchlässig. Ein Sechstel aller Kinder lebt in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, in Berlin sogar jedes vierte Kind. Kaum eines dieser Kinder hat Aussicht auf einen Universitätsabschluss, weil es unsere Schulen eben nicht gut genug hinbekommen, vererbte Armut zu überwinden. Wie reagiert Schwarz-Gelb darauf? Ihre Werbeagentur erfindet den Euphemismus „Bildungsrepublik“. Eine orientierungslose CDU führt strukturkonservative Hauptschuldebatten aus dem letzten Jahrtausend. ({1}) Frau von der Leyen schnürt ein bürokratisches Bildungspaket, das kaum einem armen Kind in diesem Land hilft. ({2}) Sie regieren ganz klar an den Kernproblemen unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems vorbei; Sie packen sie nicht an. Sie packen auch nicht Maßnahmen für mehr Bildungsgerechtigkeit und den sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft und Wirtschaft an. Hier sind gezielte Investitionen und Innovationen bitter nötig. Nur einige Beispiele: Aktivitäten in den Bereichen Klimakatastrophe, Energiewende und Atomausstieg müssen sich ganz klar im Forschungshaushalt widerspiegeln und dort Niederschlag finden. ({3}) Falsche Prioritäten und zögerliches Handeln von Ministerin Schavan führen aktuell dazu, dass allein in diesem Wintersemester mindestens 50 000 junge Menschen keinen Studienplatz finden. Diesen 50 000 jungen Hochschulzugangsberechtigten droht eine Warteschleife. ({4}) Es ist schlichtweg paradox, dass diese Bundesregierung den Fachkräfte- und Akademikermangel immer wieder beklagt, aber nichts zu dessen Behebung liefert. ({5}) Ob Warteschleifen für Azubis, die Stagnation bei den Weiterbildungsmitteln oder Studienplatznotstand - das schwarz-gelbe Motto lautet: Mangel verwalten, statt Lösungen gestalten. Es war nicht nur in diesem Haus lange bekannt, dass aufgrund von höherer Studierneigung, doppelten Abiturjahrgängen und des Ausstiegs aus der Wehrpflicht die Zahl der Studienberechtigten erheblich steigt. Frau Schavan, dennoch haben Sie den Hochschulpakt kaum nachgerüstet. ({6}) Es kann nicht sein, dass Sie stoisch auf Ihrem 12-Milliarden-Paket sitzen bleiben. Eile mit Weile hilft keinem einzigen Studienberechtigten in diesem Land, vor allem nicht den 50 000, die keinen Platz finden. ({7}) Für dieses Wintersemester helfen deshalb nur noch Notmaßnahmen vor Ort, damit sich die Studienplatzlücke verkleinert. Länder wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen unternehmen außerordentliche Anstrengungen, um die unerledigten Hausaufgaben der Bundesbildungsministerin nachzuarbeiten. Deshalb fordern wir Sie auf, noch in diesem Herbst den Hochschulpakt nachzuverhandeln und vor allem eine Masterkomponente einzuführen. Das ist dringend notwendig. ({8}) Ich kann es Ihnen nicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass zu diesem Studienplatzmangel verschärfend hinzukommt, dass wir noch immer kein bundesweit funktionierendes Hochschulzulassungsverfahren haben. ({9}) Das ist der nächste große Skandal. Zu spät wurde im Sommer 2008 ein neues Zulassungsverfahren verabredet. Drei Jahre und 15 Millionen Euro später haben wir noch immer kein funktionierendes System. Das anhaltende Zulassungschaos ist unzumutbar. Ich frage mich immer wieder: Frau Schavan, wo bleibt hier Ihr Einsatz? Werden Sie endlich von der Zuschauerin zur Krisenmanagerin. ({10}) Hinsichtlich der Studienfinanzierung sollten Sie ideologischen Ballast abwerfen. ({11}) Das BAföG-Reförmchen aus dem letzten Jahr hat Schwarz-Gelb mit dem unausgegorenen nationalen Stipendienprogramm verbunden. ({12}) Die Praxis gibt uns bisher klar recht, weil die Mittel aus dem großspurig verkündeten Deutschlandstipendium auf ein Gartenzwergniveau herabgesunken sind. Die Wirtschaft lässt Sie hier im Regen stehen, und private Stifter wollen das Programm nicht. ({13}) Vor allem aber geht dieses Eliteprogramm an den Bildungsaufsteigern aus nicht akademischen und einkommensarmen Elternhäusern vorbei. Deshalb sage ich: Kassieren Sie diesen Ladenhüter ein, statt weiter in ihn zu investieren. Stecken Sie das Geld ins BAföG, das bringt viel mehr. ({14}) Wir hätten es heute spannend gefunden, zu erfahren, wie Sie mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs zur steuerlichen Absetzbarkeit von Erstausbildungskosten umgehen wollen. Es wäre spannend gewesen, dazu etwas von der Bundesbildungsministerin zu hören. Anstelle einer nachlaufenden Kostenerstattung wollen wir eine bessere direkte Förderung während der Ausbildungszeiten. ({15}) Wir haben hierzu Vorschläge für eine neue und moderne Studienfinanzierung gemacht. Die staatliche Studienfinanzierung ist zu stärken; kurzfristig durch einen BAföG-Ausbau, mittelfristig durch ein Zwei-SäulenModell mit einem Sockel für alle und einem Bedarfszuschuss für Bedürftige. Das wäre eine moderne und gezielte Studienfinanzierung der Zukunft. ({16}) Letztlich kann man nur sagen: Das ist eine magere Halbzeitbilanz, weil dieser schwarz-gelbe Bildungshaushalt nicht das hält, was er verspricht. Sie setzen falsche Prioritäten und stecken Geld in alte Strukturen und Ladenhüter. Ich möchte trotzdem versöhnlich schließen. Wir können den Bildungserfolg in Deutschland insgesamt und gemeinsam steigern, wenn strukturelle Blockaden endlich aufgebrochen und finanzielle Prioritäten richtig gesetzt werden. Dazu gehören auch moderne Bund-Länder-Finanzbeziehungen im Bildungsbereich und die Überwindung des Kooperationsverbots im Grundgesetz. Unsere grüne und klare Botschaft an die Ministerin, an die Koalition und an die Opposition ist: Wir sind offen für gemeinsame Gespräche zur Überwindung des Kooperationsverbots und zu einer modernen Bund-LänderFinanzbeziehung in diesem Bereich. Ich glaube, wir alle gemeinsam müssen den Bildungsföderalismus modernisieren. Sonst wird er noch weiter an Akzeptanz verlieren. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Anette Hübinger für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu vielen Redebeiträgen in der heutigen Debatte fällt mir ein Ausspruch des Publizisten Willy Meurer ein: „Lautes Stöhnen und Klagen gehören heutzutage in Deutschland zum guten Ton.“ ({0}) Das kann man aber nicht auf unseren Haushalt beziehen und schon gar nicht auf den Einzelplan 30. Hier haben wir nämlich, wie der Berliner sagt, keinen Grund zum Meckern. ({1}) Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf schaffen wir den schwierigen Spagat zwischen finanzieller Konsolidierung und dem Setzen nachhaltiger Wachstumsimpulse. Gerade die schwierige finanzielle Lage in einigen europäischen Mitgliedstaaten führt uns immer wieder vor Augen, wie unerlässlich gerade dieser Zweiklang zwischen Konsolidierung und Investieren für erfolgreiches politisches Handeln ist. Bei der Konsolidierung unserer Staatsfinanzen gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt, um mittelfristige Ziele der Schuldenbremse zu erreichen. Beim Investieren, der zweiten Seite der Medaille, kommt es auf die richtigen Stellen an, um die Zukunft unseres Landes zu sichern. Das heißt, wir müssen dort investieren, wo die Basis für wirtschaftliche Entwicklung gelegt wird. Bildung und Forschung sind dabei wichtige, wenn nicht sogar die wichtigsten Bausteine. ({2}) Es ist absolut richtig, dass diese beiden Bereiche zentrale haushaltspolitische Schwerpunkte in der christlichliberalen Koalition sind. Für uns war von Anfang an klar, dass wir in dieser Legislaturperiode noch mehr für Bildung und Forschung tun müssen. Deshalb wollen und werden wir in dieser Zeit eine Summe von zusätzlich insgesamt 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung investieren. Denn jeder hierin investierte Euro ist eine gute Investition in unser Land, in unsere Zukunft und in unsere Menschen. ({3}) Der Regierungsentwurf zeigt wieder deutlich, wie ernst es uns mit diesem Ziel ist, und das trotz eingeführter Schuldenbremse. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 2012 überproportional ansteigt. Wir reden hier von einer Steigerung um 10 Prozent. Die Zahl ist so schön, dass ich sie wiederholen muss. Insgesamt macht diese Steigerung 1,2 Milliarden Euro für Bildung und Forschung aus. ({4}) Die finanzielle Entwicklung des Einzelplans 30 könnte nicht besser sein. Nun kommt es also darauf an, die richtigen Schwerpunkte und Signale zu setzen. ({5}) Auch hier hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen guten Job gemacht. Ein Kompliment an die Ministerin und ihr Haus, mit einem herzlichen Dank verbunden! ({6}) Aus Sicht der Union sind im vorliegenden Entwurf alle wichtigen Maßnahmen und Instrumente mit einem adäquaten Finanzvolumen ausgestattet, auch diejenigen, bei denen im letzten parlamentarischen Haushaltsverfahren noch nachgebessert werden musste. Wenn ich mir beispielsweise die Zahlen für den Studenten- und Wissenschaftleraustausch, die Förderung der Instandhaltung und Modernisierung überbetrieblicher Bildungsstätten und die vorgesehenen Zuschüsse für Begabtenförderungswerke ansehe, dann stelle ich fest, dass kein Raum für Kritik bleibt. ({7}) Den steigenden Studierendenzahlen aufgrund doppelter Abiturjahrgänge unter Aussetzung der Wehrpflicht wird durch einen beachtlichen Mittelaufwuchs im Hochschulpakt Rechnung getragen. Herr Gehring, Sie sagen, dass da nichts passiert ist. Aber ein Plus von 60 Prozent muss man erst einmal erreichen. Vielleicht haben Sie das überlesen. ({8}) Ebenso spiegeln sich die neue Herausforderungen wie die Energiewende, Klima, Mobilität, Umwelt und Gesundheit durch signifikante Aufwüchse wider. Frau Sitte, Ihnen kann ich vielleicht noch sagen - hören Sie mir bitte zu, Frau Sitte -: ({9}) Im Bereich Gesundheit haben wir 2011 wegen der Problematik hinsichtlich der Lizenzen unter anderem die PDPs eingeführt. 20 Millionen Euro sind der erste Schritt. Den muss man erst einmal machen. ({10}) Mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf und der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes bis 2015 sendet die christlich-liberale Koalition ein klares Zeichen der Verlässlichkeit in die deutsche Bildungs- und Wissenschaftslandschaft. Angekündigte Aufwüchse werden von uns realisiert und im Rahmen der Finanzierungsplanung garantiert. Diese Planbarkeit erweist sich für unsere Forschungsinstitute als handfester Standortvorteil im internationalen Wettbewerb. Nicht nur die Rückmeldungen aus unseren außeruniversitären Forschungsinstituten über die jährlichen Aufwüchse in Höhe von 5 Prozent sind durchweg positiv; rund um den Globus wird uns für diese Entwicklung Anerkennung gezollt. ({11}) Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die internationale Ausrichtung von Hochschulen und Forschungsinstituten in Zukunft eine noch größere Rolle spielen wird. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass der Titel „Studenten- und Wissenschaftleraustausch sowie internationale Hochschul- und Wissenschaftskooperation“ mit entsprechenden finanziellen Mitteln hinterlegt ist. Auch hier liegt eine Steigerung vor - ich glaube, Frau Hinz hat das Thema angesprochen -, und zwar um 19,13 Prozent. Diese Steigerung wird im mittelfristigen Finanzplan durchgeschrieben. Auch an dieser Stelle hat das Ministerium seine Hausaufgaben also gemacht. ({12}) Wer den gesamten Entwurf objektiv beurteilt, kann nur zu einem Schluss kommen: Der Bund hat seine Hausaufgaben in Sachen Bildung und Forschung gemacht. In der Schule würde man sagen: glatte Eins. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Swen Schulz für die SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem, was hier von der Regierung als Haushaltsplanentwurf vorgelegt wird, handelt es sich um durchaus respektable Zahlen, Frau Schavan. ({0}) Das muss und möchte ich sagen. Das mache ich gerne. Vieles von dem, was im Haushaltsplanentwurf steht, ist vollkommen in Ordnung. ({1}) Das ist nicht weiter verwunderlich, weil das im Wesentlichen eine Fortschreibung dessen ist, was wir unter RotGrün gemacht und in der Großen Koalition mitgestaltet haben. So viel zum Thema „Same procedure as every year“. ({2}) Es stellt sich bloß die Frage, welche neuen Akzente Sie, Frau Schavan, gesetzt haben. Wenn man sich die Halbzeitbilanz anschaut und das, was Sie für das nächste Jahr vorschlagen, fällt vor allem auf, dass so richtig nichts auffällt. Sie haben hier einen ziemlich selbstgefälligen Vortrag - so würde ich das nennen - gehalten; aber das Ganze wirkt doch ziemlich uninspiriert und farblos. ({3}) Man vermisst echte Ideen, wie wir in Sachen Bildung einen ordentlichen Schritt vorankommen können. Das sagt nicht nur die SPD. Das sagen alle. Da brauchen Sie sich gar nicht groß umzuhören. Das sagen die Sozialverbände, das sagen die Gewerkschaften, das sagen die Arbeitgeber, die Kirchen, die Wissenschaftler, die Bürgerinnen und Bürger. Die Menschen wünschen sich, dass wir im Bereich der Bildung einen ordentlichen Sprung nach vorne machen. ({4}) Ich will Ihre Bilanz mit der der Regierungszeit von Rot-Grün vergleichen. Wie war das damals? ({5}) Nachdem die Kohl-Regierung das BAföG geradezu kaputt gemacht hat, haben wir das BAföG wieder auf ein ordentliches Fundament gestellt und vorangebracht. Im Bereich der Hochschulen haben wir neue Finanzierungsinstrumente eingeführt. Vor allem haben wir mit dem Ganztagsschulprogramm einen ganz wichtigen Akzent zur Fortentwicklung der Bildung gesetzt. Das hat wirklich etwas gebracht. ({6}) In der Großen Koalition haben wir leider sehr viel Zeit damit verbringen müssen, all diese Errungenschaften von Rot-Grün gegen die Angriffe der Union zu verteidigen. Swen Schulz ({7}) ({8}) Aber immerhin haben wir den Hochschulpakt hinbekommen, nachdem die SPD-Bundestagsfraktion ganz allein dafür gesorgt hat, dass im Grundgesetz die Voraussetzung dafür geschaffen wurde. ({9}) Ich weiß noch ganz genau, dass Frau Schavan auf ihren Händen saß und zugeschaut hat. Hinterher hat sie abgestaubt. ({10}) Was ist jetzt? Jetzt regieren Sie - leider ohne die SPD mit der FDP. ({11}) Und was machen Sie? Als neues Instrument im Bildungsbereich bieten Sie eigentlich nur ein neues Stipendienprogramm an, das Deutschlandstipendium. Aber noch nicht einmal das läuft vernünftig. Gleichzeitig lassen Sie das BAföG, dieses wichtige, zentrale Element der Bildungsfinanzierung, links liegen. ({12}) Ich habe gerade erst zu dessen 40. Geburtstag gesagt, dass an dieser Stelle nichts passiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, wie stellen Sie sich das vor? Hunderttausende warten darauf, dass sie eine bessere Unterstützung für ihren weiteren Bildungsweg bekommen. Was sagen Sie diesen Hunderttausenden? Bewerbt euch mal auf die ein-, zweitausend Stipendien! - Das kann es doch nun wirklich nicht sein. So geht das nicht. ({13}) Wenn Sie schon keine eigenen Ideen haben, dann sollten Sie zumindest die Ideen von anderen aufgreifen. Die SPD hat eine ganze Menge vorgelegt: zum BAföG, zum wissenschaftlichen Nachwuchs, zum Hochschulzugang, zu Praktika, zu Ganztagsschulen, zum Föderalismus, zur beruflichen Bildung, zu Fachkräften und zu vielem anderen mehr. Ich möchte ganz besonders auf den Hochschulpakt eingehen. Da stehen Sie, Frau Schavan, leider eher auf der Bremse. Ich erinnere an die Diskussion über die Aussetzung der Wehrpflicht. Wir von der SPD haben von Anfang an gesagt: Da muss der Bund Verantwortung übernehmen, weil durch die Aussetzung der Wehrpflicht mehr Interessenten an die Hochschulen wollen. Sie haben das noch bei den letzten Haushaltsberatungen hier vor einem Jahr abgelehnt. Sie wollten dazu nichts sagen, bis Frau Merkel den Ministerpräsidenten endlich zugesagt hat: Der Bund steht zu seiner Verantwortung. Es ist noch viel mehr notwendig. Es gibt fast flächendeckend NCs. Viele wollen studieren - Frau Schavan, Sie haben ja gesagt: Die Studierneigung steigt -, daher muss es auch entsprechende Angebote geben. Diese müssen geschaffen werden. Wir müssen den Hochschulpakt ausbauen. Die SPD-Fraktion hat ein entsprechendes Konzept für einen „Hochschulpakt Plus“ vorgelegt. Darin enthalten ist auch ein neues Element zur Schaffung von Masterstudienplätzen; dies ist ein wichtiger Punkt. Wir brauchen auch neue Wege der Bildungsfinanzierung. Über das Modell „Geld folgt Studierenden“ sollte man nachdenken. Wir haben einen Abschlussbonus für erfolgreiche Studienabschlüsse als Anreiz für gute Lehre vorgeschlagen. Was kommt in all diesen Bereichen von Ihnen? Nichts, gar nichts, Fehlanzeige. Das ist zu wenig. Das ist Arbeitsverweigerung. ({14}) Wir von der SPD haben ein Konzept vorgelegt, in dem jährlich 20 Milliarden Euro mehr Investitionen in die Bildung vorgesehen sind. Es ist nicht leicht, das zu verwirklichen. In diesem Konzept ist auch vorgesehen, dass wir die Steuern für diejenigen, die sehr gute Einkommen und große Vermögen haben, erhöhen. Das ist kontrovers, aber es ist eine klare Ansage zugunsten der Bildungsrepublik Deutschland. ({15}) Wissen Sie, was Ihr Problem ist, Frau Schavan? Sie kämpfen in diesen Monaten innerparteilich um Ihr Überleben. ({16}) Es geht dabei um die Frage „Hauptschule - ja oder nein?“, die übrigens in Berlin - Sie schimpfen immer so viel auf Berlin - erfolgreich beantwortet ist. ({17}) Frau Schavan, Sie führen Rückzugsgefechte. Wir denken nach vorne. Das ist der Unterschied. Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die FDPFraktion. ({0})

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schulz, leben Sie eigentlich in einer Parallelwelt? ({0}) Das, was ich von Ihnen hier gehört habe, stimmt nun wirklich nicht mit dem überein, was im vorgelegten Haushalt steht. Die Zahlen sind hier bereits genannt worPatrick Meinhardt den, aber man muss sie immer und immer wieder hervorheben: Zusätzliche 12 Milliarden Euro werden innerhalb von vier Jahren in Bildung und Forschung investiert. Die Steigerung im Vergleich zum Ausgangshaushalt des Jahres 2009 beträgt 25 Prozent. Die Steigerung im Vergleich zum letzten Haushalt der rot-grünen Koalition beträgt 70 Prozent. Das ist die höchste Steigerungsrate in ganz Europa. ({1}) Das muss man hier mit Stolz formulieren dürfen. ({2}) Wenn es uns um Bildungsgerechtigkeit geht, wenn es uns um die einzelnen Kinder, die einzelnen Schüler geht, wenn es uns darum geht, die Anzahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher in diesem Land in einem partnerschaftlichen Miteinander zu reduzieren, dann hat jeder dieser Partner seine Aufgabe wahrzunehmen. Ja, es ist gut, dass diese Bundesregierung die Zahl der Schulabbrecher durch massive Investitionen, auch im Bereich der Bildungsketten, reduzieren konnte. Die Schulabbrecherzahlen sind von 8,5 Prozent über 7,9 Prozent auf 7,5 Prozent gesunken. ({3}) Das ist immer noch zu viel. Wenn Sie sich die Einzelstatistik ansehen, dann merken Sie, was das Problem in Deutschland ist: Die Schulabbrecherzahlen stiegen in Berlin von 9,9 Prozent auf 11,5 Prozent. Sie erhöhten sich in Brandenburg von 10,7 Prozent auf 13 Prozent. ({4}) Sie erhöhten sich in Sachsen-Anhalt von 11,3 Prozent auf 14,9 Prozent. ({5}) Sie erhöhten sich in Mecklenburg-Vorpommern von 12,1 Prozent auf 16,8 Prozent. In all diesen Ländern sind Sozialdemokraten mit in der Verantwortung. ({6}) Es ist unglaublich, dass Sie Ihre Verantwortung in den Ländern nicht wahrnehmen wollen, sich aber hier hinstellen und so tun, als ob Sie damit nichts zu tun hätten. ({7}) Es ist für mich ein Unding, welche Theorien Sie hier vertreten, und das auch noch an einem so wichtigen Tag wie heute, am Weltalphabetisierungstag. Es gibt 7,5 Millionen funktionale Analphabeten in der Bundesrepublik Deutschland. ({8}) Darin sieht auch diese Bundesregierung eine Aufgabe und Herausforderung. ({9}) Deswegen investieren wir in Programme wie „Leselust“ und „Lesestart“. Deswegen investieren wir in die Offensive „Frühe Chancen“. Deswegen investieren wir in arbeitsplatzorientierte Grundbildung. Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland einen Grundbildungspakt. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass 7,5 Millionen Menschen in diesem Land Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben. Unsere Aufgabe besteht darin, einen Grundbildungspakt zu schließen. Bitte bringen auch Sie sich hierbei ein! ({10}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich das, was Sie zum Thema BAföG sagen, höre, dann glaube ich wirklich, dass ich hier in der falschen Veranstaltung bin. ({11}) - Ja, in Ihrer falschen Veranstaltung, weil Sie Wahrnehmungsprobleme in Bezug auf die Wirklichkeit haben. ({12}) Durch die Erhöhung der Elternfreibeträge haben jetzt 43 000 junge Studierende mehr die Möglichkeit, diese Chance zu ergreifen. Es gibt 916 000 junge Menschen, die BAföG erhalten. Wir haben im letzten Jahr durchgesetzt, 500 Millionen Euro mehr für das BAföG zur Verfügung zu stellen. ({13}) Das hat mit dem, was Sie in Ihrem komischen Argumentationsgebäude vortragen, nichts zu tun. Das BAföG ist eine wichtige Ausgangsvoraussetzung für Bildungsgerechtigkeit. Für diese Bildungsgerechtigkeit hat die Bundesregierung gesorgt. ({14}) - Was das Deutschlandstipendium betrifft, muss ich sagen: Es ist unglaublich, was Sie, Herr Hagemann, hier für eine Argumentation vorgetragen haben. ({15}) - Passen Sie mal auf! Es gibt genug Universitäten, die schon jetzt hervorragend dastehen und eine Quote von 100 Prozent erzielen. ({16}) Bei den Universitäten in Aachen, Frankfurt am Main, Frankfurt/Oder und Augsburg sowie bei der FH Eberswalde ist schon jetzt Übererfüllung festzustellen. ({17}) Aber zufälligerweise boykottieren die drei Universitäten in Hamburg, die in sozialdemokratischer Verantwortung sind, das gesamte Deutschlandstipendien-Programm. ({18}) Das ist unfair, das ist unseriös, und das ist der falsche bildungspolitische Ansatz. ({19}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Haushalt, den die Bundesregierung heute vorlegt, ist ein Investitionshaushalt, der darauf setzt, dass die Talente und Fähigkeiten junger Menschen gefördert werden. Er ist ein Innovationshaushalt, er ist ein Haushalt der Bildungsgerechtigkeit, und er ist eine klare Ansage für die Bildungsrepublik Deutschland. Vielen herzlichen Dank. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man merkt an dieser Debatte, dass der Opposition unsere ganze politische Richtung nicht gefällt, weil sie erfolgreich ist. ({0}) Wir haben bei diesem Haushalt 10 Prozent draufgepackt. Wir haben die Mittel für diesen Einzelplan um 1,2 Milliarden Euro erhöht, und das, obwohl wir für die nächsten Jahre ein Konsolidierungsprogramm in Höhe von 80 Milliarden Euro beschlossen haben. Die steuerlichen Entlastungen betrugen unter Rot-Schwarz 20 Milliarden Euro - das war die volle Jahreswirkung -, unter Schwarz-Gelb sind es 10 Milliarden Euro. Das müsste in den nächsten Jahren Steuermindereinnahmen von 30 Milliarden Euro zur Folge haben. Trotzdem haben wir bei den Steuern einen Aufwuchs zu verzeichnen. Angesichts dessen haben wir bei Bildung und Forschung 10 Prozent draufgepackt und die Mittel um 1,2 Milliarden Euro erhöht. Dass Ihnen diese ganze Richtung nicht passt, ist mir klar. ({1}) Wenn Ihr einziges Thema, Herr Kollege Hagemann, ist, dass das Geld angeblich nicht abfließt, dann will ich Sie fragen: Wie sieht es denn mit dem fachlichen Fundament bei Ihnen aus? Wenn Sie beklagen, dass beim Hochschulbau 500 Millionen Euro liegenbleiben, dann muss ich Ihnen sagen, dass dies seit 2006 eine originäre Aufgabe der Länder ist. Das ist im Bundeshaushalt nur ein Durchlaufposten. ({2}) Wenn Sie sich darüber beklagen wollen, dann müssen Sie sich an die Länder wenden, die diese Mittel nicht abrufen. Sie dürfen aber nicht den Bund dafür kritisieren, dass er die Mittel zur Verfügung stellt. ({3}) Zur zweiten Lesung werde ich die Länder heraussuchen, die die wenigsten Mittel abgerufen haben. Wer geschenktes Geld nicht nimmt, der ist einfach dumm. ({4}) Ich komme zu dem Vorwurf an Frau Ministerin Schavan, bei ihr bleibt besonders viel Geld liegen. Nehmen wir nur einmal die Minderabflüsse: Schauen wir doch einmal, welche Länder überregionale Forschungsfördermittel nicht abgerufen haben. Schauen wir ferner auf die internationalen Probleme bei den Verhandlungen zu XFEL und FAIR. Schließlich verweise ich auf Schätzabweichungen bei gesetzlichen Leistungen, zum Beispiel beim BAföG. Der Einzelplan 30 hat, seitdem Frau Schavan dafür Verantwortung trägt, bei einem Gesamtvolumen von 46,2 Milliarden Euro Minderabflüsse von lediglich 800 Millionen Euro - das sind 1,7 Prozent - zu verzeichnen. Im Vergleich zu anderen Haushalten ist das einer der niedrigsten Werte. Es bleibt also kein Geld liegen. Die SPD, Herr Kollege Hagemann, hat zugestimmt, eine halbe Milliarde Euro aus dem Einzelplan 30 in das Bildungs- und Teilhabepaket, also in sozial wichtige Bereiche wie Berufsorientierung und Begabtenförderwerke, umzuschichten. Das restliche Geld haben wir übertragen. Es steht im Jahr 2011 zur Verfügung. Das ist die verantwortungsvolle Politik von CDU/CSU und FDP. ({5}) Als Haushälter schaut man immer auch auf die Rendite des von uns eingesetzten Geldes. Beispielhaft will ich einmal auf die Zahl der Altbewerber eingehen. Als Rot-Grün im Jahr 2005 abgewählt worden ist, gab es 341 000 Altbewerber. Im Jahr 2008 hatten wir die Zahl schon auf 263 000 reduziert. Laut Berufsbildungsbericht hatten wir im Jahr 2010 lediglich noch 185 000 Altbewerber. Unter der politischen Verantwortung von Frau Schavan im Bildungsministerium hat sich die Zahl der Altbewerber also halbiert. ({6}) Deshalb ist das Geld in den Bildungsketten, in der Berufsfrühorientierung und in der Förderung von benachteiligten Jugendlichen gut angelegt. Damit nehmen wir unsere soziale Verantwortung wahr. ({7}) Ein weiteres Beispiel ist die Erhöhung der Zahl der Studienanfänger. Als wir die Regierung übernommen haben, als Angela Merkel Bundeskanzlerin geworden ist, haben lediglich 37 Prozent eines Jahrganges ein Studium begonnen. Heute sind es 46 Prozent. Deshalb ist es falsch, Herr Gehring, wenn Sie sagen, der Hochschulpakt 2020 sei nicht ausfinanziert. Wir haben da einen Aufwuchs um 60 Prozent. ({8}) Der Bund finanziert die zusätzlichen Studienplätze, die aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge und des Wegfalls der Wehrpflicht und des Zivildienstes benötigt werden. Angesichts erwarteter Steuermehreinnahmen der Länder von 11,5 Milliarden Euro im Jahr 2012 gegenüber 2011 haben aber auch die Länder eine politische Verantwortung für die Bildung, insbesondere für die Schaffung von Studienplätzen. Stattdessen schachern sie beim Qualitätspakt Lehre und beim Hochschulpakt 2020. ({9}) In der Tat hat es etwas länger gedauert, den Qualitätspakt Lehre mit den Ländern auf den Weg zu bringen. Es ist aufseiten der Länder eine Unkultur geworden, zu pokern, um möglichst viel herauszuschlagen. ({10}) - Frau Kollegin Sitte, das ist nicht logisch, weil der Bund sich, um etwas voranzubringen, an der Finanzierung von Aufgaben beteiligt, für die originär die Länder zuständig sind. ({11}) Der Bund sagt: Ich will, dass etwas vorankommt. - So wird seit 2006 ganz massiv Politik gemacht. Wenn wir die Bildungsrepublik Deutschland werden wollen, dann ist das eine politische Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen, letztendlich der gesamten Gesellschaft. Pokern und Zocken sind an dieser Stelle fehl am Platze. ({12}) Sehen wir uns einmal Folgendes an: Was haben wir bei betrieblichen Ausbildungsverträgen erreicht? Wie ist die Wirtschaft ihrer Verantwortung in diesem Bereich nachgekommen? In einer schwierigen wirtschaftlichen Situation haben wir einen Aufwuchs an Ausbildungsverträgen zu verzeichnen. Das ist unter anderem auf Programme wie „Jobstarter“, „Jobstarter Connect“ usw. zurückzuführen. Einen weiteren Punkt will ich hier noch anreißen, weil immer so getan wird, als ob sich die Wirtschaft beim Thema Forschung und Entwicklung verflüchtigte. Durch die Anreize, die der Bund gesetzt hat, ist der Anteil der Wirtschaft an den FuE-Gesamtausgaben von 37,7 Milliarden Euro auf 44,8 Milliarden Euro gestiegen, also in drei Jahren um fast 20 Prozent. Angesichts der Zahlen aus der rot-grünen Regierungszeit muss man sagen: Sie haben solche Steigerungsraten nicht einmal ansatzweise erreicht. Deswegen ist es wichtig, als Haushälter zu sagen, dass der Steuer-Euro an dieser Stelle mehr als gut und richtig eingesetzt ist. Das ist eine erfolgreiche Politik. ({13}) Zum Schluss. Frau Ziegler, Sie haben, wenn ich mich richtig erinnere, bei der Debatte zum Haushalt des Bundesinnenministeriums beklagt, dass die neuen Bundesländer zu kurz kommen. Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, die den Einzelplan 30 betreffen. In den letzten zwei Jahren gab es für die neuen Bundesländer einen Aufwuchs um weit über 160 Millionen Euro bei der Projektförderung, bei der institutionellen Förderung und bei speziellen Förderarten. Auch das Programm „Innovationsförderung“ in den neuen Ländern, dessen Mittel kontinuierlich gesteigert wurden, zeigt, dass diese ihren Anteil abbekommen. Wer so argumentiert, Frau Ziegler, wie Sie heute und wie Sie das auch beim Haushalt des Bundesinnenministeriums getan haben, der baut Mauern in den Köpfen nicht ab, sondern der baut Mauern in den Köpfen auf. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Halbzeitdiskussion ist es interessant, nachzuspüren, was nicht angesprochen wird, aber bisher in allen Haushaltsdebatten seitens der Regierung als das große Ziel der Bildungsrepublik reklamiert worden ist: 7 plus 3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt für Bildung und Forschung. ({0}) Davon hat heute niemand gesprochen. Wir wissen auch, weshalb. Sie wissen nämlich genau, dass Sie zur Erreichung dieses Ziels mit dem, was Sie jetzt vorlegen, 20 Milliarden Euro zu wenig bereitstellen. Das ist dabei der Punkt. Sie erreichen eben nicht die 7 Prozent bei der Bildung, und Sie erreichen auch nicht die 3 Prozent bei der Forschung. Das Handelsblatt hat im Zusammenhang mit den Zahlen eine Frage aufgeworfen: Wieso ist Frau Schavan, für deren Haushalt in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro vorgesehen sind, nicht der Star des Kabinetts? Über diese Frage darf man nachdenken. Weshalb sind Sie nicht der Star des Kabinetts? Eine Antwort kann sein, dass Ihnen Souveränität fehlt. Ihnen fehlt die Souveränität, anzuerkennen, dass das, was Sie als Exzellenzinitiative, Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation sowie beim BAföG für sich reklamieren, von Rot-Grün, Schwarz-Rot und in Übereinstimmung mit dem ganzen Haus entstanden ist. Man beweist keine Qualität als Star, wenn die Souveränität zur Anerkennung einer Leistung aller fehlt. Eine zweite Antwort kann sein: Sie sind auch deshalb kein Star, weil Sie in die falsche Richtung laufen. Jede Wahlentscheidung der Menschen gegen Studiengebühren ist indirekt auch eine Entscheidung gegen Frau Schavan gewesen. ({1}) Sie ist doch die Bannerträgerin für Studiengebühren gewesen, wofür Ihre Partei in einem Bundesland nach dem anderen abgewählt wird. Sogar in Baden-Württemberg war das so, woran Sie nie glauben wollten. ({2}) Andere kommen noch. Damit müssen Sie sich jetzt auseinandersetzen. Sie haben - auch das macht keinen Star aus - Bildungssparen angekündigt. Das war eine große Überschrift. Gekommen ist null. Eine weitere große Überschrift betraf lokale Bildungsbündnisse. Dafür gibt es aber kein Geld im Haushalt. Wer so agiert, wird nicht zum Star. ({3}) Dabei gilt: Manches Gute, das Sie tun wollten, haben Sie schlecht umgesetzt. Wir wollen aber anerkennen, dass Sie bei der Hochschullehre Gutes tun wollten, und manches Gute, das Sie tun wollen, wird bisher von den Parteien, die Sie tragen sollen, nicht geteilt. Deshalb machen wir in Sachen Kooperationsverbot für die SPD-Fraktion hier das ausdrückliche Angebot: Frau Schavan, werben Sie dafür, dass es jetzt eine aus Bund und Ländern zusammengesetzte Kommission gibt, in der man, ohne vorher schon in den Schützengräben zu sitzen, darüber redet, wie man Bildungskooperation in Deutschland auf ein neues Fundament stellen kann. Das kann auch Ihr Auftrag sein. Es geht darum, Menschen zusammenzuführen, Politik zusammenzuführen, Bund und Länder zusammenzuführen. Weil Sie diese Möglichkeit nicht nutzen, fehlt uns in der Bildungspolitik etwas. Ich will das in Bezug auf Kooperation an drei Punkten durchbuchstabieren. Erstens. Uns fehlt eine Kooperation für starke Bildungsinstitutionen und starke Schulen. Die letzte große Bildungsdebatte, die die Menschen auch bewegt hat, war die Debatte um die Teilhabe. Von wem ist sie eigentlich geführt worden? Von Frau Schavan? Oder von Frau von der Leyen? War das nicht Fahnenflucht der Bildungsministerin, als es darum ging, sich für starke Schulen mit Schulsozialarbeit und guter Infrastruktur einzusetzen? Dazu ist kein Wort gefallen. Das geht nicht. ({4}) Wer gute, starke Bildungseinrichtungen in Deutschland will - und das ist die erste Aufgabe einer Bundesbildungsministerin -, der darf in einer solchen Diskussion nicht fahnenflüchtig werden. Zweitens. Herr Meinhardt, Sie haben den heutigen Weltalphabetisierungstag angesprochen. Forschung aus dem Bildungsministerium hat diese Problematik mit 7,5 Millionen Betroffenen in Deutschland beziffert. Wenn wir in den Haushalt schauen, finden wir dort nicht 7,5 Millionen Menschen, aber 7,5 Millionen als Geldbetrag. In welcher Relation steht das eigentlich zueinander? Ein Euro für jeden Betroffenen. Das kann es doch nicht sein. Schließlich wissen wir, dass ein Land wie England Jahr für Jahr 900 Pfund dafür eingesetzt hat. Was Sie machen, ist doch keine Umsetzung. An dieser Stelle könnten Sie vorangehen und als Bildungsministerin Grundbildung für alle in Deutschland in Bildungskooperation mit gutem Vorbild durch den Bund voranbringen. Drittens. Ich will ein weiteres Beispiel nennen, was Kooperation, angestoßen durch eine Bundesbildungsministerin, bedeuten könnte. Heute Morgen hat Sigmar Gabriel, Parteivorsitzender der SPD, hier daran erinnert, ({5}) dass das Zusammengehörigkeitsgefühl bei jungen Leuten in Europa sich in der Erfahrung von Ausbildung, Arbeit und Studium abbilden muss. Weshalb macht der Parteivorsitzende der SPD diesen Vorschlag für eine solche europäische Initiative? Haben wir in der Debatte um Europa ein Wort seitens der Bundesbildungsministerin als Initiative gehört? Nein. - Das geht nicht. ({6}) Deshalb muss man Ihnen zum Schluss dieser Halbzeitbewertung zwei Sätze ins Stammbuch schreiben. Der eine Satz ist folgende bemerkenswerte Überschrift von Frau Schmoll in Ihrem Zentralorgan, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: ({7}) Wie oft will Frau Schavan sich denn noch irren? Das war der erste Satz. Der zweite Satz stammt von allerhöchster Stelle. Sie haben bekanntlich eine Kanzlerin, die in sehr eigener Weise charmant ist. Auf einem Parteitag, bei dem Frau Schavan nicht einmal für ein Landesparteitagsmandat gewählt worden ist, hat die Bundeskanzlerin diese Qualität einmal mehr bewiesen. Weil es dort so viel Kritik an Frau Schavan gab, barmte Frau Merkel mit Blick auf Frau Schavan an die Adresse der Delegierten: Aber nun spendet doch einmal Beifall; sie tut doch auch Gutes. Wenn eine Kanzlerin über eine Ministerin so etwas sagt, dann muss sich die Ministerin fragen, mit welcher Kraft sie in die zweite Halbzeit geht. Frau Schavan, Sie brauchen neuen Elan; Sie brauchen neue Konzentration; Sie brauchen neue Ideen. Nur dann kann es eine bessere zweite Halbzeit für Bildung in Deutschland geben. Danke. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Damit kommen wir nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10. Ich erteile das Wort Bundesministerin Ilse Aigner. ({0})

Ilse Aigner (Minister:in)

Politiker ID: 11003028

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein etwas turbulentes erstes Halbjahr hinter uns gebracht - insbesondere auch in dem Bereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zunächst haben wir zu Beginn des Jahres Dioxin im Futtermittel gefunden. Verbraucher und Landwirte waren in tiefer Sorge. Aber gemeinsam mit den Ländern haben wir schnell und effektiv Konsequenzen gezogen. Wir haben entschlossen und konsequent dafür gesorgt, dass Futtermittel und Lebensmittel in Deutschland für ein Höchstmaß an Sicherheit stehen. ({0}) Unser Aktionsplan, den wir gemeinsam beschlossen haben, ist bereits zu weiten Teilen umgesetzt. Dann hat uns und halb Europa Ehec in Atem gehalten. Wir haben auch hier entschlossen und umsichtig gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium, mit den Ländern und mit dem gesamten wissenschaftlichen Sachverstand Verbraucherinnen und Verbraucher vorsorgend geschützt und die Lage aufgeklärt. ({1}) Die eingerichtete Taskforce hat sich bewährt. Im Hinblick auf die Verbraucherschutzministerkonferenz nächste Woche habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir sie zu einem dauerhaften Instrument des Krisenmanagements weiterentwickeln. Zugleich sind wir aber auch unseren Landwirten, die unverschuldet in Not geraten sind, zur Seite gestanden. Wir haben auch Geld aus Brüssel besorgt, und Geld aus Brüssel ist auch immer Geld aus Deutschland. Deshalb haben wir unseren Landwirten zur Seite gestanden. ({2}) All das zeigt: Selten standen Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Nie waren einer Bundesregierung Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz so wichtig wie heute. Wir haben Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine größere Bedeutung gegeben, und zwar ohne Verbraucher und Landwirte gegeneinander auszuspielen - und ohne ideologische Grabenkämpfe. ({3}) In diesen Tagen wird wie heute Morgen viel über die Zukunft des Euro und Europas gesprochen. Damit verbindet so mancher auch Unsicherheit über das, was Europa kann. Europa kann viel. Wir sehen es an der gemeinsamen Agrarpolitik. Durch sie ist Europa zusammengewachsen und wächst noch weiter zusammen. Es ist auch mit nationalen Interessen vereinbar, für die ich streite. Außerdem wissen gerade unsere Landwirte sehr genau, was der Euro wert ist. 9 von 10 Euro werden innerhalb der Euro-Zone umgesetzt. Früher brauchten wir wegen der Auswirkungen der Wechselkursschwankungen innerhalb der Europäischen Union ein sehr kompliziertes Ausgleichssystem. Theo Waigel musste damals noch dreistellige Millionenbeträge hin- und herschieben, um manches auszugleichen. All das gehört der Vergangenheit an. In den vergangenen Jahren hat Europa gerade hier für Sicherheit gesorgt. Für die gemeinsame Agrarpolitik werden wir in den kommenden Monaten wichtige Weichenstellungen für die Förderperiode nach 2013 verhandeln. Es geht um die Sicherung der Ernährung. Es geht aber auch um die Einkommensstabilisierung in der Landwirtschaft und um Umweltschutz und Biodiversität in der Agrarpolitik. Europa bleibt auch hier unsere Zukunft. Wenden wir uns aber auch weiter der Zukunft zu. Auch der Haushalt 2012 ist auf die Zukunft ausgerichtet. Mit 5,28 Milliarden Euro steht er weiterhin als Garant für Stabilität. ({4}) Wir haben zwar einen Rückgang zu verzeichnen, aber das ist keine Kürzung, sondern es zeigt, dass wir unser Grünlandmilchprogramm mit Erfolg abgeschlossen haben. ({5}) Es zeigt, dass wir unseren Landwirten genau in der Zeit, in der sie es brauchen, zur Seite stehen, und zwar effektiv und wirkungsvoll. Wir stehen verlässlich an der Seite unserer Bauern. Dies gilt auch für die Gestaltung der landwirtschaftlichen Sozialpolitik. Wir wollen einen einheitlichen Bundesträger etablieren. Mit ihm wollen wir moderne Strukturen schaffen, damit wir auch künftig ein eigenständiges soziales Sicherungssystem für die Landwirtschaft erhalten. ({6}) Die Bundesregierung ist trotz knapper Kassen bereit, 150 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Diese Mittel sind zweckgebunden, und sie werden nur dann entsperrt, wenn es einen einheitlichen Bundesträger gibt. Ich meine, das ist eine sinnvolle Investition. Ich möchte heute schon allen danken, die dazu beigetragen haben und beitragen, dass wir das Gesetzgebungsvorhaben zügig beraten werden und somit die zusätzlichen Bundesmittel rechtzeitig entsperren können. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, viele ländliche Räume stehen vor großen Herausforderungen. Unser Bundespräsident hat es vor kurzem „Unterjüngung“ genannt. Demografischer Wandel, fehlende Jobperspektiven und Abwanderung der Jugend sind Zeichen dafür. Mit vier Modellregionen will ich ab nächstem Jahr gezielt neue Instrumente in der Förderung erproben, die dagegenhalten und periphere ländliche Regionen unterstützen, und zwar mit Zielvereinbarungen, Regionalbudgets und Mikrofinanzierungen für kleine Unternehmen, unbürokratisch und mit viel Verantwortung für die Menschen vor Ort. Deutschland kann seine Stärke eben nicht nur aus den Ballungszentren oder Clustern beziehen, sondern Deutschland muss auch in der Fläche und damit in seiner Gesamtheit stark sein. ({7}) Die Bundesregierung geht den Umstieg auf erneuerbare Energien entschlossen an, und wir beschleunigen das Tempo. Deshalb stärkt auch mein Haus die Energieforschung. Es ist eine erfreuliche Nachricht: Erstmals beziehen wir mehr als ein Fünftel der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Die Landwirtschaft steht hier für Leistung. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag bei der Erzeugung von erneuerbaren Energien. Das heißt: Künftig ist es nicht der Strom, der in die Fläche geht, sondern der Strom kommt aus der Fläche. Deshalb brauchen wir auch in diesem Bereich weitere Forschung. Wir brauchen Forschung für neue Energiepflanzen, und wir brauchen Forschung zur Speicherfähigkeit und Effizienzsteigerung vor allem in dezentralen Versorgungsstrukturen. Nicht nur industrielle Großanlagen dürfen die Zukunft bestimmen; die Energiegewinnung gehört auch in die bäuerliche Hand. ({8}) Unsere Ziele bilden sich in den Förderschwerpunkten ab. Allein in den Jahren bis 2014 setzen wir 250 Millionen Euro für die Bioenergieforschung ein. Das ist ein ordentlicher Schub für die Energieversorgung von morgen. ({9}) Vorgestern hat der Europäische Gerichtshof sein Urteil zu gentechnisch veränderten Pollen in Honig gesprochen. Es ist ein Grundsatzurteil, das Klarheit schafft, und ich begrüße das; denn die Verbraucher haben einen Anspruch auf Klarheit und Transparenz. Wir, die christlichliberale Koalition, haben uns in Brüssel immer dafür eingesetzt, dass alle Produkte, die auf einer Produktionsstufe mit Gentechnik in Berührung gekommen sind, gekennzeichnet werden. Ich hoffe, dass auch die Kommission jetzt Handlungsbedarf sieht. ({10}) Unabhängig davon müssen wir die geltenden Koexistenzregeln überprüfen. Dabei geht es auch um die Sicherheitsabstände. Gentechnikrecht ist aber Gemeinschaftsrecht. Deshalb ist die Europäische Kommission am Zug, für ein einheitliches Vorgehen in dieser Angelegenheit zu sorgen. Unsere Verbraucherpolitik basiert auf Schutz und Transparenz. Hier haben wir in der jüngsten Vergangenheit wichtige Schritte nach vorne gemacht. Wir fördern unter anderem das Internetportal lebensmittelklarheit.de der Verbraucherzentralen. Millionen Zugriffe allein in den ersten Tagen und bislang über 2 000 Produktmeldungen zeigen, dass es bei der Aufmachung und Kennzeichnung von Lebensmitteln Diskussionsbedarf gibt. ({11}) Der Dialog zwischen den Verbrauchern und der Wirtschaft läuft auf Hochtouren. Es ist ein Lernprozess für beide Seiten. Hier geht es um Transparenz und Kennzeichnung, es geht nicht um Sicherheit. Bei gesundheitlichen Gefahren werden die Länder lebensmittelwarnung.de starten. Schnell und effektiv werden künftig Verbraucher informiert. ({12}) Auf europäischer Ebene haben wir einiges erreicht. Es sei nur die Kennzeichnung von Analogkäse und Klebefleisch genannt. In Zukunft wissen auch Allergiker, wo Allergene drin sind. Für sie ist das eminent wichtig. ({13}) Verbraucher wollen immer mehr regionale Produkte. Das ist auch eine Herausforderung für die Kennzeichnung. Wo der Name einer Region draufsteht, müssen auch die Erzeugnisse der Region drin sein. Hier Verlässlichkeit zu schaffen, liegt mir persönlich am Herzen. Deshalb wird es in der nächsten Woche ein AusschreiBundesministerin Ilse Aigner bungsverfahren geben, welches die Kriterien hierfür festlegen wird. Wir haben einen Beipackzettel für Wertpapiere verpflichtend gemacht. Kosten, Risiken und Ertragschancen sind nun im Produktinformationsblatt auf einen Blick zu sehen. Bankberater müssen bei der BaFin gemeldet werden. Auch der Graue Kapitalmarkt zieht in Kürze nach. Wir wollen künftig die Honorarberater fest verankern, und wir haben die Transparenz und den Schutz vor Falschberatung erhöht. Auch das sorgt für mehr Sicherheit. ({14}) Für mehr Sicherheit haben wir auch bei Onlinegeschäften gesorgt. Die Button-Lösung wird auf unsere Initiative hin nun EU-Recht. ({15}) Die nationale Umsetzung sind wir bereits angegangen. Verbraucher müssen künftig auf Kosten hingewiesen werden, bevor ein kostenpflichtiger Vertrag abgeschlossen wird. Das ist ein wichtiger Beitrag gegen Abzocke im Internet. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die christlich-liberale Koalition steht für Verlässlichkeit gegenüber der Landwirtschaft. Die christlich-liberale Koalition steht bei den Verbrauchern für ein hohes Schutzniveau. Auf diesem Fundament stärken wir die Verbraucher in ihrer Selbstbestimmung durch mehr Transparenz und auch mehr Information. Wir übernehmen hier Verantwortung. Wir haben hier in den letzten beiden Jahren, also in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode, große Erfolge erzielt, und das werden wir auch in den nächsten beiden Jahren, also in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode, tun. Vielen herzlichen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Wilhelm Priesmeier für die SPDFraktion. ({0})

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörer! Die Investitionsbereitschaft der deutschen Landwirtschaft steigt. Die Exporte werden vermutlich auch dieses Jahr die 50-Milliarden-Euro-Grenze überschreiten. Das alles sind durchaus positive Signale trotz einer Ernte, die hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Diese Entwicklung ist auf unternehmerisches Handeln und auf den Fleiß der Landwirte zurückzuführen. ({0}) Ob sie eine Folge der schwarz-gelben Agrarpolitik ist, das lasse ich jetzt einmal dahingestellt. Wer über den Haushalt 2012 redet, darf natürlich nicht die vergangenen Haushalte vergessen. Sie haben in den letzten Haushaltsjahren insgesamt 750 Millionen Euro an zusätzlichen Subventionen für die Landwirtschaft ausgegeben und in vielen Bereichen verbrannt. Damit haben Sie den Spielraum für kommende Haushalte, auch für den jetzigen Haushalt, in entscheidender Weise begrenzt, wenn nicht gar in einzelnen Teilen vernichtet. Allein die Finanzierung der Agrardieselsubventionen kostet die Gemeinschaftsaufgabe zusätzlich 85 Millionen Euro zur Gegenfinanzierung. Sie schreiben das im Haushalt 2012 fort. Wir als SPD stellen diese Subventionen grundsätzlich zur Disposition. ({1}) Wir wollen, dass die Landwirtschaft auch hier einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Es kann doch nicht sein, dass fossiler Diesel günstiger ist als das Öl vom eigenen Acker. Das müssen wir ändern; wir müssen dafür sorgen, dass auch dieser Bereich nachhaltiger wird. ({2}) Mit der Mittelausstattung der Gemeinschaftsaufgabe bleiben Sie auf dem Vorjahresniveau. Dabei ist gerade die Gemeinschaftsaufgabe das zentrale Gestaltungselement der Politik im ländlichen Raum. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zum ländlichen Raum und fordern daher eine Umkehr dieser Politik. Wir fordern, dass zumindest das wieder aufgebaut wird, was in diesem Bereich abgebaut worden ist. Da reicht es nicht, Modellregionen zu fordern - auch wenn der Ansatz richtig ist -; 6 Millionen Euro kompensieren nicht 86 Millionen Euro. Die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges führt langfristig zu einer strukturellen Schwächung des ländlichen Raumes. Angesichts der vielfältigen Probleme, die wir dort zu bewältigen haben - es ist von der Frau Ministerin eben angesprochen worden: die soziale Infrastruktur ist in vielen Bereichen infrage gestellt; junge Menschen wandern ab; gut bezahlte Arbeitsplätze fehlen -, kann man mit der Gemeinschaftsaufgabe und entsprechender Prioritätensetzung gegensteuern. ({3}) Ihre Prioritätensetzung ist dagegen eindeutig: auf der einen Seite eine dauerhafte Subvention des Agrardiesels, auf der anderen Seite weniger zukunftsgerichtete Investitionen und weniger Beschäftigung im ländlichen Raum. Das bedeutet konkret Ihre Politik in diesem Zusammenhang. ({4}) - Sie haben das doch als großen Sieg für die Landwirtschaft gefeiert, Herr Goldmann. Ich glaube, das muss man einmal gründlich hinterfragen. Eine Partei, die sich sonst dafür ausspricht, Subventionen abzubauen, ist an dieser Stelle konsequent dafür, die Subventionen auszubauen. Das Urteil darüber überlasse ich dem deutschen Steuerbürger. Ich glaube, er wird ein gerechtes Urteil über Ihre politische Strategie fällen. ({5}) Die Feststellung, die die Bundesregierung im Agrarbericht trifft, nämlich GAK und GRW besser zu vernetzen und beide Aufgaben verstärkt und zielorientiert zur Unterstützung auch des ländlichen Raumes einzusetzen, ist richtig. In Ihrem Haushaltsentwurf findet sich das überhaupt nicht wieder. Ich glaube, da bedarf es einiger Nachbesserungen, um auch diesen Teil wieder auf den richtigen Weg zu führen. Ich spreche mich wie die gesamte SPD dafür aus, die Gemeinschaftsaufgabe weiterzuentwickeln, ihre Zielbestimmung neu festzulegen ({6}) und sie letztlich weiterzuentwickeln zu einer Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum, die insgesamt auch den Anforderungen zukünftiger Politikgestaltung entspricht und nicht auf dem Stand bleibt, den wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben. ({7}) Frau Ministerin, Sie haben einen breiten Diskussionsprozess über die Ziele und Prioritäten in der Land- und Ernährungswirtschaft angeschoben. Das war an sich längst überfällig. Am Ende wollen Sie eine Charta für Landwirtschaft und Verbraucher vorlegen. Ich möchte Sie an dieser Stelle ausdrücklich für Ihr Engagement loben. Wir brauchen diese gesellschaftliche Diskussion. Dieses Vorhaben hat nicht die uneingeschränkte Zustimmung der Koalition gefunden; das war ja sehr umstritten. ({8}) Sie können da gewiss sein: Von unserer Seite wird diese Diskussion natürlich kritisch begleitet; aber wir brauchen diese Diskussion. Wir müssen heute darüber diskutieren, wie moderne Landwirtschaft morgen aussehen soll. Wir müssen heute darüber diskutieren, welche Strukturen wir zukünftig wollen. ({9}) Heute müssen die Entscheidungen über die Richtung getroffen werden, in der wir die Landwirtschaft bei ihrer Entwicklung zu einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft in Europa begleiten wollen. Wir müssen heute mit entscheiden, wie wir diese Strukturen fördern wollen. Das gilt auch für die Tierhaltung. ({10}) Es kann doch nicht sein, dass bei jedem Stallneubau eine ganze Region in Aufruhr gerät. Wir brauchen klare Rahmenbedingungen. Wir brauchen einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen für unsere Veredelungswirtschaft. In diesem Zusammenhang darf natürlich der Tierschutz nicht fehlen. Der Tierschutz bedarf auch in der weiteren Ausgestaltung entsprechender wissenschaftlicher Grundlagen. In Ihrem Haushaltsentwurf findet man aber keinen ambitionierten Ansatz für ein Tierschutzforschungsprogramm. Wir als Sozialdemokraten fordern daher ein Bundesprogramm Tierschutzforschung. ({11}) Damit wollen wir die tierschutzrelevante Forschung auf Bundesebene bündeln und für die Zukunft substanzielle Verbesserungen für die Züchtung und Haltung von landwirtschaftlichen Nutztieren erreichen und unterstützen. Wir diskutieren gegenwärtig auf europäischer Ebene auch intensiv über die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Auch das ist eine Baustelle, Frau Ministerin, auf der Sie nicht besonders aktiv agieren. ({12}) In der Debatte um die Weiterentwicklung des Greenings sind Sie weitestgehend abgetaucht. Von Ihnen und auch von der Koalition hat es bislang keine substanziellen Vorschläge gegeben. ({13}) Die Devise lautet bei Ihnen offensichtlich noch immer: Weiter so wie bisher. Es war alles gut, und auch in Zukunft wird alles gut sein. - Das ist aber keine zukunftsgerichtete Politik. Diese Politik wird letztendlich keinen Bestand haben; davon gehe ich aus, auch wenn ich auf das Jahr 2013 schaue. ({14}) Unsere Gesellschaft stellt berechtigte Forderungen, bei denen es um die Legitimation auch der derzeitigen Prämienzahlungen in der Landwirtschaft geht. Aber Sie gehen nicht darauf ein. Ich habe den Eindruck, dass Ihre Politik im Hause vielleicht doch noch vom Deutschen Bauernverband mitgesteuert wird und eher Klientelpolitik ist, während wir Agrarpolitik schon lange nicht mehr als Klientelpolitik verstehen. ({15}) Wir brauchen - das ist unbestritten - ein konsequentes Greening der Agrarpolitik auf europäischer Ebene. Wir brauchen nach dem Grundsatz „öffentliches Geld für öffentliche Güter“ natürlich auch dort eine entsprechende Neuausrichtung. Wir sind dafür, gesellschaftlich geforderte Leistungen zu honorieren und nicht Selbstverständlichkeiten zu bezahlen. Für uns bedeutet das: mehr Klimaschutz, mehr Bodenschutz, Erhalt der biologischen Vielfalt und Einsatz erneuerbarer Energien auch im Agrarsektor. ({16}) Das heißt, wir brauchen ein konsequentes Umbruchverbot für Dauergrünland, die obligatorische Winterbegrünung, das Festschreiben einer dreijährigen Fruchtfolge und Extensivierungsflächen auch für Umweltzwecke. Das muss Bestandteil des Greenings sein. Das muss umDr. Wilhelm Priesmeier gesetzt werden, und dafür bedarf es auch der Unterstützung in Brüssel.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Setzen Sie das bitte auch bei der Weiterentwicklung der Politik im deutschen Interesse in Brüssel mit um. Seien Sie vergewissert, Frau Ministerin: Auch bei den anstehenden Beratungen zum Haushalt werden wir Ihnen durch konstruktive Anträge den richtigen Weg weisen. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Heinz-Peter Haustein für die FDPFraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Also, Herr Priesmeier, was Sie hier so von sich gegeben haben, ist doch etwas realitätsfern; aber dazu kommen wir jetzt im Einzelnen. Dieser Einzelplan 10 ist der schönste, den es gibt, ({0}) nicht nur wegen des Ministeriums, sondern in seiner Gänze: Es geht um Essen, es geht um Trinken, es geht um die Grundlagen unseres Zusammenseins. Wenn man sich als Haushälter den Gesamtetat in Höhe von 5,28 Milliarden Euro anschaut, stellt man fest, dass er angepasst wurde. Er umfasst jetzt 211 Millionen Euro weniger, weil das Grünlandmilchprogramm ausläuft und weil der Zuschuss zur Erhöhung des Stiftungskapitals der Stiftung Warentest auf 10 Millionen Euro angepasst wurde. Wohin gehen nun diese 5,28 Milliarden Euro? Es ist so, wie bei all unseren Haushalten: Das meiste Geld geht fürs Soziale drauf. So sind wir halt von der christlich-liberalen Regierung - sehr sozial eingestellt. ({1}) In diesem Fall sind für die Alterssicherung der Landwirte 2,17 Milliarden Euro, für die Krankenversicherung der Landwirte 1,28 Milliarden Euro und für die landwirtschaftliche Unfallversicherung bislang 175 Millionen Euro vorgesehen, wobei es bei entsprechenden Reformprozessen auch noch zu einer Anpassung nach oben kommen kann. Wir werden sehen, mit welchem Betrag wir hier aus den Verhandlungen herauskommen. Wohin geht nun das übrige Geld? Ich möchte einmal die nachgelagerten Institute und Behörden nennen: Das Bundessortenamt erhält rund 24 Millionen Euro, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 38 Millionen Euro, das Julius-Kühn-Institut - es ist, vereinfacht gesagt, für die Kulturpflanzen zuständig 76 Millionen Euro, das Friedrich-Loeffler-Institut, für Tiergesundheit zuständig, 106 Millionen Euro, das MaxRubner-Institut, das für Verbraucherschutz im erweiterteten Sinne zuständig ist, 47 Millionen Euro und das Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut, das für den ländlichen Raum, für Wald und Fischerei zuständig ist, 79 Millionen Euro. Sie sehen also, auch in diesem Bereich wird konstant Geld bereitgestellt. Mein Dankeschön gilt diesen Instituten und Behörden für ihre gute Arbeit. ({2}) Der Bauer, der Landwirt ist ja auch Unternehmer. Deshalb muss man auch etwas tun, damit er in Europa und darüber hinaus wettbewerbsfähig bleibt. Ein Bereich, bei dem wir den Landwirten bislang immer geholfen haben, ist die steuerliche Vergünstigung von Agrardiesel. Als ich diese Woche das Programm der SPD vom 5. September gelesen habe, habe ich gedacht, mein Schwein pfeift. Die SPD will die Subventionierung des Agrardiesels abschaffen. Sie will unsere Bauern in den Ruin treiben. ({3}) - Das wollt ihr; denn wenn im übrigen Europa im Durchschnitt 4 Cent und bei uns 26 Cent bezahlt werden müssen, würdet ihr einen weiteren Vorteil weghauen. Ich habe gedacht, ich verstehe die Welt nicht mehr. Was soll das denn, die Axt an die Existenzgrundlage der Bauern zu legen? ({4}) Die Bauern sind Unternehmer. Unsere Aufgabe ist es, solche Rahmenbedingungen zu schaffen, dass ihre Produkte wettbewerbsfähig in Europa bleiben. Deshalb, liebe Landwirte, kann ich versichern: Mit uns ist eine Kürzung der Agrardieselsubventionen nicht zu machen. Darauf könnt ihr euch verlassen. ({5}) Zum Beritt des Ministeriums gehören 5 Millionen Beschäftigte. Das ist eine Erfolgszahl. Ich möchte auch einmal an die Fischerei, an den Garten- und Landschaftsbau und an die Forstwirte erinnern. All diese leisten ihren Beitrag. Bei unserem Haushalt wurde auch der Verbraucherschutz nicht vergessen. Der entsprechende Ansatz ist aufgestockt worden. Für die Titelgruppe „Nachwachsende Rohstoffe“ sind 6 Millionen Euro mehr vorgesehen. Für den Ökolandbau sind nach wie vor 16 Millionen Euro veranschlagt. Liebe Freunde, für uns ist es eine Herzenssache, das ganze Team der Landwirte, der Fischer, der Forstwirte und der Gärtner zu unterstützen. Wie heißt es so schön - und dabei bleibt es auch -: Das schönste Wappen auf der Welt ist der Pflug im Ackerfeld. ({6}) In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Durch meinen Vorredner werde ich ein bisschen an die Weisheit erinnert: Kunst ist Waffe, Volkskunst ist Geheimwaffe. ({0}) Aber zum Etat. Mit Nahrungsgütern wird mehr denn je spekuliert. Ich nenne nur das Stichwort „Zuckermarkt“. Bodenverkäufe, besonders im Osten, werden staatlich gefördert. Die Selbstausbeutung von Landwirten steigt. Auch in den Minuten, in denen wir hier über den Etat der Verbraucherschutzministerin reden, gehen ganz sicher irgendwelche dubiosen Finanzprodukte an Verbraucherinnen und Verbraucher über. Ihre Antwort auf diese Situation, Frau Ministerin, heißt: Wir sind auf einem guten Weg und wollen den weiter gehen. - Es darf Sie nicht wundern, wenn wir dem nicht folgen und hier klar und deutlich Widerspruch anmelden. ({1}) Der Etat des Bundeshaushalts für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist bescheiden. Er ist ja gerade vorgelesen worden. ({2}) Wenn man einmal die EU-, Landes- und kommunalen Mittel zusammenrechnet, stellt man fest, dass wir in Deutschland nur etwa 1 Prozent der Mittel der öffentlichen Haushalte für die Landwirtschaft und unsere Ernährung ausgeben. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das funktioniert nur, weil wir auf Kosten anderer, darunter der Ärmsten dieser Welt, leben. Auch das fordert Widerspruch heraus. ({3}) Es hat auch nichts mehr mit Marktwirtschaft zu tun, wenn der Milchpreis niedriger als der Preis für Mineralwasser ist. Man muss einmal darüber nachdenken, wie man zu vernünftigen marktwirtschaftlichen Strukturen zurückkehren kann. Es ist schlimm genug, dass Ihnen das ein Sozialist erklären muss. Die Linke weiß, was sie will. Die Linke steht für eine Agrar- und Verbraucherschutzpolitik, die den Konsumenten eine gesunde und bezahlbare Ernährung und den Produzenten ein nachhaltiges und angstfreies Wirtschaften sichert. ({4}) Einige Fakten aus Ihrem Ressort zur Situation von Agrarbetrieben und Landwirten: Die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft sind heute von Niedriglöhnen und einem hohen Grad an Selbstausbeutung geprägt, im Westen und Süden dieser Republik noch mehr als im Osten; hier verhält es sich also anders als sonst. Nötig wären für die Land- und Ernährungswirtschaft Mindestlöhne, eine neue Art sozialer Sicherung, auch eine bessere Infrastruktur, vor allem aber angemessene Erzeugerpreise. ({5}) Wir setzen uns bekanntlich intensiv für die Landwirtschaftsbetriebe im Osten ein; denn die Strukturen sind sehr verschieden. Hier gilt nicht, dass man im Osten so leben und produzieren will wie im Westen oder im Süden. Gewissermaßen sind die Agrarbetriebe in den neuen Bundesländern, wenn man so will, der einzige lebendige Beweis dafür, dass es in der DDR wirtschaftliche Strukturen gab, die denen in der Bundesrepublik überlegen waren. ({6}) - Ich habe damit gerechnet, dass es etwas länger dauert, bis das bei Ihnen angekommen ist. Ich werde es an anderer Stelle wiederholen. - Der Agrarbericht der Bundesregierung kommt daher nicht zu Unrecht zu dem Schluss, dass die Agrargenossenschaften und GmbHs besser durch die Krise gekommen sind als die Kleinunternehmen. Deshalb brauchen auch diese Unternehmen Zukunftsklarheit für die Zeit nach 2013. ({7}) Ein historischer Blick auf die Agrarunternehmen im Osten zeigt, dass sie vor allem in den ersten zehn Jahren nach der Wende erheblichen Gegenwind hatten. Sie wurden vor allem als LPG-Nachfolgeorganisationen diskriminiert. In den folgenden zehn Jahren hat die Vernunft der Bauern gesiegt. Im Moment besteht eine Art Koexistenz von verschiedenen Erzeugern und Produzenten im Osten auf der einen Seite und im Westen und Süden auf der anderen Seite. Für die nächten zehn Jahre wünschte ich mir, dass aus dem Erfahrungsvorsprung der ostdeutschen Agrarproduzenten quasi eine Periode des Lernens einsetzt. Also: Mehr Genossenschaft wagen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Ich will mich dem Verbraucherschutz zuwenden. Wir geben etwas weniger als 2 Euro pro Bürgerin und Bürger für dieses wichtige Thema aus, in Summe - es ist schon genannt worden - etwa 150 Millionen Euro. Verbraucherschutz geht bekanntlich alle an: am Kassenautomaten, an der Tankstelle, im Supermarkt und im Internet. Ich war erstaunt, als ich gelesen habe, dass in den letzten zwei Jahren 8,5 Millionen Fälle von InternetRoland Claus betrug registriert wurden - und das sind nur die registrierten Fälle. Wir wissen, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist. Das heißt, 10 Prozent der Bevölkerung hatten in den letzten zwei Jahren mit dieser Form des Betrugs zu tun. Damit ist das Internet quasi zum größten Tatort geworden. Es ist wichtig, dass wir uns diesem Problem zuwenden. Wir brauchen auch auf dem sogenannten Finanzmarkt ein stärkeres Engagement für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Was heute als Finanzprodukt daherkommt und tatsächlich eine dubiose Abzocke bedeutet, das haben wir heute bereits an anderer Stelle besprochen. Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Der beste Beitrag zum Verbraucherschutz, den Sie leisten können, besteht darin, die Kasinos des unseriösen Finanzhandels zu schließen. Die kann man nicht reparieren; sie müssen geschlossen werden. ({9}) Die Linke steht für eine Stärkung des Verbraucherschutzes und seiner Institutionen. Wir wollen die Unterfinanzierung überwinden. Wir brauchen stabile Finanzierungen für die entsprechenden Stiftungen und Bundesämter. Es gibt Ideen, für deren Umsetzung gar nicht so viel Geld benötigt würde. Die Verbraucherschutzministerinnen der Linken in Berlin und Brandenburg haben den Lebensmittel-Smiley vorgeschlagen. Die Idee liegt, weil zur Umsetzung ein Bundesgesetz zu ändern wäre, wie wir meinen, schon viel zu lange auf Eis. Ein letztes Wort, Frau Ministerin: Ihr Etat ist überschaubar. Das macht es leichter, ihn zu ändern. Hier sind wir mit Freude dabei. Ich will Sie schließlich daran erinnern, dass Sie noch immer einem geteilten Ministerium vorstehen - ein Teil in Berlin, ein Teil in Bonn. Sie kennen die Position der Linken: Wir sind für die Wiedervereinigung der Bundesregierung in Berlin. Die nächste Beamtengeneration wird es Ihnen danken. Die sind nämlich auch lieber hier. Wenn das geklappt hat, vergessen Sie dann nicht, denen zu sagen, dass Sie damit eine Idee der Linken umgesetzt haben. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Frau Ministerin, gestatten Sie: Ich habe das Grundsatzurteil des EuGH zum Genhonig so verstanden, dass nicht, wie Sie es gesagt haben, beim Vorliegen gentechnischer Veränderungen eine Kennzeichnung vorzunehmen ist, sondern dass dieser Honig wegen der Kontamination als unerlaubte Zutat vom Markt zu nehmen ist. Das ist etwas anderes als das, was Sie gesagt haben. ({0}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Landwirtschaft reden, müssen wir unbedingt über Europa reden. Angesichts einer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik macht es wenig Sinn, nur auf Deutschland zu blicken. Ein Blick in die ländlichen Räume der EU 27 mit ihrer vielfältigen, in weiten Teilen noch immer bäuerlich geprägten Struktur einerseits und der fortschreitenden Industrialisierung andererseits macht klar, dass wir heute mehr denn je vor einer echten Richtungsentscheidung in der Agrarpolitik stehen. Bauernhöfe oder Agrarfabriken - das ist die gesellschaftliche Frage, die gestellt wird. ({1}) Das ist die Schicksalsfrage der Landwirtschaft in Europa. Der Kampf für die bäuerliche Landwirtschaft und gegen die Agrarindustrie ist von Anfang an Kern grüner Agrarpolitik gewesen. Ich weiß, dass viele von Ihnen die bäuerliche Landwirtschaft als Nostalgie betrachten und die Agrarindustrie als Zukunft. Wir Grünen sehen das ganz anders. Wir sagen: Landwirtschaft der Zukunft ist die bäuerliche Landwirtschaft, nachhaltig ausgerichtet. Dabei stellen wir uns bewusst in die bäuerliche Tradition, wie sie etwa auch auf unserem Hof zu Hause in Westfalen seit 700 Jahren besteht. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun. Nostalgie ist das Festhalten an einem agrarindustriellen Modell, das uns in die gefährliche Sackgasse geführt hat, in der wir uns heute befinden. Nostalgie ist das Verharren bei dem fossilen Agrarmodell, obwohl das postfossile Zeitalter längst angebrochen ist. ({2}) Nostalgie ist das ideologische Festhalten an einer gentechnologischen Vision, die sich längst als Wahn herausgestellt hat. ({3}) Nostalgie ist, daran zu glauben, dass es Tieren in Käfigen besser geht als auf der Weide. Nostalgie ist es, Tierfabriken mit vielen Tausenden Schweinen als Ausdruck des Fortschritts zu betrachten und die Überschwemmung der Welt mit deutschem Billigfleisch als Entwicklungshilfe. ({4}) Wir sind heute an einem Punkt angekommen, an dem wir uns diese Art von Nostalgie nicht mehr leisten können. Die Klimakrise, der rasende Verlust der Artenvielfalt - auch der Allerweltsarten, gerade in der Agrarlandschaft -, die Energiekrise, die Ernährungskrise zwingen uns zum Umdenken. Dies wird weltweit so gesehen. FAO-Generalsekretär Jacques Diouf hat völlig recht, wenn er sagt, das heutige Paradigma einer intensiven Pflanzenproduktion könne den Herausforderungen des neuen Jahrtausends nicht gerecht werden. Die Herausforderungen sind klar: Wir müssen uns von einer Landwirtschaft verabschieden, die vollständig von fossiler Energie abhängt, und müssen endlich beginnen, in eine solare Landwirtschaft einzusteigen. ({5}) Wir müssen den Verlust der Artenvielfalt stoppen und die Landwirtschaft wieder zu dem machen, was sie einmal war: Förderer der Artenvielfalt, nicht ihr Ende. Wir müssen die Landwirtschaft von einem CO2-Emittenten wieder zu einer -Senke machen. Wir müssen Bäuerinnen und Bauern stärken, anstatt sie der Industrialisierung zu opfern. Wir müssen überall auf der Welt eine stabile Ernährungsgrundlage für uns Menschen schaffen. Damit müssen wir jetzt beginnen. Daraus ergeben sich für uns folgende konkrete Aufgaben: Erstens müssen wir die Chancen nutzen, die die Reform der EU-Agrarpolitik bietet. Dabei geht es darum, die Steuermittel in Höhe von 56 Milliarden Euro, die wir für die Gemeinsame Agrarpolitik verwenden, zukünftig so einzusetzen, dass auf den 80 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in Europa nachhaltiger gewirtschaftet wird, dass wir Biodiversität, Klimaschutz und ländliche Entwicklung endlich zu den Eckpfeilern der Gemeinsamen Agrarpolitik machen, anstatt weiter immer nur davon zu reden, und dass wir endlich die systematische Benachteiligung der bäuerlichen Landwirtschaft beseitigen, anstatt weiter den Strukturwandel zu beklagen und gleichzeitig die Industrialisierung zu subventionieren. ({6}) Die Vorschläge der EU-Kommission gehen hier in die richtige Richtung. Deutschland blockiert jedoch bisher alle Reformbemühungen und überlässt damit die Führungsrolle in Europa wie so oft anderen. Das muss unbedingt geändert werden; dafür werden wir streiten. Deutschland muss endlich zum Motor einer ökologischen und sozialen Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik werden. ({7}) - Ich lebe in Westfalen. Ich glaube, Frau Mortler, Sie wussten das; Sie können es auch nachlesen. Zweitens müssen wir die Förderpolitik in Deutschland umgestalten. Allein über die Investitionsförderung wird die Massentierhaltung mit über 80 Millionen Euro im Jahr subventioniert. ({8}) Auch die über 13 Millionen Euro für Exportförderung und Auslandsmessen, die für den Einzelplan 10 vorgesehen sind, dienen bekanntlich vor allem dem Fleischexport. Das müssen wir ändern. Stattdessen müssen wir die Förderung klima-, tier- und umweltgerechter Verfahren ausbauen. Drittens müssen wir Missstände im Ordnungsrecht abbauen. Die Zustände in der Massentierhaltung, die dieser Tage in der Öffentlichkeit zu Recht als unhaltbar kritisiert werden, sind in der Regel völlig legal. Damit muss Schluss sein. ({9}) Viertens müssen wir die Forschungspolitik umbauen. Der Einzelplan 10 sieht 391 Millionen Euro für Forschung und Innovation vor; die Bio-Ökonomie-Strategie - nicht im Agraretat - umfasst sage und schreibe 2,4 Milliarden Euro, aber davon fließt viel zu viel Geld in die Entwicklung der Agrogentechnik und zu wenig in die notwendige Zukunftsforschung in den Bereichen Ökolandbau, Eiweißpflanzen, artgerechte Nutztierhaltung, Klimaschutz, Artenschutz. Das müssen wir ändern. Schließlich müssen wir dafür sorgen, dass Agrarmärkte Regeln bekommen, die Bäuerinnen und Bauern mehr Marktmacht geben und ihnen erlauben, sich so zu organisieren und ihr Angebot so zu bündeln, dass sie nicht von den Monopolisten, etwa bei den Molkereien, an die Wand gedrückt werden. Das sind die Aufgaben, die wir jetzt in der Agrarpolitik anpacken müssen. Nichts davon erkennt man im Handeln der Bundesregierung. Nichts davon spiegelt der Einzelplan 10 wider, der nicht gestaltet, sondern lediglich das Nichtstun verwaltet. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung: Biobetriebe sind häufig wesentlich größer als konventionelle Betriebe. Ich glaube, das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Meine Damen und Herren, die Haushaltsdebatten eignen sich immer wieder sehr gut, um grundsätzliche Linien deutlich zu machen. Das machen wir auch. Von meinen Vorrednern wurde schon viel von Leitlinien geredet. Ich sage an dieser Stelle ganz bewusst: Unsere Leitlinie ist die Weiterentwicklung der modernen Landwirtschaft, und zwar auf Basis der Schöpfung und der Nachhaltigkeit, und nichts anderes. Das will ich deutlich sagen. ({0}) Im Gegensatz zu vielen anderen haben wir keine Denkverbote. Wir sind vor allem keine Gegen-alles-Partei wie die Linke und - immer häufiger - die Grünen. Wir sagen Ja zu einer mittelständischen und unternehmerischen Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft, die vielen Menschen Beschäftigung und Perspektive bieten. Wir sagen Ja zur Nutzung von Exportchancen mit unseren hervorragenden Produkten; das sage ich deutlich. Wir sagen Ja zu Verbesserungen im Bereich des Verbraucherschutzes, und wir sagen auch Ja zur Einhaltung und Weiterentwicklung der Standards im Bereich des Tier- und Naturschutzes. Diesen Grundsätzen wird der Haushalt des BMELV gerecht. Er ist solide finanziert und leistet seinen Beitrag zur Gesamtkonsolidierung unseres Bundeshaushalts. Die Veränderungen im Zusammenhang mit dem Grünlandmilchprogramm wurden bereits erwähnt und erklärt. Zum Stichwort Agrardiesel: Lieber Kollege Wilhelm Priesmeier, danke für die Vorlage. Wir leisten unseren Beitrag zur Ausfinanzierung der Agrardieselvergünstigung. Wir entlasten damit unsere Betriebe und machen sie in Europa wettbewerbsfähiger. Wir können nicht so tun, als wären wir auf einer Insel der Glückseligen. Ich glaube, das solltet ihr zur Kenntnis nehmen. Wie ihr im Zusammenhang mit diesen Fragen zu landwirtschaftlichen Betrieben steht, wurde vorhin deutlich. Ich kann nur sagen: Mit uns geht das nicht. Ihr wollt schröpfen, wir schaffen Lösungen. Mit uns ist letztlich Verlässlichkeit gewährleistet. ({1}) Das nächste Stichwort ist die GAK: Bereits im laufenden Haushaltsjahr 2011 wurde die GAK auf 600 Millionen Euro gekürzt. Diese Summe wird für den Haushalt 2012 fortgeschrieben. Diese Kürzung war für uns ein schmerzlicher Schritt; das will ich überhaupt nicht verhehlen. Ich will aber an Folgendes erinnern. Denken Sie an die Zeit vor 2005. Unter Rot-Grün wurde die GAK regelrecht als Steinbruch genutzt, und zwar ohne Besserstellung der Betriebe. Diese Besserstellung haben wir schon allein durch den Agrardiesel erreicht. Stichwort Sozialversicherung: Unter dem Gesichtspunkt der Titelhöhe ist dies der wichtigste Bereich in unserem Haushalt. Über die 100 Millionen Euro an Bundeszuschüssen für die landwirtschaftliche Unfallversicherung hinaus sind weitere 75 Millionen Euro eingestellt, die mit einem klaren Arbeitsauftrag verbunden sind, nämlich der Schaffung eines Bundesträgers der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Hierzu gibt es erfreulicherweise einen parteiübergreifenden Konsens. Ich hoffe, wir bekommen dies im kommenden Halbjahr gut über die Bühne. Wir stellen uns dieser Aufgabe und werden dafür sorgen, dass bei diesem Übergang insbesondere die bisherigen Leistungen der regionalen Träger berücksichtigt werden. Stichwort Verbraucherpolitik: Wir folgen weiter unserer Strategie, den eigenverantwortlich handelnden Verbraucher zu stärken. Meine Kollegin Mechthild Heil wird gleich detaillierter auf unsere Erfolge eingehen. Herr Haustein hat vorhin gesagt, wie wir die Stiftung Warentest und auch die Deutsche Stiftung Verbraucherschutz unterstützt haben. Damit machen wir die Verbraucherberatung unabhängiger, und wir stärken den Verbraucherschutz. Dabei muss man auch die hohen Mittel für das BfR und das BVL berücksichtigen. Ich glaube, dass jeder erkannt hat, dass dies insbesondere nach Ehec ein wirksamer Beitrag zum Verbraucherschutz ist. Im Zusammenhang mit Ehec möchte ich eines betonen: Ich fand es wirklich bemerkenswert, dass einige Protagonisten unter uns diese wirklich große und tragische Krise zu Beginn der modernen Landwirtschaft anhängen wollten. Als dann genau das Gegenteil feststand, war von all diesen Protagonisten nichts mehr zu hören. ({2}) Frau Aigner, ich bin der Bundesregierung dankbar für das erfolgreiche Krisenmanagement in Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsminister. Wir sind nicht ideologisch verbohrt. Trotz Haushaltszwängen setzen wir die Förderung des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft fort. Wir wollen unabhängig von der Produktionsausrichtung alle Marktchancen nutzen. Ich plädiere einfach dafür - das ist in unserer mündigen Gesellschaft auch vernünftig -, dass der Verbraucher selbst entscheiden soll, was er will. Das ist ein deutlicher Unterschied zwischen der rechten und der linken Seite: Sie wollen Gängelung, wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass die Menschen eigene Entscheidungen treffen können. Meine Damen und Herren von der Opposition, da dies bei meinem Vorredner deutlich wurde, habe ich eine Bitte: Hören Sie endlich auf, die nachhaltig wirtschaftenden, konventionellen Betriebe zu verunglimpfen! ({3}) Sie tun das nur, um einer Ihnen genehmen Betriebsform einen gewissen Vorzug zu geben und letztendlich Ihre Klientel zu befriedigen. Das ist nicht in Ordnung. Ich mache das am Beispiel der Hennenhaltung deutlich. Wohin führt einseitiger Tierschutz? Die Hennenhaltung in Deutschland wurde auf ein neues Verfahren umgestellt. Jetzt kommen 50 Prozent der Eier aus Deutschland; vorher waren es 75 Prozent. ({4}) Der Rest kommt aus Ländern mit einem niedrigeren Tierschutzstandard. Arbeitsplätze und Produktion wurden exportiert, der Tierschutz ist schlechter. ({5}) Dann habt ihr einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, dass ihr die Übergangszeit für die Kleingruppenhaltungen verkürzen wolltet. 2010 sind die letzten Ställe gebaut worden. 2020 soll für diese Ställe ein Verbot gelten. ({6}) Das ist ein Angriff auf Eigentum. Kommen Sie zur Vernunft zurück! Bringen Sie diese Menschen und diese Betriebe nicht in Existenznöte! ({7}) Eines möchte ich klarstellen: Dort, wo es problematische Bereiche gibt, sind wir natürlich unterwegs, um uns der Probleme anzunehmen und sie zu beseitigen. Das zeigt sich auch am hohen Haushaltsansatz für unsere Ressortforschung. Dass wir mehr Kommunikation betreiben müssen, zeigt sich auch im Charta-Prozess. Wir müssen Dinge neu erklären. Wie geht Landwirtschaft? Viele Menschen wissen das nicht mehr. Zum Fleischessen gehört auch, dass Tiere getötet werden. Man muss manchen Menschen tatsächlich erklären, dass Wurst und Fleisch nicht in der Kühltheke geboren werden. Wir wollen den Charta-Prozess deshalb zu einem besseren Dialog nutzen. Miteinander reden ist immer besser, als übereinander zu reden. ({8}) Die Agrarexporte wurden eben gerade angesprochen. Ich lobe die Exportförderung des BMELV. Sie ist hochgradig erfolgreich mit unseren fantastischen deutschen Produkten. Wir lassen uns das von euch, insbesondere von den Grünen, nicht vermiesen. ({9}) Nennen Sie richtige Zahlen! 75 Prozent der Agrarexporte werden innerhalb Europas gehandelt. Bei den Drittländern spielen insbesondere die Länder Russland, Schweiz und USA eine Rolle. Es sind nicht die Entwicklungsländer, die Sie immer wieder nennen. Das ist einfach falsch. Bleiben Sie bei der Wahrheit! Auch wir Deutschen müssen unseren Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten. Es ist einfach so, dass nicht alle Produkte in allen Ländern wachsen. So einfach ist das. Eigentlich müsste das jeder verstehen können. GAP wurde angesprochen. Ich habe ein Problem mit dem Greening, so wie es ausgestaltet wird. Das will ich überhaupt nicht verhehlen. Vor allen Dingen wird mit diesen Ansätzen den globalen Herausforderungen nicht Rechnung getragen. Man fällt zurück in Flächenstilllegungen und veraltete Instrumentarien. Das bringt so nichts. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich unterstelle Ihnen: Sie wollen Umverteilungspolitik. Das ist Klientelpolitik. ({10}) Setzen Sie sich doch bitte für die gesamte Landwirtschaft ein! ({11}) Ich halte fest: Wir haben eine Land- und Ernährungswirtschaft, die hochinnovativ, hochleistungsfähig und sehr erfolgreich ist. Daraus resultiert: Nahrungsmittel sind noch nie so günstig gewesen wie heute. Ja, wir haben auch eine soziale Verantwortung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende Ihrer Rede kommen.

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - In einer nie gekannten Vielfalt und in höchster Qualität warten die Nahrungsmittel in den Supermarktregalen, allen Krisen zum Trotz. Damit das so bleibt, bedarf es einer verlässlichen bürgerlichen Politik. Meine Damen und Herren, Sie wissen: Das kann nur SchwarzGelb. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Rolf Schwanitz für die SPD-Fraktion. ({0})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf des Einzelplans 10, den Entwurf des Haushalts für 2012 von Frau Ministerin Aigner. Zunächst einmal möchte ich feststellen: Er beinhaltet wenig Neues. ({0}) Es gibt wenige Überraschungen. ({1}) Im Gegenteil, muss ich sagen. Er knüpft an schlechte Traditionen der Vorjahre an. ({2}) Das Markenzeichen Ihrer Landwirtschaftspolitik wird auch 2012 sein: Fehlanzeige, wenn es um echte Strukturpolitik geht. Steuergelder werden für passive Gießkannensubventionen verpulvert. Das ist nach wie vor Ihr Markenzeichen. ({3}) Ich will noch einmal daran erinnern - Kollege Priesmeier hat das schon getan -: Unter dem Deckmantel der Hilfe für die Milchbauern sind 2010 400 Millionen Euro ausgegeben worden. Für dieses Jahr sind dafür noch einmal 300 Millionen Euro vorgesehen. Diese Mittel werden mit der Gießkanne über die Fläche verteilt. Ich nenne die Stichworte „Grünlandprämie“ und „Kuhprämie“. Außerdem gibt es zusätzliche Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung, mit denen die Beiträge heruntersubventioniert werden. Die Agrardieselsubvention - auch das ist angesprochen worden wird dauerhaft fortgesetzt. Das entspricht einem Ausfall von Steuermitteln in Höhe von 260 Millionen Euro Jahr für Jahr. ({4}) All das ist nicht problembezogen. ({5}) Das Geld wird nur in die Fläche ausgeschüttet, ohne dass strukturelle Überlegungen dahinterstecken. Diese Ausgaben haben keine Investitionseffekte. Das sind rein konsumtive Subventionen. Das zielt an den strukturellen Herausforderungen vorbei. ({6}) Natürlich war das nicht zum Nulltarif zu haben; insofern blieb mein Vorredner redlich. Es sind Kürzungen vorgenommen worden. Das musste gegenfinanziert werden. Die Agrardieselsubvention schlug in der Größenordnung von 170 Millionen Euro im wichtigen Bereich der Investitionsmittel negativ zu Buche. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ ist im Keller. Das Niveau von 2010 wird um 110 Millionen Euro unterschritten. Vor allen Dingen im wichtigen Sachgebiet „Verbesserung der ländlichen Strukturen“ ist richtig zugelangt worden. Das ist die Situation. ({7}) Wer gedacht hat, dass sich der Umstand, dass weniger Mittel für Strukturpolitik und mehr Mittel für Gießkannensubventionen ausgegeben werden, in 2012 ändert, muss bitter enttäuscht feststellen: Das ist nicht so. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gibt es keine Veränderung. Die Haushaltsmittel bleiben auf dem abgesenkten Niveau des Vorjahres: 0 Euro Veränderung in diesem Haushaltsentwurf gegenüber 2011. Bei den Gießkannensubventionen passiert das, was Kritiker schon früher befürchtet haben: Obwohl das Sofortprogramm ausgelaufen ist, obwohl in diesem Jahr nach zwei Jahren Schluss ist, wird das Ganze nicht auslaufen, sondern die zusätzlichen Subventionen im Bereich der Unfallversicherung werden beibehalten. Das süße Gift der zusätzlichen Zuschüsse: ({8}) 75 Millionen Euro aus der Gießkanne in 2012, 50 Millionen Euro in 2013 und noch einmal 25 Millionen Euro in 2014. Summa summarum sind das 150 Millionen Euro, die in diesen Bereich hineingepumpt werden, ohne dass strukturpolitische Schwerpunkte gesetzt werden. ({9}) Das ist klar rückwärtsgewandte Agrarpolitik. Die Mittel für Strukturwandel, für Innovationen, für ökologische Ausrichtungen in der Landwirtschaft und für Investitionen werden quasi ausgetrocknet. Gießkannensubventionen hingegen werden aufgebläht, und die Dauer wird verlängert bis zum Gehtnichtmehr. Das war das Markenzeichen Ihrer Politik in den letzten beiden Jahren. Das wird auch das Markenzeichen Ihrer Politik in 2012 sein. ({10}) Das habe ich vermutet, Herr Schirmbeck. Auch im Bereich der Verbraucherpolitik fehlt echte Reformpolitik. Ich weiß nicht, warum Sie sich bezüglich der Stiftung Warentest auf die Schulter klopfen. Die Zuschüsse werden überproportional gekürzt. Die Aktion, die Sie bezüglich des Stiftungskapitals aufgelegt haben, erweist sich schlicht und einfach als das, was wir immer befürchtet haben, nämlich als eine Kürzung der Mittel bei der Verbraucherpolitik. ({11}) Auch bei der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz fehlt der Ministerin jeder Wille zur Nachhaltigkeit. Erhöhung des Stiftungskapitals 2012? Fehlanzeige. Das war eine einmalige Aktion. Gibt es im Haushalt 2012 einen Querverbund zu den Strafgeldern des Bundeskartellamtes? Fehlanzeige. Davon ist nichts zu erkennen. Ich fordere Sie deshalb hier noch einmal auf: Gestalten Sie endlich eine verursachergerechte Verbraucherpolitik in Ihrem Bundeshaushalt! ({12}) Schaffen Sie einen Querverbund zu den Strafgeldern des Bundeskartellamtes! Das wäre ein innovatives Signal bei der Finanzierung der Verbraucherarbeit, vor allen Dingen ein Signal an die Sünder im industriellen Bereich. ({13}) Beim Thema Fehlanzeige kann ich die dm-Anzeigen nicht aussparen. Frau Ministerin, das wird Sie nicht überraschen. Fangen wir einmal mit dem Positiven an. Dass Sie diese Anzeigenserie zurückgezogen haben, war eine richtige Entscheidung. Aber dass Staatssekretär Müller sich in diesen Anzeigen quasi zum Werbeträger einer Drogeriekette macht, empfinde ich schlicht und einfach als Sauerei. Das ist mit dem Amtsverständnis eines Regierungsmitgliedes nicht zu vereinbaren. ({14}) Genauso unerträglich empfinde ich es, dass da sogar noch eine Agentur eingeschaltet worden ist und dies aus dem Titel „Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher“ finanziert wurde. ({15}) Diese sogenannten Tipps, ({16}) also mehr Obst und Gemüse zu essen und im Sommer mehr zu trinken, sind an Trivialität nun wirklich nicht mehr zu überbieten. Das hat mit Verbraucherinformationen überhaupt nichts zu tun und auch nichts mit INFORM. Wenn dies wieder einigermaßen ins Lot kommen soll, dann fordern Sie bitte Ihren Staatssekretär auf, er möge das aus seinen Dienstbezügen bezahlen, damit wieder Ordnung herrscht. ({17}) Darüber und über viele andere Dinge mehr müssen wir reden, damit das Jahr 2012 nicht zu einem verlorenen Jahr für die Verbraucher und für die Landwirte in Deutschland wird. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Edmund Geisen für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich meine, die Zukunft Deutschlands wird wesentlich von einer prosperierenden und florierenden Landwirtschaft geprägt sein. Die christlich-liberale Koalition, insbesondere wir von der FDP, setzen voll und ganz auf eine unternehmerische, effiziente Landwirtschaft, die ihr Einkommen am Markt verdienen kann. ({0}) Das heißt auch, dass wir eine standortangepasste nachhaltige Produktion mit exzellenten Produktqualitäten wollen. ({1}) Eine Landwirtschaft am Gängelband des Staates hat noch nie funktioniert; dafür gibt es viele Beispiele. Ja, auch die speziellen deutschen Vorgaben der Vorgängerregierungen im vergangenen Jahrzehnt haben unsere Landwirtschaft eher geschwächt. Wichtige Branchen wurden ins Ausland verlagert und die Produkte dann importiert. Ein sehr anschauliches Beispiel ist - das wurde eben erwähnt - die Produktion von Eiern. Aber auch andere Produktionslinien konnten den Sondervorschriften und politischen Sonderwegen Deutschlands nicht standhalten. Es muss, meinen wir, Schluss sein mit der ausnahmslosen Klientel-, Nischen- und Skandalpolitik in der Landwirtschaft. Die christlich-liberale Regierung hat erkannt, dass die Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden müssen, um unserer Landwirtschaft gerecht zu werden. Harmonisierung nationaler Vorgaben mit denen auf EU-Ebene, das ist unsere Devise. Wir waren schon erfolgreich. Von meiner FDP-Fraktion erstmals vor vier Jahren eingefordert - das wissen viele hier im Haus -, hat die christlich-liberale Regierung mit Ministerin Aigner eine Angleichung der Agrardieselbesteuerung durchgesetzt, ebenso deren Verstetigung. Das ist Geld, das den Bauern zusteht. Das ist keine Subventionierung. ({2}) Das ist nur ein Schritt zur Harmonisierung eines Faktoreinsatzes. Das hat mit Subventionierung gar nichts zu tun. Wenn die französischen Bauern bisher noch nicht 1 Cent Agrardieselsteuer gezahlt haben, der Steuersatz, den die deutschen Bauern zu zahlen haben, aber bei 45 Prozent liegt, dann war da etwas nicht in Ordnung. Die Bauern bedanken sich ganz herzlich bei der jetzigen christlich-liberalen Regierung. Vielen Dank, Frau Aigner! ({3}) Wenn wir die unternehmerische Landwirtschaft im Interesse der Gesellschaft unterstützen wollen, dann muss die Politik dafür Sorge tragen, dass die Landwirtschaft von den Erträgen ihrer Arbeit auch existieren kann. ({4}) Dann will die Landwirtschaft gar keine Subventionen. ({5}) Das ist im Sinne der betroffenen Landwirte und auch im Sinne der Gesellschaft. Lassen Sie mich betonen: Wettbewerbsgerechtigkeit durch Harmonisierung staatlicher Vorgaben auf europäischer Ebene, kostendeckende Preise und angemessene Honorierung gesamtgesellschaftlicher Leistungen machen jegliche Subventionen überflüssig und entlasten damit auch die Staatskasse. ({6}) Die christlich-liberale Regierung hat anerkannt: Zur Harmonisierung gehört auch die Anpassung von Vorschriften, zum Beispiel in den Bereichen Pflanzenschutz, Tierschutz und Umweltschutz. Daran müssen wir arbeiten. Auf rein nationaler Ebene werden jetzt endlich auch die Hausaufgaben gemacht, was früher nicht gemacht wurde. Wir werden die landwirtschaftlichen Sozialkassen endlich zukunftsfest machen. Die immer kleiner werdende Solidargemeinschaft in der Landwirtschaft kann ihre Eigenständigkeit auf Dauer nur mit einem Bundesträger sichern. Eine solche von uns in die Wege geleitete landwirtschaftliche Sozialreform führt mittelfristig zu Beitragsstabilität und zu Millioneneinsparungen im Haushalt. Hier, denke ich, gibt es über die Parteigrenzen hinweg Konsens. Das noch in 2009 von der christlich-liberalen Koalition beschlossene Konjunkturprogramm hat die Krise der Landwirtschaft spürbar abgeschwächt. Lassen Sie mich nur einige Worte zur Sonderstellung des Wirtschaftszweiges Landwirtschaft sagen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Aber nur wenige Worte, bitte.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nur wenige Worte. - Die Landwirtschaft ist keine Branche wie jede andere. Sie ist eine Werkstatt unter freiem Himmel. Was das bedeutet, haben wir dieses Jahr gesehen. Deswegen müssen wir uns unbedingt daranmachen, Risikoausgleichsmechanismen zu schaffen und zu installieren. Auch das wird die christlich-liberale Koalition tun und die Landwirtschaft damit zukunftsfest machen. ({0}) Wer heute den Agrarstandort Deutschland fit hält, sichert morgen Ernährung und Energie. Das ist unser politischer Kompass, und davon zeugt auch dieser Haushaltsentwurf. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Alexander Süßmair für die Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entwurf des Agrarhaushalts 2012 zeigt für mich, dass die Agrarpolitik der Bundesregierung weder sozial gerecht noch ökologisch oder ökonomisch nachhaltig ist. ({0}) Das werde ich auch belegen. Im Agrarsektor haben wir derzeit eigentlich mit genau denselben Problemen zu kämpfen wie - das haben wir heute thematisiert - im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftskrise im Euro-Raum und weltweit. Die Einkommen der Bäuerinnen und Bauern sowie der Beschäftigten in der Landwirtschaft sind viel zu gering. ({1}) Um 20 Prozent sind seit der Liberalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik die Erzeugerpreise gesunken. Das Durchschnittseinkommen pro Arbeitskraft lag im Geschäftsjahr 2009/2010 um 34 Prozent unter dem durchschnittlichen Vergleichsbruttolohn. ({2}) Im besten Geschäftsjahr der letzten Jahre - das war 2007/2008 - lag das Einkommen immer noch 5 Prozent unter dem gesellschaftlichen Durchschnittsbruttolohn. Das alles können Sie im Agrarbericht der Bundesregierung aus diesem Jahr nachlesen; damit Sie nicht glauben, das seien nur linke Parolen. ({3}) Schuld daran ist meiner Meinung nach Ihre exportorientierte Politik. Sie zielen vor allem auf den Verkauf von möglichst billigen Agrarrohstoffen ab. ({4}) Sie ergreifen keinerlei Maßnahmen, um die Märkte im Interesse der Erzeuger zu regulieren, damit diese endlich faire Preise für ihre Produkte bekommen. ({5}) Der entscheidende Grund, weshalb wir fast 3,7 Milliarden Euro für die landwirtschaftliche Sozialpolitik ausgeben müssen, ist folgender - hören Sie gut zu -: Die Bäuerinnen und Bauern haben schlicht und ergreifend kein Geld, um sich selbst ausreichend sozial abzusichern. Das ist die Wahrheit über Ihre falsche Agrarpolitik. ({6}) Im Osten der Republik bereiten Sie den landwirtschaftlichen Betrieben zusätzliche Probleme. Dort ist die BVVG, die Nachfolgerin der Treuhand, Motor der Preistreiberei beim Verkauf ehemaliger volkseigener Flächen. Das geschieht im Auftrag des Finanzministeriums. Auch durch die Fehlanreize im Rahmen der EEG-Förderung großer Biogasanlagen haben Sie dazu beigetragen, dass die Pachtpreise steigen, und zwar in ganz Deutschland. Diese Bodenpolitik ist sozial ungerecht und gefährdet die Existenz Tausender Familien in der Landwirtschaft. ({7}) Wir von der Linken fordern: Erstens. Wir brauchen eine Förderung von regionalen Kreisläufen. Zweitens. Wir brauchen eine Stärkung der Marktmacht der Erzeuger. Drittens. Die Förderung von Exporten muss gestrichen werden, und wir brauchen eine Stärkung des Binnenmarktes. ({8}) Viertens. Wir brauchen eine Regulierung der Märkte; denn der totale Markt hat in der Landwirtschaft genauso versagt wie in der sonstigen Wirtschaft und im Finanzsektor. ({9}) Fünftens. Wir brauchen ein Verbot der Spekulation mit Lebensmitteln. ({10}) Wir von der Linken machen auch konkrete Vorschläge. Wir fordern, den Ökolandbau zu stärken. Nur 2,6 Prozent der Forschungsmittel in der Landwirtschaft gehen derzeit in die Forschung für den Ökolandbau. Das ist ein Witz. ({11}) Die Linke fordert die Erhöhung des Anteils auf 20 Prozent. Außerdem fordern wir, dass Sie den Zuschuss zum Bundesprogramm Ökolandbau von 16 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro aufstocken. Das könnten Sie finanzieren, indem Sie zum Beispiel die Exportförderung in Höhe von 5 Millionen Euro streichen. ({12}) Wir fordern auch, dass Sie landwirtschaftliche Betriebe fördern, die ihre Maschinen auf reines Pflanzenöl umstellen. Dann könnten die landwirtschaftlichen Betriebe ihren Treibstoff selbst produzieren. Davon hätten sie deutlich mehr als von Ihrer Beimischungspolitik bei E 10 oder der Steuerbefreiung des Agrardiesels. Das wäre nachhaltig und würde nicht nur den Mineralölkonzernen nutzen. ({13}) Wir von der Linken unterstützen auch die Forderung des Bauernverbandes nach einer steuerfreien Risikorücklage für die Landwirtschaft. Damit könnten Ernteausfälle und Verluste wie zum Beispiel in diesem Jahr durch Ehec aufgefangen werden. Dann müssten wir hier nicht alle Jahre wieder Nothilfeprogramme beschließen. ({14}) Mein Fazit Ihrer Agrarpolitik lautet: Sie wendet sich gegen die Bäuerinnen und Bauern, sie bringt nichts für die Verbraucherinnen und Verbraucher, und sie hat international katastrophale Auswirkungen für die Menschen in den Entwicklungsländern. Wir brauchen eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Agrarpolitik. Dafür steht die Linke. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Cornelia Behm hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachhaltigkeit ist jetzt in aller Munde. Wir haben das gerade bei der Rede von Herrn Holzenkamp erlebt, der Nachhaltigkeit zum Maßstab der christlich-liberalen Agrarpolitik erklärt hat. Die Bundesregierung hat einen Beirat für nachhaltige Entwicklung eingesetzt, wir haben im Bundestag einen Beirat für nachhaltige Entwicklung, es gibt eine Nachhaltigkeitsstrategie, und in alle Gesetzen schreiben wir etwas zur Nachhaltigkeit. Aber wie sieht die politische Praxis aus? Es gab einmal ein Bundesprogramm Ökologischer Landbau, finanziert vom Agrarministerium. Daraus hat das Agrarministerium das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft gemacht. Nun frage ich mich ganz besorgt: Was, wenn nicht der Ökolandbau, ist die Form der nachhaltigen Landwirtschaft? Nur mit dem Ökolandbau werden Böden, Gewässer, Klima und Biodiversität geschützt. Auch der Tierschutz spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle. Das heißt, der Ökolandbau wird den globalen Herausforderungen und den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht und ist damit eine nachhaltige und zukunftsfähige Form der Landwirtschaft. ({0}) Aus diesem Grunde ist der Ökolandbau auch das Leitbild für eine Landwirtschaft der Zukunft weltweit. Das hat schon seinerzeit Frau Künast erkannt. ({1}) Sie hat das Ziel gesetzt, einen Flächenanteil von 20 Prozent für den Ökolandbau zu erreichen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat das 2001 unterstrichen. Das Interessante ist, dass der Rat für Nachhaltige Entwicklung gerade vor einem Monat erklärt hat: Wir müssen mehr tun, wenn wir einen Anteil des Ökolandbaus von 20 Prozent erreichen wollen; denn Ökolandbau ist der Goldstandard. Ökolandbau ist das Leitbild. Darüber hinaus hat der Rat angeregt, 20 Prozent der Agrarforschungsmittel für den Ökolandbau einzusetzen. ({2}) Angesichts des Agrarhaushalts der Bundesregierung sind wir davon Potenzen entfernt. ({3}) Nehmen Sie endlich die ideologischen Scheuklappen ab! ({4}) Folgen Sie den Empfehlungen des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Dafür gibt es eine haushaltsneutrale Lösung, nämlich die Neuausrichtung der BioÖkonomieStrategie. Darin stecken immerhin 2,4 Milliarden Euro, verteilt über sechs Jahre. Der Großteil davon kommt nicht aus dem BMELV-Haushalt, sondern aus dem BMBF-Haushalt. Eine weitere Empfehlung des Rates für Nachhaltige Entwicklung ist eine Vermarktungsoffensive für den ökologischen Landbau. Dafür haben wir ein hervorragendes Instrument, nämlich das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft, BÖLN. Streichen Sie das N, machen Sie endlich wieder BÖL daraus. Stoppen Sie Ihre Irrfahrt! Reden Sie nicht nur nachhaltig, sondern handeln Sie auch nachhaltig! ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Mechthild Heil hat für die Unionsfraktionen das Wort. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition ist nun einmal so, wie sie ist: richtungslos und wirr im Vortrag, ({0}) unpräzise und populistisch in der Sache. Mit Verlaub, was Sie hier heute Abend der Öffentlichkeit vormachen, ist eine reine Mogelpackung: große Aufmachung und im Kern mehr Luft als Ware! ({1}) Wären Sie ein Unternehmen in der Ernährungsbranche, würde man Ihnen von der Verbraucherzentrale die rote Karte zeigen und Ihnen eine Abmahnung zukommen lassen. ({2}) Bei uns ist drin, was draufsteht: Wir haben im letzten Haushalt die Ausgaben für den Verbraucherschutz um 30 Prozent erhöht. Davon rücken wir auch heute nicht ab. Nein, wir legen sogar noch etwas drauf, weil wir, die CDU/CSU und die FDP, um die Bedeutung der Verbraucherpolitik wissen und uns für eine echte Zukunftsvorsorge für die Verbraucherinnen und Verbraucher interessieren. Wir haben das Stiftungsvermögen der Stiftung Warentest um insgesamt 50 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Stiftung Deutscher Verbraucherschutz mit 10 Millionen Euro unterstützt. Rechnet man diese Einzelzahlungen heraus - was Sie heute Abend nicht getan haben -, dann stellt man fest, dass der Etat für die Verbraucherpolitik 2012 um weitere 6 Prozent anwächst. Bei allen Sparanstrengungen im Zuge der Schuldenbremse setzen wir in der Verbraucherpolitik ein klares Zeichen. ({3}) Wie moderner und zielgenauer Verbraucherschutz aussieht und wie er bei uns funktioniert, sehen Sie am Beispiel eines Projektes, das nicht einmal 1 Million Euro gekostet hat: Lebensmittelklarheit.de. Durchschnittlich gehen jeden Tag etwa 100 000 Bürger auf diese Seite. Sie ist von unserem Bundesministerium finanziert. Die Verbraucherzentrale Hessen betreut die Seite. Es gibt Informationen über die Aufmachung und die Etikettierung von Lebensmitteln. Fragen können gestellt werden. Auch die eine oder andere Unklarheit kann dort beseitigt werden. Allein in den ersten Tagen gab es geradezu einen Ansturm von 20 Millionen Zugriffen auf diese Seite. Jeden Tag erreichten die Verbraucherschützer bis zu 300 Anfragen und Produktmeldungen. Das zeigt nicht nur das große Informationsinteresse der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch deren Bereitschaft, freiwillig und aktiv an klareren und verständlicheren Lebensmittelinformationen mitzuarbeiten. In der kurzen Zeit seit Bestehen dieser Seite haben sich bereits viele Lebensmittelhersteller mit Produktbeschwerden auseinandergesetzt. Sie haben begonnen, ihre Verpackungen verständlicher zu gestalten oder auch durch ihre eigene gute Argumentation mehr Verständnis bei ihren Endkunden zu erzielen. ({4}) Einmal mehr sehen wir, dass Kunden und Hersteller sich eben nicht wie feindliche Brüder gegenüberstehen, wie uns die linke Seite des Hauses immer glauben machen will. ({5}) Nein, Kunden und Hersteller sind auf ein vertrauensvolles Miteinander angewiesen. Das Internetportal „Klarheit und Wahrheit“ ist ein guter Schritt in diese Richtung. Vor allem unserer Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner gebührt großer Dank, dieses Projekt unbeirrt von Kritik zum Erfolg geführt zu haben. Danke sehr, sehr verehrte Frau Aigner. ({6}) Ich danke Ihnen im Namen aller Verbraucher, die Klarheit suchen, aber auch im Namen aller Unternehmer, die an aufgeklärten Kunden Interesse haben. Dank sage ich aber auch für die mediale Begleitung dieses Prozesses. Die nicht ganz unberechtigte Angst einiger Hersteller, mit Produkten an den Pranger gestellt zu werden, die zwar rechtlich einwandfrei sind, aber für den Kunden dennoch missverständlich sein könnten, hat sich zum Glück bis heute nicht bewahrheitet. Ob Ernährung, Gesundheit, Finanzanlagen oder Informationsrechte, Verbraucherschutz ist für uns von der CDU/CSU keine Nischenpolitik. Im Jahr 2010, dem ersten Jahr der Ministerin Aigner, wurde sehr vieles angestoßen und auf den Weg gebracht. Es vergeht seitdem kein Monat, in dem wir von der Union nicht eine verbraucherschutzpolitische Initiative auf den Weg gebracht haben. ({7}) Das jetzt verschärfte Verbraucherinformationsgesetz ist die umfangreichste und ambitionierteste Verbraucherschutzoffensive seit Jahren. Neben Informationen zu Lebensmitteln und Kosmetika können Verbraucher künftig auch Auskunft über Spielzeug, Haushaltsgeräte oder andere technische Produkte erhalten. Mit der Button-Lösung sind wir beim digitalen Verbraucherschutz in Europa führend. ({8}) Vermeintlich kostenlos ein Rezept heruntergeladen zu haben und in Wahrheit ein Jahresabonnement für eine Zeitschrift abgeschlossen zu haben, gehört nun der Vergangenheit an. Beim Anlegerschutz geben wir mit den Produktinformationsblättern den Kunden eine gute Möglichkeit an die Hand, Angebote für ihre Geldanlage besser zu verstehen und die Angebote untereinander wirklich zu vergleichen. Die bisher nur für den Bankensektor geltende Dokumentationspflicht werden wir auch auf den Grauen Kapitalmarkt, also auf alle Anlageberater, ausweiten. Die Weltwirtschaftskrise hat uns nachdrücklich gezeigt: Verbrauchervertrauen ist die Voraussetzung für eine gesunde Volkswirtschaft. Weil wir das wissen, stärken wir die Verbraucher und damit unsere Wirtschaft. Mit dem neuen Telekommunikationsgesetz beenden wir endgültig die Beutelschneiderei mit teuren Warteschleifen. Wir wollen einen flächendeckenden Ausbau des Breitbands. Menschen auf dem Land sind für mich keine Verbraucher zweiter Klasse. ({9}) Wir setzen uns für weniger Preisschwankungen an den Zapfsäulen ein. Zu viele Kunden fühlen sich von den manchmal stündlich wechselnden Preisen an den Tankstellen an der Nase herumgeführt. Ein besserer Schutz der persönlichen Daten im Netz und vieles andere steht bei uns auf der Agenda. Unserem Ziel - schnellere und zielgenauere Informationen für den Verbraucher, keine staatliche Bevormundung, weniger Spielraum für die schwarzen Schafe auf dem Markt - sind wir in den letzten zwei Jahren ein deutliches Stück nähergekommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Heil, achten Sie bitte auf die Zeit.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der vorliegende Haushaltsentwurf eröffnet uns die Möglichkeit, auf diesem Weg weiter voranzugehen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Drobinski-Weiß hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Verbraucherinnen und Verbraucher auf den Rängen! Ich möchte gern ein bisschen Wasser in den Wein gießen, den Frau Heil uns einzuschenken versucht hat. ({0}) Denn angesichts der Verbraucherpolitik dieser Bundesregierung ergibt sich folgendes Bild: Die Verbraucherpolitik hat für die schwarz-gelbe Bundesregierung wenig Bedeutung. ({1}) Die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung hat kein Konzept. Die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung besteht vor allen Dingen aus Worten und weniger aus Taten. Sie nutzt Worte und Bilder. Das dient weniger den Verbrauchern als der PR in eigener Sache. ({2}) Verbraucherpolitik fällt bei dieser Bundesregierung nur „unter ferner liefen“. Denn im Haushaltsentwurf 2012 sind ganze 3 Prozent des gesamten Etats für verbraucherpolitische Maßnahmen vorgesehen. Das im Einzelplan 10 enthaltene Tortendiagramm weist für die Verbraucherpolitik gerade einmal 148,6 Millionen Euro aus; das ist der kleinste Anteil. So viel gibt man für die Verbraucherpolitik aus. Sogar für den Bereich „Weitere Ausgaben“ sind 447,9 Millionen Euro vorgesehen. Das ist dreimal so viel wie das, was für die Verbraucherpolitik ausgegeben werden soll. Die Verbraucherpolitik der Bundesregierung hat kein Konzept. Ihre Maßnahmen sind nicht an der Realität der Verbraucher ausgerichtet. Wir von der SPD-Fraktion fordern deshalb den Ausbau einer verbraucherbezogenen Forschung. Wir fordern die Einführung eines wissenschaftsbasierten Verbraucherchecks bei der Gesetzgebung. Bisher fehlen Daten über das tatsächliche Verhalten von Verbrauchern, die Motive für die Produktwahl und die Verarbeitung von Informationen. So weiß man zum Beispiel auch zehn Jahre nach der Einführung der Riester-Produkte nicht, warum viele Menschen diese Verträge nicht abschließen, warum sie die Zulage nicht beantragen und warum sie nicht bis zur Rente „durchsparen“. Wir fordern deshalb den Aufbau einer eigenständigen Forschungseinrichtung, die unter anderem eine jährliche und repräsentative Verbrauchererhebung durchführt. Sie soll die Grundlage für weitere Studien und einen Verbrauchercheck in der Gesetzgebung ermöglichen. Beim Verbraucherinformationsgesetz haben wir als SPD in einem Entschließungsantrag erstmalig einen Verbrauchercheck gefordert. Wir wollen, dass die sich in der Praxis offenbarenden Schwächen zum Anlass genommen werden, entsprechend nachzubessern. Obwohl seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2008 klar ist, dass die Auskunftsmöglichkeiten für Verbraucher so stark eingeschränkt sind, dass die Verbraucher sie kaum nutzen, warten wir seit drei Jahren auf eine entsprechende Novelle. Das, was uns bisher vonseiten der Bundesregierung bekannt ist, lässt leider befürchten, dass auch die Schwächen dieses Gesetzes wieder einmal nur unzureichend beseitigt werden sollen. Nach Auffassung der Bundesregierung soll der mündige Verbraucher allein die Verantwortung für ein nachElvira Drobinski-Weiß haltiges Konsumverhalten tragen. Dabei ist der Markt mit der sogenannten Nachhaltigkeit für die Verbraucher undurchschaubar geworden. Hinz und Kunz werben mit der Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Doch was steckt dahinter? Wir fordern eine öffentlich zugängliche Datenbank, in der Hersteller, die mit solchen Aussagen werben, ihre Kriterien für soziale und ökologische Produktionsbedingungen offenlegen. ({3}) So werden nämlich die unterschiedlichen Nachhaltigkeitsbegriffe für die Verbraucher vergleichbar. Das kann zu einer einheitlichen Definition beitragen. Wie Sie wissen, hat der Europäische Gerichtshof vorgestern entschieden, dass nicht zugelassene Genkonstrukte in Lebensmitteln nicht toleriert werden dürfen, egal ob absichtlich oder zufällig hineingelangt und unabhängig vom Anteil. Im Klartext muss dies heißen: keine Aufhebung der Nulltoleranz für nicht zugelassene Konstrukte und kein Anbau von GVO-Pflanzen. Denn die Koexistenz ist ein Märchen. ({4}) Die Ausbreitung von GVO ist nicht kontrollierbar. Doch stattdessen diskutiert man in der Bundesrepublik über eine Kennzeichnungspflicht für die Produkte, die irgendwie mit Gentechnik in Berührung gekommen sind. Wir halten eine solche Kennzeichnung nur dann für sinnvoll, wenn der Verbraucher auf einen Blick erkennen kann, ob gentechnisch veränderte Pflanzen genutzt wurden oder ob auf irgendeiner Produktionsstufe im Herstellungsprozess ein gentechnisch verändertes Enzym eingesetzt wurde. Mehrheitsfähig - Frau Aigner, da muss ich Ihnen leider widersprechen - ist diese Kennzeichnung auf EU-Ebene sowieso nicht. Deshalb haben wir uns damals für die freiwillige Kennzeichnung „Ohne GenTechnik“ auf nationaler Ebene starkgemacht. Die haben wir von der SPD durchgesetzt. ({5}) Ich freue mich, dass Sie, Frau Aigner, uns dabei unterstützt haben. Wir brauchen aber weiterhin Mittel für diese Informationskampagne. Ob Lebensmittelkennzeichnung, Verbraucherrechterichtlinie, Datenschutz oder Spielzeugsicherheit, wichtige verbraucherpolitische Vorhaben - das wissen wir alle - werden in Brüssel verhandelt. Die Wirtschaft ist in Brüssel bestens aufgestellt. Ihre Lobbyisten bauen ihre Präsenz in Brüssel massiv aus. Für die Zusammenarbeit der Verbraucherverbände auf EU-Ebene werden die Mitgliedsbeiträge der vzbv an die europäische Verbraucherorganisation BEUC zwar aus dem Einzelplan 10 gefördert, eine Vertretung für die spezifischen Interessen der deutschen Verbraucher existiert jedoch nicht. Das, so finden wir, muss sich schnellstens ändern. ({6}) Die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung: wenige Taten, viele Worte und viel PR in eigener Sache. Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen. Viel wurde versprochen und nicht gehalten. Die Seite www.lebensmittelwarnung.de ist immer noch im Aufbau. Das Verbrauchertelefon mit Lotsenfunktion existiert nach wie vor nicht. Ob Anlegerschutz oder Spielzeugsicherheit, die Liste der leeren Versprechungen ließe sich beliebig fortsetzen. Die PR des Ministeriums dagegen läuft auf Hochtouren. Einmal verkündet der Parlamentarische Staatssekretär Allgemeinplätze, und sein Konterfei lächelt freundlich von der gesponserten Anzeige. ({7}) Ein anderes Mal lässt sich die Ministerin im Werbespot auf der Internetseite einer Küchenfirma finden, oder es werden Projekte von Zuwendungsempfängern genutzt, um die Arbeit des Ministeriums zu bewerben. Aus dieser Ecke werden wir möglicherweise noch einiges hören. Lieber wäre uns weniger PR, dafür mehr gute Politik für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Happach-Kasan für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sollte über diesem büttenreifen Beitrag der Kollegin Drobinski-Weiß nicht vergessen werden, dass wir hier über das Feld Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz diskutieren. Ich danke dem Kollegen Priesmeier ausdrücklich, weil er festgestellt hat, dass es insgesamt in der Landwirtschaft gut läuft. Es läuft in der Tat bemerkenswert gut. Ich vermisse allerdings in den Beiträgen der Opposition die Überlegung, dass eine Haushaltsdebatte nicht nur darüber geführt werden sollte, wie die Gelder, die von den Steuerzahlern erwirtschaftet werden, verteilt werden. Es sollte auch darüber diskutiert werden, welche strukturellen Rahmenbedingungen wir schaffen. Die Opposition ist etwas blass geworden. Wir haben Rahmenbedingungen geschaffen, die es unserer Landwirtschaft ermöglichen, ein gutes Einkommen zu erwirtschaften. Herr Priesmeier hat recht: Wir haben eine schlechte Ernte. Deswegen werden wir darüber nachdenken, Direktzahlungen schneller zu leisten, damit keine Liquiditätsengpässe entstehen. Dies liegt im Interesse der Betriebe. Ich vermisse bei der Kritik dessen, was gewesen ist - Frau Drobinski-Weiß war offensichtlich nicht da, sonst hätte sie bemerkt, wie viel diese Bundesregierung bewegt hat -, ({0}) dass man, wenn man gegen das Grünlandmilchprogramm ist, sagt, wie den Landwirten in der Milchkrise hätte geholfen werden können. Dazu kam absolut nichts. Der Haushalt dieser Bundesregierung folgt der Leitlinie „Stabilität, Wachstum, Zukunftsfähigkeit“. Zukunftsfähigkeit ist das Thema. Das bedeutet im Bereich der Landwirtschaft eine Steigerung von Effizienz. Wir müssen das, was wir mit der GAP auf den Weg bringen, vor dem Hintergrund der Steigerung der Effizienz der Landwirtschaft betrachten. An die Grünen gerichtet: Das gilt auch für die Ökolandwirtschaft. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat ebenfalls gesagt: Bitte, liebe Ökobetriebe, auch ihr müsst effizienter werden, als ihr es bisher wart. - Das ist eine Aufforderung an diese Betriebe. Es reicht nicht, immerzu die bäuerliche Landwirtschaft hochzuhalten und Museumslandwirtschaft zu fordern. Wenn wir die Welt ernähren wollen - dazu müssen auch wir als Deutsche einen Beitrag leisten -, dann müssen wir Effizienzsteigerungen auf den Weg bringen, dann darf es - das ist eine Forderung der FDP; ehrlich gesagt, vermisse ich eine solche Forderung von der Linken auch keine Deckelung geben. ({1}) - Das hat er leider nicht gesagt. Das hätte er sagen müssen. ({2}) - Nein, das hat er nicht. Wir müssen feststellen, dass wir in Deutschland unterschiedliche Betriebsstrukturen in den verschiedenen Landesteilen haben, und deswegen müssen wir für das ganze Land und nicht nur für einige Teile Politik machen. ({3}) Ich finde es außerordentlich bemerkenswert, dass es dieser Bundesregierung - Frau Aigner gemeinsam mit Herrn Niebel - erstmals gelungen ist, deutlich zu machen: Wer Welternährung will, der muss auch Landwirtschaft wollen. ({4}) Nur über mehr Landwirtschaft werden wir in der Lage sein, die Menschen auf der Erde zu ernähren; nur so wird es gehen. Wenn wir uns einfach einmal bewusst machen, dass sich die genutzte Ackerfläche pro Kopf von 1950 bis 2025 auf ein Drittel reduzieren wird - von 5 000 Quadratmetern auf 1 700 Quadratmeter -, dann wird uns klar, welche Herausforderung die Steigerung der Effizienz bedeutet. ({5}) Die Bundesregierung hat die Ehec-Krise sehr sachgerecht bewältigt. Ich bin betroffen, dass wir 50 Tote zu beklagen haben. Aber wir müssen auch feststellen, dass das Bundesgesundheitsministerium unter Herrn Bahr und das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Frau Aigner mit der Taskforce ausgesprochen gut gehandelt haben und dass wir diese Krise deswegen schnell beendet haben. ({6}) Im Bundesgesundheitsministerium sind bereits Konsequenzen für die Gesetzgebung daraus gezogen worden. Ich möchte noch auf die landwirtschaftliche Unfallversicherung eingehen. Dieses Thema wird uns in Zukunft noch beschäftigen. Ich will einen Punkt ganz deutlich machen: Ich bin der Meinung, der Unfall, der nicht geschieht, ist der beste Unfall. Deswegen müssen wir bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung darauf setzen, dass wir mehr Anreize zur Vermeidung von Unfällen, also zu Vorsorgemaßnahmen, schaffen, damit die hohe Zahl der Unfälle im Bereich von Land- und Forstwirtschaft endlich effektiv gemindert wird. Danke schön. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Schirmbeck für die Unionsfraktion. ({0})

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst das aufgreifen, was der Kollege Haustein schon getan hat: Er hat sich bei vielen Mitstreitern bedankt. Lieber Peter, ich darf dich korrigieren: Du hast unsere Ministerin vergessen. Ihr gilt natürlich dein und mein ganz besonderer Dank. Ich darf ergänzen: Ich möchte mich auch beim Finanzministerium, besonders beim Staatssekretär Kampeter, bedanken; denn wenn dort nicht die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, können wir hier zwar über vieles reden, aber nichts machen. ({0}) Meine Damen und Herren, auch wenn wir eine fröhliche Runde sind, lassen Sie mich versuchen, Ihnen hier einen ganz ernsthaften Gedanken vorzutragen. Ich war mit dem Kollegen Peter Bleser vor einigen Tagen auf der sogenannten Armuts- oder Hungerkonferenz der Afrikanischen Union in Addis Abeba, also in über 2 300 Meter Höhe. In Ostafrika gibt es 12 Millionen Menschen, die dem Hunger ins Auge sehen. In Ostafrika hat man die besten Zuckerrübenböden. Man hat dort auch reichlich Wasser. Politisch und agrarstrukturell herrschen dort aber archaische Verhältnisse. Wäre dies nicht so und hätte man dort unser landwirtschaftliches Können der 1960er-Jahre, dann könnte man - das sagen unsere FachGeorg Schirmbeck leute - nicht nur die Menschen in Somalia und in Äthiopien, sondern auch die in Ägypten ernähren. Wir hier haben die erfolgreichste, leistungsfähigste Landwirtschaft der Welt. Sie ist, wenn man das im internationalen Vergleich sieht, vergleichsweise kleinteilig. Wir aber erwecken den Eindruck, als gäbe es hier Missstände ohne Ende. Ich sage Ihnen: Wenn wir nicht eine so leistungsfähige Landwirtschaft hätten, könnten wir nicht dorthin fahren, um den Hungernden, den Sterbenden dort so zu helfen, wie wir das tun. Italien kann es schon nicht mehr. ({1}) Verehrter Herr Kollege Süßmair, ich hätte nicht gedacht, dass wir das 21 Jahre nach der deutschen Einheit hier noch einmal diskutieren müssen. Aber der Kollege Claus hat ausgeführt, die Landwirtschaft sei nun der Bereich gewesen, in dem die DDR der Bundesrepublik überlegen gewesen sei. ({2}) Ich war im Januar 1990 das erste Mal in Neustrelitz. Damals funktionierte die DDR in ihren staatlichen Strukturen ja noch. Da war ich beim Rat des Kreises. Da war auch der Agrarkreisrat oder wie immer der sich damals nannte. Der hatte ein Problem. Der hatte 1 000 fette Schweine, die so fett waren, dass sie auf dem Hintern sitzen mussten, weil sie nicht mehr stehen konnten. Das war leibhaftige Tierquälerei. Der hatte das Problem, dass diese fetten Schweine - dafür gab es auch gar keinen Markt mehr - geschlachtet werden mussten. Da mussten meine Freunde aus Südoldenburg kommen und das erledigen. Das ist die Überlegenheit gewesen! Ich sage es einmal ein bisschen polemisch: Mit Ihrer Landwirtschaft würde selbst in der Sahara der Sand knapp. ({3}) Lassen Sie mich etwas zu dem ländlichen Raum sagen, dem geprügelten ländlichen Raum, der sich total entvölkert, der erbärmlich dasteht. Ich komme - zusammen mit dem Kollegen Holzenkamp - aus einer Region, in der vielleicht die moderne Landwirtschaft entwickelt worden ist - das kann man vielleicht so behaupten -, in der aber die Menschen vor zwei Generationen noch Sand gefressen haben, weil das leichte Böden sind. Die älteren Leute, die da leben, haben noch Hunger gekannt. Da ist heute moderne Landwirtschaft. Wenn ich dann höre, dass von einer Entvölkerung gesprochen wird, dann muss ich sagen: Der Landkreis Osnabrück hat in den letzten 20 Jahren 75 000 Einwohner zusätzlich gewonnen. Die Bevölkerung im Landkreis Vechta ist erheblich gewachsen. Das gilt auch für den Landkreis Cloppenburg oder das Emsland und die Grafschaft Bentheim. Die Arbeitslosenzahlen sind unter 4 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist an der Nachweisgrenze. ({4}) Das sind keine Regionen, in denen Not herrscht. Ich kann nur sagen: Wenn es denn Regionen gibt, in denen die Strukturen heute nicht zu halten sind und die sich entvölkern, dann möge man sich in diesen Räumen einmal Gedanken darüber machen, warum das bei ihnen so ist, und dann möge man vielleicht das eine oder andere ändern. ({5}) Meine Damen und Herren, ich stelle fest, dass im ländlichen Raum gebaut wird. Es werden Windräder gebaut. Es werden Solaranlagen gebaut. Die Außenwände von Stallgebäuden werden sogar verklinkert hochgezogen. So kann man in anderen Regionen der Welt nicht einmal Häuser bauen. Es gibt richtig Innovationen im ländlichen Raum. Es besteht dort lediglich das Problem, dass es keinen Handwerker, keinen Fliesenleger gibt, der zeitgerecht den einen oder anderen Auftrag ausführt. Lassen Sie uns doch einmal ehrlich sein! Wir brauchen natürlich Verbraucherschutz. Wir brauchen Lebensmittelüberwachung. Jeder einzelne Fall, den wir in diesem Zusammenhang diskutieren, ist einer zu viel; da sind wir uns völlig einig. Aber können wir nicht auch einmal feststellen, dass wir gesunde Lebensmittel in einer Vielfalt haben, die es in keiner Generation vor uns gab? ({6}) Auch darauf können wir stolz sein; auch das können wir erwähnen, statt immer nur den einen Fall so hochzuziehen, als ginge bald die Welt unter. ({7}) Ein Thema, für das ich, wie der eine oder andere weiß, eine besondere Leidenschaft habe, ist die Forstwirtschaft. Wir haben das Internationale Jahr der Wälder. Wir dürfen feststellen, dass die deutsche Forstwirtschaft besonders leistungsfähig ist. Das sieht man auch daran, dass im Biodiversitätsbericht der Bundesregierung festgestellt wird, dass die Biodiversitätskriterien gerade in der Forstwirtschaft besonders erfolgreich eingehalten werden. Deutsche Forstleute sind in der ganzen Welt tätig. Ich darf der Ministerin herzlich dafür danken, dass sie sich beispielsweise an großen Kooperationswerken in Vietnam, aber auch in China und in anderen Ländern beteiligt. Wenn man über Forstentwicklung in der Welt redet, so ist es natürlich richtig, dass es an manchen Stellen Waldvernichtung gibt, bei der wir dagegenhalten müssen. Aber nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass es durch deutsche Forstleute, durch Mittel, die wir in diesem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen, beispielsweise gelingt, in einem Zeitraum von zehn Jahren in Vietnam die Waldfläche wieder auf das Niveau von vor dem Vietnamkrieg zu bringen. Auch darauf können wir doch stolz sein. Das sollte man wissen; deshalb möchte ich das hier erwähnen. ({8}) Nachdem ich mir vorhin die Ausführungen zu Forschung und Entwicklung angehört habe - ich finde es toll, dass wir Exzellenzuniversitäten und Ähnliches haben -, sage ich durchaus ein bisschen kritisch: Es kann doch nicht sein, dass wir an unseren Exzellenzuniversitäten junge Forstleute heranbilden, dann aber nicht in der Lage sind, den Besten eines Jahrgangs einen Arbeitsplatz anzubieten - und das angesichts der Tatsache, dass das derzeitige Forstpersonal im Schnitt über 50 Jahre alt ist. Dieses Verhalten ist kurzsichtig und überzeugt nicht. Ich hätte den Wunsch, dass sich die Länder an der einen oder anderen Stelle etwas mehr in die richtige Richtung bewegen. ({9}) Herr Kollege Schwanitz hat hier gesagt, im ländlichen Raum werde Geld verbrannt. Ich kann dem nur entgegenhalten: Durch die Maßnahmen bei den Berufsgenossenschaften und beim Agrardiesel tragen wir dazu bei, dass auch im ländlichen Raum Kaufkraft vorhanden ist. Außerdem sorgen wir - das zeichnet diesen Einzelplan besonders aus - für soziale Sicherheit im ländlichen Raum, indem wir für diesen Bereich fast 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Das ist ein Beispiel für Kontinuität. Wir sind hier verlässliche Partner. Ich sage es noch einmal: Der Kollege Haustein und ich werden sicherstellen, dass bei den Haushaltsplanberatungen die eine oder andere Änderung noch eingearbeitet wird, uns zugleich aber auch an dem Ziel orientieren, dass weiterhin kontinuierliche Politik für die Menschen in Deutschland und weit darüber hinaus gemacht wird. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15. Das Wort hat der Bundesminister Daniel Bahr. ({0})

Daniel Bahr (Minister:in)

Politiker ID: 11003495

Guten Abend, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir erstmals den Bundeshaushalt 2012 für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Der eigentliche Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums ist auch im kommenden Jahr mit einem Umfang von knapp 483 Millionen Euro ein eher kleinerer Etat, aber es zeigt sich, dass man auch in diesem kleinen Etat schon richtige Prioritäten setzen kann. Ich möchte Ihnen drei Beispiele nennen: Erstes Beispiel: 12 000 Menschen warten in Deutschland derzeit auf ein geeignetes Spenderorgan. Mir persönlich liegt das Thema Organtransplantation sehr am Herzen. Deshalb sieht unser Etat auch für das Jahr 2012 wiederum 2,5 Millionen Euro für Aufklärungsarbeit zur Organspende in der Bevölkerung vor. ({0}) Wir müssen es schaffen, meine Damen und Herren, dass sich möglichst viele Menschen mit diesem wichtigen Thema befassen. Wir werden mit der Novelle des Transplantationsgesetzes weitere Verbesserungen vornehmen, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen und den Ablauf zu verbessern. Ich bin dankbar und begrüße ausdrücklich, dass sich der Deutsche Bundestag in diesem Jahr um das Thema Organspendebereitschaft kümmern möchte, dass eine Debatte hier im Deutschen Bundestag über die Frage geführt werden soll, wie wir die Bereitschaft der Menschen noch erhöhen können, einen Organspendeausweis auszufüllen. Die Zahl derjenigen Menschen, die den Wunsch haben, selbst ein Spenderorgan zu erhalten, wenn es nötig ist, ist hoch. Die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland ist hingegen noch zu gering ausgeprägt. Wir wissen aber auch, dass jeder, der sich selbst nicht mit dem Thema Organspende beschäftigt, die Entscheidung später einem Angehörigen aufbürdet. Deswegen werben wir für die Organspende und für das Ausfüllen eines Organspendeausweises. Wir sagen den Menschen: Jeder Organspender ist ein Lebensretter. Ich sage in dieser Debatte: Wir sollten im Deutschen Bundestag gemeinsam noch mehr dafür tun, dass sich die Menschen mit dem Thema Organspende persönlich beschäftigen und sich dafür entscheiden, einen Organspendeausweis auszufüllen. ({1}) Beispiel zwei: Wir dürfen beim Thema HIV/Aids nicht nachlassen. Diese Erkrankung darf nicht in Vergessenheit geraten; sie stellt nämlich für viele Menschen immer noch eine lebensbedrohliche Situation dar. Wir sehen deshalb 12 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen in diesem Bereich vor. ({2}) Wir werden, wie schon im vergangenen Jahr, rund 1,6 Millionen Euro für die Aidsforschung bereitstellen. Es zeigt sich, dass die Gefahren unterschätzt werden, wenn wir nicht durch fortwährende und gezielte Öffentlichkeitsarbeit stetig informieren. Auch hier setzen das Bundesministerium für Gesundheit und die Koalition insgesamt eine klare Priorität und stellen für das Thema HIV/Aids weiterhin die erforderlichen Mittel zur Verfügung. Beispiel drei: Wir sind in vielen Bereichen unseres Gesundheitswesens dringend auf Innovation angewiesen: in der Pflege, der Kindergesundheit, der Arzneimittelsicherheit, aber auch bei Maßnahmen zur QualiBundesminister Daniel Bahr tätssicherung. Für den Bereich der Forschung sind deshalb im Etat 25 Millionen Euro veranschlagt. Neben dem Kernbereich des Haushalts macht den größten Batzen dessen, was wir heute beraten, der Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung aus. Er beträgt 14 Milliarden Euro für versicherungsfremde Leistungen und seit dem letzten Jahr auch für einen funktionierenden Sozialausgleich. ({3}) Ich erinnere an die Ausgangssituation zu Beginn der Legislaturperiode. Insofern, Frau Ferner, wird Ihnen das Lachen gleich im Halse stecken bleiben. ({4}) Denn das, was wir in dem zuvor sozialdemokratisch geführten Haus vorgefunden haben, war ein drohendes Milliardendefizit, das durch den Gesundheitsfonds mit den gedeckelten Zusatzbeiträgen nicht hätte geschultert werden können. ({5}) - Ihre Reaktion zeigt mir nur, dass Sie hier einen wunden Punkt haben, ({6}) dass Sie offensichtlich die Realität, die wir vorgefunden haben, auch heute noch leugnen. - Es hätte bei den Krankenkassen zur Masseninsolvenz geführt. Das Finanzierungssystem, das Ihre sozialdemokratische Führung uns hinterlassen hat, ({7}) war nicht in der Lage, ein solches Defizit im Sinne der Versicherten und der Stabilität des Gesundheitswesens zu schultern. ({8}) Es war diese Koalition, meine Damen und Herren, die für einen effizienten Einsatz der Versichertengelder gesorgt hat. Wir haben mit der Neuordnung des Arzneimittelmarktes gezeigt, wie wir Wettbewerb auch im Arzneimittelbereich verstanden wissen wollen und wie wir ihn voranbringen wollen, und wir bringen die Interessen der Patienten und Beitragszahler zusammen. Wir brechen das Preismonopol der Pharmaindustrie. ({9}) Wir sorgen dafür, dass die Patienten weiterhin wirkliche Innovationen im Arzneimittelbereich auch schnell in der Versorgung spüren. Aber wir sorgen gleichzeitig dafür, dass das nicht zu einer einseitigen Preisfestsetzung durch die Pharmaindustrie zulasten der Beitragszahler führt. Wir sorgen für einen fairen Ausgleich der Interessen der Patienten und der Interessen der Beitragszahler. ({10}) Die Erfolge, Frau Ferner, geben uns recht. ({11}) Unter der Führung der Sozialdemokraten im Gesundheitsministerium wurde mehr Geld für Arzneimittel in Deutschland ausgegeben als für die ambulante Versorgung. Erst unter liberaler Führung im Gesundheitsministerium können wir verzeichnen, dass wieder mehr Geld für die ambulante Versorgung der Patienten ausgegeben wird als für Arzneimittel, wie es unter Ihrer Führung der Fall war. Das ist die richtige Prioritätensetzung dieser Koalition. ({12}) Wir haben eine entscheidende Grundlage für ein gerechtes, dauerhaft finanziertes, transparentes und wettbewerbliches Finanzierungssystem in der gesetzlichen Krankenversicherung geschaffen. Bei anderen Vorgaben hätte die Regierung jedes Jahr einen Einheitsbeitragssatz für alle Krankenkassen gleich festlegen müssen ({13}) und hätte damit entschieden, wie viel Geld die Politik dem Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen bereit ist. Aus dieser Planwirtschaft steigen wir aus; denn wir haben den Beitragssatz einmalig festgelegt, und dieser gilt bei guter wie bei schlechter Entwicklung. Damit haben wir dafür gesorgt, dass steigende Gesundheitskosten nicht mehr automatisch die Arbeitskosten in Deutschland verteuern. ({14}) Die Krankenkassen erhalten unter unserer Führung ihre Beitragsautonomie zurück. Für die Versicherten wird mehr Transparenz geschaffen. Sie können die Leistung einer Krankenkasse transparent in Euro und Cent sehen und vergleichen, was die Krankenkassen ihren Patienten bieten. Das zeigt die andere Prioritätensetzung der christlichliberalen Koalition in der Gesundheitspolitik. ({15}) Wir wollen keine Einheitskasse, ({16}) weil wir wissen, dass die Patienten in einer Einheitskasse zum Bittsteller einer Einheitsversorgung werden. ({17}) Wir gehen vom mündigen Patienten und vom mündigen Versicherten aus. Dieser steht für uns im Mittelpunkt. Er kann selbst entscheiden, wie er sich versichern möchte, und selbst auswählen, was eine Krankenkasse für ihn leisten soll, was sie ihm für seinen Beitrag bieten soll. ({18}) Deswegen sorgen wir mit dem anstehenden Versorgungsstrukturgesetz dafür, dass die Wahlfreiheit der Versicherten weiter gestärkt wird und der Versicherte Unterschiede bei den Krankenkassen feststellen kann, dass es einen wohlverstandenen fairen Wettbewerb um die bessere Versorgung gibt. Das ist die logische Konsequenz unserer Politik, ausgerichtet an den Interessen der Versicherten und Patienten. ({19}) Während Sie immer geleugnet haben, dass uns in Deutschland ein Ärztemangel droht - Sie haben gesagt, es gebe genügend Ärzte in Deutschland, sie müssten nur zwangsweise besser verteilt werden -, ({20}) befassen wir uns mit der Versorgungsrealität der Menschen in Deutschland. Wir sorgen dafür, dass die Menschen sich auch in der Fläche künftig noch darauf verlassen können, dass sie eine ausreichende, gute medizinische Versorgung vor Ort vorfinden. ({21}) Denn wir setzen Anreize, damit junge Mediziner mit Lust, Motivation und Freude in den Beruf einsteigen und auch in der Fläche die Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleisten. ({22}) Die Versorgungsrealität der Menschen wollen wir auch im Bereich der Pflege angehen. Diese Koalition hat sich ehrgeizig darum gekümmert, während zum Beispiel Rot-Grün es in zwei Legislaturperioden nicht geschafft hat, auch nur eine Reform der Pflege wirklich zukunftsfest auf den Weg zu bringen. ({23}) Deswegen haben wir uns vorgenommen, jetzt die Pflege für die Menschen zukunftsfest zu machen. Unser Ziel bei der Pflege ist - darum geht es mir; denn wir führen auch eine gesellschaftliche Debatte -, den Zusammenhalt in der Gesellschaft auch weiterhin zu gewährleisten; denn wir wissen, dass es künftig mehr pflegebedürftige Ältere geben wird und dass immer weniger junge Beitragszahler nachkommen. ({24}) Das ist eine Frage des Zusammenhalts in der Gesellschaft. Nicht jeder hat Kinder, aber jeder hat Eltern. Jeder, der in seiner Familie einmal erlebt hat, wie ein Angehöriger pflegebedürftig wird, wird wissen, was für eine Belastung das für den familiären Zusammenhalt bedeutet und was für eine Anforderung plötzlich an den Zusammenhalt in der Familie gestellt ist. Deswegen geht es uns als christlich-liberale Koalition darum, mit der anstehenden Pflegereform Angehörige zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für sie so zu setzen, dass sie mit der persönlichen Situation in der Familie umgehen können, wenn jemand pflegebedürftig wird, und wissen, dass sie sich darauf verlassen können. Wir werden nun den Beirat, der bereits einen ersten Vorschlag zur Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs vorgelegt hat, konkret mit der Umsetzung beauftragen. Weil ich ahne, dass Sie diesbezüglich gleich von Verzögerung sprechen werden, darf ich Ihnen schon jetzt sagen: Dieser Auftrag an den bisherigen Beirat wird von allen in der Pflegeszene als der richtige und nötige Schritt erkannt. Es handelt sich nicht um Verzögerung, ({25}) sondern es ist Voraussetzung für eine Umsetzungsstrategie. Der Beirat selber sagt, dass noch viele Fragen offen sind, die beantwortet werden müssen. Das zeigt, dass diese Koalition es ernst meint mit einer Pflegereform. Wir werden das in den nächsten Monaten hier im Bundestag noch ausreichend debattieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({26})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner für die SPDFraktion. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Bahr, Ihre Rede gerade hat eines gezeigt: In der Gesundheitspolitik hat Schwarz-Gelb wenigstens genauso abgewirtschaftet wie in allen anderen Politikfeldern auch, und das in Rekordzeit. ({0}) Im ersten Jahr hat der damalige Gesundheitsminister Rösler den netten Onkel Doktor gegeben und hat versucht, die Probleme im Gesundheitswesen wegzulächeln. Bis Sie auf den Trichter gekommen sind, im Arzneimittelbereich etwas zu machen, ({1}) sind schon Milliarden zu viel ausgegeben worden. Sie hatten gedacht, Sie könnten sich über die Landtagswahlen in NRW hinüberretten. Das Ergebnis ist bekannt: Es ging schief. Sie haben sich dann nach einem öffentlichen Gewürge sondergleichen darauf verständigt, das Kopfpauschalengesetz durch den Bundestag zu ziehen. Es ist nicht so, wie Sie es eben gesagt haben, dass jeder frei entscheiden kann; vielmehr bedeutet Ihr Vorgehen ganz klar eine Verschiebung der Lasten auf die Versicherten, weil die Arbeitgeber in Zukunft keine Kostensteigerungen mehr schultern müssen, die Versicherten das Ganze über eine Kopfpauschale schultern müssen, die zudem noch einkommensunabhängig ist. Das ist Gesundheitspolitik à la Schwarz-Gelb. Das werden die Menschen spätestens in zwei Jahren abwählen. ({2}) Herr Bahr, Sie haben in der Opposition proklamiert, dass Sie die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen wollen. Ich muss gestehen, Sie sind diesem Ziel einen guten Schritt näher gekommen; Sie werden es aber nicht schaffen, weil Sie in den maximal zwei verbleibenden Jahren - das ist ja jetzt der vorletzte Haushalt, den Schwarz-Gelb in diesem Haus vorlegt ({3}) nicht dazu kommen werden, das Gesundheitssystem total zu zerschlagen. Bei der FDP als Klientelpartei der Besserverdienenden ({4}) und der Versicherungswirtschaft wundert das alles nicht. Bei der CDU und CSU, die angeblich Volksparteien sein wollen, wundert das allerdings schon. ({5}) Es scheint Ihnen völlig egal zu sein, ob Versicherte wie Rentner und Rentnerinnen, Studierende, Geringverdienende oder auch Normalverdienende in Zukunft ihren Krankenkassenbeitrag überhaupt noch bezahlen können. Sie haben einmal einen automatischen steuerfinanzierten Sozialausgleich versprochen. Was ist denn davon übrig geblieben? Den haben Sie jetzt erst einmal verschoben. Sollte bis einschließlich 2014 ein Sozialausgleich notwendig sein, zahlen das die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler aus Beiträgen. Kommt er dann - da haben Sie 700 Millionen in der mittelfristigen Finanzplanung -, wird erst mal das abgezogen, was Ihr Versorgungsstrukturgesetz mehr kostet, als Sie selber hineingerechnet haben. ({6}) Selbst der Finanzminister bestreitet, dass die Kosten richtig ermittelt wurden, die Sie da angesetzt haben. ({7}) Das heißt, der Sozialausgleich würde, wenn er nötig wäre, geringer ausfallen. Das ist eine klassische Milchbubenrechnung. Ich glaube aber, es braucht sich keiner Sorgen zu machen; denn wir werden dieses unsoziale Gesetz nach 2013 zurücknehmen. ({8}) Herr Bahr, Sie haben eben wieder gesagt, Ulla Schmidt habe Ihnen kein geordnetes Haus hinterlassen. ({9}) Ich will daran erinnern - wenn Sie lesen und schreiben können, können Sie das in den Statistiken der Krankenversicherungen nachlesen -: Ende 2009 hat die gesetzliche Krankenversicherung mit einem Überschuss von, wenn ich mich richtig erinnere, 1,4 Milliarden Euro abgeschlossen. Das war kein Defizit, sondern ein Plus. Sie sind im ersten Jahr Ihrer Regierung wieder ins Minus gerutscht. Das ist die Wahrheit, Herr Bahr; da hilft Ihnen auch das Kopfschütteln nicht. ({10}) Herr Rösler hat versucht, sein negatives Image loszuwerden, und das Jahr der Pflege ausgerufen. Wir reden von diesem Jahr 2011; wir haben jetzt schon September. ({11}) Was ist bis jetzt passiert? ({12}) Eine ganze Reihe von Gesprächen mit den Sozialverbänden; das ist sehr löblich. ({13}) Ich glaube aber, in den Gesprächen sind keine großartigen neuen Erkenntnisse gewonnen worden. Denn wir alle kennen die Probleme längst; dafür braucht man keine Gespräche zu führen. Wir haben also kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit. ({14}) - Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Lanfermann, haben wir in der letzten Wahlperiode eine Pflegereform durchgeführt, die Sie, wenn ich mich recht erinnere, hier im Deutschen Bundestag abgelehnt haben. ({15}) - Nein, nein. Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, Herr Lanfermann! ({16}) Die Vorarbeiten für die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs lagen bereits im Frühjahr 2009 vor. Leider haben sich die Kollegen und Kolleginnen der Union da14678 mals in der Großen Koalition geweigert, hier zum Schluss der Wahlperiode noch etwas zu machen. ({17}) - Das ist nicht unwahr. Ich war in den Runden dabei, Herr Zylajew, Sie nicht. Sie können Ihren Kollegen Zöller fragen, ob er und Frau Widmann-Mauz es damals abgelehnt haben, etwas zu tun, weil es in der Fraktion nicht durchsetzbar war. - Es rächt sich jetzt, dass Sie nichts gemacht haben; denn Sie sind sich beim Thema Pflegereform überhaupt nicht einig. ({18}) Sie haben die Hälfte der Wahlperiode mit Nichtstun verschenkt. Herr Rösler, der Erfinder des Jahres der Pflege, ist nicht mehr zuständig; denn er muss sich jetzt um die Richtlinien der Außenpolitik kümmern. Was passiert jetzt? Jetzt übertragen Sie, Herr Bahr, dem Pflegebeirat die Aufgabe, die Details auszuarbeiten. Eigentlich liegt alles vor. Der Pflegebeirat kann Ihnen doch nicht die politische Entscheidung darüber abnehmen, welches Szenario Sie wählen wollen, ({19}) welches Finanzbudget Sie zur Verfügung stellen wollen, welche weiteren Leistungsverbesserungen es geben soll. ({20}) Was glauben Sie denn! Die Kollegen und Kolleginnen aus dem Pflegebeirat werden nächstes Jahr erwachen und Ihnen etwas vorlegen. Dann werden Sie sagen: Sorry! Tut uns leid. Wir kriegen das in der Koalition nicht gewuppt. - Sie versuchen, sich über die Wahl hinwegzuretten. Sie werden in dieser Wahlperiode nicht viel auf die Reihe kriegen. ({21}) Zu dem Kapitalstock, den Sie jetzt ansparen wollen, sagt jeder etwas anderes: Die FDP möchte ihn individualisiert, privat aufbauen lassen, Herr Spahn und andere Neoliberale in der Union auch. Herr Kauder möchte im System, aber dann doch individualisiert einen Kapitalstock aufbauen, unter Einbindung der Versicherungswirtschaft, damit Klientelpolitik betrieben werden kann. Herr Seehofer sagt, dass es überhaupt keine Beitragssatzanhebung geben darf. Werden Sie sich doch erst einmal darüber einig, was Sie wollen! Sie produzieren das Problem, dass die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen im Stich gelassen werden. Wir haben vor der Sommerpause aus der Opposition heraus ein sehr umfassendes Papier zur Pflege vorgelegt. Wo ist denn Ihr Papier? Wo sind denn Ihre Vorstellungen? Zwei Jahre Regierungszeit wurden hoffnungslos vertan; Sie haben nichts getan. Man könnte sagen: ein Tu-nix-Minister. Aber das wird nicht mehr lange anhalten; spätestens in zwei Jahren werden wir die Hausaufgaben machen. Wir haben die Konzepte und werden dafür sorgen, dass die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen die Zeit, die Infrastruktur und die Leistungen bekommen, die sie brauchen. Schönen Dank. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Koschorrek hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Dr. Rolf Koschorrek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003791, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Gesundheitswirtschaft in Deutschland ist mit 4,5 Millionen Beschäftigten und einem Finanzvolumen von nahezu 3 Milliarden Euro sowie einem erheblichen Wachstumspotenzial eine Kernbranche unserer Volkswirtschaft. Sie ist ebenso ein zentraler Bereich der sozialen Absicherung in unserem Land. Wir haben eine sehr gute Versorgungssituation, die aber permanent den aktuellen Bedürfnissen angepasst werden muss. In der laufenden Legislaturperiode haben diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen - wie wir in dieser Haushaltswoche bei jedem Punkt unserer Tagesordnung ausführlich darlegen konnten - in allen Feldern der Politik sehr viel und sehr Gutes geleistet. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Gesundheitspolitik unter der Zuständigkeit des BMG, in dem auch mit einem kleinen Etat Großes bewegt werden kann. ({0}) Frau Ferner, eigentlich war Ihr Beitrag nicht des Kommentierens wert. Einen Satz möchte ich Ihnen trotzdem gönnen. Das hat mich schon erstaunt: Eigentlich haben wir nach meiner Überzeugung eine Legislaturperiode lang miteinander eine ganz ordentliche Gesundheitspolitik gemacht. ({1}) Dass Sie die Errungenschaften, die wir in dieser Zeit etabliert haben, selbst derart kleinreden, ist schon ein erhebliches Armutszeugnis. Ich kann das nicht ganz verstehen, aber damit müssen Sie selbst zurechtkommen. ({2}) Wir bringen den Mut zu strukturellen Änderungen auf und sorgen dafür, dass alle Beteiligten einen Beitrag dazu leisten, unser Gesundheitssystem in einer Gesellschaft mit immer mehr älteren Menschen zukunftsfähig zu machen. Wir machen eine zukunftsgerichtete Gesundheitspolitik mit soliden Finanzen und nachhaltigen neuen Strukturen. Das von der christlich-liberalen Koalition beschlossene Arzneimittelsparpaket - Stichwort „AMNOG“ - hat nicht nur den Kostenanstieg aufgehalten, sondern sogar einen deutlichen Kostenrückgang bewirkt. ({3}) Wir haben es durch vorausschauende Politik und die daraus resultierenden guten Konjunkturdaten geschafft, das für 2011 in der GKV erwartete Defizit zu verhindern und sogar ein finanzielles Polster im Gesundheitsfonds zu schaffen. Bisher kannte die deutsche Öffentlichkeit nur wiederkehrende Meldungen über Fehlbeträge bei den gesetzlichen Krankenkassen, die nachträglich ausgeglichen werden mussten. ({4}) Die Rücklagen erlauben es uns, jetzt auch zukunftsweisende Projekte und Maßnahmen zu verfolgen, auf die wir zuvor aus Kostengründen verzichten mussten. Die Tatsache, dass einmal etwas mehr als unbedingt notwendig in der Kasse ist, ist allerdings kein Anlass dazu, umgehend nach der Senkung von Beiträgen und Ähnlichem zu rufen. Nein, wir brauchen in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Polster, um eine konstruktive und zukunftssichernde Politik machen zu können. ({5}) Wir haben die Einrichtung der unabhängigen Patientenberatung auf sichere Füße gestellt und sie als dauerhafte Institutionen der wohnortnahen Beratung in unserem Gesundheitswesen installiert. Wir sorgen dafür, dass das weltweit anerkannte deutsche Gesundheitssystem in der älter werdenden Gesellschaft leistungsfähig bleibt, und schaffen die Voraussetzungen dafür, dass das hohe medizinische Niveau in Deutschland erhalten bleibt. Kernpunkte sind in diesem Zusammenhang die Verbesserung der wohnortnahen Versorgung, eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung, ein schnellerer Zugang zu Innovationen und mehr Wettbewerb, damit Versicherte aufgrund ihrer persönlichen Prioritäten die Chance haben, zu wählen. Jede realistische Betrachtung zeigt: Unsere finanziellen und personellen Ressourcen im Bereich der Pflege sind begrenzt. Sie werden nicht ausreichen, um für alle Bürger eine verlässliche Absicherung der Pflegekosten im Alter zu gewährleisten. Wir blicken den Tatsachen ins Auge und sorgen dafür, dass Rücklagen für den Zeitrahmen von circa 2030 bis 2055 angelegt werden, damit der Beitragssatz für die Arbeitnehmer auch in diesen Jahren, die aus demografischer Sicht in Zukunft sicher die problematischsten Jahre sein werden, stabil und bezahlbar bleibt. Um die Patienten besser vor Infektionen in Krankenhäusern und bei medizinischen Behandlungen zu schützen, haben wir in das Infektionsschutzgesetz zusätzliche Regelungen für die Hygienevorschriften und die Überprüfung ihrer Anwendung aufgenommen. Darüber hinaus werden Maßnahmen zur besseren Überwachung des Verbrauchs von Antibiotika und Prävention gegen resistente Erreger eingeführt. ({6}) Die Fortschritte und Innovationen der Transplantationsmedizin müssen möglichst vielen Betroffenen, die auf ein Spenderorgan warten, zugänglich gemacht werden. Mit der Änderung des Transplantationsgesetzes verbessern wir die Voraussetzungen hierfür, damit sich mehr Menschen für eine Organspende entscheiden und sich die Wartezeiten durch bessere organisatorische Strukturen verkürzen. Wir modernisieren die veralteten und zum Teil jahrzehntealten Verordnungen, nach denen Heilberufler, Ärzte, Zahnärzte und Apotheker zurzeit noch arbeiten müssen. Wir passen diese Grundlagen dem medizinischen Fortschritt und den neuen Methoden an. Diese Regelungen wurden über viele Jahre unter der SPD-Ägide im BMG verschleppt. Sie vermochten es nicht, die entsprechenden Verordnungen zu modernisieren. Wir beschließen jetzt Neufassungen für zentrale Bestimmungen, Novellierungen von GOZ und GOÄ, der Approbationsordnung, die Apothekenbetriebsordnung und des Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen. Wir bringen außerdem das lang erwartete Patientenrechtegesetz auf den Weg, ({7}) das bei mehreren Anläufen in den letzten Jahren schon im Vorfeld an der Frage der Zuständigkeiten von BMJ und BMG scheiterte. Es wird die Rechte der Patienten, die zurzeit in vielen verschiedenen Gesetzen geregelt sind, für die Patienten und Ärzte übersichtlich machen und eine Hilfe für die Wahrnehmung ihrer Rechte bieten. Jedem Patienten und jedem, der in unserem Gesundheitssystem Verantwortung trägt, muss daran gelegen sein, bewährte Strukturen der zahnärztlichen und ärztlichen Versorgung so weit wie möglich zu erhalten und dem Ärztemangel entgegenzuwirken. Die ambulante Versorgung in unserem Gesundheitssystem basiert auf hohem persönlichen Engagement der freiberuflichen Heilberufler und auf ihrer Eigenverantwortung und Unabhängigkeit, die ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Patienten begründen. Deshalb wollen wir mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz im kommenden Jahr eine Reihe von Maßnahmen einführen, um junge Ärztinnen und Ärzte verstärkt zur Niederlassung auf dem Land und in strukturschwachen Regionen zu motivieren. Ziel von CDU und CSU in der Koalition ist es, die Rahmenbedingungen für die freiberuflichen Ärzte, Zahnärzte und Apotheker ebenso wie für alle im Gesundheitswesen Tätigen so zu gestalten, dass sie ihrer besonderen persönlichen Verantwortung gegenüber den Patienten gerecht werden können. Unsere Prämisse lautet: Der Kostendruck im Gesundheitswesen, der sich in einer älter werdenden Gesellschaft zweifellos verstärken wird, darf nicht zu rein merkantil bedingten Patientensteuerungen, Qualitätsverfall oder Billigversorgung füh14680 ren. Um die freiberufliche und damit unabhängige Struktur der Heilberufe zu erhalten, ist es unbedingt zu vermeiden, unerwünschten Kartellbildungen oder Konzentrationen auf lukrative Behandlungsbereiche Vorschub zu leisten. Diesem Grundsatz haben wir mit der Festlegung, dass Medizinische Versorgungszentren unabhängig bleiben müssen, und mit der Novellierung der Gebührenordnung im Bereich der Zahnmedizin, die jetzt vor ihrem Abschluss steht, Rechnung getragen. Mit dieser neuen Gebührenordnung ist es uns gelungen, die bewährten Grundprinzipien, bei denen die freie Arztwahl an oberster Stelle steht, in unserem Gesundheitswesen für alle Beteiligten zu erhalten. ({8}) Als Nächstes nehmen wir die Novellierung der GOÄ in Angriff. Diese ist, wie die GOZ auch, seit langem überfällig. Unsere Gesundheitspolitik geht zugleich auf gesellschaftliche und demografische Veränderungen in der Bevölkerung sowie in der Ärzteschaft ein. Wir müssen uns der Herausforderung stellen, dass aufgrund einer alternden Bevölkerung und einer Zunahme an Multimorbidität in der Bevölkerung in Zukunft ein deutlich verändertes Gesundheitswesen zur Verfügung stehen muss. Sämtliche Sektoren müssen daraufhin überprüft werden, ob die Sektorengeschlossenheit nach wie vor zu erhalten ist oder ob es - das ist mein Petitum - zu einer deutlich verbesserten Zusammenarbeit über die Sektorengrenzen hinweg kommen muss. Da darf es keine Besitzstände und keine Tabus geben. Da muss es einzig und allein darum gehen, den Patienten eine wohnortnahe, qualitativ hochgesicherte Versorgung zu gewährleisten. Das muss allerdings zu finanziell verantwortlichen Bedingungen geschehen. ({9}) Die Dinge, die wir bereits in den ersten zwei Jahren dieser Regierung auf den Weg gebracht haben, sind wegweisende Absichten. Wie ich bereits erwähnt habe, haben wir die Finanzierung auf sehr stabile, nachhaltige Füße gestellt. Wir haben für Einsparungen und neue Prinzipien des Arzneimittelzugangs gesorgt. Wir werden im nächsten Anlauf die Situation hinsichtlich der flächendeckenden Versorgung regeln und uns den Problemen der Pflegeversicherung stellen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das vor dem Hintergrund des jetzt zur Beratung stehenden Haushalts in guter Zusammenarbeit der Fraktionen mit dem BMG zum Wohle der Patienten und Versicherten in unserem Land leisten können. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke. ({0})

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! An dem Entwurf des Haushalts des Bundesministeriums für Gesundheit sind vor allem zwei Dinge bemerkenswert: Erstens ist die Veranschlagung eines hohen Aufkommens an Sponsorengeldern bemerkenswert. Mit 61,2 Millionen Euro steht das Gesundheitsministerium in dieser Hinsicht an der Spitze aller Ministerien. Darunter sind fast 27 Millionen Euro vom Verband der privaten Krankenversicherung. Da bleibt das ungute Gefühl, daran könnten Gegenleistungen geknüpft werden. Zeitgleich gab es tatsächlich folgende Zeitungsmeldung - Zitat -: Die Zukunft der privaten Krankenversicherung sieht nach Ansicht von fast zwei Dritteln der Versicherungsentscheider in den kommenden zwei Jahren gut aus. Es seien deutliche Zuwächse zu erwarten. Sie stützen ihre Prognose auf den Wegfall des Dreijahresmoratoriums, der den Wechsel von der gesetzlichen Krankenversicherung in die PKV wieder erleichtert. Seitdem hätten mehr als 10 000 gesetzlich Versicherte zusätzlich zur PKV gewechselt. - Für eine solch rettende Bluttransfusion kann man sich schon einmal erkenntlich zeigen. ({0}) Zweitens ist der deutlich über 70-prozentige Rückgang der Mittel für Präventionskampagnen bemerkenswert. Nun sind wir gegenüber solchen Kampagnen durchaus kritisch eingestellt, da Kampagnen nicht die Ursachen gesundheitlicher Ungleichheit beseitigen. Diese Kürzung vermittelt aber das Signal: Der Bund zieht sich aus der Gesundheitsförderung zurück. Und das ist aus unserer Sicht das falsche Signal. Im Übrigen entspricht das nicht dem Koalitionsvertrag, der auf diesem Gebiet einen Ausbau vorsah. Es ist Zeit für die Halbzeitbilanz der schwarz-gelben Koalition, obwohl man natürlich nicht genau weiß, ob diese bürgerliche Wunschkoalition, wie sie sich selbst genannt hat, die zweite Hälfte überhaupt übersteht. Der Koalitionsvertrag trägt den Titel: „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt“. Das ist ein hoher Anspruch, der mit der Realität der schwarz-gelben Gesetzgebung in den letzten zwei Jahren nichts zu tun hat; denn die Koalition gefährdet den gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und beschleunigt die Spaltung der Gesellschaft in viele Arme und wenige Reiche und Superreiche. Das gilt gerade auch für die Gesundheitspolitik. Statt die Solidarität zu stärken, hat die Koalition mit Einführung der Kopfpauschale einen Systemwechsel vollzogen. Die Versicherten werden in Zukunft alleine für weitere Ausgaben zur Kasse gebeten. Die Arbeitgeber werden geschont. Praxisgebühren und Zuzahlungen belasten die Patientinnen und Patienten zusätzlich. Der Ausstieg aus der Solidargemeinschaft und der Wechsel in die private Krankenversicherung wurden deutlich erleichtert. Mit dieser Koalition geht es auf dem Weg in die Zweiklassenmedizin schleunig voran, und das ist ein Skandal. ({1}) Obwohl bislang nur wenige Kassen Zusatzbeiträge erhoben haben, wirken diese Kopfpauschalen bereits heute. Wir wissen, dass die DAK rund 20 Prozent ihrer Mitglieder verloren hat. Die City BKK musste letztlich wegen der Abwanderung von Versicherten aufgrund von Zusatzbeiträgen Insolvenz anmelden. Die Bilder schlangestehender älterer Ex-City-BKK-Versicherter, die von anderen Kassen abgewimmelt wurden, sind uns allen noch präsent. Diese Beispiele vor Augen ist bei den Krankenkassen ein Wettbewerb zur Vermeidung von Zusatzbeiträgen ausgebrochen, der auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen wird. In ihrer Not nutzen die Kassen alle Möglichkeiten aus, um Leistungen einzuschränken. In diesem Sommer habe ich mehrere Erfahrungsberichte bekommen: Da wird der Krankentagegeldanspruch infrage gestellt, Rehamaßnahmen werden verzögert, Eltern-Kind-Kuren nicht genehmigt usw., usf. Im Kern läuft die Politik dieser Bundesregierung darauf hinaus, die wesentlichen Bereiche des Sozialstaates den Finanzmärkten auszuliefern. Das gilt für die Altersvorsorge, das gilt für weite Teile der Gesundheit, und das ist auch das Leitmotiv für die Einführung einer Kapitaldeckung bei der Pflegeversicherung. Sie öffnen diese Felder für die Geschäfts- und Profitinteressen privater Finanzinvestoren und liefern sie damit dem Finanzmarktgeschehen aus. Das erhält natürlich vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise eine ganz besondere Brisanz. Ideologischer Wegbereiter für diese Politik der Entsolidarisierung, der Entkernung des Sozialstaates, der Verherrlichung des Wettbewerbs und des Marktes, der Deregulierung in allen Bereichen, also genau der Politik, die uns in diese Finanzmarktkrise hineingeführt hat, war und ist die FDP. ({2}) Doch zum Glück gibt es - das ist ganz offensichtlich eine kollektive Weisheit in der Bevölkerung; denn dies wird dort glasklar so erkannt. Deshalb steht „FDP“ heute als Abkürzung für „Fast drei Prozent“, und das ist gut so. ({3}) - Ja, es trifft offensichtlich immer wieder. ({4}) - Da sind wir bei weitem noch nicht, Herr Lanfermann. ({5}) Begleitet wurde und wird diese Politik von einigen jungen Wilden in der Union, die in der Nachfolge von Friedrich Merz an den Glaubenssätzen des Neoliberalismus immer noch festhalten, obwohl sich dieser weltweit völlig blamiert hat. Die Linke hingegen verteidigt den Sozialstaat gegen Versuche der Aushöhlung und Zerstörung. Wir entwickeln Vorschläge, wie er solidarisch fortentwickelt werden kann. Das gilt für die Alterssicherung; das gilt aber auch für die Bereiche Gesundheit und Pflege. Mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung haben wir ein Konzept erarbeitet, das in eine völlig andere Richtung weist als das der Wettbewerbsund Deregulierungsfetischisten von Schwarz-Gelb. ({6}) Das Konzept haben wir im Rahmen einer ökonometrischen Studie durchrechnen lassen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der Beitragssatz zur Krankenversicherung kann auf Jahre hinaus konstant niedrig gehalten werden. Er kann bei sofortiger Umstellung von derzeit 15,5 Prozent auf 10,5 Prozent abgesenkt werden. ({7}) Auf Löhne und Gehälter sowie Renten müssten die Versicherten nur noch einen Anteil von 5,25 Prozent statt derzeit 8,2 Prozent zahlen. ({8}) Auch die Arbeitgeber würden einen Anteil von 5,25 Prozent statt bisher 7,3 Prozent zahlen. Das entlastet besonders personalintensive Unternehmen. ({9}) Versicherte mit einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze würden künftig gerecht in die solidarische Finanzierung einbezogen. Durch den niedrigeren Beitragssatz wären bis zu einem Einkommen von 5 800 Euro im Monat noch Entlastungen spürbar, die deutlich über denen der geplanten Steuersenkung von Wirtschaftsminister Rösler liegen. In der sozialen Pflegeversicherung besteht dringender Handlungsbedarf. Die Pflege muss teilhabeorientiert, selbstbestimmt und ganzheitlich werden und die Finanzierung langfristig gesichert sein. Die von uns in Auftrag gegebene Studie weist nach: Mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung kann das geschehen und der Beitragssatz unter 2 Prozent gehalten werden. Das schafft finanzielle Sicherheit und Spielraum für eine grundlegende Pflegereform. Durch die Bürgerinnen- und Bürgerversicherung hätten die meisten Menschen mehr Geld zur Verfügung, Geld, das vor allem bei den Beziehern von kleinen Einkommen fast vollständig in den Konsum fließt. Durch die höhere Kaufkraft stiege die Binnennachfrage, und über 500 000 Menschen zusätzlich kämen in Beschäftigung. Nun kommt häufig der Einwand - man kennt ihn ja -, die Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung sei verfassungswidrig. Dazu möchte ich Folgendes ausführen: In einer ganzen Reihe von Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, die Finanzierbarkeit des Sozialversicherungssystems stelle einen „überragend wichtigen Gemeinwohlbelang“ dar. Der Gesetzgeber sei unter der Prämisse des Gemeinwohls weitgehend frei, wie er die Sozialversicherung ausgestalte, um das Ziel der Finanzierbarkeit zu erreichen. Um den Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Gutverdienenden und Geringverdienenden, Alleinstehenden und Familien zu gewährleisten, könne der Gesetzgeber den Kreis der Pflichtversicherten so abgrenzen, wie er es für eine leistungsfähige Solidargemeinschaft erforderlich halte. Also, wenn die Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung nötig ist, um die finanzielle Stabilität der solidarischen Krankenversicherung zu erhalten, widerspricht das aus unserer Sicht nicht dem Grundgesetz. ({10}) Bisherige Eingriffe, Herr Lanfermann, in das Geschäftsfeld der privaten Krankenversicherung - Basistarif, Rückkehrrecht, allgemeine Versicherungspflicht, Einführung der verpflichtenden privaten Pflegeversicherung - wurden allesamt durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Doch jede Form der sozialpolitischen Regulierung stößt auf erbitterten Widerstand der Interessenvertreter der privaten Krankenversicherung, die ihre Gewinne gefährdet sehen; das ist klar. Angebliche Grundrechtsverletzungen auszurufen, ist eine der wesentlichen Verteidigungsstrategien der PKV-Lobby. Die Privatversicherten selber sehen das oft anders. ({11}) Viele haben genug von den immer höher steigenden Prämien und den Leistungsverweigerungen der privaten Versicherungsunternehmen. ({12}) Die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung ist sicher auch deswegen attraktiv, weil sie im Gegensatz zu allen bisherigen Vorschlägen der FDP tatsächlich für eine große Mehrheit der Einkommensbezieher - übrigens auch der Leistungsträger, Herr Spahn - deutlich mehr Netto vom Brutto lässt, weil sie Selbstständige sowie kleine und mittlere Unternehmen entlastet, weil sie eine deutliche Stärkung der Binnennachfrage bedeutet und weil sie positive Wirkungen auf die Sozialkassen und die Haushaltssituation hat. ({13}) Dies ist auch ein Beitrag gegen die augenblickliche Rezessionsgefahr. Jedes weitere Hineinsparen in die Krise, jeder weitere Rückgang der Einkommen wirkt krisenverschärfend, während die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung die Einkommenssituation vieler Haushalte deutlich stärkt und damit die Binnennachfrage ankurbelt sowie rezessionsdämpfend wirkt. ({14}) Wer das nicht sehen will, ist in seiner neoliberalen Ideologie wohl so verblendet, dass er gar nichts mehr sehen will, und gehört daher abgewählt. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zur Gesundheit gehört die Pflege; das haben Sie in Ihrer Rede ganz richtig erkannt. Aber wenn man sich die Pflegepolitik dieser Koalition anschaut, dann sieht man eigentlich nichts, ({0}) nichts außer einer totalen Orientierungslosigkeit, nichts außer einer totalen Zerstrittenheit ({1}) zweier ehemaliger Wunschpartner. ({2}) Ich muss wirklich sagen: Jegliche Substanz, mit der Sie vielleicht gestartet sind, ist von einem schwarz-gelben Loch aufgesogen worden. ({3}) Weil da überhaupt nichts zusammenpasst - da wird im Übrigen niemals etwas zusammenpassen -, verschleppen Union und FDP seit 2009 die notwendige Pflegereform. ({4}) Es sind nun zwei wertvolle Jahre voller leerer Ankündigungen, voller Pflegedialoge und voller Verzögerung verstrichen. Wir befinden uns im Jahr der Pflege. Das haben nicht wir erfunden; das wurde von Ihrem Ministerium erfunden. In diesem Jahr der Pflege, das bald um ist, ist nichts passiert, außer dass Sie sich pausenlos gegenseitig dementieren. Sie verschleppen diese Reform lustig weiter. Sie, Herr Minister, setzen jetzt - nicht vor zwei Jahren, sondern erst jetzt - erneut den Wissenschaftlichen Beirat zur Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes ein. Dieser Beirat wird nach Aussage seines Vorsitzenden Jürgen Gohde ungefähr zehn Monate brauchen, um die vielen offenen Fragen zu klären. Herr Bahr, Sie wussten doch ganz genau - wie Ihr Vorgänger Herr Rösler und wie wir alle hier im Raum -, dass es mindestens zehn Monate dauern würde, diese Fragen zu klären. Trotzdem ist vorher nichts passiert. Sie wollen sich einfach über die Zeit retten. ({5}) Aber, Herr Minister, Sie haben keine Zeit mehr. ({6}) Der Verzögerungsgrund ist natürlich, dass Sie sich bei der Finanzierung überhaupt nicht einig werden. Da spielen Sie seit Monaten nur noch Koalitionsmikado: ({7}) Wer sich bewegt, verliert. Im Koalitionsvertrag haben Sie noch einhellig den Einstieg in den Ausstieg aus der Solidarität und den Beginn der Privatisierung der Pflegeversicherung beschlossen. Die FDP wünscht sich auch weiterhin nichts sehnlicher als das. Doch einige Kolleginnen und Kollegen in CDU und CSU haben glücklicherweise bemerkt, dass sie das lieber doch nicht wollen. Ich wünsche Ihnen ganz herzlich: Bleiben Sie stark! So reiht sich jetzt eine absurde Idee an die nächste. Die CSU träumt von einem steuerfinanzierten Leistungsgesetz, über das übrigens aus gutem Grund seit Jahren keiner mehr spricht. Seit ein paar Tagen ist nun von einem superkomplizierten, superbürokratischen und superüberflüssigen Mischmodell die Rede, mit dem Sie irgendwie - ich betone: irgendwie - einen kollektiven und individuellen Kapitalstock miteinander verbinden wollen. Kein Mensch, Sie selbst übrigens auch nicht, weiß, wie das überhaupt funktionieren soll. Das wirft extrem viele fachliche und auch extrem viele rechtliche Fragen auf. Bitte ersparen Sie uns einen solch konzeptionslosen Mischmasch. Sie wollen doch nur mit heiler Haut aus der Nummer herauskommen. Das hilft aber nicht, wenn das Ergebnis nichts taugt. ({8}) Herr Bahr, Sie wollen noch in diesem September Eckpunkte vorlegen. Ich weiß - Sie haben uns das vor der Sommerpause gesagt -: Der Sommer ist noch lang, und der September ist noch lange nicht zu Ende. ({9}) Aber was soll denn bitte Ende September in diesen Eckpunkten stehen? ({10}) Dass Sie mit zwei Jahren Verspätung einen Beirat eingesetzt haben, dessen Ergebnisse diese Koalition dann nicht umsetzen wird? ({11}) Oder soll da drinstehen, dass Sie sich auch weiter wie die Kesselflicker über ein Finanzierungskonzept streiten und am Ende daran scheitern werden? Das haben die Pflegebedürftigen und die Pflegenden in diesem Land nicht verdient. Diese Menschen interessiert nicht, ob mindestens einer der Koalitionspartner - übrigens sehr berechtigte - Existenzängste hat. Diese Menschen wollen nicht die Aufkündigung der solidarischen Pflegeversicherung. Die überragende Mehrheit der Menschen will mehr Solidarität. Die Mehrheit will mehr Gerechtigkeit im System. Das erreichen Sie nur mit einem klaren Konzept, zum Beispiel mit unserem grünen Konzept der Pflege-Bürgerversicherung. ({12}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Ihre Koalition ist nicht mehr zu retten. ({13}) Dennoch: Schwarz-Gelb hat für die Menschen in diesem Land eine politische Verantwortung übernommen. Die Betroffenen erwarten genauso wie wir, dass Sie Ihrer Verantwortung endlich gerecht werden. Danke schön. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Heinz Lanfermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Scharfenberg, zuerst haben Sie gesagt, dass Sie nichts sehen. Ihre Rede hat aber auch bewiesen, dass Sie nichts wissen. ({0}) Sonst hätten Sie nicht spekuliert und würden die Geduld aufbringen, abzuwarten. ({1}) Es wurde doch angekündigt, dass wir noch im Sommer die Eckpunkte zur Pflegeversicherung vorlegen werden. ({2}) So hat der Minister es versprochen, und das werden wir auch halten. ({3}) Sie haben darauf hingewiesen, dass der Beirat in etwa zehn Monaten Ergebnisse vorlegen soll. Wir danken Herrn Gohde, dass er sich bereit erklärt hat, das, was nach dem Gutachten, das der Beirat erstellt hat, noch zu tun ist, zu liefern. Aber die Leitlinien muss natürlich die Politik vorgeben. Das hängt wiederum mit den Eckpunkten zusammen. ({4}) Deshalb tun Sie bitte nicht so, als würden Sie diesen Zusammenhang nicht erkennen, und lassen Sie uns das Stück für Stück abarbeiten. Ich danke dem Kollegen Koschorrek ausdrücklich dafür, dass er hier eine eindrucksvolle Liste dessen präsentiert hat, was diese Koalition in zwei Jahren schon geleistet hat. ({5}) Wenn Sie die magere Bilanz von sieben Jahren Rot-Grün damit vergleichen, sollten Sie sich nachträglich dafür schämen. ({6}) In sieben Jahren Rot-Grün ist bei der Pflegeversicherung gar nichts getan worden. Was die SPD angeht - Frau Ferner, es ist übrigens erstaunlich, wie man in sieben Minuten so viel Unwahres erzählen kann -: Sie haben in der Großen Koalition Ihren eigenen Koalitionsvertrag vier Jahre lang liegen gelassen, in dem Sie die Bildung einer Kapitalreserve versprochen hatten, um endlich für Generationengerechtigkeit zu sorgen. ({7}) Sie haben das nicht getan, weil Sie eine völlig falsche Vorstellung von den Privatversicherten haben. Stattdessen haben Sie verlangt, dass die Privatversicherten 900 Millionen Euro im Jahr an die soziale Pflegeversicherung überführen. ({8}) Da die Gesamteinnahmen nur 2 Milliarden Euro betragen, kann man sich leicht ausrechnen, dass dies die Zerstörung dieses Versicherungszweiges bedeutet hätte. ({9}) Aber das ist Ihnen ja sowieso vollkommen egal. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lanfermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Sie haben auch noch andere abenteuerliche Dinge erzählt, zum Beispiel, dass wir den Sozialausgleich verschoben hätten. ({0}) Den kann man aber gar nicht verschieben. Der wird nach dem Gesetz dann fällig, wenn ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag entsteht. Ein solcher ist aber nicht entstanden. Stattdessen liegen 2 Milliarden Euro auf der hohen Kante, die der Bundesfinanzminister bereits zur Verfügung gestellt hat und die Sie zum Teil wieder ausgeben wollen. ({1}) Ich will Ihnen deutlich machen, welchen Zustand der Finanzen wir vorgefunden haben, um auch Ihre diesbezüglich vorgetragene Unwahrheit ins rechte Licht zu rücken: Es gab keinen Überschuss. Was bei Übergabe des Hauses zählt, sind die Schätzungen für die nächsten zwölf Monate. Diese lagen bei minus 9 Milliarden Euro bis minus 11 Milliarden Euro, je nach Berechnung. ({2}) Wir haben diese Lücke beseitigt, und es war der lächelnde Herr Rösler, den Sie diesbezüglich nicht unterschätzen sollten, der der Pharmaindustrie zu deren großer Freude einige Milliarden Euro abgenommen hat; um es einmal ganz locker zu sagen. ({3}) Nachdem Ulla Schmidt es neun Jahre lang noch nicht einmal gewagt hat, dieses Problem anzugehen, haben wir mit dem Preisdiktat der Pharmaindustrie gebrochen und haben für faire Verhandlungen gesorgt, wie sie in der Marktwirtschaft in Deutschland seit Jahrzehnten offensichtlich funktionieren. Man kann sich nur an den Kopf fassen, wenn man sich vor Augen führt, dass ein Anbieter die Preise festgesetzt hat und die andere Seite, die soziale Krankenversicherung, diese zu zahlen hatte. Man kann Philipp Rösler nicht oft genug für seine Reform loben. Das war nicht nur ein Paradigmenwechsel, sondern etwas ganz Großartiges. ({4}) Außerdem haben wir, ob es Ihnen gefällt oder nicht, die Finanzierung verbessert. Darüber sind Sie sehr traurig, weil Sie wissen, dass Sie das gar nicht so schnell ändern könnten, wenn Sie eines fernen Tages einmal regieren. ({5}) - Sie sollten übrigens nicht immer so viel Redezeit dafür verschwenden, uns zu erzählen, dass Sie regieren wollen. Das sehen wir Ihnen ja an. Aber damit erreichen Sie Ihr Ziel noch lange nicht. Abgerechnet wird in zwei Jahren. ({6}) Wenn wir weiter so gute Gesetze machen wie in den ersten beiden Jahren unserer Regierungszeit, ({7}) zum Beispiel das Versorgungsstrukturgesetz, ({8}) auf das Sie schon neidisch sind, bevor es dieses Plenum überhaupt erreicht hat - jedenfalls haben Sie nichts dazu gesagt, was Hand und Fuß hat -, dann habe ich gar keine Sorge, dass der Bundesgesundheitsminister auch über den nächsten Wahltag hinweg im Amt bleibt. Die ersten 100 Tage im Amt hat er bravourös gemeistert: ({9}) Ehec-Krise gelöst und alle Gesetzesvorhaben vorangetrieben. Sie sind ja nicht dabei, wenn wir miteinander verhandeln. ({10}) Deswegen geht Ihnen die Fantasie durch. Ich kann Sie nur einladen, die Texte auch einmal zu lesen und dann konstruktiv im Gesundheitsausschuss mitzuarbeiten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Seifert das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Lanfermann, dass Sie uns zum x-ten Mal Ihre Spekulationsreserve aufschwatzen wollen, ist wirklich nichts Neues. Darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren: Wir brauchen sie nicht. Sie haben über die Pflege und die Gohde-Kommission, die Sie wieder einsetzen wollen, gesprochen. Sie haben erklärt: Die Politik muss Vorgaben dazu machen, was die Kommission an Ergebnissen liefern soll. Dann machen Sie doch einmal eine Vorgabe. Diese könnte darin bestehen, zu sagen: Wir brauchen einen neuen Pflegebegriff - so wie ihn die Gohde-Kommission definiert hat -, der die Teilhabe in den Mittelpunkt rückt und sich nicht nur an „satt, sauber, trocken“ orientiert. Dieser Pflegebegriff sollte Grundlage der zukünftigen Arbeit sein. Alles sollte daran ausgerichtet werden, wie er umgesetzt wird, wie Menschen, die Pflege brauchen oder vielleicht sogar inkontinent sind, am Leben teilhaben können. Wenn das die Aufgabe der neuen Gohde-Kommission ist, dann haben Sie eine gute Vorgabe gemacht. Dann geht es nicht nur darum, ob Sie eine Spekulationsreserve einrichten, sondern auch darum, wie Solidarität organisiert wird. Das wäre eine tolle Vorgabe. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Kollege, Sie haben einige Selbstverständlichkeiten gesagt; darauf brauche ich nicht einzugehen. Sie haben aber mit Ihrem Beitrag das Thema verfehlt, das vorhin Gegenstand war. Der Vorsitzende, Herr Gohde, hat selber gesagt: Es gibt einige Bereiche, die wir jetzt noch ausfüllen und konkretisieren müssen. ({0}) Das kann er tun. Sie wissen aber ganz genau, dass es in diesem Gutachten zur Umsetzung dieses Pflege- bzw. Pflegebedürftigkeitsbegriffes verschiedene Szenarien gibt, weil man das unterschiedlich machen kann, weil man auch sehen muss, wie viel Geld was kosten soll. Auch das müssen wir entscheiden. Deswegen gibt es natürlich Arbeit bezüglich der Umsetzung und der Ausgestaltung. Gleichzeitig müssen wir aber auch wissen, zwischen welchen Leitplanken wir uns bewegen sollen. Im Übrigen ist das gar nicht unsere Idee gewesen, sondern die Beteiligten in der Pflegeszene - das gilt auch für die Kranken- und Pflegekassen - haben selber gesagt: Wenn der Pflegebedürftigkeitsbegriff neu definiert wird, dann müssen bestimmte Dinge geändert werden, zum Beispiel Regularien neu formuliert werden. Wir alle, die damit zu tun haben, wissen: Das braucht seine Zeit. Deswegen ist die Ankündigung, dass man in etwa zehn Monaten diese Arbeit leisten will, sehr zu begrüßen. Man muss sich schon jetzt für diese Bereitschaft bedanken. Dieser Beirat wird nicht einfach dieselbe Arbeit weitermachen oder gar noch einmal machen, sondern diese Experten sind bereit, wie bei einer Rakete eine weitere Stufe zu zünden, um damit die ganze Pflege weiterzubringen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ewald Schurer für die SPDFraktion. ({0})

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal darf ich als Haushälter dem Herrn Minister meine Glückwünsche aussprechen, dass er erst14686 mals als Minister den Haushalt einbringen kann. Sie waren ja bereits in den vergangenen Jahren als Parlamentarischer Staatssekretär beteiligt. Ich darf mich auch beim Ministerium dafür bedanken, dass die Unterlagen für die Haushaltsberatungen umfänglich und rechtzeitig zur Verfügung gestellt wurden. Das ist immerhin schon eine Leistung. ({0}) So weit, so gut. Ich darf dem Herrn Minister attestieren, dass er mit einer Information richtig lag: Der für 2012 geplante Steuerzuschuss von 14 Milliarden Euro erreicht eine Höchstgrenze. Dieser Prozess wurde 2006 und 2007 begonnen. Seit 2009 fließen Steuerzuschüsse in den Gesundheitsfonds. Insoweit lagen Sie, fachlich gesehen, richtig. Die Rechtsgrundlage dafür findet sich in § 221 SGB V: Beteiligung des Bundes an Aufwendungen. Gemeinhin sagt man dazu: pauschale Abgeltung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Diese wurden dem Gesundheitswesen von der Politik übertragen. Aber dann hört es mit dem Wahrheitsgehalt auf - das tut weh -, weil Haushaltsberatungen nicht nur ein notwendiges Übel sind, das man irgendwie abspulen muss, Herr Bahr, sondern den Minister bei seinen inhaltlichen Ausführungen zu Wahrheit und Klarheit verpflichten. ({1}) Das habe ich im fachlichen Kontext vermisst. Herr Lanfermann, Sie müssten als alter Hase schon wissen, dass Haushaltsdebatten sich an der Richtschnur von Wahrheit und Klarheit zu orientieren haben. Neben diesen 14 Milliarden Euro haben wir einen materiellen Kern. Das sind die verbleibenden 483 Millionen Euro. Sie stellen nur 3,4 Prozent des Gesamthaushaltes dar, sind aber als materieller Kern sehr wichtig. Ich darf auch erwähnen, dass immerhin ein Fünftel von diesen 483 Millionen Euro, nämlich 92,3 Millionen Euro, durch Gebühren und Einnahmen gegenfinanziert sind, vor allen Dingen durch das BfArM. Weil wir in der Haushaltsdebatte sind, sei das noch angemerkt. Aber jetzt kommt der für mich als Haushälter bittere Moment. Dort, wo diese Bundesregierung inhaltlich gestalten könnte, tut sie es definitiv nicht. Das haben die Kolleginnen und Kollegen teilweise bereits aufgearbeitet und angerissen. Das gilt zum Beispiel bei der Prävention. Dort kürzen Sie bei den Titeln mit Programmcharakter. Sie haben auch keine Präventionsstrategie vorgelegt. Warum kürzen Sie bei dem wichtigen Feld der Prävention? Das ist meine Frage. Darauf haben Sie in Ihrer Rede keine Antwort gegeben. ({2}) Des Weiteren darf ich das so wichtige Thema HIV/ Aids nennen. Wir wissen, dass die Ansteckungsquoten nach wie vor auf hohem Niveau stagnieren. Sie haben hier nicht die Wahrheit gesagt. Sie haben die Aufklärungstitel um 1 Million Euro gekürzt. Das Programm zur Bekämpfung von HIV/Aids in Osteuropa haben Sie ganz und gar eingestellt. Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die schwierige Infektionskrankheit Aids ist das ein Skandal. ({3}) Das ist die Wahrheit, Herr Minister. Wissen Sie, wenn man Minister ist, muss man auch eine Messe lesen können und darf sich hier nicht wie ein Ministrant gerieren. Nichts gegen Ministranten; aber man muss eine Messe lesen können. Das sei Ihnen kurz vor dem Besuch des Papstes in diesem Hohen Hause ins Stammbuch geschrieben. Beim Thema Alkohol- und Zigarettenmissbrauch zeigt sich das gleiche Bild. Sie kürzen bei den Programmen zur Bekämpfung von Alkohol- und Zigarettenmissbrauch. Das ist wieder ein Bereich, bei dem man gestalten könnte. Sie können hier nicht gestalten, weil Sie die notwendigen Mittel eindampfen. Lassen Sie mich noch einmal über ein positives Moment reden. Es ist positiv, dass aus dem Bundesprogramm für Bildung und Forschung immerhin 7 Millionen Euro an das BMG gehen. Das ist schön. Meine Angst ist aber, dass diese Gelder wieder mal an die Industrie verhökert oder weitergeleitet werden, anstatt damit sinnvolle Programme für Kindergesundheit, für Arzneimittel- und Therapiesicherheit oder für die Pflege zu finanzieren. Ich bin gespannt, was Sie dort substanziell zu leisten in der Lage sind. Allerdings habe ich kein großes Vertrauen. Wie schon gesagt worden ist, hat Herr Rösler im Herbst letzten Jahres ein großes Programm für Pflege angekündigt. Es gibt die Beiräte. Das ist ja gut und schön. Die Kollegin hat es ausführlich ausgeführt. Es gibt aber keinerlei eigene Definition. Sie stochern mit der Stange im Nebel herum, was einen neuen und so wichtigen Pflegebegriff angeht. Wir wissen nur: Was kommen soll, wird die kapitalgedeckte Zusatzversicherung sein, und es wird zulasten der Versicherten gehen. - Das sind die Optionen, mit denen Sie hier ins Spielfeld schreiten. Dies ist keine große Leistung. Die Eckpunkte sind zum 23. September angekündigt. Was für einen Kalender haben Sie in der FDP oder im Ministerium? Für mich beginnt das Jahr am 1. Januar und nicht am 23. September. Auch das ist eine enorm schwache Leistung. ({4}) Dann versuchen Sie, sich da auf den Beirat herauszureden. Herr Lanfermann, wo sind wir denn? Beiräte gibt es überall. Sie bräuchten auch einen Beirat; das weiß ich. Das würde Ihnen persönlich sehr guttun. Nun komme ich zum Versorgungsstrukturgesetz. Es gibt endlich eine Vorlage aus dem Kabinett - aus der Sommerpause, vom August 2011. Immerhin haben Sie das geschafft. Reden wir aber über das, was wir bei der Versorgungsstruktur und einer Gesetzgebung brauchen. Erstens brauchen wir zunächst einmal eine Bedarfsplanung, die sich am Wohle der Patientinnen und Patienten orientiert. Zweitens brauchen wir einen Abbau von Unter- und gleichzeitiger Überversorgung im Lande. ({5}) Daran werden übrigens Geldgeschenke an Mediziner in keiner Weise substanziell etwas verändern. Drittens brauchen wir mehr medizinische Versorgungszentren - machen wir uns nichts vor; betrachten wir es ganz unideologisch - und pragmatische Lösungen für deren Trägerschaft. Unter anderem natürlich die Ärzte, aber auch Kommunen, Gebietskörperschaften und Krankenhäuser könnten mögliche Träger sein. ({6}) Viertens - daran kommen wir nicht vorbei - brauchen wir gestärkte Hausärzte, die als Lotsen die Patientinnen und Patienten im Gesundheitssystem leiten können. Zum Schluss möchte ich noch eine Aussage treffen. Was Sie im letzten Jahr abgeliefert haben, ist in der Tat ({7}) nichts anderes als Verzögerung und Verschlimmbessern der Situation, die wir bei Herrn Rösler vorgefunden haben. Sie zeigen nirgends auf, dass Sie ein Kompetenzzentrum sind. Ich erwarte von einem Gesundheitsministerium, dass es auch ein Kompetenzzentrum ist, das inhaltliche Lösungen anbietet und sie selbst in die Gesellschaft hineinträgt. Es reicht nicht, zu sagen: Warten wir ab, was der Beirat uns empfiehlt; dann haben wir auch eine Meinung. So kann es nicht gehen. Sie liegen weit unterhalb des Niveaus, das man von einem Ministerium verlangen kann. Damit komme ich zu meiner abschließenden Aussage: Die Risiken und Nebenwirkungen der FDP-Politik tragen alleine die Versicherten. Das ist bitter genug. In den nächsten zwei Jahren erwarte ich persönlich von Ihnen keine Aufhellung des getrübten Himmels. Ich erwarte, dass Sie versuchen, sich über die Zeit zu retten. Diese Zeit bedeutet, dass im September 2013 eine neue Ära beginnt: ohne Schwarz-Gelb wieder in Richtung Solidargemeinschaft und Bürgerversicherung für Pflege und Gesundheit. ({8}) Das ist der programmatische Ansatz, mit dem wir das hohe Leistungsvermögen in dieser Volkswirtschaft sichern. ({9}) Im Übrigen sind es nicht 3 Milliarden Euro, Herr Koschorrek, sondern 180 Milliarden Euro an GKV-Mitteln insgesamt und 250 Milliarden Euro im Jahr an Wertschöpfungsleistung in der Volkswirtschaft. Das ist eine Viertel Billion, und es sind 12 Prozent des volkswirtschaftlichen Volumens. Mittel, die in die Gesundheitswirtschaft fließen, bedeuten Wertschöpfung. Es sind nicht nur Kosten, sondern sie dienen der Gesundheit und der Entwicklung von Arbeitsplätzen. Das ist richtig.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schurer, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Erwartungen erfüllen Sie nicht. Das ist bitter. Das tut weh. Das ist, denke ich, beschämend. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Stephan Stracke hat nun für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schurer, an den Risiken und Nebenwirkungen und vor allem an den bitteren Pillen, die die SPD in den letzten Jahren verabreicht hat, vor allem was Ihre Verantwortung für das BMG angeht, kauen die Versicherten und Patienten immer noch. Wir sind dabei, entsprechende Maßnahmen durchzuführen, damit sich das wieder zum Positiven wendet. ({0}) Diese Koalition leistet insofern eine hervorragende Arbeit. Sie erfüllt sämtliche Herausforderungen, die an sie gestellt werden, auch in zeitlicher Hinsicht. Bleiben Sie gelassen! Wir kriegen das alles gut hin, insbesondere was die Pflege angeht. Zu Beginn dieser Legislaturperiode drohte der gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von bis zu 9 Milliarden Euro. Das war die Ausgangslage. Es ist uns gelungen, dieses gewaltige Defizit zu überwinden und das Blatt zu wenden. ({1}) Jetzt sprechen wir nicht mehr von Defiziten, sondern von einem Überschuss in der gesetzlichen Krankenversicherung. Beispielsweise wurde im ersten Halbjahr 2011 in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Überschuss von 2,4 Milliarden Euro erzielt. ({2}) Diese positive Entwicklung ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sie ist das Ergebnis harter Arbeit und richtiger Weichenstellungen vor allem dieser christlich-liberalen Koalition. ({3}) Nehmen Sie nur die Einnahmeseite bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie profitiert selbstverständlich von der positiven konjunkturellen Entwicklung. Dass diese Entwicklung so positiv ist, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass wir eine kluge Wirtschaftspolitik betreiben. Dafür steht diese Koalition mit ihren Entlastungen der Bürger und Unternehmen. ({4}) - Ja, ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Aber es ist nun einmal die Realität. Auch auf der Ausgabenseite hat sich vieles zum Positiven gewendet. Vor allem das Arzneimittelsparpaket wirkt sich entsprechend aus. Seit Jahren müssen wir einen ungebremsten Ausgabenanstieg im Arzneimittelbereich erleben. Uns ist es gelungen, zu Ausgabensenkungen zu kommen. Erstmals ist ein Rückgang um 6,3 Prozent zu verzeichnen. Das bedeutet für die Krankenkassen eine monatliche Entlastung von 100 Millionen Euro. Wer von Ihnen, werte Opposition, hat das jemals hinbekommen? Außer in weinseligen Runden zusammenzusitzen, kam wenig heraus. ({5}) Wir machen das als christlich-liberale Koalition insbesondere, indem wir den Pharmarabatt eingeführt haben. Die Pharmaindustrie leistet nun erstmals einen echten Sparbeitrag. Das haben wir durchgesetzt. ({6}) Am Anfang der Legislaturperiode mussten wir notgedrungen viele kurzfristige Maßnahmen durchsetzen. Diese hatten viel mit dem drohenden Milliardendefizit zu tun. Es ist gelungen, dieses abzuwenden. Jetzt können wir uns Strukturfragen zuwenden. ({7}) Zur Skizzierung der Ausgangslage sei ganz kurz angemerkt: Es ist eigentlich eine banale Erkenntnis, dass es die demografische Entwicklung und der medizinischtechnische Fortschritt sind, die die Strukturen und die finanziellen Grundlagen unseres gesetzlichen Krankenversicherungssystems maßgeblich prägen und auch weiterhin prägen werden. Deswegen gibt es in der Gesundheitspolitik kein Weiter-so. Darüber besteht allgemeiner Konsens in diesem Hohen Hause. Darauf beschränkt sich aber auch der Konsens. Die Rezepte der Opposition - schauen Sie sich die Vorschläge insgesamt an - bestehen in mehr Staat, mehr Regulierung und mehr Planwirtschaft. Das alles hat keine Zukunft. ({8}) Dies hat die Vergangenheit gezeigt. Wir betreiben seit 30 Jahren - insbesondere unter der Regentschaft von Ulla Schmidt von der SPD war dem so - eine Ausgabenbegrenzungspolitik. ({9}) - Das waren auf jeden Fall gefühlte 30 Jahre. - Trotz der Begrenzung von Ausgaben, trotz Budgetierung und trotz Leistungsverringerung sind die Beiträge immer weiter gestiegen. Dieser Weg kann daher nicht weiter beschritten werden. Deshalb haben wir diesen Weg verlassen. Wir brauchen keine Planwirtschaft und keine Staatsmedizin, wie Sie es wollen, sondern wir brauchen mehr soziale Marktwirtschaft. Kernelemente dieser sozialen Marktwirtschaft sind mehr Wettbewerb und Transparenz; denn mehr Transparenz und Wettbewerb führen zu höherer Effizienz und höherer Qualität. Das ist unser Ansatz. Diesen Ansatz machen wir in unserer gemeinsamen Politik deutlich. ({10}) Nehmen wir das Arzneimittelneuordnungsgesetz. Einige Kollegen haben es angesprochen. Wir haben zum ersten Mal das Preismonopol der Pharmaindustrie gebrochen. Das bedeutet für die Versicherten eine Entlastung von jährlich rund 2 Milliarden Euro. Dafür können wir uns loben, und auch Sie dürfen uns dafür loben, weil das den Versicherten nützt. ({11}) - Ich weiß, dass die das nicht hinbekommen, aber anständig wäre es auf jeden Fall. - Jetzt müssen die Hersteller beweisen, dass ihre neuen Arzneimittel tatsächlich einen zusätzlichen Nutzen haben. Daran orientiert sich von nun an die Preisfindung; denn wir wollen tatsächlichen Fortschritt bezahlen und nicht bloß versprochenen. Das verstehen wir unter Transparenz und Wettbewerb. Aber zum Wettbewerb gehört auch Fairness. Deswegen erwarten wir, dass die Parteien bei der Nutzenbewertung fair miteinander umgehen. Dazu gehört, dass der gesetzlich verankerte Beratungsanspruch der Hersteller nicht ins Leere läuft, sondern in der Praxis gelebt wird. ({12}) Beratung heißt Dialog, heißt Austausch und nicht Monolog auf dem Schriftwege. Ich erwarte, dass der Gemeinsame Bundesausschuss diesem Gesetzeswillen Rechnung trägt und ihn nicht unterläuft. ({13}) Transparenz und Wettbewerb prägen in Zukunft nicht nur den Arzneimittelmarkt, sondern auch die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Zusatzbeiträge entfalten erstmals ein echtes Preissignal. Jetzt kann der Versicherte auf Euro und Cent genau erkennen, was ihn die Krankenversicherung kostet. Damit haben wir zusätzlich ein Wettbewerbselement eingefügt. Keiner, insbesondere keiner von der Opposition, hat für möglich gehalten, dass dieses Element eine solche wettbewerbliche Wirkung entfaltet. Ich halte das insgesamt für gut, weil das dem Gesundheitswesen guttut. Zum Wettbewerb gehört aber auch die Möglichkeit des Scheiterns. Die Insolvenz der City BKK zeigt das. Das muss man akzeptieren. Man muss allerdings auch die Rahmenbedingungen akzeptieren. Das heißt, dass die Versicherten zu Recht erwarten dürfen, dass sie das Solidarsystem in einem solchen Fall auffängt. Das Schauspiel, das einzelne Krankenkassen aufgeführt haben, war daher schlicht und ergreifend unwürdig. Das war unanständig. ({14}) Deswegen werden wir diesbezüglich zu Veränderungen kommen und die Befugnisse der Aufsichtsbehörden erweitern. Wir werden dabei bis zum Mittel der Amtsenthebung von Vorstandsmitgliedern bei grober Pflichtverletzung greifen. ({15}) Neben den strukturbestimmenden Merkmalen von Wettbewerb und Transparenz geht es in Zukunft auch darum, die Gesundheitspolitik immer wieder an der konkreten Versorgungssituation der Patienten zu messen. Maßstab muss die erlebte Versorgungsrealität der Patienten mit ihren Bedürfnissen, Sorgen und Ängsten sein. Genau das greifen wir auf. Ziel muss es sein, dass wir weiterhin eine hervorragende Gesundheitsversorgung flächendeckend, wohnortnah und bedarfsgerecht gewährleisten. Dazu verändern wir die Rahmenbedingungen, auch die der Leistungserbringer. Das ist aber nie Selbstzweck, sondern dahinter steht immer das Ziel, eine noch bessere Versorgungsqualität der Patienten zu erreichen. Viele Menschen haben einfach die Sorge, dass sich die medizinische Versorgung auf dem Land verschlechtert. Ich komme aus dem Allgäu, einem wunderschönen Landstrich. Dort liegt der Versorgungsgrad bei 110 Prozent. Dazu würden Sie sagen: Alles wunderbar, alles prima. Wenn man aber einmal genau hinschaut, etwa bei den Hausärzten, stellt man fest, dass beispielsweise in einem Landkreis meines Wahlkreises fast ein Drittel der Hausärzte über 60 ist. Ich weiß, dass diese - wunderschöne - Region für Deutschland sicherlich nicht repräsentativ ist; dennoch zeigt sie eine gewisse Entwicklung auf. Deswegen ist es richtig, den Bedarf vom Patienten her zu denken. Genau das tun wir, indem wir zum Ausgangspunkt unseres Versorgungsstrukturgesetzes den tatsächlichen Bedarf der Menschen machen. Was heißt das? Wir geben mit unserem Versorgungsstrukturgesetz den Ländern mehr Mitwirkungsrechte. Regionale Besonderheiten können künftig besser berücksichtigt werden. Wir müssen hierbei auch darauf achten, dass die Balance gewahrt bleibt. Es darf nicht so sein, dass derjenige, der bestellt, ein anderer ist als derjenige, der die Rechnung bezahlt. Darauf, dass es hier nicht zu Disparitäten kommt, achten wir. Junge Mediziner haben vor allem die Sorge, dass sie doppelt bestraft werden, gerade in unterversorgten Gebieten. Zum einen haben sie dort mehr Arbeit, mehr Patienten und einen höheren Aufwand, und zum anderen verdienen sie im Einzelfall weniger, weil unser Honorarsystem mehr Leistung eher bestraft als belohnt. Hinzu kommt die Angst vor Regressen. Das gehen wir an, indem wir die Niederlassung attraktiver gestalten. Das geht nicht mit planwirtschaftlichen Elementen, wie viele es sich vorstellen. Eine Landverschickung per Gesetz wird nicht funktionieren. Wir setzen auf Anreize: Mengenabstaffelung, Abbau von Regressängsten und vor allem Regionalisierung der Honorare. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Koalition hat in den vergangenen beiden Jahren gute Arbeit geleistet. Wir haben jetzt einen guten, einen hervorragenden Minister. Daher werden wir all den Herausforderungen voll und ganz gerecht werden. Seien Sie versichert: Diese Koalition tut Deutschland gut. Das werden wir tagtäglich zeigen. Herzlichen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Birgitt Bender hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorherige Gesundheitsminister sah eines Tages die Chance, seine Partei zu retten, indem er ihren Vorsitz übernahm. Ob ihm das geholfen hat, sei dahingestellt. Dabei war ihm das Gesundheitsressort offensichtlich lästig, und er hat es flugs hingeworfen. Angekündigt hat er dann: Ab jetzt wird geliefert. Man sollte annehmen, das habe sich auch auf die Gesundheitspolitik bezogen und sei dementsprechend Ihre Aufgabe, Herr Minister Bahr. ({0}) Nun haben wir schon gehört, dass jedenfalls in der Pflege gar nichts außer dem Modell „lange Bank“ geliefert wird. Da ist also schon einmal nichts mit Lieferung. ({1}) Es hat sich nämlich gezeigt, dass das, was die FDP so gerne als Lösung hätte - die private Zusatzzwangsversicherung als neuen Markt für die PKV -, auch bei CDU und CSU Stirnrunzeln hervorgerufen hat - zu Recht. Nun fällt Ihnen gar nichts mehr ein, und deswegen passiert nichts. In anderen Bereichen sieht es so aus, als ob Sie lieferten; aber in der Verpackung ist nicht das, was Sie versprechen. Angeblich haben wir jetzt den Entwurf eines Landärzteförderungsgesetzes auf dem Tisch liegen. Was enthält es für die Landärzte? Es wird versprochen, dass die Honorarregelung, die dazu führt, dass das Honorar desjenigen, der besonders viele Patienten behandelt, am Ende niedriger ausfällt, aufgehoben wird. ({2}) - Nein, ich bin nicht dagegen. ({3}) Aber wissen Sie, werter Herr Kollege Lanfermann, wie viele Ärztinnen und Ärzte das zurzeit betrifft? Es sind exakt 37. ({4}) 37 Ärztinnen und Ärzte werden von dieser Regelung profitieren. Das soll eine Förderung der Landärzte sein? ({5}) Was passiert stattdessen? Es ist ja nicht so, als würden Ärzte nicht profitieren. Schauen wir einmal einen Moment lang zurück: In der Zeit von 2007 bis 2010 ist das ärztliche Honorarvolumen um rund 4,3 Milliarden Euro gestiegen. ({6}) In diesem Jahr kommt noch einmal 1 Milliarde Euro hinzu. Wenn das Versorgungsgesetz tatsächlich so kommt, dann erhalten die Ärzte noch einmal 600 bis 800 Millionen Euro und die Zahnärzte noch einmal 400 Millionen. Dass bei der spezialisierten fachärztlichen Versorgung die Steuerungsinstrumente hinsichtlich Menge und Qualität gleich vom Tisch gewischt werden, kostet noch einmal zusätzlich eine halbe Milliarde Euro. Das heißt, ab 2013 haben wir dann wiederum Mehrkosten von 2 Milliarden Euro, die bei der Ärzteschaft ankommen und dann die Startrampe für weitere Honorarverhandlungen für die nächsten Jahre bilden. Das nenne ich ein Ärztebeglückungsgesetz. ({7}) Nur hat das mit der Förderung des ländlichen Raums und der gesundheitlichen Versorgung dort rein gar nichts zu tun. ({8}) Bezahlen werden diesen Goldrausch die Versicherten. ({9}) Sie haben ja dafür gesorgt, dass jede weitere Kostensteigerung einseitig in Form von Zusatzbeiträgen bei den Versicherten abgeladen wird. Nun ist Ihnen offenbar auch aufgegangen, dass man denen wenigstens versprechen müsste, dass die Versorgung sich verbessert. Da haben Sie dieser Tage einen Joker aus dem Ärmel gezogen, der hieß: Wir verbessern den Zugang zum Facharzt für die GKV-Versicherten; die kriegen schneller einen Termin. - Das hörte sich glatt so an, als würden Sie einen Praxiskalenderüberwachungsinspektor hinter jeden Arzt setzen wollen; eine besonders kluge Idee. ({10}) Als Ihnen das aufgegangen ist, haben Sie den Vorschlag gleich wieder eingesammelt. Aber was Sie nicht tun, ist, das Problem, das es ja gibt, nämlich dass die gesetzlich Versicherten je nach Region und je nach Facharztgruppe deutlich länger auf einen Termin warten als die Privatversicherten, von der Wurzel her anzugehen. ({11}) Es ist für Ärzte nun einmal ökonomisch rational, dass sie diejenigen vorziehen, für deren Behandlung sie besser bezahlt werden. Deswegen muss man das ändern und die Ärztinnen und Ärzte gleichermaßen für die Behandlung bezahlen. Die Kosten für die Behandlung dürfen sich nicht nach dem Versicherungsstatus der Patienten richten, sondern nach der Krankheit, die diese haben. Wir brauchen eine einheitliche Honorarordnung. ({12}) Wir brauchen auch gleiche Spielregeln. Das ist der Weg zur Bürgerversicherung. Genau das wollen Sie nicht. ({13}) Was wir auch brauchen, ist eine vernetzte Versorgung. Da, wo nämlich Haus- und Fachärzte und möglichst noch andere Gesundheitsberufe zusammenarbeiten, im MVZ, bei den Hausarztverträgen, in der integrierten Versorgung, da klappt es auch mit der Terminvergabe. Da braucht man nicht irgendwelche Sanktionsmechanismen. Aber genau daran krankt es doch. Sie haben nur wieder die ärztliche Einzelpraxis im Blick und dass es so weitergehen soll wie bisher. Sie denken nicht daran, dass eine gut strukturierte Versorgung eine vernetzte Versorgung ist und auch eine Versorgung, bei der die Allzuständigkeit der Ärzte aufgehoben wird und auch einmal anderen Gesundheitsberufen mehr Verantwortung zugetraut und zugemutet wird, wodurch die Patienten bessergestellt werden, so wie das in anderen Ländern auch der Fall ist. ({14}) Kurz gesagt: Hier wird nichts anderes abgeliefert als die alte Klientelpflegepolitik, und damit hat dieser Gesundheitsminister gar nichts abgeliefert. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vergleicht man den Bundeshaushalt mit einem Haus, dann ist das Ressort Gesundheit sicher nicht das Fundament oder das wichtigste Geschoss, sondern das Ressort Gesundheit hat eine ganz andere, besonders wichtige Funktion, nämlich dafür zu sorgen, dass es lebenswert ist, in diesem Haus zu leben und in diesem Haus gesund zu bleiben, vom Kind bis zum Greis. 70 Millionen Versicherte in unserem Land: Das steht hinter diesem Haushalt. Diesem Anspruch werden wir mit allen Maßnahmen gerecht, die wir für diesen Haushalt vorbereitet haben und die wir in diesem Haushalt umsetzen. Dadurch ist die Gesundheitswirtschaft natürlich auch ein bedeutender Wirtschaftszweig in unserem Land. 4,3 Millionen Menschen erwirtschaften 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. ({0}) Wir lesen zurzeit in den Medien, dass sich die Gesundheitswirtschaft weltweit verdreifachen wird. Zu Recht haben der Bundesgesundheitsminister und der Bundeswirtschaftsminister die Gesundheitswirtschaft für die nächsten Jahre und Jahrzehnte als wichtiges Exportangebot erkannt. Diese Entwicklung ist jedoch kein Selbstläufer. Sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Es ist notwendig, an den Konzepten und an der Richtung, die wir zur langfristigen Finanzierung des Gesundheitssystems und zur kurzfristigen Sicherung der Haushalte eingeschlagen haben, festzuhalten. Der Etat im Haushalt des Bundes ist von 1 Milliarde Euro im Jahr 2004 auf nunmehr über 14 Milliarden Euro aufgewachsen. Er fällt 2012 allerdings um circa 2 Milliarden Euro geringer aus als in den beiden vorhergehenden Jahren, und zwar ganz einfach deshalb, weil in diesem Jahr keine Stützung des Gesundheitsfonds notwendig ist. Das liegt daran, dass wir einen hervorragend florierenden Arbeitsmarkt haben und wir die Arbeitslosigkeit deutlich reduzieren konnten. ({1}) Das haben wir unseren fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verdanken. Das haben wir unseren Tarifpartnern zu verdanken, die vernünftig gehandelt haben. Das haben wir einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, aber auch einer vernünftigen Gesundheitspolitik zu verdanken. ({2}) Wir haben die Arbeitgeberbeiträge festgeschrieben, um Arbeitsplätze zu erhalten. Wir haben die Beiträge in der Krise reduziert. ({3}) - Wir haben sie in der Krise reduziert. ({4}) Von den 14,5 Milliarden Euro, die wir im Haushalt veranschlagt haben, investieren wir 14 Milliarden Euro in versicherungsfremde Leistungen und in eine angemessene Steuerbeteiligung zur sozialen Abfederung von Zusatzbeiträgen. Auch die Sofortmaßnahmen, die wir notwendigerweise ergreifen mussten, weil ein Defizit von 11 Milliarden Euro zu erwarten war, haben Wirkung gezeigt. Die Sparpakete im Arzneimittelbereich haben Wirkung gezeigt. Wir haben schon wenige Monate nach Übernahme der Regierungsverantwortung mit dem GKV-Änderungsgesetz die Zwangsrabatte erhöht. Dadurch spart die GKV 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ein. Hinzu kommen seit dem 1. Januar 2011 durch das AMNOG weitere 2 Milliarden Euro im Jahr. Die Auswirkungen sind also deutlich sichtbar. Die Medien, die das im vergangenen Jahr noch kritisiert haben, müssen heute eingestehen - sie tun dies teilweise auch -, dass wir sinnvolle und richtige Maßnahmen ergriffen haben. ({5}) Gegenüber dem ersten Halbjahr 2010 hat sich im Jahr 2011 die Gesamtsituation der GKV um 2,3 Milliarden Euro verbessert. Im ersten Quartal 2011 konnten allein die Arzneimittelausgaben um 5 Prozent reduziert werden. Der Schätzerkreis der gesetzlichen Krankenversicherung erwartet, dass es zum Ende dieses Jahres eine Liquiditätsreserve in Höhe von 6,9 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds geben wird. ({6}) Diese Liquiditätsreserve brauchen wir allerdings auch. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat im Juni 2011 eingeräumt, dass das AMNOG keine negativen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der Gesundheitsbranche hat. Das AMNOG war demnach nicht nur im Interesse der Beitragszahler, sondern stellte umgekehrt auch keinen Schaden für die Industrie in unserem Land dar. Auch das GKV-Finanzierungsgesetz, das zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, hat die Einnahmen und die Ausgaben der GKV stabilisiert. Mit Beiträgen, die sich auf dem Niveau von vor der Krise bewegen, mit der Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge und mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich wird niemand überfordert, ({7}) und es entsteht eine Knautschzone für die gesetzlichen Krankenkassen. Kurzum: Wir haben langfristige und wir haben kurzfristige Verbesserungen erzielt, ohne in den Leistungskatalog einzugreifen und ohne Priorisierungen vorzunehmen, wie dies in anderen Ländern teilweise üblich ist. ({8}) Es zeigt sich allerdings auch, dass die Arbeit in diesem Bereich nicht ausgehen wird. Weitere Vorhaben sind für 2011/2012 in der Pipeline: Ich rede vom Versorgungsstrukturgesetz. Ich rede von einer zielgenaueren ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum. Liebe Frau Bender, das soll nur 37 Ärzte betreffen? Dazu kann ich nur sagen: Wenn die neu definierten statistischen Vorgaben erst einmal gelten, dann werden diese 37 Ärzte allein in meinem Wahlkreis sein. ({9}) Das wird ein großer Wurf im Sinne einer Verbesserung der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum werden. ({10}) Zudem werden wir mit diesem Gesetz eine bessere Verzahnung zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich herbeiführen. Außerdem werden wir für mehr Transparenz sowie für mehr Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sorgen, nicht im Bundeshaushalt - da sind diese gegeben -, sondern in den Abschlüssen der gesetzlichen Krankenversicherung ab 2014, damit die Versicherten die Zahlen ihrer Krankenversicherung einsehen können. Persönlich sehe ich Handlungsbedarf auch in dem größten Bereich in der gesetzlichen Krankenversicherung, nämlich im Krankenhausbereich. Auch dort sehe ich die Notwendigkeit, nachzujustieren. Das DRG-System hat sich bewährt. Der Begleitbericht, den wir im Frühjahr hier debattiert haben, bestätigt dies. Trotzdem gibt es an der einen oder anderen Stelle Disparitäten, weil der Preis nicht am Markt gebildet wird, was wir auch nicht wollen. Aber deswegen ist es nötig, dass wir vonseiten der Politik eingreifen. Wir haben, regional unterschiedlich, zu viele Krankenhausbetten und zu viele Pflegetage. Hier hat die Landesplanung teilweise versagt. Deswegen werden wir die Vorschläge, auch der Krankenkassen, die auf dem Tisch liegen, prüfen, um für mehr Qualität zu sorgen, auch dort, wo Leistungen angeboten werden, die manchmal vielleicht auch deswegen angeboten werden, weil sie das meiste Geld einbringen. ({11}) Ich sehe auch Handlungsbedarf, bei der Einführung der Psych-Entgelte in dieser Richtung vorzugehen. Die Weltgesundheitsorganisation bestätigt, dass in Deutschland 16 psychisch Kranke im stationären Bereich auf 1 000 Einwohner fallen. In den Niederlanden ist es ein Patient pro 1 000 Einwohner. Da kann etwas nicht stimmen. Es liegt mit Sicherheit daran, dass hier der ambulante und der stationäre Bereich - ich habe es bereits erwähnt - nicht so verzahnt sind, wie es notwendig wäre. Deswegen müssen wir, wenn wir das Psych-Entgeltsystem einführen, darauf achten, mittelfristig die psychiatrischen Institutsambulanzen in die neuen Entgeltüberlegungen mit einzubeziehen und das Mittel der integrierten Versorgung, das es ja bereits gibt, noch intensiver zu nutzen, als es bisher der Fall ist. Bemerkenswert an diesem Bundeshaushalt ist auch, dass 26,4 Milliarden Euro - das sind gerade einmal 8,4 Prozent - für Investitionen ausgegeben werden, Investitionen in Straße, Schiene, Klimaschutz, Küstenschutz und anderes, aber über 50 Prozent in Soziales inklusive der Gesundheit. Deswegen kann keine Rede von sozialer Kälte sein, wie es von der linken Seite angeklungen ist. Vielmehr ist es notwendig, dafür zu sorgen, dass wir diesen hohen Standard im sozialen Bereich halten können, indem wir investieren und dafür sorgen, dass wir vernünftige Verkehrsinfrastrukturen und insgesamt eine vernünftige Infrastruktur in unserem Land halten können. ({12}) Dieser Haushalt ist ein gutes Fundament auf dem Weg in eine generationengerechte Zukunft. ({13}) Es ist ein gutes System, und wir werden den Mut haben, den Sie sieben Jahre lang in der rot-grünen Koalition nicht gehabt haben, weitere Verbesserungen anzustreben und durchzuführen, damit wir auch in Zukunft sagen können, dass das Gesundheitssystem in Deutschland eines der besten der Welt ist und bleibt. Herzlichen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Bärbel Bas. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Minister Bahr, es ist, glaube ich, hinlänglich bekannt, dass Ihre Partei ein Lieferproblem hat. Allerdings gilt das auch für Sie, und das ist heute bereits angeklungen. Damit meine ich nicht nur die Pflegereform, sondern auch Ihre Präventionsstrategie bzw. das Präventionsgesetz, das Sie einführen wollen, und das Patientenrechtegesetz. All das haben Sie uns vor der Sommerpause versprochen. Bei einem Blick in den Kalender stellt man fest: Die Frist ist in 14 Tagen vorbei. Wir wollen sehen, was uns dann erwartet. Das einzige, was Sie bisher geliefert haben, ist dieser Haushaltsentwurf. Wie der Kollege Schurer bereits gesagt hat, stehen in dem Entwurf 14 Milliarden Euro Steuerzuschuss, die bereits in der Großen Koalition beschlossen waren. Ihr Gestaltungsspielraum erschöpft sich somit auf 7 Millionen Euro für Forschungsförderung. Zusammengekratzt haben Sie das Geld ausgerechnet aus ganz wichtigen Bereichen, nämlich bei der Förderung der Prävention, bei der Aidsaufklärung und bei der Kindergesundheit. Es ist sehr kurzsichtig, wenn Schwarz-Gelb gerade bei diesen wichtigen Bereichen kürzt. ({0}) Ich will deshalb das Thema Kindergesundheit noch einmal aufgreifen. Noch im Juni hat sich der Bundesgesundheitsminister mit den Erfolgen einer Strategie seiner Vorgängerin Ulla Schmidt als seine eigenen gebrüstet. Sie erinnern sich an dieser Stelle vielleicht noch an die kleine Plagiatsaffäre. ({1}) Möglicherweise wussten Sie schon damals, dass Sie den Haushaltsansatz für die Förderung der Kindergesundheit sowieso kürzen wollten; denn der Etat für die dringend notwendige Förderung der Kindergesundheit - das haben Sie als Minister gerade selber angesprochen lag 2011 bei 1,15 Millionen Euro, und im jetzigen Entwurf ist er heruntergefahren auf 650 000 Euro. Wie Sie sich hier hinstellen und sagen können: „Wir tun mehr für die Kindergesundheit“, kann ich persönlich nicht nachvollziehen. ({2}) Leider setzen Sie damit einen unseligen Trend der vergangenen zwei Jahre fort. Seit zwei Jahren erzählen Sie uns das Gleiche. Sie wollen kein Präventionsgesetz. ({3}) Gut, dieser Meinung kann man sein. Dann sollten Sie aber an Ihrer Präventionsstrategie arbeiten. Zu erkennen ist bislang überhaupt nichts, außer dass sie scheinbar so gut sein wird, dass Sie kein Geld mehr dafür brauchen werden; denn Sie sparen ja jetzt Jahr für Jahr bei der Prävention ein. ({4}) Das ist auch eine Strategie. Warten wir mal ab, was da kommt. Noch stehen 30 Millionen Euro für die Prävention zur Verfügung. Ein Blick ins Gesetz zeigt uns aber auch, dass dort schon einmal 41 Millionen Euro gestanden haben. Viele gute Programme und Kampagnen der Vorgängerregierung laufen jetzt aus. Anstatt dort anzusetzen und die Ideen, die bei Ihnen auf dem Tisch liegen, aufzugreifen und mit der Umsetzung zu beginnen, liefern Sie gar nichts. Im Gegenteil: Die Vorschläge, die wir bisher gehört haben, sind altbacken und überholt - und nicht nur die Fachwelt reibt sich verwundert die Augen. Schlimmer noch: Seit 2009 - dem Jahr Ihrer Regierungsübernahme - haben die Krankenkassen jedes Jahr weniger Geld für Prävention und Gesundheitsförderung ausgegeben. Diesem Trend setzen Sie nichts entgegen; stattdessen lassen Sie das Ganze einfach laufen und hören nicht auf die Aufforderungen, diese Vorschläge und Ansätze durchzusetzen. Alle Beteiligten warten darauf, dass endlich mehr für die Prävention getan wird. Das wäre langfristig eine vernünftige Strategie. ({5}) Der eigentliche Sprengsatz für die Gesundheitspolitik findet sich aber nicht in diesem Haushalt: das Versorgungsstrukturgesetz. Darüber haben wir bereits vorhin ausführlich diskutiert. Es bleibt festzustellen: Sie schlagen Irrwege ein, die kaum noch zu überbieten sind und die Sie überdies von Ihrem eigenen Bundesfinanzminister vor der Sommerpause bescheinigt bekommen haben. Daran will ich noch einmal erinnern; denn das war wirklich hervorragend. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, der Entwurf sei schlecht gemacht, die Wirksamkeit, die Sie hier gerade gepriesen haben, sei zweifelhaft und die Abschätzung der Folgen genüge nicht einmal den gesetzgeberischen Mindeststandards. ({6}) Das hat er Ihnen in Ihr Stammbuch geschrieben, und ich finde, da hat er recht. Wer nun gedacht hätte, der Gesundheitsminister würde sich dieser Kritik stellen, sie ernst nehmen, entsprechend nachbessern und - wie wir heute immer sagen liefern, sieht sich getäuscht. Stattdessen kaufen Sie sich beim Finanzminister frei. ({7}) Das muss man sich einmal genau anschauen: Die Ausgabenrisiken bei der ambulanten Versorgung sollen einfach durch den Beitragszahler gedeckt werden. Genauer gesagt: Absehbare Mehrausgaben für die Honorierung von Vertragsärzten und die finanziellen Folgen der Abschaffung von Kostensteuerungsinstrumenten werden 2014 mit dem Steuerzuschuss für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds verrechnet. Eine ganz einfache Rechnung. Zur Liquiditätsreserve. Hatten Sie damit nicht etwas anderes vor? Ich erinnere an Ihren „Feigenblatt-Sozialausgleich“ für Ihre Kopfpauschale. Ich übersetze das einmal für die Versicherten, die mir hoffentlich auch zu dieser späten Stunde noch zuhören: Liebe Versicherte, der versprochene Sozialausgleich bei der Kopfpauschale ist gar nicht steuerfinanziert. Sie müssen ihn mit Ihren Beiträgen selbst bezahlen; denn das Geld hat Herr Bahr schon den Ärzten versprochen. Der Sozialausgleich, den Sie bekommen würden, wird mit dem Versorgungsgesetz schon verbraucht. ({8}) Man muss es deutlich sagen: Es wird nichts mehr für den ach so fairen steuerlich finanzierten Sozialausgleich übrig bleiben. Damit kann man endgültig sagen: Unter Ihren Sozialausgleich kann man einen Strich machen; das ist die Farce schlechthin und grenzt fast schon an Volksverdummung. ({9}) - Herr Lanfermann, ich hoffe, Sie haben das verstanden. ({10}) - Herr Lanfermann, wir werden uns da noch auseinandersetzen. Es wird genau so kommen, wie ich es angedeutet habe. Herr Bahr, letztendlich kann man sagen: Egal, wo man hinschaut, findet man nur offene Fragen und ungelöste Probleme. Sie entscheiden nicht, Sie schieben alles vor sich her und - ich erinnere an die Wartezeiten - sorgen für Verwirrung. Sie haben die Gesundheitspolitik nicht im Griff, und nicht nur das. Mein Fazit für Sie, Herr Minister: Sie brauchen nicht mehr zu liefern; Sie sind gesundheitspolitisch bereits geliefert. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Bas. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Alois Karl. Bitte schön, Kollege Alois Karl. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man in den letzten eineinhalb Stunden die Diskussion verfolgt hat, so meint man doch, manchmal herauszuhören, dass bei Ihnen ein gewisses Unverständnis für die Situation der letzten zwei Jahre herrscht. Wir haben in der Tat für eine sehr gute Entwicklung der Situation gesorgt. Uns sind Dinge geglückt, die Ihnen nicht geglückt sind. Ich meine, Sie sollten auch in den nächsten zwei Jahren gut aufpassen. Ich traue dem neuen Bundesgesundheitsminister zu, dass er außerordentlich gute Ergebnisse abliefern wird. Liebe Frau Bas, Ihre Rede hat nicht dazu beigetragen, uns weiterzubringen. ({0}) Ich muss schon sagen: Den Beginn der Rede habe ich schon wieder vergessen, den mittleren Teil habe ich nicht ganz verstanden, das Ende habe ich, wenn ich ehrlich bin, fast herbeigesehnt. ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern, dass Wolfgang Schäuble hier vor zwei Tagen den Bundeshaushalt in seiner Gesamtheit vorgestellt hat. Er hat darauf verwiesen, dass wir uns in einer außerordentlich stabilen Situation befinden: Die Ausgaben im Haushalt steigen so gut wie gar nicht. Wir führen die Konsolidierungsbemühungen fort. Wir stellen unseren Haushalt auf wirtschaftlich gesunde Beine. Niemand hätte gedacht, dass wir die Situation nach der Wirtschaftskrise vor zwei Jahren so schnell in den Griff bekommen und wir schon 2011, nicht erst 2013, unsere Arbeit erledigt haben. ({2}) Die Nachrichten sind gut: In Deutschland haben mehr Menschen als jemals zuvor Arbeit. Wir haben die wenigsten Arbeitslosen seit der Wiedervereinigung. Gerhard Schröder hatte 3 Millionen Arbeitslose versprochen; zum Schluss waren es 5 Millionen. Wir haben heute unter 3 Millionen Arbeitslose. Wir haben in der Tat dort geliefert - so haben Sie das gesagt -, wo andere bloß leeres Stroh gedroschen haben. ({3}) Wir sind glücklich darüber, dass wir das Haushaltsdefizit auf deutlich unter 3 Prozent herunterführen, dass wir die veranschlagten Schuldenbeträge, von denen wir zu Beginn der Legislaturperiode geglaubt haben, sie ausgeben zu müssen, in jedem Jahr dramatisch unterschritten haben. Das sind hervorragende Zahlen. Es ist zum Greifen nah, dass wir in der mittelfristigen Finanzplanung etwas erreichen, was es in Deutschland seit 40 Jahren nicht mehr gegeben hat, nämlich einen ausgeglichenen Haushalt. ({4}) Ich darf daran erinnern. Es war damals Willy Brandt 1969 in der sozialliberalen Koalition, der die Haushaltsdisziplin verlassen hat. Seinerzeit hat man den Wohlfahrtsstaat zum Maß der Dinge erklärt. Diese Haushaltsunethik hat ein Ende. Ich bin stolz darauf und froh darüber, dass wir als Mitglieder des Haushaltsausschusses nicht erst 2016, sondern vielleicht schon im Verlauf des Jahres 2014 mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2015 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können. ({5}) Der Haushalt des Bundesgesundheitsministers fügt sich in diese große Linie des Haushaltens, des KonsoliAlois Karl dierens und des Sparens ein und wird seinen Beitrag leisten. Wir sparen heute gegenüber dem letzten Jahr 1,3 Milliarden Euro, das sind 8,2 Prozent des Haushalts. Das kommt dadurch zustande, dass wir den Steuerzuschuss zum Gesundheitsfonds um 1,3 Milliarden Euro senken können bzw. keinen Sonderzuschuss geben müssen. Wir bezahlen die planmäßigen 14 Milliarden Euro und müssen nicht - wie in den letzten Jahren - Sonderzuschüsse geben. Das freut den Haushälter schon. Frau Ferner, Ihre Wortmeldung habe ich nicht ganz verstanden. ({6}) - Ja, Sie drücken sich in Ihrer Argumentation manchmal etwas undeutlich aus. - Man hat den Eindruck gehabt, als wäre ein Überschuss für Sie so etwas wie Teufelszeug. Ich bin der Meinung, dass wir dann, wenn wir sparsam und ordentlich wirtschaften, eigentlich gelobt werden müssten. ({7}) Überschüsse sind etwas Besonderes und etwas Gutes. ({8}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben natürlich große Aufgaben vor uns. Die Fachpolitiker werden das hier vortragen, und die Haushaltspolitiker werden das begleiten. Die Pflegeversicherung ist angesprochen worden. Frau Scharfenberg, Sie haben gesagt: „Man sieht nichts“. In der Tat waren Sie sieben Jahre lang in der Regierung, und man hat nichts davon gesehen, dass die Pflegeversicherung irgendein Jota weitergekommen wäre. Es war die CDU/CSU, die zusammen mit der FDP seinerzeit unter Norbert Blüm die Pflegeversicherung eingeführt hat. Es war die Große Koalition, die auch die Demenzkranken mit hineingenommen hat. ({9}) Das waren großartige Leistungen, die an Ihnen, Frau Scharfenberg, und an den Grünen insgesamt vorübergegangen sind. Natürlich muss etwas gespart werden, aber nicht in fundamentalen Dingen. ({10}) Wir sind weiterhin kampagnenfähig. Es ist in der Tat nichts Verderbliches und nichts Verwerfliches, wenn Kampagnen auch mit Sponsorengeldern gefahren werden. ({11}) Wir haben zum Beispiel im Bundesgesundheitsministerium eine Nichtraucherkampagne durchgeführt, die über 20 Jahre hinweg von der Zigarettenindustrie gesponsert wurde. Die Einstiegsrate der jungen Leute in das Rauchen ist von 28 Prozent auf 13 Prozent zurückgegangen. Ich frage Sie: Warum sollen diejenigen, die die Gesundheitsschäden mit verursachen, also die Unternehmen der Zigarettenindustrie, nicht mit bezahlen? Warum soll all das immer den Steuerzahlern aufgebürdet werden, also denjenigen, die das nicht verursacht haben? ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, Sie wissen, warum hier die Lichter leuchten?

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit Ihrer Genehmigung komme ich fast zum Schluss. ({0}) Ich darf Ihnen sagen, dass der Minister gerade ein Vierteljahr im Amt ist. Er ist Minister, er ist kein Hexer und kein Zauberer. Er wird die Pflegereform vorlegen. Ich bin auf den 23. September gespannt. Das ist der Tag nach dem Papstbesuch. ({1}) Ich hoffe, das wirkt sich positiv aus. ({2}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, noch ein Satz:

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich bitte dringend darum. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- In der Koalition mit Willy Brandt - um dieses Beispiel noch einmal zu bemühen - gab es bereits einen Minister Bahr, nämlich Egon Bahr. Aufgrund seiner Beiträge zur Ostpolitik ist er seinerzeit als „Minister Sonderbahr“ bezeichnet worden. Herr Präsident, Sie können sich vielleicht erinnern?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ja.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Bahr, wenn wir all das hinkriegen, was wir heute zum Thema Pflegereform, Transplantationsgesetz und Versorgungssicherheit angesprochen haben, dann werden wir „wunderbahre“ Ergebnisse haben. Von „sonderbahr“ zu „wunderbahr“; wenn das kein gutes Ergebnis ist! Vielen herzlichen Dank. Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Personalwechsel hier zeigt, dass wir zu einem anderen Geschäftsbereich kommen. Vizepräsident Eduard Oswald Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17. Wenn wir wieder etwas Ruhe haben, würde ich gern dem ersten Redner das Wort geben. - Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues für die Bundesregierung. Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Kues.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 17 des Haushaltsentwurfs für 2012 zeigt, dass intelligente Haushaltspolitik zwei Komponenten hat: Auf der einen Seite wird gespart, und auf der anderen Seite erfolgen gezielte Investitionen zur Bewältigung der Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels und in faire Zukunftschancen, gerade für die junge Generation. Dies ist kein Gegensatz, sondern vielmehr eine Herausforderung. Ich glaube, mit diesem Haushaltsentwurf haben wir diese Herausforderung bewältigt. ({0}) Wir leisten einen Beitrag zum Abbau der Staatsverschuldung. Trotzdem investieren wir da, wo es notwendig ist. In diesem Haushaltsjahr 2012 investieren wir zum Beispiel insgesamt 6,48 Milliarden Euro im Bereich gesellschaftlicher Wandel. Für den gesellschaftlichen Wandel steht vor allem das Elterngeld. Wir sind fest davon überzeugt, dass die jungen Familien - das beweisen alle Expertisen, die wir kennen - das Elterngeld wollen. ({1}) Sie beweisen auch, dass sie das Elterngeld brauchen, um nach der Geburt eines Kindes wirtschaftlich stabil zu bleiben. Deswegen planen wir für 2012 rund 4,6 Milliarden Euro ein. Das sind 215 Millionen mehr als 2011. Diese Steigerung ist Ausdruck des Erfolges des Elterngeldes. Deswegen legen wir Wert darauf. ({2}) Wir wissen auch, dass die Kostentreiber - im positiven Sinne - die Väter sind. Es nimmt heute schon jeder vierte Vater Partnermonate, also eine Auszeit vom Beruf. Die Väter wickeln, und die Väter füttern. Ich habe gehört, dass die Väter das häufig genauso gut machen wie die Mütter. ({3}) Sie können es offenkundig. Es wird auch gesagt, dass Väter aus der Elternzeit verändert zurückkommen. Das sagen die Arbeitgeber. Die Väter haben nämlich in der Zeit andere Verhaltensweisen gelernt. Das ist das, was wir wollen. Elternzeit und Elterngeld tragen maßgeblich dazu bei, dass sich etwas ändert und dass man beiden Geschlechtern etwas zutraut. Ich finde, darauf sollten wir stolz sein. Das ist gesellschaftlicher Wandel, wie wir ihn uns wünschen. ({4}) Ich sage ausdrücklich: Der Staat und die Politik haben den Menschen nicht vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Sie müssen ihnen aber helfen, dass sie so leben können, wie sie leben wollen. An dieser Stelle setzen wir an. ({5}) Das Elterngeld bietet die Möglichkeit, Verantwortung wahrzunehmen. Das Elterngeld festigt die Eltern-KindBeziehung. Es festigt auch die Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Mutter. Es verändert außerdem - auch das ist ein wichtiger Punkt die Kultur in unserer Arbeitswelt. Es macht unsere Arbeitswelt und unsere Gesellschaft insgesamt familienfreundlicher. Es beflügelt Fantasien. Man lässt sich in Bezug auf Dinge, von denen man lange meinte, sie wären nicht möglich, etwas einfallen und macht sie dadurch möglich. Das ist unsere Absicht, die hinter dem Elterngeld und der Elternzeit steht. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass wir am gesellschaftlichen Wandel weiterarbeiten werden. Ministerin Schröder wird noch in diesem Jahr ein Flexi-Quoten-Gesetz vorlegen. ({6}) Dieses Gesetz soll dazu beitragen, dass Frauen bessere Chancen auf Führungspositionen in Unternehmen und am Arbeitsplatz im Allgemeinen haben. ({7}) Eine weitere Investition mit Blick auf den gesellschaftlichen Wandel - das will ich auch ausdrücklich sagen - ist die Familienpflegezeit. Das ist noch nicht die Antwort auf alle Fragen. Es ist aber ein ganz wichtiger Schritt, da insbesondere Vollbeschäftigte die Möglichkeit bekommen, Pflege und Beruf miteinander zu vereinbaren. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht es zum einen um die Betreuung von Kleinkindern und zum anderen um die Pflege von Angehörigen. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir einen ersten ganz wichtigen Akzent gesetzt, den wir jetzt gemeinsam mit den Tarifparteien weiterentwickeln müssen. Ich möchte einen zweiten Punkt unserer Gesellschaftspolitik nennen: faire Chancen für Kinder und Jugendliche. Union und FDP sind davon überzeugt, dass es für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit nicht entscheidend ist, wo wie viel Geld ausgegeben wird, sondern entscheidend ist, wie Bildungs- und Aufstiegschancen verteilt sind. Die Frage ist, ob jeder einen Zugang zu einer fairen Chance hat. Es gibt einen schönen Leitgedanken, der in einer Werbekampagne des Zentralverbands des Deutschen Handwerks zum Ausdruck kommt. Er lautet: Entscheidend ist nicht, woher jemand kommt; entscheidend ist, wo jemand hin will. Dabei müssen wir den jungen Leuten helfen. ({8}) Das ist unser Ansatz. ({9}) Wir wissen, dass der Grundstein in der Kindheit gelegt wird und die erste und wichtigste Verantwortung die Eltern tragen; das ist völlig klar. Wir wollen aber auch in der Kindheit helfen. Deswegen war es uns wichtig, im Rahmen des neuen Kinderschutzgesetzes die Arbeit von Hebammen in Familien deutlich auszuweiten. Wir tun dies, weil Hebammen das Vertrauen der jungen Mütter und Väter genießen und sie die Eltern zu einem frühen Zeitpunkt erreichen, an dem die Eltern ansprechbar und für Hilfsangebote offen sind. Deswegen wollen wir, dass Hebammen den Eltern nach der Geburt eines Kindes bis zu einem Jahr zur Seite stehen. Wir haben auch dafür Geld lockergemacht. ({10}) Von 2012 bis 2015 werden dafür insgesamt 120 Millionen Euro bereitgestellt. Das ist eine wirkliche gesellschaftspolitische Innovation. ({11}) Ein wichtiger Baustein für faire Chancen in unserem Land ist die Kinderbetreuung. Wir investieren nicht nur in den Ausbau des Betreuungsangebots, also in die Quantität, sondern auch in die Qualität. Trotz einer schwierigen Haushaltslage haben wir die Investitionen deutlich aufgestockt. Ich erinnere an die Offensive „Frühe Chancen“: Bis 2014 investieren wir 400 Millionen Euro. Allein in diesem Jahr sind 3 000 Schwerpunktkitas Sprache & Integration eingerichtet worden. ({12}) Diese Kitas wurden mit einer zusätzlichen halben Erzieherstelle ausgestattet. Ich war gestern Abend auf einer Veranstaltung in einem Berliner Bezirk. Dort hat mir die Vertreterin einer bestimmten Partei gesagt, dass auf diesem Gebiet viel mehr getan werden müsse. Zuständig dafür sind aber in erster Linie die kommunale und die Landesebene. ({13}) Diese Ebenen müssen Geld zur Verfügung stellen. Wenn man sich die Haushalte von Kommunen und Ländern anschaut, stellt man fest, dass für diesen Bereich auch auf diesen Ebenen mehr Geld eingesetzt werden kann. Wir jedenfalls tun etwas. ({14}) Das sind 3 000 Schwerpunktkitas. Im nächsten Jahr werden 1 000 weitere hinzukommen. Dafür werden 102 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Noch nie hat der Bund auf diese Art und Weise unmittelbar die Kitas unterstützt und etwas in den Bereichen Sprachförderung und Integration getan. Das ist eine sehr konkrete Unterstützung. Ich freue mich auch darüber, dass es gelungen ist - zugegebenermaßen nach einigen Diskussionen -, die erfolgreichen Programme „Kompetenzagenturen“ und „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ im Rahmen der Initiative „Jugend stärken“ fortsetzen zu können. Das war uns sehr wichtig. Dahinter steht der Grundgedanke, dass jeder eine Chance verdient hat, dass jeder aber auch eine zweite und gegebenenfalls eine dritte Chance verdient hat, weil wir es uns nicht leisten können und wollen, dass junge Menschen mehr oder weniger aussortiert werden. Sie sollen die Möglichkeit haben, eine Qualifikation zu erhalten. 80 Millionen Euro stehen dafür bis 2013 aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds zur Verfügung. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, der Offensive „Frühe Chancen“ und einer Kinder- und Jugendpolitik der fairen Chancen stellt die christlich-liberale Koalition die Weichen in Richtung Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wir sind stolz darauf, dass wir das hinbekommen haben. ({15}) Wir setzen uns auch dafür ein, dass Kinder und Jugendliche frühzeitig für Demokratie begeistert werden. Das ist ein wesentliches Element des Kinder- und Jugendplans, in dessen Rahmen wir viel für die politische Bildung tun. 2012 unterstützen wir aber auch mit insgesamt 27 Millionen Euro Initiativen zur Rechtsextremismusprävention ({16}) sowie Initiativen zur Prävention gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus. Wir machen hier keine Unterschiede. Wir halten Extremismus, gleich ob von links oder rechts, für gefährlich für unsere Demokratie. Wir werben für eine tolerante, pluralistische, demokratische Gesellschaft. ({17}) Lange Zeit bestand der Konsens, dass Extremismus, egal von welcher Seite er kommt, bekämpft werden muss. Ich erinnere auch an die Diskussion über die Demokratieerklärung. Das sind viele völlig überhitzte Diskussionen gewesen. ({18}) Dort hat man Stimmung gemacht. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Ich habe mir gestern in einem Bezirk in Berlin darüber berichten lassen. Dort haben sich die Kommunalvertreter bedankt, dass sie diese Erklärung abverlangen konnten; denn auf diese Art und Weise ist es gelungen, bei einer Initiative gegen rechts ein Mitglied des Verbands der ehemaligen Stasioffiziere rauszuschmeißen. Solche Personen haben in diesen Initiativen nichts zu suchen. Diese Erklärung hat ganz konkret dazu beigetragen. ({19})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ja.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Herr Kollege.

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass es Ihnen nicht egal ist, wer sich gegen Rechtsextremismus einsetzt? Ist es richtig, dass es für Sie inakzeptabel ist, wenn sich jemand, der vielleicht sogar aus seinen Fehlern gelernt hat, die er in der Vergangenheit in der DDR begangen hat, heute gegen Rechtsextremismus und für den Erhalt der Demokratie engagiert? Habe ich das richtig verstanden? ({0})

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wissen Sie, wenn sich jemand, der in der DDR einen großen Fehler gemacht und zum Verband der ehemaligen Stasioffiziere gehört, für Demokratie und für Pluralismus, für Toleranz und Respekt gegenüber anderen Meinungen einsetzt und in diesem Sinne gegen Rechtsextremismus mitarbeitet, aber genauso ein klares Wort gegen Linksextremismus findet, ist das in Ordnung. ({0}) In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Diskussion über die in Berlin in Brand gesetzten Autos erwähnen. Der sozialdemokratische Innensenator Körting hat gesagt, in einigen Fällen gebe es ganz offensichtlich auch einen linksextremen Hintergrund. ({1}) Ich kann das nur so zur Kenntnis nehmen. Es ist doch absolut klar - man müsste ja Tomaten auf den Augen haben, wenn man das nicht sieht -, dass es Linksextremismus genauso gibt wie Islamismus. ({2}) Dagegen wenden wir uns, dagegen sollten wir uns gemeinsam wenden. Wenn Sie das gelernt haben, sollten Sie dies auch tun. ({3}) - Das ist nicht absurd.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich möchte jetzt gerne meine Rede fortführen. - Ich glaube jedenfalls, dass es höchste Zeit war, dass wir diese Dinge klargestellt haben. Wir sind gegen Extremismus jeglicher Art, egal von wem. ({0}) Das ist unsere Auffassung. Wir nehmen eine Menge Geld in die Hand für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Wir haben es geschafft, nach der Aussetzung des Zivildienstes gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden und den Trägern eine neue Kultur der Freiwilligkeit in Deutschland zu etablieren. Dazu gehört, dass jeder, der es möchte, egal, ob Mann oder Frau, ob jung oder alt, einen Freiwilligenplatz bekommt. Es ist noch nie so viel Geld dafür eingesetzt worden. Immerhin stellen wir 350 Millionen Euro zur Förderung der Freiwilligendienste zur Verfügung. Ich glaube, das ist ein klares Zeichen. Wir haben noch nie so viel Geld für die Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres und des Freiwilligen Ökologischen Jahres eingesetzt. Wir können feststellen - jetzt möchte ich Ihnen eine schöne Zahl nennen -, dass wir beim Bundesfreiwilligendienst jetzt Gott sei Dank erfolgreich sind. ({1}) In meinem Manuskript stand noch eine Zahl vom 1. September 2011: 8 114 eingegangene Verträge. Heute, am 8. September, sind bereits über 12 000 Verträge beim Bundesfreiwilligendienst eingegangen. Ich finde, das ist eine tolle Entwicklung. ({2}) Es deutet also alles darauf hin, dass wir es trotz aller Schwierigkeiten schaffen. In meiner niedersächsischen Heimat gibt es einen plattdeutschen Spruch. Ich nenne ihn auf Hochdeutsch, damit alle ihn verstehen: Reden können alle, tun ist ein Ding. Etwas hinzukriegen, zu handeln, ist ein Ding. Das tut diese Bundesregierung. ({3}) Wir fördern Zeit für Verantwortung. Wir investieren in faire Chancen für Kinder und Jugendliche, für Jung und Alt. Wir stärken auch das gesellschaftliche Engagement und damit das Miteinander in unserer Gesellschaft. Die Mittel dafür stehen zur Verfügung. Ich finde, es ist ein Haushalt, den auch die Opposition unterstützen kann. ({4}) Es ist ein Haushalt für die Zukunft unserer Gesellschaft. Ich glaube im Übrigen - das möchte ich noch sagen -, Familienpolitik und Politik für Kinder und Jugendliche und auch Politik für Demokratie, Herr Kollege, müssen langfristig angelegt sein. Es muss Verlässlichkeit für die Menschen geben. So ist das bei uns. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Dr. Hermann Kues. Jetzt für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Dagmar Ziegler. Bitte schön, Kollegin Dagmar Ziegler. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „… für das große Projekt Europa ist diese Koalition zu klein“, schreibt heute der Tagesspiegel. Ich füge hinzu, sehr verehrter Herr Kues: Auch für die Politikfelder, über die wir heute gesprochen haben und über die wir insbesondere jetzt sprechen, ist diese Koalition zu klein. ({0}) Ihnen fehlt es tatsächlich an Ideen und Konzepten, von einer Gesamtstrategie, wie Sie sie uns gerade weiszumachen versucht haben, ganz zu schweigen. ({1}) Sie haben keine Vorstellung davon - Ihr Koalitionspartner wahrscheinlich auch nicht -, wie Sie für die Menschen in Deutschland bessere Lebensbedingungen schaffen können. Das bisschen, das Sie machen - Sie haben es vorgetragen; zum Teil haben Sie es noch nicht einmal richtig vorgetragen -, machen Sie zaudernd, zögernd und noch dazu handwerklich schlecht; ({2}) ich komme noch ganz konkret auf die einzelnen Punkte zu sprechen. ({3}) Erstens. Es gibt keine wirkliche Gleichstellungspolitik unter der Regierung Merkel. Sie haben keine Idee, wie Sie endlich für die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern sorgen können. Sie verweigern einen Mindestlohn, der gerade Frauen helfen würde. ({4}) Oder gibt es da einen konkreten Ansatz, von dem wir heute nur nichts gehört haben? Sie haben kein wirkungsvolles Konzept, damit Frauen in den Chefetagen ankommen. Aber die Zeche für diesen Haushalt zahlen die Frauen. Wir haben Lösungen auf den Tisch gelegt: für die Durchsetzung der gleichen Bezahlung von Frauen und Männern, für einen gesetzlichen Mindestlohn und für eine 40-Prozent-Quote für Frauen in Führungspositionen. All das liegt vor, aber kein Handeln dieser Regierung. Zweitens. Es gibt keine Jugendpolitik der Regierung Merkel und keine Jugendpolitik des Bundesjugendministeriums. Sie wollten das erfolgreiche Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ vor die Wand fahren lassen; Sie haben zugegeben, dass Sie da gerade noch die Kurve bekommen haben. Jetzt legen Sie uns einen Haushalt vor, in dem Sie ausgerechnet beim Kinderund Jugendplan kürzen. Ich verstehe gar nicht, sehr verehrter Herr Kues, wie Sie sich noch lobend zu diesem Plan äußern können, wenn Sie dort so viel Geld gestrichen haben. Obendrein - das haben Sie einfach unterschlagen - haben Sie die Mittel für benachteiligte Jugendliche drastisch gestrichen. ({5}) Man muss sich einmal vorstellen, dass Sie sich hier hinstellen und sagen: Wir machen etwas für Kinder und Jugendliche. - Das trifft den Kern der Sache ja wohl nicht. ({6}) Drittens. Sie haben heute offensichtlich die aktuellsten Zahlen zum Bundesfreiwilligendienst genannt. Dieses Thema sind Sie tatsächlich angegangen. Es hat allerdings lange gedauert, bis Sie in die Pötte gekommen sind. ({7}) Ich weiß nicht, ob das Kindergeldproblem schon gesetzlich gelöst ist ({8}) oder ob es dazu einen Antrag Ihrerseits gibt. ({9}) - Ja, ich weiß. Aber die Eltern rufen bei uns an, schreiben uns Mails und fragen uns: Welche Regelung trifft diese Koalition? ({10}) - Ja, hoffentlich sagen Sie das noch, damit die Eltern das morgen nachlesen können. ({11}) Auf diese Aussage warten sie bis heute. ({12}) - Ja, okay; aber es dauert bei Ihnen. Das ist die handwerkliche Schwäche, die bei Ihnen leider festzustellen ist und die auch den Bundesfreiwilligendienst zum Rohrkrepierer gemacht hat. ({13}) Ich hoffe, die Zahlen steigen. Wir hätten uns gewünscht, dass die Freiwilligendienste, die es schon gab, gestärkt worden wären, sodass die Jugendlichen klare Ziele vor Augen gehabt hätten und das, was gut läuft, auch weiterhin hätte gut laufen können. Diese Chance haben Sie vertan. ({14}) Auch den Kurs der schon beschlossenen und, wie ich finde, modernen Familienpolitik, den es einmal gab, halten Sie nicht; ich spreche den Kitaausbau und das Elterngeld an. Sie haben heute sehr lange über das Elterngeld gesprochen; das hat mich gefreut. Ich hoffe, das Protokoll, in dem nachzulesen ist, dass Sie sich so positiv über die Wirkung des Elterngeldes geäußert haben, wird auch Herrn Kauder zugänglich gemacht. Wie Sie wissen, hat Herr Kauder das Elterngeld infrage gestellt. Er will es abschaffen. Vielleicht können Sie ihm mitteilen, was Sie heute dazu gesagt haben. Vielleicht weiß man bei Ihnen in der Frühe nicht, was abends gesagt wird. ({15}) Jeder 30. Vater hat wegen der Geburt eines Kindes vor der Einführung des Elterngeldes tatsächlich eine berufliche Auszeit genommen. Diese Situation hat sich stark verbessert. Jetzt tut es jeder vierte. Herr Kues hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass das Elterngeld wirkt und dass es eine bessere Aufteilung von elterlicher Arbeit und Sorge ermöglicht. Aber wir stehen erst am Anfang; auch das muss man deutlich sagen. Wir wünschen uns noch mehr Partnerschaftlichkeit bei der Betreuung von Kindern. Hierzu werden wir auch einen entsprechenden Antrag einbringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Betreuungsgeld haben Sie gar nichts gesagt. Ich bin gespannt, ob die Koalition ihre Pläne in die Tat umsetzen wird. Hier haben Sie ein Gegenmodell zum Elterngeld entwickelt. Ich hoffe, diese 2 Millionen Euro sparen Sie ein und setzen sie für sinnvolle Projekte ein. Sie könnten das Geld zum Beispiel für den Kitaausbau einsetzen. Wir wissen alle, dass der Bedarf an Kitaplätzen größer ist, als wir damals gemeinsam veranschlagt haben. Wir wissen, dass das 35-Prozent-Ziel aufgrund der klammen Haushalte der Länder und Kommunen nicht erreicht werden kann. Ab 2013 gibt es aber einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kitaplatz. Wir haben immer wieder einen Krippengipfel gefordert: Holen Sie die verschiedenen Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - an einen Tisch und besprechen Sie das Problem. Sie warten aber einfach nur ab und tun gar nichts. ({16}) - Ja, natürlich sind 4 Milliarden Euro eine Hausnummer. Aber entweder hat man einen gesetzlichen Anspruch und verwirklicht diesen auch, oder man lässt alles schleifen und hofft, dass sich das Problem von allein erledigt. Da wir Letzteres gerade nicht denken, sind wir dafür, dass der Bund noch einmal Geld in die Hand nimmt. Auch dazu wird es einen Antrag geben. Gute Familienpolitik braucht Ideen und Konzepte. Es bedarf einer gesellschaftspolitischen Idee, die auch fiskalisch fundiert ist. Beides vermissen wir bei Ihnen. Vielen Dank. ({17})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Ziegler. - Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, erteile ich dem Kollegen Ilja Seifert zu einer Kurzintervention das Wort. Bitte schön, Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Rede leider kein Wort dazu verloren, wie in Ihrem Ministerium die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umgesetzt wird. Uns liegt jetzt der Nationale Aktionsplan der Regierung zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vor. Bisher wurde immer gesagt, man könne noch kein Geld in den Haushalt einstellen, weil der Aktionsplan noch nicht vorliege. Jetzt liegt er vor. Bedauerlicherweise finde ich in Ihrem Haushalt aber nichts dazu, wie Sie diesen Aktionsplan umsetzen wollen. Es geht in Ihrem Ressort um Kinder, Frauen, Senioren und Jugendliche. Menschen mit Behinderung dieser Gruppen sind in der UN-Konvention ausdrücklich genannt und müssen gefördert werden, damit sie so wie alle anderen auch teilhaben können. Welche Gelder für welche Programme gibt es diesbezüglich in Ihrem Ressort? Frau Ministerin von der Leyen hat vorhin vollmundig verkündet, dies sei in jedem Ressort etatisiert. Können Sie mich bitte darüber aufklären, wo das in Ihrem Haushalt der Fall ist? ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Zur Antwort der Herr Parlamentarische Staatssekretär. Bitte schön.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich will dazu gerne etwas sagen. Es handelt sich um einen Haushaltsplanentwurf, ein erstes Konzept, das wir in den Haushaltsberatungen noch diskutieren. In bestimmten Bereichen, zum Beispiel beim Bundesfreiwilligendienst, gibt es sogar einen Zuschlag, wenn man Menschen mit Behinderung einstellt. Ähnliche Ansätze verfolgen wir auch beim internationalen Jugendaustausch. Wir legen ausdrücklich Wert darauf, dass diejenigen, die davon profitieren, sich Gedanken darüber machen, wie man diejenigen integrieren kann, die bislang nicht zum Zuge gekommen sind. Diese Programme waren über viele Jahre sehr stark - ich will es mal so sagen - mittelschichtorientiert, sodass bestimmte Jugendliche gar nicht zum Zuge gekommen sind. Dazu zählen auch Jugendliche mit Behinderungen. Wir werden die unterschiedlichen Maßnahmen - Bundesfreiwilligendienst, Kinder- und Jugendplan usw. - zusammenstellen, damit wir eine umfassende Antwort auf die Frage geben können, wo wir Angebote in der von Ihnen angesprochenen Richtung machen. Wir haben das sehr wohl im Blick. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir fahren in unserer Rednerliste fort, und ich gebe Frau Kollegin Miriam Gruß für die Fraktion der FDP das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Miriam Gruß. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Familienhaushalt gibt es einen Aufwuchs von 9,27 Millionen Euro, und wir geben insgesamt 6,48 Milliarden Euro aus. Ich muss der Opposition widersprechen: Wir setzen auf viele zukunftsweisende Projekte und investieren auch in diese Projekte. ({0}) Das betrifft zum Beispiel die Umgestaltung des Zivildienstes zum Bundesfreiwilligendienst; der Herr Staatssekretär hat das bereits erklärt, und mein Kollege Herr Bernschneider wird in seiner Rede noch ausführlich darauf eingehen. Auch die Familienhebammen sind bereits genannt worden. Außerdem ist eine Familienpflegezeit geplant. Diese Dinge werden gesellschaftliche Veränderungen hervorrufen und Antworten auf gesellschaftliche Fragestellungen geben. Ich will bei den Kindern beginnen. Kinder brauchen Schutz und Chancen. Die Chancen sind im Zusammenhang mit der Initiative „Offensive Frühe Chancen“ erwähnt worden. Damit machen wir genau das, was von allen immer gefordert wird, bei der Betreuung nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf Qualität zu setzen. Wir fördern den Spracherwerb benachteiligter Jugendlicher. Das ist für eine erfolgreiche Integration das Wichtigste. Integration kann nur gelingen, wenn die Sprache erlernt wird. Deswegen ist das genau die richtige Initiative mit Blick auf die aktuellen gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Auch das Bundeskinderschutzgesetz, ein Schutzgesetz für die Kinder, ist auf den Weg gebracht. Demnächst wird dazu die Anhörung stattfinden. Etwas ist schon erwähnt worden, was mir persönlich sehr am Herzen liegt: die Familienhebammen. Die Familienhebammen werden von uns gefördert werden. Das ist eine Initiative mit Vorbildcharakter, mit der man gerade jungen Familien frühzeitig hilft, bevor es zu spät ist. Genau diesen präventiven Ansatz verfolgt die schwarz-gelbe Koalition. Das ist der richtige Ansatz. ({1}) Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur. Zum Stichwort Zeit: Ich habe das Familienpflegezeitgesetz angesprochen. Auch dazu wird es demnächst eine Anhörung geben. ({2}) Mit diesem Gesetz werden sicherlich nicht alle Pflegeprobleme gelöst werden, aber es wird ein Mosaikstein bei der Bewältigung von Pflege sein. Von daher ist es ein richtiger Schritt auf dem Weg zu einer besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Deswegen ist auch das der richtige Ansatz. ({3}) Stichwort Geld: Das Elterngeld macht im Etat den größten Anteil aus. Der Aufwuchs von 215 Millionen Euro spricht dafür, dass es angenommen wird. Ganz besonders freut es mich - das ist schon erwähnt worden -, dass auch mehr Väter Verantwortung übernehmen und zu Hause bleiben. Dieser gesellschaftliche Wandel wird von unserer Fraktion ausdrücklich begrüßt. Auch das Thema Infrastruktur ist schon angesprochen worden. Ich sehe nicht, dass wir hier Defizite haben. Von Bundesseite erfüllen wir die Vorgaben und lösen unsere Versprechungen ein. Man muss aber ganz klar auch als Appell an die Länder sagen: Von den Ländern werden die Gelder zur Verbesserung der Infrastruktur ganz unterschiedlich abgerufen. Manche Länder rufen das Geld nur zu 60 Prozent ab, andere rufen zu 100 Prozent ab. Die Gelder, die wir zur Verfügung stellen, sollten wirklich angenommen werden. Hier müssen auch die Länder und Kommunen ihren Anteil leisten und ihre Hausaufgaben machen. ({4}) Auch für die Mehrgenerationenhäuser haben wir Gelder zur Verfügung gestellt und ein Folgeprogramm aufgelegt. Ich hoffe, dass das Folgeprogramm funktionieren wird und dass sich hier Strukturen etablieren. Allerdings - das muss ich an dieser Stelle sagen - muss das keine Finanzierung für die Ewigkeit werden. Wenn sich die Häuser irgendwann einmal selbst tragen, dann ist das umso besser. Dann können sie vor Ort entsprechend finanziert werden. Unterstützung und Perspektiven für Frauen sind angemahnt worden. Ich kann nur sagen: Ich begrüße es außerordentlich, dass wir beispielsweise ein Hilfetelefon bei Gewalt gegen Frauen einrichten werden. Auch das wird kommen. Dafür haben wir insgesamt 3,1 Millionen Euro eingestellt. Wir planen eine Initiative, um Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern, insbesondere Alleinerziehenden. Wir machen hier unsere Hausaufgaben. Ich bin der Meinung, es ist richtig, wie wir es machen. Vielen Dank. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Steffen Bockhahn. Bitte schön, Kollege Steffen Bockhahn. ({0})

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Haushaltsentwurf ist nicht vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sondern eher einer gegen sie. ({0}) Dieses Ministerium ist unter anderem für Frauen- und Gleichstellungspolitik zuständig bzw. sollte es sein. Die Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland sind nach wie vor beschämend. Laut Statistischem Bundesamt sind es nach wie vor 23 Prozent, die Frauen für die gleiche Arbeit wie Männer im Schnitt weniger verdienen. ({1}) Das heißt, Frauen müssen 84 Tage länger arbeiten, um den gleichen Lohn zu bekommen. ({2}) Allerdings hat auch für Frauen das Jahr nur 365 Tage, um korrekt zu sein: in Schaltjahren 366 Tage. ({3}) - Mein Name ist Bockhahn, Herr Kollege Grübel. Wenn Sie mir zuhören, können Sie noch etwas lernen. Das heißt, dass Frauen beim Einkommen generell benachteiligt sind. Wenn wir uns das genauer anschauen, stellen wir fest, dass dies nicht nur mit der Bezahlung am konkreten Arbeitsplatz zu tun hat, sondern natürlich auch mit den Berufsbildern und der Geschlechterverteilung. Nun gibt sich das Ministerium viel Mühe, mit diversen Programmen Männer in klassische Frauenberufe zu bringen. Das kann man auch richtig finden. Eigentlich müsste der Ansatz aber doch sein, nicht Männer in schlecht bezahlte Frauenberufe zu bringen, sondern Frauenberufe so attraktiv zu machen, dass auch Männer sie für sich attraktiv finden. Das wäre doch einmal ein Ansatz, meine Damen und Herren. ({4}) Im Übrigen ist ganz erstaunlich, dass nach wie vor nicht wirklich, also richtig ernst gemeint, etwas unternommen wird, um Frauen den Zugang in klassische Männerberufe zu erleichtern. Aber es ist auch relativ klar, warum das passiert; denn natürlich - ich weiß, wovon ich rede - blockieren Männer gerne, wenn andere sich nähern und wenn es darum geht, den eigenen Platz, das eigene Revier zu verteidigen, gerade dann, wenn es um viel Geld geht. Die Bundesregierung, die Bundesbehörden und die Zusammensetzung der Fraktionen von Union und FDP sind abschreckende Beispiele dafür, wie es nicht laufen sollte. Die Frauenquote bei Ihnen ist abenteuerlich schlecht. ({5}) Meine Damen und Herren, nach wie vor gibt es ein ganz großes Karrierehemmnis. An ihm konnten alle schönen Reden hier nichts verändern. Dieses Karrierehemmnis ist so ziemlich das Schönste, was einem passieren kann. Es sind Kinder. Ja, das Elterngeld ist ein kleiner Erfolg. Aber Sie haben diesen kleinen Erfolg in den Jahren, in denen Sie jetzt regieren, bereits noch kleiner gemacht. Sie konzipieren eine vernünftige Maßnahme, fangen damit an und kündigen sogar an, sie auszubauen. Aber anstatt das zu tun, kürzen Sie. Das Erste, was Sie getan haben, war die Umsetzung der klugen Idee, Empfängern von Hartz IV diese Leistung gleich erst mal zu streichen. ({6}) Das ist nach wie vor etwas ganz Unsoziales und etwas Unanständiges, weil Sie damit Kinder von Geburt an unterschiedlich machen. ({7}) Die Kollegin Ziegler hat schon vorhin kurz das Betreuungsgeld, liebevoll auch Herdprämie genannt, angesprochen. ({8}) Das ist ja nicht etwa nur eine schöne Idee, um irgendwem zu helfen, sondern es ist eine gigantische Ausrede. Außerdem stecken dahinter ein Rollenbild und ein FamiSteffen Bockhahn lienmodell, die, mit Verlaub, definitiv nicht in das 21. Jahrhundert gehören. ({9}) Auf der einen Seite sorgen Sie damit nämlich dafür, dass gerade in strukturschwachen Regionen der Kitaausbau gar nicht vorangetrieben werden muss, weil es die Inanspruchnahme nicht gibt. Damit können Sie dann begründen, dass es keine Bedarfe gebe und man deswegen gar nicht die Plätze für 35 Prozent der Kinder vorhalten müsse. Das alleine wäre schon schlimm genug. Das eigentliche Drama ist aber - ({10}) - Über kranke Denke sollten wir beide uns besser nicht unterhalten, Frau Bär. Das geht nämlich nicht zu Ihren Gunsten aus. Aber davon abgesehen - ({11}) - Hören Sie doch einmal zu. Ich weiß, dass Sie ein lautes Organ haben. Aber Sie sind ja nachher auch noch an der Reihe. Dann können Sie versuchen, sich verständlich zu machen. Das ist in Ordnung. ({12}) Lassen Sie mich also noch einmal zu dem kommen, was ich wirklich absurd finde, weil es eine soziale Ausgrenzung sondergleichen ist, nämlich zu dem, was Sie mit dem Betreuungsgeld tun. ({13}) Sie stellen nämlich sozial benachteiligte Familien mit geringem Einkommen vor die Frage, 150 Euro zu nehmen oder sich für einen Kitaplatz zu entscheiden, den sie sich nicht leisten können. ({14}) Vor diese Wahl stellen Sie sozial benachteiligte Familien. Das hat aber weder etwas mit dem Anspruch auf frühkindliche Bildung zu tun, noch ist es familienpolitisch sinnvoll. Dies ist definitiv der falsche Weg. Der richtige Weg wäre, dass Sie überall in Deutschland bezahlbare Kitas schaffen. ({15}) Nun möchte ich Ihnen einmal einige Beispiele nennen, wie das laufen kann. Ein schlechtes Beispiel kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, dem bekanntlich schönsten Bundesland der Welt. Dort regiert die SPD noch zusammen mit der CDU. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt das Durchschnittseinkommen 1 500 Euro brutto, und ein Krippenplatz kostet 300 Euro im Monat - 300 Euro im Monat bei einem Durchschnittsbruttoeinkommen von 1 500 Euro: Ich kann mir nicht vorstellen, wer sich das leisten können soll. ({16}) Allerdings darf ich Ihnen auch sagen: In Berlin sieht es ganz vorbildlich aus. Dort haben wir eine rot-rote Landesregierung. Die Krippenbeiträge in Berlin sind erstens sozial gestaffelt und zweitens - ({17}) - Wissen Sie, was ich wirklich abenteuerlich finde? Sie reden hier in einer ganz abwertenden Art und Weise über soziale Leistungen. Das macht deutlich, dass Ihnen die sozialen Belange dieses Landes einen Dreck wert sind. Dafür sollten Sie sich schämen, meine Damen und Herren. Das ist abenteuerlich. ({18}) Sie können sich das ruhig anhören. In Berlin sind die Kindergärten für die Eltern komplett kostenfrei, weil es einen Anspruch gibt, dass frühkindliche Bildung umgesetzt wird, dass frühkindliche Bildung für alle Kinder gewährt wird, dass Chancengleichheit tatsächlich real ist. ({19}) Das ist vernünftige Familienpolitik. Davon können Sie noch eine Menge lernen. ({20}) Ich möchte etwas zum Thema Rechtsextremismus sagen. Ich komme, wie gesagt, aus Mecklenburg-Vorpommern, wo letztes Wochenende Wahlen stattgefunden haben. ({21}) - Sie sollten sich langsam wieder dämpfen. - 6 Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, die überhaupt zur Wahl gegangen sind, haben sich für die rechtsextreme NPD entschieden. Herr Staatssekretär Kues, ich muss mit einigem Erschrecken noch einmal vor meinem geistigen Auge ablaufen lassen, was Sie vorhin auf meine Zwischenfrage gesagt haben. Wenn es Ihnen nicht egal ist, wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, dann finde ich solche Äußerungen absurd, abenteuerlich und gemeingefährlich. Fahren Sie nach Gnoien, Lassan, Lübtheen und Lalendorf und fragen Sie die Menschen, die dort tagtäglich unter Nazis leiden, ob es ihnen recht wäre, wenn jemand, der sich heute für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus einsetzen will, das nicht tun darf, weil es Ihnen nicht genehm ist. Eine solche Ignoranz kann man nur haben, wenn man nicht oft genug nach draußen kommt. ({22}) Ich verweise darauf, dass es besonders junge Männer ohne Perspektive waren, die die neuen Nazis gewählt haben. Bei den unter 30-Jährigen haben gerade die Männer die NPD gewählt. Das Traurige daran ist, dass Sie genau die Maßnahmen, die dazu geeignet sind, die Abwanderung und Perspektivlosigkeit junger Menschen in Ostdeutschland zu beenden, gestrichen und eingestellt haben. Schöne Projekte in der Zivilgesellschaft sind in Ordnung. Wir brauchen aber endlich auch Projekte, die aus Ihrem Haus zu finanzieren wären und sich mit guten Strukturen, hochqualifiziertem Personal und anständigen Sachmittelbudgets genau dieser Arbeit in den schwierigen Bereichen zuwenden, die wir als Zivilgesellschaft schon lange nicht mehr erreichen. Das ist eine Aufgabe, und das hat der letzte Sonntag einmal mehr deutlich gemacht. ({23}) Es gibt aber auch einige Bereiche, von denen man sagen kann, dass es eine gute Idee war, zum Beispiel die Mehrgenerationenhäuser. Sie sind ein Beleg für eine gut funktionierende Zivilgesellschaft. Sie sind ein Ort, an dem sich verschiedene Generationen begegnen und viele gute Projekte stattfinden. ({24}) - Das bestreite ich doch gar nicht. Sie können auch mal etwas Gutes machen. Das habe ich nicht abgestritten. Ich habe schließlich gesagt, dass Sie gut angefangen haben. Warum Sie aber jetzt 6 Millionen Euro streichen und damit definitiv das Aus für viele Mehrgenerationenhäuser besiegeln, habe ich noch nicht richtig verstanden. Projekte wie die Mehrgenerationenhäuser sind eine Möglichkeit, um völlig ideologiefrei etwas für Demokratie und Toleranz und damit auch gegen Rechtsextremismus zu tun. Das hätten Sie vorher bedenken müssen. ({25}) Ich möchte noch auf die Mittel eingehen, die Sie für die Jugendpolitik zur Verfügung stellen. Nach wie vor - auch das hat Kollegin Ziegler schon angesprochen vermissen wir von der Bundesregierung ein integriertes Konzept zur Jugendpolitik. Das gibt es einfach nicht. Wenn man sich fragt, was Sie im Bereich der Jugendpolitik machen, dann muss man feststellen, dass inzwischen ein Drittel Ihres Budgets für die Qualifizierungsoffensive aufgewendet wird. Ich habe selten etwas gegen Qualifizierungsmaßnahmen. Die Schwierigkeit besteht aber darin, sich darüber zu informieren, was Sie darunter verstehen. Wenn Sie die Suchfunktion auf der Website Ihres eigenen Ministeriums nutzen, Herr Kues, um zu erfahren, was Sie unter dem Begriff „Qualifizierungsoffensive“ angezeigt bekommen, dann ist das Ergebnis: null Treffer. Das scheint mir eine sehr genaue Angabe zu sein. Denn die Qualifizierungsoffensive macht inzwischen ein Drittel aller Maßnahmen der Jugendpolitik aus. Was aber wird konkret getan? Es wird nicht etwa etwas dafür getan, die Träger von Programmen im Kinderund Jugendplan weiter zu qualifizieren oder junge Menschen in den Bereichen Demokratie und Toleranz oder Organisationsarbeit auszubilden. Das alles findet nicht statt. Vor allem findet etwas statt, das definitiv nicht in Ihr Ressort gehört, nämlich Erwachsenenförderung. Erwachsenenförderung gehört aber aus meiner Sicht ins BMAS und nicht in dieses Ministerium. Kurzum: Es ist eigentlich eine gute Nachricht, dass das Budget dieses Ministeriums gewachsen ist. Denn es hat große gesellschaftliche Aufgaben. Aber es ist traurig, zu sehen, wie schlecht Sie die zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen und dass Sie mehr ideologische Scheuklappen haben, als Sie es mir jemals vorwerfen können. ({26})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Wir fahren mit unserer Rednerliste fort. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht unser Kollege Sven-Christian Kindler. Bitte schön, Kollege Sven-Christian Kindler.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diesen Haushalt, über den wir zu später Stunde sprechen, kann man zu Recht als Haushalt für die Zivilgesellschaft beschreiben. Wir finden im Haushalt den Kinder- und Jugendplan, die Mehrgenerationenhäuser, die Freiwilligendienste und die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus. Ich will in meiner Rede auf zwei Punkte zur Zivilgesellschaft eingehen. Zum Ersten zu den Freiwilligendiensten. Es war eine richtige, ganz wichtige und längst überfällige Entscheidung, die ungerechte Wehrpflicht endlich auszusetzen. ({0}) Dadurch musste auch der Zivildienst abgeschafft werden. Deswegen brauchen wir ein konsistentes Konzept, wie man die vielen Zivis, die in den sozialen Einrichtungen sind, sinnvoll ersetzen kann. Wir begrüßen, dass die Koalition endlich unserer Forderung nachgekommen ist, mehr Gelder für den Freiwilligendienst beim FSJ und beim FÖJ einzustellen. Allerdings hätten Sie jetzt, da der Zivildienst zu Ende ist, die Chance nutzen müssen, alte Strukturen zu überwinden und Neues zu gestalten. Sie hätten eine Lösung aus einem Guss liefern müssen. ({1}) Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie schaffen einen neuen Dienst, den sogenannten Bundesfreiwilligendienst, von dem wir schon jetzt wissen, dass dieser Ersatzzivildienst nicht funktionieren wird. Der Bundesrechnungshof hat zu Recht scharf kritisiert, dass mit dem ehemaligen Bundesamt für Zivildienst überkommene Strukturen beibehalten werden. Wir brauchen dringend mehr Engagement für den Freiwilligendienst. Was wir allerdings nicht brauchen, sind teure und ineffiziente Doppelstrukturen und noch mehr Bürokratie. ({2}) Ich komme zum zweiten Teil meiner Rede zur Zivilgesellschaft. Am Wochenende wurde uns wieder einmal klar vor Augen geführt, dass wir ein Problem haben. Wir haben ein Problem mit Nazis in dieser Gesellschaft. In Dortmund sind mehrere Hundert Nationalsozialisten auf die Straße gegangen, und die Nazipartei NPD ist wieder in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern eingezogen. Zu Recht gab es große Empörung darüber, wenn man auch feststellen musste, dass diese Empörung zum Teil leider ritualisiert abläuft. Für uns muss klar sein, dass wir dieses Wahlergebnis niemals akzeptieren dürfen. Wir müssen alten und neuen Nationalsozialisten entschlossen und konsequent entgegentreten. ({3}) Doch zur Wahrheit gehört auch, dass wir nicht nur ein Problem mit militanten Nazis, mit Gewalttaten und Wahlerfolgen der NPD haben, sondern dass sich Rechtsextremismus auch im alltäglichen Leben zeigt. Wir kennen die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung und die von Wilhelm Heitmeyer von der Uni Bielefeld. Wir wissen: Wir haben in unserer Gesellschaft menschenverachtende, demokratiefeindliche, rassistische und antisemitische Einstellungen. Diese reichen bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Auch darum müssen wir uns kümmern. Ich war erstaunt, als ich heute in der Berliner Morgenpost einen sehr interessanten, bemerkenswert offenen Brief gelesen habe. Der US-Botschafter Philip Murphy - einige von Ihnen werden ihn bestimmt kennen - hat heute geschrieben, dass ein afroamerikanischer Mitarbeiter der Botschaft bei einem Spiel von Hertha BSC war und danach von einfachen Passanten rassistisch beleidigt, angepöbelt und mit Bier überschüttet wurde. Das zeigt, dass es auch um Rassismus in der Mitte der Gesellschaft geht. ({4}) Murphy schreibt zum Ende des Briefes: Rassismus gehört nicht der Vergangenheit an … Er bleibt ein Problem unserer Zeit. Wir müssen Rassismus entschieden entgegentreten … Genau so ist es; recht hat der Mann. Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft gegen Rassismus. ({5}) Jetzt schauen wir uns einmal an, was diese Bundesregierung und diese Ministerin gegen Nazis, gegen Rassismus und Antisemitismus machen. Die Ministerin pflegt das Misstrauen. Heribert Prantl hat am Montag in der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar zum Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern und zum Wahlerfolg der NPD verfasst. In seinem Kommentar lobt er zu Recht die bewundernswerte Arbeit der AmadeuAntonio-Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus hier in Berlin. Er schreibt auch, wie sich die Ministerin dafür bedankt. Ich zitiere Heribert Prantl: Zum Dank traktiert die zuständige, aber ansonsten desinteressierte Bundesministerin Kristina Schröder diese Arbeit mit Misstrauensklauseln. Prantl hat recht. Einmal davon abgesehen, dass der Staatsrechtler Professor Battis und der Wissenschaftliche Dienst dieses Hohen Hauses klargemacht haben, dass sie die Extremismusklausel für verfassungswidrig halten, wissen wir, dass viele Initiativen darüber klagen, dass es Misstrauen gibt, dass sie ihre Partner überprüfen und ausspionieren müssen, obwohl eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Partnern wichtig wäre. Das zeigt: Das Arbeitsklima bei diesen Initiativen wird vergiftet. Diese Extremismusklausel ist verfassungswidrig. Sie schafft Misstrauen und muss deswegen so schnell wie möglich weg. ({6}) Ich rate Ihnen: Reden Sie einmal mit den Initiativen gegen Rechtsextremismus, und fragen Sie sie, was da los ist. Viele sind schwer enttäuscht und frustriert. Sie klagen über das Misstrauen und natürlich auch über die dramatische Unterfinanzierung. Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, kürzen Sie auch noch 2 Millionen Euro bei den Mitteln für den Kampf gegen den Rechtsextremismus. Zugegeben: Diese Kürzung erfolgt vor allen Dingen bei der Regiestelle und den Steuerungsmitteln. Diese Kürzung zeigt aber auch, was Ihnen der Kampf gegen den Rechtsextremismus wert ist; das ist ein Symbol: Es gibt nicht mehr Geld, sondern weniger. Man könnte dieses Geld auch Antinazigruppen in Vorpommern geben. Davon halten Sie aber nichts. Nach zwei Jahren Schwarz-Gelb ist klar: Diese Regierung arbeitet gegen die Zivilgesellschaft, gegen engagierte Bürgerinnen und Bürger. Ihr Extremismusansatz ist falsch und gefährlich. Damit muss Schluss sein. ({7}) Wir brauchen endlich ein Bundesprogramm - ihm muss mehr Geld zur Verfügung stehen -, das sich gezielt gegen Menschenfeindlichkeit und gegen Rechtsextremismus wendet. Die Zivilgesellschaft braucht wieder mehr Vertrauen, wieder mehr Unterstützung und keine schwarz-gelben Störaktionen. Vielen Dank. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kollegin Dorothee Bär. Bitte schön, Frau Kollegin Dorothee Bär. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass wir heute, auch wenn zu fortgeschrittener Stunde, über unseren Haushalt diskutieren. Vor allem freue ich mich, weil wir trotz der angespannten Haushaltslage - die Kollegin Gruß hat es angesprochen - einen Aufwuchs von mehr als 9 Millionen Euro haben. Das zeigt ganz deutlich, dass wir als christlich-liberale Koalition diesen Politikbereich wertschätzen und dass wir den Themenfeldern Familie, Senioren, Frauen und Jugend Priorität einräumen. ({0}) Den größten Teil unseres Etats nimmt mit 4,6 Milliarden Euro unser Erfolgsmodell, das Elterngeld, ein. Wie bereits dargestellt, wünschen wir uns natürlich, es noch weiter auszubauen; das ist noch nicht von der Agenda genommen. Es ist haushalterischen Zwängen geschuldet, dass wir es noch nicht so erweitern konnten, wie wir uns das vorgestellt haben. Trotzdem möchte ich noch einmal ganz vehement dafür werben. Ich freue mich, wenn wir mehr Geld brauchen. Dass wir immer mehr Geld brauchen - das ist schon öfter angesprochen worden -, ist ein positives Zeichen. Denn warum brauchen wir mehr Geld? Weil die Zahl der Geburten steigt und das Elterngeld daher verstärkt in Anspruch genommen wird. ({1}) Das Elterngeld ist ein zentraler Baustein unserer Familienpolitik. Es erleichtert das Ja zu Kindern. Unsere Familienpolitik setzt sich aus vielen Bausteinen zusammen. Aber wenn wir den Baustein Elterngeld wegnähmen, würde unser familienpolitisches Gebäude sehr instabil werden. Ein unschätzbarer Vorteil des Elterngeldes ist, dass immer mehr Väter die Möglichkeit haben, sich den Wunsch zu erfüllen, befristet aus dem Erwerbsleben auszusteigen, um sich partnerschaftlich an der Betreuung der Kinder zu beteiligen. Ich freue mich außerordentlich, dass die Zahl der Väter, die die Partnermonate in Anspruch nehmen, insbesondere in Bayern im Vergleich zu den anderen Bundesländern sehr hoch ist. ({2}) Dadurch wird sich natürlich nicht nur die Einstellung innerhalb der Familie ändern, sondern mittel- und langfristig hoffentlich auch die Einstellung der Arbeitgeber: Wenn junge Bewerber vor ihnen sitzen, wissen sie eben nicht, ob sie einmal Partnermonate nehmen werden, ob die Mütter oder die Väter länger zu Hause bleiben. Es hilft den Frauen gleichstellungspolitisch sehr, wenn ein junger Mann eben nicht bevorzugt wird. Früher hatte man Angst, dass eine eingestellte junge Frau einmal ausfallen könnte, wenn sie ein Kind bekommt. Mit einem Arbeitsausfall muss man mittlerweile Gott sei Dank bei Bewerbern beider Geschlechter rechnen. ({3}) Ich möchte auch an dieser Stelle sagen, dass ich sehr dankbar bin, dass die Bundeskanzlerin unbeirrt am Elterngeld festhält. Sie hat vor einigen Tagen nochmals betont, dass diese familienpolitische Leistung nicht zur Disposition steht. ({4}) Dass es richtig ist, dass wir daran festhalten, belegt eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung. Die Demografen haben herausgefunden, dass die Geburtsjahrgänge ab 1970 jetzt die Trendwende einläuten. Die Frauen und auch die jungen Männer, die nach 1970 auf die Welt gekommen sind, sagen verstärkt Ja zu Kindern und setzen auch mehr Kinder in die Welt. Neben dem Ausbau der Betreuungsplätze hat auch das Elterngeld dazu beigetragen, dass wir insgesamt ein kinderfreundlicheres Klima haben, sagen die Forscher. Schauen wir uns einmal die Umfragen dazu an, was die Bevölkerung zu diesem Instrument sagt. Allensbach hat in dieser Woche herausgefunden, dass knapp 80 Prozent der Befragten dem Elterngeld positiv gegenüberstehen. Dies zeigt, dass es in der Bevölkerung angekommen ist und angenommen wird. ({5}) Obwohl in der Studie festgestellt worden ist, dass wieder mehr Kinder in die Welt gesetzt werden, möchte ich an dieser Stelle eine kritische Anmerkung machen. Man kann sich überlegen, ob man da sofort etwas macht und ob man überhaupt über den Haushalt etwas erreichen kann. Ich glaube nicht, dass wir alleine da etwas machen können. Das ist mehr eine gesamtgesellschaftliche Diskussion. Aber ich möchte es trotzdem ansprechen. Zwar ist die Geburtenrate jetzt höher; sie liegt bei 1,6, was allerdings immer noch nicht ausreichend ist. Nicht schön ist aber, dass das Durchschnittsalter der Erstgebärenden in Deutschland immer höher wird. Obwohl das auch insgesamt im europäischen Vergleich so ist, ist das eine Entwicklung, die nicht so positiv ist. Wünschenswert wäre, wenn die Eltern bei der Geburt ihres ersten Kindes und hoffentlich auch der weiteren Kinder jünger wären, und zwar aus verschiedenen Gründen. Leider reicht die Zeit heute nicht, um das auszudiskutieren. Aber ich glaube, es wäre schon an uns, einmal zu überlegen, ob wir da nicht etwas Bewegung hineinbringen können, ob wir es für junge Berufsanfänger, auch für Studentinnen und Studenten noch attraktiver machen können, bereits in den 20ern und nicht erst in den 30ern oder gar in den 40ern an Familienplanung zu denken. ({6}) Ein weiterer Haushaltsposten, der angesprochen wurde, betrifft die Freiwilligendienste. Der Staatssekretär konnte die Zahlen heute Gott sei dank weiter nach oben korrigieren; das ist sehr erfreulich. Wir hoffen, dass dieses Modell - wie das Elterngeld - zu einem Erfolgsmodell wird. Wir haben damit etwas Einmaliges geschaffen, indem nicht nur jüngere Menschen im Rahmen dieses Modells tätig werden können, sondern wirklich alle gesellschaftlichen Schichten und auch alle Altersschichten. Der Anteil der Seniorinnen und Senioren ist sehr hoch; es wird gut von ihnen angenommen. Ich bin mir sicher: Je länger das Modell läuft, desto besser wird es angenommen werden. Wer sich bundesweit umschaut und einmal mit den Betreffenden in den Einrichtungen spricht, der stellt fest, dass sie von den Bufdis noch wesentlich begeisterter sind als von den Zivildienstleistenden. Zur Begründung wird angeführt: Wir wurden ganz gezielt ausgesucht, und wir werden im Vergleich zu vorher noch stärker angenommen. Die Zivildienstleistenden haben schon eine hervorragende Arbeit gemacht. Aber diejenigen, die das jetzt machen, tun dies absolut freiwillig. - Dies zeigt, dass es richtig war, diesen Ansatz zu wählen. Sicherlich gab es einige Anlaufschwierigkeiten. Aber das haben die Träger, die Einsatzstellen und auch diejenigen, die diesen Bundesfreiwilligendienst angenommen haben, erkannt. Künftig muss kein einziger Interessent, der eine freiwillige Arbeit leisten will, mehr abgewiesen werden. ({7}) Einen weiteren wichtigen Titel hat der Staatssekretär schon angesprochen. Aber ich glaube, man kann gute Nachrichten gar nicht oft genug wiederholen; denn sie bleiben leider nicht so hängen wie negative Nachrichten. Für unsere Bundesinitiative Familienhebammen wurde eigens ein neuer Titel mit einem Ansatz von 30 Millionen Euro geschaffen. Das ist der Kernbestandteil des Bundeskinderschutzgesetzes, das am 1. Januar 2012 in Kraft treten wird. Wir werden in der Zeit von 2012 bis 2015 120 Millionen Euro dafür in die Hand nehmen. Wir haben uns über dieses Thema hier schon einmal gesondert unterhalten. Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger und richtiger Schritt, dass wir das in Angriff nehmen und insbesondere da ansetzen, wo es am Notwendigsten ist, dass wir Familien, in denen es Schwierigkeiten gibt, begleiten, teilweise auch schon vor der Geburt. Ich weiß, dass es gerade seitens der Länder an dieser Stelle entsprechende Kosteneinwände gibt. Ich sage es aber noch einmal: Kinderschutz gibt es nicht zum Nulltarif, Kinderschutz gibt es nicht umsonst. Deswegen ist es völlig richtig, dass wir als Bund jetzt einmal 120 Millionen Euro in die Hand nehmen und an die Länder appellieren, uns in diesem Bereich beizustehen. ({8}) In dieselbe Kategorie der Maßnahmen, die wir in den letzten beiden Jahren nach Verabschiedung des Koalitionsvertrages ergriffen haben - ich sage nur: versprochen, gehalten -, fällt das Thema Mehrgenerationenhäuser. Wir haben dieses Thema im Koalitionsvertrag aufgenommen und haben entsprechende Maßnahmen umgesetzt, wie eben alles so wunderbar in dieser christlich-liberalen Koalition funktioniert. ({9}) Wir bringen jetzt das Nachfolgeprogramm „Mehrgenerationenhäuser II“ auf den Weg. Mehrgenerationenhäuser stehen für mich wirklich exemplarisch für funktionierendes Engagement im kommunalen Bereich. Es war eine hervorragende Idee von der Vorgängerministerin Ursula von der Leyen, und diese wird jetzt auch mit Begeisterung von Ministerin Schröder weiter umgesetzt. Wir haben es geschafft, dass die entsprechenden Häuser nicht nur erhalten werden, sondern sogar noch weitere dazukommen. Die funktionierenden Strukturen haben wir übrigens gemeinsam mit den Kommunen, die wir dafür mit ins Boot geholt haben, ausgebaut. Der Erhalt der Mehrgenerationenhäuser ist uns also ein ganz besonders wichtiges Anliegen. Ein Letztes darf ich noch ansprechen, das wir schon in die letzten Beratungen mit aufgenommen haben: Auch im Haushalt 2012 wird die Bundesstiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens“ wieder mit mehr als 92 Millionen Euro unterstützt. Das Bundesfamilienministerium ist im Moment dabei, die Arbeit der Stiftung zu evaluieren. Es wird untersucht, in welcher Weise durch die Mittel der Bundesstiftung auch langfristig positive Wirkungen für die Antragstellerinnen und ihre familiären und sozialen Netzwerke erzielt werden. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir uns ganz besonders für das im Entstehen begriffene Leben einsetzen und Geld in die Hand nehmen, um Frauen, die nicht wissen, wie sie mit Konfliktsituationen wie einer Schwangerschaft umgehen sollen, zu vermitteln, dass sie auf uns bauen können, weil wir die Kinder schon schützen wollen, bevor sie auf die Welt kommen. Ich bin froh, dass dieser ganz wichtige Titel in den Bundeshaushalt eingestellt worden ist. Ansonsten freue ich mich jetzt auf die Beratungen und darüber, dass wir die Koalition sind, die wirklich etwas für Familien in diesem Land tut. Vielen Dank. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Der Nächste auf unserer Rednerliste ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Rolf Schwanitz. Bitte schön, Kollege Rolf Schwanitz. ({0})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Möglichkeiten, kritische Anmerkungen zum Einzelplan von Frau Ministerin Schröder zu machen, sind schier unerschöpflich. Ich will mich heute auf drei Anmerkungen beschränken. ({0}) Als Allererstes ein paar Bemerkungen zur vorgelegten Finanzplanung 2012 bis 2015. Das, was hier abgebildet wird, würde man in der Wirtschaft einen Offenbarungseid nennen. Der Etat für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gehört zu den Einzelplänen im Bundeshaushalt mit den geringsten Zuwächsen auf dieser Vierjahresleiste. ({1}) Gegenüber den Eckwerten, die im März verbindlich ausgegeben wurden - es gab ja dieses Jahr ein neues Haushaltsaufstellungsverfahren -, ist der gesamte Plafond für 2012 noch einmal um 30 Millionen Euro abgesenkt worden. Obwohl der Gesamthaushalt mehr Steuereinnahmen vorsieht, obwohl die Nettokreditaufnahme noch einmal gelockert worden ist, wird im Einzelplan 17 die Schraube noch einmal angezogen. Die jetzt vorgelegte Finanzplanung sieht gegenüber den im März vorgelegten Eckwerten ein Minus von 30 Millionen Euro im Jahr 2012, ein Minus von 31 Millionen Euro im Jahr 2013, ein Minus von 32 Millionen Euro im Jahr 2014 und ein Minus von 33 Millionen Euro im Jahr 2015 vor. Die Gesamtausgaben des Bundeshaushaltes steigen in diesem Zeitraum, also von 2012 bis 2015, im Jahresdurchschnitt fünfmal so stark wie die des Einzelplans 17. Der Einzelplan 17 ist also ein Verliererhaushalt. Das zeigt, welchen Stellenwert dieses Thema bei Ihnen hat. ({2}) Die zweite Bemerkung, die ich machen will, ist eine Kritik an der Passivität der Ministerin und des Ministeriums in Bezug auf das Thema Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder. Das Kinderförderungsgesetz hat klar den Anspruch formuliert, dass es ab 2013 für Kinder ab einem Jahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz geben soll. Das ist eigentlich die wichtigste politische Aufgabe, die die Ministerin aus der Zeit der Großen Koalition mitbekommen hat. ({3}) Wir wissen längst, dass die Angebotsquote von 35 Prozent in höchstem Maße gefährdet ist. Wir wissen, dass die Bedarfssätze insbesondere in den städtischen Bereichen mit hoher Wahrscheinlichkeit weit darüber hinausgehen werden. Die Bundesministerin verweigert eine realitätsbezogene Bedarfsermittlung. Sie schiebt quasi den Schwarzen Peter den Ländern und der kommunalen Ebene zu. Die Bundesministerin hat mindestens eine Mitverantwortung hinsichtlich der Erfüllung dieses Auftrages, wenn nicht mehr. ({4}) Stattdessen gefährdet diese Vogel-Strauß-Politik den Rechtsanspruch ab 2013. Ich sage ausdrücklich: Das wird der zentrale Prüfstein werden, an dem wir die politische Leistung dieser Ministerin messen werden. ({5}) Die dritte Bemerkung - die ich Ihnen nach all den anderslautenden Einschätzungen aus der Koalition nicht ersparen kann - bezieht sich darauf, was Sie beim Übergang vom Zivildienst zum Bundesfreiwilligendienst angestellt haben. Wir als Sozialdemokraten - und auch andere - haben vor dem Weg, den Sie gegangen sind, gewarnt. Wir haben davor gewarnt, Doppelstrukturen aufzubauen, und die Chance deutlich gemacht, den bewährten Freiwilligendienst der Länder zu stärken. Wir haben empfohlen, diese Chance zu nutzen. Sie haben die Warnungen ignoriert. Sie haben Bürokratien in Ihrem Zuständigkeitsbereich konserviert. Sie haben Doppelstrukturen geschaffen, und Sie haben den Bundesfreiwilligendienst schlampig vorbereitet und eingeführt, übers Knie gebrochen. Zum Schluss haben Sie sogar vor einem Angriff auf den Freiwilligendienst der Länder nicht zurückgeschreckt. ({6}) Die Zwangsquote 2 : 3 bei der Förderung des Freiwilligendienstes ist zunächst eine Erpressung der Träger des Freiwilligendienstes, nichts anderes. ({7}) Die Krönung ist meiner Meinung nach aber, dass das Ministerium dann noch ein Muster für einen Änderungsvertrag zur Verfügung gestellt hat, damit bereits abgeschlossene Freiwilligendienstverträge quasi in BufdiVerträge umgewandelt werden können. Das muss man sich noch einmal vergegenwärtigen: Hier haben sich junge Leute freiwillig entschlossen, einen Freiwilligendienst zu machen, und sind dazu ein Vertragsverhältnis eingegangen. Dann kommen Sie mit Anweisungen und Musterverträgen, mit denen die jungen Leute genötigt werden, ({8}) einen Änderungsvertrag abzuschließen, weil Ihr Bundesfreiwilligendienst sich als Flop entwickelt hat. Das ist eine Sauerei, ({9}) und es widerspricht dem Grundgedanken des Freiwilligendienstes schlechthin. ({10}) Ich möchte zum Schluss noch eine Bemerkung zur Bürokratie beim Bundesfreiwilligendienst machen. ({11}) Wir haben im Haushaltsausschuss über alle Fraktionen hinweg beschlossen, dass Sie einen Bericht über die Abwicklung und Gestaltung des Bundesamtes vorlegen. Sie haben drei Monate lang zunächst nicht geliefert, ({12}) dann haben Sie geliefert. Der Bundesrechnungshof hat den Bericht kommentiert und faktisch in der Luft zerrissen. ({13}) Es ist nicht nur so, dass der Bundesfreiwilligendienst sich als Flop entwickelt hat. Darüber hinaus haben Sie dafür in Ihrem Ministerium und im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben - daran muss man sich erst einmal gewöhnen ({14}) eine Bürokratie vorgesehen, die jeder Beschreibung spottet. Da werden Aufgaben künstlich aufgebläht und sachfremde Aufgaben zugeordnet. Über 50 Personen wissen bis heute nicht, was sie machen sollen. In diesem Kräuteramt werden Dinge kreuz und quer, ohne dass da irgendein roter Faden zu erkennen wäre, organisiert. Darüber werden wir im Haushaltsausschuss noch sehr kritisch zu reden haben. ({15}) Der Name „Kräuteramt“ etabliert sich übrigens bei uns in der Fraktion langsam, nicht wegen des Namens des Vorgesetzten, sondern weil die Aufgaben schlicht und einfach an Kraut und Rüben erinnern und keinerlei roten Faden haben. ({16}) Der Gestaltungsauftrag ist völlig in den Sand gesetzt worden. Wir werden ihn in den nächsten Wochen kritisch auseinandernehmen und mit Änderungsanträgen versehen. Herzlichen Dank. ({17})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Der nächste Redner auf unserer Liste ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Florian Toncar. Bitte schön, Herr Kollege. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Koalition hat sich das Thema Haushaltssanierung auf die Tagesordnung gesetzt. Wir wollen die Verschuldung reduzieren, und das tun wir in atemberaubendem Tempo. ({0}) Wir sind vor zwei Jahren bei 86 Milliarden Euro Neuverschuldung gestartet - übrigens ein Vorschlag, der von der SPD kam. In diesem Jahr werden wir es schaffen, bei 27 Milliarden Euro zu landen. Dieses Tempo bei der Reduzierung der Verschuldung ist, so glaube ich, beispiellos. Das ist sicherlich die Klammer, die um diese Haushaltsberatungen zu ziehen ist. ({1}) Warum machen wir das? Weil wir die Handlungsfähigkeit des Staates auch in Zukunft sichern wollen, weil die Verschuldung der letzten Jahre nicht dauerhaft funktionieren kann, weil ein Staat nicht über seine Verhältnisse leben sollte. ({2}) Das ist vor allem im Interesse der jungen Menschen, der Kinder und Jugendlichen, die auch in 10, 20, 30 oder 40 Jahren einen handlungsfähigen und finanziell leistungsfähigen Staat brauchen. ({3}) Trotz aller Sparbemühungen setzen wir aber einen Schwerpunkt im Bereich von Bildung und Forschung, für den diese Koalition in vier Jahren die Rekordsumme von zusätzlich 12 Milliarden Euro bereitstellt. Das ist das zweite Element unserer Zukunftsvorsorge. Wir sanieren den Staat auch für zukünftige Generationen. Während der Haushalt konsolidiert wird, investieren wir aber in Bildung und damit in Chancen für die Zukunft. Das ist im Interesse der Kinder und der Jugendlichen. ({4}) Herr Kollege Schwanitz, deswegen verbietet sich, so finde ich, eine rein ausgabenfixierte Betrachtung dieses Haushalts, zumal man festhalten muss, dass die Sozialquote des Haushalts bei 52 Prozent liegt und damit - das wissen Sie - deutlich höher als beispielsweise unter RotGrün, und das, obwohl unter Rot-Grün ein deutlich höherer Betrag für den Arbeitsmarkt nötig war. Wenn Sie schon rein quantitativ auf die Sozialquote schauen, dann sollten Sie wirklich genau hinschauen. Wir geben dafür jedenfalls nicht weniger aus, als Sie zu Ihrer Regierungszeit ausgegeben haben. ({5}) Ich denke, dass wir uns von einer solchen rein quantitativen Betrachtung lösen müssen. Stattdessen müssen wir uns heute fragen: Wo kann man sinnvoll Schwerpunkte setzen? Wo kann man ansetzen, damit man zu einer qualitativen Betrachtung kommt? Genau das tun wir im Einzelplan 17. Die Gelder aus unserer Bildungsoffensive werden insbesondere für die Sprachförderung in Kinderbetreuungseinrichtungen eingesetzt. Das werden laut Ansatz im nächsten Jahr 102 Millionen Euro sein. Ich glaube, es ist ein guter Schwerpunkt, zu sagen: Wir investieren nicht nur - was wir im Konsens beschlossen haben - in den Ausbau der Kinderbetreuung, in die Gebäude genauso wie in die Betriebskosten. Das machen wir schon seit einigen Jahren. Wir prüfen darüber hinaus, wo es Brennpunkte gibt, wo besondere Notlagen bestehen oder wo man mit speziell qualifiziertem Personal Sprachförderung von Kindern betreiben muss. Diese 102 Millionen Euro sind gut angelegt. Den Kindern werden Chancen verschafft, die sie sonst nicht hätten. Damit tun wir auch im Sinne der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts Gutes. ({6}) Darüber hinaus möchte ich kurz auf das eingehen, was insbesondere unsere Fraktion beim letzten Haushalt angeregt hat und was jetzt umgesetzt werden soll: das Hilfetelefon im Falle von Gewalt gegen Frauen. Es gibt regional sehr unterschiedliche Hilfsangebote. Wichtig ist aber, dass es bundesweit eine Anlaufstelle bzw. einen Ansprechpartner gibt, wohin sich Frauen anonym wenden können. Dort bekommen sie entweder Hilfe oder werden von dort an eine geeignete Beratungsstelle oder ein geeignetes Hilfsprojekt in der Gegend vermittelt, in der sie wohnen. Das werden wir sicherstellen. Dieses Projekt werden wir dauerhaft betreiben, weil wir hier eine Lücke schließen, die im Kampf gegen Gewalt in der Familie oder in Beziehungen wichtig ist. Ich möchte auf einen weiteren Aspekt eingehen - Herr Kollege Schwanitz hat das schon angesprochen -: die künftige Struktur des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Ich glaube, dass das Thema eine genaue und sensible Betrachtung verdient. Das Amt ist vor große Herausforderungen gestellt, für die die Mitarbeiter nichts können. Die Mitarbeiter haben in den letzten Jahren ihren Job gemacht und ihre Aufgaben erfüllt. Diese Aufgaben sind aber nunmehr weggefallen. Sie wissen auch, Kollege Schwanitz, dass es dort nicht nur Beamte gibt, die nicht kündbar sind, sondern dass auch viele Angestellte nicht kündbar sind. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass ein fürsorglicher Arbeitgeber auch nicht kündigen sollte. ({7}) - Nein, Moment. Ich möchte nur für die Mitarbeiter des Bundesamtes, die sich vielleicht anschauen, worüber wir hier diskutieren, klarstellen, dass das jedenfalls für mich keine Option ist. ({8}) Gleichzeitig möchte ich aber auch sagen: Diese Behörde soll angemessen ausgestattet sein; aber die Personalkapazität sollte nach Möglichkeit nicht größer sein, als für die Erledigung der Aufgaben benötigt wird. ({9}) Das zu erreichen, wird ein wenig Kreativität erfordern. Da werden wir Übergangslösungen finden müssen. Wir werden uns natürlich auch anschauen, wie realistisch der Personalbedarf berechnet ist. So sehr sich die Mitarbeiter darauf verlassen können, dass wir ein fürsorglicher und verantwortungsvoller Arbeitgeber bleiben werden, so deutlich sagen wir auch: Es ist weder im Sinne der Mitarbeiter noch der Steuerzahler, wenn wir eine Behörde haben, in der die Menschen eigentlich nicht genug zu tun haben, um dort dauerhaft zu bleiben. Ich würde als Gegenleistung dafür, dass wir unseren Verpflichtungen als Arbeitgeber nachkommen, Einsatzbereitschaft und Flexibilität erwarten. In diesem Sinne glaube ich, dass wir für das Bundesamt eine vernünftige Lösung finden sollten. Wir müssen uns überlegen, ob wir diese Menschen nicht in anderen Bereichen, in denen wir Personalknappheit haben, sinnvoller einsetzen können. Das können wir gerne gemeinsam machen. Ich denke jedenfalls, dass das eines der Themen ist, um die wir uns bei den Haushaltsberatungen ernsthaft kümmern sollten. Vielen Dank. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Katja Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin Dörner.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Bockhahn, Sie haben in Ihrer Rede zwar einiges Richtiges gesagt; aber es ist doch wohl ein Witz in Tüten, hier Berlin als Kitawunderland zu präsentieren. ({0}) Diesen Hinweis kann ich Ihnen hier nicht ersparen. ({1}) Die Zerrüttung der Regierungskoalition ist in allen Bereichen sichtbar, leider auch in der Kinder- und Familienpolitik. Der Dauerstreit beim Elterngeld ist ein sehr gutes Beispiel dafür. ({2}) Vor zwei Tagen haben wir die neuen Zahlen zum Elterngeld bekommen. Man kann ganz klar sagen: Diese Zahlen belegen, dass sich das Elterngeld als gleichstellungsund familienpolitisches Instrument sehr bewährt hat. Trotzdem ist das Elterngeld von der FDP sozusagen zum Abschuss freigegeben worden. ({3}) Ich erinnere daran, dass Christian Lindner, der Generalsekretär, sagte, das Elterngeld sei zum Besitzstand geworden, und er die Abschaffung forderte; das ist wenige Monate her. Herr Solms sagte, das Elterngeld sei „eine Sozialleistung für Leute, die es nicht nötig haben“, weswegen man es, bitte schön, abschaffen könne. ({4}) Da können die Ministerin bzw. Ihr Staatssekretär und sogar die Kanzlerin das dementieren und, so lange sie wollen, sagen, es handele sich um eine gute Leistung: Es nützt nichts. ({5}) Herr Kues, Sie haben heute Abend ein Drittel Ihrer Redezeit darauf verwandt, die FDP doch davon zu überzeugen; ich weiß nicht, ob es Ihnen gelungen ist. Frau Bär hat sehr lange und, wie ich finde, sehr gut zum Elterngeld gesprochen. Ich wünsche Ihnen sehr gutes Gelingen beim Überzeugen der FDP-Fraktion. ({6}) Man muss einfach sagen: Es gibt in dieser Regierungskoalition keine Verlässlichkeit für Familien. Das ist ein riesengroßes Problem. ({7}) Das Elterngeld ist aber nur eine Seite der Medaille; nur mit einem garantierten und auch guten Kitaplatz wird familienpolitisch ein Schuh daraus. Auch hier versagt die Regierung; sie steckt weiterhin den Kopf in den Sand und ist nicht bereit, beim Kitaausbau mehr zu investieren, wenn absehbar ist - es ist absehbar -, dass ab 2013 mehr Eltern von unter Dreijährigen den Rechtsanspruch wahrnehmen werden, als es ursprünglich geplant war. Die Regierung lässt die Kommunen und auch die Länder bei der Aufgabe, Kitaplätze zu schaffen, im Regen stehen. Man muss nun wahrlich keine Prophetin sein, um zu wissen, dass das am Ende zulasten der Kinder und Familien geht. ({8}) Die Diskussion, die wir über das Betreuungsgeld führen, ist völlig bizarr. Im Ausschuss gab es unlängst eine Anhörung zu unserem Gesetzentwurf, der darauf abzielt, das Betreuungsgeld aus dem Gesetz zu streichen. Diese Anhörung hat völlig klar gezeigt: Das Betreuungsgeld ist eine bildungs- und gleichstellungspolitische Katastrophe. Es muss stark bezweifelt werden, ob es überhaupt verfassungskonform umgesetzt werden kann. Zudem würde es jährlich 2 Milliarden Euro kosten. Dieses Geld würde in unserem Haushalt wirklich an allen Ecken und Enden für Kinder und Familien fehlen. Bizarr ist, dass sich die Koalition einen Dauerstreit um die Abschaffung des Elterngelds leistet, gleichzeitig aber - zumindest offiziell - am Betreuungsgeld festhält. ({9}) Dabei muss man sagen: In letzter Zeit haben sich viele vernünftige Leute zum Betreuungsgeld geäußert und gesagt, dass sie es überhaupt nicht für sinnvoll halten. Ich möchte an die neue Ministerpräsidentin des Saarlands erinnern, die sich dazu sehr klug geäußert hat. Ich kenne aber auch viele andere Kolleginnen und Kollegen, die unter der Hand sagen: Von diesem Betreuungsgeld ist überhaupt nichts zu halten. Fakt ist, dass sich allein die CSU mit ihrem ewig gestrigen Familienbild an dieses Betreuungsgeld gekettet hat. Hier tanzt die CSU der Regierung leider auf der Nase herum. Ich wünsche mir, dass sich die Regierung dies nicht länger gefallen lässt. ({10}) Abschließend: Die Halbzeitbilanz von Schwarz-Gelb ist ein Trauerspiel. Es ist höchst unschön, dass wir es eventuell noch zwei weitere Jahre erleben müssen. Ich möchte zum Schluss noch ganz kurz ein Thema ansprechen, von dem ich glaube, dass es vielen von uns am Herzen liegt. Das ist die Entschädigung für die Heimkinder. Dieses Thema ist heute Abend noch gar nicht angesprochen worden. Im Haushaltsentwurf sind die 40 Millionen Euro, die wir interfraktionell als Entschädigungsleistung für die Heimkinder vereinbart haben, noch gar nicht etatisiert. Nach der unsäglichen Aktion von Schwarz-Gelb im Haushaltsausschuss ({11}) müssen wir Fachpolitiker jetzt gemeinsam sehen, dass das Familienministerium nicht auf den Kosten für diese Entschädigungen sitzen bleibt. Die Entschädigungen für die ehemaligen Heimkinder sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich glaube, hier sind wir alle einer Meinung. ({12}) Es kann nicht sein, dass die Heimkinderentschädigung vollständig oder zu einem großen Teil aus dem Etat geleistet werden soll, mit dem heute die Maßnahmen für Kinder und Familien finanziert werden. Ich hoffe auf eine gemeinsame Aktion, damit wir es hinbekommen, dass die Heimkinder die Entschädigung bekommen, die ihnen zusteht, dass diese jedoch nicht auf Kosten der heutigen Kinder und Familien geht. Vielen Dank. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Erwin Rüddel. Bitte schön, Kollege Rüddel. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Familienpolitik dieser Koalition war erfolgreich, sie ist erfolgreich, und sie wird auch die nächsten zwei Jahre und darüber hinaus erfolgreich bleiben. ({0}) Mit dem Haushalt 2012 und dem Finanzplan bis 2015 beweist die christlich-liberale Koalition, dass sie es ernst meint mit der Einhaltung der Schuldenbremse und mit einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik, die sich ihrer Verantwortung für kommende Generationen bewusst ist. Dank unserer erfolgreichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik hat sich der wirtschaftliche Aufschwung zunehmend positiv auf den Bundeshaushalt ausgewirkt. Wir haben eben über Extremismus gesprochen. Ich denke, Menschen eine Perspektive zu geben, ist das beste Modell gegen Extremismus jeder Art. ({1}) Steuermehreinnahmen auf der einen Seite und Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt mit der Folge von Minderausgaben auf der anderen Seite helfen uns bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen. Wir sind entschlossen, das strukturelle Defizit bis - ich betone - spätestens 2016 auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren. Gleichzeitig stellen wir die Weichen für eine an Wachstum und Beschäftigung orientierte Politik. Ich schicke diese Bemerkungen mit Bedacht voraus, denn der Konsolidierungskurs der christlich-liberalen Koalition ist zugleich die beste Familienpolitik im Sinne des Generationenvertrags. ({2}) Gleichwohl ist es uns gelungen, alle wichtigen Projekte im Einzelplan 17 nahezu unverändert fortzuführen und sogar eine Reihe bedeutender neuer Vorhaben zu finanzieren. Wir beweisen, dass Sparen und Gestalten sich nicht ausschließen. Wir konsolidieren den Haushalt, und wir investieren in die Zukunft unserer Gesellschaft. ({3}) Ich erwähne die Initiative „Frühe Chancen“ für die sprachliche Frühförderung in unseren Kitas. Das Angebot gilt vor allem für Kinder von Migranten, aber auch für deutsche Kinder mit Sprachschwierigkeiten. Gerade auf die frühe Förderung kommt es an. Die Sprache ist die Grundlage für den späteren Bildungserfolg und für eine gelungene Integration. Ich erwähne das Elterngeld, das unangetastet bleibt, und die Zuschüsse zur Wohlfahrtspflege, an denen wir ebenfalls nicht sparen. Ich erwähne den Aufbau des neuen bundesweiten Hilfetelefons für Gewalt gegen Frauen, für den im Haushalt gut 3 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Ich erwähne das Folgeprogramm für die Mehrgenerationenhäuser, die sich als Knotenpunkt für bürgerschaftliches Engagement zu einer großen Erfolgsgeschichte entwickelt haben und deshalb auch im nächsten Jahr mit gut 10 Millionen Euro unterstützt werden. Die engagierte Arbeit der Ehrenamtlichen in den Mehrgenerationenhäusern wird also weitergehen, wobei Teilhabe, Pflege und Integration Schwerpunkte des neuen Förderprogramms sind. Ich erwähne die Erhöhung der Ausgaben für die Freiwilligendienste um rund 44 Millionen Euro gegenüber 2011. Auf diese Weise werden die Freiwilligendienste nach der Aussetzung des Zivildienstes nachhaltig gestärkt. Die Mittel für den neuen Bundesfreiwilligendienst, der auch Frauen und älteren Menschen offensteht, belaufen sich auf fast 270 Millionen Euro. Damit leisten wir einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements, und zwar nicht nur im sozialen Bereich, sondern auch in den Bereichen Sport, Kultur und Integration. Die bewährten Jugendfreiwilligendienste bleiben davon unberührt. Der Bund ist Rückhalt für diese Freiwilligendienste. Er finanziert nicht nur den Bundesfreiwilligendienst, sondern ist auch der Hauptgeldgeber für das Freiwillige Soziale Jahr. ({4}) Man sollte einmal nachschauen, was der Bund für die Freiwilligen Sozialen Jahre leistet und was alle Länder zusammen für ihre Programme leisten. Das alles sind Bausteine zu der Zivilgesellschaft, die wir wollen, einer Gesellschaft, in der ehrenamtliche Dienste und Freiwilligendienste dazu beitragen, die Fähigkeiten und Kenntnisse aller Altersgruppen für den Zusammenhalt in unserem Land zu mobilisieren. Wir fördern damit die soziale Teilhabe, den Austausch von Erfahrungen und ein möglichst breites bürgerschaftliches Engagement. Unser besonderes Augenmerk gilt dem Kinderschutz. Hier legen wir das neue Programm „Familienhebammen“ mit jährlich 30 Millionen Euro auf. Wir verstehen diese Initiative vor allem als einen Beitrag zu den frühen Hilfen. Es geht uns dabei im Rahmen des Kinderschutzes um niederschwellige und frühe Hilfsangebote, die sich gerade an Familien in prekären Lebensverhältnissen richten, und zwar ausdrücklich sowohl während der Schwangerschaft als auch nach der Geburt. Wir wollen die während der Schwangerschaft und Geburt aufgebauten Vertrauensstrukturen auf diese Weise auch für die Hilfe und Unterstützung in den ersten Lebensmonaten des Kindes nutzen. Davon versprechen wir uns eine wirksame Stärkung des Kinderschutzes. Deshalb wollen wir mit dieser Initiative eine Basis für den bundesweiten Einsatz von Familienhebammen durch Länder und Kommunen schaffen. Gestatten Sie mir abschließend noch ein Wort zur Familienpflegezeit. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Die Prognosen hinsichtlich des künftigen Pflegebedarfs sind bekannt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege wird daher in den kommenden Jahren ein Thema von stetiger Bedeutung sein. Nach dem Vorbild der Altersteilzeit wird die künftige Familienpflegezeit es den Beschäftigten erlauben, ihre Arbeitszeit zwei Jahre lang zu reduzieren, um zu Hause Eltern, Großeltern, Ehepartner oder Kinder zu pflegen. Ich bin sicher, dass diese InitiaErwin Rüddel tive, für die wir der Frau Ministerin sehr dankbar sind, ein Erfolg werden wird. ({5}) Das wird nicht alle Probleme bei der Pflege lösen. Es ist aber ein Meilenstein auf dem Weg, das große Thema der bedarfsgerechten Pflege in einer rasch alternden Gesellschaft zu bewältigen. Deshalb fügt sich das Konzept der Familienpflegezeit in die vielfältigen Vorhaben ein, die wir im Einzelplan 17 ansprechen und mit denen wir die Familie, die Generationen und das bürgerschaftliche Engagement in unserer Gesellschaft fördern. Wir sind mit diesem Haushaltsentwurf auf einem guten Weg für unser Land. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Marks. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bietet ebenso wie die Etats der anderen Ministerien, die heute schon beraten wurden, keine Hinweise auf eine zukunftsweisende oder gar soziale Politik. Wohin treibt die Politik für Familien? Wohin treibt die Politik für junge Menschen oder für Seniorinnen und Senioren? Worauf können sich Familien bei dieser Bundesregierung überhaupt noch verlassen? Wie ernst meint diese Bundesregierung es mit einer konsequenten Gleichstellungspolitik, die diesen Namen verdient hat, Herr Staatssekretär? Wie ernst meint sie es mit einer eigenständigen Jugendpolitik? Immer deutlicher wird: Diese Bundesregierung gestaltet Gesellschaftspolitik nicht. Nein, sie verwaltet sie allenfalls. Sie haben Familien verunsichert, indem Sie das Elterngeld gekürzt haben. Stimmen aus den Koalitionsfraktionen stellen das Elterngeld sogar immer wieder infrage; das haben wir auch heute des Öfteren gehört. Familien können sich auf diese schwarz-gelbe Regierung nicht verlassen, weder beim Elterngeld noch beim Krippenausbau noch beim Kinderzuschlag noch beim Unterhaltsvorschuss. Das ist Politik frei nach dem Motto: Was kümmern diese Ministerin ihre Ankündigungen von gestern? ({0}) Die Zuschüsse für Maßnahmen der Familien- und Gleichstellungspolitik sowie für Ältere werden mal eben um 3,4 Millionen Euro gekürzt. Im Kinder- und Jugendplan werden Mittel zur Förderung der Gleichstellung von Mädchen und Jungen komplett gestrichen. Maßnahmen der Frauenpolitik - ich denke, das kann man so deutlich sagen - fristen unter dieser Ministerin ein Schattendasein. Demgegenüber wird eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik ausgebaut. So sollen zum Beispiel Maßnahmen wie „Generationsdialoge - Neue Orte für Väter und Großväter“ mit fast 1 Million Euro gefördert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme erschließt sich, glaube ich, nur wenigen. Deutlich wird, dass diese Ministerin Gleichstellungspolitik überhaupt nicht verstanden hat; denn Gleichstellungspolitik schließt immer Frauen und Männer ein. ({1}) Natürlich sind Initiativen, mit denen beispielsweise der Männeranteil in Kitas erhöht werden soll, zu begrüßen - das ist gar keine Frage -, doch die Tatsache, dass nur wenige Männer in Kitas oder Pflegeberufen arbeiten, hat nichts, aber auch rein gar nichts mit einer unzureichenden Männerpolitik oder gar einer Benachteiligung von Männern zu tun. Männer wählen diese Berufe sehr selten, weil sie erstens schlecht bezahlt und zweitens nicht ausreichend gesellschaftlich anerkannt werden. ({2}) Das sind die Fakten, die Sie, die Ministerin und die Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Regierungskoalition, einfach ignorieren. Sie blenden die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben schlicht und ergreifend aus. ({3}) - Liebe Rita, du weißt selbst, dass die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben von deiner Regierung ausgeblendet wird. Da brauchst du dich jetzt gar nicht aufzuregen. Frauen verdienen im Durchschnitt etwa ein Viertel weniger als Männer. Das ist hinreichend belegt. Das haben wir hier, im Plenum, oft genug miteinander festgestellt. Warum gibt das Ministerium trotzdem erneut Geld für Studien, Datenerhebungen und Analysen zur Entgeltungleichheit aus? Mit Ausnahme der Ministerin haben wir, denke ich, kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Bundesregierung muss endlich handeln, sage ich Ihnen. ({4}) Die SPD hat bereits Vorschläge unterbreitet. Sie müssten diese einmal gründlich lesen. Es wäre schön, wenn Sie sich unseren Vorschlägen anschließen würden; dann würde es für die Frauen auch wieder bergauf gehen. ({5}) Kommen wir zur Jugendpolitik. Vor Monaten hat die Ministerin ein langes Papier mit der Überschrift „Allianz für die Jugend“ veröffentlicht; das klingt ja klasse. Papier ist allerdings bekanntlich geduldig. Das Ministerium beschreibt sich darin als „Anwalt der Jugend“. Ich frage Sie: Wie glaubwürdig ist das Ministerium, Herr Kues, wenn es im Kinder- und Jugendplan mehr als 3 Millionen Euro zur Förderung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, mit Benachteiligungen und mit Behinderungen kürzt? So sieht für mich kein „Anwalt der Jugend“ aus, und so erreichen wir keine Allianz für die Jugend in unserem Land. ({6}) Ganz aktuell hat die Nationale Armutskonferenz angemahnt, dass wir dringend die Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund verbessern müssen. Stattdessen kürzen sowohl Frau Schröder als auch ihre Kollegin Frau von der Leyen drastisch Mittel, die im Kampf sowohl gegen Bildungsarmut als auch gegen Perspektivlosigkeit dringend gebraucht werden. Bei der politischen Bildung, Herr Staatssekretär, bedienen Sie sich wirklich Taschenspielertricks. Wenn wir diesen Bereich im gesamten Haushalt gründlich betrachten, stellen wir fest, dass die Mittel unter dem Strich gekürzt werden. Vielleicht haben Sie gedacht, dass wir es nicht merken. In Ihrer Koalition ist es vielleicht durchgegangen, aber wir haben es gemerkt. Auch bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus setzen Sie erneut den Rotstift an. Macht nicht auch der Wiedereinzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern deutlich, dass wir alle gemeinsam in diesem Hohen Hause nicht weniger, sondern mehr Engagement für politische Bildung und mehr Engagement gegen Rechtsextremismus in unserem Land brauchen? ({7}) Wie sieht es bei dem Thema „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ aus? Richtig ist, wir brauchen mehr Angebote für Menschen, die sich um pflege- und hilfsbedürftige Angehörige kümmern. Doch das sogenannte Familienpflegezeitgesetz geht ganz klar, und zwar in jedem Punkt - das werden wir bei der Anhörung, denke ich, mehr als deutlich hören -, an der Lebenswirklichkeit der allermeisten Menschen vorbei. Es enthält keine geschlechtergerechten Ansätze und es fehlen jegliche Rechtsansprüche. Stattdessen enthält es nur eine private Pflichtversicherung und - das ist mehr als interessant einen Bußgeldkatalog für pflegende Angehörige. So droht eine Geldbuße bis zu 1 000 Euro, wenn Änderungsmitteilungen nicht rechtzeitig oder nicht vollständig an die Behörde weitergegeben werden. ({8}) Ich frage Sie: Was wollen Sie Angehörigen, die ohnehin schon einen großen Spagat zwischen Berufsleben und Pflege zu meistern haben, eigentlich zumuten? Ich denke, über diesen Punkt werden wir noch ausreichend zu reden haben. Das ist alles andere als hinnehmbar. ({9}) Im Gegensatz zu Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, haben wir Antworten für eine zukunftsweisende und sozial gerechte Politik. Davon werden Sie in den weiteren Haushaltsberatungen noch hören. Wir werden entsprechende Änderungsanträge vorlegen. Vielen Dank. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster spricht für die Fraktion der FDP unser Kollege Florian Bernschneider. Bitte schön, Kollege Florian Bernschneider. ({0})

Florian Bernschneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004009, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bilder und Nachrichten, die uns in den letzten Wochen in der parlamentarischen Sommerpause erreicht haben, machen, glaube ich, die große Herausforderung deutlich, vor der wir heute stehen, wenn wir über die Ausgaben für Jugendliche in unserem Land beraten. Die Aufstände in Spanien und in England zeigen uns, dass wir uns eines auf keinen Fall leisten dürfen, nämlich an den Chancen für Jugendliche zu sparen. Deswegen sind die deutlichen Aufwüchse im Bereich der Jugendpolitik und allein die 44 Millionen Euro mehr für die Jugendfreiwilligendienste ein gutes Zeichen und Beweis für unsere jugendfreundliche Politik. ({0}) Gleichermaßen waren diese Bilder auch Beweis, dass wir genau den richtigen Weg eingeschlagen haben, nämlich gemeinsam mit den Akteuren vor Ort eine eigenständige Jugendpolitik mit Leben zu füllen. Auch dafür wurden Mittel in diesen Haushalt eingestellt. ({1}) Die aktuelle Diskussion über die Stabilität unserer Währung zeigt, dass es nicht nur darum geht, in die Zukunftschancen von jungen Menschen zu investieren, sondern vor allem darum, zu verhindern, dass Schulden ihnen von vornherein den Weg verbauen. ({2}) Wenn man sich diesen Haushaltsentwurf anschaut, dann sieht man, glaube ich, dass wir bewiesen haben, dass wir diesen Herausforderungen gerecht geworden sind, dass es uns gelungen ist, Einsparungen dort zu leisten, wo sie nicht auf Kosten Jugendlicher gehen. Ich will die Kürzungen von 1,8 Millionen Euro im Kinder- und Jugendplan gar nicht wegreden. Aber ich sage auch: Sie sind im Vergleich zu den Aufwüchsen zum Beispiel bei den Jugendfreiwilligendiensten vertretbar. Vor allem muss man auch sagen: Wir haben unser Versprechen an die im Rahmen des Kinder- und Jugendplanes handelnden Akteure gehalten, keine Strukturen kaputtzusparen und die gute Arbeit vor Ort nicht zu gefährden, sondern da zu sparen, wo es möglich ist. Die Beispiele zeigen, dass das gelungen ist. Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen, dass nicht nur die Entwicklungen in Spanien und England in unserem politischen Handeln Niederschlag finden müssen, sondern auch die schrecklichen Wahlergebnisse der NPD vom vergangenen Wochenende in Mecklenburg-Vorpommern. Ich sage übrigens: Auch die schrecklichen Bilder aus Oslo, die wir in der Sommerpause sehen mussten, sollten uns als Jugendpolitiker Anlass zur Diskussion geben. Wir alle müssen mit den Programmen gegen Rechtsextremismus verantwortlich umgehen. ({3}) Was Sie machen, ist nicht verantwortlich. Sie suggerieren schon wieder, wir würden bei diesen Programmen kürzen. ({4}) Wir sparen bei der Verwaltung der Programme, wir sparen nicht 1 Cent bei der Umsetzung vor Ort. Ich kann Ihre Aufregung, ehrlich gesagt, gar nicht verstehen. Auch zu rot-grünen Zeiten war die NPD in manchen Landtagen der Bundesrepublik. Auch zu rot-grünen Zeiten gab es rechtsextreme Straftaten, ({5}) übrigens nicht viel weniger als heute. ({6}) Zu schwarz-gelben Zeiten investieren wir immer noch doppelt so viel in die Prävention von Rechtsextremismus wie Sie damals. ({7}) Deswegen kann ich Ihre Aufregung nicht verstehen. ({8}) Ich kann, ehrlich gesagt, auch Ihre Kritik am Bundesfreiwilligendienst nicht verstehen. Es ist völlig klar, dass es bei einem so großen Projekt immer zu Problemen bei der Umsetzung kommt. Keinen ärgert es mehr als mich, dass wir zu lange gebraucht haben, um auch den Kindergeldanspruch umzusetzen. Aber das alles ändert nichts daran, dass wir als erste Koalition den Mut aufgebracht haben, auf einen Pflichtdienst zu verzichten und stattdessen auf die Kraft von Freiwilligkeit zu setzen. ({9}) Auch wenn Sie nach wie vor hoffen und sich wünschen, dass der Bundesfreiwilligendienst erfolglos bleibt: Die Bürger haben sich längst anders entschieden. Das zeigen die Bewerberzahlen, die Herr Kues heute vorgestellt hat. ({10}) Wir haben mit dem Bundesfreiwilligendienst auf das richtige Pferd gesetzt, Sie auf das falsche. Das wird auch in den nächsten zwei Jahren so bleiben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt unser Kollege Andreas Mattfeldt. Bitte schön, Kollege Andreas Mattfeldt. ({0})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist für mich ein Novum, um diese Zeit als Letzter sprechen zu dürfen. Das hat man nicht allzu häufig. Wir hatten heute bei den Beratungen zum Haushalt des Familienministeriums den Eindruck, dass für die Linke der wohl wichtigste Ausgabentitel die Bekämpfung des Extremismus - Herr Bockhahn, bei Ihnen natürlich nur die des Rechtsextremismus - ist. Seit einem Bericht in der Presse über die Selbstbedienungsmentalität Ihrer Parteivorsitzenden im Hinblick auf diesen Titel ist mir auch bewusst, wieso. Ich halte es für in keiner Weise hinnehmbar, dass der laut Satzung angeblich parteipolitisch unabhängige Verein „Gemeinsam in Lichtenberg“ Gelder aus dem vom Ministerium geförderten Programm „Vielfalt tut gut“ für die Erstellung einer Kinderzeitung zum Thema „Vielfalt, Toleranz und Demokratie im Kindergarten“ erhält. ({0}) Auf den ersten Blick mag es scheinen, als sei hieran an sich nichts auszusetzen. Wenn man allerdings hört, dass alle Posten in diesem Verein mit engsten Mitarbeitern von Frau Lötzsch besetzt sind ({1}) und Frau Lötzsch nicht nur Vorsitzende des Vereins ist, sondern auch die Telefonnummer ihres Wahlkreisbüros ({2}) als Kontaktadresse des Vereins angegeben ist, ({3}) so hat das nicht nur einen bitteren Beigeschmack, ({4}) sondern hört sich in meinen Ohren nach einer extrem dreisten Form von Selbstbedienungsmentalität in Bezug auf den Titel „Maßnahmen zur Extremismusbekämpfung“ an. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke, vom Kollegen Bockhahn?

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne.

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Kollege Mattfeldt, ist Ihnen bekannt, dass die Junge Union im letzten Jahr im Rahmen von Titeln aus diesem Programm Jugendbelustigungsfahrten nach Berlin machen wollte, ({0}) und können Sie sich erinnern, dass Sie damals kein Problem damit hatten? ({1}) Ohne das gleichsetzen zu wollen: Ist Ihnen etwas zu der inhaltlichen Arbeit dieses Vereins bekannt? Dies ist nämlich ein deutlicher Unterschied, was das Niveau dieser beiden Geschichten betrifft: Das eine war eine Spaßfahrt einer parteilichen Jugendorganisation, und das andere ist ein Verein, in dem sich ehrenamtlich tatsächlich auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gesine Lötzsch engagieren. ({2})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bockhahn, wir haben im letzten Jahr intensiv über diesen einen Titel sowie über die Junge Union Köln - nicht die Junge Union im Allgemeinen - gesprochen. ({0}) Das Ganze ist damit ausgeräumt worden. Wir haben deutlich gemacht, dass auch das nicht hinnehmbar ist. Das hat die Junge Union akzeptiert, was ich in Ihrem Fall allerdings nicht sehe. Wir haben hier keinerlei Selbstkritik von Frau Lötzsch gehört. Ich könnte weitere Punkte nennen, zum Beispiel „Rechtshilfetipps bei Demos, Übergriffen und Strafverfolgung“ von Bon Courage e. V. ({1}) Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir werden uns alle Programme, die aus dem Extremismustitel finanziert werden, anschauen und prüfen, wer sich daraus bedient und ob das Geld wirklich eine Wirkung bei den Menschen vor Ort entfaltet. Wichtig ist - und da unterscheiden wir uns ganz massiv -, dass wir nicht eigene Leute versorgen, ({2}) sondern Extremismus in jeder Form intensiv bekämpfen. ({3}) Mit ihrem Verhalten hat Frau Lötzsch nicht nur sich selbst einen Bärendienst erwiesen, sondern auch allen anderen, die Geld aus diesem Titel erhalten. Wie sagte Mark Twain so schön: Der Jammer mit den Weltverbesserern ist, dass sie nicht bei sich selber anfangen. - Das gilt für Sie ganz besonders. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, während Sie Ihr Hauptaugenmerk darauf legen, wie Sie sich gegenseitig Geld zuschustern können, machen wir von der Regierungskoalition Politik, die bei den Menschen ankommt. ({5}) Kristina Schröder und ihr Haus haben einen sehr guten Haushaltsentwurf vorgelegt. Sie möchte im nächsten Jahr 6,48 Milliarden Euro für Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren ausgeben. Das sind 9,27 Millionen Euro mehr als im laufenden Jahr. Sie führt zum Beispiel für die Bundesinitiative Familienhebammen einen neuen Titel ein, für den 30 Millionen Euro bereitgestellt werden. Diese im noch zu verabschiedenden Bundeskinderschutzgesetz vorgesehene Initiative soll den Aus- und Aufbau der Arbeit der Familienhebammen so stärken, dass wir gefährdete Kinder von Beginn an besser schützen können. Dabei wollen wir sowohl bestehende Aktivitäten zu Familienhebammen als auch die Erprobung neuer Modelle fördern. Es gilt aber nicht nur, die Kinder zu schützen, sondern wir wollen den Kindern gleiche Startchancen ins Leben ermöglichen. Um das zu erreichen, hat Kristina Schröder bereits in diesem Jahr die Qualifizierungsoffensive zur Sprachförderung im Kindergarten erfolgreich gestartet. Während 2011 immerhin schon 82 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt wurden, werden es 2012 sogar 102 Millionen Euro sein, die in frühkindliche Bildung und in die Bildung benachteiligter Schülerinnen und Schüler investiert werden. ({6}) Ich freue mich sehr, dass in meinem Wahlkreis nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Mit Stolz sage ich, dass es der christlich-liberalen Koalition durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen gelungen ist, die Arbeitslosenzahlen derart in den Keller zu drücken, dass wir nicht nur insgesamt weniger als 3 Millionen Arbeitslose haben, sondern dass in vielen Teilen unseres Landes mittlerweile Vollbeschäftigung erreicht wurde. ({7}) Das führt allerdings auch dazu, dass wir die wenigen jungen Menschen gut qualifizieren müssen, damit wir dem Fachkräftemangel nicht nur durch Zuwanderung begegnen können. Bildung ist der beste Weg zu einem guten Beruf und damit zur Bekämpfung von Armut. ({8}) Während Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sich hauptsächlich damit beschäftigen, den Titel für Extremismusbekämpfung aufzustocken, und sich gleichzeitig immer als Retter der Armen aufspielen, legt Ministerin Schröder mit ihrem Programm den Grundstein dafür, dass Armut gar nicht erst entstehen kann. Das nenne ich konstruktive Politik. ({9}) Ein weiteres Thema, das unsere Ministerin tatkräftig anpackt, ist die Hilfe für Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Bereits im letzten Jahr haben wir in den parlamentarischen Beratungen Geld zur Anschubfinanzierung für die Einrichtung eines bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ bereitgestellt. Dieses Telefon wird rund um die Uhr erreichbar sein: mehrsprachig, anonym und barrierefrei. Gewaltopfer sollen so frühestmöglich beraten und dorthin gelotst werden, wo sie Hilfe bekommen. Ende 2012 soll diese Nummer freigeschaltet werden. Dafür werden wir in diesem Jahr 3,1 Millionen Euro und in den kommenden Jahren 6 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Auch dieses Mal werden wir - hier spreche ich als Haushälter aus tiefster Seele - in den parlamentarischen Beratungen jeden einzelnen Ausgabeposten auf den Prüfstand stellen und analysieren, ob jeder einzelne von den Bürgern hart erarbeitete Euro gut investiert ist oder ob es sich um einen Verein wie den von Frau Lötzsch handelt. Wir müssen gezielt ansetzen und dafür sorgen, dass das Geld wirklich bei den Menschen ankommt. Wenn ich sogar den Medien entnehme, dass auch FKKProjekte mit Mitteln aus diesem Etat finanziert werden, so muss ich mich doch sehr wundern und bin mir umso sicherer, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Uns ist wichtig, dass wir durch kluge Entscheidungen dort investieren, wo wir die Menschen erreichen, und nicht dort Geld verplempern, wo ausschließlich parteipolitisch ambitionierte Gruppen erreicht werden. Meine Damen und Herren, ich freue mich auf sachlich-konstruktive Haushaltsberatungen. Ich darf Ihnen allen eine gute Nacht wünschen. Danke schön. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Der Herr Kollege macht schon deutlich, dass er der letzte Redner war. In der Tat stelle ich fest, dass es keine weiteren Wortmeldungen mehr gibt. Es wird sich wohl auch keiner mehr trauen. ({0}) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. September 2011, 9 Uhr, ein. Damit ist die Sitzung geschlossen. Ich wünsche allen eine gute Nacht.