Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe zu Beginn einige amtliche Mitteilungen zu machen.
Zuerst geht es um Nachwahlen zu Gremien, und zwar
zunächst zum Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Fraktion der SPD schlägt
als neues ordentliches Mitglied aus dem Kreis der Fraktionen den Kollegen Siegmund Ehrmann vor. Neues
ordentliches Mitglied aus dem Kreis der Personen, die in
Fragen der Aufarbeitung besonders engagiert sind, soll
anstelle von Professor Hermann Weber der frühere Abgeordnete Markus Meckel werden. Sind Sie mit diesen
Vorschlägen einverstanden? - Das ist offensichtlich der
Fall. Dann sind der Kollege Siegmund Ehrmann und
Herr Markus Meckel hiermit in den Stiftungsrat gewählt.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt,
dass die Kollegin Dr. Valerie Wilms für den aus dem
Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Kollegen
Winfried Hermann neues stellvertretendes Mitglied im
Eisenbahninfrastrukturbeirat werden soll. Stimmen
Sie auch diesem Vorschlag zu? - Das ist der Fall. Dann
ist die Kollegin in den Eisenbahninfrastrukturbeirat gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des Gesetzentwurfs
zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen des europäischen Stabilisierungsmechanismus zu erweitern, die jetzt gleich im Anschluss
als Erstes aufgerufen werden soll.
Außerdem ist vorgesehen, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus
- Drucksache 17/6916 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({0})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Parlamentsrechte im Rahmen zukünftiger
europäischer Stabilisierungsmaßnahmen sichern und stärken
- Drucksache 17/6945 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({1})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 3
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung von Vorschriften über Verkündung und
Bekanntmachungen
- Drucksache 17/6610 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johanna
Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Universaldienste für Breitband-Internetanschlüsse jetzt
- Drucksache 17/6912 Redetext
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr
Studienplätze, bessere Studienbedingungen
und höhere Lehrqualität schaffen
- Drucksache 17/6918 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Memet Kilic, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Anerkennung ausländischer Abschlüsse tatsächlich voranbringen
- Drucksache 17/6919 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
ZP 4 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Ergänzung zu TOP 4
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit
zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung
- Drucksache 17/6670 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der am 10. Juni 2011 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts
- Drucksache 17/6052 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Der am 30. Juni 2011 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss
({4}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung
steuerlicher Vorschriften ({5})
- Drucksache 17/6263 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({6})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Der am 1. Juli 2011 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 17/6277 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Ich kann auch dazu Ihr offensichtliches Einvernehmen feststellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
({9})
Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges
Mitglied Hans Apel, der vorgestern nach langer Krankheit im Alter von 79 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg verstorben ist.
Hans Apel gehörte dem Deutschen Bundestag für sieben Wahlperioden von 1965 bis 1990 an. In diesem Vierteljahrhundert hat er unserem Land in höchsten Ämtern
gedient.
Hans Apel wurde am 25. Februar 1932 in HamburgBarmbek geboren. Nach dem Abitur 1951 absolvierte er
eine kaufmännische Lehre und studierte nach kurzer beruflicher Tätigkeit für einen Mineralölkonzern Wirtschaftswissenschaften in Hamburg und promovierte in
diesem Fachbereich.
Schon während des Studiums war er 1955 der SPD
beigetreten, deren Vorstand er später für beinahe zwei
Jahrzehnte angehören sollte.
Nachdem er einige Jahre für das Europäische Parlament gearbeitet hatte, gehörte er ihm als Mitglied von
1965 bis 1969 an. 1965 wurde er auch Mitglied des
Präsident Dr. Norbert Lammert
Deutschen Bundestages, in den er - mit Ausnahme einer
Legislaturperiode - stets direkt gewählt wurde.
Nachdem er Vorsitzender des Verkehrsausschusses
und dann stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion gewesen war, wurde er 1972 zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt mit der Zuständigkeit für
Europafragen ernannt.
1974 wurde er im ersten Kabinett von Bundeskanzler
Helmut Schmidt dessen Nachfolger im Amt als Bundesminister der Finanzen.
1978 übernahm Hans Apel, selbst Angehöriger der
sogenannten weißen Jahrgänge, das Bundesministerium
der Verteidigung und erwarb sich schnell hohe Anerkennung in seinem neuen Amt. Er bekleidete es bis zum
Ende der sozialliberalen Koalition im Herbst 1982, also
in der Zeit, die von der anhaltenden Debatte um die
Nachrüstung und dem Erstarken der Friedensbewegung
gekennzeichnet war.
Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im
Jahre 1990 widmete er sich vor allem der Finanzpolitik.
Von ihm - konfrontiert mit den unbeabsichtigten Folgen
selbst herbeigeführter politischer Entscheidungen stammt der später vielzitierte Satz: „Ich glaub, mich tritt
ein Pferd.“
Nach dem Abschied aus der Politik, der jedoch kein
Abschied von der Politik war, leistete er in verschiedenen Funktionen vor allem in der Energiewirtschaft in
den neuen Bundesländern einen Beitrag zum Aufbau Ost
und der inneren Einheit unseres Landes. Hinzu kam eine
rege publizistische Tätigkeit, die einige vielbeachtete
Bücher erbrachte.
Das gesamte öffentliche Wirken von Hans Apel - in
der Politik, in der Wirtschaft, als Publizist - war geprägt
von seiner Orientierung an der protestantischen Ethik
und seiner tiefen christlichen Glaubensüberzeugung.
Seine Ehrlichkeit und Offenheit wurden geschätzt, gelegentlich auch gefürchtet, wobei er auch die eigene Partei
nicht ausnahm von seinem manchmal unbequemen Urteil.
Hans Apel hat sich bleibende Verdienste um unser
Land erworben: als leidenschaftlicher Parlamentarier, als
verantwortungsvoller Bundesminister und als ein Politiker, der maßgeblich an wichtigen Weichenstellungen in
der Geschichte der Bundesrepublik mitgewirkt hat.
Wir werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren. Seiner Familie spreche ich im Namen des ganzen
Hauses unsere Anteilnahme aus.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren
Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich rufe nun die Zusatzpunkte 1 und 2 auf, die wir gerade auf die Tagesordnung gesetzt haben:
ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus
- Drucksache 17/6916 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({10})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Parlamentsrechte im Rahmen zukünftiger
europäischer Stabilisierungsmaßnahmen sichern und stärken
- Drucksache 17/6945 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({11})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich stelle
dazu Einvernehmen fest.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble.
({12})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diese Haushaltsdebatte steht, wie die öffentlichen Diskussionen in diesen Wochen, im Zeichen der
Turbulenzen der Finanzmärkte und der Notwendigkeit,
unsere gemeinsame europäische Währung in diesen
schwierigen Entwicklungen stabil zu halten und zu verteidigen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner gestrigen Entscheidung erneut bestätigt, dass diese Politik, die
gemeinsame europäische Währung mit Stabilisierungsmaßnahmen stabil zu halten, in vollem Umfang dem
Grundgesetz entspricht und die Besorgnisse, wir würden
auf irgendeine Weise gegen die Bestimmungen unserer
Verfassung verstoßen, unbegründet sind. Wir werden im
Zuge der Beratungen darüber diskutieren, wie die parlamentarische Umsetzung der Entscheidung im Einzelnen
aussehen wird; das Haushaltsrecht des Bundestages ist
das Grundprinzip unserer parlamentarischen Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht hat aber ausdrücklich
klargestellt, dass die bisher getroffenen Entscheidungen
in vollem Umfang dem Grundgesetz entsprechen.
Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes
zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines
europäischen Stabilisierungsmechanismus passen wir
unsere nationale Gesetzgebung an die Änderungen des
Rahmenvertrags für die Europäische Finanz-StabilitätsFazilität an, die im März und im Juli von den Staats- und
Regierungschefs der Euro-Zone beschlossen worden
sind, um diese vorübergehend geschaffene europäische
Finanzierungsanstalt in die Lage zu versetzen, den Herausforderungen der wirtschaftlichen Entwicklung und
der Entwicklung an den Finanzmärkten gerecht zu werden.
Ich will bei dieser Gelegenheit ausdrücklich darauf
hinweisen: Der EFSF-Rahmenvertrag, den wir im Mai
vergangenen Jahres sehr kurzfristig schaffen mussten, ist
ein privatrechtlicher Vertrag.
({0})
Die Finanzierungsanstalt ist eine privatrechtliche Gesellschaft nach luxemburgischem Recht. Deswegen, Herr
Kollege Trittin, ist es nach dem Grundgesetz gar nicht
möglich, diesen Vertrag der Ratifizierung zuzuführen.
Nur völkerrechtliche Verträge können nach dem Grundgesetz ratifiziert werden. Wir haben ihn allerdings mit
dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im
Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus entsprechend in die nationale Gesetzgebung umgesetzt. Das ist nicht in allen Ländern der Euro-Zone
gleich geregelt. Wir haben das Stabilisierungsmechanismusgesetz beschlossen, um eine gesetzliche Grundlage
zu schaffen.
Das ist kein völkerrechtlicher Vertrag; aber wir wollen einen völkerrechtlichen Vertrag. Das wird der Vertrag über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus
sein, der - so ist es vorgesehen - 2013 in Kraft treten
und dann eine internationale Finanzinstitution schaffen
wird. Dieser Vertrag bedarf der Ratifizierung. Ich sage
das, damit wir keinen Streit zu führen brauchen, der allenfalls zu Missverständnissen führen könnte.
Wir mussten diesen Mechanismus schaffen, damit aus
den Problemen eines Landes der Euro-Zone keine Gefahr für die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes werden
kann. Denn wir mussten im vergangenen Jahr lernen
- daraus haben wir die Konsequenzen gezogen -, welche
Folgen die Schwierigkeiten eines Landes haben können.
Es geht um Griechenland, ein Land mit einer hohen Verschuldung, hohen Defiziten, hoher Staatsverschuldung,
unzureichenden Wachstumszahlen und mangelnder
Wettbewerbsfähigkeit. All das stand durch den Druck,
der durch die gemeinsame Währung entsteht, sehr viel
stärker im Fokus der politischen Entwicklung. Damit aus
den Problemen eines Landes mit einem Anteil von
2 Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung der EuroZone wegen der Ansteckungseffekte auf den Märkten
keine Gefahr für die Stabilität der Euro-Zone insgesamt
werden kann, brauchen wir diesen Stabilisierungsmechanismus.
Ich füge aber gleich hinzu: Es geht bei all diesen Hilfen im Zusammenhang mit dem Rettungsschirm immer
um Hilfe zur Selbsthilfe. Anders ist das gar nicht möglich. Wir haben in der Euro-Zone die Währung vergemeinschaftet, aber nicht die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Deswegen können wir den Mitgliedsländern, die in
Schwierigkeiten sind, helfen, Zeit zu gewinnen, ihre
Probleme zu lösen; aber die Ursachen der Probleme
müssen die Mitgliedsländer selbst beseitigen. Daran
führt kein Weg vorbei; das ist das Grundprinzip der
europäischen Architektur. Das darf nicht übersehen werden.
({1})
Deswegen kommen Länder, die in Schwierigkeiten
sind, nicht um die notwendigen Anpassungen ihrer
Haushalte und die Rückführung ihrer zu hohen Defizite
herum. Das ist übrigens der Weg, den auch wir in
Deutschland gehen, gerade auch mit dem Haushalt 2012.
Diesen Weg müssen alle in Europa gehen. So ist es verabredet. Das muss eingehalten werden. Dazu haben sich
alle verpflichtet. Wenn sie Probleme mit der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit haben, dann sind Strukturreformen in diesen Ländern unvermeidlich, damit sie in
einer Welt, in der der Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung der wirtschaftlichen Entwicklung größer
wird und auf allen lastet, dem Wettbewerb standhalten
können.
Hilfe zur Selbsthilfe: Wir verschaffen Ländern, die in
Schwierigkeiten sind, mit diesem Rettungsschirm Zeit
für die notwendige Anpassung und für die Lösung ihrer
Probleme, damit sie die Zeit überbrücken können, in der
sie aufgrund von nicht tragbaren Zinsbelastungen keinen
Zugang zu den internationalen Finanzmärkten haben,
auf den sie angewiesen sind. Das geht nicht über Nacht.
Es geht darum, ihnen Zeit zu verschaffen. Die Lösung
der Strukturprobleme können wir ihnen nicht ersparen.
Deshalb stehen all diese Maßnahmen im Einzelfall
und generell unter der Voraussetzung einer Vereinbarung
strikter Konditionalität, dass also die notwendigen Anpassungsmaßnahmen zur Rückführung der Defizite und
zur Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit den betroffenen Ländern vereinbart werden. So
lautet das Stabilisierungsmechanismusgesetz. Dies muss
eingehalten werden und wird bei der Auszahlung jeder
Tranche durch die unabhängigen Institutionen des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Kommission der Europäischen Union
überprüft.
So ist es schon bei dem vom EFSF geschaffenen Griechenland-Programm. Wir haben vereinbart, dass die Voraussetzungen für die Auszahlung der nächsten Tranche
vierteljährlich überprüft werden müssen. Erst wenn die
Überprüfung ergibt, dass die Voraussetzungen vorliegen
und dass die Vereinbarungen eingehalten sind, kann die
Tranche ausgezahlt werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Lage in Griechenland ist ernst, denn im Augenblick ist die Mission
der Troika unterbrochen. Darüber darf es überhaupt
keine Illusionen geben. Solange diese Mission nicht bestätigen kann, dass die Voraussetzungen erfüllt sind,
kann die nächste Tranche für Griechenland nicht ausgezahlt werden.
({2})
Hier gibt es keinen Entscheidungsspielraum. Das ist in
den Verträgen und in unserem Gesetz so beschlossen.
Das muss jeder wissen. Deshalb ist die Situation ernst.
Wir haben Verständnis für die Probleme in GriechenBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
land. Ich habe es im Rahmen einer früheren Debatte gesagt: Die Rückführung der Defizite bringt für die betroffene Bevölkerung schwere Belastungen mit sich.
({3})
Darüber sollte niemand mit Häme reden. Wer aber jahrelang zu hohe Schulden macht, kommt um Anpassungsmaßnahmen nicht herum.
Daher sage ich bei allem Respekt und bei aller Sympathie für das griechische Volk: Die Anpassungsmaßnahmen können wir Griechenland nicht ersparen. Letzten Endes ist es Sache Griechenlands selbst, zu
entscheiden, ob man dort bereit und in der Lage ist, die
notwendigen Maßnahmen durchzuführen, um die Defizite und die zu hohe Verschuldung zurückzuführen. Das
muss Griechenland selbst entscheiden. Anspruch auf Solidarität hat Griechenland, und Deutschland wird seine
Solidarität zur Verteidigung der gemeinsamen Währung
nicht verweigern. Darauf kann sich Griechenland verlassen. Es muss aber seinen eigenen Beitrag leisten, und es
muss am Ende selbst entscheiden. Daran führt kein Weg
vorbei.
({4})
Die Änderungen des Rahmenvertrags über die europäische Finanzierungsanstalt sehen vor, dass wir sicherstellen, dass die ursprünglich vereinbarte Summe an
Finanzhilfen bis zu einer Obergrenze von 440 Milliarden
Euro, für die entsprechende Anpassungsprogramme vereinbart werden mussten und vereinbart worden sind, zur
Verfügung gestellt werden kann. Diese Finanzierungsanstalt arbeitet nach dem Prinzip, dass sie Finanzhilfen
zur Verfügung stellt und die Mittel dazu auf den Finanzmärkten aufnimmt. Dafür verbürgen sich die Mitgliedsländer der Euro-Zone. Da für eine entsprechende Bewertung der Ratingagenturen nur die Verbürgung durch die
Mitgliedsländer der Euro-Zone, die über die Höchstbewertung durch das sogenannte Triple A verfügen,
zählt und angerechnet wird, brauchen wir in dieser
Finanzierungsanstalt eine Übersicherung.
Daher ergibt sich die komplizierte Zahl. Um 440 Milliarden Euro darzustellen, brauchen wir eine Garantiesumme von rund 750 Milliarden Euro. Deutschland
muss - seinem Anteil an der wirtschaftlichen Gesamtleistung der Euro-Zone entsprechend - davon einen
Anteil von rund 28 Prozent tragen. Das heißt, unsere
Garantieleistungen belaufen sich nach der vorgeschlagenen Änderung auf bis zu 211 Milliarden Euro, wobei die
Zinsen - unserem Haushaltsrecht entsprechend - nicht
eingeschlossen sind. Wir machen es bei allen Gewährleistungen nach der Bundeshaushaltsordnung so, dass
die Zinsen nicht eingerechnet werden. Dies muss man
im Auge haben. Daher sagen manche, es werden bis zu
250 Milliarden Euro. Wir sollten aber durch unterschiedliche Zahlen keinen Grund für neue Verunsicherungen
schaffen. Das festgelegte Garantievolumen beläuft sich
auf 211 Milliarden Euro. Dazu kommen - unserem
Haushaltsrecht entsprechend - Zinsen in einer entsprechenden Größenordnung.
Darüber hinaus haben wir im Änderungsvertrag zum
Rahmenvertrag vereinbart, dass wir der europäischen
Finanzierungsanstalt zusätzliche Instrumente zur Verfügung stellen. Diese Instrumente werden nur unter der
Voraussetzung eingesetzt, dass mit einem Land, zu dessen Gunsten sie eingesetzt werden sollen, entsprechende
Anpassungsmaßnahmen vereinbart sind. Alle Maßnahmen des EFSF unterliegen der Voraussetzung, dass entsprechende Programme vereinbart sind. Das ist eine
ganz klare Regelung.
Aber es sollen zusätzlich zu dem bisherigen Instrument, dass man gegebenenfalls Finanzhilfen zur Verfügung stellen kann, weitere Instrumente geschaffen werden, sodass man analog zu den Möglichkeiten, über die
der Internationale Währungsfonds verfügt, einen - ich
sage es einmal untechnisch - Überziehungskredit vereinbart, also dass man die Möglichkeit hat, eine Kreditlinie
einzuräumen. Diese muss ein Land nicht in Anspruch
nehmen, aber das stärkt das Vertrauen der Finanzmärkte,
weil ein Land unter allen Umständen liquide bleiben
kann, weil es entsprechende Überziehungsmöglichkeiten
hat. Gerade wegen der besorgniserregenden Meldungen
aus der Euro-Zone ist es ganz wichtig, dass die Finanzierungsanstalt in der Lage ist, Ländern notfalls kurzfristig
Mittel für die Kapitalisierung von Banken zur Verfügung
zu stellen. Wenn wir eine Zuspitzung der Krise bekommen sollten - wir wollen sie vermeiden, daran arbeiten
wir, aber man muss auch an unangenehmere Entwicklungen denken -, ist es wichtig, dass wir Ansteckungsgefahren im Bankensektor durch Zurverfügungstellung
von zusätzlichem Kapital bekämpfen können. Mit dem
Änderungsvertrag verschaffen wir der Finanzierungsanstalt die notwendigen Möglichkeiten.
Schließlich wollen wir ein Anpassungsprogramm vereinbaren. Unter engen Voraussetzungen soll die Möglichkeit bestehen - unter Berücksichtigung der Gefährdung der Stabilität der Euro-Zone als Ganzes durch
Ansteckungsgefahren; das muss ausdrücklich noch einmal zusätzlich von der Europäischen Zentralbank bestätigt werden -, an europäischen Sekundärmärkten zu operieren. Ich denke an die Diskussion im vergangenen Jahr,
bei der es darum ging, ob es denn unserem Verständnis
einer unabhängigen Europäischen Zentralbank entspreche, wenn die Europäische Zentralbank am Sekundärmarkt operiert. Bisher gibt es außer der Europäischen
Zentralbank niemanden, der das tun kann. Wir schaffen
im Rahmen der Finanz-Stabilitäts-Fazilität die Möglichkeit, das unter engen Voraussetzungen zu tun. Ich wiederhole: Alles nur unter der Voraussetzung, dass entsprechende Anpassungsmaßnahmen mit den betreffenden
Ländern vereinbart worden sind.
Ich will hinzufügen: Wir haben schon im März
vereinbart, dass die Finanzierungsanstalt unter engen
Voraussetzungen auch am Primärmarkt operieren kann.
Angesichts mancher Missverständnisse will ich darauf
hinweisen - das ist im März ausdrücklich vereinbart
worden -: nur unter der Voraussetzung, dass die Finanzierungsanstalt dem Land unmittelbar einen Kredit
gewähren könnte. Dann kann es dort freie Gestaltung
geben, wo es wirtschaftlich sehr viel sinnvoller ist. Man
gibt also keinen Kredit, sondern man operiert in einem
begrenzten Umfang am Primärmarkt. Das ist keine generelle Ermächtigung, dass die Finanzierungsanstalt die
Haushalte von Mitgliedern der Euro-Zone finanzieren
kann. Genau dies ist ausgeschlossen. Nur unter der
Voraussetzung der Gewährung einer Finanzhilfe kann in
Ausnahmefällen auch auf dem Primärmarkt operiert
werden.
Wir müssen die derzeitigen Schwierigkeiten auf der
Grundlage geltender Verträge - eine andere Grundlage
haben wir nicht - bewältigen. Das ist das, was wir leisten können. Angesichts der Debatte über die Beteiligung
der Privatgläubiger will ich darauf hinweisen - das muss
man wissen -, was Privatgläubigerbeteiligung auf der
Grundlage geltender Verträge bedeutet - das betrifft insbesondere die geltenden Verträge bezüglich der im
Markt befindlichen Anleihen -: Wenn man einen
Default, also einen Konkurs mit der Auslösung aller
Kreditversicherungsverträge vermeiden will, kann die
Beteiligung nur im Wege der Vereinbarung erfolgen.
Deswegen haben wir bei dem Entwurf eines zweiten
Griechenland-Programms den mühsamen Weg gehen
müssen, der in der Öffentlichkeit nicht einfach darzustellen und zu erläutern ist. Das liegt in der Natur der Sache.
Deswegen nutze ich die Gelegenheit, das zu erläutern.
Wir haben den Weg der Vereinbarung mit den Finanzinstituten gehen müssen, weil alles andere den getroffenen Vereinbarungen widersprochen hätte, und wir können in Europa nicht anfangen, uns an getroffene Verträge
nicht mehr zu halten. Deswegen sieht der Vertrag zur
Schaffung der internationalen Institution Europäischer
Stabilisierungsmechanismus, ESM, vor, dass wir den
Stabilisierungsmechanismus ab 2013 ausdrücklich in das
Regelwerk aufnehmen und alle Anleihen, die ab 2013,
also in der Zukunft, von Mitgliedstaaten der Euro-Zone
begeben werden, eine Klausel enthalten, die im Falle
einer nicht vorhandenen Schuldentragfähigkeit eine
Anpassung vorsieht. In Zukunft werden wir also mehr
Möglichkeiten haben. Gegenwärtig müssen wir aber mit
den vorhandenen Instrumentarien zurechtkommen.
Ich füge hinzu: Die Debatte über ein zweites Programm für Griechenland ist angesichts der Schwierigkeiten, Griechenland im Rahmen des jetzigen Programms die nächste Tranche auszuzahlen, sehr verfrüht.
Deswegen glaube ich, dass wir uns zunächst einmal
darauf konzentrieren müssen: Erfüllt Griechenland überhaupt die entsprechenden Voraussetzungen, damit die
nächste Tranche ausbezahlt werden kann? Es mag sein,
dass daraus Konsequenzen gezogen werden müssen, und
zwar auch für ein neues Griechenland-Programm.
Wir leisten das, was wir auf der Grundlage der im
Augenblick geltenden Verträge leisten können. Die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident haben
eine Menge Vorschläge erarbeitet, wie wir die Handlungsfähigkeit innerhalb der Euro-Zone und die Mechanismen, nach denen wir in der Euro-Zone zu Entscheidungen kommen, verbessern können. Das erfordert
keine Vertragsänderungen. Wir sollten vielleicht darüber
nachdenken, wie wir die Sanktionsmechanismen verändern können, damit bei Verstößen gegen eingegangene
Verpflichtungen Sanktionen schneller ausgesprochen
werden können. Es muss auch um die Verhandlungen
zwischen Rat, Parlament und Kommission und die quasi
automatischen Sanktionen bei Verletzung des Stabilitätsund Wachstumspakts gehen. Das müssen wir verbessern.
({5})
- Quasi automatisch.
({6})
- Ja, gut: Quasi automatisch mit dem sogenannten Sixpack. - Das ist das, was auf der Grundlage geltender
Verträge möglich ist. In diesen Tagen zeichnet sich ab,
dass wir ein Ergebnis finden werden.
Ich möchte eine weitere Bemerkung hinzufügen: Gerade die Schwierigkeit, auf Grundlage der geltenden
Verträge und der geltenden Rechtslage eine Beruhigung
der Märkte herbeizuführen, zeigt, dass die Märkte erwarten, dass wir eine Struktur für Europa schaffen, dass wir
für die gemeinsame Währung bessere institutionelle Vorkehrungen treffen. Das wird ein langer Weg sein. In
diese Richtung müssen wir gehen. Dafür müssen wir
arbeiten; aber heute und morgen müssen wir unsere
gemeinsame Währung - das liegt in unserem gemeinsamen Interesse und ist im Sinne unserer Verantwortung mit den Mitteln, die wir haben, verteidigen.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Sigmar Gabriel für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr
geehrter Herr Kollege Schäuble, wir alle wissen, dass
Sie nicht nur ein konservativer, sondern vor allen Dingen
auch ein leidenschaftlicher und überzeugter Europäer
sind. Ich erinnere mich noch gut an die Rede, mit der Sie
hier vor einigen Monaten das Festhalten am europäischen Projekt begründet haben. Vieles von dem, was Sie
damals und heute hier erläutert haben, teilen wir. Wir
finden das - das sage ich ausdrücklich - richtig. Ich
frage mich nur: Warum haben Sie als einer der überzeugtesten Europäer Ihrer Koalition zugelassen, dass die
gesamte europäische und internationale Politik, vor
allem die Finanzmärkte, von denen Sie jetzt sagen, wir
müssten sie beruhigen, durch die deutsche Haltung bei
der Lösung der Krise so stark irritiert und verunsichert
wurden? Bei allem Respekt für Ihre Haltung: Was war
denn das, was wir in den letzten 18 Monaten erlebt haben? Sie persönlich, Herr Schäuble, und Ihre Bundeskanzlerin haben vor einem Jahr behauptet, keinen Cent
für Griechenland geben zu wollen.
({0})
- Oh. - Am 30. Dezember 2009 ging es im Handelsblatt
los. Ich zitiere Herrn Schäuble: „Es wäre falsch verstandene Solidarität, wenn wir den Griechen … unter die
Arme greifen würden.“
({1})
Herr Brüderle sagte am 5. März: „Wir haben nicht die
Absicht, einen Cent zu geben.“
Herr Schäuble, wir haben Sie von Anfang an vor diesem Euro-Populismus gewarnt. Aber auch im Jahr 2011
wurden Sie nicht klüger. Erst haben Sie monatelang eine
europäische Wirtschaftsregierung abgelehnt, um sie
dann in einer deutsch-französischen Initiative einzufordern. Natürlich hat Ihnen Ihr bayerischer Ministerpräsident sofort widersprochen; vermutlich hat er Ihre Äußerungen gegen eine Wirtschaftsregierung vorher für ernst
gemeint gehalten. Ihnen blieb dann nichts anderes mehr
übrig, Frau Bundeskanzlerin, als das als einen Übersetzungsfehler darzustellen; ich vermute: bei der Übersetzung in die bayerische Mundart.
Ich kann die Liste der Beispiele fast endlos fortsetzen:
von der Ablehnung der Gläubigerbeteiligung, dem
Schuldenschnitt, der Finanztransaktionsteuer im EuroRaum, die Sie, Herr Schäuble, heute selber fordern, bis
zum Kauf von Staatsanleihen der Krisenländer durch
den Rettungsschirm. Es gab Tage, da musste man Gedächtnisverlust im Stundentakt haben, um die Widersprüche Ihrer Politik nicht zu bemerken. Herr Kollege
Schäuble, jeder, der sich mit der Krise befasst, weiß,
dass es schwer ist, den richtigen Weg zu finden. Jeder
weiß, dass es keine einfachen Lösungen gibt und dass
manches, was man gestern noch für undenkbar hielt,
morgen bereits gemacht werden muss. Deshalb werfe
ich Ihnen den Wechsel mancher Positionen nicht wirklich vor - Sie mussten sich vorsichtig vortasten -, aber
was ich Ihnen vorwerfe, ist die Selbstgerechtigkeit, mit
der Sie uns vorgestern und gestern hier im Haus Lehren
erteilen wollten.
({2})
Noch viel schlimmer ist: Sie haben mit Ihren kurzsichtigen und dummen Parolen die Öffentlichkeit und
Ihre eigenen Abgeordneten immer erst richtig auf die
Bäume getrieben
({3})
und wissen jetzt nicht, wie Sie sie wieder herunterbekommen sollen.
({4})
Sie haben dem Boulevard und den Stammtischen Ihrer
eigenen Fraktion Zucker gegeben, und deshalb müssen
Sie jetzt um Ihre eigene Mehrheit fürchten.
({5})
Frau Merkel und Sie sind wie zwei Zauberlehrlinge, die
die Geister nicht mehr loswerden, die sie selber gerufen
haben. Die Rede der Kanzlerin gestern war das beste Indiz dafür.
({6})
Die Rechtfertigungsrhetorik und die Haltet-den-DiebRhetorik dienen doch ausschließlich dazu, die unübersehbaren Lücken in Ihrer Koalition zu vertuschen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie und Ihr Finanzminister tun
jetzt so, als sei das, was Sie heute hier dem Parlament
vorlegen, keine Vergemeinschaftung von Schulden. Sagen Sie einmal: Für wie dumm halten Sie eigentlich Ihre
eigenen Abgeordneten?
({7})
Frau Bundeskanzlerin, viele Ihrer Kollegen durchschauen doch, dass Sie selbst längst die Vergemeinschaftung der Schulden von Griechenland, Portugal, Spanien
und Italien vorangetrieben haben. Wer haftet denn für
die Schuldtitel der Krisenstaaten in Höhe von 120 Milliarden Euro, die die Europäische Zentralbank aufkaufen
musste, weil Sie, Frau Merkel, diesen Aufkauf durch den
Rettungsschirm noch im März dieses Jahres verhindert
haben?
({8})
Natürlich die Euro-Staaten, die an der Europäischen
Zentralbank beteiligt sind, also auch Deutschland. In den
Tresoren der Europäischen Zentralbank liegen die ersten
120 Milliarden Euro an vergemeinschafteten Schulden.
Das sind die ersten Merkel-Bonds, die wir hier im Hause
bekommen haben.
({9})
- Ihre Kollegen lachen nicht, weil sie wissen, dass Sie
schon die ersten 120 Milliarden Euro vergemeinschaftet
haben.
Es war übrigens Deutschland, es war einer Ihrer Vorgänger, Frau Bundeskanzlerin, Helmut Kohl, und einer
der Vorgänger von Herrn Schäuble, Herr Waigel, die bei
der Währungsunion darauf geachtet haben, dass die Europäische Zentralbank eine neutrale Rolle als Währungshüterin genauso wie vorher die Bundesbank als Auftrag
bekommen hat. Die Neutralität der Europäischen Zentralbank war einmal der sicherste Stabilitätsanker des
Euro. Und was machen Sie? Sie haben aus diesem Stabilitätsanker, aus der EZB, eine europäische Bad Bank gemacht,
({10})
die sich inzwischen gegen die Gläubigerbeteiligung in
der Finanzkrise wehren muss, weil sie sonst selber in
Gefahr gerät. Sie haben sie zum Bestandteil der Krise
statt zum Schützer der Währung in Europa gemacht,
meine Damen und Herren.
({11})
Herr Schäuble, wir verstehen ja, dass Sie auf der Basis der geltenden Verträge eine Gläubigerbeteiligung nur
in Verhandlungen durchsetzen können. Aber das heißt
nicht, dass man das, was die Banken einem vorlegen,
auch gleich unterschreiben muss. Wissen Sie: Sie nehmen den Mund ja gern ziemlich voll,
({12})
wenn Sie SPD und Grüne für den damaligen Umgang
mit den Stabilitätskriterien von Maastricht kritisieren.
({13})
- Ja, das wusste ich. Ich wollte Ihnen auch einmal einen
Gefallen tun
({14})
und das in meiner Rede erwähnen. Selbst wenn man unterstellt, Sie hätten recht: Niemals zuvor hat jemand den
wichtigsten Stabilitätsanker des Euro so sehr und nachhaltig beschädigt wie Sie und Ihre orientierungslose Regierung im Umgang mit der Europäischen Zentralbank.
Dafür sind Sie zu Recht vom Bundespräsidenten heftig
kritisiert worden.
({15})
Heute folgt nun der zweite Schritt zur Vergemeinschaftung von Schulden, diesmal Gott sei Dank nicht
mehr über die EZB, sondern über den Rettungsschirm,
die EFSF. Herr Schäuble, Frau Merkel, Sie haben noch
vor wenigen Monaten erklärt, Sie seien gegen den Ankauf von Schuldtiteln auf den Sekundärmärkten durch
den Euro-Rettungsschirm.
({16})
Heute schlagen Sie in dem vorgelegten Gesetzentwurf
genau diesen Ankauf von Schuldtiteln vor, weil Sie
wahrscheinlich gemerkt haben, dass Ihre fatale Haltung
zur EZB die Währungsstabilität auf Dauer gefährdet.
Heute schlagen Sie also das genaue Gegenteil von dem
vor, was Sie noch vor wenigen Monaten verteufelt haben: den Ankauf von Schuldtiteln durch die EFSF.
({17})
Natürlich setzen Sie damit den Weg in die Vergemeinschaftung der Schulden in der Euro-Zone fort. Deutschland haftet im schlimmsten Fall mit mehr als 200 Milliarden Euro. Das ist die zweite Tranche der MerkelBonds, meine Damen und Herren. Das ist die Realität,
vor der wir stehen.
({18})
Bei Ihnen und Ihrer Haltung wächst nichts mehr zusammen, weil auch nichts zusammengehört. Der Unterschied zu Euro-Bonds ist doch nur noch, dass diese tatsächlich eine echte Änderung der EU-Verträge erfordern
und deshalb wirklich nicht so schnell realisierbar wären.
({19})
Wir glauben, dass wir diese Vertragsänderungen mittelfristig brauchen. Denn die Einflussnahme auf die
Haushalts-, die Finanz- und die Steuerpolitik der EuroKrisenstaaten ist ohne Vertragsänderungen aus unserer
Sicht zu gering. Wer die Hilfe anderer Mitgliedstaaten
braucht, muss akzeptieren, dass diese Mitgliedstaaten
über die Europäische Union auch Einfluss auf die Finanzpolitik, die Haushalte und die Steuerpolitik der Krisenstaaten erhalten. Nur so schaffen wir auf Dauer Stabilität.
({20})
Sie selbst, Herr Schäuble, wollen diese Vertragsänderungen ja. Nur: Ihre Kanzlerin folgt Ihnen mal wieder
nicht. Nichts scheut die Bundeskanzlerin so sehr wie
starke EU-Institutionen. Anders als Sie, Herr Schäuble,
nimmt die Kanzlerin lieber die Risiken eines schwachen
Europas in Kauf, als Souveränität an Europa abzugeben.
({21})
Genau das ist der politische Bruch mit allen Kanzlern
vor ihr. Angela Merkel ist die erste Kanzlerin der Republik, der genau dieses Bewusstsein fehlt. Deshalb
schrieb Helmut Kohl ihr ins Stammbuch - ich zitiere -:
„… keinen Standpunkt oder keine Idee …, wo man hingehört und wo man hin will.“ Meine Damen und Herren,
wenn der Kopf der Regierung nicht wirklich von Europa
überzeugt ist, wie soll es dann der Rest sein? Kein Wunder, dass bei Ihnen ständig alles zerstritten und zerredet
wird.
({22})
Ein Hühnerhaufen ist im Vergleich zu Ihrer Truppe eine
ziemlich geordnete Formation. Wer heute von außerhalb
Deutschlands auf Ihre Europapolitik schaut, der kann
vieles erkennen, aber keine klare Linie und kein Konzept.
({23})
Herr Schäuble, Sie hätten das, was Sie wissen und
auch selber meinen, von Anfang an offen sagen müssen,
vor allen Dingen hätten Sie konsequent die Wahrheit sagen müssen. Die Wahrheit ist: Sie sind längst auf dem
Weg in die Vergemeinschaftung von Schulden. Die
heimliche Vergemeinschaftung von Schulden durch die
Zerstörung der Handlungsfähigkeit der EZB muss ein
Ende haben. Deshalb ist die EFSF jetzt der richtige
Schritt. Die damit verbundenen Einflussmöglichkeiten
im Hinblick auf die Haushalte und Schulden der EuroMitgliedstaaten müssen aber dringend erweitert werden.
Dabei müssen wir endlich die Geburtsfehler des Euro
beheben. Wir brauchen mehr europäischen Einfluss auf
die Stabilitäts-, Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik
der einzelnen Mitgliedstaaten.
({24})
Was wir heute hier im Bundestag vorgelegt bekommen, sind erste Schritte auf diesem richtigen Weg. Das
ist in der Tat schwierig und wird vermutlich auch nicht
ausreichen; aber es sind eben die ersten richtigen
Schritte dieser Regierung in der Euro-Krise. Deshalb
werden wir sie mitgehen.
Neben Ihrem Zickzackkurs ist der wohl fundamentalste europapolitische Fehler von CDU/CSU und FDP
die verkürzte Kosten-Nutzen-Rechnung der gesamten
Euro-Debatte, die Sie hier ständig angeführt haben.
Deutschland wird von Ihnen ständig als Zahlmeister hingestellt, der für die Faulheit anderer immer zur Kasse gebeten werden soll. Auch wir Sozialdemokraten wollen
die Fehler - die Korruption und vor allen Dingen den
Betrug unter der konservativen christdemokratischen
Regierung in Griechenland, der Vorgängerregierung des
heutigen Ministerpräsidenten - nicht rechtfertigen. Das
wäre unverantwortlich. Auch wir sagen: Griechenland
kann nur europäische Hilfen erhalten, wenn es seine Zusagen einhält. Aber es sind eben nicht vor allem unverantwortliche Regierungen gewesen, die Europa an den
Rand des Abgrunds geführt haben.
({25})
In Irland, in Spanien und Portugal sind es vor allen Dingen unverantwortliche Banken und Spekulanten gewesen, die diese Euro-Länder in die katastrophale Verschuldung getrieben haben.
({26})
Nichts anderes ist auch bei uns der Fall. Es ist wirklich unfassbar, dass Ihre Kanzlerin gestern schon wieder
so getan hat, als wären die Staatsschulden in den EuroMitgliedstaaten allein durch falsches Regierungshandeln
entstanden, als litten alle unter zu hohen Staatsschulden,
weil sie über ihre Verhältnisse gelebt hätten.
({27})
- Sie rufen auch noch „Ja“. - Die Wahrheit ist doch, dass
diese Staatsschulden ganz wesentlich durch den Verlustsozialismus des Bankensektors entstanden sind.
({28})
- Interessant, dass die CDU das eigentlich unkommentiert hinnimmt, aber ausgerechnet die FDP unruhig wird,
wenn man die Banken kritisiert.
Sie verkleistern die Gründe für die Schuldenkrise,
und man fragt sich: Warum? Weil Sie die Finanzmärkte
immer noch schonen wollen? In Wahrheit ist dieses
dumme Modell der wirtschaftlichen und sozialen Staatsfeindlichkeit, das Sie noch ständig verteidigen, doch
längst gescheitert. In Wahrheit hat das Modell weltweit
gewonnen, das Sie in den 90er-Jahren so massiv bekämpft haben und das die FDP noch heute bekämpft,
nämlich das deutsche Modell der Zusammenarbeit von
Wirtschaft, Gewerkschaften und Staat. Es ist das Modell
der Sozialpartnerschaft, das Spielregeln für Wirtschaft,
Entwicklung und soziale Entwicklung setzt. Ausgerechnet dieses Modell, bei dem der Staat in Krisenzeiten interveniert, hat Ihre Kanzlerin noch gestern zum Hauptgrund der Krise in Europa erklärt. Vielleicht sollten
diejenigen in der CDU/CSU, die sich in der Geschichte
der Republik ein bisschen besser auskennen, der Kanzlerin mal erklären, wo tatsächlich die Schulden in
Deutschland entstanden sind.
({29})
- Herr Kauder, wollen Sie es vorgelesen bekommen?
Das kann ich gerne machen. Bei Ihnen kann man ja relativ häufig mit Zwischenrufen rechnen. - Frau Kanzlerin,
es ist sehr interessant, dass Sie gestern - da habe ich zugehört - gesagt haben, das habe mit der Großen Koalition in den 60er-Jahren begonnen. Bis 1982 - da fand die
Regierungsübernahme durch CDU/CSU und FDP statt hatte Westdeutschland 314 Milliarden Euro Schulden.
Das waren ungefähr 37 Prozent des BIP. 1989 waren es
schon 474 Milliarden Euro und 45 Prozent des BIP.
Dann kam das Versprechen des CDU-Bundeskanzlers,
die deutsche Einheit koste nichts, und dann waren es
1,2 Billionen Euro und 60 Prozent des BIP.
({30})
Unsere Schulden haben ganz wenig damit zu tun, dass
wir über unsere Verhältnisse gelebt hätten, aber ganz viel
mit Ihrer gescheiterten Ideologie freier Märkte und ganz
viel mit gebrochenen Wahlversprechen in Deutschland,
unter anderem auch beim Umgang mit der deutschen
Einheit.
({31})
Anstatt daraus etwas zu lernen und endlich aufzuhören,
den Menschen unhaltbare Versprechungen zu machen,
machen Sie - Sie haben nichts gelernt - im Gegenteil so
weiter wie vorher. Jetzt versprechen Sie schon wieder
Steuergeschenke, die unbezahlbar sind. Während wir
noch fast 30 Milliarden Euro neue Schulden machen,
fantasieren Sie über Steuersenkungen von mehr als
10 Milliarden Euro pro Jahr. Sie sind wirklich nicht
mehr ganz bei Trost, meine Damen und Herren. Anders
kann man das nicht bezeichnen.
({32})
Die Krise des Euro ist ganz wesentlich eine Krise der
verwahrlosten Finanzmärkte. Es war eben ein konservativer und liberaler Irrglaube, diese Ideologie der Marktgläubigkeit und der Staatsfeindlichkeit, die Einstellung,
alles das, was Finanzmärkte tun, ihren eigenen Regeln
zu überlassen, jahrelang vertreten zu haben. Wir sagen
Ihnen: Diese Dominanz der Finanzmärkte sind wir nicht
länger bereit zu dulden; denn sie ist ohne jede demokratische Legitimation. Sie berührt inzwischen auch die
Demokratie selbst. Sie bedroht Europa nicht nur als
Wirtschaftsstandort, sondern auch als Lebensort, Wertegemeinschaft und funktionsfähige Demokratie.
Weil Ihre Diagnose falsch ist und Sie immer noch
glauben, die Menschen lebten über ihre Verhältnisse,
statt zu schauen, welche Krisen in den Finanzmärkten
entstehen, und diesen Verlustsozialismus zu beenden,
haben Sie auch noch die falsche Therapie. Es reicht eben
nicht aus, einzig und allein auf das Sparen zu setzen. Um
jedem Missverständnis vorzubeugen: Natürlich gehört
Sparen dazu. Vor allem die konjunkturunabhängigen
Staatsausgaben in den Krisenstaaten müssen runter.
({33})
Aber ich weiß auch noch, wie uns hier von Herrn
Westerwelle und anderen Irland als leuchtendes Beispiel
eines deregulierten Niedriglohn- und Niedrigsteuerlandes vorgestellt wurde.
({34})
Das heißt, neben dem Sparen muss man als Zweites
Ihre Ideologie des Niedrigsteuerlandes beenden. Man
muss dafür sorgen, dass in diesen Ländern die Steuern
erhoben werden, die nötig sind, um den Staatshaushalt
zu finanzieren. Wir können doch nicht in Deutschland
den Menschen Steuern abverlangen und anderswo in einen Steuerdumpingwettbewerb eintreten. Das muss doch
endlich beendet werden. Dazu gab es von Ihnen kein
einziges Wort.
({35})
Ludwig Erhard mit seinen Sparappellen - Sie haben
ja mit Ihrem Blick zurück auf die erste Große Koalition
weit in die Vergangenheit geschaut, Frau Bundeskanzlerin; ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie darüber nicht
allzu viel wissen ({36})
und seiner Aufforderung, Maß zu halten - für ihn war
Sparen die einzige Antwort auf die erste Krise -, ist rasant gescheitert. Danach kamen unter anderem Schmidt
und Schiller und haben erklärt: Preisstabilität ist wichtig,
aber wir müssen genauso in Wachstum und Beschäftigung investieren. Ich sage Ihnen, was wir brauchen: Weniger Erhard und Merkel, mehr Schmidt und Schiller in
Europa! Das ist die richtige Entwicklung für Deutschland.
({37})
- Haben Sie etwas zu sagen, Herr Kauder?
({38})
- Herr Kauder, Sie scheinen nicht einmal zu wissen, dass
das Gesetz, das damals in der Großen Koalition gegen
den Willen von Ludwig Erhard beschlossen wurde, bis
heute gilt. Das ist das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz.
({39})
Dass bei Ihnen offensichtlich der Zustand erreicht ist,
dass Sie inzwischen selber nicht mehr wissen, was in
Deutschland Recht und Gesetz ist, das wundert mich allerdings.
({40})
- Anscheinend doch, sonst würden Sie nicht so seltsame
Zwischenrufe machen. Schade, dass die nicht jeder hören kann.
Damit Sie wissen, worum es geht, Herr Kauder: Das
ist nicht nur Philosophie. Es geht um Folgendes: Wie
wachsen die Menschen auf, die morgen und übermorgen
Europa sein werden? Als wir alle groß geworden sind,
war Europa ein Zeichen der Hoffnung und der Perspektive für junge Menschen. Das hat sich ins Gegenteil verkehrt: 45 Prozent Arbeitslosigkeit in Spanien, 40 Prozent
in Griechenland, 22 Prozent in Frankreich und 20 Prozent in England.
({41})
- Wissen Sie, warum bei uns die Arbeitslosigkeit niedriger ist? Weil wir das getan haben, was Ihre Kanzlerin
gestern als Ursache aller Krisen angesehen hat: Wir haben in der Krise investiert, Konjunkturprogramme aufgelegt und uns in der Krise verschuldet. Das ist der
Grund, warum wir aus der Krise besser als andere herausgekommen sind.
({42})
Jetzt, wo die Krise vorbei ist, wollen wir die Schulden
herunterführen und keine Steuergeschenke machen. Statt
dumme Vorschläge über Goldreserven und anderes zu
machen, mit denen Frau von der Leyen in der letzten
Zeit aufgefallen ist, sollte die deutsche Arbeitsministerin
ihre Kollegen einmal einladen und darüber reden, ein
Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa aufzulegen. Das sind nämlich die Menschen, die morgen
Europa tragen sollen. Aber nichts davon bringen Sie auf
den Weg.
({43})
Stellen Sie das dumme Gerede vom „Zahlmeister
Europas“ ein. In Wahrheit sind wir die politischen und
die wirtschaftlichen Gewinner Europas und des Euros politisch, weil es die deutsche Einheit ohne Europa gar
nicht gäbe und weil nichts, was wir jetzt erleben, so
teuer sein kann, wie es ohne die deutsche Einheit geworden wäre. Der Zugewinn an Freiheit und Sicherheit und
die wirtschaftliche Prosperität können durch nichts ersetzt werden.
({44})
- Nein, ich habe Ihnen vorgeworfen, dass Sie damals die
Menschen über die Kosten der Wiedervereinigung beschwindelt haben. Das habe ich Ihnen vorgeworfen,
nicht die Kosten selber.
({45})
Sie haben doch gesagt: Dafür brauchen wir keine Steuererhöhung, das zahlen wir alles so. - 1,2 Billionen Euro
Staatsverschuldung sind daraus geworden.
Wir sind auch die wirtschaftlichen Gewinner, weil wir
eine Exportnation sind. Statt das als Bundesregierung
von Anfang an zu sagen und für die Mithilfe in Europa
durch Deutschland zu werben, haben Sie die Leute erst
mit Stammtischparolen - die Griechen sollen ihre Inseln
verkaufen, und ich weiß nicht, was noch alles - auf die
Bäume gebracht.
Die Sozialdemokraten haben als Antwort auf -
Herr Gabriel, möchten Sie noch eine Zwischenfrage
des Kollegen Altmaier beantworten?
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Gabriel, Sie haben vorhin gesagt: Wir
brauchen mehr Schmidt und Schiller. - Ist Ihnen erstens
bekannt, dass der damalige Finanz- und Wirtschaftsminister Karl Schiller 1972 aus der SPD ausgetreten und
als Minister zurückgetreten ist, weil er mit der Verschuldens- und Inflationspolitik seiner eigenen Partei nichts
zu tun haben wollte?
({0})
Ist Ihnen zweitens bekannt, dass sein Nachfolger damals
Helmut Schmidt war, der bereit war, diese Politik mit
dem Spruch „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit“ fortzusetzen, und dass am Ende der
Amtszeit dieses Ministers 5 Prozent Arbeitslosigkeit und
5 Prozent Inflation zu verzeichnen waren?
({1})
Erstens. Mir ist bekannt, dass Karl Schiller später
wieder in die SPD eingetreten ist. Ich glaube, heute ist
Peer Steinbrück Vorsitzender einer Gesellschaft, die das
Ziel hat, sein Erbe und seine Vernunft im Bereich der
Wirtschaftspolitik in Deutschland wachzuhalten.
({0})
- Ja, natürlich. Wenn man wieder eintritt, muss man vorher ausgetreten sein. Anders geht das, glaube ich, selbst
bei Ihnen nicht.
({1})
Zweitens. Es ändert nichts daran, Herr Kollege
Altmaier, dass der Grundgedanke des Stabilitäts- und
Wachstumsgesetzes, sich eben nicht nur um ein Thema
zu kümmern, also nicht nur um Preisstabilität, sondern
um die Balance von Preisstabilität, Wirtschaftswachstum, hohem Beschäftigungsniveau und Außenhandelsgleichgewicht, die richtige Antwort auf die nationale
Wirtschaftskrise war. Und das war die Antwort von
Schmidt und Schiller. Das wäre auch jetzt die richtige
Antwort in Europa.
({2})
Wir brauchen das berühmte magische Viereck dieser
vier Ziele als gemeinsame Wirtschaftspolitik in Europa.
Darum geht es.
({3})
Ihr Sparappell führt doch, wenn er nicht durch
Wachstum und durch die Schaffung von Beschäftigungschancen ergänzt wird, nur dazu, dass die Staaten
immer mehr in die Krise hineingeraten und dass wir in
Deutschland damit nicht herauskommen. - Das war die
Antwort zum Thema Schmidt und Schiller.
({4})
- Vorsicht, halt; Sie wollten doch noch etwas zu Helmut
Schmidt wissen.
({5})
- Ich kann Ihnen das nicht ersparen. - Helmut Schmidt
ist derjenige, der mit Valéry Giscard d’Estaing die europäische Einheit vorangetrieben hat. Helmut Kohl hat das
fortgesetzt und zu großem Erfolg gebracht. Wir wären
heute alle froh, wenn wir in Europa politische Führungspersönlichkeiten vom Schlage Schmidt, Giscard
d’Estaing oder auch Helmut Kohl hätten. Leider müssen
wir uns aber mit Frau Merkel und Herrn Sarkozy zufriedengeben. Das ist das, was wir zurzeit erleben.
({6})
- Vielleicht stellen Sie noch eine Zwischenfrage.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben als Antwort auf die Entwicklung der Finanzmärkte
2009 einen Paradigmenwechsel gefordert. Wenn wir
nicht ernst machen mit der Regulierung der Finanzmärkte und mit der Verschränkung von Risiko und Haftung auf den globalen Finanzmärkten, also der Beteiligung der Gläubiger an den Kosten der Krise, dann droht
ein Kompetenzverlust des Politischen und der Demokratie insgesamt.
Wir dürfen eben nicht zulassen, dass solche Propagandaparolen in die Welt gesetzt werden, als seien die
Probleme gelöst, wenn die Menschen nicht mehr über
ihre Verhältnisse lebten. Ich habe gestern einen Brief eines im Bewachungsgewerbe Tätigen bekommen, der
4,01 Euro pro Stunde verdient. Er hat Ihre Sprüche, er
würde über seine Verhältnisse leben, genau verfolgt. Er
muss 300 Stunden im Monat arbeiten, um auf 1 000 Euro
brutto zu kommen. Das sind die Leute in Deutschland, denen Sie sagen, sie lebten über ihre Verhältnisse.
({7})
Deshalb geht es darum, diejenigen zur Verantwortung
zu ziehen, die tatsächlich an der Krise schuld sind. Wir
müssen dabei Europa neu begründen und unseren Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass wir in Zukunft in der
Welt eben nicht mehr als Einzelstaaten Gehör finden. Ob
Klimapolitik, Migrationsfragen, Außen- und Sicherheitspolitik oder Wirtschaftspolitik - nur als Europäer
werden wir an Einfluss gewinnen.
Die Alternative dazu ist noch schmerzlicher. An wen
soll ein hochverschuldeter Mitgliedstaat eigentlich seine
Kompetenzen abgeben? An eine gemeinsame EU, die
demokratisch legitimiert ist? Oder an anonyme Finanzmärkte, die inzwischen gegen alles wetten, was schnellen Gewinn verspricht?
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich
zu einer Schuldenkrise ausgeweitet hat, ist auch das
Symptom unserer gescheiterten Gesellschaftspolitik der
letzten Jahrzehnte. In der Folge waren die Rechnungen
für das Streben nach unbegrenztem Wirtschaftswachstum auf Pump und die Gier nach maximalen Renditen
und maßlosen Profiten geschrieben.
Die notwendige Schaffung verbesserter internationaler Mechanismen muss in Europa beginnen. Wir wollen,
dass wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Zusammenhalt
wieder zusammenfinden. Darum, Frau Bundeskanzlerin,
geht es, nicht nur um Rettungsschirme.
Es geht nicht darum, den Menschen ständig zu sagen,
sie sollten weniger verbrauchen.
({8})
Es geht vielmehr darum, dass wir dafür Sorge tragen,
dass die tatsächlichen Ursachen der Krise endlich bewältigt werden. Sie haben seit der Großen Koalition und den
Verabredungen beim G-20-Gipfel in Pittsburgh fast
nichts auf den Weg gebracht. Sie haben alles liegen gelassen.
Sie sind mit der Finanzkrise so umgegangen wie manche mit dem Elbhochwasser. Immer, wenn das Wasser
im Keller steht, dann heißt es: Nie wieder in Überschwemmungsgebieten bauen. Wenn das Wasser weg ist,
wird weitergemacht wie bisher. - Sie haben das alles in
Europa und international zugelassen. Wir wollen dafür
Sorge tragen, dass in Europa endlich wieder in Wachstum und Beschäftigung investiert wird, damit wir aus der
Schuldenkrise herauskommen.
Wer das versteht, der wird politisch vernünftig handeln. Wer das nicht versteht, verspielt die Zukunft nicht
nur des Euros, sondern der Demokratie in Europa.
({9})
Sie haben mit Ihrer Propaganda gegen Europa und den
Euro über Monate nichts anderes gemacht, als Europa in
Misskredit zu bringen. Jetzt haben wir es alle miteinander sehr schwer, da wieder herauszukommen. Wir wollten das nicht.
Sie wollten als Eiserne Kanzlerin in der Bild-Zeitung
abgebildet werden, unter der Überschrift „Keinen Cent
für Griechenland“. Jetzt haben wir Mühe, zu erklären,
dass das alles in die falsche Richtung gelaufen ist.
Man darf sein Volk nicht in eine falsche Richtung aufwiegeln. Man muss als Politiker wissen, in welche Richtung man will, und dafür kämpfen und eintreten. Nichts
davon haben Sie in den letzten Monaten getan.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gabriel, wir diskutieren ein sehr ernstes Thema,
nämlich wie wir Europa neu gestalten: Europa ja, aber
ein Stück anders als bisher.
Man kann das auf zwei Wegen machen. Man kann das
wie Sie in parteipolitischer Polemik tun. Dabei kann ich
Ihnen mindestens so lange, wie Sie es getan haben, vorhalten, was bei Ihnen alles schiefgelaufen ist, mit dicken
Backen rauf oder runter.
({0})
Man kann sich dem Thema aber auch ernsthaft nähern. Es geht darum, wie wir das Vertrauen der Menschen für eine europäische Zukunft gewinnen.
Wir haben andere Bedingungen in Europa. Europa ist
nicht mit den Vereinigten Staaten von Amerika gleichzusetzen. Es ist kein Melting Pot. Europa ist Vielfalt. Wir
haben eine Wirtschafts- und Währungsunion, keine politische Union. Wir müssen Regeln haben, damit es funktioniert. Gegen diese Regeln darf nicht verstoßen werden, sonst kann es nicht funktionieren. Was Herr
Schäuble heute vorgelegt hat, bedeutet die Gründung einer neuen Stabilitätskultur.
Es hat auch keinen Sinn, einen billigen Weg zu gehen.
Die Euro-Bonds haben Sie gar nicht mehr erwähnt,
nachdem Ihnen das Verfassungsgericht klar ins Stammbuch geschrieben hat: So geht es nicht, weil das eine gesamtschuldnerische Haftung für alle europäischen
Staatsschulden bedeutet.
({1})
Diese Wundertüte will selbst Ihre SPD-Basis nicht.
Erklären Sie Ihren Arbeitnehmern doch einmal, welche
Haftung wir mit einer solchen Wundertüte von EuroBonds eingehen würden!
({2})
Es geht vielmehr darum, dass wir die Strukturen anpassen. Man hat damals einen Stabilitäts- und Wachstumspakt gemacht. Denn die deutsche Mitgift für die europäische Zukunft ist die Idee der Geldwertstabilität.
Jede deutsche Familie kann vom Großvater und Urgroßvater berichten, die in Deutschland zweimal ihr Geld
verloren haben. Wir hatten zweimal einen Währungsschnitt. Deshalb war es für uns ganz entscheidend, die
Unabhängigkeit der Notenbank und die Verpflichtung
auf Geldwertstabilität in den Prozess einzubringen, und
zwar aus zwei Gründen. Erstens kann eine Marktwirtschaft nur dann funktionieren, wenn die sie steuernden
Signale, nämlich die Preise, die Knappheitsrelation richtig widerspiegeln. Bei einer inflationären Entwicklung
spiegeln sie die Knappheitsrelation nicht richtig wider.
Der zweite Grund ist die soziale Dimension. Die größte
soziale Schweinerei ist Inflation.
({3})
Es sind die kleinen Leute, die ein Sparbuch und ein
Girokonto haben, die der Inflation nicht ausweichen
können. Deshalb war der Hinweis des Kollegen
Altmaier richtig. Es ist eine Illusion, zu meinen, dass
man, wenn man eine lockere Geldpolitik betreibt, EuroBonds einführt und die Stabilitätsregeln bricht, etwas
erreicht. Man erzielt vielleicht einen kurzfristigen
Effekt, aber langfristig sind es die kleinen Leute und die
Schwachen, die dafür die Zeche zahlen. Das ist das
Resultat, wenn man Grundsätze nicht durchhält. Das
aber, nämlich Grundsätze durchhalten, ist es, was wir
erreichen müssen.
Die soziale Marktwirtschaft ist bei uns Realität. Wir
müssen sie wieder nach Prinzipien ausrichten, und wir
müssen Grundsätze durchhalten
({4})
und diese hier in Europa einpflanzen, damit Europa eine
Erfolgsstory wird. Was ist denn im Bankensektor passiert? Es war doch die WestLB, die unter Ihrer Kontrolle
in Nordrhein-Westfalen ist, die das Geld verbrannt hat.
Die staatseigenen Landesbanken in Deutschland haben
bisher 130 Milliarden Euro verbrannt. Das war Steuerzahlergeld, für das die Steuerzahler hart arbeiten mussten, und jetzt empfehlen Sie uns staatliche Eingriffe als
Lösung.
({5})
Die Bundeskanzlerin hatte mit ihren Ausführungen
recht. Ihre Polemik wegen ihres anderen Lebenswegs ist
fehl am Platz. Wir sollten stolz darauf sein, dass jemand,
der einen anderen Lebensweg hatte, der einen Teil seines
Lebens in der DDR gelebt hat, an der Spitze unseres
Staates steht; denn das ist ein Symbol dafür, dass wir
gemeinsam unseren Weg gehen. Sie aber greifen zu billiger Polemik und sagen: Sie waren ja bei der ersten Großen Koalition nicht dabei. - Was Sie hier machen, ist
einer parlamentarischen Debatte unwürdig. Das gilt
selbst für Sie, Herr Gabriel.
({6})
Was sie gemeint hat, ist richtig. Es handelt sich um
ein generelles Problem. Man hat sich zu sehr von den
realwirtschaftlichen Strukturen entfernt. Sie hingegen
glauben, immer neue Konjunkturprogramme aufzulegen
und Geld zu drucken, würde zu Wirtschaftswachstum
führen. Nein, am Schluss muss man effizient sein, man
muss Ressourcen anders kombinieren.
({7})
Der Wiederaufstieg in Deutschland war nicht allein
durch konjunkturelle Maßnahmen bedingt, sondern er
war dem Fleiß und Einsatz der Menschen geschuldet, er
war möglich aufgrund der mittelständischen Strukturen
und des Ideenreichtums der Menschen. Deshalb ist der
schnelle Wiederaufstieg Deutschlands erfolgt.
({8})
Sie sind dem Münchhausen-Theorem verpflichtet, das
besagt, möglichst viele Staatsausgaben zu tätigen und
immer weitere Konjunkturprogramme aufzulegen. Als
wir die Konjunkturprogramme schrittweise zurückgeführt haben, wurde dies kritisiert. Ich kenne diese Kritik.
Wenn sich die Situation verbessert, dann muss man die
Sondermaßnahmen zurückführen. Sie hingegen denken
immer noch in der Tonnenideologie. Das ist verkehrt.
Man muss in realwirtschaftlichen Strukturen denken.
Wirtschaftspolitik gleicht der Uhrmacherarbeit, sie hat
nichts mit dem globalen Hin- und Herschieben von
Staatsausgaben zu tun.
({9})
Man kann über viele Ihrer Ausführungen über Irland
oder andere Staaten reden. Irland hat, was die Realwirtschaft betrifft, einen guten Weg eingeschlagen. Die
Lösung kann doch nicht sein, dass der Deutsche Bundes14562
tag oder gar die deutsche Sozialdemokratie die politische
Führung in Irland übernimmt. Es sind übrigens Ihre
Genossen in Spanien, die gerade eine Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von 40 Prozent produziert haben. Die
Lösung kann vielmehr nur sein, dass wir unter Wahrung
der Souveränität von Irland und mit allem Respekt
gemeinsam Regeln vereinbaren, die Irland auf den Pfad
der Tugend führen. Es geht eben nicht, dass man mit
einer finalen Bankenbesteuerung von 10 Prozent den
Wettbewerb in Europa verzerrt. Wenn diese Regierung
nicht hart gehandelt und sich Zeit genommen hätte, dann
hätten wir jetzt nicht eine Entwicklung in Europa hin zu
einer Stabilitätskultur. Jetzt wird die Schuldenbremse in
Spanien und in Italien in der Verfassung verankert. Auch
Frankreich geht in diese Richtung. Prinzipien setzen sich
durch, wenn man beharrlich ist. Nicht das Heischen nach
schnellem Beifall und das schnelle Nachgeben sind die
Lösung, sondern Prinzipientreue in elementaren Fragen
der Politik.
({10})
Ein bisschen mehr Rückgrat und weniger Eiermann!
Herr Steinmeier hat es gestern gezeigt: Er ist von den
Euro-Bonds quasi abgerückt, weil das Verfassungsgericht Ihnen eine schallende Ohrfeige für den Grundgedanken „Die anderen sollen es auch machen“ erteilt
hat.
({11})
Ein Sirtaki-Siggi-Konzept, nach dem man schnell einmal locker etwas bewegt, ist keine Lösung. Sie lenken
von Ihrer Fehlsteuerung durch Euro-Bonds ab. Sie lenken davon ab, dass Sie als große deutsche Partei bei der
ersten Hilfsmaßnahme für Griechenland nicht in der
Lage waren, eine Entscheidung zu treffen. Sie haben
kraftvoll gesagt: Enthaltung.
({12})
Sie haben sich weggeduckt. Sie haben weder Ja noch
Nein gesagt, weil Sie in den entscheidenden Fragen
keine Grundsatztreue haben.
({13})
Es wäre gut, wenn Sie sich in den Wettbewerb der
Ideen - nicht der Polemik - engagiert einbringen würden,
({14})
wie wir es schaffen, Europa voranzubringen.
({15})
Europa ist unsere Zukunft. Deutschland darf sich nie
wieder singularisieren. Der Euro ist elementar für die
europäische Entwicklung. Es geht darum, wie wir dies
mit einer Stabilitätskultur verknüpfen, damit es funktioniert. Viele draußen in der Welt, auch unsere amerikanischen Freunde, haben gar nicht geglaubt, dass das mit
dem Euro auf den Weg kommt. Sie haben nicht geglaubt,
dass wir das so weit führen können. Sie glauben auch
heute nicht, dass wir die Kraft haben, es so zu richten,
dass es funktioniert.
Es gilt das, was Wolfgang Schäuble gesagt hat: Es
gibt bei Griechenland klare Vereinbarungen, und die
Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem
Währungsfonds und Europäischer Kommission ist aus
Athen abgereist, weil Zusagen nicht eingehalten worden
sind. Wenn die Griechen Zusagen nicht einhalten, gibt es
kein Geld; das ist die Spielregel.
({16})
Das kennt jeder Sportler, das kennt jeder Fußballspieler:
Wenn man die Spielregeln nicht einhält, wird man notfalls vom Platz gestellt. Wenn Griechenland nicht mitmacht, kann nicht die Konsequenz sein, dass ganz
Europa keine Zukunftsperspektive entwickelt. Die Griechen müssen sich entscheiden. Sie sind eingeladen - sie
wurden damals unter falschen Bedingungen aufgenommen -, mitzumachen. Es liegt jetzt an Griechenland, ob
sie den Weg mitgehen oder ob sie - Stichwort: Europa
der zwei oder drei Geschwindigkeiten, à deux, à trois
vitesses - einen anderen Weg in Europa wählen.
Wir können uns nicht die Zukunftsentwicklung - die
Menschen wollen eine Perspektive; ich verweise auf die
jungen Leute in Spanien, in Italien und anderswo, die auf
die Straße gehen und protestieren - kaputtmachen lassen, weil ein Teil Europas nicht bereit ist, geschlossene
Verträge einzuhalten.
({17})
Irgendwann ist die Stunde der Wahrheit: Entweder sie
machen mit, wie es vereinbart worden ist, oder sie machen nicht mit.
({18})
Wir können uns den ganzen Weg nach Europa nicht von
einem Mitglied, das die Regeln nicht einhält, verbauen
lassen. Es geht darum, die Grundsatztreue einzuhalten,
damit Europa einen guten Weg nimmt.
({19})
Sie vollführen kurzfristig Eiertänze, mit denen Sie
ablenken von der Unfähigkeit in Nordrhein-Westfalen,
von Ihrer Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Haben
Sie Mut! Stehen Sie zu Grundsätzen! Das zahlt sich aus
und nicht das Herumeiern, wie Sie es heute vorgeführt
haben.
({20})
Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Brüderle, ich habe den Eindruck, Ihnen
wird gerade dazu gratuliert, dass Sie Ihre eigenen Leute
auf Linie bringen.
({0})
Offensichtlich sind die Widersprüche in Ihrer eigenen
Regierungsfraktion mindestens so groß wie die, die
gegenwärtig in der Bevölkerung vorhanden sind. Ich
sage Ihnen eines: Wenn Ihnen die Bürger draußen zuhören, wie Sie hier in regelmäßiger Wiederkehr vertreten,
dass Hunderte von Milliarden Euro für Bankenrettungen
beschlossen werden, dann halten sie sich inzwischen bei
jedem Ihrer Worte die Geldbörse zu; denn sie wissen,
dass sie letztendlich für das zu zahlen haben, was Sie
hier vertreten, Herr Brüderle. Das ist die Wahrheit.
({1})
Wir sagen Nein zu dem, was Sie hier vorlegen. Ich
will Ihnen sagen, warum.
Erstens. Sie retten mit diesem Gesetz weder den Euro
noch die Europäer. Einzig und allein die Banken, die
Versicherungskonzerne, die Hedgefonds und die Finanzinvestoren werden gerettet, und das einmal mehr, nicht
zum ersten Mal.
Zweitens. Wir sagen Nein zu diesem Gesetz, weil Sie
nichts gegen die Ursachen der Wirtschaftskrise unternehmen. Die Ursachen liegen nämlich bei den Zockerbuden. Die Ursachen liegen in diesem Bankensystem.
Die Ursachen liegen in nicht regulierten Finanzmärkten.
Da hat diese Regierung nichts getan, um auch nur eine
wirkliche Maßnahme zu beschließen. Dafür sind Sie
mitverantwortlich, Herr Brüderle.
({2})
Drittens. Wir sagen Nein, weil dies eine beispiellose
Selbstentmachtung des Parlaments ist. Die Mehrheit dieses Hauses streitet wochenlang um 5 Euro mehr für die
Menschen mit Arbeitlosengeld-II-Bezug; das ging
wochenlang, monatelang und sogar bis zum Vermittlungsausschuss. Wenn es hier um 90 Milliarden zur
Erweiterung des Rettungsschirms geht, stellt die Regierung sogar die Frage, in welcher Weise das Parlament
überhaupt beteiligt werden muss. Meine Damen und
Herren, das versteht draußen bei den Bürgern dieses
Landes kein Mensch mehr, und das zu Recht.
({3})
Viertens. Wir sagen Nein, weil sich Ihre Strategie der
Euro-Rettung auf einen einfachen Nenner bringen lässt,
und der heißt: Milliarden für die Banken, für die Versicherungen, für die Hedgefonds, auf der anderen Seite
Sozialkürzungen bei den Menschen nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in den Ländern,
die Sie angeblich retten wollen.
({4})
Wenn es darum geht, wie Ihre Rezepte wirken, so ist
Griechenland das beste Beispiel: 4,5 Prozent Minuswachstum 2010, weitere 5 Prozent Minuswachstum
2011. Wissen Sie, was das bedeutet? Sie kommen mir
vor wie ein Arzt, der einem Patienten Medikamente gibt
und der, wenn der Patient das nächste Mal kommt und
schon hereinkriecht, weil er gar nicht mehr stehen kann,
sagt: Wir erhöhen die Dosis. - Wie lange wollen Sie
denn die Dosis erhöhen? Bis Europa gänzlich gescheitert
ist? Das ist Ihr Konzept, das Sie anderen Leuten, anderen
Ländern aufdrängen wollen.
({5})
Wir sitzen heute hier als Anwälte der Bürger. Die
Bürger haben Angst um ihr Geld, und diese Angst haben
sie zu Recht. Drei Jahre nach der Lehman-Pleite stehen
wir vor der nächsten Bankenkrise. Immer neue Rettungsschirme werden aufgespannt. Seit dem Ausbruch
der Finanzkrise sind die gesamtstaatlichen Schulden
durch Stützungsmaßnahmen zugunsten der Finanzinstitutionen bei uns in der Bundesrepublik in den Jahren
2008, 2009 und 2010 um 315 Milliarden Euro gestiegen.
Allein auf die Bad Banks entfallen nach Aussagen der
Bundesregierung 190 Milliarden Euro. Das waren, wie
Sie wissen, bis vor kurzem noch Privatbanken, die Sie
dann verstaatlichen mussten. So viel dazu, Herr
Brüderle, da Sie sich gerade so über die Landesbanken
erregt haben. Sie haben die falschen Konzepte, und Sie
haben vor allem durch Zaudern geglänzt. Sie verstärken
bei den Bürgern den Eindruck, dass diese Regierung der
Krise nicht gewachsen ist, und dieser Eindruck täuscht
nicht.
Lassen Sie mich zu den wirklichen Ursachen der
Krise kommen. Wer diese Krise nur als Schuldenkrise
bezeichnet, hat sie nicht verstanden.
Was die erste Ursache betrifft - wir haben gerade
darüber gesprochen; auch mein Kollege Gabriel -: Wie
verhält es sich denn eigentlich mit dem Stabilitäts- und
Wachstumsgesetz?
({6})
Zahlen lügen nicht. Wir haben in den zehn Jahren von
2000 bis 2010 Handelsbilanzüberschüsse von 1 552 Milliarden Euro erzielt. Das ist der Saldo. Das heißt, wir
haben in dieser Größenordnung mehr verkauft, als wir
importiert haben. In dem Stabilitätsgesetz, über das wir
gerade gesprochen haben, geht es unter anderem um die
Stabilität des Preisniveaus. Es geht um einen hohen
Beschäftigungsstand und um - ich zitiere - „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“. Erklären Sie mir doch
einmal - Frau Merkel ist ja nicht mehr da -, wie Sie eigentlich diese 1 552 Milliarden Euro Außenhandelsüberschuss mit diesem Gesetz in Einklang bringen wollen.
Sie haben die staatliche Politik auf eine einseitige Steigerung der Exporte ausgerichtet und haben nicht berück14564
sichtigt, dass Sie damit alle anderen Länder an die Wand
drücken. Sie haben im Ergebnis dieser Politik erreicht,
dass sich die anderen Länder verschulden müssen; denn
eines ist doch klar: Wer ständig mehr verkauft, als er
kauft, muss nach dem Gesetz der Logik davon ausgehen,
dass den Käufern irgendwann das Geld ausgeht und damit auch die wirtschaftliche Puste. Bei den anderen Ländern hat unser Exportüberschuss zu einem Berg von
Schulden geführt. In einem vereinten Europa - das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben - gilt der
einfache Satz: Unsere Überschüsse sind die Schulden
der anderen. Deshalb müssen wir es politisch so gestalten, dass unsere Überschüsse durch mehr Importe reduziert werden. Das geht nur durch höhere Löhne, höhere
Renten und nicht durch Ihr Lohndumping.
({7})
Zweitens. Ihr Lohndumping führte letztendlich dazu,
dass es in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahr
2000 ein Reallohnminus von 4 Prozent gibt. Auf der anderen Seite sind die Exporte und die Gewinne der großen
Konzerne gestiegen. Deshalb erinnere ich Sie an eine
weitere einfache Formel, die im Finanzkapitalismus gilt:
Der den Arbeitnehmern vorenthaltene Lohn ist das
Spielgeld der Spekulanten. Mit Ihrer Lohndumpingpolitik in dieser Republik haben Sie die Krise erst ermöglicht, weil Sie dadurch die Kapitalakkumulation an den
Finanzmärkten hervorgerufen haben.
({8})
Zum Dritten: Sie haben nichts getan, um die Entfesselung der Finanzmärkte einzudämmen. Ich zitiere aus der
Financial Times von gestern. Dort heißt es:
Die Bilanzsumme des britischen Bankensektors,
({9})
die ein Vielfaches des BIPs ausmacht, dient nur zu
zehn Prozent der Kreditvergabe an die Industrie.
Die Deutsche Bank begnügte sich 2010 mit 4,1 Prozent ihrer Bilanzsumme, um sie an Handel, Gewerbe und gewerbliche Immobilienfinanzierung
auszureichen …
Was heißt das? Das heißt, dass die Banken ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht werden, nämlich die Realwirtschaft mit Krediten zu versorgen. Jetzt frage ich Sie:
Was haben Sie eigentlich gemacht, um das wieder ins
Lot zu bringen?
({10})
Was haben Sie gemacht? Nichts haben Sie gemacht. Sie
sind weiter auf dem Trip, die Banken zu stützen, obwohl
diese die Verursacher der Krise sind.
Das vierte Problem, das mit zu erwähnen ist, ist, dass
die Staaten, die vorher die Banken gerettet und die Finanzmärkte stabilisiert haben, sich nun selbst an den Finanzmärkten zu hohen Zinsen verschulden müssen. An
diesem Punkt erkennen Sie eines nicht: Wir müssen die
Finanzierung der Staaten von der Spekulation und von
den Finanzmärkten loslösen.
({11})
Wenn Sie das nicht machen, werden wir uns damit in
zwei bis drei Monaten wieder befassen müssen. Dann
werden wir weiteres Geld der Bürger ausgeben müssen,
und das alles nur, weil Sie nicht bereit sind, die richtigen
Maßnahmen zu treffen, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({12})
Ich sage Ihnen nun, was notwendig wäre, um tatsächlich die Probleme zu lösen, die den Bürgerinnen und
Bürgern dieses Landes wirklich auf den Nägeln brennen.
Erstens. Wir brauchen eine Entkopplung der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten.
({13})
Ich sage Ihnen, dass dazu momentan die Ausgabe von
Euro-Bonds gar nicht mehr ausreicht.
({14})
Wir brauchen vielmehr eine Euro-Bank für öffentliche
Anleihen
({15})
und eine von den Finanzmärkten losgelöste Europäische
Zentralbank. So hätten wir Politiker Einfluss auf die
Finanzmärkte und auf die Zinsen. Solange das nicht der
Fall ist, wird es immer wieder passieren, dass wir wie
die Schoßhunde hinter den Finanzmärkten herlaufen und
ihnen, wenn sie jaulen, die Kohle geben, damit sie weiter
funktionieren. Das ist Ihre Politik. Wir brauchen aber
eine Dominanz der Politik und eine Politik, die die Bürger vor der Ausbeutung durch die Finanzmärkte schützt.
({16})
Dazu sind Sie nicht bereit. Deshalb wird sich das, was
wir hier beschließen, zu einem Fass ohne Boden entwickeln.
({17})
Wir brauchen zweitens eine gerechte Besteuerung
von Einkommen und Vermögen. Die öffentlichen Haushalte müssen saniert werden.
({18})
Doch alle hier vertretenen Parteien außer uns haben mit
dazu beigetragen, dass die Steuersätze in der Bundesrepublik Deutschland drastisch nach unten gefahren wurden. Die Spitzensteuersätze sind gesenkt worden, auch
von Rot-Grün. Jetzt will die SPD sie wieder erhöhen;
das finde ich toll. Eine Vermögensbesteuerung fehlt nach
wie vor. Mit solchen Mitteln könnte man Staatshaushalte
sanieren.
Drittens. Wir brauchen eine rechtliche Neuordnung
des Bankenwesens. Ohne diese wird es nicht gehen.
Rechtliche Neuordnung des Bankenwesens heißt: Die
großen privaten Banken müssen unter gesellschaftliche
Kontrolle; ansonsten geben wir in diesem Bereich das
Demokratieprinzip auf,
({19})
weil wir immer das machen müssen, was die Banken
wollen. Das ist nicht im Sinne der Bürger unseres Landes.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({20})
Nun erhält der Kollege Jürgen Trittin das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Ernst, Sie haben gemeinsam mit Herrn Brüderle belegt:
Es gibt eine unheilige Allianz zwischen einer Partei, die
sich selber „links“ nennt, und den Kräften innerhalb der
Koalition, die aus falsch verstandenem D-Mark-Chauvinismus eine europäische Lösung dieser Euro-Krise verhindern. Sonst könnten Sie nicht zu diesem Abstimmungsverhalten kommen.
({0})
Jene D-Mark-Chauvinisten in Ihren Reihen, die geklagt haben, haben gestern vor dem Bundesverfassungsgericht eine krachende Niederlage erfahren.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, es sei
richtig, dass der Deutsche Bundestag versucht, die Krise
nicht durch Rückzug aus dem Euro oder durch Rausschmiss, sondern durch eine Stärkung europäischer Institutionen zu lösen. Das ist die Botschaft aus Karlsruhe,
({2})
und das ist die Botschaft, die die drei antieuropäischen
Parteien im Deutschen Bundestag, die Linke, die FDP
und die CSU, nicht hören wollen. Das ist die Wahrheit.
({3})
Lieber Herr Brüderle, ich würde mir wünschen, dass
Sie, wenn Sie schon gegen Banken wettern, über alle
Banken sprechen. Sie hätten natürlich auch erwähnen
können, dass die WestLB - jetzt unter dem Schutz des
Bankenrettungsfonds, also von uns aus Steuermitteln gerettet - als Bad Bank vier Jahre in der Verantwortung unter anderem eines gewissen Herrn Pinkwart gewesen ist.
({4})
Ich weiß nicht, ob Sie sich an den noch erinnern.
({5})
- Fünf Jahre; Entschuldigung, Axel, ich nehme das zurück. - Sie hätten auch über die Sachsen LB sprechen
können.
({6})
Oder vielleicht sollten wir gemeinsam einmal darüber
sprechen, was mit der Bayern LB ist,
({7})
gegen die mittlerweile die Staatsanwaltschaften wegen
der Zockereien mit Herrn Haider auf dem Balkan ermitteln. Wir können gerne über staatliche Banken sprechen.
Aber ich glaube, wir müssen gelegentlich über alle Banken sprechen. Wir müssen auch darüber sprechen, dass
das Verhalten zum Beispiel der Deutschen Bank und von
Lehman Brothers und die Versuche, in Regulierungsoasen wie Irland Geschäfte zu machen, die man woanders
nicht machen kann, genauso Ursachen dieser Krise sind,
wie das kriminelle Verhalten der konservativen Regierung in Griechenland es gewesen ist.
({8})
Da hätte ich von Ihnen Klarheit und Prinzipientreue erwartet.
Sie haben gesagt, man müsse zu den Prinzipien stehen. Ein zentrales Prinzip sei die Unabhängigkeit der
Europäischen Zentralbank. Meine Damen und Herren,
wer hat denn die Europäische Zentralbank genötigt,
({9})
für Schulden anderer Staaten aufzukommen und Anleihen aufzukaufen?
({10})
Wer hat denn dafür gesorgt, dass die EZB heute 120 Milliarden Euro Staatsanleihen von Krisenstaaten in ihren
Büchern hält? Es war diese Regierung mit dieser Bundeskanzlerin. Niemand anderes trägt dafür die Verantwortung.
({11})
Ich will Ihnen auch sagen, warum das Ihre Verantwortung ist: weil Sie sich noch im März, als über die EFSF
verhandelt worden ist, geweigert haben, das zu beschließen, was Sie heute beschließen wollen, nämlich die
Möglichkeit, am Sekundärmarkt Anleihen aufzukaufen.
Damit haben Sie die Unabhängigkeit der Europäischen
Zentralbank auf schäbige Weise beschränkt. Deshalb
können Sie hier nicht von Prinzipientreue reden.
Da meldet sich gleich der Mario Barth der FDP zu einer Zwischenfrage. Bitte schön.
({12})
In Anwendung der Geschäftsordnung mache ich von
meiner Möglichkeit Gebrauch, 14566
Entschuldigung!
- dem Wunsch nach einer Zwischenfrage mit Genehmigung des Redners stattzugeben. - Bitte schön, Herr
Kollege Fricke.
Dass Sie von Chauvinismus wirklich viel Ahnung haben, haben Sie gerade bewiesen.
Herr Trittin, ich darf Sie einmal fragen: Stimmt es,
dass die Grünen im Jahre 2009 einen Antrag gestellt haben, in dem wörtlich steht:
Der Deutsche Bundestag … fordert
- nach dem Willen der Grünen die Europäische Zentralbank auf, verstärkt über den
Aufkauf von Wertpapieren an der Stabilisierung der
Finanzmärkte und der Sicherung der Kreditversorgung mitzuwirken …
Stimmt es also, dass Sie selber - ich glaube, Sie waren
damals in einer nicht unwichtigen Position - als Grüne
genau diese Forderung erhoben haben und, anders als
diese Koalition - auch wenn uns das, was die Europäische Zentralbank gemacht hat, an vielen Stellen nicht
gepasst hat -, die Unabhängigkeit eben nicht akzeptieren?
({0})
Lieber Herr Kollege Fricke, Sie haben richtig zitiert.
({0})
Wenn Sie mich an dieser Stelle zu Ende anhören, dann
werden Sie feststellen, dass ich ausdrücklich nicht die
Europäische Zentralbank kritisiere.
({1})
Ich finde richtig, dass die Europäische Zentralbank dies
gemacht hat
({2})
in einer Situation, in der von dieser Bundesregierung genau die Institution blockiert worden ist,
({3})
die das besser kann, was Sie jetzt selber zugeben, weil
Sie diese Kompetenz, die heute leider von der EZB
wahrgenommen werden muss, nun an den Europäischen
Stabilitätsmechanismus bzw. die EFSF übertragen.
({4})
- Bleiben Sie ruhig stehen. - Sie haben sich an dieser
Stelle auch an einem anderen Punkt vergaloppiert. Sie
haben gesagt, es gebe keine Vergemeinschaftung von
Schulden. Es gibt sie. Mit genau dem Hinweis auf den
Aufkauf dieser Staatsanleihen gibt es eine Vergemeinschaftung von Schulden. Sie wettern gegen Euro-Bonds;
Sie haben sie längst in diesem Lande eingeführt.
({5})
Hören Sie auf, zu erzählen, das Bundesverfassungsgericht habe sie verboten. Ganz im Gegenteil, das Bundesverfassungsgericht hat selbstverständlich nichts dagegen
gesagt, dass die Europäische Union mithilfe von EuroBonds die Spekulationen gegen Ungarn oder Lettland erfolgreich beendet hat.
({6})
Darüber schweigen Sie ja lieber, weil Sie es nicht zur
Kenntnis nehmen wollen. Das zeigt die ganze europapolitische und währungspolitische Geisterfahrt dieser
Koalition.
({7})
Herr Schäuble, ich will mit Ihnen nicht darüber in
Streit geraten, ob privatrechtliche Verträge, die faktisch
hoheitliche Aufgaben erfüllen - und darum handelt es
sich bei EFSF -,
({8})
nach Übereinstimmung aller Kommentatoren einem völkerrechtlichen Vertrag gleichkommen und deshalb der
Ratifizierung bedürfen. Sie haben ja tätige Reue geleistet,
({9})
indem Sie heute gesagt haben: Wir machen es über eine
Vertragsänderung, und ab 2013 machen wir es richtig. Insofern nehme ich schon zur Kenntnis, dass Sie in dieser Frage still und heimlich unsere Position übernommen
haben.
({10})
Ich will aber an dieser Stelle eine sehr ernste Frage
stellen: Dürfen wir eigentlich solche hoheitlichen Aufgaben in Form von privatrechtlichen Verträgen regeln?
Dürfen wir eigentlich europäische Institutionen wie die
EZB, wie die Europäische Kommission tätig werden lassen auf der Basis einer Zweckgesellschaft nach Luxemburger Recht? Daran habe ich sehr klare Zweifel - nicht
weil das juristisch fragwürdig ist, sondern vor allen Dingen, weil das politisch und gesellschaftlich die falsche
Botschaft ist.
({11})
Wenn solch entscheidende Aufgaben übernommen und
auf europäische Institutionen übertragen werden, dann
darf das nicht in privater Rechtsform geschehen. Dann
muss das als hoheitlicher Akt und unter der Aufsicht des
Bundestages und gegebenenfalls auch - gerade wenn es
auf Europa übertragen wird - unter der Aufsicht des Europäischen Parlaments geschehen. Deswegen war der
Weg in die Zweckgesellschaft der falsche Weg. Ich freue
mich, dass Sie ihn am Ende korrigieren werden.
({12})
Heute streiten wir darüber, dass der Bundestag ausreichende und hinreichende Kontrollfunktionen hat, solange es diese Institution nicht gibt. Ich glaube, dass wir
da zu einem Miteinander kommen werden.
({13})
Ich sage Ihnen - das scheint offensichtlich Unruhe im
Regierungslager ausgelöst zu haben -, weil es symptomatisch ist, lieber Herr Westerwelle: Weil Sie die richtige Lösung aufgrund von Uneinigkeit in den eigenen
Reihen immer blockiert haben, laufen Sie in solche halbseidenen Zweckgesellschaften.
({14})
Dann wundern Sie sich auch noch über Europamüdigkeit.
Sie gehen diesen Weg leider weiter. Jetzt stellen Sie
den Stabilisierungsmechanismus auf eine vertragliche
Grundlage. Der nächste Schritt wäre vernünftigerweise,
zu einer europäischen Wirtschaftsregierung zu kommen,
weil die Ursache eben nicht allein Überschuldung ist,
sondern weil die Ursache in Regulierungsdumping,
Steuerdumping und all den realwirtschaftlichen Problemen in Europa liegt.
Frau Bundeskanzlerin, was ist aber Ihr Weg zur Wirtschaftsregierung? Sie stellen sich eine Wirtschaftsregierung so vor, dass Herr Van Rompuy entsprechend dem
Minimalkonsens zwischen Ihnen und dem französischen
Staatspräsidenten agiert. Das ist keine Wirtschaftsregierung; das ist nichts anderes als die Fortsetzung der
Luxemburger Zweckgesellschaft mit anderen Mitteln.
Ich sage Ihnen: Das, was wir heute neben den Veränderungen beim Stabilisierungsfonds brauchen, ist eine
vertragliche Regelung, die besagt: Wir wollen eine
Koordination in der Steuerpolitik, in der Wirtschaftspolitik und bei den Sozialstandards. Diese Koordinierung
setzt eine Vertragsänderung voraus. Es ist das Gebot der
Stunde, einen Impuls zu setzen, um dieses Europa auf
eine neue Stufe der Vergemeinschaftung zu führen.
Dafür fehlt Ihnen in dieser Koalition schon lange die
Kraft.
({15})
Nächster Redner der CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Bartholomäus Kalb.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, eine etwas andere
Tonlage zu finden; denn es geht mir darum, dass wir uns
nicht gegenseitig irgendetwas an den Kopf schmeißen,
sondern die Debatte so führen, dass die Menschen im
Lande verstehen können, worum es heute geht, worum
es uns geht.
({0})
Wir behandeln heute in erster Lesung eine sehr wichtige und ernste Angelegenheit. Es geht im Kern um die
Frage: Was müssen wir tun, was können wir tun, um
dafür zu sorgen, dass unsere gemeinsame Währung weiterhin stabil bleibt? Mit dem zu beratenden Gesetzentwurf zur Änderung des Euro-Stabilisierungsmechanismusgesetzes - ich gebe zu: das ist ein komplizierter
Ausdruck -, einem Regelwerk zur Übernahme von
Gewährleistungen im Rahmen der europäischen Hilfsmaßnahmen, setzen wir die Beschlüsse des Gipfels vom
21. Juli 2011 in nationales Recht um.
Am 10. Mai 2010 wurde in einer ausgesprochen
schwierigen Situation für die Euro-Zone und unter großem Zeitdruck zunächst die Europäische Finanz-Stabilitäts-Fazilität, kurz EFSF, vom EU-Gipfel als vorläufiger
Rettungsschirm ins Leben gerufen. Am 21. Juli dieses
Jahres haben die Staats- und Regierungschefs der EuroLänder die Erweiterung des Garantierahmens und zusätzliche Instrumente vereinbart, um flexibler reagieren zu
können und damit drohenden Ansteckungsgefahren für
andere Länder der Euro-Zone wirkungsvoller begegnen
zu können.
Der EFSF-Rettungsschirm soll künftig auch Staatsanleihen aufkaufen können. Wenn solche Käufe notwendig
werden sollten, dann sollen sie von der EFSF, nicht wie
bisher notgedrungen von der EZB, durchgeführt werden.
Derartige Käufe dürfen allerdings auch künftig nur unter
sehr strengen Voraussetzungen stattfinden, zum Beispiel
wenn Gefahren für die Finanzstabilität festgestellt werden. Ein Freibrief für umfassende Ankäufe ist abzulehnen. Anleihenkäufe auf dem sogenannten Sekundärmarkt sind im Ausnahmefall künftig ebenfalls möglich.
Euro-Länder können sich, um die Finanzmärkte zu
stabilisieren, eine Kreditlinie von der EFSF zusichern
lassen, die sie natürlich nicht nutzen müssen. Gerät ein
Euro-Mitgliedstaat am Finanzmarkt unter Druck, darf
die EFSF mit einem Vorsorgekredit helfen, noch bevor
es zum echten Hilfsfall kommt.
Mit der Möglichkeit der Rekapitalisierung von Kreditinstituten wird ein weiteres wichtiges Instrument
geschaffen.
Das Volumen der EFSF wird europaweit auf 780 Milliarden Euro aufgestockt, um effektiv über 440 Milliarden Euro verfügen zu können. Das ist dem Umstand geschuldet, dass eine erhebliche Übersicherung
erforderlich ist, um nach den Vorgaben der Finanzmärkte
eine AAA-Bewertung für die Anleihen bekommen zu
können.
Einem Hilfe suchenden Land wird allerdings nur
dann geholfen, wenn es Auflagen erfüllt und bereit ist,
sich einem ehrgeizigen Reformprogramm zu unterziehen. Aufgrund der hohen Summen und aufgrund der Tatsache, dass die Verfügung über deutsche Steuergelder
allein beim Parlament liegt, legen wir ganz im Sinne des
Bundesverfassungsgerichts größten Wert auf eine intensive und umfassende Parlamentsbeteiligung. Mit dem
vorliegenden Entschließungsantrag gehen wir sogar über
die Forderungen und Anregungen des Bundesverfassungsgerichts hinaus.
({1})
Wir haben uns bewusst entschieden, zur Sicherung
der Finanzstabilität der Euro-Zone Hilfen an Euro-Mitgliedsländer zu gewähren. Die Hilfen stellen keinen
Blankoscheck dar. Sie sind, wie bereits gesagt, an strikte
Auflagen gebunden, die den betroffenen Ländern ganz
erhebliche Anstrengungen abverlangen. Aber auch Solidarität hat ihre Grenzen. Die Hilfen sind Hilfen zur
Selbsthilfe, wie es der Finanzminister bereits vorhin zum
Ausdruck gebracht hat.
Die Notwendigkeit zur Ertüchtigung der EFSF ergibt
sich daraus, dass sich die Folgen zu hoher Staatsdefizite
in einigen Ländern der Euro-Zone in den vergangenen
Wochen auf den Finanzmärkten erneut zugespitzt haben.
Auslöser der krisenhaften Zuspitzung waren Zweifel an
der Entschlossenheit einzelner europäischer Staaten,
eine strikt auf Rückführung der Neuverschuldung
bedachte Finanzpolitik zu betreiben.
Deutschland zieht im Haushalt Konsequenzen aus der
Schuldenkrise. Die aktuelle Schuldenkrise hat ihre Ursachen ganz klar in den zu hohen Haushaltsdefiziten und
in einer zu hohen Gesamtverschuldung einiger EuroLänder. Die christlich-liberale Koalition hat frühzeitig
die Weichen gestellt und setzt den Kurs der erfolgreichen Haushaltskonsolidierung unverändert und konsequent fort. Wesentliche Ziele sind die Einhaltung der
verfassungsrechtlichen Schuldenbremse und der konsequente Abbau der Neuverschuldung.
Insbesondere dank des Aufschwungs und des im vergangenen Jahr umgesetzten Zukunftspaketes wird die
Neuverschuldung nach den Plänen der Bundesregierung
im Jahr 2012 mit rund 27 Milliarden Euro weit geringer
als bisher angenommen ausfallen können. Unser Ziel ist
und bleibt ein ausgeglichener Bundeshaushalt. Unser
Ziel ist und bleibt die Reduzierung der Neuverschuldung
und die Einhaltung der Schuldenbremse. Es ist heute
schon mehrfach gesagt worden: Viele Länder folgen uns
Gott sei Dank jetzt auf diesem Weg.
({2})
Es darf auch erwähnt werden, dass das sogenannte
Defizitkriterium nach dem Maastricht-Vertrag von uns
schon in diesem Jahr eingehalten werden kann. Wir sind
in Relation zum Bruttoinlandsprodukt mit einem Anteil
von 1,5 Prozent besser, als bisher angenommen werden
konnte. Wir strengen uns also an und sind auf einem
guten Weg.
Zum Abschluss darf ich eine persönliche Bemerkung
machen: Ich habe bei der Einführung der gemeinsamen
europäischen Währung zu den großen Skeptikern gehört.
Ich meine, damals gab es gute Argumente dafür. Es
bringt aber heute nichts mehr, die Debatten von damals
zu führen. Wir stehen heute nicht vor der Frage, ob wir
den Euro wollen oder nicht. Der Euro ist unsere gemeinsame Währung.
({3})
Wir haben deshalb alles zu tun, um die Stabilität unserer
gemeinsamen Währung sicherzustellen. Das ist unsere
Verantwortung, die wir zu tragen haben.
Ich gebe zu und sage ganz ausdrücklich: Nach meiner
Überzeugung hat uns der Euro sehr stark geholfen, die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu steigern. Wir
sind ein absolut exportorientiertes Land. Damit hat diese
Währung dazu beigetragen, dass wir wirtschaftlich gut
dastehen, dass der Wohlstand gesichert werden kann,
dass unsere sozialen Sicherungssysteme gut sind und
dass die Menschen und die Arbeitsplätze sicher sind.
Auch wenn wir bisher Zweifel daran gehabt hätten, so
brauchen wir bloß Richtung Schweiz zu schauen und zu
verfolgen, zu welchen Maßnahmen sich die Schweiz
veranlasst sieht, nämlich den Schweizer Franken an den
Euro zu binden, weil sie sonst auf den globalen Märkten
in Bezug auf ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit
nicht mehr mithalten könnte.
Ich sage ganz offen: Es ist eine unserer wichtigsten
Aufgaben, langfristig für die Stabilität des Euro einzutreten und ihn zu sichern. Bei allen kritischen Diskussionen, die wir untereinander führen und die die Menschen
im Lande mit uns führen, und allen Besorgnissen, die
verständlicherweise vorhanden sind: Die Menschen in
unserem Land erwarten, dass wir alles tun, um unsere
gemeinsame Währung zu sichern.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sprechen heute über den EFSF-Rahmenvertrag und
damit über die künftige Architektur, aber auch über die
Architekten innerhalb der EU. Ich war gestern bei der
Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts in
Karlsruhe. Drei Aspekte sind in diesem Zusammenhang
Axel Schäfer ({0})
für uns entscheidend. Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat den Weg zur weiteren europäischen Integration geöffnet und uns damit verpflichtet, ihn zu gehen.
Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht
an die Stelle des Bundestages gesetzt und gesagt: Wir
wissen alles besser. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, zu
überlegen, wie wir unsere Rolle bei Finanzfragen inhaltlich auszufüllen haben. Drittens. Es hat wieder einmal
die Rechte des Deutschen Bundestages gestärkt.
({1})
Deshalb ist es falsch von der Bundesregierung - Herr
Minister Schäuble, bei allem Respekt -, dass ein privatrechtlicher Vertrag, in dem Staaten vereinbaren, staatliche Aufgaben wahrzunehmen, nicht dem Bundestag
zur Ratifizierung vorgelegt wird. Ich bin mir sicher, es
gibt eine große Mehrheit in allen Fraktionen, die diese
politische wie rechtliche Auffassung teilen. Nur manche
trauen sich nicht, das zu sagen. Wir, die SPD, trauen uns,
weil wir es für richtig halten, und auch, weil wir die
große Mehrheit der Verfassungsrechtler auf unserer Seite
haben.
({2})
Sprechen wir endlich offen über die Architektur der
Europäischen Union. Wir dürfen nichts mehr verschwurbeln, auch weil es um Demokratie geht. Eine Stärkung
der gemeinsamen europäischen Handlungsfähigkeit
funktioniert nur integrativ und nicht nur intergouvernemental, wie das jetzt meist der Fall ist. Es gibt keine
Pseudokonstruktion einer Wirtschaftsregierung à la Herr
Van Rompuy, die zweimal im Jahr tagt. Es gibt eine real
existierende europäische Regierung, die wir dazu ertüchtigen, demokratisch stärken und mit Mitteln ausstatten
müssen: Das ist die Europäische Kommission. Das ist
bisher die Mehrheitsmeinung im Bundestag gewesen.
Leider halten die Kolleginnen und Kollegen von CDU/
CSU und FDP sich nicht mehr an diese gemeinsame
Grundlage. Es ist eben kein europäischer Weg, der intergouvernemental gegangen wird.
({3})
Es ist falsch, zu glauben, wir brauchen für alles Vertragsänderungen. Wir brauchen eine Kommission, die
mutig ist, all das, was von Jacques Delors begonnen
wurde, fortzuführen. Wir hatten in der SPD-Fraktion gerade die Möglichkeit, sehr intensiv mit ihm zu diskutieren. Es geht um die Möglichkeiten, wirtschaftliche
Koordinierung in Gesetzesform zu gießen und damit viel
mehr an Vorgaben zu machen als das, was bisher auf
dem Tisch liegt. Wenn wir diese Form der Ertüchtigung
der Europäischen Kommission wählen, stärken wir auf
der einen Seite natürlich die Handlungsfähigkeit und die
Handlungsmöglichkeit des Europäischen Parlaments,
und auf der anderen Seite beziehen wir den Deutschen
Bundestag in allen Fragen voll ein. Das ist doch offensichtlich der Wille der Kolleginnen und Kollegen auf der
rechten Seite des Hauses. Sie müssen das aber auch in
ihren praktischen Entscheidungen umsetzen.
Weil das in einer Demokratie dazugehört, will ich an
dieser Stelle ausdrücklich den Kollegen Oettinger, den
neuen EU-Kommissar, loben. Zur Stärkung der Demokratie ist es erforderlich, dass unser Parlament ebenso
wie die anderen nationalen Parlamente beteiligt wird,
wenn es um die Vorentscheidung, um die Prägung der
Kommission geht. Günther Oettinger hat gesagt: Jawohl,
bevor die Investitur im Europäischen Parlament stattfindet, bevor ich dort offiziell angehört, befragt und beurteilt werde, gehe ich in den Europaausschuss des Deutschen Bundestages - die SPD hatte die Initiative
ergriffen und ihn eingeladen - und stelle mich dort den
Fragen; ich stehe Rede und Antwort. Ich sage ehrlich: Er
hat in vielen Dingen auch mich überzeugt. Stellen Sie
sich vor: Am selben Tag ist hier eine Ministerin ernannt
worden. Davon hat der Bundestag vorher nichts gewusst.
Der zuständige Ausschuss hatte keine Chance, mit ihr
vor ihrer Ernennung über ihre Vorstellungen zu diskutieren, um einen Eindruck von ihren politischen Qualitäten
zu bekommen. Diese Möglichkeit hatten wir bei Günther
Oettinger. Wenn wir die Kommission stärken wollen,
muss auch der Deutsche Bundestag gestärkt werden,
wenn es um Entscheidungen über die Kommission geht.
Ein weiterer Punkt ist die Selbstverpflichtung, die die
europäische Sozialdemokratie eingegangen ist. Die Initiative dafür ging von der SPD aus. Wir werden eine
stärker demokratisch legitimierte Kommission nur dann
bekommen, wenn sie durch die Europawahl demokratisch legitimiert wird. Dadurch würde die Kommission
ein breiteres Kreuz erhalten, das hilft, wenn es um zentrale Finanzfragen geht. Dann würde die Kommission
öffentlich ganz anders wahrgenommen und könnte auch
gegenüber den Regierungen anders und selbstbewusster
auftreten. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden 2014 mit einem Spitzenkandidaten oder einer
Spitzenkandidatin antreten und sagen: Wenn es für ihn
oder sie eine parlamentarische Mehrheit gibt, wird er
oder sie sich im Parlament als Kommissionspräsident
zur Wahl stellen. Das ist die Legitimation, die wir brauchen. Dafür kämpfen wir.
({4})
Ich sage noch etwas zu den Architekten: In diesem
Haus sind wir uns Gott sei Dank über viele Dinge einig.
Zum Beispiel respektieren wir alle die Entscheidungen
von Gerichten und halten uns an europäische Gesetze.
Natürlich sind wir alle für Medienvielfalt und gegen
Rechtspopulismus. Das Problem in Europa ist, dass wir
Regierungen haben, in Dänemark, den Niederlanden,
Italien und Ungarn, die dieses Grundverständnis nicht
teilen. Das hat nichts mit einzelnen Streitpunkten auf
den Gebieten Bildung, Soziales oder Energie zu tun. Das
sind christdemokratische oder rechtsliberale Regierungen. Die aktuelle europäische Krise ist zum Teil eine
Krise der Mehrheit der Christdemokraten, die die Verantwortung in Europa haben. Diese Krise ist nur durch
ein anderes Mehrheitsverhältnis in Europa zu bewältigen. Wir werden das gemeinsame Europa nur mit mehr
sozialdemokratischer Politik realisieren können. Die
EVP wird das definitiv nicht hinbekommen.
({5})
Für die FDP-Fraktion erhält jetzt der Kollege Otto
Fricke das Wort.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz grundsätzlich ist die Frage zu
stellen, die sich jeder Bürger stellt: Warum haben wir eigentlich Schulden? Das ist doch das Kernproblem, über
das wir heute reden. Dieses Problem müssen wir lösen.
Wir haben nicht wegen irgendwelcher Bankenkrisen
Schulden.
({0})
- Doch? Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, warum wir schon vor der Bankenkrise, also zum Ende der
rot-grünen Regierungszeit eine Verschuldung von über
60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hatten, warum wir
am Ende der Regierungszeit von Rot-Grün schon weit
über 1 000 Milliarden Euro Schulden hatten? Doch nicht
wegen der Bankenkrise. Der Grund dafür ist, dass die
Politik immer wieder denselben Fehler gemacht hat.
Man hat gesagt: Für unsere Politik brauchen wir mehr
Geld.
({1})
Herr Ernst, Sie sagen immer, dass wir uns von den
Märkten unabhängig machen müssen und Euro-Bonds
brauchen - das ist ja schön; auch SPD und Grüne wollen
Euro-Bonds -, aber ich muss Sie schon fragen: Wer soll
diese Bonds nach Ihrer Meinung kaufen? Diese EuroBonds kauft doch der Markt. Dann haben wir wieder das
Problem, dass der Markt darauf vertrauen muss, dass wir
das Geld zurückzahlen. Oder er vertraut uns eben nicht.
Wer ist denn der Markt? Der Markt ist auch Arbeitnehmer. Der Markt ist auch ein Pensionsfonds. Der Markt ist
auch die Altersvorsorge von ganz vielen Arbeitnehmern.
Der Markt ist auch jeder Riester-Rentner, der sein Geld
dort angelegt hat. Auf dem Markt haben auch Universitäten ihr Geld angelegt. All diese müssen die Sicherheit
haben, dass jemand, der sich verschuldet hat, das Geld
zurückzahlt. Daran glaubt man nun nicht mehr.
Jetzt kommt der nach meiner Meinung für Europa
entscheidende Punkt, bei dem sich Links von Bürgerlich
deutlich unterscheidet. Für uns heißt Europa: Als starkes
Land, als größter Zahler Europas haben wir die Verantwortung, für unseren Teil zu haften und für unseren
Teil etwas zu tun. Das ist das - dies will ausdrücklich sagen -, was diese Koalition will: eine Haftung für den
Anteil, der der Stärke entspricht.
Was wollen Sie? Herr Gabriel, jetzt kommen wir einmal zu Ihren wunderschönen Arten von Euro-Bonds. Sie
wollen etwas anderes.
({2})
- Nein, Sie haben nicht zugehört; Sie haben nach hinten
geguckt.
({3})
Herr Gabriel, Sie wollen, dass wir - anders als bei der
EFSF - nicht auf unseren Anteil begrenzt haften. Nichts
anderes tun wir; die Haftung war schon immer auf den
Anteil begrenzt.
({4})
Sie wollen eine Gesamthaftung Deutschlands für alle europäischen Staatsschulden. Genau das schwebt Ihnen
vor.
({5})
Sie wollen nichts anderes als einen Länderfinanzausgleich auf Kosten von Deutschland.
({6})
Das ist Ihr Wunsch; das bestätigen Sie. Sie haben das gemeinsam mit Herrn Steinmeier, gemeinsam mit Ihrem
Weltökonomen Herrn Steinbrück immer wieder bestätigt.
({7})
Man kann es immer wieder finden, zuletzt auch im Spiegel. Sie wollen eine gemeinsame Haftung Deutschlands
für alle Schulden.
({8})
Wir wollen eine anteilige Haftung entsprechend der Verantwortung. Das ist der Kern und der wesentliche Unterschied zwischen Rot-Rot-Grün und der bürgerlichen
Koalition.
({9})
Bei der Lösung müssen wir auf eines achten - und ich
bin dem Bundesverfassungsgericht für seine gestrige
Entscheidung dankbar -: Die Hauptaufgabe, die wir bezüglich Europa haben, ist doch, Europa wieder in die Öffentlichkeit und in die Parlamente zu bringen. - Herr
Gabriel, hören Sie mir bitte zu; ich habe Ihnen doch auch
zugehört. Das wäre fair und nett.
({10})
- Ja, klar, man kann den Rücken zuwenden. Jeder hat
seine Art von Höflichkeit. - Ich will auf eines hinaus.
Die Bürger fragen sich - das merken wir in all unseren
Gesprächen -: Wer entscheidet eigentlich über mein
Geld? Wo passiert das? Irgendwo in Brüssel in einem
Hinterzimmer, irgendwo in einem Ministerium? Die Parlamentsbeteiligung, Art. 38 des Grundgesetzes und die
Verfassungsgerichtsentscheidung - wenn wir wollen,
können wir sogar 320 Jahre auf Locke zurückgehen sorgen dafür, dass die Diskussion über die Frage, wie
viel Geld wir wem wofür geben, in die Parlamente
kommt. Das ist die wesentliche Grundlage, die Voraussetzung für eine Vertiefung Europas.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Maurer für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Lage nicht so extrem ernst wäre und die
Folgen nicht so katastrophal, dann wäre es schon fast
amüsant, zu sehen, wie Sie sich hier gegenseitig die Verantwortung zuschieben für eine Suppe, die Sie gemeinsam angerührt haben. Die Krise, in der wir uns befinden,
hat zwei zentrale Ursachen: zum einen die völlige Deregulierung der Finanzmärkte und die Unterwerfung der
Politik unter die Finanzmärkte und zum anderen die
Schaffung riesiger volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte, vor allem auch durch die Bundesrepublik
Deutschland. Sie alle waren sich einig, dass eine richtige
Strategie sei, in Deutschland die Löhne zu senken, die
Renten und die Sozialleistungen zu kürzen, um sich auf
der Basis des Euro einen Wettbewerbsvorteil für die
deutsche Exportindustrie zu verschaffen. Bei dieser Strategie waren Sie sich alle einig.
({0})
Wenn ich den Kollegen Gabriel heute das Schicksal
eines Wachmanns beklagen höre,
({1})
dann fällt mir ein, wer die Gesetze zur Einführung der
Zeitarbeit, der Sklavenarbeit, der Leiharbeit in Deutschland gemacht hat. Ein bisschen Selbstkritik und ein bisschen Demut wären in dieser Situation angemessen.
({2})
Kollege Trittin, wer hat eigentlich die Finanzmarktförderungsgesetze gemacht? Schauen Sie einmal nach.
Wer hat dafür gesorgt, dass die Hedgefonds in Deutschland zugelassen wurden, dass die Derivate zugelassen
wurden? Wer ist hier im Deutschen Bundestag herumgerannt - auch unter Ihrem Applaus - und hat geschrien:
„Wir müssen Frankfurt zu einem Finanzplatz wie London machen“? Das waren doch Sie alle. Jetzt stehen Sie
hier und beklagen die Folgen Ihrer eigenen Politik, ohne
ein Wort der Kritik an dem zu verlieren, was Sie da angerichtet haben.
({3})
Ich will einen schwäbischen Unternehmer zitieren,
den Vorstandsvorsitzenden von Bosch. Er sagte: Die Finanzmärkte sind kurz davor, die Weltwirtschaft in eine
neue Krise zu reißen. Außerdem sagte er: Wenn ich den
Finanzsektor zu regulieren hätte, dann würde ich die
Universalbanken abschaffen und viele Finanztransaktionen verbieten, die nichts mehr mit realen Geschäften zu
tun haben. - Das ist die Position der Linken. Das, was
Fehrenbach von Bosch sagt, erzählen wir Ihnen seit Jahren. Wenn Sie weiterhin Billionen Bonds, Derivate und
das Treiben der Schattenbanken zulassen und nur Sprüche klopfen, dann wird die Entwicklung so weitergehen
wie in den letzten Jahren.
({4})
Wir haben Ihnen gesagt: Wir schlagen vor, die Finanzierung der europäischen Staaten von dem Diktat der Finanzmärkte zu entkoppeln.
({5})
Wir haben vorgeschlagen, dafür zu sorgen, dass in der
Tat eine europäische Bank Staatsanleihen zeichnen und
begeben muss, anstatt dies den sogenannten Finanzmärkten zu überlassen. Sie sagten, Sie glauben nicht,
dass das geht.
Ich will Ihnen ein Beispiel liefern, ein revolutionäres
Beispiel aus der Schweiz aus den letzten Tagen. Die
Schweizerische Nationalbank hat erklärt: Die Preisfindung beim Schweizer Franken durch die internationalen
Finanzmärkte wird von uns nicht mehr akzeptiert. - Dann
hat sie einen eigenen Preis festgesetzt und gesagt: Diesen
Preis werden wir mit allen Mitteln verteidigen. - Oh
Wunder: Die internationalen Finanzmärkte haben den
diktierten Preis in den ersten Tagen akzeptiert. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das war ein revolutionärer
Schritt.
({6})
Warum fahren Sie damit fort, Rettungsschirme zu
konstruieren, von denen Sie wissen, dass sie nicht ausreichen werden, um die Spekulationen gegen italienische
oder spanische Staatsanleihen zu beenden? So werden
die Spekulationen fortgesetzt. Warum unterwerfen Sie
sich auch damit wieder dem Diktat der sogenannten
Finanzmärkte, anstatt Konsequenzen zu ziehen? Stellen
Sie sich einmal vor, wir hätten in Deutschland nicht
mehr das System der Kommunaldarlehen, sondern Duisburg und Dortmund müssten sich an den internationalen
Finanzmärkten verschulden. Was glauben Sie, was da
los wäre? Genau so gehen Sie jetzt mit der Situation auf
europäischer Ebene um. Die Griechen bedecken Sie mit
Auflagen. Die Italiener und die Spanier machen jetzt
schreckliche Dinge, die ihre Länder in die Depression
treiben werden. Warum ziehen Sie nicht die Lehren aus
der deutschen Geschichte? Die deutsche Reichsregierung hat sich auf genau die gleiche Art und Weise in die
Krise hineingespart, wie Sie es jetzt verordnen, nämlich
zulasten der Masseneinkommen. Das hat uns Faschismus und Krieg beschert. Wir sind sehr erregt - das will
ich Ihnen sagen -, weil Sie sich bei dem, was Sie da machen, im Hinblick auf die Zukunft Europas insgesamt
verantwortungslos verhalten.
({7})
Wenn die Politik nicht grundlegend geändert wird,
wenn Deutschland nicht aufhört, den Euro als Plattform
zu benutzen, um dann auf der Basis von Lohnsenkungen
und Konkurrenzvorteilen die anderen Länder an die
Wand zu konkurrieren - das war schon unter Schröder
und Fischer so -, wenn die Kaufkraft in Deutschland
nicht gestärkt wird, wenn Deutschland nicht auch als
Binnenmarkt stark wird und wenn Sie weiter abschreiben, was Ihnen der internationale Bankenverband diktiert - Gregor Gysi hat es gestern nachgewiesen -, dann
setzen Sie die Krise fort, von Rettungsschirm zu Rettungsschirm, von Milliardenverlust zu Milliardenverlust.
Sie haben es bis heute nicht begriffen: Nicht Rettungsschirme werden Europa retten, sondern eine grundlegende Veränderung der Politik.
({8})
Das Wort erhält jetzt der Kollege Manuel Sarrazin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hatte teilweise Züge eines historischen Seminars,
Institut für Zeitgeschichte, speziell 70er-Jahre.
({0})
Ich möchte in Richtung der Koalition sagen: Prinzipientreue ist ein großes Wort. Herr Fricke, da Sie von
Schulden und Schuldenstaaten geredet haben, muss ich
Ihnen sagen: Gerade das Beispiel Irland, das Sie gepredigt haben, hat es doch gezeigt: Vor der Krise lag die
Staatsverschuldung in Irland bei unter 30 Prozent, jetzt
befindet sich das Land unter dem Rettungsschirm. Das
ist neoliberale Politik, die Sie zum Vorbild nehmen. Das
gehört zur Wahrheit dazu.
({1})
Zur Wahrheit und zur Prinzipientreue gehört genauso,
dass Sie seit Monaten etwas von quasiautomatischen
Sanktionen erzählen. Aber genau in diesen Tagen haben
Sie das - die Stärkung des Stabilitätspakts - bei den Verhandlungen im Rat gekippt. Quasiautomatische Sanktionen wird es nicht geben, weil Ihr Finanzminister das in
Brüssel gestoppt hat. Auch das gehört zur Prinzipientreue dazu.
({2})
Wenn wir über diesen Rettungsschirm diskutieren,
dann reden wir auch darüber, dass viele Menschen das
Gefühl haben, dass Politik nicht mehr entscheidet. Sie
machen durch Ihre zögerliche Salamitaktik eben nicht
deutlich, dass die Änderungen, die jetzt kommen, die
Handlungsfähigkeit der Politik steigern. Dieser Schirm
wird nicht die endgültige Lösung sein. Es ist nicht sozusagen das Manna, das vom Himmel fällt, aber es ermöglicht der Politik, mehr einzugreifen als vorher. Deswegen
ist die neue EFSF besser als die alte.
({3})
Wessen Erfolg ist das? Seien Sie doch mal ehrlich!
Sie haben eineinhalb Jahre lang immer wieder Schritt für
Schritt versucht, jede dieser neuen Möglichkeiten zu
verhindern. Sie haben hinausgezögert und gezaudert.
Und jetzt stellen Sie sich hier hin, vertreten genau diese
Möglichkeiten und reden von Prinzipientreue. Ihr Zickzackkurs ist der Grund, warum die Menschen nicht verstehen, weshalb es jetzt richtig ist, diesen Schirm so zu
verändern. Das kann man Ihnen zu Recht vorwerfen.
({4})
Diese Doppelzüngigkeit und kurzsichtige Note ist das
Problem der deutschen Europapolitik. Die Europäische
Union ringt um ihre Zukunft, aber Sie ringen immer nur
darum, die nächste kleine Nachgabe deutlich zu machen.
Anstatt die Zukunft Europas zu beschreiben, die europäischen Institutionen - das Europäische Parlament und
die Kommission - zu stärken und für eine demokratisch
legitimierte Wirtschaftsregierung zu kämpfen, befassen
Sie sich immer noch mit Zwischenrufern, die von EuroAustritt und Nord-Euro sprechen.
Andere finde ich interessanter. Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil gestern aus meiner Sicht einen
weisen Weg im Hinblick auf einen starken Bundestag
und einen handlungsfähigen Rettungsschirm gewiesen,
einen Weg, für den wir Grüne immer plädiert haben.
({5})
- Vielleicht sollten Sie sich vergegenwärtigen, was wir
damals im Haushaltsausschuss eingefordert haben. Wir
haben damals gesagt, dass wir genau das wollen, was das
Verfassungsgericht mit seiner verfassungskonformen
Auslegung vorgegeben hat. Wir sollten uns also diesbezüglich nicht nur bemühen. Damals haben wir wie in
§ 10 EUZBBG ein zwingendes Einvernehmen gefordert.
Daran werden Sie sich doch noch erinnern können. Wir
konnten uns bei Ihnen bzw. beim Ministerium nicht
durchsetzen. Das ist die historische Wahrheit, wenn Sie
denn schon auf Prinzipientreue setzen.
({6})
Das Bundesverfassungsgericht hat weniger die Grenzen des Grundgesetzes als die europäischer Verträge aufgezeigt und deutlich gemacht: Wir müssen über die Verträge nachdenken, wenn wir die Krise handlungsstark
und europäisch lösen wollen. - Das Gericht hat den gegenwärtigen Charakter der Verträge betont und macht
uns klar, dass vielleicht Vertragsänderungen - übrigens
ein weiteres Extabu Ihrer Koalition - notwendig sein
werden. Dabei verhindert es keineswegs die Einführung
von Euro-Bonds, sondern denkt im Gegensatz zu Ihnen
voraus und setzt Mindeststandards für solche Ideen.
Dabei geht es um die Fortentwicklung der europäischen
Verträge und um das Budgetrecht dieses Hauses. Es
schafft etwas, das Sie nicht nutzen. Das Verfassungsgericht gibt Spielraum für eine proeuropäische Linie in
der deutschen Europapolitik, die selbstbewusst ist und
wieder zum Motor für die europäische Integration als
Lösung der Krise werden kann. Ein Schritt dabei ist die
neue EFFS. Diesen Schritt wollen wir als starkes Parlament gemeinsam mit Ihnen gehen.
Da Sie in diesem Zusammenhang von Parlamentsrechten reden, möchte ich darauf hinweisen, dass die
grüne Bundestagsfraktion gerade Klage gegen die Informationspolitik der Regierung gegenüber dem Bundestag
vor Gericht eingereicht hat. Ich erwarte von Ihnen, dass
Sie klar sagen - so ist die einvernehmliche Haltung des
Deutschen Bundestages -, dass es sich bei diesen Fragen
um Angelegenheiten der Europäischen Union handelt,
bei denen die Informationsrechte des Bundestags entsprechend zu berücksichtigen sind.
({7})
Ich sage Ihnen: Noch ist Zeit, in dieser Frage einzulenken. Dazu sollten Sie Ihre Regierung bringen, anstatt
hier immer nur große Reden zu schwingen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Sarrazin, in einem Punkt gebe ich
Ihnen völlig recht: Wenn man die Debatten verfolgt, insbesondere die Argumente der Opposition, kann man
heute den Eindruck gewinnen, dass es sich um Vergangenheitsbewältigung handelt, wenn es darum geht, wie
wir die Verschuldungskrise innerhalb Europas bekämpfen wollen. Es hilft uns doch nicht weiter, wenn wir
darüber räsonieren, ob nun die Regierung Karamanlis
oder die Regierung Papandreou an der riesigen Verschuldung Griechenlands Schuld hat. Es hilft uns auch nicht
weiter, wenn wir den Blick zurücklenken, Herr Gabriel,
um herauszufinden, wer für den hohen Schuldenstand in
Deutschland Verantwortung trägt. Das waren nämlich
wir alle, alle Parteien, die in diesem Haus vertreten sind.
Ausnahme sind die Linken.
({0})
Sie haben im anderen Teil Deutschlands damit ihre
besonderen Erfahrungen gemacht.
Liebe Kollegen, das Ganze empfinde ich schlichtweg
als peinlich. Ich bin überzeugt: Auch die Menschen nehmen es als peinlich wahr, wenn wir uns in dieser Art der
Vergangenheitsbewältigung und mit parteipolitischer
Polemik auseinandersetzen, anstatt darüber nachzudenken, wie wir diese Krise bewältigen können und wohin
es in Europa gehen muss. Das ist doch das Thema.
({1})
Ich kann nur sagen: Ich bin der Bundeskanzlerin ausgesprochen dankbar, die gestern in ihrer Rede dargelegt
hat, wohin es in diesem Europa gehen muss. Sie hat uns
klargemacht, dass wir eine Stabilitäts- und Soliditätskultur in ganz Europa brauchen. Das ist der richtige Weg;
darauf müssen wir unsere Kraft verwenden. Das zeigt
uns nicht nur die Situation in Europa, sondern auch in
den USA, in Japan und in vielen anderen führenden
Industrienationen. Man muss darüber reden, ob man
nicht über seine Verhältnisse gelebt hat. Jeder, der über
seine Verhältnisse lebt, wird irgendwann dafür bestraft.
Damit meine ich nicht den Taxifahrer in Athen, Herr
Ernst. Ich meine die gesamte griechische Bevölkerung.
({2})
- Natürlich auch den Porschefahrer; das ist logisch. - Es
muss darum gehen, alle Kräfte darauf zu verwenden,
unsere Währung erstens stabil zu halten und zweitens
zukunftsfest zu machen und damit auch den gesamten
europäischen Wirtschaftsraum entsprechend aufzustellen.
Das hat inzwischen auch die gesamte deutsche Wirtschaft erkannt. Ich bin froh, dass dies vor wenigen Tagen
die führenden Vertreter, Hans Heinrich Driftmann als
Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und Otto Kentzler als Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, in einem Namensbeitrag in der Welt deutlich zum Ausdruck gebracht haben.
Ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren:
Die deutsche Wirtschaft bekennt sich in dieser
schwierigen Phase zum Euro - und unterstützt die
Verantwortlichen dabei, die Währungsunion und
die EU insgesamt für künftige Krisen zu wappnen.
Allein aus demografischen Gründen muss Deutschland auf Europa setzen, und international werden
wir uns gegenüber größeren, aufstrebenden Staaten
nur als aktionsfähiges Europa Einfluss sichern.
Auch die Handwerker haben erkannt, dass die Aktion,
Europa zukunftsfest zu machen, allen hilft, auch den
Menschen, die in Handwerksbetrieben und in kleinen
oder mittleren Unternehmen beschäftigt sind. Das hilft
unserer Bevölkerung insgesamt. Deshalb müssen wir
uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir dies insgesamt gestalten.
Dabei ist die Ertüchtigung der EFSF nur ein Schritt
von vielen Schritten. Aber auch die Ertüchtigung der
EFSF ist in diesem Gesamtzusammenhang zu sehen. Es
geht um die Stärkung des Regelungsgefüges innerhalb
der Europäischen Union. Dabei geht es nicht nur darum,
mit möglichst viel Geld Europa zu sichern. Das ist nicht
nur eine Frage des Geldes. Es geht auch darum, Europa
insgesamt gut aufzustellen und es fester gegenüber
Angriffen von außen zu machen. Wir stärken deshalb
den Stabilitätspakt, schließen einen Euro-Plus-Pakt und
führen die europäische Integration fort. Eines ist klar:
Aus aufgrund akuter Entwicklungen heraus entstandenen temporären Rettungsmaßnahmen müssen dauerhafte
Krisenpräventionsmaßnahmen entstehen. Es muss in
Zukunft um präventive Maßnahmen gehen. Darauf stellen wir uns ein, und danach richten wir uns.
({3})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein Wort zu den
bereits besprochenen Euro-Bonds sagen. Liebe Kollegen
von Rot und Grün, das Bundesverfassungsgerichtsurteil
ist eindeutig: Unter den gegebenen Bedingungen sind
Euro-Bonds verfassungswidrig. Deshalb ist es erstaunlich, wie sich SPD und Grüne jetzt mühsam von diesen
Euro-Bonds absetzen,
({4})
während sie zuvor tage-, wochen- und monatelang die
Bundesregierung aufgefordert haben, sofort Euro-Bonds
einzuführen. Das konnte jeder nachlesen. Dabei hat aber
sicherlich auch das Urteil von Standard & Poor’s eine
Rolle gespielt, nach dem Euro-Bonds genauso bewertet
würden wie Griechenland-Anleihen, also als Ramschpapiere eingestuft. Das ist ein eindeutiges Urteil.
Meine Damen und Herren, die SPD - erlauben Sie
mir diesen Schlenker - lag aber bei den großen politischen Entscheidungen eigentlich schon immer daneben.
({5})
Das begann mit dem NATO-Doppelbeschluss. Das war
bei der deutschen Wiedervereinigung so. Bei der Krisenbewältigung in Europa ist es gerade wieder so.
({6})
Ich bin positiv überzeugt, dass wir uns mit dem, was
wir derzeit in Spanien, in Italien und in Frankreich erleben, aber auch ganz konkret dort, wo Hilfsmaßnahmen
und Rettungsschirme wirken, nämlich in Portugal und
Irland, auf dem richtigen Weg befinden. Die Signale aus
diesen Ländern zeigen: Das Konzept, ein stabiles Europa
zu gestalten und die Verschuldung der Staaten zurückzuführen, wird erkannt und ernsthaft umgesetzt.
Mit dem Gesetz regeln wir jetzt die nationale Umsetzung. Damit wollen wir unseren nationalen Beitrag leisten und entsprechend Vorsorge treffen. Ich bin froh, dass
es uns gelungen ist, eine Beteiligung des Deutschen
Bundestages vorzusehen, die noch über das hinausgeht,
was das Bundesverfassungsgericht uns vorgegeben hat.
Ich will mich an dieser Stelle ganz bewusst bei der FDP
und selbstverständlich auch bei der CSU für die gute und
konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Wir haben im
Haushaltsausschuss gestern Abend einen Koalitionsantrag vorgelegt, in dem festgehalten ist, wie wir uns die
parlamentarische Beteiligung vorstellen. Ich lade die
Opposition dazu ein, sich daran zu beteiligen. Wir haben
bereits ein Vorgespräch geführt. Ich hoffe, dass wir zueinanderfinden; denn es ist gute parlamentarische Tradition, Gesetze, die die Beteiligung des Parlaments betreffen, in großem Konsens zu verabschieden.
Der Gesetzentwurf sieht vor, den gesamten Deutschen
Bundestag an allen Entscheidungen bei der EFSF, die zu
einer Inanspruchnahme von Gewährleistungen führen,
insbesondere dann, wenn es um neue Hilfsprogramme
geht, zu beteiligen. Das heißt, dass die Zustimmung des
Bundestages Voraussetzung für eine Zustimmung zur
EFSF ist. Es ist ein abgestuftes Verfahren vorgesehen.
Werden im Rahmen der genehmigten Gewährleistungen
zentrale Bedingungen des Programms geändert oder
angepasst, ist - genau so wie es das Bundesverfassungsgericht explizit vorschreibt - die vorherige Zustimmung
des Haushaltsausschusses notwendig. Uns reicht es,
wenn der Haushaltsausschuss über das operative Geschäft zeitnah und umfassend informiert wird.
Ich glaube, dass das der richtige Weg ist, um nicht nur
Kontrolle, sondern vor allem auch eine parlamentarische
Legitimation der Bundesregierung herzustellen; denn
dadurch wird die Position der Bundesregierung in den
internationalen Verhandlungen gestärkt. Das ist kein
Zeichen des Misstrauens, sondern ein Zeichen des
Zutrauens und der Stärke bei unseren Verhandlungspositionen auf europäischer Ebene.
({7})
Ich werbe deshalb nachdrücklich dafür: Stimmen Sie
allen Teilen dieses Gesetzentwurfes zu! Dann haben wir
einen weiteren Baustein zur Sicherung der Zukunft
Europas geschaffen.
Danke.
({8})
Für die FDP spricht jetzt der Kollege Marco
Buschmann.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie Folgendes der Sturm- und Drangphase
eines jungen Kollegen geschuldet sein: Wenn wir für
jede hohle Phrase der Opposition einen Euro ins Phrasenschwein geworfen hätten, hätten wir die europäische
Staatsschuldenkrise schon gelöst. Dann könnten wir
diese Beträge überweisen und brauchten keinen EFSF.
({0})
Denn was wir heute hier gehört haben, war der Versuch
des geordneten Rückzugs aus den Euro-Bonds.
Die Krönung war dann noch der Versuch von Herrn
Trittin, der nur austeilen und nicht einstecken kann
- zumindest ist er gar nicht da und bereit, sich dem zu
stellen -, uns über demokratische Grundsätze und das,
was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, zu
belehren. Das schlägt dem Fass den Boden aus.
({1})
Uns braucht niemand darüber zu belehren, dass ein zentrales Element von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
der Parlamentsvorbehalt ist. Dabei geht es auch nicht um
Pfründe der Abgeordneten; das ist völlig klar. Es geht
vielmehr darum, dass die gewählten Repräsentanten der
Bürger das Zepter für politische Prioritäten in der Hand
behalten.
({2})
Wenn man ihnen dieses Zepter entreißt, dann entreißt
man dem Volk ein Stück seiner Selbstbestimmung. Darüber braucht uns niemand zu belehren. Daher werden
wir als Koalition aus Union und FDP - das haben wir
Ihnen auch schwarz auf weiß aufgeschrieben - in das
Stabilitätsmechanismusgesetz die schärfste Form eines
Parlamentsvorbehaltes schreiben, den das deutsche
Staatsrecht kennt. Die Vertreter Deutschlands in den
Gremien der EFSF müssen bei allen haushaltsrelevanten
Entscheidungen mit Nein stimmen, es sei denn, es liegt
vorher die ausdrückliche Zustimmung des Deutschen
Bundestages vor. Ein Quasi-Ja durch Enthaltung oder
Fernbleiben bei der Abstimmung ist nicht möglich.
Durch diesen Mechanismus gelangt das Vetorecht
Deutschlands in diesen Gremien, das aus dem Einstimmigkeitsprinzip folgt, aus den Händen der Regierung in
die Hände des Parlaments. Einen stärkeren Kontrollmechanismus werden Sie im gesamten deutschen Recht
nicht finden. Die Koalition setzt hier Maßstäbe.
({3})
Mit diesem Verfahren haben wir vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - denn wir haben
schon vorher gehandelt - gezeigt, dass wir sehr genau
wissen, was unsere Verfassung von uns verlangt, und
dass wir ihren Inhalt verteidigen werden.
({4})
Wir als selbstbewusste Parlamentarier stellen eben keine
Blankoschecks aus. Ob man es Euro-Bonds oder Blankoschecks nennt, wir werden sie nicht ausstellen, weder
unserer Regierung noch einer anderen europäischen Regierung. Unser Kontrollmechanismus verwandelt die
deutschen Vertreter in den Gremien der EFSF von Erfüllungsgehilfen der Regierung in einen starken Arm des
Parlaments.
({5})
Das sichert das Budgetrecht des Deutschen Bundestages
wie kein anderer Mechanismus, den wir im deutschen
Recht kennen.
({6})
Darin unterscheidet sich unser Entwurf von dem, was
Sie, lieber Kollege Sarrazin, vorschlagen. Weil Sie das
immer abstreiten, möchte ich kurz aus dem Beschluss
der AG Haushalt von Bündnis 90/Die Grünen vom
30. August zitieren:
Vor der Entscheidung über die Gewährung von
Finanzhilfen und vor der Entscheidung über die Bedingungen der Finanzhilfe
- also wenn Geld fließen soll soll die Bundesregierung Einvernehmen mit dem
Bundestag herstellen.
Das heißt, es wäre schon schön, wenn man sich im
Grundsatz daran halten würde, aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Das ist viel weicher als das, was wir vorschlagen.
({7})
Ihr Vorschlag wäre vom Bundesverfassungsgericht verworfen worden. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Der Bundestag muss vorher zustimmen. Es hat
nicht gesagt: Er soll.
Herr Kollege Buschmann, der Kollege Sarrazin
würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie
das?
({0})
Selbstverständlich.
Bitte.
Verehrter Herr Kollege, da Sie höchstrichterliche
Rechtsprechung anscheinend ja prophezeien können,
frage ich Sie: Sind Sie sich dessen bewusst, dass das
Bundesverfassungsgericht in seinem gestrigen Urteil in
der verfassungskonformen Auslegung ausdrücklich auch
§ 1 Abs. 4 Satz 3 des StabMechG erhalten hat, der eine
ähnliche Regelung vorsieht? Verstehen Sie, dass wir uns
deswegen durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil
vollumfänglich bestätigt sehen?
Nein, das kann ich nicht verstehen. Sie haben das
Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht verstanden.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: § 1 Abs. 4
StabMechG bedarf der verfassungskonformen Auslegung. Es hat den Wortlaut anders ausgelegt, nämlich
nicht im Sinne eines Bemühens. Das hat Herr Voßkuhle
ausdrücklich gesagt, und das wüssten Sie, wenn Sie es
verfolgt hätten. Es reicht eben nicht das Bemühen um
Einvernehmen.
({1})
- Ich kann doch nichts dafür, wenn er nicht versteht, was
das Bundesverfassungsgericht erklärt.
Sie haben die Botschaft gestern nicht verstanden.
({2})
Sie wollen mit Nebelkerzen davon ablenken, dass Ihre
Maßstäbe gestern grandios gescheitert wären, wenn sie
im Bundesgesetzblatt gestanden hätten.
Im Übrigen sind auch die Blankoschecks namens
Euro-Bonds vom Tisch.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich gesagt:
Ein Mechanismus, der automatisch den Steuerzahler belastet, ohne dass das deutsche Parlament davor ist, ist
mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen. Genau
das haben aber Cem Özdemir, Jürgen Trittin und Sigmar
Gabriel in den letzten Wochen propagiert. Diese Vorschläge sind vom Tisch. Wenn verfassungskonforme Demokraten zu entscheiden haben, dann kommen sie auch
nicht wieder auf den Tisch. Das ist eine gute Sache für
den deutschen Steuerzahler und das deutsche Parlament.
Herzlichen Dank.
({4})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Peter Altmaier von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mir liegt am Ende der Debatte daran, die Gemeinsamkeiten, die deutlich geworden sind, hervorzuheben. Wenn ich das, was Sie heute Morgen gesagt haben
und was wir in den letzten Tagen in den Zeitungen lesen
konnten, richtig bewerte, dann komme ich zu dem
Schluss, dass wir in 14 Tagen diesen Gesetzentwurf mit
einer breiten parlamentarischen Mehrheit von CDU/
CSU, FDP, SPD und Grünen verabschieden werden. Wir
kehren damit zu der langen und bewährten Tradition zurück, dass grundlegende europapolitische Entscheidungen von allen verantwortlichen Kräften dieses Hauses
gemeinsam getragen werden.
({0})
Von allen verantwortlichen Kräften, habe ich gesagt. Es
gibt eine Ausnahme. Das sind die Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei. Aber Sie handeln auch nicht
verantwortlich, in europäischen Fragen schon gar nicht.
Da Sie allen europapolitischen Entscheidungen nicht zugestimmt haben, bleiben Sie insofern Ihrer Tradition wenigstens treu.
Ich bin überzeugt, dass wir mit der Verabschiedung
dieses wichtigen Regelungswerks im Rahmen der EuroGruppe das Signal an die Märkte senden, dass die Bundesrepublik Deutschland zu ihren Verpflichtungen und
zu ihrer Rolle im Rahmen der europäischen Integration
steht.
Herr Kollege Altmaier, ich möchte Sie kurz unterbrechen. Der Kollege Ernst würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Aber gerne.
Herr Kollege Altmaier, da Sie die Verantwortung so
hervorgehoben haben, möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Erstens. Halten Sie es wirklich für verantwortlich,
dass sich in einer gemeinsamen Währungsunion ein
Land durch Lohndumping und Reduzierung von Löhnen
und Renten permanent Vorteile verschafft, was dazu
führt, dass andere Länder negative Bilanzen aufweisen
und Schulden machen? Zweitens. Halten Sie es wirklich
für verantwortlich, dass in einem gemeinsamen Europa
anderen Ländern Programme aufgezwungen werden,
durch die die Löhne weiter gesenkt, die Renten gekürzt
und die Gesundheitssysteme infrage gestellt werden und
die gleichzeitig zu einer weiteren Reduzierung des Wirtschaftswachstums führen? Drittens. Glauben Sie, dass
dadurch die Zustimmung der Bürger in diesen Ländern
zu einem gemeinsamen Europa erhöht oder eher verringert wird?
({0})
Viertens. Glauben Sie, dass durch immer neue Maßnahmen in Milliardenhöhe, die wir hier beschließen, die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Europa erhöht wird?
({1})
Bevor Sie, Herr Altmaier, antworten, will ich darauf
hinweisen, dass von Fragenketten nichts in der Geschäftsordnung steht, sondern nur von einer Frage.
({0})
Herr Kollege Ernst, ich habe gesagt, dass sich die
Linkspartei treu bleibt. Das gilt auch für Ihre ZwischenPeter Altmaier
frage. Das, was Sie als neoliberal und als Lohndumping
kritisiert haben, und alle sozial- und wirtschaftspolitischen Reformen der letzten zehn Jahre, von der Agenda
2010 bis zu dem, was die Koalition von CDU/CSU und
FDP in den letzten beiden Jahren getan hat, ist nichts anderes als die Voraussetzung dafür gewesen, dass wir
heute in Deutschland ein Wachstum haben, dass wir
heute in Deutschland Lohnsteigerungen haben und dass
wir heute in Deutschland eine gute Situation in den sozialen Sicherungssystemen haben, was den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute kommt. Wir machen unsere Politik in Europa, weil wir wollen, dass
dieses erfolgreiche Wirtschaftsmodell nicht auf Deutschland begrenzt bleibt, sondern dass es sich auf alle Staaten der Europäischen Union ausdehnt und dazu führt,
dass die Wirtschaft wächst und die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer durch einen erhöhten Lebensstandard
davon profitieren. Das haben Sie nicht verstanden, und
das werden Sie auch in Zukunft nicht verstehen.
({0})
Die Frage des Vertrauens in die gemeinsame europäische Währung beantworten jeden Tag die Devisenmärkte. Der Euro ist eine stabile Währung. Er hat in den
letzten zehn Jahren an Wert gewonnen. Die Menschen
investieren weltweit in den Euro. Es gibt niemanden, der
den Euro schlechtredet, wenn ich von Ihnen einmal absehe.
Als ich vorhin von der breiten Mehrheit gesprochen
habe, habe ich den Kollegen Oppermann gesucht. Er
versucht, das umzudrehen, und sagt: Wir stimmen zu.
Aber hat denn die Koalition eine Mehrheit? - Wir haben
jetzt zwei Jahre Erfahrung mit Abstimmungen. Unsere
Koalition hatte nach jeder wichtigen Abstimmung in diesem Hohen Hause eine Mehrheit, die größer war als der
Vorsprung ihrer Mandate aufgrund der Zusammensetzung des Deutschen Bundestages. Ich schlage vor: Kümmern Sie sich um Ihre Mehrheiten. Wir kümmern uns
um unsere Mehrheiten. Am Ende werden wir mit der
Verabschiedung des Gesetzentwurfs ein gemeinsames
und starkes Signal für unsere europäischen Partner und
für die Märkte senden.
({1})
Ich will ein Wort zu den berühmten Euro-Bonds sagen. Wir sind doch nicht diejenigen gewesen, die dies zu
einer ideologischen Frage gemacht haben. Der Bundesfinanzminister hat darüber ganz nüchtern diskutiert, und
er hat begründet, warum wir glauben, dass sie auf absehbare Zeit nicht das richtige Instrument seien. Dann haben SPD und Grüne plötzlich und ohne Vorankündigung
so getan, als hätten sie ein Allheilmittel zur Lösung aller
Probleme in Europa. Das war leider Gottes nicht zielführend.
Wenn Sie mir nicht glauben, Herr Kollege Poß, dann
glauben Sie vielleicht dem Finanzminister von Nordrhein-Westfalen Walter-Borjans.
({2})
Er hat heute erklärt:
Bei Euro-Bonds bin ich zumindest reserviert.
({3})
Die Bedingungen dafür, in die gemeinsame Verantwortung zu gehen, sind nicht erfüllt.
({4})
Es geht nicht, dass man Freibriefe verteilt, nach
dem Motto: Man bedient sich dieser Bonds, und die
Garantie dafür müssen andere tragen, weil man
sonst das gute Rating nicht bekommt. Da macht
man es sich zu einfach.
({5})
Herrn Borjans’ Haushalt ist vom Verfassungsgerichtshof
Nordrhein-Westfalen schon einmal für verfassungswidrig erklärt worden. Offenbar hat das gewirkt. Hören Sie
auf Ihren eigenen Finanzminister, und finden Sie zu einer vernünftigen, sachlichen Diskussion in dieser Frage
zurück.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege
Sarrazin hat auf einen Punkt hingewiesen, der in der öffentlichen Kommunikation schwierig ist. Er hat gesagt:
Sie sagen heute dies, und dann ändern Sie Ihre Meinung. Das ist bei Ihnen noch nie vorgekommen; ich weiß das.
Der Punkt ist natürlich, dass wir in dieser ganzen
Staatsschuldenkrise, die einige Länder in Europa erfasst
hat, zwei zum Teil gegensätzliche Ziele gleichzeitig verfolgen müssen: Es geht zum einen darum, dass man Solidarität mit denen übt, die in Schwierigkeiten sind, und
ihnen hilft, aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen. Dass wir dazu bereit sind, haben wir in den letzten
zwölf Monaten wiederholt bewiesen. Zum anderen geht
es darum, dass wir auch dafür sorgen, dass aus den Fehlern gelernt wird und dass in Europa eine Stabilitätskultur verankert wird, in der vermieden wird, dass wir in
zwei, drei oder vier Jahren in genau derselben Situation
sind.
So, wie ich eben gesagt habe, Sie sollten auf Herrn
Borjans hören, sage ich: Schauen Sie nach Italien. In Italien war es so, dass man im August, als die Krise plötzlich überhandzunehmen schien, endlich bereit war, sich
auf ein Sparprogramm zu einigen. Anschließend hat sich
die Europäische Zentralbank an den Märkten betätigt
und interveniert. Das Ergebnis war, dass die politisch
Verantwortlichen in Italien als Erstes wesentliche Teile
dieses Sparprogramms gekippt haben.
Lieber Herr Kollege Schneider, was glauben Sie
denn, wie viele Regierungen in Europa noch die Chance
hätten, Sparprogramme durch ihre Parlamente zu bringen oder Schuldenbremsen in den nationalen Verfassungen zu verankern, wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt
Euro-Bonds einführen würden?
({7})
Das ist der Punkt: dass Sie Ihren eigenen Zielen entgegenarbeiten, wenn Sie solche Vorschläge zum falschen
Zeitpunkt machen.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
dass wir eines Tages feststellen werden, dass wir mit der
Verabschiedung der EFSF und mit seiner Ertüchtigung
in diesem Jahr den nächsten großen Schritt in der europäischen Integration gegangen sind. Es ist richtig, dass
die Politik in den letzten Monaten oftmals gezwungen
war, in kurzen Abständen zu intervenieren, und dass
viele den Eindruck hatten: Wir werden zum Teil zwar
nicht getrieben, aber jedenfalls dazu angehalten, den
Entwicklungen an den Märkten ein Stück weit hinterherzulaufen. Das ist problematisch. Wir müssen das Primat
der Politik wiederherstellen. Wir müssen dafür sorgen,
dass nicht die Märkte, sondern die Politik die Rahmenbedingungen vorgibt.
({9})
Ich sage Ihnen, dass es auch vor diesem Hintergrund
richtig ist, jetzt den nächsten qualitativen Schritt in der
europäischen Integration zu gehen.
({10})
Niemand kennt das Endziel der europäischen Integration. Niemand weiß, wie viele Schritte man zu welchen
Zeiten gehen muss. Aber in der gegenwärtigen Situation
- nach der Bankenkrise, vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise - ist das Gebot der Stunde, das zu leisten,
was beim Abschluss des Vertrages von Maastricht noch
nicht möglich war, nämlich die Währungsunion durch
eine Stabilitätsunion und durch eine vernünftige wirtschaftliche Steuerung in Europa zu komplettieren. Sie
sind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen und
bei der Diskussion darüber, was notwendig ist, mitzumachen.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist von
vielen in dieser Debatte versucht worden, antieuropäische Ressentiments neu zu beleben. Es ist von vielen
auch die Behauptung aufgestellt worden, es sei nicht
möglich, eine gemeinsame Währung wie den Euro im
21. Jahrhundert dauerhaft zu verteidigen. Ich kann nur
sagen: Diejenigen, die den Euro eingeführt haben - es
sitzen viele in diesem Hohen Haus, die damals dabei
waren, zum Teil mit Bauchschmerzen -, die damals den
Mut dazu hatten, haben etwas geschafft, was es weltweit
in dieser Form bis heute sonst nicht gibt. Der Euro ist
nicht nur eine gemeinsame Währung. Er ist nicht nur ein
Ergebnis der europäischen Integration, sondern er ist
inzwischen auch weltweit das Symbol für das europäische Sozialmodell.
Wenn wir darüber reden, wie wir uns die weltwirtschaftliche Entwicklung in einer globalisierten Welt vorstellen - ob es eine egalitäre, eine neoliberale oder eine
andere Entwicklung geben wird -, und uns anschauen,
welche Wirtschaftsmodelle in anderen Staaten vertreten
werden, dann sage ich Ihnen: Die Frage, ob der Euro
Erfolg hat oder nicht, ist nicht nur eine währungspolitische Frage, sondern es ist eine ordnungspolitische Frage
allererster Güte. Wir haben als CDU/CSU, als FDP dazu
beigetragen, dass der Weg zum Euro möglich geworden
ist. Wir werden gemeinsam - hoffentlich auch mit Ihnen dafür sorgen, dass der Euro ein Erfolgsmodell bleibt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/6916 und 17/6945 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2012 ({0})
- Drucksache 17/6600 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015
- Drucksache 17/6601 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache
eine Redezeit von neuneinhalb Stunden beschlossen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09.
Als erster Redner hat das Wort der Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Wir alle kennen die guten Zahlen
der deutschen Wirtschaft. Trotz einer leichten Abkühlung im zweiten Quartal erwarten wir für das Jahr 2011
2,6 Prozent Wachstum. Wir haben eine grandiose Beschäftigungssituation. Es gibt mehr als 41 Millionen ErBundesminister Dr. Philipp Rösler
werbstätige; davon sind über 28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Im letzten Jahr wurden
700 000 neue Jobs geschaffen. Davon waren mehr als
die Hälfte Vollzeitjobs. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1992. Die Zahl der Arbeitslosen liegt bei
unter 3 Millionen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts
solcher Zahlen
({0})
ist Verunsicherung und ist erst recht Angst vor Rezession
vollkommen unangebracht. Wir haben eine starke Wirtschaft, und wir erwarten auch weiterhin robustes Wachstum in Deutschland.
({1})
Deswegen war es ein bisschen merkwürdig, wie sich
gestern gerade die Sozialdemokraten noch einmal selbst
beweihräuchert haben ob der guten Taten damals in der
Großen Koalition. Abgesehen davon, dass das jetzt ja
eher schon verwelkte Siegerkränze sind, muss man eines
deutlich machen:
({2})
Tatsächlich haben wir das Wachstum doch vor allem den
Unternehmerinnen und Unternehmern, ihren Beschäftigten und ihren Produkten und Dienstleistungen in
Deutschland zu verdanken, also denjenigen Menschen in
unserem Lande, die gerade in den Krisenzeiten 2008 und
2009 fleißig gewesen sind. Das sind Menschen, denen
wir uns in besonderer Weise verpflichtet fühlen.
({3}) - Zuruf
des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])
Das bedeutet, Herr Kollege Heil, dass wir alles dafür
tun müssen, um das Wachstum, das wir momentan noch
haben, auch weiter zu verstetigen, und die richtigen politischen Entscheidungen treffen müssen.
Dazu müssen wir zuallererst die größte Wachstumsbremse in Deutschland lösen, und das ist in der Tat der
Fachkräftemangel. Wir wollen schwächere Jugendliche
mehr fördern als bisher, damit sie Ausbildungsfähigkeit
und -reife erhalten. Wir wollen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir sollten auch diejenigen
nicht vergessen, die älter sind, aber noch im Arbeitsleben stehen. Ich habe kein Verständnis für große Unternehmen, die sich auf der einen Seite über Fachkräftemangel beklagen, aber auf der anderen Seite Menschen
über 55 entlassen.
({4})
Das ist ein Verlust für die Unternehmen und auch ein
volkswirtschaftlicher Fehler. Wenn wir Fachkräftesicherung betreiben, müssen wir sie in allen Generationen
betreiben. Das kann helfen, das Wachstum gerade in dieser Zeit in besonderer Weise zu verstetigen.
Es reicht aber nicht aus, nur im Inland nach Fachkräften zu suchen. Ich füge hinzu: Wir brauchen auch die
Zuwanderung Qualifizierter aus dem Ausland. Dazu
müssen wir die Regeln verbessern.
({5})
Wir müssen Schluss machen mit bürokratischen Hemmnissen. Die Vorrangprüfung muss weiter reduziert werden. Wir müssen auch, was die sofortige Niederlassungsmöglichkeit hier anbelangt, die Einkommensschwelle
- Sie alle kennen die Diskussion - von 66 000 Euro auf
40 000 Euro senken.
({6})
Es geht aber um weit mehr als nur um reine Kennzahlen
und Einkommensdaten. Wir brauchen in Deutschland
eine Willkommenskultur; denn die Frage der Zuwanderung ist auch, aber nicht nur eine ökonomische Frage,
sondern weit darüber hinaus auch eine gesellschaftliche
Frage, der wir uns gemeinsam annehmen müssen.
({7})
- Das ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die wir
offensichtlich derzeit haben.
({8})
Jetzt komme ich aber zu weiteren Unterschieden.
Wer Wachstum verstetigen will, muss natürlich auch
an Entlastung denken. Es waren doch die Menschen in
den Unternehmen, die in schwierigen Jahren Leistung
erbracht haben. Sie müssen auch etwas von dem Geleisteten spüren. Deswegen ist es richtig, untere und mittlere
Einkommen steuerlich zu entlasten und gleichzeitig die
kalte Progression zu reduzieren. Das ist übrigens nicht
nur eine Frage der Entlastung, sondern auch eine Frage
der Steuergerechtigkeit.
Darüber hinaus haben wir vereinbart, die Lohnzusatzkosten in Deutschland zu senken; denn in Deutschland
sind bekanntermaßen nicht die Löhne zu hoch, sondern
die Lohnzusatzkosten.
({9})
Wir wollen in Deutschland als christlich-liberale Regierungskoalition nicht nur Wachstum, sondern gleichzeitig
auch Beschäftigung. Entlastung ist dazu genau der richtige Weg.
({10})
Natürlich geht es neben der Entlastung im finanziellen Bereich auch um die Entlastung von bürokratischen
Aufgaben. Bürokratie ist doch so etwas wie eine Art
Mehltau, der sich im Moment über die Unternehmen in
Deutschland legt. Deswegen ist es beispielsweise richtig,
dass wir endlich mit dem bürokratischen Monstrum
ELENA Schluss gemacht haben. Das stellte gerade eine
Belastung für die kleinen und mittelständischen Unternehmen dar. Hier kann man sehr schnell sehen, dass man
selbstverständlich, ohne viel Geld in die Hand zu nehmen, Wachstum verstetigen und gerade Mittelstand,
Handel und Handwerk in Deutschland unterstützen
kann.
({11})
Entlastung ist für die SPD allerdings ein Fremdwort.
Ich habe mir einmal das Konzept angesehen, das Sie
gerade vorgelegt haben. Sie wollen nicht Entlastung,
sondern Belastung: bis zum Jahr 2016 zusätzliche Steuererhöhungen in einem Umfang von 37 Milliarden Euro.
Das ist Geld, das andere Menschen in Deutschland erst
einmal verdienen müssen. Wenn Sie das Geld dann
wenigstens zur Haushaltskonsolidierung einsetzen wollten, dann könnte man darüber ja noch diskutieren, aber
Sie planen gleichzeitig im Bund Mehrausgaben in Höhe
von 85 Milliarden Euro. Das zeigt einmal mehr, Ihre
Einnahmen- und Ausgabenrechnung wird am Ende nicht
funktionieren. Das beweist die Binsenweisheit, die jeder
in Deutschland kennt: Sozialdemokraten können eben
einfach nicht mit Geld umgehen.
({12})
Da, wo Sie regieren, geht es immer nur in Richtung
Schuldenstaat.
({13})
Dass es auch anders gehen kann, sehen Sie am Einzelplan 09, nämlich am Haushalt des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie. Wir schaffen es,
150 Millionen Euro in die Hand zu nehmen für Forschung und Technologie, aber nicht, indem wir die Einnahmen erhöhen, sondern indem wir sparen und kürzen.
Dazu sind wir bereit. Die Ausgaben werden um 110 Millionen Euro gekürzt, indem Subventionen zurückgefahren werden.
({14})
Nur so, meine Damen und Herren, kann es gelingen,
nachhaltige Haushalte aufzustellen.
({15})
Wir werden mit dem dadurch freiwerdenden Geld neue
Märkte fördern, etwa in den Bereichen digitale Welt,
Nanotechnologie und auch Energieeffizienz. Ich sage
Ihnen: Gerade bei diesen Förderprojekten stehen sich die
Grünen selbst im Wege; denn wenn es jemanden gibt,
der fortschrittsfeindlich und kulturpessimistisch ist, dann
sind es doch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen.
({16})
Wir jedenfalls stehen für Mut zum Fortschritt. Wir
sind davon überzeugt, dass es morgen tatsächlich besser
werden kann als heute und dass man Probleme, die
durch die Anwendung und Nutzung von Technologien
entstehen, nicht durch ein Verbot von Technologien wird
lösen können. Vielmehr kann man immer nur versuchen,
durch bessere technologische Lösungen genau solche
Probleme zu vermeiden. Wir sind die Koalition des Fortschritts, und Sie sind die Koalition des Rückschritts und
des Kultur- und Fortschrittspessimismus.
({17})
Sehr bemerkenswert fand ich die gesamten Einlassungen der Opposition in den letzten beiden Tagen zur Stabilität des Euro. Eines ist doch klar: Gerade die Wirtschaft braucht eine stabile Währung. 60 Prozent unserer
Exporte gehen nach Europa, und 40 Prozent gehen in die
Euro-Zone. Deutschland hat wie kein anderer Staat von
einer gemeinsamen Währung, von unserem Euro, profitiert.
Aber dass gerade Sie uns hier Ratschläge geben wollen, wie wir in diesen schwierigen Zeiten den Euro stabilisieren können, ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte. Sie waren es doch, die 2005 dem Euro in die
Kniekehle getreten haben, und jetzt planen Sie sogar das
zweite Foul, indem Sie nach wie vor den Euro-Bonds
das Wort reden, obwohl das Bundesverfassungsgericht
gestern deutlich gemacht hat, dass eine solche Transferunion, wie Sie auf der linken Seite sie sich vorstellen,
niemals machbar und niemals zulässig wäre. Wir wollen
sie auch politisch nicht. Wir lassen nicht zu, dass der
deutsche Steuerzahler für die Schulden anderer Staaten
aufkommen muss.
({18})
Was sollen wir Herrn Papandreou sagen, wenn er am
27. September zu uns nach Deutschland kommt, wenn
wir ihn bitten, eine Schuldenbremse in die Verfassung
aufzunehmen? Oder was wollen wir Herrn Berlusconi
oder den Kollegen in Spanien sagen? Die werden sagen:
Wir würden das gerne machen. Aber was ist mit euren
Ministerpräsidenten in Rheinland-Pfalz, in BadenWürttemberg, in Nordrhein-Westfalen? Da, wo RotGrün regiert, gibt es neue Schulden. Da, wo Grün-Rot
regiert, gibt es neue Schulden.
({19})
In Nordrhein-Westfalen, wo im Grunde Rot-Rot-Grün
regiert, wird sogar gegen die Verfassung verstoßen. Wie
sollen wir von anderen glaubwürdig die Aufnahme einer
Schuldenbremse in die Verfassung fordern, wenn Sie
nicht in der Lage sind, sich daran vernünftig zu halten?
({20})
Stabilität erreichen wir nicht mit Ihrem Weg in ein
Schulden-Europa. Stabilität erreichen wir nur, indem wir
europaweit klare Stabilitätskriterien vereinbaren:
({21})
Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassungen und
Wettbewerbsfähigkeitstest. Wer diese Tests als Staat
nicht besteht, muss sich harten Sanktionsmaßnahmen
unterwerfen, damit er wieder auf den Pfad der Stabilität
zurückgebracht werden kann.
Ich sage ausdrücklich: Es wäre zu kurz gegriffen,
wenn man glaubt, man könne dies durch eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzregierung erreichen, die
man mal eben so ins Leben ruft.
({22})
Bevor es eine gemeinsame Regierung gibt, müssen Sie
zunächst einmal die Frage klären, in welche Richtung
diese Regierung regieren soll.
({23})
Dazu braucht sie diese klaren Kriterien. Sie wollen ein
Schulden-Europa,
({24})
wir wollen eine Stabilitätsunion. Das ist der Unterschied
zwischen linker Regierung und christlich-liberaler
Koalition.
({25})
Unsere Aufgabe in unruhiger werdenden Zeiten ist es,
Wachstum zu verstetigen, für Fachkräftesicherung zu
sorgen,
({26})
Ressourcen zu sichern. Wir müssen die Menschen und
Unternehmen in Deutschland entlasten und so Wachstumskräfte freisetzen. Wir müssen Märkte absichern,
neue Märkte finden und unsere Unternehmen von bürokratischen Lasten befreien, damit sie die Chance haben,
die neuen Märkte zu nutzen.
({27})
Dazu braucht man eine stabile Währung und den Mut,
sich auf den Weg zur Stabilisierung zu machen. Überall
da, wo Sie regieren, meine sehr verehrten Damen und
Herren, wachsen die Schulden und die Arbeitslosigkeit.
Da, wo wir regieren,
({28})
wachsen die Unternehmen und die Beschäftigung. Das
ist das Ziel erfolgreicher Wirtschaftspolitik.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({29})
Für die SPD hat jetzt das Wort der Kollege Hubertus
Heil.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Rösler, als Sie Herrn
Westerwelle vor einigen Monaten ablösten oder ablösen
mussten - wie auch immer -, haben Sie einen schönen
Satz gesagt: Ab jetzt wird geliefert. - Sie werden diesen
Satz nicht los; denn Sie haben nicht nur Lieferschwierigkeiten,
({0})
sondern in den Fällen, in denen Sie etwas liefern, liefern
Sie tatsächlich nichts, was Deutschland gebrauchen
kann. Ihre Rede war dafür ein treffender Beweis.
({1})
Wenn alles so toll und rosig ist, wie Sie das hier
beschreiben, müssen Sie sich einmal eines fragen:
Warum bekommen Sie dann nach und nach bei Landtagswahlen einen auf den Deckel?
({2})
Die Menschen sehen das offensichtlich anders.
Das hat einen ganz realen Hintergrund. Die Menschen
spüren, dass Sie von der Substanz einer wirtschaftlichen
Entwicklung zehren, die ohne Frage in den letzten Jahren positiv war und die auch in diesem Jahr noch positiv
ist. Hierfür können viele etwas - da haben Sie vollkommen recht -: anständige Unternehmer, die in der Krise
nicht ihre Leute auf die Straße gesetzt haben, kluge Gewerkschaften, die mitgeholfen haben und die Sie früher
noch geschmäht haben, aber auch die Reformpolitik der
SPD-geführten Bundesregierung und das Krisenmanagement der Großen Koalition.
Sie leben von der Substanz. Damals ist alles gegen die
FDP auf den Weg gebracht worden, und jetzt versuchen
Sie, sich neben die schönen Zahlen zu stellen. Das werden Ihnen die Menschen nicht durchgehen lassen, Herr
Rösler.
({3})
Jetzt, wo an der einen oder anderen Stelle dunkle
Wolken aufziehen, wäre es eigentlich Ihre Aufgabe als
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, in den
zentralen ökonomischen Debatten Vorschläge zu machen, was zu tun ist, wie man die Kraft des Aufschwungs nutzen kann, um sich auch für schlechtere
Zeiten zu wappnen, und wie man den Strukturwandel, in
dem Deutschland steckt, tatsächlich bewältigt.
Was aber liefern Sie? Nichts. In den zentralen ökonomischen Debatten dieser Zeit ist der Bundesminister
Philipp Rösler ein Totalausfall.
({4})
Hubertus Heil ({5})
So war es bei der Diskussion über die Euro-Rettung, wo
Sie nicht nur von den Märkten getrieben waren, sondern
vor allem von den innerparteilichen Skeptikern - ich
sage nur: Herr Schäffler und andere -, die in unverantwortlicher Weise - an dieser Stelle hätte ich ein klares
Wort des Bundeswirtschaftsministers und FDP-Vorsitzenden erwartet - einem wirtschaftspolitischen Nationalismus das Wort reden und die den Euro nicht wollen.
Denen in den eigenen Reihen müssen Sie Einhalt gebieten, Herr Rösler. Das ist Ihre Aufgabe und Ihre Verantwortung. Sie schweigen zu diesem Thema beredt. Offensichtlich haben Sie die Lage in Ihrer Partei nicht mehr
im Griff, und das schon nach wenigen Wochen.
({6})
Wenn wir dann erleben müssen, dass Sie Pappkameraden aufbauen, um die eigenen Reihen wieder zu
schließen, und sagen: „Keine Vergemeinschaftung der
Haftung in Europa“, dass wir gleichzeitig aber heute
Morgen über einen Gesetzentwurf diskutieren, der notwendig sein wird und der genau diesen Weg geht - wir
mussten durch das Nichthandeln Ihrer Koalition und das
Fehlen von Führung durch Frau Merkel in Europa erleben, dass Sie die EZB geradezu in den Aufkauf von
Staatsanleihen getrieben haben -, dann kann ich nur sagen: Sie machen der deutschen Öffentlichkeit etwas vor.
Das mag helfen, das Gesetz, das jetzt notwendig ist, in
Ihren Koalitionsreihen über die Rampe zu bringen; ich
will aber gar nicht wissen, was das für notwendige Vorhaben in der Zukunft bedeutet. Sie haben gerade gesagt,
was bei Europa nicht geht, nämlich einen Weg in Richtung Vergemeinschaftung, in Richtung einer Wirtschaftsregierung zu gehen. Ihre Bundeskanzlerin sagt das
Gegenteil, Herr Rösler. Sie müssen sich irgendwann entscheiden; denn wir alle wissen, dass die Währungsunion
dauerhaft nur dann erfolgreich weiter funktionieren kann,
wenn wir auf dem Weg der europäischen Integration nach
vorne gehen.
Die Unterstellung, dass Sozialdemokraten unkonditioniert die Schulden anderer Länder für Deutschland
übernehmen wollten, brauchen Sie als Pappkameraden
für die eigenen Reihen. Mit der Realität hat das nichts zu
tun. Für uns ist ganz klar: Wer Hilfen in Anspruch
nimmt, der muss sich auch in Europa harten Konsolidierungsregeln unterwerfen. Wir haben nie etwas anderes
gesagt.
({7})
Aber vielleicht brauchen Sie das, um die eigenen Truppen zu erheitern. In der deutschen Öffentlichkeit wird
Ihnen das nicht helfen.
({8})
Ich will Ihnen noch etwas sagen, Herr Rösler: Es gab
einige ganz interessante Überschriften, die - neben der
Frage nach der Krise - etwas mit dem strukturellen Wandel unserer Wirtschaft zu tun haben. Ohne Frage: Die
Wirtschaft in Deutschland ist gut aufgestellt, weil wir - im
Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften in Europa - zum
Beispiel noch eine breite industrielle Wertschöpfungsbasis und -kette haben, von der Grundstoffindustrie bis zu
den Hightechschmieden.
Das unterscheidet uns von anderen Standorten und
Volkswirtschaften in Europa. Ich kann mich gut daran
erinnern, wie das vor zehn Jahren war, als uns Oberschlaue - auch aus Ihren Reihen - im Verbund mit irischen und anderen Politikern ins Stammbuch schreiben
wollten: Lasst das mit der Industrie mal bleiben! Das gehört alles ins Museum. Setzt vor allen Dingen auf
Dienstleistungen, besonders auf Finanzdienstleistungen! - Das waren Ihre Parteifreunde von der FDP, Herr
Rösler,
({9})
die uns damals Volkswirtschaften wie Irland als Vorbild
an die Wand gemalt haben.
({10})
Wir haben vom keltischen Tiger gesprochen; wir haben
erlebt, was passiert, wenn eine Volkswirtschaft sich von
der industriellen Basis verabschiedet und sich allein auf
Finanzdienstleistungen abstützt.
({11})
Das gibt dann kurzfristig unglaubliche Wachstumsraten; langfristig aber ist die Blase geplatzt, und Europa
muss jetzt die Suppe dieser wirtschaftsradikalen, industriefeindlichen Politik auslöffeln, für die in den letzten
Jahren die FDP im Geiste gestanden hat.
({12})
Deshalb sage ich Ihnen: Es war gut, dass die damals
SPD-geführte rot-grüne Bundesregierung dieser Mode
nicht nachgegeben hat. Auch wir wissen, dass wir ein
guter Finanzplatz sein müssen, gar keine Frage. Aber wir
brauchen eben auch industrielle Wertschöpfung in diesem Land, und davon haben wir uns nicht verabschiedet.
Wenn wir jetzt in die Zukunft schauen, sehen wir vier
strukturelle Wandlungsprozesse, die unsere Wirtschaft
verändern werden:
Erstens haben wir aufgrund technischen und wissenschaftlichen Fortschritts weiterhin den Trend zu einer
stärker wissensbasierten Wirtschaft, auch in der industriellen Produktion. Da wachsen industrielle Dienstleistungen und Produktionsstärke zusammen. Dabei kommt
es eben nicht zu einer Zerstörung der industriellen Basis,
sondern zu einem Einbau des Neuen in die bestehenden,
erfolgreichen Strukturen.
Zum Zweiten erleben wir, dass wir in einer immer
stärker vernetzten, internationalisierten Wirtschaft leben.
Wir, die deutsche Volkswirtschaft, profitieren als Exportvizeweltmeister von dieser Entwicklung, auch im
Euro-Raum.
Drittens findet bei uns ein demografischer Wandel
statt, der den Arbeitsmarkt dramatisch verändern wird.
Hubertus Heil ({13})
Viertens gibt es eine Diskussion um endliche und
knappe Ressourcen.
Dieser strukturelle Wandel wird weiter stattfinden; er
wird an Dynamik zunehmen. Aber wenn wir die Chancen, die für Deutschland in diesem Wandel stecken, nutzen wollen, dann geht es nicht, dass man nur zuschaut,
die Risiken, die mit einem solchen Wandel verbunden
sind, einfach ausblendet und nicht in der Lage ist, eine
zukunftsfähige Struktur- und Industriepolitik zu betreiben. Herr Rösler, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört;
das Wort „Industriepolitik“ kam in Ihrer gesamten Rede
überhaupt nicht vor. Sie haben keinen Plan, wie Sie den
Strukturwandel gestalten wollen. Das wäre aber zum
Nutzen Deutschlands notwendig. Sie sind ein Totalausfall im Strukturwandel dieser Republik.
({14})
Ich habe gerade etwas vom Fachkräftemangel und
von der Fachkräftesicherung gehört. Das sind schöne
Überschriften. Aber wie sieht die Realität aus? Wenn Sie
weiter so handeln, wie Sie jetzt handeln, dann wird sich
in Deutschland ein Trend verstärken, den man nur als
Trend zu einem tief gespaltenen Arbeitsmarkt bezeichnen kann: Auf der einen Seite werden immer mehr Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen; in
einzelnen Branchen und Regionen ist das schon heute
der Fall. Auf der anderen Seite haben wir Menschen in
dauerhafter Arbeitslosigkeit - es gibt einen verfestigten
Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit - abgehängt.
Herr Rösler, da nützen auch die warmen Worte nichts,
die Sie gerade gewählt haben nach dem Motto „Wir wollen jungen Leuten, die ein bisschen Probleme haben,
eine Chance geben“. Gleichzeitig kürzen Sie die Mittel
für die Qualifizierung dieser Jugendlichen dramatisch.
Gehen Sie einmal in unser Heimatland Niedersachsen:
Ihre Kürzungspolitik - was Sie da mit Frau von der
Leyen anrichten - könnte dazu führen, dass über 100 Jugendwerkstätten dichtmachen müssen. Dann müssen wir
Arbeitslosigkeit finanzieren und können die jungen
Menschen nicht in Arbeit bringen. Herr Rösler, Sie spalten den Arbeitsmarkt; das ist Ihre Politik.
({15})
- Herr Kauder, Sie haben doch keine Ahnung von Niedersachsen.
({16})
Aber von Zwischenrufen haben Sie Ahnung. Das haben
wir heute schon erlebt; das muss man nicht ernst nehmen.
Herr Rösler, Sie haben sich mit der Haushaltspolitik
auseinandergesetzt und wieder die alte GuidoWesterwelle-Platte „Steuern runter macht Deutschland
munter“ aufgelegt. Keine Frage: Entlastungen sind wünschenswert. Aber die spannenden Fragen sind doch: Was
ist machbar? Ist die Politik in der Lage, Prioritäten zu
setzen? Wir haben klar gesagt: Ein Vorrang muss sein,
die Finanzen von Bund, Ländern und Kommunen in
Ordnung zu bringen, damit der Staat mit Blick auf
schwierige Zeiten handlungs- und zukunftsfähig bleibt.
Sie wissen wie ich, dass wir da schon einmal weiter
waren: Bundesminister Peer Steinbrück hatte im Jahr
2008, gesamtwirtschaftlich und gesamtstaatlich gesprochen, zum ersten Mal seit 40 Jahren die Situation eines
insgesamt ausgeglichenen Haushalts von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen. Es war die
Finanzkrise, die uns einen Strich durch die Rechnung
gemacht hat; denn, Herr Fuchs, wir mussten uns in der
Großen Koalition gemeinsam mit viel Geld gegen die
Folgen der furchtbaren Krise stellen. Wir müssen jetzt
runter von diesen Schulden. Da geht es nicht an, dass
man in dieser Zeit neue Löcher, zum Beispiel bei den
Kommunen, reißt.
({17})
Denn wir wissen genau wie Sie, dass die öffentliche
Hand mehr Geld beispielsweise in die Bildung investieren muss. Es kann nicht sein, dass Sie den Menschen
weismachen wollen, man könne gleichzeitig die Haushalte von Kommunen, Ländern und Bund in Ordnung
bringen, Steuergeschenke machen und gleichzeitig mehr
in Bildung investieren. Das wird nicht aufgehen. Deshalb haben wir eine Prioritätenliste:
Erstens. Wir müssen die Schulden senken und den
Haushalt in Ordnung bringen.
Zweitens. Wir müssen gleichzeitig mehr in Bildung
investieren,
({18})
beispielsweise weil Jahr für Jahr 65 000 junge Menschen
unsere Schulen ohne Abschluss verlassen. Diese jungen
Menschen haben doch gar keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Das ist der Nachwuchs für Hartz IV, den
diese Gesellschaft produziert. Deshalb sagen wir: Ja, wir
werden eine Zeit lang ein Stück mehr Solidarität auch
von Spitzenverdienern brauchen, damit junge Menschen
in diesem Land eine Chance auf gute Bildung bekommen. Das wollen Sie nicht; das ist der Unterschied.
({19})
Herr Rösler, wir werden miteinander darüber zu sprechen haben, dass die Wirtschaft, der wirtschaftliche Fortschritt in diesem Land, verlässliche Rahmenbedingungen
braucht. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur ein
Thema ansprechen, bei dem die gesamte deutsche Wirtschaft über den Zickzackkurs entsetzt ist, den Sie - nicht
so sehr Sie persönlich, denn Sie sind noch nicht so lange
im Amt - da gefahren haben: In der energiepolitischen
Debatte war der Bundesminister für Wirtschaft ein Totalausfall. Die Entscheidungen wurden woanders getroffen. Sie redeten irgendetwas von Kaltreserven von Atomkraftwerken. Wir wissen jetzt: Die Bundesnetzagentur
wird nicht darauf zurückkommen müssen.
Hubertus Heil ({20})
Es ist einfach so, dass der Fehler früher - im Herbst
letzten Jahres - von Ihrem Vorgänger Brüderle und von
Frau Merkel und Herrn Röttgen gemacht wurde. Sie haben einen Energiekonsens, der in diesem Land für Planungs- und Investitionssicherheit gesorgt hat, zugunsten
von wenigen Konzernen mutwillig aufgerissen. Dies hat
dazu geführt, dass Rechtsunsicherheiten entstanden und
dass Stadtwerke milliardenschwere Investitionen auf die
lange Bank geschoben haben. Denn verlängerte Restlaufzeiten von alten Atommeilern sind eine feine Sache
für die großen Energiekonzerne. Sie verfestigen deren
Marktmacht, weil die Investitionen schon abgeschrieben
sind - die Folge sind hohe Gewinne - und Investitionen
sich nicht lohnen.
Dann kam Fukushima, und Sie haben an dieser Stelle
eine 180-Grad-Wende gemacht. Mit Gerhard Schröder
gesprochen: Ich finde es schön, dass Sie sich an unsere
Politik angepasst haben, denn als evangelischer Christ
weiß ich: Im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder,
der umkehrt, als über hundert Gerechte.
({21})
Ich sage Ihnen aber auch: Nach dem Schweinsgalopp,
in dem Sie in diesem Sommer die Gesetze durchgezogen
haben, bleiben, ökonomisch gesehen, massive handwerkliche Fehler. Wir müssen nacharbeiten, damit
Deutschland die Chancen der Energiewende nutzen
kann. Wir werden eine saubere, sichere und auch bezahlbare Energieversorgung in diesem Land nur bekommen,
wenn verlässliche Rahmenbedingungen da sind. Wenn
ich mir aber zum Beispiel Ihre Novelle des ErneuerbareEnergien-Gesetzes und Ihr Netzausbaubeschleunigungsgesetz angucke - das ist schon vom Namen her gescheitert, denn es wird nicht zum notwendigen Ausbau von
Energienetzen führen -, dann kann ich nur sagen: Was
Sie treiben, ist keine Energiewirtschaftspolitik, sondern
es ist energiepolitischer Dilettantismus, den Sie hier an
den Tag gelegt haben. Auch das schadet diesem Land.
Herr Rösler, zum Schluss: Sie mögen persönlich ein
netter Mensch sein, aber ich kann Ihnen nur eines sagen:
Sie kümmern sich in diesen Zeiten als FDP-Vorsitzender
vor allen Dingen um die Krise der FDP. Wenn ich die
Kommentare von Herrn Kubicki und von anderen lese,
dann tun Sie dies nicht mit besonders großem Erfolg.
Das ist kein Schaden für dieses Land; das ist ein Problem Ihrer Partei, das Sie selbst lösen müssen.
Herr Kollege Heil.
Das Problem für dieses Land ist, dass Sie als FDPVorsitzender so viel Zeit investieren, um sich um die
Krise in der FDP zu kümmern, dass Sie offensichtlich
keine Kraft haben, um sich die Krise im Euro-Raum vorzunehmen. Das ist ein Problem für dieses Land.
({0})
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Heil.
Herr Rösler, nach einigen Wochen im Amt muss man
Ihnen schon sagen: nicht geliefert, Fehlbesetzung. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Sie werden bald nicht
mehr im Amt sein.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Fuchs von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege
Heil, es wäre ganz gut, wenn Sie ab und zu mit Ihren
Haushältern Kontakt aufnehmen würden. Diese Koalition hat die Kommunen deutlich gestärkt. Der Aufwuchs
bei den Kommunen beträgt 4,3 Milliarden Euro, weil der
Bund die Kosten der Grundsicherung übernimmt. Diese
Mittel fließen direkt in die kommunalen Haushalte ein.
({0})
Das sollten Sie nicht verschweigen. Ich halte es für unfair, wenn Sie hier so argumentieren. Das ist Ihrer auch
nicht würdig; Sie sollten das wissen.
({1})
Ich finde das nicht fair. Wir sollten im Deutschen Bundestag nicht einfach darüber hinweggehen, wenn Sie sagen, wir würden die Kommunen ausbluten. Sie wissen
genau, dass das nicht stimmt. Das sollte nicht so stehen
bleiben. Deutschland geht es nämlich unter der christlich-liberalen Koalition gut,
({2})
und zwar richtig gut.
({3})
Es ist lange her, dass sich unser Land wirtschafts- und
beschäftigungspolitisch in einer solch ausgezeichneten
Verfassung befunden hat wie jetzt.
({4})
Es gibt in Deutschland mehr Jobs als jemals zuvor. Über
41 Millionen Menschen sind erwerbstätig, und wir haben
weniger als 3 Millionen Arbeitslose. Ich kann es nur immer wiederholen: Als Gerhard Schröder aufgehört hat,
gab es unter Rot-Grün 5 Millionen Arbeitslose. Gerhard
Schröder hatte damals versprochen, die Arbeitslosigkeit
zu halbieren. Was hat er gemacht? Er hat sie verdoppelt.
Angela Merkel hat das Versprechen von Gerhard
Schröder eingelöst. Wir sind auf dem Weg, die Zahl der
Arbeitslosen zu halbieren, die Gerhard Schröder hinterlassen hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir noch in
diesem Jahr die Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen
auf 2,5 Millionen erreichen werden. Das ist ein exzellenter Erfolg.
({5})
Herr Heil, Sie sprachen eben das Thema Jugendarbeitslosigkeit an. Da stellen sich mir die Nackenhaare
auf. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist so
gering wie nie zuvor.
({6})
Es gibt bereits viele Regionen in Deutschland, in denen
Unternehmen händeringend Auszubildende suchen und
sie nicht finden. In allen anderen europäischen Ländern
liegt die Jugendarbeitslosigkeit weit höher. In Spanien
ist sie mit 45 Prozent am dramatischsten.
Wir müssen überlegen, ob wir nicht europapolitische
Solidarität leisten. Ich halte es durchaus für denkbar,
unsererseits dafür zu sorgen, dass junge Menschen in
Spanien Deutsch lernen. Ich sage an den Außenminister
gerichtet: Das wäre eine gute Aufgabe für die GoetheInstitute. Es ist zwar wichtig, dass man sich mit Kulturpolitik beschäftigt, aber es täte not, an Goethe-Instituten
in Europa Deutschunterricht anzubieten. Man könnte die
jungen Menschen aus anderen europäischen Ländern in
Deutschland ausbilden und ihnen damit eine Perspektive
bieten.
({7})
Meiner Meinung nach ist das sowohl eine sehr gute
Chance für Deutschland als auch im Sinne der europäischen Solidarität, die ich unterstütze.
Obwohl die Konjunktur im zweiten Quartal einen
kleinen Gang zurückgeschaltet hat, ist die Nachfrage
nach Arbeitskräften ungebrochen. Die Unternehmen
suchen nach wie vor Auszubildende. Ich habe mich bei
der Arbeitsagentur in meinem Wahlkreis erkundigt. Wir
haben dort im Moment eine Arbeitslosenquote von
3,9 Prozent, so niedrig wie nie zuvor. In diesem Jahr
bewarben sich 1 733 junge Menschen um einen Ausbildungsplatz. Demgegenüber stand ein Angebot von
2 271 Stellen. Das zeigt, welchen Überhang an Stellen
wir mittlerweile in Teilen Deutschlands haben. Das sind
die Folgen der guten Politik der christlich-liberalen
Koalition, und darauf sind wir stolz.
({8})
Wir sollten auch überlegen, welche Wege es gibt, den
Fachkräftemangel zu überwinden. Deutschland muss ein
offenes Land sein. Wir müssen unsere Chance nutzen,
aber wir sollten sie zuallererst im europäischen Raum
nutzen. In 25 Ländern herrscht Freizügigkeit. Wir haben
also gute Chancen, die Arbeitskräfte zu bekommen, die
wir auf dem Arbeitsmarkt brauchen.
Jeder hat von der wirtschaftlichen Situation profitiert.
Die Unternehmen verdienen wieder Geld. Wir werden in
diesem Jahr die höchsten Steuereinnahmen haben, die
wir jemals hatten. Das All-time High betrug 561 Milliarden Euro. In diesem Jahr geht es nach neuesten Schätzungen Richtung 570 Milliarden Euro. Auch das ist ein
Erfolg dieser Regierung. Dafür sind wir dankbar.
({9})
Zum ersten Mal seit langer Zeit haben wir wieder
nennenswerte, vernünftige Lohnerhöhungen, die netto in
den Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ankommen. Das war während Rot-Grün nicht der Fall.
Die Inflation führte dazu, dass den Arbeitnehmern am
Ende des Tages von den damaligen Lohnerhöhungen
nichts übrig blieb.
({10})
Auch das zeigt, dass unsere Regierung auf einem guten
Weg ist.
Dennoch bin ich der Meinung, dass wir jetzt sehr aufpassen müssen. Wir haben zwar enorme Wachstumszahlen zu verzeichnen. Nach minus 4,7 Prozent - für eine
reife Volkswirtschaft eine gewaltige Zahl - direkt auf
3,6 Prozent Wachstum umzuschalten - in diesem Jahr
geht es Richtung 3 Prozent Wachstum -, das ist schon
bemerkenswert. Wir haben die Krise von 2008/2009 de
facto überwunden, aber wir müssen aufpassen, dass das
auch so weitergeht; denn Deutschland profitiert nicht nur
von seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit in allen
Bereichen, sondern auch - das hat es unter Rot-Grün
ebenfalls nicht gegeben - von einem robusten Konsum
der Haushalte.
({11})
Zwei Drittel des deutschen Bruttoinlandsproduktes basieren auf dem Konsum in Deutschland in einer Größenordnung, wie wir sie schon lange nicht mehr hatten. Ich
empfehle Diskussionen mit dem HDE und ähnlichen
Verbänden. Die werden Ihnen das bestätigen, Herr Heil.
Auch das hat es unter Ihrer Regierung nie gegeben.
Das heißt aber nicht, dass wir uns jetzt in die Hängematte legen und ausruhen dürfen. Im Gegenteil: Wir
müssen einiges in die Wege leiten. Das fängt damit an,
dass wir die deutsche Wirtschaft im Außenhandel - dort
ist sie stark - unterstützen müssen. Da ist der Bundeswirtschaftsminister gefordert; denn im Außenhandel
brauchen wir eine weitere Öffnung der Weltmärkte.
({12})
Insbesondere unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft bzw. die mittelständischen Unternehmen brauchen liberale Handelsmärkte. Darum müssen wir uns
bemühen. Bilaterale und regionale Freihandelsabkommen sind für die Mittelständler ein Problem,
({13})
weil sie keine großen Rechtsabteilungen haben, die sich
um die Einfuhr- bzw. Exportbedingungen der einzelnen
Länder kümmern können.
Es ist schade, dass es uns nicht gelungen ist, hinsichtlich der Doha-Runde Fortschritte zu erzielen. Ich bin
nach wie vor der Meinung, dass Fortschritte auf diesem
Gebiet dringend notwendig sind. Den Abschluss der
Doha-Runde sollten wir alle anstreben. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich halte es für notwendig, dass die
Bundesregierung in Brüssel entsprechende Initiativen
ergreift;
({14})
denn die Freihandelsabkommen, die zurzeit überall
geschlossen werden, sind für die deutsche Wirtschaft
gefährlich.
({15})
Diese Freihandelsabkommen führen dazu, dass ein Bilateralismus entsteht, der für deutsche Unternehmen
schwer zu handhaben ist. Die Bundesrepublik Deutschland kann ein Freihandelsabkommen gar nicht mehr
selbst abschließen. Das muss in Brüssel abgeschlossen
werden, aber das geht viel zu langsam.
({16})
Über ein Freihandelsabkommen mit den sechs Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrates - das sind
Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die
Vereinigten Arabischen Emirate - wird seit 15 Jahren
verhandelt. Lange Zeit waren auch Sie von der Opposition an den Verhandlungen beteiligt. Das Abkommen ist
immer noch nicht fertig. Das kann eigentlich nicht sein.
Die Amerikaner haben mit diesen Staaten innerhalb von
zwei Jahren ein Freihandelsabkommen hinbekommen.
Das schadet unserer Wirtschaft erheblich. Deswegen fordere ich Sie auf, dieses Freihandelsabkommen schleunigst abzuschließen - da muss man gegebenenfalls auch
einmal mit Pascal Lamy in Genf reden -, wenn wir das
mit dem multilateralen Doha-Abkommen nicht besser
hinbekommen.
Wir brauchen auch bezahlbare Rohstoffe. Wir brauchen bezahlbare Energie. Ich fordere insbesondere Sie,
die Grünen, und die anderen Solarfetischisten auf - Herr
Kelber ist gerade nicht anwesend -, sich mit den Solarfirmen in Verbindung zu setzen. Schließlich sitzen Sie in
den Aufsichtsräten, Beiräten und anderen Gremien dieser Firmen. Am Wochenende las ich in den Zeitungen,
dass die Solarwirtschaft im Vergleich mit anderen Bereichen der deutschen Industrie eine lausige Bezahlung bietet. Ich empfinde es als ziemliche Unverschämtheit,
wenn in der Solarwirtschaft, ein Wirtschaftszweig, der
mit mehr als 6 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert
wird, so schlechte Arbeitsbedingungen herrschen.
({17})
Da sind Sie gefordert; denn Sie sitzen ja in den ganzen
Gremien. Herr Kuhn, weisen Sie bitte einmal darauf hin,
dass das nicht geht. Ihr Kollege Fell, der ebenfalls in so
einem Gremium sitzt, ist leider nicht anwesend. Ich verstehe nicht, wie diese Situation entstehen konnte.
({18})
Wir brauchen vernünftige Gaspreise. Es bereitet mir
Sorgen, dass wir schon jetzt stark von Russengas abhängig sind: 38 Prozent beziehen wir aus Russland. Die
Abhängigkeit wird weiter zunehmen, wenn es uns nicht
gelingt, neue Märkte zu erschließen. Wir brauchen in
Deutschland einen LNG-, einen Flüssiggasterminal. Es
ist schade, dass Eon Ruhrgas sich jetzt in Amsterdam
beteiligt und nicht mehr in Wilhelmshaven. Meiner Meinung nach ist das eine Notwendigkeit; denn dadurch
könnten die Russen in eine Wettbewerbssituation kommen. Die gegenwärtige Situation bereitet mir Sorgen.
Aufgrund der Tatsache, dass die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, müssen wir zusätzliche Gaskraftwerke
bauen. Dadurch werden wir noch stärker von Gazprom
abhängig. Das mag zwar Herrn Schröder freuen, mich
aber nicht.
Es ist auch wichtig, dass wir den Rohstoffzugang in
anderen Bereichen stärker in den Fokus nehmen, Herr
Minister. Die Situation bei den Seltenen Erden bereitet
mir Sorgen. China erhebt jetzt Exportzölle auf Seltene
Erden. Das schadet der deutschen Wirtschaft in einigen
zentralen Bereichen ganz erheblich. Die Preise sind zu
hoch und die Chinesen dadurch noch einen Tick wettbewerbsfähiger. Dieses Problem sollten wir in den Fokus
nehmen. Wir sollten mit den Ländern, die Seltene Erden
abbauen, beispielsweise Kasachstan, Rohstoffabkommen schließen, damit wir an die Quellen kommen, die
die deutsche Wirtschaft dringend benötigt.
({19})
Zum Schluss möchte ich noch etwas zur Umverteilungsmentalität der Opposition sagen. Wenn ich mir Ihre
Steuererhöhungsvorschläge anschaue, wird mir schlicht
schlecht. Haben Sie eigentlich immer noch nicht wahrgenommen, dass 10 Prozent der deutschen Steuerzahler
schon heute 52,7 Prozent des Einkommensteueraufkommens aufbringen?
({20})
25 Prozent der deutschen Steuerzahler bringen 75 Prozent des Einkommensteueraufkommens auf.
({21})
Das zeigt doch, dass wir eine gewaltige Umverteilung
von oben nach unten haben.
({22})
40 Prozent der deutschen Steuerzahler zahlen überhaupt
nichts.
({23})
Wenn wir jetzt noch etwas draufsatteln, dann ist das
nur demotivierend. Dann gibt es ja auch noch den Halbteilungsgrundsatz, den das Bundesverfassungsgericht
festgelegt hat. Den haben Sie anscheinend vollkommen
vergessen. Ein Spitzensteuersatz von 49 Prozent plus
Vermögensteuer - diese Mehreinnahmen wollen Sie
über Ihre Kanäle umverteilen ({24})
würde nur den Leistungswillen verringern. Bei vielen
mittelständischen Unternehmen ist es so, dass zur Einkommensteuer weitere Unternehmensteuern hinzukommen. Diese Belastungen wollen wir ihnen nicht mehr
zumuten.
({25})
Einen allerletzten Satz möchte ich zu den Grünen
sagen; ich möchte sie nicht vergessen. Ich habe ein bisschen nachgelesen. In Ihrem Fraktionsbeschluss vom
1. September 2011 steht, dass wir eine zwangsläufige
Entwicklung zu einer Dienstleistungsgesellschaft haben.
Sie schreiben:
Denn das traditionelle Industriemodell mit seinem
gigantischen Energie- und Rohstoffhunger, seinen
immensen Emissionen und einer Ausrichtung auf
die Massenfertigung standardisierter Produkte ist
nicht zukunftsfähig.
Das ist nicht meine Vorstellung. Für mich ist Deutschland ein Industrieland, und das muss es bleiben. Die
CDU/CSU wird zusammen mit den Liberalen die Weichen stellen, dass wir ein Industrieland bleiben, und
zwar in der vollen Breite.
({26})
Für die Linken hat jetzt das Wort der Kollege Roland
Claus.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr Bundesminister Rösler, es bleibt Ihr
Geheimnis, woher Sie die Selbstgefälligkeit nehmen, mit
der Sie hier gerade geredet haben.
({0})
Nach den FDP-Wahlergebnissen in Sachsen-Anhalt und
in Mecklenburg-Vorpommern und vor den Wahlen in
Berlin kann ich mir nicht erklären, wie Sie hier auftreten
und sagen können: Wir haben alles richtig gemacht. Da
bleibt mir nur im Sinne von Bert Brecht der Vorschlag:
Wäre es nicht besser, die FDP löste das Volk auf und
wählte sich ein anderes?
({1})
Wir hören von der Bundesregierung seit zwei Tagen,
man wolle Kurs halten. Das hört sich zunächst nicht
schlecht an, aber Kurs halten kann bekanntlich nur, wer
auch einen Kurs hat.
({2})
Auch Geisterfahrer - das darf ich Ihnen sagen - halten
sich streng an die Devise: Kurs halten.
({3})
Worüber reden wir beim Etat des Bundeswirtschaftsministeriums? Faktisch reden wir über einen verfügbaren Anteil am Bundeshaushalt von 1 Prozent. Er umfasst 6 Milliarden Euro - das sind zunächst 2 Prozent -,
aber davon müssen wir ja 3 Milliarden Euro abziehen,
die nicht verfügbar sind, weil sie für die Steinkohlesubventionierung und für die Subventionierung staatsnaher
Monopolisten im Bereich Luft- und Raumfahrt vorgesehen sind. Ich sage zur Klarstellung, damit niemand
denkt, hier seien großen Wirtschaftslenker am Werke:
Industrie- und Mittelstandspolitik wird mit diesem Etat
leider nicht gemacht. Das würde die Linke gern ändern.
({4})
Nun höre ich oft den Einwand, man würde gern mehr
Geld in die Hand nehmen, aber der Sozialetat sei ja so
hoch. Das stimmt. Aber wahr ist, dass wir diesen riesigen sozialen Reparaturbetrieb nur deshalb brauchen,
weil Sie eine Wirtschafts- und Sozialpolitik machen, die
die Gesellschaft spaltet, die einen Niedriglohnsektor etabliert hat und zu solchen Zuständen führt, dass Menschen zum Amt gehen und aufstocken müssen. Das ist
ein Versagen Ihrer Wirtschaftspolitik.
({5})
Minister Rösler hat hier erklärt, 50 Prozent der neuen
Jobs seien Vollzeitjobs. Das hat er als Erfolg verkündet.
Die befristeten sind in diesen 50 Prozent enthalten. Das
heißt doch andersherum, Herr Minister, dass über die
Hälfte aller neu geschaffenen Jobs in den Bereichen
Zeitarbeit, Leiharbeit und befristete Verträge zu finden
ist. Das Allerschlimmste und am wenigsten Hinnehmbare ist, dass junge Menschen heutzutage bei ihrem
Berufseinstieg in aller Regel nur befristete Verträge
bekommen. Das müssten Sie ändern. Dieses Problem
müssten Sie angehen, statt hier 50 Prozent als Erfolg zu
feiern.
({6})
Zur Klarstellung: Die Linke steht für eine Wirtschaftspolitik, die Mittelstand und Existenzgründern
Chancen eröffnet und nicht verbaut, die Arbeit schafft,
von der Beschäftigte sorgenfrei leben können.
({7})
Die Linke will eine Wirtschaftspolitik, die gleichermaßen zu mehr wirtschaftlicher Stabilität und sozialer
Gerechtigkeit beiträgt.
({8})
Herr Bundesminister Rösler wollte mit aller Macht
sein neues Amt antreten. Sie wollten liefern. Man hätte
vermuten können, dass es jetzt losgeht. Mit diesem Etat
liefern Sie nicht. Mit diesem Etat bringen Sie hier nur
Murks ein.
Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen. Sie
versprechen eine Neuausrichtung und Straffung des Förderangebotes - so Ihr Text. Sie wollen eine umfassende
Überprüfung und Bündelung der Förderprogramme. Ich
betreue den Wirtschaftsetat im Haushaltsausschuss seit
nunmehr fünf Jahren. Ich habe diesen Spruch jedes Jahr
mehrfach gehört: von Minister Glos, von Minister zu
Guttenberg, von Minister Brüderle, nunmehr von Minister Rösler. Passiert ist nie etwas. Sie alle haben versprochen, den Förderdschungel zu lichten, das Förderangebot besser zu bündeln und für einen Service aus einer
Hand zu sorgen. Passiert ist nie etwas. Ich will nur an
eine Episode erinnern: Als mir gesagt wurde: „Das erfolgt jetzt alles wunderbar aus einer Hand“, habe ich gedacht: Wo es eine Hand gibt, muss es auch einen Kopf
und ein Telefon geben. Dann habe ich gefragt: Können
Sie mir die Telefonnummer geben? Es hat zehn Monate
gedauert,
({9})
bis aus dem Bundeswirtschaftsministerium eine Antwort
kam. Jetzt haben Sie die Chance, das zu toppen.
({10})
Ich will ein Wort zur Wirtschaft in Ostdeutschland sagen. Es gibt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die zu einem sehr
beachtlichen Teil für die Wirtschaft in den neuen Bundesländern zum Einsatz kommt. Hier nehmen Sie erneut
eine empfindliche Kürzung vor. So erreichen wir keine
Angleichung der Wirtschafts- und Lebensverhältnisse.
Ich will Sie auch daran erinnern, dass nicht eine einzige
Firmenzentrale ihren Standort im Osten hat und dass wir
dort einen enorm geringen Anteil von Industrieforschung, dafür vorwiegend verlängerte Werkbänke haben.
Eigentlich geht es schon heute eher darum, auch die
neuen Potenziale im Osten als Chance zu begreifen, die
Erfahrungsvorsprünge bei Transformationsprozessen zu
nutzen und auch die damit verbundenen Schwierigkeiten
anzugehen. Hier ist über die Solarbranche geredet worden. Ich verfolge die Entwicklung in diesem Bereich mit
großem Interesse. Ich habe feststellen können: Solange
die Rendite gut war, waren die Private-Equity-Fonds mit
großen Geldsummen im Geschäft. Als es schwierig
wurde, haben sie sich vom Acker gemacht. Deshalb haben wir es heute mit einer Reihe von Schwierigkeiten zu
tun.
({11})
Herr Minister, Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen. Man hätte denken können: Jetzt packt er ein
Problem an. In Ihren Etat eingestellt haben Sie für die
Förderung von Aufgaben zur Bekämpfung des Fachkräftemangels gerade einmal 9 Millionen Euro. Wenn ich
diesen Betrag umrechne, komme ich zu dem Ergebnis:
Das entspricht 70 bis 75 Vollzeitstellen. Ich sage Ihnen
eines: Sie dürfen die Leute nicht verdummen. Die Leute
können selber rechnen. Dieses Programm ist einfach nur
lächerlich, Herr Minister.
({12})
Nach meiner Überzeugung geht vernünftiges Wirtschaften erst, wenn Industrie, Handwerk, Dienstleistungen, Tourismus und Gewerbe die Übermacht der Finanzmärkte, Banken und Ratingagenturen überwinden. Ein
Jegliches hat seine Zeit. Die Börse hatte ihre gute Zeit.
Ihre schlechte muss nicht ewig dauern. Auch das Kasino,
das wir immer als anonym beklagen, ist Menschenwerk.
Es wurde von Menschen geschaffen und kann von Menschen geschlossen werden.
({13})
Kurs halten ist falsch, wenn man merkt, dass man auf
dem falschen Kurs ist.
({14})
Dieser Kurs kann geändert werden. Wir haben mit diesem Etat die Chance dazu. Das bedeutet aber in der Tat:
Sie müssen auf dem Holzweg, auf dem Sie sich befinden, umkehren.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Parteivorsitzender Rösler!
({0})
Ich sage bewusst „Parteivorsitzender“, weil Sie als Wirtschaftsminister in den letzten vier Monaten nichts Nennenswertes geliefert haben.
({1})
Das hat einen einfachen Grund, den man als Handelskaufmann gleich versteht: Wer liefern will, muss etwas
auf Lager haben.
({2})
Ich will jetzt deutlich machen, dass das bei Ihnen in den
letzten vier Monaten nicht der Fall gewesen ist.
({3})
In der ganzen Euro-Diskussion, in der es um die
Frage geht, wie wir zu stabilen Verhältnissen im EuroRaum kommen können und welche Auswirkungen das
auf die Banken haben kann, habe ich von Ihnen nur vernommen, dass Sie sich systematisch und prinzipiell
- egal, um welchen Vorschlag es sich handelt - gegen
vernünftige, neue Regelungen in Europa wenden und
alle Vorschläge abwehren.
({4})
Sie sind die Dagegen-Partei im europäischen Kontext.
Jedenfalls wäre es Ihre Aufgabe als Wirtschaftsminister,
deutlich zu machen, was Sie tun wollen, damit solche
Krisen eingedämmt werden und - vor allem - damit
künftige Krisen nicht wieder aufgrund der Mechanismen, die wir heute haben, entstehen können.
({5})
Sie haben in der Energiepolitik und in der Energiewende null Komma null geliefert. Wir steigen aus der
Atomwirtschaft aus, aber Sie im Wirtschaftsministerium
ändern nichts, was die Fragen der alternativen Energien,
der Energiewende und der Energieeffizienz angeht.
({6})
Der neue Haushaltsentwurf sieht für den Bereich der
Energieeffizienz im Energie- und Klimafonds 89 Millionen Euro vor. Dieses Jahr werden wahrscheinlich lediglich 1,6 Millionen Euro abfließen, weil Sie gar nicht in
der Lage sind, eine Konzeption des Energiesparens und
der Energieeffizienz zu entwickeln. Dazu sage ich Ihnen
klar: Sie müssen da liefern, sonst schaffen wir den
Atomausstieg nicht - jedenfalls nicht, ohne dem Klima
zusätzlich zu schaden.
({7})
Herr Fuchs, wir verstehen Industriepolitik so, dass
wir auf dem Energiesektor mit höchster Effizienz vorgehen. Dafür brauchen wir einen Wirtschaftsminister, der
sich für diese Effizienzrevolution einsetzt.
({8})
Übrigens sagen wir: Die Energieeffizienz in Deutschland muss mit jährlich 3 Milliarden Euro gesteigert werden. Das hat übrigens auch eine soziale Komponente.
Mehr Energie einzusparen bzw. die Energieeffizienz zu
steigern, muss nicht nur für diejenigen möglich sein, die
es sich leisten können, sondern auch für diejenigen, die
es sich nicht leisten können, also für Menschen mit geringen Einkünften. Ich sage in Richtung Frau von der
Leyen: Auch der Hartz-IV-Kühlschrank muss - das ist
heute leider nicht der Fall - ein Energieeffizienzkühlschrank sein. Hier tun Sie nichts. Sie kommen da aber
nicht heraus, Herr Rösler.
Für uns heißt Industriepolitik Effizienz und nicht Beton. Damit zitiere ich fast Herrn Brüderle von heute früh,
stelle aber dazu fest, dass Herr Rösler davon nichts versteht und sich bisher nicht dafür eingesetzt hat. Sie haben nicht einmal die Energiekonzeption der Bundesregierung geändert, sondern verfahren noch immer nach
der alten Energiekonzeption, die vor dem Atomausstieg
galt, in der Zeit, in der Sie die Atomlaufzeiten verlängert
haben. Das ist fossiles Denken. Manchmal kommen Sie
mir so vor, als wollten Sie falsifizieren, dass die Energiewende überhaupt möglich ist. Jedenfalls sage ich Ihnen für die Grünen: Mit passivem Herumgucken wird
diese Energierevolution nicht stattfinden.
({9})
Sie haben gerade von der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland gesprochen. Das war schon ein
dreistes Stück. Sie sprachen von einem Punktesystem
und davon, dass die 60 000-Euro-Grenze auf 40 000 Euro
heruntergesetzt werden sollte. Es war so, als hätten Sie
als Frohnatur zum ersten Mal über dieses Thema geredet. Ich muss Sie aber, Herr Minister, daran erinnern,
dass Sie regieren, und zwar die FDP seit zwei Jahren und
Sie als Wirtschaftsminister seit vier Monaten. Liefern
Sie doch!
({10})
Gehen Sie mit dem Koalitionspartner in Klausur und liefern Sie! Das hatten Sie angekündigt. Sie sollten nicht
nur gackern, Herr Minister. Darauf käme es jetzt an. Die
Wirtschaft wartet dringend darauf, dass diese Frage endlich geregelt wird.
({11})
Ich finde, dass ein Wirtschaftsminister nicht so
feuchtfröhlich, wie Sie es gerade getan haben, über die
Frage reden darf, was alles toll ist. Er darf das alles nicht
schönmalen. Es gibt nämlich in zunehmendem Maße einen doppelt gespaltenen Arbeitsmarkt. Die Zahl derer,
die auf Dauer ausgegrenzt sind, ist zu hoch. Das muss
auch Sie als Wirtschaftsminister angehen - und nicht nur
Frau von der Leyen. Innerhalb des Kreises derer, die einen Job haben, gibt es viele mit einem prekären Job, von
dem sie gar nicht leben können. Da muss doch ein Wirtschaftsminister, der Format hat, folgendes Programm
ausrufen: Wir wollen dafür sorgen, dass systematisch
mehr Vollerwerbsstellen geschaffen werden, von denen
die Leute leben können. Sie müssen dann halt in Gottes
Namen auch mal an das Thema Mindestlohn herangehen. Sie können sich da nicht so schamhaft wegdrücken,
wie Sie es im Normalfall immer tun.
({12})
Ich komme nun zu einem sehr wichtigen Punkt. Es
gab einmal Zeiten, da war das Wirtschaftsministerium
sozusagen die Grundsatzabteilung für die soziale Marktwirtschaft in Deutschland. Man war stolz darauf, aus
dem Wirtschaftsministerium heraus ordnungspolitisch
klar und präzise zu formulieren und weiterzudenken.
Bisher aber haben Sie daran überhaupt nicht gedacht.
Das Entflechtungsgesetz - es hat ja damit zu tun, ob
Wettbewerb in unseren Märkten, auch im Energiebereich
und bei den Banken, überhaupt möglich ist ({13})
haben Sie auf Bonsai-Level zusammengestrichen. Jedenfalls haben Sie sich nicht um die entscheidende Frage
gekümmert, ob es wirklich Entflechtung im Sinne von
mehr Wettbewerb gibt. Darüber haben Sie zwei Jahre
lang in irgendwelchen Versammlungen fröhlich geredet,
gemacht aber haben Sie nichts.
Damit es klar ist: Wir beteiligen uns gerne an dem
Streit in Bezug auf die Frage, wer es ordnungspolitisch
am Genauesten nimmt. Aber dann können Sie sich das
ganze Zeug, das Ihnen irgendwelche mittelmäßigen Berater aufgeschrieben haben nach dem Muster, die Grünen seien Kulturpessimisten, in die Haare schmieren.
Machen Sie eine klare Ordnungspolitik und beantworten
Sie die großen Fragen, die heute zur sozialen Marktwirtschaft gestellt werden.
({14})
Die erste Frage ist: Haben wir noch eine soziale
Marktwirtschaft? Meine Antwort ist klipp und klar:
Nein, wir haben sie nicht mehr. Wir müssen wieder eine
soziale Marktwirtschaft werden. Davon sind wir weit
entfernt. Es ist Aufgabe eines ordnungspolitisch bewussten Ministers, dass er dafür kämpft, sie wiederherzustellen.
({15})
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Sie schwafeln andauernd von einer Steuersenkung für Beschäftigte, weil das
mehr Leistung ermöglichen würde. Zu glauben, dass die
heutige Workforce, die arbeitenden Menschen, weniger
leistet, weil die Steuern zu hoch sind, ist doch weltfremder Quatsch. Die Leute arbeiten fleißig und redlich. Wir
brauchen keine Steuersenkungen. Die Mittel, die wir haben, brauchen wir für Innovation, für Effizienzsteigerung und für mehr soziale Gerechtigkeit.
({16})
Dazu ein ganz einfaches Beispiel: Machen Sie eine
ordentliche Energiepolitik in Form von Energieeinsparung. Sorgen wir statt einer Steuersenkung für eine Senkung der Energiekosten für alle Bürgerinnen und Bürger
in unserem Land, sodass die Menschen weniger für
Energie zahlen. Es hätte auch positive Auswirkungen
auf die Inflation, wenn wir das schaffen würden. Eine
Senkung der Kosten für den Energieverbrauch wäre eine
sinnvolle Entlastung der Bevölkerung, insbesondere der
Geringverdiener. An dieser Stelle können wir etwas tun.
Aber dafür müssen Sie ordnungspolitische Klarheit darüber haben, worauf es gegenwärtig ankommt.
({17})
Ich komme zu dem Punkt, der mich am meisten stört
und wo Sie bisher wirklich grandios versagt haben. Wir
stellen fest, dass die Finanzmarktkrise nichts anderes bedeutet, als dass sich die Akteure der Realwirtschaft nicht
mehr darauf verlassen können, dass sie, wenn sie investieren wollen, zu vernünftigen Bedingungen verlässliches Geld von den Banken bekommen. Das ist doch der
Kernpunkt der Beunruhigung in der Realwirtschaft. Hier
würde ich von einem Minister, der ordnungspolitisch für
die Grundsätze der Marktwirtschaft zuständig ist, schon
Vorschläge hören wollen, wie er, seine FDP und die Regierung sicherstellen wollen, dass die ursprünglich dienende Funktion der Finanzmärkte in unserem wirtschaftspolitischen Geschehen wieder Realität wird.
Man muss sich einmal fragen: Warum haben wir eigentlich Finanzmärkte? Doch nicht deshalb, damit es irgendwelchen Spekulanten gut geht und sie etwas zu tun
haben, sondern damit die Funktion, Ersparnisse der Gesellschaft in Investitionen zu verwandeln, schnell, reibungslos und effektiv erfüllt werden kann. Davon sind
Sie meilenweit entfernt. Ich habe keinen Vorschlag von
Ihnen gehört, der irgendein ordnungspolitisches Konzept
der Finanzmärkte beinhalten würde, sodass es an dieser
Stelle weitergeht.
Deswegen, Herr Rösler, komme ich wirklich zu dem
Urteil, dass Sie zwar in den letzten Tagen und Wochen
als Parteivorsitzender eine große Klappe gehabt haben,
aber als Wirtschaftsminister nichts - ich wiederhole: null
Komma null - geliefert haben.
Danke schön.
({18})
Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Lieber
Kollege Claus, Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz haben Sie in der DDR unter Beweis gestellt. Wir alle kennen das Ergebnis und wundern uns, wie Sie die Stirn haben können, heute so aufzutrumpfen.
({0})
Was den Kollegen Kuhn angeht, so irritiert mich Ihre
Pauschalkritik an der Energiepolitik dieser Regierung.
Ich würde Ihnen empfehlen, nach Atdorf in den
Schwarzwald zu fahren, wo die Grünen momentan
Stunk gegen das größte in Planung befindliche Pumpspeicherkraftwerk machen. Sie meinen, es passe nicht in
die Landschaft, es sei ein Unding und man dürfe es nicht
bauen. Wenn das Ihre Art und Weise ist, eine konsequente Energiepolitik zu betreiben, nämlich hier in der
Theorie allgemeine Weisheiten zu verkünden und in der
Praxis gegen alles zu sein, dann sollte einen das dazu bewegen, weniger große Töne zu spucken.
Ich glaube, dass die europäische Schuldenkrise nicht
nur diese Haushaltsdebatte dominiert, sondern auch in
den nächsten Monaten unsere Wirtschaftspolitik dominieren wird.
Um hier ein paar Dinge geradezurücken, möchte ich
kurz zurückblenden. Am 29. Juni 2000 gab Hans Eichel
eine Regierungserklärung ab. Damals feierte er geradezu
überschwänglich die von Rot-Grün unterstützte Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone. Trotzdem
drückte ihn anscheinend schuldbewusst eine gewisse
Vorahnung. Ich zitiere:
Wer dazugehört, muss sich auch zukünftig so verhalten, wie er sich verhalten hat, um dazugehören
zu können.
Das war eine ziemlich gestelzt formulierte Anforderung
an die Griechen.
Dr. Gerd Müller von der CSU konterte damals glasklar:
Herr Eichel, die Aufnahme Griechenlands in den
Eurokreis war ein schwerer Fehler.
Müller spricht explizit von manipulierten Zahlen.
Nun kann man behaupten, die Griechen hätten beim
Beitritt betrogen. Lässt man das Revue passieren, was
damals diskutiert wurde, muss man aber feststellen, dass
ihnen offenkundig schon damals niemand geglaubt hat.
Mundus vult decipi: Nicht die Welt, aber die Gegenseite wollte betrogen sein - auch und gerade die damalige rot-grüne Bundesregierung. Das ist die Realität,
meine Damen und Herren.
Auch wenn Sie es in den Debatten diese Woche schon
x-mal gehört haben, sage ich es noch einmal: Die
Maastricht-Kriterien haben Schröder und Eichel 2003
aufgeweicht, weil ihnen Schulden machen zu können
wichtiger war als die Euro-Stabilität. Das war Sündenfall Nummer zwei.
Deshalb ärgert mich die Haltet-den-Dieb-Debatte, die
wir an dieser Stelle führen. Sie tragen hier Verantwortung, und ich sage Ihnen ganz offen, auch wenn ich unschuldig bin: Ich schäme mich für eine solche deutsche
Politik, für diesen gigantischen Wortbruch gegenüber
den Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Deutsche Mark
im Vertrauen auf den Waigel’schen Stabilitätspakt hergegeben haben, den Sie - Sie! - gebrochen haben.
({1})
Was wir heute erleben, was unseren Aufschwung
- ich sage das ganz explizit - gefährden kann, ist der
Fluch Ihrer bösen Tat. Sie und die Medien hängen uns
bei der Gelegenheit gleich einmal das Etikett „schlechteste Bundesregierung“ um, weil wir uns in der Tat
schwertun, obwohl wir sehr darum ringen, den Scherbenhaufen zu beseitigen, den Sie angerichtet haben. Ich
sage Ihnen ganz offen: Was Sie da machen, ist Hohn.
Aber ich will nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen. Wir alle müssen unsere Lehren aus dem ziehen, was
gerade passiert.
Als CSU-Politiker sage ich an dieser Stelle ganz bewusst: Es muss Schluss sein damit, erst ökonomisch
sinnvolle Kriterien zu entwickeln und uns über Kataloge
und Auflagen zu einigen, aber dann, wenn es zum
Schwur kommt, diese Kriterien mit dem Verweis auf das
angeblich Hehre, Große, Ganze, Europäische auf die
Seite zu schieben. Mancher EU-Beitritt, der erfolgt ist,
und mancher, der noch von Ihnen gestützt wird - Stichwort „Türkei“ -, ist ein Beispiel dafür.
Europapolitik muss mit dem Betrachten der Realität
beginnen. Europapathos am falschen Platz verstellt den
Blick, meine Damen und Herren. Das gilt meiner Ansicht nach auch für die anstehenden Entscheidungen, die
man in allen Punkten doch wohl mit dem Begriff „Dilemma“ überschreiben kann und bei denen wir immer
die Wahl zwischen Pest und Cholera haben. Dass man
sich daher mit der Entscheidung nicht ganz leicht tut,
müsste doch nachvollziehbar sein.
Meine Damen und Herren, für mich ist aber auch
ganz besonders wichtig, dass Europapolitik demokratischer werden muss. Dies geht aus meiner Sicht nur
durch eine Rückbindung der Brüsseler Entscheidungen
an die Entscheidungen der nationalen Parlamente.
Ich finde es schon einigermaßen ungewöhnlich, ja beschämend, dass uns das Bundesverfassungsgericht immer und immer wieder an unsere Rechte und Pflichten
als Volksvertreter erinnern muss. Es muss doch unsere
vornehmste Aufgabe sein, hier dafür Sorge zu tragen,
dass der Bundestag mit im Boot ist und mitentscheidet.
Das ist ganz wichtig - nicht nur bei der Euro-Thematik,
sondern auch bei allem anderen, was europapolitisch in
Zukunft entschieden wird.
Ich stehe als CSU-Politiker selbstverständlich für das
Konzept eines Europas der Regionen. Wer die schwierige Situation jetzt missbrauchen will, um seine Vision
eines europäischen Bundesstaates zu realisieren, kann
mit unserer, kann mit meiner Unterstützung jedenfalls
nicht rechnen. In der Tat braucht die EU Mittel und
Wege - Kompetenzen, wenn Sie so wollen -, um Schuldenstaaten zum Konsolidieren zu zwingen. Dafür darf
man aber andere nicht in Sippenhaft nehmen. Subsidiarität steht für uns neben Solidarität.
({2})
- Das eine muss dem anderen nicht widersprechen. Wir
verfolgen durchaus eine Linie in diesem Punkt.
Als Wirtschaftspolitiker steht für mich fest, dass wir
bei all dem, was wir in den nächsten Wochen entscheiden müssen, darauf achten müssen, die Disziplinierung
durch die Kapitalmärkte nicht komplett außer Kraft zu
setzen. Einen Alkoholiker kann man nicht mit Alkohol
therapieren. Das heißt, ein Land, das nicht spart, darf
nicht durch vollständige Haftungsübernahmen und da14592
raus resultierend niedrige Zinsen zum Schuldenmachen
animiert werden. Deshalb lehnen wir Ihre Euro-Bonds
ab.
Das heißt außerdem: Ein Investor, der hohe Renditen
bekommt, darf nicht am Ende das extra verzinste Risiko
an den Steuerzahler delegieren können. Hier müssen wir
meines Erachtens noch Ideen entwickeln und auch manche Bankerdrohung hinterfragen: Cui bono? Wem nutzt
das?
Es muss jedenfalls unser Ziel sein, das im MaastrichtVertrag vereinbarte Verbot der Schuldenübernahme für
andere Staaten nicht dauerhaft zu schwächen. Das war
auch ein wohlüberlegtes Prinzip, dessen Festlegung
sinnvoll war. Deshalb kann man es nicht einfach vom
Tisch wischen.
Ein ausgeglichener Haushalt, wie ihn die CSU in
Bayern realisiert hat, ist wirtschafts- und finanzpolitisch
unabdingbar, und auch die Schuldenbremse ist in diesem
Land etwas sehr Wichtiges. Sie ist eine entscheidende
politische Leistung aller Kolleginnen und Kollegen, die
sie mitgetragen haben.
Die viel zitierten Märkte - das ist, glaube ich, das
Spannende daran - trauen uns die Stabilitätsorientierung
zu. Die Verzinsung für deutsche Staatsanleihen ist extrem niedrig, die wirtschaftliche Lage trotz aller Bedrohungen noch immer gut. Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit sind auf einem außerordentlich hohen
Niveau.
Das Glas ist jedenfalls mehr als halb voll. So sollten
wir das aus meiner Sicht sehen. Wir Deutschen müssen,
glaube ich, aus dem Dauerpessimismus herauskommen.
Wir sollten auch aufhören, in Extremen zu denken.
Ich nenne ein Beispiel: Kaum hat man eine Krise hinter sich gelassen und die Zahl der Arbeitslosen einigermaßen abgebaut, schon soll der Fachkräftemangel, der
angeblich entsteht, nur über Zuwanderung von außerhalb der EU zu lösen sein, und das bei einem EU-weiten
Arbeitsmarkt. Die CSU jedenfalls setzt auf Qualifizierung statt auf neue Multikultiexperimente.
({3})
- Das sage ich auch in Richtung FDP.
Ein anderes Beispiel: Kaum ist man sich einig, dass
Innovationen unabdingbar sind, wird der hohe Anteil
von 1,37 Milliarden Euro für die Luft- und Raumfahrt
am Haushalt des BMWi kritisiert. Aus bayerischer Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass nur wenige Innovationsthemen unsere Entwicklung so getrieben haben. Ein
wenig mehr Fortschritts- und Technologiezuversicht
würde dieses großartige Land noch mehr voranbringen.
Lassen Sie uns daran arbeiten. Ich glaube, es lohnt
sich.
Vielen herzlichen Dank.
({4})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Klaus Brandner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Den Optimismus von Bundeswirtschaftsminister Rösler kann man wohl nur bewundern.
Ich kann verstehen, dass Sie, lieber Herr Rösler, lieber
vom Aufschwung reden als von der schwankenden Weltwirtschaft. Während zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung von einem „Eisigen Herbst“ spricht, ihn geradezu
prophezeit, hat sich für Sie das Konjunkturklima nur
leicht abgekühlt.
Obwohl selbst die Wirtschaftswoche schreibt, dass es
„Ab mit Schwung“ geht, macht der Aufschwung für Sie
nur eine kleine Pause.
Sie freuen sich weiterhin über das Wachstumswunderland Deutschland. Damit hatten Sie bisher vielleicht
auch recht; denn wir sind überraschend gut aus der Krise
gekommen. Es konnten umfangreiche Entlassungen vermieden und viele Insolvenzen abgewendet werden.
Doch damit eines klar ist: Auch wenn Sie und die FDP
den Erfolg für sich beanspruchen - es war die Große Koalition, die gehandelt hat. Es gab kein Hickhack und kein
Zickzack. Sie hat das Vertrauen der Menschen in die
Politik gestärkt, indem sie schnell und vor allen Dingen
klar und richtig gehandelt hat.
({0})
- Sie?
({1})
- Wie gehen Sie mit den Ergebnissen um? Ihre Ergebnisse haben wir gerade gesehen. Herr Lindner, ich würde
nicht so hochmütig auftreten. Wir werden in 14 Tagen
hier freudige Debatten über Ihr Wahlergebnis haben.
Herzlichen Dank.
({2})
Die Große Koalition hat in der Krise Handlungsfähigkeit bewiesen. Sie hat die Bankenrettung vorangetrieben,
damit die Mittelständler sichere Kredite bekommen, sie
hat die Konjunkturpakete geschnürt, damit Aufträge erteilt werden konnten, und sie hat eine Arbeitsmarktpolitik gestaltet, die auf Arbeitsplatzsicherung und auf Arbeitsplatzerhalt gesetzt hat. Sie profitieren jetzt davon,
dass Deutschland so gut aus der Krise gekommen ist.
Aber Sie, Herr Minister Rösler, und die FDP haben damit gar nichts zu tun.
({3})
Das will ich hier eindeutig feststellen. Es scheint, als wären Sie gleich auf zwei Augen blind: Damals wollten Sie
nicht sehen, was aus der Krise herausführt, und heute
wollen Sie nicht sehen, welche Faktoren für eine drohende zweite Krise sprechen.
({4})
Alle außer Ihnen haben die Zahlen auf dem Tisch.
Das deutsche Wachstum kam im zweiten Quartal des
Jahres mit 0,1 Prozent fast zum Erliegen. Die Wirtschaft
in den 17 Euro-Ländern stagniert. In den USA und in Japan sieht es insgesamt auch nicht besser aus. Auch die
GfK-Konjunkturerwartungen der deutschen Konsumenten brachen im August ein und erreichten den niedrigsten Stand seit Juni 2010. Die Konjunkturerwartungen
des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung fielen im August auf den tiefsten Stand seit Dezember
2008. Der DAX - wir alle wissen es - ist seit Ende Juli
um 30 Prozent gesunken.
Wenn Sie, sehr geehrter Herr Rösler, schon nicht auf
mich und meine Interpretation hören wollen, so hören
Sie wenigstens auf warnende Expertenstimmen, zum
Beispiel die des Weltbankpräsidenten Zoellick, der sagt:
Für die globale Wirtschaft besteht das Risiko, in diesem
Herbst in eine neue Gefahrenzone zu rutschen. KfWChef Schröder sagt: Die Lage ist viel dramatischer als
2008. IWF-Chefin Lagarde sagt: Es droht der Rückfall
in die Rezession. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um eine drohende Abwärtsspirale abzuwenden. Sie aber tun so, als sei alles in Butter. Sie tun so, als sei
all das nur Oppositionsgeschwätz.
({5})
Als Haushälter jedenfalls kann ich diese Zahlen und
Prognosen nicht einfach ignorieren. Man muss als Haushälter und - nach meinem Verständnis - auch als Minister wachsam sein und Vorsorge treffen. Deshalb erwarte
ich mehr von Ihnen, sehr geehrter Herr Minister. Sie
müssen jetzt endlich liefern.
({6})
Immerhin - das will ich hier klar sagen - waren Sie
nicht ganz untätig. Sie haben dem Haushalt des Wirtschaftsministeriums ein neues Gewand gegeben, Sie haben den Haushaltsplan übersichtlicher gestaltet und klarer strukturiert. Er ist transparenter als vorher. Aber eine
Verpackung allein bringt noch nichts; auf den Inhalt
kommt es an. Da aber ist - das haben die Vorredner
schon deutlich gemacht - von Umdenken nichts zu sehen. Wenn Sie sich trotz schwankender Weltwirtschaft
allein auf die Exportwirtschaft verlassen, dann muss ich
sagen: Das ist ein Standbein zu wenig. Das reicht nicht
aus. Obwohl die Nachfrage aus dem Ausland schon fast
komplett zusammengebrochen ist, wird der Binnenmarkt
nach wie vor von Ihnen total vernachlässigt.
Dabei hat der Bundeswirtschaftsminister so viele
Stellschrauben. Zum Beispiel könnte man einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn verabschieden.
({7})
- So ist es. - Das wäre ökonomisch vernünftig. Das
würde die Nachfrage sichern, und es würde endlich die
Würde der Arbeit herstellen.
({8})
Es ist ein Skandal, dass in Deutschland über 1 Million
Menschen für weniger als 5 Euro die Stunde arbeiten
müssen. Die Schaffung eines allgemeinen gesetzlichen
Mindestlohns wäre eine wichtige und gute Aufgabe.
Sinnvoll wäre auch eine breit angelegte Gründungsförderung. Das würde helfen, Menschen in Arbeit zu
bringen, neue Arbeit zu schaffen und neue Arbeitsfelder
zu erschließen. Die Förderung von Existenzgründungen
wird seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, seitdem Schwarz-Gelb regiert, deutlich weniger
unterstützt. Es wäre eine wichtige Aufgabe für das Wirtschaftsministerium, sich dieses Themas anzunehmen
und dafür zu sorgen, dass auf diesem Gebiet endlich
mehr Engagement entfacht wird.
Eine gute Aufgabe wäre darüber hinaus, die öffentlichen Vergabeverfahren zugunsten fairer Arbeitsverhältnisse und nicht zugunsten von Lohndumping entscheiden zu lassen. Es kann doch nicht sein, dass der
Billigste, der nicht immer der Qualifizierteste ist, als Allererster den Auftrag bekommt. Und es kann auch nicht
sein, dass wir einen fairen Wettbewerb einfach ausschließen, in dem der faire Unternehmer, der sich an Regeln hält, am Ende der Dumme ist. Da hätten Sie die
Aufgabe, endlich dafür zu sorgen, dass die Nachfrage
und damit der Binnenmarkt gestärkt werden. Sie würden
einen großen Beitrag zur sozialen Befriedung in diesem
Land leisten, wenn Sie endlich diesen Themen nachgehen würden.
({9})
Auch an anderer Stelle, meine Damen und Herren,
könnten Sie liefern. Wir alle wissen vom drohenden
Fachkräftemangel - auch darauf ist heute schon an mancher Stelle hingewiesen worden -; in manchen Regionen
ist er ganz besonders ausgeprägt. Sicherlich wissen wir
alle, dass die Beseitigung dieses Mangels eine zentrale
Herausforderung ist, für die Sie kein Konzept haben. Sie
fördern im Handwerk überbetriebliche Ausbildungszentren. Diese könnten Sie ausbauen. Hier könnten Sie mehr
für die Ausbildung tun. Sie könnten insbesondere etwas
für die betriebliche Weiterbildung tun. Sie ist in
Deutschland nämlich ein Stiefkind, insbesondere in kleinen und mittelständischen Betrieben. Hier hätten Sie
Chancen, Zukunftssicherung zu betreiben und eine neue
Aufgabe zu übernehmen. Das würde tatsächlich zu längerfristiger und nachhaltiger Beschäftigung führen. Qualifikation ist letztlich das beste Standbein für eine nachhaltige Beschäftigung.
Meine Damen und Herren, Sie könnten den Regionen, die wirtschaftliche Nachteile oder Nachholbedarf
haben, helfen. Gerade hierzu besteht ein renommiertes
Programm, durch das nachweislich Hilfe zur Selbsthilfe
geleistet wird, regionale Investitionen gestärkt und dauerhaft wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden: Ich denke an die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Aber gerade
hier kürzen Sie entscheidend. Wir fordern Sie auf, in dieser Angelegenheit umzukehren und dafür zu sorgen,
dass gerade diese Felder von Ihnen weiter bedient werden.
({10})
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege
Brandner.
Herr Minister, stabil steht man nur auf beiden Beinen.
Deshalb: Fördern Sie die Export- und Binnenwirtschaft.
Füllen Sie Ihren Haushalt mit mehr Inhalten und Konzepten. Gerade Sie als Wirtschaftsminister und Vizekanzler kann ich nur auffordern: Liefern Sie endlich, damit die deutsche Wirtschaft wieder auf zwei gesunden
Beinen stehen kann.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die FDP hat jetzt das Wort der Kollege Florian
Toncar.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
stelle mir in dieser Debatte nur einmal einen Moment
lang vor, was ein Besucher auf der Besuchertribüne, der
nicht aus Deutschland kommt, sondern der hier zu Gast
ist, denken mag, wenn er diese Debatte zur Wirtschaftspolitik und zur Wirtschaftslage in Deutschland hört. Ich
glaube, er wäre über das Bild, das hier gezeichnet wird,
überrascht; denn dieses Bild ist verzerrt, und die großen
Erfolge, die wir - zum Teil gemeinsam - erzielt haben,
werden völlig vernachlässigt. Wir sollten deutlich machen, dass wir vieles erreicht haben, und kein so tristes
Bild der Lage in Deutschland malen.
({0})
Die Wirtschaftslage unterliegt sicherlich großen Herausforderungen, Kollege Brandner. In der Regel spielen
dabei externe Herausforderungen eine Rolle, also solche,
die wir als nationaler Gesetzgeber nicht allein beeinflussen können. Ich wiederhole: Es ist viel erreicht worden.
Das ist nicht nur ein Erfolg der Konjunkturprogramme,
die vor mittlerweile zweieinhalb Jahren aufgelegt worden sind. Durch sie ist manches Richtige auf den Weg
gebracht worden, beispielsweise die Neuregelung der
Kurzarbeit. Man muss es aber differenzierter sehen: Vieles der Konjunkturprogramme, für die Sie 80 Milliarden
Euro Schulden gemacht haben, hat Preissteigerungen
nach sich gezogen. Letzten Endes ist vieles erst jetzt bezahlt worden.
({1})
Es gab also keine antizyklische Wirkung mehr. Es gibt
Dinge aus dem Konjunkturprogramm, die bis heute nicht
abbezahlt sind.
Was mir aber besonders wichtig ist, ist Folgendes: Ich
meine, dass die politische Leistung, in einer Krise
80 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen, was Sie getan haben, und diese 80 Milliarden Euro dann irgendwie
zu verteilen, nicht zu überschätzen ist. Das ist etwas, was
man, glaube ich, leichter hinkriegt als das, was diese Koalition vor sich hat. Diese Koalition muss nicht 80 Milliarden Euro verteilen, sondern diese Koalition muss in
vier Jahren 80 Milliarden Euro einsparen. Das ist eine
ganz andere politische Herausforderung. Da sind wir auf
einem ganz ausgezeichneten Weg.
({2})
Die Haushaltskonsolidierung schreitet im Rekordtempo voran. Wir sind, ausgehend von 86 Milliarden
Euro, wie es Ihr Vorschlag 2010 vorsah, mittlerweile bei
einem Haushaltsentwurf, der, vorsichtig gerechnet, mit
27 Milliarden Euro Neuverschuldung auskommt. Das ist
eine Reduzierung von über 70 Prozent in lediglich zwei
Jahren. Wir haben als Koalition den festen Vorsatz, dass
wir im Bund das Ende der Neuverschuldung erreichen,
noch bevor die Schuldenbremse im Grundgesetz das von
uns verlangt, also noch vor 2016; denn wir wollen stabile Staatsfinanzen. Auf dem Weg sind wir schon weit
vorangekommen.
({3})
Wenn ich das mit dem vergleiche, was dort passiert,
wo Sie regieren, dann kann ich nur sagen, das ist eine
komplett andere Richtung.
({4})
Da kann man, glaube ich, auch sehr deutlich sehen, wie
die Alternativen in Deutschland aussehen.
({5})
Sie haben in Nordrhein-Westfalen einen verfassungswidrigen Haushalt vorgelegt. Aber noch interessanter
finde ich das, was in Baden-Württemberg passiert. Dort
hat der Staat dieses Jahr unerwartet 1,1 Milliarden Euro
zusätzliche Steuereinnahmen bekommen, und die Regierung hat entschieden, davon über 800 Millionen Euro zusätzlich auszugeben. Die Regierung in Baden-Württemberg könnte dieses Jahr ohne die Aufnahme neuer
Schulden auskommen. Aber der Ministerpräsident, ein
grüner Ministerpräsident, sagt: Das schaffen wir erst
2020. Ich glaube, deutlicher als mit dem Vergleich zwischen dem, was in den Ländern geschieht, in denen Sie regieren, und dem, was wir hier im Bund machen, kann man
nicht aufzeigen, dass wir ganz unterschiedliche Vorstellungen von guter Wirtschaftspolitik haben.
Herr Kollege Toncar, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil zulassen?
Nein.
Keine Zwischenfrage.
Gerne später, wenn dann noch Zeit ist. Aber ich
möchte das jetzt im Zusammenhang vortragen.
Ich möchte auf das eingehen, was jetzt vor uns liegt.
Wir müssen den Haushalt konsolidieren, und wir schaffen das, ohne dass das Wirtschaftswachstum kostet. Wir
schaffen das deshalb, weil wir auch im Haushalt des
Wirtschaftsministeriums die richtigen Schwerpunkte setzen. Wir als Koalition geben trotz Sparkurs und trotz Reduzierung der Verschuldung in vier Jahren 12 Milliarden
Euro extra für Bildung und Forschung aus. Vorgesehen
sind dieses Jahr allein 330 Millionen Euro zusätzlich für
Zukunftstechnologien im Bereich des Wirtschaftsministeriums. Wir schichten Subventionen um. Es werden
Subventionen abgebaut. Ineffiziente Förderprogramme
werden deutlich reduziert, und stattdessen wird in die
Technologien der Zukunft investiert.
Natürlich tun wir auch etwas für die Binnennachfrage. Es ist ja gerade der Vorsatz der Koalition, dadurch, dass kleinere und mittlere Einkommen entlastet
werden und dass wir auch bei den Lohnzusatzkosten zu
einer Absenkung kommen, die Kaufkraft zu stärken. Dabei geht es um die Einkommensgruppen, die ihr Geld in
der Regel auch ausgeben. So fördert man Binnennachfrage und nicht mit irgendwelchen eher fragwürdigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
({0})
Ich will natürlich auch etwas zum Thema stabiler
Euro sagen; denn das ist das große wirtschaftspolitische
Thema dieser Zeit. Zum einen finde ich es bemerkenswert, wer da wieder glaubt, diese Koalition belehren zu
können. Das sind mit Herrn Steinmeier, Herrn Trittin
und vielen anderen die Leute, die verantwortlich dafür
sind, dass Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen
wurde,
({1})
die verantwortlich dafür sind, dass der Stabilitätspakt
faktisch ausgehebelt worden ist, und die zu ihrer Regierungszeit Verantwortung dafür getragen haben, dass die
Statistiker aus Europa nicht nachrechnen dürfen, ob Mitgliedstaaten wirklich so viele Schulden machen, wie sie
angeben, oder ob es nicht deutlich mehr sind. Von diesen
Leuten lassen wir uns heute nicht sagen, wie man den
Euro zu stabilisieren hat. Sie sollen einmal an ihre eigene Verantwortung denken.
({2})
Ich habe in dieser Debatte gehört, der Bundeswirtschaftsminister wäre hier bei der Euro-Diskussion in
letzter Zeit nicht dabei gewesen. Ich kann nur sagen:
Wer das behauptet, der muss einen verlängerten Sommerurlaub von ungefähr acht Wochen hinter sich haben;
der hat offenbar etwas verpasst.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was hat er denn
durchgesetzt?
Denn es ist sehr wohl so gewesen, dass der Bundeswirtschaftsminister eine ganze Reihe von Beiträgen geleistet
hat.
({3})
Wir haben erreicht, dass es erstmals Gläubigerbeteiligung gibt. Wenn wir das gemacht hätten, was Sie wollten, wenn wir also frühzeitig Geld ins Schaufenster gestellt hätten,
({4})
frühzeitig Zusagen gemacht hätten, dann hätte doch niemand gesagt: Nun lasst uns doch die Gläubigerbeteiligung einführen. - Es war richtig, dass diese Bundesregierung dafür gekämpft hat, dass Gläubiger auch einen
Beitrag leisten müssen, und zwar bevor wir weitere
Steuergelder in Aussicht stellen.
({5})
Wir haben darüber hinaus mittlerweile erreicht, dass
immer mehr europäische Staaten sich zu Schuldenbremsen bekennen. Das sind Ergebnisse, die vor einem halben Jahr noch völlig undenkbar gewesen wären. Es lohnt
sich eben durchaus, nicht sofort Zugeständnisse zu machen, nicht sofort zu sagen, es gibt Geld, sondern zunächst einmal ganz konkrete belastbare Gegenleistungen
einzufordern.
({6})
Der Kurs dieser Bundesregierung in der Euro-Politik
war, wie ich glaube, richtig und dient der Stabilität unserer Währungsunion.
({7})
Im Übrigen möchte ich auch sagen: Der Bundeswirtschaftsminister hat sich überlegt, wie man es erreichen
kann, dass mehr deutsche und auch europäische Unternehmen in Griechenland investieren.
({8})
Ohne diesen Aspekt wird man das Problem am Ende
nicht an der Wurzel packen können. Ich glaube, er war
einer der Ersten in Europa, die das Thema überhaupt einmal von dieser Seite angepackt haben.
({9})
Wir müssen natürlich diesen Weg weitergehen. Auch bei
den Griechen müssen noch einige Voraussetzungen er14596
füllt werden, beispielsweise in den Bereichen Bürokratie
und Rechtssicherheit. Es ist aber unverzichtbar, dass wir
unsere und die europäische Wirtschaft dazu bringen, sich
auch in Griechenland zu engagieren.
({10})
Deshalb war das eine richtige Initiative.
({11})
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, auf den
auch der Kollege Kuhn eingegangen ist, nämlich das
Thema Energieeffizienz. Ich glaube in der Tat, Energieeffizienz ist eine Voraussetzung dafür, dass wir weiter
vorankommen und die Energiewende funktionieren
kann. Ich möchte aber auch daran erinnern, Herr Kollege
Kuhn, dass zurzeit ein Gesetzentwurf im Bundesrat liegt,
({12})
der das Thema Energieeffizienz zum Inhalt hat. In diesem Gesetzentwurf geht es darum, die energetische Gebäudesanierung steuerlich zu fördern. Ich möchte Sie
einfach fragen, ob es eigentlich im Sinne der Wähler in
Baden-Württemberg gewesen ist, dass Ihre Landesregierung hierzu gesagt hat: Wir machen da nicht mit.
({13})
Ich persönlich bin der Meinung, dass die Energiewende
eine gesamtstaatliche Aufgabe ist und alle Ebenen betrifft. Daher müssen sich selbstverständlich auch die
Länder anteilsmäßig finanziell engagieren. Deswegen
empfinde ich die Verzögerung, die da jetzt entstanden
ist, als völlig unnötig, als kontraproduktiv, und sie ist sicher auch nicht im Sinne der Wähler in Baden-Württemberg.
({14})
Kommen Sie zum Schluss.
Herr Präsident, ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen, da ich neu die Hauptberichterstattung für
diesen Einzelplan übernommen habe und auch mehrere
Kollegen neu dabei sind. Ich möchte betonen, dass wir
gemeinsam mit dem Ministerium gute Beratungen hinbekommen können und wir die Ideen, die noch da sind,
sicherlich so in den Haushalt einarbeiten können, dass
der Haushalt dadurch noch besser wird. Ich hoffe, dass
das kollegial ablaufen wird; eigentlich bin ich sogar
überzeugt, dass es klappt.
Ich wünsche uns allen gute, konstruktive Haushaltsberatungen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Schlecht von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Rösler, ich bin es ja von Ihrem Vorgänger gewohnt,
dass hier immer relativ fröhlich der Aufschwung und die
wirtschaftliche Lage umschrieben wird. So sprach er ja
gerne vom XXL-Aufschwung. Dass Sie aber in diesem
Tenor weitermachen, finde ich angesichts einer Situation, in der wirklich die Krisenhaftigkeit oder zumindest
das Risiko einer nächsten Krise auch hier in Deutschland
geradezu mit den Händen zu greifen ist, schon abenteuerlich.
Ebenso abenteuerlich ist es, wenn man übersieht, dass
sich nach wie vor der Finanzsektor, der ja am Ende für
die Durchfinanzierung der Realwirtschaft verantwortlich
ist, in einer hoch krisenhaften Situation befindet, wenn
man nicht zur Kenntnis nimmt - ansonsten stoßen die
Meinungen dieser Leute ja bei Ihnen immer auf offene
Ohren -, dass Herr Ackermann Ende letzter bzw. Anfang
dieser Woche erklärt hat, dass man sich an eine Situation
wie im Jahre 2008 erinnert fühlt, oder der Chef der KfW,
Schröder - das ist ja schon erwähnt worden -, die Einschätzung vertritt, dass das Risiko höher ist als im Jahr
2008, weil mittlerweile die Staaten als Retter nicht mehr
zur Verfügung stehen, und wenn man nicht zur Kenntnis
nimmt, dass die neue Präsidentin des Internationalen
Währungsfonds, Lagarde, es als großen Risikofaktor benennt, dass die Banken in Europa um mindestens
200 Milliarden Euro unterfinanziert sind. Ich sage Ihnen
ganz deutlich: Ein Wirtschaftsminister, der diese Risiken
nicht zur Kenntnis nimmt und während der Aussprache
hier nicht thematisiert, ist für mich ein Risiko für dieses
Land. Wenn man diese Gefahren nicht sieht, besteht
nämlich die Gefahr, dass man darauf nicht reagiert.
Jetzt müsste man die Regulierung des Finanzsektors
- das ist ja in den letzten Jahren immer wieder verlautbart worden - wirklich nachholen. Aus unserer Sicht
müsste man sogar den ganzen Finanzsektor und damit
auch die Banken an die Kette legen. Wir teilen die Auffassung von Ackermann, der vor kurzem selbst formuliert hat, dass er unsicher ist, ob die Banken die Daseinsvorsorge vernünftig organisieren. In der Tat müssen wir
dafür sorgen, dass das geschieht. Das ist am ehesten
möglich, wenn die Banken unter öffentliche Kontrolle
gebracht werden. Die ganzen unnützen Geschäfte, die
mit dem Begriff „Kasinogeschäfte“ umschrieben werden, müssen beendet werden, und alle Banken in
Deutschland müssen so organisiert werden, wie bereits
die Sparkassen organisiert sind. Die Sparkassen sind bekanntlich in öffentlicher Hand und immer die Stützpfeiler der Realwirtschaft gewesen. Für diese Organisation
sind wir.
({0})
Wenn man sich die realwirtschaftliche Seite, die Verteilungsseite, anschaut, stellt man fest, dass Ihr Blick auf
die Realität vollkommen blauäugig ist. Denn der bereits
auslaufende Aufschwung war ein Aufschwung, der bei
der breiten Masse der Bevölkerung nie angekommen ist.
Die Unternehmensgewinne sind in den letzten zehn Jahren, so auch zuletzt, massiv angestiegen; seit 2000 waren
es, preisbereinigt, 35 Prozent. Bei den abhängig Beschäftigten haben wir - die Zahl ist schon häufig genannt
worden - eine Reallohneinbuße von 4,5 Prozent zu verzeichnen. Das heißt, die Unternehmen haben in den letzten zehn Jahren ihre Gewinne um mehr als ein Drittel
steigern können, und die abhängig Beschäftigten müssen
heute mit weniger auskommen, und das in einem reichen
Land, in dem mit immer höherer Produktivität gearbeitet
wird. Das bringt die Ungerechtigkeit auf den Punkt; es
ist ein Skandal.
({1})
- Hören Sie zu, ich erkläre Ihnen ja noch etwas!
Ein besonderer Skandal ist darüber hinaus, dass die
Lohnkürzungen bei den 40 Prozent der Beschäftigten in
diesem Lande, die ohnehin am wenigsten verdienen, in
den letzten zehn Jahren am massivsten waren. Sie haben
Lohnkürzungen in Höhe von 10, 20 und zum Teil mehr
Prozent aufoktroyiert bekommen. Es ist wirklich ein riesiger Skandal, wenn diejenigen, denen es am schlechtesten geht, am stärksten zur Kasse gebeten werden.
({2})
Die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, in unserem Land ist beständig gesunken.
Anders ausgedrückt, damit das einmal ganz deutlich
wird: Wäre der Anteil der Beschäftigten am Volkseinkommen seit 2000 gleich groß geblieben, dann hätten
die abhängig Beschäftigten in Deutschland in diesen
zehn Jahren 1 000 Milliarden Euro, also 1 Billion Euro,
mehr bekommen müssen. Das ist in Euro ausgedrückt
der Preis, der hinter dem Lohndumping der letzten zehn
Jahre steckt. Es ist ein Skandal, dass die Beschäftigten so
schamlos enteignet worden sind; denn das ist es, was in
unserem Land passiert ist.
Für diese Politik war natürlich nicht nur die jetzige
Regierung verantwortlich, sondern das waren alle Regierungen der vergangenen zehn Jahre. Diese Politik wurde
von SPD und Grünen eingeleitet mit der Agenda 2010
mit Befristung, Leiharbeit und den Hartz-IV-Gesetzen,
und sie wurde immer von dem Applaus von CDU/CSU
und FDP begleitet und weiter fortgesetzt - bis heute.
Diejenigen, die unter dieser Politik leiden, müssen wissen, dass diese vier Fraktionen dafür verantwortlich sind.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass die
Menschen kein Geld in die Geschäfte tragen und dass
sich deshalb der Konsum so schlecht entwickelt.
({3})
Grund ist nicht ein vermeintlicher Käuferstreik. Die
Rede vom Käuferstreik ist mehr als zynisch. Sagen Sie
das einmal jemandem, der vielleicht nur 1 000, 1 100
oder 1 200 Euro verdient! Diese Leute haben keine Sparquote oder eher eine negative.
Die aktuelle Situation ist klar: Die Konjunktur ist bereits am Wegknicken. Alle Frühindikatoren stehen auf
rot. Im zweiten Quartal wuchs die Wirtschaft nur um
0,1 Prozent. So ist es offiziell verkündet worden. Schaut
man genau hin, stellt man fest, dass sie im zweiten Quartal bereits gesunken ist. Denn ein ganz erheblicher Teil
dieses sogenannten Wirtschaftswachstums ging auf den
Lageraufbau zurück. Entscheidend für diese Entwicklung ist auch, dass der private Konsum bereits im Minus
ist. Das hat sehr viel mit dem Lohndumping zu tun. Deswegen wäre es notwendig - quasi als ein Konjunkturprogramm -, als Sofortmaßnahme zumindest einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro aufzulegen.
({4})
Das zweite große Problem ist aber, dass das Auslandsgeschäft schon längst wegbricht. Das ist natürlich kein
Wunder angesichts der Tatsache, dass diese Regierung
gerade angetreten ist, in Europa ein massives Sozialkürzungsprogramm aufzulegen. Auf Initiative Deutschlands
sind EU-weit Kürzungsprogramme in einem Umfang von
400 Milliarden Euro aufgelegt worden. Da mit der Umsetzung bereits begonnen worden ist, ist es kein Wunder,
dass sozusagen die Kunden der deutschen Wirtschaft immer weniger Geld haben, um in Deutschland einzukaufen.
Die deutsche Regierung hat dadurch selbst einen Beitrag dazu geleistet, dem Export - einer wichtigen Stütze - die Füße wegzuhauen, gleichzeitig aber nicht die
Binnennachfrage so zu stärken, wie es notwendig wäre.
Denn nach wie vor gelten in Deutschland Gesetze, die es
fast verunmöglichen, gegen Lohndumping anzukommen.
Diese Tendenzen müssten umgekehrt werden. Wir
bräuchten im Grunde eine Rückabwicklung der gesamten Agenda 2010: Befristungen müssten weg, die Leiharbeit müsste weg, gewerkschaftliche Rechte müssten
gestärkt werden und zu guter Letzt - ich betone es noch
einmal, weil es eine Sofortmaßnahme ist, die schnell
umzusetzen wäre -: die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns von 10 Euro. Mit 10 Euro würde nicht nur
den Menschen in diesem Lande geholfen; die 10 Euro
wären auch ein Beitrag für Europa insgesamt. Das würde
Europa voranbringen.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat nun Tobias Lindner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ein neuer Abgeordneter; Sie, Herr Rösler,
sind ein neuer Minister. Ich muss Ihnen in meiner ju14598
gendlichen Naivität gestehen: Ich hätte von Ihnen einen
Haushaltsentwurf mit neuen Schwerpunkten erwartet.
({0})
Sie schreiben selbst in den Erläuterungen zum Etat:
„Der Wirtschaftsetat präsentiert sich in einem neuen Gewand“. Ja, das ist richtig, der Wirtschaftsplan wurde neu
strukturiert. Sie haben vier neue Oberkapitel gebildet.
Und was haben Sie dann getan? Sie haben die bisherigen
Förderprogramme einfach nur in diese vier neuen Oberkapitel einsortiert.
({1})
Ist das die neue Strategie Ihres Ministeriums? Es ist kein
Gewand, das wir hier vor uns haben, sondern ein Umhang. Und wenn man diesen Umhang lüftet, dann findet
man dahinter nur die alten Klamotten von gestern und
vorgestern.
({2})
Die Regierung hat die Notwendigkeit einer Klimawende inzwischen akzeptiert. In Ihrem Ressort, Herr
Rösler, liegt die Zuständigkeit für die Haupt-CO2-Emittenten. Gerade dann aber, wenn es diese Regierung mit
der Klimawende ernst meint, braucht die deutsche Wirtschaft neue Impulse, um auf dem internationalen Markt
und auch in Deutschland zukunftsfähig zu bleiben.
Wir brauchen neue Technologien rund um den Klimaschutz. 12 Prozent aller Emissionen werden von Industrie
und verarbeitendem Gewerbe verursacht. Dabei werden
zwei Drittel des Stroms durch ineffektive Pumpen, Antriebe und Anlagen verschleudert. Die Potenziale für
Energieeffizienz und Energieeinsparung sind also enorm.
Dafür aber braucht es erstens Beratung, zweitens neue
Technologien und drittens auch neue Verfahren. Hier
könnten Sie Anreize schaffen. Schaut man aber in den
Wirtschaftsplan, stellt man fest, dass Sie in diesem Bereich nichts getan haben. Ist das Ihre neue Effizienz?
({3})
Wir brauchen Effizienz nicht nur im Energiebereich.
Auch angesichts knapper werdender Rohstoffe und steigender Welthandelspreise ist der Blick auf einen schonenden und effizienten Einsatz in diesem Bereich dringend notwendig. Aber offen gestanden: Sie scheinen auf
diesem Auge ganz blind zu sein, wie ein Blick in den
Etat zeigt - nicht einmal Ihre eigene Rohstoffstrategie
setzen Sie im Etatentwurf irgendwie um.
Es gilt, Schlüsseltechnologien voranzubringen. Es
geht um Recycling und Stoffkreisläufe; es geht aber
auch um den Einsatz alternativer Rohstoffe. Hierzu
braucht man Grundlagenforschung, Förderung von Pilotanlagen und natürlich auch neue Finanzierungsinstrumente; hierzu absolute Fehlanzeige im Wirtschaftsministerium.
({4})
Anstatt Innovationen voranzubringen und in die Zukunft zu blicken, fördern Sie die Beteiligung deutscher
Unternehmen an Minen im Ausland. Wenn das Ihre neue
Rohstoffstrategie ist, dann gute Nacht!
({5})
Wenn wir beim Thema „Gute Nacht“ sind, will ich
zum Schluss auf ein weiteres Kapitel in Ihrem Etat eingehen. Leider trägt es den Titel eines Kinderbuchs:
Peterchens Mondfahrt. In die Luft- und Raumfahrt investieren Sie 1,3 Milliarden Euro. Das sind rund 20 Prozent des gesamten Etats; das sind 200 Millionen Euro
mehr als im Vorjahr; und das in Zeiten knapper Kassen.
({6})
Herr Rösler, ich weiß nicht, warum Sie gerade diesen
Schwerpunkt setzen.
({7})
Aber wenn dies, Herr Minister, Ihre Brot-und-ButterThemen sind, wenn Sie sprichwörtlich hinter den Mond
wollen, dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Steigen Sie
doch gleich mit ein in die Raumrakete.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Joachim Pfeiffer für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Haushalt, heute
Morgen auch über den Euro. Insofern ist es sinnvoll, die
Bedeutung des Euro für unsere Wirtschaft und den
Haushalt herauszustellen. Der Euro hat herausragende
Bedeutung für Deutschland. Gerade auch in diesem Jahr,
trotz der Krise in Europa, würden wir ohne den Euro
deutlich schlechter dastehen, als wir es tun.
Der Euro ist stabiler, als es die D-Mark je war: Seit
der Einführung des Euro lag die Inflation im Durchschnitt bei 1,6 Prozent; zur Zeit der D-Mark waren es
2,6 Prozent. Das sind die Fakten; ich nenne sie all denen
in Deutschland, die das durchaus infrage stellen.
Fakt ist weiterhin, dass die EZB in Zeiten eines Aufschwungs in Deutschland, wie wir ihn in diesem Jahr haben, ihren Zinssatz natürlich nicht nur an Deutschland,
sondern an ganz Europa orientiert. Deshalb können sich
unsere Unternehmen - vom Handwerker bis zum Großunternehmen - in diesem Jahr, also im Aufschwung, mit
Krediten zu so guten und günstigen Zinsen versorgen,
wie sie es in den letzten Jahrzehnten im Aufschwung
sonst nie konnten. Dies gilt auch für jeden Häuslebauer,
der günstigere Zinsen erhält, als er sonst erhalten würde.
Es gilt auch für den Staat, egal ob Gemeinde oder Bund;
denn wir müssen für unsere Schulden - auch wir sind
nicht frei von Schuld, geschweige denn von Schulden weniger Zinsen zahlen, als wir es sonst tun müssten.
Der Euro bringt unserer Volkswirtschaft darüber hinaus beispielsweise rund 10 Milliarden Euro weniger
Absicherungskosten im Export. Gerade dieser Tage hat
die KfW festgestellt: Allein in den letzten zwei Jahren
hat der Euro uns in Deutschland 50 bis 60 Milliarden
Euro zusätzlichen Wohlstandsgewinn gebracht; das wäre
nicht der Fall, wenn wir nicht den Euro, sondern noch
die D-Mark hätten. Damit entfiel im letzten Jahr - auch
das wurde ausgerechnet - ein Wirtschaftswachstum von
1 bis 1,25 Prozent auf den Euro; das ist ein Drittel des
gesamten Wirtschaftswachstums, das wir im letzten Jahr
in Deutschland hatten.
So weit, so gut. Dennoch ist natürlich nicht alles wunderbar; wir können nicht sagen: „Weiter so!“ Der Euro
ist, was die Stabilität und die Inflation anbelangt, eine
Erfolgsgeschichte. Heute stellt niemand in Europa mehr
die Bedeutung einer geringen Inflation infrage. Das war
vor 20 oder 30 Jahren anders. Es ist heute Morgen angesprochen worden, dass es deutsche Kanzler gab, die gesagt haben: „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“ Im Ergebnis hatten sie dann beides. Die
Kultur einer geringen Inflation, die in Deutschland entwickelt wurde, ist heute in Europa akzeptiert.
Nun müssen wir bei der Verschuldung zu einer ähnlichen Entwicklung kommen; da hege ich Hoffnung. Man
kann entweder sagen, dass das Glas halb voll oder halb
leer ist. Ich bin Optimist und sage: Das Glas ist halb voll.
Ich hoffe, dass die jetzige schwierige Situation, die wir
in Europa haben, in den Volkswirtschaften, in der Politik
und bei den Bürgern zu der Einsicht führt, dass es nicht
mehr geht, dauerhaft über seine Verhältnisse zu leben.
Vielmehr sind das Konsolidieren der Haushalte, das Sparen, und die gleichzeitige Bereitstellung wettbewerbsfähiger Produkte und Dienstleistungen der richtige Weg.
({0})
Wenn dies gelingt, dann kann in fünf oder zehn Jahren in der Tat nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa besser dastehen, als dies heute der Fall ist. Ganz
Europa kann dann so dastehen, wie Deutschland es heute
tut. Wir sind besser aus der Krise herausgekommen, als
wir in die Krise hineingegangen sind. Das war immer
unser Motto, das hat gestern auch die Frau Bundeskanzlerin angesprochen. Europa hat dann die Chance, insgesamt besser aus der Krise herauszukommen.
Dass dies nicht vom Himmel fällt, wie es hier zum
Teil nach dem Motto dargestellt worden ist, das sei ein
Selbstläufer und selbstverständlich, sieht man, wenn
man in die anderen europäischen Länder blickt. Gehen
Sie doch einmal nach Portugal, nach Spanien oder auch
nach Großbritannien, nach Italien oder nach Estland.
Dort wurden in den letzten zwei Jahren zum Beispiel die
Gehälter im öffentlichen Dienst um 10 bis 30 Prozent
gekürzt. Wir leben in Deutschland auf einer Insel der
Glückseligen; dies ist aber kein Zufall, sondern das Ergebnis einer klugen Politik, die wir in der Krise und auch
jetzt betrieben haben.
({1})
Das Ergebnis dieser klugen Politik führt heute dazu,
dass man unserer Politik nicht deshalb folgt, weil wir
schöne blaue Augen haben und weil uns in Europa alle
so gern haben, sondern weil man sieht, dass die Politik,
die wir in Deutschland gemacht haben, die einzige ist,
die in die richtige Richtung führt. Deswegen wird diese
Politik in den anderen europäischen Ländern zunehmend
übernommen.
({2})
Damit sind wir beim Haushalt. Herr Heil, letztes Jahr
haben auch Sie uns noch dafür kritisiert, dass wir für
2010 bis 2014 ein Sparpaket in Höhe von 80 Milliarden
Euro geschnürt haben. Sie haben gesagt: Die Konjunktur
würde abgewürgt, man müsste das Gegenteil machen,
man müsste Konjunkturprogramme auflegen, um die
Wirtschaft entsprechend anzuregen, man würde das zarte
Pflänzchen des Aufschwungs gleich wieder ersticken.
Das war die Kritik, die hier letztes Jahr an unserem
Haushalt vorgebracht wurde. Was ist das Ergebnis? Wir hatten im letzten Jahr den größten Aufschwung seit
der Wiedervereinigung. Gleichzeitig haben wir die
Haushaltskonsolidierung wieder auf den richtigen Weg
gebracht. Hier ist immer noch viel zu tun, aber wir werden das schaffen. Die Entwicklung ist weitaus besser als
erwartet. In Europa liegen wir mit unserem Defizit von
1,5 Prozent an der Spitze. Vielleicht wird es sogar etwas
geringer sein.
Wir werden es in diesem Jahr als einzige Volkswirtschaft innerhalb Europas wahrscheinlich sogar schaffen,
dass der Anteil der Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt zurückgeht, und zwar von 84 Prozent in Richtung
80 Prozent. Das heißt, wir sind bereits in diesem Jahr
dorthin unterwegs, wohin wir in Europa insgesamt wollen.
Meine Damen und Herren, das ist kein Zufall, sondern das ist das Ergebnis einer klugen Politik der Konsolidierung auf der einen Seite und einer Politik der
Wachstums- und Wettbewerbsorientierung auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Finanzmarkt und auf dem Gütermarkt auf der anderen Seite.
({3})
Der Kollege Heil hat vorhin den Arbeitsmarkt angesprochen und beklagt, was in diesem Bereich alles gekürzt würde. Tatsache ist, dass wir heute über 41 Millionen Menschen in Arbeit haben. Das sind so viele wie
noch nie. Wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose, und wir haben die Jugendarbeitslosigkeit halbiert.
({4})
Es ist daher doch klar, dass wir nicht mehr alle Institutionen und Instrumente brauchen, um diese Arbeitslosigkeit zu verwalten und zu betreuen. Selbstverständlich
muss auch dort gekürzt werden. Im Übrigen wollen wir,
dass dieser Bereich flexibler wird. Wir wollen den Arbeitslosen, den Arbeitswilligen und den Arbeitsuchenden unterstützen, indem die Bundesagentur vor Ort gestärkt wird und sie ihre Mittel und Instrumente flexibler
einsetzen kann.
({5})
Wir wollen nicht das, was Sie wollen, nämlich jeden
Träger und jede Institution erhalten, die bisher durchaus
an der Verwaltung der Arbeitslosigkeit verdient haben.
Das ist Klientelpolitik, die wir nicht mitmachen werden.
({6})
Wir werden vielmehr die Instrumentarien am Arbeitsmarkt entsprechend entrümpeln.
({7})
Wir werden auch im Bereich des Finanzmarkts weiterarbeiten. Einiges wurde erreicht. Es wird so getan, als
wäre nichts passiert. Die Regulierung an den Finanzmärkten haben wir in Angriff genommen. Es gab deutsche Alleingänge, die kritisiert wurden, zum Beispiel das
Verbot
({8})
ungedeckter Leerverkäufe und anderes mehr. Es gibt in
Europa und auf der Welt noch viel zu tun, aber wir haben
unsere Hausaufgaben gemacht.
({9})
Was wir auf nationaler Ebene tun konnten, haben wir getan.
({10})
Zum Thema Gütermarkt. Es nützt nichts, zu sagen:
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir müssen weiter aktiv werden, und wir sind aktiv. Die Änderung des Telekommunikationsgesetzes, die vom Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagen wurde und dessen Umsetzung
sich in der Diskussion befindet, sorgt dafür, dass
Deutschland im Bereich Breitbandausbau weiter an der
Spitze bleibt und wir diese wichtige Infrastruktur in
Deutschland so etablieren, dass weiteres Wachstum
möglich ist.
({11})
Auch in anderen Sektoren, beispielsweise bei der Post
und im Eisenbahnbereich, werden wir wettbewerbsorientierte Regulierungen einführen.
({12})
Zum Bereich Forschung und Technologie. Es ist hanebüchen, dass hier die Förderung von Luft- und Raumfahrt kritisiert wird.
({13})
Gerade diese Sektoren sind wichtig für die Zukunft.
Schauen Sie sich doch einmal an, wo das Wachstum auf
internationaler Ebene stattfindet. Wo haben wir die
Technologien? Nehmen wir unsere Luft- und Raumfahrtindustrie. Was wären wir denn heute ohne Airbus
oder EADS?
({14})
Wo würden wir stehen? Diese Bereiche sind mit Steuergeldern aufgebaut worden. Deshalb werden wir auch Lösungen finden,
({15})
die den Erfolg im europäischen Verbund dauerhaft sichern und zukunftsträchtige Entwicklungen ermöglichen.
({16})
- Wir werden Lösungen für die EADS finden, aber nicht
auf dem offenen Markt. Wir werden die Technologie in
Europa entsprechend sichern.
({17})
- Es geht nicht um Subventionen.
({18})
Wir werden Schwerpunkte in den Wachstumsbereichen Mittelstand, Energie und Nachhaltigkeit, Chancen
der Globalisierung, Innovationen, Technologie, neue
Mobilität und Nanotechnologie setzen. Wir wollen im
Bereich Technologie nach vorne kommen. Wir werden
den Mittelstand entsprechend nach vorne bringen. Dann
können wir das Wachstum, das wir haben, stabilisieren
und für die Zukunft fortschreiben und damit die Verschuldung weiter reduzieren. Deutschland ist auf dem
richtigen Weg, ein Vorbild für Europa zu werden. Es gilt,
entsprechend Kurs zu halten und Vollgas zu geben. Einer
europäischen Lösung für Konsolidierung und Wachstum
steht nichts mehr im Wege, wenn wir in Deutschland den
eingeschlagenen Weg konsequent umsetzen.
In diesem Sinne: Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat nun Garrelt Duin für die SPD-Fraktion.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister
Rösler, ich hatte beim Amtswechsel von Herrn Brüderle
zu Ihnen, das gebe ich zu, die leise Hoffnung, dass wir
einen Wirtschaftsminister für die Bundesrepublik
Deutschland bekämen, der das ganze Amt stärker ausfüllen würde, der mit ein bisschen mehr Elan an die Sache
herangehen würde, der nicht immer nur reagiert, der
nicht nur immer hinterherhechelt und der nicht das
Nichtstun im Nachhinein zur Strategie erklärt.
({0})
Es ist leider so - das kann man feststellen, auch am heutigen Tag -: Der Einzige, der wirklich Spaß an diesem
Wechsel hat, ist Brüderle. Er lebt wieder ein bisschen auf
und muss nicht die fertigen Texte vorlesen, sondern kann
hier, wie zu alten Oppositionszeiten, versuchen, ein bisschen auf die Sahne zu hauen.
({1})
Sehr geehrter Herr Minister, wir sind wirklich enttäuscht, dass Sie die Realitäten - das haben Ihre Rede
wie auch der gesamte Haushaltsplan heute zum Ausdruck gebracht - nicht erkennen.
({2})
Sie feiern eine Party, die schon zu Ende ist. Sie gucken
nach hinten. Sie gucken in die Vergangenheit. Sie erzählen etwas von Zahlen, die in der Vergangenheit liegen.
Die aktuellen Zahlen haben Sie mit keinem Wort erwähnt. Heute ist überall nachzulesen: Im Juli hatte die
deutsche Wirtschaft bei den Aufträgen für den Export einen Einbruch von minus 7,4 Prozent zu verzeichnen.
Das ist der stärkste Rückgang seit zweieinhalb Jahren.
Im DB-Research-Bericht, der Ihnen allen zugegangen
ist, steht als Überschrift - Herr Pfeiffer, Sie haben das
eben so wörtlich hervorgehoben -: „Deutschland: Nicht
länger die Insel der Glückseligen“. Wir stehen am Beginn einer sehr kritischen Zeit.
({3})
Als Bundeswirtschaftsminister muss man das Haus rüsten, man muss sich präparieren für die kritische Zeit und
nicht die Party von gestern feiern.
({4})
Man muss mehrere Dinge tun und das Problem auch auf
nationaler Ebene angehen. Der Kollege Brandner hat
vorhin schon gesagt, dass man besser auf zwei gesunden
Beinen steht.
Was ist mit der Binnennachfrage? Wir brauchen eine
Stärkung des Binnenkonsums und mehr Binneninvestitionen, das heißt mehr Investitionen in Deutschland.
Zum Konsum ist heute schon so manches gesagt worden. Steuersenkungsdebatten helfen da überhaupt nicht.
Aber dadurch, dass man 5 Millionen Menschen, die in
Deutschland für weniger als 8 Euro pro Stunde arbeiten,
und mehr als 1 Million Menschen, die weniger als
5 Euro pro Stunde verdienen, von diesem Schicksal befreit und einen Mindestlohn einführt, könnte man die
Nachfrage in Deutschland stärken. Wer sich an dieser
Stelle verweigert, ist wirklich blind.
({5})
Das Investitionsklima in Deutschland könnte man in
sehr viel stärkerem Maße anheizen, als diese Koalition
das tut. Das wäre unter anderem mit einem Instrument
möglich, das - das möchte ich Ihnen an dieser Stelle vorhalten - in Ihrem Koalitionsvertrag steht, mit der steuerlichen Forschungsförderung. Investitionsentscheidungen international aufgestellter Unternehmen hängen
unter anderem von steuerlichen Bedingungen ab. Sie reden immer allgemein über Steuersenkungen. Werden Sie
doch einmal konkret und legen Sie, wie es in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt wurde, einen Vorschlag zur
steuerlichen Forschungsförderung in Deutschland vor.
Die Unternehmen und die Gesellschaft warten darauf,
dass ein solches Instrument eingeführt wird. Handeln Sie
endlich.
({6})
Sie haben über Fachkräfte gesprochen. Vor einem
Jahr hat Ihr Vorgänger ein Positions- bzw. Strategiepapier zur Beseitigung des Fachkräftemangels auf den
Tisch des Hauses gelegt. In diesem Papier standen ganz
viele Punkte, die man alle umsetzen wollte. Passiert ist
seit einem Jahr nichts. Lieber Herr Rösler, als Sie hier
von einer Willkommenskultur gesprochen haben, haben
wir geklatscht. Da stehen wir an Ihrer Seite und sagen:
Ja, das müssen wir in Deutschland erreichen. Das, was
Herr Nüßlein hier, keine Viertelstunde später, stellvertretend für die CSU und große Teile der CDU gesagt hat,
war aber das Gegenteil von Willkommenskultur in
Deutschland.
({7})
Mit solchen Reden verhindern Sie, dass die Zuwanderung stattfindet, die wir so dringend benötigen,
({8})
neben all den Maßnahmen zur Qualifizierung von Jungen und Älteren, insbesondere mit Blick auf die Beschäftigungsquote von Frauen in Deutschland.
Neben den nationalen Herausforderungen gibt es eine
Reihe von Dingen, die Sie, Herr Minister, auf der internationalen und insbesondere auf der europäischen Ebene
bewerkstelligen können, wenn Sie dort endlich aktiv
werden. Davon ist in den ersten Monaten Ihrer Amtszeit
aber genauso wie bei Ihrem Vorgänger nichts zu spüren.
Am Dienstagabend waren wir gemeinsam auf einer Ver14602
anstaltung, bei der der deutsche EU-Kommissar, Herr
Oettinger, gesprochen hat. Er hat sehr klug gesprochen;
das will ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen.
({9})
Er hat zum Beispiel über die Energiepolitik gesprochen.
Unter anderem hat er gesagt, dass für die Industrie, aber
auch für das Handwerk, Herr Hinsken, und für alle Bürgerinnen und Bürger das Thema Energiepreise von entscheidender Bedeutung ist. Darum müssen wir uns kümmern. Wo ist Ihre Initiative, um die Energiepreise in
Deutschland verträglich zu halten? Was Sie machen, ist
Augenwischerei und hat Bild-Zeitungs-Niveau. Sie schicken zum Beispiel das Kartellamt zu den Tankstellen.
Damit lösen Sie das Problem zu hoher Energiepreise in
Deutschland doch nicht. Wir brauchen eine breit angelegte Effizienzstrategie. Aus Ihrem Haus und von der
Bundesregierung kommt aber nichts dazu. Fehlanzeige!
({10})
Es ist dringend erforderlich, dass die Industriepolitik
auf europäischer Ebene koordiniert wird. Wir beobachten mit großer Sorge, dass die europäische Gesetzgebung, die massiven Einfluss auf die Betriebe in Deutschland hat, zunehmend von Staaten in der Europäischen
Union gestaltet wird, die längst deindustrialisiert sind.
({11})
Angesichts dieses Umstands müssen wir und zuvorderst
der Bundeswirtschaftsminister auf europäischer Ebene
auftreten. Dem müssen wir entgegenwirken. Dafür
braucht man aber Mumm und Kraft. Das wäre wichtig
für die Automobil-, die chemische und die Grundstoffindustrie, für die Maschinenbau-, aber natürlich auch für
die Luft- und Raumfahrtindustrie.
Weil das Thema Luft- und Raumfahrt heute schon
von mehreren Rednern angesprochen worden ist, will
ich Ihnen Folgendes sagen: Durch die öffentliche Diskussion über EADS, durch das öffentliche Überlegen,
wer die Anteile übernehmen könnte, ist das Ganze im
Grunde genommen schon zum Scheitern verurteilt.
Dann schreiben Sie in Ihrer Stellungnahme zum Thema
„Übernahme der Anteile durch die KfW“ - das ist ein
Synonym für all das, was in dieser Wahlperiode aus dem
Wirtschaftsministerium kommt -, es gebe keine konkreten Planungen oder Festlegungen. Dies ist nicht nur
schlecht für das, was bei EADS gerade passiert, sondern
zieht sich durch alles durch.
Wir fragen in jeder Ausschusssitzung und in jeder Obleutebesprechung, wann es eine Arbeitsplanung aus dem
Bundeswirtschaftsministerium gibt. Jedes Mal werden wir
vertröstet. Es kommt nichts, weil nichts in Arbeit ist, weil
nichts in Planung ist, weil dieses Wirtschaftsministerium
tatenlos ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind daran nicht schuld; sie würden gerne etwas tun, aber bekommen von der Spitze keine Ansage.
Wo ist zum Beispiel Ihr Beitrag für eine der größten
Aufgabenstellungen in unserer Republik, die lautet: Wie
können wir im Konsens im Bereich der Telekommunikation, des Verkehrs und natürlich - dies ist uns allen nach
der Energiewende erst recht bewusst - im Bereich der
Energienetze die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen
voranbringen? Das TKG ist gerade angesprochen worden. Der Streit in der Koalition verhindert, dass wir hier
jetzt endlich zu Potte kommen.
({12})
Finden Sie eine vernünftige Einigung. Dann können wir
in diesem Punkt gemeinsam vorankommen.
({13})
Sehr geehrter Herr Minister, Sie sind mit den Aufgaben betraut, die FDP zu retten und dieses Land krisenfest
zu machen. Konzentrieren Sie sich darauf - Sie schaffen
es eh nicht, die FDP zu retten -, dieses Land krisenfest
zu machen. Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die
nicht - so wie Sie - orientierungslos, planlos, konzeptionslos und tatenlos ist.
({14})
Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die in Deutschland
und auf europäischer Ebene wieder ein Gesicht hat.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat nun Ernst Hinsken für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Viele Deutsche, die den Urlaub im Ausland verbracht haben, erinnern sich, dass Sie dort gefragt
worden sind: Wie haben Sie das in Deutschland nur geschafft, dass Sie so blendend dastehen, dass Sie eine so
niedrige Arbeitslosigkeit haben, dass bei Ihnen die Wirtschaft trotz der Finanzkrise und trotz der Wirtschaftskrise so hervorragend läuft? - Wir werden überall beneidet, und bei uns versucht man, das Ganze so schlechtzureden wie irgendwie möglich.
Ich möchte auf noch etwas hinweisen und einen
Kronzeugen dafür zitieren, wie es bei uns läuft, wie wir
von anderen betrachtet werden. Der französische Premierminister Fillon sagt:
Die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist ein Glück für Europa. Meine Regierung
hat sich zum Ziel gesetzt, unsere Industrie genauso
wettbewerbsfähig zu machen wie die deutsche.
({0})
Ist das nicht toll?
({1})
Sollten wir darüber nicht glücklich sein? Die Franzosen
sind nicht klüger als wir Deutsche, aber sie sind anscheinend ein bisschen ehrlicher als Sie auf der linken Seite
dieses Hauses.
Das, was Sie heute hier geboten haben, spottet jeder
Beschreibung.
({2})
Das waren zum Teil - Herr Kollege Heil, das bin ich von
Ihnen nicht gewöhnt - Hasstiraden ohnegleichen.
({3})
Ich habe das Gefühl, Sie könnten zusammen eine neue
Partei mit dem Namen „ASR“ gründen. Was heißt das?
Alles schlechtreden. Mehr können Sie nicht. Das haben
Sie heute ausgiebig gezeigt.
({4})
Wir sind auf das Geschaffene stolz. Wir haben einen
Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland so gut dasteht.
Wir haben die Rahmenbedingungen geschaffen.
({5})
Der Fleiß der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allen Dingen die Kreativität der Unternehmer haben die Grundlage dafür geschaffen, dass wir
so hervorragend dastehen.
Es ist bereits mehrmals - auch von Ihnen, Herr Minister Dr. Rösler - auf die Arbeitslosigkeit verwiesen worden.
({6})
Die Arbeitslosenquote in der EU beträgt 9,1 Prozent, in
der Bundesrepublik Deutschland 7 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den USA doppelt so hoch, in
Frankreich zweieinhalbmal so hoch, in Italien dreimal so
hoch und in Spanien sage und schreibe fünfmal so hoch
wie in Deutschland. Wir sollten bereit sein, das anzuerkennen und zu würdigen. Reden wir nicht alles schlecht!
Seien wir stolz darauf, was wir alles zusammen mit unseren Mitbürgern geschafft und geleistet haben!
({7})
Besonders freut mich, dass vor allen Dingen die Mittelständler, die eine tragende Säule unserer Gesellschaft
sind, die Lage positiv beurteilen. Niemand von ihnen
rechnet im kommenden Jahr mit einer Rezession. Es
wurde natürlich auch in der Vergangenheit viel Positives
geleistet. Ich wäre nicht ehrlich genug, wenn ich bestreiten würde, dass gerade in der letzten Wahlperiode von
der Großen Koalition richtige Weichenstellungen vorgenommen worden sind,
({8})
insbesondere was die Konjunkturprogramme anbelangt.
({9})
Sie waren richtig, vernünftig und dringend erforderlich.
Sie haben sich positiv ausgewirkt, weil dadurch auch die
Binnenwirtschaft angekurbelt werden konnte.
({10})
Auch das muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was sind überhaupt die wichtigsten Ressourcen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben? Bodenschätze haben wir
nicht. Aber wir haben sehr viel Wissen in den Köpfen.
Wir brauchen dringend eine hervorragende Bildung.
Meines Erachtens ist auch anzuerkennen, dass die deutsche Wirtschaft - das ist vielfach unbekannt - pro Jahr
30 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, um die Bildung
zu fördern. Der Bund stellt dafür in diesem Jahr 12 Milliarden Euro zusätzlich bereit. Ich möchte die Millionenbeträge, die hinzukommen, nicht erwähnen, weil dies
den zeitlichen Rahmen sprengen würde.
Noch etwas: Das duale System in der Bundesrepublik
Deutschland ist - das sollte von allen Seiten anerkannt
werden - unser Erfolgsrezept schlechthin. Wo gibt es das
denn noch? Überall auf der Welt wird es kopiert. Das
duale Berufsausbildungssystem ist das am besten geeignete Konzept, um erfolgreich Fachkräfte auszubilden
und so künftig im Wettbewerb bestehen zu können.
({11})
Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Sie,
Herr Minister Dr. Rösler, und Ihr Vorgänger, Herr
Brüderle, haben mit uns im Koalitionsvertrag das Ziel
formuliert, einen Bürokratieabbau vorzunehmen. Was
haben wir getan?
({12})
Wir haben uns vorgenommen, die Bürokratie um 25 Prozent zu reduzieren. Eine Senkung um 22,6 Prozent haben
wir bereits erreicht.
({13})
- Ich sage das. Ich kann Ihnen auch genau sagen, um
was es sich dabei handelt. Wenn Sie mir eine Zwischenfrage stellen - dann bekomme ich nämlich eine Redezeitverlängerung -,
({14})
bin ich gerne bereit, Herr Heil, darauf einzugehen.
({15})
Aber das tun Sie ja nicht.
({16})
Herr Minister Dr. Rösler, ich meine, wir brauchen einen großen Wurf. Ein großer Wurf beim Bürokratieabbau wäre für mich zum Beispiel, die Voraussetzungen
dafür zu schaffen, dass die Aufbewahrungsfristen, unter
anderem im Hinblick auf Steuererklärungen oder bei Belegen im sozialen Bereich, in Zukunft von zehn auf fünf
oder zumindest sieben Jahre verkürzt werden können.
({17})
Das würde eine Entlastung von 3 bis 5 Milliarden Euro
bringen. Vor allen Dingen würden wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Bürokratie abgebaut werden
kann.
({18})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, noch
ganz kurz wenige Worte zum Thema Energie. Energie ist
ein bedeutender Wettbewerbsfaktor. Hier gilt es, den
Umstieg richtig und klug zu managen. Ich habe bei Ihnen, Herr Minister Dr. Rösler, keine Bange, dass Sie ihn
richtig angehen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Ich erwähne wiederum Frankreich: In Frankreich ist Strom um fast die Hälfte billiger als bei uns.
({19})
Das ist ein Wettbewerbsnachteil ohnegleichen.
({20})
Die letzte Bemerkung. Insbesondere in ländlichen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland haben wir
große Sorgen. Der demografische Wandel bringt mit
sich, dass mehr und mehr Landflucht zu verzeichnen ist.
Wir müssen alles tun, um der Landflucht entgegenzuwirken. Ich bitte Sie, Herr Minister, sich dafür einzusetzen,
dass für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ weiterhin Mittel zur
Verfügung gestellt werden, die wir dafür dringend brauchen.
({21})
Sie hat sich bewährt. Allein in den letzten zehn Jahren
wurden im Rahmen der GRW 150 000 neue Arbeitsplätze geschaffen.
({22})
In den letzten 20 Jahren wurde dafür in der Bundesrepublik Deutschland ein Betrag von 50 Milliarden Euro zur
Verfügung gestellt. Dies hat sich positiv niedergeschlagen.
({23})
Wenn es in diese Richtung ginge, wäre es der Sache
dienlich.
Das Allerletzte. Wir müssen alle zusammen - von
ganz links bis zu uns herüber ({24})
darum besorgt sein, dass wir bei der europäischen Kohäsionspolitik nicht den Kürzeren ziehen, dass wir bei der
Verteilung der Mittel mit dabei sind, dass bei der Neuabgrenzung die richtigen Maßnahmen ergriffen werden,
dass die strukturschwachen Gebiete - um es so zu formulieren - nicht vor die Hunde gehen und dass vor allen
Dingen das Leben auf dem Lande auch in strukturschwachen Gebieten weiterhin interessant bleibt.
({25})
Dafür sorgt diese Regierung. Sie wurde dafür gewählt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass das auch so umgesetzt wird, weil wir es dringend brauchen und weil es der
Zukunft unserer Bundesrepublik Deutschland dient.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({26})
Das Wort hat Michael Luther von der CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir nähern uns jetzt dem Ende der Haushaltsdebatte. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Regierungsvorlage und das, was als Haushalt erarbeitet worden ist,
den Haushältern überantwortet werden.
Ich bin mit großer Aufmerksamkeit dieser Debatte
gefolgt. Es sind, denke ich, ein paar gute Anregungen
gemacht worden, die wir berücksichtigen werden und
wollen, aber es sind auch viele Dinge gesagt worden, für
die ich wenig Verständnis habe. Darauf werde ich noch
im Einzelnen eingehen.
Ich glaube, dass wir - das kann ich Ihnen versprechen das, was hier gesagt worden ist, in den Haushaltsberatungen aufnehmen und unter der Maßgabe einer sparsamen Haushaltsführung abwägen werden. Dann werden
wir versuchen, es entsprechend zu berücksichtigen.
Bevor ich jedoch etwas zu dem Einzelplan selbst
sage, sollten wir vielleicht einen Moment innehalten und
feststellen, dass wir auf die momentane Situation in
Deutschland stolz sein können. Der deutschen Wirtschaft geht es gut. Wir haben ein ziemlich hohes Wirtschaftswachstum, eine niedrige Arbeitslosenquote und
eine hohe Beschäftigungsquote, auch was Vollzeitbeschäftigung und die sozialversicherungspflichtigen ArDr. Michael Luther
beitsverhältnisse anbelangt. Sie ist höher als die, die wir
in den letzten 20 Jahren hatten.
Ein Problem der Wirtschaft - ein paar Dinge dazu
sind genannt worden - ist der Fachkräftemangel. Wenn
man Leuten im europäischen Ausland sagt, was unsere
Probleme hier in Deutschland sind, dann schütteln sie
nur den Kopf. Letztendlich handelt es sich bei vielem
von dem, was angesprochen wurde, um Luxusprobleme.
({0})
Deshalb will ich an dieser Stelle kurz innehalten und sagen: Das ist auch gut so.
Wir haben auch festzustellen: Politik hat Einfluss auf
die Lage eines Landes. Und die gute Lage des Landes ist
auch Resultat einer guten Regierung unter Angela
Merkel als Bundeskanzlerin.
({1})
Es ist aber auch richtig, dass wir nicht ausruhen dürfen.
Wir leben nach wie vor in schwierigen Zeiten. Die
Schuldenkrise vieler Länder - angefangen bei Amerika
bis hin zu einigen europäischen Staaten - belastet die
Zukunftsaussichten und die Märkte gewaltig. Trotzdem
glaube ich: Der Euro ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen einer globalen Welt.
Wir haben allerdings festzustellen, dass ein Teil unserer heutigen Probleme darin besteht, dass bei der Einführung des Euro nicht ausreichend geregelt wurde, dass
sich die Staaten letztendlich an Stabilitätskriterien zu
halten haben. Aber ich füge hinzu: In jeder Krise liegt
auch eine Chance. Wir sollten die Chance nutzen und
jetzt in Europa die richtigen Zeichen setzen.
An dieser Stelle will ich auch ganz klar sagen: Das,
was die Bundeskanzlerin, der Finanzminister und auch
der Wirtschaftsminister in den letzten Wochen und Monaten geleistet haben und noch leisten müssen, sind richtige Schritte in die richtige Richtung. Ich glaube, wir
werden gut aus der Krise herauskommen.
({2})
Was kann nun das Bundeswirtschaftsministerium tun,
um die Lage im Land weiter zu stabilisieren? Ich denke,
die Lage in Europa mit der Staatsschuldenkrise und in
Amerika zeigt eines: Schulden sind Gift - ganz besonders dann, wenn sie aus dem Ruder laufen. Deswegen ist
das Gebot der Stunde: sparsame Haushalte. Wir werden
in den Haushaltsberatungen prüfen, wo weniger möglich
ist. Das ist auch im Sinne unserer deutschen Wirtschaft
und aller Deutschen.
Deutschland lebt nicht von Dienstleistungen. Unser
Land ist deshalb so stark, weil wir eine starke industrielle Basis haben. Diese gilt es zu stärken. Deswegen
muss man sich fragen: Was braucht die Industrie? Ein
Punkt - das ist auch schon von anderen erwähnt worden ist das Thema Fachkräfte.
({3})
Es wird ein deutliches Signal auch im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers gesetzt, etwas für die Fachkräftegewinnung, Fachkräftesicherung und berufliche Bildung zu tun. Das braucht unsere Wirtschaft, und das ist
ein richtiges Signal.
Ein zweiter Punkt. Wichtige Wurzeln unserer Wirtschaft sind der industrielle Mittelstand und das hochqualifizierte Handwerk. Beide sind darauf angewiesen, neue
und innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Für
das, was die große Industrie in ihren Forschungsabteilungen erledigt, braucht der Mittelstand Unterstützung,
damit die Ideen der Mittelständler umgesetzt werden
können. Diese Unterstützung kann nur in Kooperation
mit Hochschulen und Forschungsinstituten erfolgen. Das
bewährte Instrument dafür ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, dessen Mittel 2012 um 29 Prozent gesteigert werden sollen. Das ist ein richtiges Signal
und eine Antwort auf die Frage der Zeit.
({4})
Das Thema Luft- und Raumfahrt ist hier auch kritisch
betrachtet worden. Ich will dazu ein Stichwort nennen:
Hochtechnologie. Wer in der Welt spitze sein will,
braucht Spitzentechnologie. Entscheidende Entwicklungen im Bereich der Hochtechnologie werden nun einmal
auch in der Luft- und Raumfahrt auf den Weg gebracht.
Deswegen halte ich es für richtig, dass hierfür ein erhebliches Budget bereitgestellt wird, um diesen Weg - die
Erfahrungen, die wir damit in den letzten Jahren gewonnen haben, sind gut - weiterzuverfolgen.
Energieforschung ist ein weiteres Stichwort. Mit dem
beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie und unserem Energiekonzept hin zu erneuerbaren Energien und
zu mehr Energieeffizienz und Sparsamkeit haben wir
eine entscheidende Weichenstellung vorgenommen. Mit
dem Umbau unserer Energieversorgung werden wir eine
internationale Vorreiterrolle einnehmen. Aber dies ist
eine große Herausforderung.
Klimaschutz. Die Stichworte Elektromobilität und
Energieforschung benennen hier wichtige Zukunftsfelder. Auch hier setzt der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums einen Schwerpunkt.
Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken ausführen, und zwar auch in eigener Sache. Vor 20 Jahren war
ich Berichterstatter für das Thema Wismut. Damals ist
die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut in
die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland
übergeben worden. Es wird nachher im Bundeswirtschaftsministerium eine Veranstaltung mit dem Titel
„20 Jahre Wismut GmbH“ geben. Auf die Sanierungsarbeiten, die dabei geleistet worden sind, können wir
wirklich stolz sein.
({5})
Worüber ich mich besonders freue, ist, dass es wahrscheinlich heute gelingen wird, einen Vertrag zu unterzeichnen, auf dessen Grundlage die Rekultivierung, die
Wismut-Sanierung, bis über das Jahr 2022 hinaus fortgesetzt wird. Ich denke, dann ist dieses Thema abgearbeitet. Dafür bin ich sehr dankbar und will das an dieser
Stelle auch zum Ausdruck bringen.
Ich komme zum Schluss. Ich danke dem Minister und
dem Haus für die gute Vorarbeit. Der Haushalt liegt jetzt
in den Händen des Parlamentes. Wir werden mit ihm
sorgsam umgehen. Ich wünsche uns allen gemeinsam
eine gute Beratung.
Danke schön.
({6})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11. Das Wort hat Bundesministerin Ursula von der
Leyen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte den Einzelplan des Ministeriums für Arbeit und
Soziales einbringen.
Schauen wir uns einmal die Daten auf dem Arbeitsmarkt an: Die Zahl der Erwerbstätigen beträgt 41 Millionen. Seit der Wiedervereinigung ist sie noch nie so hoch
gewesen. Darunter sind allein 28 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wir haben in der Krise mit 6 Millionen Arbeitslosen gerechnet.
Heute haben wir stattdessen unter 3 Millionen Arbeitslose. Bei den Langzeitarbeitslosen haben wir den niedrigsten Stand seit Einführung von Harz IV. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt deutlich unter 10 Prozent. Das ist
die Hälfte der Quote, die wir im europäischen Durchschnitt zu verzeichnen haben.
Meine Damen und Herren, die von Angela Merkel geführte Regierung ist am Arbeitsmarkt die erfolgreichste
deutsche Regierung der letzten 20 Jahre.
({0})
Deshalb ist der Haushalt des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales auch ein Haushalt, aus dem der Erfolg spricht.
Wir haben in der Krise für das Jahr 2012 noch mit
145 Milliarden Euro für diesen Haushalt geplant. Tatsächlich können wir heute mit knapp 127 Milliarden
Euro für das nächste Jahr planen. Das macht 18 Milliarden Euro an Ersparnis - schlicht und einfach, weil mehr
Menschen in Arbeit sind.
Mehr Menschen in Arbeit - das bedeutet nicht nur
weniger Ausgaben für das Arbeitslosengeld, sondern
auch höhere Steuereinnahmen für den Finanzminister
durch mehr Löhne. Es fallen aber auch Zentnerlasten
von der Bundesagentur für Arbeit, weil sie bei mehr Arbeit weniger Ausgaben für das Arbeitslosengeld und
steigende Einnahmen durch mehr Beiträge in der Arbeitslosenversicherung hat.
Deshalb können wir auch die Bundesbeteiligung an
der Arbeitsförderung schrittweise und früher zurückfahren. Das Darlehen der Bundesagentur für Arbeit wird in
diesem Jahr voraussichtlich überschaubare 2 Milliarden
Euro betragen. Im nächsten Jahr wird es nicht mehr nötig sein. Ab 2014 kann die Bundesagentur für Arbeit bereits wieder anfangen, eine Rücklage zu bilden. Auch
aus diesen Zahlen spricht der Erfolg.
({1})
Wir haben im Augenblick rund 1 Million offene Stellen. Die Unternehmen suchen händeringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das bedeutet auch, dass wir in
der Arbeitsmarktförderung die Schwerpunkte jetzt richtig setzen müssen. Wir können nicht mehr die Rezepte
aus den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit anwenden, wo
es in der Tat schwierig war, Beschäftigung zu finden,
und sehr viele Menschen in künstlicher Beschäftigung
gehalten worden sind, um Struktur in den Alltag zu bekommen und um Beschäftigung - zumindest künstlich aufrechtzuerhalten. Nein, wir müssen jetzt in der Arbeitsmarktförderung die Schwerpunkte konsequent auf
Aktivierung, Qualifizierung und Weiterbildung setzen.
Das spricht auch aus den Zahlen dieses Haushaltsplans.
({2})
Dass sich diese neue Schwerpunktsetzung auf passgenaue Lösungen lohnt, zeigt die Weichenstellung des vergangenen Jahres. Der Bundestag hat Mittel für eine Förderoffensive für Alleinerziehende bereitgestellt. Wir
haben jetzt ein Jahr Zeit gehabt, die neuen Instrumente
passgenau zu nutzen, und können sagen, dass diese
Frauen - in 95 Prozent der Fälle sind es Frauen - mit den
Kindern die Netzwerke der Unterstützung brauchen, um
Arbeit zu finden und annehmen zu können.
Die Ergebnisse können sich sehen lassen; denn der
Rückgang der Arbeitslosigkeit bei den langzeitarbeitslosen Alleinerziehenden - einer Gruppe, bei der sich über
Jahre keinerlei Bewegung zeigte - ist inzwischen höher
als der Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit überhaupt. Das zeigt, dass die Einführung dieser passgenauen Instrumente und dieser individuellen, auf die
Gruppen hin ausgerichteten Betreuung die richtige Antwort gewesen ist.
({3})
Inzwischen haben wir nämlich festgestellt, dass die
Haltung, es habe keinen Zweck, diese Frauen in Arbeit
zu vermitteln, weil sie sich um Kinder kümmern müssten, nicht mehr richtig ist, sondern dass umgekehrt ein
Schuh daraus wird: Gerade weil die Frauen Kinder haben, brauchen sie die Hilfe durch Kinderbetreuung, familienfreundliche Arbeitsplätze und Netzwerke im AllBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
tag, damit sie ihr eigenes Einkommen verdienen sowie
für ihre Rente sorgen können und damit auch für sich
und die Kinder Zukunft und Perspektive finden.
({4})
Der nächste Schwerpunkt, der mir wichtig ist, ist Weiterbildung und Qualifizierung. 2005 haben wir bei
5 Millionen Arbeitslosen 2 Milliarden Euro in Weiterbildung investiert. Heute, bei weniger als 3 Millionen Arbeitslosen, haben wir die Mittel auf 3 Milliarden Euro
gesteigert. Das heißt: Wir investieren ganz gezielt in
Weiterbildung, weil das auch die Grundlage dafür ist,
dass wir in der Zukunft ausreichend Fachkräfte haben.
({5})
Besonders wichtig ist mir der Schwerpunkt bei den
jungen Menschen. Wir investieren dafür 3,2 Milliarden
Euro in den Bereichen SGB II und SGB III aus Steuerund Beitragsmitteln. Im laufenden Jahr wird es noch
mehr sein als im vergangenen Jahr. Das ist klug investiertes Geld. Davon profitieren 500 000 junge Menschen
im Übergang von der Schule in Ausbildung und Lehre
und dann hoffentlich auch in den Beruf. Viele der Jugendlichen haben multiple Schwierigkeiten. Häufig fehlt
der Schulabschluss; es gibt soziale Schwierigkeiten und
Probleme, die Lehre durchzuhalten.
Dieses Engagement wird die Bundesregierung mit der
Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente weiter
verstärken und verstetigen.
({6})
- Weil Sie gerade so munter dazwischenrufen, Herr Heil:
Sie haben vorhin die niedersächsischen Jugendwerkstätten angesprochen. Sie liegen mir sehr am Herzen, weil
ich sie als niedersächsische Sozialministerin mit aller
Kraft unterstützt habe. Das gilt auch heute noch. Es geht
aber nicht an, dass das Geschäftsmodell dafür genutzt
wird, um junge Menschen in 1-Euro-Jobs zu bringen.
Junge Menschen haben in 1-Euro-Jobs nichts zu suchen.
({7})
Sie brauchen Aktivierung und Qualifizierung.
Ich kann aus dem Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zitieren, das übrigens im
Auftrag des Hamburger Senats erstellt wurde. Darin
heißt es:
Ein langzeitarbeitsloser 1-Euro-Jobber hat geringere Chancen auf einen regulären Job als ein Langzeitarbeitsloser, der überhaupt keine Förderung bekommt.
({8})
Das heißt, wir müssen fragen: Was bewirken eigentlich
die 1-Euro-Jobs?
Bei den Jugendlichen sind mir Qualifizierung und Aktivierung wichtig. Deshalb müssen wir die Arbeit der Jugendwerkstätten auf solide und nachhaltige Grundlagen
stellen, statt weiterhin auf die Mogelpackung 1-Euro-Job
zurückzugreifen. Da gehören die Jugendlichen nicht hinein. Qualifizierung, Aktivierung und Weiterbildung:
Das muss die Grundlage für die Jugendwerkstätten sein.
({9})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Heil?
Ja.
Bitte schön.
Frau Ministerin, wenn uns beiden die Jugendwerkstätten in unserer niedersächsischen Heimat so am Herzen liegen, dann bitte ich Sie, zu dem, was zumindest in
Ihrem Entwurf vorgesehen ist - ich hoffe, dass sich bei
der Instrumentenreform noch Änderungen ergeben -, zur
Kenntnis zu nehmen, was durch die Anhörung, vielleicht
auch durch Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und
durch Rückmeldungen aus Niedersachsen deutlich
wurde: Unabhängig davon, dass Sie das Volumen für die
Arbeitsmarktförderung massiv herunterfahren - da beißt
die Maus keinen Faden ab; das können Sie noch so sehr
schönreden -, werden rein rechtlich bestimmte Kofinanzierungen künftig nicht mehr möglich sein, sodass die
Strukturen zusammenbrechen.
Ich habe noch eine Frage an Sie. Sie beziehen sich
immer wieder auf das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Können Sie
mir erklären, warum die Mittel für den Gründungszuschuss, der von diesem Institut als hoch erfolgreiches Instrument bewertet wird, damit Menschen sich aus der
Arbeitslosigkeit heraus selbstständig machen können,
von Ihnen so dramatisch zurückgeführt werden? Bei Ihnen passen Reden und Handeln mal wieder nicht zusammen, Frau von der Leyen, auch wenn Sie schöne Girlanden herumwinden.
Erstens zu der Frage der Jugendwerkstätten, Herr
Heil. Jugendliche gehören nicht in 1-Euro-Jobs. Ich
glaube, darin sind wir uns einig.
({0})
Das ist bisher die Finanzierungsgrundlage gewesen, und
das war nicht richtig.
({1})
Jugendliche brauchen vielmehr Qualifizierung und Aktivierung.
({2})
Genau darauf stellen wir um.
Deshalb werden am morgigen Tag das Bundesarbeitsministerium, das niedersächsische Sozialministerium,
die Jobcenter und die Träger zusammentreffen, um diese
passgenaue neue Finanzierung für die gute Arbeit der Jugendwerkstätten sicherzustellen.
Deshalb bitte ich Sie, nicht länger so zu tun, als wäre
das der Zusammenbruch der Jugendwerkstätten,
({3})
nur weil wir die Bezahlung für die Arbeit der Jugendwerkstätten von der Mogelpackung 1-Euro-Jobs auf eine
nachhaltige, solide Finanzierungsgrundlage stellen.
({4})
Zweitens zum Gründungszuschuss. Wir haben offensichtlich beide das Gutachten gelesen, aber Sie haben
den zweiten Teil nicht zitiert, nämlich dass es bei 70 Prozent derer, die den Gründungszuschuss in Anspruch genommen haben, um Mitnahmeeffekte geht.
({5})
Das hat auch das IAB so bezeichnet. Daraus spricht die
Erkenntnis: Wenn sich jemand selbstständig machen
will, dann muss er erstens ein solides und tragfähiges
Konzept haben - das setzen wir voraus - und sich zweitens auch relativ früh, also in einer absehbaren Zeit, dafür entscheiden, statt erst in der Langzeitarbeitslosigkeit
- oder bevor diese eintritt - eine Notgründung zu machen. Den Effekt dieser Notgründungen sehen wir daran,
dass 120 000 Selbstständige zusätzlich Aufstocker sind.
Das kann doch nicht das Ziel einer Gründung sein, und
das in einer Zeit, in der es offene sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gibt, die die Menschen besetzen
können.
({6})
Deshalb: Weg von den alten Rezepten aus der Zeit der
Massenarbeitslosigkeit. Damals waren sie richtig, aber
heute sind sie nicht mehr adäquat. Wir müssen weg von
der künstlichen Beschäftigung.
Die 1-Euro-Jobs sind richtig für Menschen, die derzeit, wo der Arbeitsmarkt aufnahmefähig wie ein
Schwamm ist, überhaupt keine Chance haben. Aber ein
großer Teil der Langzeitarbeitslosen bekommt jetzt eine
neue Chance. Das sieht man auch daran, dass wir zwar
die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gekürzt haben, die Langzeitarbeitslosigkeit aber nicht gestiegen ist.
Im Gegenteil, sie ist gesunken. Das zeigt, dass die Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeit gefunden haben.
({7})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert von den Linken?
Nein, ich komme jetzt zum zweiten Teil, nämlich zum
Thema Rente, sonst kommt dieses Thema gar nicht mehr
dran.
Mir ist wichtig, zu sagen, dass die Menschen bei dieser Arbeitsmarktlage nicht nur mehr Chancen haben, in
Arbeit zu kommen, sondern dass auch mehr Beiträge in
die Sozialversicherung gezahlt werden. Damit haben wir
mehr Möglichkeiten, eine demografiefeste Vorsorge für
das Alter zu schaffen. Wir haben ein stabiles, ein demografiefestes Rentensystem, für das wir international gelobt werden. Die OECD sagt, dass die Leitplanken, die
aufgestellt worden sind - Berechenbarkeit der Entwicklung des Beitragssatzes, Entwicklung des Rentenniveaus
und private Vorsorge als zweites Standbein -, vorbildlich
sind.
Ich möchte die beiden Grundprinzipien herausstellen.
Das erste Grundprinzip ist, dass die Rente aufgrund von
Arbeitseinkommen und privater Vorsorge möglich ist,
und das zweite Grundprinzip ist, dass die Beiträge die
jüngere Generation nicht überfordern. Wenn die Linke
jetzt jedem eine Durchschnittsrente zahlen will, dann
schert sie alle über einen Kamm. Dann ist es ganz egal,
ob sich ein Geringverdiener ein ganzes Leben lang
krummgelegt und hart gearbeitet hat oder ob jemand
überhaupt nicht gearbeitet hat. Das unterhöhlt die Fundamente unseres Rentensystems und ist ungerecht. Das
wollen wir nicht.
({0})
Die Rente muss der Lohn für die eigene Lebensleistung
bleiben.
Wir haben im Augenblick die Situation, dass die
große Mehrheit der Älteren, also derjenigen über
65 Jahre, eine eigene Rente hat. Es handelt sich um
97,5 Prozent. Wir wissen aber auch, dass in Zukunft
Familienstrukturen und Erwerbsbiografien vielfältiger
werden. Es gibt Zeiten der Ganztagsarbeit, der Teilzeit,
Arbeit mit geringem Einkommen, unsichere Arbeitsverhältnisse usw. Wir müssen dafür sorgen, dass in Zukunft
gerade Menschen mit geringem Einkommen oder mit
verschiedenen Aufgaben - Kindererziehung, Pflege,
Teilzeitjobs - wissen, dass auch sie sich eine eigene
Rente verdienen können; denn eine Gesellschaft im demografischen Wandel lebt davon, dass die Menschen arbeiten, Kinder erziehen und Ältere pflegen.
({1})
Mir geht es vor allem um Frauen, die in den 50er-,
60er- und 70er-Jahren geboren wurden und die ihre KinBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
der in den letzten Jahren großgezogen haben. Diese haben keine Kindergartenplätze gehabt, ganz zu schweigen
von einem Krippenplatz. Das Wort „Ganztagsschule“ ist
ein Fremdwort gewesen. Die Unternehmen hatten mit
dem Thema „Vereinbarung von Familie und Beruf“ noch
nichts am Hut. Wenn die Frauen gearbeitet haben, haben
sie Jobs mit geringen Einkommen gehabt. Seit zehn Jahren wissen sie, dass sie privat vorsorgen müssen. Das
heißt, sie müssen riestern, wenn es irgendwie geht. Diese
fragen sich zu Recht, ob sie eine eigene Rente haben
werden, wenn sie all das geleistet haben, oder ob sie in
der Grundsicherung landen werden. Das Gleiche gilt für
den Geringverdiener, der 35 Jahre lang gearbeitet hat,
aber nur wenig Einkommen erzielt hat. Er fragt sich:
Habe ich zum Schluss eine eigene Rente? Lohnt es sich
überhaupt, zu riestern, wenn die Riester-Rente auf die
Grundsicherung angerechnet wird?
An diese Schwachstelle müssen wir heran. Wir möchten deshalb im Rentendialog der nächsten Monate vorschlagen, eine Zuschussrente einzuführen. 850 Euro sollen diejenigen erhalten, die ein Leben lang etwas
geleistet und die für das Alter vorgesorgt haben. Arbeit,
Kindererziehung, Pflege und - seitdem es in den letzten
Jahren möglich ist - private Vorsorge, das heißt riestern,
hochgefördert vom Staat, sind dafür die Kriterien. Die
Botschaft muss sein: Arbeit lohnt sich, und private Vorsorge zahlt sich, wenn man ein Leben lang arbeitet, aus.
({2})
Es gibt rund 20 000 Personen, auf die das zutrifft.
Man muss allerdings auch wissen, dass im Augenblick
rund 18 000 jährlich in die Grundsicherung fallen. Das
zeigt andererseits, dass von 800 000 Menschen eines
Jahrgangs, der in Rente geht, die ganz große Mehrheit
ihre eigene Rente bezieht. Das ist gut. Wir müssen aber
auch vorbeugen, damit das so bleibt. Deshalb ist mir
wichtig, dass wir hier die richtigen Schwerpunkte setzen.
Wir wollen auch die Zurechnungszeiten bei der Rente
wegen Erwerbsminderung weiter absichern. Wir wollen
mehr Freiraum für Hinzuverdienste geben. So wichtig es
auch ist, die voraussichtliche Rentenhöhe immer wieder
zu überprüfen: Wir können mit der Rente selber niemals
einen vollen Ausgleich für die Veränderungen im Erwerbsleben in den 30 bis 40 Jahren vor Renteneintritt
schaffen. Eine nachhaltige Rentenpolitik beginnt nicht
erst im Rentensystem,
({3})
sondern sie reicht von Krippenplätzen - Gott sei Dank
gibt es ab 2013 einen Rechtsanspruch auf Krippenplätze über Ganztagsschulen, Tagesambulanzen für Demenzkranke, Vätermonate bis hin zu Pflegezeiten und fairen
Löhnen. All das ist das Fundament für eine nachhaltige
Rentenpolitik.
({4})
Ich komme zum Schluss. Wir haben heute Morgen in
diesem Haus über die Schuldenspirale europäischer Länder gesprochen.
({5})
Deutschland geht es gerade gut. Ich sage: Jetzt ist die
richtige Zeit für die richtigen Anreize.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Kollege
Seifert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie
sind unter anderem diejenige, die in Deutschland für die
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zuständig ist. Diese Konvention ist seit zweieinhalb Jahren
geltendes Recht in Deutschland. Sie haben dafür in dieser Haushaltsdebatte kein Wort gefunden. In den letzten
Jahren war in Ihrem Haushalt für die Umsetzung der
UN-Behindertenrechtskonvention - außer für die Monitoring-Stelle, die verpflichtend war - kein Euro eingestellt. Jetzt sehe ich leider wieder nicht, dass Mittel eingestellt sind. Falls ich etwas übersehen habe, klären Sie
mich bitte auf.
Die Begründung dafür, dass kein Geld eingestellt ist,
war in der Vergangenheit immer, Sie müssten erst den
Nationalen Aktionsplan aufstellen, damit Sie wissen,
wofür Sie das Geld ausgeben sollen. Jetzt liegt etwas
vor, was „Nationaler Aktionsplan“ heißt, und Sie stellen
wieder nichts ein, mit der Begründung: Jetzt liegt der
Nationale Aktionsplan ja vor; wir brauchen aber praktisch nichts zu tun. Sagen Sie mir bitte, wann, wo und
durch wen wird diese Menschenrechtskonvention in
Deutschland endlich richtig umgesetzt?
({0})
Frau Ministerin.
Herr Kollege Seifert, der Nationale Aktionsplan ist
etatisiert im Haushaltsplan des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales. Der Nationale Aktionsplan zeichnet
sich dadurch aus, dass die Bundesregierung selber festlegt, was sie dazu beitragen will, eine inklusive Gesellschaft weiterzuentwickeln. Das heißt, es soll in vielen
verschiedenen Bereichen selbstverständlich werden,
dass sich Menschen mit Behinderungen anderen nicht
anpassen müssen. Es soll eine Selbstverständlichkeit
sein, dass Menschen mit Behinderungen und Menschen
ohne Behinderungen, Menschen mit Handicaps und
Menschen ohne Handicaps gemeinsam teilhaben und zusammenleben.
Unsere Aufgabe ist die Erstellung und Umsetzung des
Nationalen Aktionsplans. In diesem Sommer haben wir
ihn vorgelegt. Wir machen uns jetzt auf den Weg, ihn in
den nächsten Jahren umzusetzen. In 240 Punkten sind
detailliert die Selbstverpflichtungen unserer Ressorts beschrieben. Wir sind übrigens eines der ersten Länder, die
die UN-Behindertenrechtskonvention so umgesetzt haben, dass daraus ein Nationaler Aktionsplan hervorgegangen ist.
({0})
Im Augenblick hat eines der Bundesländer, RheinlandPfalz, einen eigenen Aktionsplan entwickelt. Andere
Bundesländer werden folgen. Das Gleiche gilt für Kommunen, Unternehmen, Vereine und Verbände.
Im Arbeitsministerium ist nur die Etatisierung der Arbeit des vor kurzem erstellten Nationalen Aktionsplans
vorgenommen worden. Alle anderen Ressorts sind mit
verschiedenen Aktivitäten an diesem Aktionsplan beteiligt. Um Ihre Frage jetzt aus dem Stegreif zu beantworten, müsste ich aus allen Ressorts alle entsprechenden
Mittel zusammensuchen und aufaddieren. Das würde
eine stolze Summe ergeben.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Anette Kramme für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
schön, dass Sie da sind. Wir waren uns nicht ganz sicher,
ob Sie kommen würden. Sie schweben ja neuerdings in
den hohen Sphären der Finanzpolitik.
({0})
Da waren wir uns nicht so sicher, ob Sie sich für das
Klein-Klein der Rente und der Arbeitsmarktpolitik tatsächlich noch interessieren.
({1})
Frau Bundesministerin, Sie haben zum wiederholten
Male eine riesige Ausgabensenkung zu vertreten. Richtig ist, dass der Etat des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales nach wie vor der größte Ausgabenbrocken
im Gesamthaushalt ist. Er umfasst circa 126 Milliarden
Euro. Aber man muss natürlich auch wissen, dass ein
Großteil dieses Betrages als Zuschuss für die Rentenversicherung zur Verfügung steht.
Wenn man sich das genauer anschaut, dann stellt man
fest, dass die Arbeitsmarktpolitik immens betroffen ist.
40 Milliarden Euro stehen für die Arbeitsmarktpolitik
zur Verfügung. Davon wollen Sie 4,7 Milliarden Euro
streichen, also mehr als 10 Prozent. Nimmt man dann
noch eine Differenzierung zwischen aktiver und passiver
Arbeitsmarktpolitik vor, dann weiß man: Die aktive Arbeitsmarktpolitik wird rasiert. Sie lassen sich im wahrsten Sinne des Wortes von Wolfgang Schäuble die Butter
vom Brot nehmen und Ihre Klientel im Regen stehen.
({2})
Wir wissen natürlich, wie Ihre Argumentation ist. Sie
argumentieren mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit.
Bei dieser Gelegenheit sei einmal eingefügt: Da haben
einige gute Arbeit geleistet. Frank-Walter Steinmeier,
Olaf Scholz, Peer Steinbrück haben fantastische Arbeit
geleistet. Sie sehen aktuell die Früchte dieser Arbeit.
({3})
Aber - um auf das Thema zurückzukommen -: Gute
konjunkturelle Phasen müssen genutzt werden, um
strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt zu lösen.
({4})
Von diesen strukturellen Problemen am Arbeitsmarkt haben wir eine ganze Menge. Da ist insbesondere die
Langzeitarbeitslosigkeit zu nennen. Langzeitarbeitslose
haben zu 20 Prozent keinen Schulabschluss, zu 52 Prozent keine Berufsausbildung und sind zu 45 Prozent im
Dauerbezug von SGB II. Wir sehen nicht, dass das Problem des perspektivischen und teilweise schon vorhandenen Fachkräftemangels gelöst ist. Wir sehen keinen
Nachweis von Aktivitäten im Bereich Migration. Das
Anerkennungsgesetz, das Sie planen, ist unzureichend.
Vor allen Dingen: Wo sind bei den vielen Personengruppen, die Sie vorhin angesprochen haben - den Frauen,
den Menschen mit Behinderung -, Ihre konkreten Aktivitäten? Sie reden viel. Aber in der Sache wird wenig getan.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das Gefühl, dass wir über zwei verschiedene Dinge sprechen,
obwohl der Gesetzentwurf, von dem wir reden, der gleiche ist, nämlich der zur Instrumentenreform. Sie sagen,
da werde etwas Positives getan. Wir sehen nur: Die öffentlich geförderte Beschäftigung wird zunichtegemacht; das betrifft die Politik für Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit. Die Jobperspektive haben Sie bereits in
der Vergangenheit durch eine andere Finanzierung kaputtgemacht. Die ABM werden gestrichen. Arbeitsgelegenheiten sollen noch arbeitsmarktferner sein und werden damit mit Sicherheit nicht Menschen helfen, zurück
in den Beruf zu finden. Es fehlt eine Qualifizierungsinitiative zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Müsste
man nicht Geld in die Hand nehmen, um konsequent aus
Ungelernten Gelernte, aus Meistern Techniker und aus
Technikern Universitätsabsolventen zu machen? Das geplante Anerkennungsgesetz löst den Zuständigkeitswirrwarr nicht auf und gibt keinerlei zusätzliche Möglichkeiten zur Nachqualifizierung. Darüber hinaus gibt es eine
Personalreduktion bei der Bundesagentur für Arbeit, das
heißt 10 000 bis 17 000 Stellen weniger. Man muss sicherlich darüber reden, dass es in manchen Bereichen
der BA weniger Bedarf gibt. Aber wir wissen ganz genau, dass wir an anderen Stellen mehr Personal benötigen, nämlich da, wo es um die Vermittlung von Menschen in Arbeit geht. Warum wird nicht die Chance
genutzt, um in diesem Bereich etwas zu machen? Die
entsprechenden Modellprojekte waren mehr als erfolgreich.
Frau Ministerin, Sie sollten es eigentlich wissen: Fördernde Arbeitsmarktpolitik ist das A und O. Wir müssen
die Integration in Arbeit finanzieren statt Arbeitslosigkeit.
Gegenüber dem Stern hatten Sie im Februar 2010 erklärt:
Die Angebote müssen Schlag auf Schlag kommen.
Tempo, Tempo, Tempo. Heute meldest du dich arbeitslos - und morgen hast du was zu tun.
Das klingt dynamisch und zupackend. Aber mit Ihrem
Haushalt graben Sie genau diesem Ziel das Wasser ab.
„Tempo, Tempo, Tempo“ klappt nur, wenn Vermittler da
sind, die etwas zu vermitteln haben, und wenn Geld da
ist, um Menschen zu qualifizieren und in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zu Beginn einige Bemerkungen zum „Regierungsdialog Rente“, der gestern begonnen hat. Ich
denke, man muss über die entsprechenden Vorschläge
noch ausführlich diskutieren und die Details klären. Das
betrifft ja nicht den Haushalt 2012, sondern erst den des
Jahres 2013. Bei alldem muss man natürlich im Auge
haben, dass Verbesserungen bei Sozialleistungen immer
das Problem mit sich bringen, dass sie Geld kosten. Ich
denke, da kommt noch einiges auf uns zu. Wir werden
diesen Punkt noch ausführlich diskutieren müssen. Dabei darf der Blick auf das Machbare nicht verloren gehen.
({0})
Nun zum Haushalt 2012. Dem vorliegenden Entwurf
des Einzelplans 11 kann ich als Haushälterin ein gutes
Zeugnis ausstellen. Die Hausaufgaben sind gemacht.
Hierfür ein Dank an die Ministerin.
({1})
Frau Kramme, ich habe das Gefühl, dass Sie uns diesen Erfolg schlichtweg nicht gönnen.
({2})
Ihre Schwarzmalerei finde ich armselig; das resultiert
daraus, dass Sie die Fakten einfach nicht anerkennen.
({3})
Der Etat weist insgesamt 4,7 Milliarden Euro weniger
Ausgaben aus als 2011. Dabei hat dieser Etat deutliche
Mehrbelastungen schultern müssen: 1,3 Milliarden Euro
mehr Bundesgeld für die Rentenversicherung, 1,5 Milliarden Euro mehr Bundesbeteiligung an den Kosten der
Unterkunft, ein um 1,3 Milliarden Euro höherer Bundesanteil bei der Grundsicherung im Alter. Die letzten beiden Positionen entlasten übrigens die Kommunen. Es
gibt aber auch Entlastungen - das ist schon gesagt worden -: Die Bundesagentur für Arbeit braucht 2012 kein
Darlehen mehr. Sie kann stattdessen bereits mit der
Rückzahlung beginnen. Auch die Aufwendungen für das
Arbeitslosengeld II sinken. Beides ist natürlich der guten
Lage am Arbeitsmarkt zu verdanken.
Auch bei der Umsetzung der Sparvorgaben gilt: Die
Hausaufgaben sind gemacht.
Erstens. Nach den Sparvorgaben vom Sommer 2010
sind 2012 bei den Arbeitsmarktaufwendungen im Bereich SGB II 1,5 Milliarden Euro gegenüber dem damaligen Finanzplan einzusparen. Auch diese Vorgabe wird
punktgenau erfüllt. Das Eingliederungsbudget beläuft
sich damit im Jahr 2012 auf 8,45 Milliarden Euro. Angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist das
auch gut zu leisten und sollte hier keineswegs Anlass zu
Kassandrarufen geben; denn wir senken die Eingliederungskosten aufgrund der sinkenden Arbeitslosenzahlen,
worüber wir uns sehr freuen sollten.
({4})
Bei alldem wird natürlich der Betreuungsschlüssel nicht
außer Acht gelassen. Diesen haben wir sehr wohl im
Blick.
Zweitens. Wir werden 2012 auch für das Arbeitslosengeld II deutlich weniger Geld ausgeben, als für 2011
veranschlagt ist. Der Ansatz liegt mit 19,5 Milliarden
Euro um 900 Millionen Euro niedriger als der für das
Jahr 2011. Insgesamt plant der Bund im Jahr 2012 für
die Grundsicherung der Arbeitsuchenden Gesamtausgaben in Höhe von 33 Milliarden Euro. Den größten Teil
davon, nämlich 25 Milliarden Euro, machen die Ansätze
für Arbeitslosengeld II und für die Kosten der Unterkunft aus; das ist schon eine beachtliche Summe. Es ist
besonders wichtig, die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente voranzutreiben und diese passgenau
und effizient zu machen, damit wir möglichst viele Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zurückbringen.
({5})
Auf die Einzelkritik der Opposition will ich hier nicht
weiter eingehen.
({6})
Ich will nur einen grundsätzlichen Unterschied deutlich
machen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, möchten natürlich möglichst viele Menschen in öffentlich geförderte Beschäftigung bringen.
({7})
Wir von der Koalition möchten allerdings viele Menschen in den regulären Arbeitsmarkt bringen,
({8})
weil das von Dauer ist. Dazu haben wir gerade jetzt gute
Chancen; denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist hervorragend, so gut wie seit zwanzig Jahren nicht mehr.
({9})
Man kann es gar nicht oft genug sagen - Sie müssen
auch einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen -: Seit
April haben wir weniger als 3 Millionen Arbeitslose.
Kurzarbeit spielt kaum mehr eine Rolle.
({10})
Es gibt vor allem bei der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung einen massiven Zuwachs. Nehmen Sie
das einmal zur Kenntnis! Auch die Erwerbstätigenzahl
erreicht mit über 41 Millionen einen nie dagewesenen
Rekord. Das sind hervorragende Zahlen.
({11})
Auch die Chancen der Langzeitarbeitslosen am Arbeitsmarkt sind derzeit so gut wie lange nicht. Ihre Zahl sinkt
seit Monaten deutlich. Die jüngsten Zahlen zeigen einen
Rückgang um 6 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Mast?
Nein, ich möchte gerne fortfahren.
({0})
Ihre Klage, das seien alles Billigjobs und nur der Niedriglohnsektor würde boomen, ist schlichtweg Unsinn.
Schauen Sie sich die Zahlen einmal an: Die Zahl der Erwerbstätigen ist gegenüber dem Vorjahr um 527 000 gestiegen. Zugleich ist bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gegenüber dem Vorjahr ein
Zuwachs von 684 000 zu verzeichnen. Da kann doch
niemand ernsthaft behaupten, wir hätten nur bei den Billigjobs einen Boom.
({1})
Der beste Schutz gegen Armut ist ein Arbeitsplatz.
({2})
Deshalb richtet sich die FDP-Politik darauf, hier die
Chancen zu verbessern. Die gute Lage am Arbeitsmarkt
hilft uns natürlich dabei. Sie wird einen weiteren Schub
bekommen, weil im kommenden Jahr eine Entlastung
bei den Sozialversicherungsbeiträgen möglich wird. Die
Reserven der Rentenversicherung entwickeln sich so
gut, dass wir eine Beitragssenkung vornehmen können.
Zum Schluss will ich noch ganz kurz auf die Finanzen
der Bundesagentur für Arbeit eingehen. Die Situation
der BA stellt sich deutlich günstiger dar als erwartet.
2011 muss die BA ein viel geringeres Defizit abdecken
als geplant: nicht 5,4 Milliarden Euro, wie bei der Haushaltsaufstellung 2011 erwartet wurde, sondern lediglich
1,9 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass sie das Darlehen, das sie 2011 vom Bund zum Ausgleich des Defizits
bekommt, schon bis 2013 zurückzahlen und dann erneut
Rücklagen aufbauen kann. Insofern können wir mit der
Entwicklung sehr zufrieden sein.
Eines ist klar: Wenn Sie nichts zu kritisieren haben,
dann denken Sie sich etwas aus.
({3})
Aber wir können sehr zufrieden sein mit der Entwicklung in dieser Zeit, und auf diesem Weg wird die Koalition auch weitermachen.
Danke.
({4})
Das Wort hat nun Katja Kipping für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Winterstein, Ihre Rede war sehr bezeichnend. Wir reden
hier über den Sozialhaushalt, und das Einzige, was Ihnen
zu den sozialen Problemen in diesem Land einfällt, ist,
sich für Kürzungen im Sozialbereich auf die Schulter zu
klopfen. Man könnte fast denken, dass Sie hier unbeabsichtigt Wahlkampf für die Opposition machen.
Ein klassisches Argument in Haushaltsdebatten zur
Abwehr von sozialen Verbesserungen lautet häufig: Die
Sozialausgaben steigen immer weiter an. - Ich finde,
man muss das einmal genauer beleuchten. Dafür gibt es
ein seriöses Kriterium, und zwar die Sozialleistungsquote. Zur Erläuterung: Die Sozialleistungsquote meint
die Sozialleistungen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Doch genau diese Quote ist seit 2003 nicht gestiegen, sondern - im Gegenteil - gesunken, und zwar
von 31,2 Prozent auf 27,9 Prozent. Also halten wir fest:
Dieses klassische konservative Abwehrargument gegen
linke Verbesserungsvorschläge ist nicht haltbar.
({0})
Frau von der Leyen, Sie haben sich heute wieder rhetorisch für Alleinerziehende eingesetzt. Das ist ein Anliegen, bei dem ich vollkommen an Ihrer Seite bin. Aber
zur ganzen Wahrheit gehört auch: Es war Schwarz-Gelb,
die im Zuge des sogenannten Sparpaketes das Elterngeld
für Hartz-IV-Beziehende quasi gestrichen haben, indem
es angerechnet wird. Von dieser Streichung sind auch
47 000 Alleinerziehende betroffen. Nun weiß ich, dass
das nicht aus Ihrer Feder stammt; aber Sie haben es nicht
verhindert. Da halten wir doch einmal fest, was schwarzgelbe Familienpolitik heißt: Gerade bei den Ärmsten
wird genommen. Ich finde, das ist der falsche Weg.
({1})
Es war schon viel vom Rentendialog die Rede. Tatsächlich müssten wir gegen Altersarmut einiges unternehmen. Immerhin warnt die OECD: International gehört Deutschland zu den Schlusslichtern bei der Alterssicherung von Geringverdienenden. Sie warnt zu Recht;
denn leider droht Altersarmut für immer mehr Menschen
zur Realität zu werden. Die Zahl der minijobbenden
Rentner ist in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen. Viele Rentner müssen noch arbeiten, weil die
Rente einfach nicht reicht.
({2})
Wir wissen auch: Wer heute in Rente geht, bekommt
im Schnitt eine deutlich niedrigere Rente als jemand, der
vor zehn Jahren in Rente gegangen ist. Aber das ist doch
nicht vom Himmel gefallen. Das ist doch keine Naturkatastrophe, die über uns gekommen ist. Das ist das Ergebnis von ganz konkreten politischen Maßnahmen, und da
muss ich leider sagen: Es ist auch das Ergebnis schwarzgelb-rot-grüner Regierungspolitik. Sie haben das zu verantworten.
({3})
Was plant nun das Haus von der Leyen? Als Erstes
sollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentner verbessert werden. Das heißt: noch mehr mini- oder midijobbende Rentnerinnen und Rentner.
({4})
- Sie wollen die Rentner dazu verdonnern, durch Malochen im Alter die niedrige Rente aufzubessern.
({5})
Da muss ich sagen: Das mag mit 65 gehen, das mag auch
noch mit 70 gehen. Was machen wir aber mit der 90-jährigen Rentnerin, die sich kaum noch auf den Beinen halten kann und deren Rente trotzdem zu niedrig ist, um damit über die Runden zu kommen? Im Klartext: Sie
wollen, dass die Rentner mit Malochen im Alter Ihre
Rentenkürzungen ausbaden müssen. Das ist für mich
nicht hinnehmbar.
({6})
Dann gibt es die schöne Zuschussrente. Eine von vielen Bedingungen dafür ist, dass man 35 Jahre lang in
eine private oder in eine Betriebsrente eingezahlt hat.
Nun wird es spannend. Inzwischen gibt es also quasi
eine Pflicht, sich über den Rentenfonds am globalen Finanzkasino zu beteiligen. Haben Sie denn gar nichts aus
der Finanzkrise gelernt? Eine Zuschussrente unter solchen Bedingungen ist vor allen Dingen eines: ein Treibstoff für die Versicherungskonzerne wie Allianz und Co.
Ein Sicherheitsgurt gegen Altersarmut sieht wahrlich anders aus.
({7})
Was wir als Linke dem entgegensetzen, ist eben nicht
eine Durchschnittsrente, wie Sie sie darstellen. Was es
unserer Meinung nach tatsächlich braucht, ist eine solidarische Mindestrente, die garantiert, dass kein Rentner
und keine Rentnerin im Alter unter die Armutsrisikoquote fällt.
({8})
Frau Winterstein, Sie überlegen bei Sozialhaushalten
immer nur, wo man noch kürzen kann. Wir haben andere
Anforderungen an den Sozialhaushalt. Wir meinen, ein
Sozialhaushalt muss vor allen Dingen eine in Zahlen gegossene Teilhabegarantie für alle sein. Von einer solchen
Garantie für Teilhabe ist schwarz-gelbe Sozialpolitik
wahrlich weit entfernt.
({9})
Das wird unter anderem daran deutlich, wie wenig Mittel Sie für das Arbeitslosengeld II, besser bekannt als
Hartz IV, einplanen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lindner?
Mit Vergnügen.
Was sagten Sie gerade? In Zahlen gegossene Teilhabe? Sie regieren jetzt in Berlin seit bald zehn Jahren.
({0})
In Berlin gibt es eine Arbeitslosenquote von 13,5 Prozent, und zwar trotz Wirtschaftsbooms; das ist einmalig
in Deutschland. Im Schnitt ist diese Zahl in Deutschland
auf 7,7 Prozent zurückgegangen, in Berlin liegt sie bei
13,5. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt deutschlandweit
bei 8,3 Prozent, in Berlin bei 23,5 Prozent.
({1})
Zehn Jahre regieren Sie. Die Jugendarbeitslosigkeit ist
etwa dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Sie
Dr. Martin Lindner ({2})
verweigern in Berlin einer ganzen Generation die Teilhabe. Erklären Sie uns einmal, wie Ihr Reden hier und
Ihr praktisches Handeln vor Ort auch nur halbwegs in
Deckung zu bringen sind.
({3})
Wenn Sie gleich antworten wollen, das läge an den
schlechten finanziellen Konditionen in Berlin, sage ich
Ihnen noch ergänzend: Berlin gibt pro Kind 6 100 Euro
jährlich aus. In Hessen oder Sachsen sind es etwa
5 500 Euro. Sachsen liegt auf Platz eins im Bildungsmonitor, und Berlin liegt auf Platz 16 von 16 Ländern.
Sie machen dort eine hundsmiserable Bildungspolitik,
eine miserable Arbeits- und Wirtschaftspolitik, und jetzt
stellen Sie sich hierhin und erzählen uns, dass wir keine
soziale Politik machen, obwohl wir gerade dafür gesorgt
haben, dass mittlerweile fast alle Menschen in Arbeit gekommen sind.
({4})
Herr Lindner, vielen Dank für diese Frage. Ich hätte
mich eher mit der Haushaltspolitik beschäftigt und sie
diszipliniert abgearbeitet. Ich bin Ihnen aber dankbar,
dass Sie jetzt den Bereich „Wahlkampf in Berlin“ eröffnen und mir Gelegenheit geben, außerhalb meiner Redezeit auf einige Erfolge der Politik der Berliner Landesregierung hinzuweisen.
({0})
Es ist tatsächlich Fakt, dass ein Großteil der Rahmenbedingungen auf Bundesebene gesetzt wird. Im Übrigen:
Die schlimme Haushaltslage in Berlin ist von den Regierungen vor Rot-Rot verursacht worden; das wissen Sie
genau.
({1})
Wer hat denn damals die Bank in den Ruin getrieben?
Reden wir aber über rot-rot-grüne Regierungspolitik.
({2})
Zu dieser Bilanz gehört, dass sich in Berlin ein rot-roter
Senat für den Erhalt des Sozialtickets starkgemacht hat.
Zur rot-roten Regierungspolitik in Berlin gehört auch,
dass man Regeln zu Kosten der Unterkunft für die Ärmsten durchgesetzt hat, die bundesweit beispielhaft waren.
Leider haben Sie dagegen gekämpft und das Land Berlin
über ein Gerichtsurteil dazu gezwungen, das rückgängig
zu machen; aber da war einiges erreicht worden.
Zur rot-roten Regierungspolitik gehört auch, dass
man es - trotz widriger Bedingungen und jeder Menge
Knüppel, die das Bundesministerium dem Land zwischen die Beine geworfen hat - geschafft hat, öffentliche
Beschäftigung in die Wege zu leiten, die deutlich besser
ist:
({3})
In Berlin ging es eben nicht nur um billige 1-Euro-Jobs;
man hat Stellen im öffentlichen Beschäftigungssektor
mit sinnstiftenden Tätigkeiten geschaffen. Insofern kann
ich sagen: Von Berliner Beschäftigungspolitik könnte
sich so manches Bundesland eine Scheibe abschneiden.
({4})
- Ich würde jetzt gerne weiter über den Haushalt reden.
Sie können gerne noch eine Zwischenfrage stellen und
damit meine Redezeit verlängern. Aber dann müssten
wir uns an die parlamentarischen Gepflogenheiten halten.
({5})
- Über die Kinderstube des Herrn Lindner wollen wir
jetzt hier nicht reden.
Kommen wir zurück zum Haushalt. Sie haben deutlich weniger Mittel für das Arbeitslosengeld II eingeplant. Sie können das deswegen tun, weil Sie zuvor mit
jeder Menge Tricks das Existenzminimum - wir haben
die Pflicht, es zu garantieren - kleingerechnet haben. Inzwischen gibt es ein Gutachten des DGB, das es schwarz
auf weiß auf den Punkt bringt: Die schwarz-gelbe Berechnung des Existenzminimums ist verfassungswidrig.
Das ist auch ein Ergebnis Ihrer Politik.
({6})
Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens wende ich
mich jetzt an Grüne und SPD: Geben Sie sich doch einen
Ruck und reichen Sie zusammen mit uns eine Normenkontrollklage ein! Für eine solche Klage bräuchte es
25 Prozent der Abgeordneten. Das schaffen wir Linken
leider noch nicht ganz alleine; aber zusammen könnten
wir es schaffen. Wenn wir uns zu einer solchen Normenkontrollklage durchringen, dann wird das Gericht sehr
wohl entscheiden. Vor allen Dingen würden wir damit
den Betroffenen den mühsamen Weg durch die Instanzen ersparen. Nehmen Sie sich also ein Herz! Entscheiden Sie sich gegen die Komplizenschaft mit der CDU
und für die Betroffenen!
({7})
Ja, wir Linken meinen - ich habe es selber nachgerechnet -: Sie haben das Existenzminimum mit Tricks kleingerechnet. Wenn man es ordentlich berechnete, müsste
es bei rund 500 Euro liegen. Wir werden dazu Änderungsanträge einbringen.
Sie können jetzt nicht mit dem Einwand kommen, das
sei nicht finanzierbar. Erstens ist das Existenzminimum
ein Grundrecht; das kann man nicht einfach nach Kassenlage ausdealen. Zweitens: So knauserig Sie bei den
Ärmsten sind, so fahrlässig großzügig sind Sie, wenn es
um die Superreichen geht. Es muss Ihnen doch zu denken geben, dass sich die Vermögenden in diesem Land
zusammenschließen, um für eine Vermögenabgabe zu
plädieren. Die Millionäre drängeln sich quasi, stehen
Schlange, um die öffentlichen Kassen zu füllen; aber Sie
sorgen mit Ihren ideologischen Scheuklappen dafür, dass
die Einzahlungsschalter geschlossen bleiben. Ich finde,
so viel Großzügigkeit können wir uns tatsächlich nicht
leisten.
({8})
Was uns wirklich etwas kostet, ist die schwarz-gelbe
Verweigerungshaltung beim Mindestlohn. Sie kostet uns
jedes Jahr Milliarden. Es gibt jetzt eine Prognos-Studie,
die unter anderem zu dem Ergebnis kommt: Wenn wir
einen Mindestlohn von 10 Euro hätten, dann würde das
den Sozial- und Steuerkassen zusammen rund 13 Milliarden Euro im Jahr einspielen.
({9})
Halten wir fest: Dieses Land kann sich die schwarzgelbe Verweigerungshaltung beim Mindestlohn einfach
nicht mehr leisten.
({10})
Das ist nur einer von vielen Gründen dafür, warum wir
uns Schwarz-Gelb nicht weiter leisten können.
Danke.
({11})
Lieber Kollege Lindner, ich möchte Sie daran erinnern, dass man während der Beantwortung einer Frage,
die man gestellt hat, stehen bleibt.
({0})
Wenn man eine lange Frage stellt, dann muss man stehend auch eine lange Antwort ertragen.
({1})
- Das entscheidet nicht der Fragesteller, das ist generell
so. Sie kennen die Spielregeln.
Das Wort hat nun Frau Kollegin Priska Hinz für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier über einen bemerkenswerten Haushalt. Wenn
wir in andere Einzelpläne schauen, sehen wir, man
könnte dort tatsächlich sinnvoll einsparen; sei es im Verteidigungshaushalt, im Wirtschaftsetat oder beim Subventionsabbau. Es wird aber im Bereich des Einzelplans
für Arbeit und Soziales gespart, also dort, wo es um
Langzeitarbeitslose und Benachteiligte geht. Da schlagen Sie wirklich in unverantwortlicher Weise zu.
({0})
Da werden mit einem Federstrich erneut 900 Millionen
Euro beim Eingliederungstitel eingespart. Zugegeben,
die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht zurück.
({1})
- Ja, warten Sie ab. - Seit dem vergangenen Jahr haben
wir einen kleinen Rückgang von 6,1 Prozent.
({2})
Aber Sie kürzen den Titel um ein Drittel. Das hat noch
nicht einmal eine haushalterische Logik, sondern das
sind schlicht und einfach Scheuklappen, die Sie aufhaben. Sie wollen diesen Titel aus ideologischen Gründen
rasieren.
({3})
Natürlich gibt es auf dem Arbeitsmarkt eine gute Entwicklung, es gibt eine gute Konjunktur. Das betrifft aber
die Langzeitarbeitslosigkeit nicht im gleichen Maße.
Frau Ministerin, deshalb wäre es wichtig, dass Sie nicht
nur hier am Pult von Qualifizierung reden, sondern dass
Sie sich auch für ausreichende Mittel in Ihrem Etat einsetzen, damit die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen tatsächlich stattfinden kann, sodass diese Zugang
zum ersten Arbeitsmarkt finden können. Sonst findet das
überhaupt nicht statt.
({4})
Wirtschaftsminister Rösler hat erstaunlicherweise etwas Richtiges gesagt. Er sagte nämlich, der Fachkräftemangel sei die zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung. Daraus darf man aber doch keine Kürzungen
Priska Hinz ({5})
von Qualifizierungen ableiten. Die Bundesregierung diskutiert seit einem Jahr über ein Konzept gegen den Fachkräftemangel, und die Ministerin, die mit ihrem Haushaltsplan tatsächlich etwas dagegen tun könnte, nimmt
ihre Chancen nicht wahr, sondern lässt ihren Haushalt
rasieren. Sie setzt sich nicht dafür ein, dass entsprechende notwendige Umstrukturierungen im Gesamthaushalt dazu führen, dass der Arbeitsetat geschont wird.
Auch bei Ihrem Umgang mit der Bundesagentur für
Arbeit stellt man fest, dass Sie aus der Finanz- und Wirtschaftskrise nichts gelernt haben. Vor der Krise hatte die
BA Rücklagen in Höhe von 17 Milliarden Euro. Aus
diesen konnte man zum Beispiel das Kurzarbeitergeld finanzieren. Was machen Sie jetzt? - Sie plündern den
Haushalt der BA, damit Sie eines der Löcher im Bundeshaushalt schließen können, von denen es leider zu viele
gibt.
Aufgrund der Ergebnisse des Vermittlungsausschusses übernehmen Sie für die Grundsicherung im Alter die
Finanzierung. Aus diesem Grund müssen Sie jetzt Gelder aus der BA nehmen. Das belastet die BA in den
nächsten Jahren mit 12 Milliarden Euro. Stattdessen
sollte der Bund diese Mittel übernehmen und nicht überlegen, an welcher Stelle konjunkturelle Maßnahmen
dazu führen, dass eine Entschuldung stattfindet, sondern
er sollte überlegen, welche strukturellen Maßnahmen
dazu führten. Sie reißen der BA auch an dieser Stelle die
Beine weg. Übrig bleibt eine Instrumentenreform, die
nicht zielgenau auf Zielgruppen gerichtet ist, die notwendigerweise eine Unterstützung brauchen. Sie setzen
vielmehr den Rotstift an. Damit ist Ihre Instrumentenreform schon vom Grundsatz her gescheitert.
({6})
Notwendig wäre eine Sozialministerin, die die
1,5 Millionen jungen Menschen ins Visier nimmt, die
sich ohne Berufsabschluss auf dem Arbeitsmarkt befinden, und die die Instrumente auf sie ausrichtet. Notwendig wäre eine Sozialministerin, die sich für aktive Arbeitsmarktpolitik, für die Qualifizierung von älteren
Menschen, die aus der Erwerbstätigkeit herausgedrängt
werden, und für Langzeitarbeitslose, die einer besonderen Qualifizierung bedürfen, einsetzt. Dafür wäre eine
Instrumentenreform sinnvoll. Sie aber streichen auch ein
effektives Mittel wie den Gründerzuschuss weg. Dabei
ist gerade dieser effektiv. Was Sie machen, ist ein reiner
Kahlschlag.
({7})
Die Ministerin ist gut in der Darstellung, aber weniger
gut in der Umsetzung. Das haben wir beim Bildungspaket für Kinder gesehen. Wochenlang ist sie durch Talkshows getingelt und hat erklärt, wie wichtig es ist, dass
Kinder in Sportverbänden Mitglied werden und an der
Kultur teilhaben können.
({8})
Was ist passiert? Es ist ein bürokratisches Monstrum
entstanden, das die Kommunen mit zusätzlichen Verwaltungskosten belastet. Jetzt ist nichts mehr davon zu hören, dass die Umsetzung hapert. Deswegen sage ich: Gut
in der Darstellung, schlecht in der Umsetzung. Genauso
ist auch Ihr Einzelplan zu lesen. Daraus ist nämlich von
guter Umsetzung einer Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
nichts herauszulesen.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat nun Karl Schiewerling für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dieser Haushalt wird nun
nach der Hälfte dieser Legislaturperiode diskutiert. Im
November wird er letztendlich verabschiedet. Frau Kollegin Hinz, ich schätze, ich muss Ihnen leider sagen,
dass Ihre letzte Bemerkung in Bezug auf die Bundesarbeitsministerin zwar spannend, aber falsch war. Sie müssen sich einmal genau anschauen, was wir in der ersten
Hälfte dieser Legislaturperiode erreicht haben. Ich will
Ihnen das in kurzen Sätzen darlegen - so weit zum
Thema Reden und nicht Handeln oder nur Schaulaufen
und keine Erfolge erzielen -: Wir haben die Jobcenterreform und die Regelsätze organisiert und arbeitsmarktpolitische Instrumente verabschiedet. Wir haben Freiheit
und Verantwortung darin verankert. Wir haben die Zeitarbeit reguliert, den Mindestlohn in der Zeitarbeit eingeführt und mehr Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz
eingeführt als viele andere vorher. Ich denke, diese Halbzeitbilanz kann sich sehen lassen. Das haben wir gemeinsam geschafft. So weit zum Thema: eine Ministerin, die nur redet, aber nichts hinbekommt.
({0})
Sicherheit geben, Perspektiven ermöglichen, Verantwortung übernehmen - diese Zielsetzung haben wir in
der Union und in der christlich-liberalen Koalition in der
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und im sozialpolitischen
Bereich in der Vergangenheit verwirklicht. Wir werden
sie auch im kommenden Jahr verwirklichen. Wenn wir
uns den Haushalt des Geschäftsbereiches Arbeit und Soziales ansehen, dann stellen wir fest, dass es in der Tat in
dem einen oder anderen Bereich Kürzungen gibt. Das
bleibt nicht aus; dazu werde ich gleich etwas sagen. Wir
müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass Arbeitsmarktpolitik keine Arbeitsplätze schafft. Arbeitsplätze werden
durch gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen und
durch stabile Strukturen in der Arbeitsmarktpolitik in der
Wirtschaft geschaffen.
({1})
800 000 zusätzliche Arbeitsplätze, die in der letzten Zeit
geschaffen worden sind, sind beredter Ausdruck dafür.
Wir sind zufrieden; das ist gut. Deswegen können wir
bestimmte Gelder reduzieren und anders, effektiver sowie effizienter einsetzen. Übrigens: Von den etwa
800 000 bis 900 000 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen sind weit mehr
als die Hälfte ohne irgendwelche arbeitsmarktpolitischen
Instrumente geschaffen oder besetzt worden. Ich weise
darauf hin, dass auch diese Dinge letztendlich gut und
sinnvoll funktionieren.
({2})
Rahmenbedingungen schaffen, damit zukunftsfähige
Arbeitsplätze entstehen, ist unsere Aufgabe. Das gelingt
aber nur, wenn wir Sicherheiten haben. Betriebe brauchen für ihre Planung Sicherheit - das ist keine Frage -,
aber auch die Arbeitnehmer brauchen Sicherheit. Arbeit
muss für die Arbeitnehmer planbar sein. Mit diesem
Haushalt schaffen wir die dafür notwendigen Voraussetzungen. Wir müssen diejenigen fördern, qualifizieren
und gegebenenfalls reintegrieren, die keinen Arbeitsplatz haben oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
({3})
Wir müssen alles daransetzen - das ist die Zielrichtung -,
dass die Menschen in der Lage sind, eigenverantwortlich
für sich und ihre Familien zu sorgen. Letztendlich geht
es darum, dass Menschen auch im Alter Sicherheit haben.
({4})
Frau Kollegin Kipping, wir sagen, dass Menschen,
die eine Rente beziehen, die Möglichkeit haben sollen,
etwas hinzuzuverdienen. Das Konzept, das Frau von der
Leyen vorgestellt hat, besagt nicht, dass wir Menschen
zwingen, zu arbeiten. Wir eröffnen vielmehr Möglichkeiten.
({5})
Diejenigen, die zusätzlich Geld verdienen, zahlen in die
Sozialversicherung ein und zahlen Steuern. Ich halte das
für eine gute und reizvolle Perspektive unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung. Deswegen unterstützen wir dieses Konzept.
({6})
Wir stehen vor tiefgreifenden Problemen und sehr
komplexen Aufgaben. In diesem Zusammenhang ist
auch die Politik gefordert. Auch in einer Debatte wie
dieser, in der es um den Haushalt geht, ist es wichtig,
sich zu vergewissern, mit welchem geistigen Hintergrund wir diese Aufgaben angehen und welches Menschenbild wir dabei zugrunde legen. Wir sind verpflichtet, die Grundlagen und Prinzipien der christlichen
Soziallehre zu beachten. Dabei geht es um Personalität,
um Solidarität, um Subsidiarität und um Nachhaltigkeit.
Unter dem Gesichtspunkt der Personalität muss auch
im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik alles getan werden,
um Menschen zu motivieren und zu begleiten, damit sie
in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und eine Rente zu erwirtschaften, auf die sie stolz
sein können, weil die Rente Lohn für Lebensleistung ist.
All das steckt hinter dem Prinzip der Personalität.
({7})
Es geht auch um die Frage der Subsidiarität. Das
heißt, wenn die Menschen ihren Lebensunterhalt nicht
aus eigener Kraft erwirtschaften können, haben sie ein
Anrecht auf Unterstützung. Diese Unterstützung ist aber
nicht auf Dauer angelegt. Sie ist vielmehr ein Sprungbrett. Mithilfe der Förderung soll man aus der Abhängigkeit vom Staat herauskommen und wieder in die Lage
versetzt werden, sein Leben selbstbestimmt und eigenständig zu gestalten. Das ist unser Menschenbild. Daran
orientieren wir uns, und daran richten wir unsere Politik
aus.
({8})
Drittens geht es um den Bereich der Solidarität. Wir
lassen diejenigen, die der Hilfe bedürfen, nicht im Regen
stehen.
({9})
Ich freue mich sehr, dass der Beauftragte für die Belange
behinderter Menschen, Hubert Hüppe, hier ist. - Nein, er
ist schon gegangen.
({10})
Ich sage es trotzdem: Letztendlich geht es auch darum,
dass Menschen, die behindert sind, die keine Chance haben, jemals ohne fremde Hilfe zu leben, alle Unterstützung bekommen, die sie brauchen, damit sie ein selbstbestimmtes Leben führen können.
({11})
Ich wünsche mir manchmal, es wäre noch mehr möglich.
Wir wollen die Augen aber nicht davor verschließen,
dass wir unter dem Gesichtspunkt der Inklusion schon
einiges erreicht haben. Ich erinnere zum Beispiel an den
Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung.
({12})
Gemeinsam bringen wir die Sache voran, damit wir
letztendlich erfolgreich sind.
({13})
Wenn es um die von Ihnen oft angeführte soziale Gerechtigkeit geht, will ich Ihnen sagen, dass diese soziale
Gerechtigkeit verschiedene Facetten hat. Im Kern geht
es um die Teilhabe und die Chancengerechtigkeit. Es
geht aber auch um die Leistungsgerechtigkeit.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert?
Ja.
Bitte schön.
Lieber Herr Kollege Schiewerling, Sie haben sich gerade mit viel Enthusiasmus für die Teilhabe behinderter
Menschen ausgesprochen, haben gesagt, was Sie sich alles wünschen. Können Sie mir bitte sagen, wie Sie angesichts dessen vertreten können, dass in der Regelbedarfsstufe 3 erwachsene Menschen mit Behinderung, die bei
ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, Geld abgezogen bekommen mit der Begründung, sie brauchten
zu Hause nicht so viel? Als hätten diese Menschen
20 Prozent weniger Kosten als andere! Es ist ein solcher
Skandal. Ihre Regierung sagt: Wir überprüfen das am
Sankt-Nimmerleins-Tag; denn wir können die Behinderten nicht bevorzugen. Das gehört zur Begründung dazu.
Finden Sie nicht, dass das ein Skandal erster Ordnung
ist, den man sofort aus der Welt schaffen müsste?
({0})
Geschätzter Herr Kollege Seifert, ich weiß, dass über
diesen Punkt in der Vergangenheit heftig diskutiert
wurde und auch immer noch darüber diskutiert wird. Ich
will Ihnen allerdings sagen - ich bitte Sie herzlich, in
dieser Frage offen zu sein -, dass es in der Regelstufe 3
unterschiedliche Berechnungen gibt und dass die Lebenssituation vieler Menschen, die behindert sind, so
aussieht, dass sie sehr wohl gemeinsam mit anderen in
einem Haushalt leben. Dies ist in die Berechnungen und
Grundlagen eingeflossen.
({0})
Einzelne Ansätze dürfen wir nicht isoliert betrachten.
({1})
Ich will Ihnen allerdings gerne zugestehen - ich
hoffe, dass Sie das akzeptieren -, dass es abgesehen von
einer Reihe von Detailfragen - ich gebe zu, dass man
über diese trefflich diskutieren kann - unterschiedliche
Gesichtspunkte gibt. Es gibt auf Bundes-, Länder- und
kommunaler Ebene in der Bundesrepublik Deutschland
viele Anstrengungen zur Inklusion und zur Integration
von Menschen mit Behinderungen; freie Träger und
viele Institutionen arbeiten mit großem Nachdruck und
mit großer Leidenschaft daran. Dazu gehören auch Leistungen, die den behinderten Menschen insgesamt zukommen. Mit Ihnen hoffe ich, dass wir an der einen oder
anderen Stelle weiterhin zu Verbesserungen kommen.
({2})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage: der Kollegin Kipping?
Nein. - Ich will zum Punkt Hilfe zur Selbsthilfe kommen. Die Mittel, die im Eingliederungstitel vorgesehen
sind, werden - absolut betrachtet - reduziert; das ist
richtig. Aber pro Langzeitarbeitslosem stehen mehr Mittel zur Verfügung als noch vor Jahren.
({0})
Daher kommt es jetzt darauf an, dass wir diese Mittel effizient einsetzen. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Hier
kommt es darauf an, dass es gute Maßnahmen gibt, die
wir fördern und unterstützen. Daran wird es nicht scheitern. Wir werden die Menschen, die Unterstützung benötigen, wieder in Beschäftigung bringen. Wir werden uns
noch in diesem Monat in diesem Parlament über die arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu unterhalten haben.
Wir werden den entsprechenden Gesetzentwurf hier in
zweiter und dritter Lesung im Detail beraten. Ich glaube,
dass es notwendig ist, intensiv darauf einzugehen.
Lassen Sie mich einen Satz zum Thema Rente sagen.
Der Rentendialog ist jetzt entstanden; dafür sind wir sehr
dankbar. Wir haben uns im Koalitionsvertrag mit Blick
auf die Entwicklungen der Renten und der Alterseinkünfte vorgenommen, diese Dinge in dieser Legislaturperiode möglichst schnell zu regeln. Es gibt ein paar
Grundprinzipien, die wir beachten werden. Sie lauten
wie folgt.
Erstens. Rente ist Lohn für Lebensleistung. Wenn wir
dies nicht beibehalten, machen wir Rente zu einem Sozialhilfesystem. Das ist Rente aber nicht. Rente muss
Lohn für Lebensleistung bleiben.
({1})
Zweitens. Rente muss aufgreifen, dass innerhalb eines Solidarsystems gewisse Ausgleiche möglich sind.
Letztendlich ist all das, was wir der Rentenversicherung
als Leistungsträger zusätzlich aufbürden, mit Steuern der
Allgemeinheit zu finanzieren und kann nicht von den
Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern gestemmt werden. Das ist ein wichtiger Teil unseres Solidarsystems.
({2})
Wir werden im Haushaltsjahr 2012 alles daransetzen,
die Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen, die in
Beschäftigung kommen wollen, wieder in Beschäftigung
kommen. Wir werden die Brücken dafür weiter bauen.
Wir werden für die Langzeitarbeitslosen, die es besonders schwer haben, die Treppe in den ersten Arbeitsmarkt zielführend weiter stabilisieren und ausbauen. Ich
sage Ihnen: Wir wollen dies in der Verantwortung, die
wir vor den Menschen haben, tun. Wir sind auf einem
guten Weg. Diesen Weg werden wir zum Wohle der
Menschen gemeinsam in dieser Koalition fortsetzen, und
zwar in einem guten Schulterschluss mit all denjenigen,
die wollen, dass wir auf diesem Weg weitergehen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Katja Kipping.
Herr Kollege Schiewerling, ich möchte noch einmal
auf die Regelbedarfsstufe 3 eingehen. Da das ein komplizierter Begriff ist, zur Erläuterung: Bei der Neufestsetzung der Hartz-IV-Regelsätze hat Ihre Regierung beschlossen, eine neue Stufe für erwachsene bedürftige
Behinderte einzuführen. Im Ergebnis werden erwachsenen Bedürftigen - vor allen Dingen betroffen sind Behinderte - im Monat 73 Euro gestrichen. Sie haben den
Behinderten also richtig in die Tasche gegriffen und ihnen pro Monat 73 Euro weggenommen.
({0})
Es ging dabei nicht um objektive Berechnungen, sondern um eine ganz klare politische Entscheidung Ihrerseits. Diese Entscheidung war so umstritten und ist so
stark kritisiert worden, dass Sie im Vermittlungsausschuss, als es um einen Kompromiss mit dem Bundesrat
ging, versprochen haben, zu prüfen, inwieweit man verhindern kann, dass Behinderte so benachteiligt werden.
Inzwischen liegt mir eine Antwort des Bundesarbeitsministeriums vor, in der es eindeutig heißt: Wir sehen diesbezüglich keinen Handlungsbedarf. Es bleibt alles so,
wie es ist. - Ich finde, das ist nicht hinnehmbar. Ich hätte
Sie vorhin gern gefragt, ob Sie die Auffassung der Bundesregierung teilen, dass tatsächlich diesbezüglich kein
Handlungsbedarf besteht. Ich glaube, wenn man es mit
der UN-Behindertenrechtskonvention ernst meint, dann
sollte man nicht gerade den ärmsten Menschen mit Behinderung in die Tasche greifen.
({1})
Frau Kollegin Kipping, um mit der UN-Behindertenrechtskonvention anzufangen: Wir nehmen sie ernst. Im
Kern geht es bei der UN-Behindertenrechtskonvention
um Inklusion und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
({0})
Wir haben keine neue Regelbedarfsstufe eingeführt;
darum ging es auch gar nicht.
({1})
- Nein. - Es ging darum, dass Menschen mit Behinderung, die erwerbsfähig sind und zu Hause wohnen, mit
Unterstützung und Förderung im Prinzip jederzeit die
Möglichkeit haben, aus ihrer Abhängigkeit herauszukommen. Die Diskussion, die wir geführt haben, mündete in die Strukturen, die wir geschaffen haben. Um auf
Ihre Frage zu antworten: Ich teile die Auffassung des
Bundesarbeitsministeriums.
({2})
Das Wort hat nun Katja Mast für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Schiewerling, ich hätte gerne von Ihnen
gehört, was Sie dazu sagen, dass der Haushalt des Bundesarbeitsministeriums von 2011 bis 2015 um 26,5 Milliarden Euro gekürzt werden soll, ganz egal, wie hoch
die Arbeitslosenzahlen sind und was in dieser Republik
passiert. Das sind strukturelle Kürzungen, keine konjunkturellen Kürzungen.
Ich hätte auch gern etwas von Ihnen zu Folgendem
gehört: Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat uns allen
mitgeteilt - über 3 000 Unterschriften haben es besiegelt -,
dass im letzten Jahr die Zahl der Langzeitarbeitslosen,
die Arbeitslosengeld II beziehen, um 4 Prozent zurückgegangen ist, dass Ihre Haushaltskürzungen, die diese
Personengruppe betreffen, aber ein Volumen von 25 Prozent hatten. Auch hier wurde also strukturell gekürzt.
Auch hier hätte die Möglichkeit bestanden, Menschen
durch Bildung in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen.
Auch hier haben Sie Möglichkeiten gestrichen, echte
Beschäftigungspolitik zu betreiben, um Vollbeschäftigung - Sie sprechen ja immer gern von „Arbeit für alle“;
wir sagen lieber „gute Arbeit für alle“ - zu erreichen. Sie
nehmen langzeitarbeitslosen Menschen mit Ihrer Politik
die Perspektiven und die Chancen auf würdevolle Teilhabe an dieser Gesellschaft. Dazu haben Sie gerade
nichts gesagt, Kollege Schiewerling.
({0})
Ich frage mich: Was ist eigentlich Ursula von der Leyens
Ziel in der Arbeitsmarktpolitik?
({1})
Welche Antwort hat die Ministerin auf die Probleme am
Arbeitsmarkt? Wofür kämpft diese Ministerin? Für
Goldreserven in Europa oder für gute Arbeit für alle?
Das ist doch die Frage an dieser Stelle.
In Deutschland ist eine Spaltung am Arbeitsmarkt
festzustellen. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die
langzeitarbeitslos sind. Diese Menschen befinden sich
übrigens in unterschiedlichen Situationen. Manche von
ihnen stehen ganz am Rand, weisen vielfache Vermittlungshemmnisse auf und hatten seit vielen Jahren keine
Arbeit mehr. Denen müssen wir uns politisch zuwenden;
sie stehen am Rand. Auf der anderen Seite haben wir gut
ausgebildete Fachkräfte, von denen wir noch mehr brauchen.
Ich komme zur zweiten Spaltung am Arbeitsmarkt.
Wir haben im europäischen Vergleich die höchste Quote
an prekären Beschäftigungsverhältnissen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen in Normalarbeitsverhältnissen. Auch in Bezug auf diese Spaltung gibt es von
Ursula von der Leyen bzw. von ihrer Arbeitsmarktpolitik
keine Antworten.
Es gibt eine dritte Spaltung auf dem Arbeitsmarkt.
Frauen verdienen im Schnitt 23 Prozent weniger als
Männer. Es geht dabei nicht nur um Alleinerziehende.
Das ist eine Geschlechterfrage. Auch darauf gibt es
- weder im Haushalt noch in den arbeitspolitischen Instrumenten noch durch irgendwelche Taten - keine Antworten von Ursula von der Leyen. Darum geht es heute
in der Haushaltsdebatte.
({2})
Der vorgelegte Haushalt verschärft diese Spaltung; er
vermindert sie nicht. Das ist umso bemerkenswerter,
weil die Regierung letztes Jahr ein sogenanntes Sparpaket vorgelegt hat. Ich glaube, Sie haben es sogar als Zukunftspaket bezeichnet. Dazu sage ich lieber Kürzungspaket. Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist übrigens die
Politik, bei der es um Bildungsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt geht. Dabei geht es nicht um Arbeitslosengeld, sondern um das Schaffen von Chancen durch aktives Tun und Handeln. Dort wird gekürzt. Da wird auch
um so viel gekürzt, wie Sie in Ihren Sparbeschlüssen
vorgesehen hatten. Aber wo überall wird das nicht getan? Überall dort, wo Sie diejenigen mit belasten wollten, die gut verdienen. Beispielsweise gibt es keine Finanztransaktionsteuer, obwohl Sie sie vorgesehen hatten.
Auch die Brennelementesteuer gibt es nicht. Die Wiedereinführung des Fiskusprivilegs bei Insolvenzverfahren gibt es ebenfalls nicht. Die Streitkräfte sollten ihren
Beitrag zum Sparpaket leisten. Das alles gibt es nicht.
Das Einzige, woran diese Regierung festhält, ist das
Kürzen bei den Menschen, die am Rande stehen, und
dort, wo es um Investitionen in der Arbeitsmarktpolitik
geht. Deshalb regen wir von der Opposition uns auch die
ganze Zeit über so auf. Sie kümmern sich nicht um die
Menschen, die am Rande dieser Gesellschaft stehen. Sie
kürzen in der Arbeitsmarktpolitik und in der Bildungspolitik des Bundes. Das ist der größte Skandal dieser
Bundesregierung.
({3})
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Es gibt
in dieser Republik 1,5 Millionen Jugendliche im Alter
von 20 bis 30 Jahren, die keine Berufsausbildung haben.
({4})
Wo sind Ihre Antworten für diese 1,5 Millionen Menschen, welche die Fachkräfte unserer Wirtschaft für morgen sind? Sie sind für den Zusammenhalt in der Gesellschaft sowie das wirtschaftliche Wachstum wichtig.
Sie geben den Menschen, die am Rande stehen
- Langzeitarbeitslose mit vielen Vermittlungshemmnissen -, keine echten Antworten. Sie nehmen Ihnen durch
Ihre Instrumentenreform die Perspektive auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Ich habe das Gefühl, dass sich Ihre Ministerin bereits aus der Arbeitsmarktpolitik verabschiedet hat. Sie will noch hoch
hinaus und hat vergessen, was man für Menschen tun
muss, die am Rande stehen.
({5})
Ich finde, dass es Ursula von der Leyens Aufgabe ist,
diesen Menschen ein Gesicht und eine Stimme zu geben.
Aber dazu höre ich leider nichts von Ihnen. Deshalb
werden wir den von Ihnen vorgelegten Haushaltsentwurf
nicht durch das Parlament durchwinken.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Der nächste Redner für
die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Heinrich
Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Manchmal kann man sich wirklich nur wundern. Als vor
einer Woche die neuen Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben wurden, lief die folgende Meldung über den
Ticker: Arbeitslosenzahl erreicht niedrigsten Stand seit
20 Jahren - Opposition kritisiert unzureichende Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung. - Darüber habe ich
mich gewundert.
({0})
Das zeigt aus meiner Sicht zweierlei. Zum einen zeigt es,
wie gut wir sind. Zum anderen zeigt es, wie einfallslos
Sie sind. Frau Mast, Sie haben gefragt: Was ist eigentlich
das Ziel dieser Koalition bzw. dieser Bundesregierung? Unser Ziel ist es, Menschen in Arbeit zu bringen. Dabei
sind wir sehr erfolgreich. Ich will Ihnen die Zahlen nennen; man kann sie nicht oft genug wiederholen. Im August waren noch 2,945 Millionen Menschen arbeitslos,
238 000 weniger als noch ein Jahr zuvor.
({1})
41,13 Millionen Menschen waren erwerbstätig - das ist
ein absoluter Hochstand, ein Allzeithoch -, 527 000 mehr
Menschen als noch vor einem Jahr. 28,3 Millionen Menschen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, 684 000 mehr als noch vor einem Jahr.
Tiefstand bei der Jugendarbeitslosigkeit: Mit 10 Prozent
hat Deutschland in Europa die Spitzenposition inne.
Erstmals gibt es mehr angebotene Lehrstellen als Stellenbewerber. Davor können Sie doch nicht die Augen
verschließen. Sie können sich doch nicht hier hinstellen
und herummäkeln und sagen: Alles, was diese Bundesregierung macht, ist schlecht.
Frau Nahles hat ausweislich der Tickermeldung erklärt: Wenn die Bundesregierung nicht alles falsch gemacht hätte, dann hätte sie einen noch stärkeren Rückgang der Arbeitslosigkeit erzielen können. - Dazu will
ich eines sagen - Frau Nahles ist jetzt nicht mehr da -:
Wenn Frau Nahles und die SPD regiert hätten, hätten Sie
diese Zahlen nicht erreicht; denn unsere Zahlen sind so
gut, weil wir auf einen Mix der Beschäftigungsformen
setzen. Sie aber wollen nur bestimmte Beschäftigungsformen - das haben Sie eben gesagt, Frau Mast - als
gute Arbeit anerkennen. Ich sage Ihnen: Wir freuen uns,
dass mehr als die Hälfte der neuen Stellen Vollzeitstellen
sind. Ich sage Ihnen aber auch: Wenn wir ein hohes Maß
an Beschäftigung wollen, dann gehören Teilzeit, Midijobs und auch geringfügige Beschäftigung ebenso zum
Erwerbsleben wie Zeitarbeit oder befristete Beschäftigung.
({2})
Dieses hohe Maß an Beschäftigung ist kein Selbstzweck. Ohne diesen Höchststand bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und bei der Erwerbstätigkeit hätten wir nicht diese insgesamt sehr komfortable
Situation im Bundeshaushalt - mit der Schuldenbremse -,
aber auch in den Sozialkassen. Wie kommt es denn, dass
wir beim Rentenbeitrag Senkungsspielräume von 0,8 Prozentpunkten haben, die wir - wie gesetzlich vorgesehen nutzen wollen?
({3})
Weil wir ein hohes Maß an Beschäftigung haben. Sie haben es in der Vergangenheit nicht geschafft, die Beschäftigungspotenziale auszuschöpfen. Deswegen sollten Sie
uns hier keine Vorwürfe machen.
({4})
Dass so viele Menschen Arbeit haben, trägt zur soliden
Finanzierung unseres Gemeinwesens und zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme bei.
Ich habe von dieser Stelle aus immer gesagt: Ein Arbeitsplatz ist das höchste Gut. Man kann auch sagen:
Viele Arbeitsplätze sind die beste Garantie für einen
funktionierenden Sozialstaat.
({5})
Frau Mast, auch wenn Sie es nicht sofort einsehen wollen: Wir können gute Fortschritte bei der Bekämpfung
der Langzeitarbeitslosigkeit verzeichnen. Allein im August 2010 ist die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - diese Zahl ist nicht direkt mit der Zahl der Langzeitarbeitslosen gleichzusetzen; der Kreis ist größer - im
Jahresvergleich um 298 860 zurückgegangen, ein Minus
von 6,1 Prozent; die Kollegin Hinz hat darauf hingewiesen.
Wir sind bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit erfolgreich. Wir werden - allen Unkenrufen zum
Trotz - sogar noch erfolgreicher sein. Ich will Ihnen
auch sagen, warum. Weil unsere Reformen Ihrer verkorksten und vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Hartz-IV-Gesetze auch für die Langzeitarbeitslosen einen Pfad zurück in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung schaffen werden: mit kooperativen Jobcentern, mit Zielvereinbarungen, unterjähriger Erfolgskontrolle - demnächst kann übrigens jeder sogar online
sehen, wie sein Jobcenter performt, wie gut es also ist -,
mit Regelsätzen, die die Existenz sichern, aber Erwerbsarbeit nicht unattraktiv machen, und mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, die die Jobcenter vor Ort in die
Lage versetzen, einem Langzeitarbeitslosen in freiem
Ermessen die bestmögliche Förderung zukommen zu
lassen. Das heißt, wir gehen individuell auf jeden Einzelnen ein. Deswegen werden wir weitere Erfolge bei der
Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit erzielen, also
dort, wo Sie jahrelang nur nach dem Gießkannenprinzip
gearbeitet haben.
({6})
Noch eine kurze Anmerkung zur Rentenpolitik. Ich
will hier sehr deutlich sagen: Eine nachsorgende Kompensation im Bereich der Altersarmutsbekämpfung stößt
sehr schnell an Grenzen. Auch ein Mindestlohn ist keine
Lösung; das wissen Sie so gut wie ich.
({7})
Man müsste einen Mindestlohn von 12 Euro einführen,
um nach einem Arbeitsleben von 45 Jahren eine Rente
auf Grundsicherungsniveau zu erzielen. Nein, hier sind
wir ganz dezidiert anderer Auffassung. Wir glauben,
Prävention ist das Gebot der Stunde. Die Frage wurde
gestellt: Lohnt es sich für die Menschen, zu riestern?
Diese Frage wollen wir beantworten. Einen Vorschlag
hat das BMAS in diesen Tagen gemacht. Sie kennen unseren Vorschlag, der Freibeträge für private und betriebliche Vorsorge vorsieht. In jedem Fall sollte derjenige,
der eigene Anstrengungen unternommen hat, belohnt
werden. Dieser Weg, den wir hier aufzeigen, ist richtig.
Mein letzter Punkt ist das Thema Hinzuverdienstgrenzen. Es geht uns nicht darum, die Anhebung dieser
Grenzen als einen Beitrag zur Altersarmutsbekämpfung
zu sehen, nach dem Motto: Die Älteren müssen noch arbeiten. - Sie verkennen, dass es für viele Menschen auch
etwas mit Teilhabe und dem Selbstwertgefühl zu tun hat,
im Alter noch dazuzugehören. Ich erlebe in unglaublich
vielen Gesprächen, dass die Menschen sagen: Es ist
wirklich überfällig. Warum verdammt ihr uns zu einem
400-Euro-Job, wenn wir als 63-Jährige in Rente gehen?
Wir wollen gerne noch mehr machen. Gebt uns Spielraum. - Genau das tut diese Koalition. Wir sind sehr nah
am Puls der Menschen. Wir kommen gut voran. Das
sieht man an unseren Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist
für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Sabine
Zimmermann. Bitte schön, Frau Kollegin Zimmermann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin
von der Leyen, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Ich muss Ihnen von dieser Stelle aus sagen: Ihre
Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik spaltet die Gesellschaft
in Arm und Reich.
({0})
Während Sie und Ihre Regierung zusehen, dass zockende Banken gestützt werden, Reiche immer reicher
werden, haben Sie für die Menschen, die arbeitslos sind
und täglich um das Überleben kämpfen, nur Peanuts in
der Tasche. Das ist unmöglich.
({1})
20 Milliarden Euro wollen Sie bei den Erwerbslosen
abkassieren. Schon im letzten Jahr haben Sie beschlossen, die Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik bis 2014
- die Zahlen wurden bereits genannt - um diesen Betrag
zu reduzieren. Da können Sie sich drehen und wenden,
wie Sie wollen: Das ist nichts anderes als eine brutale
Kürzung auf dem Rücken von Millionen von arbeitslosen Menschen.
({2})
Als Begründung für diesen Kahlschlag haben Sie in diesem Jahr das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt nachgeschoben. Ich
muss schon sagen: Das ist ein dreistes Bubenstück, diesem Kürzungsprogramm auch noch das Etikett „Verbesserung“ aufzudrücken. Ohne Moos, nichts los - das weiß
doch jeder, und wenn kein Geld vorhanden ist, können
keine Maßnahmen durchgeführt werden. Damit verbessern Sie nicht die Chancen für die Langzeiterwerbslosen,
sondern erhöhen nur die Wahrscheinlichkeit, dass diese
Menschen keinen Job mehr bekommen. Das ist Ihre
Politik.
({3})
In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es
großspurig: Die Arbeitsmarktpolitik soll dezentraler, flexibler, individuell und letztlich effizienter gestaltet werden. - Ich bitte Sie! Was soll in Zukunft der Arbeitsvermittler vor Ort noch entscheiden können, wenn ihm
keine Mittel zur Verfügung stehen? Wollen Sie den Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit, den Jobvermittlern, den Schwarzen Peter zuschieben? Das ist doch
wohl unmöglich.
Schon jetzt sparen Sie bei den arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen, zum Beispiel bei der Weiterbildung. Die
Zahl der neuen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in
Maßnahmen ist seit Jahresbeginn insgesamt um fast
38 Prozent zurückgegangen. Erzählen Sie nicht immer,
auch die Arbeitslosigkeit sei zurückgegangen! Deren
Rückgang im Vergleich zum Vorjahr - die Zahlen können Sie überall nachlesen - beträgt insgesamt nur
7,5 Prozent, im Hartz-IV-Bereich sind es sogar bloß
3,5 Prozent. Dabei benötigen gerade Langzeiterwerbslose Qualifizierung und Bildung, um überhaupt eine
Chance auf einen Job zu bekommen.
Nun erzählt uns die Arbeitsministerin, in den kommenden Jahren 330 000 Langzeiterwerbslose wieder in
Arbeit bringen zu wollen. Da müsste Frau von der Leyen
schon zaubern können; denn dieses Vorhaben ohne Geld
durchzuführen zu wollen, das ist wohl ein hehres Ziel.
Vielmehr drängt sich der Eindruck auf: Diese Bundesregierung ist daran interessiert, eine hohe Sockelarbeitslosigkeit beizubehalten, sozusagen als Abschreckung für
die Beschäftigten, um sie daran zu erinnern, dass ihnen
Hartz IV droht, sollten sie selbstbewusst höhere Löhne
und bessere Arbeitsbedingungen einfordern.
({4})
Das ist die Logik Ihrer Politik.
({5})
Die Linke fordert die Bundesregierung zu einem
grundlegenden Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik
auf. Vor allem die Menschen mit den schlechtesten Jobchancen, Langzeiterwerbslose, Menschen mit Behinderung und Ältere, dürfen nicht abgeschrieben werden. Sie
müssen verstärkt gefördert werden.
({6})
Sich nur auf leicht vermittelbare Erwerbslose zu konzentrieren, wie Sie es machen, und den Rest seinem Schicksal zu überlassen, ist unchristlich und unsozial. Nehmen
Sie endlich Geld in die Hand, und investieren Sie in
Qualifizierung und Weiterbildung!
Frau Kollegin, Sie haben noch die Chance, eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lindner zuzulassen.
Aber natürlich, Herr Lindner. Ich freue mich.
Das ist ja schön.
({0})
Denken Sie, dass Sie so in Berlin über 5 Prozent kommen?
({0})
Sie sollten zuerst die Frage anhören, statt schon vorher zu antworten. - Bitte schön, Kollege Lindner.
Wenn wir schon bei Zahlenspielen sind, Frau Kollegin, und Sie gerade wieder angemahnt haben, dass wir
zu wenig Eingliederungshilfen für Behinderte anbieten:
Wie erklären Sie es sich, dass der rot-rote Senat im Jahr
2003,
({0})
kurz nachdem er ins Amt gekommen ist, das Blindengeld in Berlin von 585 Euro auf 468 Euro gekürzt hat
und Berlin damals beim Blindengeld von Platz eins auf
Platz zehn abgerutscht ist? Können Sie sich bei diesem
Punkt ebenso wie bei der Jugendarbeitslosigkeit erklären, wie das Reden von Ihnen und Ihren Kollegen irgendwie mit dem in Einklang zu bringen ist, was Sie in
der Wirklichkeit fabrizieren?
Ich finde es gut, dass Sie dieses Podium nutzen, um
noch einmal richtig Wahlkampf für Berlin zu machen.
Sie haben es auch wirklich nötig.
({0})
Aber Sie verwechseln die Bundespolitik mit der Landespolitik. Was das angeht, was Sie hier anführen, um uns
vielleicht in die Bredouille zu bringen: Sie sollten darüber nachdenken, dass Sie in der Bundespolitik viele
Menschen in Armut und Hartz IV treiben.
({1})
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
Ihre Kahlschlagpolitik ist kein Rezept für eine positive
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Ihr kopfloses Sparen auf dem Rücken der Erwerbslosen wird ein Bumerang sein. Sie tragen dazu bei, dass die Demokratie zerstört und die Spaltung der Gesellschaft in Arm und
Reich immer weiter vorangetrieben wird.
Danke schön.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächste hat für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau
Katrin Göring-Eckardt das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Göring-Eckardt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zwei Jahre hatten wir keine Rentenministerin. Jetzt haben wir eine, sozusagen im Nebenerwerb. Erst passierte
nichts, und dann gab es plötzlich hektische Betriebsamkeit. Zuerst habe ich gedacht, dass das vielleicht etwas
mit der Großen Anfrage „Altersarmut“ meiner Fraktion
zu tun hat. Die Antworten kann man grob in drei Punkten zusammenfassen. Erstens. Es gibt keine seriösen Studien dazu, sagt die Bundesregierung. Zweitens sagt sie:
Wir haben nicht vor, welche zu erstellen. Die dritte Antwort lautet: Altersarmut ist kein Problem. - So ähnlich
dachten auch die drei Affen. So ähnlich sind auch die
Vorschläge, die die Ministerin jetzt zum Thema Altersarmut vorlegt. Sie kommen typisch von-der-Leyensch daher: Erst gibt es ein Riesentamtam. Aber es ist nicht wie
beim Scheinriesen Tur Tur, der größer wird, wenn man
näher kommt. Hier handelt es sich eher um einen aufgeblasenen Zwerg.
Worüber wird beim Rentendialog eigentlich geredet?
Es geht nicht um diejenigen, die sich tatsächlich Sorgen
machen und Sorgen machen müssen. Jeder Zweite sorgt
sich nämlich in der Tat darum, dass sein Einkommen im
Alter nicht ausreicht. Es geht nicht um diejenigen, die
mit 63 gerne noch etwas tun wollen, um dazuzugehören.
Die Frage ist: Wem muten wir eigentlich zu, dass er im
Alter noch arbeiten muss, weil sein Einkommen nicht
ausreicht? Es ist Altersarmut, und um die geht es.
({0})
Für die Regelung, die bei der sogenannten Zuschussrente getroffen werden soll, hat die Ministerin im
Zeit-Interview fünf Zeilen gebraucht, um alle Bedingungen aufzuzählen, die man erfüllen muss, um vielleicht
einen Anspruch darauf zu haben. Das soll bei etwa
20 000 Menschen der Fall sein. Übrigens sind gar keine
Mittel dafür eingestellt. Dieses Instrument wird wahrscheinlich niemanden tatsächlich erreichen. Man soll
35 Jahre privat vorgesorgt und 45 Jahre eingezahlt haben. Das dient nicht der Bekämpfung von Altersarmut,
sondern das ist eine Mogelpackung und nichts anderes.
({1})
Wen trifft denn die Altersarmut tatsächlich? Sie trifft
Frauen. Diese erreichen trotz aller Anrechnungspirouetten der Ministerin mitnichten so viele Beitragsjahre.
Heute sind es im Schnitt bei Frauen 26,8, bei Männern
40,2 Beitragsjahre. Wie soll man da auf 45 Beitragsjahre
kommen? Die Altersarmut trifft vor allen Dingen die
Ostdeutschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien in
den letzten 20 Jahren, die jetzt ins Rentenalter kommen
und der Gefahr der Altersarmut ausgesetzt sind. Auf
diese Probleme gibt es keine Antwort.
Wen trifft die Altersarmut noch? Sie trifft die Geringverdiener. Es ist schon erwähnt worden, dass uns die
OECD bescheinigt hat, dass wir bei der Altersversorgung für Geringverdiener - darunter befinden sich
69 Prozent Frauen - das Schlusslicht bilden. Es sind
heute 6,5 Millionen Menschen, die im Niedriglohnsektor
arbeiten. Für die Probleme dieser Menschen gibt es
keine Antwort. Das gilt auch für die Langzeitarbeitslo14624
sen. Gerade diese haben unter den Kürzungen im Haushalt zu leiden. Bis 2015 wird es 10 Milliarden Euro weniger geben. Besonders drastisch wirkt sich das Fehlen
von 5,2 Milliarden Euro beim Gründungszuschuss aus.
Das trifft die Selbstständigen. Weitere Kürzungen gibt es
bei der Arbeitsförderung und der Integration.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Weiß?
Sehr gerne.
Bitte schön, Kollege Weiß.
Verehrte Frau Kollegin Göring-Eckardt, bevor durch
Ihre Rede in der Öffentlichkeit eine Meldung über den
Vorschlag der Bundesministerin Ursula von der Leyen
zur Zuschussrente verbreitet wird, möchte ich Sie Folgendes fragen: Zum Ersten. Müssen Sie nicht anerkennen, dass die vorgeschlagene Rentenzahlung von
850 Euro für Menschen, die in ihrem Berufsleben zu wenig für die Rente ansparen konnten, um über 100 Euro
über der Grundsicherung liegt, die zu Zeiten von RotGrün für Menschen, die im Alter zu wenig Rente haben,
eingeführt worden ist? Zum Zweiten: Ist Ihnen bekannt,
dass der Vorschlag der Frau Bundesministerin von der
Leyen damit startet, dass man 30 Beitragsjahre haben
muss, um diese Rente zu erhalten? Zu den Beitragsjahren zählen auch Zeiten der Kindererziehung und der
Pflege. Ferner muss man 40 Versicherungsjahre haben,
wozu auch Jahre der Arbeitslosigkeit zählen.
({0})
- Nein. Der Vorschlag der Frau Bundesministerin von
der Leyen startet damit, dass man 30 Beitragsjahre haben muss, später sind es 35. Wir reden davon, von welchem Punkt aus wir starten. Zu diesen 30 Beitragsjahren
zählen auch Zeiten der Kindererziehung und der Pflege.
Zu den 40 Versicherungsjahren, die man haben muss,
zählen auch Zeiten der Arbeitslosigkeit.
({1})
Man muss zudem fünf Jahre in eine staatlich geförderte private Altersvorsorge oder in eine betriebliche Altersvorsorge eingezahlt haben. Die Zeiten des Arbeitslosengeld-II-Bezuges werden auf die Rente angerechnet.
Sie zählen bei den 40 Jahren mit.
Kollege Weiß, Sie sind dabei, eine Frage zu stellen.
Ich möchte Frau Kollegin Göring-Eckardt die Frage
stellen, ob sie anerkennt, dass unter diesen Startbedingungen die meisten Erwerbstätigen die Möglichkeit haben, eine Zuschussrente zu erhalten, und dass vor allem
Frauen - ich spreche sie als Abgeordnetenkollegin an von einer Zuschussrente profitieren werden.
({0})
Herr Weiß, das würde ich gerne tun, wenn dem so
wäre. Abgesehen davon, dass die Ministerin es vorgezogen hat, nicht dem Parlament ihre Vorschläge vorzulegen - das machen Sie jetzt freundlicherweise, aber das
Parlament wird erst nach dem Rentendialog informiert,
was bei dieser Bundesregierung so üblich ist; damit können wir notfalls leben -, sage ich Ihnen: 20 000 Menschen sollen im nächsten Jahr - das sagt die Ministerin von dieser Zuschussrente profitieren. 400 000 Menschen
bekommen die Grundsicherung im Alter. Zwischen diesen beiden Zahlen scheint mir doch ein gewisser Abstand zu bestehen. Es stimmt also nicht, dass tatsächlich
diejenigen von der Zuschussrente profitieren, die besonders von Altersarmut betroffen sind. Ich wäre im Grundsatz für die Zuschussrente, wenn sie nicht wieder eine
Mogelpackung nach dem Motto „Wir reden viel und machen es ganz groß“ von Frau von der Leyen wäre. Ich
befürchte: Am Schluss profitieren nur ganz wenige. Es
wird viel geredet, aber für die Menschen verbessert sich
nichts.
({0})
Ich will auf ein Argument eingehen, das Frau von der
Leyen in ihrer Rede vorhin deutlich gemacht hat, als sie
gesagt hat: Das Rentensystem kann die Veränderungen
in der Arbeitswelt und das, was im Arbeitsleben nicht
funktioniert hat, nicht ausgleichen. Mein Vorschlag ist
ganz einfach: Vielleicht kann die Rentenministerin einmal mit der Arbeitsministerin reden, sodass man tatsächlich Prävention gegen Altersarmut betreiben kann. Der
Mindestlohn ist zwar nicht das alleinige Instrument in
diesem Zusammenhang, aber wenigstens ist er eines, das
man anwenden könnte.
({1})
All die von Koalitionsseite gemachten Vorschläge
sind nichts anderes als Trostpflaster. So bekämpft man
die Altersarmut nicht. Altersarmut ist übrigens mehr, als
ein bisschen an der Rente zu drehen. Altersarmut ist
mehr als komplex: Sie bedeutet nicht nur Einkommensarmut, sondern auch schlechteres Wohnen - Sie haben
ganz nebenbei den Heizkostenzuschuss gestrichen -,
mangelhafte medizinische Versorgung; darauf gibt es
keine Reaktion. Auch gibt es keine Lösung für das Problem der geringeren Mobilität. Die Frage, wie Migrantinnen und Migranten oder auch Menschen mit BehindeKatrin Göring-Eckardt
rungen heute im Alter leben, spielt überhaupt keine
Rolle. Es geht nur mit einem Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Altersarmut und nicht mit einem Trostpflaster für einige wenige.
({2})
Das, was von der Leyen macht - sie gibt keine Antworten -, ist Budenzauber in guter Blüm’scher Tradition, nach dem Motto: Wir verschließen die Augen vor
den eigentlichen Problemen. Das ist nicht Armutsbekämpfung, sondern ein Armutszeugnis dieser Bundesregierung - ein weiteres.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner ist für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Paul
Lehrieder.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegin GöringEckardt, Sie haben sich in weiten Teilen Ihrer Rede mit
dem jetzt anstehenden Rentendialog beschäftigt. Ich
würde sagen: Thema verfehlt. Wir reden heute über den
Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und noch nicht über ein Projekt, das wir unmittelbar
nach der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente angehen wollen und für das ich unserer Arbeitsministerin ausdrücklich danken möchte. Frau von der
Leyen, was sie machen, das ist gut, das ist wichtig. Das
Ganze ist eine Baustelle; da haben Sie recht.
Ich will eines sagen: Ich habe, als die Frau Ministerin
den beginnenden Rentendialog hier vorgestellt hat, reflexartig vom linken Flügel dieses Hauses, von der Linkspartei, abermals den Ruf „Mindestlöhne!“ gehört.
({0})
Noch einmal zur Klarstellung - ich muss Ihnen schon
beim Rechnen helfen -: Um eine über die Grundsicherung hinausreichende Altersrente zu erreichen, kommt
man weder mit dem Mindestlohn, den die Gewerkschaften fordern, noch mit dem Mindestlohn, den die Linkspartei vorschlägt - derzeit sind es 10 Euro, Frau Kipping -,
hin, sondern man brauchte 12,20 Euro. Ich kann verstehen, dass man vor lauter Liebesbriefschreiben nach Kuba
nicht dazu kommt, so etwas nachzurechnen. Vielleicht
sollten Sie das einmal tun.
({1})
Meine Damen und Herren, die Gesamtausgaben für
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Jahr
2012 belaufen sich auf rund 126,6 Milliarden Euro. Im
Vergleich dazu haben wir in diesem Jahr voraussichtlich
ein Soll von 131,3 Milliarden Euro. Dies würde für das
Jahr 2012 - ich will in dieser Haushaltsdebatte auch einmal auf Zahlen eingehen - immerhin eine Einsparung
von 4,7 Milliarden Euro bedeuten. Für diese Leistung
möchte ich der Bundesregierung meine ausdrückliche
Anerkennung aussprechen. Wir haben es geschafft, die
Krise zu überstehen. Die Wirtschaft wächst und hat das
Vorkrisenniveau erreicht. Wir haben einen enormen Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.
Meine Damen und Herren der Opposition, es gibt keinen
Grund zu Schwarzmalerei: Deutschland geht es gut.
Hätte Rot-Grün das erreicht, hätte man drei Wochen auf
den Marktplätzen getanzt.
({2})
Lassen Sie uns zum Haushalt zurückkehren. Grund
für die sinkenden Gesamtausgaben ist zunächst die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit stabilen Arbeitslosenzahlen von unter 3 Millionen; 2,945 Millionen
derzeit. Dies führt zu einer deutlichen Entlastung der sozialen Sicherungssysteme. Weniger Ausgaben, mehr
Einnahmen - das rechnet sich; zu dieser Erkenntnis
dürfte auch Frau Hagedorn kommen. Positive Auswirkungen haben auch die in der Arbeitsmarktpolitik eingeplanten strukturellen Einsparungen im Rahmen des Zukunftspakets vom Juni dieses Jahres.
Frau Hinz hat vorhin ausgeführt, die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente würde letztendlich zu
einer Verschlechterung führen, weil die Fallmanager der
Jobcenter vor Ort in Zukunft weder das Geld noch die
richtigen Mittel hätten. Das Gegenteil ist richtig. Machen Sie sich die Mühe und sprechen Sie mit Ihren Jobcentern! Sprechen Sie mit der Bundesagentur!
({3})
Dort wird die Flexibilisierung ausdrücklich begrüßt.
Hätten Sie, Frau Hagedorn, sich die Mühe gemacht, am
Montag von 11 bis 14 Uhr bei der Anhörung zugegen zu
sein, dann hätten Sie gehört, dass die Bundesagentur die
Flexibilisierung ausdrücklich begrüßt, weil die Instrumente passgenauer eingesetzt werden können.
({4})
Vorredner haben bereits ausgeführt, dass es unser Bestreben ist, nicht die Arbeitslosigkeit zu fördern, sondern
die Rückkehr in Arbeit. Das heißt, die Vermittlung in Arbeit ist unser erklärtes Ziel und nicht das Verbleiben in
Arbeitslosigkeit.
Meine Damen und Herren, es wurde eben bereits darauf hingewiesen: Der Ansatz des Integrationstitels
wurde zwar insgesamt etwas reduziert; das ist richtig.
Aber prozentual, das heißt im Verhältnis zu der Anzahl
der betroffenen Personen, ist er gestiegen. Es gebietet
die Ehrlichkeit, den Mitbürgerinnen und Mitbürgern
auch das entsprechend zu sagen.
({5})
- Frau Pothmer, ich will wiederholen: Wir schärfen die
arbeitsmarktpolitischen Instrumente, und das ist gut so.
Die christlich-liberale Koalition stellt sich den Herausforderungen, die die demografische Entwicklung der
kommenden Jahre und Jahrzehnte an uns richtet. Wir gehen aktiv gegen Alters- und Kinderarmut und den Fachkräftemangel vor.
Wir verbessern weiter die Beschäftigungsbedingungen für Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Ich will einräumen: Wir haben mit dem Elterngeld und mit dem Ausbau der Krippenplätze auch mit
den Kollegen der SPD in der letzten Legislaturperiode
einiges richtig gemacht. Das kann man ja einmal neidlos
sagen. Wir entwickeln das weiter fort. Wir verbessern
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter.
Wir sorgen für eine bessere Integration unserer Migrantinnen und Migranten, um deren Potenziale zu nutzen, und wir erleichtern älteren Menschen den Zugang
zum Arbeitsmarkt. Unter welchen Voraussetzungen und
mit welchen Prämissen das erfolgen wird, werden wir in
den nächsten Wochen und Monaten diskutieren. Frau
Göring-Eckardt, Sie sind herzlich eingeladen, im Ausschuss mit uns das Für und Wider der einzelnen Maßnahmen im Rahmen des Rentendialogs zu diskutieren.
Wie meine Vorredner schon verdeutlicht haben, muss
ein vernünftiger und zukunftsorientierter Haushalt zwei
Funktionen erfüllen. Er muss für wirtschaftliches Wachstum sorgen und jedem Bürger die Möglichkeit geben,
sich zu entwickeln und einer Arbeit nachzugehen. Er
muss aber auch solide und finanzierbar sein. Diese Balance, liebe Kolleginnen und Kollegen, hält der vorliegende Haushaltsentwurf.
Meine Damen und Herren, wir haben gemeinsam beschlossen, die Schuldenbremse in das Grundgesetz aufzunehmen.
({6})
- Ja, ihr nicht; das weiß ich schon. - Dieser Schritt war
wichtig und richtig, um eine nachhaltige und zukunftsorientierte Politik zu betreiben, eine Politik für unsere
Kinder und Enkelkinder. Daran wird die christlich-liberale Koalition festhalten.
({7})
Wie wichtig die Schuldenbremse ist, haben auch Sie
heute Morgen in der Debatte von neun bis elf in diesem
Hohen Hause vernehmen können. Genau diese Schuldendisziplin muss von den Ländern eingefordert werden,
die in den letzten Jahren über ihre Verhältnisse gelebt haben. Wir sind auf einem guten Weg. Wir sollten auf diesem guten Weg voranschreiten.
Wir müssen auch im Bereich Arbeit und Soziales sparen. Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, wir haben gerade nicht einfach den Rotstift angesetzt, um zu Einsparungen zu kommen, sondern wir
haben es geschafft, durch mehr Effizienz, mehr Transparenz und strukturelle Vereinfachungen bei weniger Ausgaben nicht nur die hohe Qualität unseres sozialen Systems in Deutschland beizubehalten, sondern auch
nachhaltige Verbesserungen zu erreichen.
({8})
Erlauben Sie mir, da sich meine Redezeit so langsam
dem Ende zuneigt, auf Folgendes hinzuweisen.
Das geht schneller, als Sie glauben.
Ich habe es fast befürchtet, Herr Präsident.
({0})
Die Bundesagentur für Arbeit hat noch im Frühjahr
ein Defizit von 5,4 Milliarden Euro zum Jahresende erwartet. Mittlerweile ergeben die Prognosen einen Wert
von etwa 1,9 Milliarden Euro. Auch hier macht sich die
wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung sehr positiv
bemerkbar. Das heißt, wir werden in den nächsten Jahren
auch bei der Bundesagentur für Arbeit die richtigen Entscheidungen zugunsten unserer Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, aber auch zugunsten der Menschen treffen,
({1})
die das Pech haben, derzeit keinen Arbeitsplatz zu haben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin für
die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kollegin
Angelika Krüger-Leißner. Bitte schön, Frau Kollegin
Krüger-Leißner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Ministerin von der Leyen hat ja in ihren
Eingangsworten wieder versucht, uns glauben zu machen, dass sie mit diesem Haushalt alles bewältige: Alle
wichtigen arbeitsmarktpolitischen und sozialpolitischen
Aufgaben wolle sie damit bewältigen. Wir sehen das
ganz anders. Im Übrigen stehen wir damit nicht allein.
Dieser Haushalt zeigt dramatische Fehlentwicklungen in
der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf. Im Übrigen bestätigen Ihnen, Frau Ministerin, das auch die Länder, die
Kommunen, die Verbände, die Sozialträger, die Träger
im Umfeld der Arbeitsmarktpolitik. Nicht zuletzt in der
Anhörung am Montag - da waren Sie ja nicht zugegen wurde ein vernichtendes Urteil über Ihre Instrumentenreform gefällt.
({0})
Die Instrumentenreform hat zusammen mit den Kürzungen beim Eingliederungstitel in Höhe von 4 Milliarden
Euro verheerende Auswirkungen und stellt letztlich
nichts anderes dar als eine Kürzungsorgie.
({1})
- Oh, ich war von Anfang bis Ende da.
({2})
Aber es hat sich ja schon öfter gezeigt, dass bei Ihnen
Reden und Handeln keine Einheit mehr bilden.
Ich habe mir Ihre Kürzungsvorschläge genau angeschaut. Dabei ist mir ein Bild vor Augen gekommen: In
Brandenburg finden wir sehr viele Biber. Wenn ich an
der Havel entlangfahre, sehe ich diese freundlichen Zeitgenossen. Sie nagen und nagen so lange am Baumstamm, bis er instabil wird, ins Wanken gerät und
schließlich umfällt. Genau dieses Bild spiegelt sich in
Ihren Kürzungsplänen wider.
({3})
Sie nagen bereits in diesem Jahr mit der Umsetzung
der ersten Sparbeschlüsse am soliden Fundament der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Im Bereich der BA und
des SGB II werden rund 2 Milliarden Euro gekürzt. Für
das nächste Jahr planen Sie eine Verdopplung der Kürzungen auf dann sage und schreibe 4 Milliarden Euro allein in diesem Bereich. Ich finde, das ist ungeheuerlich
und entspricht weder den Anforderungen an eine aktive
Arbeitsmarktpolitik noch den Erwartungen der Menschen auf Teilhabe. Für diese Prioritätensetzung im
Haushalt tragen Sie allein die Verantwortung.
({4})
Bei der BA wollen Sie bis 2015 nur im SGB-III-Bereich
11,5 Milliarden Euro einsparen. Dazu kommt noch ein
Verlust durch das Wegfallen der Einnahmen aus einem
halben Mehrwertsteuerpunkt.
Dieses ununterbrochene Nagen, um im Bild zu bleiben, führt zu leeren Kassen bei der BA und lässt die BA
ins Wanken geraten. Das hat Ihnen der Chef der BA,
Frank-Jürgen Weise, bereits Anfang Februar gesagt. Er
hat Sie mit folgenden Worten gewarnt:
Und die 3,0 Prozent
- also der aktuelle Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung reichen so gerade eben aus, das operative Geschäft
zu finanzieren. Sie reichen nicht, um Defizite infolge der Krise abzubauen oder gar ein Polster für
die nächste Krise aufzubauen.
Ich frage Sie nun: Warum hören Sie eigentlich nicht
auf Ihre Experten? Hat nicht in der Vergangenheit die solide Finanzsituation der BA dazu beigetragen, dass wir
seit 2008 gut durch die Krise gekommen sind und dank
des Kurzarbeiterprogramms Arbeitsplätze erhalten werden konnten? Ist das alles schon vergessen? Aus meiner
Sicht ist gerade angesichts der anhaltenden weltweiten
Finanzkrise und ihrer möglichen Auswirkungen auf die
konjunkturelle Entwicklung die Bildung von Rücklagen
bei der BA unverzichtbar. Eine Schwächung der BA
können wir uns einfach nicht leisten.
({5})
Mein Fazit ist, dass Sie Ihre Prioritäten falsch gesetzt haben.
Ich will aber nicht nur meckern, ich will Ihnen auch
einen Vorschlag machen.
({6})
- Ja, mit erheblichen Einsparungen. Sie werden staunen. Hören Sie doch auf Ihre Kollegen bei der CDA. Diese
haben nämlich vor einigen Tagen einen klugen Beschluss gefasst. Ich weiß, dass Ihnen das nicht passt,
aber es sind kluge Köpfe dabei, nicht nur der Vorsitzende, Herr Laumann; auch der Stellvertreter des Bundesvorsitzenden, Herr Brauksiepe, der ja Ihr Staatssekretär ist, und Herr Schiewerling sowie, wie ich nachlesen
konnte, Herr Weiß sind in der CDA.
({7})
Sie alle haben sich dazu durchgerungen, zu beschließen,
dass es einen allgemeinen flächendeckenden Mindestlohn geben muss. „Endlich!“, kann ich da nur sagen.
({8})
Ich kann jetzt nur noch hoffen, dass Frau Ministerin
von der Leyen diesen klugen Vorschlag aufgreift und
entsprechende Prioritäten setzt. Hier kann sie nämlich
sparen. Fast 7 Milliarden Euro kann sie mit der Einführung des Mindestlohns einsparen.
Frau von der Leyen, lassen Sie sich nicht von dieser
FDP aufhalten!
({9})
Hören Sie auf die Vertreter des Sozialflügels Ihrer Partei! Es ist noch Zeit, die Prioritäten in diesem Haushalt
zu verändern.
Danke.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Jetzt für die Fraktion
der CDU/CSU unser Kollege Axel Fischer. Bitte schön,
Kollege Axel Fischer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich manche Aussagen der Kolleginnen und Kollegen Revue passieren lasse, dann frage ich mich, in welchem Land sie
eigentlich leben oder was sie heute Morgen zu sich genommen haben.
({0})
Wenn die Kollegin Hinz noch da wäre - sie hat bestimmt
gute Gründe, nicht da zu sein -, würde ich ihr sagen:
Was wir für Eingliederung und Verwaltung für das Jahr
2012 vorsehen, nämlich 8,5 Milliarden Euro, ist der
gleiche Betrag wie in 2007. Es gibt nur einen kleinen
Unterschied: Im Vergleich zu 2007 wird die Zahl der
Arbeitslosen im SGB-II-Bezug jetzt nur noch auf
1,861 Millionen geschätzt. Es steht also deutlich mehr
Geld pro Arbeitslosem zur Verfügung. Das muss man
hier auch einmal deutlich sagen.
({1})
Der vorliegende Haushaltsentwurf trägt eindeutig die
Handschrift der christlich-liberalen Koalition.
({2})
Darin ist deutlich die Orientierung an unseren Zielen zu
erkennen: die Menschen wieder in Arbeit zu bringen und
den Bundeshaushalt zu konsolidieren.
Die geplanten Ausgaben von 126,6 Milliarden Euro
im Einzelplan 11 liegen um knapp 5 Milliarden Euro unter den Ansätzen des laufenden Jahres. Das ist möglich
ohne Einschnitte bei der Rente, mit erhöhten Hartz-IVRegelsätzen und mit verstärkter Übernahme der Kosten
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
durch den Bund. Die erheblich gesunkenen Haushaltsansätze sind ein erfolgreicher Beitrag zur notwendigen
Haushaltskonsolidierung und zur Zurückführung der
Neuverschuldung des Bundes. Dieser Beitrag wäre ohne
die entschlossene und zielgerichtete Arbeit der christlich-liberalen Koalition und der Frau Bundesministerin
von der Leyen in den letzten beiden Jahren nicht möglich gewesen.
({3})
Er ergibt sich im Wesentlichen aus der geplanten Absenkung der Ausgaben im Bereich des Arbeitsmarktes.
Diese Absenkung ist nur möglich geworden, weil wir die
Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft haben und weiter
bekämpfen werden.
Gleichzeitig steigen die Ausgaben für die Sozialversicherung um mehr als 3 Milliarden Euro auf jetzt 84 Milliarden Euro, davon 82 Milliarden Euro für die Rentner;
das sind etwa zwei Drittel des Arbeits- und Sozialhaushalts. Mit diesem Aufwuchs setzen wir trotz allem notwendigen Sparen ein Zeichen dafür, wie wichtig uns ein
sicheres Auskommen für unsere Rentner ist; denn Rente
ist Lohn für Lebensleistung.
({4})
Auch wenn es durch manch andere politische Diskussion derzeit überdeckt wird: Der bisherige Kurs der
christlich-liberalen Koalition, orientiert am Leitbild der
Leistungsgerechtigkeit, war mit Blick auf den Arbeitsmarkt sehr erfolgreich. Es ist uns gelungen, seit 2009 die
Zahl der Arbeitslosen um 500 000 zu reduzieren, von
3,4 auf nur noch 2,9 Millionen. Für das kommende Jahr,
2012, erwarten wir nur noch gut 2,6 Millionen Arbeitslose. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen im SGB-IIBezug ist in diesem Zeitraum um 200 000 auf knapp
2 Millionen gesunken.
Das sind weniger Arbeitslose, als jeder der Anwesenden noch vor zwei Jahren gedacht bzw. erhofft hätte. Das
ist es, was wichtig ist für unser Land. Die christlich-liberale Koalition hat vielen Menschen nicht nur Hoffnung
auf ein selbstbestimmtes Leben mit Arbeit gegeben;
vielmehr haben wir die Menschen tatsächlich in Arbeit
gebracht.
({5})
Ich rede hier nicht von staatlicher Beschäftigung, von
statistikschönendem Parken von Arbeitslosen in mehr
oder weniger sinnvollen Schulungen; nein, viele Menschen haben in den letzten zwei Jahren die Erfahrung
machen können, dass sie im ersten Arbeitsmarkt bestehen, dass sie ohne staatlichen Schutzraum aus eigener
Kraft ihr Auskommen haben und für sich und ihre Familien sorgen können. Das ist es, was für die Menschen im
Land zählt. Mit zielgerichteter und angemessener Hilfe
für jeden Einzelnen fahren wir fort.
({6})
So erfreulich diese Entwicklung ist, so positiv ist auch
die Wirkung auf den Bundeshaushalt: Erheblich weniger
Arbeitslose - das bedeutet erhebliche Potenziale für Einsparungen. Wir haben Spielräume eröffnet, die wir dringend zur Haushaltskonsolidierung brauchen, zum Abbau
der Neuverschuldung und für viele andere Dinge mehr.
Wir werden die Menschen sicher nicht durch noch höhere steuerliche Belastungen ihres Einkommens für
mehr und bessere Leistungen motivieren können. Es ist
doch geradezu absurd, Menschen mit viel Mühe zu qualifizieren und in produktive Arbeit zu bringen, wenn sie
hinterher aufgrund der Steuer- und Abgabenlast nicht
mehr haben als ein Arbeitsloser.
({7})
Nein, wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet. Mit steigender Steuer- und Abgabenlast werden
wir keinen wirtschaftlichen Aufschwung fördern können.
Leistungsgerechtigkeit in einer Verantwortungsgemeinschaft - dieses Leitbild bringt uns weiter als das
Leitbild von Verteilungsgerechtigkeit in einer Gemeinschaft mit beschränkter Haftung. „TEAM“ darf nicht zur
Abkürzung für den Satz: „Toll, ein anderer macht’s“
werden.
Axel E. Fischer ({8})
Nicht nur die sinkende Zahl der Arbeitslosen bringt
Entlastung für den Haushalt; vielmehr ermöglichen insbesondere Effizienzverbesserungen bei der Arbeitsmarktvermittlung im Bereich von SGB II erhebliche Einsparungen.
({9})
Dies ist ein Verdienst der Umstrukturierung der Arbeitsvermittlung, wie sie in den vergangenen Jahren erfolgt
ist. Ausgangspunkt war vor sieben Jahren der Streit um
die Aufgabenwahrnehmung bei der Arbeitsvermittlung.
({10})
Mit der Zulassung unterschiedlicher Träger - kommunaler und der Bundesagentur - wurde damals die Saat
ausgebracht für die Früchte, die wir heute ernten können.
Denn nur durch dieses gelungene Experiment konnten
vielfältige Erfahrungen in allen Teilen Deutschlands gesammelt werden. Diese Erfahrungen sind die Grundlage
für die heutige, vielerorts sehr erfolgreiche Vermittlungstätigkeit bei Jobcentern.
Dass dies bis heute so erfolgreich umgesetzt wurde,
ist nicht zuletzt auch Verdienst der Bundesagentur für
Arbeit. Unter Leitung von Herrn Weise hat sich die Bundesagentur in den letzten Jahren permanent weiterentwickelt, hat die politischen Entscheidungen erfolgreich
umgesetzt und praktikable Lösungen für den Arbeitsmarkt erarbeitet.
({11})
Aufbauend auf diesen positiven Erfahrungen gehen
wir schon einen Schritt weiter. Mit der Internetvergleichsplattform für den SGB-II-Bereich ermöglichen
wir es Kommunalpolitikern und anderen Menschen, zu
jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit die Jobcenter in
ihrer Region und darüber hinaus anzuschauen und entsprechend zu bewerten.
({12})
Sie sehen, wir nutzen auch die neuen Medien intensiv.
Ich glaube, auch da sind wir auf einem guten Weg. Ich
möchte an dieser Stelle Herrn Staatssekretär Fuchtel ansprechen, der sich hier in besonderer Weise verdient gemacht hat. Herzlichen Dank für diesen Einsatz!
({13})
Sie sehen, der vorgelegte Haushaltsentwurf ist eine
ideale Grundlage, um bei intensiven Diskussionen in den
Ausschüssen zu einem Etat zu kommen, der die Ziele,
die wir uns setzen - Leistungsgerechtigkeit, Senkung der
Arbeitslosigkeit und Haushaltskonsolidierung -, in
Übereinstimmung bringt.
Herzlichen Dank.
({14})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Letzte Rednerin in dieser Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Bettina Hagedorn. Bitte schön, Frau Kollegin Hagedorn.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Als letzte Rednerin in dieser Runde sage ich:
Herr Kollege Fischer, Sie haben gerade eben gemeint,
die Opposition habe heute ausnahmslos etwas Komisches getrunken, um zu einer ganz anderen Wahrnehmung des Einzelplans 11 zu kommen als Sie.
({0})
Den Eindruck hat, glaube ich, die Opposition bei den
Redebeiträgen von FDP und CDU/CSU in der heutigen
Runde. Wir haben es also nicht nur mit einem gespaltenem Arbeitsmarkt, sondern offensichtlich auch mit einer
gespaltenen Wahrnehmung zu tun.
({1})
Darum will ich ein bisschen zur Aufklärung beitragen. Frau Ministerin von der Leyen, Sie haben mit dem
Hinweis darauf eingeleitet, der Etat betrage 18 Milliarden Euro weniger als noch in Krisenzeiten, und das sei
möglich dadurch, dass man am Arbeitsmarkt so erfolgreich gewesen sei. Das ist richtig. Richtig ist auch, dass
wir alle uns darüber freuen und dass alle in der Regierungskoalition, die uns unterstellen wollen, wir würden
uns darüber nicht freuen, vollkommen schief gewickelt
sind. Wir freuen uns darüber. Der Punkt ist nur: Politik
darf sich, wenn es gut geht, nicht im Feiern einer Party
genügen. Wir sind im Moment in einer konjunkturell guten Zeit; darüber freuen wir uns.
({2})
Gerade im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik ist es
aber unsere Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen,
die Sicherheit für die Zukunft geben;
({3})
das hat sogar der Kollege Schiewerling hier gesagt.
Wenn das unser Ziel sein soll, dann ist der Etat ungenügend. Das ist er deshalb, Frau von der Leyen, weil die
18 Milliarden Euro an Ersparnis, die Sie hier angesprochen haben, eine konjunkturelle Rendite darstellen, die
jede Regierung, egal wie sie heißt, im Haushalt abbilden
würde. Das ist sozusagen Sparen im Schlafwagen. Diese
Rendite ist das Ergebnis einer guten und vorsorgenden
Arbeits- und Sozialpolitik mitten in der Krise, damals
gemeinsam in der Großen Koalition.
Es ist aber Fakt, dass es leider nicht immer so bleiben
muss: Es gibt nicht nur von der OECD Hinweise darauf,
dass wir beim Haushalt 2012 - über den sprechen wir
hier - nicht unbedingt davon ausgehen können, dass es
immer so gut weitergeht wie bisher.
Wie sind eigentlich Ihr Haus und die Bundesagentur
für Arbeit als wichtiger Player in diesem Feld gerüstet?
Die Bundesagentur für Arbeit, die hier schon angesprochen worden ist, hatte 2008 dank unserer gemeinsamen
Politik noch eine Rücklage von 17 Milliarden Euro. Darum war die Bundesagentur für Arbeit in der Lage, in der
Krise die von uns gewünschten Instrumente, etwa das
Kurzarbeitergeld, einzusetzen. 2009 blieb dann von dieser Rücklage aufgrund eines Defizits von 15 Milliarden
Euro logischerweise kaum noch etwas übrig. 2010 - da
waren wir uns sogar einig - haben wir den Abbau des
Defizits bei der Bundesagentur für Arbeit bezuschusst.
Jetzt erhält sie ein Darlehen.
Sie von der Regierung waren vor neun Monaten der
Meinung, dass die Bundesagentur für Arbeit 2011 und
2012 ein Bundesdarlehen in Höhe von 7,4 Milliarden
Euro in Anspruch nehmen müsse. Dank der guten Konjunkturdaten, über die wir alle uns freuen, prognostizieren
Sie jetzt - Frau Dr. Winterstein hat es vorhin gesagt -,
dass die Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr ein
Darlehen von nur 1,9 Milliarden Euro braucht, schon im
nächsten Jahr 1 Milliarde Euro davon zurückzahlt und ab
2013 wieder eine Rücklage bildet. Sie haben aber nicht
einkalkuliert, dass es möglicherweise auch anders kommen kann.
Sie von der Regierung haben aber im Sommer 2010
das sogenannte Zukunftspaket - das Kürzungspaket,
über das wir hier reden - auf den Weg gebracht, damit
die Schuldenbremse eingehalten wird. Dieses Kürzungspaket umfasst strukturelle Kürzungen. Für diejenigen am
Fernseher, die es nicht verstehen: Strukturelle Kürzung
bedeutet, dass Sie diese Milliardenbeträge in jedem Fall
kürzen, völlig egal, wie sich die Arbeitslosigkeit und die
Krise weiterentwickeln. Das Geld steht also weder der
Bundesagentur für Arbeit noch in Ihrem Bereich zur
Verfügung. Wir reden hier über Summen von über
20 Milliarden Euro; die Zahlen sind schon genannt worden.
Weil sich viele Menschen in der letzten Zeit bei hohen
Beträgen, gerade im Milliardenbereich, nicht mehr richtig vorstellen können, was sich dahinter verbirgt, sage
ich Ihnen jetzt konkret, was das eigentlich für das Land
Berlin bedeutet.
({4})
Man muss dazu wissen, dass diese Kürzungen sehr unterschiedlich wirken; das haben wir in der Vergangenheit
schon besprochen. Der Deutsche Paritätischen Wohlfahrtsverband hat als Sachverständiger dem Haushaltsausschuss eine bemerkenswerte Studie dazu vorgelegt.
Sie zeigt, dass es gerade in den östlichen Bundesländern
und den Stadtstaaten zu einem Kahlschlag kommt, der
noch größer als in anderen Bereichen ist. Auch in den
strukturschwachen Flächenländern im Westen und Norden ist es schlimm. Baden-Württemberg und Bayern
kommen praktisch ohne Kürzung davon.
Was bedeutet es also für Berlin? Berlin hat durch das
Sparpaket in diesem Jahr für den SGB-II-Bereich, also
für die Jobcenter, nur - so könnte man sagen 136,5 Millionen Euro weniger erhalten; im Bereich der
Bundesagentur für Arbeit waren es rund 80 Millionen
Euro weniger. Das sind in diesem Jahr summa summarum über 200 Millionen Euro. Man muss aber sagen: Die
Kürzungen wurden in diesem Jahr durch die brummende
Konjunktur abgefedert.
Ich zeige jetzt exemplarisch für Berlin, wie es 2012
weitergeht. 2012 werden sich die Kürzungen im SGB-IIBereich auf 226 Millionen Euro fast verdoppeln. 2013
werden es - nur im SGB-II-Bereich - schon über
400 Millionen Euro sein. 2014 und 2015 werden es jeweils knapp 540 Millionen Euro sein. Das summiert sich
bis 2015 in Berlin auf Kürzungen von sage und schreibe
1,7 Milliarden Euro. Dazu kommen die Kürzungen im
Bereich der Bundesagentur für Arbeit. Diese summieren
sich bis 2015 für Berlin auf 611 Millionen Euro. Summa
summarum ergibt sich allein für Berlin bis 2015 ein
Kahlschlag von 2,3 Milliarden Euro.
Das bedeutet, dass die engagierten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in den Jobcentern und in der Bundesagentur für Arbeit nicht wissen, wie sich dies auswirken
wird. Sie arbeiten nämlich mit Langzeitarbeitslosen und
mit Arbeitslosen, und wir können heute noch gar nicht
wissen, wie viele wir davon in den nächsten Jahren aufgrund von möglicherweise krisenhaften Entwicklungen
in anderen Teilen der Welt, von denen wir als exportabhängiges Land abhängig sind, haben werden, Frau von
der Leyen. Weder die Bundesagentur für Arbeit noch Sie
oder Ihre möglichen Nachfolger haben dann im Rahmen
des Haushalts noch irgendetwas in der Hand, um präventiv tätig werden zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Katastrophe.
({5})
Ich muss zum Schluss kommen. Frau von der Leyen,
Sie sind von Frau Dr. Winterstein dafür gelobt worden,
wie brav Sie das Sparpaket umsetzen.
({6})
Das sollte Sie stutzig machen. Von der FDP, die die BA
schon immer auf dem Kieker hatte, so gelobt zu werden,
bedeutet eigentlich, dass Sie im Kabinett Ihren Job verfehlt haben. Von Ihnen war der geringste Widerstand gegen dieses Sparpaket zu spüren. Kollegen von Ihnen waren da erfolgreicher als Sie. Das ist bitter für die
Menschen, für die Sie Verantwortung tragen.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
mir nicht vor.
Vizepräsident Eduard Oswald
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 3 a bis e sowie Zusatzpunkte 3 a bis d
auf:
3 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Umweltauditgesetzes
- Drucksache 17/6611 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verleihung der Rechtsfähigkeit an das Gemeinsame
Wattenmeersekretariat - Common Wadden
Sea Secretariat ({1}) ({2})
- Drucksache 17/6612 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 21. Oktober 2010 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Groß-
herzogtum Luxemburg über die Erneuerung
und Erhaltung der Grenzbrücke über die Mo-
sel zwischen Wellen und Grevenmacher
- Drucksache 17/6615 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beherbergungsstatistikgesetzes und
des Handelsstatistikgesetzes
- Drucksache 17/6851 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Innenausschuss
Ausschuss für Tourismus
e) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2010
- Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2010 -
- Drucksache 17/6009 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
ZP 3 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung von Vorschriften über Verkündung und
Bekanntmachungen
- Drucksache 17/6610 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johanna
Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Universaldienste für Breitband-Internetanschlüsse jetzt
- Drucksache 17/6912 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5})
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr
Studienplätze, bessere Studienbedingungen und
höhere Lehrqualität schaffen
- Drucksache 17/6918 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Memet Kilic, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Anerkennung ausländischer Abschlüsse tatsächlich voranbringen
- Drucksache 17/6919 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis c sowie Zusatzpunkt 4 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 4 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Haushaltsausschusses ({8})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2009
- Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2009 14632
Vizepräsident Eduard Oswald
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2009
- Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2009 - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2010 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung
des Bundes ({9})
- zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2010 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung
des Bundes
- Weitere Prüfungsergebnisse -
- Drucksachen 17/1500, 17/2305, 17/3650, 17/3956
Nr. 3, 17/5350, 17/5820 Nr. 5, 17/6423 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Luther
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung schlägt der
Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung der
Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2009 vor. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemo-
kraten. Gegenprobe! - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und Linksfraktion. Enthaltungen? - Keine. Somit ist die
Beschlussempfehlung angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufor-
dern, a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bun-
deshaushaltspläne die Feststellungen des Haushaltsaus-
schusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungs-
hofs zu befolgen, b) Maßnahmen zur Steigerung der
Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entschei-
dungen des Ausschusses einzuleiten oder fortzuführen,
c) die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit
eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den Haushaltsberatungen gewährleistet ist. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion der Sozialdemokraten, die Fraktion Die
Linke. Gegenprobe! - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist somit angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({10})
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2010
- Einzelplan 20 - Drucksachen 17/5385, 17/6424 Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Kruse
Carsten Schneider ({11})
Michael Leutert
Priska Hinz ({12})
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, also
für die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? Ich sehe, das sind alle Fraktionen des Hauses. Vorsichtshalber: Gegenprobe! - Keine. Enthaltungen? - Auch
keine. Die Beschlussempfehlung ist somit angenommen.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, also
für die Erteilung der Entlastung? - Ich sehe, das sind alle
Fraktionen. Vorsichtshalber: Gegenprobe! - Das ist nicht
der Fall. Enthaltungen? - Auch niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({13})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich
Lange, Dirk Fischer ({14}), Arnold Vaatz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick
Döring, Werner Simmling, Oliver Luksic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Sicherheit im Eisenbahnverkehr verbessern Streckennetz mit Sicherungssystemen ausstatten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Waltraud Wolff ({15}),
Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth ({16}), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus dem Zugunglück von
Hordorf ziehen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Umgehend die Konsequenzen aus dem Unglück von Hordorf ziehen
- Drucksachen 17/5046, 17/4854, 17/4840,
17/6131 Berichterstattung:
Abgeordnete Werner Simmling
Dr. Anton Hofreiter
Vizepräsident Eduard Oswald
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/5046
mit dem Titel „Sicherheit im Eisenbahnverkehr verbessern - Streckennetz mit Sicherungssystemen ausstatten“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Keiner. Enthaltungen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Somit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 4 c. Unter
Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/4854 mit dem Titel „Konsequenzen aus dem Zugunglück von Hordorf ziehen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Die Linksfraktion,
die Fraktion der Sozialdemokraten und die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4840 mit dem
Titel „Umgehend die Konsequenzen aus dem Unglück
von Hordorf ziehen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das ist die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung
ist angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 4:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit
zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung
- Drucksache 17/6670 Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 17/6670? Das sind alle Fraktionen dieses Hauses. Vorsichtshalber:
Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Auch
niemand. Der Antrag ist somit angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die
Haushaltsberatungen fort und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30.
Ich darf das Wort der Frau Bundesministerin
Dr. Annette Schavan erteilen. Bitte schön, Frau Bundesministerin, Sie haben das Wort.
({17})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zu den vornehmsten Aufgaben einer vorausschauenden, werteorientierten Politik
gehört es, die Zukunftschancen der jungen Generation
zu sichern. Das ist das große Thema dieser Bundesregierung. Das ist der Auftrag des BMBF. Die Zukunftschancen der jungen Generation zu sichern, das entscheidet
über die Zukunftsfähigkeit der gesamten Gesellschaft.
Wir machen uns in diesen Tagen im Kontext der Debatten über Europa Gedanken über die nächsten Generationen. In all diesen Debatten wird deutlich: Die große
Frage in Europa wird sein: Welche Agenda ist notwendig, um den nächsten Generationen gute Zukunftschancen zu geben? Da stehen im Mittelpunkt: Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung.
({0})
Diese Haushaltsberatungen sind auch so etwas wie
eine Zwischenbilanz dieser vierjährigen Legislaturperiode. Zur Zwischenbilanz gehört: In Deutschland gibt
es heute mehr Forscher und weniger Schulabbrecher.
Mehr junge Menschen beginnen ein Studium. Es gibt
mehr Bildungsaufsteiger. Bei den weltmarktrelevanten
Patenten gehören wir im globalen Vergleich zur Spitzengruppe und liegen weit vor den traditionellen Innovationsnationen Japan und USA. Im Ranking der weltweit
wettbewerbsfähigsten Länder hinsichtlich der Innovationen steht Deutschland auf Platz drei. Diesen Platz haben
wir erreicht, weil es in Deutschland viele innovative Unternehmen sowie großartige Hochschulen und Forschungseinrichtungen gibt und weil es in den letzten Jahren gelungen ist, die an Innovationen beteiligten Akteure
in einem großen Projekt der gesamten Bundesregierung,
der Hightech-Strategie, zusammenzubringen. Auch in
Zukunft muss uns leiten, alle Akteure zusammenzubringen und an Zukunftsprojekten zu arbeiten, mit denen wir
die große Innovationskraft unseres Landes erhalten und
weiter ausbauen können, weil das die Quelle für künftigen Fortschritt und Wohlstand ist.
({1})
Ich will das in Zahlen ausdrücken: Der Etat des
BMBF wird 2012 auf 12,8 Milliarden Euro steigen.
({2})
- „Auf“ habe ich gesagt: auf 12,8 Milliarden Euro steigen.
({3})
Wenn Sie eine Vergleichszahl brauchen, um diese Zahl
bewerten zu können, nenne ich Ihnen gerne die Zahl aus
dem letzten Jahr der rot-grünen Bundesregierung: Damals hatte der Haushalt ein Volumen von 7,6 Milliarden
Euro, was auch nicht schlecht war.
({4})
- Lieber Herr Hagemann, wenn ich mir diese zwei Zahlen vor Augen führe, beginne ich, zu verstehen, warum
Sie in jedem Jahr, pünktlich zu den Haushaltsberatungen, in Berlin etwas streuen - irgendeinen finden Sie immer, der das dann auch schreibt; irgendwann einmal stellen wir alle Beiträge zusammen -: Von der Leyen lässt
sich rasieren, und Schavan wird die Geldsäcke nicht los.
Mit Verlaub, das erinnert mich an Dinner for One: Same
procedure as every year.
({5})
Die Geschichte geht jedes Jahr gleich aus. Pünktlich
zum Ende eines jeden Haushaltsjahres wird klar, dass
das Geld, das dieses Parlament für von diesem Parlament beschlossene Projekte und Initiativen zur Verfügung gestellt hat, ausgegeben wurde.
({6})
Dinner for One ist amüsant; dagegen ist das, was Sie
tun, schlicht unseriös. Das ist der Unterschied.
({7})
Zu den konkreten Zwischenergebnissen dieser Legislaturperiode gehört, wie ich finde, die ausgesprochen positive Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt. Das
zeigt sich gerade jetzt, im September. Diese Entwicklung
hat natürlich mit der demografischen Entwicklung in
Deutschland zu tun; dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Tatsache ist aber auch, dass im
Vergleich zum vergangenen Jahr - das sagt die Bundesagentur für Arbeit - über 10 Prozent mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden.
Die Bewerberzahlen sind um 2,5 Prozent gesunken.
Rund 91 000 Stellen sind noch unbesetzt. 88 000 junge
Leute sind noch unversorgt.
({8})
Die Bilanz wird von Jahr zu Jahr besser; das ist gut. Dabei ist immer wieder festzustellen, dass die duale Berufsausbildung in Deutschland - und damit verbunden die
Bereitschaft der Unternehmen, auszubilden - eine tragende Säule ist, wenn es um die Sicherung der Zukunftschancen der jungen Generation geht.
({9})
Zwei weitere Maßnahmen möchte ich in diesem Zusammenhang nennen, weil ich ihnen große Bedeutung
beimesse. Das eine ist der Deutsche Qualifikationsrahmen. Ich gehe davon aus, dass wir hier schon zum
Schuljahr 2012 Konsens zwischen den Sozialpartnern,
den Ländern und dem Bund haben werden. Dann kann
tatsächlich erreicht werden, worüber wir viele Jahre gesprochen haben: eine Gleichwertigkeit von beruflicher
und allgemeiner Bildung.
({10})
Das heißt, dass das Abitur und anspruchsvolle berufliche
Bildung auf einer Stufe stehen. Das halte ich für einen
ganz wichtigen Punkt. Das ist ein großer Fortschritt mit
Blick auf die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung.
({11})
Das Zweite sind die Bildungsketten; auch das ist uns
wichtig. Ich habe gerade die Zahl 1,5 Millionen gehört.
Natürlich, 1,5 Millionen junge Leute bis 25 Jahre
({12})
sind ohne Berufsausbildung. Das heißt, es war richtig,
dass wir uns entschieden haben, nicht zu warten, bis sie
ohne oder mit schwachem Schulabschluss die Schule verlassen, sondern mit mehr individueller Förderung, mehr
Berufsorientierung und mehr persönlicher Begleitung
früher anzusetzen. Auch das ist ein großer Fortschritt. Wir
wollen, dass jeder junge Mensch in Deutschland einen
Schulabschluss und eine Ausbildung bekommt und die
Möglichkeit zu einem guten Berufseinstieg hat.
({13})
2005 haben 37 Prozent eines Jahrgangs ein Studium
begonnen. Wir haben damals in den Koalitionsvertrag
geschrieben, dass wir die Zahl auf 40 Prozent steigern
wollen. 2010 liegt diese Quote bereits bei 46 Prozent.
({14})
Das heißt, die Lust aufs Studieren war noch nie so groß
wie heute. Die jungen Leute wissen, dass es eine tolle
Sache ist und dass es gute Angebote gibt. Sie wissen,
dass die Studienfinanzierung verbessert worden ist. Um
es noch einmal in Zahlen zu sagen - ich bin dem Parlament dafür dankbar, dass wir das gemeinsam auf den
Weg gebracht haben -: Im Januar 2012 werden die Länder vom Bund 1,14 Milliarden Euro für den Ausbau des
Studienangebots bekommen. Im Jahr 2011 haben sie bereits 600 Millionen Euro bekommen. Wir werden eine
halbe Million neuer Studienplätze in einem überschaubaren Zeitraum schaffen. Das ist ein Fortschritt, den es
in keinem anderen europäischen Land gibt.
({15})
Wir verbessern die Bildungsfinanzierung: Förderbeiträge, Freibeträge, Modernisierung, Internationalisierung,
eine deutliche Steigerung der Zahl derer, die BAföG bekommen - 8 Prozent wurden zusätzlich aufgenommen -,
Zuwachs bei den Begabtenförderungswerken und das
Deutschlandstipendium.
({16})
- Das passt Ihnen auch nicht; das weiß ich. Wir können
gerne weiter darüber streiten. - Am Ende der Legislaturperiode werden wir Bilanz ziehen.
({17})
Das ist ein richtiges, wichtiges und überfälliges Element
der Bildungsfinanzierung in Deutschland.
({18})
Eine wichtige Maßnahme ist das Anerkennungsgesetz. Ich möchte diese Haushaltsdebatte nutzen, alle, die
mit uns über das Anerkennungsgesetz diskutieren, zu
bitten, Sorge dafür zu tragen, dass wir es jetzt zügig verBundesministerin Dr. Annette Schavan
abschieden. Bitte lassen Sie sich nicht auf den verschiedenen Ebenen alles Mögliche einfallen, über das man
noch diskutieren könnte. Bis zu 300 000 Bürgerinnen
und Bürger warten darauf, dass dieser Gesetzentwurf
verabschiedet wird und dass sie endlich die Möglichkeit
haben, ihren im Ausland erworbenen Abschluss anerkannt zu bekommen. Das ist ein wichtiger Schritt der Internationalisierung. Das ist ein wichtiger Schritt der Gerechtigkeit. Im Übrigen ist es eine, wie ich finde, nicht
mehr haltbare Situation, dass wir in Zeiten, in denen wir
über Fachkräftemangel sprechen, viele Fachkräfte in
Deutschland haben, die hier nicht eingesetzt werden
können. Deshalb ist es meine herzliche Bitte - das sage
ich bewusst an die Länder und an alle Akteure -, jetzt
dieses Gesetz einzuführen und umzusetzen. Es ist ein
wichtiges Element der Deckung des Fachkräftebedarfs
in Zukunft.
({19})
In den nächsten Wochen und Monaten wird uns, die
Länder und den Bund, das Thema Alphabetisierung beschäftigen. Auch hier - das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für alle europäischen Länder; aber das ist
kein Argument - müssen wir gemeinsam mit den Unternehmen ansetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass unter
dem Stichwort „Weiterbildung“ bessere Möglichkeiten
angeboten werden. Der Bund ist bereit, da zu investieren. Ich appelliere an die Länder, es auch zu tun. Es kann
nicht sein, dass der Bund investiert und die Länder dann
auf die Idee kommen, dort sparen zu können, weil der
Bund zahlt. Die Rechnung geht nur auf, wenn sich Bund
und Länder gemeinsam engagieren.
({20})
Das gilt auch für dieses wichtige Thema.
Zu dem, was Wissenschafts- und Forschungspolitik
ausmacht - manche Kolleginnen und Kollegen haben es
gestern Abend bei der Eröffnung der Science Gallery der
Max-Planck-Gesellschaft erlebt -, gehört der verstärkte
Dialog über Wissenschaft und Forschung.
({21})
Dazu gehören die Bürgerdialoge, an denen sich viele
Bürgerinnen und Bürger beteiligen, ob zur HightechStrategie oder zur künftigen Energieversorgung. Dazu
gehören viele neue Wege der Kommunikation, um nicht
nur mit Zahlen, finanziellen Investitionen und neuen
Konzepten zu wirken, sondern auch Sorge dafür zu tragen, dass die Wissenschaft im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes in die Mitte der Gesellschaft getragen wird.
Alles in allem, so finde ich, ist das eine gute Zwischenbilanz, an der viele, auch in diesem Haus, mitgewirkt haben. Das ist das Fundament, um in den nächsten
zwei Jahren weiter voranzukommen. Unser Ziel muss
sein, auch mit Blick auf die europäischen Debatten,
Sorge dafür zu tragen, dass die Zukunftschancen der jungen Generation in Deutschland sichere Chancen sind.
Vielen Dank.
({22})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin. - Nächste Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Dagmar Ziegler. Bitte schön,
Frau Kollegin Ziegler.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Schavan, Sie sind eigentlich
für die Bildungsrepublik Deutschland verantwortlich,
und - wir haben es gehört - Sie haben eigentlich viel
Geld für Bildung und Forschung in Ihrem Etat. Leider ist
und bleibt das die einzig gute Nachricht.
({0})
Erstens entfaltet das ganze Geld viel zu wenig Wirkung.
Zweitens bleiben am Jahresende jedes Mal - das belegen
die Zahlen; ich wundere mich, dass Sie das gar nicht
wahrnehmen wollen - Millionen Euro liegen, und zwar
ungenutzt. Drittens bringen Sie unser Land nicht voran,
weil Sie die Antworten auf die zentralen Herausforderungen schuldig bleiben, obwohl Sie in Ihrer Rede so getan haben, als würden Sie sie liefern können und wollen.
Sie haben kein Konzept zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit.
({1})
Sie können nicht sagen, wie Sie dafür sorgen wollen,
dass alle Kinder und Jugendlichen gleiche Chancen haben, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und vom
Geldbeutel der Eltern. Sie bleiben die Antwort auf die
Frage schuldig, wie Sie den benachteiligten jungen Menschen mit Migrationshintergrund Zukunftsperspektiven
geben wollen.
({2})
Sie haben auch die Chance verpasst, sich zum 40-jährigen Bestehen des BAföG klar zu einer gerechten Bildungsfinanzierung zu bekennen. Stattdessen fördern Sie
mit Ihrem nationalen Stipendienprogramm diejenigen,
die ohnehin gute Chancen haben. Handwerklich ist es so
schlecht gemacht, dass der Abruf der Mittel fast gleich
null ist.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bildungsnähe oder Bildungsferne fangen früh an. Ab 2013 hat jedes Kind einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Aber Sie wissen selber: Der Kitaausbau kommt
nicht schnell genug voran, weil die Kommunen hierfür
nicht genug Geld haben;
({4})
das hat auch mit der Steuerpolitik zu tun, die Ihre Koalition zu verantworten hat.
({5})
Und: Der Bedarf ist größer als angenommen. Auch darauf wird seitens der Bundesregierung und dieser Koalition überhaupt nicht reagiert. Genau hier wäre entschlossenes Handeln notwendig. Wir alle wissen - auch Sie
sagen es immer in Ihren Reden -: Frühe Förderung in
Kitas sorgt für bessere Bildungschancen, bessere
Sprachentwicklung und bessere Integration. Warum nehmen Sie nicht, um eine bessere Wirkung zu erzielen,
frühzeitig mehr Geld in die Hand, um später sinnvoll in
Schulen und Hochschulen zu investieren?
({6})
Das ist für Sie nicht wichtig. Junge Menschen und kleine
Kinder haben bei Ihnen nicht die Priorität, die sie haben
müssten.
({7})
- Entschuldigung. Die Zahlen im Haushalt sprechen für
sich.
({8})
- Bleiben Sie ganz gelassen. Sie können ja gerne noch
einmal richtig ausholen. Lange wird Ihnen dieser Genuss
nicht mehr bleiben.
({9})
Ich möchte Ihnen nur sagen: Schauen Sie sich an, an
welchen Stellen in den Kinder- und Jugendplänen gekürzt wird und welche Leistungen für benachteiligte Jugendliche gestrichen werden - überall ein großes
Streichkonzert.
({10})
Sagen Sie nicht, dass Sie die Chancen für Kinder und Jugendliche in diesem Land verbessern. Sie verschlechtern
sie kontinuierlich und von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
({11})
2003 hat die rot-grüne Bundesregierung ein 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Ganztagsschulen
gestartet. Die jetzige Regierung tritt bei diesem Thema
aber auf der Stelle. Es gibt nichts als Stillstand, keine
Entwicklung.
({12})
Die SPD-Fraktion hält den weiteren Ausbau der Ganztagsschulen für dringend notwendig. Sie, Frau Schavan,
berufen sich auf das Kooperationsverbot. Alle - die Kollegen von der CDU, der FDP, der Linken, der Grünen
und der SPD - sind sich einig, dass etwas geschehen
muss. Warum tun Sie nichts, Frau Schavan? Sie verharren im Stillstand und sagen nur, es wäre schön, wenn der
Bund mehr Einfluss hätte. Sie tun aber nichts dafür. Ich
frage mich, wofür eine Bildungsministerin in diesem
Lande eigentlich zuständig ist.
({13})
Ich möchte noch einen Aspekt erwähnen, was den
Fachkräftebedarf angeht. Alle wissen, dass bei den
Frauen in diesem Land ein Fachkräftepotenzial schlummert. Es könnten 460 000 Mütter als Fachkräfte für unsere Wirtschaft gewonnen werden, wenn es ein flächendeckendes Ganztagsangebot in Kitas und Schulen gäbe.
({14})
Auch der Wirtschaftsminister müsste doch dieses Potenzial sehen. Die Bundesregierung müsste ein Gesamtkonzept entwickeln, bei dem ein Rad in das andere greift. Jeder Minister und jede Ministerin kocht aber aus
Profilierungssucht das eigene Süppchen. Am Ende bleibt
das Land auf der Strecke.
({15})
Ich kündige Ihnen hiermit an, dass wir einen Antrag
einbringen werden, in dem wir fordern, dass der Bund
einen höheren Finanzierungsanteil am Kitaausbau übernimmt. Wir haben am Montag dieser Woche auch ein
Konzept vorgelegt, das zeigt, wie das alles zu finanzieren ist.
({16})
Frau Kollegin, lassen Sie sich nicht irritieren. Sie haben das Wort. Niemand sonst.
({0})
Diese Koalition irritiert mich jeden Tag - aber nicht
bei meiner Rede.
Sie, Frau Ministerin Schavan, haben Ihrer Partei ein
Bildungskonzept vorgelegt, mit dem Sie nicht mehr erreichen, als endlich in die Gegenwart zu stolpern. Sie
vollziehen jetzt das nach, was Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten seit Jahrzehnten predigen, nämlich
dass das dreigliedrige Schulsystem ungerecht ist und zu
keinen guten Bildungserfolgen führt.
({0})
Aber selbst mit diesem kleinen Schritt, den Sie vorschlagen, überheben Sie sich; denn Ihre eigene Parteibasis
will das nicht, auch Ihre Länderkollegen wollen Ihnen
nicht folgen, und die Kanzlerin düpiert Sie.
Alles in allem ringen Sie um Ihre eigene Zukunft,
aber nicht, wie es Ihre Aufgabe wäre, um die Zukunft
unseres Landes. Deshalb wird das mit der Bildungsrepublik leider nichts mit dieser Koalition.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der FDP unser Kollege
Heinz-Peter Haustein. Bitte schön, Kollege Haustein.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Frau Ziegler, ich weiß nicht,
von welchem Land Sie gesprochen haben, aber der Einzelplan 30 von Frau Schavan - Bildung und Forschung ist eine reine Erfolgsgeschichte.
({0})
Da Sie meinen, die Zahlen sagten die Wahrheit, werde
ich Ihnen die Zahlen, wie es sich als Haushälter gehört,
einmal näherbringen. Bildung und Forschung sind ein
Grundelement in unserem Land. Wir haben keine Rohstoffe, aber wir haben die Bildung. Unser Rohstoff sind
unsere Gehirne.
({1})
Bildung und Forschung schaffen auch Arbeitsplätze.
Die Arbeitsmarktstatistik zeigt das auch: Wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose. Das ist doch etwas.
Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die christlich-liberale Bundesregierung und dieses Parlament die richtigen
Weichen gestellt haben.
({2})
Als Haushälter kann ich Ihnen ein paar Zahlen nicht
ersparen. Der Haushalt umfasst 12,8 Milliarden Euro.
Das bedeutet ein Plus von 9,9 Prozent.
({3})
Das kann sich wohl sehen lassen.
({4})
Das Ministerium selbst braucht 173 Millionen Euro für
die Verwaltung.
Ich möchte noch etwas zur Leistungsfähigkeit des
Bildungswesens im Hinblick auf die Nachwuchsförderung sagen: Hierfür sind 3,2 Milliarden Euro vorgesehen, Frau Ziegler. Dabei sind die Mittel für den Studenten- und Wissenschaftleraustausch um 19 Prozent auf
131 Millionen Euro erhöht worden.
({5})
Das Budget für die Begabtenförderung ist gar um
34 Prozent auf 264 Millionen Euro erhöht worden.
({6})
Die Mittel für Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung sind seit 2010 sogar um 170 Prozent erhöht
worden,
({7})
weil wir wissen: Der Fachkräftemangel ist ein Fakt, und
wir müssen etwas dagegen tun. Wir tun das Richtige.
Ich nenne Ihnen aber noch mehr Zahlen, weil Sie
eben sagten: Zahlen können nicht lügen, Zahlen sagen,
was los ist, abgesehen von gewissen - wie sagte der eine
Herr noch? - Statistiken; auf jeden Fall war es keiner
von uns.
({8})
Zur Position „Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Innovationssystems“. Hierfür stehen
4,8 Milliarden Euro zur Verfügung, ein Aufwuchs von
17 Prozent. Meine sehr verehrten Damen und Herren
von Rot-Grün, ein Aufwuchs von 17 Prozent bei diesem
Kapitel! Für den Hochschulpakt sind 1,45 Milliarden
Euro vorgesehen; er ist bis 2020 konzipiert. Die Mittel
für den Qualitätspakt Lehre belaufen sich auf 175 Millionen Euro, ein Plus von 25 Prozent.
({9})
Stichwort Fachkräftemangel. Wir entwickeln den Bologna-Prozess weiter. Dafür sind 45 Millionen Euro vorgesehen. Für das Kapitel „Forschung für Innovationen,
Hightech-Strategie“ sind 4,85 Milliarden Euro eingestellt, ein Plus von 7 Prozent. Diese Zahlen können sich
doch sehen lassen.
({10})
Darin sind für die Gesundheitsforschung 261 Millionen
Euro enthalten, ein Plus von 47 Prozent.
Auch bei der Klimaforschung - das versteht sich von
selbst - gibt es ein Plus von 52 Prozent, also 277 Millionen Euro. Für die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung sind 237 Millionen Euro geplant, ein Plus von
67 Prozent. Uns ist klar, dass man die Energiewende mit
der jetzigen Technologie nicht schafft. Ein Elektroauto
mit einer Speichertechnologie von vorgestern ist irgendwann so nicht mehr zu bauen. Wir brauchen neue Forschung, neue Innovationen, neue Technologien. Deshalb
geben wir dafür so viel Geld aus.
({11})
Zusammengerechnet ergeben diese Zahlen 12,8 Milliarden Euro. Die Frau Ministerin hat es schon angesprochen, und auch ich habe mir angeschaut, was Rot-Grün
in seiner Regierungszeit gemacht hat. Sie, also diese
Seite des Hauses, haben sieben Jahre lang regiert und in
sieben Jahren eine Steigerung um 900 Millionen Euro
erzielt. Die andere Seite dieses Hauses hat in drei Jahren
bereits eine Steigerung von 2 600 Millionen Euro für
diesen Bereich erzielt. Das macht den Unterschied. Auf
der einen Seite sitzen die Bremser, auf der anderen Seite
die Lokführer.
({12})
Sie haben es verpennt, wir haben den Turbo reingehauen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein herzliches
Glückauf aus dem Erzgebirge.
({13})
Vielen Dank, Kollege Haustein. - Jetzt spricht für die
Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Petra Sitte.
Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Sitte.
({0})
Danke, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren!
Wir führen diese Debatte in einer Zeit, da längst öffentlich über die Zukunft der Zivilgesellschaft, den sozialökologischen Umbau, ja sogar die Systemfrage diskutiert wird.
Wie auch immer die Antworten ausfallen mögen, eines ist sicher: Das bisherige einseitig technologieorientierte Wachstumsmodell ist an seine Grenzen gestoßen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen können, wollen und müssen die systemischen Zusammenhänge ebenjener vielfältigen Krisen, vor denen
wir jetzt stehen, komplex bearbeiten. Es geht am Ende
um nichts Geringeres als um Erkenntnisse, wie leistungsfähigen, solidarischen und demokratischen Gemeinschaften sowie Menschen ein würdevolles Leben
ermöglicht und nachfolgenden Generationen ein lebensfähiger Globus erhalten werden kann. Daran muss sich
das, was Sie hier vorlegen, messen lassen.
Dabei fordert die Linke, dass mit den Milliarden öffentlicher Forschungsmittel, die Sie gerade gepriesen haben, konsequent gemeinnütziges Wissen erarbeitet und
eine verantwortungsvolle Technikfolgenabschätzung betrieben wird.
({0})
- Nein, genau das machen Sie nicht. - Mit Blick auf den
Haushalt stellt man fest, dass die Bundesregierung die
Zeichen der Zeit eben nicht verstanden hat. Wissenschaftsförderung wird in erster Linie immer noch wie
Wirtschaftsförderung praktiziert. Die Anteile der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt bilden für Sie immer
noch den Dreh- und Angelpunkt Ihrer Förderpolitik. Ein
jüngst von den Hochschulverbänden veröffentlichtes
Thesenpapier kritisiert zu Recht genau diesen Umstand.
Sie kritisieren dort die rasante Ökonomisierung von
Wissenschaftseinrichtungen und die immer stärker
geförderte Inszenierung und Vermarktung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Immer weniger Themen werden
nämlich wissenschafts- und gesellschaftsbestimmt ausgewählt und bearbeitet.
Der Erkenntnisgewinn der Wissenschaft
- so heißt es in dem Thesenpapier weiter soll sich auf den Menschen, seine sozialen Lebensformen sowie die ihn umgebende Natur und Technik beziehen.
Sie soll sich an das „Alltagsleben“ der Menschen ankoppeln und als „Forschung für den Menschen“ erkennbar
sein. Dietrich Grönemeyer hat dazu unlängst geschrieben:
An der Neugier und an der Begeisterungsfähigkeit
der Wissenschaftler, an ihrer Bereitschaft, dem
Fortschritt ein ganz neues Ansehen zu geben, wird
es nicht fehlen.
Lassen Sie mich das am Beispiel der Gesundheitsforschung illustrieren. Herr Haustein hat sie eben erwähnt.
An großen Volkskrankheiten soll verstärkt geforscht
werden. Das ist gut so. Um aber eine unvoreingenommene Erprobung neuer Produkte und Verfahren zu gewährleisten, bedarf es in diesem Programm zugleich einer viel breiteren Förderinitiative für nichtkommerzielle
klinische Studien. Unabhängiges Herangehen bringt
neue Impulse für Wissen und für die Wirkung von Therapien, für die Erkundung von Seuchen, von Krankheitsursachen und vor allem für die Erkenntnis über ihre Verknüpfung mit sozialen Umständen.
({1})
- Nein, das machen Sie nicht. Sie haben 800 Millionen
Euro in eine Pharmainitiative gesteckt. Das Geld bekommen also jene Konzerne, die seit Jahren Gewinne in Milliardenhöhe einfahren. Was tun die Konzerne gegenwärtig? Sie fordern noch mehr Geld und reduzieren
gleichzeitig ihre eigenen Forschungsausgaben. Das passt
doch nicht zusammen. Demzufolge wird für nichtkommerzielle klinische Studien immer weniger Geld übrig
bleiben. Es sollen nur noch mickrige 30 Millionen Euro
in diesem Bereich eingesetzt werden. Das halten wir für
gänzlich inakzeptabel.
({2})
Klinische Studien können bekanntermaßen nur mit
Patientinnen und Patienten realisiert werden. Das ist logisch. Also sollen in die neuen Zentren für Gesundheitsforschung bei der Helmholtz-Gemeinschaft Uniklinika
eingebunden werden. Das ist ein interessanter Gedanke,
immerhin behandeln sie Tausende von Patienten auf medizinisch höchstem Niveau. Das Problem ist nur: Die fiDr. Petra Sitte
nanzielle Situation beider Akteure ist gänzlich verschieden. Die Hochschulmedizin in unserem Land ist
dramatisch unterfinanziert. Sie müsste endlich ihren Investitionsstau überwinden können, und sie müsste zugleich den Kostendruck in der Krankenversorgung überwinden können. Die neuen Millionen sollten aus unserer
Sicht weniger für neue Strukturen, als vielmehr zur Mobilisierung der vorhandenen Potenziale in Universitätsklinika eingesetzt werden, um weitere Forschungspotenziale zu erschließen. Dazu müsste man allerdings
gemeinsam mit den Ländern schnelle Lösungen finden.
Statt also satte Pharmakonzerne noch satter zu machen,
hätte man, wie es die Linke seit Jahren fordert, die Uniklinika stärken müssen, indem man dort investiert.
({3})
Noch eine Anmerkung zu unserer Kritik an der Gesundheitsforschung aus globaler Sicht. Es geht mir um
armutsbedingte Krankheiten. Meistens sind sie chronisch, sie sind oft nicht tödlich und sie grassieren vor allem dort, wo es Hunger, Armut, mangelnde Hygiene sowie schlechte bis gar keine medizinische Versorgung
gibt. Im Gesundheitsforschungsprogramm taucht nun
der Bereich Impfstoffentwicklung auf. In der Tat bieten
neue, beispielsweise in Berlin an der Charité entwickelte
Verfahren zu Bekämpfung von TBC - übrigens entwickelt mithilfe öffentlicher Mittel - neue Chancen für die
Betroffenen. Deshalb sehen wir Deutschland als eines
der reichsten Länder, aber eben auch die Pharmakonzerne in der Verantwortung zur Umsetzung der UN-Millenniumsziele; denn diese beinhalten unter anderem,
dass Impfstoffe und Therapien genau jene Menschen erreichen müssen, die sie am dringendsten brauchen, sie
sich aber am wenigsten leisten können.
Was ist unsere Forderung an die Bundesregierung?
Unsere Forderung an die Bundesregierung ist, dass man
mit derartigen Förderprojekten endlich für faire und gerechte Lizenzen sorgt, Lizenzen, die es ermöglichen,
dass die Produkte bei den Betroffenen ankommen und
dass sie für die Entwicklungsländer auch wirklich bezahlbar sind.
({4})
Vor allem aber müssten deutlich mehr Mittel zur Lösung
globaler Gesundheitsprobleme eingesetzt werden. Sie
haben in Ihrem Haushalt lediglich 20 Millionen Euro
vorgesehen, aber nicht etwa für das nächste Jahr, sondern auf vier Jahre verteilt. Auch das ist angesichts unseres Reichtums schlicht und ergreifend beschämend.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen, meine Damen
und Herren. Gesundheit bestimmt unmittelbar und individuell Lebensqualität. Das weiß jeder von uns; jeder hat
seine Erfahrungen damit gemacht. Versäumnisse in der
Forschung von heute gefährden Menschen und Gesellschaften von morgen. Die Erde ist rund. Krankheiten
machen nicht vor Staatsgrenzen hält. Aus diesem Grund
können wir nur Erfolge erzielen, wenn wir konsequent
global handeln und kooperativ vorangehen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin ist
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin
Frau Priska Hinz. Bitte schön, Frau Kollegin Hinz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweite
gute Botschaften zu Beginn, auch wenn das für die Opposition vielleicht ungewöhnlich ist: Die Ausgaben für
Bildung und Forschung steigen tatsächlich um knapp
10 Prozent. Darüber freuen wir uns, weil das für Bildung
und Forschung gut ist.
({0})
Frau Schavan ist als Ministerin auch für lebenslanges
Lernen zuständig. Ich freue mich, dass sie auch selber
dazugelernt hat. Letztes Jahr haben Sie nämlich trotz unseres Protestes die Mittel für die Berufsorientierung radikal gekürzt. Diesen Fehler korrigieren Sie jetzt wieder.
Sie haben den Mittelansatz für den internationalen Austausch deutlich gesenkt. Dieser Ansatz wird wieder erhöht. Außerdem wollen Sie sich mit der Union von der
Hauptschule verabschieden. - All das ist richtig. Da haben Sie dazugelernt. Wir freuen uns, dass Sie grünen
Ideen folgen, wenn auch manchmal etwas später. Aber
immerhin: Sie lernen dazu.
({1})
Jetzt endet leider die positive Bilanz des lebenslangen
Lernens, und ich komme zu den Problemen, die Sie mit
Ihrer Politik machen oder haben, und damit auch zu den
Schwerpunkten, die Sie im Haushalt setzen.
Der Fachkräftemangel, den Sie ebenso wie Frau von
der Leyen und der Wirtschaftsminister betont haben,
müsste Sie zum Handeln drängen. Aber ein Blick in den
Haushalt zeigt, dass die Weiterbildungsmittel, die Sie
letztes Jahr um 20 Prozent gekürzt haben, nicht einmal
auf das alte Niveau aufgestockt werden.
Bei der Weiterbildungsallianz kommt mir nicht so
sehr Ihr Bild des „Same procedure as every year“ in den
Sinn wie der Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Sie
kommt nämlich auch immer wieder, und bis heute ist
nichts daraus geworden.
({2})
Ein durchdachtes Konzept für eine bessere Weiterbildungsberatung lässt auf sich warten. Auf das Gesetz zur
Anerkennung ausländischer Abschlüsse warten wir und
vor allem diejenigen, die es betrifft, die eine Anpassungsqualifizierung brauchen und endlich arbeiten wollen, seit eineinhalb Jahren, und das nur, weil Sie nicht zu
Potte kommen. Das ist eine sehr schlechte Bilanz für
eine Bildungsministerin.
({3})
Priska Hinz ({4})
Im Übergangssystem sind immer noch 400 000 Jugendliche, obwohl es eine Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt gibt. Darüber hinaus gibt es aber, wie
gesagt, 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss. Statt in der Weiterbildung durchdachte Konzepte zu erarbeiten, die Ausbildung, Qualifizierung und
Weiterbildung verzahnen und diesen jungen Menschen
eine Chance geben - diese Kompetenz haben Sie als
Bundesministerin -, ist an dieser Stelle von Ihnen nichts
zu verzeichnen.
Was die Bertelsmann-Stiftung tut, nämlich mit den
Ländern Konzepte zu entwickeln, wie man das Übergangssystem eindampfen kann, wäre eigentlich Ihre
Aufgabe gewesen. Das ist eine staatliche Aufgabe und
nicht die einer privaten Stiftung.
({5})
Sie von der Koalition haben vorhin über die Aussage
von Frau Ziegler, dass viel Geld im Haushalt stehe, aber
nicht alles ausgegeben werde, gelacht. Wir haben letzten
Winter im Haushaltsausschuss erleben müssen, dass die
Koalition einen Maßgabebeschluss gefasst hat, wonach
Ausgabenreste in Höhe von 88 Millionen Euro übertragen werden. Das betraf Bereiche von Programmen, die
die Ministerin unbedingt durchführen wollte, welche
aber aus unserer Sicht unsozial und nicht durchdacht
sind und für die sie das Geld nicht ausgeben kann. Ich
nenne als Beispiel das Stipendienprogramm, das bis
heute ein echter Rohrkrepierer ist. Immer noch sind
nicht mehr als 25 Prozent der Mittel ausgeschöpft, aber
Sie wollen dieses unsoziale Projekt im kommenden
Haushalt mit weiteren Mitteln ausstatten.
({6})
Im Bereich der Bioökonomie versenken Sie Millionenbeträge in die Grüne Gentechnik, obwohl niemand
gentechnisch veränderte Nahrungsmittel auf dem Teller
haben will. Vielleicht wird das Urteil über den Honig,
der Spuren von gentechnisch veränderten Pollen enthielt, zu einem Umdenken bei Ihnen führen.
Sie fördern weiterhin die Fusionsforschung. Sie halten an der Finanzierung des Fusionsreaktors ITER fest.
({7})
Es gibt nur zwei Dinge, die hinsichtlich dieses Projekts
feststehen: stetige Kostenexplosion und Verschiebung
der Zeitpläne. Niemand braucht Ergebnisse einer teuren
Fusionsforschung, die erst ab dem Jahr 2050 nutzbar
sind. Bis dahin müssen wir auf erneuerbare Energien
umgestiegen sein. Da müssen Sie Geld hineinstecken.
({8})
Das Ausgeben von viel Geld bedeutet nicht unbedingt, dass gute Politik gemacht wird. An Ihrem Haushalt, Frau Ministerin Schavan, kann man das ganz besonders gut studieren.
Danke schön.
({9})
Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist
unser Kollege Albert Rupprecht. Bitte schön, Kollege
Albert Rupprecht.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Wir erleben derzeit weltweit, dass in
vielen Industrieländern, in den USA, in Großbritannien,
in Frankreich und anderswo, im Bereich Forschung und
Bildung dramatisch gekürzt, gestrichen und rasiert wird.
Die Haushaltsschulden erzwingen solche Maßnahmen in
diesen Ländern. Wir erleben andererseits, dass wir in
Deutschland die siebte Steigerung dieses Etats auf ein
neues Rekordniveau haben.
Frau Ziegler, ich schätze Sie eigentlich als sehr sachorientierte Kollegin, aber wenn Sie hier die Aussage wagen, dass wir für Kinder und Jugendliche nichts übrig
hätten, dann frage ich Sie, was mit diesen Steigerungen
in unserem Haushalt passiert.
({0})
Noch einmal die Zahlen: 2012 steigen die Mittel gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozent auf 12,8 Milliarden
Euro. Das bedeutet eine Steigerung im Vergleich zu der
Zeit, als Sie Verantwortung trugen - 2005, als Rot-Grün
abgewählt worden ist -, um 69 Prozent.
({1})
Es ist schlichtweg absurd, zu behaupten, wir hätten für
Kinder und Jugendliche, für Forschung und Bildung
nichts übrig. Man kann über jedes einzelne Programm
oder jede einzelne Maßnahme reden, aber es ist unredlich, zu behaupten, wir hätten nichts für Kinder und Jugendliche übrig.
({2})
Es ist eine weltweit herausragende Leistung, die wir mit
diesem Haushalt erbringen. Diese Leistung wird mit
Ausnahme von einigen Ländern des asiatischen Raums
in keinem Land der Welt erreicht.
Wir erleben derzeit, dass US-Wissenschaftler besorgt
die Frage stellen, wie sie im nächsten Jahr ihren Haushalt
finanzieren sollen, in einem Land, in dem angeblich
Milch und Honig für Wissenschaftler fließen. Sie sind besorgt, weil sie nicht wissen, ob sie im nächsten Jahr die Finanzierung noch sicherstellen können. Wir erleben auf
der anderen Seite, dass wir in Deutschland den WissenAlbert Rupprecht ({3})
schaftlern der Institutionen, für die wir auf Bundesebene
Verantwortung tragen - Helmholtz-Gemeinschaft, MaxPlanck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft, FraunhoferGesellschaft und DFG -, nicht nur sagen können, dass wir
das Vorjahresniveau halten, sondern ihnen sogar einen
Zuwachs um 5 Prozent versprechen können. Mehr noch:
Nicht nur in diesem Jahr bekommen sie einen Zuwachs
von 5 Prozent, sondern es gibt die Zusage, dass sie bis
zum Jahr 2015 jedes Jahr eine Steigerung von 5 Prozent
erhalten.
({4})
Das ist gelebte Kontinuität, das ist gelebte Verlässlichkeit, und das ist gelebte Prioritätensetzung für Forschung und Bildung. Aber das ist auch eine Geisteshaltung, die in der Tat durch die Kanzlerin geprägt ist. Das
war schon in der Großen Koalition so, und das wird in
der jetzigen Koalition fortgeführt. Wir sind neugierig
und offen für neue Technologien, weil wir der festen
Überzeugung sind, dass wir nur mit neuen Technologien
und mit Forschung die Probleme der Menschheit lösen
können.
Unter Rot-Grün war es ganz anders: Damals sind
massenweise Wissenschaftler, die über Zukunftstechnologien forschen, in die USA ausgewandert oder, besser
gesagt, geflohen.
({5})
- Natürlich ist das der Fall.
({6})
- Beispielsweise Wissenschaftler aus der Biotechnologie.
({7})
Wir stellen auf der anderen Seite fest - Befragungen
zeigen das -, dass sich im Augenblick 80 Prozent der
Wissenschaftler aus Deutschland, die im Augenblick in
den USA tätig sind, überlegen, nach Deutschland zurückzukommen - 80 Prozent!
({8})
Wir stellen fest, dass Deutschland als Wissenschaftsund Forschungsstandort wieder attraktiv ist. Wir werden
diesen Standortvorteil, den wir als Politiker, als Entscheider gestalten, knallhart nutzen, und wir werden versuchen, die besten Köpfe für Deutschland zu gewinnen.
Wir werden im Hinblick auf Wissenschaftler und Forscher das Zuwanderungsrecht verbessern.
({9})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir geben nicht nur
mehr Geld aus, sondern wir setzen auch wichtige
Schwerpunkte. Wir wollen, dass die Zahl der Kinder und
Jugendlichen ohne Schul- oder Berufsabschluss halbiert
wird. Deswegen setzen wir auf das Instrument der Bildungsketten. Wir investieren dort einen Betrag von
105 Millionen Euro. Wir erwarten uns von diesem Instrument sehr viel. In der Tat ist es unsere Aufgabe, das
Bündel an sonstigen Maßnahmen, die existieren, auf die
wirklich effektiven Kerninstrumente zu reduzieren. An
dieser Stelle sage ich auch: Das ist nicht nur Bundesaufgabe; das Ganze geht vielmehr nur gemeinsam mit den
Ländern.
({10})
Für uns sind berufliche Bildung und duale Ausbildung genauso wertvoll und wichtig wie der akademische
Abschluss und die akademische Bildung. Deswegen verstetigen wir die Ausgaben für die überbetrieblichen Bildungsstätten des Handwerks; das war uns als Unionsfraktion ein außerordentlich wichtiges Anliegen in den
Vorgesprächen zur Abstimmung des Haushalts. Wir steigern darüber hinaus die Ausgaben im Bereich der Berufsorientierung auf 50 Millionen Euro; das ist eine satte
Steigerung um 278 Prozent.
({11})
Sehr geehrte Damen und Herren, obwohl wir für die
Hochschulen nicht primär verantwortlich sind - sie unterstehen, wie Sie wissen, der Länderverantwortung -,
gibt der Bund Milliarden Euro als Unterstützung:
1,1 Milliarden Euro fließen in den Studienplatzausbau
im Hochschulpakt. Für den Hochschulbau werden Kompensationsmittel im Umfang von 695 Millionen Euro zur
Verfügung gestellt. 175 Millionen Euro stehen für den
Qualitätspakt Lehre bereit. Für die Weiterentwicklung
des Bologna-Prozesses sind 46 Millionen Euro veranschlagt; das ist übrigens eine Steigerung um 32 Prozent.
Für die Studienfinanzierung geben wir erstmals über
1 Milliarde Euro aus. Der mit Abstand größte Brocken
davon ist mit 820 Millionen das BAföG.
Zusammenfassend heißt das: Wir geben mehr als
3 Milliarden Euro, also ein Viertel des gesamten Haushalts, für mehr Studienplätze, für Hochschulbau, für
strukturelle Verbesserung der Lehre und für die Studienfinanzierung aus, und das, obwohl das alles - mit Ausnahme der Studienfinanzierung - originäre Aufgabe der
Länder wäre.
({12})
Sehr geehrte Damen und Herren, die Diskrepanz zwischen verfassungsgemäßer Verantwortung der Länder
und tatsächlicher Aufgabenerfüllung ist, wie ich meine,
durchaus enorm und auch ein Stück weit bedenklich.
Alle Bundesländer müssen sich also ihrer verfassungsgemäßen Verantwortung stellen. Wir erleben, dass die
Realität hier sehr unterschiedlich ausschaut. Mein Heimatland Bayern hat für den Haushalt 2012 im Bereich
Forschung und Bildung einen deutlichen Anstieg beschlossen,
({13})
während Brandenburg, Ihr Heimatland, Frau Ziegler, im
Hochschulbereich massiv kürzt. Schüler und Studenten
marschieren dort zu Tausenden auf die Straßen.
Albert Rupprecht ({14})
({15})
Es geht natürlich nicht, dass Länder auf Finanzierungswege wie Studiengebühren verzichten und anschließend beim Bund auf der Matte stehen und verlangen, dass er ihre Aufgaben und Ausgaben kompensiert.
({16})
Zum Zweiten muss, wenn es um die Weiterführung
der Pakte geht - wie ich meine -, einiges neu austariert
werden. Das kann im Ergebnis auch heißen, dass der
Bund mehr Aufgaben übernimmt. Aber ich denke, das
muss immer mit Mehrwert begründet sein. In einer föderalen Struktur ist das Subsidiaritätsprinzip das entscheidende Kriterium. Letztendlich muss das von Thema zu
Thema genau durchdacht werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, auch im Bereich der
Forschung erhöhen wir die Ansätze und setzen inhaltliche Schwerpunkte. Bei der institutionellen Forschungsförderung im außeruniversitären Forschungsbereich geben wir 5 Prozent mehr aus; wir erhöhen den Ansatz auf
4,3 Milliarden Euro.
Bei der Projektförderung gibt es eine erhebliche Steigerung auf 5,4 Milliarden Euro. Für die Gesundheitsforschung stehen im Jahre 2012 1,38 Milliarden Euro zu
Verfügung. Das ist nahezu eine Verdoppelung gegenüber
dem Ansatz von Rot-Grün im Jahr 2005.
Für die Energieforschung - das ist einer unserer
Schwerpunkte - geben wir im Gesamthaushalt bis 2014
3,5 Milliarden Euro aus. Davon entfallen 80 Prozent auf
erneuerbare Energien. Im Jahr 2012 sind das 657 Millionen Euro.
({17})
Sehr geehrte Damen und Herren, auch in diesem Bereich lässt sich nachweisen, dass wir die Projektfördermittel im Einzelplan 30, beispielsweise im Bereich Energieeffizienz, erneuerbare Energien, gegenüber dem Ansatz von Rot-Grün im Jahre 2005 verdreifacht haben.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir haben als
Unionsfraktion unsere Anliegen im Vorfeld eingebracht.
Wir werden im Laufe der Verfahren nur noch wenige
Änderungsanträge einbringen müssen; denn unsere Anliegen sind weitestgehend oder fast alle berücksichtigt.
Wir haben im Jahre 2012 im Bereich Forschung und
Bildung eine Steigerung um 10 Prozent. Das ist international vorbildlich; das ist hervorragend, ausgezeichnet.
Das ist vor allem gegenüber den Ansätzen in der Zeit, als
Sie von Rot-Grün Regierungsverantwortung hatten, eine
Steigerung um 69 Prozent. Das, sehr geehrte Damen und
Herren, ist ein Quantensprung.
Danke schön.
({18})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt als Nächster für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Klaus
Hagemann. Bitte schön, Kollege Klaus Hagemann.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie
haben eben auf die beliebte Fernsehsendung hingewiesen, die Ende eines jeden Jahres ausgestrahlt wird: Dinner for One - „the same procedure as every year“. Die
Menschen sehen sie sehr gerne. Es stellt sich nur die
Frage, wer dann letztendlich als Bettvorleger landet. Das
werden wir sehen, wenn abgerechnet wird.
Ich möchte Ihnen, was den Mittelabfluss angeht, mit
einer anderen Literaturstelle antworten, nämlich mit dem
Buch von Michael Ende Die unendliche Geschichte. Jedes Jahr wieder geben Sie mir die Möglichkeit, dieselbe
Presseerklärung herauszuholen und nur die Zahlen durch
andere zu ersetzen. Das ist Realität, und das möchte ich
Ihnen jetzt noch einmal vorlegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir als Sozialdemokraten begrüßen und unterstützen natürlich den
geplanten Aufwuchs von 12 Milliarden Euro in den
nächsten Jahren. Wir haben das ehrgeizige Ziel - das
wird bei uns in Kürze der Parteitag absegnen -, noch
mehr Mittel für Bildung und Forschung oben draufzupacken. Aber es muss glaubhaft sein, dass wir diese Mittel
zur Verfügung stellen können. Die ersten Anträge werden wir schon zu diesem Haushalt vorlegen.
({0})
Es ist jetzt auf einige Projekte hingewiesen worden.
Daher wollen wir doch einmal gucken, wann sie installiert worden sind, wer sie erdacht hat. Zunächst muss
man sich natürlich vor Augen führen, wo wir am Ende
der Regierungszeit von Helmut Kohl bei Forschung und
Bildung waren, nämlich bei rund 5 Milliarden Euro. Da
musste erst etwas aufgebaut werden.
Was wurde dann eingeführt, meine Damen und Herren? Unter Rot-Grün wurde der Pakt für Forschung und
Innovation eingeführt.
({1})
Die Exzellenzinitiative, die Furore in den Universitäten
macht, hat man sich unter Rot-Grün ausgedacht, und sie
wurde in der Zeit der Großen Koalition unter Beteiligung der SPD ausgestaltet.
Kollege Hagemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Schirmbeck? Sie sehen, dass Ihr Kollege
dort schon erwartungsvoll steht.
Ein Kollege aus Osnabrück-Land kriegt immer das
Wort.
Bitte schön, Kollege Schirmbeck.
Kollege Hagemann, das finde ich sehr sympathisch. Sie haben eben davon gesprochen, wo wir am Ende der
Regierungszeit von Helmut Kohl waren. Jetzt muss man
auch fragen: Wo waren wir, als Helmut Kohl die Regierung übernommen hat?
({0})
Was hat die sozialliberale Koalition hinterlassen? Erst
dann können Sie die Lebensleistung von Helmut Kohl
nachvollziehen. Von daher wäre das schon einmal eine
ganz interessante Frage.
({1})
Mein Landsmann Helmut Kohl hat den Satz geprägt:
Wichtig ist, was hinten herauskommt.
({0})
Dann schauen wir uns einmal an, was bei Forschung und
Bildung hinten herausgekommen ist: Der Ausgangspunkt der rot-grünen Koalition waren 5 Milliarden Euro;
ich sagte es schon. Wir haben dann den Pakt für Forschung und Innovation oben draufgepackt. Die Ansätze
für diesen werden jetzt wieder aufgebaut - völlig d’accord. Unter Rot-Grün wurde die Exzellenzinitiative, die
für Furore bei den Universitäten gesorgt hat, gestartet
und in der Großen Koalition umgesetzt. Unter Beteiligung der SPD wurde zu Zeiten der Großen Koalition der
Hochschulpakt I und II gestartet. Gemeinsam haben wir
den Cluster-Wettbewerb gestartet. All das ist aufgebaut
worden. Wir haben die Hightech-Strategie zusammen
mit Ihnen, lieber früherer Koalitionspartner, entwickelt
und in die Tat umgesetzt. Wir haben eine deutliche
BAföG-Erhöhung durchgesetzt, bei der wir Sie zum Jagen tragen mussten.
({1})
Wir haben in dieser Zeit unter Beteiligung der SPD, aber
ohne die FDP, lieber Kollege Schirmbeck, die Mittel für
die Begabtenförderungswerke aufgestockt. Sie haben sie
im vergangenen Jahr leider wieder heruntergefahren.
Jetzt fahren Sie die Mittel endlich wieder nach oben,
nachdem die Begabtenförderungswerke Rabatz gemacht
und sich beschwert hatten. Also, lieber Kollege, so
schlecht ist es gar nicht, was die Sozialdemokraten zu
verantworten oder mitzuverantworten haben.
({2})
Sie sehen also, lieber Kollege Schirmbeck, wie wir die
Dinge weiterentwickelt haben.
Lassen Sie mich in meinen Ausführungen fortfahren:
Sie haben das 12-Milliarden-Euro-Programm vorgelegt,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Frau Ministerin, aber Sie haben immer noch nicht titelscharf festgelegt, wohin die 12 Milliarden Euro fließen werden. Wir
erwarten, dass uns dies bald vorgelegt wird.
({3})
- Nein, das ist kein dummes Zeug, Kollege Rehberg. Es
ist Realität. Es liegt keine titelscharfe Festlegung auf
Einzelmaßnahmen vor.
({4})
Bildung kommt ja nicht nur im Einzelplan 30 vor. Ich
frage Sie beispielsweise, warum Sie im Einzelplan 11,
Arbeit und Soziales, im Bereich Bildung die Mittel für
Jugendliche, die keinen Schulabschluss bzw. keine abgeschlossene Ausbildung haben, sehr deutlich nach unten
fahren.
({5})
Das Jobcenter in Alzey-Worms, in meinem Landkreis,
bekommt 25 Prozent weniger Mittel für Maßnahmen für
Jugendliche.
Warum führen Sie Kürzungsmaßnahmen bei der politischen Bildung durch? Warum kürzen Sie bei dem Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt? Gerade die
Forschung auf diesem Sektor ist doch wichtig, wenn
Menschen einigermaßen fit bis 67 Jahre arbeiten sollen.
Was nützen die schönsten Zahlen und die schönsten
Programmtitel, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn
sie nur auf dem Papier stehen und nicht umgesetzt werden, wenn wir Minderausgaben haben bzw. zusätzlich
noch Mittel in die globale Minderausgabe fließen sollen?
Allein im letzten Jahr sind 325 Millionen Euro nicht verausgabt worden; und in den letzten sieben Jahren ist das
immer wieder geschehen.
Dann schauen wir uns einmal die Situation der Studierenden an - im Oktober beginnt ja das neue Semester -:
Erstes Beispiel: Das elektronische Zulassungsverfahren ist ein Flop. Es geschah nichts. Sie, Frau Ministerin,
haben nicht rechtzeitig die Reißleine gezogen. Ich mache Ihnen persönlich keinen Vorwurf, aber ich halte fest,
dass man die HIS zu lange hat gewähren lassen und dass
zu spät die Leine gezogen wurde.
Zweites Beispiel: Hochschulbau. Wir wissen, meine
Damen und Herren, dass gerade angesichts der im Moment starken Studierendenjahrgänge Hochschulbauten
notwendig sind. Wie spiegelt sich das aber in den Zahlen
wider? Seit 2007 wurden in keinem Jahr alle Mittel abgerufen. Es liegen damit 0,5 Milliarden Euro auf Halde,
die eigentlich für den Hochschulbau hätten eingesetzt
werden müssen. 500 Millionen Euro stünden hier zur
Verfügung. Hier spielen natürlich die Länder mit hinein.
({6})
- Ja. - Aber wenn Sie ständig die Steuern senken und
den Ländern die Einnahmen wegnehmen wollen,
({7})
wo bleibt dann den Ländern die Möglichkeit, entsprechend zu investieren und kozufinanzieren?
({8})
Drittes Beispiel: Das Deutschlandstipendium ist
schon beleuchtet worden; bisher ist es auch nur ein Flop.
Zwei Drittel der Ausgaben sind für Werbung, ein Drittel,
1,5 Millionen Euro, Ausgaben für das Stipendienprogramm. Wenn Sie das Geld für die Begabtenförderung
oder das BAföG ausgegeben hätten, wäre das erfolgreicher gewesen.
Zum Schluss zum Qualitätspakt Lehre, der dazu
dient, dass der Unterricht in den Universitäten besser
wird. Hierfür stehen 200 Millionen Euro zur Verfügung.
Nach Ihrer Statistik, die wir dieser Tage erhalten haben,
sind bis Ende August 0,6 Prozent abgeflossen. 111 Universitäten sind zuvor ausgewählt worden, aber zumindest bis Ende August sind noch keine Bescheide hinausgegangen. Die Universitäten warten dringend auf diese
Mittel, damit sie die Lehre in den Universitäten verbessern können.
({9})
Es bleibt also viel zu beraten. Ich freue mich auf die
Diskussionen morgen im Berichterstattergespräch und
im Haushaltsausschuss.
Herzlichen Dank.
({10})
Nun hat Martin Neumann für die FDP-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Hagemann, gehen Sie bitte
davon aus, dass kein Geld, so wie Sie es eben behauptet
haben, liegen bleiben wird. Vielmehr folgen Wissenschaft, Bildung und Forschung einer besonderen Spezifik, und da geht es tatsächlich darum, das Geld sinnvoll
und langfristig auszugeben.
Der uns vorliegende Einzelplan 30 für das Haushaltsjahr 2012 ist eben nicht, wie Sie es hier gesagt haben, ein
bloßer Sammelkatalog von kurz- und mittelfristigen
Maßnahmen im BMBF, sondern Ausdruck - das ist das
Neue, hören Sie da genau zu - einer langfristig angelegten wissenschafts- und forschungspolitischen Strategie.
({0})
Diesem Gedanken folgend hat die christlich-liberale
Koalition den zugesagten Aufwuchs der Finanzmittel
vorgenommen. Die Zahlen sind mehrfach genannt worden. Wir haben ein Volumen von 12,8 Milliarden Euro;
das ist eine Steigerung um 1,2 Milliarden Euro, und das
vor dem Hintergrund einer umfassenden Haushaltskonsolidierung. Damit kommt sehr deutlich zum Ausdruck,
welchen Stellenwert diese Koalition Wissenschaft und
Forschung beimisst.
Bildung und Forschung sind mehr als in den Jahren
zuvor Teil der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit,
Frau Sitte, egal ob es um die Stimulierung von Wirtschaftswachstum oder um die Bewältigung der Herausforderungen durch die Energiewende geht. Dabei verfolgt diese Koalition langfristige Ziele, und die
Entwicklung zeigt, dass für uns, gerade im wissenschaftlichen Raum, Verlässlichkeit und Kontinuität im Vordergrund stehen.
({1})
Ausdruck der langfristigen Planungssicherheit - das
ist für unsere Forschungseinrichtungen ganz wichtig ist der Pakt für Forschung und Innovation. Wir garantieren für die Jahre 2011 bis 2015 4,9 Milliarden Euro.
Diese von uns gewollte langfristige Entwicklung zielt
vor allem auf die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftssystems ab. Diese gilt es weiter zu fördern, und hier setzen wir auch mit der institutionellen Förderung an, indem wir einen jährlichen Mittelaufwuchs von 5 Prozent
garantieren.
Im Haushaltsjahr 2012 übertreffen wir die geplante
Marke und erreichen sogar einen Aufwuchs von knapp
6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr und damit ein Volumen von etwa 4,4 Milliarden Euro.
Der Bereich Forschung und Entwicklung folgt einem
besonderen und speziellen Konzept. Es ist nicht so, dass
man heute an einer Stellschraube dreht und bereits morgen die Effekte oder Ergebnisse sehen kann. So funktioniert Wissenschaft nicht. Die Haushaltsjahre setzen hier
manchmal einen zu engen Rahmen - das ist genau das
Problem, das Sie, Herr Hagemann, hier angesprochen
haben -, der die Begleitung der Forschungsorganisationen bei ihrer langfristigen Entwicklung, ihren Projekten
und Ansätzen beeinträchtigt.
Am Beispiel der Helmholtz-Gemeinschaft zeigt sich,
dass die Planung und der Bau von Großgeräten - durch
Kooperationspartner oder durch behördliche Genehmigungsprozesse - sich manchmal so lange erstrecken,
dass sie dem Haushaltsjahr und seinen Planungen entwachsen. Es bleibt aber kein Geld liegen, um das ganz
deutlich zu sagen.
({2})
Wir brauchen viel mehr Verlässlichkeit und müssen
vor allen Dingen auf eines achten: dass wir die haushälterischen Rahmenbedingungen weiter flexibilisieren.
Mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz werden wir genau
an diesem Punkt ansetzen und damit die Leistungsfähigkeit der Forschungsorganisationen steigern.
Der Einzelplan 30 folgt damit einem wichtigen Gedanken, den ich bereits betont habe, nämlich dem der
langfristigen Entwicklung und der Kontinuität. Besonders zu nennen ist die Titelgruppe „Naturwissenschaftliche Grundlagenforschung“, wo wir einen Aufwuchs von
über 52 Prozent auf nunmehr 277 Millionen Euro haben.
Denn ohne genügende Grundlagenforschung kann es
keine ausreichenden Innovationen geben. Oder, um es
direkt mit den Worten von Max Planck zu sagen, der einDr. Martin Neumann ({3})
mal formulierte: „Dem Anwenden muss das Erkennen
vorausgehen“.
Wie wichtig dies ist, stellen wir gegenwärtig
schmerzlich im Bereich der Elektrochemie vor dem Hintergrund der Energiespeicherfrage fest. Insofern ist es
geradezu ein Gebot, die Grundlagenforschung intensiv
zu fördern und damit das deutsche Wissenschaftssystem
für die wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen
zu stärken.
({4})
Ein letzter Satz zum Thema Hochschule: Hier sind
die Verantwortlichkeiten klar; sie liegen bei den Ländern. Wir wollen mit dem Hochschulpakt 2020 die Investitionen um 60 Prozent auf 1,46 Milliarden Euro anheben. Denn Hochschulen sind nicht nur ein wichtiger
Pfeiler des deutschen Wissenschaftssystems und damit
seiner Leistungsfähigkeit, sondern nach meinem Verständnis auch der Ort, wo Grundlagenforschung stattfindet und diese in die Anwendung überführt werden kann.
Dieses klar gezeichnete Profil zeichnet den Haushaltsplan aus
Herr Kollege, der letzte Satz ist schon sehr lang, und
Sie haben die Zeit schon deutlich überschritten.
- und sollte nach meinem Dafürhalten in den anstehenden Beratungen nicht verwässert werden.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss Ihnen sagen: Die Zahlenjongliererei, die wir vorhin vorgeführt bekamen, finde ich einigermaßen erbärmlich. Es
geht doch nicht um die Frage, wer es erfunden hat: die
CDU oder die SPD; oder waren es vielleicht doch die
Schweizer?
({0})
Es geht um die Zukunftschancen junger Menschen in
diesem Land, und dazu sollte der Bildungshaushalt einen
Beitrag leisten. Diesen Satz der Ministerin könnte ich
glatt unterschreiben, nur leistet der Bildungshaushalt das
nicht.
({1})
Ich kann schon verstehen, dass die Ministerin wenig erfreut gewesen ist über die jüngste Pressemeldung, dass
sie nicht wisse, wohin mit ihrem Geld. Nur: Die Zahlen
stammen allesamt aus Ihrem Haus, Frau Ministerin.
In mehreren Positionen stellt diese Zahlentabelle klar,
dass die Auslastung im Haushalt 2011 bis zum 31. Juli
deutlich unter 10 Prozent gelegen hat.
({2})
- Das ist keine Zahlenspielerei, das ist eine Tabelle aus
dem BMBF. - Wenn man sich anschaut, welche Projekte
von dieser geringen Auslastung betroffen sind, dann
stellt man fest: Es sind die Prestigeobjekte der Koalition
und der Bundesregierung - die Bildungsketten, das sogenannte Deutschlandstipendium und der Qualitätspakt
Lehre.
In all diesen Positionen schaffen Sie lange nicht das,
was Sie vorgeben, schaffen zu können. Das kritisieren
wir heftig,
({3})
und zwar nicht, weil wir diese Projekte nicht schön finden, sondern weil das Geld woanders besser aufgehoben
wäre.
({4})
Wir werden nicht kritisieren, dass Sie an anderen Stellen zum Teil Geld draufsatteln; denn Geld für Bildung
wird sehr dringend gebraucht. Insgesamt muss für allgemeine und berufliche Bildung deutlich mehr aufgebracht
werden.
Trotzdem müssen Sie uns einmal erklären, woraus
sich zum Beispiel der höhere Bedarf bei den Bildungsketten ergibt, wenn bis zum 31. Juli kaum etwas abgeflossen ist. Wäre das Geld dann nicht direkt in den Schulen besser aufgehoben, wo man dafür sorgen könnte,
dass die Kinder einen Schulabschluss erlangen und dann
eine ordentliche Ausbildung erhalten können?
({5})
Dort aber kommt das Geld doch gar nicht an.
Allerdings hätten wir auch gerne im gesamten Bereich der beruflichen Bildung deutlich mehr Mittel, um
die kolossalen Defizite der vergangenen Jahre auszugleichen, wenn auch mit einer anderen Zielrichtung. Es gibt
zwar für Jugendliche unter 25 Jahren einen Rechtsanspruch auf eine Berufsausbildung, eine Vermittlung in
Arbeit oder Beschäftigung oder eine Bildungsmaßnahme. Wer aber bis zum 25. Lebensjahr keinen Berufsabschluss erreichen konnte, ist irgendwann über 25 und
wird dann nicht mehr gefördert und hat immer noch keinen beruflichen Abschluss. Etwa 17 Prozent in der Altersgruppe zwischen 25 und 30 Jahren haben keinen beruflichen Abschluss. Hier sehen wir dringenden
Handlungsbedarf.
({6})
Frau Ministerin, das größte Fiasko - es hat heute
schon mehrfach eine Rolle gespielt - erleiden Sie offen14646
sichtlich mit Ihrem famosen Deutschlandstipendium für
besonders Begabte. Sie wollten 2010 schon einmal
10 Millionen Euro dafür ausgeben; aber nur 20 Prozent
davon sind tatsächlich abgeflossen. Das restliche Geld
ist liegen geblieben, Herr Neumann. In diesem Jahr sollen es wieder 10 Millionen Euro sein; aber es wird nicht
viel mehr abfließen als letztes Jahr. Trotzdem veranschlagen Sie für das nächste Jahr fast den vierfachen Betrag. Frau Schavan, Ihr Lieblingskind findet keine Abnehmer. Da hilft auch nicht der Aufruf, den wir alle
kürzlich per Mail erhalten haben: Private werden aufgefordert, über Stipendien Bildung zu finanzieren, wie es
in anderen Ländern üblich sei.
({7})
Ich will Sie diesbezüglich gerne mit einer Neuigkeit
überraschen, die Sie vielleicht noch nicht kennen: An
der Fachhochschule Köthen ist man an solchen Stipendien interessiert. Vor einigen Monaten wandte sich ein
Kreistagsabgeordneter aus Köthen mit der Bitte an den
Kreistag, doch für die Fachhochschule den Privatanteil
in Höhe von 150 Euro über ein Stipendium zu finanzieren, weil man den Betrag selbst nicht aufbringen könne.
Vielleicht kennen Sie sich in den Hochschulen nicht aus
und wissen nicht, wie schwierig es ist, private Sponsoren
für ein solches Stipendium zu finden.
({8})
Frau Schavan, ziehen Sie daraus die Lehre und lenken
Sie die dafür eingeplanten Ausgaben in Höhe von
38 Millionen Euro am besten ins BAföG um. Dann
kommt das Geld wenigstens da an, wo es gebraucht
wird.
({9})
All dies zeigt - man müsste noch viel mehr anführen -,
wie falsch Ihr Versuch ist, die Verantwortung des Staates
für die Bildungsfinanzierung immer mehr aufzugeben
und sie in private Hände zu legen. Das tut die Bundesregierung auch beim Bildungs- und Teilhabepaket, das
bestenfalls privaten Nachhilfelehrerinnen und -lehrern
zugutekommt. Welch ein Armutszeugnis!
({10})
Es ist überhaupt ein Problem, dass immer mehr Bildungsaufgaben nicht von den Bildungsinstitutionen, die
dafür da sind, geleistet werden, sondern von der Bundesanstalt für Arbeit, den Jobcentern, den Sozialämtern
usw. Dabei könnte man direkt in den Schulen helfen,
wenn man das Geld anders verteilte.
({11})
Für Bildung sind bekanntlich die Länder und Kommunen zuständig, die das Geld in aller Regel auch für
Bildung ausgeben, wenn sie es denn haben. In meiner
Stadt Magdeburg wurden die Mittel aus dem Konjunkturpaket II vorrangig verwendet, um Schulen, Kitas und
Kultureinrichtungen zu sanieren. Das Konjunkturpaket II
war aber kein Bildungsprogramm.
Damit der Bildungshaushalt des Bundes künftig tatsächlich wieder als Bildungshaushalt bezeichnet werden
kann, müsste der Bund in Bildungsfragen wieder mit den
Ländern kooperieren können. Dann müssten Bildungsaufgaben nicht über andere Ressorts oder Bundesinstitutionen gesteuert werden; die Mittel könnten direkt in die
Bildungsarbeit der Schulen und Hochschulen fließen.
Das würde wirklich helfen.
Frau Ministerin, meine Damen und Herren von der
Koalition, die Anträge für eine Aufhebung des Kooperationsverbots in der Bildung liegen auf dem Tisch. Die
Länder sind überwiegend dazu bereit; alle, die ich frage,
wollen das. Die Initiative liegt bei Ihnen.
Schönen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht
„Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“
({0})
Gemessen an Ihrem Bildungsetat und vor allem an der
Wirklichkeit in unserem Land, muss ich feststellen: Ihr
Wachstums- und Bildungsversprechen ist leider ein Versprecher. Chancen gibt es kaum, Wege zum sozialen
Aufstieg sind blockiert. Unsere Gesellschaft bleibt leider
viel zu undurchlässig. Ein Sechstel aller Kinder lebt in
Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, in Berlin sogar jedes
vierte Kind. Kaum eines dieser Kinder hat Aussicht auf
einen Universitätsabschluss, weil es unsere Schulen
eben nicht gut genug hinbekommen, vererbte Armut zu
überwinden.
Wie reagiert Schwarz-Gelb darauf? Ihre Werbeagentur erfindet den Euphemismus „Bildungsrepublik“. Eine
orientierungslose CDU führt strukturkonservative
Hauptschuldebatten aus dem letzten Jahrtausend.
({1})
Frau von der Leyen schnürt ein bürokratisches Bildungspaket, das kaum einem armen Kind in diesem Land hilft.
({2})
Sie regieren ganz klar an den Kernproblemen unseres
Bildungs- und Wissenschaftssystems vorbei; Sie packen
sie nicht an.
Sie packen auch nicht Maßnahmen für mehr Bildungsgerechtigkeit und den sozial-ökologischen Umbau
unserer Gesellschaft und Wirtschaft an. Hier sind gezielte Investitionen und Innovationen bitter nötig. Nur
einige Beispiele: Aktivitäten in den Bereichen Klimakatastrophe, Energiewende und Atomausstieg müssen sich
ganz klar im Forschungshaushalt widerspiegeln und dort
Niederschlag finden.
({3})
Falsche Prioritäten und zögerliches Handeln von
Ministerin Schavan führen aktuell dazu, dass allein in
diesem Wintersemester mindestens 50 000 junge Menschen keinen Studienplatz finden. Diesen 50 000 jungen
Hochschulzugangsberechtigten droht eine Warteschleife.
({4})
Es ist schlichtweg paradox, dass diese Bundesregierung
den Fachkräfte- und Akademikermangel immer wieder
beklagt, aber nichts zu dessen Behebung liefert.
({5})
Ob Warteschleifen für Azubis, die Stagnation bei den
Weiterbildungsmitteln oder Studienplatznotstand - das
schwarz-gelbe Motto lautet: Mangel verwalten, statt Lösungen gestalten. Es war nicht nur in diesem Haus lange
bekannt, dass aufgrund von höherer Studierneigung,
doppelten Abiturjahrgängen und des Ausstiegs aus der
Wehrpflicht die Zahl der Studienberechtigten erheblich
steigt. Frau Schavan, dennoch haben Sie den Hochschulpakt kaum nachgerüstet.
({6})
Es kann nicht sein, dass Sie stoisch auf Ihrem 12-Milliarden-Paket sitzen bleiben. Eile mit Weile hilft keinem
einzigen Studienberechtigten in diesem Land, vor allem
nicht den 50 000, die keinen Platz finden.
({7})
Für dieses Wintersemester helfen deshalb nur noch Notmaßnahmen vor Ort, damit sich die Studienplatzlücke
verkleinert. Länder wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen unternehmen außerordentliche Anstrengungen, um die unerledigten Hausaufgaben der Bundesbildungsministerin nachzuarbeiten. Deshalb fordern wir
Sie auf, noch in diesem Herbst den Hochschulpakt nachzuverhandeln und vor allem eine Masterkomponente
einzuführen. Das ist dringend notwendig.
({8})
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, darauf hinzuweisen,
dass zu diesem Studienplatzmangel verschärfend hinzukommt, dass wir noch immer kein bundesweit funktionierendes Hochschulzulassungsverfahren haben.
({9})
Das ist der nächste große Skandal. Zu spät wurde im
Sommer 2008 ein neues Zulassungsverfahren verabredet. Drei Jahre und 15 Millionen Euro später haben wir
noch immer kein funktionierendes System. Das anhaltende Zulassungschaos ist unzumutbar. Ich frage mich
immer wieder: Frau Schavan, wo bleibt hier Ihr Einsatz? Werden Sie endlich von der Zuschauerin zur Krisenmanagerin.
({10})
Hinsichtlich der Studienfinanzierung sollten Sie ideologischen Ballast abwerfen.
({11})
Das BAföG-Reförmchen aus dem letzten Jahr hat
Schwarz-Gelb mit dem unausgegorenen nationalen Stipendienprogramm verbunden.
({12})
Die Praxis gibt uns bisher klar recht, weil die Mittel aus
dem großspurig verkündeten Deutschlandstipendium auf
ein Gartenzwergniveau herabgesunken sind. Die Wirtschaft lässt Sie hier im Regen stehen, und private Stifter
wollen das Programm nicht.
({13})
Vor allem aber geht dieses Eliteprogramm an den Bildungsaufsteigern aus nicht akademischen und einkommensarmen Elternhäusern vorbei. Deshalb sage ich:
Kassieren Sie diesen Ladenhüter ein, statt weiter in ihn
zu investieren. Stecken Sie das Geld ins BAföG, das
bringt viel mehr.
({14})
Wir hätten es heute spannend gefunden, zu erfahren,
wie Sie mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs zur steuerlichen Absetzbarkeit von Erstausbildungskosten umgehen wollen. Es wäre spannend gewesen, dazu etwas von
der Bundesbildungsministerin zu hören. Anstelle einer
nachlaufenden Kostenerstattung wollen wir eine bessere
direkte Förderung während der Ausbildungszeiten.
({15})
Wir haben hierzu Vorschläge für eine neue und moderne
Studienfinanzierung gemacht. Die staatliche Studienfinanzierung ist zu stärken; kurzfristig durch einen
BAföG-Ausbau, mittelfristig durch ein Zwei-SäulenModell mit einem Sockel für alle und einem Bedarfszuschuss für Bedürftige. Das wäre eine moderne und gezielte Studienfinanzierung der Zukunft.
({16})
Letztlich kann man nur sagen: Das ist eine magere
Halbzeitbilanz, weil dieser schwarz-gelbe Bildungshaushalt nicht das hält, was er verspricht. Sie setzen falsche
Prioritäten und stecken Geld in alte Strukturen und Ladenhüter.
Ich möchte trotzdem versöhnlich schließen. Wir können den Bildungserfolg in Deutschland insgesamt und
gemeinsam steigern, wenn strukturelle Blockaden endlich aufgebrochen und finanzielle Prioritäten richtig gesetzt werden. Dazu gehören auch moderne Bund-Länder-Finanzbeziehungen im Bildungsbereich und die
Überwindung des Kooperationsverbots im Grundgesetz.
Unsere grüne und klare Botschaft an die Ministerin, an
die Koalition und an die Opposition ist: Wir sind offen
für gemeinsame Gespräche zur Überwindung des Kooperationsverbots und zu einer modernen Bund-LänderFinanzbeziehung in diesem Bereich. Ich glaube, wir alle
gemeinsam müssen den Bildungsföderalismus modernisieren. Sonst wird er noch weiter an Akzeptanz verlieren.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Anette Hübinger für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zu vielen Redebeiträgen in
der heutigen Debatte fällt mir ein Ausspruch des Publizisten Willy Meurer ein: „Lautes Stöhnen und Klagen
gehören heutzutage in Deutschland zum guten Ton.“
({0})
Das kann man aber nicht auf unseren Haushalt beziehen
und schon gar nicht auf den Einzelplan 30. Hier haben
wir nämlich, wie der Berliner sagt, keinen Grund zum
Meckern.
({1})
Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf schaffen wir
den schwierigen Spagat zwischen finanzieller Konsolidierung und dem Setzen nachhaltiger Wachstumsimpulse. Gerade die schwierige finanzielle Lage in einigen
europäischen Mitgliedstaaten führt uns immer wieder
vor Augen, wie unerlässlich gerade dieser Zweiklang
zwischen Konsolidierung und Investieren für erfolgreiches politisches Handeln ist. Bei der Konsolidierung unserer Staatsfinanzen gehen wir einen weiteren wichtigen
Schritt, um mittelfristige Ziele der Schuldenbremse zu
erreichen. Beim Investieren, der zweiten Seite der Medaille, kommt es auf die richtigen Stellen an, um die Zukunft unseres Landes zu sichern. Das heißt, wir müssen
dort investieren, wo die Basis für wirtschaftliche Entwicklung gelegt wird. Bildung und Forschung sind dabei
wichtige, wenn nicht sogar die wichtigsten Bausteine.
({2})
Es ist absolut richtig, dass diese beiden Bereiche zentrale haushaltspolitische Schwerpunkte in der christlichliberalen Koalition sind. Für uns war von Anfang an
klar, dass wir in dieser Legislaturperiode noch mehr für
Bildung und Forschung tun müssen. Deshalb wollen und
werden wir in dieser Zeit eine Summe von zusätzlich
insgesamt 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung
investieren. Denn jeder hierin investierte Euro ist eine
gute Investition in unser Land, in unsere Zukunft und in
unsere Menschen.
({3})
Der Regierungsentwurf zeigt wieder deutlich, wie
ernst es uns mit diesem Ziel ist, und das trotz eingeführter Schuldenbremse. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass
der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 2012 überproportional ansteigt. Wir reden hier
von einer Steigerung um 10 Prozent. Die Zahl ist so
schön, dass ich sie wiederholen muss. Insgesamt macht
diese Steigerung 1,2 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung aus.
({4})
Die finanzielle Entwicklung des Einzelplans 30 könnte
nicht besser sein. Nun kommt es also darauf an, die richtigen Schwerpunkte und Signale zu setzen.
({5})
Auch hier hat das Bundesministerium für Bildung und
Forschung einen guten Job gemacht. Ein Kompliment an
die Ministerin und ihr Haus, mit einem herzlichen Dank
verbunden!
({6})
Aus Sicht der Union sind im vorliegenden Entwurf
alle wichtigen Maßnahmen und Instrumente mit einem
adäquaten Finanzvolumen ausgestattet, auch diejenigen,
bei denen im letzten parlamentarischen Haushaltsverfahren noch nachgebessert werden musste. Wenn ich mir
beispielsweise die Zahlen für den Studenten- und Wissenschaftleraustausch, die Förderung der Instandhaltung
und Modernisierung überbetrieblicher Bildungsstätten
und die vorgesehenen Zuschüsse für Begabtenförderungswerke ansehe, dann stelle ich fest, dass kein Raum
für Kritik bleibt.
({7})
Den steigenden Studierendenzahlen aufgrund doppelter
Abiturjahrgänge unter Aussetzung der Wehrpflicht wird
durch einen beachtlichen Mittelaufwuchs im Hochschulpakt Rechnung getragen. Herr Gehring, Sie sagen, dass
da nichts passiert ist. Aber ein Plus von 60 Prozent muss
man erst einmal erreichen. Vielleicht haben Sie das überlesen.
({8})
Ebenso spiegeln sich die neue Herausforderungen wie
die Energiewende, Klima, Mobilität, Umwelt und Gesundheit durch signifikante Aufwüchse wider. Frau Sitte,
Ihnen kann ich vielleicht noch sagen - hören Sie mir
bitte zu, Frau Sitte -:
({9})
Im Bereich Gesundheit haben wir 2011 wegen der Problematik hinsichtlich der Lizenzen unter anderem die
PDPs eingeführt. 20 Millionen Euro sind der erste
Schritt. Den muss man erst einmal machen.
({10})
Mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf und der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes bis 2015 sendet
die christlich-liberale Koalition ein klares Zeichen der
Verlässlichkeit in die deutsche Bildungs- und Wissenschaftslandschaft.
Angekündigte Aufwüchse werden von uns realisiert
und im Rahmen der Finanzierungsplanung garantiert.
Diese Planbarkeit erweist sich für unsere Forschungsinstitute als handfester Standortvorteil im internationalen
Wettbewerb. Nicht nur die Rückmeldungen aus unseren
außeruniversitären Forschungsinstituten über die jährlichen Aufwüchse in Höhe von 5 Prozent sind durchweg
positiv; rund um den Globus wird uns für diese Entwicklung Anerkennung gezollt.
({11})
Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass
die internationale Ausrichtung von Hochschulen und
Forschungsinstituten in Zukunft eine noch größere Rolle
spielen wird. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass
der Titel „Studenten- und Wissenschaftleraustausch sowie internationale Hochschul- und Wissenschaftskooperation“ mit entsprechenden finanziellen Mitteln hinterlegt ist. Auch hier liegt eine Steigerung vor - ich glaube,
Frau Hinz hat das Thema angesprochen -, und zwar um
19,13 Prozent. Diese Steigerung wird im mittelfristigen
Finanzplan durchgeschrieben. Auch an dieser Stelle hat
das Ministerium seine Hausaufgaben also gemacht.
({12})
Wer den gesamten Entwurf objektiv beurteilt, kann
nur zu einem Schluss kommen: Der Bund hat seine
Hausaufgaben in Sachen Bildung und Forschung gemacht. In der Schule würde man sagen: glatte Eins.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Swen Schulz für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem, was
hier von der Regierung als Haushaltsplanentwurf vorgelegt wird, handelt es sich um durchaus respektable Zahlen, Frau Schavan.
({0})
Das muss und möchte ich sagen. Das mache ich gerne.
Vieles von dem, was im Haushaltsplanentwurf steht, ist
vollkommen in Ordnung.
({1})
Das ist nicht weiter verwunderlich, weil das im Wesentlichen eine Fortschreibung dessen ist, was wir unter RotGrün gemacht und in der Großen Koalition mitgestaltet
haben. So viel zum Thema „Same procedure as every
year“.
({2})
Es stellt sich bloß die Frage, welche neuen Akzente
Sie, Frau Schavan, gesetzt haben. Wenn man sich die
Halbzeitbilanz anschaut und das, was Sie für das nächste
Jahr vorschlagen, fällt vor allem auf, dass so richtig
nichts auffällt. Sie haben hier einen ziemlich selbstgefälligen Vortrag - so würde ich das nennen - gehalten; aber
das Ganze wirkt doch ziemlich uninspiriert und farblos.
({3})
Man vermisst echte Ideen, wie wir in Sachen Bildung einen ordentlichen Schritt vorankommen können. Das sagt
nicht nur die SPD. Das sagen alle. Da brauchen Sie sich
gar nicht groß umzuhören. Das sagen die Sozialverbände, das sagen die Gewerkschaften, das sagen die Arbeitgeber, die Kirchen, die Wissenschaftler, die Bürgerinnen und Bürger. Die Menschen wünschen sich, dass
wir im Bereich der Bildung einen ordentlichen Sprung
nach vorne machen.
({4})
Ich will Ihre Bilanz mit der der Regierungszeit von
Rot-Grün vergleichen. Wie war das damals?
({5})
Nachdem die Kohl-Regierung das BAföG geradezu kaputt gemacht hat, haben wir das BAföG wieder auf ein
ordentliches Fundament gestellt und vorangebracht. Im
Bereich der Hochschulen haben wir neue Finanzierungsinstrumente eingeführt. Vor allem haben wir mit dem
Ganztagsschulprogramm einen ganz wichtigen Akzent
zur Fortentwicklung der Bildung gesetzt. Das hat wirklich etwas gebracht.
({6})
In der Großen Koalition haben wir leider sehr viel
Zeit damit verbringen müssen, all diese Errungenschaften von Rot-Grün gegen die Angriffe der Union zu verteidigen.
Swen Schulz ({7})
({8})
Aber immerhin haben wir den Hochschulpakt hinbekommen, nachdem die SPD-Bundestagsfraktion ganz allein dafür gesorgt hat, dass im Grundgesetz die Voraussetzung dafür geschaffen wurde.
({9})
Ich weiß noch ganz genau, dass Frau Schavan auf ihren
Händen saß und zugeschaut hat. Hinterher hat sie abgestaubt.
({10})
Was ist jetzt? Jetzt regieren Sie - leider ohne die SPD mit der FDP.
({11})
Und was machen Sie? Als neues Instrument im Bildungsbereich bieten Sie eigentlich nur ein neues Stipendienprogramm an, das Deutschlandstipendium. Aber noch nicht
einmal das läuft vernünftig.
Gleichzeitig lassen Sie das BAföG, dieses wichtige,
zentrale Element der Bildungsfinanzierung, links liegen.
({12})
Ich habe gerade erst zu dessen 40. Geburtstag gesagt,
dass an dieser Stelle nichts passiert. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Regierungskoalition, wie stellen
Sie sich das vor? Hunderttausende warten darauf, dass
sie eine bessere Unterstützung für ihren weiteren Bildungsweg bekommen. Was sagen Sie diesen Hunderttausenden? Bewerbt euch mal auf die ein-, zweitausend
Stipendien! - Das kann es doch nun wirklich nicht sein.
So geht das nicht.
({13})
Wenn Sie schon keine eigenen Ideen haben, dann
sollten Sie zumindest die Ideen von anderen aufgreifen.
Die SPD hat eine ganze Menge vorgelegt: zum BAföG,
zum wissenschaftlichen Nachwuchs, zum Hochschulzugang, zu Praktika, zu Ganztagsschulen, zum Föderalismus, zur beruflichen Bildung, zu Fachkräften und zu
vielem anderen mehr.
Ich möchte ganz besonders auf den Hochschulpakt
eingehen. Da stehen Sie, Frau Schavan, leider eher auf
der Bremse. Ich erinnere an die Diskussion über die
Aussetzung der Wehrpflicht. Wir von der SPD haben
von Anfang an gesagt: Da muss der Bund Verantwortung
übernehmen, weil durch die Aussetzung der Wehrpflicht
mehr Interessenten an die Hochschulen wollen. Sie haben das noch bei den letzten Haushaltsberatungen hier
vor einem Jahr abgelehnt. Sie wollten dazu nichts sagen,
bis Frau Merkel den Ministerpräsidenten endlich zugesagt hat: Der Bund steht zu seiner Verantwortung.
Es ist noch viel mehr notwendig. Es gibt fast flächendeckend NCs. Viele wollen studieren - Frau Schavan,
Sie haben ja gesagt: Die Studierneigung steigt -, daher
muss es auch entsprechende Angebote geben. Diese
müssen geschaffen werden. Wir müssen den Hochschulpakt ausbauen. Die SPD-Fraktion hat ein entsprechendes
Konzept für einen „Hochschulpakt Plus“ vorgelegt. Darin enthalten ist auch ein neues Element zur Schaffung
von Masterstudienplätzen; dies ist ein wichtiger Punkt.
Wir brauchen auch neue Wege der Bildungsfinanzierung. Über das Modell „Geld folgt Studierenden“ sollte
man nachdenken. Wir haben einen Abschlussbonus für
erfolgreiche Studienabschlüsse als Anreiz für gute Lehre
vorgeschlagen. Was kommt in all diesen Bereichen von
Ihnen? Nichts, gar nichts, Fehlanzeige. Das ist zu wenig.
Das ist Arbeitsverweigerung.
({14})
Wir von der SPD haben ein Konzept vorgelegt, in
dem jährlich 20 Milliarden Euro mehr Investitionen in
die Bildung vorgesehen sind. Es ist nicht leicht, das zu
verwirklichen. In diesem Konzept ist auch vorgesehen,
dass wir die Steuern für diejenigen, die sehr gute Einkommen und große Vermögen haben, erhöhen. Das ist
kontrovers, aber es ist eine klare Ansage zugunsten der
Bildungsrepublik Deutschland.
({15})
Wissen Sie, was Ihr Problem ist, Frau Schavan? Sie
kämpfen in diesen Monaten innerparteilich um Ihr Überleben.
({16})
Es geht dabei um die Frage „Hauptschule - ja oder
nein?“, die übrigens in Berlin - Sie schimpfen immer so
viel auf Berlin - erfolgreich beantwortet ist.
({17})
Frau Schavan, Sie führen Rückzugsgefechte. Wir denken nach vorne. Das ist der Unterschied.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Kollege Schulz, leben Sie eigentlich in einer Parallelwelt?
({0})
Das, was ich von Ihnen hier gehört habe, stimmt nun
wirklich nicht mit dem überein, was im vorgelegten
Haushalt steht. Die Zahlen sind hier bereits genannt worPatrick Meinhardt
den, aber man muss sie immer und immer wieder hervorheben: Zusätzliche 12 Milliarden Euro werden innerhalb von vier Jahren in Bildung und Forschung
investiert. Die Steigerung im Vergleich zum Ausgangshaushalt des Jahres 2009 beträgt 25 Prozent. Die Steigerung im Vergleich zum letzten Haushalt der rot-grünen
Koalition beträgt 70 Prozent. Das ist die höchste Steigerungsrate in ganz Europa.
({1})
Das muss man hier mit Stolz formulieren dürfen.
({2})
Wenn es uns um Bildungsgerechtigkeit geht, wenn es
uns um die einzelnen Kinder, die einzelnen Schüler geht,
wenn es uns darum geht, die Anzahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher in diesem Land in einem
partnerschaftlichen Miteinander zu reduzieren, dann hat
jeder dieser Partner seine Aufgabe wahrzunehmen. Ja, es
ist gut, dass diese Bundesregierung die Zahl der Schulabbrecher durch massive Investitionen, auch im Bereich
der Bildungsketten, reduzieren konnte. Die Schulabbrecherzahlen sind von 8,5 Prozent über 7,9 Prozent auf
7,5 Prozent gesunken.
({3})
Das ist immer noch zu viel. Wenn Sie sich die Einzelstatistik ansehen, dann merken Sie, was das Problem in
Deutschland ist: Die Schulabbrecherzahlen stiegen in
Berlin von 9,9 Prozent auf 11,5 Prozent. Sie erhöhten
sich in Brandenburg von 10,7 Prozent auf 13 Prozent.
({4})
Sie erhöhten sich in Sachsen-Anhalt von 11,3 Prozent
auf 14,9 Prozent.
({5})
Sie erhöhten sich in Mecklenburg-Vorpommern von
12,1 Prozent auf 16,8 Prozent. In all diesen Ländern sind
Sozialdemokraten mit in der Verantwortung.
({6})
Es ist unglaublich, dass Sie Ihre Verantwortung in den
Ländern nicht wahrnehmen wollen, sich aber hier hinstellen und so tun, als ob Sie damit nichts zu tun hätten.
({7})
Es ist für mich ein Unding, welche Theorien Sie hier
vertreten, und das auch noch an einem so wichtigen Tag
wie heute, am Weltalphabetisierungstag. Es gibt 7,5 Millionen funktionale Analphabeten in der Bundesrepublik
Deutschland.
({8})
Darin sieht auch diese Bundesregierung eine Aufgabe
und Herausforderung.
({9})
Deswegen investieren wir in Programme wie „Leselust“
und „Lesestart“. Deswegen investieren wir in die Offensive „Frühe Chancen“. Deswegen investieren wir in arbeitsplatzorientierte Grundbildung. Wir brauchen in der
Bundesrepublik Deutschland einen Grundbildungspakt.
Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass 7,5 Millionen
Menschen in diesem Land Probleme mit dem Lesen und
Schreiben haben. Unsere Aufgabe besteht darin, einen
Grundbildungspakt zu schließen. Bitte bringen auch Sie
sich hierbei ein!
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich
das, was Sie zum Thema BAföG sagen, höre, dann
glaube ich wirklich, dass ich hier in der falschen Veranstaltung bin.
({11})
- Ja, in Ihrer falschen Veranstaltung, weil Sie Wahrnehmungsprobleme in Bezug auf die Wirklichkeit haben.
({12})
Durch die Erhöhung der Elternfreibeträge haben jetzt
43 000 junge Studierende mehr die Möglichkeit, diese
Chance zu ergreifen. Es gibt 916 000 junge Menschen,
die BAföG erhalten. Wir haben im letzten Jahr durchgesetzt, 500 Millionen Euro mehr für das BAföG zur Verfügung zu stellen.
({13})
Das hat mit dem, was Sie in Ihrem komischen Argumentationsgebäude vortragen, nichts zu tun. Das BAföG ist
eine wichtige Ausgangsvoraussetzung für Bildungsgerechtigkeit. Für diese Bildungsgerechtigkeit hat die Bundesregierung gesorgt.
({14})
- Was das Deutschlandstipendium betrifft, muss ich sagen: Es ist unglaublich, was Sie, Herr Hagemann, hier
für eine Argumentation vorgetragen haben.
({15})
- Passen Sie mal auf! Es gibt genug Universitäten, die
schon jetzt hervorragend dastehen und eine Quote von
100 Prozent erzielen.
({16})
Bei den Universitäten in Aachen, Frankfurt am Main,
Frankfurt/Oder und Augsburg sowie bei der FH Eberswalde ist schon jetzt Übererfüllung festzustellen.
({17})
Aber zufälligerweise boykottieren die drei Universitäten
in Hamburg, die in sozialdemokratischer Verantwortung
sind, das gesamte Deutschlandstipendien-Programm.
({18})
Das ist unfair, das ist unseriös, und das ist der falsche
bildungspolitische Ansatz.
({19})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Haushalt, den die Bundesregierung heute vorlegt, ist ein Investitionshaushalt, der darauf setzt, dass die Talente und
Fähigkeiten junger Menschen gefördert werden. Er ist
ein Innovationshaushalt, er ist ein Haushalt der Bildungsgerechtigkeit, und er ist eine klare Ansage für die
Bildungsrepublik Deutschland.
Vielen herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Man merkt an dieser Debatte, dass der Opposition unsere ganze politische Richtung nicht gefällt, weil
sie erfolgreich ist.
({0})
Wir haben bei diesem Haushalt 10 Prozent draufgepackt.
Wir haben die Mittel für diesen Einzelplan um 1,2 Milliarden Euro erhöht, und das, obwohl wir für die nächsten Jahre ein Konsolidierungsprogramm in Höhe von
80 Milliarden Euro beschlossen haben. Die steuerlichen
Entlastungen betrugen unter Rot-Schwarz 20 Milliarden
Euro - das war die volle Jahreswirkung -, unter
Schwarz-Gelb sind es 10 Milliarden Euro. Das müsste in
den nächsten Jahren Steuermindereinnahmen von
30 Milliarden Euro zur Folge haben. Trotzdem haben
wir bei den Steuern einen Aufwuchs zu verzeichnen.
Angesichts dessen haben wir bei Bildung und Forschung
10 Prozent draufgepackt und die Mittel um 1,2 Milliarden Euro erhöht. Dass Ihnen diese ganze Richtung nicht
passt, ist mir klar.
({1})
Wenn Ihr einziges Thema, Herr Kollege Hagemann,
ist, dass das Geld angeblich nicht abfließt, dann will ich
Sie fragen: Wie sieht es denn mit dem fachlichen Fundament bei Ihnen aus? Wenn Sie beklagen, dass beim
Hochschulbau 500 Millionen Euro liegenbleiben, dann
muss ich Ihnen sagen, dass dies seit 2006 eine originäre
Aufgabe der Länder ist. Das ist im Bundeshaushalt nur
ein Durchlaufposten.
({2})
Wenn Sie sich darüber beklagen wollen, dann müssen
Sie sich an die Länder wenden, die diese Mittel nicht abrufen. Sie dürfen aber nicht den Bund dafür kritisieren,
dass er die Mittel zur Verfügung stellt.
({3})
Zur zweiten Lesung werde ich die Länder heraussuchen,
die die wenigsten Mittel abgerufen haben. Wer geschenktes Geld nicht nimmt, der ist einfach dumm.
({4})
Ich komme zu dem Vorwurf an Frau Ministerin
Schavan, bei ihr bleibt besonders viel Geld liegen. Nehmen wir nur einmal die Minderabflüsse: Schauen wir
doch einmal, welche Länder überregionale Forschungsfördermittel nicht abgerufen haben. Schauen wir ferner
auf die internationalen Probleme bei den Verhandlungen
zu XFEL und FAIR. Schließlich verweise ich auf
Schätzabweichungen bei gesetzlichen Leistungen, zum
Beispiel beim BAföG.
Der Einzelplan 30 hat, seitdem Frau Schavan dafür
Verantwortung trägt, bei einem Gesamtvolumen von
46,2 Milliarden Euro Minderabflüsse von lediglich
800 Millionen Euro - das sind 1,7 Prozent - zu verzeichnen. Im Vergleich zu anderen Haushalten ist das einer
der niedrigsten Werte. Es bleibt also kein Geld liegen.
Die SPD, Herr Kollege Hagemann, hat zugestimmt,
eine halbe Milliarde Euro aus dem Einzelplan 30 in das
Bildungs- und Teilhabepaket, also in sozial wichtige Bereiche wie Berufsorientierung und Begabtenförderwerke, umzuschichten. Das restliche Geld haben wir
übertragen. Es steht im Jahr 2011 zur Verfügung. Das ist
die verantwortungsvolle Politik von CDU/CSU und
FDP.
({5})
Als Haushälter schaut man immer auch auf die Rendite des von uns eingesetzten Geldes. Beispielhaft will
ich einmal auf die Zahl der Altbewerber eingehen. Als
Rot-Grün im Jahr 2005 abgewählt worden ist, gab es
341 000 Altbewerber. Im Jahr 2008 hatten wir die Zahl
schon auf 263 000 reduziert. Laut Berufsbildungsbericht
hatten wir im Jahr 2010 lediglich noch 185 000 Altbewerber. Unter der politischen Verantwortung von Frau
Schavan im Bildungsministerium hat sich die Zahl der
Altbewerber also halbiert.
({6})
Deshalb ist das Geld in den Bildungsketten, in der Berufsfrühorientierung und in der Förderung von benachteiligten Jugendlichen gut angelegt. Damit nehmen wir
unsere soziale Verantwortung wahr.
({7})
Ein weiteres Beispiel ist die Erhöhung der Zahl der
Studienanfänger. Als wir die Regierung übernommen
haben, als Angela Merkel Bundeskanzlerin geworden
ist, haben lediglich 37 Prozent eines Jahrganges ein Studium begonnen. Heute sind es 46 Prozent. Deshalb ist es
falsch, Herr Gehring, wenn Sie sagen, der Hochschulpakt 2020 sei nicht ausfinanziert. Wir haben da einen
Aufwuchs um 60 Prozent.
({8})
Der Bund finanziert die zusätzlichen Studienplätze,
die aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge und des
Wegfalls der Wehrpflicht und des Zivildienstes benötigt
werden. Angesichts erwarteter Steuermehreinnahmen
der Länder von 11,5 Milliarden Euro im Jahr 2012 gegenüber 2011 haben aber auch die Länder eine politische
Verantwortung für die Bildung, insbesondere für die
Schaffung von Studienplätzen. Stattdessen schachern sie
beim Qualitätspakt Lehre und beim Hochschulpakt
2020.
({9})
In der Tat hat es etwas länger gedauert, den Qualitätspakt Lehre mit den Ländern auf den Weg zu bringen. Es
ist aufseiten der Länder eine Unkultur geworden, zu
pokern, um möglichst viel herauszuschlagen.
({10})
- Frau Kollegin Sitte, das ist nicht logisch, weil der
Bund sich, um etwas voranzubringen, an der Finanzierung von Aufgaben beteiligt, für die originär die Länder
zuständig sind.
({11})
Der Bund sagt: Ich will, dass etwas vorankommt. - So
wird seit 2006 ganz massiv Politik gemacht. Wenn wir
die Bildungsrepublik Deutschland werden wollen, dann
ist das eine politische Gemeinschaftsaufgabe von Bund,
Ländern und Kommunen, letztendlich der gesamten Gesellschaft. Pokern und Zocken sind an dieser Stelle fehl
am Platze.
({12})
Sehen wir uns einmal Folgendes an: Was haben wir
bei betrieblichen Ausbildungsverträgen erreicht? Wie ist
die Wirtschaft ihrer Verantwortung in diesem Bereich
nachgekommen? In einer schwierigen wirtschaftlichen
Situation haben wir einen Aufwuchs an Ausbildungsverträgen zu verzeichnen. Das ist unter anderem auf Programme wie „Jobstarter“, „Jobstarter Connect“ usw. zurückzuführen.
Einen weiteren Punkt will ich hier noch anreißen,
weil immer so getan wird, als ob sich die Wirtschaft
beim Thema Forschung und Entwicklung verflüchtigte.
Durch die Anreize, die der Bund gesetzt hat, ist der Anteil der Wirtschaft an den FuE-Gesamtausgaben von
37,7 Milliarden Euro auf 44,8 Milliarden Euro gestiegen, also in drei Jahren um fast 20 Prozent. Angesichts
der Zahlen aus der rot-grünen Regierungszeit muss man
sagen: Sie haben solche Steigerungsraten nicht einmal
ansatzweise erreicht. Deswegen ist es wichtig, als Haushälter zu sagen, dass der Steuer-Euro an dieser Stelle
mehr als gut und richtig eingesetzt ist. Das ist eine erfolgreiche Politik.
({13})
Zum Schluss. Frau Ziegler, Sie haben, wenn ich mich
richtig erinnere, bei der Debatte zum Haushalt des Bundesinnenministeriums beklagt, dass die neuen Bundesländer zu kurz kommen. Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, die den Einzelplan 30 betreffen. In den
letzten zwei Jahren gab es für die neuen Bundesländer
einen Aufwuchs um weit über 160 Millionen Euro bei
der Projektförderung, bei der institutionellen Förderung
und bei speziellen Förderarten. Auch das Programm
„Innovationsförderung“ in den neuen Ländern, dessen
Mittel kontinuierlich gesteigert wurden, zeigt, dass diese
ihren Anteil abbekommen.
Wer so argumentiert, Frau Ziegler, wie Sie heute und
wie Sie das auch beim Haushalt des Bundesinnenministeriums getan haben, der baut Mauern in den Köpfen
nicht ab, sondern der baut Mauern in den Köpfen auf.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat nun Ernst Dieter Rossmann für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
einer Halbzeitdiskussion ist es interessant, nachzuspüren, was nicht angesprochen wird, aber bisher in allen
Haushaltsdebatten seitens der Regierung als das große
Ziel der Bildungsrepublik reklamiert worden ist: 7 plus
3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt für Bildung und Forschung.
({0})
Davon hat heute niemand gesprochen. Wir wissen
auch, weshalb. Sie wissen nämlich genau, dass Sie zur
Erreichung dieses Ziels mit dem, was Sie jetzt vorlegen,
20 Milliarden Euro zu wenig bereitstellen. Das ist dabei
der Punkt. Sie erreichen eben nicht die 7 Prozent bei der
Bildung, und Sie erreichen auch nicht die 3 Prozent bei
der Forschung.
Das Handelsblatt hat im Zusammenhang mit den
Zahlen eine Frage aufgeworfen: Wieso ist Frau Schavan,
für deren Haushalt in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro vorgesehen sind, nicht der Star des Kabinetts? Über diese Frage darf man nachdenken. Weshalb
sind Sie nicht der Star des Kabinetts?
Eine Antwort kann sein, dass Ihnen Souveränität
fehlt. Ihnen fehlt die Souveränität, anzuerkennen, dass
das, was Sie als Exzellenzinitiative, Hochschulpakt, Pakt
für Forschung und Innovation sowie beim BAföG für
sich reklamieren, von Rot-Grün, Schwarz-Rot und in
Übereinstimmung mit dem ganzen Haus entstanden ist.
Man beweist keine Qualität als Star, wenn die Souveränität zur Anerkennung einer Leistung aller fehlt.
Eine zweite Antwort kann sein: Sie sind auch deshalb
kein Star, weil Sie in die falsche Richtung laufen. Jede
Wahlentscheidung der Menschen gegen Studiengebühren ist indirekt auch eine Entscheidung gegen Frau
Schavan gewesen.
({1})
Sie ist doch die Bannerträgerin für Studiengebühren gewesen, wofür Ihre Partei in einem Bundesland nach dem
anderen abgewählt wird. Sogar in Baden-Württemberg
war das so, woran Sie nie glauben wollten.
({2})
Andere kommen noch. Damit müssen Sie sich jetzt auseinandersetzen.
Sie haben - auch das macht keinen Star aus - Bildungssparen angekündigt. Das war eine große Überschrift. Gekommen ist null. Eine weitere große Überschrift betraf lokale Bildungsbündnisse. Dafür gibt es
aber kein Geld im Haushalt. Wer so agiert, wird nicht
zum Star.
({3})
Dabei gilt: Manches Gute, das Sie tun wollten, haben
Sie schlecht umgesetzt. Wir wollen aber anerkennen,
dass Sie bei der Hochschullehre Gutes tun wollten, und
manches Gute, das Sie tun wollen, wird bisher von den
Parteien, die Sie tragen sollen, nicht geteilt.
Deshalb machen wir in Sachen Kooperationsverbot
für die SPD-Fraktion hier das ausdrückliche Angebot:
Frau Schavan, werben Sie dafür, dass es jetzt eine aus
Bund und Ländern zusammengesetzte Kommission gibt,
in der man, ohne vorher schon in den Schützengräben zu
sitzen, darüber redet, wie man Bildungskooperation in
Deutschland auf ein neues Fundament stellen kann. Das
kann auch Ihr Auftrag sein. Es geht darum, Menschen
zusammenzuführen, Politik zusammenzuführen, Bund
und Länder zusammenzuführen. Weil Sie diese Möglichkeit nicht nutzen, fehlt uns in der Bildungspolitik etwas.
Ich will das in Bezug auf Kooperation an drei Punkten
durchbuchstabieren.
Erstens. Uns fehlt eine Kooperation für starke Bildungsinstitutionen und starke Schulen. Die letzte große
Bildungsdebatte, die die Menschen auch bewegt hat, war
die Debatte um die Teilhabe. Von wem ist sie eigentlich
geführt worden? Von Frau Schavan? Oder von Frau von
der Leyen? War das nicht Fahnenflucht der Bildungsministerin, als es darum ging, sich für starke Schulen mit
Schulsozialarbeit und guter Infrastruktur einzusetzen?
Dazu ist kein Wort gefallen. Das geht nicht.
({4})
Wer gute, starke Bildungseinrichtungen in Deutschland
will - und das ist die erste Aufgabe einer Bundesbildungsministerin -, der darf in einer solchen Diskussion
nicht fahnenflüchtig werden.
Zweitens. Herr Meinhardt, Sie haben den heutigen
Weltalphabetisierungstag angesprochen. Forschung aus
dem Bildungsministerium hat diese Problematik mit
7,5 Millionen Betroffenen in Deutschland beziffert.
Wenn wir in den Haushalt schauen, finden wir dort nicht
7,5 Millionen Menschen, aber 7,5 Millionen als Geldbetrag. In welcher Relation steht das eigentlich zueinander? Ein Euro für jeden Betroffenen. Das kann es doch
nicht sein. Schließlich wissen wir, dass ein Land wie
England Jahr für Jahr 900 Pfund dafür eingesetzt hat.
Was Sie machen, ist doch keine Umsetzung. An dieser
Stelle könnten Sie vorangehen und als Bildungsministerin Grundbildung für alle in Deutschland in Bildungskooperation mit gutem Vorbild durch den Bund
voranbringen.
Drittens. Ich will ein weiteres Beispiel nennen, was
Kooperation, angestoßen durch eine Bundesbildungsministerin, bedeuten könnte. Heute Morgen hat Sigmar
Gabriel, Parteivorsitzender der SPD, hier daran erinnert,
({5})
dass das Zusammengehörigkeitsgefühl bei jungen Leuten in Europa sich in der Erfahrung von Ausbildung, Arbeit und Studium abbilden muss. Weshalb macht der
Parteivorsitzende der SPD diesen Vorschlag für eine solche europäische Initiative? Haben wir in der Debatte um
Europa ein Wort seitens der Bundesbildungsministerin
als Initiative gehört? Nein. - Das geht nicht.
({6})
Deshalb muss man Ihnen zum Schluss dieser Halbzeitbewertung zwei Sätze ins Stammbuch schreiben. Der
eine Satz ist folgende bemerkenswerte Überschrift von
Frau Schmoll in Ihrem Zentralorgan, der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung:
({7})
Wie oft will Frau Schavan sich denn noch irren?
Das war der erste Satz.
Der zweite Satz stammt von allerhöchster Stelle. Sie
haben bekanntlich eine Kanzlerin, die in sehr eigener
Weise charmant ist. Auf einem Parteitag, bei dem Frau
Schavan nicht einmal für ein Landesparteitagsmandat
gewählt worden ist, hat die Bundeskanzlerin diese Qualität einmal mehr bewiesen. Weil es dort so viel Kritik an
Frau Schavan gab, barmte Frau Merkel mit Blick auf
Frau Schavan an die Adresse der Delegierten: Aber nun
spendet doch einmal Beifall; sie tut doch auch Gutes.
Wenn eine Kanzlerin über eine Ministerin so etwas
sagt, dann muss sich die Ministerin fragen, mit welcher
Kraft sie in die zweite Halbzeit geht.
Frau Schavan, Sie brauchen neuen Elan; Sie brauchen
neue Konzentration; Sie brauchen neue Ideen. Nur dann
kann es eine bessere zweite Halbzeit für Bildung in
Deutschland geben.
Danke.
({8})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Damit kommen wir nun zu dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Ich erteile das Wort Bundesministerin Ilse Aigner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben ein etwas turbulentes erstes Halbjahr hinter uns gebracht - insbesondere auch in dem Bereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Zunächst haben wir zu Beginn des Jahres Dioxin im
Futtermittel gefunden. Verbraucher und Landwirte waren in tiefer Sorge. Aber gemeinsam mit den Ländern
haben wir schnell und effektiv Konsequenzen gezogen.
Wir haben entschlossen und konsequent dafür gesorgt,
dass Futtermittel und Lebensmittel in Deutschland für
ein Höchstmaß an Sicherheit stehen.
({0})
Unser Aktionsplan, den wir gemeinsam beschlossen haben, ist bereits zu weiten Teilen umgesetzt.
Dann hat uns und halb Europa Ehec in Atem gehalten.
Wir haben auch hier entschlossen und umsichtig gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium, mit
den Ländern und mit dem gesamten wissenschaftlichen
Sachverstand Verbraucherinnen und Verbraucher vorsorgend geschützt und die Lage aufgeklärt.
({1})
Die eingerichtete Taskforce hat sich bewährt. Im Hinblick auf die Verbraucherschutzministerkonferenz nächste
Woche habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir sie zu
einem dauerhaften Instrument des Krisenmanagements
weiterentwickeln. Zugleich sind wir aber auch unseren
Landwirten, die unverschuldet in Not geraten sind, zur
Seite gestanden. Wir haben auch Geld aus Brüssel besorgt, und Geld aus Brüssel ist auch immer Geld aus
Deutschland. Deshalb haben wir unseren Landwirten zur
Seite gestanden.
({2})
All das zeigt: Selten standen Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz so im Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit. Nie waren einer Bundesregierung Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz so
wichtig wie heute.
Wir haben Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine größere Bedeutung gegeben, und zwar
ohne Verbraucher und Landwirte gegeneinander auszuspielen - und ohne ideologische Grabenkämpfe.
({3})
In diesen Tagen wird wie heute Morgen viel über die
Zukunft des Euro und Europas gesprochen. Damit verbindet so mancher auch Unsicherheit über das, was
Europa kann.
Europa kann viel. Wir sehen es an der gemeinsamen
Agrarpolitik. Durch sie ist Europa zusammengewachsen
und wächst noch weiter zusammen. Es ist auch mit nationalen Interessen vereinbar, für die ich streite.
Außerdem wissen gerade unsere Landwirte sehr genau, was der Euro wert ist. 9 von 10 Euro werden innerhalb der Euro-Zone umgesetzt. Früher brauchten wir wegen der Auswirkungen der Wechselkursschwankungen
innerhalb der Europäischen Union ein sehr kompliziertes
Ausgleichssystem. Theo Waigel musste damals noch
dreistellige Millionenbeträge hin- und herschieben, um
manches auszugleichen.
All das gehört der Vergangenheit an. In den vergangenen Jahren hat Europa gerade hier für Sicherheit gesorgt.
Für die gemeinsame Agrarpolitik werden wir in den
kommenden Monaten wichtige Weichenstellungen für
die Förderperiode nach 2013 verhandeln. Es geht um die
Sicherung der Ernährung. Es geht aber auch um die Einkommensstabilisierung in der Landwirtschaft und um
Umweltschutz und Biodiversität in der Agrarpolitik.
Europa bleibt auch hier unsere Zukunft.
Wenden wir uns aber auch weiter der Zukunft zu.
Auch der Haushalt 2012 ist auf die Zukunft ausgerichtet.
Mit 5,28 Milliarden Euro steht er weiterhin als Garant
für Stabilität.
({4})
Wir haben zwar einen Rückgang zu verzeichnen, aber
das ist keine Kürzung, sondern es zeigt, dass wir unser
Grünlandmilchprogramm mit Erfolg abgeschlossen haben.
({5})
Es zeigt, dass wir unseren Landwirten genau in der Zeit,
in der sie es brauchen, zur Seite stehen, und zwar effektiv und wirkungsvoll.
Wir stehen verlässlich an der Seite unserer Bauern.
Dies gilt auch für die Gestaltung der landwirtschaftlichen Sozialpolitik. Wir wollen einen einheitlichen
Bundesträger etablieren. Mit ihm wollen wir moderne
Strukturen schaffen, damit wir auch künftig ein eigenständiges soziales Sicherungssystem für die Landwirtschaft erhalten.
({6})
Die Bundesregierung ist trotz knapper Kassen bereit,
150 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen.
Diese Mittel sind zweckgebunden, und sie werden nur
dann entsperrt, wenn es einen einheitlichen Bundesträger gibt. Ich meine, das ist eine sinnvolle Investition. Ich
möchte heute schon allen danken, die dazu beigetragen
haben und beitragen, dass wir das Gesetzgebungsvorhaben zügig beraten werden und somit die zusätzlichen
Bundesmittel rechtzeitig entsperren können.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, viele ländliche Räume stehen vor großen Herausforderungen. Unser
Bundespräsident hat es vor kurzem „Unterjüngung“ genannt. Demografischer Wandel, fehlende Jobperspektiven und Abwanderung der Jugend sind Zeichen dafür.
Mit vier Modellregionen will ich ab nächstem Jahr
gezielt neue Instrumente in der Förderung erproben, die
dagegenhalten und periphere ländliche Regionen unterstützen, und zwar mit Zielvereinbarungen, Regionalbudgets und Mikrofinanzierungen für kleine Unternehmen, unbürokratisch und mit viel Verantwortung für die
Menschen vor Ort. Deutschland kann seine Stärke eben
nicht nur aus den Ballungszentren oder Clustern beziehen,
sondern Deutschland muss auch in der Fläche und damit
in seiner Gesamtheit stark sein.
({7})
Die Bundesregierung geht den Umstieg auf erneuerbare Energien entschlossen an, und wir beschleunigen
das Tempo. Deshalb stärkt auch mein Haus die Energieforschung. Es ist eine erfreuliche Nachricht: Erstmals
beziehen wir mehr als ein Fünftel der Stromerzeugung
aus erneuerbaren Energien. Die Landwirtschaft steht hier
für Leistung. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag bei
der Erzeugung von erneuerbaren Energien. Das heißt:
Künftig ist es nicht der Strom, der in die Fläche geht,
sondern der Strom kommt aus der Fläche. Deshalb brauchen wir auch in diesem Bereich weitere Forschung. Wir
brauchen Forschung für neue Energiepflanzen, und wir
brauchen Forschung zur Speicherfähigkeit und Effizienzsteigerung vor allem in dezentralen Versorgungsstrukturen. Nicht nur industrielle Großanlagen dürfen
die Zukunft bestimmen; die Energiegewinnung gehört
auch in die bäuerliche Hand.
({8})
Unsere Ziele bilden sich in den Förderschwerpunkten
ab. Allein in den Jahren bis 2014 setzen wir 250 Millionen Euro für die Bioenergieforschung ein. Das ist ein ordentlicher Schub für die Energieversorgung von morgen.
({9})
Vorgestern hat der Europäische Gerichtshof sein Urteil zu gentechnisch veränderten Pollen in Honig gesprochen. Es ist ein Grundsatzurteil, das Klarheit schafft, und
ich begrüße das; denn die Verbraucher haben einen Anspruch auf Klarheit und Transparenz. Wir, die christlichliberale Koalition, haben uns in Brüssel immer dafür eingesetzt, dass alle Produkte, die auf einer Produktionsstufe mit Gentechnik in Berührung gekommen sind, gekennzeichnet werden. Ich hoffe, dass auch die Kommission jetzt Handlungsbedarf sieht.
({10})
Unabhängig davon müssen wir die geltenden Koexistenzregeln überprüfen. Dabei geht es auch um die Sicherheitsabstände. Gentechnikrecht ist aber Gemeinschaftsrecht. Deshalb ist die Europäische Kommission
am Zug, für ein einheitliches Vorgehen in dieser Angelegenheit zu sorgen.
Unsere Verbraucherpolitik basiert auf Schutz und
Transparenz. Hier haben wir in der jüngsten Vergangenheit wichtige Schritte nach vorne gemacht. Wir fördern
unter anderem das Internetportal lebensmittelklarheit.de
der Verbraucherzentralen. Millionen Zugriffe allein in
den ersten Tagen und bislang über 2 000 Produktmeldungen zeigen, dass es bei der Aufmachung und Kennzeichnung von Lebensmitteln Diskussionsbedarf gibt.
({11})
Der Dialog zwischen den Verbrauchern und der Wirtschaft läuft auf Hochtouren. Es ist ein Lernprozess für
beide Seiten. Hier geht es um Transparenz und Kennzeichnung, es geht nicht um Sicherheit. Bei gesundheitlichen Gefahren werden die Länder lebensmittelwarnung.de starten. Schnell und effektiv werden künftig
Verbraucher informiert.
({12})
Auf europäischer Ebene haben wir einiges erreicht.
Es sei nur die Kennzeichnung von Analogkäse und Klebefleisch genannt. In Zukunft wissen auch Allergiker,
wo Allergene drin sind. Für sie ist das eminent wichtig.
({13})
Verbraucher wollen immer mehr regionale Produkte.
Das ist auch eine Herausforderung für die Kennzeichnung. Wo der Name einer Region draufsteht, müssen
auch die Erzeugnisse der Region drin sein. Hier Verlässlichkeit zu schaffen, liegt mir persönlich am Herzen.
Deshalb wird es in der nächsten Woche ein AusschreiBundesministerin Ilse Aigner
bungsverfahren geben, welches die Kriterien hierfür
festlegen wird.
Wir haben einen Beipackzettel für Wertpapiere verpflichtend gemacht. Kosten, Risiken und Ertragschancen
sind nun im Produktinformationsblatt auf einen Blick zu
sehen. Bankberater müssen bei der BaFin gemeldet werden. Auch der Graue Kapitalmarkt zieht in Kürze nach.
Wir wollen künftig die Honorarberater fest verankern,
und wir haben die Transparenz und den Schutz vor
Falschberatung erhöht. Auch das sorgt für mehr Sicherheit.
({14})
Für mehr Sicherheit haben wir auch bei Onlinegeschäften gesorgt. Die Button-Lösung wird auf unsere
Initiative hin nun EU-Recht.
({15})
Die nationale Umsetzung sind wir bereits angegangen.
Verbraucher müssen künftig auf Kosten hingewiesen
werden, bevor ein kostenpflichtiger Vertrag abgeschlossen wird. Das ist ein wichtiger Beitrag gegen Abzocke
im Internet.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die christlich-liberale Koalition steht für Verlässlichkeit gegenüber der
Landwirtschaft. Die christlich-liberale Koalition steht
bei den Verbrauchern für ein hohes Schutzniveau. Auf
diesem Fundament stärken wir die Verbraucher in ihrer
Selbstbestimmung durch mehr Transparenz und auch
mehr Information. Wir übernehmen hier Verantwortung.
Wir haben hier in den letzten beiden Jahren, also in der
ersten Hälfte dieser Legislaturperiode, große Erfolge erzielt, und das werden wir auch in den nächsten beiden
Jahren, also in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode, tun.
Vielen herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Wilhelm Priesmeier für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörer! Die Investitionsbereitschaft der deutschen Landwirtschaft steigt. Die Exporte werden vermutlich auch
dieses Jahr die 50-Milliarden-Euro-Grenze überschreiten. Das alles sind durchaus positive Signale trotz einer
Ernte, die hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.
Diese Entwicklung ist auf unternehmerisches Handeln
und auf den Fleiß der Landwirte zurückzuführen.
({0})
Ob sie eine Folge der schwarz-gelben Agrarpolitik ist,
das lasse ich jetzt einmal dahingestellt.
Wer über den Haushalt 2012 redet, darf natürlich
nicht die vergangenen Haushalte vergessen. Sie haben in
den letzten Haushaltsjahren insgesamt 750 Millionen
Euro an zusätzlichen Subventionen für die Landwirtschaft ausgegeben und in vielen Bereichen verbrannt.
Damit haben Sie den Spielraum für kommende Haushalte, auch für den jetzigen Haushalt, in entscheidender
Weise begrenzt, wenn nicht gar in einzelnen Teilen vernichtet. Allein die Finanzierung der Agrardieselsubventionen kostet die Gemeinschaftsaufgabe zusätzlich
85 Millionen Euro zur Gegenfinanzierung. Sie schreiben
das im Haushalt 2012 fort. Wir als SPD stellen diese
Subventionen grundsätzlich zur Disposition.
({1})
Wir wollen, dass die Landwirtschaft auch hier einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Es kann doch nicht sein,
dass fossiler Diesel günstiger ist als das Öl vom eigenen
Acker. Das müssen wir ändern; wir müssen dafür sorgen,
dass auch dieser Bereich nachhaltiger wird.
({2})
Mit der Mittelausstattung der Gemeinschaftsaufgabe
bleiben Sie auf dem Vorjahresniveau. Dabei ist gerade
die Gemeinschaftsaufgabe das zentrale Gestaltungselement der Politik im ländlichen Raum. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zum ländlichen Raum und fordern
daher eine Umkehr dieser Politik. Wir fordern, dass zumindest das wieder aufgebaut wird, was in diesem Bereich abgebaut worden ist. Da reicht es nicht, Modellregionen zu fordern - auch wenn der Ansatz richtig ist -;
6 Millionen Euro kompensieren nicht 86 Millionen Euro.
Die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges führt langfristig zu einer strukturellen Schwächung des ländlichen
Raumes. Angesichts der vielfältigen Probleme, die wir
dort zu bewältigen haben - es ist von der Frau Ministerin
eben angesprochen worden: die soziale Infrastruktur ist
in vielen Bereichen infrage gestellt; junge Menschen
wandern ab; gut bezahlte Arbeitsplätze fehlen -, kann
man mit der Gemeinschaftsaufgabe und entsprechender
Prioritätensetzung gegensteuern.
({3})
Ihre Prioritätensetzung ist dagegen eindeutig: auf der
einen Seite eine dauerhafte Subvention des Agrardiesels,
auf der anderen Seite weniger zukunftsgerichtete Investitionen und weniger Beschäftigung im ländlichen Raum.
Das bedeutet konkret Ihre Politik in diesem Zusammenhang.
({4})
- Sie haben das doch als großen Sieg für die Landwirtschaft gefeiert, Herr Goldmann. Ich glaube, das muss
man einmal gründlich hinterfragen. Eine Partei, die sich
sonst dafür ausspricht, Subventionen abzubauen, ist an
dieser Stelle konsequent dafür, die Subventionen auszubauen. Das Urteil darüber überlasse ich dem deutschen
Steuerbürger. Ich glaube, er wird ein gerechtes Urteil
über Ihre politische Strategie fällen.
({5})
Die Feststellung, die die Bundesregierung im Agrarbericht trifft, nämlich GAK und GRW besser zu vernetzen und beide Aufgaben verstärkt und zielorientiert zur
Unterstützung auch des ländlichen Raumes einzusetzen,
ist richtig. In Ihrem Haushaltsentwurf findet sich das
überhaupt nicht wieder. Ich glaube, da bedarf es einiger
Nachbesserungen, um auch diesen Teil wieder auf den
richtigen Weg zu führen.
Ich spreche mich wie die gesamte SPD dafür aus, die
Gemeinschaftsaufgabe weiterzuentwickeln, ihre Zielbestimmung neu festzulegen
({6})
und sie letztlich weiterzuentwickeln zu einer Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum, die insgesamt
auch den Anforderungen zukünftiger Politikgestaltung
entspricht und nicht auf dem Stand bleibt, den wir zum
gegenwärtigen Zeitpunkt haben.
({7})
Frau Ministerin, Sie haben einen breiten Diskussionsprozess über die Ziele und Prioritäten in der Land- und
Ernährungswirtschaft angeschoben. Das war an sich
längst überfällig. Am Ende wollen Sie eine Charta für
Landwirtschaft und Verbraucher vorlegen. Ich möchte
Sie an dieser Stelle ausdrücklich für Ihr Engagement loben. Wir brauchen diese gesellschaftliche Diskussion.
Dieses Vorhaben hat nicht die uneingeschränkte Zustimmung der Koalition gefunden; das war ja sehr umstritten.
({8})
Sie können da gewiss sein: Von unserer Seite wird diese
Diskussion natürlich kritisch begleitet; aber wir brauchen diese Diskussion. Wir müssen heute darüber diskutieren, wie moderne Landwirtschaft morgen aussehen
soll. Wir müssen heute darüber diskutieren, welche
Strukturen wir zukünftig wollen.
({9})
Heute müssen die Entscheidungen über die Richtung getroffen werden, in der wir die Landwirtschaft bei ihrer
Entwicklung zu einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft in Europa begleiten wollen.
Wir müssen heute mit entscheiden, wie wir diese
Strukturen fördern wollen. Das gilt auch für die Tierhaltung.
({10})
Es kann doch nicht sein, dass bei jedem Stallneubau eine
ganze Region in Aufruhr gerät. Wir brauchen klare Rahmenbedingungen. Wir brauchen einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen für unsere Veredelungswirtschaft.
In diesem Zusammenhang darf natürlich der Tierschutz nicht fehlen. Der Tierschutz bedarf auch in der
weiteren Ausgestaltung entsprechender wissenschaftlicher Grundlagen. In Ihrem Haushaltsentwurf findet man
aber keinen ambitionierten Ansatz für ein Tierschutzforschungsprogramm. Wir als Sozialdemokraten fordern
daher ein Bundesprogramm Tierschutzforschung.
({11})
Damit wollen wir die tierschutzrelevante Forschung auf
Bundesebene bündeln und für die Zukunft substanzielle
Verbesserungen für die Züchtung und Haltung von landwirtschaftlichen Nutztieren erreichen und unterstützen.
Wir diskutieren gegenwärtig auf europäischer Ebene
auch intensiv über die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Auch das ist eine Baustelle, Frau
Ministerin, auf der Sie nicht besonders aktiv agieren.
({12})
In der Debatte um die Weiterentwicklung des Greenings
sind Sie weitestgehend abgetaucht. Von Ihnen und auch
von der Koalition hat es bislang keine substanziellen
Vorschläge gegeben.
({13})
Die Devise lautet bei Ihnen offensichtlich noch immer:
Weiter so wie bisher. Es war alles gut, und auch in Zukunft wird alles gut sein. - Das ist aber keine zukunftsgerichtete Politik. Diese Politik wird letztendlich keinen
Bestand haben; davon gehe ich aus, auch wenn ich auf
das Jahr 2013 schaue.
({14})
Unsere Gesellschaft stellt berechtigte Forderungen, bei
denen es um die Legitimation auch der derzeitigen Prämienzahlungen in der Landwirtschaft geht. Aber Sie gehen nicht darauf ein. Ich habe den Eindruck, dass Ihre
Politik im Hause vielleicht doch noch vom Deutschen
Bauernverband mitgesteuert wird und eher Klientelpolitik ist, während wir Agrarpolitik schon lange nicht mehr
als Klientelpolitik verstehen.
({15})
Wir brauchen - das ist unbestritten - ein konsequentes Greening der Agrarpolitik auf europäischer Ebene.
Wir brauchen nach dem Grundsatz „öffentliches Geld
für öffentliche Güter“ natürlich auch dort eine entsprechende Neuausrichtung. Wir sind dafür, gesellschaftlich
geforderte Leistungen zu honorieren und nicht Selbstverständlichkeiten zu bezahlen. Für uns bedeutet das:
mehr Klimaschutz, mehr Bodenschutz, Erhalt der biologischen Vielfalt und Einsatz erneuerbarer Energien auch
im Agrarsektor.
({16})
Das heißt, wir brauchen ein konsequentes Umbruchverbot für Dauergrünland, die obligatorische Winterbegrünung, das Festschreiben einer dreijährigen Fruchtfolge
und Extensivierungsflächen auch für Umweltzwecke.
Das muss Bestandteil des Greenings sein. Das muss umDr. Wilhelm Priesmeier
gesetzt werden, und dafür bedarf es auch der Unterstützung in Brüssel.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Setzen Sie das bitte auch bei der Weiterentwicklung
der Politik im deutschen Interesse in Brüssel mit um.
Seien Sie vergewissert, Frau Ministerin: Auch bei den
anstehenden Beratungen zum Haushalt werden wir Ihnen durch konstruktive Anträge den richtigen Weg weisen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Heinz-Peter Haustein für die FDPFraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Also, Herr Priesmeier, was Sie hier
so von sich gegeben haben, ist doch etwas realitätsfern;
aber dazu kommen wir jetzt im Einzelnen.
Dieser Einzelplan 10 ist der schönste, den es gibt,
({0})
nicht nur wegen des Ministeriums, sondern in seiner
Gänze: Es geht um Essen, es geht um Trinken, es geht um
die Grundlagen unseres Zusammenseins. Wenn man sich
als Haushälter den Gesamtetat in Höhe von 5,28 Milliarden Euro anschaut, stellt man fest, dass er angepasst
wurde. Er umfasst jetzt 211 Millionen Euro weniger, weil
das Grünlandmilchprogramm ausläuft und weil der Zuschuss zur Erhöhung des Stiftungskapitals der Stiftung
Warentest auf 10 Millionen Euro angepasst wurde.
Wohin gehen nun diese 5,28 Milliarden Euro? Es ist
so, wie bei all unseren Haushalten: Das meiste Geld geht
fürs Soziale drauf. So sind wir halt von der christlich-liberalen Regierung - sehr sozial eingestellt.
({1})
In diesem Fall sind für die Alterssicherung der Landwirte 2,17 Milliarden Euro, für die Krankenversicherung
der Landwirte 1,28 Milliarden Euro und für die landwirtschaftliche Unfallversicherung bislang 175 Millionen
Euro vorgesehen, wobei es bei entsprechenden Reformprozessen auch noch zu einer Anpassung nach oben
kommen kann. Wir werden sehen, mit welchem Betrag
wir hier aus den Verhandlungen herauskommen.
Wohin geht nun das übrige Geld? Ich möchte einmal
die nachgelagerten Institute und Behörden nennen: Das
Bundessortenamt erhält rund 24 Millionen Euro, das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 38 Millionen Euro, das Julius-Kühn-Institut - es
ist, vereinfacht gesagt, für die Kulturpflanzen zuständig 76 Millionen Euro, das Friedrich-Loeffler-Institut, für
Tiergesundheit zuständig, 106 Millionen Euro, das MaxRubner-Institut, das für Verbraucherschutz im erweiterteten Sinne zuständig ist, 47 Millionen Euro und das
Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut, das für den ländlichen Raum, für Wald und Fischerei zuständig ist, 79 Millionen Euro. Sie sehen also, auch in diesem Bereich wird
konstant Geld bereitgestellt. Mein Dankeschön gilt diesen Instituten und Behörden für ihre gute Arbeit.
({2})
Der Bauer, der Landwirt ist ja auch Unternehmer.
Deshalb muss man auch etwas tun, damit er in Europa
und darüber hinaus wettbewerbsfähig bleibt. Ein Bereich, bei dem wir den Landwirten bislang immer geholfen haben, ist die steuerliche Vergünstigung von Agrardiesel. Als ich diese Woche das Programm der SPD vom
5. September gelesen habe, habe ich gedacht, mein
Schwein pfeift. Die SPD will die Subventionierung des
Agrardiesels abschaffen. Sie will unsere Bauern in den
Ruin treiben.
({3})
- Das wollt ihr; denn wenn im übrigen Europa im
Durchschnitt 4 Cent und bei uns 26 Cent bezahlt werden
müssen, würdet ihr einen weiteren Vorteil weghauen. Ich
habe gedacht, ich verstehe die Welt nicht mehr. Was soll
das denn, die Axt an die Existenzgrundlage der Bauern
zu legen?
({4})
Die Bauern sind Unternehmer. Unsere Aufgabe ist es,
solche Rahmenbedingungen zu schaffen, dass ihre Produkte wettbewerbsfähig in Europa bleiben. Deshalb,
liebe Landwirte, kann ich versichern: Mit uns ist eine
Kürzung der Agrardieselsubventionen nicht zu machen.
Darauf könnt ihr euch verlassen.
({5})
Zum Beritt des Ministeriums gehören 5 Millionen Beschäftigte. Das ist eine Erfolgszahl. Ich möchte auch einmal an die Fischerei, an den Garten- und Landschaftsbau
und an die Forstwirte erinnern. All diese leisten ihren
Beitrag.
Bei unserem Haushalt wurde auch der Verbraucherschutz nicht vergessen. Der entsprechende Ansatz ist
aufgestockt worden. Für die Titelgruppe „Nachwachsende Rohstoffe“ sind 6 Millionen Euro mehr vorgesehen. Für den Ökolandbau sind nach wie vor 16 Millionen Euro veranschlagt.
Liebe Freunde, für uns ist es eine Herzenssache, das
ganze Team der Landwirte, der Fischer, der Forstwirte
und der Gärtner zu unterstützen. Wie heißt es so schön
- und dabei bleibt es auch -: Das schönste Wappen auf
der Welt ist der Pflug im Ackerfeld.
({6})
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({7})
Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Durch meinen Vorredner werde ich ein bisschen an
die Weisheit erinnert: Kunst ist Waffe, Volkskunst ist
Geheimwaffe.
({0})
Aber zum Etat. Mit Nahrungsgütern wird mehr denn
je spekuliert. Ich nenne nur das Stichwort „Zuckermarkt“. Bodenverkäufe, besonders im Osten, werden
staatlich gefördert. Die Selbstausbeutung von Landwirten steigt. Auch in den Minuten, in denen wir hier über
den Etat der Verbraucherschutzministerin reden, gehen
ganz sicher irgendwelche dubiosen Finanzprodukte an
Verbraucherinnen und Verbraucher über. Ihre Antwort
auf diese Situation, Frau Ministerin, heißt: Wir sind auf
einem guten Weg und wollen den weiter gehen. - Es darf
Sie nicht wundern, wenn wir dem nicht folgen und hier
klar und deutlich Widerspruch anmelden.
({1})
Der Etat des Bundeshaushalts für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist bescheiden. Er ist
ja gerade vorgelesen worden.
({2})
Wenn man einmal die EU-, Landes- und kommunalen
Mittel zusammenrechnet, stellt man fest, dass wir in
Deutschland nur etwa 1 Prozent der Mittel der öffentlichen Haushalte für die Landwirtschaft und unsere Ernährung ausgeben. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das
funktioniert nur, weil wir auf Kosten anderer, darunter
der Ärmsten dieser Welt, leben. Auch das fordert Widerspruch heraus.
({3})
Es hat auch nichts mehr mit Marktwirtschaft zu tun,
wenn der Milchpreis niedriger als der Preis für Mineralwasser ist. Man muss einmal darüber nachdenken, wie
man zu vernünftigen marktwirtschaftlichen Strukturen
zurückkehren kann. Es ist schlimm genug, dass Ihnen
das ein Sozialist erklären muss.
Die Linke weiß, was sie will. Die Linke steht für eine
Agrar- und Verbraucherschutzpolitik, die den Konsumenten eine gesunde und bezahlbare Ernährung und den
Produzenten ein nachhaltiges und angstfreies Wirtschaften sichert.
({4})
Einige Fakten aus Ihrem Ressort zur Situation von
Agrarbetrieben und Landwirten: Die Landwirtschaft und
die Ernährungswirtschaft sind heute von Niedriglöhnen
und einem hohen Grad an Selbstausbeutung geprägt, im
Westen und Süden dieser Republik noch mehr als im Osten; hier verhält es sich also anders als sonst. Nötig wären für die Land- und Ernährungswirtschaft Mindestlöhne, eine neue Art sozialer Sicherung, auch eine
bessere Infrastruktur, vor allem aber angemessene Erzeugerpreise.
({5})
Wir setzen uns bekanntlich intensiv für die Landwirtschaftsbetriebe im Osten ein; denn die Strukturen sind
sehr verschieden. Hier gilt nicht, dass man im Osten so
leben und produzieren will wie im Westen oder im Süden. Gewissermaßen sind die Agrarbetriebe in den
neuen Bundesländern, wenn man so will, der einzige lebendige Beweis dafür, dass es in der DDR wirtschaftliche Strukturen gab, die denen in der Bundesrepublik
überlegen waren.
({6})
- Ich habe damit gerechnet, dass es etwas länger dauert,
bis das bei Ihnen angekommen ist. Ich werde es an anderer Stelle wiederholen. - Der Agrarbericht der Bundesregierung kommt daher nicht zu Unrecht zu dem Schluss,
dass die Agrargenossenschaften und GmbHs besser
durch die Krise gekommen sind als die Kleinunternehmen. Deshalb brauchen auch diese Unternehmen Zukunftsklarheit für die Zeit nach 2013.
({7})
Ein historischer Blick auf die Agrarunternehmen im
Osten zeigt, dass sie vor allem in den ersten zehn Jahren
nach der Wende erheblichen Gegenwind hatten. Sie wurden vor allem als LPG-Nachfolgeorganisationen diskriminiert. In den folgenden zehn Jahren hat die Vernunft
der Bauern gesiegt. Im Moment besteht eine Art Koexistenz von verschiedenen Erzeugern und Produzenten im
Osten auf der einen Seite und im Westen und Süden auf
der anderen Seite. Für die nächten zehn Jahre wünschte
ich mir, dass aus dem Erfahrungsvorsprung der ostdeutschen Agrarproduzenten quasi eine Periode des Lernens
einsetzt. Also: Mehr Genossenschaft wagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Ich will mich dem Verbraucherschutz zuwenden. Wir
geben etwas weniger als 2 Euro pro Bürgerin und Bürger
für dieses wichtige Thema aus, in Summe - es ist schon
genannt worden - etwa 150 Millionen Euro.
Verbraucherschutz geht bekanntlich alle an: am Kassenautomaten, an der Tankstelle, im Supermarkt und im
Internet. Ich war erstaunt, als ich gelesen habe, dass in
den letzten zwei Jahren 8,5 Millionen Fälle von InternetRoland Claus
betrug registriert wurden - und das sind nur die registrierten Fälle. Wir wissen, dass die Dunkelziffer noch
viel höher ist. Das heißt, 10 Prozent der Bevölkerung
hatten in den letzten zwei Jahren mit dieser Form des
Betrugs zu tun. Damit ist das Internet quasi zum größten
Tatort geworden. Es ist wichtig, dass wir uns diesem
Problem zuwenden.
Wir brauchen auch auf dem sogenannten Finanzmarkt
ein stärkeres Engagement für die Verbraucherinnen und
Verbraucher. Was heute als Finanzprodukt daherkommt
und tatsächlich eine dubiose Abzocke bedeutet, das haben wir heute bereits an anderer Stelle besprochen. Ich
sage Ihnen, Frau Ministerin: Der beste Beitrag zum Verbraucherschutz, den Sie leisten können, besteht darin,
die Kasinos des unseriösen Finanzhandels zu schließen.
Die kann man nicht reparieren; sie müssen geschlossen
werden.
({9})
Die Linke steht für eine Stärkung des Verbraucherschutzes und seiner Institutionen. Wir wollen die Unterfinanzierung überwinden. Wir brauchen stabile Finanzierungen für die entsprechenden Stiftungen und
Bundesämter. Es gibt Ideen, für deren Umsetzung gar
nicht so viel Geld benötigt würde. Die Verbraucherschutzministerinnen der Linken in Berlin und Brandenburg haben den Lebensmittel-Smiley vorgeschlagen. Die
Idee liegt, weil zur Umsetzung ein Bundesgesetz zu ändern wäre, wie wir meinen, schon viel zu lange auf Eis.
Ein letztes Wort, Frau Ministerin: Ihr Etat ist überschaubar. Das macht es leichter, ihn zu ändern. Hier sind
wir mit Freude dabei. Ich will Sie schließlich daran erinnern, dass Sie noch immer einem geteilten Ministerium
vorstehen - ein Teil in Berlin, ein Teil in Bonn. Sie kennen die Position der Linken: Wir sind für die Wiedervereinigung der Bundesregierung in Berlin. Die nächste Beamtengeneration wird es Ihnen danken. Die sind nämlich
auch lieber hier. Wenn das geklappt hat, vergessen Sie
dann nicht, denen zu sagen, dass Sie damit eine Idee der
Linken umgesetzt haben.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat nun Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Frau Ministerin, gestatten Sie: Ich
habe das Grundsatzurteil des EuGH zum Genhonig so
verstanden, dass nicht, wie Sie es gesagt haben, beim
Vorliegen gentechnischer Veränderungen eine Kennzeichnung vorzunehmen ist, sondern dass dieser Honig
wegen der Kontamination als unerlaubte Zutat vom
Markt zu nehmen ist. Das ist etwas anderes als das, was
Sie gesagt haben.
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wenn wir über Landwirtschaft reden, müssen
wir unbedingt über Europa reden. Angesichts einer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik macht es wenig
Sinn, nur auf Deutschland zu blicken. Ein Blick in die
ländlichen Räume der EU 27 mit ihrer vielfältigen, in
weiten Teilen noch immer bäuerlich geprägten Struktur
einerseits und der fortschreitenden Industrialisierung andererseits macht klar, dass wir heute mehr denn je vor einer echten Richtungsentscheidung in der Agrarpolitik
stehen. Bauernhöfe oder Agrarfabriken - das ist die gesellschaftliche Frage, die gestellt wird.
({1})
Das ist die Schicksalsfrage der Landwirtschaft in Europa. Der Kampf für die bäuerliche Landwirtschaft und
gegen die Agrarindustrie ist von Anfang an Kern grüner
Agrarpolitik gewesen.
Ich weiß, dass viele von Ihnen die bäuerliche Landwirtschaft als Nostalgie betrachten und die Agrarindustrie als Zukunft. Wir Grünen sehen das ganz anders. Wir
sagen: Landwirtschaft der Zukunft ist die bäuerliche
Landwirtschaft, nachhaltig ausgerichtet. Dabei stellen
wir uns bewusst in die bäuerliche Tradition, wie sie etwa
auch auf unserem Hof zu Hause in Westfalen seit
700 Jahren besteht. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun.
Nostalgie ist das Festhalten an einem agrarindustriellen
Modell, das uns in die gefährliche Sackgasse geführt hat,
in der wir uns heute befinden. Nostalgie ist das Verharren bei dem fossilen Agrarmodell, obwohl das postfossile Zeitalter längst angebrochen ist.
({2})
Nostalgie ist das ideologische Festhalten an einer gentechnologischen Vision, die sich längst als Wahn herausgestellt hat.
({3})
Nostalgie ist, daran zu glauben, dass es Tieren in Käfigen besser geht als auf der Weide. Nostalgie ist es, Tierfabriken mit vielen Tausenden Schweinen als Ausdruck
des Fortschritts zu betrachten und die Überschwemmung
der Welt mit deutschem Billigfleisch als Entwicklungshilfe.
({4})
Wir sind heute an einem Punkt angekommen, an dem
wir uns diese Art von Nostalgie nicht mehr leisten können. Die Klimakrise, der rasende Verlust der Artenvielfalt - auch der Allerweltsarten, gerade in der Agrarlandschaft -, die Energiekrise, die Ernährungskrise zwingen
uns zum Umdenken. Dies wird weltweit so gesehen.
FAO-Generalsekretär Jacques Diouf hat völlig recht,
wenn er sagt, das heutige Paradigma einer intensiven
Pflanzenproduktion könne den Herausforderungen des
neuen Jahrtausends nicht gerecht werden.
Die Herausforderungen sind klar: Wir müssen uns
von einer Landwirtschaft verabschieden, die vollständig
von fossiler Energie abhängt, und müssen endlich beginnen, in eine solare Landwirtschaft einzusteigen.
({5})
Wir müssen den Verlust der Artenvielfalt stoppen und
die Landwirtschaft wieder zu dem machen, was sie einmal war: Förderer der Artenvielfalt, nicht ihr Ende. Wir
müssen die Landwirtschaft von einem CO2-Emittenten
wieder zu einer -Senke machen. Wir müssen Bäuerinnen
und Bauern stärken, anstatt sie der Industrialisierung zu
opfern. Wir müssen überall auf der Welt eine stabile Ernährungsgrundlage für uns Menschen schaffen. Damit
müssen wir jetzt beginnen.
Daraus ergeben sich für uns folgende konkrete Aufgaben:
Erstens müssen wir die Chancen nutzen, die die Reform der EU-Agrarpolitik bietet. Dabei geht es darum,
die Steuermittel in Höhe von 56 Milliarden Euro, die wir
für die Gemeinsame Agrarpolitik verwenden, zukünftig
so einzusetzen, dass auf den 80 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in Europa nachhaltiger gewirtschaftet wird, dass wir Biodiversität, Klimaschutz
und ländliche Entwicklung endlich zu den Eckpfeilern
der Gemeinsamen Agrarpolitik machen, anstatt weiter
immer nur davon zu reden, und dass wir endlich die systematische Benachteiligung der bäuerlichen Landwirtschaft beseitigen, anstatt weiter den Strukturwandel zu
beklagen und gleichzeitig die Industrialisierung zu subventionieren.
({6})
Die Vorschläge der EU-Kommission gehen hier in die
richtige Richtung. Deutschland blockiert jedoch bisher
alle Reformbemühungen und überlässt damit die Führungsrolle in Europa wie so oft anderen. Das muss unbedingt geändert werden; dafür werden wir streiten.
Deutschland muss endlich zum Motor einer ökologischen und sozialen Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik werden.
({7})
- Ich lebe in Westfalen. Ich glaube, Frau Mortler, Sie
wussten das; Sie können es auch nachlesen.
Zweitens müssen wir die Förderpolitik in Deutschland umgestalten. Allein über die Investitionsförderung
wird die Massentierhaltung mit über 80 Millionen Euro
im Jahr subventioniert.
({8})
Auch die über 13 Millionen Euro für Exportförderung
und Auslandsmessen, die für den Einzelplan 10 vorgesehen sind, dienen bekanntlich vor allem dem Fleischexport. Das müssen wir ändern. Stattdessen müssen wir
die Förderung klima-, tier- und umweltgerechter Verfahren ausbauen.
Drittens müssen wir Missstände im Ordnungsrecht
abbauen. Die Zustände in der Massentierhaltung, die
dieser Tage in der Öffentlichkeit zu Recht als unhaltbar
kritisiert werden, sind in der Regel völlig legal. Damit
muss Schluss sein.
({9})
Viertens müssen wir die Forschungspolitik umbauen.
Der Einzelplan 10 sieht 391 Millionen Euro für Forschung und Innovation vor; die Bio-Ökonomie-Strategie
- nicht im Agraretat - umfasst sage und schreibe
2,4 Milliarden Euro, aber davon fließt viel zu viel Geld
in die Entwicklung der Agrogentechnik und zu wenig in
die notwendige Zukunftsforschung in den Bereichen
Ökolandbau, Eiweißpflanzen, artgerechte Nutztierhaltung, Klimaschutz, Artenschutz. Das müssen wir ändern.
Schließlich müssen wir dafür sorgen, dass Agrarmärkte Regeln bekommen, die Bäuerinnen und Bauern
mehr Marktmacht geben und ihnen erlauben, sich so zu
organisieren und ihr Angebot so zu bündeln, dass sie
nicht von den Monopolisten, etwa bei den Molkereien,
an die Wand gedrückt werden.
Das sind die Aufgaben, die wir jetzt in der Agrarpolitik anpacken müssen. Nichts davon erkennt man im
Handeln der Bundesregierung. Nichts davon spiegelt der
Einzelplan 10 wider, der nicht gestaltet, sondern lediglich das Nichtstun verwaltet.
({10})
Das Wort hat nun Franz-Josef Holzenkamp für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Eine Bemerkung: Biobetriebe sind häufig wesentlich größer als konventionelle Betriebe. Ich glaube,
das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren, die Haushaltsdebatten eignen sich immer wieder sehr gut, um grundsätzliche Linien deutlich zu machen. Das machen wir auch. Von
meinen Vorrednern wurde schon viel von Leitlinien geredet. Ich sage an dieser Stelle ganz bewusst: Unsere
Leitlinie ist die Weiterentwicklung der modernen Landwirtschaft, und zwar auf Basis der Schöpfung und der
Nachhaltigkeit, und nichts anderes. Das will ich deutlich
sagen.
({0})
Im Gegensatz zu vielen anderen haben wir keine Denkverbote. Wir sind vor allem keine Gegen-alles-Partei wie
die Linke und - immer häufiger - die Grünen. Wir sagen
Ja zu einer mittelständischen und unternehmerischen
Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft, die vielen
Menschen Beschäftigung und Perspektive bieten. Wir
sagen Ja zur Nutzung von Exportchancen mit unseren
hervorragenden Produkten; das sage ich deutlich. Wir
sagen Ja zu Verbesserungen im Bereich des Verbraucherschutzes, und wir sagen auch Ja zur Einhaltung und Weiterentwicklung der Standards im Bereich des Tier- und
Naturschutzes.
Diesen Grundsätzen wird der Haushalt des BMELV
gerecht. Er ist solide finanziert und leistet seinen Beitrag
zur Gesamtkonsolidierung unseres Bundeshaushalts. Die
Veränderungen im Zusammenhang mit dem Grünlandmilchprogramm wurden bereits erwähnt und erklärt.
Zum Stichwort Agrardiesel: Lieber Kollege Wilhelm
Priesmeier, danke für die Vorlage. Wir leisten unseren
Beitrag zur Ausfinanzierung der Agrardieselvergünstigung. Wir entlasten damit unsere Betriebe und machen
sie in Europa wettbewerbsfähiger. Wir können nicht so
tun, als wären wir auf einer Insel der Glückseligen. Ich
glaube, das solltet ihr zur Kenntnis nehmen. Wie ihr im
Zusammenhang mit diesen Fragen zu landwirtschaftlichen Betrieben steht, wurde vorhin deutlich. Ich kann
nur sagen: Mit uns geht das nicht. Ihr wollt schröpfen,
wir schaffen Lösungen. Mit uns ist letztlich Verlässlichkeit gewährleistet.
({1})
Das nächste Stichwort ist die GAK: Bereits im laufenden Haushaltsjahr 2011 wurde die GAK auf 600 Millionen Euro gekürzt. Diese Summe wird für den Haushalt 2012 fortgeschrieben. Diese Kürzung war für uns
ein schmerzlicher Schritt; das will ich überhaupt nicht
verhehlen. Ich will aber an Folgendes erinnern. Denken
Sie an die Zeit vor 2005. Unter Rot-Grün wurde die
GAK regelrecht als Steinbruch genutzt, und zwar ohne
Besserstellung der Betriebe. Diese Besserstellung haben
wir schon allein durch den Agrardiesel erreicht.
Stichwort Sozialversicherung: Unter dem Gesichtspunkt der Titelhöhe ist dies der wichtigste Bereich in
unserem Haushalt. Über die 100 Millionen Euro an
Bundeszuschüssen für die landwirtschaftliche Unfallversicherung hinaus sind weitere 75 Millionen Euro eingestellt, die mit einem klaren Arbeitsauftrag verbunden
sind, nämlich der Schaffung eines Bundesträgers der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Hierzu gibt es
erfreulicherweise einen parteiübergreifenden Konsens.
Ich hoffe, wir bekommen dies im kommenden Halbjahr
gut über die Bühne. Wir stellen uns dieser Aufgabe und
werden dafür sorgen, dass bei diesem Übergang insbesondere die bisherigen Leistungen der regionalen Träger
berücksichtigt werden.
Stichwort Verbraucherpolitik: Wir folgen weiter unserer Strategie, den eigenverantwortlich handelnden Verbraucher zu stärken. Meine Kollegin Mechthild Heil
wird gleich detaillierter auf unsere Erfolge eingehen.
Herr Haustein hat vorhin gesagt, wie wir die Stiftung
Warentest und auch die Deutsche Stiftung Verbraucherschutz unterstützt haben. Damit machen wir die Verbraucherberatung unabhängiger, und wir stärken den Verbraucherschutz. Dabei muss man auch die hohen Mittel
für das BfR und das BVL berücksichtigen. Ich glaube,
dass jeder erkannt hat, dass dies insbesondere nach Ehec
ein wirksamer Beitrag zum Verbraucherschutz ist.
Im Zusammenhang mit Ehec möchte ich eines betonen: Ich fand es wirklich bemerkenswert, dass einige
Protagonisten unter uns diese wirklich große und tragische Krise zu Beginn der modernen Landwirtschaft anhängen wollten. Als dann genau das Gegenteil feststand,
war von all diesen Protagonisten nichts mehr zu hören.
({2})
Frau Aigner, ich bin der Bundesregierung dankbar für
das erfolgreiche Krisenmanagement in Zusammenarbeit
mit dem Bundesgesundheitsminister.
Wir sind nicht ideologisch verbohrt. Trotz Haushaltszwängen setzen wir die Förderung des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und andere Formen
nachhaltiger Landwirtschaft fort. Wir wollen unabhängig von der Produktionsausrichtung alle Marktchancen
nutzen. Ich plädiere einfach dafür - das ist in unserer
mündigen Gesellschaft auch vernünftig -, dass der Verbraucher selbst entscheiden soll, was er will. Das ist ein
deutlicher Unterschied zwischen der rechten und der linken Seite: Sie wollen Gängelung, wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass die Menschen eigene Entscheidungen treffen können.
Meine Damen und Herren von der Opposition, da dies
bei meinem Vorredner deutlich wurde, habe ich eine
Bitte: Hören Sie endlich auf, die nachhaltig wirtschaftenden, konventionellen Betriebe zu verunglimpfen!
({3})
Sie tun das nur, um einer Ihnen genehmen Betriebsform
einen gewissen Vorzug zu geben und letztendlich Ihre
Klientel zu befriedigen. Das ist nicht in Ordnung. Ich
mache das am Beispiel der Hennenhaltung deutlich. Wohin führt einseitiger Tierschutz? Die Hennenhaltung in
Deutschland wurde auf ein neues Verfahren umgestellt.
Jetzt kommen 50 Prozent der Eier aus Deutschland; vorher waren es 75 Prozent.
({4})
Der Rest kommt aus Ländern mit einem niedrigeren
Tierschutzstandard. Arbeitsplätze und Produktion wurden exportiert, der Tierschutz ist schlechter.
({5})
Dann habt ihr einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, dass ihr die Übergangszeit für die Kleingruppenhaltungen verkürzen wolltet. 2010 sind die letzten Ställe
gebaut worden. 2020 soll für diese Ställe ein Verbot gelten.
({6})
Das ist ein Angriff auf Eigentum. Kommen Sie zur Vernunft zurück! Bringen Sie diese Menschen und diese Betriebe nicht in Existenznöte!
({7})
Eines möchte ich klarstellen: Dort, wo es problematische Bereiche gibt, sind wir natürlich unterwegs, um uns
der Probleme anzunehmen und sie zu beseitigen. Das
zeigt sich auch am hohen Haushaltsansatz für unsere
Ressortforschung. Dass wir mehr Kommunikation betreiben müssen, zeigt sich auch im Charta-Prozess. Wir
müssen Dinge neu erklären. Wie geht Landwirtschaft?
Viele Menschen wissen das nicht mehr. Zum Fleischessen gehört auch, dass Tiere getötet werden. Man muss
manchen Menschen tatsächlich erklären, dass Wurst und
Fleisch nicht in der Kühltheke geboren werden. Wir wollen den Charta-Prozess deshalb zu einem besseren Dialog nutzen. Miteinander reden ist immer besser, als übereinander zu reden.
({8})
Die Agrarexporte wurden eben gerade angesprochen.
Ich lobe die Exportförderung des BMELV. Sie ist hochgradig erfolgreich mit unseren fantastischen deutschen
Produkten. Wir lassen uns das von euch, insbesondere
von den Grünen, nicht vermiesen.
({9})
Nennen Sie richtige Zahlen! 75 Prozent der Agrarexporte werden innerhalb Europas gehandelt. Bei den
Drittländern spielen insbesondere die Länder Russland,
Schweiz und USA eine Rolle. Es sind nicht die Entwicklungsländer, die Sie immer wieder nennen. Das ist einfach falsch. Bleiben Sie bei der Wahrheit!
Auch wir Deutschen müssen unseren Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten. Es ist einfach so,
dass nicht alle Produkte in allen Ländern wachsen. So
einfach ist das. Eigentlich müsste das jeder verstehen
können.
GAP wurde angesprochen. Ich habe ein Problem mit
dem Greening, so wie es ausgestaltet wird. Das will ich
überhaupt nicht verhehlen. Vor allen Dingen wird mit
diesen Ansätzen den globalen Herausforderungen nicht
Rechnung getragen. Man fällt zurück in Flächenstilllegungen und veraltete Instrumentarien. Das bringt so
nichts. Meine Damen und Herren von der Opposition,
ich unterstelle Ihnen: Sie wollen Umverteilungspolitik.
Das ist Klientelpolitik.
({10})
Setzen Sie sich doch bitte für die gesamte Landwirtschaft ein!
({11})
Ich halte fest: Wir haben eine Land- und Ernährungswirtschaft, die hochinnovativ, hochleistungsfähig und
sehr erfolgreich ist. Daraus resultiert: Nahrungsmittel
sind noch nie so günstig gewesen wie heute. Ja, wir haben auch eine soziale Verantwortung.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende Ihrer Rede
kommen.
Ja. - In einer nie gekannten Vielfalt und in höchster
Qualität warten die Nahrungsmittel in den Supermarktregalen, allen Krisen zum Trotz. Damit das so bleibt, bedarf es einer verlässlichen bürgerlichen Politik. Meine
Damen und Herren, Sie wissen: Das kann nur SchwarzGelb.
({0})
Das Wort hat nun Rolf Schwanitz für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf
des Einzelplans 10, den Entwurf des Haushalts für 2012
von Frau Ministerin Aigner.
Zunächst einmal möchte ich feststellen: Er beinhaltet
wenig Neues.
({0})
Es gibt wenige Überraschungen.
({1})
Im Gegenteil, muss ich sagen. Er knüpft an schlechte
Traditionen der Vorjahre an.
({2})
Das Markenzeichen Ihrer Landwirtschaftspolitik wird
auch 2012 sein: Fehlanzeige, wenn es um echte Strukturpolitik geht. Steuergelder werden für passive Gießkannensubventionen verpulvert. Das ist nach wie vor Ihr
Markenzeichen.
({3})
Ich will noch einmal daran erinnern - Kollege
Priesmeier hat das schon getan -: Unter dem Deckmantel der Hilfe für die Milchbauern sind 2010 400 Millionen Euro ausgegeben worden. Für dieses Jahr sind dafür noch einmal 300 Millionen Euro vorgesehen. Diese
Mittel werden mit der Gießkanne über die Fläche verteilt. Ich nenne die Stichworte „Grünlandprämie“ und
„Kuhprämie“. Außerdem gibt es zusätzliche Zuschüsse
zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung, mit denen
die Beiträge heruntersubventioniert werden. Die Agrardieselsubvention - auch das ist angesprochen worden wird dauerhaft fortgesetzt. Das entspricht einem Ausfall
von Steuermitteln in Höhe von 260 Millionen Euro Jahr
für Jahr.
({4})
All das ist nicht problembezogen.
({5})
Das Geld wird nur in die Fläche ausgeschüttet, ohne dass
strukturelle Überlegungen dahinterstecken. Diese Ausgaben haben keine Investitionseffekte. Das sind rein
konsumtive Subventionen. Das zielt an den strukturellen
Herausforderungen vorbei.
({6})
Natürlich war das nicht zum Nulltarif zu haben; insofern blieb mein Vorredner redlich. Es sind Kürzungen
vorgenommen worden. Das musste gegenfinanziert werden. Die Agrardieselsubvention schlug in der Größenordnung von 170 Millionen Euro im wichtigen Bereich
der Investitionsmittel negativ zu Buche. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ ist im Keller. Das Niveau von 2010
wird um 110 Millionen Euro unterschritten. Vor allen
Dingen im wichtigen Sachgebiet „Verbesserung der
ländlichen Strukturen“ ist richtig zugelangt worden. Das
ist die Situation.
({7})
Wer gedacht hat, dass sich der Umstand, dass weniger
Mittel für Strukturpolitik und mehr Mittel für Gießkannensubventionen ausgegeben werden, in 2012 ändert,
muss bitter enttäuscht feststellen: Das ist nicht so. Bei
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gibt es keine Veränderung. Die Haushaltsmittel bleiben auf dem abgesenkten
Niveau des Vorjahres: 0 Euro Veränderung in diesem
Haushaltsentwurf gegenüber 2011.
Bei den Gießkannensubventionen passiert das, was
Kritiker schon früher befürchtet haben: Obwohl das Sofortprogramm ausgelaufen ist, obwohl in diesem Jahr
nach zwei Jahren Schluss ist, wird das Ganze nicht auslaufen, sondern die zusätzlichen Subventionen im Bereich der Unfallversicherung werden beibehalten. Das
süße Gift der zusätzlichen Zuschüsse:
({8})
75 Millionen Euro aus der Gießkanne in 2012, 50 Millionen Euro in 2013 und noch einmal 25 Millionen Euro
in 2014. Summa summarum sind das 150 Millionen
Euro, die in diesen Bereich hineingepumpt werden, ohne
dass strukturpolitische Schwerpunkte gesetzt werden.
({9})
Das ist klar rückwärtsgewandte Agrarpolitik. Die
Mittel für Strukturwandel, für Innovationen, für ökologische Ausrichtungen in der Landwirtschaft und für Investitionen werden quasi ausgetrocknet. Gießkannensubventionen hingegen werden aufgebläht, und die Dauer
wird verlängert bis zum Gehtnichtmehr. Das war das
Markenzeichen Ihrer Politik in den letzten beiden Jahren. Das wird auch das Markenzeichen Ihrer Politik in
2012 sein.
({10})
Das habe ich vermutet, Herr Schirmbeck.
Auch im Bereich der Verbraucherpolitik fehlt echte
Reformpolitik. Ich weiß nicht, warum Sie sich bezüglich
der Stiftung Warentest auf die Schulter klopfen. Die Zuschüsse werden überproportional gekürzt. Die Aktion,
die Sie bezüglich des Stiftungskapitals aufgelegt haben,
erweist sich schlicht und einfach als das, was wir immer
befürchtet haben, nämlich als eine Kürzung der Mittel
bei der Verbraucherpolitik.
({11})
Auch bei der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz
fehlt der Ministerin jeder Wille zur Nachhaltigkeit. Erhöhung des Stiftungskapitals 2012? Fehlanzeige. Das
war eine einmalige Aktion. Gibt es im Haushalt 2012 einen Querverbund zu den Strafgeldern des Bundeskartellamtes? Fehlanzeige. Davon ist nichts zu erkennen. Ich
fordere Sie deshalb hier noch einmal auf: Gestalten Sie
endlich eine verursachergerechte Verbraucherpolitik in
Ihrem Bundeshaushalt!
({12})
Schaffen Sie einen Querverbund zu den Strafgeldern des
Bundeskartellamtes! Das wäre ein innovatives Signal bei
der Finanzierung der Verbraucherarbeit, vor allen Dingen ein Signal an die Sünder im industriellen Bereich.
({13})
Beim Thema Fehlanzeige kann ich die dm-Anzeigen
nicht aussparen. Frau Ministerin, das wird Sie nicht
überraschen. Fangen wir einmal mit dem Positiven an.
Dass Sie diese Anzeigenserie zurückgezogen haben, war
eine richtige Entscheidung. Aber dass Staatssekretär
Müller sich in diesen Anzeigen quasi zum Werbeträger
einer Drogeriekette macht, empfinde ich schlicht und
einfach als Sauerei. Das ist mit dem Amtsverständnis eines Regierungsmitgliedes nicht zu vereinbaren.
({14})
Genauso unerträglich empfinde ich es, dass da sogar
noch eine Agentur eingeschaltet worden ist und dies aus
dem Titel „Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher“ finanziert wurde.
({15})
Diese sogenannten Tipps,
({16})
also mehr Obst und Gemüse zu essen und im Sommer
mehr zu trinken, sind an Trivialität nun wirklich nicht
mehr zu überbieten. Das hat mit Verbraucherinformationen überhaupt nichts zu tun und auch nichts mit
INFORM. Wenn dies wieder einigermaßen ins Lot kommen soll, dann fordern Sie bitte Ihren Staatssekretär auf,
er möge das aus seinen Dienstbezügen bezahlen, damit
wieder Ordnung herrscht.
({17})
Darüber und über viele andere Dinge mehr müssen
wir reden, damit das Jahr 2012 nicht zu einem verlorenen Jahr für die Verbraucher und für die Landwirte in
Deutschland wird.
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat nun Edmund Geisen für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich meine,
die Zukunft Deutschlands wird wesentlich von einer prosperierenden und florierenden Landwirtschaft geprägt
sein. Die christlich-liberale Koalition, insbesondere wir
von der FDP, setzen voll und ganz auf eine unternehmerische, effiziente Landwirtschaft, die ihr Einkommen am
Markt verdienen kann.
({0})
Das heißt auch, dass wir eine standortangepasste nachhaltige Produktion mit exzellenten Produktqualitäten
wollen.
({1})
Eine Landwirtschaft am Gängelband des Staates hat
noch nie funktioniert; dafür gibt es viele Beispiele. Ja,
auch die speziellen deutschen Vorgaben der Vorgängerregierungen im vergangenen Jahrzehnt haben unsere
Landwirtschaft eher geschwächt. Wichtige Branchen
wurden ins Ausland verlagert und die Produkte dann importiert. Ein sehr anschauliches Beispiel ist - das wurde
eben erwähnt - die Produktion von Eiern. Aber auch andere Produktionslinien konnten den Sondervorschriften
und politischen Sonderwegen Deutschlands nicht standhalten.
Es muss, meinen wir, Schluss sein mit der ausnahmslosen Klientel-, Nischen- und Skandalpolitik in der
Landwirtschaft. Die christlich-liberale Regierung hat erkannt, dass die Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden müssen, um unserer Landwirtschaft gerecht zu werden. Harmonisierung nationaler Vorgaben mit denen auf
EU-Ebene, das ist unsere Devise.
Wir waren schon erfolgreich. Von meiner FDP-Fraktion erstmals vor vier Jahren eingefordert - das wissen
viele hier im Haus -, hat die christlich-liberale Regierung mit Ministerin Aigner eine Angleichung der Agrardieselbesteuerung durchgesetzt, ebenso deren Verstetigung. Das ist Geld, das den Bauern zusteht. Das ist keine
Subventionierung.
({2})
Das ist nur ein Schritt zur Harmonisierung eines Faktoreinsatzes. Das hat mit Subventionierung gar nichts zu
tun. Wenn die französischen Bauern bisher noch nicht
1 Cent Agrardieselsteuer gezahlt haben, der Steuersatz,
den die deutschen Bauern zu zahlen haben, aber bei
45 Prozent liegt, dann war da etwas nicht in Ordnung.
Die Bauern bedanken sich ganz herzlich bei der jetzigen
christlich-liberalen Regierung. Vielen Dank, Frau Aigner!
({3})
Wenn wir die unternehmerische Landwirtschaft im
Interesse der Gesellschaft unterstützen wollen, dann
muss die Politik dafür Sorge tragen, dass die Landwirtschaft von den Erträgen ihrer Arbeit auch existieren
kann.
({4})
Dann will die Landwirtschaft gar keine Subventionen.
({5})
Das ist im Sinne der betroffenen Landwirte und auch im
Sinne der Gesellschaft.
Lassen Sie mich betonen: Wettbewerbsgerechtigkeit
durch Harmonisierung staatlicher Vorgaben auf europäischer Ebene, kostendeckende Preise und angemessene
Honorierung gesamtgesellschaftlicher Leistungen machen jegliche Subventionen überflüssig und entlasten damit auch die Staatskasse.
({6})
Die christlich-liberale Regierung hat anerkannt: Zur
Harmonisierung gehört auch die Anpassung von Vorschriften, zum Beispiel in den Bereichen Pflanzenschutz,
Tierschutz und Umweltschutz. Daran müssen wir arbeiten. Auf rein nationaler Ebene werden jetzt endlich auch
die Hausaufgaben gemacht, was früher nicht gemacht
wurde. Wir werden die landwirtschaftlichen Sozialkassen endlich zukunftsfest machen. Die immer kleiner
werdende Solidargemeinschaft in der Landwirtschaft
kann ihre Eigenständigkeit auf Dauer nur mit einem
Bundesträger sichern. Eine solche von uns in die Wege
geleitete landwirtschaftliche Sozialreform führt mittelfristig zu Beitragsstabilität und zu Millioneneinsparungen im Haushalt. Hier, denke ich, gibt es über die Parteigrenzen hinweg Konsens.
Das noch in 2009 von der christlich-liberalen Koalition beschlossene Konjunkturprogramm hat die Krise
der Landwirtschaft spürbar abgeschwächt. Lassen Sie
mich nur einige Worte zur Sonderstellung des Wirtschaftszweiges Landwirtschaft sagen.
Aber nur wenige Worte, bitte.
Nur wenige Worte. - Die Landwirtschaft ist keine
Branche wie jede andere. Sie ist eine Werkstatt unter
freiem Himmel. Was das bedeutet, haben wir dieses Jahr
gesehen. Deswegen müssen wir uns unbedingt daranmachen, Risikoausgleichsmechanismen zu schaffen und zu
installieren. Auch das wird die christlich-liberale Koalition tun und die Landwirtschaft damit zukunftsfest machen.
({0})
Wer heute den Agrarstandort Deutschland fit hält, sichert
morgen Ernährung und Energie. Das ist unser politischer
Kompass, und davon zeugt auch dieser Haushaltsentwurf.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Alexander Süßmair für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Entwurf des Agrarhaushalts 2012 zeigt für
mich, dass die Agrarpolitik der Bundesregierung weder
sozial gerecht noch ökologisch oder ökonomisch nachhaltig ist.
({0})
Das werde ich auch belegen.
Im Agrarsektor haben wir derzeit eigentlich mit genau denselben Problemen zu kämpfen wie - das haben
wir heute thematisiert - im Rahmen der Finanz- und
Wirtschaftskrise im Euro-Raum und weltweit. Die Einkommen der Bäuerinnen und Bauern sowie der Beschäftigten in der Landwirtschaft sind viel zu gering.
({1})
Um 20 Prozent sind seit der Liberalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik die Erzeugerpreise gesunken. Das
Durchschnittseinkommen pro Arbeitskraft lag im Geschäftsjahr 2009/2010 um 34 Prozent unter dem durchschnittlichen Vergleichsbruttolohn.
({2})
Im besten Geschäftsjahr der letzten Jahre - das war
2007/2008 - lag das Einkommen immer noch 5 Prozent
unter dem gesellschaftlichen Durchschnittsbruttolohn.
Das alles können Sie im Agrarbericht der Bundesregierung aus diesem Jahr nachlesen; damit Sie nicht glauben,
das seien nur linke Parolen.
({3})
Schuld daran ist meiner Meinung nach Ihre exportorientierte Politik. Sie zielen vor allem auf den Verkauf
von möglichst billigen Agrarrohstoffen ab.
({4})
Sie ergreifen keinerlei Maßnahmen, um die Märkte im
Interesse der Erzeuger zu regulieren, damit diese endlich
faire Preise für ihre Produkte bekommen.
({5})
Der entscheidende Grund, weshalb wir fast 3,7 Milliarden Euro für die landwirtschaftliche Sozialpolitik ausgeben müssen, ist folgender - hören Sie gut zu -: Die Bäuerinnen und Bauern haben schlicht und ergreifend kein
Geld, um sich selbst ausreichend sozial abzusichern. Das
ist die Wahrheit über Ihre falsche Agrarpolitik.
({6})
Im Osten der Republik bereiten Sie den landwirtschaftlichen Betrieben zusätzliche Probleme. Dort ist die
BVVG, die Nachfolgerin der Treuhand, Motor der Preistreiberei beim Verkauf ehemaliger volkseigener Flächen.
Das geschieht im Auftrag des Finanzministeriums. Auch
durch die Fehlanreize im Rahmen der EEG-Förderung
großer Biogasanlagen haben Sie dazu beigetragen, dass
die Pachtpreise steigen, und zwar in ganz Deutschland.
Diese Bodenpolitik ist sozial ungerecht und gefährdet
die Existenz Tausender Familien in der Landwirtschaft.
({7})
Wir von der Linken fordern: Erstens. Wir brauchen
eine Förderung von regionalen Kreisläufen.
Zweitens. Wir brauchen eine Stärkung der Marktmacht der Erzeuger.
Drittens. Die Förderung von Exporten muss gestrichen werden, und wir brauchen eine Stärkung des Binnenmarktes.
({8})
Viertens. Wir brauchen eine Regulierung der Märkte;
denn der totale Markt hat in der Landwirtschaft genauso
versagt wie in der sonstigen Wirtschaft und im Finanzsektor.
({9})
Fünftens. Wir brauchen ein Verbot der Spekulation
mit Lebensmitteln.
({10})
Wir von der Linken machen auch konkrete Vorschläge. Wir fordern, den Ökolandbau zu stärken. Nur
2,6 Prozent der Forschungsmittel in der Landwirtschaft
gehen derzeit in die Forschung für den Ökolandbau. Das
ist ein Witz.
({11})
Die Linke fordert die Erhöhung des Anteils auf 20 Prozent. Außerdem fordern wir, dass Sie den Zuschuss zum
Bundesprogramm Ökolandbau von 16 Millionen Euro
auf 25 Millionen Euro aufstocken. Das könnten Sie finanzieren, indem Sie zum Beispiel die Exportförderung
in Höhe von 5 Millionen Euro streichen.
({12})
Wir fordern auch, dass Sie landwirtschaftliche Betriebe fördern, die ihre Maschinen auf reines Pflanzenöl
umstellen. Dann könnten die landwirtschaftlichen Betriebe ihren Treibstoff selbst produzieren. Davon hätten
sie deutlich mehr als von Ihrer Beimischungspolitik bei
E 10 oder der Steuerbefreiung des Agrardiesels. Das
wäre nachhaltig und würde nicht nur den Mineralölkonzernen nutzen.
({13})
Wir von der Linken unterstützen auch die Forderung
des Bauernverbandes nach einer steuerfreien Risikorücklage für die Landwirtschaft. Damit könnten Ernteausfälle und Verluste wie zum Beispiel in diesem Jahr
durch Ehec aufgefangen werden. Dann müssten wir hier
nicht alle Jahre wieder Nothilfeprogramme beschließen.
({14})
Mein Fazit Ihrer Agrarpolitik lautet: Sie wendet sich
gegen die Bäuerinnen und Bauern, sie bringt nichts für
die Verbraucherinnen und Verbraucher, und sie hat international katastrophale Auswirkungen für die Menschen
in den Entwicklungsländern. Wir brauchen eine sozial
gerechte und ökologisch nachhaltige Agrarpolitik. Dafür
steht die Linke.
Vielen Dank.
({15})
Cornelia Behm hat für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachhaltigkeit ist jetzt in aller Munde. Wir haben das
gerade bei der Rede von Herrn Holzenkamp erlebt, der
Nachhaltigkeit zum Maßstab der christlich-liberalen
Agrarpolitik erklärt hat. Die Bundesregierung hat einen
Beirat für nachhaltige Entwicklung eingesetzt, wir haben
im Bundestag einen Beirat für nachhaltige Entwicklung,
es gibt eine Nachhaltigkeitsstrategie, und in alle Gesetzen schreiben wir etwas zur Nachhaltigkeit. Aber wie
sieht die politische Praxis aus?
Es gab einmal ein Bundesprogramm Ökologischer
Landbau, finanziert vom Agrarministerium. Daraus hat
das Agrarministerium das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft gemacht. Nun frage ich mich ganz besorgt:
Was, wenn nicht der Ökolandbau, ist die Form der nachhaltigen Landwirtschaft? Nur mit dem Ökolandbau werden Böden, Gewässer, Klima und Biodiversität geschützt. Auch der Tierschutz spielt dabei eine ganz
entscheidende Rolle. Das heißt, der Ökolandbau wird
den globalen Herausforderungen und den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht und ist damit eine nachhaltige und zukunftsfähige Form der Landwirtschaft.
({0})
Aus diesem Grunde ist der Ökolandbau auch das Leitbild für eine Landwirtschaft der Zukunft weltweit. Das
hat schon seinerzeit Frau Künast erkannt.
({1})
Sie hat das Ziel gesetzt, einen Flächenanteil von 20 Prozent für den Ökolandbau zu erreichen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat das 2001 unterstrichen. Das Interessante ist, dass der Rat für Nachhaltige Entwicklung
gerade vor einem Monat erklärt hat: Wir müssen mehr
tun, wenn wir einen Anteil des Ökolandbaus von 20 Prozent erreichen wollen; denn Ökolandbau ist der Goldstandard. Ökolandbau ist das Leitbild. Darüber hinaus
hat der Rat angeregt, 20 Prozent der Agrarforschungsmittel für den Ökolandbau einzusetzen.
({2})
Angesichts des Agrarhaushalts der Bundesregierung
sind wir davon Potenzen entfernt.
({3})
Nehmen Sie endlich die ideologischen Scheuklappen
ab!
({4})
Folgen Sie den Empfehlungen des Rates für Nachhaltige
Entwicklung. Dafür gibt es eine haushaltsneutrale Lösung, nämlich die Neuausrichtung der BioÖkonomieStrategie. Darin stecken immerhin 2,4 Milliarden Euro,
verteilt über sechs Jahre. Der Großteil davon kommt
nicht aus dem BMELV-Haushalt, sondern aus dem
BMBF-Haushalt.
Eine weitere Empfehlung des Rates für Nachhaltige
Entwicklung ist eine Vermarktungsoffensive für den
ökologischen Landbau. Dafür haben wir ein hervorragendes Instrument, nämlich das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger
Landwirtschaft, BÖLN. Streichen Sie das N, machen Sie
endlich wieder BÖL daraus. Stoppen Sie Ihre Irrfahrt!
Reden Sie nicht nur nachhaltig, sondern handeln Sie
auch nachhaltig!
({5})
Die Kollegin Mechthild Heil hat für die Unionsfraktionen das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Opposition ist nun einmal so, wie sie ist:
richtungslos und wirr im Vortrag,
({0})
unpräzise und populistisch in der Sache. Mit Verlaub,
was Sie hier heute Abend der Öffentlichkeit vormachen,
ist eine reine Mogelpackung: große Aufmachung und im
Kern mehr Luft als Ware!
({1})
Wären Sie ein Unternehmen in der Ernährungsbranche,
würde man Ihnen von der Verbraucherzentrale die rote
Karte zeigen und Ihnen eine Abmahnung zukommen lassen.
({2})
Bei uns ist drin, was draufsteht: Wir haben im letzten
Haushalt die Ausgaben für den Verbraucherschutz um
30 Prozent erhöht. Davon rücken wir auch heute nicht
ab. Nein, wir legen sogar noch etwas drauf, weil wir, die
CDU/CSU und die FDP, um die Bedeutung der Verbraucherpolitik wissen und uns für eine echte Zukunftsvorsorge für die Verbraucherinnen und Verbraucher interessieren.
Wir haben das Stiftungsvermögen der Stiftung Warentest um insgesamt 50 Millionen Euro erhöht. Wir
haben die Stiftung Deutscher Verbraucherschutz mit
10 Millionen Euro unterstützt. Rechnet man diese Einzelzahlungen heraus - was Sie heute Abend nicht getan
haben -, dann stellt man fest, dass der Etat für die Verbraucherpolitik 2012 um weitere 6 Prozent anwächst.
Bei allen Sparanstrengungen im Zuge der Schuldenbremse setzen wir in der Verbraucherpolitik ein klares
Zeichen.
({3})
Wie moderner und zielgenauer Verbraucherschutz
aussieht und wie er bei uns funktioniert, sehen Sie am
Beispiel eines Projektes, das nicht einmal 1 Million Euro
gekostet hat: Lebensmittelklarheit.de. Durchschnittlich
gehen jeden Tag etwa 100 000 Bürger auf diese Seite.
Sie ist von unserem Bundesministerium finanziert. Die
Verbraucherzentrale Hessen betreut die Seite. Es gibt Informationen über die Aufmachung und die Etikettierung
von Lebensmitteln. Fragen können gestellt werden.
Auch die eine oder andere Unklarheit kann dort beseitigt
werden. Allein in den ersten Tagen gab es geradezu einen Ansturm von 20 Millionen Zugriffen auf diese Seite.
Jeden Tag erreichten die Verbraucherschützer bis zu
300 Anfragen und Produktmeldungen. Das zeigt nicht
nur das große Informationsinteresse der Bürgerinnen
und Bürger, sondern auch deren Bereitschaft, freiwillig
und aktiv an klareren und verständlicheren Lebensmittelinformationen mitzuarbeiten.
In der kurzen Zeit seit Bestehen dieser Seite haben
sich bereits viele Lebensmittelhersteller mit Produktbeschwerden auseinandergesetzt. Sie haben begonnen, ihre
Verpackungen verständlicher zu gestalten oder auch
durch ihre eigene gute Argumentation mehr Verständnis
bei ihren Endkunden zu erzielen.
({4})
Einmal mehr sehen wir, dass Kunden und Hersteller sich
eben nicht wie feindliche Brüder gegenüberstehen, wie
uns die linke Seite des Hauses immer glauben machen
will.
({5})
Nein, Kunden und Hersteller sind auf ein vertrauensvolles Miteinander angewiesen. Das Internetportal „Klarheit und Wahrheit“ ist ein guter Schritt in diese Richtung.
Vor allem unserer Verbraucherschutzministerin Ilse
Aigner gebührt großer Dank, dieses Projekt unbeirrt von
Kritik zum Erfolg geführt zu haben. Danke sehr, sehr
verehrte Frau Aigner.
({6})
Ich danke Ihnen im Namen aller Verbraucher, die Klarheit suchen, aber auch im Namen aller Unternehmer, die
an aufgeklärten Kunden Interesse haben. Dank sage ich
aber auch für die mediale Begleitung dieses Prozesses.
Die nicht ganz unberechtigte Angst einiger Hersteller,
mit Produkten an den Pranger gestellt zu werden, die
zwar rechtlich einwandfrei sind, aber für den Kunden
dennoch missverständlich sein könnten, hat sich zum
Glück bis heute nicht bewahrheitet.
Ob Ernährung, Gesundheit, Finanzanlagen oder Informationsrechte, Verbraucherschutz ist für uns von der
CDU/CSU keine Nischenpolitik. Im Jahr 2010, dem ersten Jahr der Ministerin Aigner, wurde sehr vieles angestoßen und auf den Weg gebracht. Es vergeht seitdem
kein Monat, in dem wir von der Union nicht eine verbraucherschutzpolitische Initiative auf den Weg gebracht
haben.
({7})
Das jetzt verschärfte Verbraucherinformationsgesetz ist
die umfangreichste und ambitionierteste Verbraucherschutzoffensive seit Jahren. Neben Informationen zu Lebensmitteln und Kosmetika können Verbraucher künftig
auch Auskunft über Spielzeug, Haushaltsgeräte oder andere technische Produkte erhalten.
Mit der Button-Lösung sind wir beim digitalen Verbraucherschutz in Europa führend.
({8})
Vermeintlich kostenlos ein Rezept heruntergeladen zu
haben und in Wahrheit ein Jahresabonnement für eine
Zeitschrift abgeschlossen zu haben, gehört nun der Vergangenheit an.
Beim Anlegerschutz geben wir mit den Produktinformationsblättern den Kunden eine gute Möglichkeit an
die Hand, Angebote für ihre Geldanlage besser zu verstehen und die Angebote untereinander wirklich zu vergleichen. Die bisher nur für den Bankensektor geltende
Dokumentationspflicht werden wir auch auf den Grauen
Kapitalmarkt, also auf alle Anlageberater, ausweiten.
Die Weltwirtschaftskrise hat uns nachdrücklich gezeigt: Verbrauchervertrauen ist die Voraussetzung für
eine gesunde Volkswirtschaft. Weil wir das wissen, stärken wir die Verbraucher und damit unsere Wirtschaft.
Mit dem neuen Telekommunikationsgesetz beenden
wir endgültig die Beutelschneiderei mit teuren Warteschleifen.
Wir wollen einen flächendeckenden Ausbau des
Breitbands. Menschen auf dem Land sind für mich keine
Verbraucher zweiter Klasse.
({9})
Wir setzen uns für weniger Preisschwankungen an
den Zapfsäulen ein. Zu viele Kunden fühlen sich von
den manchmal stündlich wechselnden Preisen an den
Tankstellen an der Nase herumgeführt.
Ein besserer Schutz der persönlichen Daten im Netz
und vieles andere steht bei uns auf der Agenda.
Unserem Ziel - schnellere und zielgenauere Informationen für den Verbraucher, keine staatliche Bevormundung, weniger Spielraum für die schwarzen Schafe auf
dem Markt - sind wir in den letzten zwei Jahren ein
deutliches Stück nähergekommen.
Kollegin Heil, achten Sie bitte auf die Zeit.
Der vorliegende Haushaltsentwurf eröffnet uns die
Möglichkeit, auf diesem Weg weiter voranzugehen.
Vielen Dank.
({0})
Die Kollegin Drobinski-Weiß hat für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Verbraucherinnen und Verbraucher auf den
Rängen! Ich möchte gern ein bisschen Wasser in den
Wein gießen, den Frau Heil uns einzuschenken versucht
hat.
({0})
Denn angesichts der Verbraucherpolitik dieser Bundesregierung ergibt sich folgendes Bild: Die Verbraucherpolitik hat für die schwarz-gelbe Bundesregierung wenig
Bedeutung.
({1})
Die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung hat kein Konzept. Die Verbraucherpolitik der
schwarz-gelben Bundesregierung besteht vor allen Dingen aus Worten und weniger aus Taten. Sie nutzt Worte
und Bilder. Das dient weniger den Verbrauchern als der
PR in eigener Sache.
({2})
Verbraucherpolitik fällt bei dieser Bundesregierung nur
„unter ferner liefen“. Denn im Haushaltsentwurf 2012
sind ganze 3 Prozent des gesamten Etats für verbraucherpolitische Maßnahmen vorgesehen. Das im Einzelplan 10 enthaltene Tortendiagramm weist für die Verbraucherpolitik gerade einmal 148,6 Millionen Euro aus;
das ist der kleinste Anteil. So viel gibt man für die Verbraucherpolitik aus. Sogar für den Bereich „Weitere
Ausgaben“ sind 447,9 Millionen Euro vorgesehen. Das
ist dreimal so viel wie das, was für die Verbraucherpolitik ausgegeben werden soll.
Die Verbraucherpolitik der Bundesregierung hat kein
Konzept. Ihre Maßnahmen sind nicht an der Realität der
Verbraucher ausgerichtet. Wir von der SPD-Fraktion fordern deshalb den Ausbau einer verbraucherbezogenen
Forschung. Wir fordern die Einführung eines wissenschaftsbasierten Verbraucherchecks bei der Gesetzgebung. Bisher fehlen Daten über das tatsächliche Verhalten von Verbrauchern, die Motive für die Produktwahl
und die Verarbeitung von Informationen. So weiß man
zum Beispiel auch zehn Jahre nach der Einführung der
Riester-Produkte nicht, warum viele Menschen diese
Verträge nicht abschließen, warum sie die Zulage nicht
beantragen und warum sie nicht bis zur Rente „durchsparen“. Wir fordern deshalb den Aufbau einer eigenständigen Forschungseinrichtung, die unter anderem
eine jährliche und repräsentative Verbrauchererhebung
durchführt. Sie soll die Grundlage für weitere Studien
und einen Verbrauchercheck in der Gesetzgebung ermöglichen.
Beim Verbraucherinformationsgesetz haben wir als
SPD in einem Entschließungsantrag erstmalig einen Verbrauchercheck gefordert. Wir wollen, dass die sich in der
Praxis offenbarenden Schwächen zum Anlass genommen werden, entsprechend nachzubessern. Obwohl seit
Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2008 klar ist, dass die
Auskunftsmöglichkeiten für Verbraucher so stark eingeschränkt sind, dass die Verbraucher sie kaum nutzen,
warten wir seit drei Jahren auf eine entsprechende Novelle. Das, was uns bisher vonseiten der Bundesregierung bekannt ist, lässt leider befürchten, dass auch die
Schwächen dieses Gesetzes wieder einmal nur unzureichend beseitigt werden sollen.
Nach Auffassung der Bundesregierung soll der mündige Verbraucher allein die Verantwortung für ein nachElvira Drobinski-Weiß
haltiges Konsumverhalten tragen. Dabei ist der Markt mit
der sogenannten Nachhaltigkeit für die Verbraucher undurchschaubar geworden. Hinz und Kunz werben mit der
Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Doch was steckt dahinter?
Wir fordern eine öffentlich zugängliche Datenbank, in der
Hersteller, die mit solchen Aussagen werben, ihre Kriterien für soziale und ökologische Produktionsbedingungen offenlegen.
({3})
So werden nämlich die unterschiedlichen Nachhaltigkeitsbegriffe für die Verbraucher vergleichbar. Das kann
zu einer einheitlichen Definition beitragen.
Wie Sie wissen, hat der Europäische Gerichtshof vorgestern entschieden, dass nicht zugelassene Genkonstrukte in Lebensmitteln nicht toleriert werden dürfen,
egal ob absichtlich oder zufällig hineingelangt und unabhängig vom Anteil. Im Klartext muss dies heißen: keine
Aufhebung der Nulltoleranz für nicht zugelassene Konstrukte und kein Anbau von GVO-Pflanzen. Denn die
Koexistenz ist ein Märchen.
({4})
Die Ausbreitung von GVO ist nicht kontrollierbar.
Doch stattdessen diskutiert man in der Bundesrepublik
über eine Kennzeichnungspflicht für die Produkte, die
irgendwie mit Gentechnik in Berührung gekommen
sind. Wir halten eine solche Kennzeichnung nur dann für
sinnvoll, wenn der Verbraucher auf einen Blick erkennen
kann, ob gentechnisch veränderte Pflanzen genutzt wurden oder ob auf irgendeiner Produktionsstufe im Herstellungsprozess ein gentechnisch verändertes Enzym eingesetzt wurde. Mehrheitsfähig - Frau Aigner, da muss ich
Ihnen leider widersprechen - ist diese Kennzeichnung
auf EU-Ebene sowieso nicht. Deshalb haben wir uns damals für die freiwillige Kennzeichnung „Ohne GenTechnik“ auf nationaler Ebene starkgemacht. Die haben wir
von der SPD durchgesetzt.
({5})
Ich freue mich, dass Sie, Frau Aigner, uns dabei unterstützt haben. Wir brauchen aber weiterhin Mittel für
diese Informationskampagne.
Ob Lebensmittelkennzeichnung, Verbraucherrechterichtlinie, Datenschutz oder Spielzeugsicherheit, wichtige verbraucherpolitische Vorhaben - das wissen wir
alle - werden in Brüssel verhandelt. Die Wirtschaft ist in
Brüssel bestens aufgestellt. Ihre Lobbyisten bauen ihre
Präsenz in Brüssel massiv aus. Für die Zusammenarbeit
der Verbraucherverbände auf EU-Ebene werden die Mitgliedsbeiträge der vzbv an die europäische Verbraucherorganisation BEUC zwar aus dem Einzelplan 10 gefördert, eine Vertretung für die spezifischen Interessen der
deutschen Verbraucher existiert jedoch nicht. Das, so
finden wir, muss sich schnellstens ändern.
({6})
Die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung: wenige Taten, viele Worte und viel PR in eigener Sache. Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen. Viel wurde versprochen und nicht gehalten. Die
Seite www.lebensmittelwarnung.de ist immer noch im
Aufbau. Das Verbrauchertelefon mit Lotsenfunktion
existiert nach wie vor nicht. Ob Anlegerschutz oder
Spielzeugsicherheit, die Liste der leeren Versprechungen
ließe sich beliebig fortsetzen. Die PR des Ministeriums
dagegen läuft auf Hochtouren. Einmal verkündet der
Parlamentarische Staatssekretär Allgemeinplätze, und
sein Konterfei lächelt freundlich von der gesponserten
Anzeige.
({7})
Ein anderes Mal lässt sich die Ministerin im Werbespot
auf der Internetseite einer Küchenfirma finden, oder es
werden Projekte von Zuwendungsempfängern genutzt,
um die Arbeit des Ministeriums zu bewerben. Aus dieser
Ecke werden wir möglicherweise noch einiges hören.
Lieber wäre uns weniger PR, dafür mehr gute Politik für
die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Happach-Kasan für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es sollte über diesem büttenreifen Beitrag der Kollegin
Drobinski-Weiß nicht vergessen werden, dass wir hier
über das Feld Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz diskutieren. Ich danke dem Kollegen
Priesmeier ausdrücklich, weil er festgestellt hat, dass es
insgesamt in der Landwirtschaft gut läuft. Es läuft in der
Tat bemerkenswert gut.
Ich vermisse allerdings in den Beiträgen der Opposition die Überlegung, dass eine Haushaltsdebatte nicht
nur darüber geführt werden sollte, wie die Gelder, die
von den Steuerzahlern erwirtschaftet werden, verteilt
werden. Es sollte auch darüber diskutiert werden, welche
strukturellen Rahmenbedingungen wir schaffen. Die Opposition ist etwas blass geworden. Wir haben Rahmenbedingungen geschaffen, die es unserer Landwirtschaft
ermöglichen, ein gutes Einkommen zu erwirtschaften.
Herr Priesmeier hat recht: Wir haben eine schlechte
Ernte. Deswegen werden wir darüber nachdenken, Direktzahlungen schneller zu leisten, damit keine Liquiditätsengpässe entstehen. Dies liegt im Interesse der Betriebe.
Ich vermisse bei der Kritik dessen, was gewesen ist
- Frau Drobinski-Weiß war offensichtlich nicht da, sonst
hätte sie bemerkt, wie viel diese Bundesregierung bewegt hat -,
({0})
dass man, wenn man gegen das Grünlandmilchprogramm ist, sagt, wie den Landwirten in der Milchkrise
hätte geholfen werden können. Dazu kam absolut nichts.
Der Haushalt dieser Bundesregierung folgt der Leitlinie „Stabilität, Wachstum, Zukunftsfähigkeit“. Zukunftsfähigkeit ist das Thema. Das bedeutet im Bereich der
Landwirtschaft eine Steigerung von Effizienz. Wir müssen das, was wir mit der GAP auf den Weg bringen, vor
dem Hintergrund der Steigerung der Effizienz der Landwirtschaft betrachten. An die Grünen gerichtet: Das gilt
auch für die Ökolandwirtschaft. Der Rat für Nachhaltige
Entwicklung hat ebenfalls gesagt: Bitte, liebe Ökobetriebe, auch ihr müsst effizienter werden, als ihr es bisher
wart. - Das ist eine Aufforderung an diese Betriebe. Es
reicht nicht, immerzu die bäuerliche Landwirtschaft
hochzuhalten und Museumslandwirtschaft zu fordern.
Wenn wir die Welt ernähren wollen - dazu müssen auch
wir als Deutsche einen Beitrag leisten -, dann müssen
wir Effizienzsteigerungen auf den Weg bringen, dann
darf es - das ist eine Forderung der FDP; ehrlich gesagt,
vermisse ich eine solche Forderung von der Linken auch keine Deckelung geben.
({1})
- Das hat er leider nicht gesagt. Das hätte er sagen müssen.
({2})
- Nein, das hat er nicht.
Wir müssen feststellen, dass wir in Deutschland unterschiedliche Betriebsstrukturen in den verschiedenen
Landesteilen haben, und deswegen müssen wir für das
ganze Land und nicht nur für einige Teile Politik machen.
({3})
Ich finde es außerordentlich bemerkenswert, dass es
dieser Bundesregierung - Frau Aigner gemeinsam mit
Herrn Niebel - erstmals gelungen ist, deutlich zu machen: Wer Welternährung will, der muss auch Landwirtschaft wollen.
({4})
Nur über mehr Landwirtschaft werden wir in der Lage
sein, die Menschen auf der Erde zu ernähren; nur so wird
es gehen. Wenn wir uns einfach einmal bewusst machen,
dass sich die genutzte Ackerfläche pro Kopf von 1950 bis
2025 auf ein Drittel reduzieren wird - von 5 000 Quadratmetern auf 1 700 Quadratmeter -, dann wird uns klar,
welche Herausforderung die Steigerung der Effizienz bedeutet.
({5})
Die Bundesregierung hat die Ehec-Krise sehr sachgerecht bewältigt. Ich bin betroffen, dass wir 50 Tote zu
beklagen haben. Aber wir müssen auch feststellen, dass
das Bundesgesundheitsministerium unter Herrn Bahr
und das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Frau
Aigner mit der Taskforce ausgesprochen gut gehandelt
haben und dass wir diese Krise deswegen schnell beendet haben.
({6})
Im Bundesgesundheitsministerium sind bereits Konsequenzen für die Gesetzgebung daraus gezogen worden.
Ich möchte noch auf die landwirtschaftliche Unfallversicherung eingehen. Dieses Thema wird uns in Zukunft noch beschäftigen. Ich will einen Punkt ganz deutlich machen: Ich bin der Meinung, der Unfall, der nicht
geschieht, ist der beste Unfall. Deswegen müssen wir bei
der landwirtschaftlichen Unfallversicherung darauf setzen, dass wir mehr Anreize zur Vermeidung von Unfällen, also zu Vorsorgemaßnahmen, schaffen, damit die
hohe Zahl der Unfälle im Bereich von Land- und Forstwirtschaft endlich effektiv gemindert wird.
Danke schön.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Schirmbeck für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte zuerst das aufgreifen, was der Kollege Haustein schon getan hat: Er hat sich bei vielen
Mitstreitern bedankt. Lieber Peter, ich darf dich korrigieren: Du hast unsere Ministerin vergessen. Ihr gilt natürlich dein und mein ganz besonderer Dank. Ich darf ergänzen: Ich möchte mich auch beim Finanzministerium,
besonders beim Staatssekretär Kampeter, bedanken;
denn wenn dort nicht die nötigen Mittel zur Verfügung
gestellt werden, können wir hier zwar über vieles reden,
aber nichts machen.
({0})
Meine Damen und Herren, auch wenn wir eine fröhliche Runde sind, lassen Sie mich versuchen, Ihnen hier
einen ganz ernsthaften Gedanken vorzutragen. Ich war
mit dem Kollegen Peter Bleser vor einigen Tagen auf der
sogenannten Armuts- oder Hungerkonferenz der Afrikanischen Union in Addis Abeba, also in über 2 300 Meter
Höhe. In Ostafrika gibt es 12 Millionen Menschen, die
dem Hunger ins Auge sehen. In Ostafrika hat man die
besten Zuckerrübenböden. Man hat dort auch reichlich
Wasser. Politisch und agrarstrukturell herrschen dort
aber archaische Verhältnisse. Wäre dies nicht so und
hätte man dort unser landwirtschaftliches Können der
1960er-Jahre, dann könnte man - das sagen unsere FachGeorg Schirmbeck
leute - nicht nur die Menschen in Somalia und in Äthiopien, sondern auch die in Ägypten ernähren.
Wir hier haben die erfolgreichste, leistungsfähigste
Landwirtschaft der Welt. Sie ist, wenn man das im internationalen Vergleich sieht, vergleichsweise kleinteilig.
Wir aber erwecken den Eindruck, als gäbe es hier Missstände ohne Ende. Ich sage Ihnen: Wenn wir nicht eine
so leistungsfähige Landwirtschaft hätten, könnten wir
nicht dorthin fahren, um den Hungernden, den Sterbenden dort so zu helfen, wie wir das tun. Italien kann es
schon nicht mehr.
({1})
Verehrter Herr Kollege Süßmair, ich hätte nicht gedacht, dass wir das 21 Jahre nach der deutschen Einheit
hier noch einmal diskutieren müssen. Aber der Kollege
Claus hat ausgeführt, die Landwirtschaft sei nun der Bereich gewesen, in dem die DDR der Bundesrepublik
überlegen gewesen sei.
({2})
Ich war im Januar 1990 das erste Mal in Neustrelitz.
Damals funktionierte die DDR in ihren staatlichen
Strukturen ja noch. Da war ich beim Rat des Kreises. Da
war auch der Agrarkreisrat oder wie immer der sich damals nannte. Der hatte ein Problem. Der hatte 1 000 fette
Schweine, die so fett waren, dass sie auf dem Hintern
sitzen mussten, weil sie nicht mehr stehen konnten. Das
war leibhaftige Tierquälerei. Der hatte das Problem, dass
diese fetten Schweine - dafür gab es auch gar keinen
Markt mehr - geschlachtet werden mussten. Da mussten
meine Freunde aus Südoldenburg kommen und das erledigen. Das ist die Überlegenheit gewesen! Ich sage es
einmal ein bisschen polemisch: Mit Ihrer Landwirtschaft
würde selbst in der Sahara der Sand knapp.
({3})
Lassen Sie mich etwas zu dem ländlichen Raum sagen, dem geprügelten ländlichen Raum, der sich total
entvölkert, der erbärmlich dasteht. Ich komme - zusammen mit dem Kollegen Holzenkamp - aus einer Region,
in der vielleicht die moderne Landwirtschaft entwickelt
worden ist - das kann man vielleicht so behaupten -, in
der aber die Menschen vor zwei Generationen noch Sand
gefressen haben, weil das leichte Böden sind. Die älteren
Leute, die da leben, haben noch Hunger gekannt. Da ist
heute moderne Landwirtschaft.
Wenn ich dann höre, dass von einer Entvölkerung gesprochen wird, dann muss ich sagen: Der Landkreis Osnabrück hat in den letzten 20 Jahren 75 000 Einwohner
zusätzlich gewonnen. Die Bevölkerung im Landkreis
Vechta ist erheblich gewachsen. Das gilt auch für den
Landkreis Cloppenburg oder das Emsland und die Grafschaft Bentheim. Die Arbeitslosenzahlen sind unter
4 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist an der Nachweisgrenze.
({4})
Das sind keine Regionen, in denen Not herrscht. Ich
kann nur sagen: Wenn es denn Regionen gibt, in denen
die Strukturen heute nicht zu halten sind und die sich
entvölkern, dann möge man sich in diesen Räumen einmal Gedanken darüber machen, warum das bei ihnen so
ist, und dann möge man vielleicht das eine oder andere
ändern.
({5})
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, dass im
ländlichen Raum gebaut wird. Es werden Windräder gebaut. Es werden Solaranlagen gebaut. Die Außenwände
von Stallgebäuden werden sogar verklinkert hochgezogen. So kann man in anderen Regionen der Welt nicht
einmal Häuser bauen. Es gibt richtig Innovationen im
ländlichen Raum. Es besteht dort lediglich das Problem,
dass es keinen Handwerker, keinen Fliesenleger gibt, der
zeitgerecht den einen oder anderen Auftrag ausführt.
Lassen Sie uns doch einmal ehrlich sein! Wir brauchen natürlich Verbraucherschutz. Wir brauchen Lebensmittelüberwachung. Jeder einzelne Fall, den wir in diesem Zusammenhang diskutieren, ist einer zu viel; da
sind wir uns völlig einig. Aber können wir nicht auch
einmal feststellen, dass wir gesunde Lebensmittel in einer Vielfalt haben, die es in keiner Generation vor uns
gab?
({6})
Auch darauf können wir stolz sein; auch das können
wir erwähnen, statt immer nur den einen Fall so hochzuziehen, als ginge bald die Welt unter.
({7})
Ein Thema, für das ich, wie der eine oder andere
weiß, eine besondere Leidenschaft habe, ist die Forstwirtschaft. Wir haben das Internationale Jahr der Wälder. Wir dürfen feststellen, dass die deutsche Forstwirtschaft besonders leistungsfähig ist. Das sieht man auch
daran, dass im Biodiversitätsbericht der Bundesregierung festgestellt wird, dass die Biodiversitätskriterien
gerade in der Forstwirtschaft besonders erfolgreich eingehalten werden.
Deutsche Forstleute sind in der ganzen Welt tätig. Ich
darf der Ministerin herzlich dafür danken, dass sie sich
beispielsweise an großen Kooperationswerken in Vietnam, aber auch in China und in anderen Ländern beteiligt.
Wenn man über Forstentwicklung in der Welt redet,
so ist es natürlich richtig, dass es an manchen Stellen
Waldvernichtung gibt, bei der wir dagegenhalten müssen. Aber nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass es
durch deutsche Forstleute, durch Mittel, die wir in diesem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen, beispielsweise gelingt, in einem Zeitraum von zehn Jahren in
Vietnam die Waldfläche wieder auf das Niveau von vor
dem Vietnamkrieg zu bringen. Auch darauf können wir
doch stolz sein. Das sollte man wissen; deshalb möchte
ich das hier erwähnen.
({8})
Nachdem ich mir vorhin die Ausführungen zu Forschung und Entwicklung angehört habe - ich finde es
toll, dass wir Exzellenzuniversitäten und Ähnliches haben -, sage ich durchaus ein bisschen kritisch: Es kann
doch nicht sein, dass wir an unseren Exzellenzuniversitäten junge Forstleute heranbilden, dann aber nicht in der
Lage sind, den Besten eines Jahrgangs einen Arbeitsplatz anzubieten - und das angesichts der Tatsache, dass
das derzeitige Forstpersonal im Schnitt über 50 Jahre alt
ist. Dieses Verhalten ist kurzsichtig und überzeugt nicht.
Ich hätte den Wunsch, dass sich die Länder an der einen
oder anderen Stelle etwas mehr in die richtige Richtung
bewegen.
({9})
Herr Kollege Schwanitz hat hier gesagt, im ländlichen
Raum werde Geld verbrannt. Ich kann dem nur entgegenhalten: Durch die Maßnahmen bei den Berufsgenossenschaften und beim Agrardiesel tragen wir dazu bei,
dass auch im ländlichen Raum Kaufkraft vorhanden ist.
Außerdem sorgen wir - das zeichnet diesen Einzelplan
besonders aus - für soziale Sicherheit im ländlichen
Raum, indem wir für diesen Bereich fast 4 Milliarden
Euro zur Verfügung stellen. Das ist ein Beispiel für Kontinuität. Wir sind hier verlässliche Partner. Ich sage es
noch einmal: Der Kollege Haustein und ich werden sicherstellen, dass bei den Haushaltsplanberatungen die
eine oder andere Änderung noch eingearbeitet wird, uns
zugleich aber auch an dem Ziel orientieren, dass weiterhin kontinuierliche Politik für die Menschen in Deutschland und weit darüber hinaus gemacht wird.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({10})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15.
Das Wort hat der Bundesminister Daniel Bahr.
({0})
Guten Abend, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir erstmals den
Bundeshaushalt 2012 für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Der eigentliche Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums ist auch im
kommenden Jahr mit einem Umfang von knapp 483 Millionen Euro ein eher kleinerer Etat, aber es zeigt sich,
dass man auch in diesem kleinen Etat schon richtige Prioritäten setzen kann. Ich möchte Ihnen drei Beispiele
nennen:
Erstes Beispiel: 12 000 Menschen warten in Deutschland derzeit auf ein geeignetes Spenderorgan. Mir persönlich liegt das Thema Organtransplantation sehr am
Herzen. Deshalb sieht unser Etat auch für das Jahr 2012
wiederum 2,5 Millionen Euro für Aufklärungsarbeit zur
Organspende in der Bevölkerung vor.
({0})
Wir müssen es schaffen, meine Damen und Herren, dass
sich möglichst viele Menschen mit diesem wichtigen
Thema befassen. Wir werden mit der Novelle des Transplantationsgesetzes weitere Verbesserungen vornehmen,
um die Zahl der Organspenden zu erhöhen und den Ablauf zu verbessern. Ich bin dankbar und begrüße ausdrücklich, dass sich der Deutsche Bundestag in diesem
Jahr um das Thema Organspendebereitschaft kümmern
möchte, dass eine Debatte hier im Deutschen Bundestag
über die Frage geführt werden soll, wie wir die Bereitschaft der Menschen noch erhöhen können, einen Organspendeausweis auszufüllen.
Die Zahl derjenigen Menschen, die den Wunsch haben, selbst ein Spenderorgan zu erhalten, wenn es nötig
ist, ist hoch. Die Bereitschaft zur Organspende in
Deutschland ist hingegen noch zu gering ausgeprägt.
Wir wissen aber auch, dass jeder, der sich selbst nicht
mit dem Thema Organspende beschäftigt, die Entscheidung später einem Angehörigen aufbürdet. Deswegen
werben wir für die Organspende und für das Ausfüllen
eines Organspendeausweises. Wir sagen den Menschen:
Jeder Organspender ist ein Lebensretter. Ich sage in dieser Debatte: Wir sollten im Deutschen Bundestag gemeinsam noch mehr dafür tun, dass sich die Menschen
mit dem Thema Organspende persönlich beschäftigen
und sich dafür entscheiden, einen Organspendeausweis
auszufüllen.
({1})
Beispiel zwei: Wir dürfen beim Thema HIV/Aids
nicht nachlassen. Diese Erkrankung darf nicht in Vergessenheit geraten; sie stellt nämlich für viele Menschen
immer noch eine lebensbedrohliche Situation dar. Wir
sehen deshalb 12 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen in diesem Bereich vor.
({2})
Wir werden, wie schon im vergangenen Jahr, rund
1,6 Millionen Euro für die Aidsforschung bereitstellen.
Es zeigt sich, dass die Gefahren unterschätzt werden,
wenn wir nicht durch fortwährende und gezielte Öffentlichkeitsarbeit stetig informieren. Auch hier setzen das
Bundesministerium für Gesundheit und die Koalition
insgesamt eine klare Priorität und stellen für das Thema
HIV/Aids weiterhin die erforderlichen Mittel zur Verfügung.
Beispiel drei: Wir sind in vielen Bereichen unseres
Gesundheitswesens dringend auf Innovation angewiesen: in der Pflege, der Kindergesundheit, der Arzneimittelsicherheit, aber auch bei Maßnahmen zur QualiBundesminister Daniel Bahr
tätssicherung. Für den Bereich der Forschung sind
deshalb im Etat 25 Millionen Euro veranschlagt.
Neben dem Kernbereich des Haushalts macht den
größten Batzen dessen, was wir heute beraten, der Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung
aus. Er beträgt 14 Milliarden Euro für versicherungsfremde Leistungen und seit dem letzten Jahr auch für einen funktionierenden Sozialausgleich.
({3})
Ich erinnere an die Ausgangssituation zu Beginn der Legislaturperiode. Insofern, Frau Ferner, wird Ihnen das
Lachen gleich im Halse stecken bleiben.
({4})
Denn das, was wir in dem zuvor sozialdemokratisch geführten Haus vorgefunden haben, war ein drohendes
Milliardendefizit, das durch den Gesundheitsfonds mit
den gedeckelten Zusatzbeiträgen nicht hätte geschultert
werden können.
({5})
- Ihre Reaktion zeigt mir nur, dass Sie hier einen wunden Punkt haben,
({6})
dass Sie offensichtlich die Realität, die wir vorgefunden
haben, auch heute noch leugnen. - Es hätte bei den
Krankenkassen zur Masseninsolvenz geführt. Das Finanzierungssystem, das Ihre sozialdemokratische Führung uns hinterlassen hat,
({7})
war nicht in der Lage, ein solches Defizit im Sinne der
Versicherten und der Stabilität des Gesundheitswesens
zu schultern.
({8})
Es war diese Koalition, meine Damen und Herren, die
für einen effizienten Einsatz der Versichertengelder gesorgt hat. Wir haben mit der Neuordnung des Arzneimittelmarktes gezeigt, wie wir Wettbewerb auch im Arzneimittelbereich verstanden wissen wollen und wie wir ihn
voranbringen wollen, und wir bringen die Interessen der
Patienten und Beitragszahler zusammen. Wir brechen
das Preismonopol der Pharmaindustrie.
({9})
Wir sorgen dafür, dass die Patienten weiterhin wirkliche
Innovationen im Arzneimittelbereich auch schnell in der
Versorgung spüren. Aber wir sorgen gleichzeitig dafür,
dass das nicht zu einer einseitigen Preisfestsetzung durch
die Pharmaindustrie zulasten der Beitragszahler führt.
Wir sorgen für einen fairen Ausgleich der Interessen der
Patienten und der Interessen der Beitragszahler.
({10})
Die Erfolge, Frau Ferner, geben uns recht.
({11})
Unter der Führung der Sozialdemokraten im Gesundheitsministerium wurde mehr Geld für Arzneimittel in
Deutschland ausgegeben als für die ambulante Versorgung. Erst unter liberaler Führung im Gesundheitsministerium können wir verzeichnen, dass wieder mehr Geld
für die ambulante Versorgung der Patienten ausgegeben
wird als für Arzneimittel, wie es unter Ihrer Führung der
Fall war. Das ist die richtige Prioritätensetzung dieser
Koalition.
({12})
Wir haben eine entscheidende Grundlage für ein gerechtes, dauerhaft finanziertes, transparentes und wettbewerbliches Finanzierungssystem in der gesetzlichen
Krankenversicherung geschaffen. Bei anderen Vorgaben
hätte die Regierung jedes Jahr einen Einheitsbeitragssatz
für alle Krankenkassen gleich festlegen müssen
({13})
und hätte damit entschieden, wie viel Geld die Politik
dem Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen bereit
ist. Aus dieser Planwirtschaft steigen wir aus; denn wir
haben den Beitragssatz einmalig festgelegt, und dieser
gilt bei guter wie bei schlechter Entwicklung. Damit haben wir dafür gesorgt, dass steigende Gesundheitskosten
nicht mehr automatisch die Arbeitskosten in Deutschland verteuern.
({14})
Die Krankenkassen erhalten unter unserer Führung ihre
Beitragsautonomie zurück. Für die Versicherten wird
mehr Transparenz geschaffen. Sie können die Leistung
einer Krankenkasse transparent in Euro und Cent sehen
und vergleichen, was die Krankenkassen ihren Patienten
bieten.
Das zeigt die andere Prioritätensetzung der christlichliberalen Koalition in der Gesundheitspolitik.
({15})
Wir wollen keine Einheitskasse,
({16})
weil wir wissen, dass die Patienten in einer Einheitskasse zum Bittsteller einer Einheitsversorgung werden.
({17})
Wir gehen vom mündigen Patienten und vom mündigen
Versicherten aus. Dieser steht für uns im Mittelpunkt. Er
kann selbst entscheiden, wie er sich versichern möchte,
und selbst auswählen, was eine Krankenkasse für ihn
leisten soll, was sie ihm für seinen Beitrag bieten soll.
({18})
Deswegen sorgen wir mit dem anstehenden Versorgungsstrukturgesetz dafür, dass die Wahlfreiheit der Versicherten weiter gestärkt wird und der Versicherte Unterschiede bei den Krankenkassen feststellen kann, dass es
einen wohlverstandenen fairen Wettbewerb um die bessere Versorgung gibt.
Das ist die logische Konsequenz unserer Politik, ausgerichtet an den Interessen der Versicherten und Patienten.
({19})
Während Sie immer geleugnet haben, dass uns in
Deutschland ein Ärztemangel droht - Sie haben gesagt,
es gebe genügend Ärzte in Deutschland, sie müssten nur
zwangsweise besser verteilt werden -,
({20})
befassen wir uns mit der Versorgungsrealität der Menschen in Deutschland. Wir sorgen dafür, dass die Menschen sich auch in der Fläche künftig noch darauf verlassen können, dass sie eine ausreichende, gute medizinische Versorgung vor Ort vorfinden.
({21})
Denn wir setzen Anreize, damit junge Mediziner mit
Lust, Motivation und Freude in den Beruf einsteigen und
auch in der Fläche die Versorgung der Patientinnen und
Patienten gewährleisten.
({22})
Die Versorgungsrealität der Menschen wollen wir
auch im Bereich der Pflege angehen. Diese Koalition hat
sich ehrgeizig darum gekümmert, während zum Beispiel
Rot-Grün es in zwei Legislaturperioden nicht geschafft
hat, auch nur eine Reform der Pflege wirklich zukunftsfest auf den Weg zu bringen.
({23})
Deswegen haben wir uns vorgenommen, jetzt die
Pflege für die Menschen zukunftsfest zu machen. Unser
Ziel bei der Pflege ist - darum geht es mir; denn wir führen auch eine gesellschaftliche Debatte -, den Zusammenhalt in der Gesellschaft auch weiterhin zu gewährleisten; denn wir wissen, dass es künftig mehr
pflegebedürftige Ältere geben wird und dass immer weniger junge Beitragszahler nachkommen.
({24})
Das ist eine Frage des Zusammenhalts in der Gesellschaft. Nicht jeder hat Kinder, aber jeder hat Eltern. Jeder, der in seiner Familie einmal erlebt hat, wie ein Angehöriger pflegebedürftig wird, wird wissen, was für
eine Belastung das für den familiären Zusammenhalt bedeutet und was für eine Anforderung plötzlich an den
Zusammenhalt in der Familie gestellt ist.
Deswegen geht es uns als christlich-liberale Koalition
darum, mit der anstehenden Pflegereform Angehörige zu
unterstützen und die Rahmenbedingungen für sie so zu
setzen, dass sie mit der persönlichen Situation in der Familie umgehen können, wenn jemand pflegebedürftig
wird, und wissen, dass sie sich darauf verlassen können.
Wir werden nun den Beirat, der bereits einen ersten Vorschlag zur Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs vorgelegt hat, konkret mit der Umsetzung beauftragen.
Weil ich ahne, dass Sie diesbezüglich gleich von Verzögerung sprechen werden, darf ich Ihnen schon jetzt sagen: Dieser Auftrag an den bisherigen Beirat wird von
allen in der Pflegeszene als der richtige und nötige
Schritt erkannt. Es handelt sich nicht um Verzögerung,
({25})
sondern es ist Voraussetzung für eine Umsetzungsstrategie. Der Beirat selber sagt, dass noch viele Fragen offen
sind, die beantwortet werden müssen. Das zeigt, dass
diese Koalition es ernst meint mit einer Pflegereform.
Wir werden das in den nächsten Monaten hier im Bundestag noch ausreichend debattieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({26})
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herr Bahr, Ihre Rede gerade hat eines gezeigt: In der Gesundheitspolitik hat Schwarz-Gelb wenigstens genauso
abgewirtschaftet wie in allen anderen Politikfeldern
auch, und das in Rekordzeit.
({0})
Im ersten Jahr hat der damalige Gesundheitsminister
Rösler den netten Onkel Doktor gegeben und hat versucht, die Probleme im Gesundheitswesen wegzulächeln. Bis Sie auf den Trichter gekommen sind, im Arzneimittelbereich etwas zu machen,
({1})
sind schon Milliarden zu viel ausgegeben worden. Sie
hatten gedacht, Sie könnten sich über die Landtagswahlen in NRW hinüberretten. Das Ergebnis ist bekannt: Es
ging schief. Sie haben sich dann nach einem öffentlichen
Gewürge sondergleichen darauf verständigt, das Kopfpauschalengesetz durch den Bundestag zu ziehen.
Es ist nicht so, wie Sie es eben gesagt haben, dass jeder frei entscheiden kann; vielmehr bedeutet Ihr Vorgehen ganz klar eine Verschiebung der Lasten auf die Versicherten, weil die Arbeitgeber in Zukunft keine
Kostensteigerungen mehr schultern müssen, die Versicherten das Ganze über eine Kopfpauschale schultern
müssen, die zudem noch einkommensunabhängig ist.
Das ist Gesundheitspolitik à la Schwarz-Gelb. Das werden die Menschen spätestens in zwei Jahren abwählen.
({2})
Herr Bahr, Sie haben in der Opposition proklamiert,
dass Sie die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen wollen. Ich muss gestehen, Sie sind diesem Ziel einen guten Schritt näher gekommen; Sie werden es aber
nicht schaffen, weil Sie in den maximal zwei verbleibenden Jahren - das ist ja jetzt der vorletzte Haushalt, den
Schwarz-Gelb in diesem Haus vorlegt ({3})
nicht dazu kommen werden, das Gesundheitssystem total zu zerschlagen. Bei der FDP als Klientelpartei der
Besserverdienenden
({4})
und der Versicherungswirtschaft wundert das alles nicht.
Bei der CDU und CSU, die angeblich Volksparteien sein
wollen, wundert das allerdings schon.
({5})
Es scheint Ihnen völlig egal zu sein, ob Versicherte
wie Rentner und Rentnerinnen, Studierende, Geringverdienende oder auch Normalverdienende in Zukunft ihren
Krankenkassenbeitrag überhaupt noch bezahlen können. Sie haben einmal einen automatischen steuerfinanzierten Sozialausgleich versprochen. Was ist denn davon
übrig geblieben? Den haben Sie jetzt erst einmal verschoben.
Sollte bis einschließlich 2014 ein Sozialausgleich notwendig sein, zahlen das die Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler aus Beiträgen. Kommt er dann - da haben
Sie 700 Millionen in der mittelfristigen Finanzplanung -,
wird erst mal das abgezogen, was Ihr Versorgungsstrukturgesetz mehr kostet, als Sie selber hineingerechnet haben.
({6})
Selbst der Finanzminister bestreitet, dass die Kosten
richtig ermittelt wurden, die Sie da angesetzt haben.
({7})
Das heißt, der Sozialausgleich würde, wenn er nötig
wäre, geringer ausfallen. Das ist eine klassische Milchbubenrechnung. Ich glaube aber, es braucht sich keiner
Sorgen zu machen; denn wir werden dieses unsoziale
Gesetz nach 2013 zurücknehmen.
({8})
Herr Bahr, Sie haben eben wieder gesagt, Ulla
Schmidt habe Ihnen kein geordnetes Haus hinterlassen.
({9})
Ich will daran erinnern - wenn Sie lesen und schreiben
können, können Sie das in den Statistiken der Krankenversicherungen nachlesen -: Ende 2009 hat die gesetzliche Krankenversicherung mit einem Überschuss von,
wenn ich mich richtig erinnere, 1,4 Milliarden Euro abgeschlossen. Das war kein Defizit, sondern ein Plus. Sie
sind im ersten Jahr Ihrer Regierung wieder ins Minus gerutscht. Das ist die Wahrheit, Herr Bahr; da hilft Ihnen
auch das Kopfschütteln nicht.
({10})
Herr Rösler hat versucht, sein negatives Image loszuwerden, und das Jahr der Pflege ausgerufen. Wir reden
von diesem Jahr 2011; wir haben jetzt schon September.
({11})
Was ist bis jetzt passiert?
({12})
Eine ganze Reihe von Gesprächen mit den Sozialverbänden; das ist sehr löblich.
({13})
Ich glaube aber, in den Gesprächen sind keine großartigen neuen Erkenntnisse gewonnen worden. Denn wir
alle kennen die Probleme längst; dafür braucht man
keine Gespräche zu führen. Wir haben also kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.
({14})
- Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Lanfermann, haben wir
in der letzten Wahlperiode eine Pflegereform durchgeführt, die Sie, wenn ich mich recht erinnere, hier im
Deutschen Bundestag abgelehnt haben.
({15})
- Nein, nein. Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, Herr
Lanfermann!
({16})
Die Vorarbeiten für die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs lagen bereits im Frühjahr 2009 vor. Leider
haben sich die Kollegen und Kolleginnen der Union da14678
mals in der Großen Koalition geweigert, hier zum
Schluss der Wahlperiode noch etwas zu machen.
({17})
- Das ist nicht unwahr. Ich war in den Runden dabei,
Herr Zylajew, Sie nicht. Sie können Ihren Kollegen
Zöller fragen, ob er und Frau Widmann-Mauz es damals
abgelehnt haben, etwas zu tun, weil es in der Fraktion
nicht durchsetzbar war. - Es rächt sich jetzt, dass Sie
nichts gemacht haben; denn Sie sind sich beim Thema
Pflegereform überhaupt nicht einig.
({18})
Sie haben die Hälfte der Wahlperiode mit Nichtstun verschenkt. Herr Rösler, der Erfinder des Jahres der Pflege,
ist nicht mehr zuständig; denn er muss sich jetzt um die
Richtlinien der Außenpolitik kümmern.
Was passiert jetzt? Jetzt übertragen Sie, Herr Bahr,
dem Pflegebeirat die Aufgabe, die Details auszuarbeiten.
Eigentlich liegt alles vor. Der Pflegebeirat kann Ihnen
doch nicht die politische Entscheidung darüber abnehmen, welches Szenario Sie wählen wollen,
({19})
welches Finanzbudget Sie zur Verfügung stellen wollen,
welche weiteren Leistungsverbesserungen es geben soll.
({20})
Was glauben Sie denn! Die Kollegen und Kolleginnen
aus dem Pflegebeirat werden nächstes Jahr erwachen
und Ihnen etwas vorlegen. Dann werden Sie sagen:
Sorry! Tut uns leid. Wir kriegen das in der Koalition
nicht gewuppt. - Sie versuchen, sich über die Wahl hinwegzuretten. Sie werden in dieser Wahlperiode nicht viel
auf die Reihe kriegen.
({21})
Zu dem Kapitalstock, den Sie jetzt ansparen wollen,
sagt jeder etwas anderes: Die FDP möchte ihn individualisiert, privat aufbauen lassen, Herr Spahn und andere
Neoliberale in der Union auch. Herr Kauder möchte im
System, aber dann doch individualisiert einen Kapitalstock aufbauen, unter Einbindung der Versicherungswirtschaft, damit Klientelpolitik betrieben werden kann.
Herr Seehofer sagt, dass es überhaupt keine Beitragssatzanhebung geben darf. Werden Sie sich doch erst einmal darüber einig, was Sie wollen!
Sie produzieren das Problem, dass die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen im Stich gelassen werden.
Wir haben vor der Sommerpause aus der Opposition heraus ein sehr umfassendes Papier zur Pflege vorgelegt.
Wo ist denn Ihr Papier? Wo sind denn Ihre Vorstellungen? Zwei Jahre Regierungszeit wurden hoffnungslos
vertan; Sie haben nichts getan. Man könnte sagen: ein
Tu-nix-Minister. Aber das wird nicht mehr lange anhalten; spätestens in zwei Jahren werden wir die Hausaufgaben machen. Wir haben die Konzepte und werden dafür sorgen, dass die pflegebedürftigen Menschen und
ihre Angehörigen die Zeit, die Infrastruktur und die
Leistungen bekommen, die sie brauchen.
Schönen Dank.
({22})
Der Kollege Dr. Koschorrek hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Gesundheitswirtschaft in
Deutschland ist mit 4,5 Millionen Beschäftigten und einem Finanzvolumen von nahezu 3 Milliarden Euro sowie einem erheblichen Wachstumspotenzial eine Kernbranche unserer Volkswirtschaft. Sie ist ebenso ein
zentraler Bereich der sozialen Absicherung in unserem
Land. Wir haben eine sehr gute Versorgungssituation,
die aber permanent den aktuellen Bedürfnissen angepasst werden muss.
In der laufenden Legislaturperiode haben diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen - wie wir in
dieser Haushaltswoche bei jedem Punkt unserer Tagesordnung ausführlich darlegen konnten - in allen Feldern
der Politik sehr viel und sehr Gutes geleistet. Dies gilt
insbesondere für den Bereich der Gesundheitspolitik unter der Zuständigkeit des BMG, in dem auch mit einem
kleinen Etat Großes bewegt werden kann.
({0})
Frau Ferner, eigentlich war Ihr Beitrag nicht des
Kommentierens wert. Einen Satz möchte ich Ihnen trotzdem gönnen. Das hat mich schon erstaunt: Eigentlich
haben wir nach meiner Überzeugung eine Legislaturperiode lang miteinander eine ganz ordentliche Gesundheitspolitik gemacht.
({1})
Dass Sie die Errungenschaften, die wir in dieser Zeit etabliert haben, selbst derart kleinreden, ist schon ein erhebliches Armutszeugnis. Ich kann das nicht ganz verstehen, aber damit müssen Sie selbst zurechtkommen.
({2})
Wir bringen den Mut zu strukturellen Änderungen auf
und sorgen dafür, dass alle Beteiligten einen Beitrag
dazu leisten, unser Gesundheitssystem in einer Gesellschaft mit immer mehr älteren Menschen zukunftsfähig
zu machen. Wir machen eine zukunftsgerichtete Gesundheitspolitik mit soliden Finanzen und nachhaltigen
neuen Strukturen. Das von der christlich-liberalen Koalition beschlossene Arzneimittelsparpaket - Stichwort
„AMNOG“ - hat nicht nur den Kostenanstieg aufgehalten, sondern sogar einen deutlichen Kostenrückgang bewirkt.
({3})
Wir haben es durch vorausschauende Politik und die
daraus resultierenden guten Konjunkturdaten geschafft,
das für 2011 in der GKV erwartete Defizit zu verhindern
und sogar ein finanzielles Polster im Gesundheitsfonds
zu schaffen. Bisher kannte die deutsche Öffentlichkeit
nur wiederkehrende Meldungen über Fehlbeträge bei
den gesetzlichen Krankenkassen, die nachträglich ausgeglichen werden mussten.
({4})
Die Rücklagen erlauben es uns, jetzt auch zukunftsweisende Projekte und Maßnahmen zu verfolgen, auf die
wir zuvor aus Kostengründen verzichten mussten. Die
Tatsache, dass einmal etwas mehr als unbedingt notwendig in der Kasse ist, ist allerdings kein Anlass dazu, umgehend nach der Senkung von Beiträgen und Ähnlichem
zu rufen. Nein, wir brauchen in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Polster, um eine konstruktive und
zukunftssichernde Politik machen zu können.
({5})
Wir haben die Einrichtung der unabhängigen Patientenberatung auf sichere Füße gestellt und sie als dauerhafte Institutionen der wohnortnahen Beratung in unserem Gesundheitswesen installiert. Wir sorgen dafür, dass
das weltweit anerkannte deutsche Gesundheitssystem in
der älter werdenden Gesellschaft leistungsfähig bleibt,
und schaffen die Voraussetzungen dafür, dass das hohe
medizinische Niveau in Deutschland erhalten bleibt.
Kernpunkte sind in diesem Zusammenhang die Verbesserung der wohnortnahen Versorgung, eine bessere
Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung, ein schnellerer Zugang zu Innovationen und mehr
Wettbewerb, damit Versicherte aufgrund ihrer persönlichen Prioritäten die Chance haben, zu wählen.
Jede realistische Betrachtung zeigt: Unsere finanziellen und personellen Ressourcen im Bereich der Pflege
sind begrenzt. Sie werden nicht ausreichen, um für alle
Bürger eine verlässliche Absicherung der Pflegekosten
im Alter zu gewährleisten. Wir blicken den Tatsachen
ins Auge und sorgen dafür, dass Rücklagen für den Zeitrahmen von circa 2030 bis 2055 angelegt werden, damit
der Beitragssatz für die Arbeitnehmer auch in diesen
Jahren, die aus demografischer Sicht in Zukunft sicher
die problematischsten Jahre sein werden, stabil und bezahlbar bleibt.
Um die Patienten besser vor Infektionen in Krankenhäusern und bei medizinischen Behandlungen zu schützen, haben wir in das Infektionsschutzgesetz zusätzliche
Regelungen für die Hygienevorschriften und die Überprüfung ihrer Anwendung aufgenommen. Darüber hinaus werden Maßnahmen zur besseren Überwachung
des Verbrauchs von Antibiotika und Prävention gegen
resistente Erreger eingeführt.
({6})
Die Fortschritte und Innovationen der Transplantationsmedizin müssen möglichst vielen Betroffenen, die
auf ein Spenderorgan warten, zugänglich gemacht werden. Mit der Änderung des Transplantationsgesetzes verbessern wir die Voraussetzungen hierfür, damit sich
mehr Menschen für eine Organspende entscheiden und
sich die Wartezeiten durch bessere organisatorische
Strukturen verkürzen.
Wir modernisieren die veralteten und zum Teil jahrzehntealten Verordnungen, nach denen Heilberufler,
Ärzte, Zahnärzte und Apotheker zurzeit noch arbeiten
müssen. Wir passen diese Grundlagen dem medizinischen Fortschritt und den neuen Methoden an. Diese Regelungen wurden über viele Jahre unter der SPD-Ägide
im BMG verschleppt. Sie vermochten es nicht, die entsprechenden Verordnungen zu modernisieren. Wir
beschließen jetzt Neufassungen für zentrale Bestimmungen, Novellierungen von GOZ und GOÄ, der Approbationsordnung, die Apothekenbetriebsordnung und des
Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische
Einrichtungen.
Wir bringen außerdem das lang erwartete Patientenrechtegesetz auf den Weg,
({7})
das bei mehreren Anläufen in den letzten Jahren schon
im Vorfeld an der Frage der Zuständigkeiten von BMJ
und BMG scheiterte. Es wird die Rechte der Patienten,
die zurzeit in vielen verschiedenen Gesetzen geregelt
sind, für die Patienten und Ärzte übersichtlich machen
und eine Hilfe für die Wahrnehmung ihrer Rechte bieten.
Jedem Patienten und jedem, der in unserem Gesundheitssystem Verantwortung trägt, muss daran gelegen
sein, bewährte Strukturen der zahnärztlichen und ärztlichen Versorgung so weit wie möglich zu erhalten und
dem Ärztemangel entgegenzuwirken. Die ambulante
Versorgung in unserem Gesundheitssystem basiert auf
hohem persönlichen Engagement der freiberuflichen
Heilberufler und auf ihrer Eigenverantwortung und Unabhängigkeit, die ein besonderes Vertrauensverhältnis
zum Patienten begründen. Deshalb wollen wir mit dem
GKV-Versorgungsstrukturgesetz im kommenden Jahr
eine Reihe von Maßnahmen einführen, um junge Ärztinnen und Ärzte verstärkt zur Niederlassung auf dem Land
und in strukturschwachen Regionen zu motivieren.
Ziel von CDU und CSU in der Koalition ist es, die
Rahmenbedingungen für die freiberuflichen Ärzte,
Zahnärzte und Apotheker ebenso wie für alle im Gesundheitswesen Tätigen so zu gestalten, dass sie ihrer
besonderen persönlichen Verantwortung gegenüber den
Patienten gerecht werden können. Unsere Prämisse lautet: Der Kostendruck im Gesundheitswesen, der sich in
einer älter werdenden Gesellschaft zweifellos verstärken
wird, darf nicht zu rein merkantil bedingten Patientensteuerungen, Qualitätsverfall oder Billigversorgung füh14680
ren. Um die freiberufliche und damit unabhängige Struktur der Heilberufe zu erhalten, ist es unbedingt zu
vermeiden, unerwünschten Kartellbildungen oder Konzentrationen auf lukrative Behandlungsbereiche Vorschub zu leisten.
Diesem Grundsatz haben wir mit der Festlegung, dass
Medizinische Versorgungszentren unabhängig bleiben
müssen, und mit der Novellierung der Gebührenordnung
im Bereich der Zahnmedizin, die jetzt vor ihrem Abschluss steht, Rechnung getragen. Mit dieser neuen Gebührenordnung ist es uns gelungen, die bewährten
Grundprinzipien, bei denen die freie Arztwahl an oberster Stelle steht, in unserem Gesundheitswesen für alle
Beteiligten zu erhalten.
({8})
Als Nächstes nehmen wir die Novellierung der GOÄ
in Angriff. Diese ist, wie die GOZ auch, seit langem
überfällig.
Unsere Gesundheitspolitik geht zugleich auf gesellschaftliche und demografische Veränderungen in der Bevölkerung sowie in der Ärzteschaft ein. Wir müssen uns
der Herausforderung stellen, dass aufgrund einer alternden Bevölkerung und einer Zunahme an Multimorbidität
in der Bevölkerung in Zukunft ein deutlich verändertes
Gesundheitswesen zur Verfügung stehen muss. Sämtliche Sektoren müssen daraufhin überprüft werden, ob die
Sektorengeschlossenheit nach wie vor zu erhalten ist
oder ob es - das ist mein Petitum - zu einer deutlich verbesserten Zusammenarbeit über die Sektorengrenzen
hinweg kommen muss. Da darf es keine Besitzstände
und keine Tabus geben. Da muss es einzig und allein darum gehen, den Patienten eine wohnortnahe, qualitativ
hochgesicherte Versorgung zu gewährleisten. Das muss
allerdings zu finanziell verantwortlichen Bedingungen
geschehen.
({9})
Die Dinge, die wir bereits in den ersten zwei Jahren
dieser Regierung auf den Weg gebracht haben, sind wegweisende Absichten. Wie ich bereits erwähnt habe, haben wir die Finanzierung auf sehr stabile, nachhaltige
Füße gestellt. Wir haben für Einsparungen und neue
Prinzipien des Arzneimittelzugangs gesorgt. Wir werden
im nächsten Anlauf die Situation hinsichtlich der flächendeckenden Versorgung regeln und uns den Problemen der Pflegeversicherung stellen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das vor dem Hintergrund des jetzt zur
Beratung stehenden Haushalts in guter Zusammenarbeit
der Fraktionen mit dem BMG zum Wohle der Patienten
und Versicherten in unserem Land leisten können.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! An dem Entwurf des Haushalts des Bundesministeriums für Gesundheit sind vor allem zwei Dinge bemerkenswert:
Erstens ist die Veranschlagung eines hohen Aufkommens an Sponsorengeldern bemerkenswert. Mit 61,2 Millionen Euro steht das Gesundheitsministerium in dieser
Hinsicht an der Spitze aller Ministerien. Darunter sind
fast 27 Millionen Euro vom Verband der privaten Krankenversicherung. Da bleibt das ungute Gefühl, daran
könnten Gegenleistungen geknüpft werden. Zeitgleich
gab es tatsächlich folgende Zeitungsmeldung - Zitat -:
Die Zukunft der privaten Krankenversicherung sieht
nach Ansicht von fast zwei Dritteln der Versicherungsentscheider in den kommenden zwei Jahren gut aus. Es
seien deutliche Zuwächse zu erwarten. Sie stützen ihre
Prognose auf den Wegfall des Dreijahresmoratoriums,
der den Wechsel von der gesetzlichen Krankenversicherung in die PKV wieder erleichtert. Seitdem hätten mehr
als 10 000 gesetzlich Versicherte zusätzlich zur PKV gewechselt. - Für eine solch rettende Bluttransfusion kann
man sich schon einmal erkenntlich zeigen.
({0})
Zweitens ist der deutlich über 70-prozentige Rückgang der Mittel für Präventionskampagnen bemerkenswert. Nun sind wir gegenüber solchen Kampagnen
durchaus kritisch eingestellt, da Kampagnen nicht die
Ursachen gesundheitlicher Ungleichheit beseitigen.
Diese Kürzung vermittelt aber das Signal: Der Bund
zieht sich aus der Gesundheitsförderung zurück. Und das
ist aus unserer Sicht das falsche Signal. Im Übrigen entspricht das nicht dem Koalitionsvertrag, der auf diesem
Gebiet einen Ausbau vorsah.
Es ist Zeit für die Halbzeitbilanz der schwarz-gelben
Koalition, obwohl man natürlich nicht genau weiß, ob
diese bürgerliche Wunschkoalition, wie sie sich selbst
genannt hat, die zweite Hälfte überhaupt übersteht. Der
Koalitionsvertrag trägt den Titel: „Wachstum. Bildung.
Zusammenhalt“. Das ist ein hoher Anspruch, der mit der
Realität der schwarz-gelben Gesetzgebung in den letzten
zwei Jahren nichts zu tun hat; denn die Koalition gefährdet den gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalt
und beschleunigt die Spaltung der Gesellschaft in viele
Arme und wenige Reiche und Superreiche.
Das gilt gerade auch für die Gesundheitspolitik. Statt
die Solidarität zu stärken, hat die Koalition mit Einführung der Kopfpauschale einen Systemwechsel vollzogen. Die Versicherten werden in Zukunft alleine für weitere Ausgaben zur Kasse gebeten. Die Arbeitgeber
werden geschont. Praxisgebühren und Zuzahlungen belasten die Patientinnen und Patienten zusätzlich. Der
Ausstieg aus der Solidargemeinschaft und der Wechsel
in die private Krankenversicherung wurden deutlich erleichtert. Mit dieser Koalition geht es auf dem Weg in
die Zweiklassenmedizin schleunig voran, und das ist ein
Skandal.
({1})
Obwohl bislang nur wenige Kassen Zusatzbeiträge
erhoben haben, wirken diese Kopfpauschalen bereits
heute. Wir wissen, dass die DAK rund 20 Prozent ihrer
Mitglieder verloren hat. Die City BKK musste letztlich
wegen der Abwanderung von Versicherten aufgrund von
Zusatzbeiträgen Insolvenz anmelden. Die Bilder schlangestehender älterer Ex-City-BKK-Versicherter, die von
anderen Kassen abgewimmelt wurden, sind uns allen
noch präsent.
Diese Beispiele vor Augen ist bei den Krankenkassen
ein Wettbewerb zur Vermeidung von Zusatzbeiträgen
ausgebrochen, der auf dem Rücken der Patientinnen und
Patienten ausgetragen wird. In ihrer Not nutzen die Kassen alle Möglichkeiten aus, um Leistungen einzuschränken. In diesem Sommer habe ich mehrere Erfahrungsberichte bekommen: Da wird der Krankentagegeldanspruch infrage gestellt, Rehamaßnahmen werden verzögert, Eltern-Kind-Kuren nicht genehmigt usw., usf.
Im Kern läuft die Politik dieser Bundesregierung darauf hinaus, die wesentlichen Bereiche des Sozialstaates
den Finanzmärkten auszuliefern. Das gilt für die Altersvorsorge, das gilt für weite Teile der Gesundheit, und das
ist auch das Leitmotiv für die Einführung einer Kapitaldeckung bei der Pflegeversicherung. Sie öffnen diese
Felder für die Geschäfts- und Profitinteressen privater
Finanzinvestoren und liefern sie damit dem Finanzmarktgeschehen aus. Das erhält natürlich vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise eine ganz besondere Brisanz.
Ideologischer Wegbereiter für diese Politik der Entsolidarisierung, der Entkernung des Sozialstaates, der
Verherrlichung des Wettbewerbs und des Marktes, der
Deregulierung in allen Bereichen, also genau der Politik,
die uns in diese Finanzmarktkrise hineingeführt hat, war
und ist die FDP.
({2})
Doch zum Glück gibt es - das ist ganz offensichtlich eine kollektive Weisheit in der Bevölkerung; denn dies
wird dort glasklar so erkannt. Deshalb steht „FDP“ heute
als Abkürzung für „Fast drei Prozent“, und das ist gut so.
({3})
- Ja, es trifft offensichtlich immer wieder.
({4})
- Da sind wir bei weitem noch nicht, Herr Lanfermann.
({5})
Begleitet wurde und wird diese Politik von einigen
jungen Wilden in der Union, die in der Nachfolge von
Friedrich Merz an den Glaubenssätzen des Neoliberalismus immer noch festhalten, obwohl sich dieser weltweit
völlig blamiert hat. Die Linke hingegen verteidigt den
Sozialstaat gegen Versuche der Aushöhlung und Zerstörung. Wir entwickeln Vorschläge, wie er solidarisch fortentwickelt werden kann. Das gilt für die Alterssicherung; das gilt aber auch für die Bereiche Gesundheit und
Pflege.
Mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung haben wir ein Konzept erarbeitet, das in eine
völlig andere Richtung weist als das der Wettbewerbsund Deregulierungsfetischisten von Schwarz-Gelb.
({6})
Das Konzept haben wir im Rahmen einer ökonometrischen Studie durchrechnen lassen. Das Ergebnis kann
sich sehen lassen: Der Beitragssatz zur Krankenversicherung kann auf Jahre hinaus konstant niedrig gehalten
werden. Er kann bei sofortiger Umstellung von derzeit
15,5 Prozent auf 10,5 Prozent abgesenkt werden.
({7})
Auf Löhne und Gehälter sowie Renten müssten die Versicherten nur noch einen Anteil von 5,25 Prozent statt
derzeit 8,2 Prozent zahlen.
({8})
Auch die Arbeitgeber würden einen Anteil von 5,25 Prozent statt bisher 7,3 Prozent zahlen. Das entlastet besonders personalintensive Unternehmen.
({9})
Versicherte mit einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze würden künftig gerecht in die
solidarische Finanzierung einbezogen. Durch den niedrigeren Beitragssatz wären bis zu einem Einkommen von
5 800 Euro im Monat noch Entlastungen spürbar, die
deutlich über denen der geplanten Steuersenkung von
Wirtschaftsminister Rösler liegen.
In der sozialen Pflegeversicherung besteht dringender
Handlungsbedarf. Die Pflege muss teilhabeorientiert,
selbstbestimmt und ganzheitlich werden und die Finanzierung langfristig gesichert sein. Die von uns in Auftrag
gegebene Studie weist nach: Mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung kann das geschehen
und der Beitragssatz unter 2 Prozent gehalten werden.
Das schafft finanzielle Sicherheit und Spielraum für eine
grundlegende Pflegereform.
Durch die Bürgerinnen- und Bürgerversicherung hätten die meisten Menschen mehr Geld zur Verfügung,
Geld, das vor allem bei den Beziehern von kleinen Einkommen fast vollständig in den Konsum fließt. Durch
die höhere Kaufkraft stiege die Binnennachfrage, und
über 500 000 Menschen zusätzlich kämen in Beschäftigung.
Nun kommt häufig der Einwand - man kennt ihn ja -,
die Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung
sei verfassungswidrig. Dazu möchte ich Folgendes ausführen: In einer ganzen Reihe von Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, die Finanzierbarkeit
des Sozialversicherungssystems stelle einen „überragend
wichtigen Gemeinwohlbelang“ dar. Der Gesetzgeber sei
unter der Prämisse des Gemeinwohls weitgehend frei,
wie er die Sozialversicherung ausgestalte, um das Ziel
der Finanzierbarkeit zu erreichen. Um den Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Gutverdienenden und Geringverdienenden, Alleinstehenden und Familien zu gewährleisten, könne der Gesetzgeber den
Kreis der Pflichtversicherten so abgrenzen, wie er es für
eine leistungsfähige Solidargemeinschaft erforderlich
halte. Also, wenn die Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung nötig ist, um die finanzielle Stabilität der solidarischen Krankenversicherung zu erhalten,
widerspricht das aus unserer Sicht nicht dem Grundgesetz.
({10})
Bisherige Eingriffe, Herr Lanfermann, in das Geschäftsfeld der privaten Krankenversicherung - Basistarif, Rückkehrrecht, allgemeine Versicherungspflicht,
Einführung der verpflichtenden privaten Pflegeversicherung - wurden allesamt durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Doch jede Form der sozialpolitischen Regulierung stößt auf erbitterten Widerstand der
Interessenvertreter der privaten Krankenversicherung,
die ihre Gewinne gefährdet sehen; das ist klar. Angebliche Grundrechtsverletzungen auszurufen, ist eine der
wesentlichen Verteidigungsstrategien der PKV-Lobby.
Die Privatversicherten selber sehen das oft anders.
({11})
Viele haben genug von den immer höher steigenden Prämien und den Leistungsverweigerungen der privaten
Versicherungsunternehmen.
({12})
Die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung ist sicher auch deswegen attraktiv, weil sie im Gegensatz zu allen bisherigen Vorschlägen der FDP tatsächlich für eine große Mehrheit der Einkommensbezieher - übrigens auch der Leistungsträger, Herr
Spahn - deutlich mehr Netto vom Brutto lässt, weil sie
Selbstständige sowie kleine und mittlere Unternehmen
entlastet, weil sie eine deutliche Stärkung der Binnennachfrage bedeutet und weil sie positive Wirkungen auf
die Sozialkassen und die Haushaltssituation hat.
({13})
Dies ist auch ein Beitrag gegen die augenblickliche
Rezessionsgefahr. Jedes weitere Hineinsparen in die
Krise, jeder weitere Rückgang der Einkommen wirkt
krisenverschärfend, während die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung die Einkommenssituation
vieler Haushalte deutlich stärkt und damit die Binnennachfrage ankurbelt sowie rezessionsdämpfend wirkt.
({14})
Wer das nicht sehen will, ist in seiner neoliberalen Ideologie wohl so verblendet, dass er gar nichts mehr sehen
will, und gehört daher abgewählt.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Scharfenberg für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zur Gesundheit gehört
die Pflege; das haben Sie in Ihrer Rede ganz richtig erkannt. Aber wenn man sich die Pflegepolitik dieser
Koalition anschaut, dann sieht man eigentlich nichts,
({0})
nichts außer einer totalen Orientierungslosigkeit, nichts
außer einer totalen Zerstrittenheit
({1})
zweier ehemaliger Wunschpartner.
({2})
Ich muss wirklich sagen: Jegliche Substanz, mit der Sie
vielleicht gestartet sind, ist von einem schwarz-gelben
Loch aufgesogen worden.
({3})
Weil da überhaupt nichts zusammenpasst - da wird
im Übrigen niemals etwas zusammenpassen -, verschleppen Union und FDP seit 2009 die notwendige
Pflegereform.
({4})
Es sind nun zwei wertvolle Jahre voller leerer Ankündigungen, voller Pflegedialoge und voller Verzögerung
verstrichen. Wir befinden uns im Jahr der Pflege. Das
haben nicht wir erfunden; das wurde von Ihrem Ministerium erfunden. In diesem Jahr der Pflege, das bald um
ist, ist nichts passiert, außer dass Sie sich pausenlos gegenseitig dementieren.
Sie verschleppen diese Reform lustig weiter. Sie, Herr
Minister, setzen jetzt - nicht vor zwei Jahren, sondern
erst jetzt - erneut den Wissenschaftlichen Beirat zur
Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes ein.
Dieser Beirat wird nach Aussage seines Vorsitzenden
Jürgen Gohde ungefähr zehn Monate brauchen, um die
vielen offenen Fragen zu klären. Herr Bahr, Sie wussten
doch ganz genau - wie Ihr Vorgänger Herr Rösler und
wie wir alle hier im Raum -, dass es mindestens zehn
Monate dauern würde, diese Fragen zu klären. Trotzdem
ist vorher nichts passiert. Sie wollen sich einfach über
die Zeit retten.
({5})
Aber, Herr Minister, Sie haben keine Zeit mehr.
({6})
Der Verzögerungsgrund ist natürlich, dass Sie sich bei
der Finanzierung überhaupt nicht einig werden. Da spielen Sie seit Monaten nur noch Koalitionsmikado:
({7})
Wer sich bewegt, verliert.
Im Koalitionsvertrag haben Sie noch einhellig den
Einstieg in den Ausstieg aus der Solidarität und den Beginn der Privatisierung der Pflegeversicherung beschlossen. Die FDP wünscht sich auch weiterhin nichts sehnlicher als das. Doch einige Kolleginnen und Kollegen in
CDU und CSU haben glücklicherweise bemerkt, dass sie
das lieber doch nicht wollen. Ich wünsche Ihnen ganz
herzlich: Bleiben Sie stark!
So reiht sich jetzt eine absurde Idee an die nächste.
Die CSU träumt von einem steuerfinanzierten Leistungsgesetz, über das übrigens aus gutem Grund seit Jahren
keiner mehr spricht. Seit ein paar Tagen ist nun von einem superkomplizierten, superbürokratischen und superüberflüssigen Mischmodell die Rede, mit dem Sie irgendwie - ich betone: irgendwie - einen kollektiven und
individuellen Kapitalstock miteinander verbinden wollen. Kein Mensch, Sie selbst übrigens auch nicht, weiß,
wie das überhaupt funktionieren soll. Das wirft extrem
viele fachliche und auch extrem viele rechtliche Fragen
auf. Bitte ersparen Sie uns einen solch konzeptionslosen
Mischmasch. Sie wollen doch nur mit heiler Haut aus
der Nummer herauskommen. Das hilft aber nicht, wenn
das Ergebnis nichts taugt.
({8})
Herr Bahr, Sie wollen noch in diesem September Eckpunkte vorlegen. Ich weiß - Sie haben uns das vor der
Sommerpause gesagt -: Der Sommer ist noch lang, und
der September ist noch lange nicht zu Ende.
({9})
Aber was soll denn bitte Ende September in diesen Eckpunkten stehen?
({10})
Dass Sie mit zwei Jahren Verspätung einen Beirat eingesetzt haben, dessen Ergebnisse diese Koalition dann
nicht umsetzen wird?
({11})
Oder soll da drinstehen, dass Sie sich auch weiter wie
die Kesselflicker über ein Finanzierungskonzept streiten
und am Ende daran scheitern werden?
Das haben die Pflegebedürftigen und die Pflegenden
in diesem Land nicht verdient. Diese Menschen interessiert nicht, ob mindestens einer der Koalitionspartner
- übrigens sehr berechtigte - Existenzängste hat. Diese
Menschen wollen nicht die Aufkündigung der solidarischen Pflegeversicherung. Die überragende Mehrheit
der Menschen will mehr Solidarität. Die Mehrheit will
mehr Gerechtigkeit im System. Das erreichen Sie nur
mit einem klaren Konzept, zum Beispiel mit unserem
grünen Konzept der Pflege-Bürgerversicherung.
({12})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Ihre Koalition ist
nicht mehr zu retten.
({13})
Dennoch: Schwarz-Gelb hat für die Menschen in diesem
Land eine politische Verantwortung übernommen. Die
Betroffenen erwarten genauso wie wir, dass Sie Ihrer
Verantwortung endlich gerecht werden.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat Heinz Lanfermann für die FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Kollegin Scharfenberg, zuerst
haben Sie gesagt, dass Sie nichts sehen. Ihre Rede hat
aber auch bewiesen, dass Sie nichts wissen.
({0})
Sonst hätten Sie nicht spekuliert und würden die Geduld
aufbringen, abzuwarten.
({1})
Es wurde doch angekündigt, dass wir noch im Sommer
die Eckpunkte zur Pflegeversicherung vorlegen werden.
({2})
So hat der Minister es versprochen, und das werden wir
auch halten.
({3})
Sie haben darauf hingewiesen, dass der Beirat in etwa
zehn Monaten Ergebnisse vorlegen soll. Wir danken
Herrn Gohde, dass er sich bereit erklärt hat, das, was
nach dem Gutachten, das der Beirat erstellt hat, noch zu
tun ist, zu liefern. Aber die Leitlinien muss natürlich die
Politik vorgeben. Das hängt wiederum mit den Eckpunkten zusammen.
({4})
Deshalb tun Sie bitte nicht so, als würden Sie diesen Zusammenhang nicht erkennen, und lassen Sie uns das
Stück für Stück abarbeiten.
Ich danke dem Kollegen Koschorrek ausdrücklich dafür, dass er hier eine eindrucksvolle Liste dessen präsentiert hat, was diese Koalition in zwei Jahren schon geleistet hat.
({5})
Wenn Sie die magere Bilanz von sieben Jahren Rot-Grün
damit vergleichen, sollten Sie sich nachträglich dafür
schämen.
({6})
In sieben Jahren Rot-Grün ist bei der Pflegeversicherung
gar nichts getan worden.
Was die SPD angeht - Frau Ferner, es ist übrigens erstaunlich, wie man in sieben Minuten so viel Unwahres
erzählen kann -: Sie haben in der Großen Koalition Ihren eigenen Koalitionsvertrag vier Jahre lang liegen
gelassen, in dem Sie die Bildung einer Kapitalreserve
versprochen hatten, um endlich für Generationengerechtigkeit zu sorgen.
({7})
Sie haben das nicht getan, weil Sie eine völlig falsche
Vorstellung von den Privatversicherten haben. Stattdessen haben Sie verlangt, dass die Privatversicherten
900 Millionen Euro im Jahr an die soziale Pflegeversicherung überführen.
({8})
Da die Gesamteinnahmen nur 2 Milliarden Euro betragen, kann man sich leicht ausrechnen, dass dies die Zerstörung dieses Versicherungszweiges bedeutet hätte.
({9})
Aber das ist Ihnen ja sowieso vollkommen egal.
({10})
Kollege Lanfermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Nein.
Sie haben auch noch andere abenteuerliche Dinge erzählt, zum Beispiel, dass wir den Sozialausgleich verschoben hätten.
({0})
Den kann man aber gar nicht verschieben. Der wird nach
dem Gesetz dann fällig, wenn ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag entsteht. Ein solcher ist aber nicht entstanden. Stattdessen liegen 2 Milliarden Euro auf der hohen
Kante, die der Bundesfinanzminister bereits zur Verfügung gestellt hat und die Sie zum Teil wieder ausgeben
wollen.
({1})
Ich will Ihnen deutlich machen, welchen Zustand der
Finanzen wir vorgefunden haben, um auch Ihre diesbezüglich vorgetragene Unwahrheit ins rechte Licht zu rücken: Es gab keinen Überschuss. Was bei Übergabe des
Hauses zählt, sind die Schätzungen für die nächsten
zwölf Monate. Diese lagen bei minus 9 Milliarden Euro
bis minus 11 Milliarden Euro, je nach Berechnung.
({2})
Wir haben diese Lücke beseitigt, und es war der lächelnde Herr Rösler, den Sie diesbezüglich nicht unterschätzen sollten, der der Pharmaindustrie zu deren großer Freude einige Milliarden Euro abgenommen hat; um
es einmal ganz locker zu sagen.
({3})
Nachdem Ulla Schmidt es neun Jahre lang noch nicht
einmal gewagt hat, dieses Problem anzugehen, haben
wir mit dem Preisdiktat der Pharmaindustrie gebrochen
und haben für faire Verhandlungen gesorgt, wie sie in
der Marktwirtschaft in Deutschland seit Jahrzehnten offensichtlich funktionieren. Man kann sich nur an den
Kopf fassen, wenn man sich vor Augen führt, dass ein
Anbieter die Preise festgesetzt hat und die andere Seite,
die soziale Krankenversicherung, diese zu zahlen hatte.
Man kann Philipp Rösler nicht oft genug für seine Reform loben. Das war nicht nur ein Paradigmenwechsel,
sondern etwas ganz Großartiges.
({4})
Außerdem haben wir, ob es Ihnen gefällt oder nicht,
die Finanzierung verbessert. Darüber sind Sie sehr traurig, weil Sie wissen, dass Sie das gar nicht so schnell ändern könnten, wenn Sie eines fernen Tages einmal regieren.
({5})
- Sie sollten übrigens nicht immer so viel Redezeit dafür
verschwenden, uns zu erzählen, dass Sie regieren wollen. Das sehen wir Ihnen ja an. Aber damit erreichen Sie
Ihr Ziel noch lange nicht. Abgerechnet wird in zwei Jahren.
({6})
Wenn wir weiter so gute Gesetze machen wie in den
ersten beiden Jahren unserer Regierungszeit,
({7})
zum Beispiel das Versorgungsstrukturgesetz,
({8})
auf das Sie schon neidisch sind, bevor es dieses Plenum
überhaupt erreicht hat - jedenfalls haben Sie nichts dazu
gesagt, was Hand und Fuß hat -, dann habe ich gar keine
Sorge, dass der Bundesgesundheitsminister auch über
den nächsten Wahltag hinweg im Amt bleibt. Die ersten
100 Tage im Amt hat er bravourös gemeistert:
({9})
Ehec-Krise gelöst und alle Gesetzesvorhaben vorangetrieben.
Sie sind ja nicht dabei, wenn wir miteinander verhandeln.
({10})
Deswegen geht Ihnen die Fantasie durch. Ich kann Sie
nur einladen, die Texte auch einmal zu lesen und dann
konstruktiv im Gesundheitsausschuss mitzuarbeiten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Seifert das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Lanfermann, dass Sie uns zum x-ten Mal Ihre Spekulationsreserve aufschwatzen wollen, ist wirklich nichts
Neues. Darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren:
Wir brauchen sie nicht.
Sie haben über die Pflege und die Gohde-Kommission, die Sie wieder einsetzen wollen, gesprochen. Sie
haben erklärt: Die Politik muss Vorgaben dazu machen,
was die Kommission an Ergebnissen liefern soll. Dann
machen Sie doch einmal eine Vorgabe. Diese könnte darin bestehen, zu sagen: Wir brauchen einen neuen Pflegebegriff - so wie ihn die Gohde-Kommission definiert
hat -, der die Teilhabe in den Mittelpunkt rückt und sich
nicht nur an „satt, sauber, trocken“ orientiert. Dieser
Pflegebegriff sollte Grundlage der zukünftigen Arbeit
sein. Alles sollte daran ausgerichtet werden, wie er umgesetzt wird, wie Menschen, die Pflege brauchen oder
vielleicht sogar inkontinent sind, am Leben teilhaben
können.
Wenn das die Aufgabe der neuen Gohde-Kommission
ist, dann haben Sie eine gute Vorgabe gemacht. Dann
geht es nicht nur darum, ob Sie eine Spekulationsreserve
einrichten, sondern auch darum, wie Solidarität organisiert wird. Das wäre eine tolle Vorgabe.
({0})
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Vielen Dank. - Herr Kollege, Sie haben einige Selbstverständlichkeiten gesagt; darauf brauche ich nicht einzugehen. Sie haben aber mit Ihrem Beitrag das Thema
verfehlt, das vorhin Gegenstand war.
Der Vorsitzende, Herr Gohde, hat selber gesagt: Es
gibt einige Bereiche, die wir jetzt noch ausfüllen und
konkretisieren müssen.
({0})
Das kann er tun. Sie wissen aber ganz genau, dass es in
diesem Gutachten zur Umsetzung dieses Pflege- bzw.
Pflegebedürftigkeitsbegriffes verschiedene Szenarien
gibt, weil man das unterschiedlich machen kann, weil
man auch sehen muss, wie viel Geld was kosten soll.
Auch das müssen wir entscheiden. Deswegen gibt es natürlich Arbeit bezüglich der Umsetzung und der Ausgestaltung.
Gleichzeitig müssen wir aber auch wissen, zwischen
welchen Leitplanken wir uns bewegen sollen. Im Übrigen ist das gar nicht unsere Idee gewesen, sondern die
Beteiligten in der Pflegeszene - das gilt auch für die
Kranken- und Pflegekassen - haben selber gesagt: Wenn
der Pflegebedürftigkeitsbegriff neu definiert wird, dann
müssen bestimmte Dinge geändert werden, zum Beispiel
Regularien neu formuliert werden. Wir alle, die damit zu
tun haben, wissen: Das braucht seine Zeit.
Deswegen ist die Ankündigung, dass man in etwa
zehn Monaten diese Arbeit leisten will, sehr zu begrüßen. Man muss sich schon jetzt für diese Bereitschaft bedanken. Dieser Beirat wird nicht einfach dieselbe Arbeit
weitermachen oder gar noch einmal machen, sondern
diese Experten sind bereit, wie bei einer Rakete eine
weitere Stufe zu zünden, um damit die ganze Pflege weiterzubringen.
({1})
Das Wort hat der Kollege Ewald Schurer für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zunächst einmal darf ich als Haushälter dem Herrn
Minister meine Glückwünsche aussprechen, dass er erst14686
mals als Minister den Haushalt einbringen kann. Sie waren ja bereits in den vergangenen Jahren als Parlamentarischer Staatssekretär beteiligt. Ich darf mich auch beim
Ministerium dafür bedanken, dass die Unterlagen für die
Haushaltsberatungen umfänglich und rechtzeitig zur
Verfügung gestellt wurden. Das ist immerhin schon eine
Leistung.
({0})
So weit, so gut.
Ich darf dem Herrn Minister attestieren, dass er mit
einer Information richtig lag: Der für 2012 geplante
Steuerzuschuss von 14 Milliarden Euro erreicht eine
Höchstgrenze. Dieser Prozess wurde 2006 und 2007 begonnen. Seit 2009 fließen Steuerzuschüsse in den Gesundheitsfonds. Insoweit lagen Sie, fachlich gesehen,
richtig.
Die Rechtsgrundlage dafür findet sich in § 221
SGB V: Beteiligung des Bundes an Aufwendungen. Gemeinhin sagt man dazu: pauschale Abgeltung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Diese wurden dem Gesundheitswesen von der Politik übertragen.
Aber dann hört es mit dem Wahrheitsgehalt auf - das
tut weh -, weil Haushaltsberatungen nicht nur ein notwendiges Übel sind, das man irgendwie abspulen muss,
Herr Bahr, sondern den Minister bei seinen inhaltlichen
Ausführungen zu Wahrheit und Klarheit verpflichten.
({1})
Das habe ich im fachlichen Kontext vermisst. Herr
Lanfermann, Sie müssten als alter Hase schon wissen,
dass Haushaltsdebatten sich an der Richtschnur von
Wahrheit und Klarheit zu orientieren haben.
Neben diesen 14 Milliarden Euro haben wir einen
materiellen Kern. Das sind die verbleibenden 483 Millionen Euro. Sie stellen nur 3,4 Prozent des Gesamthaushaltes dar, sind aber als materieller Kern sehr wichtig.
Ich darf auch erwähnen, dass immerhin ein Fünftel von
diesen 483 Millionen Euro, nämlich 92,3 Millionen
Euro, durch Gebühren und Einnahmen gegenfinanziert
sind, vor allen Dingen durch das BfArM. Weil wir in der
Haushaltsdebatte sind, sei das noch angemerkt.
Aber jetzt kommt der für mich als Haushälter bittere
Moment. Dort, wo diese Bundesregierung inhaltlich gestalten könnte, tut sie es definitiv nicht. Das haben die
Kolleginnen und Kollegen teilweise bereits aufgearbeitet
und angerissen. Das gilt zum Beispiel bei der Prävention. Dort kürzen Sie bei den Titeln mit Programmcharakter. Sie haben auch keine Präventionsstrategie vorgelegt. Warum kürzen Sie bei dem wichtigen Feld der
Prävention? Das ist meine Frage. Darauf haben Sie in Ihrer Rede keine Antwort gegeben.
({2})
Des Weiteren darf ich das so wichtige Thema HIV/
Aids nennen. Wir wissen, dass die Ansteckungsquoten
nach wie vor auf hohem Niveau stagnieren. Sie haben
hier nicht die Wahrheit gesagt. Sie haben die Aufklärungstitel um 1 Million Euro gekürzt. Das Programm zur
Bekämpfung von HIV/Aids in Osteuropa haben Sie ganz
und gar eingestellt. Vor dem Hintergrund der Bedrohung
durch die schwierige Infektionskrankheit Aids ist das ein
Skandal.
({3})
Das ist die Wahrheit, Herr Minister. Wissen Sie, wenn
man Minister ist, muss man auch eine Messe lesen können und darf sich hier nicht wie ein Ministrant gerieren.
Nichts gegen Ministranten; aber man muss eine Messe
lesen können. Das sei Ihnen kurz vor dem Besuch des
Papstes in diesem Hohen Hause ins Stammbuch geschrieben.
Beim Thema Alkohol- und Zigarettenmissbrauch
zeigt sich das gleiche Bild. Sie kürzen bei den Programmen zur Bekämpfung von Alkohol- und Zigarettenmissbrauch. Das ist wieder ein Bereich, bei dem man gestalten könnte. Sie können hier nicht gestalten, weil Sie die
notwendigen Mittel eindampfen.
Lassen Sie mich noch einmal über ein positives Moment reden. Es ist positiv, dass aus dem Bundesprogramm für Bildung und Forschung immerhin 7 Millionen Euro an das BMG gehen. Das ist schön. Meine
Angst ist aber, dass diese Gelder wieder mal an die Industrie verhökert oder weitergeleitet werden, anstatt damit sinnvolle Programme für Kindergesundheit, für Arzneimittel- und Therapiesicherheit oder für die Pflege zu
finanzieren. Ich bin gespannt, was Sie dort substanziell
zu leisten in der Lage sind. Allerdings habe ich kein großes Vertrauen.
Wie schon gesagt worden ist, hat Herr Rösler im
Herbst letzten Jahres ein großes Programm für Pflege
angekündigt. Es gibt die Beiräte. Das ist ja gut und
schön. Die Kollegin hat es ausführlich ausgeführt. Es
gibt aber keinerlei eigene Definition. Sie stochern mit
der Stange im Nebel herum, was einen neuen und so
wichtigen Pflegebegriff angeht.
Wir wissen nur: Was kommen soll, wird die kapitalgedeckte Zusatzversicherung sein, und es wird zulasten
der Versicherten gehen. - Das sind die Optionen, mit denen Sie hier ins Spielfeld schreiten. Dies ist keine große
Leistung.
Die Eckpunkte sind zum 23. September angekündigt.
Was für einen Kalender haben Sie in der FDP oder im
Ministerium? Für mich beginnt das Jahr am 1. Januar
und nicht am 23. September. Auch das ist eine enorm
schwache Leistung.
({4})
Dann versuchen Sie, sich da auf den Beirat herauszureden. Herr Lanfermann, wo sind wir denn? Beiräte gibt
es überall. Sie bräuchten auch einen Beirat; das weiß ich.
Das würde Ihnen persönlich sehr guttun.
Nun komme ich zum Versorgungsstrukturgesetz. Es
gibt endlich eine Vorlage aus dem Kabinett - aus der
Sommerpause, vom August 2011. Immerhin haben Sie
das geschafft. Reden wir aber über das, was wir bei der
Versorgungsstruktur und einer Gesetzgebung brauchen.
Erstens brauchen wir zunächst einmal eine Bedarfsplanung, die sich am Wohle der Patientinnen und Patienten orientiert.
Zweitens brauchen wir einen Abbau von Unter- und
gleichzeitiger Überversorgung im Lande.
({5})
Daran werden übrigens Geldgeschenke an Mediziner in
keiner Weise substanziell etwas verändern.
Drittens brauchen wir mehr medizinische Versorgungszentren - machen wir uns nichts vor; betrachten
wir es ganz unideologisch - und pragmatische Lösungen
für deren Trägerschaft. Unter anderem natürlich die
Ärzte, aber auch Kommunen, Gebietskörperschaften und
Krankenhäuser könnten mögliche Träger sein.
({6})
Viertens - daran kommen wir nicht vorbei - brauchen
wir gestärkte Hausärzte, die als Lotsen die Patientinnen
und Patienten im Gesundheitssystem leiten können.
Zum Schluss möchte ich noch eine Aussage treffen.
Was Sie im letzten Jahr abgeliefert haben, ist in der Tat
({7})
nichts anderes als Verzögerung und Verschlimmbessern
der Situation, die wir bei Herrn Rösler vorgefunden haben. Sie zeigen nirgends auf, dass Sie ein Kompetenzzentrum sind. Ich erwarte von einem Gesundheitsministerium, dass es auch ein Kompetenzzentrum ist, das
inhaltliche Lösungen anbietet und sie selbst in die Gesellschaft hineinträgt. Es reicht nicht, zu sagen: Warten
wir ab, was der Beirat uns empfiehlt; dann haben wir
auch eine Meinung.
So kann es nicht gehen. Sie liegen weit unterhalb des
Niveaus, das man von einem Ministerium verlangen
kann.
Damit komme ich zu meiner abschließenden Aussage: Die Risiken und Nebenwirkungen der FDP-Politik
tragen alleine die Versicherten. Das ist bitter genug. In
den nächsten zwei Jahren erwarte ich persönlich von Ihnen keine Aufhellung des getrübten Himmels. Ich erwarte, dass Sie versuchen, sich über die Zeit zu retten.
Diese Zeit bedeutet, dass im September 2013 eine neue
Ära beginnt: ohne Schwarz-Gelb wieder in Richtung Solidargemeinschaft und Bürgerversicherung für Pflege
und Gesundheit.
({8})
Das ist der programmatische Ansatz, mit dem wir das
hohe Leistungsvermögen in dieser Volkswirtschaft sichern.
({9})
Im Übrigen sind es nicht 3 Milliarden Euro, Herr
Koschorrek, sondern 180 Milliarden Euro an GKV-Mitteln insgesamt und 250 Milliarden Euro im Jahr an Wertschöpfungsleistung in der Volkswirtschaft. Das ist eine
Viertel Billion, und es sind 12 Prozent des volkswirtschaftlichen Volumens. Mittel, die in die Gesundheitswirtschaft fließen, bedeuten Wertschöpfung. Es sind
nicht nur Kosten, sondern sie dienen der Gesundheit und
der Entwicklung von Arbeitsplätzen. Das ist richtig.
Kollege Schurer, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Die Erwartungen erfüllen Sie nicht. Das ist bitter. Das
tut weh. Das ist, denke ich, beschämend.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Stephan Stracke hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Schurer, an den Risiken und Nebenwirkungen und
vor allem an den bitteren Pillen, die die SPD in den letzten Jahren verabreicht hat, vor allem was Ihre Verantwortung für das BMG angeht, kauen die Versicherten
und Patienten immer noch. Wir sind dabei, entsprechende Maßnahmen durchzuführen, damit sich das wieder zum Positiven wendet.
({0})
Diese Koalition leistet insofern eine hervorragende
Arbeit. Sie erfüllt sämtliche Herausforderungen, die an
sie gestellt werden, auch in zeitlicher Hinsicht. Bleiben
Sie gelassen! Wir kriegen das alles gut hin, insbesondere
was die Pflege angeht.
Zu Beginn dieser Legislaturperiode drohte der gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von bis zu
9 Milliarden Euro. Das war die Ausgangslage. Es ist uns
gelungen, dieses gewaltige Defizit zu überwinden und
das Blatt zu wenden.
({1})
Jetzt sprechen wir nicht mehr von Defiziten, sondern
von einem Überschuss in der gesetzlichen Krankenversicherung. Beispielsweise wurde im ersten Halbjahr
2011 in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Überschuss von 2,4 Milliarden Euro erzielt.
({2})
Diese positive Entwicklung ist alles andere als eine
Selbstverständlichkeit. Sie ist das Ergebnis harter Arbeit
und richtiger Weichenstellungen vor allem dieser christlich-liberalen Koalition.
({3})
Nehmen Sie nur die Einnahmeseite bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie profitiert selbstverständlich von der positiven konjunkturellen Entwicklung.
Dass diese Entwicklung so positiv ist, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass wir eine kluge Wirtschaftspolitik betreiben. Dafür steht diese Koalition mit ihren
Entlastungen der Bürger und Unternehmen.
({4})
- Ja, ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Aber es
ist nun einmal die Realität.
Auch auf der Ausgabenseite hat sich vieles zum Positiven gewendet. Vor allem das Arzneimittelsparpaket
wirkt sich entsprechend aus. Seit Jahren müssen wir einen ungebremsten Ausgabenanstieg im Arzneimittelbereich erleben. Uns ist es gelungen, zu Ausgabensenkungen zu kommen. Erstmals ist ein Rückgang um
6,3 Prozent zu verzeichnen. Das bedeutet für die Krankenkassen eine monatliche Entlastung von 100 Millionen Euro. Wer von Ihnen, werte Opposition, hat das jemals hinbekommen? Außer in weinseligen Runden
zusammenzusitzen, kam wenig heraus.
({5})
Wir machen das als christlich-liberale Koalition insbesondere, indem wir den Pharmarabatt eingeführt haben.
Die Pharmaindustrie leistet nun erstmals einen echten
Sparbeitrag. Das haben wir durchgesetzt.
({6})
Am Anfang der Legislaturperiode mussten wir notgedrungen viele kurzfristige Maßnahmen durchsetzen.
Diese hatten viel mit dem drohenden Milliardendefizit
zu tun. Es ist gelungen, dieses abzuwenden. Jetzt können
wir uns Strukturfragen zuwenden.
({7})
Zur Skizzierung der Ausgangslage sei ganz kurz angemerkt: Es ist eigentlich eine banale Erkenntnis, dass es
die demografische Entwicklung und der medizinischtechnische Fortschritt sind, die die Strukturen und die
finanziellen Grundlagen unseres gesetzlichen Krankenversicherungssystems maßgeblich prägen und auch weiterhin prägen werden. Deswegen gibt es in der Gesundheitspolitik kein Weiter-so. Darüber besteht allgemeiner
Konsens in diesem Hohen Hause.
Darauf beschränkt sich aber auch der Konsens. Die
Rezepte der Opposition - schauen Sie sich die Vorschläge insgesamt an - bestehen in mehr Staat, mehr Regulierung und mehr Planwirtschaft. Das alles hat keine
Zukunft.
({8})
Dies hat die Vergangenheit gezeigt. Wir betreiben seit
30 Jahren - insbesondere unter der Regentschaft von
Ulla Schmidt von der SPD war dem so - eine Ausgabenbegrenzungspolitik.
({9})
- Das waren auf jeden Fall gefühlte 30 Jahre. - Trotz der
Begrenzung von Ausgaben, trotz Budgetierung und trotz
Leistungsverringerung sind die Beiträge immer weiter
gestiegen. Dieser Weg kann daher nicht weiter beschritten werden. Deshalb haben wir diesen Weg verlassen.
Wir brauchen keine Planwirtschaft und keine Staatsmedizin, wie Sie es wollen, sondern wir brauchen mehr soziale Marktwirtschaft. Kernelemente dieser sozialen
Marktwirtschaft sind mehr Wettbewerb und Transparenz; denn mehr Transparenz und Wettbewerb führen zu
höherer Effizienz und höherer Qualität. Das ist unser
Ansatz. Diesen Ansatz machen wir in unserer gemeinsamen Politik deutlich.
({10})
Nehmen wir das Arzneimittelneuordnungsgesetz. Einige Kollegen haben es angesprochen. Wir haben zum
ersten Mal das Preismonopol der Pharmaindustrie gebrochen. Das bedeutet für die Versicherten eine Entlastung
von jährlich rund 2 Milliarden Euro. Dafür können wir
uns loben, und auch Sie dürfen uns dafür loben, weil das
den Versicherten nützt.
({11})
- Ich weiß, dass die das nicht hinbekommen, aber anständig wäre es auf jeden Fall. - Jetzt müssen die Hersteller beweisen, dass ihre neuen Arzneimittel tatsächlich einen zusätzlichen Nutzen haben. Daran orientiert
sich von nun an die Preisfindung; denn wir wollen tatsächlichen Fortschritt bezahlen und nicht bloß versprochenen. Das verstehen wir unter Transparenz und Wettbewerb. Aber zum Wettbewerb gehört auch Fairness.
Deswegen erwarten wir, dass die Parteien bei der Nutzenbewertung fair miteinander umgehen. Dazu gehört,
dass der gesetzlich verankerte Beratungsanspruch der
Hersteller nicht ins Leere läuft, sondern in der Praxis gelebt wird.
({12})
Beratung heißt Dialog, heißt Austausch und nicht Monolog auf dem Schriftwege. Ich erwarte, dass der Gemeinsame Bundesausschuss diesem Gesetzeswillen Rechnung trägt und ihn nicht unterläuft.
({13})
Transparenz und Wettbewerb prägen in Zukunft nicht
nur den Arzneimittelmarkt, sondern auch die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Zusatzbeiträge entfalten erstmals ein echtes
Preissignal. Jetzt kann der Versicherte auf Euro und Cent
genau erkennen, was ihn die Krankenversicherung kostet. Damit haben wir zusätzlich ein Wettbewerbselement
eingefügt. Keiner, insbesondere keiner von der Opposition, hat für möglich gehalten, dass dieses Element eine
solche wettbewerbliche Wirkung entfaltet. Ich halte das
insgesamt für gut, weil das dem Gesundheitswesen guttut.
Zum Wettbewerb gehört aber auch die Möglichkeit
des Scheiterns. Die Insolvenz der City BKK zeigt das.
Das muss man akzeptieren. Man muss allerdings auch
die Rahmenbedingungen akzeptieren. Das heißt, dass die
Versicherten zu Recht erwarten dürfen, dass sie das Solidarsystem in einem solchen Fall auffängt. Das Schauspiel, das einzelne Krankenkassen aufgeführt haben, war
daher schlicht und ergreifend unwürdig. Das war unanständig.
({14})
Deswegen werden wir diesbezüglich zu Veränderungen
kommen und die Befugnisse der Aufsichtsbehörden erweitern. Wir werden dabei bis zum Mittel der Amtsenthebung von Vorstandsmitgliedern bei grober Pflichtverletzung greifen.
({15})
Neben den strukturbestimmenden Merkmalen von
Wettbewerb und Transparenz geht es in Zukunft auch
darum, die Gesundheitspolitik immer wieder an der konkreten Versorgungssituation der Patienten zu messen.
Maßstab muss die erlebte Versorgungsrealität der Patienten mit ihren Bedürfnissen, Sorgen und Ängsten sein.
Genau das greifen wir auf. Ziel muss es sein, dass wir
weiterhin eine hervorragende Gesundheitsversorgung
flächendeckend, wohnortnah und bedarfsgerecht gewährleisten. Dazu verändern wir die Rahmenbedingungen, auch die der Leistungserbringer. Das ist aber nie
Selbstzweck, sondern dahinter steht immer das Ziel, eine
noch bessere Versorgungsqualität der Patienten zu erreichen.
Viele Menschen haben einfach die Sorge, dass sich
die medizinische Versorgung auf dem Land verschlechtert. Ich komme aus dem Allgäu, einem wunderschönen
Landstrich. Dort liegt der Versorgungsgrad bei 110 Prozent. Dazu würden Sie sagen: Alles wunderbar, alles
prima. Wenn man aber einmal genau hinschaut, etwa bei
den Hausärzten, stellt man fest, dass beispielsweise in einem Landkreis meines Wahlkreises fast ein Drittel der
Hausärzte über 60 ist. Ich weiß, dass diese - wunderschöne - Region für Deutschland sicherlich nicht repräsentativ ist; dennoch zeigt sie eine gewisse Entwicklung
auf. Deswegen ist es richtig, den Bedarf vom Patienten
her zu denken. Genau das tun wir, indem wir zum Ausgangspunkt unseres Versorgungsstrukturgesetzes den
tatsächlichen Bedarf der Menschen machen.
Was heißt das? Wir geben mit unserem Versorgungsstrukturgesetz den Ländern mehr Mitwirkungsrechte.
Regionale Besonderheiten können künftig besser berücksichtigt werden. Wir müssen hierbei auch darauf
achten, dass die Balance gewahrt bleibt. Es darf nicht so
sein, dass derjenige, der bestellt, ein anderer ist als derjenige, der die Rechnung bezahlt. Darauf, dass es hier
nicht zu Disparitäten kommt, achten wir.
Junge Mediziner haben vor allem die Sorge, dass sie
doppelt bestraft werden, gerade in unterversorgten Gebieten. Zum einen haben sie dort mehr Arbeit, mehr Patienten und einen höheren Aufwand, und zum anderen
verdienen sie im Einzelfall weniger, weil unser Honorarsystem mehr Leistung eher bestraft als belohnt. Hinzu
kommt die Angst vor Regressen. Das gehen wir an, indem wir die Niederlassung attraktiver gestalten. Das
geht nicht mit planwirtschaftlichen Elementen, wie viele
es sich vorstellen. Eine Landverschickung per Gesetz
wird nicht funktionieren. Wir setzen auf Anreize: Mengenabstaffelung, Abbau von Regressängsten und vor allem Regionalisierung der Honorare.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Koalition hat in den vergangenen beiden Jahren gute Arbeit
geleistet. Wir haben jetzt einen guten, einen hervorragenden Minister. Daher werden wir all den Herausforderungen voll und ganz gerecht werden. Seien Sie versichert: Diese Koalition tut Deutschland gut. Das werden
wir tagtäglich zeigen.
Herzlichen Dank.
({16})
Die Kollegin Birgitt Bender hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorherige Gesundheitsminister sah eines Tages die Chance,
seine Partei zu retten, indem er ihren Vorsitz übernahm.
Ob ihm das geholfen hat, sei dahingestellt. Dabei war
ihm das Gesundheitsressort offensichtlich lästig, und er
hat es flugs hingeworfen. Angekündigt hat er dann: Ab
jetzt wird geliefert. Man sollte annehmen, das habe sich
auch auf die Gesundheitspolitik bezogen und sei dementsprechend Ihre Aufgabe, Herr Minister Bahr.
({0})
Nun haben wir schon gehört, dass jedenfalls in der
Pflege gar nichts außer dem Modell „lange Bank“ geliefert wird. Da ist also schon einmal nichts mit Lieferung.
({1})
Es hat sich nämlich gezeigt, dass das, was die FDP so
gerne als Lösung hätte - die private Zusatzzwangsversicherung als neuen Markt für die PKV -, auch bei CDU
und CSU Stirnrunzeln hervorgerufen hat - zu Recht.
Nun fällt Ihnen gar nichts mehr ein, und deswegen passiert nichts.
In anderen Bereichen sieht es so aus, als ob Sie lieferten; aber in der Verpackung ist nicht das, was Sie versprechen. Angeblich haben wir jetzt den Entwurf eines
Landärzteförderungsgesetzes auf dem Tisch liegen. Was
enthält es für die Landärzte? Es wird versprochen, dass
die Honorarregelung, die dazu führt, dass das Honorar
desjenigen, der besonders viele Patienten behandelt, am
Ende niedriger ausfällt, aufgehoben wird.
({2})
- Nein, ich bin nicht dagegen. ({3})
Aber wissen Sie, werter Herr Kollege Lanfermann, wie
viele Ärztinnen und Ärzte das zurzeit betrifft? Es sind
exakt 37.
({4})
37 Ärztinnen und Ärzte werden von dieser Regelung
profitieren. Das soll eine Förderung der Landärzte sein?
({5})
Was passiert stattdessen? Es ist ja nicht so, als würden
Ärzte nicht profitieren. Schauen wir einmal einen Moment lang zurück: In der Zeit von 2007 bis 2010 ist das
ärztliche Honorarvolumen um rund 4,3 Milliarden Euro
gestiegen.
({6})
In diesem Jahr kommt noch einmal 1 Milliarde Euro
hinzu. Wenn das Versorgungsgesetz tatsächlich so kommt,
dann erhalten die Ärzte noch einmal 600 bis 800 Millionen Euro und die Zahnärzte noch einmal 400 Millionen.
Dass bei der spezialisierten fachärztlichen Versorgung
die Steuerungsinstrumente hinsichtlich Menge und Qualität gleich vom Tisch gewischt werden, kostet noch einmal zusätzlich eine halbe Milliarde Euro. Das heißt, ab
2013 haben wir dann wiederum Mehrkosten von 2 Milliarden Euro, die bei der Ärzteschaft ankommen und dann
die Startrampe für weitere Honorarverhandlungen für die
nächsten Jahre bilden. Das nenne ich ein Ärztebeglückungsgesetz.
({7})
Nur hat das mit der Förderung des ländlichen Raums
und der gesundheitlichen Versorgung dort rein gar nichts
zu tun.
({8})
Bezahlen werden diesen Goldrausch die Versicherten.
({9})
Sie haben ja dafür gesorgt, dass jede weitere Kostensteigerung einseitig in Form von Zusatzbeiträgen bei den
Versicherten abgeladen wird.
Nun ist Ihnen offenbar auch aufgegangen, dass man
denen wenigstens versprechen müsste, dass die Versorgung sich verbessert. Da haben Sie dieser Tage einen
Joker aus dem Ärmel gezogen, der hieß: Wir verbessern
den Zugang zum Facharzt für die GKV-Versicherten; die
kriegen schneller einen Termin. - Das hörte sich glatt so
an, als würden Sie einen Praxiskalenderüberwachungsinspektor hinter jeden Arzt setzen wollen; eine besonders kluge Idee.
({10})
Als Ihnen das aufgegangen ist, haben Sie den Vorschlag gleich wieder eingesammelt. Aber was Sie nicht
tun, ist, das Problem, das es ja gibt, nämlich dass die gesetzlich Versicherten je nach Region und je nach Facharztgruppe deutlich länger auf einen Termin warten als
die Privatversicherten, von der Wurzel her anzugehen.
({11})
Es ist für Ärzte nun einmal ökonomisch rational, dass
sie diejenigen vorziehen, für deren Behandlung sie besser bezahlt werden. Deswegen muss man das ändern und
die Ärztinnen und Ärzte gleichermaßen für die Behandlung bezahlen. Die Kosten für die Behandlung dürfen
sich nicht nach dem Versicherungsstatus der Patienten
richten, sondern nach der Krankheit, die diese haben.
Wir brauchen eine einheitliche Honorarordnung.
({12})
Wir brauchen auch gleiche Spielregeln. Das ist der
Weg zur Bürgerversicherung. Genau das wollen Sie
nicht.
({13})
Was wir auch brauchen, ist eine vernetzte Versorgung.
Da, wo nämlich Haus- und Fachärzte und möglichst
noch andere Gesundheitsberufe zusammenarbeiten, im
MVZ, bei den Hausarztverträgen, in der integrierten Versorgung, da klappt es auch mit der Terminvergabe. Da
braucht man nicht irgendwelche Sanktionsmechanismen.
Aber genau daran krankt es doch. Sie haben nur wieder
die ärztliche Einzelpraxis im Blick und dass es so weitergehen soll wie bisher. Sie denken nicht daran, dass eine
gut strukturierte Versorgung eine vernetzte Versorgung
ist und auch eine Versorgung, bei der die Allzuständigkeit der Ärzte aufgehoben wird und auch einmal anderen
Gesundheitsberufen mehr Verantwortung zugetraut und
zugemutet wird, wodurch die Patienten bessergestellt
werden, so wie das in anderen Ländern auch der Fall ist.
({14})
Kurz gesagt: Hier wird nichts anderes abgeliefert als
die alte Klientelpflegepolitik, und damit hat dieser Gesundheitsminister gar nichts abgeliefert.
({15})
Das Wort hat der Kollege Lothar Riebsamen für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vergleicht man den Bundeshaushalt mit einem Haus, dann ist das Ressort Gesundheit sicher nicht
das Fundament oder das wichtigste Geschoss, sondern
das Ressort Gesundheit hat eine ganz andere, besonders
wichtige Funktion, nämlich dafür zu sorgen, dass es lebenswert ist, in diesem Haus zu leben und in diesem
Haus gesund zu bleiben, vom Kind bis zum Greis.
70 Millionen Versicherte in unserem Land: Das steht
hinter diesem Haushalt. Diesem Anspruch werden wir
mit allen Maßnahmen gerecht, die wir für diesen Haushalt vorbereitet haben und die wir in diesem Haushalt
umsetzen.
Dadurch ist die Gesundheitswirtschaft natürlich auch
ein bedeutender Wirtschaftszweig in unserem Land.
4,3 Millionen Menschen erwirtschaften 10 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts.
({0})
Wir lesen zurzeit in den Medien, dass sich die Gesundheitswirtschaft weltweit verdreifachen wird. Zu
Recht haben der Bundesgesundheitsminister und der
Bundeswirtschaftsminister die Gesundheitswirtschaft für
die nächsten Jahre und Jahrzehnte als wichtiges Exportangebot erkannt.
Diese Entwicklung ist jedoch kein Selbstläufer. Sie ist
nicht zum Nulltarif zu haben. Es ist notwendig, an den
Konzepten und an der Richtung, die wir zur langfristigen
Finanzierung des Gesundheitssystems und zur kurzfristigen Sicherung der Haushalte eingeschlagen haben, festzuhalten.
Der Etat im Haushalt des Bundes ist von 1 Milliarde
Euro im Jahr 2004 auf nunmehr über 14 Milliarden Euro
aufgewachsen. Er fällt 2012 allerdings um circa 2 Milliarden Euro geringer aus als in den beiden vorhergehenden Jahren, und zwar ganz einfach deshalb, weil in diesem Jahr keine Stützung des Gesundheitsfonds
notwendig ist. Das liegt daran, dass wir einen hervorragend florierenden Arbeitsmarkt haben und wir die Arbeitslosigkeit deutlich reduzieren konnten.
({1})
Das haben wir unseren fleißigen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern zu verdanken. Das haben wir unseren
Tarifpartnern zu verdanken, die vernünftig gehandelt haben. Das haben wir einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, aber auch einer vernünftigen Gesundheitspolitik zu
verdanken.
({2})
Wir haben die Arbeitgeberbeiträge festgeschrieben,
um Arbeitsplätze zu erhalten. Wir haben die Beiträge in
der Krise reduziert.
({3})
- Wir haben sie in der Krise reduziert.
({4})
Von den 14,5 Milliarden Euro, die wir im Haushalt veranschlagt haben, investieren wir 14 Milliarden Euro in
versicherungsfremde Leistungen und in eine angemessene Steuerbeteiligung zur sozialen Abfederung von Zusatzbeiträgen.
Auch die Sofortmaßnahmen, die wir notwendigerweise ergreifen mussten, weil ein Defizit von 11 Milliarden Euro zu erwarten war, haben Wirkung gezeigt. Die
Sparpakete im Arzneimittelbereich haben Wirkung gezeigt. Wir haben schon wenige Monate nach Übernahme
der Regierungsverantwortung mit dem GKV-Änderungsgesetz die Zwangsrabatte erhöht. Dadurch spart die
GKV 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ein. Hinzu kommen
seit dem 1. Januar 2011 durch das AMNOG weitere
2 Milliarden Euro im Jahr. Die Auswirkungen sind also
deutlich sichtbar. Die Medien, die das im vergangenen
Jahr noch kritisiert haben, müssen heute eingestehen
- sie tun dies teilweise auch -, dass wir sinnvolle und
richtige Maßnahmen ergriffen haben.
({5})
Gegenüber dem ersten Halbjahr 2010 hat sich im Jahr
2011 die Gesamtsituation der GKV um 2,3 Milliarden
Euro verbessert. Im ersten Quartal 2011 konnten allein
die Arzneimittelausgaben um 5 Prozent reduziert werden. Der Schätzerkreis der gesetzlichen Krankenversicherung erwartet, dass es zum Ende dieses Jahres eine
Liquiditätsreserve in Höhe von 6,9 Milliarden Euro im
Gesundheitsfonds geben wird.
({6})
Diese Liquiditätsreserve brauchen wir allerdings auch.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat
im Juni 2011 eingeräumt, dass das AMNOG keine negativen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der Gesundheitsbranche hat. Das AMNOG war demnach nicht
nur im Interesse der Beitragszahler, sondern stellte umgekehrt auch keinen Schaden für die Industrie in unserem Land dar. Auch das GKV-Finanzierungsgesetz, das
zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, hat die
Einnahmen und die Ausgaben der GKV stabilisiert. Mit
Beiträgen, die sich auf dem Niveau von vor der Krise bewegen, mit der Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge
und mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich wird
niemand überfordert,
({7})
und es entsteht eine Knautschzone für die gesetzlichen
Krankenkassen.
Kurzum: Wir haben langfristige und wir haben kurzfristige Verbesserungen erzielt, ohne in den Leistungskatalog einzugreifen und ohne Priorisierungen vorzunehmen, wie dies in anderen Ländern teilweise üblich ist.
({8})
Es zeigt sich allerdings auch, dass die Arbeit in diesem
Bereich nicht ausgehen wird. Weitere Vorhaben sind für
2011/2012 in der Pipeline: Ich rede vom Versorgungsstrukturgesetz. Ich rede von einer zielgenaueren ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum. Liebe Frau
Bender, das soll nur 37 Ärzte betreffen? Dazu kann ich
nur sagen: Wenn die neu definierten statistischen Vorgaben erst einmal gelten, dann werden diese 37 Ärzte allein in meinem Wahlkreis sein.
({9})
Das wird ein großer Wurf im Sinne einer Verbesserung
der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum werden.
({10})
Zudem werden wir mit diesem Gesetz eine bessere
Verzahnung zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich herbeiführen. Außerdem werden wir für
mehr Transparenz sowie für mehr Haushaltswahrheit
und Haushaltsklarheit sorgen, nicht im Bundeshaushalt
- da sind diese gegeben -, sondern in den Abschlüssen
der gesetzlichen Krankenversicherung ab 2014, damit
die Versicherten die Zahlen ihrer Krankenversicherung
einsehen können.
Persönlich sehe ich Handlungsbedarf auch in dem
größten Bereich in der gesetzlichen Krankenversicherung, nämlich im Krankenhausbereich. Auch dort sehe
ich die Notwendigkeit, nachzujustieren. Das DRG-System hat sich bewährt. Der Begleitbericht, den wir im
Frühjahr hier debattiert haben, bestätigt dies. Trotzdem
gibt es an der einen oder anderen Stelle Disparitäten,
weil der Preis nicht am Markt gebildet wird, was wir
auch nicht wollen. Aber deswegen ist es nötig, dass wir
vonseiten der Politik eingreifen.
Wir haben, regional unterschiedlich, zu viele Krankenhausbetten und zu viele Pflegetage. Hier hat die Landesplanung teilweise versagt. Deswegen werden wir die
Vorschläge, auch der Krankenkassen, die auf dem Tisch
liegen, prüfen, um für mehr Qualität zu sorgen, auch
dort, wo Leistungen angeboten werden, die manchmal
vielleicht auch deswegen angeboten werden, weil sie das
meiste Geld einbringen.
({11})
Ich sehe auch Handlungsbedarf, bei der Einführung
der Psych-Entgelte in dieser Richtung vorzugehen. Die
Weltgesundheitsorganisation bestätigt, dass in Deutschland 16 psychisch Kranke im stationären Bereich auf
1 000 Einwohner fallen. In den Niederlanden ist es ein
Patient pro 1 000 Einwohner. Da kann etwas nicht stimmen. Es liegt mit Sicherheit daran, dass hier der ambulante und der stationäre Bereich - ich habe es bereits erwähnt - nicht so verzahnt sind, wie es notwendig wäre.
Deswegen müssen wir, wenn wir das Psych-Entgeltsystem einführen, darauf achten, mittelfristig die psychiatrischen Institutsambulanzen in die neuen Entgeltüberlegungen mit einzubeziehen und das Mittel der integrierten
Versorgung, das es ja bereits gibt, noch intensiver zu nutzen, als es bisher der Fall ist.
Bemerkenswert an diesem Bundeshaushalt ist auch,
dass 26,4 Milliarden Euro - das sind gerade einmal
8,4 Prozent - für Investitionen ausgegeben werden, Investitionen in Straße, Schiene, Klimaschutz, Küstenschutz und anderes, aber über 50 Prozent in Soziales inklusive der Gesundheit. Deswegen kann keine Rede von
sozialer Kälte sein, wie es von der linken Seite angeklungen ist. Vielmehr ist es notwendig, dafür zu sorgen,
dass wir diesen hohen Standard im sozialen Bereich halten können, indem wir investieren und dafür sorgen, dass
wir vernünftige Verkehrsinfrastrukturen und insgesamt
eine vernünftige Infrastruktur in unserem Land halten
können.
({12})
Dieser Haushalt ist ein gutes Fundament auf dem Weg
in eine generationengerechte Zukunft.
({13})
Es ist ein gutes System, und wir werden den Mut haben,
den Sie sieben Jahre lang in der rot-grünen Koalition
nicht gehabt haben, weitere Verbesserungen anzustreben
und durchzuführen, damit wir auch in Zukunft sagen
können, dass das Gesundheitssystem in Deutschland eines der besten der Welt ist und bleibt.
Herzlichen Dank.
({14})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist
für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin
Bärbel Bas. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Minister Bahr, es ist, glaube ich, hinlänglich bekannt, dass Ihre Partei ein Lieferproblem hat. Allerdings
gilt das auch für Sie, und das ist heute bereits angeklungen. Damit meine ich nicht nur die Pflegereform, sondern auch Ihre Präventionsstrategie bzw. das Präventionsgesetz, das Sie einführen wollen, und das Patientenrechtegesetz. All das haben Sie uns vor der Sommerpause versprochen. Bei einem Blick in den Kalender
stellt man fest: Die Frist ist in 14 Tagen vorbei. Wir wollen sehen, was uns dann erwartet.
Das einzige, was Sie bisher geliefert haben, ist dieser
Haushaltsentwurf. Wie der Kollege Schurer bereits gesagt hat, stehen in dem Entwurf 14 Milliarden Euro
Steuerzuschuss, die bereits in der Großen Koalition beschlossen waren. Ihr Gestaltungsspielraum erschöpft
sich somit auf 7 Millionen Euro für Forschungsförderung.
Zusammengekratzt haben Sie das Geld ausgerechnet
aus ganz wichtigen Bereichen, nämlich bei der Förderung der Prävention, bei der Aidsaufklärung und bei der
Kindergesundheit. Es ist sehr kurzsichtig, wenn
Schwarz-Gelb gerade bei diesen wichtigen Bereichen
kürzt.
({0})
Ich will deshalb das Thema Kindergesundheit noch
einmal aufgreifen. Noch im Juni hat sich der Bundesgesundheitsminister mit den Erfolgen einer Strategie seiner
Vorgängerin Ulla Schmidt als seine eigenen gebrüstet.
Sie erinnern sich an dieser Stelle vielleicht noch an die
kleine Plagiatsaffäre.
({1})
Möglicherweise wussten Sie schon damals, dass Sie
den Haushaltsansatz für die Förderung der Kindergesundheit sowieso kürzen wollten; denn der Etat für die
dringend notwendige Förderung der Kindergesundheit
- das haben Sie als Minister gerade selber angesprochen lag 2011 bei 1,15 Millionen Euro, und im jetzigen Entwurf ist er heruntergefahren auf 650 000 Euro. Wie Sie
sich hier hinstellen und sagen können: „Wir tun mehr für
die Kindergesundheit“, kann ich persönlich nicht nachvollziehen.
({2})
Leider setzen Sie damit einen unseligen Trend der
vergangenen zwei Jahre fort. Seit zwei Jahren erzählen
Sie uns das Gleiche. Sie wollen kein Präventionsgesetz.
({3})
Gut, dieser Meinung kann man sein. Dann sollten Sie
aber an Ihrer Präventionsstrategie arbeiten. Zu erkennen
ist bislang überhaupt nichts, außer dass sie scheinbar so
gut sein wird, dass Sie kein Geld mehr dafür brauchen
werden; denn Sie sparen ja jetzt Jahr für Jahr bei der Prävention ein.
({4})
Das ist auch eine Strategie. Warten wir mal ab, was da
kommt. Noch stehen 30 Millionen Euro für die Prävention zur Verfügung. Ein Blick ins Gesetz zeigt uns aber
auch, dass dort schon einmal 41 Millionen Euro gestanden haben.
Viele gute Programme und Kampagnen der Vorgängerregierung laufen jetzt aus. Anstatt dort anzusetzen
und die Ideen, die bei Ihnen auf dem Tisch liegen, aufzugreifen und mit der Umsetzung zu beginnen, liefern Sie
gar nichts. Im Gegenteil: Die Vorschläge, die wir bisher
gehört haben, sind altbacken und überholt - und nicht
nur die Fachwelt reibt sich verwundert die Augen.
Schlimmer noch: Seit 2009 - dem Jahr Ihrer Regierungsübernahme - haben die Krankenkassen jedes Jahr
weniger Geld für Prävention und Gesundheitsförderung
ausgegeben. Diesem Trend setzen Sie nichts entgegen;
stattdessen lassen Sie das Ganze einfach laufen und hören nicht auf die Aufforderungen, diese Vorschläge und
Ansätze durchzusetzen. Alle Beteiligten warten darauf,
dass endlich mehr für die Prävention getan wird. Das
wäre langfristig eine vernünftige Strategie.
({5})
Der eigentliche Sprengsatz für die Gesundheitspolitik
findet sich aber nicht in diesem Haushalt: das Versorgungsstrukturgesetz. Darüber haben wir bereits vorhin
ausführlich diskutiert. Es bleibt festzustellen: Sie schlagen Irrwege ein, die kaum noch zu überbieten sind und
die Sie überdies von Ihrem eigenen Bundesfinanzminister vor der Sommerpause bescheinigt bekommen haben.
Daran will ich noch einmal erinnern; denn das war wirklich hervorragend. Der Bundesfinanzminister hat gesagt,
der Entwurf sei schlecht gemacht, die Wirksamkeit, die
Sie hier gerade gepriesen haben, sei zweifelhaft und die
Abschätzung der Folgen genüge nicht einmal den gesetzgeberischen Mindeststandards.
({6})
Das hat er Ihnen in Ihr Stammbuch geschrieben, und ich
finde, da hat er recht.
Wer nun gedacht hätte, der Gesundheitsminister
würde sich dieser Kritik stellen, sie ernst nehmen, entsprechend nachbessern und - wie wir heute immer sagen liefern, sieht sich getäuscht. Stattdessen kaufen Sie sich
beim Finanzminister frei.
({7})
Das muss man sich einmal genau anschauen: Die
Ausgabenrisiken bei der ambulanten Versorgung sollen
einfach durch den Beitragszahler gedeckt werden. Genauer gesagt: Absehbare Mehrausgaben für die Honorierung von Vertragsärzten und die finanziellen Folgen der
Abschaffung von Kostensteuerungsinstrumenten werden
2014 mit dem Steuerzuschuss für die Liquiditätsreserve
des Gesundheitsfonds verrechnet. Eine ganz einfache
Rechnung.
Zur Liquiditätsreserve. Hatten Sie damit nicht etwas
anderes vor? Ich erinnere an Ihren „Feigenblatt-Sozialausgleich“ für Ihre Kopfpauschale. Ich übersetze das
einmal für die Versicherten, die mir hoffentlich auch zu
dieser späten Stunde noch zuhören: Liebe Versicherte,
der versprochene Sozialausgleich bei der Kopfpauschale
ist gar nicht steuerfinanziert. Sie müssen ihn mit Ihren
Beiträgen selbst bezahlen; denn das Geld hat Herr Bahr
schon den Ärzten versprochen. Der Sozialausgleich, den
Sie bekommen würden, wird mit dem Versorgungsgesetz schon verbraucht.
({8})
Man muss es deutlich sagen: Es wird nichts mehr für
den ach so fairen steuerlich finanzierten Sozialausgleich
übrig bleiben. Damit kann man endgültig sagen: Unter
Ihren Sozialausgleich kann man einen Strich machen;
das ist die Farce schlechthin und grenzt fast schon an
Volksverdummung.
({9})
- Herr Lanfermann, ich hoffe, Sie haben das verstanden.
({10})
- Herr Lanfermann, wir werden uns da noch auseinandersetzen. Es wird genau so kommen, wie ich es angedeutet habe.
Herr Bahr, letztendlich kann man sagen: Egal, wo
man hinschaut, findet man nur offene Fragen und ungelöste Probleme. Sie entscheiden nicht, Sie schieben alles
vor sich her und - ich erinnere an die Wartezeiten - sorgen für Verwirrung. Sie haben die Gesundheitspolitik
nicht im Griff, und nicht nur das. Mein Fazit für Sie,
Herr Minister: Sie brauchen nicht mehr zu liefern; Sie
sind gesundheitspolitisch bereits geliefert.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Bas. - Nächster Redner
für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Alois
Karl. Bitte schön, Kollege Alois Karl.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man in den letzten eineinhalb Stunden die
Diskussion verfolgt hat, so meint man doch, manchmal
herauszuhören, dass bei Ihnen ein gewisses Unverständnis für die Situation der letzten zwei Jahre herrscht. Wir
haben in der Tat für eine sehr gute Entwicklung der Situation gesorgt. Uns sind Dinge geglückt, die Ihnen nicht
geglückt sind. Ich meine, Sie sollten auch in den nächsten zwei Jahren gut aufpassen. Ich traue dem neuen Bundesgesundheitsminister zu, dass er außerordentlich gute
Ergebnisse abliefern wird.
Liebe Frau Bas, Ihre Rede hat nicht dazu beigetragen,
uns weiterzubringen.
({0})
Ich muss schon sagen: Den Beginn der Rede habe ich
schon wieder vergessen, den mittleren Teil habe ich
nicht ganz verstanden, das Ende habe ich, wenn ich ehrlich bin, fast herbeigesehnt.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern,
dass Wolfgang Schäuble hier vor zwei Tagen den Bundeshaushalt in seiner Gesamtheit vorgestellt hat. Er hat
darauf verwiesen, dass wir uns in einer außerordentlich
stabilen Situation befinden: Die Ausgaben im Haushalt
steigen so gut wie gar nicht. Wir führen die Konsolidierungsbemühungen fort. Wir stellen unseren Haushalt auf
wirtschaftlich gesunde Beine.
Niemand hätte gedacht, dass wir die Situation nach
der Wirtschaftskrise vor zwei Jahren so schnell in den
Griff bekommen und wir schon 2011, nicht erst 2013,
unsere Arbeit erledigt haben.
({2})
Die Nachrichten sind gut: In Deutschland haben mehr
Menschen als jemals zuvor Arbeit. Wir haben die wenigsten Arbeitslosen seit der Wiedervereinigung.
Gerhard Schröder hatte 3 Millionen Arbeitslose versprochen; zum Schluss waren es 5 Millionen. Wir haben
heute unter 3 Millionen Arbeitslose. Wir haben in der
Tat dort geliefert - so haben Sie das gesagt -, wo andere
bloß leeres Stroh gedroschen haben.
({3})
Wir sind glücklich darüber, dass wir das Haushaltsdefizit auf deutlich unter 3 Prozent herunterführen, dass
wir die veranschlagten Schuldenbeträge, von denen wir
zu Beginn der Legislaturperiode geglaubt haben, sie ausgeben zu müssen, in jedem Jahr dramatisch unterschritten haben. Das sind hervorragende Zahlen.
Es ist zum Greifen nah, dass wir in der mittelfristigen
Finanzplanung etwas erreichen, was es in Deutschland
seit 40 Jahren nicht mehr gegeben hat, nämlich einen
ausgeglichenen Haushalt.
({4})
Ich darf daran erinnern. Es war damals Willy Brandt
1969 in der sozialliberalen Koalition, der die Haushaltsdisziplin verlassen hat. Seinerzeit hat man den Wohlfahrtsstaat zum Maß der Dinge erklärt. Diese Haushaltsunethik hat ein Ende. Ich bin stolz darauf und froh
darüber, dass wir als Mitglieder des Haushaltsausschusses nicht erst 2016, sondern vielleicht schon im Verlauf
des Jahres 2014 mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr
2015 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können.
({5})
Der Haushalt des Bundesgesundheitsministers fügt
sich in diese große Linie des Haushaltens, des KonsoliAlois Karl
dierens und des Sparens ein und wird seinen Beitrag leisten. Wir sparen heute gegenüber dem letzten Jahr
1,3 Milliarden Euro, das sind 8,2 Prozent des Haushalts.
Das kommt dadurch zustande, dass wir den Steuerzuschuss zum Gesundheitsfonds um 1,3 Milliarden Euro
senken können bzw. keinen Sonderzuschuss geben müssen. Wir bezahlen die planmäßigen 14 Milliarden Euro
und müssen nicht - wie in den letzten Jahren - Sonderzuschüsse geben. Das freut den Haushälter schon.
Frau Ferner, Ihre Wortmeldung habe ich nicht ganz
verstanden.
({6})
- Ja, Sie drücken sich in Ihrer Argumentation manchmal
etwas undeutlich aus. - Man hat den Eindruck gehabt,
als wäre ein Überschuss für Sie so etwas wie Teufelszeug. Ich bin der Meinung, dass wir dann, wenn wir
sparsam und ordentlich wirtschaften, eigentlich gelobt
werden müssten.
({7})
Überschüsse sind etwas Besonderes und etwas Gutes.
({8})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
natürlich große Aufgaben vor uns. Die Fachpolitiker
werden das hier vortragen, und die Haushaltspolitiker
werden das begleiten. Die Pflegeversicherung ist angesprochen worden. Frau Scharfenberg, Sie haben gesagt:
„Man sieht nichts“. In der Tat waren Sie sieben Jahre
lang in der Regierung, und man hat nichts davon gesehen, dass die Pflegeversicherung irgendein Jota weitergekommen wäre. Es war die CDU/CSU, die zusammen
mit der FDP seinerzeit unter Norbert Blüm die Pflegeversicherung eingeführt hat. Es war die Große Koalition,
die auch die Demenzkranken mit hineingenommen hat.
({9})
Das waren großartige Leistungen, die an Ihnen, Frau
Scharfenberg, und an den Grünen insgesamt vorübergegangen sind.
Natürlich muss etwas gespart werden, aber nicht in
fundamentalen Dingen.
({10})
Wir sind weiterhin kampagnenfähig. Es ist in der Tat
nichts Verderbliches und nichts Verwerfliches, wenn
Kampagnen auch mit Sponsorengeldern gefahren werden.
({11})
Wir haben zum Beispiel im Bundesgesundheitsministerium eine Nichtraucherkampagne durchgeführt, die über
20 Jahre hinweg von der Zigarettenindustrie gesponsert
wurde. Die Einstiegsrate der jungen Leute in das Rauchen ist von 28 Prozent auf 13 Prozent zurückgegangen.
Ich frage Sie: Warum sollen diejenigen, die die Gesundheitsschäden mit verursachen, also die Unternehmen der
Zigarettenindustrie, nicht mit bezahlen? Warum soll all
das immer den Steuerzahlern aufgebürdet werden, also
denjenigen, die das nicht verursacht haben?
({12})
Herr Kollege, Sie wissen, warum hier die Lichter
leuchten?
Mit Ihrer Genehmigung komme ich fast zum Schluss.
({0})
Ich darf Ihnen sagen, dass der Minister gerade ein
Vierteljahr im Amt ist. Er ist Minister, er ist kein Hexer
und kein Zauberer. Er wird die Pflegereform vorlegen.
Ich bin auf den 23. September gespannt. Das ist der Tag
nach dem Papstbesuch.
({1})
Ich hoffe, das wirkt sich positiv aus.
({2})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, noch ein Satz:
Ich bitte dringend darum.
({0})
- In der Koalition mit Willy Brandt - um dieses Beispiel noch einmal zu bemühen - gab es bereits einen
Minister Bahr, nämlich Egon Bahr. Aufgrund seiner Beiträge zur Ostpolitik ist er seinerzeit als „Minister Sonderbahr“ bezeichnet worden. Herr Präsident, Sie können
sich vielleicht erinnern?
Ja.
Herr Minister Bahr, wenn wir all das hinkriegen, was
wir heute zum Thema Pflegereform, Transplantationsgesetz und Versorgungssicherheit angesprochen haben,
dann werden wir „wunderbahre“ Ergebnisse haben. Von
„sonderbahr“ zu „wunderbahr“; wenn das kein gutes Ergebnis ist!
Vielen herzlichen Dank. Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Personalwechsel hier zeigt, dass wir zu einem anderen Geschäftsbereich kommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17.
Wenn wir wieder etwas Ruhe haben, würde ich gern
dem ersten Redner das Wort geben. - Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues für
die Bundesregierung. Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Kues.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Einzelplan 17 des Haushaltsentwurfs für 2012 zeigt,
dass intelligente Haushaltspolitik zwei Komponenten
hat: Auf der einen Seite wird gespart, und auf der anderen Seite erfolgen gezielte Investitionen zur Bewältigung
der Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels und
in faire Zukunftschancen, gerade für die junge Generation. Dies ist kein Gegensatz, sondern vielmehr eine Herausforderung. Ich glaube, mit diesem Haushaltsentwurf
haben wir diese Herausforderung bewältigt.
({0})
Wir leisten einen Beitrag zum Abbau der Staatsverschuldung. Trotzdem investieren wir da, wo es notwendig ist. In diesem Haushaltsjahr 2012 investieren wir
zum Beispiel insgesamt 6,48 Milliarden Euro im Bereich
gesellschaftlicher Wandel. Für den gesellschaftlichen
Wandel steht vor allem das Elterngeld. Wir sind fest davon überzeugt, dass die jungen Familien - das beweisen
alle Expertisen, die wir kennen - das Elterngeld wollen.
({1})
Sie beweisen auch, dass sie das Elterngeld brauchen, um
nach der Geburt eines Kindes wirtschaftlich stabil zu
bleiben. Deswegen planen wir für 2012 rund 4,6 Milliarden Euro ein. Das sind 215 Millionen mehr als 2011.
Diese Steigerung ist Ausdruck des Erfolges des Elterngeldes. Deswegen legen wir Wert darauf.
({2})
Wir wissen auch, dass die Kostentreiber - im positiven Sinne - die Väter sind. Es nimmt heute schon jeder
vierte Vater Partnermonate, also eine Auszeit vom Beruf.
Die Väter wickeln, und die Väter füttern. Ich habe gehört, dass die Väter das häufig genauso gut machen wie
die Mütter.
({3})
Sie können es offenkundig. Es wird auch gesagt, dass
Väter aus der Elternzeit verändert zurückkommen. Das
sagen die Arbeitgeber. Die Väter haben nämlich in der
Zeit andere Verhaltensweisen gelernt. Das ist das, was
wir wollen. Elternzeit und Elterngeld tragen maßgeblich
dazu bei, dass sich etwas ändert und dass man beiden
Geschlechtern etwas zutraut. Ich finde, darauf sollten
wir stolz sein. Das ist gesellschaftlicher Wandel, wie wir
ihn uns wünschen.
({4})
Ich sage ausdrücklich: Der Staat und die Politik haben
den Menschen nicht vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Sie müssen ihnen aber helfen, dass sie so leben können, wie sie leben wollen. An dieser Stelle setzen wir an.
({5})
Das Elterngeld bietet die Möglichkeit, Verantwortung
wahrzunehmen. Das Elterngeld festigt die Eltern-KindBeziehung. Es festigt auch die Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Mutter. Es
verändert außerdem - auch das ist ein wichtiger Punkt die Kultur in unserer Arbeitswelt. Es macht unsere Arbeitswelt und unsere Gesellschaft insgesamt familienfreundlicher. Es beflügelt Fantasien. Man lässt sich in
Bezug auf Dinge, von denen man lange meinte, sie wären nicht möglich, etwas einfallen und macht sie dadurch
möglich. Das ist unsere Absicht, die hinter dem Elterngeld und der Elternzeit steht.
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass wir am gesellschaftlichen Wandel weiterarbeiten werden. Ministerin
Schröder wird noch in diesem Jahr ein Flexi-Quoten-Gesetz vorlegen.
({6})
Dieses Gesetz soll dazu beitragen, dass Frauen bessere
Chancen auf Führungspositionen in Unternehmen und
am Arbeitsplatz im Allgemeinen haben.
({7})
Eine weitere Investition mit Blick auf den gesellschaftlichen Wandel - das will ich auch ausdrücklich sagen - ist die Familienpflegezeit. Das ist noch nicht die
Antwort auf alle Fragen. Es ist aber ein ganz wichtiger
Schritt, da insbesondere Vollbeschäftigte die Möglichkeit bekommen, Pflege und Beruf miteinander zu vereinbaren. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht
es zum einen um die Betreuung von Kleinkindern und
zum anderen um die Pflege von Angehörigen. Ich
glaube, an dieser Stelle haben wir einen ersten ganz
wichtigen Akzent gesetzt, den wir jetzt gemeinsam mit
den Tarifparteien weiterentwickeln müssen.
Ich möchte einen zweiten Punkt unserer Gesellschaftspolitik nennen: faire Chancen für Kinder und Jugendliche. Union und FDP sind davon überzeugt, dass es
für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit nicht entscheidend ist, wo wie viel Geld ausgegeben wird, sondern
entscheidend ist, wie Bildungs- und Aufstiegschancen
verteilt sind. Die Frage ist, ob jeder einen Zugang zu einer fairen Chance hat. Es gibt einen schönen Leitgedanken, der in einer Werbekampagne des Zentralverbands
des Deutschen Handwerks zum Ausdruck kommt. Er
lautet: Entscheidend ist nicht, woher jemand kommt;
entscheidend ist, wo jemand hin will. Dabei müssen wir
den jungen Leuten helfen.
({8})
Das ist unser Ansatz.
({9})
Wir wissen, dass der Grundstein in der Kindheit gelegt wird und die erste und wichtigste Verantwortung die
Eltern tragen; das ist völlig klar. Wir wollen aber auch in
der Kindheit helfen. Deswegen war es uns wichtig, im
Rahmen des neuen Kinderschutzgesetzes die Arbeit von
Hebammen in Familien deutlich auszuweiten. Wir tun
dies, weil Hebammen das Vertrauen der jungen Mütter
und Väter genießen und sie die Eltern zu einem frühen
Zeitpunkt erreichen, an dem die Eltern ansprechbar und
für Hilfsangebote offen sind. Deswegen wollen wir, dass
Hebammen den Eltern nach der Geburt eines Kindes bis
zu einem Jahr zur Seite stehen. Wir haben auch dafür
Geld lockergemacht.
({10})
Von 2012 bis 2015 werden dafür insgesamt 120 Millionen Euro bereitgestellt. Das ist eine wirkliche gesellschaftspolitische Innovation.
({11})
Ein wichtiger Baustein für faire Chancen in unserem
Land ist die Kinderbetreuung. Wir investieren nicht nur
in den Ausbau des Betreuungsangebots, also in die
Quantität, sondern auch in die Qualität. Trotz einer
schwierigen Haushaltslage haben wir die Investitionen
deutlich aufgestockt. Ich erinnere an die Offensive
„Frühe Chancen“: Bis 2014 investieren wir 400 Millionen Euro. Allein in diesem Jahr sind 3 000 Schwerpunktkitas Sprache & Integration eingerichtet worden.
({12})
Diese Kitas wurden mit einer zusätzlichen halben Erzieherstelle ausgestattet. Ich war gestern Abend auf einer
Veranstaltung in einem Berliner Bezirk. Dort hat mir die
Vertreterin einer bestimmten Partei gesagt, dass auf diesem Gebiet viel mehr getan werden müsse. Zuständig
dafür sind aber in erster Linie die kommunale und die
Landesebene.
({13})
Diese Ebenen müssen Geld zur Verfügung stellen. Wenn
man sich die Haushalte von Kommunen und Ländern anschaut, stellt man fest, dass für diesen Bereich auch auf
diesen Ebenen mehr Geld eingesetzt werden kann. Wir
jedenfalls tun etwas.
({14})
Das sind 3 000 Schwerpunktkitas. Im nächsten Jahr werden 1 000 weitere hinzukommen. Dafür werden
102 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Noch nie hat
der Bund auf diese Art und Weise unmittelbar die Kitas
unterstützt und etwas in den Bereichen Sprachförderung
und Integration getan. Das ist eine sehr konkrete Unterstützung.
Ich freue mich auch darüber, dass es gelungen ist
- zugegebenermaßen nach einigen Diskussionen -, die
erfolgreichen Programme „Kompetenzagenturen“ und
„Schulverweigerung - Die 2. Chance“ im Rahmen der
Initiative „Jugend stärken“ fortsetzen zu können. Das
war uns sehr wichtig. Dahinter steht der Grundgedanke,
dass jeder eine Chance verdient hat, dass jeder aber auch
eine zweite und gegebenenfalls eine dritte Chance verdient hat, weil wir es uns nicht leisten können und wollen, dass junge Menschen mehr oder weniger aussortiert
werden. Sie sollen die Möglichkeit haben, eine Qualifikation zu erhalten. 80 Millionen Euro stehen dafür bis
2013 aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds zur Verfügung.
Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, der Offensive
„Frühe Chancen“ und einer Kinder- und Jugendpolitik
der fairen Chancen stellt die christlich-liberale Koalition
die Weichen in Richtung Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wir sind stolz darauf, dass wir das hinbekommen
haben.
({15})
Wir setzen uns auch dafür ein, dass Kinder und Jugendliche frühzeitig für Demokratie begeistert werden.
Das ist ein wesentliches Element des Kinder- und Jugendplans, in dessen Rahmen wir viel für die politische
Bildung tun. 2012 unterstützen wir aber auch mit insgesamt 27 Millionen Euro Initiativen zur Rechtsextremismusprävention
({16})
sowie Initiativen zur Prävention gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus. Wir machen hier
keine Unterschiede. Wir halten Extremismus, gleich ob
von links oder rechts, für gefährlich für unsere Demokratie. Wir werben für eine tolerante, pluralistische, demokratische Gesellschaft.
({17})
Lange Zeit bestand der Konsens, dass Extremismus,
egal von welcher Seite er kommt, bekämpft werden
muss.
Ich erinnere auch an die Diskussion über die Demokratieerklärung. Das sind viele völlig überhitzte Diskussionen gewesen.
({18})
Dort hat man Stimmung gemacht. Ich sage Ihnen ganz
ausdrücklich: Ich habe mir gestern in einem Bezirk in
Berlin darüber berichten lassen. Dort haben sich die
Kommunalvertreter bedankt, dass sie diese Erklärung
abverlangen konnten; denn auf diese Art und Weise ist
es gelungen, bei einer Initiative gegen rechts ein Mitglied des Verbands der ehemaligen Stasioffiziere rauszuschmeißen. Solche Personen haben in diesen Initiativen
nichts zu suchen. Diese Erklärung hat ganz konkret dazu
beigetragen.
({19})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
aus der Fraktion Die Linke?
Ja.
Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, habe ich Sie jetzt
richtig verstanden, dass es Ihnen nicht egal ist, wer sich
gegen Rechtsextremismus einsetzt? Ist es richtig, dass es
für Sie inakzeptabel ist, wenn sich jemand, der vielleicht
sogar aus seinen Fehlern gelernt hat, die er in der Vergangenheit in der DDR begangen hat, heute gegen
Rechtsextremismus und für den Erhalt der Demokratie
engagiert? Habe ich das richtig verstanden?
({0})
Wissen Sie, wenn sich jemand, der in der DDR einen
großen Fehler gemacht und zum Verband der ehemaligen Stasioffiziere gehört, für Demokratie und für Pluralismus, für Toleranz und Respekt gegenüber anderen
Meinungen einsetzt und in diesem Sinne gegen Rechtsextremismus mitarbeitet, aber genauso ein klares Wort
gegen Linksextremismus findet, ist das in Ordnung.
({0})
In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Diskussion über die in Berlin in Brand gesetzten Autos erwähnen. Der sozialdemokratische Innensenator Körting
hat gesagt, in einigen Fällen gebe es ganz offensichtlich
auch einen linksextremen Hintergrund.
({1})
Ich kann das nur so zur Kenntnis nehmen. Es ist doch
absolut klar - man müsste ja Tomaten auf den Augen haben, wenn man das nicht sieht -, dass es Linksextremismus genauso gibt wie Islamismus.
({2})
Dagegen wenden wir uns, dagegen sollten wir uns gemeinsam wenden. Wenn Sie das gelernt haben, sollten
Sie dies auch tun.
({3})
- Das ist nicht absurd.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert?
Ich möchte jetzt gerne meine Rede fortführen. - Ich
glaube jedenfalls, dass es höchste Zeit war, dass wir
diese Dinge klargestellt haben. Wir sind gegen Extremismus jeglicher Art, egal von wem.
({0})
Das ist unsere Auffassung.
Wir nehmen eine Menge Geld in die Hand für die
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Wir haben es geschafft, nach der Aussetzung des Zivildienstes
gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden und den Trägern eine neue Kultur der Freiwilligkeit in Deutschland
zu etablieren. Dazu gehört, dass jeder, der es möchte,
egal, ob Mann oder Frau, ob jung oder alt, einen Freiwilligenplatz bekommt. Es ist noch nie so viel Geld dafür
eingesetzt worden. Immerhin stellen wir 350 Millionen
Euro zur Förderung der Freiwilligendienste zur Verfügung. Ich glaube, das ist ein klares Zeichen. Wir haben
noch nie so viel Geld für die Förderung des Freiwilligen
Sozialen Jahres und des Freiwilligen Ökologischen Jahres eingesetzt.
Wir können feststellen - jetzt möchte ich Ihnen eine
schöne Zahl nennen -, dass wir beim Bundesfreiwilligendienst jetzt Gott sei Dank erfolgreich sind.
({1})
In meinem Manuskript stand noch eine Zahl vom 1. September 2011: 8 114 eingegangene Verträge. Heute, am
8. September, sind bereits über 12 000 Verträge beim
Bundesfreiwilligendienst eingegangen. Ich finde, das ist
eine tolle Entwicklung.
({2})
Es deutet also alles darauf hin, dass wir es trotz aller
Schwierigkeiten schaffen. In meiner niedersächsischen
Heimat gibt es einen plattdeutschen Spruch. Ich nenne
ihn auf Hochdeutsch, damit alle ihn verstehen: Reden
können alle, tun ist ein Ding. Etwas hinzukriegen, zu
handeln, ist ein Ding. Das tut diese Bundesregierung.
({3})
Wir fördern Zeit für Verantwortung. Wir investieren
in faire Chancen für Kinder und Jugendliche, für Jung
und Alt. Wir stärken auch das gesellschaftliche Engagement und damit das Miteinander in unserer Gesellschaft.
Die Mittel dafür stehen zur Verfügung. Ich finde, es ist
ein Haushalt, den auch die Opposition unterstützen kann.
({4})
Es ist ein Haushalt für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Ich glaube im Übrigen - das möchte ich noch sagen -,
Familienpolitik und Politik für Kinder und Jugendliche
und auch Politik für Demokratie, Herr Kollege, müssen
langfristig angelegt sein. Es muss Verlässlichkeit für die
Menschen geben. So ist das bei uns.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Dr. Hermann Kues. Jetzt für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Dagmar Ziegler. Bitte schön, Kollegin Dagmar
Ziegler.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! „… für das große Projekt Europa ist diese
Koalition zu klein“, schreibt heute der Tagesspiegel. Ich
füge hinzu, sehr verehrter Herr Kues: Auch für die Politikfelder, über die wir heute gesprochen haben und über
die wir insbesondere jetzt sprechen, ist diese Koalition
zu klein.
({0})
Ihnen fehlt es tatsächlich an Ideen und Konzepten, von
einer Gesamtstrategie, wie Sie sie uns gerade weiszumachen versucht haben, ganz zu schweigen.
({1})
Sie haben keine Vorstellung davon - Ihr Koalitionspartner wahrscheinlich auch nicht -, wie Sie für die
Menschen in Deutschland bessere Lebensbedingungen
schaffen können. Das bisschen, das Sie machen - Sie haben es vorgetragen; zum Teil haben Sie es noch nicht
einmal richtig vorgetragen -, machen Sie zaudernd, zögernd und noch dazu handwerklich schlecht;
({2})
ich komme noch ganz konkret auf die einzelnen Punkte
zu sprechen.
({3})
Erstens. Es gibt keine wirkliche Gleichstellungspolitik unter der Regierung Merkel. Sie haben keine Idee,
wie Sie endlich für die gleiche Bezahlung von Frauen
und Männern sorgen können. Sie verweigern einen Mindestlohn, der gerade Frauen helfen würde.
({4})
Oder gibt es da einen konkreten Ansatz, von dem wir
heute nur nichts gehört haben? Sie haben kein wirkungsvolles Konzept, damit Frauen in den Chefetagen ankommen. Aber die Zeche für diesen Haushalt zahlen die
Frauen. Wir haben Lösungen auf den Tisch gelegt: für
die Durchsetzung der gleichen Bezahlung von Frauen
und Männern, für einen gesetzlichen Mindestlohn und
für eine 40-Prozent-Quote für Frauen in Führungspositionen. All das liegt vor, aber kein Handeln dieser Regierung.
Zweitens. Es gibt keine Jugendpolitik der Regierung
Merkel und keine Jugendpolitik des Bundesjugendministeriums. Sie wollten das erfolgreiche Programm
„Schulverweigerung - Die 2. Chance“ vor die Wand fahren lassen; Sie haben zugegeben, dass Sie da gerade
noch die Kurve bekommen haben. Jetzt legen Sie uns einen Haushalt vor, in dem Sie ausgerechnet beim Kinderund Jugendplan kürzen. Ich verstehe gar nicht, sehr verehrter Herr Kues, wie Sie sich noch lobend zu diesem
Plan äußern können, wenn Sie dort so viel Geld gestrichen haben. Obendrein - das haben Sie einfach unterschlagen - haben Sie die Mittel für benachteiligte Jugendliche drastisch gestrichen.
({5})
Man muss sich einmal vorstellen, dass Sie sich hier hinstellen und sagen: Wir machen etwas für Kinder und Jugendliche. - Das trifft den Kern der Sache ja wohl nicht.
({6})
Drittens. Sie haben heute offensichtlich die aktuellsten Zahlen zum Bundesfreiwilligendienst genannt. Dieses Thema sind Sie tatsächlich angegangen. Es hat allerdings lange gedauert, bis Sie in die Pötte gekommen
sind.
({7})
Ich weiß nicht, ob das Kindergeldproblem schon gesetzlich gelöst ist
({8})
oder ob es dazu einen Antrag Ihrerseits gibt.
({9})
- Ja, ich weiß. Aber die Eltern rufen bei uns an, schreiben uns Mails und fragen uns: Welche Regelung trifft
diese Koalition?
({10})
- Ja, hoffentlich sagen Sie das noch, damit die Eltern das
morgen nachlesen können.
({11})
Auf diese Aussage warten sie bis heute.
({12})
- Ja, okay; aber es dauert bei Ihnen. Das ist die handwerkliche Schwäche, die bei Ihnen leider festzustellen
ist und die auch den Bundesfreiwilligendienst zum Rohrkrepierer gemacht hat.
({13})
Ich hoffe, die Zahlen steigen. Wir hätten uns gewünscht,
dass die Freiwilligendienste, die es schon gab, gestärkt
worden wären, sodass die Jugendlichen klare Ziele vor
Augen gehabt hätten und das, was gut läuft, auch weiterhin hätte gut laufen können. Diese Chance haben Sie
vertan.
({14})
Auch den Kurs der schon beschlossenen und, wie ich
finde, modernen Familienpolitik, den es einmal gab, halten Sie nicht; ich spreche den Kitaausbau und das Elterngeld an. Sie haben heute sehr lange über das Elterngeld
gesprochen; das hat mich gefreut. Ich hoffe, das Protokoll, in dem nachzulesen ist, dass Sie sich so positiv über
die Wirkung des Elterngeldes geäußert haben, wird auch
Herrn Kauder zugänglich gemacht. Wie Sie wissen, hat
Herr Kauder das Elterngeld infrage gestellt. Er will es
abschaffen. Vielleicht können Sie ihm mitteilen, was Sie
heute dazu gesagt haben. Vielleicht weiß man bei Ihnen
in der Frühe nicht, was abends gesagt wird.
({15})
Jeder 30. Vater hat wegen der Geburt eines Kindes
vor der Einführung des Elterngeldes tatsächlich eine berufliche Auszeit genommen. Diese Situation hat sich
stark verbessert. Jetzt tut es jeder vierte. Herr Kues hat
richtigerweise darauf hingewiesen, dass das Elterngeld
wirkt und dass es eine bessere Aufteilung von elterlicher
Arbeit und Sorge ermöglicht. Aber wir stehen erst am
Anfang; auch das muss man deutlich sagen. Wir wünschen uns noch mehr Partnerschaftlichkeit bei der Betreuung von Kindern. Hierzu werden wir auch einen entsprechenden Antrag einbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Betreuungsgeld haben Sie gar nichts gesagt. Ich bin gespannt, ob die Koalition ihre Pläne in die Tat umsetzen
wird. Hier haben Sie ein Gegenmodell zum Elterngeld
entwickelt. Ich hoffe, diese 2 Millionen Euro sparen Sie
ein und setzen sie für sinnvolle Projekte ein. Sie könnten
das Geld zum Beispiel für den Kitaausbau einsetzen. Wir
wissen alle, dass der Bedarf an Kitaplätzen größer ist, als
wir damals gemeinsam veranschlagt haben. Wir wissen,
dass das 35-Prozent-Ziel aufgrund der klammen Haushalte der Länder und Kommunen nicht erreicht werden
kann. Ab 2013 gibt es aber einen gesetzlichen Anspruch
auf einen Kitaplatz.
Wir haben immer wieder einen Krippengipfel gefordert: Holen Sie die verschiedenen Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - an einen Tisch und besprechen Sie
das Problem. Sie warten aber einfach nur ab und tun gar
nichts.
({16})
- Ja, natürlich sind 4 Milliarden Euro eine Hausnummer.
Aber entweder hat man einen gesetzlichen Anspruch und
verwirklicht diesen auch, oder man lässt alles schleifen
und hofft, dass sich das Problem von allein erledigt. Da
wir Letzteres gerade nicht denken, sind wir dafür, dass
der Bund noch einmal Geld in die Hand nimmt. Auch
dazu wird es einen Antrag geben.
Gute Familienpolitik braucht Ideen und Konzepte. Es
bedarf einer gesellschaftspolitischen Idee, die auch fiskalisch fundiert ist. Beides vermissen wir bei Ihnen.
Vielen Dank.
({17})
Vielen Dank, Frau Kollegin Ziegler. - Bevor ich der
nächsten Rednerin das Wort gebe, erteile ich dem Kollegen Ilja Seifert zu einer Kurzintervention das Wort. Bitte
schön, Kollege Seifert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben in Ihrer Rede leider kein Wort dazu verloren,
wie in Ihrem Ministerium die UN-Konvention über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen umgesetzt
wird.
Uns liegt jetzt der Nationale Aktionsplan der Regierung zur Umsetzung der UN-Konvention über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen vor. Bisher
wurde immer gesagt, man könne noch kein Geld in den
Haushalt einstellen, weil der Aktionsplan noch nicht
vorliege. Jetzt liegt er vor. Bedauerlicherweise finde ich
in Ihrem Haushalt aber nichts dazu, wie Sie diesen Aktionsplan umsetzen wollen.
Es geht in Ihrem Ressort um Kinder, Frauen, Senioren
und Jugendliche. Menschen mit Behinderung dieser
Gruppen sind in der UN-Konvention ausdrücklich genannt und müssen gefördert werden, damit sie so wie
alle anderen auch teilhaben können. Welche Gelder für
welche Programme gibt es diesbezüglich in Ihrem Ressort? Frau Ministerin von der Leyen hat vorhin vollmundig verkündet, dies sei in jedem Ressort etatisiert. Können Sie mich bitte darüber aufklären, wo das in Ihrem
Haushalt der Fall ist?
({0})
Zur Antwort der Herr Parlamentarische Staatssekretär. Bitte schön.
Ich will dazu gerne etwas sagen. Es handelt sich um
einen Haushaltsplanentwurf, ein erstes Konzept, das wir
in den Haushaltsberatungen noch diskutieren.
In bestimmten Bereichen, zum Beispiel beim Bundesfreiwilligendienst, gibt es sogar einen Zuschlag, wenn
man Menschen mit Behinderung einstellt. Ähnliche Ansätze verfolgen wir auch beim internationalen Jugendaustausch. Wir legen ausdrücklich Wert darauf, dass diejenigen, die davon profitieren, sich Gedanken darüber
machen, wie man diejenigen integrieren kann, die bislang nicht zum Zuge gekommen sind. Diese Programme
waren über viele Jahre sehr stark - ich will es mal so sagen - mittelschichtorientiert, sodass bestimmte Jugendliche gar nicht zum Zuge gekommen sind. Dazu zählen
auch Jugendliche mit Behinderungen.
Wir werden die unterschiedlichen Maßnahmen
- Bundesfreiwilligendienst, Kinder- und Jugendplan
usw. - zusammenstellen, damit wir eine umfassende
Antwort auf die Frage geben können, wo wir Angebote
in der von Ihnen angesprochenen Richtung machen. Wir
haben das sehr wohl im Blick.
({0})
Wir fahren in unserer Rednerliste fort, und ich gebe
Frau Kollegin Miriam Gruß für die Fraktion der FDP das
Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Miriam Gruß.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Familienhaushalt gibt es einen Aufwuchs
von 9,27 Millionen Euro, und wir geben insgesamt
6,48 Milliarden Euro aus. Ich muss der Opposition widersprechen: Wir setzen auf viele zukunftsweisende Projekte und investieren auch in diese Projekte.
({0})
Das betrifft zum Beispiel die Umgestaltung des Zivildienstes zum Bundesfreiwilligendienst; der Herr Staatssekretär hat das bereits erklärt, und mein Kollege Herr
Bernschneider wird in seiner Rede noch ausführlich darauf eingehen. Auch die Familienhebammen sind bereits
genannt worden. Außerdem ist eine Familienpflegezeit
geplant.
Diese Dinge werden gesellschaftliche Veränderungen
hervorrufen und Antworten auf gesellschaftliche Fragestellungen geben.
Ich will bei den Kindern beginnen. Kinder brauchen
Schutz und Chancen. Die Chancen sind im Zusammenhang mit der Initiative „Offensive Frühe Chancen“ erwähnt worden. Damit machen wir genau das, was von
allen immer gefordert wird, bei der Betreuung nicht nur
auf die Quantität, sondern auch auf Qualität zu setzen.
Wir fördern den Spracherwerb benachteiligter Jugendlicher. Das ist für eine erfolgreiche Integration das Wichtigste. Integration kann nur gelingen, wenn die Sprache
erlernt wird. Deswegen ist das genau die richtige Initiative mit Blick auf die aktuellen gesellschaftspolitischen
Fragestellungen.
Auch das Bundeskinderschutzgesetz, ein Schutzgesetz für die Kinder, ist auf den Weg gebracht. Demnächst
wird dazu die Anhörung stattfinden. Etwas ist schon erwähnt worden, was mir persönlich sehr am Herzen liegt:
die Familienhebammen. Die Familienhebammen werden
von uns gefördert werden. Das ist eine Initiative mit Vorbildcharakter, mit der man gerade jungen Familien frühzeitig hilft, bevor es zu spät ist. Genau diesen präventiven Ansatz verfolgt die schwarz-gelbe Koalition. Das ist
der richtige Ansatz.
({1})
Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur. Zum
Stichwort Zeit: Ich habe das Familienpflegezeitgesetz
angesprochen. Auch dazu wird es demnächst eine Anhörung geben.
({2})
Mit diesem Gesetz werden sicherlich nicht alle Pflegeprobleme gelöst werden, aber es wird ein Mosaikstein
bei der Bewältigung von Pflege sein. Von daher ist es ein
richtiger Schritt auf dem Weg zu einer besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Deswegen ist auch das der
richtige Ansatz.
({3})
Stichwort Geld: Das Elterngeld macht im Etat den
größten Anteil aus. Der Aufwuchs von 215 Millionen
Euro spricht dafür, dass es angenommen wird. Ganz besonders freut es mich - das ist schon erwähnt worden -,
dass auch mehr Väter Verantwortung übernehmen und
zu Hause bleiben. Dieser gesellschaftliche Wandel wird
von unserer Fraktion ausdrücklich begrüßt.
Auch das Thema Infrastruktur ist schon angesprochen
worden. Ich sehe nicht, dass wir hier Defizite haben. Von
Bundesseite erfüllen wir die Vorgaben und lösen unsere
Versprechungen ein. Man muss aber ganz klar auch als
Appell an die Länder sagen: Von den Ländern werden
die Gelder zur Verbesserung der Infrastruktur ganz unterschiedlich abgerufen. Manche Länder rufen das Geld
nur zu 60 Prozent ab, andere rufen zu 100 Prozent ab.
Die Gelder, die wir zur Verfügung stellen, sollten wirklich angenommen werden. Hier müssen auch die Länder
und Kommunen ihren Anteil leisten und ihre Hausaufgaben machen.
({4})
Auch für die Mehrgenerationenhäuser haben wir Gelder zur Verfügung gestellt und ein Folgeprogramm aufgelegt. Ich hoffe, dass das Folgeprogramm funktionieren
wird und dass sich hier Strukturen etablieren. Allerdings
- das muss ich an dieser Stelle sagen - muss das keine
Finanzierung für die Ewigkeit werden. Wenn sich die
Häuser irgendwann einmal selbst tragen, dann ist das
umso besser. Dann können sie vor Ort entsprechend
finanziert werden.
Unterstützung und Perspektiven für Frauen sind angemahnt worden. Ich kann nur sagen: Ich begrüße es außerordentlich, dass wir beispielsweise ein Hilfetelefon
bei Gewalt gegen Frauen einrichten werden. Auch das
wird kommen. Dafür haben wir insgesamt 3,1 Millionen
Euro eingestellt.
Wir planen eine Initiative, um Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern, insbesondere Alleinerziehenden. Wir machen hier unsere Hausaufgaben. Ich
bin der Meinung, es ist richtig, wie wir es machen.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner ist für
die Fraktion Die Linke unser Kollege Steffen Bockhahn.
Bitte schön, Kollege Steffen Bockhahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dieser Haushaltsentwurf ist nicht vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sondern eher einer gegen sie.
({0})
Dieses Ministerium ist unter anderem für Frauen- und
Gleichstellungspolitik zuständig bzw. sollte es sein. Die
Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern in
der Bundesrepublik Deutschland sind nach wie vor beschämend. Laut Statistischem Bundesamt sind es nach
wie vor 23 Prozent, die Frauen für die gleiche Arbeit wie
Männer im Schnitt weniger verdienen.
({1})
Das heißt, Frauen müssen 84 Tage länger arbeiten, um
den gleichen Lohn zu bekommen.
({2})
Allerdings hat auch für Frauen das Jahr nur 365 Tage,
um korrekt zu sein: in Schaltjahren 366 Tage.
({3})
- Mein Name ist Bockhahn, Herr Kollege Grübel. Wenn
Sie mir zuhören, können Sie noch etwas lernen.
Das heißt, dass Frauen beim Einkommen generell benachteiligt sind. Wenn wir uns das genauer anschauen,
stellen wir fest, dass dies nicht nur mit der Bezahlung am
konkreten Arbeitsplatz zu tun hat, sondern natürlich
auch mit den Berufsbildern und der Geschlechterverteilung.
Nun gibt sich das Ministerium viel Mühe, mit diversen Programmen Männer in klassische Frauenberufe zu
bringen. Das kann man auch richtig finden. Eigentlich
müsste der Ansatz aber doch sein, nicht Männer in
schlecht bezahlte Frauenberufe zu bringen, sondern
Frauenberufe so attraktiv zu machen, dass auch Männer
sie für sich attraktiv finden. Das wäre doch einmal ein
Ansatz, meine Damen und Herren.
({4})
Im Übrigen ist ganz erstaunlich, dass nach wie vor
nicht wirklich, also richtig ernst gemeint, etwas unternommen wird, um Frauen den Zugang in klassische
Männerberufe zu erleichtern. Aber es ist auch relativ
klar, warum das passiert; denn natürlich - ich weiß, wovon ich rede - blockieren Männer gerne, wenn andere
sich nähern und wenn es darum geht, den eigenen Platz,
das eigene Revier zu verteidigen, gerade dann, wenn es
um viel Geld geht.
Die Bundesregierung, die Bundesbehörden und die
Zusammensetzung der Fraktionen von Union und FDP
sind abschreckende Beispiele dafür, wie es nicht laufen
sollte. Die Frauenquote bei Ihnen ist abenteuerlich
schlecht.
({5})
Meine Damen und Herren, nach wie vor gibt es ein
ganz großes Karrierehemmnis. An ihm konnten alle
schönen Reden hier nichts verändern. Dieses Karrierehemmnis ist so ziemlich das Schönste, was einem passieren kann. Es sind Kinder. Ja, das Elterngeld ist ein
kleiner Erfolg. Aber Sie haben diesen kleinen Erfolg in
den Jahren, in denen Sie jetzt regieren, bereits noch kleiner gemacht. Sie konzipieren eine vernünftige Maßnahme, fangen damit an und kündigen sogar an, sie auszubauen. Aber anstatt das zu tun, kürzen Sie.
Das Erste, was Sie getan haben, war die Umsetzung
der klugen Idee, Empfängern von Hartz IV diese Leistung gleich erst mal zu streichen.
({6})
Das ist nach wie vor etwas ganz Unsoziales und etwas
Unanständiges, weil Sie damit Kinder von Geburt an unterschiedlich machen.
({7})
Die Kollegin Ziegler hat schon vorhin kurz das Betreuungsgeld, liebevoll auch Herdprämie genannt, angesprochen.
({8})
Das ist ja nicht etwa nur eine schöne Idee, um irgendwem zu helfen, sondern es ist eine gigantische Ausrede.
Außerdem stecken dahinter ein Rollenbild und ein FamiSteffen Bockhahn
lienmodell, die, mit Verlaub, definitiv nicht in das
21. Jahrhundert gehören.
({9})
Auf der einen Seite sorgen Sie damit nämlich dafür,
dass gerade in strukturschwachen Regionen der Kitaausbau gar nicht vorangetrieben werden muss, weil es die
Inanspruchnahme nicht gibt. Damit können Sie dann begründen, dass es keine Bedarfe gebe und man deswegen
gar nicht die Plätze für 35 Prozent der Kinder vorhalten
müsse.
Das alleine wäre schon schlimm genug. Das eigentliche Drama ist aber - ({10})
- Über kranke Denke sollten wir beide uns besser nicht
unterhalten, Frau Bär. Das geht nämlich nicht zu Ihren
Gunsten aus. Aber davon abgesehen - ({11})
- Hören Sie doch einmal zu. Ich weiß, dass Sie ein lautes
Organ haben. Aber Sie sind ja nachher auch noch an der
Reihe. Dann können Sie versuchen, sich verständlich zu
machen. Das ist in Ordnung.
({12})
Lassen Sie mich also noch einmal zu dem kommen,
was ich wirklich absurd finde, weil es eine soziale Ausgrenzung sondergleichen ist, nämlich zu dem, was Sie
mit dem Betreuungsgeld tun.
({13})
Sie stellen nämlich sozial benachteiligte Familien mit
geringem Einkommen vor die Frage, 150 Euro zu nehmen oder sich für einen Kitaplatz zu entscheiden, den sie
sich nicht leisten können.
({14})
Vor diese Wahl stellen Sie sozial benachteiligte Familien. Das hat aber weder etwas mit dem Anspruch auf
frühkindliche Bildung zu tun, noch ist es familienpolitisch sinnvoll. Dies ist definitiv der falsche Weg. Der
richtige Weg wäre, dass Sie überall in Deutschland bezahlbare Kitas schaffen.
({15})
Nun möchte ich Ihnen einmal einige Beispiele nennen, wie das laufen kann.
Ein schlechtes Beispiel kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, dem bekanntlich schönsten Bundesland der
Welt. Dort regiert die SPD noch zusammen mit der CDU.
In Mecklenburg-Vorpommern beträgt das Durchschnittseinkommen 1 500 Euro brutto, und ein Krippenplatz kostet 300 Euro im Monat - 300 Euro im Monat bei einem
Durchschnittsbruttoeinkommen von 1 500 Euro: Ich kann
mir nicht vorstellen, wer sich das leisten können soll.
({16})
Allerdings darf ich Ihnen auch sagen: In Berlin sieht
es ganz vorbildlich aus. Dort haben wir eine rot-rote
Landesregierung. Die Krippenbeiträge in Berlin sind
erstens sozial gestaffelt und zweitens - ({17})
- Wissen Sie, was ich wirklich abenteuerlich finde? Sie
reden hier in einer ganz abwertenden Art und Weise über
soziale Leistungen. Das macht deutlich, dass Ihnen die
sozialen Belange dieses Landes einen Dreck wert sind.
Dafür sollten Sie sich schämen, meine Damen und Herren. Das ist abenteuerlich.
({18})
Sie können sich das ruhig anhören. In Berlin sind die
Kindergärten für die Eltern komplett kostenfrei, weil es
einen Anspruch gibt, dass frühkindliche Bildung umgesetzt wird, dass frühkindliche Bildung für alle Kinder
gewährt wird, dass Chancengleichheit tatsächlich real
ist.
({19})
Das ist vernünftige Familienpolitik. Davon können Sie
noch eine Menge lernen.
({20})
Ich möchte etwas zum Thema Rechtsextremismus sagen. Ich komme, wie gesagt, aus Mecklenburg-Vorpommern, wo letztes Wochenende Wahlen stattgefunden haben.
({21})
- Sie sollten sich langsam wieder dämpfen. - 6 Prozent
der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, die überhaupt zur Wahl gegangen sind, haben sich für die rechtsextreme NPD entschieden.
Herr Staatssekretär Kues, ich muss mit einigem Erschrecken noch einmal vor meinem geistigen Auge ablaufen lassen, was Sie vorhin auf meine Zwischenfrage
gesagt haben. Wenn es Ihnen nicht egal ist, wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, dann finde ich solche
Äußerungen absurd, abenteuerlich und gemeingefährlich. Fahren Sie nach Gnoien, Lassan, Lübtheen und Lalendorf und fragen Sie die Menschen, die dort tagtäglich
unter Nazis leiden, ob es ihnen recht wäre, wenn jemand,
der sich heute für Demokratie und Toleranz und gegen
Rechtsextremismus einsetzen will, das nicht tun darf,
weil es Ihnen nicht genehm ist. Eine solche Ignoranz
kann man nur haben, wenn man nicht oft genug nach
draußen kommt.
({22})
Ich verweise darauf, dass es besonders junge Männer
ohne Perspektive waren, die die neuen Nazis gewählt haben. Bei den unter 30-Jährigen haben gerade die Männer
die NPD gewählt. Das Traurige daran ist, dass Sie genau
die Maßnahmen, die dazu geeignet sind, die Abwanderung und Perspektivlosigkeit junger Menschen in Ostdeutschland zu beenden, gestrichen und eingestellt haben.
Schöne Projekte in der Zivilgesellschaft sind in Ordnung. Wir brauchen aber endlich auch Projekte, die aus
Ihrem Haus zu finanzieren wären und sich mit guten
Strukturen, hochqualifiziertem Personal und anständigen
Sachmittelbudgets genau dieser Arbeit in den schwierigen Bereichen zuwenden, die wir als Zivilgesellschaft
schon lange nicht mehr erreichen. Das ist eine Aufgabe,
und das hat der letzte Sonntag einmal mehr deutlich gemacht.
({23})
Es gibt aber auch einige Bereiche, von denen man sagen kann, dass es eine gute Idee war, zum Beispiel die
Mehrgenerationenhäuser. Sie sind ein Beleg für eine gut
funktionierende Zivilgesellschaft. Sie sind ein Ort, an
dem sich verschiedene Generationen begegnen und viele
gute Projekte stattfinden.
({24})
- Das bestreite ich doch gar nicht. Sie können auch mal
etwas Gutes machen. Das habe ich nicht abgestritten. Ich
habe schließlich gesagt, dass Sie gut angefangen haben.
Warum Sie aber jetzt 6 Millionen Euro streichen und damit definitiv das Aus für viele Mehrgenerationenhäuser
besiegeln, habe ich noch nicht richtig verstanden.
Projekte wie die Mehrgenerationenhäuser sind eine
Möglichkeit, um völlig ideologiefrei etwas für Demokratie und Toleranz und damit auch gegen Rechtsextremismus zu tun. Das hätten Sie vorher bedenken müssen.
({25})
Ich möchte noch auf die Mittel eingehen, die Sie für
die Jugendpolitik zur Verfügung stellen. Nach wie vor
- auch das hat Kollegin Ziegler schon angesprochen vermissen wir von der Bundesregierung ein integriertes
Konzept zur Jugendpolitik. Das gibt es einfach nicht.
Wenn man sich fragt, was Sie im Bereich der Jugendpolitik machen, dann muss man feststellen, dass inzwischen ein Drittel Ihres Budgets für die Qualifizierungsoffensive aufgewendet wird. Ich habe selten etwas gegen
Qualifizierungsmaßnahmen. Die Schwierigkeit besteht
aber darin, sich darüber zu informieren, was Sie darunter
verstehen.
Wenn Sie die Suchfunktion auf der Website Ihres eigenen Ministeriums nutzen, Herr Kues, um zu erfahren,
was Sie unter dem Begriff „Qualifizierungsoffensive“
angezeigt bekommen, dann ist das Ergebnis: null Treffer.
Das scheint mir eine sehr genaue Angabe zu sein. Denn
die Qualifizierungsoffensive macht inzwischen ein Drittel aller Maßnahmen der Jugendpolitik aus.
Was aber wird konkret getan? Es wird nicht etwa etwas dafür getan, die Träger von Programmen im Kinderund Jugendplan weiter zu qualifizieren oder junge Menschen in den Bereichen Demokratie und Toleranz oder
Organisationsarbeit auszubilden. Das alles findet nicht
statt. Vor allem findet etwas statt, das definitiv nicht in
Ihr Ressort gehört, nämlich Erwachsenenförderung. Erwachsenenförderung gehört aber aus meiner Sicht ins
BMAS und nicht in dieses Ministerium.
Kurzum: Es ist eigentlich eine gute Nachricht, dass
das Budget dieses Ministeriums gewachsen ist. Denn es
hat große gesellschaftliche Aufgaben. Aber es ist traurig,
zu sehen, wie schlecht Sie die zur Verfügung stehenden
Mittel einsetzen und dass Sie mehr ideologische Scheuklappen haben, als Sie es mir jemals vorwerfen können.
({26})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Wir fahren mit unserer
Rednerliste fort. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht unser Kollege Sven-Christian Kindler. Bitte
schön, Kollege Sven-Christian Kindler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Diesen Haushalt, über den wir zu später
Stunde sprechen, kann man zu Recht als Haushalt für die
Zivilgesellschaft beschreiben. Wir finden im Haushalt
den Kinder- und Jugendplan, die Mehrgenerationenhäuser, die Freiwilligendienste und die Bundesprogramme
gegen Rechtsextremismus. Ich will in meiner Rede auf
zwei Punkte zur Zivilgesellschaft eingehen.
Zum Ersten zu den Freiwilligendiensten. Es war eine
richtige, ganz wichtige und längst überfällige Entscheidung, die ungerechte Wehrpflicht endlich auszusetzen.
({0})
Dadurch musste auch der Zivildienst abgeschafft werden. Deswegen brauchen wir ein konsistentes Konzept,
wie man die vielen Zivis, die in den sozialen Einrichtungen sind, sinnvoll ersetzen kann. Wir begrüßen, dass die
Koalition endlich unserer Forderung nachgekommen ist,
mehr Gelder für den Freiwilligendienst beim FSJ und
beim FÖJ einzustellen. Allerdings hätten Sie jetzt, da der
Zivildienst zu Ende ist, die Chance nutzen müssen, alte
Strukturen zu überwinden und Neues zu gestalten. Sie
hätten eine Lösung aus einem Guss liefern müssen.
({1})
Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie schaffen einen neuen Dienst, den sogenannten Bundesfreiwilligendienst, von dem wir schon jetzt wissen, dass dieser
Ersatzzivildienst nicht funktionieren wird. Der Bundesrechnungshof hat zu Recht scharf kritisiert, dass mit dem
ehemaligen Bundesamt für Zivildienst überkommene
Strukturen beibehalten werden. Wir brauchen dringend
mehr Engagement für den Freiwilligendienst. Was wir
allerdings nicht brauchen, sind teure und ineffiziente
Doppelstrukturen und noch mehr Bürokratie.
({2})
Ich komme zum zweiten Teil meiner Rede zur Zivilgesellschaft. Am Wochenende wurde uns wieder einmal
klar vor Augen geführt, dass wir ein Problem haben. Wir
haben ein Problem mit Nazis in dieser Gesellschaft. In
Dortmund sind mehrere Hundert Nationalsozialisten auf
die Straße gegangen, und die Nazipartei NPD ist wieder
in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern eingezogen. Zu Recht gab es große Empörung darüber, wenn
man auch feststellen musste, dass diese Empörung zum
Teil leider ritualisiert abläuft. Für uns muss klar sein,
dass wir dieses Wahlergebnis niemals akzeptieren dürfen. Wir müssen alten und neuen Nationalsozialisten entschlossen und konsequent entgegentreten.
({3})
Doch zur Wahrheit gehört auch, dass wir nicht nur ein
Problem mit militanten Nazis, mit Gewalttaten und
Wahlerfolgen der NPD haben, sondern dass sich Rechtsextremismus auch im alltäglichen Leben zeigt. Wir kennen die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung und die von
Wilhelm Heitmeyer von der Uni Bielefeld. Wir wissen:
Wir haben in unserer Gesellschaft menschenverachtende, demokratiefeindliche, rassistische und antisemitische Einstellungen. Diese reichen bis weit in die Mitte
der Gesellschaft. Auch darum müssen wir uns kümmern.
Ich war erstaunt, als ich heute in der Berliner Morgenpost einen sehr interessanten, bemerkenswert offenen
Brief gelesen habe. Der US-Botschafter Philip Murphy
- einige von Ihnen werden ihn bestimmt kennen - hat
heute geschrieben, dass ein afroamerikanischer Mitarbeiter der Botschaft bei einem Spiel von Hertha BSC
war und danach von einfachen Passanten rassistisch beleidigt, angepöbelt und mit Bier überschüttet wurde. Das
zeigt, dass es auch um Rassismus in der Mitte der Gesellschaft geht.
({4})
Murphy schreibt zum Ende des Briefes:
Rassismus gehört nicht der Vergangenheit an … Er
bleibt ein Problem unserer Zeit. Wir müssen Rassismus entschieden entgegentreten …
Genau so ist es; recht hat der Mann. Wir brauchen eine
starke Zivilgesellschaft gegen Rassismus.
({5})
Jetzt schauen wir uns einmal an, was diese Bundesregierung und diese Ministerin gegen Nazis, gegen Rassismus und Antisemitismus machen. Die Ministerin
pflegt das Misstrauen. Heribert Prantl hat am Montag in
der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar zum Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern und zum Wahlerfolg der NPD verfasst. In seinem Kommentar lobt er zu
Recht die bewundernswerte Arbeit der AmadeuAntonio-Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus
hier in Berlin. Er schreibt auch, wie sich die Ministerin
dafür bedankt. Ich zitiere Heribert Prantl:
Zum Dank traktiert die zuständige, aber ansonsten
desinteressierte Bundesministerin Kristina Schröder
diese Arbeit mit Misstrauensklauseln.
Prantl hat recht. Einmal davon abgesehen, dass der
Staatsrechtler Professor Battis und der Wissenschaftliche
Dienst dieses Hohen Hauses klargemacht haben, dass sie
die Extremismusklausel für verfassungswidrig halten,
wissen wir, dass viele Initiativen darüber klagen, dass es
Misstrauen gibt, dass sie ihre Partner überprüfen und
ausspionieren müssen, obwohl eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Partnern wichtig wäre. Das
zeigt: Das Arbeitsklima bei diesen Initiativen wird vergiftet. Diese Extremismusklausel ist verfassungswidrig.
Sie schafft Misstrauen und muss deswegen so schnell
wie möglich weg.
({6})
Ich rate Ihnen: Reden Sie einmal mit den Initiativen
gegen Rechtsextremismus, und fragen Sie sie, was da los
ist. Viele sind schwer enttäuscht und frustriert. Sie klagen über das Misstrauen und natürlich auch über die dramatische Unterfinanzierung. Als ob das alles nicht schon
schlimm genug wäre, kürzen Sie auch noch 2 Millionen
Euro bei den Mitteln für den Kampf gegen den Rechtsextremismus. Zugegeben: Diese Kürzung erfolgt vor allen Dingen bei der Regiestelle und den Steuerungsmitteln. Diese Kürzung zeigt aber auch, was Ihnen der
Kampf gegen den Rechtsextremismus wert ist; das ist
ein Symbol: Es gibt nicht mehr Geld, sondern weniger.
Man könnte dieses Geld auch Antinazigruppen in Vorpommern geben. Davon halten Sie aber nichts. Nach
zwei Jahren Schwarz-Gelb ist klar: Diese Regierung arbeitet gegen die Zivilgesellschaft, gegen engagierte Bürgerinnen und Bürger. Ihr Extremismusansatz ist falsch
und gefährlich. Damit muss Schluss sein.
({7})
Wir brauchen endlich ein Bundesprogramm - ihm
muss mehr Geld zur Verfügung stehen -, das sich gezielt
gegen Menschenfeindlichkeit und gegen Rechtsextremismus wendet. Die Zivilgesellschaft braucht wieder
mehr Vertrauen, wieder mehr Unterstützung und keine
schwarz-gelben Störaktionen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin für
die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kollegin Dorothee
Bär. Bitte schön, Frau Kollegin Dorothee Bär.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich
sehr, dass wir heute, auch wenn zu fortgeschrittener
Stunde, über unseren Haushalt diskutieren. Vor allem
freue ich mich, weil wir trotz der angespannten Haushaltslage - die Kollegin Gruß hat es angesprochen - einen Aufwuchs von mehr als 9 Millionen Euro haben.
Das zeigt ganz deutlich, dass wir als christlich-liberale
Koalition diesen Politikbereich wertschätzen und dass
wir den Themenfeldern Familie, Senioren, Frauen und
Jugend Priorität einräumen.
({0})
Den größten Teil unseres Etats nimmt mit 4,6 Milliarden Euro unser Erfolgsmodell, das Elterngeld, ein. Wie
bereits dargestellt, wünschen wir uns natürlich, es noch
weiter auszubauen; das ist noch nicht von der Agenda
genommen. Es ist haushalterischen Zwängen geschuldet,
dass wir es noch nicht so erweitern konnten, wie wir uns
das vorgestellt haben. Trotzdem möchte ich noch einmal
ganz vehement dafür werben. Ich freue mich, wenn wir
mehr Geld brauchen. Dass wir immer mehr Geld brauchen - das ist schon öfter angesprochen worden -, ist ein
positives Zeichen. Denn warum brauchen wir mehr
Geld? Weil die Zahl der Geburten steigt und das Elterngeld daher verstärkt in Anspruch genommen wird.
({1})
Das Elterngeld ist ein zentraler Baustein unserer Familienpolitik. Es erleichtert das Ja zu Kindern. Unsere
Familienpolitik setzt sich aus vielen Bausteinen zusammen. Aber wenn wir den Baustein Elterngeld wegnähmen, würde unser familienpolitisches Gebäude sehr instabil werden.
Ein unschätzbarer Vorteil des Elterngeldes ist, dass
immer mehr Väter die Möglichkeit haben, sich den
Wunsch zu erfüllen, befristet aus dem Erwerbsleben auszusteigen, um sich partnerschaftlich an der Betreuung
der Kinder zu beteiligen. Ich freue mich außerordentlich,
dass die Zahl der Väter, die die Partnermonate in Anspruch nehmen, insbesondere in Bayern im Vergleich zu
den anderen Bundesländern sehr hoch ist.
({2})
Dadurch wird sich natürlich nicht nur die Einstellung innerhalb der Familie ändern, sondern mittel- und langfristig hoffentlich auch die Einstellung der Arbeitgeber:
Wenn junge Bewerber vor ihnen sitzen, wissen sie eben
nicht, ob sie einmal Partnermonate nehmen werden, ob
die Mütter oder die Väter länger zu Hause bleiben. Es
hilft den Frauen gleichstellungspolitisch sehr, wenn ein
junger Mann eben nicht bevorzugt wird. Früher hatte
man Angst, dass eine eingestellte junge Frau einmal ausfallen könnte, wenn sie ein Kind bekommt. Mit einem
Arbeitsausfall muss man mittlerweile Gott sei Dank bei
Bewerbern beider Geschlechter rechnen.
({3})
Ich möchte auch an dieser Stelle sagen, dass ich sehr
dankbar bin, dass die Bundeskanzlerin unbeirrt am Elterngeld festhält. Sie hat vor einigen Tagen nochmals betont, dass diese familienpolitische Leistung nicht zur
Disposition steht.
({4})
Dass es richtig ist, dass wir daran festhalten, belegt
eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung. Die Demografen haben herausgefunden, dass die Geburtsjahrgänge ab 1970 jetzt die
Trendwende einläuten. Die Frauen und auch die jungen
Männer, die nach 1970 auf die Welt gekommen sind, sagen verstärkt Ja zu Kindern und setzen auch mehr Kinder in die Welt. Neben dem Ausbau der Betreuungsplätze hat auch das Elterngeld dazu beigetragen, dass wir
insgesamt ein kinderfreundlicheres Klima haben, sagen
die Forscher.
Schauen wir uns einmal die Umfragen dazu an, was
die Bevölkerung zu diesem Instrument sagt. Allensbach
hat in dieser Woche herausgefunden, dass knapp 80 Prozent der Befragten dem Elterngeld positiv gegenüberstehen. Dies zeigt, dass es in der Bevölkerung angekommen
ist und angenommen wird.
({5})
Obwohl in der Studie festgestellt worden ist, dass
wieder mehr Kinder in die Welt gesetzt werden, möchte
ich an dieser Stelle eine kritische Anmerkung machen.
Man kann sich überlegen, ob man da sofort etwas macht
und ob man überhaupt über den Haushalt etwas erreichen kann. Ich glaube nicht, dass wir alleine da etwas
machen können. Das ist mehr eine gesamtgesellschaftliche Diskussion. Aber ich möchte es trotzdem ansprechen.
Zwar ist die Geburtenrate jetzt höher; sie liegt bei 1,6,
was allerdings immer noch nicht ausreichend ist. Nicht
schön ist aber, dass das Durchschnittsalter der Erstgebärenden in Deutschland immer höher wird. Obwohl das
auch insgesamt im europäischen Vergleich so ist, ist das
eine Entwicklung, die nicht so positiv ist. Wünschenswert wäre, wenn die Eltern bei der Geburt ihres ersten
Kindes und hoffentlich auch der weiteren Kinder jünger
wären, und zwar aus verschiedenen Gründen. Leider
reicht die Zeit heute nicht, um das auszudiskutieren.
Aber ich glaube, es wäre schon an uns, einmal zu überlegen, ob wir da nicht etwas Bewegung hineinbringen
können, ob wir es für junge Berufsanfänger, auch für
Studentinnen und Studenten noch attraktiver machen
können, bereits in den 20ern und nicht erst in den 30ern
oder gar in den 40ern an Familienplanung zu denken.
({6})
Ein weiterer Haushaltsposten, der angesprochen
wurde, betrifft die Freiwilligendienste. Der Staatssekretär konnte die Zahlen heute Gott sei dank weiter nach
oben korrigieren; das ist sehr erfreulich. Wir hoffen, dass
dieses Modell - wie das Elterngeld - zu einem Erfolgsmodell wird. Wir haben damit etwas Einmaliges geschaffen, indem nicht nur jüngere Menschen im Rahmen
dieses Modells tätig werden können, sondern wirklich
alle gesellschaftlichen Schichten und auch alle Altersschichten. Der Anteil der Seniorinnen und Senioren ist
sehr hoch; es wird gut von ihnen angenommen. Ich bin
mir sicher: Je länger das Modell läuft, desto besser wird
es angenommen werden.
Wer sich bundesweit umschaut und einmal mit den
Betreffenden in den Einrichtungen spricht, der stellt fest,
dass sie von den Bufdis noch wesentlich begeisterter
sind als von den Zivildienstleistenden. Zur Begründung
wird angeführt: Wir wurden ganz gezielt ausgesucht,
und wir werden im Vergleich zu vorher noch stärker angenommen. Die Zivildienstleistenden haben schon eine
hervorragende Arbeit gemacht. Aber diejenigen, die das
jetzt machen, tun dies absolut freiwillig. - Dies zeigt,
dass es richtig war, diesen Ansatz zu wählen. Sicherlich
gab es einige Anlaufschwierigkeiten. Aber das haben die
Träger, die Einsatzstellen und auch diejenigen, die diesen Bundesfreiwilligendienst angenommen haben, erkannt. Künftig muss kein einziger Interessent, der eine
freiwillige Arbeit leisten will, mehr abgewiesen werden.
({7})
Einen weiteren wichtigen Titel hat der Staatssekretär
schon angesprochen. Aber ich glaube, man kann gute
Nachrichten gar nicht oft genug wiederholen; denn sie
bleiben leider nicht so hängen wie negative Nachrichten.
Für unsere Bundesinitiative Familienhebammen wurde
eigens ein neuer Titel mit einem Ansatz von 30 Millionen Euro geschaffen. Das ist der Kernbestandteil des
Bundeskinderschutzgesetzes, das am 1. Januar 2012 in
Kraft treten wird. Wir werden in der Zeit von 2012 bis
2015 120 Millionen Euro dafür in die Hand nehmen. Wir
haben uns über dieses Thema hier schon einmal gesondert unterhalten. Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger und
richtiger Schritt, dass wir das in Angriff nehmen und insbesondere da ansetzen, wo es am Notwendigsten ist,
dass wir Familien, in denen es Schwierigkeiten gibt, begleiten, teilweise auch schon vor der Geburt. Ich weiß,
dass es gerade seitens der Länder an dieser Stelle entsprechende Kosteneinwände gibt. Ich sage es aber noch
einmal: Kinderschutz gibt es nicht zum Nulltarif, Kinderschutz gibt es nicht umsonst. Deswegen ist es völlig
richtig, dass wir als Bund jetzt einmal 120 Millionen
Euro in die Hand nehmen und an die Länder appellieren,
uns in diesem Bereich beizustehen.
({8})
In dieselbe Kategorie der Maßnahmen, die wir in den
letzten beiden Jahren nach Verabschiedung des Koalitionsvertrages ergriffen haben - ich sage nur: versprochen,
gehalten -, fällt das Thema Mehrgenerationenhäuser. Wir
haben dieses Thema im Koalitionsvertrag aufgenommen
und haben entsprechende Maßnahmen umgesetzt, wie
eben alles so wunderbar in dieser christlich-liberalen Koalition funktioniert.
({9})
Wir bringen jetzt das Nachfolgeprogramm „Mehrgenerationenhäuser II“ auf den Weg. Mehrgenerationenhäuser stehen für mich wirklich exemplarisch für funktionierendes Engagement im kommunalen Bereich. Es
war eine hervorragende Idee von der Vorgängerministerin Ursula von der Leyen, und diese wird jetzt auch mit
Begeisterung von Ministerin Schröder weiter umgesetzt.
Wir haben es geschafft, dass die entsprechenden Häuser
nicht nur erhalten werden, sondern sogar noch weitere
dazukommen. Die funktionierenden Strukturen haben
wir übrigens gemeinsam mit den Kommunen, die wir
dafür mit ins Boot geholt haben, ausgebaut. Der Erhalt
der Mehrgenerationenhäuser ist uns also ein ganz besonders wichtiges Anliegen.
Ein Letztes darf ich noch ansprechen, das wir schon
in die letzten Beratungen mit aufgenommen haben:
Auch im Haushalt 2012 wird die Bundesstiftung „Mutter
und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens“ wieder mit
mehr als 92 Millionen Euro unterstützt. Das Bundesfamilienministerium ist im Moment dabei, die Arbeit der
Stiftung zu evaluieren. Es wird untersucht, in welcher
Weise durch die Mittel der Bundesstiftung auch langfristig positive Wirkungen für die Antragstellerinnen und
ihre familiären und sozialen Netzwerke erzielt werden.
Ich halte es für sehr wichtig, dass wir uns ganz besonders für das im Entstehen begriffene Leben einsetzen
und Geld in die Hand nehmen, um Frauen, die nicht wissen, wie sie mit Konfliktsituationen wie einer Schwangerschaft umgehen sollen, zu vermitteln, dass sie auf uns
bauen können, weil wir die Kinder schon schützen wollen, bevor sie auf die Welt kommen. Ich bin froh, dass
dieser ganz wichtige Titel in den Bundeshaushalt eingestellt worden ist.
Ansonsten freue ich mich jetzt auf die Beratungen
und darüber, dass wir die Koalition sind, die wirklich etwas für Familien in diesem Land tut.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Der Nächste auf unserer Rednerliste ist für die Fraktion der Sozialdemokraten
unser Kollege Rolf Schwanitz. Bitte schön, Kollege Rolf
Schwanitz.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Möglichkeiten, kritische Anmerkungen zum
Einzelplan von Frau Ministerin Schröder zu machen,
sind schier unerschöpflich. Ich will mich heute auf drei
Anmerkungen beschränken.
({0})
Als Allererstes ein paar Bemerkungen zur vorgelegten Finanzplanung 2012 bis 2015. Das, was hier abgebildet wird, würde man in der Wirtschaft einen Offenbarungseid nennen. Der Etat für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend gehört zu den Einzelplänen im Bundeshaushalt mit den geringsten Zuwächsen auf dieser Vierjahresleiste.
({1})
Gegenüber den Eckwerten, die im März verbindlich ausgegeben wurden - es gab ja dieses Jahr ein neues Haushaltsaufstellungsverfahren -, ist der gesamte Plafond für
2012 noch einmal um 30 Millionen Euro abgesenkt worden. Obwohl der Gesamthaushalt mehr Steuereinnahmen
vorsieht, obwohl die Nettokreditaufnahme noch einmal
gelockert worden ist, wird im Einzelplan 17 die Schraube
noch einmal angezogen. Die jetzt vorgelegte Finanzplanung sieht gegenüber den im März vorgelegten Eckwerten ein Minus von 30 Millionen Euro im Jahr 2012, ein
Minus von 31 Millionen Euro im Jahr 2013, ein Minus
von 32 Millionen Euro im Jahr 2014 und ein Minus von
33 Millionen Euro im Jahr 2015 vor. Die Gesamtausgaben des Bundeshaushaltes steigen in diesem Zeitraum,
also von 2012 bis 2015, im Jahresdurchschnitt fünfmal so
stark wie die des Einzelplans 17. Der Einzelplan 17 ist
also ein Verliererhaushalt. Das zeigt, welchen Stellenwert dieses Thema bei Ihnen hat.
({2})
Die zweite Bemerkung, die ich machen will, ist eine
Kritik an der Passivität der Ministerin und des Ministeriums in Bezug auf das Thema Rechtsanspruch auf einen
Betreuungsplatz für Kinder. Das Kinderförderungsgesetz hat klar den Anspruch formuliert, dass es ab 2013
für Kinder ab einem Jahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz geben soll. Das ist eigentlich die
wichtigste politische Aufgabe, die die Ministerin aus der
Zeit der Großen Koalition mitbekommen hat.
({3})
Wir wissen längst, dass die Angebotsquote von
35 Prozent in höchstem Maße gefährdet ist. Wir wissen,
dass die Bedarfssätze insbesondere in den städtischen
Bereichen mit hoher Wahrscheinlichkeit weit darüber hinausgehen werden. Die Bundesministerin verweigert
eine realitätsbezogene Bedarfsermittlung. Sie schiebt
quasi den Schwarzen Peter den Ländern und der kommunalen Ebene zu. Die Bundesministerin hat mindestens eine Mitverantwortung hinsichtlich der Erfüllung
dieses Auftrages, wenn nicht mehr.
({4})
Stattdessen gefährdet diese Vogel-Strauß-Politik den
Rechtsanspruch ab 2013. Ich sage ausdrücklich: Das
wird der zentrale Prüfstein werden, an dem wir die politische Leistung dieser Ministerin messen werden.
({5})
Die dritte Bemerkung - die ich Ihnen nach all den anderslautenden Einschätzungen aus der Koalition nicht
ersparen kann - bezieht sich darauf, was Sie beim Übergang vom Zivildienst zum Bundesfreiwilligendienst angestellt haben. Wir als Sozialdemokraten - und auch andere - haben vor dem Weg, den Sie gegangen sind,
gewarnt. Wir haben davor gewarnt, Doppelstrukturen
aufzubauen, und die Chance deutlich gemacht, den bewährten Freiwilligendienst der Länder zu stärken. Wir
haben empfohlen, diese Chance zu nutzen. Sie haben die
Warnungen ignoriert. Sie haben Bürokratien in Ihrem
Zuständigkeitsbereich konserviert. Sie haben Doppelstrukturen geschaffen, und Sie haben den Bundesfreiwilligendienst schlampig vorbereitet und eingeführt, übers
Knie gebrochen. Zum Schluss haben Sie sogar vor einem Angriff auf den Freiwilligendienst der Länder nicht
zurückgeschreckt.
({6})
Die Zwangsquote 2 : 3 bei der Förderung des Freiwilligendienstes ist zunächst eine Erpressung der Träger des
Freiwilligendienstes, nichts anderes.
({7})
Die Krönung ist meiner Meinung nach aber, dass das
Ministerium dann noch ein Muster für einen Änderungsvertrag zur Verfügung gestellt hat, damit bereits abgeschlossene Freiwilligendienstverträge quasi in BufdiVerträge umgewandelt werden können. Das muss man
sich noch einmal vergegenwärtigen: Hier haben sich
junge Leute freiwillig entschlossen, einen Freiwilligendienst zu machen, und sind dazu ein Vertragsverhältnis
eingegangen. Dann kommen Sie mit Anweisungen und
Musterverträgen, mit denen die jungen Leute genötigt
werden,
({8})
einen Änderungsvertrag abzuschließen, weil Ihr Bundesfreiwilligendienst sich als Flop entwickelt hat. Das ist
eine Sauerei,
({9})
und es widerspricht dem Grundgedanken des Freiwilligendienstes schlechthin.
({10})
Ich möchte zum Schluss noch eine Bemerkung zur
Bürokratie beim Bundesfreiwilligendienst machen.
({11})
Wir haben im Haushaltsausschuss über alle Fraktionen
hinweg beschlossen, dass Sie einen Bericht über die Abwicklung und Gestaltung des Bundesamtes vorlegen. Sie
haben drei Monate lang zunächst nicht geliefert,
({12})
dann haben Sie geliefert. Der Bundesrechnungshof hat
den Bericht kommentiert und faktisch in der Luft zerrissen.
({13})
Es ist nicht nur so, dass der Bundesfreiwilligendienst
sich als Flop entwickelt hat. Darüber hinaus haben Sie
dafür in Ihrem Ministerium und im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben - daran muss
man sich erst einmal gewöhnen ({14})
eine Bürokratie vorgesehen, die jeder Beschreibung
spottet. Da werden Aufgaben künstlich aufgebläht und
sachfremde Aufgaben zugeordnet. Über 50 Personen
wissen bis heute nicht, was sie machen sollen. In diesem
Kräuteramt werden Dinge kreuz und quer, ohne dass da
irgendein roter Faden zu erkennen wäre, organisiert. Darüber werden wir im Haushaltsausschuss noch sehr kritisch zu reden haben.
({15})
Der Name „Kräuteramt“ etabliert sich übrigens bei
uns in der Fraktion langsam, nicht wegen des Namens
des Vorgesetzten, sondern weil die Aufgaben schlicht
und einfach an Kraut und Rüben erinnern und keinerlei
roten Faden haben.
({16})
Der Gestaltungsauftrag ist völlig in den Sand gesetzt
worden. Wir werden ihn in den nächsten Wochen kritisch auseinandernehmen und mit Änderungsanträgen
versehen.
Herzlichen Dank.
({17})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Der nächste Redner auf
unserer Liste ist für die Fraktion der FDP unser Kollege
Florian Toncar. Bitte schön, Herr Kollege.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Diese Koalition hat sich das Thema Haushaltssanierung
auf die Tagesordnung gesetzt. Wir wollen die Verschuldung reduzieren, und das tun wir in atemberaubendem
Tempo.
({0})
Wir sind vor zwei Jahren bei 86 Milliarden Euro Neuverschuldung gestartet - übrigens ein Vorschlag, der von
der SPD kam. In diesem Jahr werden wir es schaffen, bei
27 Milliarden Euro zu landen. Dieses Tempo bei der Reduzierung der Verschuldung ist, so glaube ich, beispiellos. Das ist sicherlich die Klammer, die um diese Haushaltsberatungen zu ziehen ist.
({1})
Warum machen wir das? Weil wir die Handlungsfähigkeit des Staates auch in Zukunft sichern wollen, weil
die Verschuldung der letzten Jahre nicht dauerhaft funktionieren kann, weil ein Staat nicht über seine Verhältnisse leben sollte.
({2})
Das ist vor allem im Interesse der jungen Menschen, der
Kinder und Jugendlichen, die auch in 10, 20, 30 oder
40 Jahren einen handlungsfähigen und finanziell leistungsfähigen Staat brauchen.
({3})
Trotz aller Sparbemühungen setzen wir aber einen
Schwerpunkt im Bereich von Bildung und Forschung,
für den diese Koalition in vier Jahren die Rekordsumme
von zusätzlich 12 Milliarden Euro bereitstellt. Das ist
das zweite Element unserer Zukunftsvorsorge. Wir sanieren den Staat auch für zukünftige Generationen. Während der Haushalt konsolidiert wird, investieren wir aber
in Bildung und damit in Chancen für die Zukunft. Das ist
im Interesse der Kinder und der Jugendlichen.
({4})
Herr Kollege Schwanitz, deswegen verbietet sich, so
finde ich, eine rein ausgabenfixierte Betrachtung dieses
Haushalts, zumal man festhalten muss, dass die Sozialquote des Haushalts bei 52 Prozent liegt und damit - das
wissen Sie - deutlich höher als beispielsweise unter RotGrün, und das, obwohl unter Rot-Grün ein deutlich höherer Betrag für den Arbeitsmarkt nötig war. Wenn Sie
schon rein quantitativ auf die Sozialquote schauen, dann
sollten Sie wirklich genau hinschauen. Wir geben dafür
jedenfalls nicht weniger aus, als Sie zu Ihrer Regierungszeit ausgegeben haben.
({5})
Ich denke, dass wir uns von einer solchen rein quantitativen Betrachtung lösen müssen. Stattdessen müssen
wir uns heute fragen: Wo kann man sinnvoll Schwerpunkte setzen? Wo kann man ansetzen, damit man zu einer qualitativen Betrachtung kommt? Genau das tun wir
im Einzelplan 17. Die Gelder aus unserer Bildungsoffensive werden insbesondere für die Sprachförderung in
Kinderbetreuungseinrichtungen eingesetzt. Das werden
laut Ansatz im nächsten Jahr 102 Millionen Euro sein.
Ich glaube, es ist ein guter Schwerpunkt, zu sagen: Wir
investieren nicht nur - was wir im Konsens beschlossen
haben - in den Ausbau der Kinderbetreuung, in die Gebäude genauso wie in die Betriebskosten. Das machen
wir schon seit einigen Jahren. Wir prüfen darüber hinaus, wo es Brennpunkte gibt, wo besondere Notlagen
bestehen oder wo man mit speziell qualifiziertem Personal Sprachförderung von Kindern betreiben muss. Diese
102 Millionen Euro sind gut angelegt. Den Kindern werden Chancen verschafft, die sie sonst nicht hätten. Damit
tun wir auch im Sinne der sozialen Gerechtigkeit und des
sozialen Zusammenhalts Gutes.
({6})
Darüber hinaus möchte ich kurz auf das eingehen,
was insbesondere unsere Fraktion beim letzten Haushalt
angeregt hat und was jetzt umgesetzt werden soll: das
Hilfetelefon im Falle von Gewalt gegen Frauen. Es gibt
regional sehr unterschiedliche Hilfsangebote. Wichtig ist
aber, dass es bundesweit eine Anlaufstelle bzw. einen
Ansprechpartner gibt, wohin sich Frauen anonym wenden können. Dort bekommen sie entweder Hilfe oder
werden von dort an eine geeignete Beratungsstelle oder
ein geeignetes Hilfsprojekt in der Gegend vermittelt, in
der sie wohnen. Das werden wir sicherstellen. Dieses
Projekt werden wir dauerhaft betreiben, weil wir hier
eine Lücke schließen, die im Kampf gegen Gewalt in der
Familie oder in Beziehungen wichtig ist.
Ich möchte auf einen weiteren Aspekt eingehen
- Herr Kollege Schwanitz hat das schon angesprochen -:
die künftige Struktur des Bundesamts für Familie und
zivilgesellschaftliche Aufgaben. Ich glaube, dass das
Thema eine genaue und sensible Betrachtung verdient.
Das Amt ist vor große Herausforderungen gestellt, für
die die Mitarbeiter nichts können. Die Mitarbeiter haben
in den letzten Jahren ihren Job gemacht und ihre Aufgaben erfüllt. Diese Aufgaben sind aber nunmehr weggefallen. Sie wissen auch, Kollege Schwanitz, dass es dort
nicht nur Beamte gibt, die nicht kündbar sind, sondern
dass auch viele Angestellte nicht kündbar sind. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass ein fürsorglicher Arbeitgeber auch nicht kündigen sollte.
({7})
- Nein, Moment. Ich möchte nur für die Mitarbeiter des
Bundesamtes, die sich vielleicht anschauen, worüber wir
hier diskutieren, klarstellen, dass das jedenfalls für mich
keine Option ist.
({8})
Gleichzeitig möchte ich aber auch sagen: Diese Behörde soll angemessen ausgestattet sein; aber die Personalkapazität sollte nach Möglichkeit nicht größer sein,
als für die Erledigung der Aufgaben benötigt wird.
({9})
Das zu erreichen, wird ein wenig Kreativität erfordern.
Da werden wir Übergangslösungen finden müssen. Wir
werden uns natürlich auch anschauen, wie realistisch der
Personalbedarf berechnet ist. So sehr sich die Mitarbeiter darauf verlassen können, dass wir ein fürsorglicher
und verantwortungsvoller Arbeitgeber bleiben werden,
so deutlich sagen wir auch: Es ist weder im Sinne der
Mitarbeiter noch der Steuerzahler, wenn wir eine Behörde haben, in der die Menschen eigentlich nicht genug
zu tun haben, um dort dauerhaft zu bleiben. Ich würde
als Gegenleistung dafür, dass wir unseren Verpflichtungen als Arbeitgeber nachkommen, Einsatzbereitschaft
und Flexibilität erwarten.
In diesem Sinne glaube ich, dass wir für das Bundesamt eine vernünftige Lösung finden sollten. Wir müssen
uns überlegen, ob wir diese Menschen nicht in anderen
Bereichen, in denen wir Personalknappheit haben, sinnvoller einsetzen können. Das können wir gerne gemeinsam machen. Ich denke jedenfalls, dass das eines der
Themen ist, um die wir uns bei den Haushaltsberatungen
ernsthaft kümmern sollten.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt spricht für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau
Katja Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin Dörner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Herr Bockhahn, Sie haben in Ihrer Rede
zwar einiges Richtiges gesagt; aber es ist doch wohl ein
Witz in Tüten, hier Berlin als Kitawunderland zu präsentieren.
({0})
Diesen Hinweis kann ich Ihnen hier nicht ersparen.
({1})
Die Zerrüttung der Regierungskoalition ist in allen
Bereichen sichtbar, leider auch in der Kinder- und Familienpolitik. Der Dauerstreit beim Elterngeld ist ein sehr
gutes Beispiel dafür.
({2})
Vor zwei Tagen haben wir die neuen Zahlen zum Elterngeld bekommen. Man kann ganz klar sagen: Diese Zahlen belegen, dass sich das Elterngeld als gleichstellungsund familienpolitisches Instrument sehr bewährt hat.
Trotzdem ist das Elterngeld von der FDP sozusagen zum
Abschuss freigegeben worden.
({3})
Ich erinnere daran, dass Christian Lindner, der Generalsekretär, sagte, das Elterngeld sei zum Besitzstand geworden, und er die Abschaffung forderte; das ist wenige
Monate her. Herr Solms sagte, das Elterngeld sei „eine
Sozialleistung für Leute, die es nicht nötig haben“, weswegen man es, bitte schön, abschaffen könne.
({4})
Da können die Ministerin bzw. Ihr Staatssekretär und sogar die Kanzlerin das dementieren und, so lange sie wollen, sagen, es handele sich um eine gute Leistung: Es
nützt nichts.
({5})
Herr Kues, Sie haben heute Abend ein Drittel Ihrer
Redezeit darauf verwandt, die FDP doch davon zu überzeugen; ich weiß nicht, ob es Ihnen gelungen ist. Frau
Bär hat sehr lange und, wie ich finde, sehr gut zum Elterngeld gesprochen. Ich wünsche Ihnen sehr gutes Gelingen beim Überzeugen der FDP-Fraktion.
({6})
Man muss einfach sagen: Es gibt in dieser Regierungskoalition keine Verlässlichkeit für Familien. Das ist ein
riesengroßes Problem.
({7})
Das Elterngeld ist aber nur eine Seite der Medaille;
nur mit einem garantierten und auch guten Kitaplatz
wird familienpolitisch ein Schuh daraus. Auch hier versagt die Regierung; sie steckt weiterhin den Kopf in den
Sand und ist nicht bereit, beim Kitaausbau mehr zu investieren, wenn absehbar ist - es ist absehbar -, dass ab
2013 mehr Eltern von unter Dreijährigen den Rechtsanspruch wahrnehmen werden, als es ursprünglich geplant
war. Die Regierung lässt die Kommunen und auch die
Länder bei der Aufgabe, Kitaplätze zu schaffen, im Regen stehen. Man muss nun wahrlich keine Prophetin
sein, um zu wissen, dass das am Ende zulasten der Kinder und Familien geht.
({8})
Die Diskussion, die wir über das Betreuungsgeld führen, ist völlig bizarr. Im Ausschuss gab es unlängst eine
Anhörung zu unserem Gesetzentwurf, der darauf abzielt,
das Betreuungsgeld aus dem Gesetz zu streichen. Diese
Anhörung hat völlig klar gezeigt: Das Betreuungsgeld ist
eine bildungs- und gleichstellungspolitische Katastrophe. Es muss stark bezweifelt werden, ob es überhaupt
verfassungskonform umgesetzt werden kann. Zudem
würde es jährlich 2 Milliarden Euro kosten. Dieses Geld
würde in unserem Haushalt wirklich an allen Ecken und
Enden für Kinder und Familien fehlen. Bizarr ist, dass
sich die Koalition einen Dauerstreit um die Abschaffung
des Elterngelds leistet, gleichzeitig aber - zumindest offiziell - am Betreuungsgeld festhält.
({9})
Dabei muss man sagen: In letzter Zeit haben sich
viele vernünftige Leute zum Betreuungsgeld geäußert
und gesagt, dass sie es überhaupt nicht für sinnvoll halten. Ich möchte an die neue Ministerpräsidentin des
Saarlands erinnern, die sich dazu sehr klug geäußert hat.
Ich kenne aber auch viele andere Kolleginnen und Kollegen, die unter der Hand sagen: Von diesem Betreuungsgeld ist überhaupt nichts zu halten. Fakt ist, dass sich allein die CSU mit ihrem ewig gestrigen Familienbild an
dieses Betreuungsgeld gekettet hat. Hier tanzt die CSU
der Regierung leider auf der Nase herum. Ich wünsche
mir, dass sich die Regierung dies nicht länger gefallen
lässt.
({10})
Abschließend: Die Halbzeitbilanz von Schwarz-Gelb
ist ein Trauerspiel. Es ist höchst unschön, dass wir es
eventuell noch zwei weitere Jahre erleben müssen.
Ich möchte zum Schluss noch ganz kurz ein Thema
ansprechen, von dem ich glaube, dass es vielen von uns
am Herzen liegt. Das ist die Entschädigung für die
Heimkinder. Dieses Thema ist heute Abend noch gar
nicht angesprochen worden.
Im Haushaltsentwurf sind die 40 Millionen Euro, die
wir interfraktionell als Entschädigungsleistung für die
Heimkinder vereinbart haben, noch gar nicht etatisiert.
Nach der unsäglichen Aktion von Schwarz-Gelb im
Haushaltsausschuss
({11})
müssen wir Fachpolitiker jetzt gemeinsam sehen, dass
das Familienministerium nicht auf den Kosten für diese
Entschädigungen sitzen bleibt. Die Entschädigungen für
die ehemaligen Heimkinder sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich glaube, hier sind wir alle einer
Meinung.
({12})
Es kann nicht sein, dass die Heimkinderentschädigung vollständig oder zu einem großen Teil aus dem Etat
geleistet werden soll, mit dem heute die Maßnahmen für
Kinder und Familien finanziert werden. Ich hoffe auf
eine gemeinsame Aktion, damit wir es hinbekommen,
dass die Heimkinder die Entschädigung bekommen, die
ihnen zusteht, dass diese jedoch nicht auf Kosten der
heutigen Kinder und Familien geht.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner für
die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Erwin
Rüddel. Bitte schön, Kollege Rüddel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Familienpolitik dieser Koalition war erfolgreich, sie ist erfolgreich, und sie wird auch die
nächsten zwei Jahre und darüber hinaus erfolgreich bleiben.
({0})
Mit dem Haushalt 2012 und dem Finanzplan bis 2015
beweist die christlich-liberale Koalition, dass sie es ernst
meint mit der Einhaltung der Schuldenbremse und mit
einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik, die sich
ihrer Verantwortung für kommende Generationen bewusst ist. Dank unserer erfolgreichen Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik hat sich der wirtschaftliche Aufschwung zunehmend positiv auf den Bundeshaushalt
ausgewirkt. Wir haben eben über Extremismus gesprochen. Ich denke, Menschen eine Perspektive zu geben,
ist das beste Modell gegen Extremismus jeder Art.
({1})
Steuermehreinnahmen auf der einen Seite und Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt mit der Folge von Minderausgaben auf der anderen Seite helfen uns bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen. Wir sind entschlossen,
das strukturelle Defizit bis - ich betone - spätestens
2016 auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren. Gleichzeitig stellen wir die Weichen
für eine an Wachstum und Beschäftigung orientierte
Politik.
Ich schicke diese Bemerkungen mit Bedacht voraus,
denn der Konsolidierungskurs der christlich-liberalen
Koalition ist zugleich die beste Familienpolitik im Sinne
des Generationenvertrags.
({2})
Gleichwohl ist es uns gelungen, alle wichtigen Projekte
im Einzelplan 17 nahezu unverändert fortzuführen und
sogar eine Reihe bedeutender neuer Vorhaben zu finanzieren. Wir beweisen, dass Sparen und Gestalten sich
nicht ausschließen. Wir konsolidieren den Haushalt, und
wir investieren in die Zukunft unserer Gesellschaft.
({3})
Ich erwähne die Initiative „Frühe Chancen“ für die
sprachliche Frühförderung in unseren Kitas. Das Angebot gilt vor allem für Kinder von Migranten, aber auch
für deutsche Kinder mit Sprachschwierigkeiten. Gerade
auf die frühe Förderung kommt es an. Die Sprache ist
die Grundlage für den späteren Bildungserfolg und für
eine gelungene Integration.
Ich erwähne das Elterngeld, das unangetastet bleibt,
und die Zuschüsse zur Wohlfahrtspflege, an denen wir
ebenfalls nicht sparen. Ich erwähne den Aufbau des
neuen bundesweiten Hilfetelefons für Gewalt gegen
Frauen, für den im Haushalt gut 3 Millionen Euro zur
Verfügung stehen. Ich erwähne das Folgeprogramm für
die Mehrgenerationenhäuser, die sich als Knotenpunkt
für bürgerschaftliches Engagement zu einer großen Erfolgsgeschichte entwickelt haben und deshalb auch im
nächsten Jahr mit gut 10 Millionen Euro unterstützt werden. Die engagierte Arbeit der Ehrenamtlichen in den
Mehrgenerationenhäusern wird also weitergehen, wobei
Teilhabe, Pflege und Integration Schwerpunkte des
neuen Förderprogramms sind.
Ich erwähne die Erhöhung der Ausgaben für die Freiwilligendienste um rund 44 Millionen Euro gegenüber
2011. Auf diese Weise werden die Freiwilligendienste
nach der Aussetzung des Zivildienstes nachhaltig gestärkt. Die Mittel für den neuen Bundesfreiwilligendienst, der auch Frauen und älteren Menschen offensteht, belaufen sich auf fast 270 Millionen Euro. Damit
leisten wir einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung des
bürgerschaftlichen Engagements, und zwar nicht nur im
sozialen Bereich, sondern auch in den Bereichen Sport,
Kultur und Integration. Die bewährten Jugendfreiwilligendienste bleiben davon unberührt. Der Bund ist Rückhalt für diese Freiwilligendienste. Er finanziert nicht nur
den Bundesfreiwilligendienst, sondern ist auch der
Hauptgeldgeber für das Freiwillige Soziale Jahr.
({4})
Man sollte einmal nachschauen, was der Bund für die
Freiwilligen Sozialen Jahre leistet und was alle Länder
zusammen für ihre Programme leisten.
Das alles sind Bausteine zu der Zivilgesellschaft, die
wir wollen, einer Gesellschaft, in der ehrenamtliche
Dienste und Freiwilligendienste dazu beitragen, die Fähigkeiten und Kenntnisse aller Altersgruppen für den
Zusammenhalt in unserem Land zu mobilisieren. Wir
fördern damit die soziale Teilhabe, den Austausch von
Erfahrungen und ein möglichst breites bürgerschaftliches Engagement.
Unser besonderes Augenmerk gilt dem Kinderschutz.
Hier legen wir das neue Programm „Familienhebammen“ mit jährlich 30 Millionen Euro auf. Wir verstehen
diese Initiative vor allem als einen Beitrag zu den frühen
Hilfen. Es geht uns dabei im Rahmen des Kinderschutzes um niederschwellige und frühe Hilfsangebote, die
sich gerade an Familien in prekären Lebensverhältnissen
richten, und zwar ausdrücklich sowohl während der
Schwangerschaft als auch nach der Geburt. Wir wollen
die während der Schwangerschaft und Geburt aufgebauten Vertrauensstrukturen auf diese Weise auch für die
Hilfe und Unterstützung in den ersten Lebensmonaten
des Kindes nutzen. Davon versprechen wir uns eine
wirksame Stärkung des Kinderschutzes. Deshalb wollen
wir mit dieser Initiative eine Basis für den bundesweiten
Einsatz von Familienhebammen durch Länder und Kommunen schaffen.
Gestatten Sie mir abschließend noch ein Wort zur Familienpflegezeit. Unsere Gesellschaft wird immer älter.
Die Prognosen hinsichtlich des künftigen Pflegebedarfs
sind bekannt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege
wird daher in den kommenden Jahren ein Thema von
stetiger Bedeutung sein. Nach dem Vorbild der Altersteilzeit wird die künftige Familienpflegezeit es den Beschäftigten erlauben, ihre Arbeitszeit zwei Jahre lang zu
reduzieren, um zu Hause Eltern, Großeltern, Ehepartner
oder Kinder zu pflegen. Ich bin sicher, dass diese InitiaErwin Rüddel
tive, für die wir der Frau Ministerin sehr dankbar sind,
ein Erfolg werden wird.
({5})
Das wird nicht alle Probleme bei der Pflege lösen. Es
ist aber ein Meilenstein auf dem Weg, das große Thema
der bedarfsgerechten Pflege in einer rasch alternden Gesellschaft zu bewältigen. Deshalb fügt sich das Konzept
der Familienpflegezeit in die vielfältigen Vorhaben ein,
die wir im Einzelplan 17 ansprechen und mit denen wir
die Familie, die Generationen und das bürgerschaftliche
Engagement in unserer Gesellschaft fördern. Wir sind
mit diesem Haushaltsentwurf auf einem guten Weg für
unser Land.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist
für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin
Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Marks.
({0})
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
bietet ebenso wie die Etats der anderen Ministerien, die
heute schon beraten wurden, keine Hinweise auf eine zukunftsweisende oder gar soziale Politik.
Wohin treibt die Politik für Familien? Wohin treibt
die Politik für junge Menschen oder für Seniorinnen und
Senioren? Worauf können sich Familien bei dieser Bundesregierung überhaupt noch verlassen? Wie ernst meint
diese Bundesregierung es mit einer konsequenten
Gleichstellungspolitik, die diesen Namen verdient hat,
Herr Staatssekretär? Wie ernst meint sie es mit einer eigenständigen Jugendpolitik? Immer deutlicher wird:
Diese Bundesregierung gestaltet Gesellschaftspolitik
nicht. Nein, sie verwaltet sie allenfalls. Sie haben Familien verunsichert, indem Sie das Elterngeld gekürzt haben. Stimmen aus den Koalitionsfraktionen stellen das
Elterngeld sogar immer wieder infrage; das haben wir
auch heute des Öfteren gehört. Familien können sich auf
diese schwarz-gelbe Regierung nicht verlassen, weder
beim Elterngeld noch beim Krippenausbau noch beim
Kinderzuschlag noch beim Unterhaltsvorschuss. Das ist
Politik frei nach dem Motto: Was kümmern diese Ministerin ihre Ankündigungen von gestern?
({0})
Die Zuschüsse für Maßnahmen der Familien- und
Gleichstellungspolitik sowie für Ältere werden mal eben
um 3,4 Millionen Euro gekürzt. Im Kinder- und Jugendplan werden Mittel zur Förderung der Gleichstellung
von Mädchen und Jungen komplett gestrichen. Maßnahmen der Frauenpolitik - ich denke, das kann man so
deutlich sagen - fristen unter dieser Ministerin ein
Schattendasein. Demgegenüber wird eine eigenständige
Jungen- und Männerpolitik ausgebaut. So sollen zum
Beispiel Maßnahmen wie „Generationsdialoge - Neue
Orte für Väter und Großväter“ mit fast 1 Million Euro
gefördert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme
erschließt sich, glaube ich, nur wenigen. Deutlich wird,
dass diese Ministerin Gleichstellungspolitik überhaupt
nicht verstanden hat; denn Gleichstellungspolitik
schließt immer Frauen und Männer ein.
({1})
Natürlich sind Initiativen, mit denen beispielsweise
der Männeranteil in Kitas erhöht werden soll, zu begrüßen - das ist gar keine Frage -, doch die Tatsache, dass
nur wenige Männer in Kitas oder Pflegeberufen arbeiten,
hat nichts, aber auch rein gar nichts mit einer unzureichenden Männerpolitik oder gar einer Benachteiligung
von Männern zu tun. Männer wählen diese Berufe sehr
selten, weil sie erstens schlecht bezahlt und zweitens
nicht ausreichend gesellschaftlich anerkannt werden.
({2})
Das sind die Fakten, die Sie, die Ministerin und die Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Regierungskoalition, einfach ignorieren. Sie blenden die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben
schlicht und ergreifend aus.
({3})
- Liebe Rita, du weißt selbst, dass die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben von deiner
Regierung ausgeblendet wird. Da brauchst du dich jetzt
gar nicht aufzuregen.
Frauen verdienen im Durchschnitt etwa ein Viertel
weniger als Männer. Das ist hinreichend belegt. Das haben wir hier, im Plenum, oft genug miteinander festgestellt. Warum gibt das Ministerium trotzdem erneut Geld
für Studien, Datenerhebungen und Analysen zur Entgeltungleichheit aus? Mit Ausnahme der Ministerin haben
wir, denke ich, kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Bundesregierung muss endlich handeln, sage ich Ihnen.
({4})
Die SPD hat bereits Vorschläge unterbreitet. Sie
müssten diese einmal gründlich lesen. Es wäre schön,
wenn Sie sich unseren Vorschlägen anschließen würden;
dann würde es für die Frauen auch wieder bergauf gehen.
({5})
Kommen wir zur Jugendpolitik. Vor Monaten hat die
Ministerin ein langes Papier mit der Überschrift „Allianz
für die Jugend“ veröffentlicht; das klingt ja klasse. Papier ist allerdings bekanntlich geduldig. Das Ministerium beschreibt sich darin als „Anwalt der Jugend“. Ich
frage Sie: Wie glaubwürdig ist das Ministerium, Herr
Kues, wenn es im Kinder- und Jugendplan mehr als
3 Millionen Euro zur Förderung von Jugendlichen mit
Migrationshintergrund, mit Benachteiligungen und mit
Behinderungen kürzt? So sieht für mich kein „Anwalt
der Jugend“ aus, und so erreichen wir keine Allianz für
die Jugend in unserem Land.
({6})
Ganz aktuell hat die Nationale Armutskonferenz angemahnt, dass wir dringend die Förderung von Kindern
mit Migrationshintergrund verbessern müssen. Stattdessen kürzen sowohl Frau Schröder als auch ihre Kollegin
Frau von der Leyen drastisch Mittel, die im Kampf sowohl gegen Bildungsarmut als auch gegen Perspektivlosigkeit dringend gebraucht werden.
Bei der politischen Bildung, Herr Staatssekretär, bedienen Sie sich wirklich Taschenspielertricks. Wenn wir
diesen Bereich im gesamten Haushalt gründlich betrachten, stellen wir fest, dass die Mittel unter dem Strich gekürzt werden. Vielleicht haben Sie gedacht, dass wir es
nicht merken. In Ihrer Koalition ist es vielleicht durchgegangen, aber wir haben es gemerkt.
Auch bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus
setzen Sie erneut den Rotstift an. Macht nicht auch der
Wiedereinzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern deutlich, dass wir alle gemeinsam in
diesem Hohen Hause nicht weniger, sondern mehr Engagement für politische Bildung und mehr Engagement gegen Rechtsextremismus in unserem Land brauchen?
({7})
Wie sieht es bei dem Thema „Vereinbarkeit von
Pflege und Beruf“ aus? Richtig ist, wir brauchen mehr
Angebote für Menschen, die sich um pflege- und hilfsbedürftige Angehörige kümmern. Doch das sogenannte
Familienpflegezeitgesetz geht ganz klar, und zwar in jedem Punkt - das werden wir bei der Anhörung, denke
ich, mehr als deutlich hören -, an der Lebenswirklichkeit
der allermeisten Menschen vorbei. Es enthält keine geschlechtergerechten Ansätze und es fehlen jegliche
Rechtsansprüche. Stattdessen enthält es nur eine private
Pflichtversicherung und - das ist mehr als interessant einen Bußgeldkatalog für pflegende Angehörige. So
droht eine Geldbuße bis zu 1 000 Euro, wenn Änderungsmitteilungen nicht rechtzeitig oder nicht vollständig an die Behörde weitergegeben werden.
({8})
Ich frage Sie: Was wollen Sie Angehörigen, die ohnehin
schon einen großen Spagat zwischen Berufsleben und
Pflege zu meistern haben, eigentlich zumuten? Ich
denke, über diesen Punkt werden wir noch ausreichend
zu reden haben. Das ist alles andere als hinnehmbar.
({9})
Im Gegensatz zu Ihnen, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen von Union und FDP, haben wir Antworten
für eine zukunftsweisende und sozial gerechte Politik.
Davon werden Sie in den weiteren Haushaltsberatungen
noch hören. Wir werden entsprechende Änderungsanträge vorlegen.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster spricht
für die Fraktion der FDP unser Kollege Florian
Bernschneider. Bitte schön, Kollege Florian
Bernschneider.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bilder und
Nachrichten, die uns in den letzten Wochen in der parlamentarischen Sommerpause erreicht haben, machen,
glaube ich, die große Herausforderung deutlich, vor der
wir heute stehen, wenn wir über die Ausgaben für Jugendliche in unserem Land beraten. Die Aufstände in
Spanien und in England zeigen uns, dass wir uns eines
auf keinen Fall leisten dürfen, nämlich an den Chancen
für Jugendliche zu sparen. Deswegen sind die deutlichen
Aufwüchse im Bereich der Jugendpolitik und allein die
44 Millionen Euro mehr für die Jugendfreiwilligendienste ein gutes Zeichen und Beweis für unsere jugendfreundliche Politik.
({0})
Gleichermaßen waren diese Bilder auch Beweis, dass
wir genau den richtigen Weg eingeschlagen haben, nämlich gemeinsam mit den Akteuren vor Ort eine eigenständige Jugendpolitik mit Leben zu füllen. Auch dafür
wurden Mittel in diesen Haushalt eingestellt.
({1})
Die aktuelle Diskussion über die Stabilität unserer
Währung zeigt, dass es nicht nur darum geht, in die Zukunftschancen von jungen Menschen zu investieren,
sondern vor allem darum, zu verhindern, dass Schulden
ihnen von vornherein den Weg verbauen.
({2})
Wenn man sich diesen Haushaltsentwurf anschaut, dann
sieht man, glaube ich, dass wir bewiesen haben, dass wir
diesen Herausforderungen gerecht geworden sind, dass
es uns gelungen ist, Einsparungen dort zu leisten, wo sie
nicht auf Kosten Jugendlicher gehen.
Ich will die Kürzungen von 1,8 Millionen Euro im
Kinder- und Jugendplan gar nicht wegreden. Aber ich
sage auch: Sie sind im Vergleich zu den Aufwüchsen
zum Beispiel bei den Jugendfreiwilligendiensten vertretbar. Vor allem muss man auch sagen: Wir haben unser
Versprechen an die im Rahmen des Kinder- und Jugendplanes handelnden Akteure gehalten, keine Strukturen
kaputtzusparen und die gute Arbeit vor Ort nicht zu gefährden, sondern da zu sparen, wo es möglich ist. Die
Beispiele zeigen, dass das gelungen ist.
Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen, dass nicht nur
die Entwicklungen in Spanien und England in unserem
politischen Handeln Niederschlag finden müssen, sondern auch die schrecklichen Wahlergebnisse der NPD
vom vergangenen Wochenende in Mecklenburg-Vorpommern. Ich sage übrigens: Auch die schrecklichen
Bilder aus Oslo, die wir in der Sommerpause sehen
mussten, sollten uns als Jugendpolitiker Anlass zur Diskussion geben. Wir alle müssen mit den Programmen gegen Rechtsextremismus verantwortlich umgehen.
({3})
Was Sie machen, ist nicht verantwortlich. Sie suggerieren schon wieder, wir würden bei diesen Programmen
kürzen.
({4})
Wir sparen bei der Verwaltung der Programme, wir sparen nicht 1 Cent bei der Umsetzung vor Ort. Ich kann
Ihre Aufregung, ehrlich gesagt, gar nicht verstehen.
Auch zu rot-grünen Zeiten war die NPD in manchen
Landtagen der Bundesrepublik. Auch zu rot-grünen Zeiten gab es rechtsextreme Straftaten,
({5})
übrigens nicht viel weniger als heute.
({6})
Zu schwarz-gelben Zeiten investieren wir immer noch
doppelt so viel in die Prävention von Rechtsextremismus
wie Sie damals.
({7})
Deswegen kann ich Ihre Aufregung nicht verstehen.
({8})
Ich kann, ehrlich gesagt, auch Ihre Kritik am Bundesfreiwilligendienst nicht verstehen. Es ist völlig klar, dass
es bei einem so großen Projekt immer zu Problemen bei
der Umsetzung kommt. Keinen ärgert es mehr als mich,
dass wir zu lange gebraucht haben, um auch den Kindergeldanspruch umzusetzen. Aber das alles ändert nichts
daran, dass wir als erste Koalition den Mut aufgebracht
haben, auf einen Pflichtdienst zu verzichten und stattdessen auf die Kraft von Freiwilligkeit zu setzen.
({9})
Auch wenn Sie nach wie vor hoffen und sich wünschen, dass der Bundesfreiwilligendienst erfolglos
bleibt: Die Bürger haben sich längst anders entschieden.
Das zeigen die Bewerberzahlen, die Herr Kues heute
vorgestellt hat.
({10})
Wir haben mit dem Bundesfreiwilligendienst auf das
richtige Pferd gesetzt, Sie auf das falsche. Das wird auch
in den nächsten zwei Jahren so bleiben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt unser Kollege Andreas
Mattfeldt. Bitte schön, Kollege Andreas Mattfeldt.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist für mich ein Novum, um diese Zeit als
Letzter sprechen zu dürfen. Das hat man nicht allzu häufig.
Wir hatten heute bei den Beratungen zum Haushalt
des Familienministeriums den Eindruck, dass für die
Linke der wohl wichtigste Ausgabentitel die Bekämpfung des Extremismus - Herr Bockhahn, bei Ihnen natürlich nur die des Rechtsextremismus - ist. Seit einem
Bericht in der Presse über die Selbstbedienungsmentalität Ihrer Parteivorsitzenden im Hinblick auf diesen Titel
ist mir auch bewusst, wieso. Ich halte es für in keiner
Weise hinnehmbar, dass der laut Satzung angeblich parteipolitisch unabhängige Verein „Gemeinsam in Lichtenberg“ Gelder aus dem vom Ministerium geförderten Programm „Vielfalt tut gut“ für die Erstellung einer
Kinderzeitung zum Thema „Vielfalt, Toleranz und Demokratie im Kindergarten“ erhält.
({0})
Auf den ersten Blick mag es scheinen, als sei hieran an
sich nichts auszusetzen. Wenn man allerdings hört, dass
alle Posten in diesem Verein mit engsten Mitarbeitern
von Frau Lötzsch besetzt sind
({1})
und Frau Lötzsch nicht nur Vorsitzende des Vereins ist,
sondern auch die Telefonnummer ihres Wahlkreisbüros
({2})
als Kontaktadresse des Vereins angegeben ist,
({3})
so hat das nicht nur einen bitteren Beigeschmack,
({4})
sondern hört sich in meinen Ohren nach einer extrem
dreisten Form von Selbstbedienungsmentalität in Bezug
auf den Titel „Maßnahmen zur Extremismusbekämpfung“ an.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus
der Fraktion Die Linke, vom Kollegen Bockhahn?
Sehr gerne.
Sehr geehrter Herr Kollege Mattfeldt, ist Ihnen bekannt, dass die Junge Union im letzten Jahr im Rahmen
von Titeln aus diesem Programm Jugendbelustigungsfahrten nach Berlin machen wollte,
({0})
und können Sie sich erinnern, dass Sie damals kein Problem damit hatten?
({1})
Ohne das gleichsetzen zu wollen: Ist Ihnen etwas zu der
inhaltlichen Arbeit dieses Vereins bekannt? Dies ist
nämlich ein deutlicher Unterschied, was das Niveau dieser beiden Geschichten betrifft: Das eine war eine Spaßfahrt einer parteilichen Jugendorganisation, und das andere ist ein Verein, in dem sich ehrenamtlich tatsächlich
auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gesine
Lötzsch engagieren.
({2})
Herr Bockhahn, wir haben im letzten Jahr intensiv
über diesen einen Titel sowie über die Junge Union Köln
- nicht die Junge Union im Allgemeinen - gesprochen.
({0})
Das Ganze ist damit ausgeräumt worden. Wir haben
deutlich gemacht, dass auch das nicht hinnehmbar ist.
Das hat die Junge Union akzeptiert, was ich in Ihrem
Fall allerdings nicht sehe.
Wir haben hier keinerlei Selbstkritik von Frau
Lötzsch gehört. Ich könnte weitere Punkte nennen, zum
Beispiel „Rechtshilfetipps bei Demos, Übergriffen und
Strafverfolgung“ von Bon Courage e. V.
({1})
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir werden uns alle
Programme, die aus dem Extremismustitel finanziert
werden, anschauen und prüfen, wer sich daraus bedient
und ob das Geld wirklich eine Wirkung bei den Menschen vor Ort entfaltet. Wichtig ist - und da unterscheiden wir uns ganz massiv -, dass wir nicht eigene Leute
versorgen,
({2})
sondern Extremismus in jeder Form intensiv bekämpfen.
({3})
Mit ihrem Verhalten hat Frau Lötzsch nicht nur sich
selbst einen Bärendienst erwiesen, sondern auch allen
anderen, die Geld aus diesem Titel erhalten. Wie sagte
Mark Twain so schön: Der Jammer mit den Weltverbesserern ist, dass sie nicht bei sich selber anfangen. - Das
gilt für Sie ganz besonders.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
während Sie Ihr Hauptaugenmerk darauf legen, wie Sie
sich gegenseitig Geld zuschustern können, machen wir
von der Regierungskoalition Politik, die bei den Menschen ankommt.
({5})
Kristina Schröder und ihr Haus haben einen sehr guten
Haushaltsentwurf vorgelegt. Sie möchte im nächsten
Jahr 6,48 Milliarden Euro für Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren ausgeben. Das sind 9,27 Millionen
Euro mehr als im laufenden Jahr.
Sie führt zum Beispiel für die Bundesinitiative Familienhebammen einen neuen Titel ein, für den 30 Millionen Euro bereitgestellt werden. Diese im noch zu verabschiedenden Bundeskinderschutzgesetz vorgesehene
Initiative soll den Aus- und Aufbau der Arbeit der Familienhebammen so stärken, dass wir gefährdete Kinder
von Beginn an besser schützen können. Dabei wollen
wir sowohl bestehende Aktivitäten zu Familienhebammen als auch die Erprobung neuer Modelle fördern.
Es gilt aber nicht nur, die Kinder zu schützen, sondern
wir wollen den Kindern gleiche Startchancen ins Leben
ermöglichen. Um das zu erreichen, hat Kristina Schröder
bereits in diesem Jahr die Qualifizierungsoffensive zur
Sprachförderung im Kindergarten erfolgreich gestartet.
Während 2011 immerhin schon 82 Millionen Euro dafür
zur Verfügung gestellt wurden, werden es 2012 sogar
102 Millionen Euro sein, die in frühkindliche Bildung
und in die Bildung benachteiligter Schülerinnen und
Schüler investiert werden.
({6})
Ich freue mich sehr, dass in meinem Wahlkreis nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Mit Stolz sage ich, dass
es der christlich-liberalen Koalition durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen gelungen ist, die Arbeitslosenzahlen derart in den Keller zu drücken, dass wir
nicht nur insgesamt weniger als 3 Millionen Arbeitslose
haben, sondern dass in vielen Teilen unseres Landes
mittlerweile Vollbeschäftigung erreicht wurde.
({7})
Das führt allerdings auch dazu, dass wir die wenigen
jungen Menschen gut qualifizieren müssen, damit wir
dem Fachkräftemangel nicht nur durch Zuwanderung
begegnen können. Bildung ist der beste Weg zu einem
guten Beruf und damit zur Bekämpfung von Armut.
({8})
Während Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sich hauptsächlich damit beschäftigen, den Titel für Extremismusbekämpfung aufzustocken, und sich gleichzeitig immer als Retter der
Armen aufspielen, legt Ministerin Schröder mit ihrem
Programm den Grundstein dafür, dass Armut gar nicht
erst entstehen kann. Das nenne ich konstruktive Politik.
({9})
Ein weiteres Thema, das unsere Ministerin tatkräftig
anpackt, ist die Hilfe für Frauen, die Opfer von Gewalt
geworden sind. Bereits im letzten Jahr haben wir in den
parlamentarischen Beratungen Geld zur Anschubfinanzierung für die Einrichtung eines bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ bereitgestellt. Dieses Telefon wird rund um die Uhr erreichbar sein: mehrsprachig,
anonym und barrierefrei. Gewaltopfer sollen so frühestmöglich beraten und dorthin gelotst werden, wo sie Hilfe
bekommen. Ende 2012 soll diese Nummer freigeschaltet
werden. Dafür werden wir in diesem Jahr 3,1 Millionen
Euro und in den kommenden Jahren 6 Millionen Euro zur
Verfügung stellen.
Auch dieses Mal werden wir - hier spreche ich als
Haushälter aus tiefster Seele - in den parlamentarischen
Beratungen jeden einzelnen Ausgabeposten auf den
Prüfstand stellen und analysieren, ob jeder einzelne von
den Bürgern hart erarbeitete Euro gut investiert ist oder
ob es sich um einen Verein wie den von Frau Lötzsch
handelt. Wir müssen gezielt ansetzen und dafür sorgen,
dass das Geld wirklich bei den Menschen ankommt.
Wenn ich sogar den Medien entnehme, dass auch FKKProjekte mit Mitteln aus diesem Etat finanziert werden,
so muss ich mich doch sehr wundern und bin mir umso
sicherer, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Uns ist
wichtig, dass wir durch kluge Entscheidungen dort investieren, wo wir die Menschen erreichen, und nicht dort
Geld verplempern, wo ausschließlich parteipolitisch ambitionierte Gruppen erreicht werden.
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf sachlich-konstruktive Haushaltsberatungen. Ich darf Ihnen
allen eine gute Nacht wünschen.
Danke schön.
({10})
Der Herr Kollege macht schon deutlich, dass er der
letzte Redner war. In der Tat stelle ich fest, dass es keine
weiteren Wortmeldungen mehr gibt. Es wird sich wohl
auch keiner mehr trauen.
({0})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. September 2011,
9 Uhr, ein.
Damit ist die Sitzung geschlossen.
Ich wünsche allen eine gute Nacht.