Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur ersten Plenarsitzung des
Deutschen Bundestages nach der parlamentarischen
Sommerpause. Die meisten haben durch Gremiensitzungen und Klausurtagungen von Fraktionen und Fraktionsvorständen den Dienst längst wieder angetreten. Ich
hoffe, dass die meisten in den vergangenen Wochen Gelegenheit gefunden haben, sich nicht nur um die Stabilität von Haushalten und Währungen, sondern auch um
die Stabilisierung von Leib und Seele zu kümmern.
Einige Kolleginnen und Kollegen hatten während der
Sommerpause runde Geburtstage. Dazu gehört die Kollegin Uta Zapf, die am 14. August 2011 ihren 70. Geburtstag gefeiert hat.
({0})
Der Kollege Franz Obermeier hat seinen 65. Geburtstag gefeiert.
({1})
Die Kolleginnen Anita Schäfer, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Angelika Krüger-Leißner, Undine
Kurth sowie der Kollege Eberhard Gienger haben ihr
60. Lebensjahr vollendet. Allen Kolleginnen und Kollegen herzliche Glückwünsche!
({2})
Nun wollen wir einmal schauen, wie lange der Jubel
im ganzen Hause für die weitere Tagesordnung vorhält.
({3})
Ich habe noch darauf hinzuweisen, dass die Kollegin
Agnes Alpers sowie die Kollegen Klaus Hagemann und
Sebastian Körber ihre Schriftführerämter niedergelegt
haben. Als neue Schriftführerinnen und Schriftführer
werden vorgeschlagen: von der SPD-Fraktion der Kol-
lege Stefan Rebmann, von der FDP-Fraktion der Kol-
lege Holger Krestel und von der Fraktion Die Linke die
Kollegin Johanna Voß. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist offensichtlich der Fall. Damit sind die genannten
Kolleginnen und Kollegen gewählt. Ich freue mich auf
die Zusammenarbeit hier oben im Präsidium.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2012 ({4})
- Drucksache 17/6600 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015
- Drucksache 17/6601 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aussprache im Anschluss an die Einbringung des Haushalts
durch den Bundesfinanzminister sechs Stunden, für
Mittwoch acht Stunden, für Donnerstag neuneinhalb
Stunden und für Freitag noch einmal dreieinhalb Stunden vorgesehen. Darf ich auch dazu Ihr Einvernehmen
feststellen? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Zur Einbringung des Haushalts erteile ich dem
Bundesminister der Finanzen, unserem Kollegen
Dr. Wolfgang Schäuble, das Wort.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diese Haushaltsdebatte findet unter dem Eindruck beunruhigender Turbulenzen auf den Finanzmärkten statt. Das Problem der Vereinigten Staaten von
Amerika, ihr Haushaltsdefizit und ihre hohe Staatsverschuldung bei relativ schwieriger Lage von Wirtschaft
und Arbeitsmarkt in den Griff zu bekommen, und die
Redetext
durch die Schulden und Wachstumsprobleme einiger
Euro-Länder verursachte Verunsicherung über die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes haben in den letzten Monaten zu zunehmender Marktbeunruhigung geführt. Besorgnisse über die globale wirtschaftliche Entwicklung
nehmen zu. Die Verlangsamung der Wachstumsdynamik
in den Industrieländern geht zwar im Wesentlichen auf
eine Abflachung der starken, zyklisch bedingten Erholung zurück, aber es ist eben eine Verlangsamung.
Die hartnäckigen Probleme im Bereich der öffentlichen Verschuldung und des Finanzsektors dämpfen die
private Nachfrage. Übrigens werden kurzfristige Nachfragestimulierungen nicht helfen, weil der Spielraum dafür zu gering ist und das Übermaß an Defiziten schon
jetzt die Hauptursache der Krise ist. Deshalb wird es
ohne strukturelle Anpassungen nicht zu schaffen sein.
Das muss weiterhin das bestimmende Element unserer
Finanzpolitik sein. Deshalb gehen wir mit dem Bundeshaushalt 2012 einen weiteren Schritt auf dem Weg der
wachstumsfreundlichen Defizitreduzierung. Wir beschreiten einen Weg, der uns Gestaltungsspielräume in der Zukunft offen lässt und der diese Gestaltungsspielräume
eben nicht durch einen übermäßigen Gegenwartsbezug
beschneidet.
Wir schaffen Vertrauen durch finanzpolitische Solidität und Verlässlichkeit.
({0})
Dieses Vertrauen müssen wir schaffen in den Augen der
Finanzmärkte und auch in den Augen der Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland und Europa.
({1})
- Aber Herr Kollege Poß, zur parlamentarischen Demokratie gehört, dass man unterschiedliche Meinungen hat,
dass man darüber diskutiert, dass man abstimmt. Man
bringt Gesetzentwürfe ein, dann debattiert man über sie
im Bundestag, und am Schluss stimmt man wieder ab.
Warten Sie es in großer Gelassenheit ab! Wir werden
eine große Mehrheit dafür finden.
({2})
Im Übrigen ist entscheidend, dass wir die Vorgaben
der Schuldenbremse des Grundgesetzes konsequent umsetzen;
({3})
denn das ist für die Überzeugungskraft deutscher Politik
auf internationaler Ebene von ganz elementarer Bedeutung. Vielleicht noch wichtiger ist, dass wir einen Beitrag leisten zu einer auch mentalen Abkehr von dem,
was Ralf Dahrendorf in einem seiner letzten Aufsätze
vor seinem Tod als einen „extremen Pumpkapitalismus“
bezeichnet hat. Es ist wahr: In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Wirtschafts- und Finanzpolitik vieler Industrieländer im Wesentlichen darauf konzentriert, Rezessionen um fast jeden Preis zu verhindern. Mit geldund finanzpolitischen Maßnahmen wurde versucht, drohende Rezessionen abzuwenden, ohne dass in der Folge
die aufgeblähten öffentlichen Defizite in guten konjunkturellen Zeiten wieder zurückgefahren wurden. So ist
übrigens auch die Verschuldung des öffentlichen Gesamthaushalts in Deutschland auf rund 2 Billionen Euro
angestiegen.
Zuletzt haben wir alle - zu Recht - nach der durch das
Platzen der Immobilienblase in den USA ausgelösten
Finanzmarktkrise noch gravierendere Verwerfungen auf
den Güter- und Arbeitsmärkten dadurch verhindert, dass
die öffentlichen Haushalte vorübergehend weltweit einen Teil des massiven privaten Nachfrageeinbruchs
kompensiert haben. Das war in dieser Krise von historischer Bedeutung richtig. Es war übrigens gerade auch in
Deutschland erfolgreich; aber es hat eben rund um den
Globus zu einer weiteren Aufblähung der öffentlichen
Defizite geführt. Weil sich viele Haushalte schon vorher
in einer kritischen Lage befanden, hat der Schuldenanstieg das Vertrauen vieler Anleger in die Fähigkeit der
Politik zur längerfristigen Haushaltskonsolidierung erschüttert.
({4})
- In allen Ländern. Es ist ein Problem der westlichen
Länder insgesamt, dass das Vertrauen in die Fähigkeit
unserer Systeme zur längerfristigen Haushaltskonsolidierung erschüttert ist. Wir haben in der Euro-Zone nicht
die größten Defizite; in anderen Bereichen sind die öffentlichen Defizite höher. Das muss man sehen.
Wir dürfen die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei aller berechtigten Kritik an überzogenen Marktreaktionen nicht aus den Augen verlieren.
Angesichts der tradierten Verhaltensmuster bei der
Krisenbekämpfung war es - wir haben es gesehen - im
vergangenen Jahr nicht leicht, unsere internationalen
Partner davon zu überzeugen, dass ein maßvoller und
rechtzeitiger Ausstieg aus den wirtschaftlichen Stützungsmaßnahmen sinnvoll ist. Deutschland hat sich im
vergangenen Jahr wegen seiner Haushaltskonsolidierung
international erheblicher Kritik ausgesetzt gesehen. Aber
wir können heute sagen: Der Erfolg hat uns recht gegeben.
({5})
Das ist über den Tag hinaus von Bedeutung. Wir dürfen
das gerade in diesen Tagen, wo es schon wieder in die
andere Richtung gehen soll, nicht vergessen. Wir haben
gezeigt, dass es möglich ist, auf eine Weise zu konsolidieren, die das Wirtschaftswachstum nicht beschädigt,
sondern - im Gegenteil - ankurbelt. Dem Wachstum im
vergangenen Jahr von rund 3,5 Prozent wird in diesem
Jahr ein Wachstum von rund 3 Prozent folgen. Wenn die
deutsche Wirtschaft in diesem Jahr - nach einem stürmischen Beginn mit einem Wachstum von 1,3 Prozent im
ersten Quartal - mit einem Wachstum von 0,1 Prozent
im zweiten Quartal einen moderateren Gang eingelegt
hat, so entspricht das der weltweiten Abkühlung. Das ist
doch eher eine Normalisierung in einer grundsätzlich
positiven Entwicklung. Rezession sieht jedenfalls anders
aus.
({6})
Meine Damen und Herren, man muss daran erinnern:
Wir haben mit der Entwicklung in den Jahren 2010 und
2011 den Einbruch des Jahres 2009 wieder aufgeholt.
Wir haben durch diesen Einbruch 2009 nach der bereinigten statistischen Gesamtrechnung - im August gab es
neue Zahlen - 5,1 Prozent unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung verloren. Ein solcher Einbruch ist in der
Nachkriegsgeschichte völlig einmalig. Anfang der Legislaturperiode hatte die Bundeskanzlerin das Ziel ausgegeben, bis 2013 wieder den Stand vor der Krise zu
erreichen. Sie hatte versprochen, dass Deutschland gestärkt aus der Krise herauskommen werde. Die Zahlen,
verehrte Kolleginnen und Kollegen, belegen, dass wir
Wort gehalten haben.
({7})
Wir dürfen uns aber nicht darauf ausruhen. Ich sage
es einmal ganz klar: Nachhaltige Investitionen im Mittelstand sind für unsere Zukunft bestimmt wichtiger als
windige Finanz- oder Immobilieninvestitionen irgendwo
auf der Welt.
({8})
Deshalb muss und wird Deutschland seine Rolle als Stabilitätsanker und Wachstumslokomotive zugleich in
Europa spielen. Das ist übrigens konkrete Politik für
mehr soziale Gerechtigkeit. Auch wenn viele Ökonomen
derzeit eine nachlassende konjunkturelle Dynamik feststellen, gibt es niemanden, der negative Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt erwartet. Man muss es noch einmal sagen: Wir haben heute viel mehr Menschen in Arbeit als noch vor wenigen Jahren.
({9})
Im Jahre 2005 waren 5 Millionen Menschen ohne Arbeit. Heute ist die Zahl um 2 Millionen niedriger; im August waren es 2,94 Millionen Arbeitslose.
({10})
Die Zahl der Erwerbstätigen lag im Juli bei mehr als
41 Millionen. Das ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um mehr als 500 000 Personen. Der Zuwachs bei
der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
ist übrigens noch größer: Es gab einen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr um rund 700 000 Arbeitnehmer; angesichts der Zwischenrufe weise ich darauf hin, dass mehr
als die Hälfte davon auf Vollzeitbeschäftigung entfällt.
Meine Damen und Herren, das ist der niedrigste Stand
der Arbeitslosigkeit seit der deutschen Wiedervereinigung. Das ist ein historischer Erfolg.
({11})
Weniger Arbeitslosigkeit, mehr Beschäftigung, mehr Arbeitsplätze bedeuten für die Menschen ganz konkret:
mehr Teilhabechancen und mehr Sicherheit. So zeigt
sich, dass der Aufschwung nicht allein durch höhere
Löhne bei den Menschen ankommt.
Unser Kurs der wachstumsfreundlichen Defizitreduzierung hat deutlich gemacht - das ist in diesen Tagen weltweit und in Europa von entscheidender Bedeutung -, dass
die Ziele, Stabilitätsanker und Wachstumslokomotive im
Euro-Raum zu sein, miteinander vereinbar sind. Man
muss daran erinnern, dass die US-Ökonomen Rogoff
und Reinhart vor kurzem in einer viel beachteten Untersuchung dargelegt haben, dass das Wirtschaftswachstum
ab einem bestimmten Verschuldungsgrad der öffentlichen Haushalte durch öffentliche Verschuldung nicht
mehr gesteigert, sondern gedämpft wird. Wir haben dazu
eine Art umgekehrten praktischen Beweis erbracht:
Durch konsequenten Defizitabbau und durch Stärkung
des Vertrauens in die deutsche Volkswirtschaft haben wir
mehr Investitionen erreicht und damit mehr Wachstum
generiert. Das ist die richtige Politik.
({12})
Wenn wir den eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen, dann leistet unsere Haushaltspolitik den besten
Beitrag zu Stabilität und nachhaltigem Wachstum.
Wir brauchen übrigens nicht nur in der Finanzpolitik
eine grundsätzliche Neubewertung der Verschuldung, einen Paradigmenwechsel. Um noch einmal Dahrendorf
zu zitieren: Die Kurzatmigkeit ökonomischen Handelns
- so hat er in einem Aufsatz geschrieben - und die Verantwortungslosigkeit gegenüber der Zukunft erforderten
einen Mentalitätswechsel, der zu einem neuen Verhältnis
zur Zeit in Wirtschaft und Gesellschaft führen müsse.
Das müsse an der Spitze bei der längerfristigen Orientierung der Managergehälter beginnen und insbesondere in
der Konzentration auf die Belange der Stakeholder
- statt wie bisher nur der Shareholder - seine Fortsetzung finden. Stakeholder sind die Gesamtheit: die Öffentlichkeit, Arbeitnehmer, Kunden und Lieferanten.
Shareholder sind nur die Eigentümer. Wer lange genug
im Deutschen Bundestag ist, mag sich daran erinnern,
dass der damalige Oppositionsführer - das war ich - bei
der Präsentation des Schröder/Blair-Papiers gesagt hat:
Das ist mir ein bisschen zu viel Shareholder-Value. Davon ist heute nicht mehr die Rede.
({13})
Man muss daran erinnern: So hat es mit Rot-Grün angefangen.
({14})
- Auch wir haben Fehler gemacht.
({15})
- Herr Kollege Poß, es wäre gut, wenn wir uns heute darauf verständigen könnten, dass wir uns einig sind, dass
wir den Weg, so wie Dahrendorf ihn beschrieben hat, ge14352
meinsam weitergehen. Dann haben wir eine gute
Chance, dass wir unser Land in einer schwierigen Zeit
weiterhin erfolgreich voranbringen.
({16})
- Keine Sorge. Die Geschlossenheit der Koalition ist allenfalls durch Ihre innerparteilichen Auseinandersetzungen zu übertreffen.
({17})
Ich will aber auch klar sagen - man muss es gelegentlich der Öffentlichkeit sagen, weil die Finanzmärkte nur
als etwas Bedrohliches angesehen werden -: Wir alle
sind darauf angewiesen, uns laufend zu refinanzieren.
Auch der Bund muss ständig hinreichend Anleihen auf
den internationalen Märkten platzieren. Im Übrigen darf
man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es ist
auch wahr, dass ohne das Schwungrad leistungsfähiger,
innovativer Finanzmärkte der Wohlstandsgewinn in den
Industrie- und Schwellenländern völlig undenkbar wäre.
Mehr noch: Ohne das Schwungrad leistungsfähiger
Finanzmärkte gibt es keine Chancen für die Menschen in
den Entwicklungsländern. Das müssen wir angesichts einer Weltbevölkerung von 7 Milliarden Menschen klar
sagen.
({18})
Das Problem sind nicht die Märkte, sondern die Übertreibungen und die Exzesse. Deshalb brauchen wir Grenzen und Regeln. Jede freiheitliche Ordnung - auch
Märkte - ohne Grenzen und Regeln zerstört sich selbst.
Das Problem ist, dass Regulierung angesichts der zunehmenden internationalen und globalen Verflechtungen auf
nationaler Ebene nur noch sehr eingeschränkt funktioniert. Wir brauchen ein starkes und handlungsfähiges
Europa und mehr internationale Zusammenarbeit. Die
Finanzmärkte müssen wieder auf ihre dienende Funktion
gegenüber der Realwirtschaft konzentriert werden.
Neben einer besseren Finanzmarktregulierung muss
vor allem dem Übermaß an öffentlicher Verschuldung in
den meisten Industrieländern entgegengewirkt werden;
denn dieses Übermaß an öffentlicher Verschuldung ist
- das belegen alle internationalen Analysen; das ist unstreitig - die Hauptursache für die krisenhafte Zuspitzung. Ich will daran erinnern - ganz bescheiden -, dass
sich alle teilnehmenden Industrieländer beim Weltwirtschaftsgipfel in Toronto im vergangenen Jahr verpflichtet haben, ihre Haushaltsdefizite bis 2013 zu halbieren.
Frau Bundeskanzlerin, ich sehe derzeit kein Land außer
Deutschland, das diese Verpflichtung erfüllt; wir werden
sie erfüllen.
({19})
Umso wichtiger ist, dass wir Kurs halten. Umso entscheidender ist, wie wir den Bundeshaushalt 2012 aufstellen.
Wir haben - auch das muss gesagt werden - in der
letzten Legislaturperiode die Schuldenbremse in das
Grundgesetz eingefügt. In der Rückschau wird einmal
der 17. Deutsche Bundestag - das sind wir - derjenige
sein, von dem die Wirksamkeit dieser neuen Schuldenregelung im Grundgesetz abhing. Erst unser konsequenter
Umgang mit dem gemeinsamen Ziel einer konsequenten
Defizitreduzierung wird diese Regelung mit Leben erfüllen und den notwendigen Mentalitätswechsel hin zu einer nachhaltigeren Politik prägen.
({20})
- Die Bundesbank sieht das ganz genauso. Sie tritt sehr
dafür ein, dass wir die Schuldenregel strikt umsetzen.
Deswegen ist es gut, dass wir Regierungsverantwortung
tragen und eine solide Finanzpolitik machen.
({21})
Dass das überall auf der Welt so gesehen wird, können Sie auch daran erkennen, dass die Bundesrepublik
Deutschland nach wie vor das Vertrauen der Finanzmärkte genießt. Das kann man nun wirklich nicht infrage
stellen. Das verschafft uns niedrige Refinanzierungskosten, was angesichts unserer Gesamtschuld von großer
Bedeutung für unsere Haushaltsspielräume ist. Mit dem
eingeschlagenen Weg der Defizitreduzierung und mit
der seit diesem Jahr voll wirksamen und verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse sichern wir das
Vertrauen bei Investoren und Anlegern, das auf den
Märkten derzeit rar ist. Auch darum geht es beim Haushalt 2012.
Dieser Haushaltsentwurf und der Finanzplan belegen
die Absicht der Bundesregierung, hinsichtlich der Konsolidierungsanstrengungen nicht nachzulassen. Bei der
mittelfristigen Finanzplanung gehen wir nach den Aufholeffekten in den Jahren 2010 und 2011 - das habe ich
übrigens schon in früheren Haushaltsdebatten gesagt von moderateren Wachstumsannahmen aus. Wir rechnen
ab 2013 mit durchschnittlich 1,6 Prozent jährlich.
Wir müssen dabei bedenken: Nachhaltige Politik, wie
wir sie verstehen, erfordert, dass sich unsere Haushaltsund Finanzpolitik an der gesellschaftlichen Realität und
an den politischen Herausforderungen orientiert. Dazu
gehört in allererster Linie der demografische Wandel,
der unsere mittel- bis langfristigen Wachstumschancen
begrenzen wird. Die Bundesregierung wird eine umfassende Strategie zur Auseinandersetzung mit den Folgen
des demografischen Wandels vorlegen. Wir können
diese Entwicklung kurzfristig zwar nicht ändern, aber
wir brauchen angesichts der möglichen mittel- und langfristigen Folgen auch nicht zu resignieren. Wir müssen
bei unseren Handlungen nur ständig die Zusammenhänge berücksichtigen. Deshalb brauchen wir eine öffentliche Kenntnisnahme und eine breite öffentliche Debatte.
Jedenfalls ist unter diesen Annahmen ein Wachstumsansatz von durchschnittlich 1,6 Prozent pro Jahr für
die mittelfristige Periode realistisch und zugleich ehrgeizig. Ich füge hinzu: Wir sollten uns von der Volatilität
von Quartalszahlen zur konjunkturellen Entwicklung
- 1,5 Prozent im ersten Quartal und 0,1 Prozent im zweiten Quartal - nicht verrückt machen lassen. Das gilt
übrigens auch, um das hinzuzufügen, für die monatlichen Statistiken zu den Steuereinnahmen. Sie laufen der
konjunkturellen Entwicklung logischerweise immer hinterher. Weil das so ist, bleibt die Bundesregierung dabei,
einen Sicherheitspuffer einzuplanen, damit wir die Verschuldungsobergrenze bei der Schuldenbremse auf keinen Fall überschreiten. Ich möchte das Bild von der
Bremse nicht überstrapazieren, aber auch wenn man eine
ganz gute Bremse hat, ist es vernünftig, nicht auf einen
Sicherheitsabstand zu verzichten. Dieses Prinzip liegt
unserer mittelfristigen Finanzplanung zugrunde.
({22})
Ich muss bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen,
dass sich die Schuldenbremse auf das sogenannte strukturelle Defizit bezieht. Das heißt, die geplante Nettokreditaufnahme wird um konjunkturelle Einflüsse bereinigt.
Rein konjunkturell bedingte, also nicht dauerhafte Mehreinnahmen, hauptsächlich aus Steuern, oder entsprechende Minderausgaben, vor allem aus dem Bereich des
Arbeitsmarkts, müssen nach diesem Konzept unmittelbar zur Senkung des Defizits eingesetzt werden. Sie dürfen nicht für strukturell wirkende Mehrausgaben oder
Mindereinnahmen verwendet werden. Anderenfalls würden wir das strukturelle Defizit erhöhen und sehenden
Auges eine Verletzung der Schuldenregeln riskieren.
Herr Kollege Schneider, wir werden dies im Haushaltsausschuss vorwärts und rückwärts durchrechnen, und
Sie werden sehen: Wir werden die im Grundgesetz verankerte Schuldenobergrenze nicht im Entferntesten berühren, geschweige denn verletzen.
({23})
Im Übrigen hat die Koalition verabredet, im Licht der
aktuellen Daten im Herbst über steuerpolitische Maßnahmen in dieser Legislaturperiode zu entscheiden. Dabei wird die Bekämpfung der kalten Progression im Vordergrund stehen. Die Preissteigerungsrate lag in den
letzten Monaten über dem Durchschnitt der vergangenen
Jahre, aber die Tendenz ist glücklicherweise eher rückläufig. Bei unserem progressiven System der Einkommensbesteuerung, also bei einem System, bei dem der
Prozentsatz der Besteuerung bei höheren Einkommen
ansteigt - was wir aus Gründen der sozialen Ausgewogenheit für richtig und unerlässlich halten -, führen
Preissteigerungen dazu, dass der Prozentsatz der Besteuerung ohne reale Einkommenszuwächse ansteigt. Wenn
man also eine nominale Erhöhung hat, die die Geldentwertungsrate nicht übersteigt, dann hat man real keinen
Zuwachs, zahlt aber einen höheren Prozentsatz an Steuern. Das sind die kalten Steuererhöhungen, und mit denen müssen wir uns auseinandersetzen.
({24})
Dabei darf man in der öffentlichen Debatte aber nicht
übersehen, dass wir der kalten Progression mit den zum
1. Januar 2010 in Kraft gesetzten steuerlichen Maßnahmen im Vorhinein erheblich entgegengewirkt haben. Bei
dieser Gelegenheit muss ich auf etwas hinweisen, das
alle betrifft: Die kalte Progression führt nicht nur beim
Bund zu Mehreinnahmen. Fast zwei Drittel der Steuermehreinnahmen, die die Steuerschätzung vom Mai für
das Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2009 ausweist, entfallen auf die Länder und Kommunen. Auch die Länder
und Gemeinden müssen konsolidieren. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es kann aber nicht richtig sein,
dass eine staatliche Ebene Mehreinnahmen aus der kalten Progression einfach einstreicht, während eine andere
Ebene allein dafür verantwortlich sein soll, den Menschen Geld zurückzugeben.
({25})
Man muss sich die Defizitzahlen für das erste Halbjahr 2011, die das Statistische Bundesamt in der vergangenen Woche gemäß den Maastricht-Kriterien veröffentlicht hat, noch einmal vor Augen führen. Sie zeigen, dass
die Ausgangsbedingungen für die Länder und Gemeinden sehr viel besser sind als für den Bund. Das Defizit
des Bundes belief sich im ersten Halbjahr 2011 laut Statistischem Bundesamt auf 14,7 Milliarden Euro. Dies
entspricht im Übrigen der erwarteten Neuverschuldung
in der Größenordnung von 30 Milliarden Euro. Das Defizit aller Länder belief sich im gleichen Zeitraum auf
2 Milliarden Euro und das der Kommunen auf insgesamt
0,6 Milliarden Euro. Da die gesetzlichen Sozialversicherungen im ersten Halbjahr einen Überschuss von 10 Milliarden Euro ausweisen, errechnet sich für das erste
Halbjahr ein gesamtstaatliches Defizit von 7,2 Milliarden Euro. Bei diesen Zahlen ist die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter noch nicht berücksichtigt. Wir haben beschlossen, dass der Bund die
Kommunen stufenweise und ab 2014 in voller Höhe
durch die Übernahme der Kosten der Grundsicherung im
Alter, die Rot-Grün den Kommunen auferlegt hat, entlasten wird. Im Jahr 2014 wird dies in Höhe von 4 Milliarden Euro geschehen, wobei der Betrag aufgrund der
demografischen Entwicklung in den Folgejahren ansteigen wird. Damit hat die Bundesregierung ihr Versprechen, die Kommunalfinanzen nachhaltig zu entlasten,
eingelöst. Auch das muss festgestellt werden.
({26})
Umso mehr muss der Bund darauf bestehen, dass die
notwendige Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushalts nicht immer stärker einseitig zulasten des Bundeshaushalts geht. Es gibt natürlich große Unterschiede
in der Haushaltslage zwischen den verschiedenen Kommunen und den verschiedenen Ländern. Sie auszugleichen, ist übrigens nach der föderalen Grundstruktur
unseres Grundgesetzes in erster Linie Sache der Bundesländer. Aber wenn man die staatlichen Ebenen insgesamt
vergleicht, ist nicht zu bestreiten, dass der Bund eine wesentlich größere Konsolidierungsaufgabe hat, nicht zuletzt deshalb, weil er sich in den letzten Jahren im Zuge
der Finanz- und Wirtschaftskrise stellvertretend für alle
staatlichen Ebenen verschuldet hat, um den schlimmsten
Auswirkungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. Auch das muss man anführen.
({27})
Deswegen gehe ich davon aus, dass die Länder ihre Verantwortung kennen - sie sind ja auch hinreichend vertreten ({28})
und dass sie die grundgesetzliche Aufteilung der Gemeinschaftssteuern respektieren werden.
({29})
Dass der Bund strikte Ausgabendisziplin übt, lässt
sich am vorliegenden Haushaltsentwurf erkennen. Ich
will Sie nur mit wenigen Zahlen belästigen. Die Ausgaben des Bundes steigen 2012 gegenüber dem Soll 2011
um lediglich 0,07 Prozent. Über den gesamten Finanzplanungszeitraum sehen wir einen durchschnittlichen
Ausgabenanstieg von 0,7 Prozent vor. Das ist im historischen Vergleich ein einmalig niedriger Wert.
({30})
Der Regierungsentwurf sieht für das Jahr 2012 eine
Neuverschuldung in Höhe von 27,2 Milliarden Euro vor.
Das sind immer noch 27 Milliarden Euro Neuverschuldung. Wir schwimmen nicht im Geld, aber wir ertrinken
auch nicht mehr in Schulden. Es sind jetzt also 13 Milliarden Euro weniger Neuverschuldung für 2012 vorgesehen als im alten Finanzplan - und dies, obwohl wir mit
unserem Haushalt neue politische Schwerpunkte berücksichtigen. Ich nenne davon drei.
({31})
Zum einen berücksichtigen wir im vorliegenden
Haushaltsentwurf die energiepolitischen Beschlüsse
vom 30. Juni 2011. Durch den beschleunigten Ausstieg
aus der Atomenergie werden in den nächsten Jahren
erhebliche Investitions- und Forschungsmaßnahmen erforderlich, um den zügigen Ausbau der regenerativen
Energien zu schaffen. Deshalb wird die finanzielle Ausstattung des Energie- und Klimafonds - abgekürzt:
EKF - noch einmal deutlich verbessert. Natürlich werden die Einnahmen aus der Brennelementesteuer unter
den Erwartungen liegen, wenn wir die Atomkraftwerke
schrittweise abschalten und somit weniger Atomkraftwerke am Netz sein werden. Insgesamt bedeutet das für
den Bundeshaushalt Belastungen auf der Einnahmeseite
in Höhe von etwa 2 Milliarden Euro pro Jahr.
Wir haben zweitens im Bereich des Bundesverteidigungsministers die Einsparungen gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung über einen längeren Zeitraum, das heißt bis 2015, gestreckt. Damit hat die
Bundeswehrreform eine verlässliche Grundlage. Aus
dieser Entscheidung folgen ab 2013 gegenüber der bisherigen Finanzplanung jährlich geringere Einsparungen
in Höhe von bis zu 2,4 Milliarden Euro. Ich glaube, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass das in unserer gemeinsamen Verantwortung liegt. Die Bundeswehr ist
eine Parlamentsarmee. Die Soldaten, die für unsere Freiheit und unsere Demokratie ihr Leben riskieren, sollen
unter guten Bedingungen ihren Dienst leisten können.
Das sind wir ihnen schuldig.
({32})
Schließlich hat der Europäische Rat vereinbart, als
Teil der Gesamtstrategie zur Vermeidung künftiger
Staatsschuldenkrisen und zur dauerhaften Stabilisierung
der Euro-Zone ab 2013 einen Europäischen Stabilisierungsmechanismus - abgekürzt: ESM - einzurichten,
damit wir im Ernstfall für notwendige Anpassungsmaßnahmen besser gerüstet sind. Hierfür wird Deutschland
nach der Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag
- es ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der ratifiziert werden muss - einen Beitrag zum einzuzahlenden Kapital in
Höhe von insgesamt rund 22 Milliarden Euro in fünf
gleichen Jahrestranchen von je 4,3 Milliarden Euro ab
dem Jahr 2013 leisten müssen. Auch dies ist in der mittelfristigen Finanzplanung abgebildet und berücksichtigt.
Übrigens gehen wir mit der Leistung von Bareinlagen
für den Europäischen Stabilisierungsmechanismus im
Vergleich zu dem alternativen Modell des EFSF einen
für Deutschland in mehrfacher Hinsicht vorteilhaften
Weg. An der Einzahlung der Einlagen sind nämlich alle
Länder der Euro-Zone in gleicher Weise beteiligt und
nicht nur die Länder der Euro-Zone mit Triple-A-Rating.
Damit wird die Einlagenlösung für Deutschland insgesamt billiger, weil die für ein Spitzenrating erforderliche
Übersicherung durch das eingezahlte Kapital geringer
wird. Im Übrigen sind die ESM-Einlagen - auch das will
ich sagen - im Sinne der Schuldenbremse neutral. Sie
sind nicht zum strukturellen Defizit zu rechnen, weil ihnen eine Position gegenübersteht; aber die Nettokreditaufnahme erhöht sich.
Trotz dieser zusätzlichen Haushaltsbelastungen gelingt es uns, auch in den folgenden Jahren die jährliche
Neuverschuldung kontinuierlich zurückzuführen, bis auf
14,7 Milliarden Euro im Jahr 2015. Das für die Schuldenbremse maßgebliche strukturelle Defizit wird nach
2012 weiter, um rund 6 Milliarden Euro pro Jahr, sinken.
Es ist aus heutiger Sicht denkbar - wir können es allerdings nicht versprechen; man sollte bei Prognosen immer vorsichtig sein -, dass wir die ab 2016 geltende Vorgabe des Grundgesetzes - ein strukturelles Defizit von
maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts schon 2015 einhalten. Also: Wir setzen mit diesem
Haushaltsentwurf und mit der mittelfristigen Finanzplanung den Defizitabbau konsequent fort.
Ich will daran erinnern: Der erste Haushaltsplan, den
ich als Finanzminister einzubringen hatte, war der für
2010. Im ersten Entwurf - noch von der Vorgängerregierung, der ich, wenn auch nicht als Finanzminister, angehört habe - war als Neuverschuldung die Rekordzahl
von 86 Milliarden Euro vorgesehen. So lange ist das
noch nicht her, ein bisschen mehr als anderthalb Jahre.
({33})
- Ich habe ja gesagt: Ich habe der Regierung angehört.
({34})
- Herr Kollege Steinbrück, ich weiß nicht, ob Sie mir
schon die ganze Zeit die Ehre Ihrer Aufmerksamkeit haBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
ben zuteilwerden lassen. Für den Fall, dass es so gewesen sein sollte, müssten Sie wissen, dass ich vorhin
schon sehr deutlich gesagt habe: Wir haben den
schlimmsten Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt entgegengewirkt.
({35})
- Herr Kollege Steinbrück, wenn Sie Kanzlerkandidat
werden wollen, müssen Sie sich noch ein bisschen bessere Manieren zulegen; sonst wird das nichts.
({36})
Ich wiederhole es in großer Ruhe: Ich bekenne mich
dazu, dass ich der Regierung angehört habe. Das ändert
überhaupt nichts.
({37})
- Wenn Sie sonst keine Argumente haben, ist es gut;
aber es wird wohl so bleiben.
Es war völlig richtig, dass wir in der Krise und nach
der Krise diese Politik betrieben haben; das habe ich
gesagt. Man kann dann die Folge, dass die Defizite angestiegen sind, nicht bestreiten. Wenn wir heute den Haushaltsentwurf 2012 bewerten, müssen wir an die Ausgangslage erinnern. Sie war nun einmal so, dass Ende
2009 die geplante Neuverschuldung für 2010 86 Milliarden Euro betrug.
({38})
Diesen Wert konnten wir im Laufe des Jahres 2010
schrittweise reduzieren. Als im Jahre 2011 für 2010 spitz
abgerechnet war, waren es noch 44 Milliarden Euro. Den
Haushalt 2011 haben wir im Bundestag im vergangenen
Jahr mit einer geplanten Neuverschuldung von 48 Milliarden Euro verabschiedet. Wenn die derzeitige Entwicklung einigermaßen konstant verläuft, werden wir
am Ende des Jahres im Vollzug bei einer Größenordnung
von rund 30 Milliarden Euro liegen. Diesen eingeschlagenen Abbaupfad gehen wir mit dem nun vorliegenden
Haushaltsentwurf 2012 und der mittelfristigen Finanzplanung konsequent weiter. Er ist ein guter Weg: für
Deutschland und für die Stabilität und das Wachstum in
Europa.
({39})
Natürlich verdanken wir diese erfreuliche Entwicklung auch dem bislang guten Konjunkturverlauf; das ist
gar keine Frage. Darüber kann man sich freuen. Im Übrigen bin ich fest davon überzeugt: Mit unserer wachstumsfreundlichen Konsolidierung haben wir zu einem
guten Teil zu diesem Verlauf beigetragen.
({40})
Ich will gleich mahnend hinzufügen: Natürlich müssen wir die Zielgrößen für die Ausgaben und die Neuverschuldung in der mittelfristigen Finanzplanung erst noch
erreichen. Noch steht zum Beispiel die europaweite Einführung einer Finanztransaktionsteuer aus.
({41})
- Darüber können wir gerne diskutieren.
({42})
Die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident haben sich Anfang August erneut mit großem
Nachdruck dafür eingesetzt.
({43})
Die Kommission hat erklärt, sie werde dazu einen Vorschlag vorlegen. Wir arbeiten also mit aller Kraft daran.
({44})
- Ich weiß nicht, warum Sie nicht hören wollen, dass wir
auf dem guten Weg der Konsolidierung sind.
({45})
Offenbar haben Sie bessere Laune, wenn es um Schulden als wenn es um die Rückführung der Verschuldung
geht.
({46})
Wir haben ein Aufkommen aus der Finanztransaktionsteuer ab 2013 eingestellt. Es ist nicht sicher, ob es
uns tatsächlich zur Verfügung stehen wird. Für den
Haushalt 2012 konnten wir ein solches Aufkommen entgegen der bisherigen Planung nicht berücksichtigen; dafür besteht keine Chance. Ich hatte das im Frühjahr
schon erläutert.
Im Übrigen lassen sich im Rahmen einer konsequenten Konsolidierung politische Gestaltungsspielräume
nutzen. In dieser Legislaturperiode steht das Thema
„Bildung und Forschung“ als zentraler politischer
Schwerpunkt im Mittelpunkt unserer Politik. Die Bundesrepublik Deutschland ist auf dem Weg zur Bildungsrepublik.
({47})
Wir werden in den Jahren 2010 bis 2013 insgesamt
12 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Das
spiegelt sich im Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wider, der im Regierungsentwurf
erneut überproportional ansteigt, und zwar im Vergleich
zum Vorjahr um gut 10 Prozent. In Relation zum Ist des
Jahres 2010 können wir mit einer Steigerung um 21 Prozent sogar einen Anstieg um über 2,3 Milliarden Euro
verzeichnen. Wir halten Wort, wenn wir sagen: Bildung
und Forschung haben für diese Regierung Priorität. Das unterlegen wir mit Zahlen.
({48})
Mit unserer Schwerpunktsetzung in der Bildungs-,
der Forschungs- und auch in der Energiepolitik schaffen
wir die besten Voraussetzungen für eine innovative,
wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft mit gut ausgebildeten Fachkräften. Oder, um es anders zu sagen: Wir
schaffen die Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum.
Weil die Investitionsausgabenquote im Entwurf des
Haushalts und auch in der mittelfristigen Finanzplanung
teilweise kritisch hinterfragt wird, will ich darauf hinweisen, dass ich die Abgrenzung der Investitionsausgaben in unserer Haushaltsrechnung für fragwürdig halte.
Meine Überzeugung ist, dass angesichts der modernen
Entwicklung, insbesondere vor dem Hintergrund unserer
demografischen Entwicklung, Investitionen in das Humankapital möglicherweise stärkere Wachstumsimpulse
generieren als Sachinvestitionen.
({49})
Deshalb haben wir bei aller notwendigen Konsolidierung unsere Ausgaben für Bildung und Forschung und
auch Integration nicht verringert, sondern verstärkt.
({50})
Natürlich bleibt jede Finanzpolitik eingebettet in die
globale Entwicklung von Weltwirtschaft und Finanzmärkten. Wir werden am Donnerstag dieser Woche die
Beratungen über die gesetzgeberische Umsetzung der
von den Mitgliedstaaten der Euro-Zone beschlossenen
Maßnahmen zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der
EFSF, der europäischen Finanzierungsfazilität, die wir
im vergangenen Jahr vorübergehend - bis zur Schaffung
des Stabilisierungsmechanismus - geschaffen haben,
aufnehmen.
Deshalb will ich jetzt eher grundsätzlich in Erinnerung rufen, dass wir die europäische Währung in den
90er-Jahren auf den Weg gebracht haben, weil wir die
erreichte wirtschaftliche Integration in Europa unumkehrbar machen wollten und weil wir mit einer gemeinsamen Währung große positive Impulse für die
wirtschaftlichen Interessen aller Euro-Mitgliedsländer
erzielen. Man muss sich das wieder und wieder klarmachen: In einer globalisierten Welt, in der die Vertiefung
der internationalen Arbeitsteilung die Abhängigkeit jeder Volkswirtschaft von globalen Entwicklungen wesentlich verschärft und im Übrigen den Wettbewerbsdruck auf alle Volkswirtschaften verstärkt, brauchen wir
eine gemeinsame europäische Währung.
Diese gemeinsame europäische Währung - das muss
man bei allen Sorgen ins Gedächtnis rufen - ist eine stabile Währung geworden: Die durchschnittliche Preissteigerungsrate war seit der Einführung des Euro niedriger
als die durchschnittliche Preissteigerungsrate zu Zeiten
der D-Mark. Der äußere Wert des Euro, also der Austauschkurs, ist seit seiner Einführung gegenüber fast allen anderen Währungen deutlich gestiegen. Auch daran
muss man erinnern. Der Euro war und ist eine stabile
Währung. Das Versprechen einer stabilen Währung ist
nicht gebrochen, sondern eingehalten.
({51})
Die Erwartung, dass eine gemeinsame Währung
große positive wirtschaftliche Impulse mit sich bringt,
hat auch nicht getrogen, sondern ist bestätigt. Deutschland als eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder
in der Euro-Zone hat mit am meisten davon profitiert.
({52})
Das muss man bei allen Problemen und Sorgen wieder
und wieder ins Gedächtnis rufen.
Dabei rede ich gar nicht vom politischen Glück eines
vereinten Europa, obwohl man das vor dem Hintergrund
unserer europäischen Geschichte mit ihren unendlichen
Kriegen und für uns als das Land mit den meisten direkten Nachbarn in Europa gar nicht hoch genug bewerten
kann. Wir sollten jedenfalls das politische Glück eines
vereinten Europa nicht aufs Spiel setzen, bloß weil es
scheinbar selbstverständlich geworden ist.
({53})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich meine es
auch rein wirtschaftlich. Unsere Verflechtung in den internationalen Leistungsaustausch mit Exporten und Importen ist höher als die aller anderen vergleichbaren
Länder in der Welt. An unseren Exporterfolgen hängt ein
wesentlicher Teil unserer wirtschaftlichen Leistungskraft, unserer Arbeitsplätze und unserer sozialen Sicherheit. Über 60 Prozent unserer Exporte gehen in andere
europäische Länder. Ohne eine gemeinsame Währung
wäre unsere wirtschaftliche Lage wesentlich weniger
gut.
Man stelle sich im Übrigen vor, wir hätten in und
nach den Turbulenzen der Weltfinanz- und -wirtschaftskrise seit 2008 keine gemeinsame europäische Währung
gehabt.
({54})
Die Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt
durch gewaltige Verspannungen zwischen den einzelnen
Währungen wären wesentlich größer geworden, und wir
wären in der Überwindung der Krise lange nicht so weit,
wie wir heute sind.
({55})
Herr Kollege Trittin, die Schweiz ist nun nicht dafür
berühmt, sich durch ein Übermaß an Euphorie, Europa
beizutreten, auszuzeichnen. Wenn jetzt in der Schweiz
überlegt wird, den Schweizer Franken an den Euro anzukoppeln, dann sollte das jedem in Deutschland, der
glaubt, ohne den Euro hätten wir weniger Probleme, zu
denken geben.
({56})
Die Konstruktion einer gemeinsamen Währung, bei
der die Geldpolitik vergemeinschaftet und - übrigens
ganz im Sinne unseres Grundverständnisses von Geldpolitik - einer unabhängigen Notenbank anvertraut wird,
während die Finanz- und Haushaltspolitik sowie wesentliche Teile der Wirtschaftspolitik in der Zuständigkeit
der Mitgliedstaaten verbleiben, ist in der Wirtschaftsgeschichte neu. Das wussten wir aber.
Deswegen waren übrigens viele, vor allem in der angelsächsischen Welt, von Anfang an skeptisch. Wir in
der Bundesrepublik Deutschland wollten schon damals
die politische Union, also vertiefte Schritte institutioneller Vergemeinschaftung. Das war in den 90er-Jahren
aber nicht zu erreichen.
An dieser Stelle muss man daran erinnern, dass die
europäische Integration seit dem Zweiten Weltkrieg immer nur Schritt um Schritt vorangekommen ist. Das war
schon in den 50er-Jahren nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Frankreich nicht
anders. Meistens war es so, dass die wirtschaftliche Integration politische Integration nachgezogen hat. Wir sind
immer mit wirtschaftlicher Integration vorangegangen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf diesem Wege sind
wir in Europa in diesen über 50 Jahren zu unserem
Glück weit vorangekommen.
({57})
Deshalb hat man bei der Einführung der gemeinsamen Währung den Stabilitäts- und Wachstumspakt abgeschlossen. Dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt
verpflichtet jedes Mitgliedsland zur Einhaltung von
Grenzen in der Finanz- und Haushaltspolitik, die die Stabilität einer gemeinsamen Währung erfordert.
In diesem Zusammenhang muss man an Folgendes
erinnern: Die Ersten, die massiv gegen diese Verpflichtung verstoßen haben, waren Deutschland und Frankreich im Jahr 2004.
({58})
Das war ein schwerer Fehler. Er wird uns heute bei
manchmal kritischen Diskussionen über andere entgegengehalten. Wir sollten diesen Fehler auch nicht verdrängen.
({59})
Ich füge hinzu: Nach meiner Einschätzung hat sich
der Mechanismus des Stabilitäts- und Wachstumspaktes,
der grundsätzlich richtig ist, gegenüber den unglaublichen Beschleunigungen in den globalen Finanzmärkten,
wie wir in der Krise, die durch den Zusammenbruch von
Lehman Brothers ausgelöst wurde, überhaupt erst richtig
gelernt haben, als zu langsam erwiesen. Das ist der
Grund dafür, dass sich heute aus der Schuldenkrise eines
Mitgliedslandes, das nicht mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Euro-Zone vertritt, wegen der Ansteckungsgefahr über die Finanzmärkte ein Problem für
die Euro-Zone als Ganzes ergeben kann. Aus diesem
Grund müssen wir unsere Währung verteidigen: in unserem eigenen Interesse, natürlich in unser aller Interesse.
({60})
Hilfe für Länder, die in Schwierigkeiten sind, kann
immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Deshalb sind harte
Schnitte zur Rückführung von Haushaltsdefiziten und
Staatsverschuldung unvermeidlich. Sie sind im Zweifel
- das haben wir in den betreffenden Ländern gesehen mit schweren innenpolitischen Auseinandersetzungen
verbunden. Ich habe schon bei anderer Gelegenheit in
diesem Hohen Hause gesagt, dass wir davor auch Respekt haben müssen. Sie sind aber unvermeidlich. Jedenfalls zeigen die innenpolitischen Auseinandersetzungen
auch, dass das Bild von der bequemen Hängematte, die
wir anderen ermöglichen würden, das in Deutschland
zum Teil gezeichnet wird, ganz gewiss falsch ist. Wir
sollten das nicht fortsetzen.
({61})
Ersparen können wir es aber nicht.
Genauso sind strukturelle Reformen zur Verbesserung
der wirtschaftlichen Leistungskraft und Wettbewerbsfähigkeit unumgänglich. Man muss wissen, dass die
Globalisierung und eine gemeinsame Währung den
Wettbewerbsdruck bzw. den Druck auf die Wettbewerbsfähigkeit jeder Volkswirtschaft dramatisch erhöhen. Das
haben alle gewollt, aber dann muss man sich auch diesen
Herausforderungen stellen. Es gibt das eine nicht ohne
das andere.
Schließlich müssen wir noch - das können wir sicherlich auch - das europäische Instrumentarium von Strukturhilfen und Programmen zielführender, konzentrierter
und weniger bürokratisch nutzen. All dies haben übrigens die Staats- und Regierungschefs der Länder der
Euro-Zone am 21. Juli beschlossen.
Aber damit all dies wirken kann, brauchen die Länder
Zeit, bis sie sich an den Finanzmärkten wieder zu erträglichen Konditionen refinanzieren können. Dafür haben
wir im vergangenen Jahr übergangsweise die privatrechtlich konstruierte Finanzierungsfazilität, die EFSF,
geschaffen. Bis Mitte 2013 wollen wir als internationale
Finanzinstitution den ESM durch einen völkerrechtlichen und noch zu ratifizierenden Vertrag zur Verfügung
stellen.
Die Instrumente des EFSF müssen wir nun erweitern,
damit wir möglichen Ansteckungsgefahren aus der
Krise, insbesondere im Bankensektor, frühzeitig entgegentreten können.
({62})
Das alles geht nur Zug um Zug. Ohne energische Reformen in den betroffenen Ländern wäre jede Hilfe nicht
zielführend. Deshalb ist verabredet und gesetzlich festgelegt, dass die Einhaltung der Verabredungen durch
IWF und EZB, also durch den Internationalen Währungsfonds und die Europäische Zentralbank, und Europäische Kommission vierteljährlich überprüft wird. Erst
wenn diese gemeinsam bestätigen, dass die Voraussetzungen vorliegen, kann die jeweils nächste Tranche ausgezahlt werden. Dabei gibt es keinen Entscheidungsspielraum.
Das ist die aktuelle Situation in Griechenland, wo die
Troika-Mission unterbrochen worden ist. Die TroikaMission muss fortgesetzt werden und zu einem positiven
Abschluss kommen. Andernfalls kann die nächste Tranche für Griechenland nicht ausgezahlt werden. Das muss
man in Griechenland wissen.
({63})
Das ist so geregelt: sobald die Voraussetzungen vorliegen. Das ist Gegenstand vertraglicher Absprachen, und
es ist Gegenstand unserer Gesetzgebung. Das ist bindend. Dafür gibt es keinen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum.
({64})
Ich füge gleich hinzu, Herr Kollege Steinmeier: Solange wir keine anderen Instrumente haben, um die Einhaltung der verabredeten Grenzen für nationale Finanzund Haushaltspolitik zu garantieren - damit sind wir
nämlich beim Kern des Problems -, können und dürfen
wir das Zinsrisiko nicht vergemeinschaften.
({65})
Denn die unterschiedlichen Zinsen sind der stärkste Anreiz für Solidität. Die unterschiedlichen Zinsen sind im
Übrigen die notwendige Voraussetzung dafür, dass wir
gegebenenfalls Anpassungsauflagen durchsetzen können. Deswegen kann darauf, solange die Konstruktion
und die Architektur so sind, wie sie sind, nicht verzichtet
werden.
({66})
Deswegen sage ich mit großer Klarheit: Ohne institutionelle Veränderungen Euro-Bonds einzuführen - diese
Forderung wird von der Opposition erhoben -, wäre bestenfalls falsch verstandene Solidarität. Der Euro würde
seinen Ruf als stabile Währung verlieren.
({67})
- Herr Kollege, bevor Sie mir unterstellen, dass ich Unsinn rede, geben Sie mir die Chance, Ihnen das noch einmal zu erklären.
({68})
Weil wir die Finanz- und Haushaltspolitik nicht vergemeinschaftet haben, aber eine gemeinsame Währung
haben, brauchen wir Anreizsysteme; denn wir haben
noch keine Automatismen und keine institutionellen Voraussetzungen, die die Mitgliedsländer dazu veranlassen
- notfalls durch Anpassungsauflagen -, die Regeln gemeinsamer Finanzpolitik einzuhalten, ohne die der Euro
nicht stabil ist. Wenn wir diese Anreizsysteme beseitigen, indem wir das Zinsrisiko vergemeinschaften, wird
der Euro blitzschnell das Vertrauen verlieren und nicht
mehr als stabile Währung betrachtet. Das hat die Ratingagentur Standard & Poor’s in diesen Tagen erkannt. Sie
hat gesagt, sie würde Euro-Bonds unter diesen Bedingungen als Ramschpapiere einstufen. Das ist vielleicht
übertrieben, zeigt aber die Richtung an.
({69})
- Nein, überhaupt nicht. Mit den Linken über Haushaltskonsolidierung und solide Haushaltspolitik zu diskutieren, ist vielleicht amüsant, aber nicht wirklich zielführend. Das ist wahr.
({70})
Ich will mit allem Ernst hinzufügen: Wenn der Euro
nicht mehr Ausdruck einer Stabilitätsgemeinschaft in
Europa ist - das möge jeder bedenken -, verlieren wir
nicht nur wirtschafts- und finanzpolitisch den Boden unter den Füßen, sondern werden wir auch bei der europäischen Integration die entscheidende Unterstützung der
Bevölkerung der Mitgliedstaaten verlieren. Die Deutschen wollen ein stabiles, handlungsfähiges Europa, aber
keine Schulden- und Inflationsgemeinschaft. Das wollen
wir nicht.
({71})
Wem also Europa am Herzen liegt und wer dafür
wirbt, den Weg der europäischen Integration fortzusetzen, der muss für Stabilität in Europa eintreten. Anders
ist das nicht zu machen.
Natürlich müssen wir die jetzige Krise auf der Basis
der geltenden Verträge bewältigen; wir haben keine anderen. Das ist auch möglich. Die zum EFSF verabredeten Maßnahmen sind dazu geeignet. Ich will aber auch
klar sagen: Für eine dauerhafte Lösung für die gemeinsame Währung und die wirtschaftliche Integration müssen wir zu einer Weiterentwicklung durch institutionelle
Reformen kommen. Wir müssen in Europa voranschreiten - oder wir werden zurückfallen.
({72})
Ich habe die Ansteckungsgefahr im Finanzsektor erwähnt. Ich will die Gelegenheit nutzen, hinzuzufügen,
dass wir die Berechnungen des Internationalen Währungsfonds über den angeblichen Rekapitalisierungsbedarf der europäischen Banken für überzogen halten. Wir
werden darüber am Wochenende im Kreis der G-7-Finanzminister in Marseille sprechen können und sprechen
müssen. Das hat eine große Bedeutung für die Märkte.
Der IWF hat bei seinen Berechnungen offensichtlich die
seit 2009 vorgenommenen Abschreibungen ebenso wenig berücksichtigt wie die bestehenden Absicherungsgeschäfte. Es besteht die Gefahr, dass die in dem Report
über die globale Finanzstabilität veröffentlichte Gesamtzahl von 397 Milliarden Dollar von der Öffentlichkeit
als Rekapitalisierungsbedarf der europäischen Banken
insgesamt verstanden wird. Das ist für den Markt ungeBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
heuer gefährlich. Dabei ist völlig klar, dass das kein Kapitalfehlbedarf ist, weil ein Großteil der Forderungen
nicht in den Handelsbüchern der betroffenen Banken ist,
sondern bis zur Endfälligkeit in den Anlagebüchern gehalten wird. Das heißt: Die Zahlen des IWF sind teils
falsch, teils missverständlich. Wir müssen dem entgegentreten, damit die falschen Zahlen keine Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben, die wir im Augenblick
leider beklagen müssen.
({73})
Wir werden im Übrigen bei den Beratungen der G-7Finanzminister am Wochenende darlegen, dass wir mit
der Erweiterung des EFSF-Instrumentariums gut vorbereitet sind. Gut vorbereitet sind vor allen Dingen wir in
Deutschland - liebe Kolleginnen und Kollegen, das füge
ich hinzu - mit unserem Restrukturierungsgesetz. Wir
sind damals im Vorgriff auf eine europäische Regelung
zur Bankenrestrukturierung national vorangegangen.
Hoffentlich kommt eine solche Regelung bald zustande,
damit wir bei einer nächsten Krise nicht in die Lage geraten, in der wir 2008 gemeinsam, Herr Kollege
Steinbrück, gewesen sind. Wir haben ja die Lehren daraus gezogen.
({74})
Wir sind übrigens auch beim Verbot ungedeckter
Leerverkäufe im vergangenen Jahr national, im Alleingang, vorangegangen. Wir haben dafür eine Menge Kritik bekommen, insbesondere von Ländern, die ein solches Verbot mittlerweile ebenfalls eingeführt haben.
Dies bringt mich zu der Bemerkung, dass nicht immer
der Langsamste das Tempo bestimmen darf, wenn wir
die Lehren aus der Finanz- und Bankenkrise rechtzeitig
ziehen wollen.
({75})
Es ist in diesem Sinne viel erreicht worden; aber das
Momentum, aus den Erfahrungen der Krise zu lernen,
darf nicht verloren gehen. Wir müssen insbesondere die
alternativen Marktteilnehmer - das ist ein Schwerpunkt
der kommenden Arbeiten - stärker in den Regulierungen
erfassen. Wir müssen bei allen strukturierten Produkten
Transparenz auch durch zentrale Gegenparteien schaffen, und wir dürfen uns bei diesen Bemühungen nicht zu
schnell von angeblichen Standortinteressen behindern
lassen.
({76})
Es zeigt sich gerade bei der Finanzregulierung gelegentlich, dass der Einfluss von grundsätzlich legitimer
Interessenvertretung angesichts der Kompliziertheit der
Materie die notwendige Reformbereitschaft in Parlamenten häufig eher schwächt als stärkt. Aber wir müssen
die Lehren aus der Krise entschlossen ziehen.
({77})
Denn an der Frage der Fähigkeit, aus Fehlern und Irrtümern zu lernen, entscheidet sich letztlich die Überlegenheit freiheitlicher Ordnung.
({78})
Manchmal scheint es mir, als ob in den Weltfinanzmärkten bezweifelt werde, ob unsere westlichen Demokratien insgesamt noch in der Lage seien, die notwendigen
strukturellen Entscheidungen schnell genug zustande zu
bringen, um mit der beschleunigten Entwicklung der
Globalisierung Schritt zu halten. Ich will auch darüber
mit meinen Kollegen in Marseille sprechen. Im Zusammenhang mit unserer Fähigkeit, in aufregend schnellen
Veränderungen Stabilität, Zukunftsvertrauen, soziale
Fairness und Nachhaltigkeit zu gewährleisten, steht
mehr als nur unsere Wirtschaftsordnung auf dem Spiel.
Deshalb müssen wir übrigens auf der Beteiligung der
Privatgläubiger im Falle von Restrukturierungsmaßnahmen bestehen, auch wenn es nicht allen Marktteilnehmern gefällt. Aber für die politische Legitimation ist dies
unerlässlich, und wir werden darauf bestehen.
({79})
Märkte brauchen Grenzen und Regeln, und deshalb dürfen wir den notwendigen Strukturentscheidungen auch
nicht durch den scheinbar bequemen Ausweg in höhere
Verschuldungen oder Inflation ausweichen.
Wir sind ganz offensichtlich in einem schwierigen
Fahrwasser der Entwicklung der Weltwirtschaft und der
Finanzmärkte. Die Handlungsspielräume sind - um es
noch einmal zu sagen - wegen überzogener Verschuldung in den meisten Industrieländern nicht mehr groß.
Das belegen übrigens gerade die Berichte - auch die des
IWF selbst -, in deren Empfehlungen die weitere Reduzierung der Defizite für zwingend notwendig erklärt
wird und in denen anschließend defizitfinanzierte Konjunkturprogramme gefordert werden. Das ist ein bisschen in sich widersprüchlich, zeigt aber in Wahrheit nur,
wie gering die Handlungsspielräume geworden sind.
Wir brauchen also Strukturwandel und Stabilität, und
wir brauchen neues Vertrauen. Deshalb muss Deutschland Stabilitätsanker und Wachstumslokomotive in
Europa bleiben. Die Bundesregierung ist entschlossen,
sich dieser Aufgabe zu stellen. Solidität und Nachhaltigkeit sind die Grundlage für Vertrauen, und der Haushalt
2012 leistet dazu seinen Beitrag.
({80})
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich im Zusammenhang mit dem weiteren Ablauf der Haushaltsberatungen dieser Woche darauf hinweisen, dass Einvernehmen unter den Fraktionen darüber hergestellt worden
ist, dass wir die Beratungen morgen früh mit dem Etat
des Auswärtigen Amtes beginnen und anschließend
- voraussichtlich ab etwa 10.30 Uhr - den Etat des
Kanzleramtes aufrufen. Da jetzt vermutlich eine etwas
höhere Zahl von Kolleginnen und Kollegen für die Über14360
Präsident Dr. Norbert Lammert
mittlung dieser Nachricht erreicht wird, als es heute am
späten Nachmittag, am Ende des ersten Debattentages
der Fall sein könnte, ist es, glaube ich, klug, das an dieser Stelle ins allgemeine Bewusstsein zu heben.
Nun eröffne ich die Aussprache und erteile dem Kollegen Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzten Wochen und Monate haben immer deutlicher gezeigt
- auch der gestrige Abend im Übrigen -: Wir haben eine
Schönwetterregierung, die nicht krisenfest ist. Das ist die
Realität in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Herr Schäuble, Sie sind der intelligenteste Schönredner dieser Schönwetterregierung,
({1})
der, bei aller Intelligenz, aber auch mit Gedächtnislücken ausgestattet ist;
({2})
denn natürlich war der Einwand von Herrn Steinbrück
berechtigt. Geplant war in der Großen Koalition, bevor
die Krise kam, eine Neuverschuldung in 2010 von 6 Milliarden Euro. Daraus wurden dann aufgrund der Krise
86 Milliarden Euro. Ihre Darstellung hierzu war tendenziös.
({3})
Es wurde hier subkutan irgendjemandem etwas in die
Schuhe geschoben.
Auch Ihre Darstellung der Revision des Stabilitätsund Wachstumspaktes in 2005 ist - im Übrigen hat die
Bundeskanzlerin etwas Ähnliches gemacht - immer wieder Legendenbildung; denn unsere Schuldenbremse
- Herr Schäuble hat es lediglich angedeutet - ist der Logik dieser Revision angepasst. Ohne diese Änderung in
2005 hätten wir in der Großen Koalition außerdem die
Krisenpakete im Umfang von 80 Milliarden Euro gar
nicht schultern können. Das ist die Wahrheit und nicht
die Legenden, die von Ihnen hier kommen.
({4})
An den wenigen Beispielen zeigt sich, dass Sie, wenn
Sie in der Ecke sind - und Sie sind in der Ecke -, nur
noch mit billigen Ausreden und Ausflüchten klarkommen, und das reicht nicht als Anspruch für eine Regierung.
Die hehren Weisheiten und Absichten, die Herr
Schäuble in vielen seiner Reden hier verkündet, möchte
man ja manchmal beklatschen. - Bei der Finanzmarktregulierung gibt es ein positives Beispiel; das betrifft die
Leerverkäufe. Diesbezüglich habe ich ihn immer unterstützt. - Das alles ist aber letztlich nicht von der Stelle
gekommen. Diese hehren Weisheiten sind nicht praktiziert worden, weil es hier die Röslers und die anderen
von der FDP und auch einige vom Wirtschaftsflügel der
Union gab, die das alles nicht wollten. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
({5})
Deswegen bräuchten wir jetzt eine Regierung, die
wirklich führt, und eine Koalition, die gestaltet.
Schwarz-Gelb hat diesen Anspruch in den letzten zwei
Jahren hoffnungslos verspielt.
({6})
Ja, noch schlimmer: Diese Regierung und diese Koalition verschärfen durch ihr Verhalten - siehe gestrige
Probeabstimmung in den Koalitionsfraktionen zum Rettungsschirm - die Probleme. Sie zeigen, dass sie in
schwierigster Lage - wir befinden uns, wie wir wissen,
in einer sehr schwierigen Lage; wir brauchen nur die
Medien zu verfolgen ({7})
nicht handlungsfähig sind, weil die eigenen Abgeordneten - das wird von Frau Merkel bevorzugt versucht nicht überzeugt werden, sondern sie das Gefühl haben,
dass Wackelkurs und Taktik vorherrschen. So kann man
die eigenen Abgeordneten nicht überzeugen.
({8})
Der heute eingebrachte Haushalt ist nichts, wofür sich
die Regierung in besonderer Weise rühmen sollte. Er ist
einerseits ein typischer Schönwetterhaushalt, der von einer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung profitiert.
({9})
Andererseits schreibt er die soziale Schieflage Ihrer Politik fort und vergrößert die Probleme und Defizite auf
dem Arbeitsmarkt, die auch im aktuellen Aufschwung
nicht verschwunden sind. Nur wer die Augen vor der
Realität verschließt, kann zu dem Schluss kommen, die
Probleme des gespaltenen Arbeitsmarktes seien verschwunden.
({10})
Herr Schäuble, auch wir hoffen, dass 2012 die Steuern so sprudeln werden, wie Sie es annehmen.
({11})
Auch wir hoffen, dass die Beschäftigung im nächsten
Jahr in dem Maße weiter ansteigen wird, wie Sie es für
Ihr Rechenwerk voraussetzen. Dann dürfen allerdings,
wenn Sie ehrlich an die Sache herangehen wollen, die
existierenden Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und in der Welt, die wir alle kennen, auf
absehbare Zeit nicht eintreffen. Bei Ihrer Finanzplanung
tun Sie so, als gäbe es diese Risiken gar nicht. Das gibt
es doch nun wirklich nicht!
Auch wenn der eingeplante Rückgang der Neuverschuldung in Ihren Reihen als großer Konsolidierungserfolg gefeiert wird: In einer Aufschwungsituation sinkt
die öffentliche Neuverschuldung wie von selbst. Deswegen sprechen ja auch einige Abgeordnete der Koalition
davon, dass das Ganze nicht ehrgeizig genug ist. Im Verlauf der weiteren Haushaltsberatungen werden wir ja sehen, wie weit Ihr Ehrgeiz gehen wird, ob er so weit geht,
dass es, wie wir es Ihnen vorschlagen werden, dazu
kommt, dass Sie schließlich doch die Schuldenbremse in
ehrlicher Art einhalten. Das werden wir dann sehen,
meine Damen und Herren.
({12})
Eine soziale Gestaltung des Haushaltes wird dadurch
im Übrigen nicht verhindert. Aus dem Finanzkonzept
der SPD ergibt sich zum Beispiel, dass man konsolidieren und trotzdem Zukunftsinvestitionen finanzieren
kann. Für den sozialen Ausgleich in unserem Land wäre
es besser, wenn Sie wenigstens einige der Sozialkürzungen rückgängig machen würden, die Sie gegen unseren
Willen durchgedrückt haben. In der Tat ist es so: Der von
Schwarz-Gelb vorgesehene Kahlschlag bei den Arbeitsmarktmitteln, der ja schon in diesem Jahr spürbar ist,
vergrößert, wie ich von Kolleginnen und Kollegen höre,
auch in prosperierenden Regionen
({13})
und nicht nur in strukturschwachen Regionen die Spaltung des Arbeitsmarktes. Reden Sie doch mit Vertretern
der Caritas oder anderer Organisationen, die damit zu
tun haben! So bekommen Sie mit, was wirklich in der
Welt los ist.
({14})
Sie verfestigen mit dieser Politik die Langzeitarbeitslosigkeit in unserem Land.
({15})
Sie sorgen dafür, dass die angesichts des Fachkräftemangels notwendigen Qualifizierungen nicht stattfinden
können. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Sie sorgen
auch dafür, dass viele junge Menschen in ihrem Leben
nicht die Chancen bekommen, die sie mit entsprechender Förderung bekommen würden. Hier versagen Sie,
trotz der momentan günstigen Ausgangssituation.
({16})
Es dürfte also in diesem Bereich nicht so gesenkt und
gestrichen werden, wie Sie das vorhaben. Dass man so
etwas in einem moderaten Maße vorsieht, ist selbstverständlich, wenn sich Erfolge auf dem Arbeitsmarkt einstellen,
({17})
aber doch nicht in dem Maße, wie Sie das betreiben.
Sie unterstellen, wie gesagt, dass es konjunkturell bis
2015 so weitergeht wie zurzeit, und Sie unterstellen damit, dass wir sechs Jahre lang ununterbrochen ein starkes und stetiges Wachstum haben würden. Das widerspricht jeder Erfahrung. Dafür sind, wie wir alle wissen,
die Risiken zu groß. Diese positive Wachstumserwartung stellt ja das Zentrum Ihres Rechenwerkes dar. Damit sind Sie auch wieder nichts anderes als ein Schönrechner und Schönredner, weil Sie damit nicht die
Realität abbilden.
Das Ganze garnieren Sie noch mit globalen Minderausgaben in Höhe von 4,8 Milliarden Euro pro Jahr, die
durch nichts belegt sind, um die Kreditaufnahme auf
diese Art und Weise herunterzurechnen. Sie verzichten
auch darauf, das zu machen, was in einem sozialen
Staatswesen selbstverständlich sein sollte: Sie verzichten
darauf, Spitzenverdiener und Vermögende stärker zur
Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Mit
welcher Begründung eigentlich? Wollen Sie den sozialen Ausgleich in unserer Gesellschaft nicht?
({18})
Das ist doch die Basis unseres Zusammenlebens und Zusammenwirkens. Darüber hinaus ignorieren Sie offenkundig auch die wachsende gesellschaftliche Spaltung,
die mit Händen zu greifen ist. Der Kern der Vorschläge
der Sozialdemokratie ist, dieser Spaltung in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Das kann man, wenn man
denn will, solidarisch und gerecht finanzieren, und
gleichzeitig kann man konsolidieren.
({19})
Was ist denn, wenn eintritt, was wir alle nicht wollen,
wenn die bereits zu beobachtende Verunsicherung der
Konsumenten und Investoren weitergeht, wenn es vielleicht zu einer weiteren Zuspitzung der Finanzkrise
kommt? Spätestens dann sind Ihre Rechnungen nichts
mehr wert.
Sie haben sich hier Ihrer Finanzmarktüberlegungen
und -politik gerühmt, Herr Schäuble und Frau Merkel. In
der Praxis aber scheitern Sie beide doch hier. Da wird
eine Verabredung über die Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer zwischen Merkel und Sarkozy
getroffen. Gott sei Dank zumindest das, kann man da nur
sagen; denn das ist ein wichtiges Instrument, nicht nur
mit Blick auf die Finanzierung zum Beispiel der Krisenkosten, sondern auch, um die Dynamik, die zu den Turbulenzen führt, aus den Märkten zu nehmen. Aber was
geschieht? Der Koalitionspartner FDP stellt sich mit
dem Stoppschild hin und sagt: Das geht nicht! Die EuroZone reicht nicht aus! - Wer auf Großbritannien warten
will, der vergackeiert die Bevölkerung. Das weiß jeder,
und das machen Sie in der Praxis.
({20})
Das ist unehrlich, und dadurch werden die Glaubwürdigkeit und die Autorität von Frau Merkel in einem
wichtigen Punkt untergraben. Frau Merkel ist offenkundig nicht in der Lage, das in der Koalition durchzusetzen. Herr Schäuble sagt ausdrücklich, er sei für die Einführung dieser Steuer innerhalb der Euro-Zone. Das
heißt, Frau Merkel sind die Dinge entglitten. Es geht
auch schon lange um ihre persönliche Reputation. Wenn
sie das nicht versteht, wird sie in die Geschichtsbücher
lediglich als eine Kanzlerin eingehen, die sich, koste es,
was es wolle, zwei Legislaturperioden an der Macht gehalten, darüber aber jeglichen politischen Kompass verloren hat.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir befinden uns seit vier Jahren in der größten
Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir seit Ende des
Zweiten Weltkriegs erlebt haben. Bisher ist die Bundesrepublik Deutschland durch diese Finanz- und Wirtschaftskrise besser durchgekommen als die meisten anderen Industrienationen dieser Welt. Wir sind durch
diese Krise gestärkt worden, weil wir unsere Strukturen
verbessert haben. Das ist eine Leistung der Regierung
Angela Merkel. Deshalb werden wir diese Regierung
und diesen Kurs nachhaltig unterstützen.
({0})
Wir haben ein Wachstum von über 3 Prozent im vergangenen Jahr und von rund 3 Prozent in diesem Jahr zu
verzeichnen. Natürlich muss man feststellen, dass wir
gegenwärtig eine gewisse Abschwächung erleben. Ich
glaube, dass diese Abschwächung sogar gut ist. Denn
wir haben gesehen, wie gefährlich Blasenentwicklungen
auf den internationalen Märkten sind. Deshalb sollten
wir Übertreibungen hier vermeiden.
Neben dieser positiven wirtschaftlichen Entwicklung
gibt es allerdings auch Risiken. Mit Blick darauf müssen
wir aus meiner Sicht zwei Grundlinien einhalten, was
wir in den vergangenen vier Jahren auch getan haben:
Erstens sollten wir nicht die Kontrolle über die Entwicklung auf den Märkten verlieren.
({1})
Wir haben bei der Bankenrettung nie den Fehler gemacht, eine systemrelevante Bank in die Insolvenz gehen zu lassen. Genauso müssen wir jetzt Kurs halten.
Wir dürfen nicht die Kontrolle über die Abläufe verlieren, weil wir ansonsten nur noch Teil des Spiels, aber
kein bestimmender Spieler mehr sind.
Zweitens brauchen wir, damit Fehlentwicklungen
durch staatliche Überschuldung und zu heftiges Spiel an
den Finanzmärkten vermieden werden, eine klare Perspektive in Bezug auf einen neuen Ordnungsrahmen am
Ende der Krise, in dem das Ganze geordnet geregelt
werden kann und nicht mehr durch einzelne Hilfsaktionen. Dies hat diese Koalition zum 1. Januar 2011 im
Finanzsektor mit dem Restrukturierungsgesetz geschafft.
Dies müssen wir auch im Hinblick auf Staatsinsolvenzen
in Europa und in der Welt erreichen.
Lieber Herr Kollege Poß, was haben Sie am Ende Ihrer Regierungszeit in Deutschland abgeliefert? Über
5 Millionen Arbeitslose. Heute liegen wir bei unter
3 Millionen.
({2})
Sie sind dafür verantwortlich, dass die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland trotz all Ihrer Programme, die
Sie so sehr loben, permanent gestiegen ist. Obwohl
Deutschland es endlich geschafft hat, die strukturelle Arbeitslosigkeit zu überwinden, und wir einen Beschäftigungsstand haben, der zu den höchsten in der Geschichte
dieser Republik gehört,
({3})
legt die SPD am gestrigen Tag ein Programm vor, welches bewirken wird, dass Menschen vermehrt in Arbeitslosigkeit kommen, dass sie in Arbeitslosigkeit sozusagen
eingesperrt werden und nicht mehr herauskommen. Als
Angebot formulieren Sie, dass Sie den Menschen mit
Programmen und Betreuung helfen wollen. Die Menschen wollen aber keine Programme und Betreuung, die
Menschen wollen arbeiten. Diese Koalition steht für Arbeit. Sie aber stehen für Arbeitslosigkeit.
({4})
Ich will einen weiteren Punkt aufgreifen. Angesichts
der Staatsschuldenkrise reicht es nicht, im In- und Ausland große Reden zu halten. Es wird genau auf die Bundesrepublik Deutschland geschaut und registriert, wie
wir selbst uns verhalten, wie wir in unseren Kommunen
und Ländern und im Deutschen Bundestag die Haushalte
führen.
({5})
Wo standen wir denn in den Jahren 2001 bis 2003?
Sie haben den Maastricht-Vertrag gebrochen. Anstatt anschließend zu sagen, dass jetzt konsolidiert werden
müsse, haben Sie Ihren Finanzminister im Auftrag des
Kanzlers nach Brüssel geschickt und gesagt: Jetzt müssen der Vertrag und die Regeln aufgeweicht werden. Mit dem Aufweichen des Maastricht-Vertrages haben
Sie dafür gesorgt, dass wir in der heutigen Staatsschuldenkrise stecken.
({6})
Schröder, Eichel und Poß sind die Verantwortlichen für
diese Krise.
({7})
Sie haben damit die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland, die wichtig ist, um in dieser
Staatsschuldenkrise ernst genommen zu werden, aufs
Spiel gesetzt.
({8})
Wenn wir heute nach Athen, Lissabon und Dublin fahren, wird uns gesagt: Ihr wart es doch, die die Verträge
verletzt und nicht eingehalten haben. - Deshalb sage ich
eines: Durch unsere nationale Haushaltspolitik müssen
wir klarmachen, dass wir für Glaubwürdigkeit stehen,
was den Maastricht-Vertrag und die Bekämpfung der
Schulden betrifft. Wir werden unsere Konsolidierungsverantwortung nicht nur national, sondern auch international wahrnehmen.
({9})
Wir müssen uns einmal anschauen, wo denn die Wurzeln der heutigen Krise liegen. Der erste Punkt ist, dass
Staaten ihre Haushalte nicht im Griff hatten und sich
überschuldet haben. Ich bin schon der Meinung, dass wir
da entgegenwirken müssen, indem wir eine Kultur
schaffen, die aus dieser ständigen Überschuldung herausführt. Deshalb war es richtig, dass wir in der vergangenen Wahlperiode gemeinsam die Schuldenbremse in
die Verfassung geschrieben haben. Ich stimme dem
Finanzminister zu: Jetzt kommt der Test auf unsere
Glaubwürdigkeit.
({10})
Die Schuldenbremse darf nicht nur in der Verfassung
stehen, sondern sie muss auch eingehalten werden.
({11})
- Herr Poß, Sie machen es nicht. Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen. Ihre Ministerpräsidentin Kraft unternimmt alles, um diese Verfassungsregel zu brechen.
({12})
Das ist der Fehler. Sagen Sie Ihrer Regierungschefin in
Düsseldorf, dass auch im Land Nordrhein-Westfalen
diese Regelung eingehalten werden muss!
Ein zweiter Punkt. Wir haben in der Finanzkrise gelernt - schauen Sie sich einmal das Beispiel Irland an -,
dass nicht nur die überbordende Verschuldung, sondern
auch eine nicht hinreichende Regulierung der Finanzmärkte ein Problem darstellt. An dieser Stelle sage ich:
Wir brauchen eine bessere Regulierung im Sinne der sozialen Marktwirtschaft.
({13})
Wir brauchen Wettbewerbspolitik mit besserer Regulierung, um für künftige Krisen Vorkehrungen zu treffen.
({14})
- Jetzt rufen Sie dazwischen: „Machen Sie mal!“
Schauen Sie sich einmal an, wie in dem Jahrzehnt, in
dem Sie die Verantwortung für die deutsche Finanzpolitik getragen haben, die Finanzmärkte reguliert - genauer
gesagt: dereguliert - worden sind.
({15})
Das hatte mit verantwortlicher und besserer Regulierung
nichts zu tun. Dies war ein Beitrag dazu, dass wir heute
diese Probleme haben.
({16})
Ich bin der Meinung: Wir haben in Deutschland an
verschiedenen Stellen Vorlagen geliefert - ich habe vorhin schon das Restrukturierungsgesetz angesprochen -,
um im Bankensektor für geordnete Verfahren zu sorgen.
Ich will darüber hinaus die Debatte zu Basel III ansprechen. Wir brauchen mehr Eigenkapital in den Finanzinstituten. Wir haben auch eine Entscheidung in Bezug
auf die ungedeckten Leerverkäufe getroffen - ich danke
Herrn Kollegen Poß, der das unterstützt hat -, obgleich
wir hier zunächst einmal einen nationalen Alleingang
unternommen haben. Darin werden wir mittlerweile bestätigt. Denn nicht nur wir allein, sondern auch andere
haben erkannt, dass dieses spekulative Instrument durch
Regulierung ausgeschaltet werden muss.
Jetzt aber tragen Sie die Finanzmarkttransaktionsteuer
als Monstranz vor sich her, um all das zu entschuldigen,
was Sie falsch gemacht haben. Unser Problem ist doch
nicht, dass wir uns erst darauf verständigen müssen. Wir
wollen sie. Wir haben klar und deutlich erklärt, dass wir
sie wollen.
({17})
Die Finanzmarkttransaktionsteuer soll aber auch zu einer
besseren Regulierung beitragen. Das heißt, dass wir sie
möglichst breit in der Welt durchsetzen müssen. Nur so
kann eine vernünftige Wirkung entfaltet werden. Dafür
kämpft die Bundesregierung. Dafür hat sie auch die
volle Unterstützung dieser Koalition.
({18})
Noch ein Wort zur Staatsschuldenkrise: Wir müssen
nicht beschwören, dass wir für Europa sind. Denn ich
hoffe, dass daran niemand Zweifel hat. Wir sind für
Europa und wissen, was uns Europa in den vergangenen
Jahrzehnten im Hinblick auf Frieden und Freiheit gebracht hat. Das bezieht sich auch auf die Finanzkrise. Ich
stimme der Einschätzung, dass für uns die Finanzkrise
ohne den Euro wesentlich schwieriger zu bewältigen gewesen wäre, ausdrücklich zu.
Nun geht es aber um die Frage, wie wir Europa gestalten. Gestalten wir ein Europa der Verantwortung, wo
diejenigen, die Entscheidungen treffen, auch die Verantwortung für deren Folgen tragen? Oder gestalten wir ein
Europa der Verantwortungslosigkeit, wo die einen entscheiden und alle anderen die Folgen dafür tragen müssen? Ich bin der Meinung, dass eine gemeinsame Währungspolitik auf Dauer nur mithilfe einer gemeinsamen
Finanzpolitik funktionieren kann. Solange wir diese
nicht haben, benötigen wir unterschiedliche Zinssätze
und unterschiedliche Pönale für die jeweiligen nationalen Finanzpolitiken.
Ihr Vorschlag hinsichtlich der Euro-Bonds ist in Anbetracht der derzeitigen Krise keine Lösung. Sie würden
nur dazu führen, dass denjenigen Verantwortung weggenommen wird, von denen sie eingefordert werden muss.
Die Euro-Bonds würden die Krise nicht abschwächen,
sondern sie verschärfen. Deshalb dürfen wir in dieser
Krise diesen Irrweg nicht gehen.
({19})
Was die Konsolidierung des Haushalts angeht, gehen
wir, glaube ich, einen vernünftigen Weg. Wir haben
nicht einfach nur Sparorgien auf den Weg gebracht, sondern auch gesagt: Wir kombinieren im Haushalt in kluger Weise Einsparungen struktureller Art mit Wachstumsanreizen. Ein weiterer Beitrag ist die Verbesserung der
Strukturen in unserem Land, die zwar nicht direkt mit
dem Haushalt verbunden sind, die aber strukturell zu
Anreizen für mehr Wachstum führen. Ein solcher Beitrag ist zum Beispiel das, was ich vorhin im Zusammenhang mit der Schuldenbremse angesprochen habe. Das
kostet im ersten Moment kein Geld; es bringt auch kein
Geld. Es trägt aber zur Entwicklung besserer Wachstumsaussichten bei.
Es gelingt mittlerweile sogar, in Europa einen Werbefeldzug für die Schuldenbremse durchzuführen. Die
Spanier haben sie bereits umgesetzt. In Portugal und
Frankreich wird eine Debatte darüber geführt. Das ist
der richtige Weg. Den müssen wir fördern. Ich ziehe den
Hut vor den Kollegen in diesen Ländern. Wir haben uns
eine ganze Wahlperiode Zeit genommen, um dieses
Thema zu diskutieren. In Spanien wurde sie in nur wenigen Tagen umgesetzt. Das ist eine tolle Leistung, die wir
entsprechend anerkennen und unterstützen sollten.
({20})
Herr Poß, ich verstehe nicht, warum Sie sich darüber
aufgeregt haben, dass darauf hingewiesen wurde, dass
der damalige Finanzminister Peer Steinbrück vor zwei
Jahren in der Finanzkrise einen Haushalt mit einer Nettokreditaufnahme von rund 86 Milliarden Euro vorgelegt
hat. Das ist eine Tatsachenfeststellung. Darüber gibt es
keinen Streit. Das kann man im damaligen Kabinettsbeschluss nachlesen. Genauso richtig ist es, dass wir jetzt
für 2012 einen Entwurf mit einer Nettokreditaufnahme
von rund 27 Milliarden Euro vorlegen. Das heißt zunächst einmal, dass wir es geschafft haben, binnen zwei
Jahren die notwendige Nettokreditaufnahme um 60 Milliarden Euro zu reduzieren.
({21})
Man kann sagen, dass es zum Teil an der Konjunktur
liegt; das ist richtig. Darüber freuen wir uns aber. Wir
freuen uns über eine starke Konjunktur in Deutschland.
({22})
Zum Teil liegt es aber auch an der Struktur. Darüber
freuen wir uns auch. Der entscheidende Punkt ist, dass
wir uns nicht auf der guten konjunkturellen Entwicklung
ausruhen. Wir treffen Vorsorge für die Zeit, in der die
konjunkturelle Entwicklung einmal nicht mehr so gut ist.
({23})
Das ist doch die Kunst einer vernünftigen Haushaltspolitik.
Sie sagen nun, wir würden kritisieren, was Herr
Schäuble vorgelegt hat. Nein, wir sind der Meinung: Die
Haushaltsvorlage ist eine gute Haushaltsvorlage. Als
Haushälter und Parlamentarier haben wir aber einen gewissen Ehrgeiz: Auch etwas Gutes kann noch besser
werden.
In diesem Sinne werden wir jetzt die Parlamentsdebatte führen. Das haben wir in den vergangenen Jahren
geschafft, und das werden wir auch diesmal schaffen.
Sie sollten in den Beratungen nicht den Anspruch bestreiten, noch besser werden zu wollen; vielmehr sollten
Sie überlegen, welchen Beitrag Sie an dieser Stelle leisten können.
({24})
Ich habe gerade darüber gesprochen, wie wir zu den
besseren Strukturen gekommen sind. An dieser Stelle
nenne ich das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
({25})
Das haben wir vor zwei Jahren diskutiert, und zwar streitig.
({26})
Damals haben Sie gegen die Kinder in der Bundesrepublik Deutschland gestimmt. Der Kinderfreibetrag und
das Kindergeld wurden erhöht. Sie haben gegen die Familien und gegen die Unternehmen in Deutschland gestimmt.
({27})
Sie haben am Ende auch nicht zulassen wollen, dass Bezieher kleinerer Einkommen mehr von ihrem Lohn in
der Tasche haben.
({28})
Das muss einmal klar und deutlich gesagt werden. Dafür
tragen Sie als Opposition die Verantwortung, weil Sie
mit Nein gestimmt haben. Wir haben gezeigt, dass die
von uns getroffenen Maßnahmen tatsächlich dazu geführt haben, dass wir nicht einfach nur Geld ausgeben,
sondern dass wir damit in diesem Land auf Dauer strukturelles Wachstum organisieren und somit Vorteile erzielen. Deshalb sollten wir diesen Weg der strukturellen
Konsolidierung weitergehen.
Ich möchte abschließend noch eine Bemerkung zum
Thema Steuern machen: Wenn man die Zeit von 1998
bis 2005 betrachtet, stellt man fest, dass Sie im Bereich
der Steuervereinfachung nichts getan haben. Wir haben
eine sehr angespannte Haushaltslage. Deshalb haben wir
uns in der Koalition entschieden, eine Vorlage zum
Thema Steuervereinfachung zu machen. Und siehe da,
der Deutsche Bundestag hat entsprechend dieser Vorlage
beschlossen. Aber Sie behindern im Bundesrat über die
Länder, in denen Sie Verantwortung tragen, eine Steuervereinfachung für die Menschen in Deutschland.
({29})
Dabei geht es nicht um Geld, sondern es geht um weniger Pflichten und Auflagen für die Steuerbürger in
Deutschland. Leisten Sie Ihren Beitrag, damit es den
Menschen in Deutschland besser geht!
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({30})
Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich muss Ihnen sagen: Dieser Haushaltsentwurf kommt mir vor wie ein antiker Torso. Es
fehlen Arme, Beine und der Kopf; nur der Rumpf ist da.
Niemand in diesem Haus weiß, was die Bundesregierung in den nächsten Wochen alles heimlich an diesen
Torso anfügen wird. Niemand weiß, welche Banken,
welche Kasinos über Schattenhaushalte und Rettungsschirme abgesichert werden sollen. So ist keine seriöse
Beratung möglich.
({0})
Unsere Haushaltsberatungen sollen den demokratischen Schein wahren; doch eigentlich ist die Bundesregierung dabei, die wichtigste demokratische Institution, die wir in diesem Lande haben, nämlich den
Deutschen Bundestag, auszuhebeln.
({1})
Der Bundestag ist immerhin von 44 Millionen Menschen gewählt worden. Die Börsen und Ratingagenturen
hingegen sind von niemandem gewählt worden. Hier
sind die Verhältnisse auf den Kopf gestellt worden. Das
muss wieder geändert werden.
({2})
In den vergangenen Tagen haben Sie, Herr Schäuble,
den Bundestag mehrfach davor gewarnt, zu viel Mitspracherecht einfordern zu wollen. Das würde Entscheidungsprozesse verlangsamen und schnelles Reagieren
auf die Finanzmärkte unmöglich machen. Ich finde, das
ist eine unglaubliche Warnung an dieses Parlament und
zeigt, dass die Bundesregierung jede Achtung vor dem
Bundestag verloren hat. Das sollten wir uns als Parlamentarier nicht bieten lassen.
({3})
Zunehmend wird die Bundesregierung von den Menschen nur noch als Steuereintreiberin für die Banken und
Spekulanten wahrgenommen. Erinnern wir uns: Allein
die Kosten der letzten Finanzkrise belaufen sich bis jetzt
auf über 335 Milliarden Euro, wie die Bundesbank berechnet hat. Das ist mehr als dieser Bundeshaushalt; das
muss man sich einmal vorstellen.
Meine Damen und Herren von der FDP, in der Vergangenheit haben Sie immer gerne behauptet, dass die
Beschäftigten das erste halbe Jahr für den Staat und erst
das zweite halbe Jahr für sich arbeiten würden. Jetzt führen Sie eine Situation herbei, in der die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in der zweiten Jahreshälfte für notleidende Banken arbeiten sollen. Ich glaube, das werden
sich die Menschen in diesem Lande nicht mehr lange gefallen lassen.
({4})
Allein die Nervosität an den Börsen reicht der Bundesregierung aus, um über Nacht Milliardenentscheidungen zu treffen. Die Ratingagenturen würden von Politik
auf Ramschniveau sprechen. Aber die zunehmende Nervosität der Menschen scheint diese Bundesregierung
nicht weiter zu stören. Ich finde, das Parlament darf sich
niemals den Zeittakt von den Finanzmärkten vorgeben
lassen.
({5})
Jeder Börsenspekulant kann mit einem Mausklick in
Bruchteilen von Sekunden über Milliarden von Euro entscheiden. Herr Finanzminister, wenn Sie - wie in den
vergangenen Tagen - von uns verlangen, dass wir uns an
die Geschwindigkeit von Börsenspekulanten anpassen,
dann fordern Sie, Herr Schäuble, im Klartext nicht mehr
und nicht weniger als die Aushebelung der Demokratie.
Das lassen wir uns nicht bieten.
({6})
Herr Schäuble, ich möchte der vorhin hier von Ihnen
ausgeführten These, die Bundesregierung habe nach der
Finanzkrise 2008 die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, grundsätzlich widersprechen. Hätten Sie nämlich
die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, dann sähe die
Welt heute ganz anders aus. Wir, die Linke, hatten damals vorgeschlagen, die Finanzmärkte wirksam zu besteuern, Steueroasen auszutrocknen, gefährliche Finanzinstrumente zu verbieten, Hedgefonds zu regulieren und
die Verursacher der Krise wirksam zur Verantwortung zu
ziehen. All das haben Sie nicht getan.
({7})
Drei Jahre hatten Sie, Herr Schäuble, und Frau
Merkel Zeit, diese Aufgaben zu erfüllen, doch nichts ist
passiert. Weil Sie nichts getan haben, rollt nun bereits
die nächste Finanzkrise auf uns zu. Wieder wird von den
gleichen Leuten argumentiert, dass wir erst einmal ganz
schnell Rettungsschirme für Banken aufspannen müssten und erst nach der Krise die Finanzmärkte regulieren
könnten. Das ist ein fauler Trick; denen kann wirklich
niemand mehr glauben. Es muss immer einen Zusammenhang geben: Man kann Euro-Rettungsmaßnahmen
nur dann beschließen, wenn gleichzeitig erstens die
Finanzmärkte wirksam reguliert werden und zweitens
die Verursacher der Krise endlich kräftig zur Kasse gebeten werden.
({8})
Herr Schäuble, Sie haben hier Ihre Freude über Steuermehreinnahmen zum Ausdruck gebracht. Das ist Ihr
gutes Recht, aber nicht Ihr Verdienst. Denn die Exporterfolge sind vor allem Ergebnis der umfangreichen Konjunkturprogramme, die in China und den USA aufgelegt
wurden. Sie von der Bundesregierung sind bei diesen Erfolgen also nur Trittbrettfahrer und nicht Verursacher.
({9})
Frau Merkel, Herr Schäuble, Sie hätten sich wirkliche
Verdienste erwerben können, wenn Sie endlich mit Steuererhöhungen für Millionäre die Lücke zwischen Armen
und Reichen in unserem Land wenigstens etwas geschlossen hätten. Sie hätten sich Verdienste erwerben
können, wenn Sie endlich mit einem gesetzlichen Mindestlohn wenigstens für etwas mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft gesorgt hätten.
({10})
Durch Steuermehreinnahmen, durch eine Millionärsteuer, aber auch durch Mindestlöhne hätten alle Kürzungspakete, die auf dem Rücken der Armen in dieser
Gesellschaft beschlossen wurden, überflüssig gemacht
werden können. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie endlich
die unsozialen Kürzungspakete zurück! Bitten Sie die
Millionäre in diesem Land zur Kasse!
({11})
Die Haushaltspraxis der Bundesregierung zeigt, dass
Politik nicht mehr gewählt, sondern von Lobbyisten bestellt werden kann. Herr Kollege Poß von der SPD hat
schon über die Mövenpick-Steuer gesprochen. Schauen
wir uns einmal an, was die Lobbyisten sonst noch alles
erreicht haben: Die Finanzmarktlobby hat bis heute die
Finanztransaktionsteuer verhindert. Im ursprünglichen
Haushaltsentwurf standen bereits Einnahmen in Höhe
von 2 Milliarden Euro aus dieser Steuer. Sie, Herr
Schäuble, mussten diese Einnahmen herausstreichen,
weil eine europäische Einigung zur Finanzmarktsteuer
nicht möglich war.
Sie haben in Ihrer Rede aber selbst darauf verwiesen:
Mit dem Verbot von Leerverkäufen im Jahr 2010 haben
Sie gezeigt, dass Deutschland allein Maßstäbe setzen
kann; andere Länder sind dann gefolgt. Vorhin haben Sie
wieder beschworen, man müsse das endlich auf europäischer Ebene regeln. Ich bin aber der festen Auffassung:
Wenn die Bundesregierung entschlossen mit gutem Beispiel vorangehen würde, dann würden auch die anderen
Länder mitziehen. Herr Schäuble, Sie werden sich doch
nicht von der FDP aufhalten lassen!
({12})
Ich nenne Ihnen weitere Beispiele: Die Atomlobby
muss 1 Milliarde Euro weniger Kernbrennstoffsteuer
zahlen. Die Militär- und Rüstungslobby verhindert die
Kürzung von Rüstungsprojekten.
Erinnern wir uns an die letzten Haushaltsberatungen.
Eigentlich sollte im Rahmen der Bundeswehrreform
1 Milliarde Euro eingespart werden. Darüber ist im vorliegenden Haushalt nichts zu lesen. Wir als Linke fordern den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, was
ich heute noch einmal bekräftigen will. Dazu sagen uns
die anderen Parteien gerne: Das ist doch ein alter Hut.
Der Abzug ist so gut wie beschlossen. - Schauen wir uns
aber das Zahlenwerk an, dann bekommt man einen ganz
anderen Eindruck: Im Haushaltsjahr 2010 waren
831 Millionen Euro für Auslandseinsätze der Bundeswehr eingeplant. Für das Jahr 2012 plant die Bundesregierung wesentlich mehr Mittel ein, nämlich mehr als
1 Milliarde Euro. Wenn Sie wirklich aus Afghanistan abziehen wollen, dann frage ich Sie, warum Sie jedes Jahr
mehr für Auslandseinsätze ausgeben. Das soll mir einmal jemand erklären. Ich kann das nicht hinnehmen.
({13})
Ich höre den Zwischenruf: zum Schutz der Soldaten. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Der beste Schutz der deutschen Soldatinnen und Soldaten wäre es, ihr Leben nicht
mehr aufs Spiel zu setzen, sie nicht mehr zu verheizen,
sondern sie endlich in die Bundesrepublik zurückzuholen.
({14})
Dann würden zwar etwas weniger Spenden der Rüstungsindustrie in Ihre Parteikassen fließen, aber das wäre
der weitaus humanere Ansatz.
Am Wochenende konnten wir im Spiegel lesen, dass
einige Kollegen von SPD und Grünen Zweifel äußern,
ob ihre Entscheidung damals richtig war. Es war eher so
zu verstehen, als hätten sie erkannt, dass es eine falsche
Entscheidung war. Aber wenn man erkannt hat, dass etwas falsch ist, dann muss man es auch ändern.
({15})
Abschließend ein Wort zu Frau von der Leyen. Frau
von der Leyen ist unsere neue Expertin zum Thema
Euro-Rettung. Dabei vergisst sie allerdings die Arbeit,
für die sie vom Bundespräsidenten vereidigt wurde. Frau
von der Leyen, Sie könnten etwas tun, um zunehmende
Altersarmut zu verhindern, sie könnten etwas tun, um
die Ausdehnung des Niedriglohnsektors zu verhindern,
sie könnten etwas für Langzeitarbeitslose und deren Kinder tun. Aber auf allen diesen Gebieten sind Sie gescheitert, und deshalb suchen Sie anscheinend schon wieder
nach einer neuen Aufgabe. Besonders deutlich wird das
Scheitern am Beispiel der Bildungsgutscheine. Das ist
ein bürokratisches Monster. Über Wochen haben Sie uns
hier ein Schauspiel vorgeführt. Das Geld kommt bei den
Menschen, die es brauchen, aber nicht an. Selbst Ihre
Parteifreundin aus Bayern, Frau Haderthauer, sagt - ich
darf mit Erlaubnis des Präsidenten kurz zitieren -:
Man könnte fast meinen, dass die Ausgestaltung
bewusst so kompliziert ist, weil man ja einiges
spart, wenn das nicht viele in Anspruch nehmen.
Frau von der Leyen, ich schlage Ihnen vor: Konzentrieren Sie sich auf Ihre Arbeit, und verwirren Sie uns nicht
durch Ihre zusätzlichen Vorschläge zur Euro-Rettung!
({16})
Europäische Sozialpolitik stellen wir uns anders vor.
Wir wollen in Europa Gerechtigkeit in der Steuerpolitik,
der Lohnpolitik und der Sozialpolitik. Die Politik muss
endlich wieder im Interesse der europäischen Völker gestaltet werden und nicht im Interesse einer Handvoll
Spekulanten. Herr Schäuble, legen Sie endlich alle Karten auf den Tisch, damit wir nicht über einen Haushaltstorso, sondern über die wirklichen Fakten ernsthaft diskutieren können.
Vielen Dank.
({17})
Nun erhält das Wort der Kollege Dr. Otto Fricke für
die FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Lötzsch, zur Ihrer Rede:
Es wäre wohl besser, bei einem Glas Cuba Libre darüber
nachzudenken, was man so sagt.
({0})
Wenn man sich den Haushalt genau anschaut, dann stellt
man fest, dass es dabei nicht um irgendwelche Verschwörungstheorien geht - weder von Links noch von
Halblinks noch von Grün -, sondern: Das sind die Fakten.
({1})
Viele Bundesbürger waren in den letzten Monaten
zum Glück im Urlaub, auch deswegen, weil sie einen
Arbeitsplatz haben und sich das leisten konnten. Wenn
man sich im Ausland mit den Menschen vor Ort unterhält und nach dem Urlaub mit den Vertretern der Opposition, dann fragt man sich: Waren die von der Opposition
die ganze Zeit im Ausland, oder haben sie verfolgt, was
im Inland passiert? Ganz Europa fragt uns: Wie habt ihr
das gemacht? Wie habt ihr das mit der Wirtschaft hinbekommen, und wie schafft ihr es gleichzeitig, eine vernünftige Haushaltspolitik zu machen?
({2})
Die Opposition hingegen zeichnet ein Bild von einer
Welt, die gar nicht existiert.
Ich kann nur eines in Richtung Opposition sagen: Versuchen Sie, sich von Ihrem Wunschdenken zu trennen, und
versuchen Sie, die Zahlen und Fakten anzuerkennen.
Wie sind die Zahlen und Fakten? Die Zahl der Ausbildungsplätze ist zweistellig angestiegen, die Zahl der
Erwerbstätigen steigt, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Erwerbstätigen ist gestiegen, die Arbeitslosenzahlen sind auf einem niedrigen Niveau, und wir haben
ein hohes Wirtschaftswachstum. Wenn Sie in Ihrer Regierungszeit nur ein einziges Mal solche Zahlen gehabt
hätten, wären Sie froh gewesen. Wir wissen zwar, dass
weitere Arbeit auf uns zukommt, bei der entscheidenden
Zahl sind wir aber bereits weit unter dem, was Sie erwarten haben.
({3})
Die Erregung von Herrn Steinbrück, der leider nicht
mehr anwesend ist, habe ich nicht verstanden. Das waren
86 Milliarden Euro.
({4})
Es kommt aber noch viel besser. Herr Steinbrück hatte ja
auch eine Idee, wie man die Neuverschuldung verringern könnte. Das damals angesetzte Wirtschaftswachstum entsprach ungefähr dem, das wir heute ansetzen,
Herr Poß.
({5})
- Ja, das lief gut, Herr Poß. Soll ich Ihnen einmal sagen,
was Herr Steinbrück für das Jahr 2012 an Neuverschuldung vorgesehen hat?
({6})
- Lieber nicht, nicht wahr? 57 Milliarden Euro hatten
Sie für dieses Jahr geplant. Wir liegen 50 Prozent darunter.
({7})
Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer
Haushaltspolitik, der sich in den tatsächlichen Zahlen
niederschlägt.
({8})
Herr Poß, nehmen wir den nächsten Punkt einmal
auseinander, Ihre ewige Litanei, das sei unsozial. Der
Herrgott erhalte mir mein Vorurteil! Die Frage, wie sozial oder unsozial ein Haushalt ist, können Sie - das wissen Sie - an einer Zahl festmachen, an der Sozialquote.
({9})
- Herr Poß, hören Sie mir einfach zu. Ich habe Ihnen
eben auch zugehört. - In diesem Jahr beträgt die Sozialquote unter dieser Bundesregierung 52 Prozent. Im
nächsten Jahr wird sie 51 Prozent betragen. Am Ende
von Rot-Grün lag sie bei 42 Prozent. Erzählen Sie uns
nichts über soziale Verantwortung. Wir nehmen sie im
Rahmen der Haushaltspolitik wahr. Wir wissen, was zu
tun ist.
({10})
Dann kommt der nächste Punkt, der wunderschön ist:
Die Investitionen in Deutschland seien nicht hoch genug. Herr Poß, die SPD sollte sich endlich von ihrem alten Investitionsbild trennen.
({11})
Die prozentuale Investitionsquote ist heute höher als in
den meisten Jahren unter Rot-Grün, sogar höher als in
den meisten Jahren unter der Großen Koalition. Sie haben ein altes Bild von Investitionen. Sie meinen Investitionen in Beton, vielleicht auch in Betonköpfe. Man
muss aber klar sagen - Stichwort „Schuldenbremse“ -:
Investitionen in einer modernen Gesellschaft sind Investitionen in Bildung und Forschung, also in Köpfe.
({12})
- Wir wollen, anders als Sie, nicht mehr Köpfe bei der
Bundesagentur. - Welche Etatansätze wurden erhöht?
Wir wollen mehr Köpfe in Schulen, in Universitäten, in
Lehrberufen, an all diesen Stellen. Das ist es, was eine
moderne Investitionspolitik ausmacht, die Sie nicht wollen. Unsere Investitionspolitik zielt in die richtige Richtung, weil sie die Überlebensfähigkeit unserer Gesellschaft in der globalisierten Welt sichert. Sie können das
schlicht nicht.
({13})
Die Haushaltsdisziplin ist Markenkern dieser Koalition. Ich merke, dass es Sie frustriert, dass wir die Neuverschuldung jedes Jahr, Schritt für Schritt, verringern.
Wir sind dabei aber sehr vorsichtig. Dafür möchte ich
mich ausdrücklich bei den Haushältern der CDU/CSUFraktion bedanken. In jeder Debatte sagen Sie von der
Opposition: Das schafft ihr nicht. Am Ende eines jeden
Jahres müssen Sie aber feststellen, dass wir noch viel
besser gewesen sind, als wir vorausgesagt und Sie befürchtet haben.
({14})
Das ist auch in diesem Jahr der Fall, und das wird auch
beim Haushalt 2012 so sein. Darauf können Sie sich verlassen.
Ich will noch eine Sache klarmachen, weil sie der
Kern sozialdemokratischer, aber - das wird klar, wenn
man sich die Steuervorschläge der Grünen anschaut auch grüner Politik ist: Sie meinen, Konsolidierung geht
über die Einnahmen.
({15})
Wir haben nachgerechnet, was in den elf bzw. zehn Jahren - das erste Jahr will ich nicht hinzurechnen - sozialdemokratischer Regierungspolitik auf der Ausgabenseite
passiert ist: Die Ausgaben sind in diesen zehn Jahren um
60 Milliarden Euro gestiegen. Was hat diese Koalition in
zwei Jahren erreicht? Sie hat die Neuverschuldung um
60 Milliarden Euro gesenkt.
({16})
Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer
Haushaltspolitik.
({17})
- Das ist konjunkturell bedingt? 60 Milliarden Euro sind
für Sie konjunkturell?
({18})
Ich kann Ihnen sagen, was Ihr Problem ist - das zeigt
sich auch jetzt wieder -: Sie hängen dem Irrglauben an
- Herr Schneider wird das gleich wieder erklären -, dass
man die Haushalte dadurch saniert, dass man den Leuten
tiefer in die Tasche greift, weil man dadurch mehr Geld
zur Verfügung hat.
({19})
Sie können ja einmal den Kollegen Steinbrück fragen,
was passiert ist, als die Steuereinnahmen in den Jahren
2006, 2007 und 2008 erheblich gestiegen sind. Man
könnte sagen, in diesen Jahren hätten Sie das viel besser
gemacht. Nein, Sie haben jedes Jahr die Ausgaben um
10 Milliarden Euro hochgefahren. Das ist Ihr wesentliches Problem. Sie behaupten, dass wir nur mehr Geld
einnehmen müssen und dann sparen. Ich sage Ihnen, wie
das laufen wird - wir werden das den Rest der Woche erleben -: Es wird mehr Geld eingenommen, und Ihre
Ausgabenpolitiker fordern, dass da und dort mehr Geld
ausgegeben wird. Sie können nicht sparen. Deswegen
führt Ihre Politik am Ende immer zu einem Defizit. Das
werden wir bei Ihnen stetig und ständig vorfinden.
Der Kollege Meister hat dies im Zusammenhang mit
NRW angesprochen. Ich muss ehrlich sagen: Manchmal
schäme ich mich dafür, dass der dortige Finanzminister
auf das gleiche Gymnasium gegangen ist wie ich. Wie
gesagt, wohl bei anderen Mathematiklehrern.
({20})
Leute, ich muss ehrlicherweise sagen: In einem Land,
das es erst 2020 schafft, dorthin zu kommen, wo der
Bund bereits 2014 sein wird, stimmt doch etwas nicht,
wenn man berücksichtigt, dass die Steuereinnahmen
gleich sind.
Da denkt man, die Grünen machen das besser. Gratulation, die Grünen haben einen Ministerpräsidenten. Das
ist wunderbar.
({21})
- Nein, kein Neid. Ich erkenne es an, wenn ein demokratischer Beschluss dazu gekommen ist. - Was aber machen Sie jetzt? Sind Sie die großen Sparer? Was macht
Baden-Württemberg? Was sagt der Ministerpräsident?
Er sagt: Na ja, wir könnten es eigentlich schon 2012 oder
2013 schaffen, die Neuverschuldung auf null zu setzen.
Was aber wird unter der Federführung der Grünen angekündigt? Wir machen das 2020, dann, wenn die Verfassung dies verlangt. Das ist der Unterschied zwischen
grüner und roter Haushaltspolitik und unserer Haushaltspolitik.
({22})
In den Beratungen werden wir zeigen, dass dies noch
ein Stückchen besser geht. Sie werden in den Beratungen wieder sagen, der Haushalt sei nicht stabil. In jedem
Einzelplan aber werden Sie hier und dort noch mehr
Geld fordern. Hier werden wir Sie stellen. Wir freuen
uns auf die weiteren Verhandlungen.
Herzlichen Dank.
({23})
Priska Hinz hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man
dem Bundesfinanzminister folgen will, dann müssten
sich die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung, die
Bekundung der notwendigen strukturellen Anpassungen
und die Risikovorsorge irgendwie im Bundeshaushalt
2012 oder im Finanzplan wiederfinden. Wenn man sich
aber beide genau anschaut, dann sieht man: Nichts davon ist dort vorhanden.
Es gibt zum Beispiel das Risiko der Neuverschuldung, die im kommenden Haushalt in einer Höhe von
27,2 Milliarden Euro geplant ist. Im Finanzplanungszeitraum bis 2015 sind neue Schulden in Höhe von
85,5 Milliarden Euro vorgesehen. Bei dem aktuell historisch niedrigen Zinsniveau bedeutet jede Milliarde Neuverschuldung mehr eine Zinsbelastung von 16 Millionen
Euro im Jahr. Schon durch die kleinste Zinserhöhung um
0,1 Prozent erhöht sich die gesamte Zinslast um mehr als
1 Milliarde Euro. Wir wissen, dass die jetzige Situation
bei den Staatsanleihen nicht so bleiben wird. Dafür haben Sie keine Vorsorge in Ihrem Finanzplan getroffen.
Das zweite Risiko Ihrer Haushaltsplanung ist die
wirtschaftliche Entwicklung. Sie rechnen mit einem stetigen Wachstum von 1,5 Prozent, obwohl dies schon
jetzt mit einem Fragezeichen zu versehen ist. Bereits im
zweiten Quartal hatten wir eine deutliche Abflachung
der Konjunktur. Wir wissen immer noch nicht, ob die
wirtschaftliche Entwicklung in den USA nicht auch
Konsequenzen für den Euro-Raum haben wird. Wir wissen nicht, wie es mit der Euro-Krise insgesamt weitergeht. Auch hier haben Sie keine Vorsorge getroffen. Sie
rechnen mit einem Wachstum von 1,5 Prozent. Wenn
dieses Wachstum irgendwie einbricht, dann stehen Sie
da. Dann können Sie diesen Finanzplan so nicht erfüllen.
({0})
Das dritte Risiko sind die möglichen Belastungen des
Haushalts durch die Euro-Krise. Sie haben die zusätzlichen Zinszahlungen, die wir für den ESM haben werden,
eingerechnet; das ist richtig. Für weitere Risiken ist
keine Vorsorge getroffen. Verstehen Sie mich nicht
falsch: Die Grünen stehen zu den Rettungsschirmen. Sie
tun dies mehr als jeder andere in der Koalition, die diese
Regierung trägt.
({1})
Wir haben hier einen klaren Kurs. Herr Bundesfinanzminister, das wissen Sie sicher am besten. Ich glaube,
deshalb haben Sie einen Großteil Ihrer Rede an die eigenen Reihen gerichtet; denn an uns kann dies eigentlich
nicht adressiert gewesen sein.
({2})
Herr Meister, Sie sprechen hier immer von der Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wissen
Sie, wer zurzeit einen besseren Mechanismus zur Einhaltung der Defizitkriterien und auch eine bessere wirtschaftliche Koordinierung blockiert? - Das ist Ihre
Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten Sarkorzy. Sie blockieren das weitere Fortkommen einer europäischen Integration. Darüber sollten Sie einmal in Ihren eigenen
Reihen reden, statt uns gegenüber so zu argumentieren.
Da Ihre Europapolitik so zögerlich ist, wird natürlich
auch die Haushaltspolitik überhaupt nicht gut gemacht.
Sie ruhen sich auf guter Konjunktur aus, statt den Haushalt strukturell zu verändern und auf eine solide Grundlage zu stellen, damit Sie Unwägbarkeiten abfedern können, wenn es notwendig ist. Wir sind der Meinung, die
Bundesregierung und die Koalition müssten sich viel
stärker um eine echte Konsolidierung bemühen. Bislang
ist die Senkung der Neuverschuldung nur zu einem
Fünftel strukturell und zu vier Fünfteln konjunkturell bedingt. Das heißt, Sie ruhen sich permanent auf guter
Konjunktur aus. Das wird nicht gut gehen.
({3})
Das kann man auch am sogenannten Sparpaket der
Regierung vom letzten Jahr sehen. Da finden wir Luftbuchungen wie die Bahndividende; linke Tasche, rechte
Tasche. Der Abbau von Mitnahmeeffekten für Unternehmen bei Energiesteuervergünstigungen wurde ja schon
im Gesetzgebungsverfahren entscheidend abgeschwächt. Die Einnahmen aus der Brennelementesteuer
kann man sich fast abschminken; diese Einnahmen hätte
es auch ohne die Abschaltung der AKW so nicht gegeben. Wo ist die versprochene Dividende aus der Reform
der Bundeswehr? Das ist die größte Luftbuchung im
Haushalt, die ich bislang gesehen habe.
({4})
Nur beim Sozialabbau haben Sie die Ankündigungen
aus dem Sparpaket umgesetzt.
({5})
Die Starken schonen, die Schwachen belasten - das
prägt bislang Ihre Haushaltspolitik. Damit erhöhen Sie
die soziale Verschuldung. Damit senken Sie nicht strukturell die Neuverschuldung. Damit werden Sie auch auf
Priska Hinz ({6})
Dauer nicht die Schuldenbremse einhalten; denn mit der
Reform im Bereich des Arbeitsmarktes drehen Sie die
Spirale weiter. Sie verhindern, dass die Langzeitarbeitslosen besser qualifiziert und wieder eingegliedert werden können. Aufgrund der besseren Konjunktur wäre es
jetzt notwendig, die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit
in den Griff zu bekommen. Hier versagen Sie kläglich.
({7})
Zusätzlich zu dieser Rotstiftpolitik belasten Sie die
Bundesagentur für Arbeit auch stark durch das Ergebnis
des Vermittlungsausschusses. Wir sind dafür, dass die
Grundsicherung im Alter vom Bund übernommen wird,
aber wir halten nichts davon, dass die BA dafür bluten
muss. Denn wenn die Konjunktur schwächelt, braucht
die BA einen Puffer, um zum Beispiel Maßnahmen wie
das Kurzarbeitergeld - dies hat gewirkt - finanzieren zu
können. Sie ruhen sich zurzeit auf guter Konjunktur aus.
Aber die Politik, die Sie jetzt machen, wird die Bedingungen strukturell verschlechtern und nicht verbessern;
dies gilt sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für künftige Krisen.
({8})
Wir führen diese Debatte angesichts einer tiefen Krise
im europäischen Währungsraum. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir als größte Volkswirtschaft in Europa
eine wesentliche Verantwortung tragen. In vielen Ländern Europas müssen jetzt harte Austeritätsprogramme
aufgelegt werden. Die Kanzlerin erwartet, dass überall
Schuldenbremsen eingeführt werden. Wie verhält sich
Deutschland - bei uns gibt es schließlich eine Schuldenbremse -, zumindest wenn es nach den Schwarz-Gelben
geht? Man leistet sich abwegige Debatten über Steuersenkungen.
({9})
Ein Blick in das Grundgesetz genügt. Mit einer Steuersenkung würden Sie gegen den Geist der Schuldenbremse verstoßen;
({10})
denn Steuersenkungen haben strukturelle Belastungen
und keine Entlastungen zur Folge.
({11})
Wissen Sie, meine Damen und Herren von der FDP
- in Ihrem Zustand ist Ihnen sowieso schon fast nicht
mehr zu helfen -,
({12})
in der Bundesrepublik Deutschland gibt es zunehmend
eine Debatte über Steuergerechtigkeit, über die Frage,
wie man Vermögende an der Finanzierung der Infrastruktur und der Gemeingüter in Deutschland beteiligen
kann, und Sie predigen immer noch Steuersenkungen.
Da kann man nichts mehr von Ihnen halten.
({13})
Die gleiche irre Diskussion führt die Koalition jetzt
auch im Hinblick auf die Finanztransaktionsteuer, anstatt
sie durchzusetzen. Der Bundesfinanzminister ist generell
für eine Finanztransaktionsteuer; das finden wir gut. Er
kann sie aber noch nicht einführen. Die Kanzlerin will
sie in ganz Europa, notfalls in der Euro-Zone. Die FDP
will sie gar nicht und erst recht nicht in der Euro-Zone.
Wenn sich eine Koalition im Hinblick auf ein neues
finanzpolitisches Instrument und die Finanzmarktregulierung so verhält, dann muss es schiefgehen. Das zeigt
aber den Zustand dieser Koalition.
({14})
Meine Damen und Herren, anstatt den Haushalt strukturell zu verändern, ökologisch schädliche Subventionen
abzubauen und dadurch nicht nur zu sparen, sondern
auch zu konsolidieren, damit wir den ökologischen Umbau der Wirtschaft hinbekommen, die Atomwende durch
eine Energiewende ersetzen, soziale Teilhabe in
Deutschland gewährleisten, bessere Innovationen auf
den Weg bringen und die Verschuldung in den Griff bekommen können, streiten Sie weiterhin in Ihren eigenen
Reihen.
({15})
Diese Herausforderungen sind anscheinend zu groß für
Sie. Ich kann nur sagen: Wir nehmen diese anspruchsvolle Aufgabe an Ihrer statt gerne an.
Danke schön.
({16})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Barthle das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Hinz, da Sie
gerade wiederholt die Einführung einer Finanztransaktionsteuer eingefordert und den Bundesfinanzminister
und die Bundeskanzlerin dazu aufgefordert haben, sollten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass beide
weder im Kreis der G 20 noch auf europäischer Ebene
Richtlinienkompetenz haben.
({0})
Sie sollten ihnen nicht absprechen, dass sie alles getan
haben, um diese Steuer durchzusetzen. Aber die anderen
Länder müssen mitmachen. Auch das sollte man in den
Reihen der Opposition zur Kenntnis nehmen.
({1})
Da meine Vorredner, insbesondere der Bundesfinanzminister, die Daten und Fakten im Hinblick auf den
Haushalt schon hinlänglich dargelegt haben, will ich
mich eher auf die Grundüberlegungen, mit denen wir in
die weiteren Beratungen gehen, konzentrieren. Die Feststellung, dass wir uns bei diesen Beratungen derzeit in
unruhigem Fahrwasser befinden, ist sicherlich richtig.
Die vergangenen Jahre waren von der globalen Finanzund Wirtschaftskrise, die ein erhebliches Ausmaß hatte,
überschattet. Deutschland steht heute wirtschaftlich
zwar besser da, als je erwartet, aber überwunden ist diese
Krise noch nicht. Das zeigen die aktuellen Spannungen
auf den Finanzmärkten ganz deutlich.
({2})
Hinzu kommt - der Finanzminister hat darauf hingewiesen - eine Staatsschuldenkrise gerade in den wirtschaftlichen Kraftzentren dieser Welt - USA, Japan,
Europa -, die eigentlich dafür zuständig sind, Wachstum
zu generieren. Gott sei Dank steht unsere Verschuldung
nicht im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Im
Gegenteil, deutsche Staatsanleihen besitzen auf den
Finanzmärkten höchstes Ansehen. Auch das ist ein Beweis für die solide Politik, die diese Koalition macht.
Aufgrund der starken Verflechtung der Finanzmärkte
können wir diese internationale Entwicklung aber nicht
ausblenden. Deshalb stellt sich die Frage: Wie geht es
weiter? Wir spüren, dass etwas aus den Fugen geraten
ist. Wir ahnen: Europa braucht Veränderungen. Ich
schließe mich der Aussage des Finanzministers an: Entweder wir entwickeln uns auf europäischer Ebene weiter, ober wir fallen zurück. Wir sind dafür, dass wir uns
weiterentwickeln, und setzen uns deshalb für mehr Abstimmung in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen
ein. Die Menschen erwarten von uns, von der Politik,
Antworten. Wir müssen sie liefern, bevor sich Resignation breitmacht oder es gar zu einer Flucht in einfache
Antworten kommt.
Wir haben ein Konzept, das Konzept der sozialen
Marktwirtschaft, das uns genau die Orientierung gibt,
auf die wir uns besinnen müssen. Der Kern der sozialen
Marktwirtschaft ist die Freiheit des Einzelnen: die Freiheit des Unternehmers, des Arbeitnehmers, des Verbrauchers, aber eben nicht unbegrenzte und absolute Freiheit,
sondern immer Freiheit in Verantwortung für das Gemeinwohl. Genau darum geht es.
({3})
Es geht zunächst darum, den Wohlstand unseres Landes zu mehren und zu ermöglichen, dass möglichst viele
daran teilhaben. Dabei ist aber die Reihenfolge wichtig.
Zunächst geht es darum, Wohlstand und Wachstum insgesamt zu steigern; denn nur das, was erwirtschaftet
wurde, kann verteilt werden. Wir müssen uns immer
wieder vor Augen führen: Nur das, was erwirtschaftet
wird, kann verteilt werden. In diesem Satz steckt eine
ganz einfache Weisheit, aber er ist ein ganz wesentlicher
Leitgedanke nicht nur für uns auf nationaler Ebene, sondern auch für den gesamten Euro-Raum und die Bekämpfung der Schuldenkrise in diesem Bereich.
Stabilität ist unser Leitgedanke. Zur Stabilität gehört
Solidität. Wir brauchen das belastbare Fundament einer
nachhaltigen öffentlichen Finanzpolitik als Voraussetzung für eine stabile und dynamische Wirtschaft. Diese
Handlungsmaxime war schon immer der Markenkern
christlich-liberaler Haushalts- und Finanzpolitik. Dabei
bleiben wir auch.
({4})
Lassen Sie mich den Blick ein kleines Stück zurückwerfen. Die unionsgeführte Große Koalition war vor
dem Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2008 so weit,
zu sagen: Bereits 2011 erreichen wir einen ausgeglichenen Haushalt. Nach der damaligen Planung wäre es in
diesem Jahr so weit gewesen. Aber die Finanz- und
Wirtschaftskrise kam dazwischen und hat diesen Plan
durchkreuzt. Wir mussten Neuverschuldungen in vorher
ungeahnter Höhe in Kauf nehmen. Die SteinbrückSchulden in Höhe von 86 Milliarden Euro sind bereits
angesprochen worden.
Das Resultat: Der bisherige Negativrekord bei der
Nettoneuverschuldung aus den 90er-Jahren wurde im
Jahre 2010 mit einer Nettoneuverschuldung von 44 Milliarden Euro deutlich überschritten. Das ist unbestritten
so. Wir haben alles dafür zu tun, dass sich dieser Negativrekord nicht wiederholt. Es ist dem Zukunftspaket
dieser Bundesregierung, der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, aber auch der klugen Politik dieser christlichliberalen Koalition zu verdanken, dass dieser Schuldenrekord in diesem Jahr nicht nochmals überschritten wird;
({5})
denn statt der ursprünglich angesetzten Nettokreditaufnahme in Höhe von 48 Milliarden Euro werden wir am
Ende des Jahres bei etwa 30 Milliarden Euro landen. Das
ist ein großer Erfolg dieser Regierung.
({6})
Die vom Finanzminister für das nächste Jahr geplante
Neuverschuldung liegt zwar rund 13 Milliarden Euro unter dem ursprünglichen Finanzplan - auch das ist Ausweis dieser konsequenten Konsolidierungspolitik -, ist
allerdings immer noch doppelt so hoch wie im Vorkrisenjahr 2008. Das heißt, wir bewegen uns noch immer in
einem Bereich, in dem wir nicht sagen können: Unsere
Haushalte sind auf Dauer stabil. Vielmehr müssen wir
die Konsolidierung nach wie vor konsequent im Blick
behalten. Wir sind hier auf dem richtigen Weg und dürfen uns nicht beirren lassen.
({7})
- Nein, wir haben genügend Ehrgeiz, aber man muss
auch zur Kenntnis nehmen, liebe Frau Kollegin, dass wir
in diesen Jahren auch erhebliche Belastungen schultern
müssen, die wir im Haushalt bereits teilweise abbilden.
Der Ausstieg aus der Kernenergie war und ist richtig,
aber der Weg hin zu mehr erneuerbaren Energien ist
nicht ohne einen zumindest vorübergehenden Mehraufwand zu schaffen. 2 Milliarden Euro pro Jahr hat der
Finanzminister in diesem Zusammenhang als Größenordnung genannt.
Außerdem schlummern aufgrund der Euro-Stabilisierung immer noch erhebliche Risiken in unseren Haushalten. Auch die Bundeswehrreform wurde angesprochen.
Liebe Kollegen von der Opposition, wenn man die Bundeswehr neu aufstellt, muss man ihr schon die Möglichkeit geben, sich entsprechend auszustatten. Eine Verringerung von 1 Milliarde Euro bei den Sparauflagen ist
hier Fakt.
Auch die Finanztransaktionsteuer habe ich angesprochen. Im Übrigen müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass
wir aufgrund des demografischen Wandels natürlich
auch zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme
erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen.
Dennoch gilt - darauf wurde mehrfach abgehoben -:
Diese Koalition hat nicht nur den Willen, sondern auch
die Kraft, die Schuldenbremse dauerhaft einzuhalten.
Diese schreibt uns die Verfassung vor, und wir setzen sie
um; denn auch in diesem Haushalt ist deutlich erkennbar: Wir liegen rund 15,5 Milliarden Euro unter der infolge der Schuldenbremse maximal zulässigen strukturellen Neuverschuldung. Das kann man nachrechnen.
Lieber Kollege Carsten Schneider, wenn Sie dies tun,
werden Sie auf das Ergebnis kommen: 15,5 Milliarden
Euro unter der zulässigen strukturellen Neuverschuldung
im Haushalt 2012. - Das ist ein klarer Beweis für den
Willen, die Schuldenbremse auch einzuhalten.
Ich freue mich, dass unsere europäischen Partnerländer inzwischen diese Schuldenregel übernehmen. Spanien wurde bereits genannt. Umso bedauerlicher ist das,
was sich in unserem eigenen Lande abspielt. NordrheinWestfalen wurde schon angesprochen, Herr Poß. Sie telefonieren gerade - hoffentlich mit Frau Kraft, um sie
auf den richtigen Weg zurückzuführen.
({8})
Außerdem schaue ich nach Baden-Württemberg.
Liebe Freunde von der Opposition, insbesondere der
SPD,
({9})
Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Christian Lange
hat nach seiner eigenen Aussage den Koalitionsvertrag
in Baden-Württemberg maßgeblich mitgestaltet. Dieser
Koalitionsvertrag sieht vor, dass das Land BadenWürttemberg 2020 die Schuldenbremse einhalten will.
Später geht es auch nicht; das ist in der Regelung zur
Schuldenbremse in unserer Verfassung vorgeschrieben.
Bis dahin sollen alle Spielräume zur Verringerung der
Verschuldung ausgeschöpft werden. Obwohl im Land
Baden-Württemberg in diesem Jahr Mehreinnahmen in
Höhe von 1 Milliarde Euro zu verzeichnen sind, gibt
man munter neues Geld aus, anstatt sofort einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, was möglich wäre.
An dieser Stelle rate ich Ihnen: Reden Sie mit den
Leuten in Ihren eigenen Reihen, und bekehren Sie diejenigen Länder, in denen die SPD mitregiert oder regiert,
dazu, bereits jetzt mit der Einhaltung der Schuldenbremse zu beginnen.
({10})
Lassen Sie mich auf unsere Haushaltsberatungen zurückkommen. Ich danke dem Bundesfinanzminister und
der Bundesregierung für die wirklich gute Vorlage, die
wir als Ausgangspunkt dieser Beratungen bekommen
haben.
Die im Regierungsentwurf vorgesehene Nettokreditaufnahme von rund 27 Milliarden Euro im Jahr 2012
wollen wir, wenn es die konjunkturelle Entwicklung zulässt, noch unterschreiten. Allerdings sage ich an dieser
Stelle ganz bewusst: Allzu viel dürfen wir auch dort
nicht erwarten. Die weltweite Entwicklung habe ich ja
schon angesprochen. Wir sind gut beraten, wenn wir uns
nach wie vor auf der vorsichtigen Seite bewegen.
Dennoch werden wir alle Einzelpläne kritisch durchforsten, nach Einsparmöglichkeiten suchen und eventuell die Subventionen in den Blick nehmen. Ich erwarte
gerne die Vorschläge der Opposition,
({11})
sofern sie nicht gleich wieder mit Mehrausgaben verknüpft sind, sondern es sich um echte Einsparvorschläge
handelt; das ist Voraussetzung. Denn für den Fall, dass
sich innerhalb unserer Beratungen Spielräume ergeben
sollten, sind wir, diese Koalition, fest entschlossen, diese
Spielräume zur Absenkung der Nettokreditaufnahme zu
nutzen,
({12})
um damit unseren erfolgreichen Kurs weiterzuführen.
({13})
Es gibt Schwerpunkte, die wir nach wie vor positiv
ausgestalten wollen, beispielsweise den Bereich Bildung
und Forschung. Dort stehen knapp 13 Milliarden Euro
mehr zur Verfügung. Das ist eine Steigerung um fast
10 Prozent. Daran wird deutlich, dass wir in dieser Koalition Investitionen in Bildung und Forschung als die
Zukunftsinvestitionen betrachten. Deshalb wollen wir
diesen Bereich auch weiter stärken.
({14})
Wenn es dann noch möglich ist, weitere Akzentsetzungen vorzunehmen, würde ich eine deutliche Stärkung
der Infrastruktur für wünschenswert halten sowie eine
weitere Umsteuerung weg von den konsumtiven Ausgaben als sinnvoll erachten. Die Spielräume für entsprechende Korrekturen gilt es in den kommenden Beratungen auszuloten. Dies gilt natürlich auch für alle anderen
Entlastungen wie zum Beispiel Steuerentlastungen, die
aber im Hinblick auf den Haushalt 2012 ohnehin noch
nicht relevant sind.
Stabilität ist, wie ich gesagt habe, die Leitidee all unserer Beratungen in den kommenden Tagen und Wochen
bis zum Abschluss der Haushaltsberatungen. Stabilität
soll das Markenzeichen dieser Koalition sein.
({15})
In diesem Sinne wünsche ich uns konstruktive Beratungen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({16})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Schneider
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Situation in Europa und in Deutschland ist, was die
wirtschaftliche und finanzielle Situation betrifft, fragil.
Wir erleben Unsicherheiten an den Finanzmärkten wie
den Absturz des DAX in den vergangenen Tagen und die
Ausschläge bei den italienischen Staatsanleihen. Das
zeigen auch Umfragen zu dem Thema, worin die deutsche Bevölkerung ihr größtes Problem und ihre größte
Sorge sieht. Das sind nicht mehr wie früher die Arbeitslosigkeit oder andere Punkte, sondern es ist die Stabilität
der Währung und der Staatsfinanzen. Das muss uns für
die Arbeit an diesem Haushalt 2012 und der mittelfristigen Finanzplanung Mahnung und Leitplanke sein.
Herr Minister Schäuble, bei Ihrer Einbringungsrede
hatte ich den Eindruck, dass sie eher an Ihre Koalition
gerichtet war als an die deutsche Bevölkerung oder diese
Parlamentsopposition. Denn die Zitate von Herrn
Dahrendorf in Bezug auf die Verschuldung, das strukturelle Defizit und die Verwendung von konjunkturellen
Mehreinnahmen schienen mir sehr stark in Richtung
FDP und auch an Teile der CDU/CSU zu gehen.
({0})
Denn nicht erwähnt haben Sie, dass Sie mit dem Kabinettsbeschluss zum Haushalt ein Schreiben der drei Parteivorsitzenden vorgelegt haben - zwei davon saßen,
glaube ich, auch mit am Kabinettstisch -, in dem zur
Kenntnis gegeben wurde, dass Sie noch in diesem
Herbst über Steuersenkungen entscheiden wollen.
({1})
- Er hat aber nicht gesagt, wie er es finanzieren will. Die
entscheidende Frage ist: Hält der Haushalt 2012 die von
Ihnen hochgehaltene Schuldenbremse ein oder nicht?
({2})
Dabei haben wir ganz entschieden einen Dissens.
({3})
Ich habe vorhin die Deutsche Bundesbank angesprochen. Mit Verlaub, es geht nicht nur um die Deutsche
Bundesbank, sondern auch um den Bundesrechnungshof
und den Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage. Alle drei plus die SPD sind der Auffassung, dass Sie die Schuldenbremse nicht so einhalten,
wie wir sie im Bundestag beschlossen haben.
({4})
- Das tun Sie eben nicht. Deswegen sind Sie kein Vorbild für Europa, wenn Sie so wie hier in Deutschland in
den ersten Jahren der Anwendung die Schuldenbremse
verletzen. Wenn andere europäische Länder das machen
würden, dann würden Sie ihnen verbal die Ohren langziehen.
({5})
Warum tun Sie das nicht? Sie liegen allein im Jahr
2012 5 Milliarden Euro über dem, was maximal zulässig
wäre. Ich will Ihnen auch sagen, wo sie geblieben sind.
Wir sind uns völlig einig, dass die konjunkturelle
Lage exzellent ist. Wir Sozialdemokraten sind die Letzten, die sich darüber ärgern würden. Wir freuen uns.
({6})
Denn, mit Verlaub, wir haben einen kleinen Anteil daran. Wir freuen uns mit den Deutschen, die zusätzliche
Arbeitsplätze bekommen, und mit den Unternehmen, die
Aufträge haben und Steuern zahlen. Darüber sind wir
froh.
({7})
Das ist aber nicht Ihr Verdienst, Herr Kollege Wissing.
({8})
Es ist vielmehr das Verdienst der fleißigen Menschen in
Deutschland.
Gegenüber dem letzten Finanzplan zeigt die aktuelle
Lage, dass es eine konjunkturelle Verbesserung gibt:
14,5 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen und 5 Milliarden Euro weniger Ausgaben für den Arbeitsmarkt.
Das macht knapp 20 Milliarden Euro.
Sie senken die Neuverschuldung aber nicht um
20 Milliarden, sondern nur um 13 Milliarden. Wo sind
diese 7 Milliarden Euro geblieben?
({9})
Ich höre nichts.
({10})
- Aha. Damit sind wir beim entscheidenden Punkt: Ihren
Maßnahmen, die wir schon immer als Luft und Wolken,
als Wolkenkuckucksheim kritisiert haben. In Ihren vor
einem Jahr präsentierten Meseberg-Beschlüssen haben
Carsten Schneider ({11})
Sie mit großem Auftritt Einsparungen in Höhe von
80 Milliarden Euro angekündigt. Die Hälfte ist übriggeblieben. Es werden nur 40 Milliarden Euro eingespart.
Wo werden diese 40 Milliarden Euro eingespart? Sie
haben einzig und allein bei den sozial Schwächsten zugelangt.
({12})
Das sind die Maßnahmen, die durchgegangen sind. Alle
anderen Maßnahmen, die Sie beschlossen hatten, sind
weggefallen.
({13})
Deswegen fehlt Ihnen das Geld, lieber Kollege Barthle.
Deswegen machen Sie zu hohe Schulden in der konjunkturell besten Zeit, die wir jemals in Deutschland gesehen
haben, mit den höchsten Steuereinnahmen, die es in
Deutschland jemals gab, und dem besten Wachstum. Der
Höhepunkt war zuletzt 2008. Wir liegen 2012 deutlich
höher als 2008. Trotzdem betreiben Sie die dritthöchste
Neuverschuldung, die es jemals gegeben hat. Meine Damen und Herren, das ist kein Ruhmesblatt, das ist ein
Armutszeugnis.
({14})
Herr Minister Schäuble, ich habe mir den Bundesbankbericht vom Mai 2011 extra herausgesucht. Der
Bundesbankpräsident, Herr Weidmann, ist im Kabinett
anders aufgetreten. Er hat es aber nicht öffentlich gemacht, obwohl ich ihn darum gebeten habe. Er tat es
nicht, warum auch immer. Es geht in dem Bundesbankbericht um einen Sicherheitsabstand, von dem Sie, Herr
Kollege Barthle, immer sagen, dass Sie seine maximale
Höhe nicht ausschöpfen würden.
({15})
- Das stimmt. - Aber Sie haben die maximale Höhe zu
hoch angesetzt. Das ist das Problem. Ich zitiere nun die
Bundesbank:
Ein solcher Sicherheitsabstand sollte aber nicht dadurch geschaffen werden, dass die Obergrenze
durch eine problematische Auslegung gedehnt
wird. Gerade dies scheint allerdings angelegt zu
sein, da in den derzeitigen Planungen als Ausgangspunkt der Obergrenze für den strukturellen
Defizitabbaupfad von 2011 bis 2016 - entgegen der
Intention der Schuldenbremse - ein veralteter und
deutlich überhöhter Schätzwert für das strukturelle
Defizit des Jahres 2010 verwendet wird. Hierdurch
- Achtung! ergeben sich zusätzliche Verschuldungsspielräume
von kumuliert rund 50 Mrd €.
({16})
Wir haben hier im Juni einen Gesetzentwurf zur harten Auslegung der Bestimmungen über die Schuldenbremse vorgelegt. Sie haben dem nicht zugestimmt. Herr
Kollege Barthle, Sie waren im Haushaltsausschuss, als
ich den Punkt betreffend die 50 Milliarden Euro erwähnt
habe. In der Anhörung hatte die Bundesbank dies dargestellt, und ich habe es mir zu eigen gemacht. Sie haben
gesagt: Wir lösen das Problem. - In der Schlussberatung
war davon nichts mehr zu hören. Sie wissen, dass Sie
über eine Kriegskasse von 50 Milliarden Euro verfügen,
also noch Pfeile im Köcher haben, und diese Kriegskasse erhalten Sie sich. Das aber ist das Gegenteil von
solider Finanzpolitik und von Transparenz, die Sie sich
heute hier bescheinigen.
({17})
Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Fricke?
Gern.
Herr Kollege Schneider, wir alle hier im Parlament
wissen, dass Sie seit zwei Jahren darauf herumreiten,
dass man für die Schuldenbremse, die Sie selber beschlossen haben, die aber anscheinend Ihrer Meinung
nach nicht präzise genug formuliert war, eine andere Interpretation findet. Ich stimme Ihnen zu: Wenn es um
Berechnungen geht, deren Grundlagen nicht genau definiert sind, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich
gehe davon aus, dass auch hinter Ihrer Intention ein guter Wille steckt. Deswegen frage ich Sie: Wie hoch hätte
die Neuverschuldung im Jahr 2011 nach Ihrem Modell
sein dürfen, und wie hoch darf sie im Jahr 2012 sein,
wenn Sie das so genau wissen?
Herr Kollege Fricke, im Jahr 2012 muss sie nach unserer Berechnung zwischen 21,5 Milliarden Euro und
22 Milliarden Euro liegen. Nach Ihrer Berechnung liegt
sie bei 27 Milliarden Euro im Jahre 2012.
({0})
Ich komme gleich zu unseren Vorstellungen im Einzelnen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir
Ihnen klipp und klar unsere Vorschläge vorlegen, um die
Verschuldung in dieser Größenordnung abzubauen. Es
ist richtig, was Herr Minister Schäuble sagte. In der ersten Anwendungsphase der Schuldenbremse schreiben
Sie die Geschichte für die nächsten Jahrzehnte. Diese
Schuldenbremse haben die meisten hier im Parlament
beschlossen. Sie dehnen jetzt den Interpretationsspielraum in dem entscheidenden Punkt des Kontrollkontos
aus und bunkern 50 Milliarden Euro.
({1})
- Herr Kollege Schäuble, dann legen Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der vorsieht, dass Sie den
Spielraum nicht nutzen. - Ich habe im Haushaltsausschuss dem Staatssekretär exakt die Frage gestellt, ob
Carsten Schneider ({2})
der Betrag genutzt wird oder nicht. Wenn er nicht genutzt wird, dann können Sie es hier erklären und das
rechtlich absichern. Genau das aber tun Sie nicht.
({3})
- Verbale Äußerungen sind etwas anderes als rechtlich
abgesicherte Festlegungen. - Sie haben den Spielraum,
ob Sie ihn nutzen oder nicht. Das haben Sie im Haushaltsausschuss zugegeben. Ich behaupte: Sie werden ihn
nutzen, weil Sie Ihren Steuersenkungs- und Entstaatlichungsfantasien auf den letzten Drücker nachgeben werden, auch um der FDP etwas entgegenzukommen.
({4})
Das sagen wir die ganze Zeit.
({5})
Ich glaube, das wird so geschehen, weil Sie alle Versprechen letztendlich brechen.
Ich habe bereits vorhin gesagt, dass das Thema
Staatsfinanzen in der Bevölkerung wahrscheinlich viel
bedeutender als früher ist. Wir, die SPD, haben uns entschlossen - Sie haben uns das vorher nicht geglaubt -, in
den nächsten Jahren einen sehr strikten, konsequenten
Weg zu gehen; wir sehen den Abbau der Neuverschuldung, die Konsolidierung des Staatshaushalts als einen
unserer Hauptpunkte. Deswegen hat der Parteivorstand
der SPD gestern ein Programm für die Jahre bis 2016 beschlossen, das nur zwei Schwerpunkte beinhaltet: erstens den Abbau der Staatsverschuldung - was wir planen, ist härter und ehrgeiziger als das, was Sie vorlegen
({6})
- und zweitens die Stärkung des Bereichs Bildung.
({7})
Wir wollen etwas für die Flanke tun, die Sie - entweder
die CDU allein oder nur die FDP - ignorieren. All die
Krisen, mit denen wir es jetzt zu tun haben - Staatsfinanzierungskrisen, Neuverschuldung -, haben ihre Ursache
in den extremen Spekulationen auf den Finanzmärkten.
Infolgedessen mussten erst Banken und müssen jetzt
Länder gerettet werden.
({8})
Die Vermögenden, diejenigen, die über ein hohes Einkommen verfügen, haben von diesen Rettungen enorm
profitiert; denn nur sie konnten auch etwas verlieren. Es
wurde somit auch ein Beitrag zur Stabilität ihrer Einkommen geleistet. Die Reichen müssen nun einen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten. Deswegen schlagen
wir vor, dass die oberen 4 Prozent der einkommensteuerpflichtigen Haushalte in Deutschland einem höheren
Steuersatz unterliegen. Das ist einer von vielen unserer
Vorschläge.
Außerdem wollen wir einen Vorschlag zum Subventionsabbau machen; wir haben das schon detailliert besprochen. Wir bieten Ihnen an, auf unser Angebot einzugehen. Man sollte nicht einseitig Verschuldung betreiben
oder bei den sozial Schwächsten kürzen.
({9})
Ich komme zum Schluss. Sie haben eine neue EuroExpertin; sie ist leider schon gegangen. Sie hat sehr
abenteuerliche Vorstellungen, was Gold und andere
Dinge betrifft. Ich bin der Meinung, Frau von der Leyen
sollte sich lieber um diejenigen kümmern, für die sie
Verantwortung trägt.
({10})
Sie stiftet nur Verwirrung. Verantwortung trägt sie vor
allen Dingen für die Langzeitarbeitslosen. Mit Blick auf
die Ausgaben will ich klar sagen: Das, was Sie im Bereich der beruflichen Weiterbildung und Qualifikation
kürzen, fehlt, um diejenigen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die auf dem gespaltenen Arbeitsmarkt keine
Chance haben. Wer zulässt, dass stattdessen Fachkräfte
aus dem Ausland geholt werden, der versündigt sich an
den hiesigen Arbeitslosen, und das werden wir nicht mitmachen.
Vielen Dank.
({11})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Wissing das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Schneider, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Eines fand ich bemerkenswert und auch
entlarvend: Sie haben die ganze Zeit von Zahlen geredet
und angeregt, größere Verschuldungsspielräume zu nutzen. Als wir Ihnen vorgehalten haben, dass das mit dem
Haushalt gar nicht in Einklang zu bringen ist, sagten Sie:
Ich behaupte, Sie werden das tun. Ich finde, wenn sich
ein Oppositionspolitiker hier zehn Minuten lang mit seinen eigenen Behauptungen anstatt mit den konkreten
Zahlen, die die Regierung vorlegt, auseinandersetzt,
dann müssen die Regierung und die Koalition einen verdammt guten Haushaltsentwurf eingebracht haben.
({0})
Insofern danke ich Ihnen dafür, dass Sie uns hier diesen
entlarvenden Beleg erbracht haben.
Wenn man sich mit Ihren finanzpolitischen Konzepten auseinandersetzt, dann merkt man schnell: Es gibt einen großen Konsens zwischen den Sozialdemokraten
und den Grünen. Was sie verbindet, ist das, was sie
schon in der Vergangenheit verbunden hat: Steuererhöhungen.
({1})
Angesichts ihres Finanzkonzepts, das sie gezielt vorgelegt haben - auch um vor dieser Haushaltsdebatte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erhalten -, entbehrt
es nicht einer gewissen Ironie, wenn ausgerechnet diejenige Partei, die den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt ausgehebelt hat, heute treuherzig erklärt, dass
- ich zitiere - Euro-Länder, die ihre öffentliche Verschuldung nicht mehr im Griff haben, konsequente Konsolidierungsprogramme beschließen und durchsetzen
müssen.
({2})
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Sie solche
Sätze von sich geben.
({3})
Sie haben den Menschen jahrzehntelang eingeredet,
man müsse mehr Schulden machen, um Wachstum zu
schaffen. Über alle Warnungen der bürgerlichen Parteien
haben Sie sich hinweggesetzt. Wo immer Sie Regierungsverantwortung hatten, haben Sie diesen Weg eingeschlagen. Jetzt wollen Sie noch die Kurve kriegen; Sie
wollen auf der Seite der anderen sein und spielen plötzlich die Haushaltssanierer. Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen, und das glaubt Ihnen auch keiner in
Deutschland.
({4})
Meine Damen und Herren, hätte die damalige rotgrüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und
Joschka Fischer, anstatt den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufzuweichen, ein konsequentes Konsolidierungsprogramm beschlossen und durchgesetzt, wäre Europa
die Staatsverschuldungskrise in dieser Härte erspart geblieben.
Der Gipfel unsolider Finanzpolitik war das, was die
Grünen gemacht haben. In der Föderalismuskommission
haben sie sich in die Büsche geschlagen und haben der
Schuldenbremse im Grundgesetz nicht zugestimmt. Das,
fand ich, war ein starkes Stück. Das zeigt, wie wenig vorausschauend Sie in der Finanz- und Haushaltspolitik
sind.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in finanzpolitischer
Hinsicht war Rot-Grün ein Unglücksfall für ganz
Europa.
({6})
Keine deutsche Regierung lag in der Finanzpolitik so daneben wie die Regierung Schröder/Fischer.
({7})
Wenn Sie von den Sozialdemokraten heute konstatieren,
dass in den letzten Jahrzehnten die Reichen reicher und
die Armen ärmer geworden sind, dann sollten Sie auch
hinzufügen, dass das letzte Jahrzehnt ein Jahrzehnt sozialdemokratischer Finanzpolitik war. Sie haben dem
Auseinanderdriften der Gesellschaft nicht entgegengewirkt, sondern Sie haben taten- und ideenlos zugesehen.
Sie haben durch ständige Mehrbelastungen der Mitte den
Prozess auch noch beschleunigt und wollen die Menschen jetzt glauben machen, dass die SPD in den letzten
elf Jahren keinerlei Verantwortung getragen hätte. Sie
haben weder unter Rot-Grün noch unter Schwarz-Rot
das erreicht, was Sie heute groß ankündigen, und es wird
Ihnen auch beim nächsten Mal nicht gelingen.
({8})
Wir werden dafür sorgen, dass Sie auch beim nächsten Mal keine Regierungsverantwortung haben.
({9})
Sie stellen sich hier hin und sagen, Sie wollen alle
Einkommen höher besteuern. Wenn die Leute trotzdem
noch etwas zurücklegen, dann wollen Sie sie durch erhöhte Kapitalertragsteuern zur Kasse bitten. In Ihrem
Papier sind Sie auch noch so dreist, Steuererhöhungen
damit zu legitimieren, dass Sie darauf verweisen, dass
ohnehin nur noch 40 Prozent der Haushalte Einkommensteuer zahlen. Ist es denn ein Beitrag zu mehr sozialer
Gerechtigkeit, wenn Sie den 40 Prozent, die den Karren
ziehen, immer noch mehr auf die Schultern laden?
({10})
Das, meine Damen und Herren, ist Zynismus einer
Partei, die in Wahrheit kein finanzpolitisches Konzept
mehr hat.
({11})
Wenn sich ein Herr Schneider hier hinstellt und sagt, der
Aufschwung sei das Verdienst der fleißigen Menschen in
Deutschland, dann kann ich nur sagen: Passen Sie doch
Ihr Steuerkonzept entsprechend an, und verweigern Sie
sich nicht dem Abbau der kalten Progression.
({12})
Sie sind doch längst keine Arbeitnehmerpartei mehr:
weil Sie auf die Steuermehreinnahmen bei unteren und
mittleren Einkommen spekulieren. Sie machen keine
Konsolidierungspolitik, sondern können nur Ausgabenpolitik machen. Deswegen wollen Sie den kleinen und
mittleren Einkommensbeziehern in die Tasche greifen.
Sie verraten die Arbeitnehmerschaft in Deutschland.
({13})
Hinter all dem steckt doch in Wahrheit eines: Sie suchen sich bequeme Wege, um das Sparen zu umgehen.
Wo immer Rot-Grün regiert, sehen wir Schuldenhaushalte: in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz, in
Baden-Württemberg.
({14})
Es wurde hier schon angesprochen: Rot-grüne Regierungen sind die Schuldenmacherregierungen in diesem
Land. Deswegen dürfen Sie keine Verantwortung für die
öffentlichen Haushalte haben.
({15})
Das Finanzkonzept, das die Grünen vorlegen, ist
nichts anderes als ein ungedeckter Scheck. Jede Menge
Unsinn steckt in Ihrem Finanzkonzept.
({16})
Eine Finanztransaktionsteuer wird eingefordert, die angeblich 12 Milliarden Euro Einnahmen bringen soll. In
Ihrem Finanztableau wird sie dann gar nicht mehr erwähnt, weil Sie selber nicht daran glauben. Sie haben es
ja auch nicht hingekriegt, als Sie mit der SPD regiert haben; da gab es keine Finanztransaktionsteuer. Sie sehen
ja, dass man es international nicht durchsetzen kann.
({17})
Wenn es eben nicht geht, dann werden wir nicht so
dumm sein und den Finanzplatz Deutschland schwächen. Wir machen immer noch Politik für dieses Land,
für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland und nicht für andere Finanzplätze.
({18})
Meine Damen und Herren, wenn man sich fragt, warum die Arbeitslosigkeit unter Rot-Grün bei 5 Millionen
lag, während sie unter Union und FDP inzwischen auf
unter 3 Millionen gesunken ist; wenn man wissen will,
warum SPD und Grüne den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgeweicht haben, während Union und FDP zusammen das Defizit auf 0,6 Prozent drücken konnten,
dann findet man die Antwort, wenn man Ihre tollen
finanzpolitischen Konzepte durchliest. Sie bieten nämlich nichts Neues, sondern nur aufgewärmten Klassenkampf mit einem Schuss Leistungsfeindlichkeit und einer gehörigen Prise Neidgesellschaft.
Vielen Dank.
({19})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Kalb für die Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Dieser vom Bundesfinanzminister
vorgelegte und heute eingebrachte Haushaltsentwurf für
2012 ist Ausdruck soliden Wirtschaftens, solider Haushaltspolitik und auch Ausdruck eines verantwortungsvollen Umgangs mit dem Geld, das uns die Bürger über
die Steuern zur Verfügung stellen.
Wir bewältigen - darauf ist eingangs auch vom
Finanzminister hingewiesen worden - mit diesem Bundeshaushalt und sicherlich auch mit weiteren die finanziellen Folgen der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, mit denen wir seit 2008 zu kämpfen haben. Es
stellt sich heraus, dass die Maßnahmen, die wir seinerzeit auch unter schwierigen Bedingungen beschließen
mussten, goldrichtig waren. Sie haben dazu beigetragen,
dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes
bewahrt werden konnte, dass Arbeitsplätze in einem sehr
viel größeren Umfang als anderswo erhalten bzw. dann
sehr viel schneller wieder aufgebaut werden konnten.
Noch vor einem Jahr - darauf ist eben hingewiesen worden - hatten viele befürchtet, dass sich die Zahl der Arbeitslosen auf über 5 Millionen erhöhen könnte. Jetzt
liegt die Zahl der Arbeitslosen bei unter 3 Millionen.
Seit 2006 ist die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten um 2,5 Millionen angestiegen. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine Zahl aus der Statistik, sondern diese besagt, dass 2,5 Millionen Menschen mehr
am Wirtschaften und am Erfolg dieses Landes teilhaben
können, sich selber verwirklichen und einbringen können, weniger Zukunftssorgen haben müssen und hochwertige Mitglieder unserer Arbeitswelt sind.
({0})
Der Arbeitsmarkt bietet insbesondere auch unserer
jungen Generation hervorragende Chancen. Schauen wir
einmal in andere Länder der Europäischen Union: Ich
denke, dass viele junge Menschen zum Beispiel in Spanien froh wären, wenn sie solche Chancen am Arbeitsmarkt hätten, wie man sie Gott sei Dank in vielen Teilen
unseres Landes - ich weiß, dass es auch in unserem
Land noch Gegenden gibt, wo sich die Situation etwas
schwieriger darstellt - vorfindet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen
uns über eine außerordentlich gute wirtschaftliche Entwicklung freuen, die im Jahr 2010 begonnen und sich im
ersten Halbjahr 2011 massiv fortgesetzt hat. Sie ist unter
anderem auch Folge der Maßnahmen, die wir beschlossen haben. Natürlich erwirtschaften in erster Linie tüchtige Unternehmer und fleißige Mitarbeiter das Bruttoinlandsprodukt. Davon leben wir alle, damit müssen wir
auskommen, unseren Wohlstand und auch unsere sozialen Sicherungssysteme finanzieren.
Es gibt jetzt Anzeichen einer konjunkturellen Eintrübung. Auch darauf müssen wir reagieren und dafür Vorsorge treffen. Die höheren Steuereinnahmen nutzen wir
nicht etwa, um neue Ausgabenprogramme aufzulegen,
sondern um die Neuverschuldung schneller abzubauen,
als es uns zunächst möglich erschien. Das wird voraussichtlich schon beim Haushaltsvollzug 2011 möglich
sein. Wir Haushälter haben den Ehrgeiz, nach der Steuerschätzung im November alles noch einmal genau zu
überprüfen und zu schauen, wie weit wir bei der Festle14378
gung der Nettokreditaufnahme tatsächlich gehen können. Es ist ferner Vorsorge dafür getroffen, dass die
Haushaltsrisiken, die zweifellos bestehen, abgefedert
werden können.
({1})
Ich war schon etwas erstaunt, sowohl über die Rede
von Herrn Poß als auch über die von unserem Kollegen
Carsten Schneider. Letzterer sagte, wir seien nicht ehrgeizig genug, was die Rückführung der Neuverschuldung betrifft, forderte aber im selben Atemzug wesentlich höhere Sozialausgaben ein. Ich kann nur sagen - es
ist von einem anderen Redner schon erwähnt worden -:
Wenn mehr als 50 Prozent des Bundeshaushalts für soziale Sicherung aufgewendet werden, dann zeigt das,
dass diese Bundesrepublik Deutschland fürwahr sehr sozial ist und ihrer sozialen Verpflichtung nachkommt.
({2})
Für die gesetzliche Rentenversicherung und die gesetzliche Krankenversicherung wenden wir annähernd
100 Milliarden Euro, knapp ein Drittel des Bundeshaushalts, auf; das kann sich sehen lassen. Ich kenne kein anderes Land, das diese beiden Sicherungssysteme in diesem Umfang aus Steuermitteln stützt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf eine andere Aufgabe, die wir zu bewältigen haben, ist schon
hingewiesen worden: Die demografische Entwicklung
schreitet massiv voran. In wenigen Jahren wird es rund
11 bis 12 Millionen weniger erwerbsfähige Personen geben, die aber mehr Lasten tragen müssen, damit wir unseren Wohlstand finanzieren und die Sicherheit unserer
sozialen Systeme aufrechterhalten können. Deswegen ist
es so wichtig, dass wir alles tun, um besser und leistungsfähiger zu werden. Dazu gehören die Bereiche Bildung und Forschung, aber ebenso eine leistungsfähige
Infrastruktur, von den Verkehrsnetzen bis zu den Kommunikationsnetzen. Auch das ist Zukunftsvorsorge im
besten Sinne des Wortes.
Deswegen werden wir uns, auch in den anstehenden
Beratungen, bemühen, eventuelle Spielräume daraufhin
abzuklopfen, inwieweit wir hier nachtarieren können
oder müssen. Unser besonderes Augenmerk werden wir
der Frage widmen, wie unsere Investitionsquote verbessert werden kann. Ebenso werden wir unser Augenmerk
auf die Frage richten, wie wir Substanzverzehr bei unserer Infrastruktur vermeiden können.
({3})
Ich habe vorhin von den höheren Steuereinnahmen
gesprochen. Sie haben nicht nur dem Bund gutgetan.
Wenn man sich die Äußerungen der Länder vergegenwärtigt, hat man manchmal den Eindruck, sie seien der
Meinung, dass jede Maßnahme, die Geld kostet, zum
Beispiel die Beseitigung der kalten Progression, ausschließlich vom Bund getragen werden sollte, während
die bessere Einnahmesituation in den letzten Monaten
und Jahren vor allen Dingen den Ländern zugutekommen sollte. Ich denke, dass von der verbesserten konjunkturellen Situation und der dadurch verbesserten Einnahmesituation auch die Haushalte der Länder und
Kommunen deutlich profitiert haben. Wir haben uns vor
anderthalb Jahren den Kopf zerbrochen - es sind Maßnahmen ergriffen worden, auf die ich jetzt nicht mehr
eingehen kann -, wie wir die Finanzkraft und die Leistungsfähigkeit insbesondere der Kommunen stärken
können, was im Übrigen auch zulasten des Bundeshaushalts geschehen ist. Hier hat sich die Situation erfreulicherweise sehr entspannt.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland leistet mit dem Bundeshaushalt für 2012, wie er uns
jetzt im Entwurf vorliegt, einen ganz entscheidenden
Beitrag zur Stabilitätskultur in Europa. Gerade in diesen
Tagen erwarten die Menschen in Deutschland und in
Europa von uns vor allem, dass solide gewirtschaftet
wird, dass verantwortungsbewusst mit den Steuergeldern
umgegangen wird und dass dafür Sorge getragen wird,
dass unsere Währung, der Euro, stabil gehalten werden
kann.
Herzlichen Dank.
({5})
Wir beginnen nun mit dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06.
Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. HansPeter Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist der islamistische Terror nach wie vor
eine reale Bedrohung für Deutschland, für Europa und
für die freie Welt. Es gilt aber auch: Terror und Angst haben nicht das letzte Wort. Unsere Werte, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, unsere freiheitlichoffene Gesellschaft und unser Rechtsstaat sind stärker.
({0})
In den vergangenen zehn Jahren seit 9/11 konnten unsere Sicherheitsbehörden mehrere ernstzunehmende Anschlagsversuche verhindern. Dies gelang ihnen aufgrund
ihrer Professionalität, aber auch aufgrund der engen Kooperation mit unseren ausländischen Partnerbehörden.
Aber es gilt auch: Hundertprozentige Sicherheit kann es
nicht geben, wie im Übrigen der tödliche Anschlag vom
2. März am Frankfurter Flughafen gezeigt hat. Unsere
Sicherheitsbehörden geben jeden Tag ihr Bestes, um von
den Bürgern unseres Landes Schaden abzuwenden. Dafür verdienen sie gerade an dieser Stelle den Dank und
den Respekt dieses Hauses.
({1})
Nur in Sicherheit können die Menschen nach den
Werten unseres Grundgesetzes in Freiheit leben. Sicherheit ist Grundlage von Freiheit und Demokratie. Sicherheit herzustellen, ist die Kernaufgabe eines jeden Gemeinwesens. Das Bundesministerium des Innern steht in
besonderer Verantwortung, den Feinden der Demokratie,
der Kriminalität, der Gewalt, dem Terrorismus und dem
Extremismus entschlossen zu begegnen. Deutschland ist
und bleibt eine wehrhafte Demokratie.
Die Bedrohung ist vielfältig. Die Anschlagsversuche
mit Paketbomben aus dem Jemen im vergangenen Oktober haben deutlich gemacht, dass sich die Terroristen
den neuen Sicherheitsstandards der Passagier- und Gepäckkontrollen bei Flugreisen angepasst und ihren Fokus
jetzt auf die Luftfracht verlagert haben. Die Bundesregierung hat reagiert und einen Arbeitsstab „Luftfrachtsicherheit“ eingerichtet. Der Maßnahmenkatalog, der erarbeitet wurde, wird in die Tat umgesetzt. Diese
Umsetzung bedeutet auch einen deutlichen Aufgabenzuwachs für unsere Bundespolizei, verbunden mit erheblichen Personalaufstockungen. Das Fach- und Personalbedarfskonzept wurde vom Haushaltsausschuss gebilligt.
Ich bedanke mich dafür ausdrücklich. Der hierzu gefasste Beschluss ist aber nur ein erster Schritt für die
Einleitung der notwendigen Maßnahmen. Ich hoffe sehr,
dass wir bei den Beratungen dieses Thema gemeinsam
angehen.
Die Gefährdungslage ist weiterhin auf einem hohen
Niveau. Allerdings ändern sich die Bedrohungsmodalitäten. Es ist erforderlich, die staatlichen Instrumente zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus immer
wieder den wandelnden Bedrohungen anzupassen. Dazu
sind die Anti-Terror-Gesetze ein wesentliches Instrument. Die Bundesregierung hat am 17. August den Gesetzentwurf zur Verlängerung der nachrichtendienstlichen Befugnisse um vier Jahre beschlossen.
({2})
Es geht dabei nicht darum, dass der Staat pauschal immer mehr Eingriffsbefugnisse bekommt, sondern darum,
dass wir mit Augenmaß den Sicherheitsbehörden das für
ihre Arbeit Notwendige ermöglichen. Verlängert wurde
deswegen nur die Gültigkeitsdauer derjenigen Instrumente, die sich in der Praxis als erforderlich, notwendig
und unabdingbar erwiesen haben. Ich hoffe sehr, dass
auch für den Gesetzentwurf zur Verlängerung der AntiTerror-Gesetze Ihre Unterstützung im parlamentarischen
Verfahren gesichert ist.
Auch unsere Sicherheitsstrukturen müssen den Herausforderungen sich wandelnder Kriminalität und terroristischer Bedrohung angepasst werden. Die geplante
gemeinsame Ausbildung von Bundespolizei und Bundeskriminalamt dient dazu, Ressourcen zu bündeln und
Synergien zu nutzen. Sie ist ein Beitrag dazu, die Sicherheitsarchitektur in Deutschland effizienter und effektiver
zu gestalten.
Zu einer funktionierenden Demokratie gehört immer
auch eine gut funktionierende Verwaltung. Gerade in
Zeiten von Strukturanpassungen und Sparbemühungen
sollten wir nicht vergessen, denen unser Augenmerk zu
schenken, die unsere Entscheidungen vollziehen und in
die Tat umsetzen sollen. Wir dürfen nicht vergessen,
dass eine verlässliche Verwaltung Stabilitätsfaktor und
Voraussetzung für Wirtschaft und Gemeinwesen gleichermaßen ist. Das Bewusstsein, an der Gestaltung des
Gemeinwesens mitzuwirken, trägt zum hohen Arbeitsethos in unserem öffentlichen Dienst bei. Die Beamten
und auch die Angestellten des öffentlichen Dienstes insgesamt verdienen unsere Wertschätzung.
({3})
Wir müssen darauf achten, dass der öffentliche Dienst
auch in Zukunft attraktiv bleibt. Dazu ist es notwendig,
dass wir den Angestellten und Beamten Perspektiven eröffnen, also Aufstiegsmöglichkeiten und finanzielle
Ausstattung bieten. Dies gilt gerade im Bereich der Sicherheitsbehörden.
({4})
Die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden müssen sich
immer wieder auf neue Herausforderungen einstellen,
sich weiterqualifizieren und mit neuen technologischen
Mitteln und Methoden Schritt halten. Es handelt sich
hierbei wirklich um eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit.
Bei der Terrorismusabwehr spielt die Kriminalitätsbekämpfung im Cyberraum, also in der Gesamtheit aller
verfügbaren Netze weltweit, eine zentrale Rolle. Wie die
Anschläge vom Frankfurter Flughafen und von Norwegen in erschreckender Weise belegen, spielt das Internet
bei der Radikalisierung von Einzeltätern eine wichtige
Rolle. Es ist für unsere Sicherheitsbehörden wichtig,
dass sie das Internet auf entsprechende Inhalte sichten
und auswerten können. Im Bereich des islamistischen
Terrorismus wird dies durch das Gemeinsame Internetzentrum in Berlin bereits jetzt erfolgreich praktiziert.
Die Schattenseiten der Internetnutzung werden allerdings nicht nur beim Terrorismus sichtbar. Täglich
werden weltweit circa 21 000 Webseiten mit Schadprogrammen infiziert. Sicherheit im Cyberraum zu gewährleisten, ist eine der großen gemeinsamen Herausforderungen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich
denke, es sollte auch der Schwerpunkt unserer Aufmerksamkeit in der Innenpolitik der nächsten Jahre werden.
({5})
Die Bundesregierung hat diese Herausforderung
durch den Beschluss der Cyber-Sicherheitsstrategie angenommen. Einer der Kernpunkte dieser Strategie ist der
Aufbau des Nationalen Cyber-Abwehrzentrums beim
BSI in Bonn. Es ist seit dem 1. April 2011 online, und
wir sind dabei, dieses Cyber-Sicherheitszentrum funktionsfähig zu machen. Es ist eine Informationsdrehscheibe zwischen den Sicherheitsbehörden und dient der
besseren Koordinierung von Schutz- und Abwehrmaßnahmen gegen IT-Sicherheitsvorfälle. Es wird auch eine
Möglichkeit bieten, entsprechende in der Wirtschaft vor14380
handene Kompetenzen zu nutzen und sie mit dem öffentlichen Bereich zu vernetzen.
Zur notwenigen und operativen Stärkung des Bundesamtes einschließlich des Aufbaus des Cyber-Abwehrzentrums sind für das kommende Jahr 10 Millionen Euro
zusätzlich vorgesehen. Wir intensivieren den Schutz kritischer Infrastrukturen. Denn es ist wichtig, dass wir das,
was für unsere tägliche Daseinsvorsorge notwendig ist,
auch in der Zukunft funktionsfähig erhalten. Die Gewährleistung der Sicherheit im Cyberraum und der
Schutz der kritischen Infrastruktur sind zu einer existenziellen Frage des 21. Jahrhunderts geworden. Sie erfordern ein hohes Engagement. Das muss uns unsere Sicherheit wert sein. Ich füge hinzu: Dafür benötigen wir
entsprechende Finanzmittel, auch wenn Finanzmittel
insgesamt knapp sind.
Wenn ich über knappe Finanzmittel rede, dann geht es
auch um die Frage, wie wir mehr Menschen dazu bringen können, etwas zum Gemeinwesen beizutragen. Damit komme ich zu unserem Technischen Hilfswerk.
Ohne die Mitwirkung von unzähligen ehrenamtlichen
Helfern wäre die Sicherheitsvorsorge im Bereich unserer
lebensnotwendigen Infrastrukturen nicht zu leisten.
({6})
Wir müssen kritische Infrastrukturen vor IT-Angriffen
schützen. Aber Unwetter, Erdbeben oder Hochwasserkatastrophen können Auswirkungen von ähnlich verheerendem Ausmaß haben. Hier sind das Technische Hilfswerk und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe verlässliche Partner. Sie sind zudem
das Aushängeschild Deutschlands in der Welt - jetzt in
Äthiopien, vor einem Jahr in Pakistan oder auch in Haiti.
Ich glaube, wir haben allen Grund, den Menschen, die
sich dort ehrenamtlich engagieren, dankbar zu sein und
alles dafür zu tun, dass die Nachwuchsgewinnung auch
nach Abschaffung der Wehrpflicht entsprechend vonstattengehen kann. Ich begrüße es deswegen sehr, dass für
den Bereich des THW eine Ausnahmeregelung von der
haushaltsgesetzlichen pauschalen Stelleneinsparung geschaffen werden konnte.
({7})
Wenn wir über das Ehrenamt reden, dann muss es
zum Prinzip erklärt werden, dass ehrenamtliche Tätigkeit in der Gesellschaft nicht nur Wertschätzung erfährt,
sondern dass dadurch auch konkret das Fortkommen der
jungen Menschen befördert wird. Ich denke dabei an die
Verbesserung des beruflichen Fortkommens durch die
Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen oder an
die bevorzugte Vergabe von Praktikumsplätzen. All das
muss auf den Weg gebracht werden, um den jungen
Menschen zu signalisieren: Ihr werdet gebraucht. Eure
Hilfe und eure Bereitschaft, euch für dieses Land einzubringen, werden gebraucht. Vonseiten der Gesellschaft
sind wir dann bereit, euch zu unterstützen und Anerkennung zu zollen.
Meine Damen und Herren, Sicherheit herzustellen, ist
auch eine Kernaufgabe der Europäischen Union. Wir teilen einen gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. In diesem Zusammenhang spielte in
den letzten Wochen und Monaten das Stichwort Schengen eine große Rolle. Schengen ist zu einem Synonym
für Reisefreiheit in Europa und für das Zusammenwachsen Europas geworden. Deswegen wollen wir, dass Kontrollen im Schengen-Raum nur auf der Grundlage verbindlicher rechtlicher Vorschriften möglich sind.
Ich sage aber auch: Ich bin dagegen, dass wir Kompetenzen im Sicherheitsbereich auf die Europäische Union
neu übertragen. Ein Staat - und somit auch unser Staat hat als Kernaufgabe die Sicherstellung der Sicherheit
seiner Bürger. Dazu muss er die notwendigen rechtlichen Grundlagen und Instrumente behalten; er kann sie
nicht abgeben.
({8})
Wir sind uns einig, dass wir in diesem Land einen
Fachkräftemangel haben, dem wir begegnen müssen.
Wir sollten in erster Linie auf unser eigenes Potenzial
setzen: auf das der deutschen Arbeitskräfte und der Menschen in Deutschland; aber auch auf das Potenzial, das
wir in Europa zur Verfügung haben.
Wir sind uns in der Bundesregierung darüber einig,
dass auch Hochqualifizierten aus Drittstaaten die Zuwanderung möglich gemacht werden muss. Deswegen
werden wir die Hochqualifiziertenrichtlinie der EU, die
sogenannte Blue Card, rasch umsetzen und damit diesem
Bedürfnis Rechnung tragen, ohne zu übersehen, dass es
schon heute eine Fülle von Möglichkeiten gibt, fleißige
und tüchtige Arbeitskräfte, die wir in Deutschland brauchen, in unser Land zu holen.
({9})
Wenn es um die Aktivierung inländischer Fachkräfte
geht, dann muss uns insbesondere die Familienpolitik
am Herzen liegen. Zur Familienpolitik gehört auch, dass
unsere Mütter und Väter ihre Familie und ihre Kinder sicher und geschützt wissen können. Deswegen dürfen wir
nicht tatenlos und schulterzuckend daneben stehen,
wenn Kinderwagen angezündet werden oder Autos brennen - auch in unserer Hauptstadt -, sondern wir müssen
eingreifen.
Ich freue mich, dass wir über die Parteigrenzen hinweg - auch über die Grenzen der Gebietskörperschaften
hinweg, Bund und Land gleichermaßen - gehandelt haben und dass hier in Berlin Bundespolizei und Berliner
Polizei bei der Bekämpfung zusammengearbeitet haben.
({10})
Ich sage aber auch: Wir helfen als Bund gerne, aber
wir können die Strukturversäumnisse, die in einigen
Bundesländern sichtbar werden, langfristig natürlich
nicht ausgleichen. Deswegen ist es dringend notwendig,
sich darüber klar zu werden, dass Sicherheit ein Grundbedürfnis ist. Das muss man sich in allen Bereichen
deutlich machen und dem Rechnung tragen.
Ich denke, dass dieser Haushaltsentwurf zum Ersten
den klassischen Aufgaben des Innenministeriums gerecht wird, zum Zweiten den neuen Herausforderungen
- Stichwort: Internet - gerecht wird und zum Dritten die
richtigen Stellschrauben setzt, die für den Zusammenhalt
unseres Gemeinwesens wichtig sind.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne wünsche
ich für die nächsten Wochen und Monate gute Beratungen dieses Entwurfs.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesinnenminister, Sie haben über die Sicherheitslage in Deutschland gesprochen, über Gefährdungen und Bedrohungen durch den internationalen
Terrorismus. Sie haben ausgeblendet bzw. kein Wort
dazu gesagt, dass es auch andere Bedrohungslagen gibt:
organisierte Kriminalität und Alltagskriminalität. Sie haben hier Ihrer Wertschätzung für den öffentlichen Dienst
und das Ehrenamt Ausdruck verliehen; aber all das bildet sich in Ihrem Haushaltsentwurf überhaupt nicht ab.
({0})
Es ist wahr, dass der Einzelplan 06 von hohen Personalausgaben geprägt ist; aber für Investitionen bleiben
immerhin noch 9,8 Prozent des Gesamthaushalts von
rund 5,5 Milliarden Euro. Damit könnte man durchaus
Akzente setzen. Doch bei Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, und bei den Koalitionsfraktionen sind
solche Akzente nicht erkennbar. Sie haben keinen innenpolitischen Kompass, Sie haben keine Agenda, Sie haben kein Arbeitsprogramm.
({1})
Schon Ihr Amtsantritt war ein klassischer Fehlstart.
Wenige Wochen im Amt, brüskieren Sie die muslimischen Gruppen in Deutschland mit Aussagen wie „Der
Islam gehört nicht zu Deutschland“. Ihre Forderung an
die Islamkonferenz, eine Sicherheitspartnerschaft einzugehen, wird von vielen als Aufforderung zum Denunziantentum aufgefasst. So beginnt man keinen Dialog.
Sie haben viel Porzellan zerschlagen, und ich sehe nicht,
dass bzw. wie Sie das kitten wollen.
Wir erkennen an, dass Sie bei den Integrationskursen
vorankommen wollen, was Differenzierung, Zielgruppen und Qualität betrifft. Doch die Qualität der Kurse
hängt entscheidend von der Qualität der Lehrer ab und
somit auch von ihrer Bezahlung. Wir werden uns nicht
damit abfinden, dass es immer noch Vergütungen von
unter 18 Euro pro Stunde gibt.
Im Bereich des Ausländerrechts schaffen Sie es, ein
gutes Vorhaben in ein schlechtes Gesetz zu pressen. Wir
kritisieren, dass Sie entgegen allen Aussagen von Sachverständigen die Ehebestandszeit im Aufenthaltsgesetz
von zwei auf drei Jahre erhöht haben. Ihr Argument, damit Schein- und Zwangsehen besser aufdecken zu können, ist nicht belegbar. Sie haben mit diesem Gesetz die
Zeit im „Gefängnis Zwangsehe“ und die Gewalt in der
Ehe um ein Jahr verlängert, zulasten der betroffenen
Frauen.
Demokratieförderung, Extremismusbekämpfung und
politische Bildung sind für uns Kernaufgaben der Innenpolitik.
({2})
Dabei kommt der Bundeszentrale für politische Bildung
eine Schlüsselrolle zu. Sie streichen Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung. Im Bereich der politischen Bildungsarbeit kürzen Sie die Mittel um fast
3 Millionen Euro; das ist ein fataler Fehler.
({3})
Gerade die Bereitstellung von Angeboten zur politischen
Bildung von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und bildungsfernen Schichten sowie die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus sind
für die Vermittlung demokratischer Werte und die Stärkung unserer Demokratie unverzichtbar. Deshalb unterstützen wir die Forderung des Kuratoriums der Bundeszentrale, keine Kürzungen vorzunehmen. Wie reagieren
Sie darauf? Ich zitiere aus einem Schreiben:
Die Aufgaben der BpB sind ausschließlich freiwillige Leistungen, die nicht auf gesetzlichen Verpflichtungen beruhen.
Das ist für uns nicht akzeptabel.
({4})
Sie setzen einen weiteren groben Fehler fort: Das
„Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt“ wurde in die Bundeszentrale für
politische Bildung eingegliedert. Damit gefährden Sie
die Stellung des Bündnisses als Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft und Staat und als Ansprechpartner für
zivilgesellschaftliche Gruppen, die ehrenamtlich arbeiten.
({5})
Dies ist vor dem Hintergrund des Wiedereinzugs der
NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern
umso unverständlicher.
({6})
Auch im Bereich des Katastrophenschutzes schwächen Sie das Ehrenamt. Im Haushaltsentwurf für 2012
werden die Mittel für das Bundesamt für Bevölkerungs14382
schutz und Katastrophenhilfe um insgesamt 2,3 Millionen Euro gekürzt, und das bei einem Aufgabenzuwachs,
zum Beispiel durch das neu geschaffene Cyber-Abwehrzentrum. Die Kürzungen der Mittel für den Erwerb von
Fahrzeugen für die Feuerwehren und Sanitätsorganisationen belaufen sich seit dem Haushalt 2010 auf insgesamt 3,7 Millionen Euro. Dies ist genau das Gegenteil
der von der Bundesregierung stets betonten Förderung
des Ehrenamts und ignoriert die Folgen des Wegfalls der
Wehrpflicht für die Hilfsorganisationen völlig.
({7})
Herr Friedrich, Sie sind Verfassungsminister. Wie gehen Sie eigentlich mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht um? Bisher war es
gute Tradition in diesem Hause, Wahlrechtsfragen mit
breiter Mehrheit zu beschließen. Doch beim Koalitionsentwurf wird und kann das nicht so sein. Wie die gestrige Anhörung im Innenausschuss des Bundestages
gezeigt hat, ist Ihr Entwurf ein Überhangsicherungsgesetzentwurf und wird nach unserer Auffassung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht.
({8})
Kein guter Stil ist es auch, dass ein Papier mit Modellrechnungen aus Ihrem Haus erst am Tag der Anhörung
verteilt wird.
({9})
Es wäre ein Armutszeugnis für die Bundesregierung und
die sie tragenden Fraktionen, wenn das Bundesverfassungsgericht Ihren Entwurf wieder kassierte oder per
einstweiliger Anordnung ein Wahlrecht vorgeben
müsste.
({10})
Ihre Unfähigkeit, innerhalb der Koalition zu Lösungen zu kommen, zeigt sich auch beim Datenschutz. Sie
kündigen an, eine Stiftung „Datenschutz“ zu gründen
und gesetzliche Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz zu erlassen, aber Sie liefern nichts. Auch als
Sportminister haben Sie keine Erfolge vorzuweisen.
Durch die halbherzige Unterstützung der Bewerbung
Münchens für die Olympischen Winterspiele 2018 haben Sie und die Bundesregierung eine großartige Chance
verspielt.
({11})
Bei den Maßnahmen zur Dopingbekämpfung schreiben
Sie die Haushaltszahlen der letzten Jahre fort. Die
NADA unterstützen Sie nur halbherzig.
({12})
Die Halbzeitbilanz dieser Bundesregierung im Bereich der Innenpolitik ist mehr als dürftig.
({13})
Sie ist geprägt von Meinungsverschiedenheiten und
Streitereien zwischen dem Bundesinnenministerium und
dem Bundesjustizministerium. Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP blockieren sich bei allen wichtigen Fragen der inneren Sicherheit. Darauf wird Kollege Hartmann noch eingehen. Sie treten auf der Stelle,
und Sie werden den innenpolitischen Herausforderungen
- das zeigt der vorliegende Haushaltsentwurf - nicht gerecht.
({14})
Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser
Woche jährt sich zum zehnten Mal der Anschlag auf das
World Trade Center in New York. Der in der Folge ausgerufene Krieg gegen den Terror hat einschneidende Änderungen der Sicherheitsgesetzgebung unter Rot-Grün
zur Folge gehabt und gesellschaftliche Debatten entfacht. Die Anschläge haben Ängste in der Bevölkerung
gegenüber Zuwanderung und gegenüber dem Islam geweckt. Aber alle müssen sich darüber im Klaren sein:
Seit vielen Generationen leben muslimische Zuwanderer
in Deutschland. Nicht der Islam, nicht irgendeine Religion und nicht die Zuwanderung, sondern die ideologische Verblendung Einzelner ist die Ursache von Terror.
Für die Koalition steht der Zusammenhalt der durch
Zuwanderer bereicherten deutschen Gesellschaft im Mittelpunkt.
({0})
Deutschland braucht im eigenen wirtschaftlichen und
demografischen Interesse gut ausgebildete Zuwanderer.
Wir unterstützen den Bundesinnenminister an dieser
Stelle eindeutig: Die gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften schafft nachhaltig Arbeitsplätze in Deutschland.
({1})
Aus Sicht der FDP müssen die Betroffenen selbst im
Mittelpunkt stehen. Wir stellen uns den Herausforderungen der Integration. Wir halten es nicht für unzumutbar,
Deutsch zu lernen und das Rechtssystem zu kennen. Wir
halten Zuwanderer nicht für bemitleidenswerte und unfähige Menschen, denen nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet werden kann. Integration braucht positives Denken - man muss den Menschen etwas zutrauen -,
nicht aber die Unkultur eines auf Dauer erniedrigenden
Mitleids und des Verzichts auf Integrationsanforderungen. Wir werden noch weiter gehen, um IntegrationsleisHartfrid Wolff ({2})
tungen zu unterstützen und zu honorieren. Fördern und
Fordern gehören zusammen.
Sicherheit ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Sicherheit ist ein globales Zukunftsthema und wird - ob
im Netz oder real - für eine vorausschauende Innenpolitik immer wichtiger. Innenpolitik kann nur erfolgreich
sein, wenn sie als gemeinsames Anliegen der Gesellschaft verstanden wird, nicht als Gegeneinander von
Staat und Bürgern, sondern als Miteinander. Innenpolitik
ist Gesellschaftspolitik. Nicht Angst darf die Triebfeder
unseres Handels sein; Zuversicht muss die Triebfeder
sein.
({3})
Eine reife demokratische Gesellschaft ist verantwortlich für die Normen und Werte, die sie lebt und verteidigt. Diese Aufgabe kann nicht einfach an Polizei und
Sicherheitskräfte delegiert werden. Die Werte eines demokratischen Rechtsstaates müssen von allen täglich
selbstbewusst verteidigt werden. Ein beeindruckendes
Beispiel für vorbildliches Verhalten ist Norwegen. Freiheit, Demokratie, Toleranz, Mitverantwortung und
rechtsstaatliche Prinzipien müssen in den Köpfen verankert werden und nicht nur in Paragrafen. Innere Sicherheit erfordert eine Politik, in der Freiheit und Sicherheit
in eine dauerhaft akzeptierte Balance gebracht werden,
sodass auch ein Amokschütze oder ein Terrorist diese
Balance nicht erschüttern kann. Einen wesentlichen Beitrag kann die Prävention vor Ort, zum Beispiel in Schulen, leisten.
Die Sicherheitsbehörden müssen ihre Rolle als Ansprechpartner für die Ängste und Sorgen der Bürger zurückerhalten. Deshalb muss die Motivation der Beamten
gefördert werden. Diesbezüglich ist die Koalition auf
dem richtigen Weg. Doppelarbeit und Doppelstrukturen
sind wenig effektiv. Deshalb wollen wir Liberalen die
Organisationsstruktur der Sicherheitsbehörden weiterentwickeln. Der Militärische Abschirmdienst ist verzichtbar. Der Zoll ist eine Sicherheitsbehörde. Der ehemalige Innen- und jetzige Finanzminister weiß das
sicherlich.
Auch zum Schutz der Bevölkerung brauchen wir neue
Wege - an Lösungen orientiert, nicht zuerst an Zuständigkeiten. Die Tatsache, dass das THW eine Sicherheitsbehörde ist, geht insbesondere auf die Initiative der
FDP-Fraktion zurück.
Störungen unserer Infrastruktur oder Flutkatastrophen
machen nicht vor Ländergrenzen halt. Wir brauchen ein
neues, einheitliches Bevölkerungsschutzsystem, gemeinsam aufgebaut von Bund und Ländern. Denkbar wäre
deshalb die Einsetzung eines Inspekteurs für den Bevölkerungsschutz.
({4})
Freiheit und Sicherheit mit menschlichem Gesicht in
einer Gesellschaft des Miteinanders, das ist unser Leitbild angesichts der innenpolitischen Herausforderungen
der nächsten Jahre.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden über den Einzelplan 06. Es geht um rund
5,5 Milliarden Euro. Ein wesentlicher Teil davon betrifft
die innere Sicherheit. Deswegen möchte ich damit beginnen.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass sich die
fürchterlichen Anschläge von New York zum zehnten
Mal jähren. Ich will kurz daran erinnern, was seit diesem
Anschlag in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich
der inneren Sicherheit verabschiedet wurde. Ich erinnere
an das Terrorismusbekämpfungsgesetz, an die Ausweitung der Videoüberwachung, an den biometrischen
Reisepass, an die Antiterrordatei, an das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, an das Fluggastdatenabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, an
die Vorratsdatenspeicherung, an den Polizeidrohneneinsatz, an das SWIFT-Abkommen und vieles andere mehr.
Das war nur ein kleiner Überblick.
({0})
Erst wenn wir uns das in der Gesamtschau anschauen,
können wir feststellen, dass der Weg in den präventiven
Überwachungsstaat fortgesetzt wird. Auch der Einzelplan 06 weist - trotz oder wegen der FDP; so genau weiß
man das nicht - genau in diese Richtung. Deswegen
werden wir diesen Haushalt - das kann ich Ihnen vorab
sagen - ablehnen.
({1})
Es ist schon daran erinnert worden, dass es auch um
die Sicherheit der Menschen im Alltag geht. Die Alltagssicherheit auf den Märkten und Plätzen in diesem Land
wird nicht dadurch gewährleistet, dass wir wider besseres Wissen eine Vorratsdatenspeicherung einführen. Sie
wird auch nicht durch die Onlinedurchsuchung verbessert, sondern beispielsweise dadurch, dass die Kontaktbeamten - in Ostdeutschland sind das die Abschnittsbevollmächtigten - ansprechbar sind, wenn die Menschen
Probleme und Alltagssorgen haben. Das wäre der richtige Weg. Dafür steht die Linke.
({2})
Ich habe einige Punkte, die im Bereich der inneren Sicherheit beschlossen worden sind, angeführt. Wir haben,
da wir konstruktiv sind und miteinander ins Gespräch
kommen wollen, einmal nachgefragt, ob das etwas gebracht hat, ob wir all diese Gesetze überhaupt brauchen.
Ich möchte drei Beispiele anführen.
Erstens. Die Onlinedurchsuchung war in der letzten
Legislaturperiode ein Thema, das die Menschen sehr bewegt hat. 2010 haben wir die Bundesregierung gefragt:
Wie viele Onlinedurchsuchungen haben Sie eigentlich
durchgeführt? Die Antwort der Bundesregierung ist sehr
interessant: Keine einzige. Wir haben ein Jahr später erneut nachgefragt.
Was sagt Ihr Haus? Minister Friedrich sagt: Das können wir aus Geheimhaltungsgründen nicht mehr sagen. So geht man bei solch relevanten Grundrechtseingriffen
nicht mit dem Parlament um.
({3})
Es ist unglaublich, wie stumpf man im Umgang mit dem
Parlament sein kann. Es ist doch Aufgabe des Parlaments, solche Befugnisse zu kontrollieren.
Das zweite Beispiel: Wir haben viel über den elektronischen Entgeltnachtweis diskutiert. Er wurde zum Abbau der Bürokratie mit großem Brimborium eingeführt.
Das Gegenteil ist richtig. Die FDP merkte, dass ihre
Klientel das auch nicht toll fand. Langer Rede kurzer
Sinn: Das ganze Projekt wurde beerdigt. Hätten Sie auf
die Opposition gehört, hätte man Millionen sparen können. Auch das ist ein Beispiel dafür, dass Sie Projekte
initiieren, die wir überhaupt nicht brauchen.
({4})
Das dritte Beispiel: Die Debatte über den Körperscanner wurde in der Presse und hier im Parlament mit
mordsmäßigem Brimborium geführt. Er sollte nicht der
absolute, aber ein großer Schritt für mehr Luftsicherheit
werden. Ihr Vorgänger, Herr de Maizière, ist selbst durch
diesen Körperscanner gegangen; wir erinnern uns daran.
Was ist das Ergebnis? Sie haben getestet und getestet
und vor allem gezahlt und gezahlt. Das Ergebnis ist, dass
die Dinger abgebaut und im Labor wieder aufgebaut
werden. Das ist eine unseriöse Politik im Bereich der inneren Sicherheit, um das klar zu sagen.
({5})
All dies ist nur ein kleiner Ausschnitt. Man bräuchte
die Redezeit eines ganzen Nachmittags, um das Scheitern all dieser Großprojekte darzustellen.
({6})
Das Ergebnis ist: Es funktioniert nicht, es wird nicht
gebraucht, und es wird Geld verbraucht. Man müsste
jetzt die Schlussfolgerung ziehen und sagen: Die ganzen
elektronischen Großprojekte, die in die Grundrechte und
den Datenschutz eingreifen, werden auf Eis gelegt. Aus
der Mitte des Parlaments heraus könnte man mit unabhängigen Rechtsanwälten und mit Bürgerrechtlern eine
wirkliche Evaluierung der Frage vornehmen, ob wir all
diese Maßnahmen brauchen, ob sie etwas bringen. Dazu
sind Sie aber nicht bereit.
In diesem Zusammenhang ist die FDP interessant.
({7})
Uns wurde eine Kehrtwende in der Sicherheitspolitik
versprochen. Nun einigen Sie sich, wobei man hier
schlecht von einer Einigung sprechen kann. Sie beugen
sich dem Diktat der CDU/CSU und verlängern die Geltungsdauer all dieser überflüssigen Sicherheitsgesetze,
nur damit Sie Ihre abenteuerliche und irrwitzige Steuerpolitik durchsetzen können. Dafür opfern Sie den letzten
Punkt, in dem Sie Glaubwürdigkeit haben. Von Ihnen ist
wirklich in keinem Politikfeld etwas Sinnvolles übrig
geblieben; das kann man heute konstatieren.
({8})
Eine Umkehr ist geboten. Wir müssen auf vernünftiges Personal setzen. Wir müssen der Privatisierung von
Sicherheit ein Ende setzen, und Sie werden auf unseren
energischen Widerstand stoßen, wenn Sie ernsthaft Söldnertruppen aufbauen lassen wollen, um Piraten zu jagen.
Das ist der völlig falsche Weg. Wir brauchen topfitte Beamte und für sie eine bessere Bezahlung, eine bessere
Ausbildung und bessere Arbeitszeiten. Das wäre der
richtige Weg, um wirklich Sicherheit zu schaffen.
({9})
Ich will zu einem anderen Punkt kommen: Nach diesem Haushaltsentwurf soll es 6 Millionen Euro mehr für
Integrationskurse geben. Das klingt erst einmal sinnvoll
und schlau. Wenn man aber näher hinguckt, dann stellt
man fest, dass das nicht einmal ansatzweise ausreichend
ist, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Sehen
Sie sich einmal die Beschäftigungssituation der Lehrkräfte in den Integrationskursen an. Reden Sie mit den
Leuten, die dort mit sehr viel Engagement tätig sind.
Diese Leute müssen zum Teil aufstocken, sie müssen zusätzlich Hartz IV kassieren, weil sie aufgrund der prekären Beschäftigung in den Integrationskursen nicht vernünftig leben können. Das kann nicht sein. Deshalb sagt
die Linke zusammen mit der Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft zu Recht: Wir brauchen, um konkret
zu werden, ein Mindesthonorar von 30 Euro pro Unterrichtseinheit, weil dort zum großen Teil Selbstständige
tätig sind, die sich selbst versichern müssen. Das wäre
verantwortungsvoll, um diese Tätigkeit, die mit viel
Engagement ausgeübt wird, zu honorieren. Es ist eine
einzige Katastrophe, wie Sie prekäre Beschäftigung in
einem solchen Feld organisieren. Hier ist eine Umkehr
notwendig.
({10})
Zu Ihren Mittelkürzungen im Bereich der politischen
Bildung um 3 Millionen Euro ist einiges gesagt worden.
Das Gegenteil wäre richtig, gerade wenn wir uns das
Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern im Bereich
des Rechtsextremismus angucken. Hier bräuchte man
mehr Geld für die politische Bildung. Wo wir gerade bei
der Bildung sind: Frau Steinbach hat Polen vor einiger
Zeit eine gewisse Mitschuld am Kriegsbeginn 1939 gegeben. Das bedeutet für die Linke ganz eindeutig: Wir brauchen bedeutend mehr Geld für die politische Bildung und
weniger Geld für den Bund der Vertriebenen. Das wäre
die richtige Antwort, die wir hier geben müssten.
({11})
Zum Abschluss meiner Rede noch eine vielleicht interessante Neuigkeit für die Koalitionsfraktionen: Das
BMI ist auch für Ostdeutschland zuständig. Das ist Ihnen offensichtlich noch nicht aufgefallen. Deswegen
möchte ich heute daran erinnern. Ich möchte auch daran
erinnern, dass der Beauftragte der Bundesregierung für
die neuen Bundesländer, Staatssekretär Bergner, bisher
bundesweit vor allem dadurch aufgefallen ist, dass er
überhaupt noch nicht aufgefallen ist. Es ist die denkbar
schlechteste Konstellation, wenn ein CSU-geführtes
Ministerium für Ostdeutschland zuständig ist. Das muss
dringend geändert werden. Das ist eine einzige Zumutung.
({12})
Sie, Minister Friedrich, haben keinen Satz zur Situation in Ostdeutschland gesagt. Dort wurde viel erreicht;
das ist richtig. Bei der Kinderbetreuung und auch bei alternativen Energien ist dort vieles vorbildlich, aber nach
wie vor liegt die Arbeitslosenquote im Westen bei 6 Prozent und im Osten bei über 10 Prozent. Das ist die Realität. Sie sagen dazu nichts. Von Ihnen kommt auch kein
Hinweis darauf, dass man bezüglich der Lohnschere
zwischen Ost und West etwas tun müsste. Nach wie vor
beträgt der Stundenlohn in Ostdeutschland nur 75 Prozent des Westniveaus. Das ist doch nicht hinnehmbar.
({13})
Was sagen Sie dazu? Haben Sie einen Plan, das zu ändern? Den haben Sie offenbar nicht.
Die Bundesregierung sagt auch zu diesem Bereich
überhaupt nichts. Sie sagen nichts zum Lohnniveau in
Ostdeutschland. Sie sagen nichts dazu, dass die Hungerlöhne von heute, die es insbesondere in Ostdeutschland
gibt, die Armutsrenten von morgen sein werden. Auch
das interessiert Sie offenbar überhaupt nicht. Da muss
erst die Linke kommen und Sie daran erinnern. Sie sagen
keinen Satz zu dieser Thematik. Das ist ein Skandal. Der
Ostbeauftragte hat sich gleich in die letzte Reihe gesetzt.
Das kann doch wirklich nicht wahr sein.
({14})
In dem Zusammenhang, Herr Kollege Bergner, wäre
es zum Beispiel angebracht, in Sachsen-Anhalt dafür zu
kämpfen - in Berlin und Brandenburg ist es auf Druck
der Linken gelungen -, für ältere Langzeitarbeitslose einen öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen.
({15})
Sozialversicherungspflichtige menschenwürdige Arbeit
für Langzeitarbeitslose ist die richtige Antwort. Dazu
könnten Sie doch einmal etwas sagen.
({16})
Dass die FDP für solche Personen nichts übrig hat, wissen wir. Was die Menschen davon halten, wurde gerade
eindrucksvoll in Mecklenburg-Vorpommern bewiesen.
Es waren sogar noch 3 Prozent zu viel für eine Partei, die
solche Positionen vertritt. Das möchte ich klar sagen.
({17})
Ich fasse zusammen: Frau Piltz - Sie rufen gerade so
schön dazwischen -, die FDP hat keine Kehrtwende der
Sicherheitspolitik erreicht; der Raubbau an den Bürgerrechten geht weiter. Eine wirkliche Evaluierung findet
nicht statt. Zu Ostdeutschland fällt Ihnen gar nichts ein.
Das ist vielleicht sogar besser; denn wenn Sie etwas machen, ist es meistens das Falsche. Vielleicht sagen Sie
dazu lieber weiterhin nichts und überlassen es der Linken, sich um die Belange Ostdeutschlands zu kümmern.
({18})
Ich möchte noch etwas mit Blick auf den Rechtsextremismus sagen. Herr Innenminister, es ist unfassbar, dass
Sie ausgerechnet die engagiertesten Demokratinnen und
Demokraten in diesem Land Demokratieerklärungen unterschreiben lassen. Das ist absurd und eine Frechheit.
Vielleicht wäre es jetzt eine vernünftige Geste, diese Regelung endlich zurückzunehmen und diesen Menschen
Anerkennung für ihre tägliche Arbeit für eine lebendige
Zivilgesellschaft zu geben. Das wäre angemessen.
({19})
Es ist weiterhin Druck nötig. Ich hoffe, dass nächstes
Wochenende viele an der Demo „Freiheit statt Angst“
teilnehmen, um gegen diese Bundesregierung,
({20})
gegen diese falsche Politik, die Sie machen, zu protestieren. Die Linke steht für den demokratischen Rechtsstaat,
für den Sozialstaat und vor allem für aufmüpfige Bürger,
also für all das, für das Sie nicht stehen.
Schönen Dank.
({21})
Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Die Ereignisse des 11. September 2001
wurden schon angesprochen. Ich denke, diese Ereignisse
sind vielleicht die einzigen, bei denen jeder und jede in
diesem Raum sich erinnert, wo und wann er davon erfahren hat, wer ihm was gesagt hat und was ihm als Erstes dabei durch den Kopf gegangen ist. Es waren absolut
einschneidende Ereignisse, für jeden individuell, aber
auch für die Welt insgesamt.
Mit diesen Anschlägen ist der islamistische Terror in
den Mittelpunkt der Wahrnehmung gerückt. Zweifelsohne mussten und müssen unsere Sicherheitsbehörden
und unsere Sicherheitsvorkehrungen angepasst und auf
die Bedrohungen durch den internationalen und den
transnational agierenden Terrorismus ausgerichtet werden. Ich möchte daran erinnern, dass das schon unter
Rot-Grün eingerichtete Terrorabwehrzentrum einen ganz
wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat und dazu leistet,
dass es in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht
zu Anschlägen gekommen ist.
Die Verbesserung der Sicherheit, das Schließen von
tatsächlichen Sicherheitslücken und eine ordentliche
Evaluierung bestehender Gesetze sind angesichts neuer
Herausforderungen permanente Aufgaben. Diesen Aufgaben stellen wir uns gemeinsam. Der Innenminister hat
bereits darauf hingewiesen: Der Haushaltsausschuss hat
in der Woche vor der Sommerpause die notwendigen
Stellen entsperrt, um die Sicherheit in der Luftfracht zu
verbessern.
Klar ist aber: Die Gefahren für die innere Sicherheit
dürfen uns keineswegs dazu verleiten, Grund- und Bürgerrechte einfach so über Bord zu werfen. Die Politik
der inneren Sicherheit muss die Bürgerinnen und Bürger
doppelt schützen: vor Anschlägen, aber auch vor überflüssigen, unverhältnismäßigen und diskriminierenden
Überwachungsmaßnahmen.
({0})
Im vergangenen Monat wurde nicht nur die Geltungsdauer der Befugnisse, die sich aus dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz ergeben, verlängert, sondern die Befugnisse wurden sogar verschärft, und das
ohne eine ordentliche Prüfung, ob Bürgerrechte unzulässig eingeschränkt wurden. Die FDP hat im Vorfeld zwar
wieder die Backen aufgeblasen, gepfiffen; aber, wie man
so schön sagt, geliefert wurde natürlich nicht. Aber das
wundert uns schon lange nicht mehr.
({1})
Mit 9/11 hat sich auch das Leben der Muslime in
Deutschland gravierend verändert. Viele unbescholtene
Bürgerinnen und Bürger fühlten und fühlen sich unter
Generalverdacht gestellt. Was Rasterfahndung, Schleierfahndung
({2})
und die Existenz des Eingebürgertenregisters im Hinblick auf das Gefühl, heimisch und integriert zu sein,
aber auch im Hinblick darauf, ob man sich integrieren
will, für jeden Einzelnen, also höchst individuell, bedeutet, darüber sollte jeder einmal genau nachdenken, vor
allem weil klar ist, dass die pauschale Einschätzung von
Ausländerinnen und Ausländern, von Menschen mit Migrationshintergrund und insbesondere von Muslimen als
Sicherheitsrisiko faktisch falsch ist.
({3})
Wenn dies den Innenminister nicht beeindruckt, weil es
eine Oppositionsabgeordnete sagt, dann möchte ich Ihnen das Bischofswort zu genau diesem Thema, das gestern veröffentlicht worden ist, ans Herz legen.
Dieser Sommer war überschattet von den schrecklichen Ereignissen in Norwegen. Die Anschläge dort haben uns ganz dramatisch vor Augen geführt, dass es für
derartige Wahnsinnstaten auch ganz andere ideologische
Motive geben kann als die von al-Qaida. Als ich im Juni
dieses Jahres mit der Kinderkommission des Deutschen
Bundestags in Oslo war, bin ich bei einem Abendtermin
mit einer Abgeordneten der sogenannten Fortschrittspartei, einer ganz netten Dame in einem adretten Kostüm,
ins Gespräch gekommen.
({4})
Sie erzählte mir, dass es mit den Muslimen in Norwegen
große Probleme gebe. Sie sagte, dass es dort zu viele
Ausländer gibt und dass nur noch die Muslime Kinder
bekommen, die Norweger aber nicht. Es war eine Art
„Norwegen schafft sich ab“, nur ohne Buch.
({5})
- Und ohne Sarrazin; das stimmt.
({6})
Im Juni lag die Fortschrittspartei in Norwegen in Umfragen bei mehr als 20 Prozent. Nach den Anschlägen hat
die Vorsitzende der Fortschrittspartei natürlich jeden Zusammenhang zwischen dem Programm ihrer Partei und
dem, was passiert ist, ganz weit von sich gewiesen.
In der Zeit standen die erschreckenden, aber, wie ich
finde, völlig richtigen Sätze - ich zitiere mit Erlaubnis
der Präsidentin -:
({7})
Anders Breivik kam nicht aus dem Nichts. Er mag
ein Einzeltäter gewesen sein, das wird sich noch herausstellen, aber sicher ist schon jetzt: Er war kein
Einzeldenker.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch vor diesem
Hintergrund wäre es gut gewesen, wenn wir von unserem Innenminister heute den Satz gehört hätten, dass der
Islam ganz selbstverständlich zu Deutschland gehört.
Vielen Dank.
({8})
Der Kollege Dr. Günter Krings hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der heute vorliegende Entwurf des Bundeshaushalts 2012 für das Innenressort ist ein klares Bekenntnis
zur inneren Sicherheit in unserem Land. Er ist ein klares
Bekenntnis der christlich-liberalen Koalition zu diesem
Thema, dem Kernthema des Staates. Ich bedanke mich
gerade bei dem Innenminister für die hervorragende Vorbereitung dieses Entwurfs.
({0})
Die klare und wichtige Schwerpunktsetzung auf innere Sicherheit sehen wir am augenfälligsten daran, dass
fast die Hälfte dieses Etats der Bundespolizei zugutekommt. Wir sehen es daran, dass wir trotz Sparnotwendigkeiten, die wir alle nicht bestreiten wollen, im Entwurf das Niveau von 2011 gehalten haben. Ja, wir haben
sogar einen leichten Aufwuchs bei der Bundespolizei
und beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zu verzeichnen.
Seit 2006, seit CDU- oder CSU-Minister Verantwortung im Innenressort tragen, gibt es einen kontinuierlichen Aufwuchs um insgesamt etwa 400 Millionen Euro
in diesem wichtigen Bereich. Das ist ein gutes und starkes Signal für die innere Sicherheit in unserem Land.
({1})
Die von mir genannte Bundespolizei und ihre entscheidende Bedeutung sieht man nicht nur im Bereich
der Grenzkontrollen und der immer stärker und notwendiger werdenden Auslandsverwendung. Wir sehen das
auch immer stärker bei der Unterstützung der Landespolizei. Wir stellen es besonders stark und besonders klar
hier in Berlin fest, wo es eben leider der Berliner Polizei
nicht gelungen ist, Gewalt- und Vandalismusexzesse der
vergangenen Wochen alleine zu stoppen. Erst durch die
Bundespolizei konnten hier effektive Abschreckungsund Aufklärungswirkungen erzielt werden. Dafür herzlichen Dank!
({2})
Ich will aber eines klipp und klar sagen: Das liegt in
keinem Falle am mangelnden Engagement der Berliner
Polizisten. Ganz im Gegenteil: Das sind motivierte und
hoch engagierte Kollegen. Sie werden aber seit zehn Jahren vom rot-roten Senat im Stich gelassen. Ihnen werden
Stellen gekürzt. In den letzten zehn Jahren sind in Berlin
unter SPD-Verantwortung 4 000 Stellen gekürzt worden.
({3})
Sie sind Opfer einer sogenannten Deeskalationsstrategie,
die auf die Knochen der Polizisten geht.
({4})
Dem rot-roten Senat ist es wichtiger, dass sie Namensschilder tragen, als dass sie angemessen ausgestattet
sind. Das ist das Gegenteil unserer Sicherheitspolitik.
({5})
Neben der richtigen Ausstattung für die Polizei brauchen unsere Polizeikräfte natürlich auch angemessene
und verantwortungsvoll genutzte Befugnisse. Das ist gerade im letzten Jahrzehnt angesichts neuer terroristischer
Herausforderungen deutlich geworden. Eben wurde es
mehrfach erwähnt: Am kommenden Sonntag begehen
wir den zehnten Jahrestag des grausamen Massenmordes
vom 11. September 2001. Ich finde, es ist an dieser
Stelle der Ort, auch einmal darauf hinzuweisen, dass unter den 3 000 Toten - das geht in der Gesamtzahl fast unter - damals auch immerhin elf Deutsche waren und dass
wir insgesamt in den letzten zehn Jahren als zivile Opfer
des islamistischen Terrors den Tod von über 40 deutschen Mitbürgern zu beklagen haben.
Wir müssen auch nach zehn Jahren weiter wachsam
bleiben, nicht nur, aber eben auch gegenüber der Gefahr
des islamistischen internationalen Terrors, der nicht nur
uns in Deutschland und in der westlichen Welt bedroht,
sondern auch eine große Bedrohung in allen Teilen der
Welt ist, gerade auch im asiatischen Raum. Aus diesem
Grunde ist es wichtig, dass die Polizei wachsam ist. Aber
wir brauchen verstärkt auch - das haben wir gesehen nachrichtendienstliche Erkenntnisse. Ohne diese geht es
nicht. Es geht nicht mit einer Omnipräsenz der Polizei,
sondern wir sind darauf angewiesen, nachrichtendienstliche Erkenntnisse mit europäischen, auch transatlantischen Partnern vertrauensvoll auszutauschen. Deswegen reagieren wir so allergisch darauf, wenn man jede
dieser notwendigen Kooperationsmaßnahmen gleich unter Generalverdacht stellt. Ohne diese Kooperation hätte
es in Deutschland wahrscheinlich weitere Anschläge gegeben. Deshalb ist dieser Austausch wichtig und notwendig.
({6})
Die schreckliche Bluttat von Norwegen - auch das
will ich erwähnen - hat gezeigt: Selbst vermeintliche
Einzeltäter sind über die Landesgrenzen hinaus vernetzt
und müssen international bekämpft werden.
Sicherheit ist aber nicht nur in der sichtbaren Welt
wichtig, sondern auch im digitalen Raum. Das Internet
ist Mittel zur Begehung von Straftaten: von feigen Verleumdungen durch meistens anonyme Verleumder, die
Existenzen zerstören können, über den Diebstahl geistigen Eigentums bis hin zum Identitätsdiebstahl. Jede Minute wurden in Deutschland zwei Identitäten gestohlen
und werden damit Betrugstaten begangen.
In diesem Bereich verzeichnen wir einen Anstieg der
Kriminalität um 8 Prozent. Schon das ist alarmierend.
Zusätzlich gibt es klare Hinweise darauf, dass sich dahinter ein noch viel größeres Dunkelfeld verbirgt.
Zum anderen ist das Internet aber auch ein immer beliebteres Ziel von Angriffen, viele davon aus dem Ausland. Insgesamt haben wir pro Jahr etwa 1 800 Hackerangriffe.
Außerdem wird das Internet immer mehr - das ist es
schon zunehmend geworden - zu einer lebenswichtigen
Infrastruktur. Natürlich hat der Staat auch eine Verantwortung zum Schutz dieser Infrastruktur. Diesen staatlichen Schutzauftrag nehmen wir in dieser Bundesregierung und in dieser Koalition ernst. Deshalb wurde in
diesem Jahr das Nationale Cyber-Abwehrzentrum gegründet. Wir müssen auch weitere Kompetenzen im
Sinne von Sachkunde aufbauen, um mit der Entwicklung
Schritt zu halten. Deswegen ist es richtig, dass es beim
BSI an dieser Stelle zu einem gewissen Aufwuchs
kommt.
Mit Terrorismusbekämpfung und Internetkriminalität
habe ich bereits zwei Beispiele für die europäische
Dimension der Innenpolitik angesprochen. Wichtig
bleibt aber trotz allem - das hat der Minister sehr richtig
gesagt - eine saubere Abgrenzung zwischen nationalen
und europäischen Zuständigkeiten.
Die Asylpolitik ist für uns ein zentrales Beispiel dafür, was in nationaler Verantwortung bleiben muss jedenfalls fairerweise so lange, wie es durch unterschiedliche Sozialpolitiken in verschiedenen Staaten der
Europäischen Union sehr unterschiedliche Migrationsanreize gibt.
Deswegen sehen wir aktuelle Kommissionsvorschläge für ein gemeinsames europäisches Asylsystem
sehr kritisch; denn im Ergebnis würden sie genau das
Gegenteil von Gemeinsamkeit und europäischer Vereinheitlichung schaffen. Wenn zum Beispiel laut Kommissionsvorstellungen vorgesehen werden soll, dass ein
Asylbewerber gerichtlich erstreiten darf, in welchem
Land sein Asylverfahren durchgeführt werden soll, ist
das nichts anderes als ein Schlag ins Gesicht der Idee des
europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts; denn dadurch wird die dauerhafte Unterschreitung und Missachtung der Mindeststandards im Asylverfahren in einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union gerade zementiert. Genau das können wir nicht
hinnehmen. Wir brauchen im Asylrecht nicht immer
neue Regeln, sondern endlich die europaweite Befolgung der bestehenden Regeln.
({7})
Das gilt aus meiner Sicht auch ganz generell in der
Europäischen Union. Die neuen und auch die alten Probleme der Europäischen Union werden wir nicht durch
immer mehr Rechtsetzung lösen können. Vielmehr brauchen wir endlich mehr Rechtdurchsetzung, also Durchsetzung der Regeln, die wir schon längst beschlossen haben.
Das gilt auch für das Schengener Grenzkontrollregime. Die Schengener Regeln müssen effektiver ausgestaltet und durchgesetzt werden. Ich bin sehr froh, dass
dazu jetzt endlich Kommissionsvorschläge auf dem
Tisch liegen. Diese Vorschläge müssen wir eingehend
prüfen.
Persönlich sage ich aber: Zumindest einen Schritt
halte ich für richtig, nämlich den Vorschlag, dass auch
unangemeldete Inspektionen der Grenzkontrollen durch
Frontex erfolgen können sollen. Denn wir brauchen
- ich wiederhole es - eine klare Durchsetzung der bestehenden Regeln. Und je besser wir die Grenzen kontrollieren und je mehr wir auf andere Staaten vertrauen können, desto gelassener können wir es dann vielleicht auch
sehen, wenn neue Staaten in den Schengenraum hineinkommen wollen.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch einen Satz zum
Thema Wahlrecht, weil Frau Fograscher es in der Mitte
ihrer Rede angesprochen hat, obwohl es mit Haushalt eigentlich nicht viel zu tun hat.
({8})
Frau Fograscher, es geht in meinem Feld aber um Zahlen. Das war wahrscheinlich auch der Bezug.
Wir haben gestern die Anhörung aufmerksam verfolgt. Die meisten von Ihnen konnten nicht da sein. Ich
nenne Ihnen noch einmal das Ergebnis: Der Entwurf der
SPD ist mit Abstand am schlechtesten bewertet worden.
({9})
Wir haben als Koalition einen Vorschlag vorgelegt,
den man nicht mögen muss, der aber das verfassungsrechtlich vorgegebene Problem löst.
Da es so ist, hoffe ich darauf, dass die SPD als die
einzige politische Kraft im Hause, die keinen verfassungstauglichen Vorschlag gemacht hat, sondern mit ihrem Vorschlag das verfassungsrechtliche Problem nicht
einmal im Ansatz löst,
({10})
vielleicht auf unseren Vorschlag, auf den sich immerhin
schon drei Parteien im Bundestag verständigt haben, einschwenken kann. Ich hoffe jedenfalls auf gute Gespräche.
Kennzeichen christlich-demokratischer und christlich-liberaler Innenpolitik ist der soziale Zusammenhalt.
Deswegen ist für uns neben den Sicherheitsthemen auch
wichtig, dass wir im BMI federführend das Thema des
demografischen Wandels in den nächsten Jahren anpacken. Wir erwarten hier einen Demografiebericht, und
die Bundesregierung wird eine Demografiestrategie vorlegen. Das ist Teil des sozialen Zusammenhalts.
Teil des sozialen Zusammenhalts in der Innenpolitik
ist ferner, dass wir Generationengerechtigkeit ernst nehmen. Deswegen haben wir bei allen wichtigen Aufgaben
heute auch einen sparsamen Haushalt zu beraten. Aus
diesem Grunde ist der vorliegende Vorschlag gut. Ich
freue mich auf die Beratungen.
Vielen herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Krings, zum Thema Wahlrecht will
ich Ihnen doch direkt auch eine Antwort geben. Wissen
Sie, Hochmut kommt vor dem Fall. Wer es über drei
Jahre hinweg nicht schafft, die Vorgaben des Verfassungsgerichts umzusetzen, der sollte mit anderen in den
Dialog kommen, statt sie verächtlich zu behandeln. Sie
werden uns noch sehr brauchen, Herr Krings.
({0})
Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, man muss
nicht ans Rednerpult treten wie Franz Josef Strauß selig,
mit großer Rhetorik und rotem Kopf. Aber so leidenschaftslos, wie Sie sie gehalten haben, muss eine Einbringungsrede wahrhaftig nicht sein, sehr geehrter Herr
Bundesinnenminister.
({1})
Das ist aber in gewisser Weise symptomatisch. Denn
es gab Zeiten, als es für einen Konservativen etwas wie
ein hoher Ritterschlag war, Bundesinnenminister zu werden. Jetzt war es aber so, dass sich das Karussell wild
drehte, aber keiner wollte und einer musste. Das war
Hans-Peter Friedrich. Dementsprechend füllt er sein
Amt auch aus.
({2})
Denn in dieser Bundesregierung ist die Innenpolitik auf
den Hund gekommen. Sie nehmen das Themenfeld nicht
ernst.
({3})
Spätestens seit dem Wechsel von Thomas de Maizière
in das Amt des Bundesverteidigungsministers sind keinerlei Richtung und Orientierung mehr erkennbar. An
Bundesminister de Maizière als Minister des Innern erinnert vor allem die verunglückte Organisationsreform der
Sicherheitsbehörden, die Sie als eine Ihrer ersten Amtshandlungen wieder kassieren mussten bzw. durften. Es
wurde eine Kommission eingesetzt, die die bewährte
Sicherheitsarchitektur Deutschlands ohne Not infrage
stellt. Hinterher will es keiner gewesen sein.
Warum haben Sie so viele anerkennende Worte in
Richtung Bundeskriminalamt und Bundespolizei gefunden, aber nicht klar gesagt, dass es ein großer politischer,
organisatorischer und polizeilicher Fehler war, was Ihr
Vorgänger damals angestellt hatte?
({4})
Es gibt in der Tat einen großen Diskussionsbedarf bei
unseren Sicherheitsbehörden. Aber warum reden Sie
nicht zunächst über eine Aufgabenkritik? Warum sagen
Sie kein Wort darüber, dass die Burn-out-Quote bei der
Bundespolizei himmelschreiend hoch ist? Warum reden
Sie von Wertschätzung, kürzen aber ohne Not das Weihnachtsgeld weiter? Das ist die wahre Politik, die Sie betreiben. Alles andere ist Rhetorik.
({5})
Ihr Vorgänger im Amt hat an die Stelle der inneren Sicherheit die sogenannte öffentliche Sicherheit stellen
wollen. Sei’s drum: So oder so, ob als innere oder öffentliche Sicherheit betitelt, ist es das Kerngeschäft des Bundesinnenministers. Aber warum betreiben Sie dieses
Kerngeschäft nicht, sondern schwadronieren über
1 000 mögliche Terroristen in Deutschland? Woher haben Sie diese Zahl? Sicherlich nicht vom Bundeskriminalamt oder von den Diensten. Sie arbeiten nämlich seriös.
Mit welchem Ziel werfen Sie solche Zahlen in die
Diskussion? Was wollen Sie daraus ableiten? Ich kann es
nicht erkennen, und ich glaube, auch das geneigte Publikum nicht, ebenso wenig wie die Bild-Zeitung, in der Sie
das kundtun zu müssen meinten.
Eigentlich käme es darauf an, an die solide Politik der
inneren Sicherheit, wie sie unter Rot-Grün begonnen
und in der Großen Koalition fortgesetzt wurde, weiter
anzuknüpfen.
({6})
Das bedeutet, dass viele Themen gefälligst vorangetragen werden müssen.
({7})
- Wo es ernst wird und Handeln gefordert ist, liebe Frau
Piltz, da ist völlig Fehlanzeige.
({8})
An dieser Stelle sei das Lieblingsthema Vorratsdatenspeicherung genannt. Auf der einen Seite steht die FDP,
die sofort den Orwell’schen Überwachungsstaat wittert
und die Bürgerrechte vernichtet sieht, wenn man damit
vorangeht. Auf der anderen Seite steht die Union, die
ständig fordert, es müsse schneller gehen und sie müsse
tiefer gehen. Entschieden wird aber nichts. Alles, was
wir erleben, ist Streit auf offener Bühne. Das ist keine
gute Politik der inneren Sicherheit.
({9})
Das lässt sich fortsetzen. Das Stichwort Sicherheit bei
der Luftfracht haben Sie dankenswerterweise wenigstens
erwähnt. Aber die offenkundigen Lücken beim Fracht14390
Michael Hartmann ({10})
verkehr in Passagiermaschinen sehen wir noch nicht geschlossen. Oder sind sie inzwischen geschlossen worden, Herr Minister? Stattdessen tobt weiterhin ein Streit
zwischen dem Finanzministerium, dem Verkehrsministerium und dem Innenministerium darüber, wo die Kompetenzen liegen sollen. Ich sage es Ihnen: Die Kompetenzen müssen bei der Bundespolizei liegen. Dort
gehören sie hin und nirgendwo anders, Herr Minister.
Stichwort Piraterie. Es wird darüber schwadroniert
und fabuliert, man müsse das Waffenrecht ändern. Es
wird darüber geredet, dass private Sicherheitsdienste zukünftig eine Kernaufgabe des Staates erfüllen sollen. Es
wird darüber geredet, die Polizei solle in den Einsatz,
und es wird darüber geredet, die Bundeswehr solle in
den Einsatz. Nur, gehandelt wird nicht - und das bei einem Kernthema der inneren Sicherheit, Herr Minister.
({11})
Es geht so weiter beim Thema organisierte Kriminalität. Das ist ein Schwerpunkt, und darüber war verdammt
wenig zu hören. Wie ist das eigentlich mit der Kontrolle
der Drogenwege nach Deutschland? Wie verhält es sich
eigentlich mit dem großen Thema der Geldwäsche?
({12})
Was ist mit der Mafia, die ihr Unwesen bei uns treibt?
Was ist mit der Technik, die wir brauchen, und dem Personal? Darüber äußert sich die Koalition unklar.
Last, but not least - auch das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Die Bundespolizei, die in Saudi Arabien sozusagen als Handlanger von EADS unterwegs ist, handelt
auf einer fehlenden Rechtsgrundlage; denn - das bewegt
sich am Rande des Verfassungsbruchs - der Vertrag, der
abgeschlossen wurde, wurde niemals durch das deutsche
Parlament ratifiziert. Legen Sie ihn schnellstens vor, und
sagen Sie uns bitte, was wirklich in Saudi Arabien passiert, sehr geehrter Herr Minister.
({13})
Herr Minister, wer wie Sie - jetzt zitiere ich Sie klare Kante ohne viel Radau als seine Devise als Bundesinnenminister bezeichnet, der muss ein geordnetes
Regieren gewährleisten, ganz im Sinne staatskonservativer Tugenden. Das muss er zu seiner Maxime machen.
Davon ist allerdings nichts zu hören und nichts zu sehen.
Stattdessen kommt einem das Ganze vor wie die Geschichte vom Münchner im Himmel: Er sitzt da, er trinkt
seine Maß, und der Innenminister wartet auf die göttlichen Ratschläge. Die werden ausbleiben, Sie müssen es
selbst machen, Herr Minister.
({14})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Florian Toncar
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren, wenn wir über die innere Sicherheit sprechen, darüber, wie wir unseren Bürgern Freiheit
gewährleisten und wie wir sie schützen können. Dazu
gehört natürlich auch, dass sie frei sind von Bedrohungen ihrer körperlichen Gesundheit oder ihres Eigentums.
Dabei geht es nicht darum, dass man sich im politischen
Wettbewerb mit immer neuen Vorschlägen für immer
schärfere Gesetze überbietet, die letzten Endes nur eine
symbolische Wirkung haben. Es geht vielmehr um sinnvolle Gesetze, die tauglich und verhältnismäßig sind und
die nicht stärker in die Freiheit der Bürger eingreifen, als
es nötig ist. Wenn man solche Gesetze hat, ist es nötig,
dass sie vollzogen werden. Zu einem guten Vollzug gehört eine ausreichende Zahl von Mitarbeitern in den Sicherheitsbehörden, die motiviert sind, gerne ihren Dienst
tun und auch gut ausgestattet sind. Genau dieser Aspekt
ist es, der beim Haushalt eine Rolle spielt.
Ich will aber auf das Thema der Sicherheitsgesetze
eingehen. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz ist von
dieser Bundesregierung evaluiert worden. Die Evaluation hat erstmals ernsthaft stattgefunden. Sie hat dazu
geführt, dass etliche Befugnisse als überflüssig erkannt
und deswegen gestrichen worden sind. Das muss man
festhalten. Wir machen das, was nötig ist, aber was
nichts bringt oder unverhältnismäßig ist, wird gestrichen. So stellen wir uns Innenpolitik vor.
({0})
Wir haben in der Koalition Einigung darüber erzielt,
dass wir beim Kampf gegen das Verbrechen der Kinderpornografie im Internet dem Grundsatz „Löschen
statt Sperren“ folgen, weil nur dadurch eine nachhaltige
Wirkung erzielt und das Problem an der Wurzel gepackt
wird. Ich glaube, dass wir hier eine ausgesprochen praktikable und sinnvolle Lösung gefunden haben. Insofern
kann keine Rede davon sein, Herr Kollege Korte, dass
ein Raubbau an Bürgerrechten stattfindet. Sie haben
auch nicht anhand von Beispielen belegt, dass Bürgerrechte eingeschränkt worden sind.
({1})
Ich will Ihnen eines deutlich sagen: Es fällt mir ausgesprochen schwer, mir solche Reden von Ihnen anzuhören. In Ihrer Partei gibt es Leute, die sitzen bleiben,
wenn am 13. August der Maueropfer gedacht wird, und
Ihre Parteiführung schickt Ergebenheitsadressen an den
Diktator in Kuba, der die Menschenrechte jeden Tag mit
Füßen tritt.
({2})
Sparen Sie sich einfach Ihre Reden und schauen Sie,
dass Sie Ihren eigenen Laden in Ordnung bringen.
Ich komme zum Thema Ressourcen. Wir brauchen
Sicherheitsbehörden, die gut ausgestattet sind. Wir müssen feststellen, dass es im Vollzug keine Stelleneinsparungen gibt. Wir sparen beim Personal, aber nicht beim
Vollzug von innerer Sicherheit.
Im Übrigen hat es unsere Koalition im letzten Jahr geschafft, dafür zu sorgen - es ist lange Zeit versucht worden und nicht gelungen -, dass das Technische Hilfswerk - es hat eine ganz wichtige Aufgabe für den
Bevölkerungsschutz - im Haushaltsgesetz als Sicherheitsbehörde anerkannt worden ist. Die Folge ist, dass
auch dort zukünftig keine Stelleneinsparungen vorgesehen sind.
({3})
Das ist etwas, was für den Bevölkerungsschutz in
Deutschland ebenfalls ein wichtiger Fortschritt ist.
Sicherheitsbehörden müssen natürlich auch effizient
arbeiten. Doppelstrukturen und doppelte Aufgabenwahrnehmungen sind fragwürdig. Sie müssen weg. Sie behindern nicht nur eine gute Arbeit für die innere Sicherheit,
sondern sie sind den Bürgern in Zeiten knapper Kassen
schlicht und ergreifend nicht zuzumuten.
({4})
Herr Minister, deswegen ist es gut, dass Ihr Vorgänger
eine Diskussion darüber angestoßen hat. Übrigens habe
auch ich die Idee, dass man ausgerechnet die Bundespolizei und das BKA zusammenlegt, nicht für naheliegend gehalten. Die Diskussion darüber, wo es in der Sicherheit doppelte Strukturen gibt, ist aber wichtig. Ich
möchte Sie ausdrücklich ermuntern, dass Sie diese Diskussion fortsetzen. Wir sollten darüber reden, was beim
Zoll und bei der Bundespolizei oder beim Zollkriminalamt und beim Bundeskriminalamt zusammengelegt werden kann. Wir schulden unseren Bürgern, dass wir
darauf hinwirken, dass unsere Sicherheitsbehörden effizient aufgestellt sind und dass zwei Stellen letzten Endes
nicht sehr ähnliche Aufgaben übernehmen.
({5})
Wenn es uns gelingt, genau dafür zu sorgen - dazu
möchte ich Sie ermuntern, Herr Minister -, dann können
wir die Effizienzreserven im Haushalt für die Lösung eines wichtigen Problems nutzen, das uns in allen Haushalten, im Haushalt des Bundesministeriums des Innern
aber im besonderen Maße in den nächsten zehn Jahren
begegnen wird: Wie schaffen wir es, dass wir genug qualifiziertes und motiviertes Personal für den öffentlichen
Dienst, gerade für Sicherheitsbehörden, gewinnen? Dieses Problem hat sich lange aufgebaut, und es wird eine
gewisse Zeit brauchen, um es zu lösen. Der demografische Wandel und der Arbeitsmarkt werden uns in den
nächsten Jahren vor riesige Probleme stellen, um die wir
uns kümmern müssen.
Ich schlage vor, dass wir uns überlegen, wie man einerseits eine effizientere Architektur schafft, wie man
dadurch Geld einspart, dass man Doppelstrukturen abbaut, und wie man andererseits das eingesparte Geld
nutzt, um zu schauen, wie man Beschäftigung attraktiver
macht, wie man für mehr Leistungsgerechtigkeit sorgt
und wie man zeigt: Es lohnt sich, eine ganze Beamtenlaufbahn beispielsweise bei der Polizei zu absolvieren,
etwa weil Beförderungen in Aussicht stehen. Das alles
sind Dinge, die heute nicht gewährleistet sind. Dem entgegenzuwirken, darum müssen wir uns kümmern. Wenn
wir es schaffen, bei der Effizienz der Sicherheitsbehörden besser zu werden, dann haben wir auch die Ressourcen, mehr in die Qualität und in die Motivation des Personals zu investieren. Daran sollten wir bei diesem
Haushalt jetzt und in Zukunft arbeiten.
({6})
Der Kollege Dr. Konstantin von Notz hat das Wort für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Toncar, es ist Ihnen gelungen, über
Sicherheitsgesetze viele Minuten zu reden und - wie
viele Ihrer Vorrednerinnen und Vorredner - kein Wort
zur Vorratsdatenspeicherung, einem ganz zentralen
Thema, zu sagen. Zum Glück spricht gleich der Kollege
Uhl; er wird das bestimmt anders machen.
({0})
Die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung hängt
dieser Koalition wie ein schwerer Stein um den Hals. Er
nimmt Ihnen die Luft zum Atmen und zum Handeln.
Diesen Stein haben Sie sich selbst umgehängt - die
Union, indem sie trotz des Bundesverfassungsgerichtsurteils unbelehrbar und verbohrt an diesem Bruch mit
unserer Rechtsdogmatik festhält; Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen der FDP, so unterstützenswert Ihr Kampf
gegen die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich auch
ist, haben dieses Trauerspiel mitzuverantworten, weil Ihrer Fraktion im Kern die Senkung der Hotelsteuer wichtiger ist als der Schutz der Bürgerrechte.
({1})
Die Innenpolitik dieses Landes liegt seit zwei Jahren
in Ihrer Verantwortung, und sie liegt brach. Ihre Bilanz
ist fatal. Was wollte die FDP nicht alles zurückholen!
Nichts ist passiert. Im Bereich des Datenschutzes kann
die Koalition nicht eine einzige erfolgreich realisierte
Initiative vorweisen. Nur Hiobsbotschaften bei Ihren
vermeintlichen Prestigeobjekten De-Mail und N-Perso,
und 22 Millionen deutsche Facebook-Nutzer werden da14392
tenschutzrechtlich noch immer alleingelassen. Die Verbraucherschutzministerin boykottiert das Netzwerk, und
die schwarz-gelbe Koalition, Herr Minister, boykottiert
ein versprochenes Rote-Linie-Gesetz und jeglichen Gestaltungsanspruch.
Das ist die wahrlich tragische Bilanz nach zwei Jahren, vor allem für die selbsternannte Bürgerrechtspartei
FDP. Und als wäre das alles nicht schlimm genug, die
schwierige Koalition mit der CDU, die dauerhafte Garstigkeit der CSU und die Ignoranz der eigenen Fraktionsführung für die Bedeutung der Innen- und Rechtspolitik,
jetzt kommt auch noch der Kollege Wolff und schreibt
ein Papier, das den letzten verbliebenen kleinen Kern Ihres bürgerrechtlichen Selbstverständnisses entsorgt.
({2})
Wenn Sie mich jetzt so kritisch angucken - Herr
Wolff, ich habe es gelesen -, dann kann ich nur sagen:
Wie man sich bettet, so liegt man. Wenn Sie solche fraktionsinternen Diskussionen jetzt führen, dann hat Ihnen
die CSU gerade noch gefehlt.
({3})
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union
- Herr Grindel, ich komme jetzt zu Ihnen -, darf ich
nach der Lektüre Ihres jüngsten Beschlusses mit dem Titel „Für mehr Sicherheit in unseren Großstädten - null
Toleranz gegenüber Gewalt und Vandalismus“
({4})
sagen, die Innenpolitik dieses Landes ist ein zu wichtiger
und zu verfassungsrelevanter Bereich, als dass man sie
Ihrem Populismus überlassen darf.
({5})
Sicherlich gibt es ein Anschlagsrisiko in Deutschland,
das wir Grüne sehr ernst nehmen. Natürlich sind gefährliche Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen in Berlin,
Hamburg und anderswo Straftaten, denen man entschieden begegnen muss. Wer aber so tut, als ob man in
Deutschland an keiner Ecke stehen kann, ohne gleich
von einem Terroristen, Linksextremen oder Jugendlichen überfallen zu werden, der zeichnet bewusst ein
Zerrbild von der Sicherheitslage in diesem Land, das eines der sichersten Länder auf der Erde ist.
({6})
Sie tun das, um bei den anstehenden Landtagswahlen
- das war Ihrer Rede, Herr Kollege Krings, gerade deutlich anzumerken - ein bis zwei Prozentpünktchen dazuzugewinnen. Ich sage Ihnen, der politische Schaden, den
Sie mit solchen Reden und Papieren anrichten, ist ganz
erheblich; denn Sie untergraben das Vertrauen der Menschen in unserem Rechtsstaat,
({7})
dessen Polizei- und Sicherheitsbehörden sehr viel erfolgreicher arbeiten, als Sie von CDU und CSU das offenbar
wahrhaben wollen.
Noch ein Wort in Richtung SPD zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Wenn selbst in Ihrem progressivsten
Gremium - das will ich jetzt einmal so nennen -, dem
Gesprächskreis „Netzpolitik“, nicht mehr über das Ob,
sondern nur noch über das Wie der Vorratsdatenspeicherung verhandelt wird, ist auch das ein Armutszeugnis.
({8})
Die Vorratsdatenspeicherung ist keine Frage des politischen Verdealens von Monatsfristen. Wer hier heute
keine klare Linie zieht, der muss morgen zusehen, wie
die letzten Dämme brechen. Die wichtige Demonstration
für Bürgerrechte „Freiheit statt Angst“ - das ist schon
angesprochen worden -, die am Wochenende stattfinden
soll, wollen Sie als SPD unterstützen. Gleichzeitig streiten Sie hier für eine Vorratsdatenspeicherung. Das geht
nicht zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD.
({9})
Zum Schluss zu ELENA. Da passt das Verhalten insgesamt hier im Haus nicht zusammen. Was die Koalition
da unter dem Beifall der SPD - wenn ich das noch einmal
in Erinnerung rufen darf - abgeliefert hat, ist mehr als
peinlich. Zwei Jahre lang Verzögerungstaktik, heimliche
Beerdigung in der ersten Woche der Sommerpause ({10})
peinlich. Statt unserem Antrag zu Beginn dieser Legislaturperiode einfach zuzustimmen, haben Sie sinnwidrigste Abwehrkämpfe, schöngefärbte Reden - ich sage
nur: die schöne Helena -, datenschutzrechtlich hochproblematische Verfahrensweisen und millionenschwere
Kosten für die Wirtschaft und die öffentliche Hand zu
verantworten. Das alles ist wahrlich kein Ruhmesblatt.
Es ist Halbzeit für die schwarz-gelbe Koalition, Zeit
für ein innenpolitisches Zwischenzeugnis: Die Versetzung ist bei einer solchen Bilanz nicht gefährdet, sie ist
schlicht ausgeschlossen.
Ganz herzlichen Dank.
({11})
Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl spricht nun für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Dieser Haushaltsentwurf setzt die richtigen
Schwerpunkte. Mit 3,72 Milliarden Euro für die innere
Sicherheit, also zwei Dritteln des Haushalts des BMI,
sind die Schwerpunkte dort gesetzt, wo sie hingehören;
denn die furchtbaren Terroranschläge in den USA, die
sich jetzt zum zehnten Mal jähren, waren in der Tat ein
Fanal für die gesamte westliche Welt. Danach hat es eine
Serie von Anschlägen gegeben. Auch in Deutschland
gab es versuchte und erfolgte Anschläge, die uns zeigen,
dass die terroristische Bedrohung nach wie vor besteht.
Herr Kollege Hartmann, es ist doch ziemlich müßig,
jetzt darüber zu rechten, wie viele Gefährder wir im
Land haben.
({0})
Sie haben übrigens den Minister falsch zitiert. Er hat niemals gesagt, es seien 1 000 Gefährder. Vielmehr haben
wir, wie Fachleute schätzen, etwas mehr als 200 Gefährder und daneben eine gewaltbereite terroristische Szene,
die sehr viel größer ist.
Damit sind wir beim Punkt. Der Staat hat die Aufgabe, seine Bürger vor diesen Menschen, vor diesen Terroristen zu schützen. Wenn er diese Aufgabe ernst
nimmt, muss er taugliche nachrichtendienstliche Instrumente haben, mit denen er alles Mögliche aus der Szene
in Erfahrung bringen kann, um dagegen rechtzeitig vor
einem möglichen Terroranschlag, also während der Vorbereitung eines solchen Anschlages, einschreiten zu
können. Das ist die einzige Chance, die der Staat hat.
({1})
Wenn der Terrorist mit der Bombe losmarschiert ist, hat
der Staat keine Chance mehr, seine Aufgabe wahrzunehmen. Er braucht also vorgelagerte Instrumente, die im
Vorfeld wirken. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, das wir gemeinsam mit der SPD verabschiedet haben und das am 14. Januar ausläuft, stellt
diese zur Verfügung. Wir geben zu, dass wir spät dran
sind, aber wir schaffen es noch rechtzeitig vor dem
14. Januar, seine Geltungsdauer zu verlängern. Das Kabinett hat dieses Gesetz verabschiedet, und wir werden
in den nächsten Wochen in erster Lesung darüber beraten.
Nächstes Thema, die Visawarndatei. Sie erinnern
sich: Joschka Fischer, der übrigens in seinen Presseverlautbarungen wieder merkwürdig lärmig wird, hat massenhaften, hunderttausendfachen Missbrauch von Visa
zugelassen.
({2})
- Hunderttausendfachen. - Daraufhin gab es einen Untersuchungsausschuss, dem vorzusitzen ich die Ehre
hatte. Nachdem wir es leider in der Großen Koalition
nicht geschafft hatten, ein Visawarndateigesetz zu schaffen, sind wir jetzt zusammen mit der FDP so weit.
({3})
Es ist lobenswert, dass wir es geschafft haben, einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen. Wenn Sie den
Entwurf haben, können Sie ihn kritisieren und sagen,
was Sie besser machen wollen.
Wir haben erkannt, dass wir in einer neuen Welt angekommen sind - der Minister hat es schon angesprochen -: Fragen der IT-Sicherheit werden zum zentralen
Feld der Sicherheitspolitik, für den Staat, für die Wirtschaft,
für alle Bürger. Wir alle sind abhängig vom Internet, ob wir
es nutzen oder nicht - völlig egal. Wasserversorgung,
Energieversorgung, Verkehrs- und Sicherheitssysteme,
Geld- und Warenverkehr - ganze Wirtschaftszweige
können über das Internet lahmgelegt werden. Deshalb
haben wir das Nationale Cyber-Abwehr-Zentrum geschaffen. Das sind, zugegeben, erst Anfänge, aber es
wird Weiterentwicklungen geben müssen, um auch auf
diesem Gebiet trotz der zunehmenden Vernetzung Sicherheit im Staat zu organisieren. In den nächsten Jahren
wird das ein ganz zentraler Punkt der Sicherheitspolitik
sein.
Wir haben es mit einer Verwirrung der Geister zu tun.
({4})
- Das trifft auf einen Teil von Ihnen, nicht auf alle, zu. Es gibt Menschen, die fordern, dass der Staat für Recht
und Ordnung sowie Sicherheit sorgen und die entsprechenden Grundrechte in der realen Welt durchsetzen
soll, und die gleichzeitig sagen, in der virtuellen Welt
- diese ist längst auch ein Teil der realen Welt geworden ({5})
seien Eingriffe des Staates nicht zulässig.
({6})
Das ist Zensur. Das ist die Verwirrung der Geister, von
der ich rede. Wir werden uns mit diesem Thema sehr
grundsätzlich befassen müssen. Gerade in diesen Tagen
gibt es ganz sonderbare Bekenntnisse zur Anonymität im
Netz.
({7})
Es wird so getan, als wäre es ein Grundrecht des Menschen, im Netz, im Internet, anonym seine Meinung verkünden zu können, weil er nur so ungefährdet am demokratischen Meinungsbildungsprozess in unserem Lande
teilnehmen könnte.
({8})
Nein sagen wir. Wir sehen es als eine Errungenschaft des
Rechtsstaates an, dass jeder frei seine Meinung äußern
kann und dieser Staat dafür sorgt, dass Meinungsfreiheit
bis in den letzten Winkel gilt und wir keine Anonymität
brauchen, weil wir kein totalitärer Staat sind.
({9})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen von Notz?
Selbstverständlich.
Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Im Zusammenhang
mit der Anonymität im Netz können wir uns vielleicht
darauf einigen, dass das Netz Teil des öffentlichen
Raums ist.
({0})
Würden Sie mir zustimmen, dass es vor dem Hintergrund der Kontrolle von Diskussionen sinnvoll wäre,
dass Leute, die in einem bayerischen Wirtshaus am
Stammtisch zusammenkommen, um über Politik frei zu
reden, am Eingang ihren Personalausweis vorlegen,
({1})
damit dann jedes Wort unter ihrem Namen dokumentiert
werden kann? Denn genau das entspräche der Anmeldepflicht für Internetforen, die Sie fordern.
({2})
Gestatten Sie, Herr Kollege von Notz, Ihr Beispiel
mit dem Vorlegen des Personalausweises am Eingang
des Wirtshauses in Bayern als einen wirren Vergleich abzutun.
({0})
Er ist deswegen wirr, weil es hier um etwas völlig anderes geht. An bayerischen Stammtischen wird völlig frei
und offen geredet.
({1})
Wir bestehen darauf, dass jeder in diesem Land sagen
kann, was er will. Wenn er am politischen Meinungsbildungsprozess teilnehmen will, wenn er Einfluss auf andere nehmen will, wenn er Mehrheiten organisieren will,
dann soll er sich als Person zu erkennen geben.
({2})
Das ist auch der Kern des Vermummungsverbotes im
Demonstrationsrecht.
({3})
Wir wollen, dass man in diesem Land frei demonstrieren
kann und niemand einen Nachteil dadurch erleidet. Aber
wir wollen nicht, dass Menschen sich vermummen und
glauben, auf diese Weise Druck auf andere ausüben zu
können.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie zu dem Thema der bayerischen Wirtshäuser noch eine Zwischenfrage unseres
Kollegen Volker Beck?
Der hat aber keine Ahnung von bayerischen Wirtshäusern.
({0})
Das wird sich bei der Fragestellung zeigen. - Das
Wort hat der Kollege Volker Beck.
Herr Kollege Uhl, Sie haben vollkommen recht: Ich
bin Wahlkreisabgeordneter aus Köln und nicht aus München. Deshalb war ich gerade sehr besorgt bei dem Gedanken, dass Sie vielleicht die kulturellen Gewohnheiten
Bayerns auf unsere Region übertragen wollen. Wie Sie
wissen, haben wir Karneval, und zwar nicht nur an einem Dienstag im Jahr, sondern das ist eine längere Session. Gemeinhin verkleiden sich der Kölner und die Kölnerin im Karneval und bemalen sich zuweilen auch das
Gesicht. In der Regel geschieht das bislang ohne Namensschilder. Die Leute sind also nicht rückverfolgbar;
sie sind nicht deanonymisierbar. Planen Sie für den Kölner Karneval eine entsprechende rechtliche Regelung,
wie Sie sie für das Internet diskutieren? Müssen wir damit rechnen, dass die Närrinnen und Narren in Zukunft
mit Namensschildern herumlaufen müssen?
({0})
Das ist eine sehr bedeutsame Frage, Herr Kollege
Beck. Wir planen gar nichts.
({0})
- Auf dem Gebiet bestimmt nicht. Sie können das ganze
Jahr über Karneval feiern. Das tun Sie manchmal auch.
Ich empfehle Ihnen aber, die Entstehungsgeschichte
des Karnevals und auch der Fasnacht nachzulesen. Es ist
hochinteressant, welche Rolle und welche Ventilfunktion der Karneval in früheren Jahren hatte, als wir noch
keine freiheitliche Grundordnung wie heute hatten. Da
hatte das Vermummen tatsächlich einen Grund, nämlich
dass die Obrigkeit nicht erfuhr, wer welche Meinung äußert.
({1})
Das ist gerade der Punkt, von dem ich hier rede. Wir haben es in einem jahrhundertelangen Kampf geschafft,
eine freiheitliche Gesellschaftsordnung zu erreichen. Bei
uns herrscht Gedankenfreiheit. Die Gedanken sind frei,
selbst Ihre, Herr Beck.
({2})
„Die Gedanken sind frei … kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen … wir bleiben dabei: Die Gedanken sind frei.“
({3})
Man kann sie äußern, auf der Straße, in Versammlungen,
überall. Deswegen brauchen wir keine Anonymität. Wir
wollen, dass jeder ein klares Bekenntnis abgeben kann.
Niemand hat dadurch einen Nachteil, auch nicht im Internet.
({4})
Jetzt will ich - Herrn von Notz zuliebe - noch kurz
auf die Vorratsdatenspeicherung eingehen. Sie haben
viel falsches Zeug erzählt, Herr von Notz; das ist nicht
das erste Mal. Sie müssen einfach zwei Dinge zur
Kenntnis nehmen: Erstens. Die Europäische Union hat
zu Recht darauf Wert gelegt, dass auch wir in Deutschland einer Mindestspeicherpflicht nachkommen. Zweitens. Sie haben fälschlicherweise behauptet, dass hier
Verfassungswidrigkeit im Spiel sei. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt - dies ist, wenn ich es richtig in
Erinnerung habe, im Urteil unter Randnummer 208
nachzulesen; Siegfried Kauder weiß es sicherlich auswendig -,
({5})
dass diese Vorratsdatenspeicherung dem Grunde nach
verfassungsgemäß ist. Nur der Straftatenkatalog als
Grundlage dafür, in welchen Fällen man die Daten abrufen kann, und die Art der Speicherung waren nicht korrekt. Das ist nachbesserungsbedürftig.
({6})
- Das haben wir zusammen mit den Damen und Herren
aus der SPD gemacht. Wir bekennen uns dazu und werden an dem Gesetz weiter arbeiten.
({7})
Zum Schluss möchte ich noch zwei Punkte ansprechen, die mir sehr wichtig sind: Piraterie und Integration.
Wir werden uns, so hoffe ich, darin einig sein, dass
wir das Problem der Piraterie nicht lösen, indem wir unsere Handelsschiffe mithilfe von Polizisten und Soldaten
schützen. Das schaffen wir nicht. Wir müssen für diesen
Zweck private Sicherheitsdienste zulassen. Das Gewaltmonopol des Staates reduziert sich in diesem Fall auf die
Kontrolle und Überwachung solcher Dienste,
({8})
das heißt auf den Zertifizierungsvorgang. Damit ist sichergestellt, dass alles mit rechten Dingen zugeht.
Mein letzter Punkt - damit komme ich zum Ende,
Herr Präsident - ist das Thema Integration. Ich glaube,
die Bilder aus England haben uns gezeigt, dass wir
schwere Fehler machen würden, wenn wir in unserer Integrationspolitik - wir finanzieren Integrationskurse mit
mehr als 200 Millionen Euro - nachlassen würden. Entscheidend ist: Auf der einen Seite muss es Repression
geben, und auf der anderen Seite muss es für Menschen,
die zu uns gekommen sind, Hilfe geben, damit sie sich
eingliedern und integrieren und damit Bestandteil dieser
Gesellschaft werden können. Das ist unsere Aufgabe. Da
sind wir auf einem guten Weg.
Danke schön.
({9})
Vielen Dank, Kollege Uhl. - Für die Fraktion der Sozialdemokraten spricht jetzt unsere Kollegin Dagmar
Ziegler. Bitte schön, Frau Kollegin Ziegler.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Friedrich ist
seit Anfang März dieses Jahres im Amt. Bis zu diesem
Zeitpunkt hatte er mit den Herausforderungen Ostdeutschlands und den Anliegen der neuen Bundesländer
nichts zu tun - danach auch nicht. Leider hat man auch
heute, ein halbes Jahr später, den Eindruck, der Herr
Minister wisse mit dem Osten so recht nichts anzufangen. Als Bundesminister ist ihm aber die Koordinierung
der Politik für Ostdeutschland übertragen. Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder untersteht ihm. Das sage ich in Richtung Koalition, weil Sie
vielleicht gar nicht wissen - Sie haben nämlich kein
Wort darüber verloren -, dass diese Aufgabe dort verortet ist.
Die systematische Benachteiligung der neuen Länder
geht unter Herrn Minister Friedrich ungehindert weiter.
Es ist kein Wunder, dass auch er als zuständiger Minister
in seiner Rede kein einziges Wort über die neuen Länder
verloren hat. Die aktuell und nur noch vorübergehend im
Amt befindliche Bundesregierung interessiert sich eben
nicht für Ostdeutschland. Umgekehrt - das ist das traurige Ergebnis - interessieren sich immer weniger Menschen in Ostdeutschland für die Politik von SchwarzGelb, wie die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern bestätigt hat.
Mein Fazit aus dem, was Sie vorgelegt haben, lautet:
Diese Bundesregierung kann es einfach nicht. Es gibt
keine Gesamtstrategie, kein abgestimmtes Vorgehen,
keine Idee, was das Entwickeln gleichwertiger Lebensbedingungen in Deutschland betrifft. Kollege Korte hat
bereits einiges dazu gesagt. Ich will noch einige wenige
Beispiele anfügen.
Die Herausforderung des demografischen Wandels
und die Frage, wie die Politik eine schleichende Entvölkerung ganzer Landstriche verhindern will, sind mit einem möglichen Landarztgesetz freilich nur angerissen.
Soziologen können heute schon in vielen Gegenden im
Osten besichtigen, wie in Zukunft viele andere ländliche
Gegenden Westdeutschlands von Landflucht, hoher Arbeitslosigkeit und kultureller Verödung bedroht sein
werden, falls es nicht gelingt, vor Ort eine funktionierende Infrastruktur zu erhalten mit einer regionalen
Wirtschaft und wohnortnahen Arbeitsplätzen, mit lebenswerten Dörfern und Mittelzentren, mit sanierten
Städten und bezahlbarem Wohnraum.
Im Unterschied zum Minister habe ich bis zur Sommerpause die neuen Länder bereist und in Erfurt,
Schmalkalden, Genthin, Leipzig und Stralsund mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Mittelständlern, mit Hochschulvertretern und Lokalpolitikern gesprochen.
Vom demografischen Wandel braucht man dort niemandem etwas zu erzählen. Die Menschen dort sind
hochsensibilisiert und aktiviert. Fachkräftemangel ist allerorts ein Thema. Ein Konzept der Bundesregierung? Fehlanzeige!
In der Rubrik „Arbeit und Soziales“ wickelt die Bundesarbeitsministerin die Bundesagentur für Arbeit im
Alleingang ab. Keiner merkt es. Auch dies trifft die ländlich geprägten Regionen mit überdurchschnittlich hoher
Arbeitslosigkeit besonders hart. In meinem Wahlkreis im
nordwestlichen Brandenburg werden die Mittel für die
Arbeitsmarktpolitik um ein Drittel zusammengestrichen.
Bei den Jobcentern vor Ort fehlt das Geld für Weiterbildungen, Qualifizierungen, Umschulungen und öffentlich
geförderte Beschäftigung.
Bundesweit haben die unsozialen Kürzungen im sogenannten Sparpaket der Bundesregierung - Anrechnung des Elterngeldes, Wegfall der Zuschüsse zur Rentenversicherung bei Arbeitslosengeld-II-Empfängern
oder die Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen - ganz gravierende Auswirkungen. Im Osten schlagen sie aufgrund der höheren Anzahl an Langzeitarbeitslosen allerdings weitaus stärker durch. Begreift die
Bundesregierung das? Nein.
({0})
Wer so drastisch und pauschal streicht und keinerlei
Rücksicht auf Landstriche nimmt, in denen die Arbeitslosigkeit unabhängig von der Konjunktur höher ist als
anderswo - das gilt für Ost und West, Nord und Süd -,
der betreibt eine unverantwortliche und unsoziale Politik. Die Bundesarbeitsministerin ignoriert das. Was das
in volkswirtschaftlicher Hinsicht bedeutet - zum Beispiel geringe Kaufkraft sowie Schwächung der Investitionskraft der Kommunen -, wissen Sie offensichtlich
nicht.
Ein ganz anderes Thema ist die Binnenschifffahrt.
Eine mutlose Politik schlägt gern heimlich dort zu, wo
die Bild-Zeitung nicht hinschaut; denn sie interessiert
sich eben nicht für die Binnenschifffahrt. Vielleicht aber
kommt das noch, und zwar dann, wenn die Truppe der
FDP anlässlich ihres nächsten Bundesparteitages bequem in einem Gummiboot Platz findet und die Elbe abwärts schippert. Die Bundesregierung haut nämlich bei
der Binnenschifffahrt „zufällig“ nur bei Wasserstraßen in
Ostdeutschland zu
({1})
und degradiert sie zu Restwasserstraßen. Dies wird unabsehbare Folgen für die Unterhaltung, die Schiffbarkeit
und die Hafennutzung nach sich ziehen. Das alles ist
volkswirtschaftlicher Unsinn. Sie tun es trotzdem.
Mein letztes Beispiel betrifft den Städtebau. Verglichen mit dem Jahr 2009 rasieren Sie die Städtebauförderung um 28 Prozent. Schon das dritte Jahr in Folge planen Sie massive Kürzungen bei der Städtebaupolitik.
Das wird für die lokale Wirtschaft und die Arbeitsplätze
einschneidende Folgen haben. Besonders hart trifft es
das Programm „Soziale Stadt“. Hier wollen Sie mehr als
60 Prozent der Mittel streichen. Das heißt, dass jedes
zweite Projekt ins Wasser fällt. Beim Stadtumbau Ost
müssen fast 40 Prozent aller Projekte daran glauben. Bei
den Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen leisten
Sie wirklich Radikales: Mehr als 70 Prozent der Bundesmittel werden ersatzlos gestrichen.
Damit aber nicht genug: Schwarz-Gelb ist entschlossen, die sich gut entfaltende Bauwirtschaft und das örtliche Handwerk im Osten vollends abzuwürgen. Auch
hierbei handelt es sich um volkswirtschaftlichen Unsinn.
({2})
Weil Sie sich von einer aktiv gestaltenden Stadtpolitik
des Bundes nicht nur quantitativ, sondern leider Gottes
auch qualitativ verabschieden, schaden Sie dem sozialen
Zusammenhalt. Merken Sie das? Nein. Weiterhin streichen Sie das erfolgreiche Programm „Perspektiven gegen die Abwanderung Ost“ im Kinder- und Jugendplan.
Das Programm leistet gute Arbeit; darin waren wir uns
alle jedenfalls bislang einig. Die Mittel dafür werden allerdings von 500 000 Euro auf 0 Euro gekürzt. Antworten dazu? Nein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Westteil
Deutschlands, all das steht auch den Menschen in Ihren
Wahlkreisen bevor. Der Osten ist nur der Probelauf für
eine volkswirtschaftlich unsinnige, sozial unausgewogene und menschenverachtende Politik der Regierung
von Schwarz-Gelb, die es einfach nicht kann.
({3})
Wir wollen vernünftige Perspektiven, und zwar für die
Menschen in Ost und West, in Nord und Süd und vor allem für die strukturschwachen Regionen in ganz
Deutschland.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dagmar Ziegler. - Jetzt
spricht für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Gisela
Piltz. Bitte schön, Frau Kollegin Piltz.
({0})
Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei der ein oder anderen Rede könnte man glauben, wir hätten heute schon
den 11. November 2011.
({0})
Da beginnt der Karneval. Heute ist aber erst der 6. September 2011. Deshalb möchte ich Ihnen, Herr Präsident,
im Namen des gesamten Hauses zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren. Herzlichen Glückwunsch!
({1})
Es ist interessant, zu hören, was hier so alles gesagt
wird. Wenn ich Frau Fograscher und Herrn Korte glauben darf,
({2})
dann haben wir auf Bundesebene auf einmal eine Zuständigkeit für Alltagskriminalität. Dafür ist der Bund
mit der Bundespolizei aber gar nicht zuständig. Es ist
aber schön, dass Sie sich heute entsprechend geäußert
haben. Dann wissen wir nämlich, wohin Sie wirklich
wollen.
Herr Korte, ein Wort zur Glaubwürdigkeit der Linken
- Sie blasen sich hier ja immer so auf -: Die Große Koalition in Brandenburg hat einst die Verschärfung des
Polizeigesetzes beschlossen. Aber seitdem Sie dort mitregieren, haben Sie nichts von dieser Verschärfung rückgängig gemacht. So ist es um Ihre Glaubwürdigkeit bestellt. Da sollten Sie sich fragen, ob Sie sich nicht erst
einmal an Ihre eigene Nase fassen müssen, bevor Sie anderen etwas vorwerfen.
({3})
Von Berlin möchte ich gar nicht groß reden. Hierzu
hat der Kollege Krings bereits alles gesagt. Wenn ich mir
Ihre Anträge anschaue - zum Beispiel zum Einsatz von
Pfefferspray -, dann muss ich mir ernsthaft die Frage
nach Ihrer Haltung stellen. Entweder Sie sind für den
Rechtsstaat, dann sind Sie aber auch für eine rechtsstaatlich aufgestellte Polizei, oder Sie eiern so herum. Am
Ende müssen Sie sich entscheiden. Das können Sie aber
nicht, weil Sie es nicht wollen.
({4})
Das ist keine konsequente Haltung, sondern ein Rumeiern.
Zum TBEG ist bereits viel gesagt worden. Ich kann
nur noch einmal darauf hinweisen: Es ist eine rot-grüne
Erfindung.
({5})
Dann ist seine Geltungsdauer von Schwarz-Rot ohne
jede Prüfung und ohne jede Änderung einfach so verlängert worden.
({6})
Ich weiß, Sie erinnern sich nicht gerne daran, aber so ist
es gewesen.
Es ist bereits von anderen gesagt worden, Frau
Fograscher: Ihre wirklich konsequente Haltung zur Vorratsdatenspeicherung ist schon beeindruckend. Da stehen Kollegen im Deutschen Bundestag und weinen fast
Krokodilstränen wegen der Telefonerfassung in Dresden, während Ihre Landesinnenminister gleichzeitig sagen: Vorratsdatenspeicherung? Am besten noch länger
und am besten für alles! - Das ist wirklich konsequent,
was Sie hier liefern.
({7})
Herr Kollege Hartmann, der Burn-out bei der Polizei
ist sicher ein ernstes Thema, gar keine Frage. Aber vielleicht sollten wir uns alle - und ich meine wirklich alle gemeinsam fragen, ob das nicht auch daran liegt, dass
vor allem in den SPD-regierten Ländern Polizeistellen
abgeschafft worden sind
({8})
und dass als Folge dessen die Bundespolizei mehr leisten
muss, zum Beispiel bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit brennenden Autos in Berlin oder an der Grenze
in Brandenburg. Das ist eine Frage, mit der wir uns
ernsthaft auseinandersetzen sollten, aber nicht in der
Weise, wie Sie das hier ansatzweise dargelegt haben.
Das wäre konsequent.
Hinsichtlich der Innenpolitik beweisen wir jetzt seit
zwei Jahren eine konsequente Haltung. Freiheit und
Sicherheit passen zusammen. Die Haushaltskonsolidierung steht dazu nicht in Widerspruch.
({9})
Wir haben ELENA - darüber wurde schon gesprochen; auch das ist eine rot-grüne Erfindung - abgeschafft. Ich finde, Sie könnten uns auch einmal dafür loben, dass wir etwas tun, und sollten nicht schon wieder
nachtreten.
({10})
Wir haben außerdem beim Bundesdatenschutzbeauftragten nicht gespart. Das ist mehr, als die SPD je erreicht
hat. Die Stiftung Datenschutz wird kommen, keine
Sorge.
({11})
Auch das ist mehr, als Sie in Ihrer Regierungszeit je zu
träumen gewagt haben.
Weil meine Redezeit gleich zu Ende ist, kurz noch
zwei Punkte.
Herr von Notz, zur Vorratsdatenspeicherung: Ihre
grünen Kollegen in Baden-Württemberg haben, obwohl
sie gar nicht zuständig sind, im Koalitionsvertrag vereinbart, die Regelung betreffend die Vorratsdatenspeicherung nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Das ist wirklich konsequent, was Sie hier
gemacht haben. So sind wir alle, aber Sie im Besonderen. Sie machen in den Ländern etwas anderes, als Sie
hier großartig verkünden. Das funktioniert nicht.
Eine Anmerkung zum Sport. Wir haben im Sportbereich nicht gekürzt. Ob man zum Thema Olympia so
sprechen sollte, wie Sie es getan haben, Frau Fograscher,
müssen Sie wissen. Ich fand es wirklich unangemessen.
Abschließend noch ein paar Zahlen, weil wir in den
Haushaltsberatungen sind. Es ergibt sich für 2012 eine
Steigerung der Ausgaben um 4,4 Millionen Euro gegenüber dem Jahr 2009,
({12})
also dem letzten Jahr vor Übernahme der Verantwortung
durch die christlich-liberale Bundesregierung. Das
macht ein Plus von 1,87 Prozent. Ich finde, das kann sich
in Zeiten der Haushaltskonsolidierung sehen lassen. Wir
arbeiten daran, unsere Politik für Freiheit und Sicherheit
sowie die Haushaltskonsolidierung konsequent fortzusetzen. Das ist unser Markenzeichen, und das können Sie
uns nicht kaputtreden.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin Piltz. - Jetzt spricht für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Jürgen
Herrmann. Bitte schön, Kollege Jürgen Herrmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute das erste Mal über den Haushalt 2012 für den
Bereich des Innenministeriums. Herr Minister Friedrich,
Sie haben das erste Mal einen Haushalt eingebracht. Im
vorigen Jahr haben Sie noch den Haushalt Ihres Vorgängers verwaltet. Das, was wir bis jetzt lesen können, zeigt
auf, dass Sie den vernünftigen Kurs, den Ihr Vorgänger
beschritten hat, fortsetzen werden.
Herr Kollege Hartmann, ich sage es an dieser Stelle
ganz deutlich: Uns geht es nicht darum, Klamauk zu machen. Vielmehr messen wir unseren Innenminister nachher an den Taten. So wird man erstens feststellen: Das,
was der Innenminister in seiner bisherigen Amtszeit gemacht hat, lässt sich sehen. Zweitens wird man abschließend feststellen können, dass wir uns auch hier deutlich
weiterentwickelt haben. Es geht nicht darum, hier nur
Klamauk zu machen.
({0})
Mein Dank geht insbesondere an die Mitarbeiter der
Ministerien, des Finanzministeriums und des Innenministeriums, die diesen Haushalt mit vorbereitet haben;
das ist immer eine Sisyphusarbeit. Ich kann es Ihnen als
Haushälter nicht ersparen, in den nächsten Wochen, bis
zur Bereinigungssitzung, öfter auf diese Mitarbeiter zurückzugreifen, damit wir dann den Haushalt verabschieden können.
Die christlich-liberale Koalition setzt die Konsolidierung des Haushalts auf Gesamtebene fort. Das schließt
aber nicht aus, dass wir den Gesamthaushalt für den Bereich des Innenministeriums um 65 Millionen Euro erhöhen. Das entspricht einem Anstieg des Sollansatzes um
1,9 Prozent; das lässt sich sicherlich sehen. Der Anstieg
verdeutlicht letztendlich, wie wichtig uns der Bereich
des Innenministeriums mit seinen nachgeordneten Behörden ist. Knapp 5,5 Milliarden Euro für den Einzelplan 06, das ist sicherlich nicht in allen Bereichen eine
Goldrandlösung, wohl aber ein solider Haushaltsansatz.
Es gilt, Schwerpunkte zu setzen; das ist eben in der
Debatte schon deutlich gemacht worden. Im Bereich der
inneren Sicherheit verwenden wir allein 3,7 Milliarden
Euro, also zwei Drittel dieses Haushalts, direkt, um die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu schützen, ihnen Sicherheit zu geben. Herr Korte, das kann ich mir
nicht verkneifen: Unsere Auffassung vom Rechtsstaat ist
sicherlich eine andere als Ihre;
({1})
aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Mehrheit der
Bevölkerung Ihren Weg sicherlich nicht mitgehen wird.
Es ist aufgrund der Ereignisse der letzten Monate
dringend notwendig, über das eine oder andere Thema
zu diskutieren. Die Cyberkriminalität ist eben schon angesprochen worden. Sie betrifft nicht nur Behörden oder
einzelne Firmen, sondern auch den Bürger. Wir sind
durch organisierte Kriminalität gefährdet. Der Minister
hat es eben deutlich gesagt: Auch die Gefahr des internationalen Terrorismus ist in Deutschland weiterhin zugegen.
Meine Damen und Herren, das, was viele Menschen
draußen bewegt, sind die täglichen Schlagzeilen über
brutale und völlig unmotivierte Übergriffe von SchläJürgen Herrmann
gern auf unbeteiligte Personen, zum Beispiel in U-Bahnen. Ich glaube, mittlerweile sind wir an einem Punkt
angekommen, an dem wir verstärkt eine harte Bestrafung derjenigen fordern und auch durchsetzen müssen,
die für diese Straftaten verantwortlich sind. Das sind
keine Kavaliersdelikte, keine Jugendsünden, sondern
Delikte wie versuchter Mord oder Totschlag, die geahndet werden müssen.
({2})
Ich kann es mir einfach nicht verkneifen, ein Thema
anzusprechen, das hier eben für Aufregung gesorgt hat:
die Delikte im Zusammenhang mit dem Abfackeln von
Autos in Berlin. In diesem Jahr sind in Berlin bereits
mehr als 500 Autos abgebrannt. Das Ganze hat mit links
motivierten Straftaten angefangen, die nur die Zerstörung zum Ziel hatten. Mittlerweile ist es - das sage ich
hier ganz bewusst - aufgrund der Nachlässigkeit der
Berliner Polizeiführung und der Politik dazu gekommen,
dass viele Nachahmer auf den Zug aufgesprungen sind
und immer mehr Autos brennen.
({3})
Die Berliner Polizei und insbesondere die politische
Führung wären gut beraten, endlich die Führungsquerelen, die bei der Besetzung des Postens des Polizeipräsidenten auftreten, zu beenden und nicht nur auf die Strategie der Deeskalation und der Verharmlosung zu setzen,
sondern konsequent gegen die Straftäter vorzugehen.
({4})
Ich kann es daher gut verstehen, dass Innensenator
Körting die Bundespolizei zu Hilfe ruft. Mittlerweile
setzen wir 360 Bundespolizisten bei der Verfolgung der
Straftäter ein. Es ist ein riesiges Problem, diesen Umstand zu erklären, wenn man bedenkt, wie viele Stellen
bei der Berliner Polizei abgebaut wurden. Aber der Bund
ist ständig bereit - Herr Innenminister, dafür bin ich Ihnen dankbar -, den Ländern zur Seite zu stehen, wenn es
darum geht, die Dinge aufzuarbeiten. Das kostet Geld.
Jährlich werden circa 750 Bundespolizisten zur Unterstützung der Länderpolizeien abgestellt.
({5})
- Ja, Sie zahlen dafür. Das sollten Sie Ihrem Innensenator einmal vorrechnen. Das sind pro Woche Kosten in
Höhe von 250 000 Euro, im Monat sind das 1 Million
Euro. Für dieses Geld könnte man wieder einige Stellen
schaffen. Das sollten Sie sich auf die Fahnen schreiben.
Wir geben auch noch zusätzlich 12 Millionen Euro für
die Sachausstattung der Länderpolizeien aus.
Die Umstrukturierung der Bundespolizei schreitet
weiter voran. Wir orientieren uns daran, was notwendig
ist. Dort, wo Aufgaben wegfallen, tragen wir dem Rechnung. Ich nenne den Wegfall von Grenzkontrollen. Die
Stellen werden für den operativen Bereich frei, zum Beispiel für die Übernahme bahnpolizeilicher Aufgaben.
Es kommen auch neue Bereiche hinzu. Die Luftfrachtsicherheit ist ein großes Thema, das wir im letzten
Jahr über die Parteigrenzen hinweg aufgearbeitet haben.
Das ist auch richtig so. Der Start war etwas zäh - das
muss man ehrlicherweise zugeben -, es handelte sich um
ein ganz neues Konstrukt unter der Beteiligung mehrerer
Ministerien - das war nicht ganz einfach -, aber wir hatten Vorgaben der EU umzusetzen.
({6})
Zwischenzeitlich hat der Haushaltsausschuss
330 Planstellen freigegeben, davon 250 Planstellen im
Einzelplan 06. Die Arbeitsorganisation ist für die Aufgaben gerüstet. Wir werden uns im Laufe des Jahres noch
darüber unterhalten müssen, wie es im Bereich Personalund Sachausstattung weitergeht. Wo wir noch Synergieeffekte zwischen Zoll und Polizei erreichen können,
werden wir sie sicherlich nutzen.
Zwei Anmerkungen habe ich noch, die mich persönlich als Polizeibeamten betreffen. Beförderungen im Polizeibereich werden immer nach Leistung und Befähigung ausgesprochen. Bei der Bundespolizei sind wir
zurzeit an einem Punkt angelangt, an dem es mit Beförderungen teilweise recht schwierig wird. Das wurde über
die Parteigrenzen hinaus anerkannt. Im Bereich der Polizeiobermeister - Besoldungsgruppe A 8 - gibt es einen
erheblichen Stau bei den Beförderungen nach A 9. Ich
sage an dieser Stelle noch einmal: Es ist für mich nicht
nachvollziehbar, dass ein Beamter nach 40 Dienstjahren
auf Streife, wo er hervorragende Arbeit geleistet hat, mit
A 8 in Pension geht. Wir werden uns über Parteigrenzen
hinweg - das ist bereits von den Haushältern signalisiert
worden - darüber unterhalten müssen, wie wir diesen
Missstand beheben.
({7})
Ich danke den Gewerkschaften dafür, dass sie in diesem
Fall sogar bereit waren, die Leistungszulage sozusagen
zur Verfügung zu stellen. Wir haben in diesem Bereich
rechtliche Probleme, die wir nicht so schnell aufarbeiten
können, aber wir arbeiten an einer Lösung.
Mein letzter Satz geht an einen lieben Kollegen. Ich
bin froh, dass er heute wieder hier ist. Lieber Peter
Danckert, nach deiner Krankheit bin ich heilfroh, dass
du wieder zurück bist. Du hast heute hier noch nicht als
Hauptberichterstatter zum Einzelplan 06 gesprochen. Ich
bin aber der festen Überzeugung, dass du bei der nächsten Haushaltsdebatte deine Rede halten wirst. Ich und
auch die Kollegen, denke ich, wünschen dir alles Gute,
und wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit.
({8})
Vielen Dank. - Alle guten Wünsche gehen an den
Kollegen Dr. Peter Danckert. Wir wünschen alles Gute
und vor allem Gesundheit.
Vizepräsident Eduard Oswald
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums des Innern. Weitere Wortmeldungen liegen
zu diesem Einzelplan nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07.
Ich gehe nach der Rednerliste vor, die mir vorliegt.
Als Erstes hat sich gemeldet unsere Bundesministerin,
Frau Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bilanz der Rechtspolitik dieser Koalition
kann sich wirklich sehen lassen: Korrektur des § 160 a
der Strafprozessordnung, Abschaffung der Netzsperren,
Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Einführung der Verzögerungsrüge gegen überlange Gerichtsverfahren, Aufhebung des Vorbehalts gegen die UNKinderrechtskonvention, Verbesserung des Vormundschaftsrechts zur besseren Betreuung von Kindern, Insolvenzrechtsverfahren, Opferrechtsschutzgesetz mit
Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist auf
30 Jahre - das liegt zur Beratung vor - und der vor kurzem gefasste Beschluss der Bundesregierung zur Schaffung der Magnus-Hirschfeld-Stiftung.
({0})
Das alles sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass diese
Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen erfolgreich arbeiten,
({1})
und zwar auf der Grundlage eines Dreiklangs: Grundrechte stärken, Rechtsschutz verbessern, Rechte der Bürgerinnen und Bürger ausbauen.
In dieser Legislaturperiode ist es erstmals gelungen,
das Stakkato immer neuer Sicherheitsgesetze zu beenden. Wir setzen auf der Grundlage der Gesetze, die noch
von Rot-Grün stammen, ({2})
- jetzt erstmals eine Regierungskommission ein, die sich
mit einer kritischen Gesamtbetrachtung der Gesetzgebung seit 9/11, also mit der Gesetzgebung der letzten
zehn Jahre, befasst. Dazu werden natürlich auch die Sicherheitsgesetze gehören. Das Luftsicherheitsgesetz war
ein „Riesenerfolg“ von Rot-Grün. Ich habe immer noch
die Worte von Herrn Ströbele im Ohr. Er hat gesagt: Wir
haben dem Gesetz zugestimmt; wir haben das Richtige
gewollt, aber wir haben die falsche Formulierung ins
Gesetz genommen. - Das Bundesverfassungsgericht hat
sich an der Formulierung des Gesetzes orientiert und es
insofern für verfassungswidrig erklärt. Jetzt werden der
Bundesinnenminister und ich uns gemeinsam mit den
Gesetzen auseinandersetzen.
({3})
Wir werden das nicht eins zu eins fortsetzen, was die
Marschroute früherer Koalitionen war, sondern fragen,
was die Gesetze gebracht haben und wie wir sie zu bewerten haben. Dies geschieht mit dem Ziel - das steht
ausdrücklich im Kabinettsbeschluss -, zu Änderungen
zu kommen.
Wir lassen uns dabei von einer Aussage Richard von
Weizsäckers leiten. Im Anschluss an die Worte von
Herrn Dahrendorf, die der Bundesfinanzminister heute
Morgen zitiert hat - das war hervorragend -, möchte ich
die Worte Richard von Weizsäckers anführen, von denen
wir uns leiten lassen:
Die Freiheit ist kein Geschenk, von dem man billig
leben kann, sondern Chance und Verantwortung.
In diesem Geiste arbeiten wir konstruktiv und gut zusammen. Uns ist nicht das unterlaufen, was Rot-Grün in
Baden-Württemberg bei den Koalitionsverhandlungen
passiert ist. Dort hat Rot-Grün in voller Überzeugung
geschrieben: Jetzt setzen wir gemeinsam das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung um.
({4})
Ich erwarte von Ihrer Seite mehr konstruktive Beiträge, wie wir in der EU erfolgreich verhandeln können,
damit am Ende des Evaluierungsprozesses etwas steht,
das wir hier, im Bundestag, umsetzen können. Die Chancen, die mit der Evaluierung verbunden sind, sollte man
im Rahmen gemeinsamer Beratungen nutzen.
Lassen Sie mich angesichts der Tatsache, dass die Debatte in dieser Woche von der Frage nach der europäischen Integration beherrscht wird, einen Blick auf die
- lassen Sie mich das so nennen - zunehmende Europäisierung des Rechts werfen; denn wir haben es im Bundestag in vielen rechtspolitischen Auseinandersetzungen
mit europäischen Entwicklungen und Vorgaben zu tun,
die wir umzusetzen haben. Andererseits entsteht eine
verantwortungsbewusste und gestalterische Rechtspolitik gerade dann, wenn wir uns, wie die Bundesregierung
das in dieser Legislaturperiode macht, in den Beratungen
auf europäischer Ebene, zum Beispiel im Justizrat, als
ganz aktiven Faktor verstehen und dort Entscheidendes
durchsetzen. Das ist insbesondere in den Bereichen notwendig, in denen man in den letzten Jahren in die Sackgasse geraten ist. Wir müssen aus der Sackgasse herauskommen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang
nur die Beschuldigtenrechte als Antwort auf die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen nennen.
Seit dem letzten Jahr haben wir endlich Regelungen
hinsichtlich der Dolmetscherarbeit und hinsichtlich der
Belehrungspflichten. Diese wurden dank des Einsatzes
der Bundesregierung und unseres Engagements im Justizrat ausgedehnt. Jetzt geht es aber auch um die VerbesBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
serung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand.
Dazu liegt ein guter Vorschlag der Kommission vor. Gerade wenn wir Vertrauen in Europa, in diesen Raum der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts schaffen wollen,
müssen wir wissen, dass Vertrauen nur entstehen kann,
wenn der Bürger seine Rechte in diesem europäischen
Rechtsraum auch wahrnehmen kann.
({5})
Das hat zu ganz konkreten Erfolgen geführt. Die Bundesregierung hat sich auch auf europäischer Ebene mit
Nachdruck dafür eingesetzt, dass in der Richtlinie zum
Vorgehen gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie verpflichtend das Löschen enthalten ist, dass es
aber keine verpflichtende Vorgabe zum Sperren dieser
Inhalte gibt. Darüber haben wir im Zusammenhang mit
dem Zugangserschwerungsgesetz sorgfältig beraten. Das
war nicht immer leicht. Letztendlich haben wir uns davon verabschiedet, eine Netzinfrastruktur aufzubauen.
Das ist jetzt auch die Haltung der Europäischen Union.
({6})
Bestimmt wäre es nicht dazu gekommen, wenn sich
diese Bundesregierung nicht gemeinsam mit Nachdruck
dafür eingesetzt hätte.
({7})
Das gilt aber auch für den Bereich der Verbraucherschutzrechte. Hier verhandeln wir natürlich so nachdrücklich, damit das, was wir jetzt schon national durch
ein Mehr an Aufklärung und Transparenz sowie durch
die Einführung einer Button-Lösung gegen unseriöse
Angebote im Internet einbringen, auch in der Verbraucherschutzrichtlinie der Europäischen Union enthalten
sein wird. Weil wir aber den Abschluss der Beratungen
nicht abwarten wollen, haben wir im Kabinett einen Gesetzentwurf verabschiedet, der genau diese Button-Regelung beinhaltet.
Die Parlamente spielen natürlich in allen Fragen der
europäischen Integration eine sehr große Rolle; denn mit
Überwindung der Drei-Säulen-Struktur kommt dem EP
eine herausragende Bedeutung zu. Ich sage an dieser
Stelle aber auch: Die Bundesregierung hat dank der Unterstützung des Parlaments durch Stellungnahmen, die
der Bundesregierung nicht in jedem Punkt gefallen mögen, in den Verhandlungen auf europäischer Ebene vieles besser durchsetzen können.
Ich glaube, so ist die Rolle der Parlamente und auch
des Bundestages zu sehen, nämlich sich sehr früh einzubringen. Wir wollen dies in dem anderen schwierigen
Bereich der Stabilitätsmechanismen erreichen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rolle bisher immer gestärkt. Wir als Bundesregierung haben gesagt: Nicht nur
die Parlamente sollen eine starke Rolle spielen, sondern
auch die Bürgerinnen und Bürger. Deshalb haben wir die
Grundlagen mit geschaffen, dass es die Europäische
Bürgerinitiative geben kann. Auch das haben wir im Kabinett beschlossen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ich hätte
Ihnen noch sehr viel als Bilanz vorzutragen, aber meine
Redezeit ist begrenzt.
({8})
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin. - Für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Burkhard
Lischka. Bitte schön, Kollege Lischka.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, als Sie vor knapp zwei Jahren zur Bundesjustizministerin ernannt wurden, fanden Sie - fast so wie
jetzt - schnell große Worte. In einem Stern-Interview
sprachen Sie damals davon, dass von jetzt an ein anderer
Geist in der Rechtspolitik herrsche.
({0})
Sie sagten wörtlich:
Ich spüre, dass meine Ernennung zur Justizministerin also viele mit Hoffnung erfüllt.
„Ich bin Löwin. Ich bin kämpferisch“, riefen Sie damals.
({1})
Das waren große Worte, aber nach zwei Jahren wissen wir: Das war viel heiße Luft und wenig Substanz.
Baustellen in der Rechtspolitik, wohin man auch schaut!
Manche Baustelle ist nach zwei Jahren zur Dauerbaustelle verkommen, auf der sich nichts tut. Hin und wieder tauchen ein paar schwarz- und gelbgekleidete Bauarbeiter auf diesen Baustellen auf, aber nicht um fröhlich
ans Werk zu gehen, sondern um sich zu raufen und zu
keilen. Mittendrin ist die Baustellenleiterin LeutheusserSchnarrenberger, die den schwarzgekleideten Bauarbeitern zuruft, sie würden unverantwortliche Stimmung machen. Postwendend schallt es von der schwarzen Kohorte zurück, die Baustellenleiterin sei tatenlos, und den
staunenden Passanten wird erklärt, die Baustellenleiterin
sei inzwischen zum Sicherheitsrisiko auf dieser Baustelle geworden.
Das Versagen dieser schwarz-gelben Bundesregierung betrifft nach zwei Jahren alle Politikbereiche unseres Landes, aber die Rechtspolitik ist zum Paradebeispiel
für das geworden, was dieser Bundesregierung vor allen
Dingen fehlt: ein Fundus an Gemeinsamkeiten, ein Plan
und der Wille, Dinge anzupacken und zu gestalten.
({2})
Stattdessen erleben wir seit zwei Jahren immerwährenden Streit, nervtötende Auseinandersetzungen und Tatenlosigkeit, wohin man auch schaut. Das ist die Bilanz
von zwei Jahren schwarz-gelber Rechtspolitik hier im
Land. Das ist die Bilanz von zwei verlorenen Jahren. Es
sind zwei verlorene Jahre, beispielsweise für alle, die auf
eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften warten.
({3})
Es sind zwei verlorene Jahre für alle, die auf eine verfassungskonforme Regelung zur Vorratsdatenspeicherung
warten. Es sind zwei verlorene Jahre für alle, die auf ein
modernes Sorgerecht für nichteheliche Väter warten.
Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts
war über ein Jahr lang, bis zum August dieses Jahres,
folgende Aussage auf der Internetseite des Bundesjustizministerium eingestellt - ich darf zitieren -:
Das Bundesjustizministerium arbeitet an einer gesetzlichen Neukonzeption … zum … Sorgerecht …
Die intensiven Gespräche mit Rechts- und Familienpolitikern der Regierungskoalition werden zügig fortgesetzt.
Ich weiß nicht, Frau Ministerin, was Sie unter „zügig“
verstehen. Auf der Internetplattform der FDP ist noch
am heutigen Tag Ihre Ankündigung zu lesen, „in der ersten Jahreshälfte 2011“ - so wörtlich - einen Gesetzentwurf zum Sorgerecht vorlegen zu wollen. Frau Ministerin, man hat vielleicht einfach nur vergessen, in Ihrem
Amtszimmer einen neuen Jahreskalender aufzuhängen.
({4})
Ich persönlich glaube das allerdings nicht; denn die
ganze Sache ist Ihnen offensichtlich inzwischen selber
peinlich. Vor einigen Tagen jedenfalls wurde der Satz
von den zügigen und intensiven Gesprächen von der Internetseite des Bundesjustizministeriums gelöscht. Aber
das Löschen auf Internetseiten des Bundesjustizministeriums, Frau Ministerin, ist noch keine erfolgreiche
Rechtspolitik.
({5})
Deshalb sage ich Ihnen: Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben, und legen Sie dem Deutschen Bundestag zügig einen Gesetzentwurf für ein modernes Sorgerecht
vor! Hunderttausende betroffene Väter, Mütter und Kinder warten schon viel zu lange darauf.
Wir warten übrigens auch, Frau Ministerin, auf ein
Gesamtkonzept zur Sicherungsverwahrung für höchstgefährliche Gewalt- und Sexualstraftäter. Auch da haben
Sie wertvolle Zeit verstreichen lassen.
({6})
Als das Bundesverfassungsgericht Anfang Mai dieses
Jahres ein solches Gesamtkonzept anmahnte, kündigten
Sie an, sofort mit den Ländern die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen und aufs Tempo drücken zu wollen. Sie
sagten den Ländern jegliche Unterstützung zu. Als die
Länder Sie allerdings baten, sofort eine gemeinsame
Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten, verhallte dieser Ruf zunächst einmal, und Sie reagierten nicht.
Nach einem Vierteljahr haben Sie dann ohne Rücksprache mit den Ländern wie Kai aus der Kiste ein sogenanntes Eckpunktepapier zur Sicherungsverwahrung
vorgelegt und waren dann offensichtlich ganz überrascht, als es von allen 16 Bundesländern parteiübergreifend Kritik hagelte. Verantwortungslose Stimmungsmache haben Sie diese Kritik genannt. Dabei hätte uns
ein koordiniertes Vorgehen von Anfang an, wie von den
Ländern gefordert, das Hickhack, das wir in diesen Tagen erleben, ersparen können, und wir wären im Zeitplan
schon erheblich weiter, Frau Ministerin.
({7})
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich darf Sie bitten,
bei diesem Thema in sich zu gehen. Wenn alle Länder
Ihnen derzeit vorwerfen, Sie hätten noch kein Gesamtkonzept zur Sicherungsverwahrung vorgelegt, dann ist
das keine billige Stimmungsmache, wie Sie meinen, sondern schlicht und einfach zutreffend. Sie denken in Ihrem Eckpunktepapier über zahlreiche Lockerungen und
Rechtsmittel, über Freigang, Hafturlaub und sogar Entlassung von Sicherungsverwahrten nach, und Sie haben
recht: Das Bundesverfassungsgericht macht uns hier
Vorgaben, die wir als Gesetzgeber beachten müssen.
({8})
Wer, wie Sie, verpflichtet ist, ein Gesamtkonzept zur
Sicherungsverwahrung vorzulegen, der kann hier doch
nicht stehen bleiben, sondern muss sich auch mit der
Frage beschäftigen, was man mit den zahlreichen Sicherungsverwahrten machen soll, die sich überhaupt nicht
therapieren lassen wollen und jede Mitwirkung verweigern. Da muss der Gesetzgeber doch klarstellen, dass
Lockerungen oder gar Entlassung nicht in Betracht kommen, sonst drohen überraschende und ungerechtfertigte
Entlassungen von Gewalt- und Sexualstraftätern. Darauf
haben die Länder vollkommen zu Recht hingewiesen.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, dieser Staat hat nicht
nur eine Verantwortung gegenüber den Sicherungsverwahrten, die sich in seiner Obhut befinden, sondern auch
gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern und den Opfern von Gewalt- und Sexualdelikten.
Frau Ministerin, meine Damen und Herren von Union
und FDP, vergeuden Sie nicht, wie in den letzten zwei
Jahren, weiter Ihre Energie in vollkommen sinnlosen
und nervtötenden Auseinandersetzungen, sondern machen Sie das, wofür Sie als Regierung gewählt wurden:
Packen Sie die Probleme in der Rechtspolitik an, arbeiBurkhard Lischka
ten Sie sie ab, und präsentieren Sie dem Deutschen Bundestag Lösungen, die diesen Problemen gerecht werden!
({9})
Sie haben schon viel zu viel Zeit vertrödelt. Wenn Sie so
weitermachen, dann droht auf Ihren Baustellen wirklich
Einsturzgefahr.
({10})
Vielen Dank, Kollege Burkhard Lischka. - Jetzt für
die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Andrea
Voßhoff. Bitte schön, Frau Kollegin Voßhoff.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Lischka, Sie brauchen keine Angst vor Einsturzgefahr zu haben. Wenn man all das, was Sie zu der Frage
aufgelistet haben, was wir noch tun wollen und tun müssen, und all das, was die Ministerin zu der Frage aufgelistet hat, was wir schon getan haben,
({0})
zusammennimmt, ist das schon der komplette Koalitionsvertrag. Eine Legislaturperiode dauert vier Jahre.
Warten Sie es ab! Über die Punkte, die Sie angesprochen
haben, werden wir hier noch miteinander diskutieren.
({1})
Ich würde die Haushaltsdebatte gerne zu zwei grundsätzlichen Vorbemerkungen zur Rechtspolitik nutzen;
das erlauben Sie mir. Die Rechtspolitik - von A wie Aktienrecht bis Z wie Zugangserschwerungsgesetz - ist
Querschnittspolitik. Neben unseren klassischen Kernfeldern - sie sind in der Rechtspolitik sehr umfangreich gibt es, glaube ich, kaum ein Gesetzgebungsvorhaben
dieses Parlaments, bei dem wir nicht mitberatend tätig
sind. Im Vergleich zum kleinen, feinen Justizhaushalt ist
die Rechtspolitik ein sehr umfassendes Feld.
Die Ministerin hat es erwähnt: Auch bedingt durch
den Vertrag von Lissabon ist der Bereich der europäischen Gesetzgebung ein stetig wachsendes Themenfeld,
dem wir uns als Parlament stellen. Ich glaube, der
Rechtsausschuss gehört zu den wenigen Ausschüssen,
die schon seit Jahren einen Unterausschuss haben, der
sich ausschließlich mit europäischen Gesetzgebungsvorhaben beschäftigt. Wer diesen Unterausschuss kennt und
weiß, wie umfangreich seine Tagesordnung ist, der darf
an dieser Stelle den Kollegen und Kolleginnen aller
Fraktionen für ihre intensive Arbeit in diesem so wichtigen Unterausschuss unter Vorsitz meines Unionskollegen Professor Sensburg danken.
({2})
Die Stellungnahmen des Rechtsausschusses sind im
Wesentlichen in diesem Unterausschuss, oftmals auch
fraktionsübergreifend, erarbeitet und gemeinsam verabschiedet worden. Dies zeigt mehr als deutlich - das wird
in der öffentlichen Diskussion aber leider viel zu wenig
zur Kenntnis genommen -, dass die Rechtspolitiker des
Deutschen Bundestages mit sehr viel Engagement und
fachlichem Einsatz die parlamentarischen Mitwirkungsrechte in europäischen Fragen wahrnehmen. Meine Damen und Herren Kollegen, vielleicht sollten wir uns stärker dafür einsetzen, dass über diese Stellungnahmen
auch im Plenum des Bundestages häufiger diskutiert
wird. Die Inhalte wären es allemal wert.
({3})
Eine zweite Vorbemerkung sei mir erlaubt. Da wir im
Rahmen der Haushaltsberatungen auch den Etat des
Bundesverfassungsgerichts beraten, darf ich die Gelegenheit nutzen, vor dem anstehenden 60. Geburtstag des
Bundesverfassungsgerichts ein paar Worte dazu zu verlieren.
({4})
Von 1951 - seitdem besteht das Gericht - bis zum Ende
des Jahres 2010 hat sich das Bundesverfassungsgericht
mit über 188 000 Verfahren beschäftigt. 182 000 Verfahren waren Verfassungsbeschwerden der Bürger. Knapp
70 Prozent der Verfahren konnten bereits im ersten Jahr
nach ihrem Eingang abgewickelt, weitere 20 Prozent der
Verfahren innerhalb von zwei Jahren beendet werden.
Diese Zahlen belegen einerseits die hohe Akzeptanz des
Gerichts beim Bürger, andererseits aber auch die Effizienz des Gerichts bei der Abarbeitung der Verfahren.
Noch viel beeindruckender finde ich, welch hohes
Ansehen sich das Bundesverfassungsgericht in 60 Jahren
erarbeitet hat. Es hat von Beginn seiner Arbeit als Hüter
der Verfassung bis heute - auch in diesen Tagen - immer
im Spannungsfeld zur Politik gestanden. Nicht minder
wichtig war und ist aber auch, dass das höchste Gericht
in der Gesellschaft die notwendige Entscheidungsakzeptanz genießt.
Hans Vorländer, Politikwissenschaftler an der Uni
Dresden, hat in einem lesenswerten Beitrag unter der
Überschrift „Regiert Karlsruhe mit?“ in der Beilage der
Wochenzeitung Das Parlament das Spannungsfeld zwischen Bundesverfassungsgericht und Politik, aber auch
den Stellenwert des Gerichts in der Gesellschaft beleuchtet. Er führt aus, wie das Bundesverfassungsgericht
von Beginn an immer auch in der Kritik der Politik stand
und sich seine Position über die Deutungshoheit über die
Verfassung errungen hat.
Vorländer beschreibt, wie Anfang der 60er-Jahre der
damalige Bundeskanzler Adenauer mit dem Projekt eines Fernsehsenders auf Bundesebene vor dem Verfas14404
sungsgericht scheiterte. Das Bundesverfassungsgericht
stellte fest, dass die Rundfunkgesetzgebung Sache der
Länder sei und dem Bund die Gesetzgebungskompetenz
für die Gründung eines Regierungsfernsehens fehle.
Adenauer, so Vorländer, erklärte daraufhin, das Kabinett
habe einstimmig beschlossen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch sei. Das Bundesverfassungsgericht versuchte, sich des Angriffs der Exekutive
zu erwehren. Der damalige Präsident, Gebhard Müller,
hielt fest, dass kein Verfassungsorgan befugt sei, zu beschließen, ein Spruch des Bundesverfassungsgerichts
entspreche nicht dem Verfassungsrecht.
Im Laufe der Jahre ist es dem Verfassungsgericht in
beeindruckender Weise gelungen, ein hohes Maß an Vertrauen in der Öffentlichkeit zu erwerben. Das Spannungsfeld zur Politik ist geblieben. Das muss auch so
sein. Die Aufgabe als Hüter der Verfassung hat das Verfassungsgericht bis heute in überzeugender Weise erfüllt.
Dazu kann man nur gratulieren.
({5})
Die Haushaltsdebatte in diesem Jahr ist auch so etwas
wie eine Halbzeitbilanz der Koalition, auch im Bereich
der Rechtspolitik.
Frau Kollegin Voßhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Jörg van Essen?
Gerne.
Liebe Frau Kollegin Voßhoff, nachdem Sie, wie ich
finde, das Bundesverfassungsgericht zu Recht besonders
gelobt haben, frage ich: Teilen Sie meine Auffassung,
dass es eine gute Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsorganen geben sollte und deshalb auch das Bundesverfassungsgericht bei Terminierungen auf seit langem feststehende Termine des Bundestages Rücksicht
nehmen sollte? Das Budgetrecht ist das Königsrecht des
Parlaments und die Debatte zum Haushalt der Bundeskanzlerin in jedem Jahr eine der Sternstunden des Parlaments. Teilen Sie meine Auffassung, dass man das bei
der Verkündung von wichtigen Urteilen berücksichtigen
sollte?
Herr Kollege, ich teile diese Auffassung zu 100 Prozent und gehe noch einen Schritt weiter. Der Festakt zum
60-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts
findet wiederum in einer Sitzungswoche und dann auch
noch an einem Mittwoch statt, an dem der Rechtsausschuss tagt. Auch das finde ich sehr bedauerlich. Vielleicht könnten wir das irgendwann einmal entsprechend
kommunizieren, damit sich das ändert.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, nämlich unseres Kollegen Volker Beck?
Ja, gerne.
Auch wenn wir gemeinsam sicherlich die Grundposition teilen, dass sich die Verfassungsorgane gegenseitig
respektieren sollen, frage ich: Meinen Sie, es könnte bei
den Terminierungen eine Rolle gespielt haben, dass sich
der Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag, und die Bundesregierung zuweilen nicht um die Urteile des Bundesverfassungsgerichts scheren, wie das beim Thema Wahlrecht der Fall ist?
({0})
Dabei hat es der Bundestag nicht geschafft, innerhalb
der dreijährigen Frist ein Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes mit Mehrheit zu beschließen. Deshalb
denkt sich vielleicht das Bundesverfassungsgericht:
Wenn wir in Karlsruhe denen schnurz sind, dann sind die
in Berlin uns auch schnuppe.
({1})
Herr Kollege Beck, ich traue dem Bundesverfassungsgericht eine so niedere Denkweise, wie Sie sie gerade insinuieren, einfach nicht zu.
({0})
Zur Halbzeitbilanz der Rechtspolitik der christlich-liberalen Koalition hat die Ministerin schon Ausführungen gemacht und dargelegt, was wir abgearbeitet haben
bzw. was zurzeit sozusagen im Rohr ist. Ich will noch
die Reform des Mietrechts nennen, zu der uns mittlerweile ein Referentenentwurf vorliegt. Das ist neben dem
klassischen Kernfeld Mietrecht etwas, das für uns besonders wichtig ist, um die Energiewende in Deutschland
wirklich festzumachen. Sie haben bei Ihrem Beschluss
zum Atomausstieg schlicht und ergreifend vergessen,
sich um die Fragen der erneuerbaren Energien in allen
Bereichen zu kümmern. Wir haben die Reform des Mietrechts mit in Angriff genommen, um eben auch im Gebäudebereich Energieeffizienz einziehen zu lassen.
Wir wissen, dass der Gebäudebereich für 40 Prozent
des deutschen Energieverbrauches und ein Drittel der
CO2-Emissionen verantwortlich ist. Wir wollen deshalb
mit der Reform des Mietrechts Energieeffizienz bei der
Gebäudesanierung stärken und nach vorne bringen.
Das Insolvenzrecht ist bereits angesprochen worden.
Dabei sind wir kurz vor dem Abschluss und haben, wie
ich finde, nicht nur ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht. Es wird im Bereich der Wirtschaftsordnung, um
die sich die Rechtspolitik auch kümmert, sehr weit reichende und tragende Möglichkeiten zur Sanierung von
Unternehmen in Deutschland schaffen.
Eine weitere wichtige Wegmarke unserer Rechtspolitik ist der bessere Schutz der Bürger vor Straftaten und
der Opferschutz. Ich erlaube mir an dieser Stelle, erneut
zu erwähnen, dass wir die Verbesserungen für die Opfer
des SED-Regimes im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz mittlerweile verabschiedet haben. Es ist inzwischen in Kraft getreten. Wir haben nicht nur die Antragsfristen verlängert, sondern auch den Bezug der
Opferpension für die Betroffenen verbessert. Ich freue
mich sehr, wenn ich immer wieder Zuschriften von Bürgern bekomme, die aufgrund dieser Verbesserung jetzt in
den Genuss der Opferpension gekommen sind, was vorher nicht der Fall war.
Es ist wichtig und notwendig, auch in einer Haushaltsdebatte zur Rechtspolitik - nicht nur, weil wir federführend zuständig sind - immer wieder darauf hinzuweisen und damit an das kommunistische Unrechtssystem
zu erinnern. Nicht zuletzt ist dies auch aufgrund des
heute schon erwähnten Verhaltens der Linken in der jüngeren Zeit erforderlich. Die Danksagungen für den Mauerbau und die kritiklosen und unterwürfigen Huldigungen anlässlich des Geburtstags von Fidel Castro zeigen
eines deutlich, meine Damen und Herren von den Linken: Sie haben aus der Vergangenheit schlicht nichts gelernt.
({1})
Wir haben das Thema „Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte“ aufgegriffen und die Rechte und den
Schutz von Polizei und Feuerwehr sowie von Angehörigen der Rettungsdienste und des Katastrophenschutzes
gestärkt. Dass die Linken und die Grünen diesen Gesetzentwurf abgelehnt haben, war nicht anders zu erwarten.
Dass die SPD sich nur zu einer Enthaltung durchringen
konnte, enttäuscht. Wir - die christlich-liberale Koalition sagt das ganz deutlich - werden uns immer dafür
einsetzen, dass diejenigen, die uns schützen, selbst auch
adäquat geschützt werden.
({2})
Meine Damen und Herren, die Sicherungsverwahrung
ist bereits angesprochen worden. Die Umsetzung des
entsprechenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts
ist für uns von besonderem Gewicht. Natürlich hat uns
das Bundesverfassungsgericht mit diesem Urteil auch
eine schwere inhaltliche Vorgabe gesetzt; das ist gar
keine Frage. Dabei geht es aber nicht, wie man aus den
Reihen der Opposition hört, darum, Kritik an der Koalition zu üben. Das Bundesverfassungsgericht hat unseren
Reformansatz nämlich nicht gekippt.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat die Normen der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt, weil
das Abstandsgebot zwischen Strafvollzug und Sicherungsverwahrung nicht gewahrt wurde.
({4})
Es hat aber die materiell-rechtlichen Vorgaben zur primären und zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung,
die wir neu gesetzt haben, nicht beanstandet.
Interessanterweise hat das Bundesverfassungsgericht
- da schaue ich insbesondere Sie an, Herr Kollege
Montag - dem Therapieunterbringungsgesetz in beeindruckender Weise seinen Platz in den Regelungen der
Sicherungsverwahrung zugewiesen.
({5})
Es war immer ein Anliegen der Union, die Lücken, die
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte durch
seine Urteile in diesem Zusammenhang geschaffen hatte
- gefährlichste Straftäter mussten freigelassen werden -,
im Rahmen der Neustrukturierung der Sicherungsverwahrung zu schließen. Dadurch ist das Therapieunterbringungsgesetz zustande gekommen.
Sie haben immer sinngemäß gesagt, das Gesetz habe
nur eine geringe Halbwertszeit und werde gekippt werden. Nein, Herr Montag, das Bundesverfassungsgericht
hat es anders gesehen. Es hat nämlich den Ansatz, den
wir als Union und dann die christlich-liberale Koalition
immer wieder verfolgt haben, aufgegriffen: dass es die
Möglichkeit geben muss, Straftäter, die höchst gefährlich sind, auch weiterhin in Sicherungsverwahrung zu
behalten. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht
strengste Vorgaben daran gestellt. Den Grundsatz des
Therapieunterbringungsgesetzes hat es in diesem Zusammenhang aber durchaus bestätigt. Das finde ich
wichtig, meine Damen und Herren.
Es ist es aber genauso wichtig - da haben Sie natürlich recht, Herr Kollege Lischka; das ist etwas, was die
Große Koalition jetzt mit Vorrang wird betreiben müssen ({6})
- nein, die christlich-liberale Koalition -,
({7})
dass wir noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur
Neuregelung der Sicherungsverwahrung vorlegen.
Das Gesetzgebungsvorhaben zur Stärkung der Rechte
der Opfer sexuellen Missbrauchs ist bereits erwähnt worden; darauf brauche ich nicht weiter einzugehen. Dabei
handelt es sich um ein sehr wichtiges Gesetzgebungsvorhaben. Über die Frage der Verlängerung strafrechtlicher
Verjährungsfristen haben wir nicht abschließend beraten,
weil sich der Runde Tisch noch mit dieser Thematik beschäftigt. Deshalb ist erst einmal die Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen darin enthalten. Wir
werden auch in der Frage der strafrechtlichen Verjährungsfristen den Abschluss der Arbeit des Runden Tisches abwarten. Aus Sicht der Union ist es nämlich wenig
sinnvoll, nur die zivilrechtlichen Verjährungsfristen anzuheben. Dies muss dann auch für die strafrechtlichen
Verjährungsfristen gelten.
({8})
Meine Damen und Herren, abschließend darf ich Folgendes sagen: Der Aufgabenkatalog der christlich-liberalen Koalition ist anspruchsvoll und umfangreich.
({9})
Wir haben noch genügend Themen, um die zweite Halbzeit der Koalition gemeinsam zu gestalten.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Jetzt spricht für die
Fraktion Die Linke unser Kollege Jens Petermann. Bitte
schön, Kollege Jens Petermann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin
Leutheusser-Schnarrenberger, ich finde es bemerkenswert, dass Sie den konservativen Kräften der Regierungskoalition doch noch hier und da so lange und unermüdlich die Stirn geboten haben, und wünsche Ihnen,
dass Sie auch in Zukunft Ihre liberalen Positionen verteidigen können und dem innerparteilichen Druck, aber
auch dem Druck in der Koalition standhalten können.
Ob Sie dazu die Kraft haben, wird sich schon bei den
nächsten Themen zeigen, beispielsweise - es ist heute
schon genannt worden - beim Thema der Vorratsdatenspeicherung.
({0})
Für die unmittelbare Arbeit Ihres Ministeriums steht
Ihnen ein Budget von circa 67 Millionen Euro zur Verfügung. Ihre 569 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben
wichtige Aufgaben bei der Vorbereitung, Änderung und
Aufhebung von Gesetzen und Verordnungen zu erfüllen.
Man könnte Ihr Ministerium mit der recht großen Anzahl an hervorragend ausgebildeten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern mit einem gut ausgestatteten Mittelklassewagen vergleichen, dessen Fahrerin allerdings aufgrund falscher politischer Koordinaten Probleme mit der
Navigation hat. Dementsprechend wissen Sie gelegentlich nicht, wo es langgeht und wohin Sie wirklich wollen. Zuweilen entsteht sogar der Eindruck, dass Sie
Schlangenlinien fahren und auch mal die eine oder andere rote Ampel übersehen.
Ich will Ihnen das an einigen Beispielen erläutern.
Erstes Beispiel: der Gesetzentwurf zur Änderung des
§ 522 Zivilprozessordnung. Die Möglichkeit zur Berufungszurückweisung durch einen unanfechtbaren Beschluss des Gerichts gehört meines Erachtens gänzlich
gestrichen. Es hätte Sinn gemacht, die Forderungen der
Fachleute, aber auch die der Opposition ernst zu nehmen. So hat sich aber die Handschrift der Union mit dem
Aspekt der Justizkosteneinsparung und Verfahrensbeschleunigung gegen den von der FDP hochgehaltenen
Rechtsstaat durchgesetzt. Sie haben sich bei diesem
Thema offensichtlich ins Lenkrad greifen lassen und
sind dadurch ein wenig von der Straße abgekommen.
({1})
Denn die Kompromisslösung, die Sie gefunden haben,
lässt auch weiterhin einen Spielraum für schnelle abweisende Beschlüsse zu.
Die Zulässigkeit der Revision zum Bundesgerichtshof
ist auch zukünftig davon abhängig, dass die betroffenen
Bürgerinnen und Bürger um mehr als 20 000 Euro streiten. Leidtragende sind noch immer vor allem die Betroffenen, die Ansprüche wegen Gesundheitsschädigung
geltend machen. Die Fälle sind Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die wir regelmäßig im Rechtsausschuss
zusammensitzen, hinlänglich bekannt. Die kommen bei
der vorgesehenen Regelung leider wieder unter die Räder. Hier hat der Gesetzentwurf nichts verändert.
Zweites Beispiel. Große Probleme bereits beim Ausparken haben Sie mit dem Gesetzentwurf zur Förderung
der Mediation. Europäisches Parlament und Europäischer Rat verpflichteten den deutschen Gesetzgeber, für
grenzüberschreitende Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen den Zugang zur Mediation zu fördern. Die
Frist zur Umsetzung endete bereits am 20. Mai dieses
Jahres. Die von der Koalition eingebrachte Drucksache
ist indes so schlecht, dass Ihnen selbst die eigenen Fachleute in den Regierungsfraktionen die Gefolgschaft verweigerten und auf die Bremse getreten sind. Ich finde,
völlig zu Recht.
({2})
Mit dieser Drucksache sollen nämlich Richtlinienvorgaben umgesetzt werden, die es interessanterweise gar
nicht gibt.
Im Ergebnis setzt der Entwurf nichts wirklich um,
sondern schreibt bestenfalls die bestehende unübersichtliche Praxis fest. Auch hier zeigt sich die Koalition übrigens wieder von ihrer „sozialen Seite“. Denn so „unwichtige“ Dinge wie Mediationskostenhilfe oder
Chancengleichheit haben Sie überhaupt nicht berücksichtigt. Genauso wenig haben Sie an die Qualifikation
der Mediatoren gedacht. Offenbar geht es der Union nur
darum, das übliche, öffentlich zugängliche Gerichtsverfahren zugunsten einer vermeintlich kostengünstigeren
Alternative zu beschneiden. Falls Sie, Frau Ministerin,
die Parklücke vielleicht doch noch wider Erwarten und
mit einigen Beulen verlassen können, sollten Sie aufpassen, dass die Fahrt nicht in der nächsten Sackgasse endet.
({3})
Drittes Beispiel. Startschwierigkeiten und Probleme,
den Zündschlüssel zu finden, bestehen offensichtlich
auch bei der Streichung des § 80 Abs. 2 Wehrdisziplinarordnung. Sie erlauben es damit dem VerteidigungsminisJens Petermann
ter, sich in die Besetzung des Wehrdisziplinarsenates
beim Bundesverwaltungsgericht einzumischen. Wenn
die Bundesregierung auf die Geschäftsverteilung eines
oberen Bundesgerichtes Einfluss nimmt, so ist dies nicht
nur in meinen Augen ein klarer Verstoß gegen das Gebot
der Gewaltenteilung. Als Sie, Frau Ministerin, noch einfache Abgeordnete waren, haben auch Sie diese Praxis
völlig zu Recht kritisiert.
Meine Fraktion hat das Thema dankenswerterweise
aufgegriffen und einen Gesetzentwurf zur Änderung dieser Praxis vorgelegt. Anstatt diese Initiative aufzunehmen, haben Sie sich leider fahruntauglich gezeigt und
die weiße Flagge gehisst. Sie haben ein ureigenes Justizthema an den Verteidigungsausschuss abgeschoben.
Das finde ich sehr traurig. Es ist unseres Erachtens dringend geboten, dass Sie endlich unserer Initiative beitreten und dafür sorgen, dass der auch von Ihnen zu Recht
beklagte verfassungswidrige Zustand beendet wird.
({4})
Bringen Sie also den Motor zum Laufen. Wenn Sie
dann noch in die richtige Richtung fahren, können auch
wir einem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf zustimmen.
Ich habe noch ein weiteres Beispiel für Sie. Dass die
Fahrt nicht immer in die richtige Richtung geht, zeigt
das Gesetz zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung.
Es ist schon angesprochen worden. Hier haben Sie
gleich mehrere rote Ampeln übersehen und sind wieder
direkt in den Leitplanken des Bundesverfassungsgerichts
gelandet. Das ist bedauerlich, aber wir müssen es leider
feststellen. Erst muss Ihnen der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte sagen, dass die deutschen Regelungen zur Sicherungsverwahrung gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention verstoßen, dann haben Sie
ein bisschen Flickschusterei betrieben, und nicht einmal
ein halbes Jahr später bescheinigt Ihnen das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit Ihres Systems mit
dem Grundgesetz.
Die dringend notwendige Expertenkommission aus
Kriminologen, Psychiatern, Vollzugspraktikern, Staatsanwälten und Richtern haben Sie immer noch nicht eingesetzt. Bei der gesetzten Übergangsfrist, die am 31. Dezember dieses Jahres endet, ist zu befürchten, dass Sie
wieder einmal verspätet ankommen. Erhöhen Sie also
das Tempo und passen Sie auf, dass dieser Gesetzentwurf nicht wieder zu einer Geisterfahrt wird.
({5})
Aus Ihrem Haus kommt auch der Entwurf zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht.
Mit diesem Entwurf fahren Sie, wenn man so will, seit
geraumer Zeit im Kreis. Die vorgeschlagene Regelung
ist nicht nur halbherzig; nebenbei ist sie auch noch Ausdruck eines faulen Kompromisses zwischen der vermeintlichen Bürgerrechtspartei FDP und den Law-andOrder-Parteien der Union. Abgesehen davon, dass dieser
eigentlich in die richtige Richtung gehende Gesetzentwurf einen Schutz der Presse nur begrenzt gewährleistet,
scheint es so, als würde das Vorhaben nicht weiter verfolgt. Hier sitzt offensichtlich die Union wieder am längeren Hebel.
Seit der Einbringung - diese erfolgte im Dezember
2010 - und der öffentlichen Anhörung im Januar 2011
ist nämlich nichts geschehen, vermutlich deshalb, weil
sich die von der Koalition benannten Sachverständigen
gegen Ihren Gesetzentwurf ausgesprochen und auf entstehende Strafbarkeitslücken hingewiesen haben. Frau
Ministerin, nehmen Sie hier das Steuer wieder selbst in
die Hand und lassen Sie sich nicht vom Koalitionspartner ausbremsen.
Regierungshandeln im Allgemeinen, aber auch die
Gesetzesvorlagen müssen stets den Verfassungsgrundsätzen genügen. Das ist Ihnen in der Vergangenheit leider nicht durchgängig gelungen. Die Bürgerinnen und
Bürger, die Wählerinnen und Wähler erwarten völlig zu
Recht ein verfassungskonformes Handeln. In der Praxis
sind jedoch zu viele Korrekturen durch das Bundesverfassungsgericht erforderlich gewesen. Aufgrund dieser
Arbeitsweise, geprägt durch eine Reihe von verfassungsrechtlich bedenklichen Gesetzentwürfen, machen Sie
dem Bundesverfassungsgericht auf der einen Seite unnötig zusätzliche Arbeit. Das führt im Übrigen zu längeren
Verfahrenslaufzeiten. Auf der anderen Seite hat das aber
auch solch abstruse Forderungen zur Folge, wie sie der
Präsident des Bundesverfassungsgerichts jüngst äußerte. Er forderte nämlich eine Querulantengebühr von
bis zu 5 000 Euro, wenn das Gericht missbräuchlich von
den Bürgerinnen und Bürgern angerufen wird. Ich frage
Sie aber: Was bleibt denn den Bürgerinnen und Bürgern
sonst übrig? Sie nehmen doch letztlich nur ein elementares Bürgerrecht wahr, nämlich Grundrechtsverletzungen
zu rügen.
({6})
Die vielen verabschiedeten verfassungswidrigen Gesetze sind unter anderem eine Ursache dafür, dass das
Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politik rapide sinkt. Das haben wir leider auch letztes Wochenende feststellen müssen. Wir haben dafür Lösungsansätze. Hören Sie ausnahmsweise einmal auf die
Vorschläge der Opposition, wie zum Beispiel beim Gesetzentwurf zu § 522 der Zivilprozessordnung. Rot-Grün
hat einen damals begangenen Fehler eingestanden, doch
Ihnen fehlt leider die Größe, das aufzugreifen und die
von vielen Fachleuten angezweifelte Reform zu revidieren.
Geben Sie, Frau Ministerin, endlich die richtigen Koordinaten ein. Dann wird auch Ihr gut ausgestatteter Mittelklassewagen, um bei diesem Bild zu bleiben, vielleicht sein Ziel erreichen und noch viele Kilometer
laufen. Wenn Sie diese Wende, von der hier schon die
Rede war, verpassen, werden Ihnen die Wählerinnen und
Wähler bei der nächsten Wahl in zwei Jahren, falls Sie es
überhaupt schaffen, bis dahin über die Runden zu kommen, ganz bestimmt das Steuer entziehen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächster spricht für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Jerzy
Montag. Bitte schön, Kollege Montag.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundesjustizministerin, Sie haben letztes Jahr
im Spiegel ein großes Interview gegeben. Sie haben sich
in diesem Interview mit dem Satz „Ich nerve für den
Rechtsstaat“ zitieren lassen. Das war eine nette Anleihe
an so lockere Sprüche wie „Ich trinke für den Frieden“.
({0})
Es stellt sich schon die Frage, ob es die Aufgabe einer
Bundesjustizministerin ist, für den Rechtsstaat zu nerven, oder ob es nicht vielmehr Aufgabe der Bundesjustizministerin ist, sich für den Rechtsstaat einzusetzen,
ihn zu erhalten und zu gestalten.
({1})
Viel interessanter ist die Frage, wen Sie mit Ihrer
Politik eigentlich glauben nerven zu müssen. Ich kann
Ihnen versichern: Die Opposition nerven Sie - meistens mit Ihren grundsätzlichen Positionen zur Rechtsstaatlichkeit in Deutschland nicht.
({2})
Wir haben Belege zuhauf, dass Sie fortlaufend Ihren
Koalitionspartner von der Union nerven
({3})
und dass auch in der Rechtspolitik in der sogenannten
schwarz-gelben Koalition Zwietracht und Niedertracht
herrschen.
Ein erstes Beispiel dafür sei die Verunstaltung des
§ 113 StGB, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Die Strafrahmen
- bei Gewalt gegen Polizeibeamte sind ausreichend, die Gerichte können sie ausschöpfen …
Sie selber, Frau Ministerin, haben am 23. Juni dieses
Jahres in der FAZ gesagt, neues Strafrecht sei oft nicht
mehr als Symbolpolitik. Der Wunsch nach ständiger
Ausdehnung des Strafrechts blende aus, dass das Strafrecht kein Allheilmittel zur Lösung gesellschaftlicher
Probleme sei.
({0})
Einige Tage später, am 7. Juli 2011, haben Sie in reiner Symbolpolitik § 113 StGB im Anwendungsbereich
und im Strafrahmen erweitert und das rechtssystematische Verhältnis zur Nötigung völlig zerrüttet. Aber was
das Schlimmste ist: Sie haben der Öffentlichkeit und den
Polizeibeamten vorgegaukelt, dass sich durch diese Änderung die Sicherheit in Deutschland, insbesondere für
die Beamten, auch nur um ein Jota verbessern werde.
Was Sie in diesem Punkt gemacht haben, ist nichts anderes als Symbolpolitik.
({1})
Ja, Frau Ministerin, Sie haben in dieser Sache etwas genervt; aber Sie haben sich nicht durchsetzen können.
Ein zweites Beispiel dafür ist die Reform der Sicherungsverwahrung; sie ist hier schon mehrfach
angesprochen worden. Eigentlich ist sie ein Feld für
rechtsstaatlich und menschenrechtlich gesonnene Bundesjustizministerinnen. Die letzte schwarz-gelbe Koalition hat im Januar 1998 die fragwürdige Rückwirkung in
der Sicherungsverwahrung beschlossen. Insbesondere
diese Änderung der schwarz-gelben Regierung vom Januar 1998 hat dazu geführt, dass Jahre später der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach die
Bundesrepublik Deutschland verurteilt hat, weil es sich
um eine menschenrechtswidrige Formulierung handelt.
({2})
Sie haben im letzten Jahr angekündigt, eine generelle
Reform der Sicherungsverwahrung durchzuführen. Eine
solche Reform haben Sie Ende des letzten Jahres vorgelegt, und einige Monate später haben Sie beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen Scherbenhaufen
kassiert. Ich kann Ihnen sagen, mit welcher Geisteshaltung das zu tun hat: Der Kollege Stephan Mayer von der
CSU hat in der Haushaltsdebatte am 16. September
2010, also vor ungefähr einem Jahr, zu diesem Punkt gesagt: Ziel der Reform muss es sein, eine Regelung zu
schaffen, die absolut gewährleistet, dass keine Gefahren
für die öffentliche Sicherheit mehr bestehen. Sie, Frau
Ministerin, haben in dem angesprochenen Spiegel-Interview gesagt: „Absolute Sicherheit gibt es nicht.“ Ich
füge hinzu: Wir dürfen das auch nicht wollen; denn wer
absolute Sicherheit anstrebt, zerstört die rechtsstaatliche
Ordnung, die wir haben.
({3})
Frau Ministerin, Sie haben einen falschen Partner. Sie
nerven ihn, aber Sie setzen sich nicht durch.
Das Gleiche gilt für die Reform des Wahlrechts. Drei
Jahre lang haben Sie es zugelassen, dass keine Regelung
zustande gekommen ist. Das Gleiche gilt für die Bekämpfung der Korruption und die Abgeordnetenbestechung. Das Gleiche gilt für die Pressefreiheit. Da fordert
jetzt der sehr verehrte Kollege Kauder, Vorsitzender des
Rechtsausschusses, Journalisten unter Strafe zu stellen.
Frau Ministerin, zum Schluss. Die Halbzeitbilanz haben Sie so beschrieben: „Die Arbeit des BMJ wird vom
Einsatz für die Verfassung und von der Sorge um die
Rechtsstaatlichkeit in Deutschland geprägt.“
Ihr Koalitionspartner sagt über Sie - Zitat -:
Die Justizministerin schützt durch ihre ideologische
Blockadehaltung Pädophile und Terroristen und
wird damit selber zu einem Sicherheitsrisiko in unserem Land.
Das hören Sie von Ihrem Koalitionspartner. Die zweite
Formulierung lautet, Sie seien „eine personifizierte
Schutzlücke im deutschen Sicherheitssystem“.
({4})
Eine größere persönliche Beleidigung und einen
schwerer wiegenden Vorwurf gegen eine Bundesjustizministerin kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Deswegen lautet unsere Bilanz zur Halbzeit: Die Rechtspolitik ist unter Schwarz-Grün
({5})
- Schwarz-Gelb! - in einem jämmerlichen Zustand. Ihre
Koalition ist auch in der Rechtspolitik in der Sache am
Ende. Sie kleben nur noch an der Macht, weil Sie Neuwahlen fürchten. Das ist vielleicht auch einer der Gründe
dafür, warum Sie noch keinen Gesetzentwurf zur Reform des Wahlrechts vorgelegt haben.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt spricht für die
Fraktion der FDP unser Kollege Stephan Thomae. Bitte
schön, Kollege Thomae.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident, auch von mir, sozusagen vom Allgäu nach Augsburg, die besten Glückwünsche zum heutigen Geburtstag. Das wollte ich zunächst
vorwegschicken.
Frau Minister, Sie haben in Ihrer Rede einige Ausführungen zur europäischen Rechtspolitik gemacht. Ich bin
Ihnen dafür ganz besonders dankbar, weil wir in diesen
Tagen Europa immer nur als Sorgenkind, als Krisenfall
wahrnehmen. Es ist, glaube ich, wichtig, deutlich zu machen, dass wir auch in diesen schweren Tagen,
({0})
in denen der europäische Gedanke sehr unter Beschuss
ist und jeden Tag im Kreuzfeuer steht, weiterhin eine
Vision von Europa haben und auch in der Rechtspolitik
den europäischen Gedanken vertiefen und weiterbringen
wollen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt.
Im Übrigen finde ich, dass Sie zur Halbzeit eine sehr
beachtliche Leistungsbilanz vorgelegt haben. Deswegen
finde ich die Kritik, Herr Kollege Lischka, die Sie angebracht haben, nicht berechtigt. Wir haben auch zu sehr
schwierigen Punkten, über die wir alle im Parlament gestritten haben, Ergebnisse vorlegen können, so etwa
beim Thema Internetsperren und auch beim Thema Sicherungsverwahrung; Kollege Montag, Sie haben es angesprochen. In diesem Zusammenhang will ich darauf
hinweisen, dass der Teil, der vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als verfassungswidrig aufgehoben
worden ist, im Januar 1998 nicht von uns eingefügt worden ist,
({1})
sondern dass sich jener Teil, der eine nachträgliche Anordnung im JGG einführte, als nicht verfassungsfest erwiesen hat. Deswegen finde ich, dass diese Kritik hier
nicht verfangen kann.
({2})
Wir haben uns, glaube ich, in sehr vielen schwierigen
Punkten verdient gemacht, was die Beachtung der verfassungsmäßigen Ordnung angeht, so etwa bei dem
schon angesprochenen Terrorbekämpfungsgesetz. Nicht
wir, sondern andere haben sich ein ums andere Mal in
Karlsruhe eine blutige Nase geholt.
Aber ich spreche heute in einer neuen Funktion, weniger als Rechtspolitiker, sondern mehr als Berichterstatter
im Haushaltsausschuss für den Bereich Justiz. Deswegen ein paar allgemeine Vorbemerkungen. Es ist ein
kleiner, aber feiner Etat von weniger als einer halben
Milliarde Euro, der sehr deckungsstark ist. Mehr als
90 Prozent der Ausgaben werden durch eigene Einnahmen vom Ministerium erwirtschaftet, ein großer Teil davon stammt aus Gebühren des Deutschen Patent- und
Markenamtes. Dazu möchte ich deswegen nachher auch
noch ein paar Ausführungen machen.
Es ist ein klassischer Verwaltungshaushalt, stark
durch Personalausgaben geprägt. Es gibt im Bereich des
BMJ wenige Programme und Projekte, die man schieben
oder herunterfahren könnte, um dadurch Geld einzusparen. Der Anteil der Personalkosten an diesem Haushalt,
wodurch er sehr stark geprägt wird, beträgt 78 Prozent.
Deswegen treffen Einsparungen in diesem Bereich die
Operabilität des Ministeriums sehr stark. Personalkosten
sind auch kaum steuerbar, wenn die Justiz ohne Qualitätsverluste weiterarbeiten soll. Die Gerichte müssen einen Justizgewährungsanspruch erfüllen, der Generalbundesanwalt hat eine Strafverfolgungspflicht, das
Patent- und Markenamt und das Bundesamt für Justiz
sind antragsgesteuert. Deswegen würden fortdauernde
Einsparungen in diesem Etat an der Qualität der Aufgabenerfüllung rühren. Das ist anders als bei den meisten
anderen Ressorts und stellt damit einen schwierigen
Punkt beim Justizressort dar.
Ich habe gesagt, dass ich etwas zum Deutschen Patent- und Markenamt sagen möchte. Es ist das Verdienst
vor allem dieser Münchner Behörde, dass der Anteil der
Einnahmen die Ausgaben des Ressorts zu einem großen
Teil zu decken vermag. In diesem Jahr erreichen wir den
Rekordwert von 90 Prozent; im Vorjahr betrug die Deckungsquote noch 84 Prozent. Auch aus wirtschaftspolitischen Erwägungen ist also eine angemessene Stellenausstattung gerade dieser Behörde geboten. Zugleich ist
es aber auch ein großes Anliegen der Wirtschaft - Stichwort Innovationsförderung -, wenn Patent- und Markenanträge schnell bearbeitet werden und auch Widersprüche nicht ewig liegen bleiben. In diesem Zusammenhang
bringt die Implementierung der elektronischen Schutzrechtsakte ELSA einen großen Fortschritt für das Patentund Markenamt mit sich. Ich werde demnächst dorthin
reisen, um mir dieses Projekt anzuschauen und persönlich vorführen zu lassen.
Ein weiterer Aspekt - hier schaue ich den Kollegen
Buschmann an - ist die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, IRZ, in der der Kollege
Buschmann ja auch Mitglied ist. Es handelt sich um eine
Gründung des früheren Justizministers Klaus Kinkel; die
Stiftung war als Antwort auf die Umbrüche in Mittelund Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion gedacht. Diese Stiftung sollte bei der Entwicklung rechtsstaatlicher Strukturen in diesen Ländern Pate stehen. Der
Etat für diese Stiftung lag 2010 bei 4 Millionen Euro; er
soll jetzt ein bisschen heruntergefahren werden. Ich bin
allerdings der Meinung, dass wir hier keinen weiteren
Rückgang in Kauf nehmen sollten, weil gerade vor dem
Hintergrund der neuen Entwicklungen in Nordafrika und
ihrer Begleitung dieser Stiftung möglicherweise ganz
neue, interessante Aufgaben zuwachsen können.
({3})
Eine Schlussbemerkung möchte ich mir erlauben
- ich meine, dann auch in der Zeit zu bleiben -: Das Justizressort ist ein Verfassungsressort. Im Justizressort ist
die Hütung und Hegung der Rechtsstaatlichkeit angesiedelt. Die Justizministerin wird ja manchmal, wie wir
heute schon vernommen haben, für ihre Hartleibigkeit
angegriffen; sie wird aber auch oft für ihre Standfestigkeit gelobt.
Eines will ich aber an dieser Stelle abschließend festhalten: Man kann an vielen Dingen herumexperimentieren, der Rechtsstaat ist allerdings kein gutes Objekt, um
öfter mal was Neues zu probieren. Manches Prinzip ist
schwer zu erklären. Selbst wenn es manchmal so aussieht, als stünden die Rechte eines Angeklagten höher
als die Rechte eines Opfers, ist es unsere Aufgabe als
Rechtspolitiker - ich spreche jetzt wieder als Rechtspolitiker -, zu sagen: Nein, dem ist nicht so.
Wir Rechtspolitiker sollten den Rechtsstaat erklären
und verteidigen. Leserbriefe drücken oft die Stimmungslagen in der Bevölkerung sehr spontan, sehr impulsiv
aus. Wir jedoch sollten immer deutlich machen: Der
Rechtsstaat ist uns Deutschen nicht einfach so vor die
Füße gefallen. Bis er die heutige Gestalt erreicht hat, ist
in diesem Land, ist in Europa, ist in der Welt sehr viel
Blut vergossen worden. Deshalb sollten wir den Rechtsstaat sehr, sehr sorgsam bewahren.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner für die
Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege
Dr. Edgar Franke. Bitte schön, Kollege Dr. Edgar
Franke.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Justizministerin! Mein geschätzter Kollege
Burkhard Lischka hat eine politische Einschätzung Ihrer
Arbeit vorgenommen. Diese Einschätzung möchte ich
um drei Punkte ergänzen.
Herr Petermann, mich hat ein bisschen gewundert,
dass Sie von der Linken die Justizministerin so gelobt
haben. Da habe ich ein bisschen gestaunt.
({0})
Erster Punkt. Der Justizhaushalt ist ja relativ klein.
Ich möchte, Frau Justizministerin, mit einem vordergründig banalen Thema anfangen, das uns aber sehr bewegt und zu dem ich sehr viele Anfragen bekommen
habe, fast schon Hilferufe. Es geht um das Abmahnungsunwesen aufgrund des Urheberrechts und des Gesetzes
gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Gründe für Abmahnungen sind zwar vielfältig; aber in der letzten Zeit,
besonders im letzten halben Jahr, sind vor allem im Zusammenhang mit Tauschnetzwerken - Peer-to-PeerNetzwerke heißt das, habe ich mir erklären lassen große Anwaltskanzleien zugange, die Bürger in einem
sehr großen Umfang abmahnen. Das ist ein Thema, bei
dem dringender Handlungsbedarf besteht. Warum? Es
geht dabei um viel Geld. 500 Euro sind keine Seltenheit,
manchmal sind es auch mehrere Tausend Euro. Vielfach
trifft es kleine Unternehmen oder wirtschaftlich schwache Leute, die sich nicht wehren können. Sie lassen sich
durch die Drohkulissen, die aufgebaut werden, sehr oft
einschüchtern und zahlen. Auch wenn wir jetzt in der
Haushaltsberatung sind, ist das ein wichtiges Thema,
weil es viele Menschen betrifft, auch dadurch, dass Kinder den Computer oft mitbenutzen.
({1})
Der zweite Punkt ist die Insolvenzrechtsreform, die Ihnen - das haben Sie mehrmals gesagt, Frau Ministerin am Herzen liegt. Es gibt eine Diskussion darüber, das
Planverfahren zu ändern. Diese Diskussion geht in die
richtige Richtung; das muss man ganz klar sagen. Aus
meiner und aus unserer Sicht soll sich hier ein Mentalitätswandel vollziehen. In Deutschland ist es leider so,
dass ein Insolvenzverfahren immer als Makel gesehen
und aufgrund dieser Tatsache viel zu spät ein Antrag auf
Insolvenz gestellt wird. Hier müssen wir als Gesetzgeber
handeln. Wir brauchen eine stärkere Eigenverwaltung
und ein zügiges Gesetzesverfahren.
In der zweiten Stufe ist eine Reform der Verbraucherinsolvenz notwendig. Darauf warten wir allerdings noch.
Sie hatten versprochen, da tätig zu werden, und zwar
schnell. Da besteht Handlungsbedarf. Sie haben mehrmals angedeutet, dass wir die Wohlverhaltensphase von
sechs Jahren auf drei Jahre verkürzen. Ich glaube, über
diese Verkürzung muss noch diskutiert werden. Ob sie
sinnvoll ist, muss sich noch zeigen, auch im Sinne des
Gläubigerschutzes.
Der dritte Punkt, der mir wichtig ist, ist die Regelung
der Abgeordnetenbestechung. Es gibt eine Regelung in
§ 108 e Strafgesetzbuch. Diese entspricht aber eindeutig
nicht den internationalen Anforderungen. Das hat Transparency International mehrmals festgestellt. Wir sind,
Frau Ministerin, in diesem Bereich leider noch nicht tätig geworden. Wenn man schaut, wer in Europa die UNKonvention ratifiziert hat, stellt man fest, dass das fast
alle Länder sind,
({2})
außer Irland, Island, Kosovo, der Tschechischen Republik und uns.
({3})
- Herr van Essen, Sie sind Oberstaatsanwalt. Sie wissen
natürlich, dass Staatsanwälte in Deutschland teilweise
übermotiviert reagieren. Es gibt sicherlich auch Staatsanwälte, die, wie man im Fall Kachelmann gesehen hat,
einfach blind loslegen. Gleichwohl brauchen wir Transparenz und Akzeptanz von Politik. Politik darf nicht
käuflich sein, Herr von Essen.
({4})
Es darf auch nicht der Anschein erweckt werden, dass
Politik käuflich ist. Angesichts der Tatsache, dass alle
Länder in Europa diese UN-Konvention unterschrieben
haben, müssen auch wir Deutsche dies tun. Das sind wir
unserem internationalen Ansehen schuldig.
({5})
Herr Kollege Dr. Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Kauder?
Ja.
Bitte schön, Kollege Kauder.
Herr Kollege, sind Sie nicht auch der Meinung, dass
das Parlament und nicht die Frau Justizministerin das
Thema Abgeordnetenbestechung behandeln müsste?
Sehr geehrter Herr Kauder, die Exekutive, also auch
die Frau Ministerin, kann Vorlagen erstellen. Ich war
lange Zeit Bürgermeister und weiß, wie Vorlagen vonseiten der Verwaltung entstehen. So verhält es sich auch
in der großen Politik. Ich glaube, dass die Justizministerin auch in diesem Bereich eine politische Verantwortung hat. Sie selbst bezeichnet sich als jemand, der politisch denkt.
Es besteht aber folgendes Problem - das ist der kritische Punkt; insofern sind Ihre Zwischenfrage, Herr Kollege Kauder, und auch das, was Herr van Essen gesagt
hat, berechtigt -: Wenn ein Staatsanwalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren aufgrund eines Anfangsverdachts konstruiert und darüber etwas in der Presse steht,
ist die Reputation des Abgeordneten unter Umständen
schon beeinträchtigt. Über dieses Problem muss man sicherlich fairerweise diskutieren, Herr van Essen.
({0})
Ich sage es noch einmal, Herr Kauder: Da alle wichtigen Länder in Europa sagen, sie wollen die UN-Konvention ratifizieren und die Abgeordnetenbestechung klar
definieren, halte ich es für falsch, dass wir in Deutschland in § 108 e StGB eine eher wachsweiche Regelung
haben.
Vielen Dank. - Es gibt den Wunsch nach weiteren
Zwischenfragen. Gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage des Kollegen Jerzy Montag, Herr Kollege
Dr. Franke?
Ja.
Bitte schön, Kollege Montag.
Danke, Herr Kollege. - Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich zu Ihren letzten Ausführungen etwas sagen
wollte. Da ich aber eine Frage stellen muss,
({0})
frage ich Sie, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass eine frühere Bundesjustizministerin, die Vorgängerin der jetzigen, in ihrem Haus einen Gesetzentwurf zu diesem Thema hat erstellen lassen und dass
dieses Hohe Haus daraufhin gesagt hat, es möchte keine
Vorgaben des Justizministeriums in dieser Sache. Die
Parlamentarier haben weiterhin gesagt: Wenn überhaupt
ein solcher Gesetzentwurf nötig ist - Herr van Essen ist
dagegen, ich bin dafür -, dann machen wir ihn selber.
Das war eigentlich bisher immer Position der SPDBundestagsfraktion. In allen Reden zu diesem Thema
hat Ihre Fraktion versprochen, dazu etwas vorzulegen.
Bisher haben Sie aber immer noch nichts vorgelegt. Ich
frage Sie: Wann machen Sie das endlich?
({1})
Sehr verehrter Herr Montag, Sie sind schon ein bisschen länger als ich in diesem Parlament. Ich bin jetzt
zwei Jahre dabei. Daher bin ich für jeden Hinweis dankbar. Mir ging es darum, Folgendes herauszustellen: Über
diesen Haushalt diskutieren wir politisch. Er ist so klein,
dass es nicht so sehr um Zahlen, sondern hauptsächlich
um Politik geht, Herr Montag. In diesem Zusammenhang habe ich drei Punkte genannt, die der SPD wichtig
sind. Herr Kauder hat eben versucht, mich mit seiner
Frage aufs Glatteis zu führen. Das habe ich schon mitbekommen.
Lieber Herr Montag, lassen Sie mich noch Folgendes
sagen - vielleicht können Sie noch so lange stehen bleiben -: Aus meiner Sicht ist es so, dass sich die Justizministerin aufgrund ihres Selbstverständnisses politisch
zu diesem Thema äußern kann. Vor diesem Hintergrund
kann man einen Bezug herstellen. Ich denke, wir sollten
bei anderer Gelegenheit noch einmal darüber diskutieren.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar
des Kollegen Ströbele? - Bitte schön, Herr Kollege
Ströbele.
Herr Kollege, dass das für Sie und Ihre Fraktion eine
solch wichtige Frage ist, kann ich voll verstehen. Ich bin
auch seit vielen Jahren hinterher, dass es endlich zu einer
gesetzlichen Regelung kommt. Im Anschluss an das,
was Sie gerade dem Kollegen Montag gesagt haben,
möchte ich Sie aber Folgendes fragen: Warum haben Sie
nicht längst ehemalige Vorschläge, die unter anderem
von der SPD-Fraktion formuliert worden sind, vorgelegt? Meinetwegen hätte auch die eine oder andere Änderung vorgenommen werden können. Wie lange sollen
wir da noch warten?
Daran anschließend möchte ich noch auf Folgendes
eingehen: Sie haben vorhin auf die Frage des Kollegen
Kauder geantwortet, dass es für den betroffenen Abgeordneten ein großes Problem sein könnte, wenn ein
Staatsanwalt - so haben Sie sich ausgedrückt - einen
Vorwurf bzw. eine Anklage konstruiert. Dem schließe
ich mich an. Das kann tatsächlich ein großes Problem
werden. Stellt es aber nicht auch für einen großen Teil
der Bürger bzw. für 99 Prozent der Bürgerinnen und
Bürger ein großes Problem dar, wenn ein Staatsanwalt
eine Anklage gegen sie konstruiert? Warum machen Sie
einen Unterschied zwischen einem Abgeordneten und
der normalen Bevölkerung, die durch einen Verdacht,
der sich möglicherweise nicht bestätigt, ebenfalls betroffen ist und dadurch Nachteile hat?
Lieber Herr Ströbele, jeder hat seinen Erfahrungshorizont, den er durch seine Arbeit erworben hat. Ich war
früher Bürgermeister und kenne sehr viele Verfahren, bei
denen gegen Leute der Exekutive aufgrund banaler Sachen ein Anfangsverdacht beraten und bejaht wurde.
Schließlich wurde dann ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eröffnet, welches später wieder eingestellt
wurde. Es ist ein Unterschied, Herr Ströbele, ob davon
ein Politiker, der in der Öffentlichkeit steht, oder eine
Privatperson betroffen ist. Es macht wirklich einen Unterschied.
({0})
- Herr van Essen, ich gebe Ihnen darin recht, dass das
ein problematischer Punkt ist. Man muss daher genau
aufpassen.
({1})
Herr Ströbele, ich sehe es so, dass ein Handlungsbedarf
besteht - mit oder ohne Justizministerin. Der § 108 e
StGB muss anders, besser und klarer formuliert werden.
Er muss verhältnismäßig sein. Im Grunde genommen
muss auch die besondere Stellung der Abgeordneten berücksichtigt werden. Nur so werden wir zu einem guten
Ergebnis kommen. Da Sie gefragt haben, wie lange es
noch dauert: Ich hoffe, dass wir bald ein Ergebnis bekommen. Wenn ich meine Fraktion da richtig verstanden
habe, werden wir bald tätig. Denn das ist aus unserer
Sicht politisch wichtig.
({2})
- Ob wir etwas gelernt haben, weiß ich nicht. Ich kann
nur sagen, dass ich es vernünftig finde.
({3})
Abschließend möchte ich noch einen Punkt erwähnen. Es handelt sich um die Erweiterung des Grundgesetzes durch die Bestimmung neuer Staatsziele. Das ist
eine Diskussion, die in den vergangenen Legislaturperioden hier im Haus bereits geführt wurde. Sowohl von der
FDP-Fraktion als auch von anderen Fraktionen ist darüber diskutiert worden, neue Staatsziele in das Grundgesetz aufzunehmen. Das fängt bei den Kinderrechten an
und geht bis hin zur Generationengerechtigkeit. Man
kann sicherlich darüber diskutieren, auch Kultur und
Sport aufzunehmen, wie die SPD das fordert. Man sollte
damit aber sehr vorsichtig sein
({4})
- das ist mir persönlich sehr wichtig -; denn wenn man
den Art. 20 Grundgesetz erweitert und neue Staatszielbestimmungen aufnimmt, könnten die wirklich wichtigen Prinzipien wie das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip unter Umständen relativiert werden.
({5})
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass wir noch
einmal darüber sprechen. Die FDP ist dafür, neue Staatsziele ins Grundgesetz aufzunehmen.
({6})
Man muss schauen, welche Ziele man einbezieht und
welche wirklich wichtig sind.
({7})
Wir haben über verschiedene Themen, zum Beispiel
über Europa, gesprochen und überlegt, wie man sie verfassungsrechtlich untermauern könnte. Das wird hier im
Hause sicherlich noch zu diskutieren sein.
Frau Ministerin, es gibt auf jeden Fall viel zu tun. Ich
habe ein paar kleine Baustellen genannt und nicht die
großen politischen Probleme angesprochen. Aber gerade
Bereiche wie das UWG oder das Urheberrecht sind mir
persönlich sehr wichtig. Viele Kollegen werden bestätigen, dass das UWG und das Urheberrecht Themen von
hoher Aktualität sind.
Sie haben nicht mehr viel Zeit, nur noch bis maximal
2013. Sie müssen sich also beeilen, Frau Ministerin;
denn dann sind wir Sozis wahrscheinlich wieder dran.
In diesem Sinne recht herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Der nächste Redner ist
der Kollege Thomas Silberhorn für die Fraktion der
CDU/CSU. Bitte schön, Kollege Thomas Silberhorn.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts läuft die Frist zur notwendigen Neuregelung der Sicherungsverwahrung bis 31. Mai 2013.
Das stellt den Bund, vor allem aber die Länder, vor
eine gewaltige Aufgabe, die nur gelingen kann, wenn
alle Beteiligten gemeinsam an einem Strang ziehen.
({0})
Klar ist, dass wir bei allen Überlegungen den Vorrang
des Opferschutzes nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Die Bevölkerung muss auch in Zukunft vor schwersten
Straftätern geschützt werden.
({1})
Es ist kaum vermittelbar, akut rückfallgefährdete
Schwerstkriminelle in die Freiheit zu entlassen. Die
Möglichkeit einer dauerhaften Sicherheitsunterbringung,
die natürlich den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an Vollzug und Therapie genügen muss,
ist nicht ersetzbar. Eine Überwachung durch Polizeikräfte rund um die Uhr kann auf Dauer keine Alternative
zu einer sicheren Unterbringung darstellen.
Das gilt auch für die elektronische Aufenthaltsüberwachung. Die elektronische Fußfessel sollte ein zusätzlicher Baustein unserer Sicherheitsarchitektur sein und der
Justiz zur Verfügung gestellt werden. In Bayern hat die
Erprobung dieses Instruments begonnen. Es muss uns
aber bewusst sein: Elektronische Fußfesseln können
Rückfalltäter nicht davon abhalten, erneut Straftaten zu
begehen. Deshalb bleibt die Sicherungsverwahrung als
Ultima Ratio der Justiz unerlässlich.
Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach
einem freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzept bestätigt den Weg, den wir mit dem Therapie- und Unterbringungsgesetz bereits eingeschlagen haben. Auch auf Länderebene gibt es im Strafvollzug eine
Sozialtherapie für Gewalt- und Sexualstraftäter, bei denen eine Sicherungsverwahrung in Betracht kommt.
Das sogenannte Abstandsgebot, nach dem die Sicherungsverwahrten strikt getrennt von den Strafgefangenen
unterzubringen sind, kann allerdings nicht von heute auf
morgen realisiert werden. Deshalb ist es wichtig, die
bundespolitischen Weichen schnellstmöglich zu stellen,
damit auf Länderebene noch ausreichend Zeit für eine
entsprechende Umsetzung bleibt.
({2})
Die Länder werden nicht umhinkommen, bestehende
Einrichtungen kostspielig umzubauen oder dort, wo das
nicht möglich ist, vollkommen neue Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Das wird die Haushalte sicherlich zusätzlich belasten, aber das muss uns die Sicherheit der Bevölkerung wert sein. Der Schutz von
Menschenleben darf nicht an Sparzwängen scheitern.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, besonders
in Ballungsräumen mit ihren sozialen Brennpunkten
nimmt die Schwere der Straftaten, die Jugendliche und
junge Erwachsene begehen, eklatant zu. Was bestürzende Nachrichten über einzelne Vorfälle bereits vermuten lassen, wird mittlerweile durch diverse Studien bestätigt: dass wir es nämlich mit wachsender Brutalität
und einer immer weiter sinkenden Hemmschwelle zu tun
haben.
In der Praxis der Strafverfolgung liegen oft mehrere
Monate zwischen der Begehung der Tat und der staatlichen Sanktion. Mit zunehmendem Zeitablauf wird der
Zusammenhang zwischen Tat und Strafe immer abstrakter. Der erzieherische Charakter des Jugendstrafrechts
wird dadurch zunichte gemacht. Gerade bei Jugendlichen müssen wir wieder stärker darauf achten, dass
Straftaten schnell Konsequenzen haben. Die Sanktion
muss der Tat auf dem Fuße folgen.
({4})
Ein gelungenes Beispiel dafür ist das sogenannte
Bamberger Modell. Die Staatsanwaltschaft Bamberg hat
im Juni 2010 die beschleunigte Variante des vereinfach14414
ten Jugendverfahrens eingeführt. Jugendstaatsanwälte,
Jugendrichter, Polizei und Jugendgerichtshilfe haben
sich auf besonders straffe Verfahrensabläufe verständigt.
Das Ergebnis: Jugendliche stehen spätestens vier Wochen nach der Straftat vor dem Jugendrichter. Nach mittlerweile einjähriger Erprobung gilt das Bamberger Modell als ein großer Erfolg. Ich freue mich, dass dieses
Vorzeigeprojekt aus meinem Wahlkreis bundesweit Anerkennung und Nachahmung erfährt. Eine schnelle
Sanktion ist ein wichtiger Warnschuss, um kriminelle
Karrieren möglichst früh zu verhindern.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Richtlinie
über die Vorratsspeicherung von Daten hat uns die Europäische Union einen klaren Handlungsauftrag erteilt.
({6})
Auch bei der anstehenden Revision der Richtlinie wird
sich diese Zielsetzung nicht ändern.
({7})
Allerdings ist der Begriff „Vorratsdatenspeicherung“,
der die öffentliche Diskussion bestimmt, zumindest
missverständlich. Es entsteht der Eindruck, als würden
in Big-Brother-Manier Daten Unschuldiger auf Vorrat
gespeichert
({8})
und ohne jeden konkreten Anlass ausgewertet.
({9})
Darum geht es gerade nicht. Im Gegenteil: Der Zugriff
auf diese Daten hat Ausnahmecharakter
({10})
und muss klaren Schranken unterworfen sein. Das müssen wir unseren Bürgern begreiflich machen. Deswegen
plädiere ich dafür, besser von Mindestspeicherfristen zu
sprechen.
({11})
Dieses Instrument ist ein wichtiges Hilfsmittel, um
schwersten Straftätern auf die Spur zu kommen; wir reden von Kinderschändern, Mördern und Terroristen.
Meine Damen und Herren, ohne die Auswertung von
Telekommunikationsdaten ist es für die Ermittlungsbehörden nahezu unmöglich, Täter zu ermitteln, Mittäter,
Gleichgesinnte oder Hintermänner zu identifizieren.
({12})
Deswegen müssen Verbindungsdaten zur Aufklärung
schwerster Straftaten gespeichert werden. Man kann sich
darüber streiten, wie lange gespeichert werden soll. Es
besteht aber kein Zweifel daran, dass gespeichert werden
muss.
({13})
Es gibt auch keinen Zweifel daran, dass der Kollege
Jerzy Montag jetzt eine Zwischenfrage stellen will. Er
darf Sie sicher stellen, Herr Kollege?
Ich freue mich über dieses Interesse. Aber, Herr Kollege Montag, wir kennen uns aus dieser Diskussion zu
lange, sodass ich mir durch Ihre Zwischenfrage nicht unbedingt Aufklärung erhoffe. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass ich noch einen Punkt nenne und dann
meine Rede beende.
({0})
Wir haben den Entwurf eines Mediationsgesetzes im
April in erster Lesung beraten. Er hat im Grundsatz
breite Zustimmung gefunden. Es bestand aber auch weitgehende Einigkeit darüber, dass einige Einzelfragen
noch geklärt werden müssen. Wir sind derzeit dabei,
diese Details zu besprechen und den Gesetzentwurf entsprechend zu überarbeiten. Es konnte bereits eine Einigung über Mindeststandards für die Qualifikation der
Mediatoren erzielt werden. Ich bin davon überzeugt,
dass am Ende der Beratungen ein Gesetz stehen wird,
das die gerichtliche wie die außergerichtliche Mediation
stärkt und auf eine solide rechtliche Grundlage stellt.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, CDU, CSU und
FDP arbeiten in der Rechtspolitik erfolgreich zusammen. Eine Reihe rechtspolitischer Aufgaben liegt allerdings noch vor uns. Ich nenne nur das Sorgerecht für
nichteheliche Väter, den dritten Korb der Urheberrechtsreform oder das Leistungsschutzrecht für Verlage. Wir
werden uns weiterhin intensiv in die Rechtspolitik der
Europäischen Union einbringen, so wie wir das bei der
Europäischen Privatgesellschaft und beim Europäischen
Vertragsrecht praktizieren. Die Arbeit wird uns also in
der zweiten Hälfte der Legislaturperiode nicht ausgehen.
Ich danke allen, die zum betont sachlichen Stil und einer effizienten Arbeitsweise im Rechtsausschuss beitragen.
({2})
Vielen Dank, Kollege Silberhorn. - Jetzt hat das Wort
zu einer Kurzintervention der Kollege Jerzy Montag.
Danke, Herr Präsident. - Herr Kollege Silberhorn,
nachdem Sie die Zwischenfrage nicht erlaubt haben,
habe ich mir erlaubt, zum Mittel der Kurzintervention zu
greifen.
Ich schätze Sie außerordentlich als Europapolitiker.
Heute haben Sie ins Metier des Strafrechts gegriffen. Irgendwie war ich etwas verwundert über das, was Sie da
gesagt haben, zum Beispiel über Ihre Formulierung zur
Sicherheitsverwahrung, die so sehr an die Äußerung Ihres Kollegen von der CSU vor einem Jahr erinnert, die
ich in meiner Rede schon zitiert habe:
Wir brauchen eine absolute Sicherheit. - Das sagte
Herr Mayer vor einem Jahr zum Thema Sicherungsverwahrung. Sie haben gesagt, die Sicherung müsse Vorrang haben. Die Frage ist: Vorrang vor was? Die Regeln
der Sicherungsverwahrung sind wegen Verstoßes gegen
Menschenrechte und Verfassungsrechte von Bürgern
aufgehoben worden. Gegenüber diesen Menschenrechten und Verfassungsrechten kann es keinen anderen Vorrang geben. Wir müssen Sicherheit und Freiheit gemeinsam denken: die Sicherheit der Menschen vor den
schweren Straftätern, aber auch die Rechte der Sicherungsverwahrten.
Ich halte Ihnen Folgendes vor: Sie und Ihre Kollegen
aus der Fraktion sagen, die Vorratsdatenspeicherung sei
notwendig, weil es erhebliche Sicherheitslücken gebe
und die Sicherheitsbehörden in Deutschland ohne die
Vorratsspeicherung nicht mehr agieren könnten. Wir haben auf der Homepage des Bundesjustizministeriums
unter dem Datum 18. Mai 2011 einen Text der Bundesjustizministerin mit dem Titel „Liberale Rechtspolitik in
Verantwortung - eine Zwischenbilanz“ gefunden. Daraus will ich einige Sätze zitieren:
Bei der Vorratsdatenspeicherung zeigt die Praxis
nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass keine nennenswerten Sicherheitslücken
entstanden sind. Heute gilt die Rechtslage, die vor
dem Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung bestand. Und heute zeigt sich, dass Deutschland ohne
Vorratsdatenspeicherung kein unsicheres Land ist.
Der Einwand der vermeintlichen Sicherheitslücken
wird durch Wiederholung nicht besser.
Ich will Ihnen mit den Worten Ihrer Bundesjustizministerin sagen: Ihre falschen Behauptungen werden
durch Wiederholung tatsächlich nicht besser.
({0})
Vielen Dank. - Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen
Thomas Silberhorn. Bitte schön, Kollege Thomas
Silberhorn.
Herr Kollege Montag, auch ich schätze Sie persönlich
sehr. Gleichwohl hat sich meine Befürchtung bestätigt,
dass Ihre Kurzintervention zu keinem wesentlichen Erkenntnisgewinn beiträgt.
Zur Sicherungsverwahrung. Ich ziehe die Menschenrechte von Straftätern nicht in Zweifel.
({0})
Ich habe aber zum Ausdruck gebracht und betone ausdrücklich, dass uns in der politischen Diskussion der
Schutz der Opfer wichtiger ist als der Schutz der Täter.
Der Schutz der Täter ist uns nicht unwichtig, aber die
Gewichtungen müssen stimmen. Deswegen dürfen wir
in der Debatte über die Sicherungsverwahrung den
Schutz der Opfer nicht aus den Augen verlieren.
({1})
Zu den Mindestspeicherfristen für Daten. Wir haben
klare Erkenntnisse unserer Sicherheitsbehörden, dass sie
dieses Instrument brauchen. Uns wurde erklärt: Viele
Straftaten hätten nicht aufgeklärt werden können, wenn
man nicht auf Daten hätte zurückgreifen können, die gespeichert worden sind, die man im eigenen Zuständigkeitsbereich aber nicht bekommt. Deswegen müssen
diese Ermittlungsmethoden auch unseren Behörden zugänglich gemacht werden.
({2})
Wir fahren in der Rednerliste fort. Ich darf nun das
Wort Frau Kollegin Ingrid Hönlinger für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen geben. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Heute treffen
wir uns zum ersten Mal nach der Sommerpause im Plenum. Leider muss ich feststellen, dass die Bundesregierung die Zeit nicht genutzt hat, um ihre Hausaufgaben zu
machen. Es gibt höchstrichterliche Urteile aus Straßburg
und Karlsruhe, die in der deutschen Gesetzgebung Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
und gegen das Grundgesetz festgestellt haben. Was
macht die Bundesregierung? Praktisch nichts!
Zum Thema Whistleblower, zu Deutsch: Hinweisgeber. Das Aufdecken von Missständen in Unternehmen
und Institutionen ist von großer gesamtgesellschaftlicher
Bedeutung. Ich denke an die kritikwürdigen Zustände im
Pflegebereich oder an Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. Oft hat nur ein begrenzter Personenkreis Zugang
zu diesen Institutionen und Einblick in die Zustände.
Menschen, die solche Skandale publik machen, genießen
oftmals gesellschaftliche Anerkennung, am Arbeitsplatz
aber wird ihnen gekündigt oder sie werden gemobbt und
kündigen dann selbst. Diese mutigen Menschen müssen
wir schützen, und zwar sowohl durch das Arbeitsrecht
als auch durch das Beamtenrecht. Das honoriert die
Leistung der Hinweisgeber und ermutigt andere Mitarbeiter, ebenfalls Missstände anzuprangern.
({0})
Natürlich darf ein Mitarbeiter nicht jede Kleinigkeit
nach außen tragen, was viele befürchten. Eine Regelung
für das Whistleblowing muss ausgewogen sein. Sie muss
die Interessen der Arbeitgeberseite, aber natürlich auch
die Interessen der Arbeitnehmerseite und der Öffentlichkeit berücksichtigen. Eine solche Regelung ist möglich.
Die Bundesregierung hat diesbezüglich nicht gehandelt, und das, obwohl sie sich bereits auf dem G-20-Gipfel im letzten Jahr vollmundig zum Schutz von
Whistleblowern bekannt hat. Nun hat auch noch der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland in dieser Frage wegen Verletzung der Meinungsfreiheit verurteilt. Diese Regierung muss das endlich anerkennen, und sie muss aktiv werden; denn wenn wir nicht
handeln, provozieren wir die nächste Verurteilung durch
den Europäischen Gerichtshof. Ich denke, die Regierung
muss diesen Schandfleck auf unserer demokratischen
Weste schnellstmöglich entfernen.
({1})
Auch auf einem anderen Rechtsgebiet hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Entscheidung gefällt; das wurde schon angesprochen. Im Dezember 2009 hat der Gerichtshof die deutsche Regelung zum
Sorgerecht für Väter, die nicht mit der Mutter ihres Kindes verheiratet sind, für konventionswidrig erklärt. Daraufhin hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Regelung gegen das Grundgesetz
verstößt.
Wir Grüne haben bereits im Oktober 2010, also wenige Monate nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2010, einen Antrag zum Sorgerecht in den Bundestag eingebracht. Er sieht ein
niedrigschwelliges Antragsverfahren beim Jugendamt
vor. Was macht die Bundesregierung? Sie hat das Thema
zwar erfreulicherweise auf dem Schirm, was Kollege
Silberhorn gesagt hat, aber sie macht praktisch nichts.
Dabei besteht auf diesem Gebiet ein erheblicher rechtspolitischer Handlungsbedarf. Wir leben in einer Zeit, in
der Väter und Mütter gleichgestellt werden wollen und
endlich auch sollten, meine Damen und Herren.
({2})
Die schwarz-gelbe Koalition ist seit zwei Jahren nicht
in der Lage, sich mit sich selbst zu verständigen.
({3})
Dabei gibt es doch inzwischen für Partner, die sich nicht
verstehen, ein neues Verfahren: die Mediation.
({4})
Vielleicht sollten Sie es einmal mit Mediation versuchen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank.
({5})
Zumindest haben Sie jetzt die Chance, ein gutes Mediationsgesetz auf den Weg zu bringen. Ziel des Gesetzes sollte es sein, neben der gerichtlichen Streitentscheidung als gleichrangiges Verfahren die Mediation als
Mittel der Konfliktlösung zu etablieren. Elementar ist
dabei die Qualitätssicherung der Mediation. Dazu gab es
in den vergangenen Monaten und Jahren verschiedene
Gespräche, Anhörungen und Publikationen. Beteiligt
waren alle mediationsrelevanten Akteure: Anwalts-, Notars- und Richterverbände, Einzelexperten, Vertreter der
Privatwirtschaft und die Mediationsverbände, die seit
mehr als 30 Jahren auf hohem Niveau Tausende Mediatorinnen und Mediatoren aus- und fortbilden. Alle diese
Ressourcen könnten in einer selbstverwalteten Einrichtung zusammengefasst werden, zum Beispiel in Form
einer Stiftung. In diese wäre das Justizministerium
selbstverständlich eingebunden. Die Vorteile einer solchen Einrichtung sind überzeugend: Sie kann einen bundesweit einheitlichen Qualitätsstandard gewährleisten;
die Mediation kann sich in ihren Tätigkeitsfeldern weiterentwickeln; die Justiz kann guten Gewissens Streitfälle an die Mediatoren weitergeben und wird dadurch
nachhaltig entlastet. Das erfolgreiche Güterichtermodell
wird nicht tangiert.
Frau Kollegin.
Im Gegenteil: Es findet eine klare Aufgabenteilung
statt: Im Gericht die Güterichterschaft, außerhalb des
Gerichts die freie Mediation.
Frau Kollegin!
Ich komme gleich zum Schluss. - Die Einsparpotenziale hinsichtlich Zeit und Finanzen könnten von den
Gerichten optimal ausgeschöpft werden. Auch eine
gleichwertige Mediationskostenhilfe würde sich rechnen. Dann würden wir auch der Überschrift des Gesetzentwurfes gerecht, die lautet: „Entwurf eines Gesetzes
zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der
außergerichtlichen Konfliktbeilegung“.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Professor Dr. Patrick Sensburg hat das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen, bei aller Kritik, die vonseiten
der Opposition am Haushalt gekommen ist, sage ich:
Herr Kollege Petermann, Ihr Bild eines gehobenen Mittelklassewagens war eher eine elfminütige Geisterfahrt
ohne großen inhaltlichen Bezug zum Etat des Justizministeriums. Ich hatte fast den Eindruck, der Kollege
Ernst hätte die Rede geschrieben. Er hat ein bisschen
mehr Erfahrung mit Autos der gehobenen Klasse. Ich
muss sagen: Das war inhaltlich schwach.
({0})
Bei aller Kritik, die an diesem Entwurf geübt worden
ist, muss man eigentlich sagen: Das ist ein exzellenter
Haushaltsentwurf. Wenn man sich die Zahlen anschaut,
dann sieht man, dass er ein Volumen von 491 Millionen
Euro und eine Deckungsquote von 90 Prozent hat.
({1})
- Ich komme gleich zur SPD. - Das ist eine Steigerung
um 5 Prozent. Letztes Jahr hatten wir noch eine Deckungsquote von 85 Prozent. Ich würde mir wünschen,
dass dies dem einen oder anderen SPD-Justizminister
gelingt.
Ich nenne das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Herr
Kutschaty packt am Anfang 70 Millionen Euro mehr in
den Haushalt des Justizministeriums in Nordrhein-Westfalen. Ich glaube nicht, dass das eine solide Haushaltsführung ist.
({2})
- Das ist nicht der Strafvollzug. Der Etat für Maßnahmen im Rahmen eines Übergangsmanagements für ehemalige Strafgefangene wurde um 1,2 Millionen Euro
aufgestockt. Ferner gibt es Maßnahmen im Rahmen der
Drogenprogramme. Gerade bei Herrn Kutschaty sehen
wir Mehrausgaben über Mehrausgaben. In NordrheinWestfalen geht bereits der Ruf um, dass Herr Kutschaty
Rechtspolitik eigentlich nur in Bezug auf Geld machen
kann. Wenn es um Inhalte geht, dann gelingt ihm dies
nicht.
Wenn wir ein bisschen weiter in das Land RheinlandPfalz schauen, dann sehen wir, was der Kollege Beck bei
der Zusammenlegung des OLG Koblenz mit dem OLG
Zweibrücken macht. Ich kann nur sagen: Es ist keine solide Rechtspolitik, wenn man die Gerichte von den Bürgern entfernt.
({3})
Worum geht es im Kern? Es geht im Kern darum,
dass ein Stellenbesetzungsverfahren nicht vollzogen
wurde und nicht zu dem Ergebnis geführt hat, das Herr
Beck sich gewünscht hätte. Jetzt werden Tausende von
Euro ausgegeben, und es wird ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig nicht akzeptiert. Wenn Sie
heute die Zeitungen aufschlagen, dann lesen Sie: Durch
diesen Rechtsstreit wurden bereits über 100 000 Euro
verbraten. Jetzt ist es auch noch so, dass der Justizminister in Rheinland-Pfalz, der übrigens ein Kollege von Ihnen von der SPD ist, einen Anwalt beschäftigt, um das
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht vollziehen
zu müssen.
({4})
Das ist keine gute Rechtspolitik.
({5})
Herr Kollege, ich kann nur sagen: Hier ist es anders.
Der Etat der Bundesjustizministerin ist eine solide Basis.
Der Kollege Thomae hat es eben im Zusammenhang mit
dem Deutschen Patent- und Markenamt angesprochen.
Ich möchte noch einmal erwähnen, dass das Bundesamt
für Justiz Mehreinnahmen von rund 20 Millionen Euro
hat. Das sichert uns eine solide Arbeit im Bereich der
Justiz.
Wir werden noch über den Einzelposten der Generalbundesanwaltschaft diskutieren müssen. Die Kürzung
um 1 Million Euro wird in den nächsten Tagen und Wochen sicherlich noch zu diskutieren sein. Die Generalbundesanwaltschaft hat im Bereich der Terrorismusbekämpfung gute Arbeit geleistet. Sie hat beispielsweise
auch bei Ermittlungen im Zusammenhang mit den Vorfällen am Kunduz-Fluss gute Arbeit geleitet. Wir müssen
darüber diskutieren, ob diese Reduktion wirklich notwendig ist. Ich glaube, sie ist nicht notwendig. Es wäre
ein falsches Zeichen, den Posten im Bereich der Generalbundesanwaltschaft zu reduzieren.
Gute Rechtspolitik bemisst sich nicht nur anhand der
Einnahmen und Ausgaben, sondern sie bemisst sich anhand der geleisteten Arbeit. Herr Kollege Lischka, Sie
haben sich eben darüber beschwert, dass nichts geleistet
worden sei. Die Kollegin Voßhoff hat einige Punkte angeführt. Herr Kollege Lischka, wenn es Sie noch interessiert, dann würde ich gern zwei Punkte ergänzen: Denken Sie an den Schutz der Berufsgeheimnisträger nach
§ 160 a StPO. Hier haben wir den absoluten Schutz zu
Recht auf alle Rechtsanwälte ausgedehnt. Er gilt nicht
nur für Strafverteidiger. Es war der richtige Ansatz, zu
sagen: Auf die Fälle, in denen sich das Verteidigermandat schon aus dem Rechtsanwaltsmandat ergeben kann,
dehnen wir den absoluten Schutz aus. Für alle anderen
freien Berufe gilt der relative Schutz, der bis auf wenige
Ausnahmefälle dem absoluten Schutz gleichkommt. Das
war eine richtige Entscheidung der Rechtspolitik.
Denken Sie auch an den Bereich der Zwangsverheiratung und die Schaffung des § 237 StGB. Auch dazu kann
man nicht sagen, das sei bloße Symbolpolitik, wie Sie,
Herr Kollege Montag, eben angeführt haben.
({6})
Zwangsverheiratung ist - Sie haben ja eben die Menschenrechte angeführt - eine eklatante Menschenrechtsverletzung. Von daher war es ein richtiger Ansatz, § 237
so auszugestalten, wie wir es gemacht haben.
({7})
Die Mediation ist von Ihnen, Frau Hönlinger, zu
Recht angesprochen worden als ein Projekt, das wir anpacken und auch demnächst abschließen werden. Ich
muss allen Berichterstattern aus den Fraktionen danken,
die sehr konstruktiv zusammengearbeitet und den Entwurf mitgestaltet haben, sodass nach meiner Meinung
durch das Gesetz eine Win-win-Situation entstehen
kann, in der wir die außergerichtliche Mediation stärken,
aber die gerichtsinterne Mediation nicht verhindern wollen. Hier ist uns etwas Gutes gelungen.
Ich weiß nicht, ob eine Bundesstiftung „Mediation“
der richtige Ansatz ist; das können wir in den nächsten
Wochen ausdiskutieren. Ein Verfahren wie die Mediation mit mehr Bürokratie gestalten zu wollen, ist ein Ansatz, über den man zweimal nachdenken muss. Trotzdem
sind die Verhandlungen über den Gesetzentwurf zur Mediation sehr konstruktiv gewesen. Ich danke insbesondere der Ministerin und Staatssekretär Dr. Stadler, dass
wir konstruktiv zusammenarbeiten konnten. Insbesondere bei den Standards, die im ersten Entwurf noch nicht
geregelt waren, sind wir weitergekommen. Ohne eine
Regelung der Standards wird die Mediation auf Dauer
keinen Erfolg haben.
Als Resümee kann man sagen, dass der Haushaltsentwurf sicherlich die Grundstruktur für eine gute Justizpolitik legt. An wenigen Stellen wird es Nachbesserungen geben müssen; darüber können wir in den nächsten
Wochen sicherlich sprechen. Ich glaube, wir müssen vor
allem über einen personellen Aufwuchs im Bereich der
internationalen Zusammenarbeit diskutieren. Den Ansatz kann man sicherlich mittragen, man muss aber auch
bedenken, dass auch wir uns im Parlament sicherlich mit
weiteren Aufgaben im Rahmen der Internationalisierung
werden befassen müssen. Daher muss man darüber
nachdenken, ob nicht auch unsere Ausschüsse weiterer
personeller Unterstützung bedürfen.
Ich kann den Haushalt des BMJ nachvollziehen,
möchte aber jetzt schon anmerken, dass auch auf uns
durch Europa, durch die internationale Zusammenarbeit
viele Aufgaben zukommen. Dafür sind wir personell
nicht hinreichend ausgestattet. Ich unterstütze die Initiative von Siegfried Kauder und Dr. Michael Meister, den
Rechtsausschuss einzubeziehen, wenn beispielsweise
über Haushalts- und Finanzfragen mit Blick auf Europa
diskutiert wird. Es darf nicht sein, dass diese Fragen
ohne eine kritische Betrachtung der Rechtspolitiker besprochen und gelöst werden. Auch dafür bedarf es sicherlich der einen oder anderen neuen Stelle.
Ich glaube, dass die christlich-liberale Koalition in ihrer Rechtspolitik die Akzente richtig setzt, dass sie sehr
ausgewogen, wie es die Justizministerin eben gesagt hat,
auf der einen Seite den Ausgleich der Rechte der Bürgerinnen und Bürger sieht und auf der anderen Seite auch
den Schutz der Bürger durch eine effiziente Justiz. Dafür
ist dieser Etat Voraussetzung.
Ich freue mich auf die Diskussionen über diesen Etat
in den nächsten Wochen und danke Ihnen herzlich für
die Aufmerksamkeit.
({8})
Die Kollegin Dr. Eva Högl hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich komme zu einem ganz anderen Ergebnis, wie diese
Rechtspolitik zu bewerten ist.
({0})
Das ist nicht verwunderlich. Wer den Rednerinnen und
Rednern genau zugehört hat, kommt zu dem Ergebnis,
zu dem ich komme, nämlich dass in der Rechtspolitik
das gilt, was für die gesamte Bundesregierung gilt: keine
Ideen, keine Kraft, die Herausforderungen anzunehmen.
Das hat diese Debatte mehr als deutlich gezeigt.
({1})
Es wurde vorhin gesagt - wir haben alle ein bisschen
geschmunzelt, als Herr Montag das erwähnt hat -, dass
Sie, Frau Ministerin, für den Rechtsstaat nerven. Ich will
Ihnen ganz offen sagen, was mich nervt. Mich nerven
die ideologischen Streitigkeiten in der Rechtspolitik.
Das nervt mich sehr: ideologische Streitigkeiten statt
sachliche Diskussionen. Wir in der Rechtspolitik, gerade
diejenigen, die dort engagiert sind und Mitglied des Ausschusses und Unterausschusses sind, haben die Chance,
fachlich, sachlich, konzentriert, solide und dort, wo es
notwendig ist, bisweilen geräuschlos Rechtspolitik zu
gestalten. Das ist unsere Aufgabe. Aber das darf man
bitte nicht verwechseln, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Frau Ministerin, mit Untätigkeit; denn Untätigkeit ist
etwas anderes. Wir haben an vielen Stellen - meine Kollegen haben sie aufgeführt - Handlungsbedarf identifiziert. Wir haben aber nicht festgestellt, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hier engagiert
genug vorangehen.
({2})
Auch ich muss vielleicht noch einmal nerven.
({3})
Ich will ein Thema, das uns allen am Herzen liegt, unbedingt ansprechen: die Vorratsdatenspeicherung. Man
kann sie auch „Mindestdatenspeicherung“ nennen, Herr
Silberhorn; auch wir haben sie in unserem Papier so genannt. Die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung ist
ein Symbol für die Unfähigkeit der Bundesregierung,
Vorschläge zu machen und Regelungen zu treffen. Bei
diesem Thema geht es um eine ganz grundsätzliche
Frage. Es geht um die Balance zwischen dem Schutz von
Bürgerrechten und Datenschutz und der Bekämpfung
von Straftaten und Kriminalität sowie der Gewährleistung der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Es handelt sich hierbei nicht um ein Spezialthema oder ein Insiderthema, sondern es geht um die Frage, wie wir die
Rechtspolitik gestalten. Frau Ministerin, dieses Thema
dürfen wir im Deutschen Bundestag nicht aussitzen.
({4})
Wir haben die besten Voraussetzungen. Es gibt ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das sonnenklar
ist. Man muss es im Grunde genommen nur abschreiben.
({5})
Daran haben auch wir uns bei der Erarbeitung unseres
Papiers, das wir vorgelegt haben, orientiert.
Sehr wichtig ist mir die europäische Ebene. Wir dürfen dieses Thema auch auf europäischer Ebene nicht
aussitzen; ich habe das schon mehrfach gesagt.
({6})
Wir können nur dann auf europäischer Ebene gestalten,
wenn wir eigene Vorschläge machen. Wir als SPD pochen so sehr darauf, dass Vorschläge auf den Tisch des
Hauses gelegt werden, über die wir dann diskutieren
können, damit wir auch in Europa sprachfähig sind. Frau
Ministerin, wir haben Vorschläge vorgelegt, die Sie sich
anschauen können. Die SPD hat sich also positioniert,
und zwar, wie ich finde, nicht schlecht.
({7})
Als Bundestagsabgeordnete aus Berlin möchte ich auf
ein weiteres Thema zu sprechen kommen: auf das Mietrecht. Sie haben im Koalitionsvertrag formuliert, das
Mietrecht auf seine Ausgewogenheit hin zu überprüfen
und seinen sozialen Charakter zu wahren.
({8})
Davon merken wir bei Ihren Vorschlägen überhaupt
nichts. Wir stellen das Gegenteil fest.
({9})
Wir alle wollen die energetische Gebäudesanierung; sie
ist gut für die Umwelt und für die Mieterinnen und Mieter. Sie allerdings verfolgen den Ansatz, die Förderung
der energetischen Gebäudesanierung zu streichen. Sie
tun also genau das Gegenteil. Frau Ministerin, Sie wollen die Kosten für die energetische Gebäudesanierung
von den Vermietern auf die Mieterinnen und Mieter verlagern.
({10})
Das ist genau der falsche Schritt.
({11})
Wir können Ihnen schon jetzt versprechen: Wenn die
entsprechenden Pläne auf den Tisch gelegt werden und
wir im Bundestag darüber diskutieren, dann wird sich
die SPD jeglichen Ideen widersetzen, die zur Folge hätten, dass die Kosten einseitig auf die Mieterinnen und
Mieter abgewälzt werden. Das hat mit sozialem Mietrecht nichts zu tun.
({12})
An dieser Stelle sind wir sehr engagiert.
Frau Ministerin, ich komme zu dem Ergebnis, dass
die Bilanz alles andere als gut ist. Wir haben in dieser
anderthalbstündigen Debatte an vielen Stellen Handlungsbedarf identifiziert. Wir als SPD würden Sie an der
einen oder anderen Stelle gerne unterstützen. Wir fordern Sie aber auch auf, engagiert und kämpferisch zu
sein.
Ich möchte Sie persönlich bitten, sich bei einem
Thema, bei dem wir Sie als Rechtspolitikerin brauchen,
anders zu positionieren als bisher und uns zu unterstützen. Beim Thema „Frauen in Führungspositionen“ brauchen wir Sie, Frau Ministerin. Bitte stehen Sie nicht länger auf der Seite derjenigen, die gegen Quotierungen
und gesetzliche Vorschriften sind. Wir brauchen auch im
Parlament - das ist nämlich eine Regelung, die das Parlament treffen muss - wortgewaltige Unterstützerinnen.
Dies ist eine rechtspolitische Frage. Wir haben dazu bereits Vorschläge vorgelegt, und wir werden weitere Vorschläge erarbeiten. Wir brauchen dringend eine Quotierung im Hinblick auf Vorstände und Aufsichtsräte, damit
endlich, endlich, endlich mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Hier besteht die Chance, dass Deutschland einen riesengroßen Fortschritt macht. Ich fände es
sehr schön, wenn Sie, Frau Ministerin, dabei an unserer
Seite wären.
Herzlichen Dank.
({13})
Der Kollege Alexander Funk hat jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Justizetat steht traditionell im Schatten
anderer Haushalte. Dies gilt insbesondere bei der ersten
Lesung, zumal wir alle wissen, dass auch dieser Haushalt, was seine Details betrifft, keineswegs so verabschiedet werden wird, wie er heute eingebracht worden
ist. Gerade dies bietet aber die Möglichkeit, in den kommenden Wochen noch Fragen zu klären und auf Änderungen hinzuwirken.
Über die Eckdaten ist bereits genug gesagt worden.
Ich greife daher einige Punkte auf, die mir besonders am
Herzen liegen. Zunächst einmal ist aber generell zu begrüßen, dass der Einzelplan 07 auch im Haushaltsjahr
2012 zu den sparsamsten Etatentwürfen zählt und mit
rund 90 Prozent die höchste Deckungsquote aufweist.
Dies ist allerdings der Tatsache geschuldet, dass das
Deutsche Patent- und Markenamt kräftig zur Finanzierung des Etats beiträgt. Circa 303 Millionen Euro sollen
im kommenden Jahr vom DPMA in München nach Berlin fließen.
Das ist erfreulich, darf aber nicht dazu führen, diese
Einnahmen als sichere Bank zu betrachten. Ich halte es
für außerordentlich wichtig, das DPMA weiter zu stärken, denn es dient nicht in erster Linie der Finanzierung
des Justizetats, sondern es dient vor allem der Sicherung
der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
2010 konnte das DPMA 32 069 Patentanträge bescheiden. Das ist eine stattliche Zahl, doch stehen ihr 36 841
Prüfanträge gegenüber.
Es ist daher erfreulich und war unbedingt erforderlich, dass die vorgeschriebene Einsparung von 41 Planstellen durch 50 neue Stellen für den Sondertatbestand
„Innovationsförderung“ abgemildert werden konnte.
Man mag hier von einer Überkompensation sprechen,
doch halte ich sie in diesem Zusammenhang für erforderlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass das DPMA
eigentlich einen zusätzlichen Personalbedarf von
250 Stellen hat, und zwar nur, um den Antragsstau abzubauen. Das sind Stellen, die sich nicht nur selbst finanzieren, sondern auch vielfältigen Gewinn für unsere
Wirtschaft abwerfen würden.
({0})
Deutschland ist bekanntlich ein Blaupausenland. Unser Kapital ist der Ideen- und Erfindungsreichtum unserer Menschen und unserer Wirtschaft, vor allem der mittelständischen. Damit dieses Kapital in unseren Händen
bleibt, braucht es das DPMA, und dieses wiederum
braucht unsere Unterstützung.
({1})
Ein anderer Titel, der mir am Herzen liegt, betrifft die
finanzielle Ausstattung der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, kurz IRZ. Es geht
dabei um eine wirksame Beratungshilfe beim Aufbau
von Demokratie und Marktwirtschaft bzw., wenn man so
will, um einen Export unserer rechtsstaatlichen Prinzipien.
Wenn man die Veränderungen gerade auf dem afrikanischen Kontinent betrachtet, die friedlichen Revolutionen in Tunesien und in Ägypten, die Vertreibung des libyschen Diktators Gaddafi, dann wird schnell deutlich,
dass diese Revolutionen nur dann die ersehnte Freiheit
und Demokratie zur Folge haben können, wenn diesen
Ländern beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen geholfen wird.
({2})
Das gilt auch für weitere Länder, die an der Schwelle
des Wechsels von der Diktatur zur Demokratie stehen.
Ich appelliere daher an alle Kolleginnen und Kollegen,
die Arbeit gerade der IRZ-Stiftung zu fördern.
({3})
Wir würden damit ein wichtiges Zeichen für all diejenigen setzen, die für Freiheit und Demokratie auf die
Straße gegangen sind und ihr Leben aufs Spiel gesetzt
haben. Wir wollen in vielen Bereichen gern Weltmeister
sein - warum nicht auch beim Export von Rechtsstaatlichkeit?
Aufklärungsbedarf sehe ich beim Personaletat. Es ist
eine Binsenweisheit, dass auch der Etat 2012 unter dem
absoluten Gebot der Sparsamkeit stehen muss. Wenn allerdings im Zusammenhang mit - ich zitiere - „umfangreichen Berichtspflichten nach den Lissabon-Begleitgesetzen“ sechs hochdotierte Stellen für internationale
Aufgaben neu geschaffen werden sollen, dann meine
ich, dass die Unabweisbarkeit dieser Forderung erst
noch nachgewiesen werden muss. Schließlich werden
diese Stellen den Justizetat auf Dauer belasten. Angesichts des im Justizministerium ohnehin vorhandenen juristischen Sachverstandes sollten hier alle Möglichkeiten
der Kompensation geprüft werden, bevor dieser Forderung entsprochen wird. Insofern, Kollege Sensburg, sehe
ich das als Haushälter etwas kritischer. Aber darüber
können wir in den nächsten Wochen alle gemeinsam diskutieren.
Kritisch sehe ich in diesem Zusammenhang einerseits
die geplante teure Stellenvermehrung, andererseits eine
für mich zweifelhafte Einsparung von 1,4 Millionen
Euro beim Etat des Generalbundesanwalts. Bei diesem
Etat sind zwar Haushaltsreste vorhanden. Auf der anderen Seite hat der Generalbundesanwalt angesichts terroristischer Gefährdungen einen bedeutsamen Aufgabenzuwachs bekommen. Sicherheit darf nicht auf dem Altar
der sonst gebotenen Sparsamkeit geopfert werden.
({4})
Lassen Sie mich noch den Titel „Härteleistungen für
Opfer extremistischer Übergriffe“ erwähnen. Im Regierungsentwurf wird die Erhöhung des Ansatzes um
700 000 Euro auf 1 Million Euro zurückgenommen - auf
nunmehr 500 000 Euro. Das erscheint auf den ersten
Blick gerechtfertigt; denn die Zahl der Anträge ist stark
zurückgegangen, und aus dem Fonds sind keinerlei Mittel abgeflossen. Im Gegenteil: Aus Vollstreckungen hat
es sogar Einnahmen in Höhe von 77 000 Euro gegeben.
Nun könnte man aus dieser Entwicklung schließen,
dass es in unserem Land keinerlei Opfer extremistischer
Straftaten mehr gibt. Dem ist aber nicht so. Weiterhin
werden Menschen Opfer sowohl links- wie auch rechtsextremistischer Gewalttäter.
Wie also ist es zu erklären, dass der Härtefonds nicht
in Anspruch genommen wird? Eine Absicht des Gesetzgebers kann wohl getrost ausgeschlossen werden. Eine
Ursache könnte die fehlende Bekanntheit dieses Fonds
sein. Im vergangenen Jahr hat der Kollege Schurer von
der SPD die Anregung gegeben, gerade die Opferverbände über diese unbürokratische Hilfe zu informieren.
Wir werden uns in diesem Jahr genau anschauen müssen, was in dieser Richtung bisher getan wurde oder ob
eventuell auch die Richtlinie überarbeitet werden muss.
Der Opferfonds ist zu wichtig, als dass ihm lediglich
eine Alibifunktion zukommen darf.
({5})
Ich bin davon überzeugt, dass die Fachleute im Bundesministerium der Justiz alles darangesetzt haben, uns
einen nachvollziehbaren, ehrlichen Haushaltsentwurf
vorzulegen.
Ich hoffe sehr, dass wir bis zur zweiten und dritten
Lesung in den Gesprächen mit den Experten des Justizministeriums und im Rahmen der Berichterstatterrunden
noch die eine oder andere Möglichkeit finden, Steuermittel einzusparen oder zielführender einzusetzen - gemäß dem eben erwähnten Motto, dass kein Gesetzentwurf dieses Haus so verlässt, wie er hineingekommen
ist.
Vielen Dank.
({6})
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches und
kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Als Erstem gebe ich das Wort dem Bundesminister
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
Dr. Norbert Röttgen - der bitte ganz langsam ans Rednerpult kommt, damit im Plenum noch die Plätze gewechselt werden können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte
Frau Präsidentin, vielen Dank für den Hinweis, mich
langsam hierhin zu bewegen. Ich glaube, jetzt darf die
Debatte zum Umwelthaushalt aber auch beginnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte diese
Haushaltsdebatte mit einigen Zahlen eröffnen. Es sind
nicht nur Haushaltszahlen, aber auch Haushaltszahlen.
Diese Zahlen sagen auf jeden Fall etwas aus.
Eine Zahl, die in der letzten Woche veröffentlicht
wurde, hat mich wirklich gefreut. Nach einer Umfrage
von TNS Infratest unterstützen nämlich 94 Prozent der
Bürgerinnen und Bürger den Ausbau der erneuerbaren
Energien.
({0})
- Wir dürfen uns darüber freuen. Das finde ich gut. Ich
wollte Sie von der Opposition erst später einladen, sich
darüber zu freuen. Ihre Freude ist aber schon ausgebrochen. Das finden wir alle gut.
65 Prozent sind auch bereit, in ihrer Nachbarschaft
Ökostromanlagen zu akzeptieren. Das ist wichtig; denn
irgendwann wird der Umbau natürlich auch konkret, und
neben vielen Vorteilen gibt es Betroffenheiten und vielleicht auch Nachteile.
({1})
80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher sagen: Wir finden die EEG-Umlage okay; wir sehen ein,
dass wir sie bezahlen müssen, oder wären sogar bereit,
noch etwas mehr zu bezahlen. - Meine Damen und Herren, das heißt: Die Bürgerinnen und Bürger unterstützen
dieses Projekt. Sie machen mit. Sie wollen es und bringen unser Land in Bewegung. - Das sind sehr erfreuliche Zahlen.
Lassen Sie mich noch eine andere Zahl nennen. Während der ganzen Debatte um die Energiewende haben
wir immer wieder richtigerweise gesagt, dass der Anteil
der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung
17 Prozent beträgt. Diese Zahl stammt allerdings aus
dem letzten Jahr. Wenn wir nun das erste Halbjahr 2011
bilanzieren, können wir feststellen, dass es nicht mehr
17 Prozent sind, sondern inzwischen - Stand: erstes
Halbjahr 2011 - 20,8 Prozent. Somit ist der Anteil der
erneuerbaren Energien um 14 Prozent gewachsen.
({2})
Zum Umwelthaushalt. Die Umweltschutzausgaben
steigen im Haushalt 2012 um 900 Millionen - das sind
erneut 14 Prozent - auf 7,4 Milliarden Euro. Daran hat
die energetische Gebäudesanierung einen großen Anteil:
Die Mittel steigen von 936 Millionen auf 1,5 Milliarden
Euro pro Jahr bis 2014.
({3})
Man könnte noch mehr Zahlen auflisten, aber ich will es
dabei bewenden lassen.
Das alles sind erfreuliche Zahlen. Es zeigt: Im Land
sind die Signale angekommen. Das ist das Projekt der
Regierung. Es ist aber nicht nur das Projekt der Regierung, sondern es ist das Projekt Deutschlands. Das ist eigentlich das Schönste und Beste, was man sagen kann,
gerade in der Energiepolitik.
({4})
Es ist das Projekt der Menschen in unserem Land, die es
sich zu eigen gemacht haben.
({5})
- Doch. In dieser Konsequenz und mit den Erfolgen ist
es das Projekt auch der Bundesregierung. Auch das ist
ein Teil der Wahrheit. Ich glaube, wir können auch
wechselseitig anerkennen, meine Damen und Herren,
dass es diese Regierung ist, dass es die Länder sind, dass
es Kommunen sind, dass es Energiegenossenschaften
sind, dass es eben das Land ist, das vorangeht. Das ist
auch gut. Daran muss man auch nicht herummäkeln,
sondern man kann sich darüber freuen.
({6})
Ich möchte aber vor allen Dingen sagen, dass die
Energiewende, die wir beschlossen haben, mit dem Beschluss im Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat
nicht vollendet ist und angesichts all der Debatten, die
wir geführt haben, nicht hinter uns liegt. Die Energiewende liegt vielmehr vor uns. Es geht darum, sie jetzt
zu machen. Das ist eigentlich das entscheidende Signal.
({7})
Wir haben sie möglich gemacht, und jetzt wird es
auch geschehen.
({8})
Natürlich muss es auch in der Politik geschehen. Auch
dort sind weitere Veränderungen möglich. Aber es bleibt
ein Gemeinschaftsprojekt. Wir werden das auch tun.
Um ein Beispiel zu nennen: Wir werden die großen
Potenziale der erneuerbaren Energien, nachdem wir das
im Strommarkt ermöglicht haben, auch im Wärmemarkt
erschließen. Darum werden wir im nächsten Jahr ein
grundlegend novelliertes Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz vorlegen.
({9})
Ich habe eben den Erfolg der energetischen Gebäudesanierung beschrieben. Seit 2006 sind 2,5 Millionen
Wohnungen neu errichtet oder saniert worden. Das
bringt eine CO2-Einsparung von 5 Millionen Tonnen, es
schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung in unserem
Land. Ich appelliere auch an dieser Stelle an den Bundesrat, dass die Bundesländer noch einmal darüber nachdenken, unser Angebot anzunehmen, jetzt auch in die
steuerliche Förderung der Gebäudesanierung einzusteigen. Das brauchen wir, und das tut dem Land gut. Wenn
es eine Chance gibt, im Vermittlungsausschuss zu einem
Ergebnis zu kommen, dann werden wir diese Chance ergreifen. Wir brauchen dafür aber auch die Zustimmung
der Länder. Ich fordere sie dazu auf, dies zu tun.
({10})
Aber auch viele andere müssen sich darauf einstellen.
Die Energieversorgungsunternehmen müssen jetzt investieren. Wir brauchen Investitionen in Gaskraftwerke,
und wir brauchen Akzeptanz für die Leitungen. Die
Stromproduzenten im Bereich erneuerbare Energien
müssen sich auf mehr Markt und auf die Verbraucher
einstellen. Wir brauchen den Netzausbau. All das ist
jetzt notwendig. Speichertechnologien, moderne und intelligente Netze und intelligente Zähler: All das geht
jetzt in einem großen Gemeinschaftswerk los.
Wir werden als Bundesregierung dafür ein Projektmanagement begründen; denn es geht darum, das Ganze
konkret umzusetzen. Wir werden die Expertise und die
Erfahrung des Marktes, der Betroffenen, der Kommunen, der Länder und der Kraftwerksbauer annehmen und
einbinden, um dieses Projekt zu einem Erfolgsprojekt
für unser Land zu machen. Das ist unser Ehrgeiz, den
wir nun mit der Ausführung des von uns beschlossenen
Energiekonzeptes beweisen werden.
Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen, dem ich
große Bedeutung beimesse: die Fortführung des Konsenses in einer Frage, bei der schon fast alle die Möglichkeit
eines Konsenses aufgegeben hatten, nämlich bei der
Endlagersuche und -bestimmung. Hier strebe ich einen
nationalen Konsens an. Das ist Teil des Energiekonsenses, den wir beschlossen haben. Jetzt geht es darum,
auch das zu realisieren.
({11})
Wir sind als Regierung entschlossen, dies zu tun. Es
geht um den Konsens in der Verantwortung, ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland zu suchen. Keine Generation hat das Recht, Kernenergie zur
Stromproduktion zu nutzen und die Abfälle unbehandelt
der nächsten Generation zu hinterlassen. Es ist unsere
Generation in der Verantwortung, einer Verantwortung,
der sich alle zu unterwerfen haben.
({12})
Darum sollten wir miteinander - das betone ich - daran arbeiten, einen Konsens der heute Handelnden über
die Generationenverantwortung zu erzielen. Wir können
und müssen ihn erreichen. Ich schlage darum vor, dass
wir die Suche nach einem Konsens auf eine eigene sondergesetzliche Grundlage stellen und nicht versuchen,
uns wie bislang im Rahmen des Atomgesetzes zu bewegen. Vielmehr brauchen wir eine eigene gesetzliche
Grundlage, weil ein besonderes Gesetz mit einer besonderen Zweckbestimmung die Möglichkeit bietet, diesem
Konsens Ausdruck zu verleihen. Ich schlage vor, dass
die Endlagersuche in einem partizipatorisch gestalteten
Verfahren vor sich geht, das alle einbindet, aber damit
auch Verantwortung begründet. Auch das ist ein Teil der
Wahrheit. Ich schlage vor, dass wir anhand von wissenschaftlichen Kriterien ermitteln und am Ende im Bundestag entscheiden.
({13})
Am Ende dieses eigenen Verfahrens wird die Entscheidung von uns allen gefordert. Ich lade Sie ausdrücklich ein, daran mitzuwirken. Die Bundesregierung
wird alle Bundesländer, die ja teilweise einen Meinungswechsel und Verantwortungsbereitschaft bekundet haben, einladen und zu Gesprächen bitten.
({14})
Umweltpolitik ist Wachstumspolitik. Umweltpolitik
steht nicht im Gegensatz zu Wachstum. Vielmehr ist die
Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen Bedingung und treibende Kraft von richtig verstandenem
Wachstum, einem Wachstum, das Lebensmöglichkeiten
auch der nächsten Generationen erhält und erweitert.
Darum wird diese konkrete Wachstumsstrategie mit dem
Kreislaufwirtschaftsgesetz in diesem Jahr von uns weiter
ausgefüllt werden. Wir werden eine grundlegende Überarbeitung vornehmen, die die Ziele der Abfallvermeidung und der Wiederverwertung, des Recyclings, ganz
nach vorne rückt. Darum hat die Bundesregierung beschlossen, ein nationales Ressourceneffizienzprogramm
vorzulegen. Wir werden es tun, um den strategischen
Rahmen und konkrete Schritte festzulegen. Wir werden
weiterhin die Sektoren, in denen sich dieses Wachstum
vollziehen soll, definieren. Das ist Ausdruck dessen,
dass wir konzeptionell und konkret ökonomische
Wachstumsnotwendigkeiten und ökologische Überlebenserfordernisse miteinander verbinden.
Ich möchte ein anderes Feld nennen, wo bereits deutlich ist, dass Umweltpolitik in diesem weiten Verständnis eine Querschnittspolitik ist und eine Zukunftsperspektive für das Land bietet. Das ist der Umgang mit
neuen Technologien; ich möchte hier insbesondere den
Umgang mit den Nanotechnologien nennen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in der letzten Woche der Bundesregierung das dicke Gutachten zu den
Nanotechnologien überreicht. Wir haben darüber intensiv diskutiert. Nanotechnologie ist ein Beispiel dafür,
dass neue Technologien faszinierende Möglichkeiten eröffnen, Möglichkeiten des Erkenntniszuwachses, aber
auch der wirtschaftlichen Anwendung. Gleichzeitig ergeben sich beim Betreten dieser faszinierenden Welt
neue Risiken, die wir zum Zeitpunkt der Anwendung
zum Teil noch gar nicht kennen. Wirtschaftliche, technische Machbarkeit und das Wissen darum, welche Risiken wir damit begründen und vielleicht auch hervorrufen, klaffen durchaus auseinander. Die Schlussfolgerung
daraus darf aber nicht sein, dass wir neue Technologien
tabuisieren und Ängste schüren. Aber die Schlussfolgerung darf auch nicht sein, dass wir so tun, als gäbe es
diese Risiken gar nicht und als gäbe es nur die Chancen.
Ein richtiges Verständnis von Chancen und Risiken, der
offene Umgang mit der Erforschung auch von Risiken
- Risikoforschung - ist die Bedingung, die Vertrauen
schafft, eine Bedingung für gesellschaftliche Akzeptanz
und dafür, dass wir ein technologisch führendes Land
bleiben. Auch das ist eine Aufgabe der Umweltpolitik,
der wir uns in einem gesonderten Dialog im Hinblick auf
die Risikoforschung zu den Nanotechnologien, zu ihrem
Potenzial und ihrer Anwendung, stellen.
({15})
- Er freut mich, wenn auch Sie dem zustimmen.
Abschließend möchte ich auf ein Wachstum eingehen, das mit Klimaschutz und Naturschutz im Einklang
steht. Wir tragen zum Klimaschutz bei - wir versuchen
es - durch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Es ist,
glaube ich, die wichtigste Motivation und es dient der
Akzeptanz in der Bevölkerung, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
({16})
- Wenn Sie es noch nicht mitbekommen haben sollten:
Wir machen ganz viele Klimaschutzgesetze.
({17})
Außerdem schaffen wir ein Ressourceneffizienzprogramm. Wie kann man all das nicht sehen?
Wir setzen uns international für Klimaschutz ein. Wir
haben hier in Berlin vor einigen Monaten einen erfolgreichen Petersberger Klimadialog II geführt, und wir
versuchen, zu helfen, dass die südafrikanische Präsidentschaft erfolgreich sein wird.
Natürlich sehen wir hier die Rolle Europas - nicht die
des Vorreiters, aber die des Herausforderers. Darum
muss Europa auch in der Klimapolitik zusammenstehen.
Wenn Europa das nicht tut, dann wird es marginalisiert.
Das gilt auch in einem so wichtigen Feld wie dem der
Emissionspolitik bzw. der Klimapolitik. Darum sind wir
hier im eigenen Interesse und im Interesse der nächsten
Generationen Vorreiter. Die Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie ist ein Erfolg. Sie wird auf neue Industriesektoren ausgeweitet und ist zugleich industriefreundlich. Gleichzeitig wird die Menge der zulässigen
Emissionen immer weiter reduziert.
Zu diesem weiten Verständnis von Umweltpolitik und
auch von Wachstumspolitik gehört eine engagierte Naturschutzpolitik. Ich möchte kurz die Konferenz „Bonn
Challenge“ erwähnen; diese erfolgreiche Initiative zur
Waldpolitik hat in der letzten Woche stattgefunden. Wir
in Deutschland verfolgen eine eigene Waldstrategie. In
Deutschland wächst der Wald, und zwar um 3 500 Hektar pro Jahr. Damit sind wir sehr erfolgreich. Aber weltweit werden jedes Jahr 13 Millionen Hektar Wald gerodet. Das ist weder wirtschaftlich vernünftig, noch ist es
generationenverantwortlich. Darum hat diese Initiative
das Ziel - wir verfolgen es mit anderen zusammen; es
wird von Unternehmen und von führenden Politikern anderer Länder unterstützt -, bis 2020 150 Millionen Hektar wieder aufzuforsten. Das ist ein konkretes Zukunftsprojekt. Ich freue mich, dass unser Land an dieser Stelle
führend ist - ich glaube, darüber gibt es einen gewissen
Konsens -, eine Waldstrategie national und international
durchzusetzen. Auch Naturschutz zählt immer noch zum
Kern von Umweltpolitik. Daran halten wir fest.
({18})
Ich glaube, dass Umweltpolitik insgesamt einen guten, vielleicht einen neuen Stellenwert hat und das Land
positiv nach vorne bringt. Ich hoffe sehr auf Ihre Unterstützung auch für diesen Bundeshaushalt.
Herzlichen Dank.
({19})
Der Kollege Dr. Matthias Miersch hat jetzt das Wort
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Röttgen, da war er wieder, der „doppelte
Röttgen“: viele salbungsvolle Worte, viel Pathos, aber
wenig Substanz. Das ist ein Markenzeichen Ihrer bisherigen Regierungszeit als Bundesumweltminister.
({0})
Herr Minister, ich hätte von Ihnen ein bisschen Demut erwartet. Was haben Sie hier im Verlauf eines Jahres
für eine Kehrtwende hingelegt! Ein bisschen Demut gegenüber all denen, die trotz Ihrer Politik in Erneuerbare
investiert haben, die vor Ort, auf kommunaler Ebene, für
Klimaschutz gefochten haben, hätte Ihnen gut angestanden.
({1})
Vor einem Jahr sagten Sie an dieser Stelle beim Einbringen des Haushalts - ich darf zitieren -:
Dieses Energiekonzept ist das anspruchsvollste,
konsequenteste, umfassendste Energie- und Umweltkonzept, was es in Deutschland je gegeben hat,
und es ist weltweit einmalig.
Mit diesem Zitat wollten Sie die Laufzeitverlängerung begründen. Ich sage Ihnen: Ja, es ist sicher weltweit
einmalig, wie innerhalb eines Jahres ein solches Konzept
über den Haufen geworfen werden konnte. Das, glaube
ich, ist eine Kehrtwende, die alles andere als zukunftsfähige Politik gewesen ist. Ihr Energiekonzept war das innovationsfeindlichste und schlechteste, das es in
Deutschland je gegeben hat.
({2})
Es wird als ein Symbol einer der schlechtesten Bundesregierungen, die Deutschland je gesehen hat, in die
Geschichte eingehen. All das, was Sie noch vor einem
Jahr hier als große Zukunft proklamiert haben, ist mittlerweile Makulatur.
Ein Jahr später sagen Sie: Es muss sich sehr viel ändern. - Ein Jahr später sind es dann plötzlich die Erneuerbaren. Sie haben zwei Jahre mit Ihrer Politik dazu beigetragen, dass es bei den Erneuerbaren stockte. Wo
könnten wir heute stehen, wenn Sie da weitergemacht
hätten, wo Rot-Grün aufgehört hat?
({3})
Mehr noch: Sie haben zehn Jahre lang dazu beigetragen, dass immer wieder gemutmaßt werden konnte:
Wenn Schwarz-Gelb an die Regierung kommt, dann drehen die das sowieso. - Das hat dazu geführt, dass Eon
Ihnen vertraut hat und gerade nicht in Innovationen, gerade nicht in Erneuerbare investiert hat. Insofern haben
Sie zehn Jahre lang gegen Innovationen in diesem Land
gearbeitet.
({4})
Sie haben in dieser Rede vor einem Jahr weiter gesagt
- ich zitiere -:
Zusätzlich gibt es noch die Beiträge der Kernenergiewirtschaft, die insgesamt einen zweistelligen
Milliardenbetrag ausmachen. Wir werden ab 2013
für den Bereich Klima- und Energiepolitik rund
3 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung haben.
Das war noch nie da und ist ein Erfolg, von dem
alle profitieren werden.
Nach einem Jahr ist dieses Finanzierungskonzept
- wir haben es Ihnen übrigens gesagt - wie ein Kartenhaus zusammengebrochen, Herr Bundesumweltminister. Sie haben sich mit den vier Großen ins Bett gelegt,
und jetzt haben Sie die Quittung: Nichts ist finanziert.
Sie haben hier ein Wolkenkuckucksheim aufgebaut.
({5})
Und schlimmer: Sie wiederholen diese Geschichte;
denn mit Ihrem großartigen Fonds machen Sie gleich
den nächsten Fehler. Sie binden ihn an den Emissionshandel und versehen ihn mit einem Finanzierungsvorbehalt. Das heißt, über allen Maßnahmen, die Sie da
hineinschreiben, schwebt ein Damoklesschwert. Ich verspreche Ihnen jetzt schon: Alle Annahmen, die Sie da
hineingeschrieben haben, werden nicht eintreten. Sie haben keine Verbindlichkeit, Sie haben keine Verlässlichkeit mit diesem Haushalt geschaffen.
({6})
Das Schlimmste, was Sie in diesen zwei Jahren angerichtet haben, ist die Schaffung einer großen Unsicherheit. Gerade im Bereich der Erneuerbaren, gerade im
Bereich der Effizienztechnologie geht es um Investitionssicherheit. Reden Sie mit den Leuten, die Blockheizkraftwerke hergestellt haben bzw. herstellen! Reden
Sie mit den Modulherstellern im Bereich der Photovoltaik! Sie sagen Ihnen alle, das, was Sie zwei Jahre lang
gemacht haben, hat sie in dem Ausbau behindert. Das
müssen Sie ändern. Sie haben es in diesem Projekt aber
nicht geändert, weil Sie das Marktanreizprogramm, die
Gebäudesanierung, alles unter einen Finanzierungsvorbehalt stellen. Das ist schädlich für dieses Land.
({7})
Schlimm ist nicht nur, dass Sie national eine große
Verunsicherung herbeigeführt haben, sondern auch, dass
Sie vor allen Dingen international dem Ansehen der
deutschen Klimaschutzpolitik geschadet haben. Sie haben uns auf unsere Anfrage hin schwarz auf weiß mitgeteilt, dass Sie nicht beabsichtigen, ein Klimaschutzgesetz
in den Deutschen Bundestag einzubringen. Daran wird
deutlich, dass allein markige Worte und gute Sprüche Ihr
Markenzeichen sind. Immer dann, wenn es verbindlich
werden soll, wenn es kontrollierbar sein soll, rudern Sie
zurück und legen nichts vor.
Das, was Sie sich auf internationaler Ebene in den
letzten zwei Jahren geleistet haben, hat dem Ansehen der
Bundesrepublik Deutschland gerade im Bereich des internationalen Klimaschutzes massiv geschadet. Insofern
glaube ich, Herr Bundesminister Röttgen, wäre es gut
gewesen, wenn Sie die Finanzierung für die zugesagten
Fast-Start-Mittel in diesen Haushalt endlich fundiert belegt eingestellt hätten und nicht durch Herumrechnerei,
Gegenrechnerei das Gegenteil gemacht hätten. Es ist
kein Schritt zur Vertrauensbildung, was Sie in diesem
Haushalt im Bereich des internationalen Klimaschutzes
anstellen.
({8})
Ein Wort zum Schluss. Ich glaube, dass wir als Umweltpolitiker bei der Haushaltsdiskussion eine große
Verantwortung haben; denn es geht darum, die Philosophie der Haushaltsberatung einmal völlig anders zu betrachten. Wir können im Bereich der Umweltpolitik
nicht von einem Jahr zum anderen denken. Wie wäre es
eigentlich gewesen, wenn der volkswirtschaftliche Schaden, der sich in Japan durch die Katastrophe von Fukushima augenblicklich einstellt, der volkswirtschaftliche
Schaden durch den Super-GAU, in irgendeiner Form
haushalterisch Beachtung gefunden hätte?
Wie wäre es, wenn wir im Rahmen dieser Haushaltsplanberatungen die Folgeschäden des Klimawandels,
von denen wir durch Sir Nicholas Stern wissen, in irgendeiner Form berücksichtigen würden? Wir würden,
glaube ich, zu ganz anderen Maßnahmen kommen müssen,
({9})
weil letztlich jede entsprechende Investition, die wir
heute tätigen, weitaus höhere Folgekosten vermeiden
hilft.
({10})
Ich wünsche mir, dass wir in die Beratungen der nächsten Wochen ein bisschen mehr von diesen Überlegungen
einbeziehen und damit für etwas mehr Substanz sorgen.
Das wünsche ich mir.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Stephan Thomae hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist im Vergleich zum Gesamtvolumen des Bundeshaushaltes ein kleiner Fisch mit einem Umfang von
1,5 Milliarden Euro; das entspricht ungefähr 0,5 Prozent
des Bundeshaushaltsvolumens. Gleichwohl spiegelt sich
in diesem Ressort eine der dramatischsten Entwicklungen der letzten zwölf Monate wider: die Diskussion um
die Zukunft der Energieversorgung.
Als Berichterstatter für diesen Einzelplan will ich ganz
kurz ein paar allgemeine Daten vorausschicken und daran
deutlich machen, dass wir trotz der hohen Herausforderungen, die die Aufgaben an uns stellen, auch hier die
Haushaltskonsolidierung nicht hintanstellen. 2011 sind
für den Haushalt des BMU über 1,6 Milliarden Euro veranschlagt. Wir wollen diesen Haushalt im nächsten Jahr
um 42 Millionen Euro - das sind ungefähr 2,6 Prozent auf unter 1,6 Milliarden Euro zurückführen, nämlich auf
1,5931 Milliarden Euro. Trotz der hohen Herausforderungen wird also auch hier am Konsolidierungsziel festgehalten.
Zur Struktur des Haushaltes. Er gliedert sich in einen
Stammhaushalt, in dem die typischen Verwaltungskosten
des Ministeriums angesiedelt sind, einen Programmhaushalt, in dem die Mittel für Programme und Projekte
zu finden sind, und in den Haushalt für den Endlagerbereich. Dieses große Thema macht ungefähr ein Drittel
des Haushaltes aus. Dem Ministerium sind drei Behörden nachgeordnet: das Umweltbundesamt in Dessau, das
Bundesamt für Naturschutz in Bonn und das Bundesamt
für Strahlenschutz in Salzgitter.
Anhand der Programme und Projekte kann man erkennen, dass Umweltschutz ein Querschnittsthema ist.
Umweltschutz ist nicht nur in diesem Einzelplan angesiedelt, sondern auch in vielen anderen Einzelplänen des
Bundeshaushaltes finden sich Ausgaben für den Umweltschutz wieder: Im Bereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft sind zum Beispiel für die Förderung rationeller und sparsamer Energienutzung 443 Millionen
Euro etatisiert; im Bereich des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind
für Umweltschutzprojekte und nachhaltige Entwicklung
1,4 Milliarden Euro etatisiert; im Bereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
werden für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm
2 Milliarden Euro veranschlagt; im Bundesfinanzministerium sind für die Altlastensanierung in den Braunkohlebergbaugebieten der ehemaligen DDR 246 Millionen
Euro vorgesehen, und - das ist das letzte Beispiel - im
Bundesministerium für Bildung und Forschung stehen
für Grundlagenforschung zum Umweltschutz 869 Millionen Euro zur Verfügung.
({0})
Das zeigt, dass diese Regierung in vielen Ressorts Ausgaben für den Umweltschutz veranschlagt, nicht nur im
Bereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Ein Wort zum Thema Energiewende - dazu werden
wir später noch mehr hören; ich will das Thema nur ein
wenig anreißen -: Die letzten zwölf Monate sind ja so
dramatisch gewesen wie selten eine Zeit vorher. Wir hatten nicht nur das Thema Griechenland und Euro, die
Entwicklungen in Nordafrika, insbesondere in Tunesien
und Libyen, sowie in Syrien, sondern wir hatten auch
das Thema Fukushima und Japan, das eine Kaskade von
außergewöhnlichen Ereignissen nach sich gezogen hat.
Es gibt Spötter, die behaupten, dass kein Land unter dem
Atomunfall in Japan so gelitten habe wie Deutschland,
aber die Sache ist zu ernst zum Witzereißen.
({1})
Vor einem Jahr, als ich noch nicht Berichterstatter
war, stand die Aussprache zu diesem Einzelplan unter
dem Vorzeichen der Laufzeitverlängerung. Heute hat die
Bundesregierung ein völlig neues Energiekonzept. Man
kann, glaube ich, festhalten, dass aus dem Ausstiegsbeschluss von einst nunmehr ein Umstiegsbeschluss geworden ist. Wir alle haben lernen müssen, dass es
schwierig ist, die drei Ziele Klimaneutralität, Versorgungssicherheit und Preisstabilität unter einen Hut zu
bringen. Das ist, auch haushalterisch, eine schwierige
Aufgabe, der wir alle uns anzunehmen haben.
Jetzt jedenfalls ist die Diskussion darüber in Gang gekommen, die Ziele in eine Balance zu bringen und sie
gleichermaßen zu erreichen. Gerade für uns als FDP war
in dieser Regierung wichtig, dass wir die Brennelementesteuer erhalten. Wie richtig das gewesen ist, zeigt sich
daran, dass wir schon 2012 für die Sanierung der Asse
weitere 20 Millionen Euro benötigen werden. Es ist auch
deswegen richtig, dass wir diese Kosten auch der Wirtschaft auferlegen, weil 88 Prozent der radioaktiven Abfälle, die in der Asse lagern, von den Energieversorgungsunternehmen stammen.
Ein weiteres Thema, das ich ansprechen möchte, ist
die Verbesserung der steuerlichen Abschreibungen für
CO2-Sanierungsmaßnahmen. Ich halte es für einen großen Fehler, dass dieses Vorhaben auch mit Unterstützung
rot-grün regierter Bundesländern im Bundesrat gestoppt
worden ist.
({2})
Ich hoffe, dass wir im Vermittlungsausschuss zu einem
Ergebnis kommen werden und dass wir nicht feststellen
müssen, dass Anspruch und Wirklichkeit rot-grüner Klimapolitik in dieser Frage auseinanderklaffen.
({3})
Ich möchte das Thema Energie- und Klimafonds ansprechen. Ich glaube, es ist ein wirkliches Verdienst,
dass wir hier das größte Sondervermögen in diesem Bereich geschaffen haben. Der Fonds soll zunächst mit
780 Millionen Euro ausgestattet werden. Es ist bisher
das größte Programm für erneuerbare Energien, Gebäudesanierung, Elektromobilität. Die Mehrerlöse, die wir
aus der Versteigerung von CO2-Emissionsrechten erzielen, sollen künftig zu 100 Prozent dem EKF zufließen,
um die Mittel für Förderprogramme in diesem Bereich
im EKF zu bündeln. Das ist eine wichtige Aufgabe.
({4})
Ein paar Worte zum Naturschutz. Im Jahr 2011 wurde
ein Bundesprogramm für biologische Vielfalt aufgelegt.
Das zeigt, dass wir auch dem Naturschutz große Bedeutung beimessen. Trotz schwieriger Haushaltslage wollen
wir dieses Programm auch 2012 fortführen und mit zusätzlichen 15 Millionen Euro ausstatten. Damit sind die
Ausgaben für konkrete Naturschutzprojekte dieser Regierung fast doppelt so hoch wie unter der Ägide des
ehemaligen SPD-Umweltministers Sigmar Gabriel.
({5})
Abschließend will ich deutlich machen, dass wir, trotz
gestiegener Aufgaben in diesem Bereich, an der Haushaltskonsolidierung festhalten. Wir fahren die Nettokreditaufnahme deutlich zurück, verfolgen konsequent und
sogar schneller, als von früheren Regierungen geplant,
den Abbaupfad und werden die Maastricht-Kriterien und
die Anforderungen der Schuldenbremse einhalten.
Wir sind keine Ausgabenpolitiker, die mit dem Füllhorn durchs Land ziehen und überall Wohltaten verteilen. Wir wollen konsolidieren, aber auch reformieren,
und zwar beides gleichzeitig. Das ist die Aufgabe dieser
Regierung.
Ich danke Ihnen.
({6})
Michael Leutert hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Röttgen, Sie haben hier heute wieder
schön gesprochen und viel angekündigt. Allerdings,
denke ich, lohnt ein Blick zurück. Wir haben vor einem
Jahr hier im Plenum über das sogenannte Energiekonzept der Bundesregierung debattiert, vorgelegt vom
Wirtschaftsministerium, damals noch unter dem Kollegen Brüderle, und von Ihrem Haus, dem Umweltministerium. Dieses Energiekonzept sollte die Basis für das laufende Jahr sein, also auch für den noch gültigen
Haushalt. Mich interessiert nun, ob dieses Konzept bei
den Bürgerinnen und Bürgern, wie Sie es in Ihrer Rede
so schön formuliert haben, angekommen ist.
In diesem Papier steht gleich auf der ersten Seite - ich
zitiere -:
Mit dem Energiekonzept formuliert die Bundesregierung Leitlinien für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung …
Jetzt weiß ich nicht, Herr Bundesminister, wo Sie Ihren Sommerurlaub verbracht haben. Ich bin in Deutschland unterwegs gewesen und habe nur Klagen gehört,
und zwar besonders an den Tankstellen. Dabei ging es
um ein Projekt von Ihnen, nämlich den Anteil von Biokomponenten in Kraftstoffen zu erhöhen, in der Bevölkerung besser bekannt unter dem Namen „E 10 - die Abzocke an der Tankstelle“. Zur Erinnerung: Die Politik
hat festgelegt - so ist es auch mit einem eigenen Kapitel
in Ihrem Konzept unterlegt -, dass ein Biokraftstoffgemisch verkauft werden soll. Die ökologischen Bedenken
dagegen möchte ich jetzt nicht anführen. Die Politik hat
weiterhin eine Verkaufsquote festgelegt. Außerdem
wurde beschlossen, dass Strafzahlungen fällig werden,
wenn diese Quote nicht erfüllt wird. Die Mineralölkonzerne bieten dieses Gemisch nun preiswerter an, indem
sie den Normalsprit teurer machen. Nachdem die Quote
nicht erfüllt worden ist, wollen die Konzerne die Strafzahlungen an die Kunden weitergeben. Was macht die
Politik in diesem Verantwortungsbereich? Sie schaut zu.
Herr Minister Röttgen, die Bürgerinnen und Bürger beklagen sich zu Recht an den Tankstellen und empfinden
zu Recht als äußerst ungerecht, was hier veranstaltet
wird. Sie wissen so gut wie jeder andere hier im Hause,
dass der ökologische Wandel nur mit den Menschen und
nicht gegen die Menschen gemacht werden kann. Sie legen es auch in Ihrem Konzept dar - ich möchte es noch
einmal in Erinnerung rufen -:
Der Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung … können nur gelingen, wenn die künftige
Energiepolitik für die Bürgerinnen und Bürger verständlich und nachvollziehbar ist.
Offensichtlich ist dies bei diesem Projekt nicht der Fall.
Sozial ist es ebenfalls nicht. Ich kann Ihnen also nur
empfehlen, den Hinweisen Ihres Koalitionspartners zu
folgen und dieses Projekt zu beenden.
({0})
Ein weiterer Punkt Ihres Energiekonzeptes ist der
Ausbau der Windenergie. Sie schreiben in Ihrem Konzept, dass die Windenergie „das wirtschaftlichste Ausbaupotenzial im Bereich erneuerbarer Energien“ hat. Sie
schreiben, dass Sie zur Erschließung dieser Potenziale
den „gesetzlichen und planungsrechtlichen Rahmen verbessern“ wollen. Sie haben eine Initiative angekündigt,
„um gemeinsam mit den Ländern und Kommunen die
Raumordnungspläne mit dem Ziel weiterzuentwickeln,
dass ausreichende Flächen für neue Windenergiegebiete
ausgewiesen werden“. Außerdem wollten Sie im „Bauund Planungsrecht erforderliche … Regelungen zur Absicherung des Repowering treffen“. Sie wollten also alles tun, damit die Windkraft gestärkt wird.
Ich möchte Ihnen einmal darstellen, wie Ihr Projekt in
der Bevölkerung ankommt. Letzte Woche war ich im
Erzgebirge und war dort Gast bei der Firma Windkraft
Unger in Pfaffroda; ich lade Sie gerne ein, mit mir einmal da hinzufahren. Es ist ein kleines ostdeutsches Unternehmen, das seit der Wende kontinuierlich in einen
Windpark investiert hat. Mittlerweile sind es 60 Millionen Euro. Heute ist es der effektivste Windpark, den wir
in Sachsen haben. Seit einiger Zeit tobt dort eine erbitterte Auseinandersetzung, weil eine andere Firma, die
Wingas, eine Tochterfirma von Gazprom, mitten durch
den Windpark eine Erdgastrasse verlegt hat. Sie können
hinfahren und es sich anschauen: Diese Trasse geht mitten durch den Windpark und nimmt ungefähr 15 Hektar
der Fläche des Windparks, der in einem Vorranggebiet
liegt, in Anspruch. Es wäre überhaupt kein Problem gewesen, diese Trasse um den Windpark herumzuführen.
Dieses Problem hat auch den Bundestag beschäftigt.
Es stand nämlich auf der Tagesordnung des Petitionsausschusses. Der Petitionsausschuss hat gesagt, er hoffe,
dass es zu einer anderen Trassenführung kommt.
Nun ist die Frage, wie sich die Ministerien, die dieses
Energiekonzept vorgelegt haben, in dieser Sache verhalten. Es gibt zum Beispiel eine Stellungnahme aus Ihrem
Haus, in der komplett der Standpunkt von Wingas eingenommen wird. Unter anderem heißt es darin:
Für eine Existenzbedrohung durch planfestgestellte
Gasleitungen besteht kein Anhaltspunkt.
Außerdem wurde noch darauf verwiesen, dass der
Bund keine Möglichkeiten habe, auf die Entscheidung in
Sachsen Einfluss zu nehmen. Dies sah der Staatssekretär
Jochen Homann aus dem Wirtschaftsministerium offensichtlich ganz anders. Er hat sich nämlich mit einem
Brief an seine zuständigen Kollegen in den Ländern gewandt:
Sehr geehrte Herren, ich erlaube mir, Sie wegen eines in Ihrem Zuständigkeitsbereich anhängigen Genehmigungsverfahrens anzusprechen. Für die Gasleitung OPAL sind bei Ihren nachgeordneten
Behörden derzeit die Planfeststellungsverfahren anhängig.
Dann wird darauf verwiesen, wie wichtig dies für
Deutschland und Europa ist. Weiter heißt es:
Ich bitte Sie, diese Erwägungsgründe bei dem Planfeststellungsverfahren mit zu berücksichtigen. Unabhängig davon ist für den Antragsteller, die OPAL
NEL Transport GmbH, eine zeitnahe Entscheidung
der zuständigen Behörden von entscheidender Bedeutung. Ich möchte Sie bitten, sich entsprechend
dafür einzusetzen.
Herr Minister Röttgen, wenn ich mir diese zwei Beispiele anschaue, dann kann ich nur sagen: Ihre Umweltpolitik ist angekommen, allerdings ist sie auch gescheitert. Worte und Taten stimmen hier nicht überein. Das
weiß inzwischen jeder in diesem Land. Ich kann Ihnen
nur noch einmal sagen: Der ökologische Umbau wird
nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern gelingen. Er wird nur gelingen, wenn er für alle sozial verträglich ist.
Herr Kollege.
Das sind die Kriterien der Linken. Daran muss sich
der Haushalt orientieren, und daran werden wir Sie messen.
Vielen Dank.
({0})
Dorothea Steiner hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schöne
Worte haben wir gerade von Herrn Umweltminister
Röttgen gehört.
({0})
So ganz vergesslich sind wir aber nicht. Letztes Jahr um
diese Zeit hat uns der Umweltminister nach der Laufzeitverlängerung noch das Hohelied von der Brückentechnologie Atomkraft gesungen und gleichzeitig eine Energierevolution propagiert. Wie wir wissen, ist die
Brückentechnologie inzwischen abgestürzt. Wir, das
Parlament, haben mit überwältigender Mehrheit beschlossen, aus der Atomkraft auszusteigen. Wir alle wissen: Wir können das schaffen, aber nur mit einem ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien.
Ich stelle fest - das richtet sich an die Koalitionäre
und an Herrn Röttgen -: Ihr diesjähriges Energiekonzept
für den ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien ist genau das gleiche wie im letzten Jahr, das noch
die Atomkraft und die Laufzeitverlängerung umfasste.
Kein My mehr an Windkraft, kein Ziel, die Solarenergie
auszubauen - über die effiziente Nutzung von Biomasse
für Strom und Wärme finde ich auch nichts. Hier haben
Sie nichts auf den Weg gebracht. Das Marktanreizprogramm, das Sie endlich in den Haushalt aufgenommen
haben, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich kann Ihnen nur sagen: Eine echte Energiewende sieht anders
aus.
({1})
Kernpunkt der Energiewende ist bei Ihnen die Kohlekraftwerksförderung. Obwohl Kohlekraftwerke Klimakiller schlechthin sind, können Kraftwerksbetreiber bis
2016 mit millionenschweren Subventionen für Neubauten rechnen. Diese Subventionen nun ausgerechnet aus
dem Energie- und Klimafonds zu finanzieren, ist eine
echte Attacke auf die Energiewende.
({2})
Das belegt: Nach dem alten Irrtum Atomkraft kommt
nun der vorsintflutliche Irrtum Kohlekraft. Sie als Bundesregierung zementieren damit nicht nur die alten Energieerzeugungsstrukturen, sondern behindern auch den
notwendigen und konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir wissen: Kohlekraftwerke passen wegen ihrer mangelnden Flexibilität gar nicht in ein Zukunftskonzept, das zentrale Strukturen mit dezentralen
regionalen Strukturen verbindet.
Ich möchte auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen. Letztes Jahr an dieser Stelle hat Herr Röttgen
eine Effizienzrevolution bzw. einen Transformationsprozess zu einer ressourceneffizienten, energieeffizienten
und CO2-sparsameren Wirtschafts- und Lebensweise angekündigt. Jetzt, Herr Minister, lassen Sie zu, dass Wirtschaftsminister Rösler die Energieeffizienzrichtlinie der
EU blockiert. Da frage ich Sie: Warum legen Sie sich
nicht einmal mit diesem energiepolitischen Leichtmatrosen im Wirtschaftsministerium an und setzen Ihre Ankündigungen zur Energieeffizienz auch im Kabinett
durch?
({3})
Auch der Klimaschutz ist bei Ihnen ins Hintertreffen
geraten. 162 Millionen Euro für die Internationale Klimaschutzinitiative, IKI, und für den internationalen Klimaschutz sind exakt 7,5 Millionen Euro mehr als im Jahr
2011. Das ist nicht das, was wir brauchen, um den Klimaschutz wirksam voranzubringen. Sie alle wissen: Die
Lage ist ernst bis dramatisch. Wir erinnern uns, dass das
Jahr 2010 global gesehen das wärmste Jahr war.
Ich möchte Sie an noch etwas erinnern. Wir haben Ihnen vorgerechnet, dass man 650 Millionen Euro für den
Klimaschutz erwirtschaften kann, indem man ökologisch schädliche Subventionen abbaut. Ich nenne nur
zwei Beispiele: Durch eine Kerosinbesteuerung könnte
man im Inland 680 Millionen Euro jährlich erwirtschaften. Außerdem könnte man endlich die Abschaffung des
Dienstwagenprivilegs angehen. Das würde 1,2 Milliarden Euro bringen. Ich frage Sie: Wo sind die Steuergelder von Spritschluckern besser angelegt als im Klimaschutz?
({4})
- Ja, gerne.
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Sie haben uns
zum Dialog über die Endlagerung des Atommülls eingeDorothea Steiner
laden. Gorleben soll ja ergebnisoffen erkundet werden.
2010 hatten Sie dafür im Haushalt 46 Millionen Euro
vorgesehen; auch das war schon überdimensioniert. Sie
steigern das aber noch: 2012 und in den Folgejahren
wollen Sie für 73 bzw. 76 Millionen Euro jährlich erkunden. Da drängt sich der Verdacht auf, dass hier Fakten
geschaffen werden. Wir finden es sehr bemerkenswert,
dass hier ein Atomfilz auflebt, wie wir ihn von früher
kennen. Die Eignungsprognose für Gorleben soll 2013
abgegeben werden. Für die vorbereitende Sicherheitsanalyse - 2,6 Millionen Euro - erhält der gescheiterte
Vattenfall-Manager Bruno Thomauske den Auftrag. Da
sage ich nur: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt im Hinblick auf das zu erwartende Ergebnis der Eignungsprognose.
Noch ein Wort zum Dialog, Herr Röttgen: 4,7 Millionen Euro ist Ihnen der Dialog mit den Bürgerinnen und
Bürgern des Wendlands wert. Im Wendland wird dieser
Dialog nur „Dialüg“ genannt.
({5})
Sie setzen dieses Geld im Titel „Öffentlichkeitsarbeit für
Endlager“ an. Ich schlage Ihnen vor - das ist auch ein
guter Vorschlag für die Endlagerdiskussion -: Stecken
Sie dieses Geld doch lieber gleich in die alternative ergebnisoffene Standortsuche; dann können Sie über
8 Millionen Euro im Jahr dafür einsetzen. Das Geld ist
dann nicht zum Fenster hinausgeworfen wie beim Gorleben-Dialog.
({6})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. - Der NDR hat in Niedersachsen im Mai dieses Jahres Menschen zum Problem
der Atommüllendlagerung befragt. 11 Prozent der Befragten waren dafür, dass Alternativstandorte nur untersucht werden, wenn Gorleben ungeeignet ist. 84 Prozent
der Befragten hingegen sind der Meinung, dass parallel
Alternativstandorte untersucht werden sollten.
Frau Kollegin!
Der Meinung sind wir auch. Ich appelliere an die
Bundeskanzlerin und an Herrn Röttgen, konsequent zu
sein und in diesem Jahr endlich mit einer ernstgemeinten
Endlagersuche anzufangen.
({0})
Der Kollege Ulrich Petzold hat das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Miersch, Sie haben ein bisschen Demut
verlangt. Eine Frage: Warum haben wir in den letzten
Wochen mehr als 20 Prozent Energieerzeugung aus den
erneuerbaren Energien erreicht? Ich glaube, es ist eine
große Leistung, die wir hier vollbracht haben.
({0})
Ein bisschen Freude wenigstens an dieser Stelle wäre
schon angebracht.
({1})
Ich glaube, dass man an dieser Stelle etwas vernünftiger
miteinander debattieren sollte.
Frau Steiner, Sie sprachen es eben an: Wir haben in
diesem Haushalt im Endlagerbereich einen Minderbedarf von 35 Millionen Euro. Man sollte jetzt die Kirche
im Dorf lassen und vielleicht zunächst über den Haushalt
sprechen; denn darüber habe ich bisher noch nicht so
sehr viel gehört.
({2})
Die Mitglieder des Umweltausschusses von der CDU/
CSU sehen weitaus kritischer, dass der Programmhaushalt um 21,7 Millionen Euro - bei einer Gesamtabsenkung des Einzelplans 16 um 2,6 Prozent - abgesenkt
werden soll. Man sollte jedoch aus dieser unbefriedigenden Situation nun nicht den Untergang des Abendlandes
machen. Als ich von der Absenkung im Umwelthaushalt
um 2,6 Prozent hörte, fiel mir recht schnell der Haushalt
2005 ein. Auch im Jahr 2005 sind die Mittel des Umwelthaushalts um 2,6 Prozent gesenkt worden. Wir sollten deshalb heute vernünftig über den Haushalt debattieren, Argumente austauschen und aufeinander eingehen;
dann haben wir sehr viel mehr erreicht.
({3})
Wir alle wissen, dass die Umweltausgaben im Einzelplan 16 nicht die ganze Wahrheit sind. Ein Großteil der
Umweltausgaben der Bundesregierung versteckt sich in
anderen Einzelplänen. Insgesamt sind im Bundeshaushalt 2012 7,4 Milliarden Euro für den Umweltschutz
veranschlagt. 2011 waren es nur 6,5 Milliarden Euro und
2010 unter Herrn Finanzminister Steinbrück 6,3 Milliarden Euro. So weit die Zahlen. Dazu kommen noch etwa
5 Milliarden Euro aus dem ERP-Sondervermögen, von
der KfW und aus dem Energie- und Klimafonds, die
nicht im Bundeshaushalt verankert sind.
Im Einzelnen: Es entspricht durchaus unserer Intention, wenn eine Umschichtung von der Förderung von
Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien
im Titel 686 24 erfolgt, und zwar mit jeweils 10 Millionen Euro hin zu Forschungs- und Entwicklungsaufgaben
sowie hin zu Investitionszuschüssen für erneuerbare
Energien im gleichen Kapitel.
Das Problem bei den erneuerbaren Energien ist nicht
eine weitere Steigerung ihrer Produktion - sie kommt -,
sondern die grundsätzliche Frage der Speicherung der
erzeugten Energie und die Wiedererlangung von Spitzenplätzen bei diesen Technologien. Um zum Beispiel
die deutsche Photovoltaikindustrie mittel- und langfristig zu sichern, unternimmt die Bundesregierung Anstrengungen, indem sie die Innovationsallianz der Unternehmen ausbaut und unterstützt. Damit hat das BMU
einen wesentlichen Anteil an der Forschungsförderung.
Forschung ist ein Schwerpunkt dieses Haushalts. So ist
der Titel „Forschung, Untersuchungen und Ähnliches“
im Bereich des Umweltschutzes unter Minister Röttgen
innerhalb der letzten beiden Jahre um mehr als ein Drittel angewachsen.
({4})
Nachdem ich seit Jahren immer wieder darauf hinweise, dass die Personalsituation beim BMU und bei den
nachgeordneten Behörden unbefriedigend ist, bringt dieser Haushalt endlich eine gewisse Verbesserung. Bereits
im vorigen Haushalt war damit begonnen worden, die
Planstellen der oftmals seit mehreren Jahren vom UBA,
BfN und BfS in das Ministerium abgeordneten Mitarbeiter auch haushalterisch wirklich im Ministerium anzusiedeln. Dies wird nun mit 32 weiteren Planstellen fortgesetzt. Das verstehe ich unter Haushaltswahrheit und
-klarheit. Ich bin Minister Röttgen dankbar, dass er hier
mit den Taschenspielertricks seiner Vorgänger aufhört.
({5})
Wenn allerdings 20 Beschäftigte durch Teilzeitbeschäftigungen mit einem Stellenvolumen von 18,25 Stellen in
das Ministerium versetzt werden und dem UBA 20 volle
Stellen gestrichen werden, so ist das zu kritisieren, Herr
Minister.
Ein weiteres Problem im Personalbesatz ist die Zuweisung neuer Aufgaben, ohne diese ausreichend durch
Stellenzuweisungen zu untersetzen. Erlauben Sie mir, als
Beispiel für meine Ausführungen die Konsequenzen zu
beleuchten, die die forcierte Umsetzung der Energiewende für das Umweltbundesamt in Dessau hat: Die
von uns unmittelbar vor der Sommerpause beschlossenen Gesetze spiegeln sich bis jetzt längst noch nicht ausreichend in der dortigen Stellenplanung wider. Stauungen und Stockungen zum Beispiel bei der Analyse der
wirtschaftlichen Auswirkungen der Energiewende oder
der Etablierung von Informationsinstrumenten zum Monitoring und zur besseren Politiksteuerung sind absehbar. Es besteht die Gefahr, dass uns das Sparen in diesem
Bereich der Energiewende viel kosten wird. Ich begrüße
es daher, dass es zu dem Angebot kommt, zusätzliche
Fachkräfte mit ihren Stellen aus dem Bundesverteidigungsministerium in das UBA umzusetzen.
Eine weitere Unsitte der letzten Jahre war der Ersatz
von Beschäftigungen auf Dauerstellen durch befristete
Beschäftigungsverhältnisse. Auch hier wieder das UBA
als Beispiel: Von den 1 549 dort beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben 423 nur einen Zeitvertrag. Abgesehen davon, dass ein solcher Zeitvertrag für
die Lebensplanung junger Menschen nicht förderlich ist
und wir schon aus diesem Grund etwas machen sollten,
muss ich sagen, dass die Befristungsgründe, die teilweise in den Arbeitsverträgen stehen, in arbeitsrechtlicher Hinsicht eine ganz wacklige Angelegenheit sind.
({6})
Die Befristungen, insbesondere die Kettenbefristungen
bei gleichbleibenden Arbeitsaufgaben, wirken sich negativ aus. Letztendlich kommen uns die befristeten Stellen
teurer, als wenn wir dort Dauerstellen einrichten würden.
Im Rahmen unserer Haushaltsberatungen sollten wir zumindest erste Schritte unternehmen, um der Befristungsunsitte zu begegnen.
({7})
Ein wichtiges Anliegen unserer Umweltarbeitsgruppe
nach dem Auslaufen der Bonus-Malus-Regelung bei der
Durchsetzung des Dieselrußpartikelfilters im Straßenverkehr ist die Wiedereinführung der Förderung der Filternachrüstung. Wir haben in den letzten Wochen schon
intensive und vernünftige Gespräche darüber geführt.
Ich glaube, dass wir hier im Rahmen des Haushaltes
durchaus etwas auf den Weg bringen können, das unseren Interessen als Umweltschützer gerecht wird. Wir
wissen, dass Sie, Herr Bundesminister, uns bei diesen
Gesprächen unterstützen. Wir freuen uns auf die weiteren Gespräche und hoffen auf guten Erfolg.
Danke schön.
({8})
Die Kollegin Dr. Bärbel Kofler hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich finde es spannend, dass Sie am
Anfang dieser Debatte Umfragen über die Einschätzung
der Bevölkerung zum Thema erneuerbare Energien zitiert haben. Wir freuen uns alle, dass die Bevölkerung
den erneuerbaren Energien einen hohen Stellenwert beimisst. Aber ich hätte gerade von einem Minister erwartet, dass sich dieser Stellenwert in Ihrem Haushaltsplan,
dem Einzelplan 16, wiederfindet. Genau das tut er nicht.
({0})
Es ist viel über andere Einzelpläne und den Fonds gesprochen worden. Dazu werde ich auch noch einiges sagen. Aber man muss feststellen: Im Einzelplan 16 sinken
die Mittel für den Bereich erneuerbarer Energien um
15 Millionen Euro. Das ist eine Tatsache. Das spiegelt
nicht den Wunsch der Bevölkerung wider, den Sie gerade selber angesprochen haben.
({1})
Sie versuchen, mit dem von Ihnen oft ins Spiel gebrachten Energie- und Klimafonds die epochale Energiewende, wie Sie sie im letzten Jahr bezeichnet haben,
voranzubringen. Hier werden hohe Ansprüche formuliert, aber sie sind nicht mit einer soliden Finanzierung
unterlegt; denn wie es auf der Einnahmeseite aussieht,
ist mehr als fraglich. Der Bundesrat stellt fest, dass die
zu erwartenden Versteigerungserlöse voraussichtlich
nicht ausreichen werden, um den Mehrbedarf im Energie- und Klimabereich zu finanzieren. Man kann argumentieren: Na ja, das sagt der Bundesrat. Deshalb
möchte ich einen Verband zitieren, dessen Hauptgeschäftsführerin der Union gut bekannt ist. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft mit Frau
Hildegard Müller an seiner Spitze führt zu diesem Fonds
aus:
Wenn die Bundesregierung beabsichtigt,
- speziell auf die CO2-Gebäudesanierung abzielend die CO2-Gebäudesanierung ab 2012 in Höhe von
1,5 Mrd. Euro p. a. ausschließlich aus dem Energieund Klimafonds zu finanzieren, dann ist dies ausdrücklich abzulehnen.
Jetzt kommt es:
Eine Konsolidierung des Bundeshaushalts zulasten
des Energie- und Klimafonds verringert das Potenzial des Fonds zur Erfüllung seines eigentlichen
Zwecks weiter!
Das kommt nicht aus dem Willy-Brandt-Haus; das
kommt von einem Verband, dessen Hauptgeschäftsführerin gerade Unionskreisen sehr nahe steht.
Wenn man die tolle Finanzierung der CO2-Gebäudesanierung genau analysiert, die Sie im letzten Jahr in den
Mittelpunkt gestellt haben, dann fragt man sich, was
2011 passiert ist. Vor über zwei Jahren hatten wir ein
CO2-Gebäudesanierungsprogramm mit einer Größenordnung von 2,2 Milliarden Euro.
({2})
Das ist auf 1,5 Milliarden Euro abgesenkt worden.
({3})
Dann kam das Jahr 2011. Sie wollten die Mittel zuerst
auf gut 400 Millionen Euro kürzen. Dann kam der Aufschrei von der Bevölkerung, vom betroffenen Handwerk, von Investoren, von allen, die auf diesem Gebiet
tätig sind, weil erkannt wurde: Das ist ökologischer und
ökonomischer Blödsinn. Was ist passiert? Nun kommt
der Haushaltstrick. Man hat 500 Millionen Euro aus dem
Fonds genommen und gesagt: Es ist ja doch fast 1 Milliarde Euro, die uns für die CO2-Gebäudesanierung zur
Verfügung steht. Was ist in diesem Jahr mit den 500 Millionen Euro passiert? Nicht ein einziger Euro ist dafür
eingesetzt worden. Das ist die Wahrheit.
({4})
So kann man mit diesem Thema, das für die Energiewende
von großer Bedeutung sein wird, nicht umgehen. Die
Frage ist: Wie können wir den gesamten Wärmesektor so
finanzieren, dass wir tatsächlich zu Effizienzgewinnen
bei der Wärmeversorgung gelangen und damit zu Einsparungen, die der Bevölkerung zugutekommen?
Vonseiten der Regierungsfraktionen wurden die
1,5 Milliarden Euro, die für das Jahr 2012 vorgesehen
sind, angesprochen. Werfen wir einen Blick in den Wirtschaftsplan. Im Förderprogramm 2012 sind 5 Millionen
Euro vorgesehen. Im Förderprogramm 2011 waren es
60 Millionen Euro. So bringt man die energetische Gebäudesanierung nicht voran.
({5})
Das, was Sie im Rahmen des Einzelplans 16 machen,
bereitet uns wirklich große Sorgen. Schauen wir uns an,
was bei den Marktanreizprogrammen, bei den
MAP-Mitteln, passiert. Auch diese Mittel wurden in den
letzten Jahren kontinuierlich gekürzt. Das gilt auch für
diesen Haushalt, obwohl Sie sich rühmen, den Bereich
der erneuerbaren Energien zu fördern und voranzubringen. Die MAP-Mittel im Einzelplan 16 werden gekürzt.
Durch den Fonds kommen dann 100 Millionen Euro
wieder hinzu.
({6})
Passiert dadurch wirklich etwas, oder schieben wir nur
wieder eine virtuelle Bugwelle in Form von Haushaltsmitteln, die nur auf dem Papier bestehen, vor uns her, die
nicht zur Problemlösung beiträgt, weil die Mittel nicht
bei den Leuten ankommen und somit nichts Reelles im
Land produziert wird?
({7})
Ich denke, dass den Marktanreizprogrammen eine
wesentlich größere Bedeutung beigemessen werden
muss, weil sie neben dem anerkannten ökologischen
Nutzen auch große Potenziale zur Hebung von Steueraufkommen beinhalten, worüber hier viel gesprochen
wurde. Das wird deutlich, wenn Sie sich vor Augen führen, dass durch 1 Euro Fördermittel 8 Euro Umsatz generiert werden - diese Zahl ist nicht von mir, sondern
vom Ifo-Institut -, was wiederum Einnahmemöglichkeiten für den Staatshaushalt mit sich bringt, durch Steuern
und Sozialversicherungsabgaben. Ich erinnere an die Arbeitsplätze, die dadurch im Handwerk geschaffen werden können. Wenn man sich das genau anschaut, wird
klar, dass diese Programme aus ökologischen, aber auch
aus ökonomischen Gründen vorangetrieben werden
müssen. Genau hier passiert aber nichts.
({8})
Wenn so getan wird, als würde gerade beim Klimaschutz etwas getan, kann einem wirklich schlecht werden. Im Einzelplan 16 sind für den Klimaschutz
120 Millionen Euro vorgesehen. Entsprechende Mittelansätze waren übrigens auch in früheren Haushaltsentwürfen vorhanden, zum Beispiel 2008 und 2009.
Diese Mittel werden im Grünbuch frech - ich möchte
das wirklich „frech“ nennen - als Fast-Start-Mittel bezeichnet. Auf der Klimakonferenz im Jahr 2009 in
Kopenhagen wurden Fast-Start-Mittel in Höhe von
1,26 Milliarden Euro zugesagt. Diese Mittel, die zum
Teil schon vorher im Haushalt eingestellt waren, also gar
keine Fast-Start-Mittel sein können, werden nun frech
als solche bezeichnet, umetikettiert und als Mittel für
den internationalen Klimaschutz ausgewiesen.
({9})
Ich denke, die Zahlen von Oxfam sind deutlich: 88 Prozent der in diesen Bereich geflossenen Mittel wurden auf
anderen Konferenzen längst zugesagt und lediglich umetikettiert. Bestes Beispiel ist die UN-Artenschutzkonferenz von 2008. Die dort zugesagten Mittel für den Waldschutz wurden auf der Konferenz in Kopenhagen noch
einmal verkauft.
({10})
Schauen wir uns an, was in dem Fonds enthalten ist.
Der Einzelplan wies 70 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz in einem Extratitel aus. Dieser Titel wurde gestrichen. Was enthält der Fonds jetzt?
42,5 Millionen Euro, die auf BMU und BMZ verteilt
wurden: BMU 45 Prozent und BMZ 55 Prozent. Das ist
ein toller Beitrag zum internationalen Klimaschutz, den
Sie mit diesem Haushalt leisten. Die internationalen Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, werden dadurch
in keiner Weise erfüllt. Diesen Verpflichtungen werden
wir so nicht gerecht.
({11})
Frau Kollegin, Sie sind am Ende Ihrer Rede?
Ich denke, der Haushaltsentwurf und ein Blick auf die
Einzelpläne machen deutlich - und dabei ist es egal, ob
es um den Bereich Umwelt oder Verkehr oder die eierlegende Wollmilchsau, also den Energie- und Klimafonds,
geht -, dass man weder die Energiewende finanziert
noch den Herausforderungen des Klimawandels ordentlich begegnet.
Frau Kollegin!
Es tut mir leid, aber dieser Haushaltsentwurf ist ein
weiterer Beleg dafür, dass Sie es nicht können.
({0})
Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat in dieser Umweltdebatte das schlechteste
Bild seit langem abgeliefert. Das, was von der Opposition hier vorgetragen wurde, war entweder ein Blick zurück auf Dinge, die längst Geschichte sind, oder man
jammerte darüber, dass man nicht genug Geld ausgibt.
Natürlich gibt es Risiken, auch hinsichtlich der Preise
für die CO2-Zertifikate, weil davon das Volumen des
Energie- und Klimafonds abhängig ist. Aber was ist Ihrer Ansicht nach bitte die Alternative? Lautet Ihre Alternative mehr Geld für den Bundeshaushalt? Dann müssen
Sie das sagen. Sie müssen mir dann erklären, warum sich
Herr Kuhn heute Morgen hier hinstellt und sagt, es
müsse noch viel mehr gespart werden als das, was von
der Bundesregierung eingespart wird. Die Fachpolitiker
von Rot und Grün im Bereich Umwelt bringen nur Forderungen nach Mehrausgaben, nach weniger Konsolidierung und nach mehr Schulden. Das ist die Politik, die
Sie hier vortragen.
({0})
Das ist nicht das, was Sie in den großen Reden erzählen,
wenn Sie sagen, man müsse die Haushalte konsolidieren.
Die Wahrheit ist, dass das Ihre Politik ist.
({1})
Ihre Politik baut auf mehr Schulden, nicht auf weniger Schulden. Das ist auch kein Wunder; denn es war
Ihre Regierung mit Herrn Trittin als Minister und Herrn
Steinmeier als Kanzleramtsminister, die 2004 dafür gesorgt hat, dass die Maastricht-Kriterien in den Müll geschmissen wurden.
({2})
Mit dieser unsoliden Politik hat die Finanzkrise begonnen.
({3})
Deswegen sollte Frau Kofler mit der Volksverdummung hier nicht weitermachen, wenn sie uns erzählen
möchte: 2009, als die SPD regierte, hatte man 2,2 Milliarden Euro für das Gebäudesanierungsprogramm.
({4})
Mit welchem Taschenspielertrick hat Ihr Minister das
damals gemacht? Die Große Koalition hatte beschlossen, dreimal 1,5 Milliarden Euro für die Gebäudesanierung bereitzustellen, dann sollte Schluss sein. Im Wahljahr 2009 kam dann diese Idee auf: Geben wir doch das
Geld aus den Jahren 2010 und 2011 schon im laufenden
Jahr aus, damit ich Bauminister mich hinstellen und das
Manna unter das Volk streuen kann.
({5})
Das hat er sich so gedacht. Das ist unsolide Politik. Sie
rühmen sich noch dafür und sagen, Sie hätten 2,2 Milliarden Euro ausgegeben. Sie müssten sich für diese
Taschenspielertricks schämen, die Sie in Ihrer Regierungszeit angewendet haben.
({6})
Sie müssen sich noch für etwas anderes schämen.
({7})
Sie können sich nicht hinstellen und von dieser Regierung immer mehr Mittel für die Gebäudesanierung verlangen, Mittel für eine Gebäudesanierung, die notwendig
ist, weil die Bürger Energiekosten in einer Höhe zahlen,
die dazu führt, dass die zweite Miete ein immer wesentlicherer Bestandteil der Wohnkosten wird, und die wichtig ist, weil wir Energie und CO2 einsparen müssen.
Sie stellen sich hin und fordern von uns, hier mehr zu
tun. Diese Koalition beschließt dann: Wir finanzieren
das Gebäudesanierungsprogramm dauerhaft und nicht
nur für drei Jahre, wie es die SPD beschlossen hatte. Wir
machen eine gesicherte Finanzierung mit einem Programmvolumen von 1,5 Milliarden Euro, und wir beschließen eine steuerliche Förderung der Gebäudesanierung.
({8})
Auch Ihre Fachpolitiker haben uns immer gesagt: In
den 90er-Jahren, als der Steuervorteil abgeschafft wurde,
hat sich die Sanierungsquote halbiert. Daraus haben wir
gelernt. Wenn wir die Sanierung von Gebäuden wirklich
wollen, und zwar gerade von Privatleuten und nicht nur
von den großen Wohnungsbaugesellschaften, dann muss
man in diesem Bereich steuerlich fördern. Das hat diese
Regierung, diese Koalition im Bundestag, beschlossen.
Es waren Sie, die Roten und die Grünen im Bundesrat,
die das verhindert haben.
Der grüne Umweltminister in Nordrhein-Westfalen
stellt sich groß hin und sagt: Ich mache ein Klimaschutzgesetz, das ist alles ganz toll. Sobald die nordrhein-westfälische Landesregierung aber auch nur ein paar müde
Euro an Steuerausfällen befürchtet, wird die steuerliche
Förderung der Gebäudesanierung im Bundesrat abgelehnt.
({9})
Das zeigt: Klimaschutz ist Ihnen im Wesentlichen nichts
wert. Sie gestalten nur Ordnungsrecht. Sie sind nicht bereit, auch nur einen müden Euro aus dem eigenen Landesetat auszugeben. Sie wollen immer nur Geld vom Bund.
Die Länder, die rot und grün regiert sind, wollen keinen
Beitrag leisten.
({10})
Der Umweltminister hat es deutlich gemacht: Nachdem wir erfolgreich ein neues Erneuerbare-EnergienGesetz durchgesetzt haben, werden wir auch eine Lösung für erneuerbare Wärme finden. Es bestehen riesige
Potenziale für erneuerbare Energien. Ökoheizungen sind
in Deutschland noch nicht am Ende ihres Potenzials. Da
reicht es eben nicht, nur Steuergelder hineinzugeben,
sondern da müssen wir das tun, was im Koalitionsvertrag angelegt ist, nämlich ein haushaltsunabhängiges Instrument schaffen, das die gesicherte und dauerhafte
Finanzierung eines Anreizes möglich macht, so wie es
die FDP vor der Wahl versprochen hat.
Wir werden neben dem Thema Energie auch einige
andere Themen angehen müssen. Ich nenne beispielsweise das Thema umweltfreundliche Förderung von unkonventionellem Erdgas. Hier werden wir Lösungen für
die Frage, wie wir diese Möglichkeit der Versorgungssicherheit mit Grundwasserschutz verbinden, finden
müssen. Der Grundwasserschutz muss hier Priorität haben. Deshalb muss die Umweltverträglichkeitsprüfung
in diesem Bereich ausgeweitet werden.
Wir müssen im Bereich der Partikelfilterförderung
- das hat Kollege Petzold gesagt - insbesondere bei den
leichten Nutzfahrzeugen vorankommen. Ich sage für die
FDP aber auch ganz klar: Wer neue Förderprogramme
will, muss eine Gegenfinanzierung liefern. Das ist solide
Haushaltspolitik.
({11})
Herr Kauch.
Dafür stehen wir als FDP-Bundestagsfraktion, aber
auch als Koalition hier im Deutschen Bundestag.
Vielen Dank.
({0})
Eva Bulling-Schröter hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie von der Koalition stellen wiederum eine ganze
Menge Geld zur Verfügung, nicht etwa um Betriebe zu
motivieren, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren, sondern
um den internationalen Kohlenstoffmarkt auszubauen.
Wir haben hier schon öfters über diese Kohlenstoffmärkte gesprochen. Ich kann nur wiederholen: Seitdem
klar wurde, dass europaweit krisenbedingt nicht so viel
produziert wird und 1,4 Milliarden Emissionsberechtigungen überschüssig am Markt sind, sinkt der Preis der
Zertifikate unaufhaltsam, und zwar auf gegenwärtig
mickrige 12 Euro je Tonne CO2. Bei diesem Preis dürften sich aber Klimaschutzinvestitionen für die meisten
Unternehmen kaum lohnen.
Sehen wir von den erneuerbaren Energien ab, treten
Sie bezüglich des technologischen Einstiegs in eine kohlenstoffarme Wirtschaft auf der Stelle. Wir haben nichts
anderes als ein Mitschwimmen der CO2-Emissionen mit
dem jeweiligen Wirtschaftswachstum, aber keinen tatsächlichen Strukturwandel in der Industrie. Fast alle
Anreize für die Energiewende kommen aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem erkämpften Atomausstieg. Der zur Wunderwaffe erklärte Emissionshandel
spielt dagegen momentan kaum noch eine Rolle. Im letzten Jahr sind die CO2-Emissionen wieder gestiegen. Industrie- und Energiewirtschaft Deutschlands haben Zertifikate hinzugekauft, auch aus dem Ausland. Diese sind
im globalen Süden, also vor allem in Entwicklungsländern, besonders billig; denn hier handelt es sich vielfach
um Dumpingzertifikate, deren ökologische Wirksamkeit
nach wie vor infrage steht.
Nach jahrelangem Tauziehen auf UN-Ebene sind die
HFC-23-Billigzertifikate - es handelt sich dabei um Abfallprodukte von Kältemitteln - immer noch nicht vom
Markt. RWE und Co haben sich damit reichlich eingedeckt und können sie noch bis 2012 nutzen. Ich halte das
für einen Skandal.
({0})
Sogar Kohlekraftwerke kann man neuerdings im globalen Süden bauen und sich anschließend dafür Klimaschutzgutschriften für zu Hause ausstellen lassen. Das
halte ich für umweltpolitischen Irrsinn.
({1})
Das Hauptanliegen des Umweltministeriums in dieser
Frage scheint aber laut Haushaltsentwurf zu sein, die bilateralen Rahmenbedingungen für den CDM-Mechanismus mit Konferenzen in Nordafrika, zu denen die deutsche Industrie mitgeschleppt wird, mit Workshops in
China oder Indien und dergleichen mehr zu verbessern.
Ich finde, wenn man CDM schon nicht verbieten kann,
sollten Deutschland und die EU lieber mehr Geld darauf
verwenden, den Umweltnutzen dieser Produkte zu prüfen, als den faulen Mechanismus weiter zu pushen.
({2})
Im Inland besteht die vielleicht größte Herausforderung nach dem Energiesektor in der energetischen Gebäudesanierung, aus unserer Sicht auch deshalb, weil das
eine soziale Zeitbombe ist. Nach und nach werden nun
neue und in der Zukunft verschärfte Wärmeschutzverordnungen von Eigentümern umgesetzt. Das ist erst einmal gut - ganz klar -, auch wenn die Sanierungsraten
noch viel zu niedrig sind; da sind wir uns einig. Wie das
alles finanziert werden soll, ist aber nach wie vor weitgehend unklar. Kurzfristig wären 2 Milliarden Euro und
mittelfristig bis zu 5 Milliarden Euro öffentlicher Mittel
pro Jahr notwendig, um die Sanierungen sozial abzufedern. Wir finden jedoch nur rund 840 Millionen Euro im
Bundeshaushalt und im Energie- und Klimafonds; mehr
haben wir nicht gefunden. Das ist natürlich eindeutig zu
wenig; hier schließe ich mich Ihnen an. Ich sage Ihnen:
Sie sind verantwortlich, wenn die Mieten nach den Sanierungen rasant ansteigen, und das werden sie. Gerade
für viele Bezieher unterer Einkommen und langjährige
Mieter wird dies quasi Entmietung bedeuten. Dagegen
müssen wir uns wehren. Die Leute müssen sich das noch
leisten können.
({3})
Statt für die Armen ist aber Geld für die energieintensive Industrie da. Die größeren Unternehmen verdienen
bereits aufgrund der Ermäßigungsregelungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Millionenhöhe. Schließlich
bringt ihnen die Preissenkung an der Strombörse infolge
nicht mehr benötigter teurer fossiler Kraftwerke mehr,
als sie an EEG-Umlage zu zahlen haben. Künftig sollen
sie noch 500 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds erhalten. Zudem sind sie fast vollständig von
der Ökosteuer befreit und müssen auch kaum CO2-Zertifikate ersteigern. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition: Das ist Lobbypolitik auf Kosten
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und der Stromkunden.
Wir brauchen das Geld natürlich auch für etwas anderes: um Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen im
globalen Süden vernünftig zu finanzieren.
Frau Kollegin.
Es gibt internationale Verpflichtungen, die wir bedienen müssen. Diese Mittel dürfen nicht auf das 0,7-Prozent-Millenniumsziel angerechnet werden.
Frau Kollegin.
Ich sage Ihnen: Sie machen eine Haushaltspolitik mit
doppeltem Boden. Wir werden diesem Haushalt so nicht
zustimmen.
({0})
Undine Kurth hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister! Liebe Gäste auf den Rängen! Vorhin hat
der Kollege Franke in der Debatte gesagt, es gehe um
Politik, nicht um Zahlen. Dazu kann ich nur sagen: Irrtum! Zahlen sind Politik. Hier legen wir die großen Linien fest: Was ist grundsätzlich wichtig? Wofür wollen
wir Geld ausgeben? Wofür wollen wir kein Geld ausgeben? Herr Minister, wir Grünen meinen, hier gibt es
nicht nur erfreuliche Zahlen. Das möchte ich an zwei
Beispielen aus dem Bereich Naturschutz belegen. Wir
sind nämlich der Meinung, dass der Naturschutz in einer
Debatte über den Haushalt des Umweltministeriums
nicht nur beiläufig vorkommen sollte.
({0})
Punkt eins: Energiewende. Dieses Thema ist heute
schon oft angesprochen worden. Gut, dass sie getragen
wird. Gut, dass auch bei Ihnen angekommen ist, dass die
Atombrücke in die Zukunft nicht trägt und dass Sie sagen: Wir müssen die Energiewende jetzt einleiten. - Damit sind wir sehr einverstanden. Wir hätten es gerne früher gehabt, aber okay.
Wer das will, der muss sich eingestehen, dass auch
Konflikte zu bewältigen sind, nämlich Interessenkonflikte. Ich nenne nur die Beispiele Umnutzung von Wäldern und Monokulturen beim Anbau von Energiepflanzen; der Begriff der Vermaisung der Landschaft ist Ihnen
allen sicher bekannt. Wir wissen, dass auch die Windenergienutzung, offshore wie onshore, durchaus Probleme
mit sich bringt. Wir wollen unbedingt den beschleunigten
Ausbau von Energietrassen. Richtig! Aber um diese Konflikte bewältigen und wirklich gute Lösungen anbieten zu
können, braucht es zwei Dinge: Wir brauchen eine inhaltliche Grundlage für die Entscheidungen, und wir brauchen eine Verfahrensbeschleunigung. Wir wollen die
Energiewende doch, wie ich denke, im gewünschten
Tempo durchführen. Wenn wir das schaffen wollen, dann
brauchen wir noch etwas: Verwaltungspersonal.
Herr Kauch - Sie reden gerade mit dem Minister -,
Sie betonen immer: Beschleunigung geht nur mit mehr
Personal, sonst kommt man bei Verwaltungsverfahren
nicht voran. Weil wir ahnen, dass da vielleicht ein Problem liegen könnte, und weil wir wissen wollten, wie die
Situation wirklich aussieht, haben wir eine Kleine Anfrage an das Umweltministerium gestellt unter der Überschrift: Personelle Situation im Bereich Naturschutz im
BMU.
Sie erlauben, dass ich zitiere. Die Antwort der Bundesregierung hat eine interessante Vorbemerkung:
Die Bundesregierung misst der Aufgabe, den Ausbau der erneuerbaren Energien möglichst naturverträglich zu gestalten, die öffentliche Akzeptanz für
die Energiewende zu fördern und die Anliegen des
Klima- und Naturschutzes zu harmonisieren, einen
hohen Stellenwert zu. Dementsprechend müssen
zur Erfüllung dieser Aufgabe fachlich-personelle
Voraussetzungen im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit … und im
Bundesamt für Naturschutz … gegeben sein.
Sehr gut! Das Problem wurde offensichtlich erkannt.
Weiter unten heißt es:
Aufgrund der bereits … erbrachten Stellenkürzungen und eines gleichzeitig wachsenden Aufgabenbestandes sind die personellen Ressourcen sowohl
im BMU als auch im BfN äußerst knapp.
Offensichtlich ist auch das eine realistische Einschätzung. Daher ist es verblüffend, dass auf der nächsten
Seite steht, dass ab 2011 zwölf Stellen abzubauen sind.
({1})
Wenn man im BfN richtig nachfragt, dann erfährt
man, dass im Zeitraum 2011 und 2012 16 Stellen einen
kw-Vermerk haben, was keine Nachbesetzung beim
Ausscheiden eines Mitarbeiters bedeutet. In der Zeit von
2010 bis 2014 tragen gar 30 Stellen einen kw-Vermerk.
Da kann es wohl wirklich nicht als Durchbruch angesehen werden, wenn im BfN 3 Stellen im höheren Dienst
geschaffen werden, um alle Aufgaben, die mit OffshoreAnlagen zu tun haben, zu erfüllen. Wenn man dann noch
weiß, dass momentan 70 Anträge bearbeitet werden
müssen, dann kann ich nur sagen: Herr Schäuble hat
heute früh ganz offensichtlich einen Irrtum begangen,
als er sagte, mit diesem Haushalt seien die Voraussetzungen geschaffen, die energiepolitischen Entscheidungen
vom Juni umzusetzen. - Nichts da! Mit diesen Entscheidungen werden wir sie nicht umsetzen, es sei denn, wir
opfern den Naturschutz.
({2})
Punkt zwei: Biodiversitätsschutz. Auch hier gilt: Wir
haben eine Menge internationaler Verpflichtungen. Wir
wissen, was zu leisten ist. 2010 ist das Ziel verfehlt worden. Wir haben einen strategischen Plan bis 2020, aber
leider kein Personal, um diese Aufgaben umzusetzen. Da
nützt es überhaupt nichts, dass es ein Bundesprogramm
„Biologische Vielfalt“, ausgestattet mit 15 Millionen
Euro, gibt, wenn niemand da ist, der die Aufgaben erledigen kann. Sie heißen Biotopverbund, Schutzgebietsmanagement, Gewässerschutz und Meeresschutz. All
diese Dinge müssen personell begleitet werden.
Wenn man dann sieht, was in diesem Haushalt entschieden wird, dann kann man daraus nur zwei Schlüsse
ziehen: Entweder hat man keine Ahnung davon, was gemacht werden muss, oder man nimmt das Ziel nicht
ernst. Es gibt nur diese beiden Varianten.
({3})
Deshalb sagen wir: Der Anteil des Haushaltes des
Umweltministeriums beträgt - das haben wir gehört genau 0,5 Prozent vom Gesamthaushalt der Bundesrepublik. Das ist nicht gerade überbordend. Von diesen
0,5 Prozent stehen nur 5,7 Prozent für den Naturschutz
Undine Kurth ({4})
zur Verfügung, also 50 Millionen Euro. Auch da muss
man sagen: Das ist nicht gerade eine gewaltige Summe.
Wenn man es ernst meint, dass Naturschutz für uns existenziell ist und dass wir für den Naturschutz mehr tun
müssen, dann müssen Sie selber in diesem Haushalt etwas ändern. Wenn Sie es nicht tun werden, werden wir
auf jeden Fall dafür sorgen und entsprechende Anträge
stellen.
Es geht nicht darum, Manna vom Himmel fallen zu
lassen
Frau Kollegin.
- sondern es geht darum, Aufgaben zu erfüllen, die
wir alle als wichtig ansehen. Deshalb glauben wir: Das
hier ist nicht das Thema für das Wort zum Sonntag, zu
dem Sie manchmal neigen, Herr Röttgen,
({0})
sondern es geht um unsere Lebensgrundlagen.
({1})
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir
alle haben erlebt, dass die Umweltpolitik von der Energiepolitik dominiert wird. Das war Kern vieler Reden.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Feststellung von Bundesumweltminister Röttgen, dass wir in diesem Jahr bei
den erneuerbaren Energien die 20-Prozent-Marke überschritten haben, mit einem gemeinschaftlichen Applaus
bedacht wird und dass sich alle darüber freuen.
({0})
Stattdessen kamen hier reflexartig Unkenrufe: Wir
könnten sehr viel weiter sein.
({1})
Liebe Freunde von den Grünen, Ihr damaliger Umweltminister Trittin hat im Jahr 2002 für das Jahr 2010
12,5 Prozent vorhergesagt.
({2})
Das ist deutlich weniger als das, was wir erreicht haben.
Mir geht es auch gar nicht um die Frage, wer denn verantwortlich ist oder wer das bewegt hat,
({3})
sondern darum, einfach einmal festzustellen, dass wir an
dieser Stelle erfreulich weit gekommen sind.
({4})
Dass das aber nicht durch das Wenn und Aber mit
Vermaisung und anderen Themen sowie den entsprechenden Einschränkungen geht, wie es Frau Kurth gerade wieder angeführt hat, muss uns allen doch auch klar
sein.
Nun dürfen Sie mir abnehmen, dass ich nicht zu den
Feinden erneuerbarer Energien gehöre, sondern eher zu
denen, die dieses Thema immer wieder deutlich unterstützen.
({5})
Ich muss aber auch immer wieder ein bisschen Wasser in diesen Wein gießen. Momentan sind wir bei Differenzkosten von 3,5 Cent. Und wir alle wissen, dass wir
die Förderung erneuerbarer Energien eben nicht über unseren Staatshaushalt finanzieren, sondern über das Umlagesystem dafür Sorge getragen haben, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die Zeche für diese
ganze Geschichte zahlen. Gerade deshalb haben wir eine
Verantwortung, hier sehr wohl aufzupassen, dass dieses
Thema nicht zu teuer wird.
({6})
Man kann doch das eine tun, ohne das andere zu lassen. Man kann doch die erneuerbaren Energien voranbringen, wie es diese Bundesregierung tut, und gleichzeitig aufpassen, dass es nicht zu teuer wird.
Sie sind an dieser Stelle so empfindlich, weil Sie genau wissen, dass Sie bei der Solarförderung zu früh angefangen haben. Sie haben nämlich versucht, das Thema
schon in den Markt zu bringen, als es noch ein Thema
von Forschung und Entwicklung war. Es ist der Sockel,
den wir seitdem vor uns herschieben, der das Thema Solar immer wieder in die Schlagzeilen und immer wieder
in Verruf bringt.
({7})
Jetzt haben wir die Problematik, dass wir alles dafür
tun müssen, damit dieses Thema nicht an der falschen
Stelle abgebrochen wird, weil es zu teuer wird, zum Beispiel durch einen festen Deckel.
({8})
Wir sorgen weiter dafür, dass es sich im entscheidenden
Moment weiterentwickeln kann.
({9})
Das wissen Sie. Darum schreien Sie so laut. Sie wissen
sehr präzise, dass wir hier ein hohes Maß an Altlasten
mitschleppen.
Sie haben auch mitbekommen, dass der Ausbau in
diesem Jahr wieder so hoch sein wird, dass die automatische Degression heftig zuschlägt. Davon müssen wir
ausgehen. Darauf muss man aus meiner Sicht alle, die an
diesem Thema beteiligt sind, vorbereiten.
Nach unserer festen Überzeugung muss sichergestellt
werden, und zwar zeitnah, dass der Strom, der auf dem
Dach produziert wird, erst einmal von dem Betreffenden
ohne Subventionen selber genutzt und dass erst dann
Strom eingespeist wird - und nicht umgekehrt, so wie es
momentan immer noch läuft, dass man den teuren Solarstrom einspeist und dann den billigen Strom vom Kraftwerk kauft.
({10})
Das kann nicht die Lösung sein. Dorthin müssen wir
möglichst schnell kommen.
({11})
Das ist ein Interesse, das wir gemeinsam verfolgen sollten.
({12})
Sie wissen auch sehr genau, dass wir in einem hohen
Ausmaß das Thema „Speicherung und Netze“ voranbringen müssen, und zwar möglichst schnell.
Frau Kollegin Kurth hat gerade von Verfahrensbeschleunigung, Personalbedarf und ähnlichen Dingen gesprochen. Als Erstes brauchen wir an dieser Stelle einmal ein bisschen mehr Ehrlichkeit von Ihrer Seite und
ein bisschen mehr Unterstützung für das Thema. Sie dürfen nicht theoretisch von 100 Prozent Erneuerbaren sprechen, wenn Sie sich praktisch an jeder Bürgerinitiative
gegen ein Pumpspeicherkraftwerk oder was auch immer
beteiligen. - Jetzt sagen Sie, das sei selbstverständlich.
Ich persönlich halte es auch für selbstverständlich, dass
es so ist.
({13})
Die Realität sieht aber anders aus.
Schauen wir uns nur einmal das Pumpspeicherkraftwerk Atdorf im Südschwarzwald an. Der Baubeginn ist
für das Jahr 2014 geplant. 2018 soll das größte geplante
Pumpspeicherkraftwerk in der Bundesrepublik dann fertig sein.
({14})
Dazu sagt jemand:
Dieses Projekt zerstört die Landschaft, belästigt die
Bürger während der langen Bauphase mit Lärm und
Dreck, und es gefährdet den Tourismus und die Kliniken vor Ort.
Wer hat das gesagt? Eine gewisse Ruth Cremer-Ricken,
Vorsitzende des Grünen-Kreisverbands Waldshut, die
übrigens 2009 Bundestagskandidatin für die Grünen
war.
Das ist Ihr Problem und Ihre Politik: in der Theorie
dafür, in der Praxis vor Ort dagegen. Ich bitte Sie dringend, damit aufzuhören.
({15})
Ich darf noch jemand anderen zitieren, der auch in der
grünen Partei ist. Winfried Kretschmann hat in einem Interview gesagt:
Wir sind prinzipiell für Pumpspeicherkraftwerke.
Aber in einem dichtbesiedelten Industrieland, wie
es Baden-Württemberg nun einmal ist, müssen wir
davon ausgehen, dass solche Infrastrukturprojekte
generell auf örtlichen Widerstand treffen, weil sie
in die lokale Umwelt eingreifen. Deshalb ist Widerstand vor Ort erst mal ganz normal.
Ja, was denn nun? Ich erwarte, wie Sie vermutlich auch,
von einem Ministerpräsidenten, der für erneuerbare
Energien und Energiewende steht,
({16})
dass er klipp und klar Position bezieht und sagt: Das
muss sein. Das wollen wir umsetzen. Das müssen wir
voranbringen.
Davon ist leider Gottes nichts zu merken.
({17})
Aber zu Ihrer Beruhigung: Sie stehen, was das Thema
Scheinheiligkeit angeht, nicht an der Spitze.
({18})
Der WWF und der BUND haben sich 2010 ihre Klagen
gegen die Ostsee-Gaspipeline für 10 Millionen Euro abkaufen lassen. Wenn man einem Bericht des NDR glauben darf, haben sie ihre Klagen für 10 Millionen Euro
zurückgezogen. Das ist hoch spannend.
({19})
- Ich weiß, dass Ihnen das peinlich ist und es Ihnen lieber wäre, wenn ich nur über den Haushalt reden würde.
Aber es geht auch darum - deswegen führe ich das an -,
dass wir, wie Sie vorhin gesagt haben, zu wenig Personal
hätten und mehr Geld ausgeben müssten; dann wären
alle unsere Probleme in diesem Bereich gelöst, und wir
kämen schneller voran.
({20})
Nein, geben Sie erst einmal den politischen Widerstand vor Ort auf! Dann kommen wir ein ganzes Stück
schneller voran, wenn Sie die Projekte positiv begleiten.
Das ist ein frommer Wunsch von mir an Sie. Ich weiß,
dass Sie ihn nicht erfüllen werden.
Vielen Dank.
({21})
Ulrich Kelber hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die deutschen Medien wie Süddeutsche Zeitung, Stern, Spiegel, Die Welt und die Frankfurter Allgemeine Zeitung sind sich in diesem Sommer in ihrer Einschätzung der schwarz-gelben Bundesregierung
ziemlich einig: „Aufhören!“, „Die können es nicht“ und
„schlechteste Regierung seit Gründung der Bundesrepublik“.
({0})
Das sind keine Werturteile der Opposition, sondern der
führenden Medien der Bundesrepublik.
Weil ich gerade das Grinsen in den Reihen der CDU/
CSU sehe: Sie meinen damit nicht nur die FDP und die
FDP-Minister. Sie meinen auch Minister wie Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Er orientiert sich auch zunehmend an der FDP. Zumindest in seinem Umgang mit
Irrungen und Wirrungen erinnert er mich zunehmend an
Außenminister Guido Westerwelle und dessen Umgang
mit der Libyen-Politik.
({1})
Rechthaberei statt Linie, grün reden statt grün handeln: Das kennzeichnet die Politik im Umweltministerium. Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen.
Wir haben in dieser Debatte einen Umweltminister erlebt, der der Opposition den Vorwurf gemacht hat, sie
hätte sich nicht an der Suche nach einem atomaren Endlager beteiligt oder dieses nicht haben wollen, und er sei
jetzt derjenige, der sich darum kümmert. Kurze Faktenüberprüfung: Dieser Bundesumweltminister war in den
Jahren 2005 bis 2009 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Diesem Koalitionspartner hat die SPD in den Jahren 2006,
2008 und 2009 den Vorschlag eines Endlagersuchgesetzes für eine bundesweite ergebnisoffene Suche unter
Einschluss von Gorleben vorgelegt: abgelehnt durch den
Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Norbert
Röttgen. Das ist das Faktum in dieser Frage.
({2})
Die Unterlagen sind noch vorhanden, Herr Kollege
Röttgen. Wir können sie gerne vorlegen, wenn Sie sich
nicht mehr daran erinnern.
Sie haben im Oktober 2010 von dieser Stelle aus die
Laufzeitverlängerung bis 2040 als Revolution verkauft,
nicht etwa in einer nüchternen Rede, sondern wie üblich
mit Pathos und weit ausholenden Armbewegungen. Im
März 2011 wollte er uns dann weismachen, dass er
schon damals gegen seinen eigenen Vorschlag gewesen
ist, und im Juni 2011 hat er auch von diesem Pult aus mit
einem Fingerzeig zur Opposition gesagt, dort säßen die
Parteien, die sich nicht um den Einstieg in die erneuerbaren Energien gekümmert hätten.
Kurzer Faktencheck: Bei der Abstimmung über das
Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 ist im Protokoll die Gegenstimme von Dr. Norbert Röttgen vermerkt. Bei der Abstimmung über die erste Novelle 2004
steht im Protokoll: Gegenstimme von Dr. Norbert
Röttgen. Das heißt, Sie haben gegen die Gesetze, mit denen die erneuerbaren Energien eingeführt worden sind
und die den 20-Prozent-Anteil im ersten Halbjahr 2011
ermöglicht haben, gestimmt, aber es sollen wieder andere schuld gewesen sein. Sie waren angeblich nicht darunter. Es muss ein anderer Dr. Norbert Röttgen gewesen
sein, der so abgestimmt hat.
({3})
Wie die gesamte Bundesregierung lebt auch dieser
Umweltminister von der Substanz der Vorgängerregierungen. Er sonnt sich im Glanz der Erfolge der Vorgängerregierungen - die CDU/CSU hat immerhin zu einer
der Vorgängerregierungen gehört -, trägt aber selbst
nichts zur Zukunftssicherung bei. Er lobt sich dafür, dass
die erneuerbaren Energien einen Anteil von 20 Prozent
ausmachen. Wann sind denn die Anlagen, die im ersten
Halbjahr 2011 über 20 Prozent Anteil an der Stromerzeugung haben, geplant und gebaut worden: im ersten
Halbjahr 2011? Reicht das nicht in die Zeit der Vorgängerregierungen zurück, die noch ein klares Förderkonzept und ein klares energiepolitisches Konzept hatten?
({4})
Was tut denn dieser Umweltminister? Der Kollege
Nüßlein hat einem der Vorgänger vorgeworfen, er habe
nur einen Anteil der erneuerbaren Energien von
12,5 Prozent für 2010 angestrebt. Ich kenne noch eine
Vorgängerin, nämlich Angela Merkel, die für 2010 einen
Anteil von lediglich 10 Prozent haben wollte. Das können Sie in einem Buch von ihr aus dem Jahre 1997 nachlesen.
Wie geht denn der Umweltminister mit der neuen
Marktsituation und der größeren Konkurrenz aus anderen Ländern um? In den letzten zwei Jahren, als wir den
Ausbau der erneuerbaren Energien hätten beschleunigen
müssen, hatten wir ein Hin und Her an energiepolitischen Beschlüssen, was dazu geführt hat, dass niemand
mehr in Deutschland investiert hat, weder in konventionelle Kraftwerke noch in Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien. Das zeigt, dass Sie von der Substanz
leben, aber selbst nichts zum Ausbau der erneuerbaren
Energien beitragen.
({5})
Ich komme zum Klimaschutz. Eine Zahl, die gerade
gefallen ist, will ich wiederholen. 88 Prozent der Mittel,
die der Bundesminister für neue Zusagen im internationalen Klimaschutz und die Hilfe für die Ärmsten der Armen vorgesehen haben will, sind umetikettiert worden.
Deutschland wird allmählich weltbekannt dafür, dass es
seine Versprechen im Bereich des internationalen Klimaschutzes und in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit reihenweise bricht. Sie, Herr Dr. Röttgen, sind
dabei.
({6})
Ein weiteres Thema ist die Energieeffizienz. Sie wollen sich beim geplanten Energieeffizienzgesetz nur am
Durchschnitt der Europäischen Union orientieren. Es soll
nur das, was die Europäische Union vorschreibt, eins zu
eins umgesetzt werden. Auf eine Anfrage der SPD haben
Sie geantwortet, Sie wollten kein Klimaschutzgesetz mit
verbindlichen Klimaschutzzielen vorlegen. Ich halte das
für ein Armutszeugnis. Stattdessen erzählen Sie uns, dass
der Ansatz für die Gebäudesanierung um fast 50 Prozent
gesteigert wurde. Sich mit sich selbst zu vergleichen, ist
einfach, aber zu sagen, dass Sie vorher den Ansatz der
Vorgängerregierung um 70 Prozent gekürzt haben, hätte
zur Ehrlichkeit gehört.
({7})
Noch nie hat es so wenig Initiativen aus einem Bundesumweltministerium gegeben wie jetzt, nicht unter
Wallmann, nicht unter Töpfer, nicht unter Merkel, nicht
unter Trittin und nicht unter Gabriel. Das hängt auch damit zusammen, dass in diesem Haus eine Atmosphäre
und eine Kultur des Misstrauens gepflegt wird. Sachverstand in den Abteilungen wird nicht abgefragt. Eine
kleine Gruppe entwirft, und die Entwürfe, die aus dem
Stab kommen, werden noch nicht einmal mit den Fachleuten abgesprochen. Teilweise erfahren die Fachleute
von den Ergebnissen erstmals aus den Medien. Deswegen ein kleiner Aufruf vonseiten der Opposition, Herr
Minister: Verbringen Sie etwas weniger Zeit in der Presseabteilung, etwas weniger Zeit bei den Redeschreibern,
dafür etwas mehr Zeit in Ihren Fachabteilungen! Dann
klappt es auch mit der Umweltpolitik.
({8})
Der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte hat jetzt das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kelber, ich wollte eigentlich etwas zum Haushalt sagen. Aber Ihr Kollege Miersch hat
vorhin sprachliche Anleihen beim Eiskunstlauf gemacht
und meinte, er könne damit den Bundesminister anrühren. Das, was ich mir gerade angehört habe, nenne ich
einmal - ich weiß nicht, wie man das bei Ihnen bezeichnen würde - den „rückwärts eingesprungenen verkorksten Kelber“.
({0})
Das war doch keine Haushaltsrede! Was soll das?
({1})
Ich möchte kurz etwas zum Haushalt sagen. Das Gesamtvolumen des Umwelthaushalts für 2012 beträgt
rund 1,6 Milliarden Euro. Meine Kollegen Stephan
Thomae und Ulrich Petzold haben gerade die Strukturveränderungen dargestellt. Wirklich neu ist, dass das
Bundesumweltministerium bei Bedarf auf Mittel des
Energie- und Klimafonds zugreifen kann. Das sollten
Sie begrüßen, wenn Sie für den Umweltschutz etwas erreichen wollen.
({2})
Dieses Sondervermögen ist ein ganz wichtiger Baustein
der Energiewende, die hier im Haus beschlossen worden
ist. Für erhebliche Investitions- und Forschungsmaßnahmen stehen im nächsten Jahr 780 Millionen Euro zusätzlich aus dem Fonds bereit. Davon kann das Umweltministerium 235 Millionen Euro bewirtschaften. Das ist ein
erheblicher Betrag.
Sie haben vorhin gesagt, Sie zweifelten die Zukunft
an. Das kann man ruhig machen; man sollte aber nicht
übersehen, dass die mittelfristige Finanzplanung für
2013 und für die Folgejahre jeweils Mittel von über
3 Milliarden Euro vorsieht. Also kann man feststellen,
dass es hier zu der gewünschten Verstetigung kommt.
Der Umweltminister betont immer wieder: Die Energiefrage ist die zentrale Frage der industriellen, der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes. - Der Zugriff
auf dieses Sondervermögen bedeutet eine Sicherstellung
der Mittel. Zwei meiner Vorredner haben versucht, ein
bisschen Polemik in die Debatte hineinzubringen. So etwas führt eher zu Verunsicherung als zur Sicherung von
Mitteln zur Bewältigung künftiger Aufgaben im Umweltschutzbereich.
({3})
Ich möchte kurz auf Einzelheiten eingehen. 16 Millionen Euro stehen für Forschung und Entwicklung im
Bereich der erneuerbaren Energien zur Verfügung. Zu14440
sätzlich fließen 200 Millionen Euro in die Nationale Klimaschutzinitiative. Das ist viel Geld.
({4})
Zur Nationalen Klimaschutzinitiative zählt unter anderem das Marktanreizprogramm, für das 100 Millionen
Euro mehr bereitgestellt werden.
({5})
Frau Kofler hat vorhin gesagt, dieses Geld komme bei
den Menschen nicht an. Wahr ist: Es kommt bei den
Menschen an. Alle, die sich mit diesem Thema befasst
haben, wissen, dass damit sehr viele kleine Projekte finanziert werden. Das ist ein großer Vorteil.
Die Internationale Klimaschutzinitiative - zurzeit
sind dafür 120 Millionen Euro veranschlagt - wird um
fast 20 Millionen Euro, also deutlich verstärkt.
Ich glaube, all das sind wichtige Maßnahmen.
Vorhin ist bereits angesprochen worden: Umweltschutz ist eine Querschnittsaufgabe; er fällt in den Zuständigkeitsbereich von vielen Ministerien. Ich will sie
nicht alle nennen. Insgesamt sind für Umweltschutzausgaben 7,4 Milliarden Euro veranschlagt. Das ist knapp
1 Milliarde Euro mehr als für 2011. Das zeigt doch, dass
diese Regierung und diese Koalition es mit ihrem Einsatz für die erneuerbaren Energien ernst meinen.
({6})
Ich komme noch einmal auf das Marktanreizprogramm zu sprechen. 2012 werden dafür 380 Millionen
Euro zur Verfügung stehen, 30 Millionen Euro mehr, als
bei der Haushaltsplanung 2011 vorgesehen wurde. Jetzt
ist also die Verstetigung - in den letzten Jahren ist immer
wieder Verlässlichkeit für die Menschen gefordert worden - erreicht. Ich finde, in diesem Haushalt kommt eine
positive Entwicklung zum Ausdruck.
({7})
Einzelheiten wie thermische Solaranlagen, Anlagen zur
Verbrennung fester Biomasse, innovative Technologien
zur Wärme- und Kälteerzeugung sind positive Ergebnisse einer solchen Planung.
Zum Einzelplan 16 gehören die Mittel zur Deckung der
Kosten der Endlagerung radioaktiver Stoffe. Ich möchte
auch dazu etwas sagen. Schacht Konrad wird seit 2007
umgerüstet. In dem ehemaligen Eisenerzbergwerk sollen
schwachradioaktive Abfälle eingelagert werden. Mittlerweile hat die Landesregierung Niedersachsen Genehmigungen für obertägige Bauten erteilt. Vielleicht könnte das
Ganze etwas schneller vonstattengehen.
Wenn man die Fertigstellungszeiträume für Konrad
sieht und die einzelnen Haushalte vergleicht, dann stellt
man fest, dass der Fertigstellungszeitpunkt immer wieder um ein Jahr nach hinten verschoben wird. Deshalb
will ich auch kein Wort dazu sagen, wann es fertig sein
soll. Aber für das nächste Jahr sind über 200 Millionen
Euro dafür vorgesehen, den Schacht Konrad als Endlager für schwachradioaktive Stoffe fertigzustellen. Das
finde ich gut.
Auch für hochradioaktive Stoffe muss ein Endlager
gefunden werden. Es ist richtig, dass ergebnisoffen gesucht wird.
({8})
- Ich sage hier doch nur meine Meinung. - Es ist richtig,
dass weiterhin ergebnisoffen gesucht wird, um festzustellen, ob Gorleben als Endlager geeignet ist. Es ist
richtig, dass nach internationalen Standards geprüft
wird. Es ist auch richtig, dass dadurch eine Prognose
durch das Umweltministerium ermöglicht wird. Deshalb
- der Bundesumweltminister hat gerade erläutert, wie
das Verfahren weitergehen soll - sind im Haushalt zusätzliche Mittel für die weitere Erkundung von anderen
Standorten
({9})
in Höhe von 2,5 Millionen eingesetzt.
({10})
Die Mittel sind von 1 Million um 2,5 Millionen auf
3,5 Millionen Euro erhöht worden. Das ist ein Zeichen
dafür, dass weiter ergebnisoffen erkundet werden soll.
Das ist auch vernünftig so.
({11})
- Die Zahlen stimmen auf jeden Fall.
Ich möchte noch etwas zur Öffentlichkeitsarbeit sagen. Die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums
ist neu strukturiert und transparenter. Der Haushalt sieht
deutlich höhere Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit
vor. Das beruht zwar zum großen Teil auf Umschichtungen in anderen Bereichen. Aber ich halte es für wichtig,
dass die Bürger an den einzelnen Endlagerstandorten
wirklich informiert werden und dass sie sich ein Bild davon machen können, wie die nukleare Entsorgung funktioniert. Ich finde, die Regierung ist auch in der Pflicht,
auf die Menschen zuzugehen und ihre Politik besser zu
erklären. Das macht das Umweltministerium. Das Umweltministerium ist hier auf einem sehr guten Weg.
Danke schön.
({12})
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 7. September 2011,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.