Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/8/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 50 abzusetzen und an dieser Stelle die Zusatzpunkte 10, 11 und 12 neu aufzusetzen. Dabei handelt es sich um die Anträge der Fraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen zur Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien. Außerdem ist vereinbart, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/6260 zusätzlich an den Ausschuss für Gesundheit sowie den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu überweisen. Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Außerdem hat sich der Ältestenrat auf seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen ab dem 5. September keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann verfahren wir so. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 sowie den Zusatzpunkt 8 auf: 47 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Claudia Bögel, Klaus Breil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wirtschaftsmacht Handwerk - Impulse für Wachstum und Beschäftigung - Drucksachen 17/3270, 17/5879 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Claudia Bögel, Dr. Erik Schweickert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wirtschaftsmacht Handwerk - Kein Wachstum in Deutschland ohne das Handwerk - Drucksache 17/6457 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Philipp Rösler. ({0})

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005311

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich denke, die Wirtschafts- und Wachstumszahlen müssten uns alle zufriedenstellen. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit Anfang der 90er-Jahre mit Zahlen von unter 3 Millionen. Wir haben ein enormes Wachstum; 2,6 Prozent lautet die Prognose für das Jahr 2011. Wir alle wissen, dass sie im Herbst wahrscheinlich nach oben korrigiert wird. Wir können mit den Ergebnissen der deutschen Wirtschaft also sehr zufrieden sein. Wir wollen zumindest eines festhalten: Der Positivtrend in der deutschen Wirtschaft ist zuallererst das Verdienst der Menschen in Deutschland: der Unternehmerinnen und Unternehmer sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Unternehmen im Allgemeinen und im Mittelstand im Speziellen. Das gilt natürlich auch für das deutsche Handwerk. Darauf können wir stolz sein. Wir sollten als Politiker an dieser Stelle einmal Danke sagen. Denn das Wachstum ist nicht allein die Leistung der Politik, sondern vor allem die Leistung der Menschen in unserem Lande. ({0}) Das Handwerk ist an dieser Leistung ausdrücklich beteiligt. Redetext Wir haben gesehen, dass gerade der Mittelstand dazu beigetragen hat, dass Deutschland gut durch die Krise gekommen ist. Im Gegensatz zu Großkonzernen, wo häufig auch dann, wenn hohe Gewinne erzielt werden, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen werden, ist in mittelständischen Unternehmen eher Folgendes der Fall: Wenn es gut läuft, stellt man zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, und man behält diese auch, wenn es in Krisenzeiten wieder einmal schlechter läuft; denn die Bindung zwischen einem mittelständischen Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer ist viel menschlicher und enger ist als in jedem Großkonzern. Das gilt insbesondere für kleinere Handwerksunternehmen. In Deutschland gibt es ungefähr 1 Million Handwerksbetriebe mit fast 5 Millionen Beschäftigten. Das zeigt im Übrigen, wie klein die Strukturen im deutschen Handwerk sind. ({1}) Handwerksunternehmen findet man in Großstädten, aber auch im ländlichen Raum. Wir können uns an jeder Stelle auf die guten Dienstleistungen des deutschen Handwerks verlassen. Deswegen ist es richtig, dass die Koalitionsfraktionen den folgenden Titel für ihre Große Anfrage gewählt haben: „Wirtschaftsmacht Handwerk Impulse für Wachstum und Beschäftigung“. Das erinnert an den Slogan des Handwerks „Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan.“ Das trifft den Kern der Sache: Man kann sich auf das Handwerk verlassen, an jedem Ort, an jeder Stelle, immer dann, wenn man gute, qualitativ hochwertige Dienstleistungen braucht. ({2}) Wir sehen das auch an der Ausbildungsleistung, die gerade im Handwerk großartig ist. Momentan werden 440 000 junge Menschen im Handwerk ausgebildet. Im Jahr 2010 gab es 155 000 zusätzliche Ausbildungsverträge. Schon im Mai 2011 konnten wir feststellen, dass 42 000 zusätzliche Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden, 5 000 mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Das heißt, das Handwerk stellt sich der Herausforderung der Ausbildung der jungen Menschen wie keine andere Branche in Deutschland; hier werden die meisten Menschen ausgebildet. Junge Menschen bekommen hier eine berufliche Chance, eine berufliche Perspektive. Wir können hier allesamt dem Handwerk Danke sagen; denn das Handwerk hat diese Ausbildungsleistung in schlechten Zeiten - in den Jahren 2003 bis 2005 genauso wie in den Jahren 2008 und 2009 - erbracht und setzt dies jetzt, in besseren Zeiten, fort. Auf das Handwerk kann man sich in Ausbildungsfragen zu jeder Zeit verlassen. ({3}) Meine Damen und Herren, hier zeigen sich aber auch die Herausforderungen, vor denen das Handwerk steht: Wir erleben schon heute einen Fachkräftemangel; das Handwerk selber spricht von 7 000 Stellen, die am Ende des Jahres voraussichtlich unbesetzt bleiben müssen, weil wir zu wenig qualifizierte junge Leute haben, um sie im Handwerk auszubilden. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung mit den beteiligten Partnern eine Fachkräfteinitiative auf den Weg gebracht hat. Mein Vorgänger im Amte, Rainer Brüderle, hat angefangen, sich gerade um diejenigen zu kümmern, die bisher keinen Schulabschluss bekommen konnten, und dafür zu sorgen, dass diese künftig weitergebildet werden können, einen Schulabschluss erhalten, in der Folge einen Ausbildungsplatz und danach einen Arbeitsplatz. Gerade diejenigen, die bisher vernachlässigt wurden, brauchen eine Chance. Das Handwerk ist an dieser Stelle der erste Ansprechpartner für diejenigen, die bisher im bildungsschwachen Bereich sind. Wir können uns freuen, dass gerade diese jungen Menschen eine Zukunftschance erhalten. Wir als Bundesregierung wollen das, was in unseren Möglichkeiten steht, tun, nicht nur bei der Qualifizierung junger Menschen; wir wollen auch die Selbstverwaltung stärken. Wir wollen die Kammern unterstützen, wenn es darum geht, sich bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse durch das Dickicht zu kämpfen. Wir haben gemeinsam mit den Kammern - im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf, der momentan noch in den Ausschüssen liegt - eine Internetplattform auf den Weg gebracht, um den Kammern die Möglichkeit zu geben, selber Informationen über ausländische Berufsabschlüsse, die damit verbundene Qualifikation und deren Anerkennung, zur Verfügung zu stellen. Das ist ein wesentlicher Beitrag der Bundesregierung, um den Fachkräftemangel im deutschen Handwerk zu bekämpfen. Das ist im Interesse der Fachkräftesicherung. ({4}) Es geht aber auch um Entlastungen: Entlastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - die Bundesregierung hatte dazu gerade Beschlüsse gefasst -, ({5}) zum Beispiel bei den Steuern, durch Bekämpfung der kalten Progression - das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit - und durch Senkung der Lohnzusatzkosten. Gerade das sind Kosten, die das Handwerk in besonderer Weise belasten. Deswegen ist es richtig, die Menschen an dieser Stelle zu entlasten. ({6}) Wir müssen ebenso beim Thema Bürokratieabbau über Entlastungen reden. Gerade kleine Unternehmen haben keine eigene Abteilung, die sich mit der deutschen Bürokratie auseinandersetzen kann. Wer Unternehmen im Handwerksbereich kennt, der weiß sehr wohl, dass es oft Familienunternehmen sind, in denen der Mann oder die Frau als Meister oder Meisterin die handwerkliche Arbeit macht und sich der jeweilige Partner und die Familienangehörigen um die Bürokratie kümmern. Wenn wir dem Mittelstand, dem Handwerk helfen wollen, dann zuallererst dadurch, dass wir die Bürokratie beseitigen, Dokumentationspflichten reduzieren und Antragsverfahren erleichtern. Damit könnte man dem Handwerk enorm helfen. Auch das ist ein erklärtes Ziel der BundesBundesminister Dr. Philipp Rösler regierung. Bürokratieabbau ist Handwerkspolitik, so wie wir Liberale und Christdemokraten sie verstehen. ({7}) Wir brauchen aber auch neue Felder für unser Handwerk. Wir brauchen Innovationen. Es gibt viele entsprechende Programme, auch seitens der Bundesregierung, zum Beispiel das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand. Innovationen sind nicht nur in großen Unternehmen mit eigenen Forschungsabteilungen zu finden, sondern gerade in mittelständischen Unternehmen, eben im Handwerk. Mittlerweile gibt es Farbe, die aufgrund modernster Nanotechnologie schmutzabweisend ist. Sie ist für Häuseranstriche geeignet und ermöglicht ein energieund ressourcenschonendes Agieren. Es gibt innovative Ideen hinsichtlich der IT-Netzwerke: Mehrere IT-Unternehmen leisten sich zusammen ein solches Netzwerk und teilen sich die Kosten dafür. Es gibt neue Produkte im Bereich Leichtbau und neue Berufe im Bereich Elektromobilität. Bei diesen Innovationen geht es um Umweltschutz und Energieeffizienz. Auch auf diesem Gebiet gilt es dem Handwerk zu helfen. Wir dürfen nicht nur die Innovationsfähigkeit großer Unternehmen durch umfangreiche Forschungsprogramme fördern; es gilt darüber hinaus, die Innovationspolitik der Bundesregierung, der Regierungskoalition auf kleine und mittlere Unternehmen auszudehnen, gerade auf Handwerksbetriebe, die weder eine Abteilung haben, die sich mit Bürokratiefragen beschäftigt, noch eine eigene Forschungsabteilung. Das, was sie an Innovationsleistung erbringen, müssen sie mit den Menschen erbringen, die in den Unternehmen beschäftigt sind. Deshalb investieren sie in die Köpfe ihrer Mitarbeiter. Die Mittelstandsbetriebe brauchen die Unterstützung der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP, und die bekommen sie auch. ({8}) Neue Märkte gibt es auch im Ausland. Im Zusammenhang mit der Umstellung der Energieversorgung haben wir schon darüber diskutiert, dass derzeit viele Menschen im europäischen Ausland - das gilt eigentlich weltweit - auf Deutschland und den deutschen Mittelstand schauen. Die Umstellung der Energieversorgung ist eine Chance für unser Handwerk. Es geht um neue Technologien, um Energieeffizienz und um Gebäudesanierung. Diesen Unternehmen wollen wir im europäischen Raum, aber auch im internationalen Rahmen neue Märkte öffnen. Wir glauben, dass die Unternehmen sehr wohl in der Lage sind, diese Märkte zu erschließen. Eines dürfen wir nicht vergessen: Trotz aller Ansprüche in Bezug auf Modernität und Innovationen und angesichts der Herausforderungen im europäischen Ausland bzw. im internationalen Rahmen kann sich das Handwerk auf seine Qualitäten besinnen: auf Pünktlichkeit, Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Kundennähe und Verbraucherschutz. All dies spiegelt sich im Begriff „Meisterbrief“ wider. Der Meisterbrief ist nach wie vor ein Qualitätssiegel, das man nicht abzuschaffen braucht, sondern das es zu erhalten gilt. ({9}) - Das ist unsere Lesart. Ich erinnere nur daran: Zu Anfang dieses Jahrtausends wollten die Sozialdemokraten den Meisterbrief abschaffen. ({10}) Es ist gut, dass diese irrsinnige Überlegung am Widerstand von CDU/CSU und FDP gescheitert ist. ({11}) Wir stehen aus einem ganz einfachen Grund zum Meisterbrief: Wir finden, dass das Handwerk nicht spießig, brav oder langweilig ist, sondern mit all seinen Traditionen - Freisprechung, Meisterfeier - auf der einen Seite Strukturen gibt - zum Beispiel wird das Ehrenamt im Bereich der Ausbildung unterstützt -, auf der anderen Seite aber auch für neue Herausforderungen in den Bereichen Ausbildung, Innovationen und neue Märkte offen ist. Das Handwerk ist die Wirtschaftsmacht von nebenan und wird von dieser Regierungskoalition unterstützt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Duin. ({0})

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister Rösler, Sie haben einen ganz wichtigen Punkt benannt, ({0}) der für den Erfolg des Handwerks in Deutschland maßgeblich ist: Das ist die Verlässlichkeit. Es geht um die Verlässlichkeit der Handwerksbetriebe, die Verlässlichkeit der Meister und die Verlässlichkeit bei der Auftragserfüllung. Wenn diese Bundesregierung nur halb so verlässlich wäre wie die große Anzahl der Handwerksbetriebe in Deutschland, dann wären wir in Deutschland wesentlich weiter. ({1}) Ich will Ihnen Ihren nicht gerade üppigen Antrag einmal kurz vor Augen halten. Sie haben darauf nicht Bezug genommen, Herr Minister. ({2}) Erster Punkt. Die Regierungskoalition bringt den Antrag „Wirtschaftsmacht Handwerk - Kein Wachstum in Deutschland ohne das Handwerk“ ein. Hier steht - ich lese es Ihnen vor -: Der Deutsche Bundestag begrüßt … die … Konjunkturpakete I und II, insbesondere … das kommunale Investitionsprogramm … Wer hat es aufgelegt? Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz, Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel. ({3}) Wer ist dagegen gewesen? Brüderle und Co. ({4}) - Ich habe Sie gar nicht angesprochen. Zweiter Punkt. Sie sprechen die „mit dem Konjunkturpaket I erfolgte Verdopplung der Steuerermäßigung“ an. Wer hat das gemacht? Die Sozialdemokraten haben das in der Großen Koalition vorangebracht. Brüderle und Co, die ganze FDP, waren immer dagegen. Heute schreiben Sie, es sei ein großer Erfolg. ({5}) Dritter Punkt. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird ebenfalls in Ihrem Antrag gelobt. Auch dies wurde von uns aufgelegt. In den letzten zwei Jahren wurden die Mittel dafür von Ihnen gekürzt; dies korrigieren Sie jetzt mühsam. Diese Politik strahlt nicht das aus, was das Handwerk und die Unternehmen in Deutschland insgesamt brauchen: Planungssicherheit, Verlässlichkeit. Aber bei Ihnen Fehlanzeige! ({6}) Die einzigen beiden Punkte in Ihrem Antrag, die Sie für sich selbst in Anspruch nehmen können, sind die Maßnahmen - so schreiben Sie hier - des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, also die Hotelsteuer - ich weiß nicht, wie sie dem Handwerk genutzt haben soll -, und die geplanten Steuervereinfachungen. Dann schreiben Sie viel über das Thema Steuern. Das ist, wie wir alle wissen, eine reine Luftnummer. Sie planen erneut - der Minister hat es gerade bestätigt; wir diskutieren seit einigen Wochen darüber - Steuersenkungen auf Pump. Sie wissen genau - die Äußerungen aus vielen Bundesländern, auch aus Bundesländern, die von Ihnen, von CDU/CSU und FDP, regiert werden, sind eindeutig -, dass die Länder das nicht mitmachen. Auch Herr Schäuble wird das nicht mitmachen. Bei dieser Bundesregierung wird immer deutlicher: Herr Schäuble hat mehr Verstand im kleinen Finger als die ganze FDP. Das, was hier vorgeschlagen wird, ist nicht realisierbar und wird so auch nicht kommen. ({7}) Stattdessen, Herr Minister Rösler, bräuchten wir eine Kultur der Investitionen auf der privaten Seite wie auch auf der öffentlichen. Wenn Sie sich die Investitionsquote anschauen, sehen Sie, dass Deutschland allen anderen Ländern in dieser Hinsicht hinterherläuft. Deswegen besteht kein Raum für Steuersenkungen; das sieht übrigens auch der ZDH so. Wir brauchen öffentliche Investitionen für ein nachhaltiges Wachstum.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Duin, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Martin Lindner?

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das würde nicht zum Ziel führen. - Wenn wir wirklich Steuern einsparen wollen, Steuergeld, das derzeit verprasst wird, dann müssen auf dem deutschen Arbeitsmarkt - dies fordern nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch ganz viele Handwerksmeister vor Ort - endlich reguläre Bedingungen sowie Recht und Ordnung herrschen. Dazu gehört unter anderem ein flächendeckender Mindestlohn, ({0}) damit mit Steuergeldern nicht Dumpinglöhne subventioniert werden. ({1}) Ich komme zum Thema Fachkräfte. Die Fakten haben Sie gerade selbst angesprochen. 1,5 Millionen junge Erwachsene im Alter zwischen 20 und 30 Jahren haben keinen Berufsabschluss. 400 000 Jugendliche sind in nicht qualifizierenden Maßnahmen, angesiedelt zwischen Schule und beruflicher Bildung. Immer noch verlassen jedes Jahr 65 000 Schülerinnen und Schüler das Schulsystem ohne Abschluss. Es geht also in erster Linie darum, die Potenziale im Inland auszuschöpfen. Dazu braucht man Veränderungen in der Bildungspolitik. Eine ganz wichtige Änderung, die wir in diesem Hause - nicht ganz allein, sondern im Konzert mit den Ländern - bewerkstelligen könnten, um in diesem Bereich der Bildung endlich voranzukommen, wäre die Beendigung des unsinnigen Kooperationsverbotes. ({2}) Notwendig ist noch eine weitere Änderung in diesem Bereich - Frau Schavan, Sie haben dazu Vorschläge gemacht, mit denen Sie in Ihrer Partei aber nicht nur auf Beifall gestoßen sind -: Wir können es uns auf Dauer nicht länger leisten, 16 verschiedene Bildungssysteme in Deutschland zu haben. Wir müssen uns der Aufgabe stellen, dies zu ändern, und dort verbindliche Schritte nach vorn machen. ({3}) Wir müssen über die Modularisierung im Bereich der Ausbildung reden, damit alle jungen Menschen mit ihren Qualifikationen und Talenten - diese sind unterschiedlich; niemand kann alles - eine Chance auf Ausbildung und einen Berufsabschluss haben. Wir müssen die Frauenerwerbsquote deutlich erhöhen. Aber das funktioniert nur, wenn wir entsprechende Kinderbetreuungsangebote machen. Sie wollen eine Herdprämie und investieren nicht in diesen zentralen Bereich. ({4}) Gerade für die Kommunen stellen Sie die entsprechenden Mittel nicht zur Verfügung. Ein Letztes. Wenn wir die Potenziale im Inland ausreichend ausgeschöpft haben, haben wir überhaupt nichts dagegen, auch darüber zu reden, wie wir im Bereich der Zuwanderung ebenfalls entsprechende Potenziale heben. Lassen Sie uns doch anfangen! Ich habe auch Ihnen, Herr Minister Rösler, gestern in einem Gespräch angeboten: Lassen Sie uns mit den nächstliegenden Dingen anfangen! Wir könnten zum Beispiel dafür sorgen, dass ausländische Studierende, die in Deutschland ihr Studium absolviert und ihren Abschluss gemacht haben, danach hierbleiben dürfen. Ich weiß, dass es dafür in der Koalition - ich schaue jetzt ganz bewusst in Richtung der Liberalen - durchaus Bereitschaft gibt. Es scheiterte bisher aber an der Blockade der CSU. Ich zitiere stellvertretend Frau Hasselfeldt - man hört solche Aussagen allerdings bei vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen immer wieder -: Wenn wir die Einkommensgrenzen senken, senden wir ein falsches Signal zulasten der deutschen Beschäftigten. … Uns könnte eine ungesteuerte Zuwanderung in unsere Sozialsysteme drohen. Wenn man der Zuwanderung begegnet, indem man immer nur das Bild einer drohenden Zuwanderung in unsere Sozialsysteme an die Wand malt - das gilt auch mit Blick auf die Beseitigung des Fachkräftemangels -, wird man diesem Thema nicht gerecht. Lösen Sie von der CSU diese Blockade, damit wir beim Zuwanderungsrecht und beim Ausländerrecht auch mit Blick auf die Beseitigung des Fachkräftemangels endlich die Schritte nach vorne machen können, die für Deutschland notwendig sind. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Fuchs für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Duin, eines muss ich Ihnen sagen: Es ist nicht in Ordnung, wenn Sie sagen, es sei ein Verprassen von Steuergeldern, wenn man die Handwerker, beispielsweise bei den Löhnen, etwas mehr unterstützt. ({0}) Es ist auch nicht in Ordnung, wenn wir nicht endlich etwas tun, um den Mittelstandsbauch zu verkleinern. Das geht nicht. ({1}) - Sie haben eben gesagt, das sei verprasstes Steuergeld. ({2}) Nein, wir wollen die Mittelschicht unterstützen. Das hat mit Verprassen nichts zu tun, sondern ist gerecht. ({3}) Die deutsche Wirtschaft strotzt vor Zuversicht - Gott sei Dank. Es geht uns richtig gut; das hätte vor zwei Jahren kein Mensch für möglich gehalten. Die Zahlen, die uns vorliegen, sind exzellent. Im letzten Jahr betrug das Wirtschaftswachstum 3,6 Prozent. In diesem Jahr - der Minister ist viel zu bescheiden ({4}) wird es weit höher als 2,6 Prozent ausfallen. Die Auguren reden schon von bis zu 4 Prozent. Es gibt tatsächlich Institute, die behaupten, es sei mit 4 Prozent Wachstum zu rechnen, und das bei einer reifen Volkswirtschaft wie Deutschland. ({5}) Das ist eine Erfolgsstory. Wir befinden uns in einer exzellenten Situation. ({6}) Wenn man sich vor Augen hält, wie die Situation die ganze Zeit vorher gewesen ist, ({7}) dann zeigt sich, welche Chancen wir jetzt wieder haben, welche Chancen unsere Unternehmen auf den Weltmärkten haben und welche Chancen das Handwerk hat. Auch das Handwerk leistet zu diesen Erfolgen seinen Beitrag. Handwerksleistungen tragen zu 8,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Das ist positiv. Meine Damen und Herren, die Exportquoten der deutschen Wirtschaft sind sensationell. Beim Export werden wir dieses Jahr wohl zum ersten Mal die Grenze von 1 Billion Euro überschreiten. Beim Import werden wir ein Volumen von etwa 900 Milliarden Euro erreichen. Das zeigt, dass wir auch ein Motor für die Weltwirtschaft sind. Damit leisten wir unseren Beitrag, in Europa und in den Schwellenländern. Das ist mehr als positiv. Auch die Handwerker spüren den Aufschwung. 85 Prozent der Betriebe beurteilen ihre Situation mehr als positiv, und die Kapazitätsauslastung geht in Richtung 80 Prozent - Zahlen, die es zuvor eigentlich nie gegeben hat. ({8}) Das schlägt sich auf dem Arbeitsmarkt insgesamt nieder. In Deutschland gibt es etwa 41 Millionen Erwerbstätige, und die Arbeitslosenquote liegt bei 6,9 Prozent. In manchen Regionen Deutschlands gibt es faktisch so gut wie keine Arbeitslosigkeit mehr; im Hohenloher Land beispielsweise beträgt die Arbeitslosenquote gerade einmal 1,7 Prozent. Das sind Erfolgsstorys. Die Gründe für diesen Erfolg sind die Programme, die die Regierung aufgelegt hat. Er hat natürlich auch mit den Entscheidungen zu tun - das gebe ich freiweg zu -, die wir mit Ihnen von der SPD in der Großen Koalition gemeinsam getroffen haben. ({9}) Jetzt entfalten sie ihre Wirkung. Am allermeisten wirkt das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. ({10}) Erstmals gibt es wieder eine Binnennachfrage; die hatten wir früher so gut wie nicht. Die Betriebe sind in der Lage, höhere Löhne zu zahlen. Die Lohnquoten steigen. All das ist positiv. ({11}) Genau so sollte es weitergehen. Wir kämpfen dafür und werden uns Mühe geben, dass das so bleibt. Erstens lassen wir uns das von Ihnen nicht schlechtreden, und zweitens lassen wir das von Ihnen nicht verhindern. ({12}) Deutschland ist wieder die Wachstumslokomotive in Europa. Wir sind das Land, das an der Spitze steht. Ich verweise auf Folgendes: Als Rot-Grün aufhörte - daran können sich diverse Menschen noch erinnern -, waren wir Schlusslicht. Ernst Hinsken hat dem damaligen Bundeskanzler Schröder die rote Laterne überreicht, und er hat recht damit gehabt; denn seine Politik war eben schlecht. Heute sieht die Situation vollkommen anders aus. Ich sage Ihnen eines: Wenn Schröder jemals solche Zahlen, wie wir sie jetzt vorweisen, erreicht hätte, dann hätte er wahrscheinlich im Französischen Dom irgendwelche Messen oder sich selbst gefeiert, und er wäre zweimal in der Woche über den Ku’damm gesteppt. Dies tun wir nicht. Wir arbeiten schlicht und ergreifend weiter und sorgen dafür, dass diese positive Konjunktur anhält, und das ist auch nötig. ({13}) Ja, es gibt noch Probleme. Wir müssen sehen, dass wir auch den Haushalt in den Griff bekommen. Aber auch das ist meiner Meinung nach eine absolute Erfolgsstory - Herr Kuhn, auch dagegen können Sie nichts sagen -: Das Staatsdefizit wird dieses Jahr auf unter 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sinken. ({14}) Diese Zahl hat Rot-Grün nie erreicht, wir dagegen schon. Sie von Rot-Grün waren diejenigen, die die europäischen Stabilitätskriterien aufgeweicht haben. Das haben wir jetzt nicht mehr nötig. Wir sind auch hier führend in Europa. ({15}) Dadurch zeigt sich, dass die Konsolidierungsanstrengungen dieser Regierung richtig waren, dass wir die Schuldenbremse früher einhalten, als das überhaupt geplant war, dass Minister Schäuble eine exzellente Arbeit macht, dass die Regierung auf dem richtigen Weg ist und dass wir mit den Gesetzen, die wir verabschiedet haben, dafür gesorgt haben, dass wir jetzt endlich wieder in ein positives Fahrwasser kommen. Es macht keinen Sinn, das schlechtzureden. Wir sollten stolz darauf sein, dass Deutschland die führende Wirtschaftsmacht in Europa ist, und wir sollten des Weiteren stolz darauf sein, dass wir so weitermachen werden. Ich wünsche Ihnen eine gute Ferienzeit ({16}) - vielen Dank, Herr Kuhn -, in der Sie diese positiven Nachrichten verbreiten können. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, nach so viel Selbstbeweihräucherung sollten wir auf das Thema zurückkommen. ({0}) Etwa 22,4 Milliarden Euro wird die Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht etwa zur Förderung des Handwerks, sondern für das bisher beschlossene Griechenland-Paket bereitstellen. Je mehr Geld die KfW dafür verwenden muss, die Schulden Griechenlands gegenüber den Banken zu bedienen, desto weniger hat sie logischerweise zur Verfügung, um Förderprogramme aufzulegen, ({1}) die nicht zuletzt dem deutschen Handwerk zugutekämen. Dies haben Sie beschlossen, obwohl Sie ganz genau wissen, wie stark der Bedarf in dieser Richtung wäre. Die KfW hat bereits vor der Finanzkrise in ihren Mittelstandspanels - vielleicht sollten Sie dort einmal hineinschauen - sehr deutlich nachgewiesen, dass sich die Finanzierungsbedingungen gerade kleiner Unternehmen in Deutschland mit bis zu zehn Beschäftigten seit Ende der 1990er-Jahre teilweise dramatisch verschlechtert haben. Die Laufzeiten der Kredite wurden immer kürzer, und teilweise waren solche kleinen Unternehmen sogar gezwungen, sich über teure Dispokredite zu refinanzieren. Wenn man diese Situation ins Auge nimmt, dann wird völlig klar, dass dem deutschen Handwerk zum Beispiel durch gesetzliche Zinsobergrenzen, die die Wucherzinsen bei Dispokrediten verhindern würden, weiß Gott mehr geholfen wäre als durch Schönwetterreporte, wie sie hier vorgelegt wurden und mit denen sich die Bundesregierung selber auf die Schultern klopft. ({2}) Es ist gerade ein Jahr her, dass Sie beschlossen haben, dass die Mittel der KfW für energetische Gebäudesanierung auf die Hälfte zusammengestrichen werden. Vor ein paar Wochen haben Sie sich das dann wieder anders überlegt. Das ist zwar schön, aber das ist doch keine klare Linie. Das ist eine völlig unseriöse Pingpongpolitik. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die 5 Millionen Menschen, die in Deutschland im Handwerk arbeiten, tatsächlich brauchen: Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen und nicht eine Bundesregierung, die mit ihren Interessen Pingpong spielt. ({3}) Oder nehmen Sie die Fiskalpolitik: Erst werden gigantische Schulden aufgehäuft, nicht zuletzt zur Rettung maroder Banken. Dann geht die Bundesregierung hin und verkündet mal eben Steuersenkungen für das Wahljahr 2013. Das, was Sie hier machen, ist doch Harakiri. Das kann doch kein Mensch mehr ernst nehmen. Natürlich kämen dem deutschen Handwerk Steuersenkungen gerade im Bereich der niedrigen und mittleren Einkommen zugute. Aber das ist doch nur verantwortbar, wenn man gleichzeitig mehr Steuern einnimmt, zum Beispiel bei Banken und Konzernen oder bei Millionären und deren Erben. ({4}) Es ist doch möglich, sich bei denen das Geld zurückzuholen, statt alles auf Pump zu machen, so wie Sie das tun. Es ist tatsächlich ein Skandal, dass in Deutschland Einkommen bei einer besser bezahlten Arbeit in der Spitze mit bis zu 42 Prozent besteuert werden, aber völlig leistungslose Vermögenseinkommen, Zinsen und Dividenden, gerade einmal mit 25 Prozent besteuert werden. Wer arbeitet und etwas besser verdient, zahlt bis zu 42 Prozent. Wer nicht arbeitet und von seinem Vermögen lebt, der zahlt nur 25 Prozent Steuern. ({5}) Diese irrsinnige Situation wurde damals unter Finanzminister Peer Steinbrück eingeführt. Doch auch die heutige Bundesregierung würde nie auf die Idee kommen, an dieser Situation irgendetwas zu ändern. Ich sage Ihnen: Solange Sie diese Situation aufrechterhalten, brauchen Sie gar nicht mehr von Leistung zu reden oder davon, dass sich Leistung lohnen muss. Das, was Sie machen, ist eine leistungsfeindliche Politik. ({6}) Diese Steuerpolitik hat außerdem zur Folge, dass viele Kommunen ihre elementaren Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Ein Ergebnis dessen ist nicht zuletzt, dass das Niveau bei den öffentlichen Investitionen in Deutschland - das ist schon angesprochen worden jämmerlich ist. Das kommt daher, dass die öffentlichen Investitionen immer weiter zusammengestrichen wurden. Aber öffentliche Investitionen, gerade in Infrastruktur, Baumaßnahmen und anderes, bedeuten Aufträge und Arbeitsplätze für das deutsche Handwerk und für die lokalen Anbieter. Die Situation könnte sich zusätzlich verbessern, wenn Sie die Vergabegesetze auf Landesebene so verändern würden, dass kleine, lokale Anbieter gegenüber großen Unternehmen und internationalen Konzernen bevorzugt werden. Aber das ist ja die nächste große Lüge Ihrer Politik. Sie reden immer von Wettbewerb und Mittelstandsorientierung. Tatsächlich aber machen Sie eine Politik, von der vor allem die Großanbieter, die großen Unternehmen profitieren, die ihre Marktmacht zulasten der Kunden und natürlich auch zulasten der Zulieferer völlig ungestört immer weiter ausbauen können. Das gilt für Ihre Energiepolitik und auch für nahezu alle anderen Bereiche. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage von CDU/ CSU und FDP gibt die Bundesregierung selber zu, dass sich die Beschäftigung im Handwerk insgesamt eher ungünstig entwickelt hat. Die Begründung, die Sie dafür geben, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Sie führen das auf die - ich zitiere - „schwache Konsumneigung der privaten Haushalte“ zurück. Ich frage Sie: Wo leben Sie eigentlich? Wollen Sie einem Beschäftigten, dessen regulärer Job gerade outgesourct wurde oder der in eine Leiharbeit abgedrängt wurde und nur noch die Hälfte verdient, wirklich vorwerfen, er habe eine niedrige Konsumneigung? Oder die Millionen Beschäftigten, die für Hungerlöhne von 5 oder 6 Euro die Stunde malochen müssen: Haben diese eine niedrige Konsumneigung? Oder die Millionen Rentnerinnen und Rentner in diesem Land, die seit Jahren sinkende Renten hinnehmen müssen: Haben auch diese eine mangelnde Konsumneigung? Das ist doch absurd, das ist doch blanker Hohn. ({7}) Das Problem der Menschen in diesem Land ist wahrlich nicht, dass ihre Konsumneigung zu niedrig ist. Das Problem der Menschen in diesem Land ist, dass sie nicht genug Geld in der Tasche haben, um sich die Dinge zu kaufen, die sie brauchen und die sie sich sehr gerne leisten würden, wenn sie es könnten. Lohndumping stimuliert vielleicht den Export. Aber wer sich für das Handwerk wirklich einsetzen will, der muss bitte schön auch dafür sorgen, dass das Handwerk zahlungskräftige Kunden hat, und zwar hier im Land. ({8}) Ein Programm zur Stärkung der Kaufkraft durch Mindestlöhne, durch höhere Renten, durch eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze auf 500 Euro käme am Ende auch dem deutschen Handwerk zugute; ({9}) denn ohne einen starken Binnenmarkt gibt es auch kein starkes Handwerk. Ich danke Ihnen. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir weder mit Klassenkampf noch mit Schönrederei weiterkommen. ({0}) Vielmehr müssen die Probleme benannt werden, die es zu lösen gilt. Herr Rösler, deswegen sind wir schon ein bisschen enttäuscht darüber, wie die Bundesregierung und Ihr Haus auf diese Große Anfrage reagiert haben. Das ist eine unglaubliche Schönrederei. Es ist richtig: Das Handwerk hat unglaubliche Leistungen vollbracht. Das Handwerk ist zuverlässig, das Handwerk bildet gut aus. Aber das Handwerk hat auch Probleme, weil die Politik in bestimmten Feldern nicht vorankommt. Zu diesem Punkt ist nichts gesagt worden. Auch in dem Antrag, der jetzt von den Koalitionsfraktionen vorgelegt worden ist, ist die Rede davon, dass alles irgendwie in Butter ist. Da sollen nur einige Sachverhalte evaluiert und ein bisschen geprüft werden und dann soll ein bisschen Unterstützung geleistet werden. Liebe Kollegen von der Union und von der FDP, ({1}) die Bevölkerung und vor allem das Handwerk kann schon ein bisschen mehr Substanz von Ihnen erwarten. ({2}) Es ist völlig klar: Wenn die wirtschaftliche Lage gut ist - und die ist zum Glück derzeit sehr gut -, ist die Auftragslage gut, und das Handwerk hat goldenen Boden, wie wir immer sagen. Aber es stehen nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung. ({3}) Das ist ein ganz zentraler Punkt. Man muss überlegen, wie man mit der Situation umgeht, und auch den demografischen Wandel in dieser Gesellschaft mitbedenken. Wir wissen seit Jahren um die Schwierigkeiten in den Ausbildungsberufen. Das Handwerk hat seit Jahren Probleme, bestimmte Ausbildungsstellen zu besetzen. Vor allem im Lebensmittelbereich - ich denke da insbesondere an Bäckereien und Metzgereien - wird immer wieder geklagt, dass man keine geeigneten jungen Leute findet, die bereit wären, eine entsprechende Ausbildung zu machen. Das müssen wir gar nicht schönreden. Ich glaube, da sind wir uns auch einig. Aber auch in weiteren Branchen wie in der Elektrotechnik und im Metallbereich, im Heizungs- und Sanitärbereich fehlen zunehmend Menschen. Hier machen zwar viele eine Ausbildung, aber sie werden oft - das ist ein Problem, das wir sehr ernst nehmen müssen - von der Industrie abgeworben. Also das Handwerk bildet gut aus, die Industrie wirbt dann aber einen Teil ab, indem sie besser bezahlt. Hier muss die politische Seite angesichts der veränderten Lage, die wir auf dem Ausbildungsmarkt haben, und angesichts der demografischen Entwicklung ihrer Verantwortung gerecht werden und sich überlegen, wie die wirtschaftliche Entwicklung des Handwerks gestärkt und wie die Qualifizierung junger Menschen gefördert werden kann. Wir haben gerade in den Städten viele junge Menschen mit Migrationshintergrund, die keinen Ausbildungsplatz haben. Kollege Duin hat dargestellt, wie viele junge Leute die Schule verlassen, ohne einen Schulabschluss zu haben. Das ist ein Riesenproblem. Wir sehen aber auch, dass die Ausbildungsbeteiligungsquote von jungen Menschen mit Migrationshintergrund gerade einmal bei 30 Prozent liegt, bei jungen Menschen ohne Migrationshintergrund dagegen bei 64 Prozent. Es gibt gute Ansätze bei den Kammern und teilweise auch bei den Städten, um dieses Problem zu lösen. In Berlin läuft zum Beispiel die Kampagne: „Berlins Wirtschaft braucht Dich!“, die sich an junge Menschen richtet, vor allem an junge Menschen mit Migrationshintergrund. Das sind gute Ansätze. Das begrüßen wir. Das kann man nur unterstützen. ({4}) Aber da müssten auch Sie noch einen Beitrag leisten und aufzeigen, wie die Bewerberinnen- und Bewerberzahlen hier verbessert werden könnten. Ein Weiteres - das sage ich mit aller Ernsthaftigkeit -: Wir diskutieren in diesem Hause sehr viel darüber, wie wir junge Menschen zu Abitur, Studium und nachfolgend in hoch qualifizierte Berufe bringen. Das ist notwendig, und das ist auch berechtigt, wenn man sich anschaut, wie Deutschland im internationalen Vergleich dasteht. Was aber in dem Kontext aus meiner Sicht viel zu wenig gesagt wird, ist, dass Ausbildungsberufe im Handwerk eine hervorragende Qualifikation bieten und dass sich hier oftmals jungen Menschen, die handwerklich oder technisch begabt sind, ein hervorragender Lebensweg bietet. Darauf wird, wie ich finde, viel zu selten hingewiesen. Vom Duktus her tun wir immer so, als ob diejenigen, die studiert haben, den anderen etwas voraus hätten. Wir brauchen aber beides. Deshalb müssen wir uns fragen, wie wir die jungen Leute begleiten und verstärkt für diese Zukunftsberufe gewinnen können. ({5}) Aus meiner Sicht müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um dem zunehmenden Fachkräftemangel begegnen zu können. Statt sich intern mit dieser bescheuerten Steuersenkungsdebatte, die die FDP wieder losgetreten hat - ich glaube, es ist das vierte Mal in dieser Legislaturperiode, dass sie irgendwelche Vorlagen ankündigen, die dann sowieso nicht kommen -, auseinanderzusetzen, sollten Sie lieber die notwendigen Gesetzentwürfe vorlegen, um den Fachkräftemangel in Deutschland anzugehen. ({6}) Daran fehlt es bisher. Statt Steuersenkungsdebatten zu führen, sollten wir die drängenden Probleme angehen. Notwendig sind eine schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und die Beratung und Begleitung derjenigen, die das Anerkennungsverfahren durchlaufen. Es ist notwendig, nach einer individuellen Kompetenzfeststellung passende Nachqualifikationen mit einer entsprechenden Begleitung der Betroffenen anzubieten. Das fehlt grundsätzlich. ({7}) Minister Rösler, Sie haben vor ein paar Tagen wieder gefordert, die Mindestverdienstgrenze für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auf 40 000 Euro zu senken. ({8}) - Ja, das muss man. ({9}) Wir Grünen sind seit sehr langer Zeit der Auffassung, dass die Grenze zu hoch ist. Aber wo bleibt die Gesetzesvorlage für eine entsprechende Änderung? Sie reden seit Monaten davon. In fast jeder Sitzung des Wirtschaftsausschusses wird darauf hingewiesen, dass die Rahmenbedingungen schlecht sind und geändert werden müssen. Es kommt aber keine Vorlage. Auch heute haben Sie es wieder nur angesprochen. Stattdessen liegt ein Wischiwaschiantrag vor, in dem irgendwelche komischen Punkte aufgeführt sind, die man prüfen soll. Wir erwarten von Ihnen aber Gesetzesinitiativen statt Gerede und Schönfärberei, damit wir vorankommen. ({10}) Wir haben die Energiewende beschlossen. Das ist wunderbar. Ihr Hin und Her in der Atomfrage hat leider auch dazu geführt, dass Planungssicherheit, die Sie immer sehr hoch hängen und die für unser Land auch notwendig ist, nicht gegeben war. Ihr Zickzackkurs in den letzten Monaten stellte für das Handwerk ein großes Problem dar; denn sehr viele Menschen haben sich mit Aufträgen zurückgehalten, weil man nicht wusste, wohin diese Regierung eigentlich wollte. ({11}) Jetzt sind wir endlich an dem Punkt angekommen. Endlich sagen auch Sie, dass wir mehr für die Gebäudesanierung tun und die Energieeffizienz steigern müssen. Dafür und für den Ausbau der Leitungssysteme und der erneuerbaren Energien brauchen wir das Handwerk. Damit muss aber auch die berufliche Ausbildung Schritt halten. Wir brauchen somit neue Qualifikationen und müssen uns mit neuen Ausbildungsberufen beschäftigen - im innovativen Sektor ist vieles beschrieben -, um den entstehenden Bedarf entsprechend decken zu können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Scheel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfeiffer?

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. - Es wird eine enorme Nachfrage geben. Um diese Nachfrage decken zu können, brauchen wir entsprechende Fachkräfte. Dann können wir gemeinsam mit dem Handwerk - das geht nämlich nur mit dem Handwerk - unser Land nach vorne bringen. ({0}) Wir haben auch eine komische Debatte über die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen geführt, Herr Rösler. Es gibt dazu gute Untersuchungen wie die von Herrn Professor Schneider, die zu dem Ergebnis kommen, dass dank der Möglichkeit der Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen, die Rot-Grün damals auf den Weg gebracht hat, die Schwarzarbeit zurückgegangen ist. Die Schwarzarbeit ist in den letzten Jahren nachweislich kontinuierlich zurückgegangen. ({1}) Hinzu kommt, dass Sie von falschen Zahlen ausgehen. Es wird immer behauptet, dass von Steuerausfällen in Höhe von 2 Milliarden Euro auszugehen ist. Es gibt aber in dem Sektor keine Steuerausfälle in Höhe von 2 Milliarden Euro; es gibt nur einen Zinseffekt. Dieser Zinseffekt liegt bei ungefähr 60 Millionen Euro und nicht mehr. Entweder wissen Sie es nicht, oder Sie wollen suggerieren, dass Sie für das Handwerk sehr viel tun, und sprechen deswegen von 2 Milliarden Euro. Wenn man also die gesetzliche Regelung, die jetzt ausläuft, verlängert, hat man keine Steuerausfälle in Höhe von 2 Milliarden Euro wie zu Beginn, sondern dann hat man nur Zinsausfälle. Auch das müssen Sie in Ihrem Haus vielleicht einmal weitergeben, damit das vernünftig kommuniziert wird. ({2}) Wir wünschen uns außerdem, dass Sie in punkto Istbesteuerung klare Linie halten. Es kann nicht angehen, dass die Umsatzgrenze zur sofortigen Abführung der Umsatzsteuer von 500 000 Euro, die jetzt gilt, auf 250 000 Euro gesenkt wird. Es geht um die Liquidität der Unternehmen. Es geht um das Vertrauen in die Politik. Die Maßnahme ist angekündigt worden, und sie muss dementsprechend umgesetzt werden. ({3}) - Ich stehe wirklich dahinter, weil es hier um Liquidität geht, und fordere Sie auf: Tun Sie etwas! ({4}) Legen Sie endlich die Maßnahmen vor und reden Sie nicht immer nur darüber! Das Handwerk wartet auf das Handeln dieser Regierung; da ist es mit Gequatsche nicht getan. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Bögel für die FDP-Fraktion. ({0})

Claudia Bögel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004015, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bei vielen meiner Vorredner konnte ich geradezu spüren, dass sie noch nie einen Handwerksbetrieb von innen gesehen haben, geschweige denn, mit Handwerkern gesprochen haben. ({0}) Ich kenne das Handwerk von der Pike auf. Mein Großvater war Modellbaumeister. Mein Onkel ist Malermeister. Von daher kenne ich diese Leute, und ich weiß um deren Bedürfnisse. ({1}) Das Handwerk propagiert nicht umsonst auf seiner Homepage: „Das Handwerk. Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan.“ ({2}) Warum wohl? Jeder kennt einen Handwerker. Jeder hatte schon einen Handwerker. Das fängt morgens beim Brötchenholen an und hört am Heiligabend bei der Instandsetzung der Heizungsanlage noch nicht auf. Es gibt mehr als 4,8 Millionen Beschäftigte in 151 Ausbildungsberufen; der Jahresumsatz hat einen dreistelligen Milliardenbetrag erreicht. Das ist eine wahre Schwergewichtsklasse im Ring der deutschen Wirtschaft. ({3}) Was aber bei dieser Betrachtung viel zu kurz kommt, ist die hohe soziale Kompetenz des Handwerks. ({4}) - Nein, das unterscheidet uns nicht vom Handwerk, weil gerade das von uns gefördert wird. ({5}) Ich möchte einmal ein Beispiel aus meinem Wahlkreis darstellen. ({6}) Ein mittelständischer Unternehmer, der ein sehr erfolgreiches Dentallabor leitet, kümmert sich außerordentlich um sehr schwierige Jugendliche, indem er sie in seinem Betrieb ausbildet und ihnen eine zweite und auch eine dritte Chance bietet. Dieser Unternehmer hat ein Projekt gegründet. Das Projekt heißt „Startbahn“. Hier wurde schon von „Fordern und Fördern“ gesprochen. Nach diesem Prinzip funktioniert das Projekt. In dem Projekt kümmert man sich um Jugendliche, fördert sie, aber fordert auch von ihnen, zum Beispiel gute Schulnoten. Der Unternehmer hat es geschafft, in seinem Heimatort die Vermittlungsquote der Hauptschüler von bisher 40 Prozent auf 85 Prozent zu heben. Das ist doch was! ({7}) Das ist ein Paradebeispiel für unser deutsches Handwerk: persönliches Engagement, Eins-zu-eins-Begegnung, keine großen Hörsäle, in denen anonym irgendetwas gelehrt wird, jedem eine oder auch eine zweite Chance bieten, handeln, statt nur fordern. Das Handwerk engagiert sich also sehr stark und ist mit großem Verantwortungsbewusstsein dabei. ({8}) Wir benötigen jedoch eine ausreichende Zahl an gut ausgebildeten Fachkräften, um unsere Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit und damit den Wohlstand und das Wachstum für unser Land zu sichern. ({9}) - Danke. - Das Problem des Fachkräftemangels hängt aber wie ein Damoklesschwert über den Unternehmen. Deswegen ist es sehr wichtig und sehr richtig, dass sich unsere Regierung gerade um dieses Problem kümmert. Hier müssen wir - Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eine gemeinsame Lösung finden und an einem Strang ziehen. Es gibt auch schon sehr viele gute Projekte, bei denen Politik, Wirtschaft, Unternehmen und Verbände zusammenarbeiten. Es gilt, inländische Potenziale besser auszuschöpfen und gleichzeitig durch eine kluge Zuwanderungspolitik - hier möchte ich eindringlich an das Punktesystem erinnern - ausländische Fachkräfte zu gewinnen. Die geplante Steuersenkung wird von den Handwerkskammern, den Handelskammern und auch von vielen Verbänden sehr begrüßt. ({10}) Wir haben durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, durch die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung und auch durch die Vereinfachung der Kreditvergabe sehr viele richtige und wichtige Maßnahmen getroffen für den Mittelstand, für das Handwerk. ({11}) Das Handwerk zaubert mit seinen Händen solide Meisterstücke. Wir machen solide Politik, ({12}) die den Aufschwung der „Wirtschaftsmacht von nebenan“ dauerhaft verstetigt. Vielen Dank und eine schöne Sommerpause. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Schwarzelühr-Sutter für die SPD-Fraktion. ({0})

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Handwerk hat goldenen Boden - an diesen Spruch hat sich die Bundesregierung wohl erinnert und versucht jetzt, mit der Beantwortung der Großen Anfrage beim Handwerk Boden gutzumachen. Dies wird ihr nur leider nicht gelingen. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Sie brüsten sich mit einem Aufschwung, für den Sie eigentlich recht wenig im Vorfeld getan haben. Dass das Handwerk aktuell so gut dasteht, beruht nämlich auf den Initiativen der Sozialdemokraten. ({0}) Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen - um nur zwei Beispiele zu nennen - haben dem Handwerk Aufträge und Beschäftigung gebracht. Sie sind nicht auf schwarz-gelbem Boden gewachsen, sondern wurden von uns Sozialdemokraten angestoßen und umgesetzt. ({1}) Es ist erfreulich, dass das Handwerk so gut dasteht. Man erwartet dort mehr als 2 Prozent Wirtschaftswachstum. Die Auftragslage ist gut; die Umsätze entwickeln sich positiv. Die Stimmung im Handwerk ist tatsächlich so gut wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Das Handwerk ist der Motor des Aufschwungs. Dazu hat das CO2-Gebäudesanierungsprogramm beigetragen. Zur Erinnerung: Dieses Programm wurde von der rot-grünen Regierung 2001 aufgelegt, um Klimaschutz zu verbessern - wir waren schon immer etwas früher dran -, Wohnnebenkosten einzusparen und Wachstum und Beschäftigung im Baugewerbe sowie im Bauhandwerk zu erhöhen. ({2}) Dieses Programm hat sich auf allen Ebenen als Erfolg erwiesen. Die Nachfrage bei Eigentümern, bei Vermietern und Kommunen nimmt weiterhin zu. Circa 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Gebäudebereich; dieser bietet damit ein riesiges Potenzial für Energieeffizienz, Senkung der Wohnnebenkosten und Reduktion von CO2-Emissionen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Körber?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Darf ich nachfragen, ob Sie generell keine Zwischenfragen gestatten; denn es gibt noch weitere Meldungen.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sehe, dass sich auch Herr Pfeiffer gemeldet hat. Bitte sehr. ({0}) - Sie, Herr Körber, dürfen danach fragen, damit es ausgeglichen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann hat erst einmal der Kollege Pfeiffer das Wort.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie tragen zwar nicht im Bund, aber in Baden-Württemberg Verantwortung. Nachdem Ihr dortiger Seniorpartner in Person von Frau Scheel auf eine Zwischenfrage nicht antworten wollte, frage ich halt den Juniorpartner, die SPD. ({0}) In Ihrem dortigen Koalitionsvertrag werden weder Arbeiter oder Handwerker noch Freiberufler erwähnt. Aber das Wort „Beamte“ ist in all seinen Varianten 24-mal zu finden, und das Wort „Lehrer“ kommt 30-mal vor. ({1}) Können Sie mir die Diskrepanz zwischen dem Handeln dort, wo Sie Verantwortung tragen und Maßnahmen umsetzen können, und dem, was Sie hier erzählen, ein wenig erläutern? ({2})

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Pfeiffer, wir wollen nicht an Worten, sondern an Taten gemessen werden. Wir werden unseren Ankündigungen auch Taten folgen lassen. ({0}) Ihre Tat in Regierungsverantwortung auf Bundesebene war im letzten Haushalt vor allen Dingen, dass Sie die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm gekürzt haben. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Darf ich das so werten, dass Sie jetzt die Frage des Kollegen Körber zulassen?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gut, dann bitte.

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich hätte noch kurz eine Frage zum CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Sie sprechen völlig zu Recht an, dass das ein sehr starker Motor für das Handwerk gewesen ist. Deshalb konkret die Frage - der Klimawandel ist ja nicht erst seit heute ein Problem, sondern dieses Problem ist meiner Meinung nach auch schon in den letzten fünf Jahren vorhanden gewesen -: Warum hatte das SPD-geführte Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung dieses Programm befristet angelegt, wenn es doch so ein großer Faktor ist?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erstens freue ich mich neben Ihrem Sinneswandel bei der Atomenergie, dass Sie zu der Erkenntnis gekommen sind, dass es ein gutes Programm für den Klimaschutz ist. Wir haben das Programm im Zuge des Konjunkturpaketes I und insbesondere des Konjunkturpaketes II deutlich aufgestockt. Mit den Kürzungen, die Sie jetzt vorhaben, erreichen Sie noch nicht einmal mehr die Höhe des Ansatzes von 2009. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor Sie jetzt weitersprechen, sei mir der Hinweis gestattet: Wir sind gehalten, Zwischenfragen auch gemessen an der Redezeit zuzulassen. Deshalb lasse ich jetzt keine weiteren Zwischenfragen zu. - Bitte. ({0})

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bis zu 340 000 Arbeitsplätze im Mittelstand und im Handwerk werden durch die KfW-Programme zum energieeffizienten Bauen und Sanieren tatsächlich geschaffen und gesichert. Es ist eine Win-win-Situation für Investoren, aber auch für private Eigentümer von Immobilien. Wie gesagt, die Rücknahme der Kürzungen des KfWFörderprogramms ab 2012 auf 1,5 Milliarden Euro führt zu einem Ansatz, der noch unter dem Niveau von 2009 liegt und bei weitem nicht ausreicht. Pro Jahr sind zum Beispiel laut Aussage der unterzeichnenden Verbände des Pakts für Klimaschutz mindestens 2 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an konstanter Förderung nötig, um die erforderlichen Energieeinsparungen zu erreichen. Selbst die 1,5 Milliarden Euro, die Sie hier zur Verfügung stellen, geben keine Planungssicherheit, denn sie kommen aus dem unsicheren Energie- und Klimafonds. Die in dieser Woche beschlossenen fatalen Kürzungen möchte ich natürlich auch nicht unerwähnt lassen: Auch die 45 Millionen Euro, die Sie beim Städtebau kürzen, werden Auswirkungen auf das Handwerk haben. Auch der neue Energieeffizienzfonds aus dem Sondervermögen, der unter anderem die Markteinführung von Motoren und Pumpen gerade im Heizungsbereich sowie in Kälteanlagen unterstützen will, ist bezüglich der Förderhöhe unsicher. Beständigkeit und Verlässlichkeit der finanziellen Mittel sind aber wesentliche Voraussetzungen für Investitionsentscheidungen. Verlässliche Rahmenbedingungen sind unerlässlich, um energetische Sanierungen umzusetzen. Typisch hier wieder der Zickzackkurs der Bundesregierung bei diesen Programmen. Planungssicherheit und Verlässlichkeit sind also Fehlanzeigen bei der Politik dieser Regierung. ({0}) Die SPD steht hinter den Handwerkern und unterstützt sie bei der Forderung nach Planungssicherheit. ({1}) Der Umstieg aus dem Atomzeitalter in das Zeitalter der erneuerbaren Energien bietet dem Handwerk riesiges Potenzial, riesige Chancen nicht nur bei Maßnahmen der Energieeffizienz, sondern auch bei Technologien für Photovoltaik- oder Windkraftanlagen. Hier ziehen SPD und das deutsche Handwerk an einem Strang. Planungssicherheit und Verlässlichkeit brauchen aber ebenso Existenzgründerinnen und Existenzgründer. Die geplanten Kürzungen bei den Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose sind ein fatales Signal. Die Ankündigung von Arbeitsministerin von der Leyen, die Zuschüsse für Existenzgründerinnen und Existenzgründer um über 1 Milliarde Euro zu kürzen, also um mehr als die Hälfte, kann man nicht nachvollziehen; das ist kontraproduktiv. Insgesamt gehen die Zahlen bei den Existenzgründungen leicht zurück. Mit dem neuen Streichkonzert verabschiedet sich die Bundesregierung vom Gründerland Deutschland. ({2}) Auch die geplanten Kürzungen bei den beiden Jugendprogrammen „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ sind absolut nicht nachvollziehbar. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir Nachwuchsmangel haben, dass wir Fachkräftemangel haben, ist das eine falsche Maßnahme; diese muss unbedingt zurückgenommen werden. ({3}) Die SPD steht für ein modernes Handwerk. Das Handwerk hat eine lange Tradition und hat es immer geschafft, die neuen Herausforderungen anzunehmen und dabei innovativ zu sein. Ich möchte das Beispiel der Elektromobilität nennen. Früher gab es den Beruf des Kfz-Mechanikers, dann gab es den Beruf des Kfz-Mechatronikers. In Zukunft brauchen wir für den Bereich Elektromobilität gut ausgebildete Fachkräfte. Allerdings sind herkömmliche Berufe wie Bäcker und Metzger bei Jugendlichen als sehr unsexy verschrien. Die Imagekampagne des ZDH setzt hier auf eine sehr witzige und ansprechende Art richtige Akzente. Mit dem Slogan „Am Anfang war Himmel und Erde. Den ganzen Rest haben wir gemacht“ machen die Handwerkerinnen und Handwerker in meinem Wahlkreis richtig gute Werbung. Die SPD will mittels guter Politik für den Mittelstand wirtschaftliches Wachstum mit sozialem Ausgleich und ökologischer Nachhaltigkeit verbinden. Denn für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nehmen der Mittelstand und insbesondere das Handwerk eine zentrale Rolle ein. ({4}) Die FDP und der ehemalige „Mister Mittelstand“ Brüderle haben Mittelstand und Handwerk enttäuscht. ({5}) Außer Erleichterungen für Hoteliers hat es bisher nicht wirklich viel gegeben. Der Mittelstand wartet vergeblich auf die Einlösung der Versprechen, die vor der Bundestagswahl gemacht wurden. In der heutigen Ausgabe des Handelsblatts steht zum Stichwort „Steuerpolitik“ unter der Überschrift „Auf Kosten der Beitragszahler“: Die schwarz-gelbe Regierung will mit Hilfe der Arbeitslosenversicherung eine Steuerreform finanzieren. Die Kosten tragen vor allem die, die angeblich entlastet werden sollen. Das spricht Bände. Bereits letzte Woche hat Ihnen Herr Zetsche von Daimler in diesem Zusammenhang die Leviten gelesen. Wir von der SPD wollen eine moderne Politik für die Wirtschaftsmacht und -kraft des Handwerks von nebenan. Diese gilt nicht nur heute, sondern auch im Hinblick auf die Herausforderungen von morgen. Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Lena Strothmann hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Lena Strothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 150 000 Solarwärmeanlagen wurden 2009 in Deutschland installiert. 310 Millionen Liter Farbe haben Maler und Lackierer 2010 in Deutschland verarbeitet. 55 000 Wärmepumpen wurden 2009 eingebaut. Fast 3 000 Handwerksbetriebe in Deutschland stellen Musikinstrumente her. Haben Sie gewusst, dass auch die Übergabewimpel unserer Nationalelf und der Goldene Bär der Berlinale handwerklich hergestellt werden? ({0}) Handwerk ist Vielfalt. Kaum ein anderer Wirtschaftszweig bietet diese Vielfalt an Berufen und Gewerbegruppen. Das Spektrum reicht von der Bauzeichnerin und dem Geigenbauer bis hin zur Fotomedienfachfrau. Jährlich kommen hochinteressante, hochtechnisierte und anspruchsvolle Berufe hinzu. 1 Million Betriebe, fast 5 Millionen Beschäftigte und fast 500 000 Auszubildende - das ist, kurz gefasst, die Erfolgsstory des deutschen Handwerks, der Wirtschaftsmacht von nebenan. ({1}) Dies wird nun aufgrund unserer Großen Anfrage eindrucksvoll durch eine Vielzahl an Daten belegt. An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Dankeschön an das Bundeswirtschaftsministerium für die intensive Arbeit bei der Beantwortung der Fragen richten. Es wird deutlich, dass der Wirtschaftszweig Handwerk in Deutschland eine wichtige Rolle einnimmt, stärker als in anderen europäischen Ländern, die auch über sehr viele kleine und mittlere Betriebe verfügen. Bei uns in Deutschland ist diese gewachsene Struktur stark geprägt von der hohen Qualität unserer Meisterbetriebe und unserem erstklassigen Ausbildungssystem. ({2}) Fest steht: Das Handwerk ist eine der tragenden Säulen unserer Wirtschaft. Was für die Gesamtwirtschaft gilt, gilt auch für das Handwerk. Wir haben die Wirtschaftskrise überwunden und sind - ganz nach der Maßgabe unserer Kanzlerin - aus der Krise stärker herausgegangen, als wir hineingegangen sind. ({3}) Ende des Jahres wird voraussichtlich sogar das Vorkrisenniveau im Handwerk wieder erreicht. Das erste Quartal lief sensationell gut mit einem Zuwachs - man höre und staune - von 11,7 Prozent. ({4}) Aufgrund seiner Stabilität wurden während der Krise im Handwerk kaum Mitarbeiter entlassen. Das spiegelt die Philosophie unserer Meisterbetriebe wider. Betonen möchte ich: Gerade in Krisenzeiten stehen unsere Betriebe zu ihren Beschäftigten und setzen auf Qualität und Leistungsbereitschaft. ({5}) Unsere Betriebe haben das Kurzarbeitergeld genutzt, weil sie wissen, dass sie die gut ausgebildeten Menschen im Aufschwung wieder brauchen, ({6}) gerade im Hinblick auf den drohenden Fachkräftemangel. ({7}) Gespürt hat das Handwerk die Krise besonders am schmerzhaften Umsatzeinbruch und am Rückgang der Aufträge, besonders im Dienstleistungsbereich, wie zum Beispiel dem Friseurhandwerk, wo sich die Konsumzurückhaltung der Bürger unmittelbar bemerkbar macht, und vor allen Dingen bei den Zulieferern der Industrie, die exportabhängig ist. Die Maßnahmen der Bundesregierung haben sich positiv ausgewirkt. Insbesondere das Gebäudesanierungsprogramm hat im krisenanfälligen Baugewerbe die Nachfrage gesteigert. Ich will aber auch erwähnen, dass die Istbesteuerung ein wichtiges Element war, um die Liquidität unserer Betriebe zu sichern. Deswegen halte ich es für wichtig, diese Maßnahme zu verlängern. ({8}) Dies gilt in gleicher Weise für die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen in Privathaushalten. Beide Maßnahmen haben wir unter anderem in unserem Antrag festgehalten. Im Konjunkturpaket I haben wir die absetzbare Summe verdoppelt. Das war ein Anreiz für die Vergabe legaler Aufträge in privaten Haushalten. Viele handwerkliche Leistungen wurden aus der Grauzone der Schwarzarbeit geholt. Dadurch wurden Folgeaufträge generiert. Somit finanziert sich der Steuerbonus teilweise selbst, und er beschert dem Staat zusätzliche Steuer- und Sozialeinnahmen. ({9}) An dieser Stelle möchte ich gerne auf die Kritik des Bundesrechnungshofes eingehen. Erstens. Der Bundesrechnungshof legt in seiner Bewertung die Schätzungen des Subventionsberichts zugrunde. Bereits vor dem Start der Evaluierung, die von der Bundesregierung noch in diesem Jahr durchgeführt wird, gibt es Anzeichen, dass die tatsächlichen Steuerausfälle geringer sind. Zweitens. Eine reduzierte Sicht auf diese Steuerausfälle greift zu kurz, weil es Mehreinnahmen bei der Umsatzsteuer und bei den Sozialbeiträgen gibt. Diese Effekte hat der Bundesrechnungshof nicht ausreichend in seine Bewertung einfließen lassen. ({10}) Drittens. Es kann nicht sein, dass wir wegen hoher Kontrolldefizite der Finanzämter den Steuerbonus abschaffen. Für mich steht fest: Der Steuerbonus ist wachstums- und beschäftigungsfördernd und daher keine Subvention im herkömmlichen Sinne. ({11}) Es ist aber durchaus kritisch zu beleuchten, dass die Steuervergünstigung auch für ohnehin legal vergebene Aufträge gilt, zum Beispiel für Pflichtwartungen. Hier besteht Korrekturbedarf, der auch vom Handwerk selbst unterstützt wird. Über dieses Thema werden wir in diesem Hohen Haus sicher noch debattieren. Zurück zur Großen Anfrage. Stichwort Eigenkapitalquote. Als Ostwestfälin würde ich sagen: Die ist nicht schlecht. Jedenfalls ist sie besser, als ich erwartet habe und als man landläufig geglaubt hat. ({12}) - Lesen Sie es nach! ({13}) Sie wirkt sich jetzt im Aufschwung positiv auf die Finanzierungslage aus. In der Krise - das muss man zugeben - gab es durchaus Spannungen, aber ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Eine Kreditklemme hat es im deutschen Handwerk definitiv nicht gegeben. Besser als in der übrigen Wirtschaft sieht es bei den Insolvenzen aus. Während in der Gesamtwirtschaft ohne Handwerk 11 von 1 000 Unternehmen insolvent wurden, waren es im Handwerk lediglich 7 von 1 000. Dieser Umstand ist nicht zufällig; denn unsere familien- und meistergeführten Betriebe sind nun einmal stabiler. Nicht umsonst ist die unternehmerische Ausbildung der wichtigste Bestandteil der Meisterausbildung. Besonders freut mich, dass auch das ostdeutsche Handwerk heute gut dasteht. Es ist doppelt so stark wie bei der Wiedervereinigung. Auch die dreimal so hohe Ausbildungsleistung und die deutlich gesteigerte Produktivität der ostdeutschen Handwerksbetriebe sprechen für sich. ({14}) Die Große Anfrage hat auch bestätigt, wie erfolgreich Frauen im Handwerk sind. Es gibt drei Bereiche, in denen Frauen immerhin einen Anteil von 20 Prozent haben: bei den Meisterprüfungen, bei den Existenzgründerinnen und den Betriebsinhaberinnen. ({15}) Dieser hohe Frauenanteil ist erfreulich, aber noch lange nicht ausreichend. Ich möchte an junge Frauen und Mädchen appellieren, in sogenannte männerdominierte Berufe einzusteigen. Viele Mädchen wissen nicht, welche Chancen sie in Hightechberufen haben. Dort ist heute nicht mehr Muskelkraft gefragt, sondern es wird mit Computerunterstützung gearbeitet. Meistens ist auch die Bezahlung besser. Unsere Betriebe können auf die gut ausgebildeten Frauen und Mädchen in technikorientierten Berufen nicht mehr verzichten. Sie brauchen die jungen Frauen als Fachkräfte für die Zukunft. ({16}) Umgekehrt müssen wir natürlich auch mehr Jungen für dienstleistungsorientierte Berufe begeistern. Die Große Anfrage zeigt: Die Zahl der Betriebsübergaben an Töchter, die im Vergleich zu der Zahl der Übergaben an Söhne hinterherhinkt, ist noch ausbaufähig. Von dieser Tatsache war ich wirklich überrascht. Hier muss es sicherlich noch ein Umdenken geben, sowohl bei Vätern als auch bei Töchtern. Untersuchungen zeigen, dass pro Jahr etwa 22 000 Betriebe zur Übergabe anstehen und dass nur ein Teil der Betriebe einen Nachfolger findet. Wenn wir den Betriebsbestand und die Zahl der Beschäftigten erhalten wollen, muss die Zahl der Betriebsnachfolger auch innerhalb der Familie steigen. Das ist ein Thema, mit dem wir uns in Zukunft noch intensiv beschäftigen müssen, um die Substanz des Handwerks zu erhalten, als Motor für Wachstum, Arbeitskräfte und Ausbildungsplätze. Grundsätzlich müssen wir das Handwerk als tragende Säule der Gesellschaft stärken. Das gelingt nur, wenn wir auch die Begeisterung für das Unternehmertum und für die Selbstständigkeit anfachen. Ich appelliere eindringlich an junge Menschen, die sich bereits für einen Handwerksberuf entschieden haben, ihre Chancen zu nutzen und ihre unternehmerische Weiterbildung voranzutreiben. Die Meisterprüfung ist die Krönung der Ausbildung und die beste Befähigung für die Leitung eines eigenen Betriebes. ({17}) Viele junge Menschen wissen nicht, dass es unglaublich viele Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten im deutschen Handwerk gibt. Seit der Novelle zur Handwerksordnung 2003 ist es zwar in den B1-Berufen möglich, ohne Meisterbrief in die Selbstständigkeit zu gehen, aber man muss feststellen: Weil dort die Ausbildungsleistung nachlässt und die unternehmerische Qualität oft fehlt, ist die Überlebensfähigkeit dieser Betriebe deutlich schlechter. Die Ausbildungsquote im Handwerk beträgt 10 Prozent. Das heißt, bei rund 5 Millionen Beschäftigten stellt das Handwerk nahezu eine halbe Million Ausbildungsplätze. Von den 2010 neu abgeschlossenen Verträgen entfielen über 27 Prozent - das sind über 155 000 - auf das deutsche Handwerk. Das ist beeindruckend und zeigt die hohe Ausbildungsbereitschaft unserer Unternehmen. Ihnen an dieser Stelle dafür ein herzliches Dankeschön! ({18}) Nicht nur die Zahlen beeindrucken, sondern auch das dahinterstehende System der dualen Ausbildung bei uns in Deutschland. Unsere Jugendlichen haben die besten Chancen, und zu Recht werden wir von unseren europäischen Nachbarn darum beneidet. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel werden uns auch am Ausbildungsmarkt empfindlich treffen. Aber das Handwerk hat Zukunft, und deshalb kann es sich auch ständig auf neue Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen einstellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Strothmann, achten Sie bitte auf die Zeit!

Lena Strothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Die Innovationsfähigkeit im Handwerk ist belegt. Sie spielt gerade im Klimaschutz und bei der Energiewende eine große Rolle. Die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz bieten enorme Chancen. Es wird keine Energiewende ohne das Handwerk geben. Ich bin davon überzeugt: Das Handwerk hat wieder goldenen Boden. Nutzen wir die Chancen für Wachstum, Arbeitskräfte und Ausbildungskräfte! Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Diether Dehm für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Der Antrag der Koalitionsfraktionen verrät nicht die mindeste Vision für unser Handwerk. Er ist eine einzige Schönfärberei. Sie freuen sich über eine Eigenkapitalquote von über 10 Prozent, und das bei 67 Prozent des Handwerks. Was sind 11, 12, 13 Prozent Eigenkapitalquote? ({0}) - Lesen Sie den Bericht einmal durch! Das ist doch kein Grund zur Freude. Bei der Beschäftigungsrate freuen Sie sich über eine Prognose von plus 0,5 Prozent. 2009 gab es ein Minus von 1 Prozent und 2010 ein Minus von 0,6 Prozent. Das Handwerk ist noch lange nicht aus dem Krisental. Auch die Umsatzentwicklung im Handwerk ist im Reparatur- und Dienstleistungsbereich, aber auch im Bau- und Sanierungsgewerbe vom Vorkrisenniveau und von früheren Zeiten noch weit entfernt. Hinter dem Begriff „KMU“ stecken in Wahrheit Hunderttausende kleine und Kleinstunternehmen. Dort ist in den letzten Jahren die Zahl derer, die mit Hartz IV „aufstocken“ mussten, um 50 000 auf 125 000 gestiegen, weil sie mit 400 bis 800 Euro im Monat zu wenig zum Leben hatten. Das ist die nackte Wahrheit; das sind die Zahlen. Die werden von Ihrer Schönfärberei in gar keiner Weise verbessert. ({1}) Gleichzeitig rollt die Pleitewelle; aber das Finanzamt greift, selbst bei Insolvenzgefährdung, immer noch viel zu schnell und unbarmherzig ein. Wir linken Unternehmer wollen eine Steuerstundung bei unverschuldeter Dominoinsolvenz. An die FDP gerichtet kann ich nur sagen: Ich erinnere mich noch an Ihre lauten Rufe gegen die 19-Prozent-Mehrwertsteuer. Wo haben Sie denn in der Bundesregierung etwas getan, um die Mehrwertsteuer von 19 Prozent wenigstens um einen 1 Prozentpunkt zu senken? Damit hätten Sie auch unser Handwerk entlastet. Alles heiße Luft, sobald Sie regieren. ({2}) Wir linken Unternehmer wollen das Finanzamt radikal umbauen, von einer gefühlten Dauerbedrohung zu einem freundlichen Partner für kleine Unternehmen, damit kleine Handwerker keinen Steuerberater brauchen, der teurer ist als ihr Telefon. ({3}) Wenn wir mehr Mitarbeiter in den Finanzämtern fordern, dann zum einen, weil wir mehr Helfer für die kleinen und Kleinstunternehmen wollen, zum anderen aber auch als Großbetriebsprüfer, damit endlich von der Deutschen Bank und den Energiekonzernen die Steuer geholt wird, die bisher einseitig nur vom Mittelstand und von abhängig Beschäftigten gezahlt wird. Wir wollen die Finanzämter zu einem Vorposten eines freundlichen, weil starken Staates umbauen. ({4}) - Ja, für einen starken und freundlichen Staat. Das Finanzamt ist die Visitenkarte. Wir werben auch dafür, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland der Pflicht, gerechte Steuern zu zahlen, wieder gerne nachkommen. Das gilt besonders für die Deutsche Bank und die Großkonzerne, die nämlich so gut wie gar nicht zahlen, weshalb der Mittelstandsbauch entsteht. ({5}) Im Übrigen wissen unsere Bürgermeister und Landräte und auch die Kreissparkassen besser als irgendein anonymes Rankingsystem nach Basel II oder III, ob der am Ort eingesessene Bäckermeister für 15 000 Euro eine Teigmischmaschine kreditiert bekommen sollte oder ob er wegradiert wird und stattdessen eine weitere Wiener Feinbäckerei, also die Filiale irgendeines Bäckereikonzerns, der halbfertige Teigstücke liefert, dort eröffnet wird. ({6}) Sie sagen, es gebe keine Darlehensklemme. Ein Darlehen bekommt ein Handwerksunternehmen, gerade ein kleines Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten, doch oft nur, wenn es bei der Bank nachweisen kann, dass es gar kein Darlehen braucht. ({7}) Ich will Ihnen noch etwas sagen. Wir brauchen eine Vision für das Handwerk. Deswegen setzen wir gegen den Niedergang des Handwerks die Vision einer Reparaturoffensive. Reparieren vor Ort ist die Devise, Reparieren statt Austauschen konzernpatentierter und roboterDr. Diether Dehm verschweißter Module. Die Zulieferer und Werkstätten müssen aus der Knechtschaft der Konzerne und auch von den Wucherzinsen der großen Banken befreit werden. ({8}) Wenn in meinem Auto der hintere Fensterheber klemmt, dann bekomme ich in der Werkstatt drei weitere Fensterheber mitgeliefert plus Zentralverriegelung. Alles muss dann zusammen ausgetauscht werden. ({9}) - Ich kann Ihnen die Marke nennen. Das ist eine große Marke, die mit Wolfsburg in Verbindung steht. ({10}) Jedenfalls ist es so, dass ausgetauscht wird, anstatt zu reparieren. Die Konzerne produzieren oft extra so, dass nicht mehr repariert werden kann. Das ist das Problem. Irgendwann werden die hochverzinkten Module dann zu Umweltschrott, der nicht mehr recycelbar ist. Zudem wird Naturstoff verbraucht und das alles auf Tausenden von Autobahnkilometern hin und her geschippert. Die Handwerkerinnen und Handwerker haben das Nachsehen; denn sie können ihr Talent - das Reparieren - nicht mehr anwenden. Im Interesse einer ökologischen Wende muss der Staat die Konzerne zwingen, endlich wieder reparaturfreundlich zu produzieren. ({11}) Das kann dann mit einem TÜV-Label „Reparabel handwerks-, weil kundenfreundlich“ prämiert werden. ({12}) Wir brauchen den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, wir brauchen 1 Prozent Zinsen für Start-ups ({13}) und Überbrückungsdarlehen im Reparaturhandwerk. Dann wird eine Reparaturoffensive daraus. Wir müssen uns entscheiden, gerade bei der Frage der Steuern, aber auch bei der Frage der Darlehen: Wollen wir den goldenen Boden für die Ackermänner, oder wollen wir den goldenen Boden fürs Handwerk? Die Linke entscheidet sich für das Handwerk. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Ernst Hinsken hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Dehm, Sie mögen ja von allem etwas verstehen, aber vom Handwerk verstehen Sie nichts. ({0}) Ihre Rede ist total ins Leere gegangen. ({1}) Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass Sie zu Recht neben Ihrer Kollegin Frau Wagenknecht sitzen. Sie haben eine Klassenkampfrede gehalten, anstatt zum Thema Handwerk zu sprechen. ({2}) Vom Klassenkampf hat das Handwerk gar nichts, und Gott sei Dank steht der Klassenkampf beim Handwerk ganz weit unten auf der Liste. ({3}) Damit würden Sie dort nie und nimmer einen Blumentopf gewinnen. Ich habe das Bedürfnis, zunächst Ihnen, verehrter Herr Wirtschaftsminister Dr. Rösler, ein großes Kompliment zu machen. ({4}) Nicht nur ich, sondern auch die sieben im Deutschen Bundestag vertretenen Handwerksmeisterinnen und Handwerksmeister gratulieren Ihnen zu Ihrer großartigen Rede. ({5}) Da können Sie von den Grünen, der SPD und den Linken natürlich nicht mitreden, weil in Ihren Fraktionen kein einziger Handwerksmeister vertreten ist. Wir hingegen stehen mitten im Leben. Wir wissen, wo der Schuh drückt, und haben unmittelbaren Kontakt mit den Betroffenen. ({6}) Wir machen eine Politik für das Handwerk als einen ganz starken Mittelstandsbereich. Das ist notwendig, damit sich das Handwerk weiterhin entfalten kann. ({7}) Herr Kollege Duin, wenn wir dem damaligen Wirtschaftsminister unter Rot-Grün, Herrn Clement, gefolgt wären und die Anlage A zur Handwerksordnung auf 29 Berufe ausgerichtet hätten ({8}) - Herr Heil, Sie waren auch dabei -, dann sähe es ganz düster aus für unser Handwerk und andere Bereiche, insbesondere was die Arbeitsplätze anbelangt. Wir - CDU/CSU und FDP - haben es fertiggebracht, ({9}) dass die Anlage A zumindest auf 44 Gewerke ausgeweitet wurde. Im Nachhinein kann jetzt festgestellt werden, dass das eine vernünftige und richtige Entscheidung war. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wäre alles ganz anders gekommen. ({10}) Meine Damen und Herren, die heutige Debatte ist längst überfällig, und zwar deshalb, weil uns allen bewusst ist, dass das Handwerk einer der robustesten Wirtschaftszweige der Bundesrepublik Deutschland ist. Die 92 Fragen, die in der Großen Anfrage zum Handwerk gestellt worden sind, haben auf 69 Seiten Antworten erhalten. ({11}) - Das ist wirklich toll, weil wir etwas zu sagen haben, weil wir etwas nachzuweisen haben, weil wir Perspektiven geben möchten und weil wir dem Handwerk das Verständnis entgegenbringen wollen, das es benötigt, das es aber häufig vermisst. ({12}) Wenn man 988 000 Betriebe zum Bereich des Handwerks zählen kann, wenn man auf 4,7 Millionen Beschäftigte verweisen kann, wenn man 440 000 Ausbildungsverträge abgeschlossen hat, dann hat man allen Anlass, auf eine solche Leistung stolz zu sein. Erkennen Sie das doch einmal an! ({13}) Im Übrigen erwirtschaftet unser Handwerk im laufenden Jahr einen Umsatz von einer halben Billion Euro. ({14}) Das ist einmalig und großartig. Ich wollte es besonders hervorheben. Mir ist bewusst: Das Handwerk steht für Qualitätsarbeit, Ausbildungsplätze, Betriebsgründungen, Innovationen, Fleiß und Zuverlässigkeit. Ein Handwerker, ob Frau oder Mann, hat die 40-Stunden-Woche - das möchte ich auch einmal sagen - bereits am Mittwochoder Donnerstagabend erreicht. ({15}) Handwerker stehen mit beiden Beinen im Leben und bringen sich inhaltlich voll ein. Sie haben einen Anteil daran, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland so blendend dastehen. Frau Kollegin Scheel, ich meine schon, dass es erwähnenswert ist, dass 90 Prozent der Handwerksbetriebe Personengesellschaften sind. Da kann man nicht wie ein smarter Manager vorgehen, der seinen Hut nimmt, wenn es danebengeht. ({16}) Da haftet man mit seinem ganzen Hab und Gut; da muss man sich einbringen. Ich hebe das besonders hervor; denn ich habe vielfach Kontakt mit Handwerkern und möchte anerkennen, was sie leisten. ({17}) Es kann nicht von der Hand gewiesen werden: Dort, wo das Handwerk und der Mittelstand breit aufgestellt waren, hat sich die Wirtschaftskrise am wenigsten ausgewirkt; ({18}) da ist man am leichtesten über die Runden gekommen. Herr Duin, ich bin schon bereit, anzuerkennen, dass das Konjunkturprogramm II eine ganz gute Sache für das Handwerk war. ({19}) Die Große Koalition hatte das Programm beschlossen. Warum sollte nicht darüber geredet werden, wenn sich etwas so positiv auswirkt? Durch dieses Konjunkturprogramm wurde insbesondere die Binnenwirtschaft angekurbelt, die einen Schub brauchte, um die Herausforderungen, die auf uns zukamen, leichter zu bewältigen. Ich möchte kurz die Ausbildungsleistung des Handwerks ansprechen. Frau Kollegin Strothmann, Sie sind Präsidentin einer Kammer und stehen mit beiden Beinen im Leben. Sie wissen, dass im Jahr 2010 gut 155 000 Ausbildungsverträge im Handwerk abgeschlossen wurden; ({20}) das sind 27,7 Prozent aller Ausbildungsverträge, die in Deutschland abgeschlossen wurden. Eines freut mich ganz besonders: In verschiedenen Parteien und darüber hinaus wird immer wieder über eine Frauenquote diskutiert. Frau Kollegin Pawelski, jeder vierte Handwerksbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland wird von Frauen gegründet. Ein großes Kompliment an die Frauen! ({21}) Ich möchte auch sagen: Ein Handwerker weiß, dass er Unternehmer und nicht Unterlasser ist. ({22}) Er greift zu. Er bindet seine Mitarbeiter ein; einer kennt den anderen im Betrieb. ({23}) Das ist die Grundlage für einen erfolgreichen Betrieb, wie wir ihn in der Bundesrepublik Deutschland gerne haben. Die Handwerksmeister sind zu Recht stolz auf ihren Meisterbrief. Ich meine aber, dass die Meister, die wir haben, noch zu wenige sind. Eine breite Gründungswelle in der ganzen Bundesrepublik Deutschland täte uns gut; wir könnten sie gebrauchen. Wenn ich einen Handwerker frage, was ihn beschwert und ihm am meisten unter den Nägeln brennt, dann bringt er es ganz kurz, wie aus der Pistole geschossen, auf den Nenner: zu hohe Steuern, zu hohe Sozialabgaben, ({24}) zu viel Bürokratie und: „Wer wird mein Nachfolger?“ Meine Damen und Herren, genau auf diese vier Fragen geben wir Antworten. Wenn Sie die Antworten auf unsere Große Anfrage genau lesen, dann bekommen Sie auch die Antworten auf die vier genannten Fragen. Die Zeit lässt es nicht zu, darauf näher einzugehen. Ich bin mir dessen bewusst: Ein Handwerksmeister - oder eine Handwerksmeisterin - der Gegenwart muss ein Fachmann, ein Kaufmann und ein Techniker sein und etwas von den neuen Medien verstehen. Wenn er diese vier Komponenten beherrscht, dann wird er - davon bin ich fest überzeugt - die Herausforderungen der Zukunft ohne Weiteres meistern. Wir sollten die heutige Debatte vor dem Hintergrund führen, dass rund 85 Prozent der Handwerksbetriebe die Geschäftslage als gut bzw. befriedigend betrachten. Das zeigt sich auch daran, dass man ein Umsatzplus von gut 3 Prozent erwartet, während im Jahr 2009 - Sie wissen, da gab es die kleine Wirtschaftskrise - ein Minus von 0,6 Prozent ausgewiesen wurde. 7 000 Ausbildungsstellen können nicht besetzt werden. Herr Minister, Sie haben darauf verwiesen, dass junge Leute animiert werden müssen, ihre Zukunft im Handwerk zu suchen. Es wird belohnt, wenn man tüchtig ist, wenn man fleißig ist, wenn man sich einbringt. Als letzten Punkt möchte ich die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ansprechen. Das muss im Zusammenhang mit dem Facharbeitermangel gesehen werden. Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Handwerker durchaus in der Lage und bereit ist, länger zu arbeiten. Ich glaube, dass er Verständnis dafür hat, dass er länger arbeiten muss. Man kann einen Maurer oder Dachdecker natürlich nicht mehr mit 65 oder 66 Jahren auf das Dach jagen - das ist klar -, mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeit kann man dem Fachkräftemangel aber in gewisser Hinsicht begegnen. Tüchtige Leute, die bereit sind, sich weiter einzubringen, sollten die Möglichkeit haben, ein wichtiges Glied in der Handwerkerfamilie zu bleiben, insbesondere, wenn sie in dem Betrieb nicht erst ein halbes Jahr, sondern schon 20, 30, 40 oder sogar 50 Jahre tätig sind. Das soll als Botschaft hinausgehen: Wir setzen auf das Handwerk. Wir sind stolz auf diese Wirtschaftssparte in der Bundesrepublik Deutschland und werden weiterhin unser Augenmerk darauf richten. Herzlichen Dank. ({25})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Wicklein für die SPDFraktion. ({0})

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rund 160 Millionen Füße sind täglich in Deutschland unterwegs und können sich dabei auf das handwerkliche Geschick der Schuhmacher verlassen. In 75 600 Handwerksbetrieben sorgen Elektrotechniker, Elektroniker und Informationstechniker dafür, dass der Funke immer überspringt. 72 Prozent aller Erwachsenen haben in den letzten drei Jahren einen Augenoptiker besucht und einen Sehtest machen lassen. Maler und Lackierer verarbeiten in Deutschland in jedem Jahr etwa 310 Millionen Liter Farbe. 45 000 Bäckereifachgeschäfte versorgen uns täglich mit Brot und Backwaren. Deutschlandweit sorgen circa 78 000 Friseursalons mit handwerklichem Geschick dafür, dass ihre Kunden gut frisiert sind. ({0}) Dank der handwerklichen Fähigkeiten von Brauern und Mälzern werden in Deutschland jährlich 10 Milliarden Liter Bier abgesetzt und wahrscheinlich auch getrunken. ({1}) - Da freuen sich die Männer. Diese und viele andere interessante Fakten findet man auf der Internetseite des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Die Beispiele zeigen: Handwerk ist Vielfalt. Handwerk schafft Arbeitsplätze. Handwerk schafft viele interessante Perspektiven für junge Menschen; auch heute hören uns viele zu. Das muss man immer wieder betonen, weil nach wie vor häufig nur die zehn bekanntesten Handwerksberufe gewählt werden. Da müssen wir etwas ändern, damit das in Zukunft anders aussieht. ({2}) Mit mehr als 4,8 Millionen Beschäftigten in 151 Ausbildungsberufen und einem Jahresumsatz in dreistelliger Milliardenhöhe ist das Handwerk tatsächlich das Schwergewicht der deutschen Wirtschaft. Es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem das Handwerk nicht eine wichtige Rolle spielt. Es ist richtig: Noch nie ging es dem Handwerk so gut wie heute. Als Brandenburgerin freut mich ganz besonders, dass es dem Handwerk in den ostdeutschen Bundesländern besonders gut geht. Das Handwerk hat sich in Ostdeutschland sehr positiv entwickelt. Es stellt inzwischen eine tragende Säule der ostdeutschen Wirtschaft dar. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich den vielen Unternehmerinnen und Unternehmern in Ostdeutschland danken, die viel Mut und Risikobereitschaft aufgebracht haben. Sie haben mit ihrem Einsatz dazu beigetragen, dass sich eine Struktur der mittelständischen Wirtschaft herausgebildet hat. Das war viele Jahre lang nicht der Fall. Aufgrund dieser positiven Entwicklung haben die jungen Menschen in Ostdeutschland jetzt eine Perspektive. ({3}) Trotz dieser positiven Bilanz steht natürlich auch das Handwerk vor großen Herausforderungen; wir haben heute schon viel darüber gehört. Diese Herausforderungen sind zum Beispiel der demografische Wandel und der daraus resultierende Fachkräftemangel; meine Kollegen haben dazu schon einiges gesagt. Aus meiner Sicht ist eines ganz besonders wichtig und klar - das hört man immer wieder vom Handwerk -: Handwerk braucht Verlässlichkeit und Planbarkeit. ({4}) Die Politik der aktuellen Bundesregierung zeichnet sich leider durch das Gegenteil aus. ({5}) Eklatante Planlosigkeit und ständige Richtungswechsel sind Gift für die Entwicklung des Handwerks. ({6}) Wir bekommen es aktuell bei der Debatte über Steuersenkungen wieder vor Augen geführt: Im Koalitionsvertrag wurden Steuersenkungen vereinbart. Dann wurden sie vernünftigerweise kurze Zeit später vom Tisch gewischt. Jetzt werden sie für das Wahljahr 2013 angekündigt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. ({7}) Der Atomausstieg bzw. der Ausstieg vom Ausstieg und anschließende Wiedereinstieg und auch das bereits erwähnte Gebäudesanierungsprogramm sind bedauerlicherweise Paradebeispiele für das Hü und Hott der jetzigen Bundesregierung. Diese Wankelpolitik spiegelt sich auch in vielen Entscheidungen wider, die wichtig für die Entwicklung des Handwerks und des Mittelstands insgesamt sind. Entscheidungen über Dinge, die sich in der Vergangenheit bewährt hatten, wurden kurzerhand rückgängig gemacht. Wenn der Wind sich dreht oder erster Widerspruch bei möglichen Wählergruppen entsteht, werden sie wieder aus der Kiste geholt. Planungssicherheit für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen wird so nicht geschaffen ({8}) und Vertrauen in die Regierungspolitik übrigens auch nicht. Ihre Politik treibt den Unternehmern den Angstschweiß auf die Stirn, ({9}) weil sie heute Abend nicht wissen, was der nächste Tag bringen wird. ({10}) Ein Beispiel ist die Städtebauförderung; darüber wird im Anschluss noch ausreichend diskutiert werden. Die Mittel werden um 45 Millionen Euro gekürzt; sie reichen vorne und hinten nicht. Der Förderbedarf wird auf 700 Millionen Euro geschätzt, und zwar in einer Studie, die Ihr eigener Bauminister in Auftrag gegeben hat. Diese Kürzungsorgie und dieses Hin und Her haben unmittelbare Auswirkungen auf das Handwerk. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die Kürzungen bei der Städtebauförderung komplett zurückzunehmen und die Höhe der Mittel auf den ursprünglichen Stand zu setzen. ({11}) Nehmen wir das Beispiel Bürokratieabbau. Das vollmundig von der Bundesregierung angekündigte Ziel, bis Ende 2011 die jährlichen Bürokratiekosten der Wirtschaft um 25 Prozent zu senken, wird nach dem gegenwärtigen Stand nicht erreicht. Zahlreiche Vorschläge - übrigens auch von Handwerkern - wurden bis heute nicht aufgegriffen. Die Entscheidungen darüber wurden vertagt. Ein Sprint auf der Zielgeraden ist das nicht. An diesen wenigen Beispielen aus einer endlosen Liste wird deutlich, wie schnell sich die aktuelle Politik der Bundesregierung ändert. Für mich ist die derzeitige Politik der Bundesregierung hilflos, planlos und orientierungslos. ({12}) Genau das verunsichert das Handwerk. Unsere mittelständischen Unternehmen brauchen Planungssicherheit, Kontinuität und Verlässlichkeit. Vielen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Schummer für die Unionsfraktion. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Handwerk ist eine starke Wirtschaftsmacht. Es ist vor allem eine sehr starke Bildungsmacht. Damit hat es eine Voraussetzung dafür geschaffen, dass wir gemeinsam gestärkt aus der Weltwirtschafts- und -finanzkrise herausgekommen sind. 19 Prozent aller Betriebe in der Wirtschaft sind Handwerksunternehmen. Diese 19 Prozent stellen allerdings fast 30 Prozent aller Ausbildungsplätze in Deutschland zur Verfügung. Das Handwerk ist deutscher Meister in der Berufsausbildung. Die Ausbildungsquote liegt im Handwerk bei 10 Prozent, in der Großindustrie bei 3,5 bis 4 Prozent. Bis Juni dieses Jahres - diese Zahl ist also ganz aktuell - meldete das Handwerk 58 000 neue betriebliche Ausbildungsplätze, 6 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Das heißt, es geht auch nach der Krise weiter bergauf. Das Handwerk bildet sogar über den eigenen Bedarf hinaus aus, sodass es seine wichtige gesellschaftliche Funktion im Bildungsbereich immer wieder von Neuem erfüllt. Was den Unterschied zwischen den Genossen der Bosse und der Meisterin des Handwerks, Frau Merkel, ({0}) ausmacht, ist Folgendes: 2005 gab es in Deutschland 5 Millionen Arbeitslose, derzeit 2,8 Millionen. 2005 wurden jeden Tag unter dem Strich 2 000 Arbeitsplätze vernichtet, derzeit werden täglich unter dem Strich 1 400 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das ist der Unterschied zwischen einer unionsgeführten Bundesregierung und einer SPD-geführten Bundesregierung. ({1}) Eine Bildungspartnerschaft gibt es beispielsweise im Rahmen des Ausbildungspaktes. Die christlich-liberale Koalition hat es geschafft, dafür zu sorgen, dass auch die Bundesländer eingestiegen sind. Hier gibt es also kein Kooperationsverbot, sondern eine ganz konkrete Bildungspartnerschaft, die dazu führt, dass insgesamt mehr Ausbildungsplätze und in der Ausbildung mehr Qualität geschaffen werden. Ein entscheidendes Instrument zur Verbesserung der Zielgenauigkeit der Berufsorientierung - sie ist im Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen 2003 massiv unter Beschuss geraten - ist die Schaffung von Bildungsketten. Das heißt, dass wir nicht erst drei Monate, sondern schon drei Jahre vor der Schulentlassung gemeinsam mit den Schülern überlegen, wie Berufsorientierung und Berufsberatung aussehen können. Wir wollen drei Jahre vor der Schulentlassung in der Schule eine Potenzialanalyse durchführen, um die Stärken und Schwächen des jeweiligen Schülers zu erkennen, sodass wir in der verbleibenden Zeit daran arbeiten können. Wir wollen die Stärken stärken und die Schwächen weitestgehend beseitigen. Zwei Jahre vor der Schulentlassung wollen wir dafür sorgen, dass in überbetrieblichen Ausbildungsstätten - davon gibt es in Deutschland über 600 - zwar nicht alle 342 Berufsbilder kennengelernt, zumindest aber die wichtigsten Berufsfelder durchlaufen werden können, innerhalb von zwei, drei Wochen und projektbezogen. Anschließend sollen betriebliche Praktika absolviert werden, und zwar in dem Berufsbereich, für den der Jugendliche geeignet ist und in dem er den Übergang von der Schule in die berufliche Qualifizierung schaffen kann. Die Ausbildungsketten, die wir entwickelt haben und jetzt umsetzen, sind ein wesentliches Instrument, auch in den 600 Berufsbildungsstätten des Handwerks, die wir mit Zuschüssen von 40 Millionen Euro unterstützen. Sie sind auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Motivation in der Schule steigt. So ist die Zahl der Schulabbrecher von 100 000 vor einigen Jahren auf derzeit 60 000 gesunken. Wir wollen darüber hinaus die Zielgenauigkeit des Übergangs in die Berufsqualifizierung verbessern, damit auch die Abbrecherquote in der Berufsausbildung - derzeit liegt sie bei 24 Prozent - sinkt. Sie ist allerdings bei weitem geringer als die Abbrecherquote an den Fakultäten der Universitäten; dort liegt sie teilweise bei 35, 40 oder 45 Prozent. Kollegin Wicklein, Angstschweiß auf der Stirn hatte das Handwerk 2003, 2004 und 2005, als die Handwerksnovelle von der damaligen rot-grünen Koalition angegangen worden ist. ({2}) Damals mussten wir den Meisterbrief - Kollege Hinsken hat es geschildert - gegen die Ich-AGs von Rot-Grün verteidigen. Wir haben erreicht, dass neben dem Kriterium der Gefahrengeneigtheit auch das Kriterium der Ausbildungsleistung - ein wichtiges Instrument für das Handwerk - beim Erhalt des Meisterbriefes gemäß der Handwerksrolle Anlage A gesichert werden konnte. Dort, wo der Meisterbrief als Voraussetzung für die Selbstständigkeit im Handwerk weggefallen ist, bei den Fliesenlegern, kam es zu einem wunderbaren Anstieg der Zahl neuer Betriebe. Aber die Ausbildungsquote hat sich halbiert. Ich wiederhole: Verdopplung der Zahl der Betriebe, Halbierung der Ausbildungsleistung. Das zeigt: Der Meisterbrief ist die Voraussetzung für die Ausbildungsleistung in unserem Lande. Wir diskutieren derzeit über den Europäischen Bildungsrahmen bzw. den Europäischen Qualifikationsrahmen. Uns allen ist daran gelegen, im europäischen Raum, zwischen Portugal und Griechenland, dafür zu sorgen, dass auch die Länder, die das duale System nicht in dem Maße kennen, zu dem Ergebnis kommen - das wollen wir im Rahmen der Anerkennungsrichtlinie im Hinblick auf die Berufsausbildung auf europäischer Ebene durchsetzen -, dass der Meisterbrief oder der Techniker, also die Weiterbildung, europaweit genauso bewertet wird wie der Bachelor, dass also akademische Ausbildung und berufliche Ausbildung gleichgestellt werden. Wir sagen beispielsweise auch: Ein Ausbildungsabschluss als Mechatroniker hat im Europäischen Qualifikationsrahmen den gleichen Wert wie zum Beispiel das Abitur. Wir brauchen nicht nur Menschen, die Mondbahnen berechnen und die Relativitätstheorie von Einstein erläutern können, sondern wir brauchen auch Menschen, die eine Heizung reparieren können und wissen, wie eine Maschine zusammengebaut wird, damit sie auch funktioniert. Das bedeutet Gleichwertigkeit von akademischer und Berufsausbildung. Auch im Bildungsausschuss höre ich immer wieder, und zwar von den Sozialdemokraten, dass die Abiturquote und die Studienzugangsquote Maßstäbe für Bildungserfolge sind. 46 Prozent aller Schulabgänger sind in der derzeitigen Generation Gott sei Dank Studienanfänger, aber der Weiterbildungsberuf, die duale Ausbildung, hat den gleichen Wert und die gleiche Sinnhaftigkeit wie diese akademische Ausbildung. ({3}) Das müssen wir in einem europäischen Ausbildungsraum zwischen Portugal und Griechenland auch miteinander umsetzen. Ich komme zum Schluss. Ernst & Young haben bei einer Befragung von globalen Personalentscheidern festgestellt, dass Deutschland mit der dualen Ausbildung hinter China, den USA und Indien an vierter Stelle der Talentschmieden steht. Der Bildungsfaktor Handwerk ist eine Voraussetzung für diesen Erfolg, den wir gemeinsam haben. Dem geht es heute gut, und das hat etwas mit der christlich-liberalen Koalition zu tun. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/ 6457 mit dem Titel „Wirtschaftsmacht Handwerk - Kein Wachstum in Deutschland ohne das Handwerk“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stim- men der SPD und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 40 Jahre Städtebauförderung - Erfolgsmodell für die Zukunft der Städte und Regionen erhalten und fortentwickeln - Drucksache 17/6444 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Innenausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Städtebauförderung auf hohem Niveau verstetigen, Forderungen der Bauministerkonferenz umsetzen - Drucksache 17/6447 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Innenausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ({2}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gerne die Aussprache eröffnen. - Kollegen Kauder und Beck, ich würde gerne die Aussprache eröffnen. ({3}) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Bartol für die SPD-Fraktion. ({4})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor fast genau 40 Jahren, am 16. Juni 1971, hat der BunSören Bartol destag das Städtebauförderungsgesetz beschlossen. 40 Jahre Städtebauförderung: Das wäre eigentlich ein Anlass, zu feiern, wenn uns in diesem Jahr nicht die dritte Kürzungsrunde in Folge erwarten würde. Nur noch 410 Millionen Euro für die Städtebauförderung stehen im Haushaltsentwurf für 2012. Damit bleiben Sie noch hinter den 455 Millionen Euro zurück, die Sie, Herr Ramsauer, uns noch Anfang Juni im Ausschuss in Aussicht gestellt haben - und weit hinter den 700 Millionen Euro, die eigentlich nötig wären. ({0}) Herr Ramsauer, die Zukunft der Städte interessiert Sie offenbar überhaupt nicht; denn ansonsten hätten Sie im Kabinett endlich einmal mehr Rückgrat gezeigt. ({1}) Die Bundesregierung spart damit ein historisch gewachsenes Instrument der Stadtpolitik kaputt, das eine der großen Reformleistungen der Regierung Willy Brandt war. Anliegen des sozialdemokratischen Bauministers Lauritz Lauritzen war es, die Bodenspekulationen einzuschränken, den Kommunen mehr Steuerungsmöglichkeiten zu geben und die Bürgerbeteiligung und den Mieterschutz zu stärken. Das waren damals und sind heute noch immer aktuelle und hochspannende Themen. Die Städtebauförderung hat sich über 40 Jahre bewährt. Die Städte und Gemeinden werden durch sie darin unterstützt, die Bausubstanz zu erhalten und ein lebenswertes Wohnumfeld und nicht zuletzt gute Investitionsbedingungen zu schaffen. Die rot-grüne Bundesregierung hat mit dem Programm „Soziale Stadt“ und mit den Stadtumbauprogrammen die Städtebauförderung entscheidend fortentwickelt. Sie hat sich damit verstärkt den Stadtteilen zugewandt, die wirtschaftlich und sozial benachteiligt sind. Die Programme „Soziale Stadt“ sowie „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ setzen auf ganzheitliche Entwicklungsstrategien. Sie beteiligen die Menschen an der Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfeldes. Sie sind damit Erfolgsmodelle für Bürgerbeteiligung und gelebte Demokratie. Vor diesem Hintergrund freue ich mich ganz besonders, dass es uns gelungen ist, dazu mit den Grünen einen gemeinsamen Antrag vorzulegen. Auch in der Großen Koalition war die Stadtentwicklungspolitik von einem breiten, parteiübergreifenden Konsens getragen. Die Städtebauförderung blieb als gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern auch nach der Föderalismusreform erhalten; zu Recht, denn sie ist ein Paradebeispiel dafür, wie Zusammenarbeit von Bund und Ländern gelingen kann. Umso bedauerlicher finde ich es, dass die Bundesregierung dieser erfolgreichen Zusammenarbeit mehr und mehr die Grundlage entzieht. In diesem Jahr protestieren die Bauminister der Länder schon zum zweiten Mal einstimmig gegen die Kürzungen der Städtebauförderung. Herr Minister Ramsauer, die Vertrauensbasis bröckelt. Auch Ihr Haushaltsentwurf für 2012, Herr Minister, zeigt, dass Sie überhaupt nicht begriffen haben, was kluge Stadtentwicklungspolitik ausmacht. Stadtentwicklung geht nicht von heute auf morgen. Sie braucht Verlässlichkeit. Stattdessen erleben wir Ungewissheit und alljährliche Kürzung. Ihr Haushaltsentwurf enthält, verglichen mit 2009, eine Kürzung um 60 Prozent bei dem Programm „Soziale Stadt“, eine Kürzung um 40 Prozent bei dem Programm „Stadtumbau Ost“ und eine Kürzung um ein Drittel bei dem Programm „Stadtumbau West“, um drei Beispiele zu nennen. ({2}) - Das sicherlich sinnvolle Programm für kleine Städte und Gemeinden wird seit 2010 immer weiter aufgestockt. Wen wundert das: 25 der 75 bisher in diesem Programm geförderten Kommunen liegen in Bayern. ({3}) Ich bin nicht sicher, welch böse Überraschung die Haushaltsberatungen dieses Mal für uns bereithalten. Die drastische Kürzung der Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ im letzten Jahr kam quasi über Nacht. ({4}) CDU/CSU und FDP haben nicht nur die Mittel für das Programm von 95 auf 28,5 Millionen Euro zusammengestrichen. Nein, sie haben die Mittel für Modellvorhaben zur Integration, zum Spracherwerb und zur Betreuung von Jugendlichen in sozialen Brennpunkten ganz gestrichen und den Ländern verboten, überschüssige Mittel anderer Programme dort einzusetzen. ({5}) Bibliotheken für Mädchen mit Migrationshintergrund seien nicht Aufgabe des Bauministeriums, so die Begründung der FDP; ({6}) man solle sich auf rein investive Maßnahmen beschränken. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist nicht nur ein Ausdruck sozialer Kälte, sondern das ist auch ein Ausdruck ökonomischer Kurzsichtigkeit. ({7}) Diese Woche haben wir im Ausschuss eine Studie debattiert, die die positive Anstoßwirkung der Städtebauförderung für Investitionen bestätigt. 1 Euro Städtebaumittel von Bund und Land stoßen über 7 Euro Investitionen in den Fördergebieten an, mit überaus positiven Wirkungen auf Wertschöpfung, Beschäftigung, Steuerund Sozialversicherungseinnahmen. Das gilt - liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie doch einmal zu überdurchschnittlich für das Programm „Soziale Stadt“. ({8}) Wenn Sie das Gutachten aufmerksam lesen, können Sie lernen: Langfristige und ganzheitliche Strategien der Quartiersentwicklung zahlen sich aus, nicht nur im Hinblick auf den sozialen Zusammenhalt, sondern auch finanziell. Neben Wohnungsunternehmen engagieren sich private Einzeleigentümer, Einzelhändler, Stiftungen und Kirchen in den Fördergebieten. Ohne sie geht es nicht, aber es geht auch nicht ohne Bundesmittel; denn in den Städten und Gemeinden entscheiden sich ganz konkret die großen Zukunftsfragen unserer Gesellschaft. Um diese großen demografischen, wirtschaftlichen, sozialen, aber auch ökologischen Herausforderungen zu bewältigen, fehlt den allermeisten Städten die Finanzkraft. Von Ihnen, Herr Minister Ramsauer, können sie keine Unterstützung erwarten. ({9}) Im Gegenteil: Sie kürzen nicht nur bei der Städtebauförderung, sondern Sie fahren auch den altersgerechten Umbau in der Zukunft in Richtung null. ({10}) Wir fordern von der Bundesregierung: Lassen Sie die Kommunen nicht weiter ausbluten! Nehmen Sie endlich die Kürzung in der Städtebauförderung zurück! Dann haben Sie, Herr Minister Ramsauer, eine gute Grundlage, um mit den Ländern, Kommunen und allen anderen Akteuren der Stadtentwicklung endlich wieder zu einem konstruktiven und vertrauensvollen Dialog über die Zukunft der Städte zu kommen. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Peter Ramsauer. ({0})

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Bartol, als jemand, der seit 33 Jahren, seit 1978, in der Kommunalpolitik nicht nur tätig war, sondern ist, etwas mehr als elf Jahre davon - bis zum Eintritt in den Bundestag - im Stadtrat seiner Heimatgemeinde - damals war ich noch jünger, als Sie es heute sind - und seit 1984 im Kreistag seiner Heimat im Chiemgau, im Landkreis Traunstein, als jemand, der also 33 Jahre Erfahrung in der Kommunalpolitik auch an verantwortlicher Stelle hat, ({0}) brauche ich keine solchen arroganten Belehrungen über den Wert der Kommunalpolitik, wie Sie sie gerade vorgebracht haben. ({1}) Das wirkt bei Ihnen schon etwas schnöselhaft, das muss ich wirklich sagen. Genauso deutlich und voller Überzeugung sage ich - auch aus meiner Erfahrung als Kommunalpolitiker heraus -: 40 Jahre Städtebauförderung sind eine immense Erfolgsgeschichte, und das braucht sich kein Kommunalpolitiker in ganz Deutschland von Ihnen kaputtreden zu lassen. ({2}) - Wenn Sie da lachen, müssen sich die tüchtigen Kommunalpolitiker, die Verantwortungsträgerinnen und -träger draußen im Lande in unseren Kommunen, verhöhnt vorkommen. Sie können sich von Leuten wie Ihnen, die auf solche Aussagen so reagieren, nicht ernst genommen fühlen. ({3}) Ich nehme sie ernst, und ich bin auch überzeugt, dass die Städtebauförderung die ganz zentrale Säule der Stadtentwicklungspolitik des Bundes ist und dass wir dadurch einen ganz elementaren Beitrag dazu leisten, dass viele Kommunen auch strukturelle Probleme lösen können. Ohne die Hilfen der Städtebaupolitik wären sie zur Lösung vieler struktureller Probleme schlicht und einfach nicht in der Lage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Frage des Kollegen Pronold zu beantworten?

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Pronold? - Endlich bekomme ich vom Kollegen Pronold einmal eine Zwischenfrage gestellt. Jetzt bin ich ein Jahr und acht Monate im Amt. Es ist das erste Mal; das stelle ich ausdrücklich fest. Ich begrüße es, dass sich der Kollege Pronold alle gut eineinhalb Jahre aufrafft, mir irgendwo eine Frage zu stellen, nachdem das im Ausschuss, dem er - schweigend - angehört, bisher noch überhaupt nicht der Fall war. Also, bitte sehr.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ramsauer, ich bin wirklich überrascht, dass Sie dem Kollegen Bartol angesichts Ihres Auftritts hier Arroganz vorwerfen. ({0}) Aber das war nicht meine Frage. Mich interessiert, wie viele Briefe Sie von bayerischen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern in den letzten zwei Jahren bekommen haben, die sich gegen die Kürzung der Mittel für die Städtebauförderung im Haushalt ausgesprochen haben, die Sie zu verantworten und im Kabinett zu vertreten haben.

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Ich möchte die Antwort in zwei Teile gliedern. Erstens. Ich habe Gott sei Dank viele solcher Briefe bekommen, und ich habe mir ausdrücklich auch viele solcher Briefe bestellt, was Sie vielleicht verwundern wird. ({0}) - Ja, ich habe sie bestellt und darum gebeten, man möge mir solche Bittschreiben schicken, damit ich auch eine gute Argumentationsgrundlage habe. ({1}) Jetzt der zweite Teil, lieber Herr Pronold. Es wäre vielleicht besser gewesen, nicht Sie hätten die Frage gestellt. Wenn Sie aus Bayern heraus argumentieren, wäre ich an Ihrer Stelle einmal ganz vorsichtig. Wer so baden geht wie Sie auf Ihrem letzten Landesparteitag, ({2}) wäre besser beraten, nichts zu fragen. Ich zitiere hier aus der Süddeutschen Zeitung von vor ein paar Tagen. Da heißt es: … ließen die Delegierten - Ihre Parteitagsdelegierten beim zweitägigen SPD-Parteitag … ihren Chef - das sind Sie überraschend schroff abblitzen. Anders, als zunächst absehbar, lehnten die Delegierten Pronolds … Steuerkonzept komplett ab. … Am Ende war Pronold mit seinem Antrag komplett untergegangen. Ende der Antwort, Sie können sich setzen. ({3}) Zu Ihrer Kritik muss ich sagen: SPD und Grüne schreiben im vorliegenden Antrag, unsere Städte und Gemeinden seien in Gefahr, „drastisch an Lebensqualität zu verlieren“. Das halte ich, gelinde gesagt, für eine arge Übertreibung. Es gibt zwar eine Reihe problematischer Entwicklungen. Das ist die Lebensrealität in den Kommunen. Um diese Entwicklungen müssen wir uns selbstverständlich kümmern. Aber ich finde, wir sollten dies mit größtmöglicher Sachlichkeit tun, statt mit solchen Formulierungen Zehntausenden von Kommunalpolitikern eine Ohrfeige zu erteilen. Wir haben in den 40 Jahren seit 1971 stolze 14 Milliarden Euro an Bundesfinanzhilfen bereitgestellt und konnten damit 6 400 städtebauliche Maßnahmen konkret fördern. Wie erfolgreich diese Städtebaupolitik war, sieht man im Übrigen besonders in den neuen Ländern. Was Städte, Gemeinden und Bürger mithilfe des Bundes und ihre jeweiligen Länder seit 1990 geschafft haben, nämlich teilweise völlig verwahrloste Stadtquartiere wieder herzurichten, verdient allergrößten Respekt und kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im ersten Redebeitrag ist kritisiert worden, dass die Mittelausstattung zurückgefahren worden ist. Sie haben die Große Koalition angesprochen. Wir alle, auch ich, haben in der letzten Legislaturperiode die Schuldenbremse beschlossen. Diese hat konkrete Auswirkungen auf die Haushaltspolitik. Im letzten Jahr ist es für das Haushaltsjahr 2011 gelungen, die ursprünglich ins Auge gefasste Halbierung zu halbieren, ({5}) und zwar von 610 Millionen Euro auf 305 Millionen Euro. Wir sind dann auf 455 Millionen Euro gekommen. Dafür möchte ich mich beim Bundesfinanzminister, beim Parlament und beim Haushaltsausschusses unseres Bundestages ganz herzlich bedanken. Sie haben von 410 Millionen Euro gesprochen. Gehen Sie das doch bitte vernünftig an. Wie Sie wissen, waren nach dem Eckwertebeschluss, den wir am 16. März gefasst haben, ursprünglich 266 Millionen Euro für das Jahr 2012 vorgesehen. Wir haben in den Gesprächen - so ist es jetzt auch im Kabinettsbeschluss für das Jahr 2012 festgehalten - eine Summe von 410 Millionen Euro vereinbart. Sie könnten zwar sagen, dass eine Senkung von 455 Millionen Euro auf 410 Millionen Euro 10 Prozent weniger bedeuten, aber nehmen Sie bitte auch Folgendes zur Kenntnis, Kollege Bartol: Wir haben daneben ein neues KfW-Programm zur energetischen Stadtentwicklung aufgelegt, für das 92 Millionen Euro veranschlagt sind. ({6}) Auch das muss man in diesem Zusammenhang sehen. Die energetische Stadtentwicklung ist eine Art von Stadtentwicklung und Sanierung. Wenn man das KfW14272 Programm mit einbezieht, dann kommt man nicht mehr auf 410 Millionen Euro, sondern auf gut 500 Millionen Euro. Das kann sich in der Tat sehen lassen. ({7}) Uns stehen also statt 455 Millionen Euro in diesem Jahr insgesamt 502 Millionen Euro zur Verfügung. ({8}) - Entschuldigung, Sie wissen doch genau, wie diese Mittel eingesetzt werden. Energetische Sanierung im Quartier ist auch eine Art von Städtebauförderung. ({9}) Wir werden alle Programme fortführen. Ich komme viel herum und habe mir von vielen Programmen ein Bild gemacht. Das sollten auch Sie tun. Alle Kommunalpolitiker, die ich in den letzten eineinhalb Jahren gesprochen habe, haben mich gefragt, ob wir nicht einen Weg finden können, um die energetische Sanierung im Quartier stärker anzugehen. Genau diesen Weg eröffnen wir jetzt. Ich bekomme dazu nur anerkennende Kommentare, ({10}) nicht nur von Kommunalpolitikern der Union, sondern auch von den vernünftigen Kommunalpolitikern unter den Sozialdemokraten und den Grünen; für die FDP gilt das selbstverständlich genauso. Wie gesagt, wir führen alle Programme fort. Ich möchte unterstreichen, dass wir ein Programm weiter aufstocken, und das ist unser Programm für kleinere Städte und Gemeinden im ländlichen Raum. Herr Bartol, wenn Sie dies kritisieren, dann zeigt das Ihr gestörtes Verhältnis zum ländlichen Raum. ({11}) Wann immer ich hier zur Städtebaupolitik gesprochen habe, habe ich klar gemacht: Es kann nicht nur um die Metropolzentren gehen, um die großen städtischen Zentren. ({12}) Die brauchen wir selbstverständlich. ({13}) Ein Bundespolitiker mit Gewissen muss aber auch für den ländlichen Raum da sein, muss sich für die kleinen Gemeinden einsetzen; denn sie geben unserem Land Seele und Substanz. ({14}) Funktionierende Metropolzentren in einem gut strukturierten Land brauchen starke ländliche Regionen, und natürlich brauchen gute ländliche Regionen auch städtische Zentren; das ist ganz klar. ({15}) Beide Seiten der Medaille ergeben eine gute und ausgewogene Bundesbaupolitik. Im Übrigen hat diese Förderung - das haben wir in der Handwerksdebatte gerade gehört - auch eine ganz immense konjunkturpolitische Bedeutung. ({16}) Ich bin froh, dass wir nicht nur aus der Kommunalpolitik, sondern gerade auch aus dem Bereich des Handwerks großen Zuspruch bekommen; denn die Mittel, die in die Städtebaupolitik fließen, wirken vielfach. Von dem Multiplikator haben Sie gerade gesprochen. 1 Euro von Bund und Land löst das Siebenfache an Investitionen aus. ({17}) Das kommt gerade dem mittelständischen Bauhandwerk, dem Bauhauptgewerbe, dem Baunebengewerbe, zugute, und das ist dann gut ausgelastet. In Verbindung mit der in den kommenden Jahren hervorragenden Ausstattung im Bereich der CO2-Gebäudesanierung wird ein großartiger Schuh daraus, nicht nur städtebaulich, sondern auch konjunkturpolitisch. ({18}) Natürlich war zu erwarten, dass Sie das Programm „Soziale Stadt“ ansprechen. ({19}) Wir stocken das wieder auf. Im parlamentarischen Verfahren war im letzten Jahr in der Tat eine Kürzung auf 28 Millionen Euro beschlossen worden. ({20}) - Im parlamentarischen Verfahren! Eines können Sie von mir nicht erwarten: dass ich als Bundesminister das Parlament und den Haushaltsausschuss kritisiere. Das tue ich nicht. Das ziemt sich auch nicht. ({21}) Das hat der Haushaltsgesetzgeber, dieses Parlament, beschlossen. ({22}) Jetzt stocken wir die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ von 28 Millionen Euro auf 40 Millionen Euro auf; denn es ist richtig: Hier kann viel Segensreiches bewirkt werden, wenn auch nicht unbedingt mit einer hohen Multiplikatorwirkung. Ich sehe die Dinge aber immer gesamtvolkswirtschaftlich. Da steht zweifellos fest, dass man mit einem Programm wie der „Sozialen Stadt“, wenn es vernünftig angelegt ist, viel Prävention betreiben kann, damit viele Probleme in einer Kommune erst gar nicht entstehen, die sonst hinterher mit teuren Reparaturmaßnahmen wieder bereinigt werden müssten. Darum stehe ich hinter diesem Programm. Ich bin froh, dass wir es wieder aufstocken können. ({23}) Meine Damen und Herren, Sie sehen: Der Bund ist ein verlässlicher Partner der Kommunen. Der Bund steht zur Städtebauförderung. Nach 40 Jahren Städtebauförderung kann man mit Fug und Recht sagen: Es ist eine Erfolgsgeschichte. Der Bund weiß, was er den Kommunen schuldig ist. Ich glaube, die Städtebauförderung hat eine gute Zukunft. Ich sage es mit einem Wort: Wir als Bund und ich als Bundesbauminister bleiben ein verlässlicher Partner für die Kommunen. Besten Dank. ({24})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Heidrun Bluhm hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Ramsauer, mit Ihrer Rede haben Sie Ihre einzige Qualifikation gezeigt, nämlich Streichorgien als Erfolgsgeschichte zu verkaufen. Das nimmt Ihnen aber niemand mehr ab. ({0}) Wenn man die Debatten der letzten Monate und auch die heutige Debatte Revue passieren lässt, dann scheint es so zu sein, dass in diesem Hause eine große Übereinstimmung herrscht, was die Bewertung der Städtebauförderung betrifft. „Eine einzigartige Erfolgsgeschichte“, so auch Herr Ramsauer heute, hört man allenthalben, und niemand widerspricht. Politiker aller Parteien übertreffen sich geradezu in ihren lobenden Wertungen der Städtebauförderung insgesamt und ihrer Einzelprogramme. Es ist in der Tat beeindruckend, welche wirtschaftlichen und sozialen Effekte die Städtebauförderung des Bundes in den vergangenen 40 Jahren in den Städten und Regionen ausgelöst und angestoßen hat. Die einzelnen Programme der Städtebauförderung haben sich als effektive und vor allem als lernende Konzepte bewährt, in denen die Kommunen zielgenau und bedarfsgerecht agieren können. Was ebenso wichtig ist: Die Programme haben sich darüber hinaus als äußerst wirtschaftsfördernd erwiesen. Nun trauen Sie mir das vielleicht nicht zu, aber ich möchte gerade auf diesen Aspekt etwas genauer eingehen. Wo sonst hat man eine Investitionseffizienz von eins zu sieben, zu acht oder zu elf? Diese Wirkungsquoten werden durch das Bauministerium explizit mit den Zahlen für 2011 bestätigt. Selbst diese Zahlen sind trotz gekürzter Mittel beachtlich. Aus 455 Millionen Euro Bundesmitteln werden durch die Kofinanzierung der Länder 910 Millionen Euro. Daraus entstehen wiederum gesamtwirtschaftliche Effekte durch kommunale Anteile und Privatinvestitionen in einer Größenordnung von 6,6 Milliarden Euro. Die Beschäftigungswirkung in Höhe von 152 000 Erwerbstätigen im Jahr zusätzlich, die Bruttowertschöpfung in Höhe von rund 7,9 Milliarden Euro, die Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1,6 Milliarden Euro und Steuereinnahmen von rund 1,4 Milliarden Euro - davon 658 Millionen Euro für den Bund, 603 Millionen Euro für die Länder und 117 Millionen Euro für die Kommunen -: Das kann doch eigentlich auch ein Finanzminister zusammenzählen. Hier muss sich jedem die Frage aufdrängen: Warum um alles in der Welt will die Bundesregierung auf diese volkswirtschaftlichen Effekte verzichten? Warum schmälert sie seit Jahren die finanzielle Basis für Wirtschaft und Sozialsysteme? Denn im Umkehrschluss bedeutet diese Rechnung doch, dass die Kürzung der Mittel für die Städtebauförderung zu einem vielfachen Einnahmeverlust an Steuern und Sozialbeiträgen führt. Die Kürzungen mit den Zwängen der Haushaltskonsolidierung zu begründen, ist angesichts solcher Zahlen geradezu grotesk. Die Städtebauförderung ist kein Subventionsprojekt; sie ist ein einzigartiges Haushaltskonsolidierungsprogramm. Von 2009 bis zum Haushaltsplan 2012 hat die Bundesregierung die Mittel für die Städtebauförderung gegen jegliche wirtschaftliche Vernunft Jahr für Jahr zurückgefahren. 570 Millionen Euro waren es noch im Jahre 2009; dieses Jahr sind es 455 Millionen Euro. Für 2012 ist nun doch ein Volumen von 410 Millionen Euro geplant. Das Eckwertepapier, das noch 266 Millionen Euro vorsah, ist offensichtlich überholt. Besonders gravierend und zugleich bezeichnend für die Denkweise der Bundesregierung ist die massive Kürzung der Mittel für das Programm „Soziale Stadt“. Auch wenn Sie jetzt feiern, auf die 28 Millionen Euro für dieses Jahr etwas draufgelegt zu haben, muss man sagen, dass es immer noch nicht das ist, was wir in den Kommunen für dieses Programm brauchen. ({1}) Diese Kürzung wird begleitet von einer kompletten Sinnentleerung dieses Programms durch die Vorgabe, Fördermittel nur noch investiv zu verwenden. ({2}) Es ist schon schizophren, Herr Minister, wenn Sie hier davon sprechen, dass Sie mit dem Programm „Soziale Stadt“, bei dem nur noch in Beton investiert wird, integrativ tätig werden. Ich bin nicht sicher, ob das funktionieren kann. Begleitet von einer kompletten Sinnentleerung, ist die Verwendung der Mittel aus unserer Sicht völlig fehlgeleitet. ({3}) Die Neubezeichnung dieses Programms für 2012 „Soziale Stadt - Investitionen im Quartier“ bedeutet also ein Festhalten an Ihrer Denkweise. Dabei hat sich gerade dieses Programm als Instrument bei der sozialen Stabilisierung benachteiligter Stadtquartiere bestens bewährt und hat seine Bedeutung keinesfalls verloren. Im Gegenteil: Angesichts der drohenden und vielerorts bereits weit fortgeschrittenen Segregation in deutschen Städten ist genau dieses Programm das am besten geeignete Instrument, um gegenzusteuern. Nach alldem ist das Unverständnis nur allzu gut nachvollziehbar, das aus den Beschlüssen und der Resolution der Bauministerkonferenz vom 28. Juni dieses Jahres spricht. Einstimmig hat die Konferenz beschlossen und die Bundesregierung aufgefordert, die Zusagen des Koalitionsvertrages aus 2009 einzuhalten, die Städtebauförderung ab 2012 mindestens auf einen Betrag von 535 Millionen Euro anzuheben und auf diesem Niveau zu verstetigen. Gemessen an den Zielsetzungen der Bundesregierung, Energie einzusparen, den CO2-Ausstoß zu verringern und die Sanierungsquote im Gebäudebereich zu verdoppeln, scheinen selbst die im Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen genannten 700 Millionen Euro jährlich noch gar nicht zu reichen. Sei’s drum. Die Bundesregierung liefert uns dieses Jahr dasselbe Schauspiel wie 2010: Zunächst werden in den ersten Kabinettsrunden zum Haushalt die Mittel für die Städtebauförderung halbiert, dann wird die Halbierung wieder halbiert, und dann wird die Halbierung der Halbierung mit großem medialen Getöse als Aufstockung verkauft. ({4}) Wen wollen Sie hier eigentlich für dumm verkaufen? Da waren die Bauminister diesmal schlauer, Herr Ramsauer, sie haben ihre Sondersitzung rechtzeitig abgehalten und Ihnen diese Trickserei damit diesmal verdorben. ({5}) Die Bauminister haben auf ihrer Konferenz eine zweite Forderung erhoben, nämlich, die vorgesehenen Mittel für das Programm der KfW Bankengruppe zur energetischen Stadtentwicklung in die bewährte Systematik der gemeinsamen Städtebauförderung einzugliedern ({6}) mit den Kostenanteilen von 30 Prozent für den Bund, 30 Prozent für die Länder und den Rest für die Kommunen. Das, was Sie mit der KfW-Förderung machen, ist hingegen eine reine Kreditfinanzierung. Ich will Ihnen sagen: Viele Kommunen bekommen überhaupt keine Kredite mehr. ({7}) Ihre Innenminister sagen, Kreditgenehmigungen sind nicht mehr drin. Selbst wenn die Kommunen noch Kredite aufnehmen könnten, wäre diese Variante in jedem Fall die teurere, weil sie den Kredit nicht nur zurückzahlen müssten, sondern ihn auch verzinsen müssten, wenn auch günstig. Schließlich fordern die Bauminister, die Länder sowie die Städte und Gemeinden zukünftig intensiver in die Planungen der Bundesfinanzhilfen einzubeziehen. Auch diese Forderung unterstützen wir. Alles in allem sind wir der Auffassung, dass die Bauminister der Länder mit ihren Forderungen und damit mit ihrer Resolution nicht überzogen haben. Wir unterstützen das Anliegen, das die Sonderkonferenz mit der Resolution vorgetragen hat. Deshalb haben wir diese Forderungen und die Resolution zu einem Antrag zusammengefasst, der hier vorgelegt worden ist, und hoffen auf Ihre Einsicht und auf Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Petra Müller hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Petra Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004115, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Minister Ramsauer, über die mehr als positive Wirkung der Städtebauförderung des Bundes wurde viel und viel Richtiges gesagt. ({0}) In Ihren Anträgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird doch deutlich, dass die Städtebauförderung in Deutschland etwas geleistet hat - ökonomisch, infrastrukturell, Petra Müller ({1}) kulturell und sozial. Es freut mich, feststellen zu können: In diesem Punkt sind wir uns einig. ({2}) Jetzt sind nur noch zwei wesentliche Fragen zu klären - und ich habe dafür sieben Minuten Zeit -: ({3}) die inhaltliche Ausrichtung der Städtebauförderung und die Finanzierung. Schon beginnen die Unterschiede zwischen einer maßvollen, konsistenten und finanzierbaren Politik, wie die christlich-liberale Koalition sie vorschlägt, und einer Wunsch- und Gießkannenpolitik der Opposition. Zukunftsmodell gegen Auslaufmodell. ({4}) - Ja, so ist es doch. Die inhaltliche Ausrichtung - so schreiben Sie, liebe Freunde von der Linken und von den Grünen - der Städtebauförderung wurde in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. - Stimmt. Richtig. Alles super. Dabei ging es in den 70er- und 80er-Jahren zunächst um den Erhalt der Stadtkerne, die Bewahrung der historischen Bausubstanz. Nach der Wiedervereinigung wurde ein Programm „Aufbau Ost“ aufgelegt, später, 1999 folgende, das Programm „Soziale Stadt“ - zuerst übrigens nur im Osten, später dann auch im Westen. ({5}) Genau diese Flexibilität macht die deutsche Städtebauförderung heute so erfolgreich. ({6}) Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, haben uns die Frage gestellt: Was sind heute die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen? - Die haben sich nämlich verändert. ({7}) Wie haben wir darauf zu reagieren, Herr Pronold? ({8}) Vor einer Woche haben wir an dieser Stelle mit großen Teilen dieses Hauses gemeinsam die Energiewende beschlossen. ({9}) Wir haben uns vorgenommen, in nur wenigen Jahren die Energieversorgung dieses Landes auf völlig neue Füße, auf eine völlig neue Grundlage zu stellen. Das ist der wichtige Aspekt dieser gesellschaftlichen Veränderung. Dazu wird die energetische Stadtsanierung einen wichtigen, den entscheidenden Beitrag leisten. ({10}) - Das kommt ja noch. Immer mit der Ruhe! - Wenn Sie sich noch erinnern: Damit erfüllen wir eine Forderung der Ethikkommission. Effektiver Klimaschutz ist ohne effizienten Neubau nicht möglich. Effektiver Klimaschutz ist ohne energetische Sanierung im Bestand und im Quartier nicht möglich. Es geht darum, 40 Prozent der Primärenergie in diesem Land einzusparen. Das geht nur unter Einbeziehung privater und öffentlicher Gebäude. Da liegen die Energiereserven dieses Landes. Diese müssen wir heben. ({11}) Chance und Verantwortung, das ist hier doch der entscheidende Punkt. ({12}) Neben den altbekannten Städtebauförderprogrammen kommt schwerpunktmäßig die Neuausrichtung zum Thema Energieeffizienz: erstens mit dem KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“ und zweitens mit der steuerlichen Abschreibung - dazu habe ich heute noch gar nichts gehört - bei der energetischen Gebäudesanierung für private Einfamilien- und Zweifamilienhäuser, und das alles unter Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und demografischer Entwicklungen. Das sind die Schwerpunkte einer zukunftsorientierten Stadtentwicklung. ({13}) Kommen wir zur Finanzierung. Wir haben die Schuldenbremse beschlossen. Das bedeutet Haushaltskonsolidierung. Genau deshalb müssen wir die Mittel effizient und zielgenau einsetzen. In diesem Jahr stehen 455 Millionen Euro für die Stadtentwicklung zur Verfügung. Nächstes Jahr sind es laut Kabinettsbeschluss vom Mittwoch 410 Millionen Euro plus 92 Millionen Euro für das neue KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“. Wenn ich richtig gerechnet habe, dann sind das in der Addition 502 Millionen Euro. ({14}) Für diejenigen, die nicht rechnen können: Das sind 47 Millionen Euro mehr als dieses Jahr. Hinzu kommen 1,5 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Das nenne ich Verstetigen. Das nenne ich Einhalten des Koalitionsvertrages. Das nenne ich eine gute Nachricht. ({15}) Das ist eine gute Nachricht für die Bauwirtschaft, weil hier Investitionen angestoßen werden; das geht Petra Müller ({16}) auch mit einem KfW-Programm, Frau Bluhm. Das ist eine gute Nachricht für das Handwerk, die Architekten und für alle anderen am Bau Beteiligten. Das ist auch eine gute Nachricht für die Städte und Gemeinden. Gerade weil unsere Kommunen Planungssicherheit brauchen, finanzieren wir die 92 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds für das neue KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“. Damit werden Kommunen entlastet. Sie müssen nicht den sonst üblichen Anteil wie bei der klassischen Zwei-Drittel/Ein-Drittel-Lösung übernehmen. Sie werden nicht mehr belastet. ({17}) Im Gegensatz zu einigen anderen KfW-Programmen ist dieses KfW-Programm nur für die Kommunen nutzbar. Andere KfW-Programme sind nur für Private nutzbar. Es gibt also einen Mix, und auf diesen Mix kommt es an. Wir haben Instrumente geschaffen, die die Themen Quartiers- und Gebäudesanierung, demografischer Wandel, sozialer Wandel, Gesundheit und Klimaschutz effizient miteinander verbinden. Das halte ich für einen ausgesprochenen Gewinn. ({18}) Damit hat die christlich-liberale Koalition Prioritäten für eine erfolgreiche und kontinuierliche Stadtentwicklungspolitik gesetzt. Das ist eine verantwortungsvolle Politik, weil wir unsere Städte und Gemeinden nicht zusätzlich belasten, sondern entlasten. Zu dieser Politik laden wir Sie ein, genauso wie am Anfang dieser Woche. Wir bitten Sie, gemeinsam mit uns zukunftsorientiert, problembewusst und nachhaltig für die Städte von morgen zu arbeiten. Ihren Anträgen können wir leider nicht zustimmen. ({19}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bevor ich das Podium ganz verlasse und sich alle nur aufregen, wünsche ich Ihnen eine schöne Sommerpause. Vielleicht bekomme ich dafür auch Applaus von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition. Tschüss. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bettina Herlitzius hat das Wort. Sie will auf diese Weise ihren Geburtstag mit uns begehen. Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute! ({0}) Bitte, Frau Herlitzius.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, dieses Thema ist ein kleines Geburtstagsgeschenk; denn Städtebauförderung ist ein Herzensthema von mir. 40 Jahre Städtebauförderung sind 40 Jahre Erfolgsmodell und 40 Jahre Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen für unsere Menschen in unseren Städten und Gemeinden. Das ist wirklich ein Grund zum Feiern. ({0}) Ich möchte an dieser Stelle meinem Kollegen Sören Bartol von der SPD meinen Dank für seine Unterstützung und dafür aussprechen, dass wir diesen Antrag gemeinsam formuliert haben. Es ist wichtig, dass wir dieses Thema angesichts der vielen Themen, die wir zu behandeln haben, heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Damit senden wir ein Signal an unsere Kommunen, dass der Städtebau für uns im Bund nach wie vor ein wichtiges Thema ist. ({1}) Lassen Sie uns einen Blick zurückwerfen. Nach den enormen Wiederaufbauleistungen nach dem Krieg musste man in den 60er-Jahren feststellen, dass es viele städtebauliche Missstände gab. Aus diesem Grund wurde 1971 - das wurde vorhin schon angesprochen von der sozialliberalen Koalition - liebe Kollegen von der FDP, Sie waren dabei ({2}) das Bundesgesetz zur Städtebauförderung ins Leben gerufen. Fast auf den Tag genau, am 1. August 1971, verabschiedete der Bundestag das Städtebauförderungsgesetz. Es war eine nicht ganz einfache Geburt, war und ist der Städtebau doch in erster Linie eine kommunale Aufgabe. Der damalige Bundestag erkannte aber die Dringlichkeit und sah es als Bundesaufgabe, die Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik als Wirtschafts- und Wohnstandort zu stärken. Starke Bedenken kamen allerdings damals vonseiten der FDP. Ihre Sorge war es, dass das Eigentum mehr als notwendig eingeschränkt würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihre Haus- und Grundpolitik war schon damals deutlich erkennbar. ({3}) Privat vor Staat, Zwangssanierungen, Enteignungen, Mietnomaden - das sind die gelben Angstszenarien, mit denen Sie immer wieder die guten Ansätze der Städtebauförderung sabotieren. ({4}) Zukunftsfähige Stadtpolitik sieht anders aus. Dabei kann man noch nicht einmal behaupten, dass die schwarz-gelbe Regierung nicht wisse, was sie tue. Ich darf von Ihrer Homepage zitieren, liebe Kollegin Müller: Dafür müssen wir die vorhandenen Städtebauförderprogramme an die veränderten sozialen, demografischen und ökologischen Rahmenbedingungen anpassen. Warum tun Sie es dann nicht? ({5}) Politik heißt gestalten, Politik heißt mitmachen, regieren. Aber Sie stümpern seit zwei Jahren, seitdem Sie an der Regierung sind, an der Städtebauförderung herum. ({6}) Lieber Herr Minister Ramsauer, wenn wir über gestörte Verhältnisse reden, dann muss ich sagen, dass Sie ein gestörtes Verhältnis zur Städtebauförderung haben, um es vorsichtig auszudrücken. Anders kann ich mir das nicht erklären. ({7}) Mit der Veräppelung der Bürgerinnen und Bürger geht es weiter. Tatsächlich stellt sich die FDP hin und feiert sich als Retterin der Städtebauförderung, ({8}) obwohl die Programmansätze im Haushalt - das ergibt sich aus den Gesetzen der Mathematik - definitiv um 45 Millionen Euro gekürzt worden sind. Erzählen Sie uns doch keine Märchen! ({9}) - Liebe Frau Kollegin, ich weiß, dass in NordrheinWestfalen im Mathematikunterricht lange Zeit Mengenlehre gelehrt wurde, aber das ist doch keine Erklärung für diese Taschenspielertricks. ({10}) Sie addieren einfach die 92 Millionen Euro des KfWProgramms für die städtebauliche Quartierssanierung zur Städtebauförderung. Das funktioniert so nicht. Das sind zwei völlig unterschiedliche Programme. Solide Finanzpolitik und Bürokratieabbau - auch das ist eines Ihrer großen Wahlkampfthemen - gehen anders. Diese Koalition ignoriert das Parlament, wenn es um die politische Zusammenarbeit geht. Das muss man sich einmal vorstellen. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Bundestages lädt zu einer Anhörung zum Thema „Klimaschutz im Baurecht“ ein. Das ist gar nicht lange her; das war vor zwei Wochen. Aus ganz Deutschland wurden Fachleute eingeladen. Fünf Minuten nachdem die eineinhalbstündige Sitzung zu Ende war, ziehen die Vertreter der Regierungskoalition einen in den Grundsätzen völlig geänderten Gesetzentwurf aus der Tasche. Die ganze Anhörung war für die Katz. So gehen Sie mit den Fachverbänden, mit den Fachleuten und mit uns Fachpolitikern um! Das ist schwarz-gelbe Politikignoranz. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Herr Körber würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Sie haben zwei verschiedene Instrumentarien der Städtebaupolitik genannt. Sind Sie der Auffassung, dass das von Ihnen zitierte KfW-Programm nicht in den Städten zur Anwendung kommt? Wo wird es denn sonst verwendet? Auch das kommt doch der Städtebauförderung zugute. Teilen Sie meine Einschätzung?

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Körber, ich glaube, Sie haben die grundsätzlich unterschiedliche Fördersystematik noch nicht verstanden. ({0}) Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen: Lesen Sie bitte das Gutachten, das uns die Regierung vorgelegt hat. Es geht um eine wirtschaftliche Bewertung des Investitionspakts für Schulen und kommunale Einrichtungen und der Städtebauförderung. Das Ergebnis ist ganz klar: Das Verhältnis bei der Akquirierung von öffentlichen und privaten Geldern beträgt bei der Städtebauförderung 1 : 8 und beim Investitionspakt 1 : 1,6. Das ist doch ein Riesenunterschied! Sie können doch nicht behaupten, das sei dasselbe. ({1}) Sie haben die Auswirkungen in den Städten angesprochen. Natürlich ist Ihr neues Programm eine Unterstützung - wir wollen das auch nicht schlechtmachen -, und auch das Programm „Energetisch Sanieren“ der KfW ist eine Unterstützung. Aber es ist nicht dasselbe. ({2}) Herr Götz, ich bin sehr enttäuscht. ({3}) - Sie haben noch nichts gesagt, aber Sie bekommen gleich die Gelegenheit. ({4}) Gerade Sie sind immer für interfraktionelle Einigkeit in der Bau- und Städtebaupolitik eingetreten. Gerade Sie haben immer betont, dass wir seit Jahren fachlich effektiv zusammenarbeiten und dass es - egal über welche politischen Themen wir uns gestritten haben - bei der Städtebauförderung und bei Änderungen im Baugesetzbuch immer eine interfraktionelle Einigung gab. Warum kündigen Sie das jetzt grundlos auf? ({5}) Warum legen Sie uns seit drei Jahren diese desaströste Städtebaupolitik vor? Das ist nicht Ihr Stil. ({6}) Besinnen Sie sich doch endlich auf die ursprüngliche Verfahrensweise! Worüber reden wir? Seit 1971 gibt es die Städtebauförderung. 5 000 Projekte in mehr als 2 300 Kommunen sind gefördert worden, und zwar flächendeckend in allen Bundesländern - schauen Sie sich die Karte an! -: in Bayern, in Schleswig-Holstein und in NordrheinWestfalen. Es gibt die unterschiedlichsten Programmansätze - die Kollegin hat sie vorhin genannt -, die effektiv wirken. Es sind lernende Programme, die vor allen Dingen - das hat uns das Gutachten gezeigt - sehr viele Folgeinvestitionen auslösen. Der geschätzte ausgelöste Investitionsbedarf des gesamten Programmes liegt bei über 65 Milliarden Euro. Nennen Sie mir ein anderes Förderprogramm des Bundes, das über all die Jahre diese Summen ausgelöst hat. Ich kenne keines. Das haben nicht nur wir in der Opposition uns so ausgedacht. Auch die Fachleute haben berechnet und belegt: Die Städtebauförderung erzielt beachtliche ökonomische Effekte, die weit über das Ziel der städtebaulichen und sozialräumlichen Erneuerung hinausgehen. Das kann sich sehen lassen. Mir ist kein anderes Programm bekannt, das so etwas leistet. Die Städtebauförderung zu verbessern, bedeutet, die Lebensqualität in unseren Städten zu verbessern, das gemeinsame soziale Leben in Verbindung mit einem wirtschaftlich aktiven Leben zu einem Erfolgsmodell weiterzuführen. Aber was macht die Regierung? Sie sind jetzt das dritte Jahr an der Regierung und kürzen den Mittelansatz zum dritten Mal um 10 Prozent; das ist so, Herr Minister Ramsauer. Damit gefährden Sie das soziale Gleichgewicht in unseren Städten und Kommunen. Denn es gibt heute Städte mit klar erkennbaren Missständen. Es gibt eine soziale Segregation in einigen Stadtvierteln. Natürlich gibt es auch gut und in sozialer Hinsicht funktionierende Kommunen und Städte, aber es gibt eben auch diese Missstände. Deswegen werden wir das Programm „Soziale Stadt“ und die Städtebauförderung weiterhin brauchen. Nicht zu vergessen: Die Städtebauförderung ist auch ein Jobmotor. Selbst der reduzierte Mittelansatz von 2011, der bei 455 Millionen Euro liegt, bewirkt eine Bruttowertschöpfung von 7,9 Milliarden Euro. Daraus entstehen 152 000 Arbeitsplätze, und zwar in Deutschland. Liebe Wirtschaftsförderer, das müssen Sie uns erst einmal nachmachen! ({7}) Ganz wichtig ist an dieser Stelle - das wird auch durch das Gutachten belegt - der integrative Ansatz. Dadurch unterscheidet sich die Städtebauförderung von der KfW-Förderung. Es ist der integrative Ansatz, durch den Folgeinvestitionen ausgelöst und Firmen, Verbände und Bewohner an einen Tisch geholt werden. Nur so entstehen Konzepte für Stadtviertel, nur so entsteht eine Identifikation mit dem Stadtviertel, und nur so werden Bewohner auch zu Kümmerern, die sich für ihr Stadtviertel verantwortlich fühlen. Die investitionsbegleitenden Maßnahmen - damit komme ich zu einem ganz entscheidenden Punkt, der gerade bei den Kollegen der FDP immer auf Widerstand stößt - stellten im Programm „Soziale Stadt“ eine ganz wichtige Voraussetzung dar. ({8}) Nicht nur wir, die Opposition, sind zu dieser Erkenntnis gekommen. Aus der Leipzig-Charta der EU, die wir alle unterzeichnet haben, geht hervor, dass gerade die nicht investiven Mittel, die investitionsbegleitenden Mittel, für die Qualitätssicherung einer Städtebauförderung sorgen. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierung, lassen Sie Ihren schönen Worten endlich Taten folgen! Hören Sie mit Ihren Sonntagsreden - oder Freitagsreden auf! Helfen Sie den Menschen in unserem Land! Unterstützen Sie die Länder und Kommunen mit einer Städtebauförderung, die verlässlich ist und ihren Namen verdient! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sorgen Sie dafür, dass wir in zehn Jahren den 50. Geburtstag feiern können und nicht das Begräbnis begehen müssen. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Peter Götz hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unabhängig davon, liebe Bettina Herlitzius, dass diese Koalition noch keine drei Jahre besteht, sondern noch nicht einmal ganze zwei Jahre, ({0}) herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! ({1}) Die Urbanisierung unserer Städte ist ohne Frage ein Zukunftsthema des 21. Jahrhunderts. Deshalb war es richtig und konsequent, in der Koalitionsvereinbarung die Städtebauförderung als unverzichtbaren Teil zur lebenswerten Gestaltung von Städten und Gemeinden zu verankern. Sie ist seit 40 Jahren das Erfolgsmodell für eine gute städtebauliche Entwicklung in den Städten und Gemeinden unseres Landes. Es wurde schon gesagt: Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre wurde zu Recht erkannt, wie wichtig es ist, die Funktion der Innenstädte zu stärken und einem sich abzeichnenden Bedeutungsverlust entgegenzuwirken. „Vom Wohnungsbau zum Städtebau“ hieß es damals. Allein waren die Städte und Gemeinden schon damals nicht in der Lage, diese Aufgaben finanziell zu bewältigen. Mithilfe der Mittel des Bundes und der Länder war es ihnen in den letzten 40 Jahren möglich, stadtbildprägende Gebäude zu erhalten und zu modernisieren, Zentren und Nebenzentren zu revitalisieren, das Wohnumfeld zu verbessern und Stadtkerne zu erhalten oder zu entwickeln. Nach Abzug der ausländischen Streitkräfte wurden in vielen Konversionsgebieten in Ost und West ganz neue innerstädtische Quartiere in zentraler Lage geschaffen. Millionen Postkarten mit Ansichten deutscher Städte werden jährlich in alle Welt versandt. Vermutlich wurden fast alle dieser Stadtbilder durch die Städtebauförderung unterstützt. Aber Steine allein machen noch keine Stadt aus. Deutschland ist bekannt für eine Vielzahl von attraktiven Städten, in denen das Leben pulsiert. Zentren, Städte und Stadtteile werden bewusst bewahrt und weiterentwickelt. Das ist anstrengender und teurer, als draußen auf der grünen Wiese einen neuen Stadtteil entstehen zu lassen. Deshalb danken wir den vielen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern, die es geschafft haben, ihre Heimat mit Unterstützung der Städtebauförderung lebens- und liebenswert zu gestalten. Das gilt für Metropolregionen genauso wie für den ländlichen Raum. Das ist nicht nur das Ergebnis traditioneller Stadtentwicklung über Jahrhunderte in Europa, sondern auch zurückzuführen auf bewusstes, engagiertes Handeln in Deutschland innerhalb der letzten 40 Jahre. ({2}) Ich selbst durfte Anfang der 70er-Jahre in meinen ersten Berufsjahren eine kommunale Koordinierungsstelle für Stadtsanierung leiten. Wir waren in unserer Stadt damals sehr dankbar, dass es möglich war, zwei Drittel der unrentierlichen Kosten unserer Stadtkernsanierung mit Mitteln aus dem seinerzeit neu aufgelegten Programm „Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen“ finanziert zu bekommen. Das hat einen enormen Schub gegeben. Ich freue mich deshalb besonders, dass ich - Jahrzehnte später - zum 40-jährigen Bestehen der Städtebauförderung hier im Deutschen Bundestag am Rednerpult stehen kann. Meine Damen und Herren, wenn wir auf die letzten 20 Jahre zurückblicken und mit offenen Augen betrachten, was nach dem Zerfall des Kommunismus und des Sozialismus vor allem in den neuen Ländern geleistet wurde, dann stellen wir fest, dass es richtig war, unmittelbar nach der Wende die Prioritäten der Förderung in den neuen Ländern zu setzen. Heute gibt es dort viele blühende Städte. ({3}) Gute Stadtentwicklungspolitik ist bei einer sich verändernden Gesellschaft aktueller und wichtiger denn je. Wir müssen den Mut haben, anzuerkennen, dass sich auch die Zeiten ändern. Neue Herausforderungen kommen hinzu. Das gilt für den Stadtumbau genauso wie für die „Soziale Stadt“. Was ist die Kernbotschaft der heutigen Debatte? Erstens. Bundesminister Dr. Ramsauer war erfolgreich. ({4}) Danke für das Engagement in einer Zeit, in der die Einhaltung der Schuldenbremse im Vordergrund aller Haushaltsberatungen steht! Herzlichen Glückwunsch zu dem Ergebnis, das sich sehen lassen kann! ({5}) Zweitens. Die Opposition gönnt uns diesen Erfolg nicht. ({6}) Sie sitzt im Schmollwinkel und versucht krampfhaft, den Untergang des Abendlands herbeizureden. ({7}) Dabei vollziehen sich für die Stadtentwicklung mit dem vom Bundeskabinett am Mittwoch dieser Woche verabschiedeten Haushaltsentwurf neue Sonnenaufgänge. ({8}) Lieber Herr Kollege, über 500 Millionen Euro für die Stadtentwicklung - wenn Sie es richtig zusammenzählen können - in 2012 und 2013, ({9}) - ich glaube, dass Ihnen das wehtut, aber ich erspare es Ihnen nicht ({10}) 1,5 Milliarden Euro jährlich zusätzlich für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, und es kommen - wenn der Bundesrat zustimmt - jährlich weitere 1,5 Milliarden Euro für die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung hinzu. Lieber Herr Kollege Bartol, eine solche Summe haben Sie in Ihrer Regierungszeit noch nie erreicht. Diesen Erfolg sollten Sie endlich einmal anerkennen. ({11}) Nun zu Ihnen, liebe Kollegin Herlitzius. Wir haben in der letzten Woche im Gesetzentwurf den Klimaschutz im Planungsrecht der Gemeinden an exponierter Stelle verankert. Das wissen Sie sehr wohl. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz im Gebäudebereich. Das alles hat unmittelbare Auswirkungen auf die Stadtentwicklung. Deshalb ist es der richtige Ansatz, die klassische Städtebauförderung um die energetische Stadtsanierung zu erweitern. Wir sind Bundesminister Dr. Ramsauer sehr dankbar, dass er es geschafft hat, zusätzlich zu den - von Ihnen kritisierten - 410 Millionen Euro Städtebaufördermittel für das kommende Jahr 92 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds für die energetische Stadtsanierung einzuplanen. ({12}) - Aber es kommt der Stadtentwicklung und dem Städtebau zugute. ({13}) Wenn der vorhin bereits angesprochene einstimmige Beschluss der Bauministerkonferenz vom Juni dieses Jahres fordert, die vorgesehenen Mittel der KfW zur energetischen Stadtsanierung in die bewährte Systematik der gemeinsamen Städtebauförderung einzugliedern, ({14}) dann verstehe ich dies zunächst als Aufforderung der Länderbauminister an ihre eigenen Landesregierungen, die 92 Millionen Euro des Bundes durch eigene Landesmittel noch einmal aufzustocken, weil bei der klassischen Städtebauförderung eine Drittelfinanzierung gilt. ({15}) Dafür sollen die Länder ihre 92 Millionen in die Hand nehmen; wenn die Kommunen es ebenfalls tun, erhöht und verbessert sich der Wirkungsfaktor zusätzlich. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Städtebauförderung nicht isoliert betrachten. Deshalb war es richtig, sie gezielt mit anderen Instrumenten zu verzahnen. Gerade bei Problemvierteln hat es sich bewährt, eine Verknüpfung mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten herzustellen. So wurde das ergänzende Programm „Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier“ zu Recht in der Großen Koalition auf den Weg gebracht und von Bundesminister Ramsauer Ende vergangenen Jahres in eine zweite Förderungsrunde geschickt. Von 2011 bis 2014 sollen dafür 83 Millionen Euro bereitgestellt werden. Damit wird die Arbeit in den Quartieren erneut gestärkt, gerade in den Problemgebieten der sozialen Stadt. Sie haben das Thema vorhin kritisch angesprochen; aber die Vorwürfe der Opposition in Bezug auf dieses Programm sind bei objektiver Betrachtung hoffnungslos überzogen. Die Oppositionsredner haben die Finanzlage der Kommunen angesprochen. Tatsächlich stehen viele Städte und Gemeinden nach wie vor mit dem Rücken zur Wand. Die internationale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat auch vor den Kommunen nicht haltgemacht. Sie bekamen die Auswirkungen zeitversetzt zu spüren: Nachdem die Kommunen 2007 und 2008 Rekordüberschüsse erzielen konnten, brachen ihre Einnahmen in 2009 und 2010 weg, und das bei steigenden Ausgaben, vor allem im sozialen Bereich. Auch hier rächt sich, dass die rot-grüne Regierung 2003 die Altersgrundsicherung eingeführt und die Kosten einfach auf die Kommunen übertragen hat, ohne für die notwendige Finanzierung zu sorgen. Die dadurch steigenden Sozialausgaben führten neben den krisenbedingten Einbrüchen zu einer strukturellen Schieflage. Das war neben vielen anderen Entscheidungen zulasten der Kommunen der Tiefpunkt einer ignoranten rot-grünen Bundespolitik gegenüber den Städten und Gemeinden. Dafür tragen Sie - ausschließlich Sie - die Verantwortung. Es war von Anfang an unser Anliegen, alles zu tun, um den Kommunen aus der Krise herauszuhelfen. Wir haben in der christlich-liberalen Koalition von Beginn an sehr viel für die Kommunen erreicht. Es zeichnet sich bereits heute ab, dass die Städte, Gemeinden und Kreise im Jahr 2012, also bereits im kommenden Jahr, im Bundesdurchschnitt mit ausgeglichenen Haushalten rechnen können. Das eröffnet neue Spielräume, auch im Bereich des Städtebaus. Mit der schrittweisen Übernahme der einst von RotGrün auf die Kommunen übertragenen Kosten der Altersgrundsicherung entlasten wir die Kommunen bei den Sozialausgaben bis 2015 um etwa 12,2 Milliarden Euro; bis 2020 wird der Bund die kommunalen Kassen allein durch die Übernahme dieser Kosten um rund 54 Milliarden Euro entlasten. Das kommt vor allem den strukturschwachen und besonders armen Städten und Gemeinden zugute. ({17}) Eine Kommunalentlastung in dieser Größenordnung ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig. Der Bund wird damit seiner Verantwortung gerecht. Jetzt stehen an erster Stelle die Länder für ihre Kommunen in der Pflicht. ({18}) - Nach unserer Finanzverfassung gibt es eine Finanzbeziehung zwischen den Ländern und den Kommunen. Sie wissen sehr gut, dass es eine Finanzbeziehung zwischen dem Bund und den Kommunen in dieser Form nicht gibt. ({19}) Lieber Kollege, wenn die Schlüsselzuweisungen SPD-geführter Länder, wie jetzt vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz festgestellt, nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine angemessene kommunale Finanzausstattung erfüllen, dann ist das mehr als nur peinlich. Diese unverantwortliche Politik gegenüber den Städten, Gemeinden und Kreisen wird leider nicht nur vom Ministerpräsidenten Beck aus Rheinland-Pfalz betrieben. Auch in Baden-Württemberg, einem Land, das im besten Zustand an eine grünrote Regierung übergeben wurde, ({20}) wird derzeit versucht, die von den baden-württembergischen Kommunen aufgrund der positiven finanziellen Entwicklung erzielten Überschüsse über den kommunalen Finanzausgleich abzuschöpfen. ({21}) Meine Damen und Herren, es ist unanständig, erst die Kommunen ausbluten zu lassen und anschließend den Bund zu deren Rettung aufzufordern. ({22}) Lassen Sie uns deshalb den Menschen vor Ort gemeinsam die Chancen und Möglichkeiten zurückgeben, damit sie ihre Heimat wieder selbst gestalten und sich im Wettbewerb behaupten können. Herzlichen Dank. ({23})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Franz Müntefering hat jetzt das Wort für die SPDFraktion. ({0})

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist klar, dass das Geld endlich ist und man nicht alles, was man sich wünscht, bekommt. Mit dieser Erwartung bin ich auch gar nicht hergekommen. Herr Ramsauer, die Uninspiriertheit, mit der Sie die Rede vorgelesen haben, die Ihnen ein Erbsenzähler aufgeschrieben hat, fand ich angesichts der Probleme, die die Kommunen im Augenblick haben, aber schon beachtlich. ({0}) Wenn Sie das einem Sozialdemokraten nicht glauben, dann empfehle ich Ihnen: Sprechen Sie einmal mit Oscar Schneider! Es gab auch mal andere Zeiten. Es gab große Städtebau- und Wohnungspolitiker bei der CDU und bei der CSU. Das, was Sie hier vorgetragen haben, macht eines deutlich: Sie haben entweder nicht verstanden, wo die Probleme liegen, oder es interessiert Sie nicht besonders. ({1}) Wir leben in diesem Land auf Pump, wir leben von der Substanz, und die Städte und Gemeinden können zu wenig Prävention betreiben. Alles drei kommt zusammen. Das belastet die Städte und Gemeinden in ganz besonderer Weise, und zwar alle 12 400, die wir haben; das gilt für die ganz großen und die ganz kleinen. Das gilt überall, wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise. Die Städte und Gemeinden erwarten von uns und den Ländern, dass ihnen geholfen wird, damit sie sich aus dieser Situation herausarbeiten können. Jedenfalls ist klar: Stadtentwicklung für Städte und Gemeinden ist kein Zuckerguss, den man sich leisten kann oder auch nicht. Arme Kommunen werden den Staat und die Gesellschaft sehr teuer zu stehen kommen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass unsere Städte und Gemeinden in Ordnung sind und ihre Aufgaben erfüllen können. Dazu gehört Stadtentwicklung. Wir dürfen nicht nur darüber reden, nicht nur ein bisschen Geld dahin oder dorthin schieben, sondern wir müssen eine Perspektive für die Städten eröffnen. Darum geht es. ({2}) Im Übrigen betrachten wir mit Sorge, dass die Demokratie in vielen Städten und Gemeinden an vielen Stellen zur Farce wird. Die Kolleginnen und Kollegen, die in den Parlamenten vor Ort sitzen, haben keine Chance, das eine oder andere, und seien es auch nur Kleinigkeiten, selbst zu bestimmen. In vielen Städten und Gemeinden bekommen sie von entsandten Beamten Bescheid darüber, was sie tun können und was nicht. Das ist demokratiehygienisch ein großes Problem, mit dem wir es in Deutschland in vielen Städten zu tun haben. Das gilt nicht für alle Städte, aber doch für viele. Ich empfehle sehr, dass wir uns diese Situation anschauen und dafür sorgen, dass in den Städten und Gemeinden wieder entschieden werden kann, wie Oscar Schneider, Oswald von Nell-Breuning oder andere es immer gelehrt haben. Wer Subsidiarität will, der muss auch dafür sorgen, dass in den Städten entschieden werden kann. Nur wenn die Städte die erforderlichen Instrumente und das nötige Geld haben, kann das Ganze funktionieren. Das müssen wir sehen. Darauf müssen wir Antworten geben, Herr Ramsauer. ({3}) 1971, als die Städtebauförderung entstand, begann der Minister Lauritz Lauritzen seine Rede vor dem Deutschen Bundestag mit dem Motto des Deutschen Städtetages. Das hieß: „Rettet unsere Städte jetzt!“ Das ist aus heutiger Sicht vielleicht ein bisschen dramatisch. Ich will das nicht überzeichnen, halte es angesichts der Situation in einigen Städten aber durchaus für zeitgemäß, wieder über diese Frage zu sprechen: Was können wir eigentlich tun? Diese Idee des Städtebaus hing damals ganz eng mit „Mehr Demokratie wagen“ zusammen, mit der großen Parole dieser Zeit, in der es darum ging - auch in den Städten -, die Fenster und Türen aufzumachen und die Menschen einzuladen, mitzumachen. Die Aufgabe damals war vor allen Dingen, dafür zu sorgen, dass der Ausbau gestaltet wird und die Städte nicht einfach so wuchern. Heute kommen andere Aufgaben hinzu. Zum Beispiel ist der Rückbau zu organisieren, um nicht eine Implosion der Städte und Gemeinden zuzulassen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Prävention machen können, statt auf Repression zu setzen. Das, was Sie gesagt haben, Herr Götz, war nicht ganz falsch. Was wir an Kinderund Jugendarbeit in den Städten nicht mehr machen können, weil die Programme zur sozialen Arbeit und „Soziale Stadt“ rasiert werden, kommt uns teuer zu stehen. Das kostet uns in den darauffolgenden Jahren das Doppelte und Dreifache. Jugendstrafvollzugsanstalten sind teurer als eine vernünftige Kinder- und Jugendarbeit in den Städten und Gemeinden. Da müssen wir ran. ({4}) Das gilt auch für den Vorzug für die Inklusion gegenüber der Gettoisierung und das Motto „Ambulant vor stationär“. Diese Stichworte wurden hier angesprochen. Heute leben in Deutschland 81 Millionen Menschen. In 40 Jahren werden es 65 oder 68 Millionen Menschen sein. Wir sind auf dieser Rutsche unterwegs. Alle im Land sprechen darüber; nur, wir handeln nach dem Motto „Das war schon immer so! Das war noch nie anders! Da kann ja jeder kommen!“ und tun so, als ob alles in Ordnung wäre. In Wirklichkeit ist es höchste Zeit, Antworten zu geben. Wir müssen uns um die Städte kümmern, die weiter wachsen und zu explodieren drohen, aber auch um diejenigen, die große Probleme haben, mit der Schrumpfung fertigzuwerden. Wir sind mitten in diesem Prozess. Wir müssen die Debatte auch im Deutschen Bundestag aufnehmen und mit den Städten und den Ländern Lösungsmöglichkeiten suchen. Die Menschen vor Ort haben Anspruch darauf, dass wir uns darum kümmern und die Probleme und Aufgaben nicht mit der Melodie „Alles in Ordnung“ beiseiteschieben. ({5}) Sie kürzen die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“. Die soziale Arbeit wird reduziert, die Freiwilligendienste werden an vielen Stellen chaotisiert. Das alles trifft die Städte und Gemeinen in ganz besonderer Weise. Städte und Gemeinden haben - das ist keine Sentimentalität - in der hochmobilen Zeit, in der wir leben, eine ganz besonders wichtige Funktion für die Menschen. Da sind sie zu Hause, dafür engagieren sie sich, damit wollen sie sich identifizieren, und da sind sie erreichbar. Der Staat hat den Sozialstaat zu sichern, aber die soziale Gesellschaft gelingt in den Kommunen, oder sie gelingt nicht. Wir wollen, dass soziale Gesellschaft in den Kommunen gelingt, und zwar mit viel Eigeninitiative von Verbänden und Organisationen, von Nachbarschaften, von Menschen in den Städten. Sie kann gelingen. Nur, die Menschen müssen von uns das Zeichen bekommen, dass wir ihnen den dafür nötigen Raum geben. ({6}) Von den 18 Forderungen, die wir Ihnen zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen vorgelegt haben, möchte ich drei stichwortartig erwähnen. Erstens. Stocken Sie die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ auf. ({7}) Sorgen Sie dafür, dass es wieder eine intensive Zusammenarbeit mit Bildung und Gesundheit, mit Arbeit, Wirtschaft, Integration und Sport gibt, sodass wir die Mittel nicht für lauter kleine Programme verkleckern, sondern alles in einem Programm zusammenführen. Zweitens. Sprechen Sie mit den Ländern, sprechen Sie mit den Kommunen, stärken Sie die lokale Demokratie dadurch, dass wir ein Zeichen setzen. Kommunalpolitik ist nicht das Kellergeschoss der Politik, wo sozusagen der Rest aufgearbeitet werden muss. Kommunalpolitik ist vielmehr eine tragende Säule der Demokratie. Sie ist genauso wichtig wie Bundes- und Landespolitik. Das müssen wir hier verstehen und den Menschen vor Ort sagen, damit sie begreifen, dass wir sie ernst nehmen. ({8}) Drittens. Lassen Sie uns mit den Ländern und mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Gespräch führen, damit die Städte, die schon unter dem Regime der Haushaltssicherung sind, eine Chance haben und nicht abgehängt werden. Wir erleben eine soziale Spaltung zwischen den Städten und den Stadtteilen. Manchen geht es ganz gut. Auf die Aussage „Im Durchschnitt ist das ja in Ordnung“ sage ich: Es kann ja in Ordnung sein, aber es sind einige dabei, die abschmieren, und zwar in verheerender Weise. Es geht nicht um abstrakte Städte, sondern um die Menschen, die dort wohnen und das auszuhalten haben. ({9}) In diesem Sinne sollten wir weiter miteinander an der Stadtentwicklung, Städtebauförderung und an der Zukunft unserer Städte und Gemeinden arbeiten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sebastian Körber hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müntefering, Sie haben jetzt hinsichtlich der Theorie viel Richtiges gesagt; das war ein stadtphilosophischer Ansatz. Aber mich würde sehr interessieren - schließlich ist das unsere Aufgabe als Parlament -, mit welchen Summen wir das Ganze im Haushalt hinterlegen sollen. Dazu habe ich bis jetzt nichts von Ihnen gehört. Ich denke, auch das ist ein wichtiger Ansatz. ({0}) Da ich jetzt keinen Zwischenruf gehört habe, gehe ich davon aus, dass Sie noch in der Findungsphase sind. ({1}) - Herr Pronold, ich komme gleich zu Bayern. - Wenn wir anlässlich des 40-jährigen Jubiläums die Ursprünge der Städtebauförderung eruieren wollten, sollten wir einmal in die Bayernhymne schauen: Er behüte deine Fluren, schirme deiner Städte Bau … Ich denke, der Ursprung der Städtebauförderung ist damit ganz klar. Ich bleibe beim Beispiel Bayern - Herr Pronold, da können Sie als Landesvorsitzender vielleicht noch etwas lernen -: Bayern ist ein Land, das relativ gut dasteht. Schauen wir uns einmal meine Heimatregion Oberfranken und Mittelfranken mit der Metropole Nürnberg an. Dort haben wir ganz andere Aufgaben als vielleicht im östlichen Teil Bayerns, wo es - Stichwort: demografische Entwicklung - eher Bevölkerungsabwanderungen gibt. Daher muss man die Städtebauförderung ganz gezielt - auch darüber müssen wir sprechen - regionalspezifisch ausgestalten. Städtebauprojekte können durch Verbesserungen des Wohnumfelds Identifikation vor Ort schaffen und dazu beitragen, Menschen in den Regionen, wo Abwanderungen stattfinden, zu halten. Hierfür gibt es im Bereich der Städtebauförderung sehr viele unterschiedliche Instrumente. Es gibt auch unterschiedliche Programme. Ich glaube, niemand hier im Raum stellt die Wirtschaftlichkeit des Ganzen infrage, da jeder eingesetzte Euro bekanntlich Investitionen in Höhe von 7, 8 oder 9 Euro nach sich zieht. ({2}) Wie wir bereits gehört haben, stellt dies gerade für das Handwerk vor Ort - der Bundeswirtschaftsminister hat dies in der vorigen Debatte ausgeführt - einen sehr guten Anreiz dar. Ich möchte Ihnen kurz erläutern, wie sich die Mittel für die Städtebauförderung zusammensetzen. Sie sagen immer, im Vergleich zum letzten Jahr sei es in diesem Haushaltsjahr, in dem vom Parlament 455 Millionen Euro dafür bereitgestellt worden sind, zu Kürzungen gekommen. ({3}) Wenn ich die entsprechenden Zahlen addiere, komme ich zu einem anderen Ergebnis. Die Städtebaufördermittel haben ein Volumen von 410 Millionen Euro; ({4}) ich denke, insoweit besteht Konsens. Ich gehe bei meiner Berechnung aber anders als die Kollegin Herlitzius vor. Ich bin nämlich sehr wohl der Auffassung, dass das neu zu schaffende KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“ in den Städten und Gemeinden Wirkung entfalten wird. Wenn man dies berücksichtigt, erreichen die Städtebaufördermittel ein Volumen von über 500 Millionen Euro. ({5}) Das sind über 45 Millionen Euro mehr, als wir in diesem Jahr bereitstellen. ({6}) - Frau Bluhm, da Sie gerade von einem Kredit gesprochen haben, muss ich Ihnen sagen: Ich weiß nicht, inwieweit Sie in der Thematik sind. ({7}) Auch wenn eine Kommune einen Kredit braucht, um vor Ort Städtebaufördermaßnahmen umzusetzen, ist der Effekt - darauf kommt es doch an - der gleiche. ({8}) Die eine Kommune kann damit vielleicht ganz gut operieren, die andere Kommune geht vielleicht einen anderen Weg. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, sollten an dieser Stelle sowieso ganz ruhig sein. Die Linken sind die Nachfolgepartei der SED. Man muss sich nur einmal anschauen, welch triste, graue und kaputte Städte Sie uns in den neuen Bundesländern hinterlassen haben. ({9}) Ich sage nur: normierte Platten und standardisierte Grundrisse. Sie müssen uns im Hinblick auf die Städtebauförderung wirklich keine Ratschläge geben. ({10}) - Leider aber auch ein zutreffendes. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, niemand hindert Sie daran, diese Maßnahmen in den Ländern, in denen Sie Regierungsverantwortung übernommen haben - in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen -, umzusetzen. Im Wahlkampf haben Sie das noch mit dicken Backen versprochen. ({11}) Ich habe noch nicht festgestellt, dass Sie die entsprechenden Maßnahmen gegenfinanzieren können, um diese Programme aufzufangen. ({12}) Wenn Sie an dieser Stelle Kritik äußern und wenn Ihnen dieses Thema so wichtig ist, muss ich Ihnen sagen: Sie können doch handeln. Frau Wagner und Frau Herlitzius - vielleicht hören Sie mir kurz zu; ({13}) so sehr scheint Sie dieses Thema ja doch nicht zu interessieren -, sprechen Sie doch einmal mit dem Kollegen Kretschmann. Dann können Sie die Maßnahmen vielleicht vor Ort umsetzen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold zulassen?

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber natürlich.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gibt nach der Geschäftsordnung auch die Möglichkeit der Zwischenbemerkung. Da ich glaube, dass eine Frage wenig Sinn macht, möchte ich eine Bemerkung machen. ({0}) Erstens. Einige Länder haben es trotz schwieriger Haushaltsbedingungen geschafft, die Kürzungen beim Programm „Soziale Stadt“ auszugleichen. Dies gilt zum Beispiel für das Land Berlin, falls Sie das nicht wissen. ({1}) Zweitens zu dem Aspekt, den Sie vorhin angesprochen haben. Sie hätten sich die Mühe machen sollen, Orte in Bayern zu besuchen, in denen Projekte des Programms „Soziale Stadt“ durchgeführt werden; dies geschieht unter anderem in Nürnberg und in manchen ländlichen Räumen. Sie hätten sich von den Menschen berichten lassen sollen, welch positive Entwicklungen eingetreten sind. ({2}) Außerdem hätten Sie das Gutachten, das im Auftrag der Bundesregierung verfasst worden ist, lesen sollen. Darin heißt es: Das Verhältnis zwischen jedem eingesetzten Euro und den Investitionen, die er nach sich zieht, beträgt 1 zu 7. Ich frage Sie: Wie können Sie sich vor diesem Hintergrund hier hinstellen und die Kürzungen beim Programm „Soziale Stadt“ sowie die Kürzung der Mittel für die Städtebauförderung auch noch schönreden? ({3})

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Frage, die Sie mir gestellt haben, Herr Kollege Pronold, werde ich gerne beantworten. Ich bin noch gar nicht auf die Programme zu sprechen gekommen. Hier haben wir einen Mittelaufwuchs zu verzeichnen. Ich vermute, dass ich mir gerade aufgrund meines beruflichen Hintergrunds als Architekt wahrscheinlich schon viel mehr solcher Projekte angeschaut habe als Sie. Ich lade Sie gerne ein, in Bayern gemeinsam mit mir solche ProSebastian Körber jekte anzusehen. Dann kann ich Ihnen vielleicht dies oder jenes erläutern und Ihnen den einen oder anderen Sachverhalt, den Sie noch immer nicht richtig erfasst haben, erklären. ({0}) Sie haben das Land Berlin angesprochen. Hier tragen Sie Regierungsverantwortung; das ist richtig. Ich glaube, kein anderes Land hat mit der Städtebauförderung so viel Missbrauch betrieben, gerade was das Programm „Soziale Stadt“ betrifft, wie Berlin bzw. die Koalition aus Linken und SPD. ({1}) Herr Pronold, jetzt können Sie sich wieder setzen. Dann kann ich in meiner Rede fortfahren; vielen Dank. Die Schwerpunkte der Koalition liegen ganz konkret in der Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels, der demografischen Umbrüche, des sozialen Zusammenhalts und der Stärkung der Innenstädte, auch was die historischen Kerne angeht. Wichtig ist auch eine bessere Unterstützung kleiner und mittlerer Städte und Gemeinden. Diese Koalition hat ein glasklares Bekenntnis zum ländlichen Raum abgegeben. So hat sie die Mittel für das Programm „Kleinere Städte und Gemeinden“ und für das Programm „Soziale Stadt“ prozentual deutlich erhöht. Ich denke, das steht außer Frage. Das ist eine sehr wichtige Querschnittsaufgabe, zu der wir uns ganz klar bekennen. Ich erlaube mir noch anzumerken, weil das auch zu unserem Gestaltungsauftrag gehört, dass wir auch die Bürgerinnen und Bürger vor Ort aufrufen müssen, konkret teilzuhaben, und darauf hinweisen müssen, dass sie nicht immer nur mit Ja oder Nein für etwas abstimmen können. An dieser Stelle gehört es sich auch - das hat bisher noch keiner getan -, den Gemeinde- und Stadträten vor Ort, den Mitarbeitern der kommunalen Planungsdezernate, den Vereinen und Initiativen Danke zu sagen, weil sie das gemeinsam entwickeln. Wir können hier nur finanzielle Rahmendaten festlegen. Aufgrund der gesellschaftlichen und demografischen Veränderungen gibt es in diesem Bereich sehr große Herausforderungen. Wir alle sollten uns hier wirklich ernsthaft und konstruktiv Ansätze überlegen, wie wir der Situation Herr werden können. Dazu gehört für uns maßgeblich die Bereitstellung des finanziellen Rahmens. Ich lade Sie ein, weiterhin konstruktiv daran mitzuarbeiten. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Roland Claus hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben einen guten Antrag vorgelegt. Die Landesbauminister haben einen guten Beschluss gefasst, und zwar einstimmig. Deshalb haben wir Linke diesen Beschluss hier als Antrag eingebracht. Ich finde, so viel Gutes verdient auch eine Mehrheit im Deutschen Bundestag. ({0}) Ich war gespannt, welche Argumente Koalition und Regierung dagegen vorbringen könnten, und ich war schon erstaunt, als uns Minister Ramsauer in die Geheimnisse seiner höheren Mathematik eingeführt hat. Er hat, so hörten wir, die Halbierung halbiert, und bei ihm kommt dann immer noch Dreiviertel raus. Ich sage einmal ganz offen: Als Dreiviertelminister sind Sie mir im Kabinett einfach ein Stück zu wenig, Herr Minister. ({1}) Wenn Sie diese Mathematik so weiter treiben, dann müssten wir diesen Maßstab vielleicht auch einmal bei den Haushaltsberatungen anlegen, wenn es um den Haushaltsposten Ministergehalt geht. ({2}) 40 Jahre Städtebauförderung, zu diesem Thema kann man einen großen historischen Bogen schlagen. Ich will das einmal aus ostdeutscher Sicht beleuchten. Der Stadtumbau Ost nach der deutschen Einheit findet - das ist parteiübergreifend unbestritten - in allen Wählerinnenund Wählerschichten große Anerkennung; Franz Müntefering hat das schon gesagt. Inzwischen gibt es einen ostdeutschen Erfahrungsvorsprung bei diesem Stadtumbau, bei diesen demografischen und sozialen Prozessen. Es gibt jetzt auch einen Stadtumbau West. Man könnte denken, man finge an, den ostdeutschen Erfahrungsvorsprung beispielsweise bei schrumpfenden Städten anzuerkennen, aufzugreifen und zu nutzen. Das ist aber leider nicht der Fall. Ich will Sie auch daran erinnern, dass es lange vor der deutschen Einheit Städtepartnerschaften zwischen Ost und West gab. Westdeutsche Städte mit ostdeutschen Partnerstädten waren immer darum bemüht, dass ihre ostdeutsche Partnerstadt ein bisschen besser aussah als andere Städte im Osten. Das war damals Teil eines Programms nach dem Prinzip „Wandel durch Annäherung“. Der Westen war damals aber auch in der Lage - das können Sie sich von renommierten Architekten und Städteplanern erklären lassen -, vom Osten zu lernen. Manche städtebauliche Sünde fand in der DDR nämlich nicht statt, weil das Geld dazu fehlte. Ich will sagen: Wir hätten schon, konnten aber nicht. ({3}) Zurück zur Gegenwart und zur Zukunft. Städtebauförderung und energetische Gebäudesanierung gehören nun wirklich unbestritten zu den erfolgreichsten Förderinstrumenten des Bundes. Deshalb kann ich eine Bundesregierung und eine Koalition, die sich selbst ihrer besten Förderinstrumente berauben, nach wie vor überhaupt nicht verstehen - und heute schon gar nicht. Das ist doch einfach absurd, was Sie hier betreiben. ({4}) Sie können noch tausendmal argumentieren, die energetische Gebäudesanierung werde jetzt aus einem anderen Topf finanziert und das komme den Kommunen zugute. Das mag alles richtig sein. Aber erstens stammen die Mittel hierfür aus dem Energie- und Klimafonds, und über die Einnahmeseite dieses Fonds sind wir uns überhaupt noch nicht sicher. ({5}) Einen Anspruch der potenziellen Anwender dieses Programms gibt es deshalb noch nicht. Eines wollen wir aber nicht: eine energetische Gebäudesanierung nach Kassenlage. ({6}) Zweitens wollen Sie offensichtlich nicht begreifen, dass es wesentlich ist, ob über bereitgestellte Mittel von einem Ministerium verfügt werden kann, sie also in den Instrumentenkasten einer ganzheitlichen Städtebau- und Förderpolitik eingebaut werden können. Das ist jetzt nicht mehr der Fall; das beklagen auch Ihre Ministerkollegen in den Ländern. ({7}) Ich will die Kollegen der SPD, die ich schon sehr gelobt habe, ({8}) auf den ersten Punkt ihres Antrags verweisen, in dem gefordert wird, die kommunale Kaufkraft zu stärken. Das ist zwar richtig, aber auch ziemlich frech.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege! ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im Moment leiden die Kommunen unter der Unternehmensteuerreform von Rot-Grün, die ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Tun Sie Buße, indem Sie weiter gute Anträge machen! Meine Fraktion ist es leid, Bußetun als unser Alleinstellungsmerkmal anzusehen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wenn ich gewusst hätte, dass Sie noch von Buße sprechen, hätte ich Sie mitnichten auf die überschrittene Redezeit aufmerksam gemacht. Patrick Schnieder hat das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst einmal unserem Minister sehr herzlich gratulieren, ({0}) nicht nur dazu, dass es ihm gelungen ist, die Städtebauförderung nach 40 Jahren Erfolgsgeschichte auch in der Gegenwart auszugestalten und für die Zukunft fit zu machen, ({1}) sondern auch dazu - das habe ich jedenfalls der Äußerung von Herrn Kollegen Müntefering entnommen -, dass Sie, Herr Minister Ramsauer, ein Superministerium führen. ({2}) Die Baupolitik scheint in den Augen der Opposition fähig zu sein, alle Probleme dieser Welt außer denen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu lösen. ({3}) Ich halte das für einen sehr interessanten Ansatz. Das gilt ebenso für Ihre Aufzählung, Herr Kollege Müntefering, der erfolgreichen Bauminister. Wir freuen uns sehr darüber, dass Sie Minister Schneider gelobt haben; ich lobe unseren aktuellen Minister. Ihr Name hat aber bezeichnenderweise gefehlt. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns darin einig - das hat die Debatte bisher gezeigt -, dass die Städtebauförderung eine Erfolgsgeschichte ist. Sie bleibt es auch in Zukunft. ({5}) Wir dürfen allerdings nicht verkennen - darum haben sich viele Beiträge gerankt, ohne aber auch nur einen Ansatz für eine Lösung aufzuzeigen -, dass wir uns auch um andere Dinge in diesem Lande zu kümmern haben und dass die Probleme nicht allein mit der Städtebauförderung zu lösen sind. Ich nenne als ersten Punkt die Verpflichtung, die Schuldenbremse einzuhalten und den Haushalt zu sanieren. ({6}) - Der Zwischenruf kommt wie gerufen. - Wir befinden uns im Jahre 2011 und reden über die Ausgestaltung der Städtebauförderung im Jahre 2012. Wir denken selbstverständlich darüber nach, wie wir in den Jahren 2013 fortfolgende sozial gerechte Maßnahmen ergreifen können, um Beziehern von unteren und mittleren Einkommen die Möglichkeit zu geben, auf die Segnungen der kommunalen Städtebauförderung zuzugreifen. Das ist doch eigentlich die Politik der SPD. ({7}) Ich weiß gar nicht, was daran zu kritisieren ist. ({8}) Wenn man die Konsolidierung unseres Haushalts und die Anforderungen der Schuldenbremse ernst nimmt, dann kann man ({9}) nicht so tun, als könne man gleichzeitig in keinem einzigen Bereich die Ausgaben zurückfahren. ({10}) Sie haben in der Diskussion zum Etat des Verkehrs- und Bauministeriums schon ausgeführt: Wir bleiben bei den Verkehrsinvestitionen unterhalb der Erfordernisse. Heute führen Sie aus: Wir bleiben in der Städtebauförderung unter den Erfordernissen. - Sie müssen mir bitte einmal verraten, wie Sie die Anforderungen der Schuldenbremse im Zusammenhang mit der Konsolidierung des Haushaltes erfüllen wollen. ({11}) Sie haben über die kommunale Finanznot geredet. Die haben wir in der Tat zu beobachten. ({12}) Es ist allerdings ein Irrglaube, diese Finanznot allein mit den Mitteln der Städtebauförderung beseitigen zu können. Das folgt schon aus der Tatsache, dass bei der Inanspruchnahme von Städtebauförderprogrammen immerhin ein Anteil von einem Drittel zu übernehmen ist. Wie können Sie auf kommunaler Ebene Geld einsparen, wenn Sie erst einmal Geld auf den Tisch legen müssen? Ein weiterer Aspekt: Schauen wir uns einmal die erfolgreiche Bau- und Kommunalpolitik des Landes Rheinland-Pfalz an. Dort gibt es eine sozialdemokratisch geführte Regierung, die das Wort „sparen“ buchstabieren kann; in die Praxis umsetzen konnte sie das in den letzten 20 Jahren aber nicht. Dort wurden die zur Verfügung stehenden Mittel in den vergangenen Jahren nicht einmal vollständig abgerufen. ({13}) Nehmen wir nur einmal das 2008 von Ihnen so präferierte Programm „Soziale Stadt“. Das Land RheinlandPfalz hat 600 000 Euro nicht abgerufen, und vor dem Hintergrund, dass am Nürburgring eine halbe Milliarde Euro in den Sand gesetzt worden ist, bekommen die Begriffe „sozialdemokratische Baupolitik“ bzw. „soziale Baupolitik“ eine ganz neue Bedeutung. ({14}) Die christlich-liberale Koalition hat im Bereich der kommunalen Finanzen das ausgebügelt, was Sie im Bereich der Grundsicherung den Kommunen eingebrockt haben. Sie können uns nicht vorhalten, dass wir bei der Baupolitik, die wir betreiben, die Kommunen im Regen stehen lassen. ({15}) Sie haben doch das Chaos bei den kommunalen Finanzen verursacht. Wir haben es beseitigt, indem wir die Leistung der Grundsicherung dauerhaft auf den Bund überführt haben. So haben wir die größte Entlastung der Kommunen in den letzten Jahren und Jahrzehnten herbeigeführt. ({16}) Lassen Sie mich noch ein Wort zum Programm „Soziale Stadt“ sagen. In der Tat ist es schmerzlich, dass wir dort den Ansatz für das laufende Jahr auf 28 Millionen Euro zurückfahren mussten. Ich habe mir verschiedene Projekte in Rheinland-Pfalz angeschaut, in Worms und in Trier. Man kann nur sagen: Dort wird hervorragende Arbeit geleistet. Wir brauchen dieses Programm. ({17}) Deshalb bin ich froh, dass wir zumindest für das Jahr 2012 mit einem Aufwuchs auf 40 Millionen Euro rechnen können. ({18}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, Sie haben heute viel über die Vergangenheit geredet, aber noch nicht ein Wort zu den Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft gesagt. ({19}) Im Übrigen müssen auch die Mittel aus dem ESFProgramm BIWAQ im Bereich sozialraumorientierte Arbeitsmarktprojekte beim Programm „Soziale Stadt“ berücksichtigt werden. ({20}) Wir haben immer den Wunsch, mehr Mittel auszugeben; aber wir gestalten eine realistische Politik. Dann ist nicht alles machbar, was man sich wünscht. Eine letzte Bemerkung zu den hier aufgeführten mathematischen Fähigkeiten. Die Fantasie muss bei Ihnen in der Opposition noch etwas größer werden. Man muss nicht mit gleichen Mitteln und der gleichen Ausgestaltung von Programmen nur mit einer einfachen Zuschusspolitik sämtliche Ziele, die man sich vornimmt, verfolgen. Wir haben 410 Millionen Euro für die Städtebauförderung für 2012 vorgesehen. Es kommen 92 Millionen Euro für die energetische Stadtsanierung hinzu. ({21}) Das gibt nach Adam Riese mehr als 500 Millionen Euro. Das ist ein deutlicher Aufwuchs. Sie können es nennen, wie Sie wollen. Es ist eine zukunftsgerichtete Städtebaupolitik, die unter den gegebenen Umständen realistisch und machbar ist. ({22}) Ich darf abschließend sagen: Diese Koalition steht für eine realistische und gute Städtebauförderung auch in Zukunft. Es ist ein zentrales Instrument der nachhaltigen Entwicklung unserer Städte und Gemeinden. Wir werden mit aller Macht daran festhalten. ({23})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ulrike Gottschalck hat jetzt das Wort für die SPDFraktion. ({0})

Ulrike Gottschalck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Politik, die nicht für die Menschen da ist, sondern für sich selbst, kann uns gestohlen bleiben. Dieses Zitat von Willy Brandt ist das Leitbild nicht nur meiner persönlichen Überzeugung, sondern auch meines politischen Handelns. Es dient, denke ich, heute auch durchaus der Diskussion über die positiven Auswirkungen der Städtebauförderung. Willy Brandt hat aber nicht nur klug zitiert; er hat auch klug und nachhaltig gehandelt, zum Beispiel indem er 1971 die Städtebauförderung ins Leben gerufen hat. Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, dass die Städtebauförderung eine mittlerweile über vier Jahrzehnte andauernde und immer weiter fortgeschriebene Erfolgsgeschichte ist. Kern des Erfolgs der Städtebauförderung sind die sichtbaren und erlebbaren Erfolge. Es ist die Zufriedenheit der Menschen, die sich mit ihren Wohnorten und Quartieren identifizieren und ihr Lebensumfeld lebensund liebenswert gestalten. Was können wir uns mehr wünschen, als dass die Menschen in den Städten und Gemeinden gerne in ihren Quartieren leben, dort Familien gründen und ihr Umfeld gestalten? ({0}) Die Politik ist deshalb dazu verpflichtet, Herr Körber, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden kann. Das ist eigentlich logisch. ({1}) Ich will nicht weiter auf die Zahlen eingehen. Das haben schon meine Vorredner gemacht. Ich will aber eines deutlich sagen: Auch wenn Sie noch so viel hin- und herrechnen, Sie streichen erneut 45 Millionen Euro. Alles andere, was Sie uns vormachen, ist eine Milchmädchenrechnung. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke zulassen?

Ulrike Gottschalck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Gottschalck, ich bin einer von den in solchen Debatten immer wieder beklagten Haushältern. Deswegen orientiere ich mich immer gerne an Zahlen. Wenn die Opposition kritisiert, dass zu wenig Geld ausgegeben wird, was ihr gutes Recht ist und auch vielleicht etwas Wahres enthält, dann würde ich von Ihnen gerne wissen, wie viele Millionen Euro zu wenig wir seitens des Bundes im Bereich Städtebauförderung zur Verfügung stellen. Oder sind es gar Milliarden? ({0})

Ulrike Gottschalck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich antworte Ihnen sehr gerne, Herr Kollege. Wir haben einen Antrag vorgelegt, in dem wir alles genau aufführen. Des Weiteren hat das Verkehrsministerium unter Herrn Ramsauer eine eigene Studie in Auftrag gegeben, die von 700 Millionen Euro ausgeht. Diese Mittel brauchen wir, um unsere Städte und Gemeinden in Ordnung zu bringen. ({0}) Da vermutlich eine entsprechende Nachfrage kommt, kann ich Ihnen auch gleich die Gegenrechnung aufmachen. Hören Sie auf, von Steuersenkungen zu fabulieren! ({1}) Nehmen Sie zum Beispiel Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz zurück! Auch dadurch können wir viel bewegen. ({2}) - Das können wir herausrechnen. Es bleibt trotzdem genug übrig. Sie rechnen, wie gesagt, nur die 45 Millionen Euro hin und her. Herr Körber, mein im Ausschuss sehr geschätzter Kollege, Sie haben es sich heute ein bisschen mit mir verdorben. Ich fand Ihre Rede ziemlich arrogant. ({3}) Sie sollten vielleicht in der Lebenswirklichkeit ankommen. Im Gegensatz zu Ihnen hat Franz Müntefering sehr praxisnah das Lebensumfeld der Menschen vor Ort beschrieben, statt rein theoretisch herumzufabulieren, etwas schönzureden und von Findungsphasen zu sprechen. In Findungsphasen stecken Sie noch. ({4}) Sie werden getrieben - das habe ich schon gesagt -, durchaus auch von der FDP, denke ich, über Steuersenkungen zu fabulieren. Da spreche ich jetzt Herrn Götz an. Ich verstehe es nicht. Mit der CDU konnte man in Fragen der Städtebaupolitik sonst gut zusammenarbeiten. Lassen Sie sich nicht treiben! Wir können doch nicht auf der einen Seite über Steuersenkungen fabulieren und auf der anderen Seite die Daseinsvorsorge vor Ort ratzfatz, ohne mit der Wimper zu zucken, zusammenstreichen. ({5}) Die Menschen in den Kommunen erfahren tagtäglich, wie schwierig es ist, wenn in ihrer Heimatgemeinde die Kohle fehlt, um die Infrastruktur zu erhalten oder auszubauen, wenn soziale Spaltung droht oder ganze Quartiere abgeschrieben werden müssen. Das können doch auch Sie von der CDU/CSU und der FDP nicht wollen. Wollen Sie wirklich riskieren, dass Identifikation verloren geht, Stadtkerne verkommen, ({6}) Denkmäler nicht mehr gepflegt werden, Quartiere verwahrlosen und ehrenamtliches Engagement vor Ort zurückgeht? Ich mache bereits seit 1980 Kommunalpolitik. Ich bin vor Ort Fraktionsvorsitzende. ({7}) Ich weiß sehr wohl, wie schlecht es den Kommunen geht. Auch im Namen der Kommunen bitte ich Sie sehr herzlich: Nehmen Sie die erneuten Kürzungen der Städtebauförderung zurück! Vielen Kommunen steht finanziell das Wasser bis zum Hals. Manche sehen schon keine Perspektive mehr. Wir müssen den Kommunen aber Handlungsspielräume geben; denn wir brauchen die Kommunen in Zukunft noch viel mehr. Ich spreche zum Beispiel die Energiewende an. Ich finde es vollkommen in Ordnung, dass Programme aufgelegt werden, um die Energiewende voranzutreiben und die Gemeinden da zu unterstützen. Einen kleinen Schlenker kann ich Ihnen aber nicht ersparen: Auch bei dem Problem der Energiewende sind Sie leider wieder zu spät gewesen. Wir müssen jetzt sehen, wie wir das, was Sie kaputtgemacht haben, wieder einfangen. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Herr Schirmbeck würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Ulrike Gottschalck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, Sie haben davon gesprochen, dass es eine kommunale Verelendung in Deutschland gibt. Wir haben das in Niedersachsen einmal untersucht. Die zehn Gebietskörperschaften mit den geringsten Schulden in Niedersachsen waren von einer Partei regiert. Die zehn Gebietskörperschaften mit den höchsten Schulden waren auch von einer Partei regiert. Können Sie vielleicht die Frage beantworten, welche Partei welche Kommunen regiert? - Man kann auch mit wenig Geld eine ordentliche Politik machen. ({0})

Ulrike Gottschalck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werter Kollege, man kann auch Äpfel mit Birnen vergleichen. ({0}) Ich sage Ihnen aus meiner ganz praktischen Erfahrung im Landkreis Kassel: Wir haben auch ordentlich Schulden, ({1}) aber wir setzen dort Prioritäten. Bei uns werden zum Beispiel die Reinigungskräfte komplett ordentlich bezahlt. Die Leistung wird nicht outgesourct. Das ist die Denke von Sozialdemokraten. ({2}) Sie weisen immer darauf hin, dass Sie so großen finanziellen und wirtschaftlichen Sachverstand haben. Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie bei der Städtebauförderung kürzen wollen; denn die rechnet sich doch. ({3}) Wir brauchen die Kommunen für die Energiewende. Wir brauchen die Kommunen aber auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung; denn ohne die Kommunen werden wir die demografische Entwicklung nicht erfolgreich gestalten können. Dafür benötigen die Kommunen Rüstzeug. Die Streichung des KfW-Programms „Altersgerecht Umbauen“ ist einfach vollkommen kontraproduktiv in einer Zeit, wo wir auf die demografische Entwicklung eingehen müssen. ({4}) Ich mache es jetzt kürzer: Wir brauchen die Programme „Städtebaulicher Denkmalschutz“, „Stadtumbau Ost“, „Stadtumbau West“ und „Soziale Stadt“. Alle Landesbauminister, egal welcher Couleur, fordern einstimmig mehr Verlässlichkeit vom Bund. Die Kürzungen sind, wie eben schon gesagt, auch noch volkswirtschaftlich unsinnig; denn 1 Euro Städtebauförderung - wir haben es jetzt mehrfach gehört stößt Investitionen von mindestens 7 bis 8 Euro an. Diese Förderung rechnet sich. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sind alle gewählt, um zum Wohle des deutschen Volkes tätig zu sein. Eine Politik, die nicht für die Menschen da ist, sondern nur für sich selbst, kann uns gestohlen bleiben. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Geben Sie unseren Kommunen Zukunft, und setzen Sie die Erfolgsgeschichte der Städtebauförderung fort! Danke schön. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/6444 und 17/6447 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie Zusatzpunkt 9 auf: 8 - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({1}) auf Grundlage der Resolution 1769 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen - Drucksachen 17/6322, 17/6509 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Heidemarie Wieczorek-Zeul Jan van Aken Kerstin Müller ({3}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/6510 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler ZP 9 - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({5}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission im Südsudan - Drucksachen 17/6449, 17/6511 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Heidemarie Wieczorek-Zeul Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({6}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/6512 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Über beide Beschlussempfehlungen wird später namentlich abgestimmt werden. Für die Aussprache ist eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich gebe zunächst der Kollegin Marina Schuster das Wort für die FDP-Fraktion. ({8})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sudan hat einen jahrzehntelangen blutigen Bürgerkrieg hinter sich. Morgen wird eine neue Seite in den Geschichtsbüchern aufgeschlagen. Morgen gründet sich der jüngste Staat Afrikas, der Südsudan. Schon zu Beginn des Jahres wurde ein großer Meilenstein geschafft, nämlich das Referendum über die Unabhängigkeit. Es ging viel friedlicher vonstatten, als wir das alle hier erwartet hatten. Ein großer Teil ist also schon geschafft. Aber die großen Aufgaben stehen noch bevor. Wenn wir uns die Gewaltausbrüche in den vergangenen Wochen anschauen - heftige Zusammenstöße zwischen Nord und Süd in Abyei und Süd-Kurdufan, weiter andauernde Kämpfe zwischen dem Norden und Milizen in Darfur, aber auch Gewaltausbrüche innerhalb des Südsudans -, dann erkennen wir, dass grundlegende Probleme weiterhin noch nicht gelöst sind. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute die beiden Mandate beschließen; denn die internationale Gemeinschaft darf in ihrem Engagement nicht nachlassen, sondern muss auch weiterhin ihren Beitrag für die langfristige Befriedung der Region leisten. Auch Deutschland ist hier in der Pflicht. Die neue Mission UNMISS hat drei Aufgaben. Die erste Aufgabe umfasst den Schutz der Zivilbevölkerung; dies ist ein robustes Mandat. Die zweite Aufgabe bezieht sich auf die Unterstützung beim Aufbau von Armee und Polizei. Die dritte Aufgabe ist eine ganz entscheidende, nämlich die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von ehemaligen Kämpfern. Ich sage an die Adresse des Südsudans ganz klar: Auch der Süden muss seine Hausaufgaben machen und seine Verpflichtungen erfüllen. Es darf nicht zu einem ethnischen Klientelismus kommen; er muss Korruption und Menschenrechtsverletzungen klar bekämpfen. ({0}) Die große Aufgabe, die es nach wie vor zu meistern gilt, ist der Aufbau eines funktionierenden Staatswesens. Dazu gehört der Zugang zu Bildung, zu Gesundheit und zu Infrastruktur. Auch der Norden ist weiterhin gefordert. Wir hoffen - darauf drängen wir -, dass sich der Norden bereit erklärt, dass UNMISS die Grenzüberwachung vom Norden her durchführen kann. Ich halte dies für dringend geboten. Die dramatische Situation, die wir in der NubaRegion und in Süd-Kurdufan erleben, sowie die Schwere der Menschenrechtsverletzungen zeigen, dass gehandelt werden muss. Für Abyei hat man Gott sei Dank mit dem Mandat UNISFA einen Weg zur entmilitarisierten Zone gefunden, der Zeit schafft, um die notwendigen Fragen zu klären. Wir hoffen alle, dass die Gewalt nicht wieder eskaliert. ({1}) Noch einige Worte zur Mandatierung selbst. Wir haben bei der ersten Lesung dieses Verfahren ganz offen angesprochen. Natürlich sind wir, was die Mandatierung des UMNISS-Mandats betrifft, in einer ungewöhnlichen Situation. Denn der formale Beschluss des VN-Sicherheitsrats liegt gleich, wenn wir abstimmen werden, noch nicht vor. Dennoch ist ganz klar: Das Mandat ist hinreichend konkretisiert; es basiert auf dem Resolutionstext, über den heute in New York abgestimmt wird. Die Bundesregierung hat nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, und es ist ausdrücklich auch kein Vorratsbeschluss. Wir sind uns im Hohen Haus - ich glaube, bis auf die Linken - einig, dass wir für diesen speziellen Fall einer neuen Staatsgründung auch eine praktikable Lösung finden müssen; denn wir müssen natürlich eines verhindern: dass quasi als erste Amtshandlung die deutschen Soldaten abgezogen werden müssen, weil kein Mandat vorliegt. Das würde auch gar nicht zu unserem langjährigen Engagement passen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir dieses Engagement lückenlos fortsetzen. ({2}) Unser Engagement beinhaltet ja nicht nur die beiden Mandate, sondern es geht viel weiter. Es sind die Entwicklungszusammenarbeit, die humanitäre Hilfe, die Unterstützung, die wir im Rahmen der Polizeimission leisten, aber es ist auch das, was wir im Vorfeld an Unterstützung bei der Verfassungsreform geleistet haben, wobei sich auch Professor Wolfrum sehr stark engagiert hat. Unser Engagement fügt sich auch in das neue ressortübergreifende Afrika-Konzept der Bundesregierung ein, das eben von den klassischen Geber-Nehmer-Strukturen weggeht, sondern diese Partnerschaft auf Augenhöhe will, und das gerade auch den Bereich „Peace and Security“ als einen Pfeiler sieht. Insofern ist es sehr kohärent, wenn wir mit unserem Engagement dort fortfahren. Ich möchte noch auf den letzten Punkt eingehen, auf die Situation in Darfur. Natürlich hat die Staatsgründung viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen, aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, was in Darfur geschieht. Seit acht Jahren gibt es dort diesen Konflikt, und auch wenn es bei den Friedensverhandlungen in Doha einige Fortschritte gab, haben wir immer noch kein endgültig abgeschlossenes Friedensabkommen, und auch wesentliche Parteien waren nicht in den Prozess einbezogen. Insofern bleibt viel zu tun für die Verhandlungen unter Thabo Mbeki. Es ist uns allen klar, dass hier letztlich nur ein tragfähiger politischer Konsens dauerhaften Frieden bringen kann. Bis dahin wird die Hybridmission weiterhin notwendig sein; sie tut ihr Möglichstes, um die Flüchtlingslager zu schützen und die humanitäre Situation zu lindern. Aber es ist natürlich so: Die Mandate sind kein Politikersatz. Der Schlüssel kann nur von den Verhandlungen kommen. Nur da kann sich eine tragfähige, dauerhafte Lösung ergeben. ({3}) Unsere Soldaten werden im Rahmen von UNAMID im Bereich der Einsatzführung und der Logistik weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Ich bitte auch deshalb um breite Zustimmung zu diesem Mandat. Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede unseren Soldaten im Einsatz ganz herzlich danken, aber auch den Polizisten, den zivilen Helfern, die seit Jahren im Sudan engagiert sind, für ihre ausdrücklich großen Leistungen, die sie dort in einer sehr schwierigen Situation vollbringen. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Christoph Strässer das Wort. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Südsudan wird morgen offiziell seine Unabhängigkeit erklären. Grundlage hierfür war die Vereinbarung zum umfassenden Frieden im Jahre 2005 - das sogenannte Comprehensive Peace Agreement -, die neben vielem anderen Wahlen, eine Volksabstimmung über einen Verbleib im Staatsgebiet des Sudan oder eine Abspaltung des Südens und die Gründung eines eigenen Staates, des 54. auf dem afrikanischen Kontinent, beinhaltete. Beide Abstimmungen haben stattgefunden, beide hatten eindeutige Ergebnisse, beide sind unter Beobachtung und mit Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft besser abgelaufen, als das gemeinhin befürchtet wurde. Dafür - das sage ich an dieser Stelle auch ganz bewusst - hat unter anderem auch die Mission der Vereinten Nationen, die alte UNMIS-Mission, einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Viele, die den Verhandlungsprozess über Jahrzehnte begleitet haben, wissen auch, dass das CPA, dieses Abkommen, ohne UNMIS als konstitutivem Bestandteil nicht möglich geworden wäre. ({0}) Der deutsche Repräsentant bei den Vereinten Nationen, Botschafter Peter Wittig, hat am Dienstag erklärt, dass der Sudan gegenwärtig, insbesondere während der deutschen Ratspräsidentschaft, im Fokus der Weltöffentlichkeit stehe; man werde vorschlagen, die neue Republik Südsudan schnellstmöglich in die UN-Vollversammlung aufzunehmen. Das unterstützen wir von der SPD-Fraktion nachdrücklich. Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir, der per Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gesucht wird und trotz vielfältiger Auslandsbesuche noch immer nicht verhaftet ist, hat auch vernünftige Momente. Er hat erklärt, dass sein Staat die neue Republik Südsudan anerkennen und kooperieren werden. Wir alle hoffen sehr, dass dies nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt; denn erst vor kurzem rief al-Baschir seine Truppen zu weiteren Kämpfen in der umstrittenen Grenzregion SüdKurdufan auf, die so lange andauern sollen, bis „das Gebiet von Rebellen gesäubert“ sei. Nach Schätzungen der UNO wurden durch die Kämpfe in der Grenzregion bereits mindestens 70 000 Menschen vertrieben. Die Grenzstaaten gehören zwar zum Norden, stehen aber auch unter dem Einfluss der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM, die den Süden anführt und von einer Bevölkerungsmehrheit geprägt ist, die sich eher dem Süden zugehörig fühlt. Die Kollegin Schuster hat schon darauf hingewiesen: Wenn wir über den Sudan reden, dann heißt das sehr deutlich, dass auch die SPLM unter unserer Beobachtung steht. Die Angehörigen der SPLM sind keine Kinder von Traurigkeit. Wir werden genau hinsehen müssen, ob sie Menschenrechtsverletzungen begehen. ({1}) Wir haben kurz vor der Teilung des Sudans den Streit um diese Grenzregion ansatzweise befriedet. Ob es sich dabei um eine nachhaltige Regelung handelt, bleibt abzuwarten. Die Verständigungen geben allerdings Anlass zu der Hoffnung, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, ergebnisorientierte Regelungen zu vereinbaren. Wir werden sehen, ob die Truppe, die in Addis Abeba verabredet wurde, in der Grenzregion für nachhaltigen Frieden sorgen kann. Aber das alles macht deutlich, wie explosiv und fragil die Situation ist und vorerst auch bleiben wird. Neben diesem Konfliktpunkt an der Grenze ist der Südsudan von einer rückständigen Infrastruktur, einer hohen Analphabetenrate sowie inneren Widersprüchen geprägt. Offen sind zudem die Fragen nach der Verteilung von Gewinnen aus dem Ölgeschäft, der Aufteilung der Schuldenlast und dem Grenzverlauf sowie der Grenzsicherung insbesondere im Bereich der Stadt Abyei. Der Süden steht damit vor gewaltigen Herausforderungen, die er bewältigen muss, um nach der Unabhängigkeitserklärung eine tatsächlich selbstständige Entwicklung realisieren zu können. In dieser Situation ist eine weitere Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft dringend geboten. Die Regierung des Südsudan hat sich deshalb schon früh für eine weitere UN-Präsens in ihrem Territorium ausgesprochen und dementsprechend um eine Folgemission gebeten. Die SPD-Fraktion hält ein Folgemandat für die alte UNMIS insofern für äußerst sinnvoll und richtig, und zwar weil die Erfolgsaussichten dieses neuen Staates im Süden jenseits der elementaren Beziehungen zum Nordsudan von wichtigen Elementen, wie der Entwicklung einer pluralistischen Demokratie mit gestärkten zivilgesellschaftlichen Kräften und dem Aufbau eines effektiven Staatsapparates, abhängen. Von ganz besonderer Bedeutung ist jedoch für jede weitere Entwicklung die Stärkung des Sicherheitssektors. Anstrengungen, immer noch hoch bewaffnete Milizen zu entwaffnen, sie zu demobilisieren und in eine zivilgesellschaftliche Entwicklung zu integrieren, stehen an erster Stelle. Dies wird nach unserer festen Überzeugung ohne ein robustes Mandat der Vereinten Nationen nicht möglich sein. Wenn Sie mir das schon nicht glauben, dann lassen wir doch einmal Leute sprechen, die nicht nur einmal im Sudan gewesen sind und sich dort umgetan haben, Leute, die seit Jahren für zivilgesellschaftliche Organisationen dort arbeiten. So fordert ein breites Bündnis afrikanischer NGOs unter dem Titel „Beyond the Pledge“ - das alles ist Ihnen zugegangen - die Garantiemächte des CPA nachdrücklich auf, die Robustheit ihres Engagements zu verstärken. Der Regionalkoordinator der Welthungerhilfe in Nairobi, Johan van der Kamp, kritisierte die alte UNMIS in einer Presseerklärung des Evangelischen Pressedienstes vom gestrigen Tage: „Wenn es tatsächlich Kämpfe gab, war die UNMIS oft nicht da.“ Doch Kamp fordert aufgrund dieser Analyse nicht das Ende der Mission, sondern - aus meiner Sicht folgerichtig und konsequent -: „Die UN-Truppe braucht ein robusteres Mandat.“ ({2}) Vielleicht noch unverdächtiger ist die Leiterin des Oxfam-Büros in New York, Kirsten Hagon, die sich seit vielen Jahren mit diesem Thema befasst. Sie fordert in derselben Pressemitteilung die VN dazu auf, nicht „bei der Ausstattung dieser Mission zu geizen“. Sie sagt weiter, eine Deckelung der Truppenobergrenze bei der neuen Mission wie bei der alten UNMIS von derzeit 9 000 Soldaten und gut 1 500 zivilen Mitarbeitern gehe zulasten der Zivilbevölkerung. - So weit die Repräsentantin der weltweit bekannten und gut arbeitenden Organisation Oxfam. Unter diesem Aspekt sollten wir uns vor diesem Mandat nicht drücken. Wir sollten dieses Mandat unterstützen und dafür sorgen, dass das, was in dem Mandat steht, in den nächsten Jahren möglich wird. In diesem Zusammenhang ein Appell an die Bundesregierung: Herr Staatsminister, die Bundesrepublik hat in den nächsten sechs Monaten den Vorsitz des Weltsicherheitsrates. Wir rätseln in diesem Hause schon seit längerem, was auf der Agenda stehen wird. Ich könnte ein Beispiel nennen, was Sie jenseits der konkreten Tagesordnung tun könnten. Kümmern Sie sich darum, dass das Mandat so ausgestaltet wird, dass die Rolle von Frauen in Führungspositionen gestärkt wird. Das könnte bei der Sensibilisierung des Konflikts eine große Rolle spielen und würde der Bundesregierung international bei der Umsetzung der Resolution 1325 sicher viel Renommee verschaffen. ({3}) Die Probleme, die bei der Verabschiedung des Mandats diskutiert worden sind, sind bereits angesprochen worden. Es gibt, soviel ich weiß, seit zwei Stunden einen konsolidierten Text des Weltsicherheitsrats, der nicht mehr veränderbar ist. Nichtsdestotrotz - das meine ich ganz ernst - kann und darf es nicht die Regel in diesem Hohen Hause werden, dass der Parlamentsvorbehalt eingeschränkt wird. Wir müssen heute Abend genau hinschauen, wie der Text lautet. Wenn er nicht mit dem übereinstimmt, was wir hier im Deutschen Bundestag als Mandat beschrieben haben, dann müssen wir im Sommer eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages zu diesem Thema einberufen. Alles andere wird unserem Anspruch als Parlamentarier nicht gerecht. Das ist mit uns nicht zu machen. - Ich höre keinen Beifall. Das hat etwas damit zu tun, dass das Ganze vielleicht nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt. ({4}) Ich will auch nicht dafür sorgen, dass das passiert. Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu dem von uns begrüßten UNAMID-Mandat. Darfur ist ein Stück weit aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit geraten, insbesondere nach den Feierlichkeiten und den Umständen der Staatsgründung im Süden. Nichtsdestotrotz wäre es ein fundamentaler Fehler, wenn wir die Situation in Darfur außer Acht ließen. Wir haben darüber schon in der ersten Lesung diskutiert. Ich will dazu nur eine Anmerkung machen, die mir wirklich wichtig ist: Viele Kolleginnen und Kollegen waren in den letzten Jahren in Darfur. Ich persönlich war siebenmal dort und habe Flüchtlingslager besucht, auch noch im vorletzten Jahr. Wenn ich höre, dass ernsthaft die Position vertreten wird - angesichts der aktuellen Situation und der Zuspitzung des Konflikts durch die Zersplitterung der Rebellengruppen, die mittlerweile eindeutig Teil des Problems sind und nicht mehr als Opfer dieser ganzen Entwicklung anzusehen sind -, den Menschen in den Flüchtlingslagern sei dadurch geholfen, dass man Mediation organisiert und verhandelt, dann muss ich sagen, dass diese Position die reale Situation in Darfur elementar verkennt. Es wird nicht anders gehen, als diesen Menschen auch militärischen Schutz zu gewähren, damit sie in den Flüchtlingslagern überleben können. Ein großes Flüchtlingslager heißt Abu Schuq. Es wurde 2004 mit deutschen Mitteln für damals 15 000 sich vorübergehend dort aufhaltende Flüchtlinge errichtet. Mittlerweile leben dort über 50 000 Menschen. Wir haben mit diesen Menschen gesprochen und sie gefragt, warum sie nicht in ihre Regionen zurückgehen. Sie haben uns ganz klar geantwortet: weil wir Angst haben, und zwar nicht vor den UNAMID-Truppen, sondern vor den Rebellen und der Dschandschawid-Truppe des Nordsudan, die uns nicht in Ruhe leben lassen, unsere Kinder rauben, uns vergewaltigen und dort weiterhin ihr Unwesen treiben. - Das ist die Realität, die ich wahrgenommen habe. Deshalb brauchen wir ein stärkeres Mandat für UNAMID, Herr Staatsminister, auch mit deutscher Beteiligung. Sonst werden wir keine Lösung erreichen. ({5}) Wir werden morgen viele Feierlichkeiten erleben. Eine Nachricht am Rande finde ich ganz wichtig. Es gibt ein Verbot von Böllerschüssen bei den Unabhängigkeitsfeiern im Südsudan. Aber es wird morgen dort gefeiert werden, und es wird für viele Menschen ein Tag der Freude sein, ein Tag, den sie herbeigesehnt haben nach Jahrzehnten des Krieges, der Unterdrückung und der Not. Wir aus Deutschland sollten unseren Beitrag dazu leisten, dass diese Feiern nicht mit einem großen Kater enden. Nach 40 Jahren Bürgerkrieg, Tod, Unterdrückung und Vergewaltigung haben die Menschen im Sudan unsere Solidarität verdient, und die sollten wir ihnen trotz der schwierigen Umstände auch gewähren. Schönen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Johannes Selle hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang unserer Legislaturperiode gehörte der Sudan zu den größten Sorgenkindern. Der Zeitplan des Referendums war in Verzug geraten und der Stand der Vorbereitungen war besorgniserregend. Die Sorge eines ausbrechenden Konflikts war allerorten zu vernehmen. In einem fraktionsübergreifenden Antrag wurde die Bundesregierung aufgefordert, diesem Prozess erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen und international alle Anstrengungen zu unternehmen, um den friedlichen Prozess weiterzuführen. Trotz einiger Rückschläge, trotz gewisser Irritationen und regionaler Konflikte: Das Comprehensive Peace Agreement wurde in wichtigen Punkten eingehalten. Das Referendum über die Eigenständigkeit des Südsudan wurde erfolgreich durchgeführt, und morgen wird zum vorgesehenen Zeitpunkt die Unabhängigkeit des Südsudan ausgerufen. Das ist ein großer Erfolg für alle Sudanesen, die am Ende eines 20-jährigen Kampfes sicher und friedlich in ihrem Land leben wollen. Das ist ein großer Erfolg der internationalen Gemeinschaft, die sich dort engagiert hat. Zur Überwachung des Comprehensive Peace Agreements wurde die Friedensmission UNMIS für den Sudan eingerichtet, die wichtige Funktionen wahrnahm und sich bewährt hat. Mit dem 9. Juli endet das UNMISMandat, das für den gesamten Sudan gegolten hat. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich der Bundesregierung, Außenminister Westerwelle und Minister Niebel, danken, die diesen Prozess sehr aktiv begleitet und mit entsprechenden Ressourcen zeitnah ausgestattet haben. ({0}) Deutschland wird im Südsudan sehr positiv wahrgenommen. Da ist es ein glücklicher Umstand, dass in der Zeit der deutschen Präsidentschaft im UN-Sicherheitsrat der Antrag der Republik Südsudan, als 193. Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen zu werden, behandelt wird. Inzwischen sind massive Konflikte in der Nähe hinzugekommen, insbesondere in Libyen, die unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Trotz der Tatsache, dass wichtige politische Veränderungsprozesse hinzugekommen sind, die uns teilweise mit Sorge erfüllen, die aber auch Chancen für Demokratie und damit für Frieden und Stabilität darstellen und denen wir uns zuwenden müssen, muss uns klar sein, dass auch im Sudan noch viele Fragen zu lösen sind. Die internationale Gemeinschaft darf nicht nachlassen, den hoffnungsvollen Prozess vor Ort weiter zu unterstützen. Der Prozess ist vielfach bedroht, zum Beispiel von einer Hungerkatastrophe. Hunderttausende aus dem Norden sitzen im südsudanesischen Bundesstaat Nord Bahr el Ghazal fest; viele von ihnen werden verhungern. Tausende wollen wieder zurück, dürfen das aber aus sogenannten Sicherheitsgründen nicht. Jetzt in der Regenzeit kann Nord Bahr el Ghazal nur vom Sudan aus versorgt werden. Es ist leider schon sicher: Viele werden verhungern, weil sie nicht versorgt werden können. Der Prozess ist bedroht, zum Beispiel von Rebellengruppen, die sich im Südsudan gebildet haben und die gegen die Streitkräfte kämpfen. In den Bundesstaaten Warrap, Jonglei und Upper Nile gab es bereits über 2 000 Tote. Nicht alle lokalen Kräfte sind in die Grenzziehung der beiden sudanesischen Staaten einbezogen worden. Lokal können Konflikte entstehen, wenn es um Ressourcen und gewohnte Rechte, historische Stammesgrenzen und Gepflogenheiten geht. Obwohl generell stabil, gibt es immer wieder Zwischenfälle zwischen der sudanesischen und der südsudanesischen Armee, wie jüngst in Abyei. Die südsudanesische Armee muss massiv abrüsten. Die Waffen müssen eingesammelt werden, und die freiwerdenden Kräfte sind zu reintegrieren. Innerhalb des Südsudan sind aufgrund der Spannungen und Kämpfe 100 000 Menschen auf der Flucht. Nach der Ausrufung des Staates muss nun der Aufbau des Staates mit allen Institutionen unter den genannten sehr großen Schwierigkeiten erfolgen. Schon im Januar wurde ich angesichts dieser Herausforderung von südsudanesischen Regierungsvertretern inständig gebeten, für die Verlängerung der UNMIS-Mission einzutreten. Die Verlängerung ist nicht möglich. Deshalb entscheiden wir heute über die deutsche Beteiligung an einem neuen Mandat: UNMISS nur für den Südsudan. Die gewaltsamen Zwischenfälle erfordern ein Monitoring. Die Umsetzung der Vereinbarungen erfordert externe Unterstützung. Die Kräfte brauchen ein robustes Mandat, um die Bevölkerung wirksam schützen zu können. Für die neue UNMISS-Mission sind circa 7 000 Soldaten vorgesehen. Deutschland wird sich mit maximal 50 Kräften beteiligen. Unsere Soldaten werden Beobachter- und koordinierende Funktion haben und logistische Hilfe leisten. Wir haben die Chance, nahtlos an die erfolgreiche UNMIS-Mission anzuknüpfen. Die Soldaten können, wenn wir heute zustimmen, an Ort und Stelle weitermachen. Der Entwurf der UN-Resolution liegt vor. Das Mandat wird bis Ende September begrenzt. Die Bundesregierung hat alles unternommen, um dem Parlamentsvorbehalt gerecht zu werden, aber trotzdem die Bedeutung des Prozesses anzuerkennen und ihre Sympathie für den weiteren Weg deutlich zu machen. Wir sollten die Bundesregierung, die wir aufgefordert haben, aktiv zu werden, jetzt auch deutlich unterstützen. Es ist für unser internationales Ansehen wichtig, dass wir unter unserer Präsidentschaft die Republik Südsudan in den Vereinten Nationen am 13. Juli willkommen heißen und dann auch sagen können, dass wir uns an der UN-Mission zur weiteren Stabilisierung beteiligen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Christine Buchholz hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsabgeordneten sollen heute über einen robusten Bundeswehreinsatz nach Kap. VII der UN-Charta entscheiden, für den noch kein Mandat des UNO-Sicherheitsrats vorliegt. Frau Schuster, Sie sagen, das sei kein Vorratsbeschluss. ({0}) Das ist unglaublich. Wir werden der Regierung keinen Blankoscheck geben. ({1}) Es ist auch bezeichnend, dass in dieser Debatte kein Redner der Regierung spricht. Offensichtlich will keiner von Ihnen den Kopf für diesen Blankoscheck, der verfassungsrechtlich höchst fragwürdig ist, hinhalten. ({2}) Wir werden keinen einzigen Soldaten in einen Einsatz schicken, von dem nicht klar ist, wie er genau aussehen wird und welche Gefahren die Soldaten erwarten. Sie sollten das ebenfalls nicht tun. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schuster zulassen? - Bitte schön.

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass es parlamentarische Praxis ist, dass bei einer Mandatseinbringung, bei der ersten Lesung, die Regierung spricht und es dann das hohe Recht der Parlamentarier ist, bei der zweiten Lesung zu sprechen? Ist Ihnen darüber hinaus bekannt, dass es einen Brief der Bundesregierung an die Fraktionsvorsitzenden gibt mit dem Angebot, hier eine Sondersitzung abzuhalten? Denn das Problem des Zeitablaufs löst auch die Linke nicht. Am 9. Juli, also morgen, werden wir einen neuen Staat haben. Wenn Sie nicht wollen, dass da eine Lücke entsteht, müssen wir entscheiden. Insofern meine Frage: Ist Ihnen das bekannt, und ist Ihre Fraktion nicht in der Lage, sich mit einem solchen Verfahren zu arrangieren? ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, wir sind nicht bereit, einen solchen Präzedenzfall zu schaffen. Ich finde es äußerst fragwürdig, dass niemand von der Regierung spricht. ({0}) Denn das ist tatsächlich nicht Usus. Sie wissen beispielsweise bezüglich der Situation in den Grenzregionen noch nicht, was der UN-Sicherheitsrat beschließen wird. ({1}) Das heißt, gerade da, wo es brenzlig ist, gibt es noch gar keine Klarheit. Aber Sie schicken die Soldaten dahin. ({2}) - Sie sind schon da; aber Sie lassen sie dort, während Sie im Sommerurlaub sind. Das halten wir für nicht akzeptabel. ({3}) Sie sagen, Sie wollen helfen, Zivilisten zu schützen. Dabei verbreiten Sie Unwahrheiten. In der Debatte am Mittwoch haben sowohl Herr Mißfelder als auch Frau Müller so getan, als ginge es bei dem Mandat um den Schutz von Zivilisten in Abyei in der nordsudanesischen Provinz Süd-Kurdufan. Darum geht es aber nicht - der UN-Sicherheitsrat hat jedenfalls noch keinen Beschluss gefasst, und es liegt auch keine Zustimmung des Nordsudan vor -; es handelt sich nämlich explizit um ein Mandat für den Südsudan. So, wie sich die Nachrichtenlage darstellt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Nordsudan einem solchen Mandat zustimmt, das auch das Staatsgebiet des Sudan betrifft. Gegen wen soll das Militär eigentlich eingesetzt werden? Bei internen Konflikten im Südsudan sind in diesem Jahr mehr Menschen getötet worden als in Darfur. Dabei handelt es sich um drei Arten von Konflikten: Erstens: Konflikte zwischen Stämmen um Weideland und Vieh. Soll die Bundeswehr etwa den Krieg gegen Stammesmilizen führen und dabei ganze Bevölkerungsgruppen gegen sich aufbringen? Zweitens: Kämpfe zwischen ehemaligen Bürgerkriegsmilizen. Soll die Bundeswehr hier etwa dazwischengehen? Drittens handelt es sich um einen Einsatz an der Seite der südsudanesischen Armee SPLA. Die SPLA ist bekanntermaßen an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Gestern kam die Meldung, dass Soldaten der SPLA Oppositionelle attackiert haben. Wie soll die Bundeswehr an ihrer Seite Zivilisten schützen und beim Aufbau der Demokratie mithelfen? Können Sie mir das erklären? ({4}) Um die Beantwortung dieser Fragen drücken Sie sich herum. Sie wollen das Mandat heute durchpeitschen, um dann entspannt in den Sommerurlaub zu fahren. Dabei machen wir nicht mit. ({5}) Wenn Sie den Menschen im Südsudan helfen wollen, ist eine realistische Einschätzung der drängendsten Probleme wichtig. Die schwangerschaftsbedingte Sterblichkeit im Südsudan ist weltweit die höchste. Bei meinem Besuch im Südsudan im letzten November erfuhr ich, dass für ein 15-jähriges Mädchen die Wahrscheinlichkeit, bei der Geburt eines Kindes zu sterben, höher ist als die Chance, die Schule abzuschließen. Momentan sind Millionen Menschen durch die Dürre am Horn von Afrika vom Hungertod bedroht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, jetzt nicht mehr. - Bei der letzten Dürre dieser Art im Juni 2009 mussten die Hilfsorganisationen mit einem massiven Kraftaufwand bis zu 4 Millionen Menschen - das sind etwa 40 Prozent der Bevölkerung - mit Nahrungsmitteln versorgen, um eine Katastrophe zu verhindern. Der eklatante Mangel an sozialer Infrastruktur, die Armut, die Subsistenzwirtschaft unter schwierigsten Bedingungen, das sind die wesentlichen Ursachen für bewaffnete Konflikte. Militär ist da keine Hilfe. ({0}) Es gibt aber Möglichkeiten, den Menschen im Südsudan zu helfen. Das Internationale Rote Kreuz zum Beispiel geht aufs Land und hilft in den Dörfern dabei, Brunnen zu bauen, und zwar mit den Hilfsmitteln, die dort zur Verfügung stehen. ({1}) Diese Hilfe ist nachhaltig, weil sie auch noch wirkt, wenn die Helfer gegangen sind. Leider gibt es nur zwei solcher Teams, weil nicht genug Geld zur Verfügung steht. Wir sagen: Die Menschen brauchen wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Nur so gibt es eine soziale Basis dafür, dass der Südsudan entmilitarisiert wird. Das fordert der Antrag der Linken, den wir heute in diese Debatte einbringen. Stimmen Sie also für den Entschließungsantrag der Linken und sagen Sie Nein zu dem Blankoscheck für UNMISS-Einsatz. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, Sie haben leider eine Zwischenfrage von mir nicht zugelassen; deshalb möchte ich auf diesem Wege von Ihnen eine Antwort erhalten. ({0}) Sie haben auf die schwierige Situation im Sudan hingewiesen. Das sehe ich genauso. Das haben wir auch am Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss entsprechend diskutiert. Was mir aber fehlt: Wie lautet eigentlich Ihre Antwort auf die Frage, was man jetzt dort machen soll? ({1}) Sie haben ja nicht gesagt, dass Sie überhaupt nicht wollen, dass dort eingegriffen wird. Gerade haben Sie zutreffend darauf hingewiesen, dass im ersten Halbjahr dieses Jahres mehr Menschen im Sudan getötet wurden als im gesamten letzten Jahr. Im Südsudan ist die Situation zurzeit dramatisch. Entscheidend ist: Sie haben nicht gesagt, dass Sie grundsätzlich dagegen sind. Sie haben gesagt: Wir wollen die Bundeswehr doch nicht in das Krisengebiet schicken, um in der Auseinandersetzung zwischen den Viehzüchtern und den Bauern zu schlichten oder dort einzugreifen. Nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis - ich habe im Auswärtigen Ausschuss nachgefragt -, dass die 50 Angehörigen der Bundeswehr, die vor Ort sind, ({2}) überhaupt nicht im Felde sind; sie sind überhaupt nicht unterwegs und werden weder hier noch da eingreifen. Vielmehr wird dort die Afrikanische Union eingreifen. Ich sage Ihnen: Ich bin gegenüber Militäreinsätzen der Bundeswehr und anderer sehr skeptisch. Ich habe immer gesagt: Was sollen unsere Soldaten auf den Kontinenten Afrika oder Asien? Das sollen die Menschen, die dort leben, selber regeln. - Jetzt ist im Südsudan die Afrikanische Union mit einer starken Truppe vertreten. Deutschland tut eigentlich nichts anderes, als die Afrikanische Union organisatorisch, beratend und in den Stäben ein bisschen zu unterstützen; die Bundeswehr kämpft dort nicht. Was ist daran falsch? ({3}) Nun kritisieren Sie, dass man nicht wisse, was der UN-Sicherheitsrat beschließen werde. Auch da habe ich im Auswärtigen Ausschuss nachgefragt. Es wurde mir gesagt - so steht es tatsächlich im Mandat -: Das Mandat bezieht sich ganz klar auf den Vorschlag der UN-Resolution, der uns vorliegt. Mir wurde gesagt: Wenn die UN-Resolution in irgendeinem Punkte davon abweicht, dann bedarf es eines neuen Mandats; sonst müssen die Bundeswehrsoldaten dort abziehen. Das ist doch klar. Sie können nachlesen, was die Soldaten nach dem jetzigen Vorschlag der UNO dürfen. Wenn die UNO doch etwas an der Resolution ändert, dann muss ein neues Mandat her oder die Bundeswehr muss abziehen. Es handelt sich hier um eine schwierige Situation. Welche Antwort geben Sie als verantwortungsvolle Politikerin - so schätze ich Sie ein - angesichts dieser Situation? ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Buchholz, Sie haben Gelegenheit zur Erwiderung. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Ströbele, ein wichtiges Detail ist bei der Mandatierung überhaupt nicht berücksichtigt: die Situation in der Grenzregion, auf die sich ein wesentlicher Teil der Reden bezogen hat. Es ist völlig unklar, wie sich dieser Bereich der Mission in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird. Gerade heute konnte man in den Zeitungen lesen, dass die nordsudanesische Regierung nichts tun wird bzw. Zusagen, was die Mission in Abyei angeht, zurücknimmt. Herr Westerwelle hat selbst deutlich gesagt, dass es im Rahmen dieses Mandates zu Kampfhandlungen kommen kann; die Soldatinnen und Soldaten, die im Südsudan in der Fläche stationiert sind, sind natürlich immer dem Risiko ausgesetzt, in lokale Konflikte einbezogen zu werden. Sie müssen mir bitte einmal erklären, wie jeder von Ihnen, der Soldaten dorthin schicken will, so etwas ausschließen möchte. Ihre Frage war, welche Lösung der dortigen Probleme wir vorschlagen. Unsere Auffassung ist, dass der gesamte Ansatz, den die Vereinten Nationen, aber auch die Bundesregierung, die sie tragenden Fraktionen und die Opposition abseits der Linken vertreten, nämlich den Ansatz der vernetzten Sicherheit, ein völliges Ungleichgewicht nach sich zieht, hin zu einem militärischen und polizeilichen Schwerpunkt, weg von der Demobilisierung, der Entmilitarisierung und dem Wiederaufbau. Wir haben hier deswegen einen Entschließungsantrag eingebracht; er liegt aus. Schauen Sie sich ihn genau an! Dort haben wir eine Reihe von Forderungen zur Entmilitarisierung des Südsudans und zur Entwicklungspolitik aufgeführt. Das sind unsere Schwerpunkte, unsere Perspektiven für den Sudan. Ich denke, damit fahren wir deutlich besser als mit dem Mandat, das heute beschlossen werden soll, aber die Probleme nicht lösen wird. Dieses Mandat beinhaltet viele Fragezeichen und schafft Unsicherheit für die Menschen im Südsudan und die Bundeswehrsoldaten. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich Christoph Strässer.

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Weil wir nicht vorzeitig aus der Sommerpause zurückkehren wollen - das habe ich eben bemerkt -, mache ich zwei Anmerkungen - leider bin ich vorhin nicht dazu gekommen -: Erstens. Der Beitrag für den zivilen Wiederaufbau des Sudans liegt bis 2011 bei über 600 Millionen Euro. Das ist ungefähr das Zehnfache dessen, was die Bundesregierung für den militärischen Einsatz ausgibt. Zweitens. Wenn wir linke Anträge lesen sollen, halte ich es für zumutbar, dass Sie von der Linken die konsolidierten Texte des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen lesen; ({0}) das wäre die Voraussetzung für eine gelungene Diskussion. Diese Resolution ist konsolidiert. Sie ist nicht mehr veränderbar. Über sie wird abgestimmt. Sie trägt, wie man hier sehen kann, auch nicht mehr die Überschrift „Draft“. Alle Fragen, über die wir hier heute reden, sind eindeutig geklärt. Es bleibt keine Unsicherheit. Ich finde, man sollte auf Basis einer vernünftigen und sachlichen Grundlage diskutieren und nicht über Schnee von gestern. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Möchten Sie noch einmal erwidern, Kollegin Buchholz? - Bitte.

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dies ist keine abschließende Fassung. Wir werden hier keinen Präzedenzfall schaffen. Wir werden diesem Mandat nicht zustimmen, bevor der UN-Sicherheitsrat einen Beschluss gefasst hat. Das werden wir heute und auch in Zukunft nicht machen. ({0}) Ich begrüße jeden Euro und jeden Dollar, den die Bundesregierung dem Sudan im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und für humanitäre Hilfe gibt. Meine Gespräche mit mehreren Akteurinnen und Akteuren im Südsudan haben deutlich gemacht, dass der Handlungsbedarf riesig ist. Deswegen sagen wir: Die Gewichte müssen verschoben werden. Dort muss viel mehr getan werden. Deshalb bitte ich Sie, dem Entschließungsantrag der Linken zuzustimmen. Das wäre etwas anderes als die Unterzeichnung eines Blankoschecks für diesen UN-Einsatz. Das wäre ein deutliches Signal dafür, dass die Gewichte in der Sudan-Politik anders gesetzt werden. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Buchholz, Ihr letzter Beitrag hat Folgendes deutlich gemacht: Sie wollen nicht verstehen, weil Sie nicht zustimmen wollen. ({0}) Das ist der eigentliche Punkt. Der Kollege Strässer hat es Ihnen noch einmal erklärt. ({1}) - Hören Sie doch einmal zu! Wenn Sie sich den Entwurf der UN-Resolution, den ich hier habe, anschauen, sehen Sie, dass da steht: „Under silence procedure“ - die Schweigepflicht ist inzwischen abgelaufen; so sagt man das bei der UN - ist in Blau gesetzt. Das kann nicht mehr verändert werden. Das wird ab 16 Uhr so beschlossen werden. Also: Die Rechtslage ist hinreichend konkretisiert, kein Vorratsbeschluss. Suchen Sie hier nicht nach Ausreden, sondern beziehen Sie sich konkret auf die Lage im Sudan. ({2}) Ja, das ist eine Zeit des Aufbruchs für den Südsudan. Das ist zugleich aber auch eine sehr kritische Zeit für den Norden und den Süden. Das zeigen die weiterhin vorhandenen Konflikte im Norden, in den Grenzregionen Abyei und Süd-Kurdufan, aber auch in Darfur. In Darfur muss es endlich um eine umfassende politische Lösung gehen, in die alle Rebellengruppen, auch die JEM, eingebunden sind. Auch die zwischen Nord und Süd noch ungelösten Fragen müssen angegangen werden. Diese Fragen sind wirklich sehr problematisch. Was das Öl betrifft, hoffe ich, dass beide Seiten erkennen werden, dass sie ein gemeinsames Interesse an der Kooperation haben; denn der Norden hat die Pipelines und der Süden die Ölquellen. Allein deshalb müssen sie eigentlich kooperieren. Es brennt aber auch in vielen Regionen des Südens. Eine der größten Herausforderungen wird die Herstellung von Sicherheit sein. Die Menschen im Süden sind vom Krieg stark traumatisiert. Das ist eine militarisierte Gesellschaft. Überall sind Kleinwaffen im Umlauf. Ein Anheizen dieser fragilen Situation ist jederzeit möglich. Deshalb ist absolut zentral - damit wende ich mich noch einmal an Sie, meine Damen und Herren von der Linken, weil das eigentlich immer Ihr Hauptpunkt ist -, dass sowohl die neue Mission im Süden Sudans, UNMISS, als auch die Mission für Darfur, UNAMID, den robusten Auftrag nach Kap. VII der UN-Charta erhalten, die Zivilbevölkerung in dieser fragilen Lage tatsächlich zu schützen. Ich habe das in der letzten Debatte schon gesagt: Ein Beobachterauftrag, den Sie in Ihrem Antrag fordern - Sie wollen niemanden dort haben -, wäre angesichts der prekären Lage im Süden und in der Grenzregion unverantwortlich. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäfer?

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Das ist eigentlich viel zu viel der Ehre, aber gut.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Frau Kollegin Müller, haben Sie konkrete, genaue Erkenntnisse darüber, wie die UNO respektive die truppenstellenden Nationen den Auftrag des UN-Mandats, die Zivilbevölkerung zu schützen, umzusetzen gedenken? Gilt das absolut? Gilt das in bestimmten Fällen? Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass es konkrete Vereinbarungen zwischen dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und der südsudanesischen Regierung gibt, wie man das umsetzen will? Der Hintergrund meiner Frage liegt auf der Hand: Wir hatten bereits zwei Mandate, UNAMID und UNMIS. Darin waren der Schutzauftrag und die Aufforderung an die jeweiligen Regierungen enthalten, dafür Bewegungsfreiheit zu sichern. Wir wissen, wie das umgesetzt bzw. nicht umgesetzt worden ist. Deshalb frage ich: Wie soll dieser Auftrag umgesetzt werden?

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Schäfer, mir sind diese Probleme bekannt. Mich erstaunt nur, dass diese Frage von Ihnen kommt. ({0}) Kerstin Müller ({1}) Bei der UNO wird zurzeit zum Beispiel darüber diskutiert, ob die Mission mit 7 000 oder vielleicht nur 6 000 Einsatzkräften, wie sie hier angesetzt ist, ein Stück weit unterfinanziert ist bzw. zu wenig Personal vorsieht. Kollege Strässer hat eben die sehr kompetenten, für Sie sonst als Referenzrahmen dienenden Äußerungen von Oxfam, von den Kirchen und von den NGOs, die vor Ort sind, zitiert. Die Lage ist sehr prekär. Die Einschätzung ist: Wäre die UNO nicht vor Ort gewesen, hätte es wahrscheinlich noch mehr Tote gegeben. Das Problem bisher war eher, dass das Mandat nicht robust genug war. Ich frage Sie: Fordern Sie jetzt als Linke, dass das Mandat robuster wird? Jedenfalls zeigt das, dass wir einen Einsatz nach Kapitel VII der UN-Charta auf jeden Fall brauchen. Wir brauchen eher mehr und nicht weniger Schutz für die Zivilbevölkerung. ({2}) Ich will auch auf den zivilen Teil eingehen. Die neue Missionsleiterin, Hilde Johnson, die wir auf unserer Reise getroffen haben, will der Gefahr der Eskalation durch Teams zur Konfliktprävention auf lokaler Ebene vorbeugen. Dafür braucht sie mehr ziviles Personal. Warum, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, engagieren wir uns da nicht stärker? Der Gesamtanteil des zivilen Personals an UN-geführten Missionen beträgt 1,2 Prozent. Das ist kein Ruhmesblatt. Ich würde mir im Hinblick auf die Mandatsverlängerung im September 2011 ein stärkeres Engagement Deutschlands im zivilen Bereich wünschen. Das würden vielleicht alle hier mittragen. ({3}) Die Entwaffnung und Demobilisierung ist ganz wichtig; das wurde bereits erwähnt. Auch Sie haben das als Aufgabe formuliert. Ich frage mich, wie das ohne Truppen vonstatten gehen soll. Der südsudanesische Staat beginnt quasi bei null. Für den Aufbau staatlicher Institutionen, eines Rechtsstaats und eines Gesundheitssystem braucht der Süden unsere Unterstützung. Letztlich werden viele Erwartungen der Südsudanesen nicht nur dann erfüllt, wenn es um Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung geht, sondern auch, wenn demokratische Strukturen aufgebaut werden. Ich möchte einen heiklen Punkt bezüglich der SPLM im Süden ansprechen. Zu demokratischen Strukturen gehören eine pluralistische Gesellschaft, die Zulassung anderer Parteien, freie Meinungsäußerung und Medien. Das alles ist, gerade wegen der ethnischen Vielfalt des Südens, wichtig. Ich muss sagen, dass die SPLM davon noch meilenweit entfernt ist. Wir müssen uns heute Sorgen darüber machen, wie sie sich darstellt. Sie hat eine Art Alleinvertretungsanspruch: „Der Staat bin ich.“ Dabei begeht sie sehr schwere Menschenrechtsverletzungen. Ich sage Ihnen: Auch wenn wir mit dem Süden solidarisch sind und ihn unterstützen, werden wir das nicht akzeptieren. Die SPLM muss auf Dauer demokratische Strukturen und freie Meinungsäußerung akzeptieren. Journalisten dürfen im Süden nicht in den Gefängnissen landen. Das ist nicht das, was uns vorschwebt, wenn wir an den Aufbau dieses neuen Staates denken. ({4}) Die Aufnahme des Südsudans durch die Staatengemeinschaft in die UN am 13. Juli 2011 wird für die Sudanesen ein großer Tag. Das allein macht noch keinen neuen Staat; bauen müssen ihn die Südsudanesen selber. Wir können sie dabei nur nach Kräften unterstützen. Wir meinen: Die deutsche Beteiligung an UNAMID und UNMISS ist ein erster wichtiger Schritt. Deshalb wird meine Fraktion beiden Mandaten einstimmig zustimmen. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention hat Paul Schäfer.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht zum ersten Mal werden bei einer Beratung über Bundeswehrauslandseinsätze Emotionen bemüht. Wer wird sich dem Schutz unzähliger Zivilisten entziehen wollen? Niemand! ({0}) Dass man es dabei aber nicht immer so genau nimmt, haben wir gesehen. Herr Mißfelder, Sie haben am Mittwoch das Bild einer Familie in den Nuba Mountains heraufbeschworen. Wir entscheiden hier über ein Mandat bezüglich des Südsudan. Die Nuba Mountains gehören zum Nordsudan. Hier wird mit falschen Karten gespielt, und zwar buchstäblich. ({1}) Wenn man den Schutz der Zivilbevölkerung ins Zentrum des Mandats stellt, dann muss man eine Frage beantworten: Schutz vor wem? In Jonglei, einer Provinz im Südsudan, sind in den letzten Wochen über 1 000 Menschen von SPLA-Soldaten umgebracht worden. In der Juba Post vom 20. Mai dieses Jahres - ich war zu diesem Zeitpunkt in Juba - hat ein General der SPLA gesagt: Nach dem Unabhängigkeitstag werden wir mit den abtrünnigen Milizen aufräumen. - Das ist das, was im Raum steht. Angesichts all dessen frage ich: Schutz vor wem? Wir hatten eine ähnliche Situation in Darfur. Damals hat die SPLA-Regierung der UNO gesagt: Haltet euch gefälligst heraus! - Man hat dieser Aufforderung bislang Folge geleistet. Was will man denn auch anderes machen? Ich will damit sagen: Es ist ein unauflösbarer Wi14300 Paul Schäfer ({2}) derspruch, zu sagen: Wir verteidigen die SPLA-Regierung und die Zivilbevölkerung. ({3}) Wenn man sich eine unlösbare Aufgabe stellt, dann endet das in aller Regel mit einer Blamage bzw. damit, dass man in Misskredit gerät. ({4}) Ich will nicht, dass die UNO in Misskredit gerät. Ich will, dass die UNO gestärkt wird. ({5}) Man kann natürlich auch sagen: Aha, ihr wollt also mehr Soldaten und eine noch robustere Durchsetzung. Das wäre in diesem Falle aber nicht die Lösung, weil man dann andere gravierende Probleme bekommen würde. ({6}) Ich nenne nur das Stichwort „Verhältnismäßigkeit der Mittel“. Außerdem müsste man dem Sudan dann eine Fremdherrschaft auferlegen. Das kann nicht die Lösung sein. Ich gehöre bekanntlich zu denjenigen, die UN-Peacekeeping-Einsätze nicht a priori und kategorisch ablehnen. ({7}) - Ja, hören Sie doch einmal zu. - Aber diesem vor allem auf Kap. VII der UN-Charta gestützten Mandat, das auch einen Kampfauftrag beinhaltet, kann man nicht zustimmen. Dieses Mandat muss man ablehnen. ({8}) Es wäre vernünftig gewesen, eine Beobachtungs- und Streitschlichtungsmission zu beschließen, die ein genaues Monitoring der Konflikte - Präsenz allein verändert schon das Verhalten der Akteure - und rechtzeitige diplomatische Vermittlungen für den Fall, dass die Spannungen wieder zunehmen, vorsieht, um deeskalierend zu wirken.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. Die drei Minuten sind vorüber. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das kann man tun. Das wurde bisher im Rahmen von UNMIS gemacht, nicht mehr und nicht weniger. Das wäre vernünftig gewesen. Einen Kampfauftrag zu beschließen, dessen Inhalt man ohnehin nicht in die Tat umsetzt, mit dem man falsche Erwartungen weckt und mit dem man nur Enttäuschungen hervorruft, ist nicht der richtige Weg. Danke. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Müller, Sie haben Gelegenheit zur Erwiderung.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schade, Herr Kollege Schäfer. Ich weiß, dass Sie dem Mandat zu einem anderen Zeitpunkt schon einmal zugestimmt haben. Ich glaube, Ihre Ablehnung hat vielleicht eher damit zu tun, dass die Linke derzeit sozusagen den Rückwärtsgang eingelegt hat und man jetzt nach geeigneten Gründen für eine Ablehnung sucht. Ich will konkret auf Ihren Vorwurf eingehen, in dem Mandat stehe nicht, dass die SPLA, also die Kämpfer der südsudanesischen Truppen, Teil des Problems sind. Ich lese Ihnen die entsprechende Passage aus dem Entwurf, der gleich von der UNO beschlossen wird, vor. Unter Nr. 3 b steht sehr deutlich, dass der Auftrag lautet: „… protecting civilians under imminent threat of physical violence …“ Der Auftrag ist also, die Zivilbevölkerung zu schützen, wenn sie bedroht wird, insbesondere „when the government of the Republic of South Sudan is not providing such security“. Das Problem wird also sehr offen angesprochen. Unter Nr. 13 heißt es dann ganz deutlich: Wir sagen ganz klar und fordern die Republic of South Sudan auf, die Straflosigkeit zu bekämpfen. Eingreifen wird man insbesondere dann, wenn illegale bewaffnete Gruppen oder Elemente der südsudanesischen Armee - „of the Republic of South Sudan security forces“ - Menschenrechtsverletzungen begehen. ({0}) Das heißt, die Resolution ist an dieser Stelle eindeutig. ({1}) Ich frage Sie noch einmal: Was ist denn die Konsequenz? Ich kenne die Empfehlungen von Crisis Action. Die Äußerungen von Oxfam haben Sie gehört. Ich erinnere auch an die Äußerungen der Kirchen. Alle sind sich einig: Bisher hat UNMIS die Zivilbevölkerung nicht ausreichend schützen können. Deshalb fordern sie: Wir brauchen eigentlich mehr Truppen. Wissen Sie, was sie noch sagen? Ich war gerade in New York bei Le Roy, dem DPKO-Chef. Er sagt: Wir als Europäer dürfen den Auftrag, Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen umzusetzen, nicht den Entwicklungs- und Schwellenländern überlassen. - Bangladesch, Indien und Pakistan sind die Haupttruppenstellerländer. Diese Länder fordern: Europa muss sich stärker beteiligen. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Kerstin Müller ({2}) ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Reinhard Brandl für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Welt und wir blicken in diesen Stunden erwartungsvoll in den Sudan, in ein Land, das seit Jahrzehnten wie kaum ein anderes Land unter Gewalt, Krieg, Vertreibung und wirtschaftlicher Not leidet: der Norden gegen den Süden, die Auseinandersetzungen in Darfur im Westen und zeitweise auch ein Konflikt im Osten. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb, weil diese Auseinandersetzungen, diese Konflikte schon so lange andauern - ist die Situation im Sudan in der deutschen Öffentlichkeit kaum präsent. Vielen ist zudem nicht bewusst, dass wir, Deutschland, helfen: mit sehr vielen zivilen Mitteln, aber auch mit Soldaten der Bundeswehr, mit Polizisten und mit zivilen Helfern, die dort ihren Beitrag für Frieden und Stabilität leisten. Auch wenn das zahlenmäßig nur ein kleiner Beitrag ist, leisten sie dort Großes, und das unter schwierigsten Bedingungen. Ich möchte all denen, die für uns dort unten sind, von dieser Stelle aus herzlich danken. ({0}) Sie sind ein sichtbares Zeichen dafür, dass Deutschland den Sudan nicht vergessen hat und bereit ist, dort im Rahmen der Vereinten Nationen Verantwortung zu übernehmen. Wir befinden uns jetzt an einem wichtigen Meilenstein der Entwicklung dieses Landes. In wenigen Stunden wird der Südsudan offiziell seine Unabhängigkeit erklären. Damit endet die sechsjährige Übergangsphase gemäß dem Friedensabkommen nach dem Bürgerkrieg. Damit endet auch das UNMIS-Mandat, mit dem die Vereinten Nationen diesen Prozess unter Beteiligung Deutschlands begleitet haben. Die Menschen im Südsudan haben sich Anfang Januar in einem Referendum zu diesem Schritt entschieden. Dass dieses Referendum letztendlich friedlich durchgeführt werden konnte und der Norden die Trennung im Grunde akzeptiert, ist bereits ein Erfolg und auch auf den Einsatz der Vereinten Nationen zurückzuführen. Das Ziel von Frieden und Stabilität im Sudan ist aber noch lange nicht erreicht. Das wurde uns durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen in den letzen Wochen, vor allem an der Grenze, vor Augen geführt. Der Verlauf der Grenze ist noch ungeklärt. Insbesondere die Zuordnung von Abyei und Süd-Kurdufan ist noch nicht klar. Die Aufteilung der Ölressourcen - dies war bisher die Haupteinnahmequelle des Landes - ist noch nicht geklärt. Die meisten Ölfelder befinden sich im Süden; alle Pipelines verlaufen aber durch den Norden. Hinzu kommt, dass der Südsudan bisher kaum über staatliche Strukturen verfügt. Verwaltung, Polizei, Justiz, Bildungseinrichtungen usw., all das muss erst noch aufgebaut werden. Die Regierung des Südsudan hat darum gebeten, dass die Vereinten Nationen auch nach der Unabhängigkeit des Landes vor Ort präsent sind und dass die Mission verlängert wird, durch die das Land auf seinem schwierigen Weg zu Stabilität und Frieden begleitet wird. Darüber stimmen wir heute ab. Auch der Nordsudan steht vor schwierigen Situationen. Er muss die Loslösung des Südens erst einmal wirtschaftlich und politisch verkraften, und vor allem muss der Nordsudan den Friedensprozess in Darfur weiter voranbringen. Die Lage dort ist angespannt. Wir Deutsche unterstützen im Rahmen von UNAMID die Verhandlungen über eine Friedensvereinbarung. Auch an dieser Stelle sollten wir unser Engagement fortführen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt gleich stehen beide Mandate zur Abstimmung: UNMISS und UNAMID. Die Menschen im ganzen Sudan brauchen unsere Hilfe und die Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Hartwig Fischer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar, dass wir seit Jahren interfraktionell klare Anträge zum Thema Sudan in dieses Parlament eingebracht und beraten haben. Es zeigt sich heute in den Beiträgen der Linken wieder, dass deren Argumentation zu UN-Mandaten unerträglich ist. Sie versuchen auch heute wieder, in perfider Form zu unterstellen, dass es sich bei dem Mandat der Bundeswehr, mit dem wir einen dortigen Prozess begleiten wollen, um einen Kampfeinsatz handele, Frau Buchholz. Sie schreiben und fragen: Gegen wen soll das Mandat eingerichtet werden? Wir richten kein Mandat gegen jemanden ein, sondern wir richten das Mandat für die Bevölkerung im Südsudan und für die Vertriebenen und Flüchtlinge in Darfur ein. ({0}) Sie fragen: Wollen wir zwischen den Bürgerkriegsarmeen kämpfen? Nein, im Rahmen dieses Mandats soll versucht werden - das steht ausdrücklich in dem Antrag -, Hartwig Fischer ({1}) alle Parteien zu entwaffnen und sich zwischen die Armeen zu stellen. Sie sagen: Die Wahrscheinlichkeit einer Frau, bei der Geburt ihres Kindes zu sterben; ist unglaublich hoch. Das wissen wir. Die Sterblichkeit von Kindern in den Lagern in Darfur ist ebenfalls unglaublich hoch. Das hängt damit zusammen, dass es für diese Menschen keinen geregelten Zugang zu einer Gesundheitsversorgung gibt. Das hängt auch damit zusammen, dass Hilfsorganisationen keinen Zugang zu den Menschen haben, wenn nicht die Militärs diesen Zugang sichern. ({2}) Sie sagen: Militär ist keine Lösung. Unter dem Deckmantel des Pazifismus gehen dann das Sterben und die Vergewaltigungen weiter, und Sie sehen zu. ({3}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne den Einsatz von UNAMID und UNMISS ist humanitäre Hilfe nicht möglich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dağdelen?

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte zuerst meine Ausführungen beenden. ({0}) Wir sollten uns die Situation bei UNAMID noch einmal vor Augen führen. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, die mit uns dort gewesen sind, daran zu denken, dass die Zahl der Flüchtlinge zum Beispiel in dem Lager in Nyala von 20 000 über 50 000 auf 120 000 angewachsen ist. Dort sterben täglich zwischen fünf und zehn Kinder; und in der Regenzeit vervielfacht sich diese Zahl sogar. Dabei ist das schon ein abgesicherter Bereich. In den Dörfern befinden sich rund 4,2 Millionen Vertriebene, die keinen regelmäßigen Zugang zu Lebensmitteln und sauberem Wasser haben. Weiter gibt es 2,7 Millionen Flüchtlinge, von denen 1,9 Millionen in den Flüchtlingslagern sind. Dort werden sie zwischen Angriffen der Dschandschawid-Milizen am Boden und Angriffen aus der Luft durch Flugzeuge der Baschir-Regierung, die - das war in der Vergangenheit jedenfalls teilweise so - weiß angestrichen wurden, um sie wie UN-Flugzeuge aussehen zu lassen, zerrieben. Die Leistungen der Bundesregierung, gerade von 2009 bis 2011 - Herr Strässer hat das noch einmal deutlich gemacht -, sind vor allen Dingen humanitärer Natur. Die UNAMID-Mission ist inzwischen auf 23 000 Soldaten und Polizisten angewachsen. Deutschland hat entscheidend dazu beigetragen, dass ausgebildet worden ist, zum einen im Bereich der Polizei, zum anderen im Bereich der Armeestäbe. Wir bilden derzeit zielgerichtet afrikanische Polizisten, zum Beispiel im Rahmen von US-AFRICOM in Entebbe, aus, damit sie Frauen vor Vergewaltigungen schützen können. Meine Damen und Herren von der Linken, als besonders infam und perfide empfinde ich es, wenn Sie unterstellen, dass Abgeordnete dieses Parlaments nicht bereit seien, in der Sommerpause zu einer Sondersitzung zusammenzukommen. Sie wissen ganz genau, dass die Bundeswehr mit der Unabhängigkeit des Südsudan morgen sofort abziehen müsste, wenn wir diesen Beschluss nicht jetzt fassen und damit das umsetzen würden, was die UN uns als Mandat bereits heute übertragen hat. Eine ganze Reihe von Abgeordneten werden sogar in der Sommerpause, also zu einer Zeit, in der nach Ihrer Aussage Abgeordnete nicht zu parlamentarischer Arbeit bereit wären, unter Gefährdung der eigenen Gesundheit in Krisengebiete wie Darfur, Südsudan, Kongo oder andere Gebiete reisen. Ich kann Ihnen angesichts Ihrer Argumentation nur sagen: Ich möchte gerne wissen, was die Menschen, deren Leben in Gefahr ist, sagen würden, wenn sie Ihre Reden hören würden. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN- Hybrid-Operation in Darfur, UNAMID. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/6509, den Antrag der Bundesre- gierung auf Drucksache 17/6322 anzunehmen. Wir stim- men über diese Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im Anschluss, also gleich danach, noch über einen weiteren Bundes- wehreinsatz namentlich abstimmen werden. Außerdem werden wir beim nächsten Tagesordnungspunkt, abwei- chend von der Ankündigung, über alle drei Anträge zu Panzer- bzw. Rüstungsexporten namentlich abstimmen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab- stimmung. Die obligate Frage: Haben alle anwesenden Abgeord- neten ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus- zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) 1) Ergebnis Seite 14310 D Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission im Südsudan, UNMISS. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/6511, den Antrag der Bundesre- gierung auf Drucksache 17/6449 anzunehmen. Wir stim- men über diese Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte also die Schriftführerinnen und Schriftführer, wie- der ihre Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Abstim- mung. Nun die obligate Frage: Haben alle anwesenden Ab- geordneten ihre Stimmkarte abgegeben? - Das ist offen- sichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie herz- lich, Platz zu nehmen. Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort und kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6514. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Frak- tionen des Hauses abgelehnt. Ich rufe die Zusatzpunkte 10 bis 12 auf: ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Wolfgang Gehrcke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen - Drucksache 17/6528 - ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete - Für die Einhaltung einer restriktiven Rüs- tungsexportpolitik - Drucksache 17/6540 - ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Arabien - Drucksache 17/652 - Über alle drei Anträge werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeord- neten Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort. 1) Ergebnis Seite 14313 A ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie noch einmal herzlich, Platz zu nehmen, damit in Ruhe debattiert werden kann.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum haben wir diesen Antrag, der heute beraten wird, gestellt? Es liegt ja bereits ein Antrag von uns vor, in dem wir fordern, Waffen- und Rüstungsexporte in die gesamte Region, auch nach Saudi-Arabien, zu verbieten. Aber über die Anträge zu diesem Thema wird erst im Herbst entschieden. Jetzt haben wir alle erfahren, dass angeblich entschieden worden ist oder in Kürze entschieden werden soll, 200 Panzer an Saudi-Arabien zu liefern. Ich halte das für einen einzigartigen Skandal ({0}) und meine, dass das Parlament hier ein klares Stoppzeichen setzen muss. Jetzt ist das Parlament gefragt, und jetzt muss es auch handeln. Die Panzerlieferung macht übrigens die gesamte deutsche Außenpolitik, auch die Sicherheits- und Kriegspolitik, völlig unglaubwürdig. Ich will das begründen. Diese Regierung hat uns gerade erklärt, dass sie den arabischen und nordafrikanischen Frühling in jeder Hinsicht unterstützt. Deshalb - diese Begründung findet sich tatsächlich - müssten jetzt Waffen an die NATO geliefert werden, damit man Libyen bzw. Tripolis besser bombardieren könne, weil dies, zumindest angeblich, den Aufständischen und Demonstranten helfen werde. Wenn Sie gleichzeitig entscheiden, auch Waffen an ein Land zu liefern, das im Nachbarstaat einmarschiert ist, um die Demokratie- und Freiheitsbewegung zusammenzuschießen, machen Sie sich restlos unglaubwürdig. ({1}) Die Bundesregierung wird absolut unglaubwürdig, wenn sie einmal Waffen mit der Begründung liefert, sie sollen den Freiheitskämpfern dienen, und zum anderen Waffen an ein Land liefert, das die Freiheitsbewegung im Nachbarland zusammenschießt. Wie wollen Sie dies Ihren Kindern und Enkelkindern erklären? ({2}) Wenn man Waffen liefert, weiß man nie, wann sie eingesetzt werden. Stellen Sie sich doch einmal Folgendes vor: Es entsteht eine Demokratie- und Freiheitsbewegung in Saudi-Arabien, und auf die wird mit deutschen Panzern geschossen. Ich frage Sie wieder: Was erklären Sie dann Ihren Kindern und Ihren Enkelkindern? ({3}) Sie begründen den Krieg in Afghanistan mit dem Kampf gegen Terror. Die übelste und gefährlichste Terrororganisation ist al-Qaida. Al-Qaida wird ausschließlich von den reichen Familien Saudi-Arabiens bezahlt. Auch hier wird die Politik restlos unglaubwürdig. Sie schicken Soldaten nach Afghanistan. Die verursachen dort Tote, übrigens auch in den eigenen Reihen. Nach Ihrer Erklärung dient das Ganze dem Kampf gegen alQaida. Gleichzeitig liefern Sie 200 Panzer an das Land, aus dem al-Qaida bezahlt wird. Wie erklären Sie denn das Ihren Kindern und Enkelkindern? ({4}) Die Panzer dienen nicht dem Gleichgewicht. Sie sind ausdrücklich für den Einsatz gegen Aufständische und Demonstranten geeignet; denn sie sind mit Räumschild, Wasserwerfern, Tränengas etc. ausgerüstet. Krauss-Maffei Wegmann, das Unternehmen, das die Panzer liefert, hat an die Koalitionsparteien 2009 55 000 Euro gespendet. Das hat sich sehr gelohnt; denn zwei Jahre später bekommt es einen Milliardenauftrag. ({5}) Saudi-Arabien gibt mehr Geld für Militär aus als jedes andere Land in der Region, sogar mehr als der Iran, Israel, Irak und Ägypten zusammen, allein im Jahr 2010 43 Milliarden Dollar. Was ist Saudi-Arabien für ein Land? In Saudi-Arabien gibt es nicht einmal im Ansatz eine Gleichstellung von Frauen und Männern. Frauen ist das Fahren von Pkw untersagt. Frauen unterliegen einer gesetzlichen männlichen Vormundschaft, bis zur Ehe in der Regel der des Vaters, danach der des Ehemanns. Ohne Genehmigung des Vormunds, also in der Regel des Ehemanns, darf eine Frau nicht einmal ins Ausland reisen. Ich glaube, es ist erstmalig in meiner Geschichte, dass ich im Bundestag eine bestimmte Zeitung zitiere. Ich zitiere heute die Bild-Zeitung. Sie hat in der Ausgabe von gestern Folgendes wörtlich erklärt: Saudi-Arabien ist eine der schärfsten Diktaturen der Welt. ({6}) Politische Opposition gegen die königliche Herrscherfamilie wird unterdrückt, auf Demonstrationen stehen drastische Gefängnisstrafen. Saudi-Arabien vollstreckt die Todesstrafe … - auch bei Homosexualität; ich bitte Sie: auch bei Homosexualität die Todesstrafe! durch Enthauptung mit dem Schwert. Saudische Truppen halfen dabei, die Demokratiebewegung im Nachbarstaat Bahrain blutig niederzuschlagen. All das steht in der Bild-Zeitung! Wenn Sie mir schon nicht glauben, dann werden Sie doch wenigstens der Bild-Zeitung glauben. ({7}) Die Zahl der Hinrichtungen von 1993 bis 2009 betrug 1 912. Wie wollen Sie Ihren Kindern und Enkelkindern erklären, dass Sie an ein solches Land Panzer liefern? ({8}) Ich komme zum Schluss. - Ich spreche nicht über frühere Genehmigungen und Fehler. Ich spreche auch nicht darüber, dass die Rüstungsexportrichtlinien entgegen der Annahme der SPD leider nicht restriktiv sind. Ich sage nur eines: Wenn Deutschland in seiner Außenpolitik, in seiner Menschenrechts- und Demokratiepolitik nicht jede Glaubwürdigkeit verlieren will, wenn Sie Ihren Kindern und Ihren Enkelkindern je die Welt nach bestimmten moralischen Maßstäben erklären wollen, dann müssen Sie heute den Export von 200 Panzern nach Saudi-Arabien stoppen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Roderich Kiesewetter für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht schön, am letzten Tag einer Sitzungswoche sich gegenseitig Heuchelei oder Zitate oder irgendwelche Besonderheiten aus der Vergangenheit vorzuwerfen. Viel entscheidender ist, dass wir uns als Parlamentarier einmal fragen: Was haben wir hier für eine Diskussion? ({0}) Diese Diskussion, die wir in dieser Woche zum zweiten Mal führen, fußt eindeutig auf mangelnder Transparenz. ({1}) Es gibt in diesem Hause selten den Fall, dass wir keinen Einblick haben; ich glaube, darin sind wir uns einig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht den Fehler machen, Spekulationen Raum zu geben. ({2}) Ich möchte deswegen einige Punkte besonders ansprechen. Sie machen es sich nämlich zu einfach, indem Sie populistische Forderungen stellen. ({3}) Ich möchte Ihnen einige außenpolitische Punkte von grundsätzlicher Bedeutung darstellen. Darum müssen wir vielleicht ringen. Es ist für uns ganz entscheidend, dass wir die Sicherheit Israels gewährleisten. Ich richte an Sie die Frage: Was sagen Sie dazu, dass Israel diese Panzerlieferungen nicht nur wünscht, sondern ausdrücklich unterstützt? ({4}) Was sagen Sie dazu, dass Israel und die Palästinenser davon profitieren, dass Saudi-Arabien einen Accord mit Fatah und Hamas ausgehandelt hat, der dazu beiträgt, dass die Palästinenser auf eine relativ beruhigte Art und Weise zu einer Einigung kommen? Es ist ein Verdienst Saudi-Arabiens, dass Hamas und Fatah hier zusammenarbeiten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler?

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte meine Punkte im Zusammenhang vortragen. ({0}) Wir sehen aber Saudi-Arabien nicht durch die rosarote Brille. Wir wissen, dass die Christen dort in ihrer Religionsausübung behindert sind. Wir wissen, dass von dort Salafiten und Wahhabiten auch in Europa unterstützt werden. Wir Parlamentarier haben mit Sorge den Einmarsch nach Bahrain beobachtet. Ich komme nun zur eigentlichen Frage. Wir wissen nichts über eine Entscheidung; das ist die mangelnde Transparenz. ({1}) Sie spekulieren darüber. Ich möchte jetzt den Spannungsbogen darstellen, den unsere Außenpolitik auszuhalten und zu vertreten hat. Es ist sehr einfach, in der Opposition Forderungen zu stellen. In der Regierung ist es aber nicht immer einfach, Verantwortung zu tragen. ({2}) Die Koalitionsfraktionen - das ist mein Appell an uns alle in der Koalition - müssen unsere Regierung hier unterstützen. ({3}) Wir haben die werteorientierte und interessengeleitete Außenpolitik. ({4}) Es ist Aufgabe der Regierung, diesen Spannungsbogen zwischen Werten und Interessen auszuhalten. ({5}) Wir gehen normalerweise davon aus, dass Werte und Interessen ein und dasselbe sind. Aber Politik hat nichts mit „Wünsch dir was“ zu tun. ({6}) - Politik ist ein hartes Geschäft, Herr Kollege Trittin. Es geht jetzt darum, dass wir einmal in die Region schauen. Wir stehen nicht nur vor dem arabischen Frühling, wir stehen vor einem Paradigmenwechsel, was die Lage im Mittleren und Nahen Osten angeht. Wenn Israel in großer Sorge um das, was um das Land herum geschieht, mit Saudi-Arabien zu Vereinbarungen kommt, dann können wir das nur unterstützen. Ich weiß auch, dass in dem Spannungsbogen der Verantwortung die Bundesregierung mit aller Kraft auf Saudi-Arabien einwirken wird. Wir als Parlamentarier möchten - das ist unser Aufruf -, dass die Regierung hier ihre Verantwortung wahrnimmt. Worum geht es? Seit über 40 Jahren haben wir die Rüstungsexportrichtlinien. An die Adresse der Sozialdemokraten sage ich: Diese Richtlinien - sie wurden von Ihnen entwickelt und von Lothar Rühl weiter gefasst, damit eine Regierung genug Flexibilität bekommt; das wurde noch letzte Woche gesagt - sind verbindliche Handlungsanweisungen für die Regierungen über all die Jahre gewesen. ({7}) Unser Land ist das einzige Land in Europa, das seine Rüstungsexporte in klarer Weise offenlegt. ({8}) Wir werden in einem Jahr alles genau wissen. Es wäre aber für unser Land schädlich, wenn Dinge offengelegt würden, die noch in der Vorabstimmung sind, die also noch nicht endgültig abgestimmt sind. Für mich ist daher eindeutig, dass wir die politischen Grundsätze, die die Grünen im Jahr 2001 mitgetragen haben, genauso in Betracht ziehen ({9}) wie die Richtlinien. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal sagen: Wir könnten es uns als Regierungskoalition sehr einfach machen und darauf hinweisen, dass im Jahr 1998, im letzten Jahr der Kohl-Regierung, die Rüstungsexporte einen Umfang von rund 1,3 Milliarden D-Mark hatten. Im Jahr 2000 hat sich dieser unter Rot-Grün auf 5,9 Milliarden D-Mark verfünffacht. ({10}) Wir wollen uns aber nicht gegenseitig Zahlen vorwerfen. Für uns ist entscheidend, dass wir im Parlament über unsere nationalen Sicherheitsinteressen diskutieren, und wir werden das heute Nachmittag noch tun. Entscheidend ist auch, dass unsere Regierung den Spannungsbogen zwischen Werten und Interessen erkennt und aushält. ({11}) Wir von der Koalition sollten diese Politik nicht nur unterstützen, sondern wir sollten den Blick auf den Nahen Osten deutlich schärfer fassen, als wir es in der Vergangenheit getan haben. Wir stehen in der Region, die unsere Unterstützung braucht, ({12}) vor einem Paradigmenwechsel. Diese Unterstützung ist sowohl hinsichtlich der zivilen Krisenprävention als auch hinsichtlich der Nachbarschaftspolitik und der Lieferung von Rüstungsgütern ganz entscheidend. Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss ein Appell: Um diese Diskussion auch künftig sauber, wahrhaftig und wahr halten zu können, ({13}) sollten wir ressortübergreifend an einer föderalen Sicherheitsstrategie arbeiten, um die Ziele und Interessen wieder besser zusammenzubringen. In diesem Zusammenhang unterstützen wir nicht die Anträge der Opposition, sondern wir unterstützen ({14}) unsere Regierung, hier im Zusammenhang mit SaudiArabien zu einem klaren Verhältnis zu kommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion. ({0})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kiesewetter, wir würden gern über die Grundlagen der Außenpolitik und ihre Konsequenzen beim Rüstungsexport oder auch bei der Verhinderung von Rüstungsexport diskutieren. Sie haben ja völlig zu Recht darauf hingewiesen: Eine Regierung muss zwischen Interessen und Werten abwägen. Aber es wäre nicht schlecht, wenn die, die das machen würden, die Gründe für ihre Abwägung mal dem deutschen Parlament und der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben würden, Herr Kollege Kiesewetter. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann?

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Gabriel, eine Frage - vielleicht wird daraus ein Geschäftsordnungsantrag -: Finden Sie es mit mir gemeinsam nicht unerträglich, dass bei solch einer Diskussion ({0}) das Kanzleramt nicht anwesend ist? ({1}) Ich finde es unerträglich, dass das Kanzleramt hier nicht anwesend ist. ({2})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie haben natürlich völlig recht. Ich finde es allerdings ebenso unerträglich, dass der zuständige Außenminister nicht hier ist ({0}) und sich durch die Staatssekretärin für Auswärtige Kulturpolitik hier vertreten lässt. ({1}) - Staatsministerin. ({2}) - Die Abwertung Ihrer Kollegin Staatsministerin - diese Bemerkung erlaube ich mir - nehmen Sie selber vor, nicht wir. Ihnen, Herr Kiesewetter, sage ich: Es kann doch nicht sein, dass Sie einfordern, dass wir über diese Güterabwägung diskutieren, und dass die dafür verantwortlichen Mitglieder Ihrer Regierung sich hier drücken. Die Kanzlerin hat die Richtlinienkompetenz im Bundessicherheitsrat. Wir wollen ja gar nicht, dass sie hier vorstellt, was im Bundessicherheitsrat beraten oder entschieden worden ist. Aber sie wird doch dazu in der Lage sein, die Grundlagen ihrer Außenpolitik zu erörtern, und zwar insbesondere dann, wenn das, was hier gerade mit der Lieferung von 200 Panzern an Saudi-Arabien stattfindet, ganz im Gegensatz zu dem steht, was sie und ihr Außenminister mit großem Pathos dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit hinsichtlich der Unterstützung der Demokratiebewegung in Nordafrika vorher erklärt haben. Angesichts dessen wird man doch einmal fordern dürfen, dass sie kommen und sich erklären. ({3}) Wissen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie verwechseln hier etwas. Sie glauben, wir wollten über den Bundessicherheitsrat diskutieren. Das kann man auch machen. Das ist nämlich ein Instrument, das im Kalten Krieg entstanden ist und über dessen Entscheidungsfindungsmechanismen die Zeit hinweggegangen ist. Aber darüber wollen wir heute gar nicht reden. Wir wollen über die Grundlagen Ihrer Außenpolitik sprechen, und dazu gibt es übrigens kein Geheimnisgebot. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass bei dieser Frage ein Geheimnisgebot für das Parlament oder die Öffentlichkeit gilt. Sie verwechseln also das Thema, über das wir reden wollen. Wir wollen wissen, was Sie in Ihrer Außenpolitik in diesem Fall dazu bringt, die Unterstützung der Demokratiebewegung im Nahen Osten und am Golf geringer zu schätzen als das Interesse an einem stabilen, feudalen Herrscherhaus in Saudi-Arabien, das, wie von Ihnen eben aufgeführt, für Sicherheit bürge. Wir wollen genau diesen Unterschied zwischen Interessen und Werten von Ihnen erläutert bekommen. Es wäre übrigens ein Beitrag zur politischen Kultur, über diese außenpolitischen Fragen ganz offen zu diskutieren. ({4}) Wir wollen wissen, warum die scheinbare Stabilität eines Herrscherhauses für Sie wichtiger ist als die Demokratiebewegung und wie Sie die Widersprüche zwischen Ihren Reden und Ihrem Handeln auflösen. Dass das bei Ihnen in der Koalition Kolleginnen und Kollegen genauso sehen, zeigt doch die aktuelle Meldung - ich zitiere -: FDP-Außenexperte: Merkel soll sich zu Panzergeschäft äußern Stinner hält Stillschweigen für schädlich ({5}) Der Außenexperte der FDP hat recht, meine Damen und Herren. Er hat recht. ({6}) Ich habe mit Interesse das Interview der Bundeskanzlerin in der Mittelbayerischen Zeitung gelesen. Die Überschrift lautet - Zitat Merkel -: „Ich kenne die Regeln, im Fußball wie in der Politik.“ Das darf man getrost bezweifeln. ({7}) Ich habe Herrn Mißfelder zu seiner Rede gratuliert, nicht zu dem Inhalt seiner Rede, wohl aber zu dem Versuch, eine politische Begründung zu geben. Er hat in der ersten Debatte gesagt: Sie müssen doch verstehen, dass die Drohung aus dem Iran dazu führt, dass wir mit Blick auf Israel verhindern müssen, dass Saudi-Arabien unter die Kontrolle von schiitischen Militärs oder des Iran gerät. - Ich finde, dass man die Debatte darüber offensiv führen kann. Ich möchte Ihnen in der Sache etwas entgegenhalten. Eigentlich möchte ich die Debatte darüber nicht mit Ihnen, sondern mit Ihrer Regierung führen, die das entschieden hat. Da Sie aber schon die Stellvertretung der Regierung wahrnehmen - ist von der Regierung inzwischen jemand da, der dazu etwas sagen kann? -, ({8}) lese ich Ihnen vor, was die Experten, die im Auftrag des Kanzleramtes arbeiten, dazu sagen. In der heutigen Ausgabe des Tagesspiegels steht: Braucht Saudi-Arabien deutsche Panzer, um schlagkräftige Argumente gegen den Iran zu haben? Diese Sichtweise weist Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik ({9}), - diese wird vom Kanzleramt finanziert und arbeitet dem Parlament, aber insbesondere dem Kanzleramt zu -, als „abwegig“ zurück. ({10}) Ich zitiere weiter: „Wenn sich Saudi-Arabien auf eine Auseinandersetzung mit dem Iran vorbereiten würde, dann sicherlich nicht mit Panzern“, sagte der Nahostexperte dem Tagesspiegel. Dafür gibt er eine relativ einfache Erklärung: Es gibt keine Landverbindung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Dazwischen liegt der Irak. Deswegen ist die Kritik berechtigt. Sie müssen im Zweifel damit rechnen, dass die infrage stehenden Panzer nicht zur Verteidigung der Sicherheit Israels eingesetzt werden, sondern innenpolitisch oder bei den Nachbarn zur Unterdrückung der Demokratiebewegung. Genau das findet dort statt. ({11}) Die Waffen, die Sie liefern wollen, bedrohen nicht den Iran, sondern die Demokratiebewegung. Sie schützen nicht Israel, sondern ein feudales Herrscherhaus. Sie gefährden im Zweifel - das will ich deutlich sagen - irgendwann auch uns; denn wir im Westen wissen aus der Vergangenheit - die amerikanische Außenpolitik wurde nach dem Motto „Der Teufel, den wir kennen, ist besser als der, den wir nicht kennen“ betrieben -, dass so etwas schnell schiefgehen kann. Zuerst Waffen und dann Bundeswehrsoldaten in Friedens- oder Kriegseinsätze zu schicken, die unter anderem dazu dienen, den Betreffenden die Waffen wieder abzunehmen, das ist keine besonders kluge Außenpolitik. Sie ist gefährlich für unsere Soldatinnen und Soldaten. ({12}) Sie machen das, entweder weil Sie vor der Rüstungslobby eingeknickt sind oder weil Sie vor den Vereinigten Staaten eingeknickt sind, weil Sie sich nach Ihrem Desaster in der Libyen-Debatte im UN-Sicherheitsrat zurückkaufen wollten. Beides wären keine Gründe für eine souveräne Entscheidung einer Bundesregierung. Es hat das deutsche Parlament zu interessieren, ob unsere Re14308 gierung souverän entscheiden kann oder ob sie dem Druck - von wem auch immer - weicht und solchen Anfragen stattgibt. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Gabriel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Uhl?

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gabriel, Sie fordern eine Parlamentsdebatte über einen Rüstungsexport im Vorfeld von Vertragsverhandlungen ({0}) bzw. von Vorvertragsverhandlungen. ({1}) Können Sie sich erinnern, ob es in der siebenjährigen Amtszeit von Gerhard Schröder auch nur einen einzigen Fall gegeben hat, in dem dieses Parlament vor Beginn von Vertragsverhandlungen über irgendeinen Rüstungsexport in irgendein Land eine solche Debatte geführt hat? Wenn Sie das bejahen, nennen Sie mir bitte den Ausgang der betreffenden Vertragsverhandlungen. Oder geben Sie zu, dass das betreffende Geschäft hätte scheitern müssen?

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Uhl, wenn ich das richtig weiß - ({0}) - Herr Dr. Uhl! Vielen Dank, dass der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion darauf hinweist, dass es sich diesmal um Herrn Dr. Uhl handelt. ({1}) - Da müssen Sie sich bei Ihrem Kollegen bedanken. Herr Dr. Uhl, die Antwort auf die Frage ist ganz einfach: Ihre Regierung verstößt gerade gegen die eigenen Richtlinien für den Rüstungsexport. ({2}) Deshalb muss man darüber diskutieren. ({3}) Wenn eine Regierung das nicht tut, dann braucht das Parlament auch nicht darüber zu diskutieren. Das ist doch das Problem. ({4}) - Die Frage war, warum so etwas in der Vergangenheit nicht öffentlich im Parlament diskutiert worden ist. Die Antwort darauf ist: Weil sich die Regierung an die Richtlinien gehalten hat. Sie tun das nicht. ({5}) Die von Herrn Kiesewetter zitierten Richtlinien für den Rüstungsexport sind doch unter Rot-Grün geändert und verschärft worden. Es wurde die Einhaltung der Menschenrechte als zentraler Parameter dafür eingeführt, ob man Rüstungsgüter exportieren darf oder nicht. Wir müssen darüber reden, wenn Sie das heute anders sehen. Übrigens ist es doch ein Treppenwitz, wenn jetzt so getan wird, als gäbe es keine Entscheidung und deshalb dürfe das Parlament nicht darüber reden. Ganz Deutschland redet darüber. Wenn wir nicht darüber reden, dann verstärken Sie noch den Eindruck, den es draußen sowieso schon gibt, nämlich dass wir uns hier mit allem Möglichen, nur nicht mit dem beschäftigen, was die Leute interessiert. ({6}) Wir können Sie nur eindringlich auffordern, die Genehmigung zur Ausfuhr entweder zurückzuziehen oder, wenn sie noch nicht endgültig gefallen ist, nicht zu erteilen. Kommen Sie zum außenpolitischen Konsens, der lange Zeit in Deutschland galt, zurück und beenden Sie die Irrfahrt, mit der Sie unserem Land in Europa und auf internationaler Ebene die Zusammenarbeit erschweren. ({7}) Wenn Sie der Lieferung von 200 Kampfpanzern nach Saudi-Arabien zustimmen, dann überschreiten Sie eindeutig den Rubikon und verlassen den Pfad einer wertegebundenen Außenpolitik. Sie versagen in einer historischen Situation, in der Deutschland und Europa die Demokratiebewegungen unterstützen müssen, aber nicht feudale Herrscherhäuser, die bereit sind, diese zu unterdrücken. ({8}) Deswegen werden Sie dazu unsere Zustimmung nicht bekommen und auch nicht die, so glaube ich, der Öffentlichkeit. Stoppen Sie diese Irrfahrt, die Sie begonnen haben! Sie tun sich, dem Land und Nordafrika einen Gefallen. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Stinner.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Gabriel, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie den Kollegen Hans-Peter Uhl hier identifiziert haben, damit nicht die Gefahr besteht, dass er mit Ihrem ehemaligen Bundestagskollegen Hans-Jürgen Uhl, der VW-Betriebsrat war und wegen Lustreisen aus der IG Metall und der SPD ausgetreten ist, verwechselt wird. ({0}) Wir legen Wert darauf, dass keine Verwechslung geschieht. ({1}) - Ich habe mit der „Uhlerei“ nicht angefangen. ({2}) Da Sie, Herr Gabriel, mich als Kronzeugen für Ihre Politik herangezogen haben, möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen, was ich hierzu ausgeführt habe. Ich habe Ihnen erstens vorgeworfen, dass ich es als unerträglich empfinde, in welcher Weise sich Ihre Partei von langjährigem Regierungsverhalten verabschiedet hat, und dass das in starkem Widerspruch zu dem steht, was Sie selbst jahrelang gemacht haben. ({3}) Ich habe Ihnen zweitens vorgeworfen, dass Sie es als Regierungspartei abgelehnt haben, die Geheimhaltungspflicht des BSR aufzuheben. Ich habe Ihnen drittens vorgeworfen, dass Sie in Ihrer Amtszeit in erheblichem Umfang Kriegswaffen - es waren keine Spielzeuge, Frau Keul - nach Saudi-Arabien geliefert haben. Sie haben im Jahr 2008, als Herr Steinmeier und Frau Wieczorek-Zeul im Bundessicherheitsrat waren, die Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien mehr als verdreifacht. ({4}) Es ist völlig unredlich, diese Bundesregierung zu einem Exportmonster zu stilisieren. Ich bin viertens in keiner Weise auf den Inhalt der eventuell vorhandenen Entscheidung eingegangen. Ich habe nur gesagt, dass ich davon ausgehe, dass diese Bundesregierung, falls es eine solche Entscheidung gegeben haben sollte, mit großer Sicherheit das Pro und Kontra in großer Verantwortung abgewogen hat. Ich kann Ihnen, Herr Gabriel, sagen: Ich habe diesbezüglich in diese Bundesregierung ein viel größeres Vertrauen, als ich es in frühere Bundesregierungen gehabt habe. ({5}) Ich habe dann allerdings gesagt, Herr Gabriel: Da dieses Thema in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird, wäre es sinnvoll, wenn die Bundesregierung in einer für sie geeigneten Form politisch auf diese Dinge eingeht. Es kann nicht sein, dass Sie von den drei Oppositionsfraktionen in Anträgen hier und heute fordern, dass wir im Deutschen Bundestag einzelne Rüstungsgeschäfte verabschieden. Das kann doch nicht wahr sein. ({6}) Herr Gabriel, jeder, der in diesem Hause irgendwann einmal Regierungsverantwortung anstrebt - das tun Sie offensichtlich -, kann einen solchen Antrag nicht stellen, weil durch ihn die Handlungsfähigkeit einer jeden Bundesregierung beeinträchtigt wäre. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Gabriel, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion. ({0})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Herr Kollege, erstens neige ich in der Tat nicht dazu, Menschen zu verwechseln. Trotzdem danke ich für die qualifizierte Einführung in die Namenskunde. ({0}) Zweitens. Ich wiederhole ausdrücklich: Der Unterschied zwischen dem Handeln der von Ihnen getragenen Regierung und dem früherer Regierungen von SPD und Grünen ist, dass wir uns an die Exportrichtlinien gehalten haben ({1}) und dass wir - wie übrigens Herr Dr. Kohl und andere Regierungschefs - 30 Jahre lang, wenn Saudi-Arabien Panzer wollte, immer Nein gesagt haben. ({2}) - Nach meinem Kenntnisstand hat sich damals Herr Möllemann noch darüber beklagt, dass es zu keiner Lieferung gekommen ist. ({3}) - Herr Kollege Fricke, ich kann nichts dafür, dass ich jetzt die Chance habe, zu antworten. Das ist in der Geschäftsordnung so vorgesehen. Deshalb müssen Sie das jetzt ertragen. Wir - auch Sie - haben uns 30 Jahre lang daran gehalten, keine Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern, weil das durchaus einen qualitativen Unterschied macht. Das haben wir auf allen Straßen und Plätzen, wo es Demokratiebewegungen gegeben hat, gesehen. Drittens. Ich hoffe, dass Sie hier nicht Ihr eigenes Interview dementieren; denn dort heißt es - ich zitiere -: Die Kanzlerin und die beteiligten Minister können sich dann nicht mehr schablonenhaft hinter das Schild „geheim“ stellen. Ich finde, Sie haben recht, Herr Kollege; das tun die Damen und Herren der Regierung aber weiterhin. ({4}) Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir diskutieren hier nicht darüber, ob es Rüstungsexporte gibt oder nicht. Das könnten wir tun. Es gibt gute und weniger gute Gründe dafür, darüber zu reden bzw. es zu verbieten. Vielmehr reden wir über einen ganz konkreten Fall und über die daraus entstehenden Konsequenzen für die Demokratiebewegung im Nahen Osten und am Golf. ({5}) Wir diskutieren auch nicht darüber, ob der Deutsche Bundestag Rüstungsexporte im Einzelfall genehmigen soll oder nicht. ({6}) Das steht auch nicht in unserem Antrag, sondern dort steht, dass, wenn eine positive Entscheidung gefallen ist, wir dies wissen wollen. Übrigens halte ich es im Zeitalter des Internets für relativ schwierig, zu glauben, dass man irgendwohin Panzer liefern kann und keiner, wenn dann die Leos durch Saudi-Arabien fahren, fragt, woher die kommen. Wenn Sie solche Geschäfte machen, dann können Sie davon ausgehen, dass man das zurückverfolgen kann. Wenn eine Regierung sagt: „Ja, wir stehen dazu, wir haben in einer Güterabwägung entschieden, diesem Export zuzustimmen“, warum soll man das in diesem positiven Fall nicht von vornherein der deutschen Öffentlichkeit und dem Parlament zur Kenntnis geben? Erklären Sie mir das einmal! Wenn Ihr Argument ist: „Warum habt ihr das früher nicht selber gemacht?“, dann würde ich sagen: Sie haben recht, das hätten wir machen sollen. - Dann machen wir es doch bitte jetzt gemeinsam, da wir merken, dass das notwendig ist. ({7}) Das ist doch ganz einfach. ({8}) Eines ist doch klar: Wenn man uns oder Sie fragt, ob wir immer alles richtig gemacht haben, dann sagen wir oft: Natürlich haben wir immer alles richtig gemacht. Gleichzeitig tun wir so, als hätten alle anderen immer alles falsch gemacht. Das glauben wir noch nicht einmal im Parlament. Warum sollen die Menschen draußen das glauben? ({9}) Von daher finde ich die Situation relativ einfach. Sie führen hier eine Debatte über eine werte- und interessengeleitete Außenpolitik. Darüber wollen wir reden. Wir wollen die Begründung dafür hören, warum Sie sich in diesem Fall für Ihre anscheinend vorhandenen Interessen entschieden haben und gegen die von Ihnen mit großem Pathos an diesem Rednerpult vertretenen Werte.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darauf hat die deutsche Öffentlichkeit einen Anspruch, und nur darüber wollen wir diskutieren und entscheiden. Ihre Regierung drückt sich vor dieser Debatte. Das erleben wir heute zum zweiten Mal. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Zwischenbemerkungen: Erstens. Auf Kurzinterventionen kann man nicht mit einer weiteren Kurzintervention reagieren. Sonst würden wir in eine eigentümliche, unübersichtliche Debatte geraten. Zweitens zu dem Namensstreit, da ich ein ganz klein wenig beteiligt war. Das gibt es ja, dass einem im Moment ein Name nicht einfällt. Deswegen habe ich dem Kollegen Gabriel vorgesagt: Uhl. - Daraufhin hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gerufen: Dr. Uhl! Darauf hat Kollege Gabriel reagiert. Das geschah nicht in einer beleidigenden Absicht. ({0}) Er hat damit lediglich auf den Zwischenruf „Dr. Uhl!“ reagiert. Ich sage das nur, damit wir bei aller Polemik nicht an der falschen Stelle eine Schärfe vermuten. Jetzt erlaube ich mir, zur Beruhigung der Emotionen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der beiden namentlichen Abstimmungen mitzuteilen. Zunächst zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der UNAMID-Mission auf Grundlage der Resolution 1769 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen: Abgegebene Stimmen 554. Mit Ja haben gestimmt 490, mit Nein haben gestimmt 63, Enthaltungen 1. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 554; davon ja: 490 nein: 63 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({2}) Manfred Behrens ({3}) Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen ({4}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({5}) Dirk Fischer ({6}) Axel E. Fischer ({7}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({8}) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({9}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({11}) Dr. Michael Meister Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({12}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({13}) Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({14}) Anita Schäfer ({15}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({16}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({17}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Armin Schuster ({18}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({19}) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({20}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({21}) Peter Weiß ({22}) Sabine Weiss ({23}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({24}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({25}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf ({26}) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Hubertus Heil ({28}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Frank Hofmann ({29}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({30}) Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({32}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({33}) Marlene Rupprecht ({34}) Axel Schäfer ({35}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({36}) Werner Schieder ({37}) Ulla Schmidt ({38}) Silvia Schmidt ({39}) Carsten Schneider ({40}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({41}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({42}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({43}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({44}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({45}) Michael Link ({46}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({47}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({48}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({49}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({50}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({51}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({52}) Volker Beck ({53}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({54}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Undine Kurth ({55}) Monika Lazar Tobias Lindner Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({56}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({57}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Till Seiler Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Heidrun Dittrich Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({58}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Enthalten SPD Petra Hinz ({59}) Nun zum Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung mit dem Titel „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission im Südsudan“: abgegebene Stimmen 550. Mit Ja haben gestimmt 487, mit Nein haben gestimmt 62, Enthaltungen 1. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 550; davon ja: 487 nein: 62 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({60}) Manfred Behrens ({61}) Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen ({62}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({63}) Dirk Fischer ({64}) Axel E. Fischer ({65}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({66}) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({67}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({68}) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({69}) Dr. Michael Meister Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({70}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({71}) Lothar Riebsamen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({72}) Anita Schäfer ({73}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({74}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({75}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Armin Schuster ({76}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({77}) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({78}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({79}) Peter Weiß ({80}) Sabine Weiss ({81}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({82}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({83}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({84}) Hubertus Heil ({85}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Frank Hofmann ({86}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({87}) Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({88}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({89}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({90}) Marlene Rupprecht ({91}) Axel Schäfer ({92}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({93}) Werner Schieder ({94}) Ulla Schmidt ({95}) Silvia Schmidt ({96}) Carsten Schneider ({97}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({98}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({99}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({100}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({101}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({102}) Michael Link ({103}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({104}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({105}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({106}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({107}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({108}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({109}) Volker Beck ({110}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({111}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Undine Kurth ({112}) Monika Lazar Tobias Lindner Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({113}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({114}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Till Seiler Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({115}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Enthalten SPD Petra Hinz ({116}) Nun setzen wir die Debatte fort. Das Wort hat Martin Lindner für die FDP-Fraktion. ({117})

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank - Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Kollege Gabriel, wenn Sie mit uns Debatten über interessengeleitete Außenpolitik führen wollen, dann müssen Sie entsprechende Anträge stellen. Stattdessen haben Sie ganz billig versucht, Dinge, die schon seit 1955 im Bereich der Exekutive angesiedelt sind, uns heute hier mithilfe von Verfahrenstricks vorzulegen. Seit 1955, in ununterbrochener Tradition - SchwarzGelb, Rot-Gelb, Rot-Grün, egal wie die Regierung hieß -, wurden solche Fragen immer im Bundessicherheitsrat entschieden, und da gehören sie auch hin. Das ist streng exekutives Handeln. ({0}) Das müssten auch Sie bei einer ernsthaften Betrachtung dieses komplexen, schwierigen Gegenstandes konzedieren. Bei der Beurteilung, was den deutschen sicherheitsund außenpolitischen Interessen dient, ist - Sie können sich das vorstellen; Sie waren ja erst vor kurzem in Regierungsverantwortung - eine Reihe von Fragen zu berücksichtigen. Wir haben hier vor zwei Tagen darüber diskutiert. Saudi-Arabien ist ein Partnerland im Kampf gegen den Terrorismus. Wir können uns nun einmal nicht aussuchen, wie wir es in dieser Region - ein Kollege sagte: wo alles nur grau ist, wo es kein Schwarz und kein Weiß gibt - gerne hätten. Sie, der Sie hier jahrelang in der außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung standen, wissen ganz genau, dass man in diesem Zusammenhang bestimmte Dinge erfährt und dass man nachrichtendienstliche Entwicklungen auszuwerten hat. Das geht nicht im Deutschen Bundestag. Das, Frau Kollegin Roth, ist typischerweise exekutives Handeln, und das muss es auch in Zukunft bleiben. ({1}) Dr. Martin Lindner ({2}) Sie haben das unter der rot-grünen Regierung sogar noch verstärkt. Vor diesem Hintergrund handeln Sie mit Ihren Anträgen - im Zivilrecht würde man sagen: venire contra factum proprium - gegen Ihre eigenen Vorstellungen und gegen Ihr eigenes damaliges Regierungshandeln. Das erlaubt natürlich schon die Frage, ob das nicht ein Stück weit Heuchelei ist, was Sie heute hier aufgeführt haben. ({3}) Wenn man ein bisschen Exegese der Ereignisse der letzten 10, 15 Jahre betreibt - weiter muss man gar nicht zurückgehen -, dann kommt man zu einem Artikel von RP Online vom 4. Juli 2000. ({4}) Da wird berichtet - ich zitiere -: Der Bundessicherheitsrat hat nach Informationen des Hamburger Magazins „Stern“ der Lieferung von 1.200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien zugestimmt. Als ob das Waffen wären, Kollege Gabriel, die weniger geeignet wären, im Kampf gegen Aufständische eingesetzt zu werden, ({5}) als ein 4 mal 7 Meter großer Panzer! Da ist die Heuchelei schon erkennbar. Weiter heißt es: Gegen den Rüstungsexport hätten Bundesaußenminister Joschka Fischer von den Grünen und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie WieczorekZeul von der SPD gestimmt. Nicht bekannt wurde, dass die beiden anschließend aus der Regierung ausgeschieden wären; vielmehr sind sie selbstverständlich, wie es bei Ihnen Tradition war, an ihren Sesseln kleben geblieben. Sie haben so geredet, aber so gehandelt. Dann heißt es weiter: Das Bundespresseamt wollte zu dem Bericht ebenso wie Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt keinerlei Kommentar abgeben. Eine Sprecherin des Bundespresseamts verwies nur darauf, dass die Sitzungen des Bundessicherheitsrats strikter Geheimhaltung unterliegen. Sie haben damals genauso gehandelt, wie Sie es uns heute mit großem Pathos und im Brustton der Empörung vorhalten. Das ist Heuchelei und nichts anderes. ({6}) Sie entlarven sich selber. Etwas weiter hinten heißt es: Im Herbst vorigen Jahres - das war 1999 waren trotz der Geheimhaltungsvorschriften Einzelheiten der Entscheidung des Bundessicherheitsrats - unter Rot-Grün über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Türkei an die Öffentlichkeit gelangt. ({7}) Und das, obwohl Sie, Frau Kollegin Roth, auf jedem Parteitag immer wieder betont haben, dass Kampfpanzer - wegen der schwierigen Lage der Kurden - nicht in die Türkei geliefert werden dürften. ({8}) Sie haben schon immer geheuchelt und setzen das heute hier fort. ({9}) Was den Leopard 2 angeht: Im Jahr 1981 gab es diesbezügliche Anfragen an Helmut Schmidt. Da heißt es 1981 im Spiegel: Der König aus dem Morgenland zeigte Verständnis für den deutschen Kanzler. Als der saudiarabische Herrscher Chalid Ibn Abd el-Asis im vergangenen Juni in Bonn einen Staatsbesuch abstattete, bat Helmut Schmidt in einem Gespräch unter vier Augen den Gast, er möge sich mit seinem Wunsch nach deutschen Waffen noch ein wenig gedulden bis nach dem 5. Oktober, dem Tag der Bundestagswahl. Erzählen Sie uns doch nicht, dass das nicht auch Thema war. Ihre Bundesregierung hat das damals genauso abgelehnt wie entsprechende Anfragen an die Regierung Kohl in der Zeit zwischen 1990 und 1992, und zwar wegen der Intervention Israels und wegen nichts anderem. Dieser Grund ist jetzt weggefallen. Deswegen kann man nunmehr zu einer anderen Lagebeurteilung kommen. Als ernsthafte Oppositionsfraktion müssen Sie doch konzedieren, dass man bei solch schwierigen Entscheidungen nicht einfach nur schwarz-weiß malen und so tun kann, als sei alles wahninnig einfach. Sie haben in ähnlichen Situationen doch auch gerungen, und Sie kamen auch zu Ergebnissen, die nicht auf den Marktplätzen der Republik ausgetragen wurden. Das muss man doch realistisch betrachten. ({10}) Das Ganze geht noch weiter: Es kam zu den Panzerlieferungen an Katar; da saßen Sie, Kollege Steinmeier, im Bundessicherheitsrat. Es wurden zumindest Voranfragen gestellt, die - den vorliegenden Presseinformationen zufolge - nur im Hinblick auf Israel möglicherweise anders beschieden wurden. Ich sage Ihnen in aller Ernsthaftigkeit: Man kann in dieser Frage - bei Vorliegen aller Fakten; aber diese Fakten liegen ja nur neun Mitgliedern des Hauses vor - im Dr. Martin Lindner ({11}) Ergebnis möglicherweise zu einer anderen Betrachtungsweise kommen. Man kann sicherlich aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland war oder ist, solche Waffen in diese Region, an dieses Land zu liefern.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich warne Sie ganz klar: Sie sind im Moment in der Opposition. ({0}) Wenn Sie in diesem Land irgendwann einmal wieder Verantwortung übernehmen wollen, ({1}) werden Sie in diesen Fragen höchstwahrscheinlich eine sehr harte und unangenehme Bekanntschaft mit der Realität machen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu zwei Kurzinterventionen erteile ich zunächst Gregor Gysi und dann Claudia Roth.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Herr Lindner, ich habe Ihnen genau zugehört. Wissen Sie, was mich unheimlich stört? Sie diskutieren über die Frage der Geheimhaltung, darüber, wie das früher war, und haben im Übrigen gar nicht begriffen, dass es den Kalten Krieg gar nicht mehr gibt und dass eine neue Zeit angebrochen ist. Abgesehen davon erklären Sie sich nicht mit einem Satz dazu, ob es nun richtig oder falsch ist, 200 Panzer an das Herrschaftshaus Saudi-Arabien zu liefern, in ein Land, in dem die reichen Familien al-Qaida bezahlen und das die Demokratiebewegung im Nachbarland zusammenschießt. Kein einziger Satz dazu! Sagen Sie doch einmal, ob Sie dafür oder dagegen sind, damit hier im Parlament mal Klarheit herrscht! ({0}) Meine zweite Bitte. Frau Bundeskanzlerin - jetzt sind Sie da -, nichts gegen Herrn Nüßlein, aber ich finde, Sie könnten dessen Redezeit von sechs Minuten übernehmen und sagen, welche Ziele Sie in der Außenpolitik eigentlich verfolgen. Danke. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollegin Roth.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil Herr Dr. Lindner mit flotter Zunge von „Heuchelei“ geredet hat. Ich würde Sie, wenn Sie anderen Heuchelei vorwerfen, darum bitten, sich an die Wahrheit zu halten. Wahr ist: Es gab einen Konflikt in der rot-grünen Koalition über geplante Panzerlieferungen an die Türkei. Wahr ist aber auch, dass es aufgrund genau dieser Auseinandersetzung zu einer Neuverhandlung der Rüstungsexportrichtlinien gekommen ist, dass der Kollege Gernot Erler für die SPD-Fraktion und die Kollegin - ich - für die grüne Fraktion mit der Bundesregierung verhandelt haben. In diesen Verhandlungen wurden die Rüstungsexportrichtlinien verändert und restriktiver gefasst. Unter anderem wurde ein Menschenrechtskriterium in den Rüstungsexportrichtlinien verankert, das es nachgerade unmöglich macht, dass Panzer an Saudi-Arabien geliefert werden. Es wurde ein Kriterium verankert, das es nachgerade unmöglich macht, Waffen bzw. Rüstungsexportgüter in Spannungsregionen wie Saudi-Arabien zu liefern. In der Folge wurden keine Panzer in die Türkei geliefert. Anders als in der schwarz-gelben Regierungszeit hat Rot-Grün in die Rüstungsexportrichtlinien aufgenommen, dass bei einer angespannten Menschenrechtslage keine Waffen geliefert werden dürfen, auch wenn die Waffen nicht unmittelbar zur Menschenrechtsverletzung eingesetzt werden können. Behaupten Sie also keine Unwahrheiten, wenn Sie nicht wissen, worüber Sie reden. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Lindner, bitte.

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Gysi, Sie sagen, die Geheimhaltung habe möglicherweise im Kalten Krieg noch gegolten. Der Kalte Krieg endete 1989 und nicht 2009, als die SPD aus der Bundesregierung ausgeschieden ist; das als kleine Gedächtnisstütze. ({0}) Sie haben mich aufgefordert, in der Sache Stellung zu nehmen. ({1}) Ich hatte Ihnen - wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie das - vorhin deutlich gemacht, dass eine abschließende Beurteilung, ob besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland - so steht es in den Richtlinien - dafür sprechen, Kampfpanzer nach Saudi-Arabien zu liefern, ausschließlich von Dr. Martin Lindner ({2}) neun Personen vorgenommen werden kann. Ich gehöre nicht zu diesen neun Personen. Nur den Mitgliedern des Bundessicherheitsrats liegen die Fakten vollständig vor, auf deren Grundlage eine solche Frage seriös beantwortet werden kann. ({3}) Ich habe Ihnen gesagt: Wenn man in einer so schwierigen Situation wie im Nahen und Mittleren Osten im Kampf gegen den Terrorismus steht, muss man natürlich Kooperationen eingehen und über Dinge verhandeln, die nicht immer schön sind und die - anders als es eine populistische Partei gerne hätte - nicht immer einem Schwarz-Weiß-Schema entsprechen. Sie müssen aber schon konzedieren, dass nach unserer Verfassung die Menschen, die dafür gewählt sind und ihren Amtseid geschworen haben, solches exekutives Handeln vollziehen und darüber berichten und das Parlament anschließend über die Berichte diskutiert. So ist das in den meisten demokratischen Ländern üblich; so werden wir es weiterhin handhaben. ({4}) Frau Kollegin Roth, es ist sehr spannend, was Sie mir vorhalten. Sie haben gar nicht abgestritten, dass die Panzer doch in die Türkei gerollt sind. ({5}) Sie sagen nur, Sie hätten anschließend die Rüstungsexportrichtlinien geändert und dann quasi waffenfrei weiterregiert. Frau Kollegin Roth, im Jahr 2002 - da haben Sie regiert; das war nach der Änderung der Richtlinien lag das Volumen der Kriegswaffenexporte bei knapp 300 Millionen Euro. Im Jahr 2003 haben Sie das Volumen auf 1,3 Milliarden Euro gebracht. ({6}) Das ist zugegebenermaßen eine gewisse Steigerung, oder? Frau Roth, Ihre neuen Richtlinien haben dann also wirklich gewirkt. ({7}) Im Jahr 2005 hat Ihre Regierung dann den Gipfel erreicht: über 1,6 Milliarden Euro. ({8}) Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Ihr wievieltes Jubiläum der Mitgliedschaft im Bundessicherheitsrat haben Sie zu diesem Zeitpunkt gefeiert? Ihr siebtes, und dann waren Sie noch zwei weitere Jahre drin. ({9}) Wenn das alles so schrecklich und unmöglich war, warum sind Sie dann nicht ausgeschieden? Sie klebten alle an Ihren Sesseln. Heute werfen Sie uns vor, was Sie damals selbst gemacht haben. ({10}) Frau Roth, abschließend lese ich Ihnen vor, was 2001, in Ihrer Regierungszeit, nach Saudi-Arabien geliefert wurde - jetzt tut es richtig weh -: Schießanlagen, Schießsimulatoren, Revolver, Pistolen, Karabiner, Maschinengewehre, Panzerfäuste, Teile für Patrouillenboote, Munition für Haubitzen, Maschinenpistolen etc. ({11}) Jetzt sagen Sie mir, dass man all die Waffen nicht gegen Demonstranten und Aufständische einsetzen kann. Das ist doch völliger Blödsinn! ({12}) Beherrschen Sie sich und halten Sie in dieser Frage Maß, wie es einem Mitglied einer Exregierungspartei zusteht. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Ich freue mich, dass die Mitglieder des Bundessicherheitsrates jetzt weitgehend anwesend sind und der Debatte folgen. Am Mittwoch haben wir eine denkwürdige Fragestunde erlebt. Staatssekretär Otto versuchte verzweifelt, eine Entscheidung seiner Regierung zu rechtfertigen, ohne zuzugestehen, dass es überhaupt eine Entscheidung gegeben hat. In der nachfolgenden Aktuellen Stunde durften die Redner der Koalition darüber spekulieren, welche Kriterien und Argumente möglicherweise von der Regierung erwogen wurden oder auch nicht. Warum aber sollten Parlamentarier eine Entscheidung der Exekutive verteidigen, über deren Existenz sie nicht einmal informiert werden? Das ist eines Parlamentes unwürdig. ({0}) Dem Kollegen Stinner von der FDP war das Leiden dann auch deutlich anzusehen. Er hat völlig recht, wenn er ausführt, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages hätten das Recht und auch die Pflicht, sich mit dem Vorgang zu beschäftigen. Es ist richtig, dass er die Bundesregierung auffordert, eine öffentliche Debatte zu führen und den Deutschen Bundestag über die Entscheidungsgrundlage zu informieren. Geheimnisschutz ist kein Selbstzweck. Geheimnisschutz setzt immer ein schutzwürdiges Interesse voraus. Jetzt fragen wir uns doch einmal konkret, was hier geschützt werden soll. Betriebsgeheimnisse der Firma Krauss-Maffei Wegmann? Die Phase des Bangens vor der Konkurrenz ist mit der Genehmigung doch abgeschlossen. Jetzt kann geliefert werden. Eine solche Lieferung kann ohnehin nicht geheim gehalten werden. Auch die Saudis freuen sich über die Genehmigung und haben kein erkennbares Geheimhaltungsinteresse mehr. Unfreundliche Nachbarn sollen ja gerade von den Kampfpanzern erfahren, um beeindruckt zu werden, und die eigene Bevölkerung darf ohnehin keine kritischen Fragen stellen. Also bleibt nur, dass die Bundesregierung selbst ein Geheimhaltungsinteresse hat, weil sie ihre Entscheidung nicht öffentlich begründen will. ({1}) Das ist sogar nachvollziehbar, weil die Entscheidung gar nicht begründbar ist. Deutschland ist aber nicht Saudi-Arabien. Wie der Außenminister dezent angedeutet hat, gibt es einen gewissen Unterschied zwischen Saudi-Arabien und Deutschland. Bei uns muss sich die Regierung vor dem Parlament verantworten. Es ist nicht zielführend, wenn wir uns immer wieder gegenseitig vorhalten, welche Regierung am meisten geliefert hat. Zielführend wäre es, wenn wir Parlamentarier uns auf unsere wichtigste Aufgabe besännen und gemeinsam mehr Transparenz bei der Genehmigung von Rüstungsexporten einfordern würden, damit auch in diesem wichtigen Bereich endlich parlamentarische Kontrolle möglich wird. ({2}) Herr Kiesewetter, ich habe Ihnen gut zugehört. Wenn Sie das mit der Transparenz ernst meinen, müssten Sie unserem Antrag zustimmen. ({3}) In Gesetzen und Richtlinien haben wir Kriterien festgelegt, an die sich angeblich alle halten wollen. Wie sieht es mit diesen Kriterien konkret aus? Ein besonderes sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik vermag ich hier beim besten Willen nicht zu erkennen. Die atomare Bedrohung durch den Iran kann nicht ernsthaft als Grund für die Lieferung von Panzern herhalten. ({4}) Im Gegenteil: Die Aufrüstung von Saudi-Arabien ist für den Iran eine willkommene Rechtfertigung für die Fortsetzung des Nuklearprogramms. Nun habe ich mich am Mittwoch belehren lassen müssen, dass der Satz „Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen“, in Wirklichkeit bedeutet, dass sie doch eine Rolle spielen dürfen, nur keine ausschlaggebende. ({5}) Die Sorge der Industrie ist ja verständlich, da jetzt alle europäischen Länder ihre Militärhaushalte reduzieren. Auch unser Verteidigungsminister de Maizière hat in seinen Verteidigungspolitischen Richtlinien klargestellt, dass der Wehrindustrie eine dienende Funktion zukommt. Damit steht die Bundeswehr nicht mehr als Spielwiese für die Industrie zur Verfügung. Man will jetzt zur Abwechslung einmal das anschaffen, was die Truppe braucht. ({6}) EADS-Chef Stefan Zoller ist ganz offen, wenn er sagt: „Wir müssen jetzt dahin, wo die Militärausgaben zweistellig steigen, wie etwa in Indien, Brasilien oder dem Mittleren Osten“. Die industriepolitischen Interessen sind die einzig plausiblen Gründe für eine solche Entscheidung. Damit haben sie aber nicht nur eine Rolle, sondern die ausschlaggebende Rolle gespielt. Genau das dürfen sie nicht. ({7}) Darüber hinaus stehen der Genehmigung die Gefahr innerer Repression und die systematischen Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien entgegen. Nähere Ausführungen zu den Abscheulichkeiten wie Auspeitschen, Handabhacken und öffentliche Hinrichtungen wollen wir uns an dieser Stelle ersparen. Die Fakten sind hinlänglich bekannt. Die Genehmigung der Panzerlieferung ist nicht zu halten. Ich appelliere an Sie als Parlamentarier: Lassen Sie nicht zu, dass die Regierung uns an dieser Stelle völlig entrechtet! Fordern Sie mit uns den Widerruf dieser Genehmigung und transparente Verfahren für die Zukunft! Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich Georg Nüßlein von der Fraktion der CDU/ CSU das Wort. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, ich muss Sie enttäuschen, in dieser Parlamentsdebatte hat nicht die Regierung das letzte Wort. ({0}) Der Bundessicherheitsrat tagt geheim, und das ist richtig und gut so. Deshalb wundert mich jetzt, dass etliche Kollegen hier in dieser Debatte so tun, als sei das schon entschieden und als ob sie wüssten, was warum wie entschieden worden ist. Das ist doch offensichtlich nicht der Fall. ({1}) - Ich rekurriere auf alles, was hier vorgetragen wurde, und etliche Kollegen tun so, als sei das eine ganz klare Sache. Der Bundessicherheitsrat tagt geheim, aber offenbar kommt es bei der Beantwortung der Frage, ob es richtig ist, dass er geheim tagt, auf dessen Besetzung an. Wenn er von der einen Seite des Hauses besetzt ist, ist es in Ordnung, dass er geheim tagt, wenn er von der anderen Seite des Hauses besetzt ist, ist es falsch. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe in die jetzige Besetzung jedenfalls mehr Vertrauen als in die alte. ({2}) Im Übrigen liegt auch mir die Liste, die Kollege Lindner gerade vorgetragen hat, vor. Dies ist eine spannende Liste. Sie ist ellenlang und enthält Handfeuerwaffen, Munition, auch schwere Munition, also alles Mögliche, was man im Inland sehr gut, wenn nicht sogar besser als nach außen einsetzen kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, die gestatte ich nicht. Herr Präsident, hier sitzt eine Reihe von Kollegen, die abstimmen wollen. Dafür habe ich viel Verständnis. ({0}) Wir diskutieren jetzt zum zweiten Mal über dieses Thema, und die Argumente sind irgendwann ausgetauscht. Ich weise noch einmal darauf hin: Unter Rot-Grün gab es für 260 Millionen Euro Exporte an Saudi-Arabien. Auch da gilt, was ich vorhin gesagt habe: Offenbar kommt es weniger darauf an, was exportiert wird, sondern von wem es exportiert wird. ({1}) Ich finde, das ist für Sie hochblamabel. Die Frage, ob Saudi-Arabien ein Bollwerk gegenüber dem Iran ist, kann ich als einfacher Wirtschaftspolitiker schwer beurteilen. ({2}) Ich setze an dieser Stelle auf die Beurteilung der Israelis; über diesen Punkt sollte man nicht so hinweggehen, wie es einige Kollegen getan haben. Gestatten Sie mir beim Thema Wirtschaftspolitik folgenden Hinweis: In der Rüstungsindustrie gab es einmal 280 000 Beschäftigte. Mittlerweile gibt es noch 80 000 Mitarbeiter in diesem Bereich. Ich weiß, man begibt sich bei diesem Thema auf gefährliches Terrain und ist, insbesondere vonseiten der Grünen - Frau Roth schüttelt an dieser Stelle schon den Kopf -, sofort Verleumdung ausgesetzt. ({3}) Es wird gesagt, es ginge hier nur um wirtschaftliche Interessen. Weil ich den Eindruck verhindern möchte, dass es nur uns um wirtschaftliche Interessen geht, gestatten Sie mir, dass ich Aussagen des Kollegen Arnold von der SPD aus 2010 zitiere. Er sprach 2010 von „Verantwortung für die deutsche Rüstungsindustrie“. Dazu kann ich nur Bravo sagen. Er sagte, dass wir „Hochtechnologie und hochqualifizierte Ingenieure in Deutschland halten“ wollen. Bravo, Herr Kollege Arnold. Es gehe um „Fähigkeiten, die wir haben und die wir nicht verlieren dürfen“. Auch das ist ein Zitat von Ihnen. Er sagte außerdem, der „Erhalt nationaler Kernkompetenzen im Rüstungsbereich“ sei eine gesamtpolitische Aufgabe und im Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik Deutschland. Auch wirtschaftspolitische Interessen sind also bei den Entscheidungen, die im Bundessicherheitsrat wohl abgewogen getroffen werden, zu berücksichtigen. Wenn es um Menschenrechte und Frauenrechte geht, kann man, wie ich glaube, besser mit einem Staat reden, wenn man ({4}) ihn nicht komplett ablehnt, sondern ihm auf Augenhöhe begegnet ({5}) und auch auf der Grundlage von Wirtschaftsbeziehungen miteinander diskutieren kann. Dass wir vielfältige Wirtschaftsbeziehungen zu Saudi-Arabien haben, wissen Sie. Ich glaube, dass es bei der Gesamtabwägung Sinn macht, dies bei der Entscheidung im Bundessicherheitsrat zu berücksichtigen. Der Bundessicherheitsrat wird unter dieser Regierung die richtigen Entscheidungen treffen. In diesem Sinne: Eine schöne Sommerpause! Vielen herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu zwei Kurzinterventionen erteile ich zunächst dem Kollegen Ströbele und dann dem Kollegen Arnold das Wort. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Nüßlein hat darauf hingewiesen - das haben auch andere Redner getan, und auch in der Öffentlichkeit wird das dauernd erwähnt -, dass die Sitzungen des Bundessicherheitsrats geheim sind. Das stimmt; ich habe die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates hier. ({0}) Aber: Der Bundessicherheitsrat ist ein Ausschuss der Bundesregierung. Der „Geheim“-Stempel, der an ihm haftet, geht nicht auf einen göttlichen Befehl, sondern auf einen Beschluss der Bundesregierung zurück. Selbstverständlich kann die Bundesregierung, allen voran die Bundeskanzlerin, den Grad der Geheimhaltung herunterstufen und dem Deutschen Bundestag Auskunft erteilen. Sie kann nicht nur, sie muss. Sie will nur nicht. ({1}) Der Kollege Gabriel hat vorhin darauf hingewiesen, dass sich Saudi-Arabien immer wieder darum bemüht hat, Panzerlieferungen aus Deutschland zu bekommen. Er hat hinzugefügt, in 30 Jahren sei es nie zu solchen Panzerlieferungen gekommen. Ich möchte den Kollegen Nüßlein - er ist Mitglied der CSU, gehört also der Union an - fragen, ob er bestätigen kann, dass im Jahr 1991, also vor 20 Jahren, die damalige Bundesregierung 37 Fuchs-Panzer nach Saudi-Arabien geliefert hat, und zwar zu einem Preis von 446 Millionen D-Mark, dass 220 Millionen D-Mark davon nützliche Aufwendungen gewesen sind - nützliche Aufwendungen sind Schmiergelder - und dass ein Teil dieser Schmiergelder an die Union geflossen ist, ({2}) nämlich als der damalige Waffenlobbyist Schreiber an der Schweizer Grenze 1 Million D-Mark in einem Koffer an den damaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep übergeben hat? So sieht es aus! ({3}) Insofern ist es dringend erforderlich, dass wir die Wahrheit erfahren, Auskunft bekommen, kontrollieren und der Frage nachgehen: Sind in diesem Fall wieder nützliche Aufwendungen gezahlt worden? ({4}) Ich habe im Untersuchungsausschuss 1999 gelernt, dass Saudi-Arabien in der Regel auf die Zahlung solcher Schmiergelder besteht. Wenn jetzt 200 Panzer der Marke Leo an Saudi-Arabien geliefert werden, drängt sich mir der Verdacht auf, dass wieder nützliche Aufwendungen gezahlt worden sind. Das muss dringend aufgeklärt werden. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Arnold.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Nüßlein, Sie haben mich zitiert. Ich habe davon keinen Satz zurückzunehmen. Sozialdemokraten bekennen sich nämlich zu ihrer Verantwortung für die Hochtechnologie, auch im Rüstungsbereich. Ich glaube sogar, wir sind mit diesem Thema viel besser, verantwortungsvoller und sensibler umgegangen als Sie. Zu dieser Verantwortung gehört auch, dass man sich an die Exportrichtlinien hält. Dies tun Sie nicht. Eigentlich habe ich mich zu Wort gemeldet, weil ich auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen wollte. Ich finde, die Beiträge von Herrn Dr. Lindner und Herrn Dr. Nüßlein waren entlarvend. Sie reden davon, dass sich die Politik verändert hat, und meinen damit Israel. Schauen Sie einmal genau, was sich wirklich verändert hat und ob sich bei Israel etwas verändert hat. Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass Israel vor wenigen Wochen sogar der Auffassung war, dass das Jordantal für sie strategisch wichtig ist, weil sie einen Angriff mit Panzern genau aus dieser Richtung befürchten? Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass das Risiko, das Israel zu Recht beschreibt, nämlich die Gefahr einer nuklearen Bedrohung aus dem Iran, eben nie und nimmer durch Kampfpanzer einzudämmen ist? Die Welt hat sich verändert; da haben Sie recht. Das ist das Entlarvende: Zu dieser eigentlichen Veränderung sagen Sie keinen Satz. Sie finden das, was sich in der arabischen Welt mit den Hunderttausenden jungen Menschen wirklich verändert hat, die für ihre Freiheitsrechte auf die Straße gehen und gegen die Despoten ihr Leben riskieren, in keiner Zeile erwähnenswert. ({0}) In diesem Sinn bewegt sich diese Entscheidung der Bundesregierung auf einer durchaus kontinuierlichen Linie, nämlich auf der Linie von der Fehlentscheidung, sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu enthalten, bis hin zu Waffenlieferungen an einen Despoten, der vor wenigen Wochen Waffen im Nachbarland eingesetzt hat, um junge Menschen zu bedrohen und umzubringen. Dies sind die Fakten. Wer diese Veränderungen nicht sieht, der sendet die falschen Signale. Dieses große Wirtschaftsland Deutschland hat eine Kanzlerin, die bei einer solchen Debatte schweigend dasitzt, anstatt klar zu sagen: Wir brauchen das Signal an die arabische Welt. Wir stützen die jungen Menschen, die für Freiheit kämpfen, und wir stützen nicht die Despoten. Wenn dieses Signal fehlt, dann hat dieses Land ein erhebliches außenpolitisches Problem. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Nüßlein.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Arnold, erstens bewundere ich die hellseherischen Fähigkeiten, die hier etliche Kolleginnen und Kollegen zu haben scheinen, sodass sie, ohne zu wissen, wie die Entscheidung ausgeht, was die Grundlage der Entscheidung ist und wie sie begründet ist, schon sagen können, wer verantwortungsvoller handelt und wo die Wahrnehmung der Verantwortung besser aufgehoben ist. Zweitens. Was Sie zu dem Thema Israel gesagt haben, deckt sich mit dem, was ich gesagt habe. Im Übrigen haben Sie ja hauptsächlich den Kollegen Lindner angesprochen. Drittens. Kollege Ströbele, diese Verdächtigungen sind abstrus, abscheulich und unglaublich. ({0}) Ich finde es absolut unangemessen, dass Sie hier einen Eindruck erwecken wollen, der haltlos ist und mit dem Sie im Übrigen nicht nur eine Fraktion treffen, sondern am Schluss wieder die gesamte politische Klasse beschädigen werden. Ich bitte Sie, doch wenigstens das zu berücksichtigen. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6528 mit dem Ti- tel „Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen“. Wir stimmen über den Antrag auf Verlangen der Fraktion Die Linke nun namentlich ab. An dieser Stelle will ich erwähnen, dass zu den drei namentlichen Abstimmungen eine Reihe von schriftli- chen Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung vorliegen.1) Auch über die beiden anderen Anträge wird, wie schon bekannt gegeben, namentlich abgestimmt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das erfolgt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die erste namentliche Ab- stimmung. Die obligate Frage: Haben alle anwesenden Mitglie- der des Bundestages abgestimmt? - Das ist offensicht- lich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6540 mit dem Titel 1) Anlagen 2 bis 4 2) Ergebnis Seite 14326 A „Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete - Für die Einhaltung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik“. Auch von der Fraktion der SPD wurde namentliche Ab- stimmung verlangt. Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze wieder eingenommen? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die zweite na- mentliche Abstimmung. Haben alle Abgeordneten abgestimmt? - Das ist of- fensichtlich der Fall. Dann schließe ich die zweite Ab- stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen.3) Wir kommen zur dritten namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6529 mit dem Titel „Keine Genehmi- gung zur Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Ara- bien“. Über diesen Antrag stimmen wir ebenfalls na- mentlich ab. Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze wieder eingenommen? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die dritte und letzte namentliche Abstimmung. Wenn ich es richtig sehe, haben alle Kolleginnen und Kollegen abgestimmt. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.4) Die Ergebnisse aller drei namentlichen Ab- stimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie bitte Platz, damit wir in den Beratungen fortfahren können. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 49 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Michalk, Ingrid Fischbach, Karl Schiewerling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Molitor, Heinz Lanfermann, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine umfassende Umsetzung der UN-Be- hindertenrechtskonvention - Nationaler Ak- tionsplan als Leitlinie - Drucksachen 17/4862, 17/6155 - Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Molitor b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kostenvorbehalt in § 13 des Zwölften Bu- ches Sozialgesetzbuch streichen - Selbstbe- 3) Ergebnis Seite 14328 A 4) Ergebnis Seite 14330 B Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse stimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen gewährleisten - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010 - 2020: Erneuertes Engagement für ein barrierefreies Europa KOM({2}) 636 endg.; Ratsdok. 16489/10 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010 - 2020 unterstützen - Drucksachen 17/4911, 17/5043, 17/6154 Berichterstattung: Abgeordneter Markus Kurth Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({3})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, dass seit dem 26. März 2009 die UNKonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung auch in Deutschland völkerrechtlich verbindlich ist. Zu ihrer konkreten Umsetzung hat die Bundesregierung nach einem sehr, sehr langen, intensiven und breiten Diskussionsprozess am 15. Juni dieses Jahres den Nationalen Aktionsplan erarbeitet und beschlossen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben uns gemeinsam mit unserem Koalitionspartner frühzeitig in diesen Prozess eingeschaltet und mit einem separaten Antrag noch einmal auf besondere Schwerpunkte hingewiesen. Darum geht es heute. Wir würdigen ausdrücklich, dass Deutschland unter den ersten Unterzeichnerstaaten ist, und danken der Bundesregierung ausdrücklich dafür. Das verdeutlicht nämlich, dass wir in Deutschland die universellen Menschenrechte für die speziellen Bedürfnisse und Lebenslagen behinderter Menschen sehr ernst nehmen. Ich kann die Kritik, zum Beispiel des Deutschen Behindertenrates oder der Behindertenverbände, hinsichtlich der Einbeziehung in die Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans und des Ersten Staatenberichtes der Bundesregierung zur UN-Behindertenrechtskonvention überhaupt nicht verstehen. Sie kritisieren, dass sie zu wenig eingebunden waren und die Bundesregierung die Zusammenarbeit nicht gepflegt hätte, wie wir in den letzten Tagen lesen durften. Das sehe ich ganz und gar nicht so. In den vielen Jahren meiner parlamentarischen Tätigkeit habe ich selten in einem Arbeitsfeld einen so intensiven, umfangreichen, detaillierten und gründlichen Dialogprozess erlebt wie im letzten Jahr zu diesem speziellen Thema. ({0}) Die großen wie auch die kleinen Verbände und besonders die betroffenen Menschen waren mit einbezogen. Die Beschlussfassung obliegt am Ende der Bundesregierung. Das liegt in unserer Demokratie in der Natur der Sache. Verbandshandeln und Regierungshandeln ist nicht ein und dasselbe. Es geht darum, das Notwendige und Wünschenswerte gemeinsam zu erarbeiten und dann das Machbare zu beschließen und umzusetzen. ({1}) Das ist verantwortungsvolle Politik und letztlich unser täglich Brot auch hier im Parlament. Das haben bisher auch alle anderen Bundesregierungen so praktiziert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns unsere in jahrelanger gemeinsamer Arbeit geschaffenen guten Grundlagen weder von Interessenverbänden noch von einseitig gespeisten UN-Kommissionen zerreden lassen. Wir müssen hier gemeinsam handeln. Ich danke der Bundesregierung, konkret unserem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die über viele Monate die Zusammenarbeit mit den vielen unterschiedlichen Verbänden und Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung gestaltet und gepflegt haben und so gemeinsam dazu beigetragen haben, einen Perspektivwechsel in der Behindertenpolitik einzuleiten. Der Perspektivwechsel, der durch den Begriff Inklusion gekennzeichnet ist, ist ein hohes Gut an sich. Behinderte brauchen nicht Mitleid, Überbetreuung und schon gar nicht fürsorgliche Bevormundung. Notwendig ist für sie partnerschaftliche Anerkennung als vollwertige Menschen, Motivation zur Selbstständigkeit und Hilfe dort, wo es nicht anders geht. Wir wollen die Hilfen auf allen gesellschaftlichen Ebenen eben nicht pauschal erbringen, sondern konkret und sehr individuell am Menschen orientiert. Dieser neue Ansatz muss mit Leben erfüllt werden und bedeutet, dass so manches lieb gewordene Denken in den Entscheidungsebenen über Bord geworfen werden muss. Wir werden diese Aufgabe nicht durch Streit und Vorwürfe erfüllen, sondern durch eine konstruktive Zusammenarbeit. Das muss uns gelingen; denn immerhin leben etwa 10 Prozent unserer Bevölkerung mit einer Behinderung und müssen ihr tägliches Leben meistern. Die Mehrzahl der Behinderungen wird erst im Laufe des Lebens erworben. Niemand weiß, ob er morgen früh gesund aufwacht oder heute Abend gesund nach Hause kommt. Jeder kann jederzeit von einer Behinderung betroffen sein. Deshalb ist es falsch zu meinen, dies sei ein Thema allein der Betroffenen, ihrer Verbände und Selbsthilfegruppen oder der Politik. Nein, dieses Thema geht alle in unserer Gesellschaft an. Je freundschaftlicher und fairer wir gemeinsam in der Öffentlichkeit daran arbeiten, desto mehr Menschen werden wir für diese Aufgabe gewinnen. Wo man sich streitet, geht niemand gern hin. Inklusion ist kein Ergebnis, sondern ein Prozess. ({2}) Inklusion ist eine Leitlinie, an der wir uns konsequent orientieren und an die wir uns kontinuierlich annähern. Vielleicht schaffen wir das nie vollständig. Es ist ein Prozess, und es gibt immer wieder Verbesserungen. Unser persönliches Tun oder unser politisches Handeln wird durch solche einfachen Kategorien wie Geduld, Respekt und Wahrhaftigkeit bestimmt. Es wird dadurch viel einfacher gemacht. Jeder von uns, aber auch Einrichtungen jeder Art, ob Kommunen, Organisationen, Unternehmen, Kirchen oder Verbände, sind jetzt mit dem Nationalen Aktionsplan angeregt, das eigene Handeln zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu gestalten und eigene Aktionspläne zu schaffen. Dafür gibt es schon gute Beispiele. In der Praxis ist es aber leider immer noch so - das zeigen Gutachten -, dass viele in unserem Land mit der UN-Behindertenkonvention nicht viel anfangen können. Fragt man sie aber, ob sie sich für dieses Thema engagieren würden, sagen 80 Prozent der Bevölkerung Ja. Das macht Mut, und das müssen wir nutzen. In vielen Büros stehen dicke Aktenordner, gefüllt mit Informationen darüber, welche Maßnahmen es gibt und was wir an Gutem alles tun. In den zurückliegenden Jahren ist auf diesem Gebiet in der Tat sehr viel geschehen. Wir haben hohe Standards erreicht. Aber manchmal sieht die Wirklichkeit auch anders aus. Im Bereich der Barrierefreiheit wird das am deutlichsten. Ich möchte, dass jeder einen Platz in der Gesellschaft haben kann und auf allen Gebieten, ob auf der Straße, im Büro, in der Kultur, im Sport, das, was wir mit „Barrierefreiheit“ bezeichnen, erreicht wird. Daran sollten wir arbeiten. ({3}) Ich möchte eine letzte Anmerkung machen. In unserem Antrag ist festgeschrieben, dass wir das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ auch in Zukunft haben wollen, damit Menschen so lange wie möglich in ihrem vertrauten Wohnumfeld leben können. Deshalb ist es für mich persönlich überraschend, dass für dieses Programm im Haushaltsentwurf 2012 eine Null steht. Ich glaube, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Der Aktionsplan ist ein Maßnahmenpaket. Helfen wir alle gemeinsam mit, ihn umzusetzen! Ich freue mich darauf, diese anspruchsvolle Aufgabe für die Zukunft zu lösen. Ich danke Ihnen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Silvia Schmidt für die SPD-Fraktion. ({0})

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestern war der Plenarsaal sehr voll. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben die UN-Behindertenrechtskonvention angesprochen und gehofft, dass an solchen Debatten mehr Kolleginnen und Kollegen teilnehmen würden. Wir hoffen, dass sich das in der nächsten Zeit bessert; denn das, was heute passiert, ist ein Einstieg. Im Grunde genommen bräuchten wir die Debatte nicht, weil die Anträge schon zu alt sind. Wir haben einen Aktionsplan. Im Antrag steht noch, dass 10 Prozent der Menschen hier behindert sind. Es sind aber 11,6 Prozent. Es gibt also eine deutliche Steigerung, vor allem bei der Zahl von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Da beträgt der Anteil etwa 25 Prozent. Wir haben damals das SGB IX entwickelt - Sie alle waren dabei -; darauf ist das Haus stolz. Was die Herangehensweise an das SGB IX und die Kritik der Behindertenverbände an der Einbeziehung angeht, muss man feststellen: Es war damals anders. Wir haben damals alle mit einbezogen. Wir haben damals nicht nur zwei, drei oder vier Runden gehabt, sondern es waren intensivste Gespräche. Wir konnten sie schon gar nicht mehr zählen. Jedes Mal, wenn ein neuer Referentenentwurf auf dem Tisch lag, wurde kritisiert: Schon wieder etwas Neues! Wir haben uns intensivst damit auseinandergesetzt. Nicht wir sind die Experten, sondern die Menschen mit Behinderung sind die Experten vor Ort. Sie wissen, was sie wollen; da können wir ihnen nichts vorgeben. ({0}) Wir haben damals in New York - dafür bin ich Franz Thönnes noch dankbar - die UN-Konvention unterzeichnet. Sie ist Recht in Deutschland. Es gibt sogar ein Individualrecht - das sollte man nicht vergessen -, das Individualrecht auf inklusive Bildung. Das kommt in der Debatte allerdings wenig vor. Lassen Sie mich noch einiges bemerken. Frau Michalk, Sie haben mit Recht gesagt: Das Programm „Soziale Stadt“ findet nicht mehr statt. ({1}) Silvia Schmidt ({2}) Wir wollen einen inklusiven Sozialraum. Wir wollen Barrieren abschaffen, damit die Menschen von einem Ort zum anderen kommen. Damit erzielt man Kosteneinsparungen und ermöglicht eine Teilhabe am Leben, eine Teilhabe an der Gesellschaft, ein selbstbestimmtes Leben. Menschen mit Behinderungen möchten so leben wie alle anderen Menschen auch. Sie möchten nicht immer fragen: Kannst du mir mal helfen? Kannst du mir mal einen Transport zur Verfügung stellen, damit ich von A nach B komme? Wir haben das in unserem Positionspapier deutlich gemacht. Wir haben uns in diesem Papier daran orientiert, wie wir damals beim SGB IX vorgegangen sind. Wir haben die Menschen mit Behinderungen eingeladen. Wir haben mit ihnen gesprochen. Sie haben uns gesagt, was sie wollen. Das waren keine Wunschträume. Das waren auch keine Visionen. Helmut Schmidt hat damals eine deutliche Bemerkung über Menschen mit Visionen gemacht. Es ging vielmehr um notwendige Maßnahmen, um die UN-Menschenrechtskonvention umzusetzen. Das dürfen wir nicht vergessen. Ich vermisse sowohl in Ihrem Antrag als auch in Ihrem Nationalen Aktionsplan - wir werden im Oktober eine Anhörung dazu haben; dieser Aktionsplan soll sich ja weiterentwickeln - mit Blick auf die Pflege folgenden Punkt: Die Pflegeversicherung ist immer noch kein Rehaträger. Alle Menschen, die pflegebedürftig sind, sind im Sinne des § 2 SGB IX Menschen mit Behinderung. Sie haben deswegen entsprechende Ansprüche. Aber nicht alle Menschen mit Behinderungen sind auch pflegebedürftig. Um Teilhabe zu garantieren, brauchen wir unbedingt eine Pflegeversicherung, die im SGB IX verankert ist. Wir wollen auch, dass die Reform der Eingliederungshilfe - das sagen wir in unserem Positionspapier deutlich - zu einem Leistungsgesetz führt. So haben die Betroffenen einen Anspruch auf Leistungen aus einer Hand. Sicherlich wird das Ganze nicht preiswert werden; das würde auch niemand behaupten. Auf der anderen Seite stehen 44 Milliarden Euro - diese Zahl steht im Aktionsplan - zur Verfügung. Es ist klar, dass man die Strukturen verändern muss. Aber wenn es aufgrund eines Leistungsgesetzes im Rahmen der Eingliederungshilfe Anspruch auf Teilhabe gibt, dann muss man damit rechnen, dass das etwas kostet. Wenn man aber, wie in Ihrem Antrag geschehen, im Vorfeld schon sagt, alles stehe unter einem Haushaltsvorbehalt, dann wird diese Tür wieder zugemacht. Es wird also gar nicht darüber nachgedacht, was mit dem Geld, das vorhanden ist, geschehen soll. Man könnte es zum Beispiel für neue Strukturen verwenden. Nein, es wird vielmehr gesagt: Es soll alles so bleiben, wie es ist, aber es darf nicht mehr kosten. - Das ist für mich eine sehr ernste Angelegenheit. Wir brauchen neue Strukturen und neue Öffnungsmöglichkeiten im SGB IX. Wir müssen Dienstleistungen zusammenfassen bzw. sie aus einer Hand anbieten. Der andere Bereich, der auch in Ihrem Antrag erwähnt wird, ist der Bereich Arbeit. Wir wissen, dass Arbeit vor allen Dingen für diejenigen Menschen mit Behinderung wichtig ist, die sich besonders engagieren und einbringen wollen. Auch das ist bekannt. Auf der anderen Seite gibt es eine Diskussion über den Integrationsfachdienst. Es wurden hier schon Leistungen aufgeteilt, und zwar in die Vermittlungsleistungen und in die Leistung für die Begleitung. Ich kann Ihnen nur sagen: Das verstehe ich nicht unter „Leistung aus einer Hand“. Das wollten der Gesetzgeber und wir damals auch nicht, als wir mit Blick auf das SGB IX gesagt haben: Lasst den betroffenen Menschen Hilfe und Unterstützung zuteil werden, damit sie auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz finden. Ich kann nicht auf der einen Seite die Werkstätten verteufeln, und auf der anderen Seite wird die Tür zugemacht. Das geht nicht. Deswegen freue ich mich besonders darüber - wir haben in der Ausschussrunde darüber gesprochen -, dass die Anträge erst einmal ausgesetzt werden. Wir stellen sie jetzt nicht zur Abstimmung. In der Sommerpause reden wir gemeinsam darüber. Nach der sehr intensiven Anhörung zu den Integrationsfachdiensten werden wir darüber noch einmal diskutieren. Danach werden wir sicherlich einen Weg finden, diese Leistungen beim Integrationsfachdienst beizubehalten. ({3}) Ich komme zu einem anderen sehr wichtigen Bereich - ich habe es vorhin kurz anklingen lassen -: Es gibt die Reform der Eingliederungshilfe. Aber diese Reform betrifft wahrscheinlich nur die Länder; denn sie kommt in Ihrem Antrag nicht vor. Auch in Ihrem Aktionsplan kann ich dazu nichts finden. Das heißt, wir nehmen immer noch in Kauf, dass Menschen mit Behinderungen automatisch zu Sozialhilfeempfängern werden. Das ist einfach eine Tatsache. Denn unabhängig von den benötigten Hilfsmitteln sind diese Menschen auf Sozialhilfe angewiesen. Sie werden also sozusagen arm gemacht. Das kann sogar einen Akademiker betreffen, der sich vielleicht nur noch ein Straßenbahnticket leisten kann. Allerdings muss die Bahn dann barrierefrei sein; das wäre ein weiterer Punkt. Die Reform der Eingliederungshilfe - das betrifft den Antrag der Linken - sollte so ausgestaltet sein, dass die Leistungen vermögensunabhängig sind. Wir dürfen die Menschen, die heutzutage unsere Unterstützung brauchen, nicht im Regen stehen lassen. Wir können ihnen nicht sagen: Da habt ihr Pech gehabt. Ihr steht jetzt auf der Schattenseite der Gesellschaft. - Nein, das geht nicht. Ich versichere Ihnen: Es gibt nicht viele Millionäre unter den Menschen mit Behinderungen. Das können Sie mir glauben. Unterstützen Sie uns bei unserer Arbeit. Ich freue mich auf die weiteren Debatten in diesem Hohen Haus und wünsche Ihnen natürlich eine schöne Sommerpause. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir mit der Debatte fortfahren, kommen wir zu den namentlichen Abstimmungen zurück. Ich gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern Vizepräsidentin Petra Pau ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt. Ich gebe Ihnen zuerst das Ergebnis zum Antrag der Fraktion Die Linke „Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen“ auf Drucksache 17/6528 bekannt: abgegebene Stimmen 543. Mit Ja haben gestimmt 135 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 301 Kolleginnen und Kollegen. Es gab 107 Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 543; davon ja: 135 nein: 301 enthalten: 107 Ja SPD Klaus Barthel Marco Bülow Daniela Kolbe ({0}) Steffen-Claudio Lemme Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Ottmar Schreiner Swen Schulz ({1}) Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Rüdiger Veit Heidemarie Wieczorek-Zeul DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({2}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({3}) Volker Beck ({4}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({5}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth ({6}) Monika Lazar Tobias Lindner Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({7}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({8}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Till Seiler Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({9}) Manfred Behrens ({10}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({11}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({12}) Dirk Fischer ({13}) Axel E. Fischer ({14}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({15}) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Vizepräsidentin Petra Pau Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({16}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({17}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({18}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({19}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({20}) Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({21}) Anita Schäfer ({22}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({23}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({24}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Armin Schuster ({25}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({26}) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({27}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({28}) Peter Weiß ({29}) Sabine Weiss ({30}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Bernhard Brinkmann ({31}) Michael Hartmann ({32}) Johannes Kahrs Hans-Ulrich Klose FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({33}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({34}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({35}) Michael Link ({36}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({37}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({38}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({39}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({40}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({41}) Enthalten CDU/CSU Frank Heinrich SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({42}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Edelgard Bulmahn Petra Crone Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Vizepräsidentin Petra Pau Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Hubertus Heil ({43}) Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({44}) Frank Hofmann ({45}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({46}) Dr. Karl Lauterbach Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({47}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann René Röspel Karin Roth ({48}) Marlene Rupprecht ({49}) Axel Schäfer ({50}) Bernd Scheelen Werner Schieder ({51}) Ulla Schmidt ({52}) Silvia Schmidt ({53}) Carsten Schneider ({54}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({55}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Wir kommen zum Antrag der Fraktion der SPD „Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete - Für die Einhaltung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik“ auf Drucksache 17/6540: abgegebene Stimmen 544. Mit Ja haben gestimmt 246 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 298 Kolleginnen und Kollegen. Es gab keine Enthaltung. Der Antrag ist ebenfalls abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 543; davon ja: 245 nein: 298 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({56}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({57}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Petra Crone Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({58}) Hubertus Heil ({59}) Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({60}) Frank Hofmann ({61}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({62}) Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({63}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({64}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({65}) Marlene Rupprecht ({66}) Axel Schäfer ({67}) Bernd Scheelen Werner Schieder ({68}) Ulla Schmidt ({69}) Silvia Schmidt ({70}) Carsten Schneider ({71}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({72}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Vizepräsidentin Petra Pau Waltraud Wolff ({73}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({74}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({75}) Volker Beck ({76}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({77}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth ({78}) Monika Lazar Tobias Lindner Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({79}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({80}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Till Seiler Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({81}) Manfred Behrens ({82}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({83}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({84}) Dirk Fischer ({85}) Axel E. Fischer ({86}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({87}) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({88}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({89}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({90}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Vizepräsidentin Petra Pau Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({91}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({92}) Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({93}) Anita Schäfer ({94}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({95}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({96}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Armin Schuster ({97}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({98}) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({99}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({100}) Peter Weiß ({101}) Sabine Weiss ({102}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({103}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({104}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({105}) Michael Link ({106}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({107}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({108}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({109}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({110}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({111}) Zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Keine Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Arabien“ auf Drucksache 17/6529: abgegebene Stimmen 542. Mit Ja haben gestimmt 243 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein 297 Kolleginnen und Kollegen. Es gab zwei Enthaltungen. Auch dieser Antrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 542; davon ja: 243 nein: 297 enthalten: 2 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({112}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({113}) Edelgard Bulmahn Petra Crone Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Vizepräsidentin Petra Pau Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({114}) Hubertus Heil ({115}) Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({116}) Frank Hofmann ({117}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({118}) Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({119}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({120}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({121}) Marlene Rupprecht ({122}) Axel Schäfer ({123}) Bernd Scheelen Werner Schieder ({124}) Ulla Schmidt ({125}) Silvia Schmidt ({126}) Carsten Schneider ({127}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({128}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({129}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({130}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({131}) Volker Beck ({132}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({133}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth ({134}) Monika Lazar Tobias Lindner Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({135}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({136}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Till Seiler Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({137}) Manfred Behrens ({138}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({139}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({140}) Dirk Fischer ({141}) Axel E. Fischer ({142}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({143}) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Vizepräsidentin Petra Pau Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({144}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({145}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({146}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({147}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({148}) Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({149}) Anita Schäfer ({150}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({151}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({152}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Armin Schuster ({153}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({154}) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({155}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({156}) Peter Weiß ({157}) Sabine Weiss ({158}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Johannes Kahrs FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({159}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({160}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({161}) Michael Link ({162}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({163}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({164}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({165}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({166}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({167}) Enthalten CDU/CSU Frank Heinrich SPD Marco Bülow Vizepräsidentin Petra Pau Wir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Gabriele Molitor für die FDP-Fraktion. ({168})

Gabriele Molitor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004112, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Silvia Schmidt, ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie diese Debatte zu unserem Antrag dazu benutzen, eine Vielzahl an Vorwürfen gegen uns zu schmettern, um dann gleichzeitig zu sagen, das SGB IX sei ein gelungenes Gesetz, das jetzt seinen zehnten Geburtstag feiert. Dieses Gesetz krankt daran, dass ganz viele Dinge nicht umgesetzt werden. Es gibt viele Umsetzungsprobleme, um die wir uns zu kümmern haben. Der gesetzliche Rahmen ist häufig sehr gut, aber die Durchführung ist das eigentliche Problem, wenn es darum geht, Teilhabe von Menschen mit Behinderungen umzusetzen. Die Grundlage dessen, was wir hier heute debattieren, ist die UN-Behindertenrechtskonvention, die ja im Kern etwas völlig Selbstverständliches festhält, nämlich dass Menschen mit Behinderungen Menschenrechte haben. Das ist keinesfalls überall in der Welt eine Selbstverständlichkeit. Bei uns hat die UN-Behindertenrechtskonvention ein Umdenken eingeleitet, für das der Begriff Inklusion steht. Inklusion meint eben die umfassende und uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Grundlegend ist dabei die Auffassung, dass ein Mensch eben nicht behindert ist, sondern dass er behindert wird, und nicht der behinderte Mensch hat sich auf die Bedingungen der Gesellschaft einzustellen, sondern die Gesellschaft muss Strukturen schaffen, damit eine umfassende Teilhabe ermöglicht werden kann. ({0}) Für mich als liberale Sozialpolitikerin geht es im Kern darum, Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Die Koalitionsfraktionen haben einen gemeinsamen Antrag gestellt, den ich keinesfalls als überholt betrachte. Denn sonst müssten wir ja konstatieren, alles sei schon wunderbar und wir müssten keine politischen Ziele mehr für die Menschen mit Behinderungen verwirklichen. Die Bundesregierung hat einen Nationalen Aktionsplan vorgelegt, kurz NAP genannt, den wir als Gesamtstrategie verstehen, als Fahrplan für das, was wir künftig angehen wollen. Erlauben Sie mir, ein Thema besonders in das Zentrum der Debatte zu rücken, nämlich das Thema Bildung. Wenn behinderte und nichtbehinderte Kinder miteinander lernen, begreifen sie sehr schnell, dass es normal ist, verschieden zu sein. Deshalb sprechen wir uns in unserem gemeinsamen Antrag auch für den Ausbau der inklusiven Bildung aus. ({1}) Gleichzeitig machen wir aber auch deutlich, dass das Kindeswohl dabei immer die oberste Richtschnur sein muss. In der augenblicklichen Inklusionsdebatte hat es doch den Anschein, als ginge es nur darum, Kinder mit Behinderungen so schnell wie möglich aus der Förderschule herauszunehmen und in die Regelschule zu geben. So einfach funktioniert das eben nicht, weil auch die Ressourcenfrage diskutiert werden muss. Lehrer müssen entsprechend ausgebildet sein. Schulgebäude müssen barrierefrei sein. Es muss eine vernetzte Zusammenarbeit zwischen Heilpädagogen, Sonderpädagogen und anderen Fachleuchten stattfinden. Wir brauchen nicht über inklusive Bildung zu reden, wenn wir nicht auch zu Bildungsinvestitionen bereit sind. Es ist geradezu bezeichnend, dass hier in Berlin das Inklusionskonzept „Inklusive Schule“ des SPD-Bildungssenators Zöllner von den eigenen Fachpolitikern der rot-roten Regierungskoalition abgelehnt wurde. Wenn Inklusion nichts kosten darf, wird auf dem Rücken der Kinder gespart. In Berlin heißt das: Die Zahl der Förderstunden für behinderte Kinder werden gekürzt, Mittel gedeckelt und Integrationshelferstunden nicht bewilligt. Das entspricht weder formal noch fachlich den völkerrechtlichen Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention. ({2}) Besondere Bedeutung kommt - das ist schon angeklungen - der Teilhabe am Arbeitsleben zu. Durch Arbeit bestreiten wir unseren Lebensunterhalt. Arbeit gibt das Gefühl, gebraucht zu werden. Wir müssen darüber diskutieren, wie der Zugang von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt verbessert werden kann. Dabei haben die Werkstätten durchaus ihre Berechtigung. Es muss aber auch darum gehen, neue Wege in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hier kann das eine oder andere noch verbessert werden. Das sollte die Bundesregierung in Angriff nehmen. Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass unsere Gesellschaft älter wird. Von Jahr zu Jahr sind mehr Menschen auf Unterstützung angewiesen. Es muss darum gehen, auch älteren Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben und den Verbleib in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen sowie für sie Wohnmöglichkeiten bereitzuhalten, damit ein Älterwerden in Würde möglich ist. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist kein Menschenrechtsvertrag ausschließlich für behinderte Menschen. Sie ist nur so gut, wie sie von der Gesellschaft mitgetragen wird. Sie zielt nämlich auf Veränderungen in der gesamten Gesellschaft ab. Die Vision der Konvention beschreibt eine Gesellschaft, in der wir alle unabhängig von unseren individuellen Merkmalen anerkannt und akzeptiert sind. Sie bleibt aber nur ein Dokument, wenn sie nicht auch Konsequenzen für unser aller Handeln hat. Der Gesetzgeber und die Politik können nur einen Rahmen geben. Die Menschen müssen das Bild malen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, dass die Kollegen bislang eine tolle Generaldebatte über die Behindertenpolitik führen. Aber ich will zum Tagesordnungspunkt zurückkehren. Es liegen drei Anträge vor, über die wir heute zu entscheiden haben. Die Koalition verlangt in ihrem Antrag, einen Nationalen Aktionsplan vorzulegen. Die Linke verlangt in ihren beiden Anträgen, einerseits den Kostenvorbehalt in § 13 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zu streichen ({0}) und andererseits die Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu unterstützen. Ich will Ihnen die Begründung vortragen, warum die Union die Anträge der Linken ablehnt. Ich zitiere aus der Beschlussempfehlung des Ausschusses: Die Fraktion der CDU/CSU lehnte die Anträge als überholt ab. Wahrscheinlich ist mir das entgangen, liebe Frau Kollegin Michalk; wenn diese aber überholt wären, dann wundere ich mich, dass noch immer Menschen gegen ihren Willen in Heimen leben müssen. ({1}) Leider ist es mir auch entgangen, dass Sie in Brüssel wie verrückt dafür kämpfen, dass endlich die Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010 bis 2020 umgesetzt bzw. erst einmal beschlossen wird. Weiter heißt es in Ihrer Begründung der Ablehnung: Die Streichung des Kostenvorbehalts in § 13 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch werde sich eventuell durch andere Maßnahmen erledigen. Das finde ich richtig spannend. Wenn das wirklich so ist, dann ist es mir entgangen, dass Sie heimlich daran arbeiten, den Kostenvorbehalt zu streichen. Machen Sie bitte heimlich weiter, aber irgendwann muss es einmal werden. Sie haben es angekündigt, aber es hat noch niemand etwas davon gemerkt. ({2}) Es geht weiter: Insgesamt müsse man - damit lassen Sie die Katze aus dem Sack auch bei der Behindertenpolitik berücksichtigen, dass Steuergelder nur begrenzt verfügbar seien. Das ist eine Binsenweisheit. Wichtig sei auch, keine unerfüllbaren Versprechungen zu geben. Was soll denn das? ({3}) Gerade haben Sie eine Eloge auf die Menschenrechtsdimension der Behindertenrechtskonvention gesungen. Gerade haben Sie erzählt, dass es um Menschenrechte geht, die angeblich unteilbar sind und auf der ganzen Welt gleichermaßen Geltung haben, selbstverständlich für Menschen mit und für solche ohne Behinderungen. Welches unerfüllbare Versprechen wecken Sie denn für Menschen mit Behinderungen, wenn es darum geht, dass sie voll am Leben teilhaben dürfen? Dann heißt es weiter: Man müsse realistisch bleiben. Der Satz stimmt auch immer. Daher würden die beiden Anträge abgelehnt. Das haben Sie im Ausschuss zu Protokoll gegeben. Mit solchen fadenscheinigen Begründungen lehnen Sie unsere guten Anträge ab. Nun wollen wir zu Ihrem Antrag kommen. Er wurde im März anstelle des von der Regierung angekündigten Aktionsplans ins Parlament eingebracht. Das Positive daran ist, dass wir wenigstens eine Debatte über Behindertenpolitik führen konnten. Die Regierung hat es nicht einmal zustande gebracht, einen entsprechenden Antrag einzubringen. Also: ein Lob dafür, aber nur dafür. Das Ziel Ihres Antrags bestand darin, der Bundesregierung Hinweise zu geben, was im Aktionsplan eigentlich stehen müsste und was sie besonders berücksichtigen sollte. Wenn Sie das über das Parlament machen, ist das Ihre Sache. Okay. Am 15. Juni wiederum hat die Bundesregierung ihren Aktionsplan beschlossen. Dass dieser auf einhellige Kritik aller in der Behindertenbewegung Aktiven stieß, ist hinlänglich bekannt. Sie haben gerade versucht, das zurückzuweisen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass dem so ist. Warum erklärt dann die Koalition, also Sie, ihren eigenen Antrag nicht für erledigt? Denn die Regierung hat doch ihren Nationalen Aktionsplan vorgelegt, was Sie jetzt mit Ihrem Antrag verlangen. Sie erklären ihn nicht für erledigt. Dafür gibt es nur eine mögliche Erklärung. ({4}) Es könnte sein, dass die Bundesregierung in dem Aktionsplan, den sie vorgelegt hat, nicht einmal ausreichend ihre eigenen Forderungen berücksichtigt hat. Wenn dem so wäre, würde die Koalition weiter gehen als die Regierung - komischerweise macht sie es nicht -, und dann könnte man dem Antrag zustimmen. Da dem aber nicht so ist und Ihr Antrag genauso schlecht wie der Nationale Aktionsplan der Regierung ist, tut es mir leid, dass wir Ihren Antrag ablehnen müssen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Markus Kurth das Wort.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir hängt immer noch die gestrige Debatte zur Präimplantationsdiagnostik nach, und mir klingen noch gut die Beschwörungen der Befürworter einer Freigabe der PID im Ohr, die oft gesagt haben, sie wollten Menschen mit Behinderungen nicht diskriminieren, und auf die Verhältnisse in Skandinavien verwiesen haben, um zu zeigen, dass PID und ein vernünftiger Standard von Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen möglich sind. Eigentlich müssten alle diejenigen, die dies beteuert und mit dem Beispiel Skandinavien argumentiert haben, den Aktionsplan der Bundesregierung auf das Schärfste kritisieren und eine ganz andere Richtung einschlagen. ({0}) Angesichts ihres Auftritts während der gestrigen PIDDebatte fordere ich die Ministerin Ursula von der Leyen, die jetzt nicht hier ist, auf, den Aktionsplan zurückzuziehen und zu überarbeiten. ({1}) Ich will ein Zitat anführen, das mich schon - das muss ich wirklich so sagen - mit Bitterkeit erfüllt hat. Sie sagte über die PID: Ein Totalverbot geht eher von einem unmündigen Menschen aus. Wir - also die PID-Befürworter gehen von einem mündigen Menschen aus. Im Zusammenhang mit der Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung und vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem weitgehend ambitionslosen Aktionsplan ist das schockierend. Der mündige Bürger darf entscheiden, was lebenswertes Leben und was nicht lebenswertes Leben ist. Dem Menschen mit Beeinträchtigungen, dem Menschen mit Behinderung bleibt in vielen Lebensbereichen die Mündigkeit einfach versagt. ({2}) Der Mensch mit Behinderung muss im Heim oder sogar im Pflegeheim bleiben, wenn der Sozialhilfeträger die Kosten einer eigenen Häuslichkeit für unangemessen hält. Er muss sein Einkommen für die Teilhabe an gesellschaftlichem, sozialem und kulturellem Leben einsetzen. Allein die Tatsache, dass er behindert ist, macht ihn sein Leben lang zum Sozialhilfeempfänger. ({3}) Ein Mensch mit Behinderung mit Assistenzbedarf kann keinen Masterabschluss machen, wenn er kein eigenes Geld einsetzen kann, weil die Assistenz nur bis zum ersten berufsbildenden Abschluss gewährt wird. Ein psychisch behinderter Mensch kann gegen seinen Willen in eine Klinik eingewiesen werden. Die Liste der Beispiele von Bevormundungen und Menschenrechtsverstößen ließe sich fortsetzen. ({4}) Wenn die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen Menschen mit Behinderungen als mündige Bürger mit vollen Menschenrechten wirklich anerkennen und die Verwirklichung dieser Menschenrechte vorantreiben wollten, dann müssten sie den Nationalen Aktionsplan völlig neu entwerfen. ({5}) Sie müssten vor allen Dingen damit anfangen, die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft aus dem Fürsorgerecht herauszulösen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Der Menschenrechtsansatz verbietet es, dass Teilhabe und Selbstbestimmung vom Einsatz von Einkommen abhängig gemacht werden. Ich habe manchmal schon den Eindruck: Wir stehen am Scheideweg. Wir müssen uns ernsthaft mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass eine Zeit der Rückschritte bei der Entwicklung von Selbstbestimmung und Teilhabe für Menschen mit Behinderung anbrechen könnte. Nicht nur die gestrige Entscheidung für die PID ist aus meiner Sicht ein Indiz dafür. Auch der Bestand an mühsam erkämpften sozialen Rechten ist ständig in Gefahr. Ein bedrohliches Zeichen waren und sind die Vorschläge der AG „Standards“ der Gemeindefinanzkommission. Würden diese Vorschläge im Zuge der Reform der Eingliederungshilfe umgesetzt werden, dann bedeutete dies ein beispielloses Rollback: die Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts, eine verstärkte Anrechnung des Einkommens der Eltern, die Anrechnung des Arbeitsförderungsgeldes bei Werkstattbeschäftigten, die Anrechnung des Kindergeldes und vieles andere mehr bei gleichzeitiger völliger Abwesenheit von wirksamen Strukturveränderungen. ({6}) Die Bundesregierung treibt die Rechtsentwicklung an dieser Stelle leider nicht voran. Man hat stellenweise den Eindruck, als wüssten Sie überhaupt nicht, worum es geht, beispielsweise wenn Sie davon sprechen, dass Sie Problemen beim persönlichen Budget durch eine verbesserte Informations- und Kommunikationstechnologie begegnen wollen. Als ob das das Problem beim persönli14336 chen Budget wäre! Wenn es nicht so traurig wäre, dann müsste man eigentlich darüber lachen. Ich komme zum Schluss. Wir müssen - ich spreche auch die wackeren Sozialpolitiker der Union an - vom Parlament aus die Rechtsentwicklung vorantreiben. Von der Regierung ist dies jedenfalls nicht zu erwarten. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die Unionsfraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich muss die Opposition in einer solchen Debatte Kritik üben. ({0}) Aber ich finde, dass bei aller kleinkarierten Argumentation der zentrale Aspekt untergeht: Mit der UN-Behindertenkonvention, die der Deutsche Bundestag ratifiziert hat, wird ein grundlegender Wechsel in der Behindertenpolitik vorgenommen. ({1}) Die tragende Idee ist, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte und Chancen wie nicht behinderte Bürgerinnen und Bürger haben. Die Idee der Inklusion - das ist ein furchtbares Wort, aber es steht nun einmal in der Behindertenkonvention - macht Schluss mit dem teilweise paradoxen und aufreibenden Wechselspiel aus Exklusion, also Ausgrenzen, und Integration, Wiederhereinholen. Diesem zentralen Wechsel in der Behindertenpolitik, die künftig besser nicht mehr Behindertenpolitik, sondern Inklusionspolitik genannt werden sollte, dient der Nationale Aktionsplan. ({2}) Der Nationale Aktionsplan ist nicht - das ist vielleicht das Missverständnis, das hier aufgetreten ist - ein abschließendes Dokument, das für ewige Zeiten im Raum steht; vielmehr ist er der Auftakt für eine neue Inklusionspolitik ({3}) für Menschen mit Behinderungen in Deutschland. ({4}) Alle zwei Jahre wird es einen Fortschrittsbericht geben. Zum ersten Mal nehmen wir auf diesem wichtigen Politikfeld für Menschen mit Behinderungen eine systematische Planung vor. Alle zwei Jahre wird überprüft: Welche Schritte haben wir unternommen, um dem neuen Ziel der Inklusion wirklich gerecht zu werden? Das halte ich für einen großen Fortschritt, für ein großes Vorhaben, auf das wir unsere gesamte Kraft konzentrieren sollten. ({5}) Natürlich wird das auch Folgen für die Gesetzgebung haben. Da der Kollege Kurth und die Frau Kollegin Schmidt hier die sogenannte Eingliederungshilfe ansprechen, möchte ich höflicherweise daran erinnern, dass Ihre beiden Fraktionen damals - das will ich durchaus als Verdienst anerkennen - das Sozialgesetzbuch IX geschaffen haben, in dem die Leistungen für Menschen mit Behinderungen zusammengefasst sind. Doch dieses Gesetz konnten Sie nur auf den Weg bringen, weil Sie einen entscheidenden Punkt ausgeklammert haben, nämlich die Reform der Eingliederungshilfe. Anders hätten Sie in der damaligen rot-grünen Koalition keine Mehrheit dafür bekommen. Deshalb sollten Sie das heute nicht lauthals beklagen. ({6}) Sie haben damals die Chance gehabt, doch Sie haben es ausgeklammert, und deswegen ist es leider bis zum heutigen Tag eine unerledigte Aufgabe. ({7}) Nun gab es eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern, die sich der Reform der Eingliederungshilfe gewidmet und Vorschläge erarbeitet hat. Ich möchte hier noch einmal unterstreichen, dass ich wirklich wünsche, dass das politische Vorhaben weiter verfolgt und umgesetzt wird. Natürlich wird ein Knackpunkt die Finanzfrage sein: Wer bezahlt? Wer stellt die Mittel zur Verfügung? ({8}) Nachdem der Bund beschlossen hat, Städte und Gemeinden in Deutschland mit der Übernahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung finanziell nachhaltig zu entlasten, erwarte ich jetzt von den Bundesländern und den Kommunen einen Vorschlag, wie sie die Finanzierung einer Reform der Eingliederungshilfe bewerkstelligen wollen. Es kann nicht immer nur nach dem Bund gerufen werden. Nachdem wir in einem großen Sozialgesetzbuch die Entlastung vorgenommen haben, sollten uns jetzt bei der Finanzierung der Eingliederungshilfe die Länder und Gemeinden einen Vorschlag machen, wie das künftig aussehen könnte. Auf diesen Vorschlag warte ich - auch auf den von sozialdemokratischen und grünen Sozialministern und Sozialdezernenten in Deutschland. ({9}) Peter Weiß ({10}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, die entscheidenden Punkte der Zukunft werden sein: erstens Inklusion im Bildungswesen. Nur 20,1 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die Behinderungen und Förderbedarf haben, gehen in eine Regelschule. Da sind Länder und Gemeinden gefordert. Das Zweite ist Inklusion auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben mit der Reform 2008 die notwendigen Regelungen für Außenarbeitsplätze und Außenarbeitsgruppen von Werkstätten für Behinderte geschaffen. Das ist bereits angelaufen, wirkt aber noch viel zu schwach. Ich bin der Auffassung: Wir müssen die Trennung zwischen Werkstatt und sogenannter normaler Arbeitswelt für Menschen mit Behinderungen in den nächsten Jahren auflösen. Das muss eines der großen Ziele der Inklusionsarbeit in Deutschland sein. Ich fordere Sie auf - sowohl Regierung als auch Opposition -, diese großartige Aufgabe miteinander in Angriff zu nehmen. Wir können uns über Details streiten, dürfen aber das große Ziel der Inklusion nicht aus dem Auge verlieren. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Für eine umfassende Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - Nationaler Aktionsplan als Leitlinie“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6155, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/4862 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/6154. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4911 mit dem Titel „Kostenvorbehalt in § 13 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch streichen - Selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen gewährleisten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 49 b. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5043 mit dem Titel „Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020 unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 52 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Marieluise Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ressortübergreifende Friedens- und Sicherheitsstrategie entwickeln - Drucksache 17/6351 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen ist in Deutschland sehr viel über die Friedens- und Sicherheitspolitik diskutiert worden. Wir, die wir auf diesem Gebiet arbeiten, haben viele Menschen treffen dürfen, mit denen wir über dieses Thema diskutieren konnten. Dabei zeigten sich in den Gesprächen einige Grundkonstanten. Überall ist die Frage nach einer klaren Strategie der Bundesregierung zu hören. Immer wieder ist zu hören, dass die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts nicht funktioniert. Das hört man in Deutschland, das hört man aber auch in Einsatzländern der Bundeswehr. ({0}) Auch international tätige Zivile können keine ressortübergreifende Arbeit erkennen - weil sie nicht stattfindet. Hier gibt es großen Handlungsbedarf. Gehandelt wird allerdings nicht. Wir haben diesen Antrag gestellt, weil wir anhand von wenigen Beispielen klar erkannt haben, woran es hapert: Beispiel Bundeswehrreform. Es gibt Verteidigungspolitische Richtlinien. Diese Richtlinien werden aber erst dann formuliert, wenn bereits viele Entscheidungen - beispielsweise über die Gesamtgröße der Bundeswehr oder über die Abschaffung der Wehrpflicht - gefallen sind. Das macht so keinen Sinn. ({1}) Erst wird die Struktur geschaffen, und dann stellt man die Warum-Frage. Alles wird auf den Kopf gestellt. Es ist aber auch ein Auf-den-Kopf-Stellen, wenn der neue Minister der Verteidigung für eine Bundeswehrreform, die längst angeschoben ist, sicherheitspolitische Ableitungen nachliefern will. Dabei vollzieht er mit dem Erlass der Verteidigungspolitischen Richtlinien lediglich einen Verwaltungsakt. Um mehr als einen Verwaltungsakt handelt es sich nicht. Es hat jedenfalls keine ressortübergreifende Abstimmung darüber gegeben, was Deutschland im Bereich der Friedens- und Sicherheitspolitik will. Vor allem steht die Vorgehensweise des Verteidigungsministeriums immer wieder in eklatantem Widerspruch zu dem, was andere Häuser sagen. Mit einer Strategiefähigkeit in den Bereichen Friedens- und Sicherheitspolitik hat das überhaupt nichts zu tun. ({2}) Ein weiteres Beispiel, auch im Hinblick auf die Verteidigungspolitischen Richtlinien, ist die gesamte Frage der deutschen Rohstoff- und Energieinteressen. Was wollen wir da? Was ist denn eigentlich das Interesse der Bundesrepublik? Ist es tatsächlich so, wie es von Ihrer Seite immer wieder behauptet wird, dass Interessen in der Wirtschaftspolitik ausreichender Grund für ein militärisches Engagement sind? Oder muss man in diesem Zusammenhang etwa über Stabilität reden? Natürlich würde Stabilität - ich rede von wahrer Stabilität, nicht von Friedensruhe oder Friedhofsruhe, wie wir sie derzeit in Bahrain erleben - der deutschen Wirtschaft helfen. Das durchzubuchstabieren, bedeutet aber, dass man nicht nur im Verteidigungsministerium darüber diskutiert, sondern sich alle betroffenen Häuser der Bundesregierung daran beteiligen sollten; die Federführung müsste dabei natürlich beim Auswärtigen Amt liegen. ({3}) Das Auswärtige Amt muss jetzt aber zuschauen, wie das BMVg die Richtlinien einfach laufend fortschreibt. Auch die Frage der nuklearen Teilhabe lässt man einfach weiterlaufen. Wir lesen immer wieder, dass die nukleare Teilhabe integraler Bestandteil der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, der Abschreckung, ist. Das hat mit dem, was der Außenminister erzählt, und dem, was im Koalitionsvertrag steht, sowie mit dem Ziel, das die FDP im Wahlkampf immer proklamiert hat, nämlich dem Abzug der Atomraketen aus Deutschland, überhaupt nichts mehr zu tun. Das Problem ist: Hier weiß eine Hand nicht, was die andere tut. ({4}) Ich komme zum Beispiel der zivilen Krisenprävention; ich mache es kurz, weil nicht mehr viel Zeit bleibt. Hier fehlt tatsächlich echtes Engagement; hier fehlt der politische Wille. Weil das so ist und weil andere Länder es besser machen, ist unsere Forderung, dass Diskussionen angestoßen werden: natürlich eine ressortübergreifende Diskussion in der Bundesregierung - selbst die findet nicht statt -, aber auch eine öffentliche Debatte. Viele unserer Bündnispartner in der NATO und der EU zeigen, wie es geht: In der Schweiz, Großbritannien und Frankreich gab und gibt es immer wieder Foren, öffentliche Anhörungen und eine systematische Einbindung der Zivilgesellschaft, damit solche Diskussionen stattfinden. Das Notwendigste, was wir in der Friedens- und Sicherheitspolitik in diesem Land brauchen, sind Diskussionen und Transparenz. Man hat vorhin gesehen, dass Sie mit Transparenz ein größeres Problem haben; das ist extrem bedauerlich. Ihre Strategie des Schweigens ersetzt nicht die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts, erst recht nicht eine öffentliche, breite Debatte darüber, welche Entwicklung die Sicherheitspolitik dieses Landes nehmen sollte, und die Entscheidung darüber, welche Rolle die Bundesrepublik Deutschland in der Friedenspolitik der Welt spielen soll. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jürgen Hardt für die Unionsfraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Nouripour, selbstverständlich ist es wichtig und richtig, immer wieder über die Ziele deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik in der Welt zu diskutieren. Ich glaube aber im Gegensatz zu Ihnen, dass wir das in Deutschland bereits intensiv tun, nicht nur hier in diesem Hause. Wir debattieren jeweils ausführlich über die Mandate für die Auslandseinsätze der Bundeswehr, pro Auslandseinsatz zweimal innerhalb von zwölf Monaten. Ich finde, wir diskutieren in dieser Legislaturperiode mehr als zuvor über die Ziele der Außen- und Sicherheitspolitik. Was die öffentliche Diskussion über die Aufgaben, die Rolle, die Ziele und die Erfolge der Bundeswehr in den Auslandseinsätzen angeht, glaube ich, dass wir in den letzten anderthalb Jahren ebenfalls einen mächtigen Schritt nach vorne gemacht haben. Ihr Vorwurf, es gebe in Deutschland keine ausreichende Diskussion, ist daher nicht zulässig. Es mag sein, dass die Diskussionen nicht in allen Punkten Ihren Vorstellungen entsprechen. Die Grünen haben früher einmal geglaubt, man könne den Weltfrieden dadurch herbeireden, dass man all das bei einem Gläschen Erdbeertee ausdiskutiert; ({0}) heute macht man das vielleicht bei einem Gläschen Prosecco. ({1}) Es war immerhin ein grüner Außenminister, der den Schritt, mit Soldaten nach Afghanistan zu gehen, eingeleitet hat. Sie sollten nicht hinter das zurückfallen, was wir in der Vergangenheit schon erreicht haben. Sie sollten auch nicht Ihre eigenen Beiträge zur Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre kleinreden; ich glaube, es ist ein großes Verdienst, dass die demokratischen Kräfte in diesem Haus über die Fraktionsgrenzen hinaus bei vielen Fragen einen Konsens oder zumindest eine weitgehende Übereinstimmung haben. Zur Strategie der deutschen Friedens- und Sicherheitspolitik. Die Strategie ist im Weißbuch von 2006 mit dem Konzept der vernetzten Sicherheit festgelegt. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien bauen darauf auf. Das Weißbuch von 2006 löste das Weißbuch von 1994 ab. Ich glaube, in der Verantwortung von Rot-Grün hat es ein solches strategisches Konzept für die Außen- und Sicherheitspolitik nicht gegeben. Das müssten Sie aber selbst erklären. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Sicherheitsstrategie für Deutschland in ihrem Beschluss von 2008 in einem zugegebenermaßen sehr langen, aber zutreffenden Satz beschrieben. Ich möchte aus dem Beschluss der Fraktion zitieren: Außerdem erfordert die Bewältigung dieser Herausforderungen eine Sicherheitsstrategie, die auf einem umfassenden Ansatz beruht und die neben den klassischen Feldern der Außen-, Europa-, Verteidigungs-, Menschenrechts- und Entwicklungspolitik auch die Innen-, Wirtschafts- und Energie-, Umwelt-, Finanz-, Forschungs- und Bildungspolitik erfasst und zu einem breiten Instrumentarium vernetzt, das im Zusammenwirken mit anderen Staaten, nichtstaatlichen Akteuren und Organisationen wie den Vereinten Nationen, der NATO und Europäischen Union eingesetzt wird. Ziel ist es, präventiv Sicherheitsrisiken zu minimieren und dort schnell und effektiv eingreifen zu können, wo sich für unsere Sicherheit relevante Krisen konflikthaft zuspitzen. Ich finde, das ist eine schöne Beschreibung der deutschen Außen- und Sicherheitsstrategie, der man auch als Grüner morgens, unter der Dusche, wenn keine Presse dabei ist, zustimmen könnte. ({2}) Die Verteidigungspolitischen Richtlinien unter der Überschrift „Nationale Interessen wahren - Internationale Verantwortung übernehmen - Sicherheit gemeinsam gestalten“ bauen auf dem Konzept der vernetzten Sicherheit auf. In den großen Bündnissen wirken wir global daran mit: Das sind zum Ersten die Vereinten Nationen. Ich finde es gut, dass wir uns im Deutschen Bundestag darüber einig sind, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich ein Mandat der Vereinten Nationen voraussetzen. Zum Zweiten haben wir die NATO. Die NATO ist, wie ich finde, das einzige wirkmächtige Verteidigungsbündnis der Welt. Ich glaube, dass wir als Deutsche in Sachen NATO-Solidarität und NATO-Treue aufgrund unserer Vergangenheit so etwas wie Staatsräson walten lassen. Ich finde, die NATO ist ein schönes Beispiel dafür, dass nicht immer weniger Waffen Frieden schaffen, sondern es durchaus auch umgekehrt sein kann. Diejenigen, die 1983 im Hofgarten in Bonn gegen die NATONachrüstung demonstriert haben - das hat meine Frau im Übrigen auch getan -, haben nicht recht behalten. Das hat eher zu einer Stabilisierung in Europa geführt. ({3}) Die deutsche Außenpolitik lässt sich weiterhin dadurch leiten, dass sie der Vermeidung von Konflikten stets Vorrang vor der Anwendung völkerrechtlich legitimierter Gewalt einräumt. Natürlich ist es besser, Konflikte im Keim zu ersticken, anstatt hinterher Soldaten schicken zu müssen. Dafür haben wir nationale Strukturen: den Bundestagsunterausschuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“, den Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“ der Bundesregierung, den Beirat „Zivile Krisenprävention“ und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Doch dort, wo die Aggression offen ausbricht, sei es in den Trainingslagern von alQaida in Afghanistan oder bei Überfällen auf friedliche Handelsschiffe am Horn von Afrika, wird Deutschland gemeinsam mit seinen Bündnispartnern konsequent handeln. Es ist auch ein konstruierter Widerspruch zwischen der Konsequenz, dort militärische Stärke zu zeigen, wo immer das notwendig ist, und der Bereitschaft, diplomatische und zivile Methoden der Krisenbewältigung zu nutzen. Beides kann Hand in Hand gehen. So ist das auch bei dem deutschen Konzept der vernetzten Sicherheit. Wer zum Beispiel in Afghanistan eine Stromleitung legt, einen Brunnen baut oder eine Mädchenschule einrichtet und unterhält, fährt gut damit, sich auf die Unterstützung notfalls auch bewaffneter deutscher Polizisten und Soldaten im Einsatzgebiet zu verlassen. Wer diese Zusammenarbeit mit Uniformierten prinzipiell verweigert, der muss sich fragen lassen, ob er seinem eigenen Anliegen vielleicht aus falsch verstandenem Antimilitarismus heraus einen schlechten Dienst erweist. ({4}) Es ist leider das Wesen von Gewalt, dass sie in der Lage ist, binnen Sekunden das zu zerstören, was friedliebende Hände in Monaten oder gar Jahren aufgebaut haben. Deswegen ist es richtig, dass wir bereit sind, notfalls Gewalt gegen diejenigen anzuwenden, die die Werke des Friedens zerstören wollen. ({5}) Das, was wir gegenwärtig tun, müssen wir in Zukunft möglicherweise verstärkt tun: global handeln im Interesse von Frieden und Menschenrechten. Die Ursache dafür liegt in der potenziellen Zunahme der Zahl von Konflikten in dieser Welt. Allein durch die Zunahme der Weltbevölkerung entstehen Verteilungskämpfe. Die Kämpfe um den Zugang zu sauberem Wasser, zu Lebensmitteln, zu Energie und Rohstoffen werden im Zweifel zunehmen. Deswegen ist es notwendig, dass Deutschland weiterhin einen energischen Beitrag leistet, und zwar sowohl im zivilen Bereich als auch in der Bereitschaft, militärisch Stärke zu zeigen. Evaluierung - ich habe schon darauf hingewiesen ist eine der Forderungen im Antrag der Grünen. Evaluierung findet meines Erachtens in erheblichem Umfang statt. Ich habe darauf verwiesen, dass der Deutsche Bundestag sehr oft in Ausschüssen und hier im Plenum über die Auslandseinsätze diskutiert. Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung für das größte und schwierigste Einsatzgebiet, Afghanistan, zum Ende des letzten Jahres einen Fortschrittsbericht vorgelegt hat. Die Verteidigungs- und Außenpolitiker hatten in diesen Tagen den Zwischenbericht zum Fortschrittsbericht mit Datum 1. Juli 2011 im Postfach. Darin ist angekündigt, dass es zum Jahresende einen weiteren Fortschrittsbericht geben wird. Wenn man die Presse im Zusammenhang mit der Diskussion über den Fortschrittsbericht Ende letzten Jahres zur Kenntnis genommen hat, so kann man sich dem Urteil anschließen, dass dies ein sehr ausgewogener, selbstkritischer und realistischer Fortschrittsbericht ist. Ich glaube, das ist die richtige Methode, mit diesem Einsatz umzugehen. ({6}) Lassen Sie uns gemeinsam auf diesem Weg fortfahren. Lassen Sie uns nicht Widersprüche konstruieren, wo keine sind. Wir sind uns einig, dass zivile Krisenprävention und Konfliktbeilegung Vorrang haben vor militärischen Mitteln. Aber man muss - auch im Interesse der Wirksamkeit ziviler Methoden - bereit sein, beides zu tun. Ich glaube, dass wir mit dieser Debatte einen Beitrag leisten können. Ich bedanke mich. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper für die SPD-Fraktion. ({0})

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir in Deutschland zum Thema Friedens- und Sicherheitsstrategie nicht zu viele Debatten, sondern eher zu wenige Debatten führen. ({0}) Ich glaube auch, dass man die Debatten über bestimmte Mandate nicht mit Debatten über Grundsätze von Friedens- und Sicherheitsstrategien verwechseln darf. Unsere Debatten beziehen sich häufig fast ausschließlich auf die verschiedenen Mandate. Wir müssen dabei feststellen, dass wir - jedenfalls ist das unsere bzw. meine Auffassung - wesentliche Defizite bezüglich bestimmter grundsätzlicher Ausrichtungen von Friedens- und Sicherheitsstrategien haben. Ich sage unumwunden: Ich finde es gut und richtig, dass vonseiten der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen mit diesem Antrag zumindest der Versuch unternommen wird, diese Grundsatzdebatte anzustoßen. Denn es ist wichtig, zu fragen: Wie sieht Deutschland, wie sehen wir unsere Rolle im Bündnis der NATO, in Europa und in der Welt? Diese Frage müssen wir uns immer wieder stellen; denn man steigt nie in denselben Fluss. Wird die Rolle, die wir in diesen Fragen einnehmen, den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht? Ich darf sachlich feststellen, dass es in der Tat bei der schwarz-gelb geführten Bundesregierung in diesen sicherheits- und friedensstrategischen Debatten eine gewisse Planlosigkeit gibt. Ich denke, das ist an einigen Punkten sehr deutlich nachweisbar. Der Antrag zielt auf die Frage, inwieweit es vonseiten der Bundesregierung eine ressortübergreifende Sicherheitsstrategie, eine Friedensstrategie gibt. Das ist ganz wichtig. Es darf kein nur in einzelnen Ressorts denkendes Bewusstsein geben. Wir sehen an der einen oder anderen Stelle, dass die Kommunikation beispielsweise hinsichtlich der Einbindung der Zivilgesellschaft zwischen den Ressorts nicht besonders ausgeprägt ist. ({1}) Das lässt sich am Beispiel des Einsatzes in Afghanistan sehr gut nachweisen. Ich finde, auf diese Fragen sollte man nicht polemisch antworten. Man sollte sich vielmehr fragen: Wo gibt es Defizite, und wie kann man sie abbauen? Ich finde, dass es im Hinblick auf die Abstimmung auf europäischer Ebene ein ganz großes Defizit gibt, was die Ausrichtung der Außenpolitik und der Sicherheitspolitik anbelangt. Das kann man konkret an der Neuausrichtung der Bundeswehr deutlich machen. Der Ausgangspunkt war eigentlich eine Haushaltsnummer; es sollten 8,3 Milliarden Euro eingespart werden. Nur, eine Haushaltsnummer ist das falsche Motiv und der falsche Ausgangspunkt für eine Neuausrichtung der Bundeswehr. ({2}) Wer das nicht so sieht, hat, wie ich denke, keine Kenntnis vom Ablauf der Dinge. Es geht im Wesentlichen um die Frage: Welches Fähigkeitsprofil ist notwendig, um eine Gesamtstrategie für eine zukunftsweisende Friedens- und Sicherheitspolitik, auch mit Blick auf die europäische Ebene, zu entwickeln? Eine solche Neuausrichtung darf nicht ohne unsere europäischen Nachbarn, sondern nur mit unseren europäischen Nachbarn vorgenommen werden. Nur dann wird es möglich sein, eine vernünftige und wirksame Gesamtstrategie zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit zu erarbeiten. Ich denke, dieses BewusstFritz Rudolf Körper sein ist notwendig, damit sich hier ein Erfolg einstellt. Ich kann nur an Sie appellieren, solche Ansätze zu verfolgen. Man muss eine Konzeption - so formuliere ich es einmal - verfolgen, die sich vom Kästchendenken der verschiedenen Ressorts verabschiedet. Bei dieser Konzeption dürfen nicht mehr einzig und allein nationale Kriterien eine Rolle spielen. Wir haben nur dann die Chance, eine vernünftige Friedens- und Sicherheitsstrategie hinzubekommen, wenn wir unsere Partner und das Bündnis insgesamt einbeziehen. Ich denke, es ist wichtig, dies in Erinnerung zu rufen. Der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ vom Mai 2004 ist schon angesprochen worden. Eigentlich war dies ein sehr vernünftiger und guter - damals sogar ein einmaliger - Schritt. Allerdings - das füge ich unumwunden hinzu - hat die Wissenschaft diesen Aktionsplan sehr stark kritisiert. Es hieß, dass die Chancen auf Umsetzung bzw. auf Vollzug in naher Zukunft nicht gut stehen. Ich sage auch an dieser Stelle unumwunden: Es war gut gemeint, aber, was die Wirkung angeht, nicht ganz einfach. Ich finde, dass ein solcher Versuch, was die zivile Krisenprävention anbelangt, sehr lohnenswert ist. Solche Ansätze sollte man viel stärker in die Strategie einfließen lassen und in der Debatte berücksichtigen. Wir dürfen diese Diskussion nicht auf militärische Maßnahmen und militärische Aktionen verengen; das wäre falsch. Letztendlich müssen wir versuchen, kriegerische und militärische Auseinandersetzungen durch Krisenprävention zu vermeiden. Das ist die wichtigste Messlatte; das ist das Ziel einer vernünftigen und guten Friedens- und Sicherheitsstrategie. Eines kommt hinzu: Es ist notwendig, dass wir eine solche Debatte im Deutschen Bundestag führen. Ich finde, hier gehört sie hin. Wir haben ja in den zurückliegenden Tagen gesehen, dass wir diesbezüglich eher einen Mangel haben. Wir sollten diesen Antrag als Anregung nehmen, diese Debatte hier zielgerichtet zu führen. Das würde unserem Land und auch dieser Bundesregierung ganz gut anstehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Joachim Spatz das Wort. ({0})

Joachim Spatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich tut es immer gut, wenn man über friedens- und sicherheitspolitische Strategien spricht. Den Auftakt dafür hat das Bundesverteidigungsministerium mit seinen Eckpunkten für die Verteidigungspolitischen Richtlinien gemacht. Der vorliegende Antrag ist dafür schlichtweg untauglich. In dem Antrag, der heute zur Debatte steht, wird gefordert, dass ressortübergreifend gedacht wird. Das ist schon der Fall, und das wird weiter intensiviert. ({0}) Wer in einer Verwaltung tätig ist oder war, der weiß, dass so etwas eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Außerdem wird eine öffentliche Debatte gefordert. Es sollen öffentliche Anhörungen organisiert werden. Es soll eine Webplattform eingerichtet werden, um die Öffentlichkeit und die NGOs einzubeziehen. Wer auf diesem Gebiet arbeitet und gelegentlich an Podiumsdiskussionen bei NGOs und anderen Akteuren in diesem Bereich teilnimmt, der kann eigentlich nicht feststellen, dass es ein Zuwenig an Möglichkeiten gibt, darüber zu debattieren. Vielleicht gibt es ein Zuwenig an Interesse; schauen Sie sich um, dann werden Sie das auch hier bestätigt finden. Ein Zuwenig an Möglichkeiten ist aber schlichtweg nicht festzustellen. Der Antrag ist vor allem enttäuschend, wenn man die Debatte in unserem Unterausschuss „Zivile Krisenprävention“ verfolgt hat. Sie erschöpfen sich in weiten Teilen in Polemik. So heißt es erstens, die Bundeswehrreform sei gewissermaßen ohne Konzept vonstattengegangen, und wiederholt wird die falsche Behauptung angeführt, sie sei ausschließlich unter finanziellen Gesichtspunkten erfolgt. Das ist verkehrt. Jeder weiß, dass wir uns beim Umbau der Bundeswehr zuvorderst dem Umbau von einer Verteidigungsarmee mit einem früher geltenden Bedrohungsszenario hin zu einer Friedensarmee in Out-ofArea-Einsätzen widmen müssen. Das ist der Grund für den Umbau, und es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, dass das gewissermaßen planlos vonstattengeht, wie in diesem Antrag vorgeworfen wird. Das ist nicht der Fall. Der zweite Punkt ist die Kohärenz im Sinne der Zusammenarbeit der einzelnen Ressorts. Diese Diskussion ist vor allem durch die Erfahrungen der Amerikaner geprägt. Ich habe im State Department darüber Gespräche geführt. Dort sagt man: Das ist alles schön und gut; das probieren auch wir. Aber viel wichtiger ist die Kohärenz beim Einsatz vor Ort. Wer die neue UNO-Resolution für Südsudan genau gelesen hat, der weiß, dass sie vorsieht, dass der Special Representative dort alle UN-Einheiten und alle anderen Akteure, die vor Ort aktiv sind, zu koordinieren hat. Auch unter Einflussnahme unserer deutschen Vertreter im UN-Sicherheitsrat ist dieses Erfolgsmodell, das es in Sierra Leone gibt und das eigentlich aus dem Peacebuilding und nicht aus dem Peacekeeping kommt, hier übernommen worden. Das ist ein wirklich konkreter Schritt hin zu mehr Kohärenz. Ich führe auch gerne Debatten über Prinzipien, aber das Leben ist eben furchtbar konkret. Deshalb geht es darum - vielleicht sogar vorrangig -, in konkreten Einsätzen diese Kohärenz zu erzeugen. Ich hoffe, Südsudan ist hierfür ein erfolgreiches Beispiel. ({1}) Ich komme zu einem weiteren Widerspruch. Es kann doch nicht sein, dass wir auf der einen Seite betonen - Kollege Körper, hier gebe ich Ihnen völlig recht -, wir könnten nicht nur nationale Sicherheitsinteressen verfolgen, weil wir in die NATO eingebunden sind, während gleichzeitig kritisiert wird, wie es mein Vorredner von den Grünen getan hat, dass die Atomwaffen nicht abgezogen werden. Wir täten das gerne, aber gerade weil wir in diese Partnerschaft eingebunden sind, können und wollen wir das nicht alleine tun. Man muss sich schon entscheiden, was man möchte. Wir sehen das genauso wie Sie, Herr Kollege Körper: Wir sind in Sicherheitsarchitekturen eingebunden - in diesem Fall in die NATO und auch in die Europäische Union - und bekennen uns deshalb dazu, dass wir keine einseitigen Schritte unternehmen. Als weiterer Punkt wurde angeführt, es gäbe keine Evaluation. Dazu kann ich nur sagen: Wer so etwas schreibt, muss den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Afghanistan übersehen haben. Ich glaube nicht, dass es in Ihrer Regierungszeit jemals einen so offenen und ehrlichen Fortschrittsbericht zu unserem Haupteinsatzgebiet gegeben hat, ({2}) gerade auch unter dem Gesichtspunkt von Kohärenz bzw. Zusammenarbeit. Außer viel Polemik und einem sehr schwachen Forderungskatalog hat der Antrag nichts vorzuweisen. Er bleibt leider hinter den Diskussionen, die wir im Unterausschuss „Zivile Krisenprävention“ führen, weit zurück; das ist enttäuschend. Deshalb ist er abzulehnen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem vorliegenden Antrag der Grünen zum Thema Friedensund Sicherheitsstrategie gibt es auf den ersten Blick einige Punkte, denen ich gerne zustimmen würde. So schreiben Sie zum Beispiel: Konflikte können mit Gewalt nicht gelöst und in eine stabile Friedenslösung überführt werden. Sie schreiben auch völlig zu Recht, dass es auf viele der heutigen Risiken und Bedrohungen wie internationaler Terrorismus, organisierte Kriminalität oder die Sicherung von Rohstoffen und Vertriebswegen keine militärischen Antworten geben kann. Sie sprechen vom Primat des Zivilen und davon, dass zivile Krisenprävention, Konfiktmanagement und Friedenskonsolidierung Leitprinzipien einer umfassenden Friedens- und Sicherheitskonzeption sein sollen. Wer wollte denn dagegen sein? Aber natürlich ist es ein Antrag der Grünen. Da muss man leider genauer hinsehen. ({0}) Da heißt es zum Beispiel: Dabei zeigen gerade die Versuche der militärischen Krisenbewältigung der zurückliegenden Jahre, dass deren Potenzial zur Bearbeitung von Konflikten maßlos überschätzt ist. Das ist zwar richtig. Aber wer war es denn, der die Potenziale von Kriegseinsätzen maßlos überschätzt hat? Ich nenne als Beispiele die Kriegseinsätze der Bundeswehr in Jugoslawien 1999 und in Afghanistan 2001, die die Grünen gemeinsam mit den Sozialdemokraten durchgesetzt haben. So gern ich Ihnen glauben würde, es gäbe hier vielleicht so etwas wie eine klammheimliche Positionsveränderung, so wenig trifft das leider zu. Wir alle haben noch im Ohr, wie vor wenigen Monaten Abgeordnete der Grünen in diesem Haus gefordert haben, Deutschland solle sich doch bitte am Krieg gegen Libyen beteiligen. Inzwischen sehen wir alle, wie durch die Luftangriffe der NATO nicht etwa Zivilistinnen und Zivilisten geschützt werden, wie Sie es sich vorgestellt hatten, sondern die NATO selbst für Todesopfer unter der Zivilbevölkerung verantwortlich ist. Nein - das tut mir leid -, in der Gesamtausrichtung des Papiers gibt es keine Kurskorrektur. Zivile Konfliktbearbeitung ist für Sie eben nicht die Alternative zu militärischer Gewalt, sondern soll sie im Rahmen von umfassenden, ressortübergreifenden, zivil-militärischen Konzepten nur ergänzen. Wenn Sie sich von dieser militärdominierten Logik nicht verabschieden, dann wird diese Strategie auf eine Ausweitung der zivil-militärischen Zusammenarbeit hinauslaufen, die die Linke ablehnt. ({1}) Dieses Konzept bedeutet nichts anders als die Unterordnung des Zivilen unter militärische Strukturen. Das haben wir an verschiedenen Stellen schon gemeinsam kritisiert. Eines sage ich ganz klar: Die Bundeswehr ist für uns kein außenpolitisches Instrument. In der Außenpolitik hat die Bundeswehr überhaupt nichts zu suchen. ({2}) Eine schlüssige Gesamtstrategie würde für mich heißen, dass wir zum Beispiel die Rüstungsexporte stoppen müssen. Sie haben doch gerade gemeinsam mit uns die Bundesregierung wegen der Panzerlieferungen an SaudiArabien kritisiert, und wir haben gemeinsam unseren jeweiligen Anträgen zugestimmt. Warum steht denn zu den Rüstungsexporten nichts in Ihrem Konzept? Wir müssen auch darüber reden, wie wir die deutsche Außenwirtschaftspolitik so organisieren, dass sie nicht Ungerechtigkeiten, Armut usw. hervorruft, durch die Konflikte überhaupt erst gewaltförmig eskalieren. ({3}) Wir müssen dafür sorgen, dass die Bundesrepublik das Völkerrecht bedingungslos einhält; denn wenn wir es verletzen, wie beispielsweise im Jugoslawien-Krieg, dann können wir andere Staaten doch nicht glaubwürdig dazu auffordern, es einzuhalten. ({4}) Wir müssen auch über Abrüstung reden, auch über einseitige. Das hatten Sie doch auch einmal in Ihrem Programm. ({5}) - Sehr schön, aber das alles steht nicht in Ihrem Antrag. Diese Fragen, die Sie leider nicht einmal stellen, müssten wir aus meiner Sicht dringend in der Gesellschaft und hier im Parlament diskutieren. ({6}) An einer solchen Debatte würden wir uns gerne beteiligen, nicht nur auf irgendwelchen Webportalen, sondern live und in Farbe, überall dort, wo es notwendig ist. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6351 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 6. September 2011, 10 Uhr, ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen für die folgende sitzungsfreie Zeit alles Gute, manche neue Erkenntnis und - soweit notwendig - auch Gesundung. ({0}) Die Sitzung ist geschlossen.