Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/7/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, habe ich Ihnen einige Mitteilungen zu machen, zunächst zu Veränderungen im Ablauf der Tagesordnung für den heutigen Plenartag. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan - Drucksache 17/6449 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({0}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ({1}) ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE gemäß Anlage 5 Nummer 1 b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen Nr. 1 und 2 auf Drucksache 17/6438 ({2}) ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck ({4}), Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für die Unterstützung der humanitären Hilfe zugunsten der libyschen Zivilbevölkerung und der Flüchtlinge aus Libyen und für eine menschenwürdige Behandlung und Aufnahme von Schutzbedürftigen - Drucksachen 17/5909, 17/6266 Berichterstattung: Abgeordnete Frank Heinrich Angelika Graf ({5}) Annette Groth ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Sören Bartol, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorrang für Verbraucherinteressen im Gentechnikrecht verankern - Drucksache 17/6479 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({6}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b)Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein einheitliches Lkw-Tempolimit von 80 km/h auf Autobahnen in Europa - Drucksache 17/6480 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 6 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grenzüberschreitende Bürgerrechte beim Atomkraftwerksprojekt Temelín 3 und 4 - Drucksache 17/6481 - b)Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8}) - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Mobilität nachhaltig sichern - Elektro- mobilität fördern - zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Kumpf, Wolfgang Tiefensee, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nachhaltige Mobilität fördern - Elektro- mobilität vorantreiben - zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Petra Sitte, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Klimaschutz im Verkehr braucht wesent- lich mehr als Elektroautos - zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Valerie Wilms, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit grüner Elektromobilität das postfos- sile Zeitalter im Verkehrssektor einleiten - Drucksachen 17/3479, 17/3647, 17/2022, 17/1164, 17/6441 - Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Beckmeyer c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 295 zu Petitionen - Drucksache 17/6469 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 296 zu Petitionen - Drucksache 17/6470 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 297 zu Petitionen - Drucksache 17/6471 - f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 298 zu Petitionen - Drucksache 17/6472 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 299 zu Petitionen - Drucksache 17/6473 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 300 zu Petitionen - Drucksache 17/6474 - i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 301 zu Petitionen - Drucksache 17/6475 - j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 302 zu Petitionen - Drucksache 17/6476 - k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 303 zu Petitionen - Drucksache 17/6477 - l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 304 zu Petitionen - Drucksache 17/6478 ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Anhaltend positive Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Ekin Deligöz, Volker Beck ({19}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen sowie zur Ausweitung der Hemmungsregelungen bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung im Zivil- und Strafrecht - Drucksache 17/5774 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({20}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Claudia Bögel, Dr. Erik Schweickert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wirtschaftsmacht Handwerk - Kein Wachstum in Deutschland ohne das Handwerk - Drucksache 17/6457 ZP 9 - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({21}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission im Südsudan - Drucksachen 17/6449, 17/6511 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({22}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({23}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/6512 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 12, 25 c und 53 h werden abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 30. Juni 2011 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({24}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ({25}) - Drucksache 17/6263 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({26}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Sind Sie mit diesen vorgeschlagenen Veränderungen einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir das so handhaben. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Flach, Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Petra Sitte, Jerzy Montag und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik ({27}) - Drucksache 17/5451 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Volker Kauder, Pascal Kober, Johannes Singhammer, Dr. h.c. Wolfgang Thierse, Kathrin Vogler, Dorothee Bär, Birgitt Bender, Steffen Bilger, Elke Ferner, Ingrid Fischbach, Dr. Maria Flachsbarth, Rudolf Henke, Ansgar Heveling, Dr. Günter Krings, Markus Kurth, Andrea Nahles, Wolfgang Nešković, Dr. Stefan Ruppert, Ulla Schmidt ({28}) und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot der Präimplantationsdiagnostik - Drucksache 17/5450 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten René Röspel, Priska Hinz ({29}), Patrick Meinhardt, Dr. Norbert Lammert und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik ({30}) - Drucksache 17/5452 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({31}) - Drucksache 17/6400 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Rolf Koschorrek Dr. Marlies Volkmer Harald Weinberg Wir werden im Laufe dieses Tagesordnungspunktes voraussichtlich mehrere namentliche Abstimmungen durchführen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. Die Zeit soll im Wesentlichen nach dem Stärkeverhältnis der Unterzeichner der drei Anträge verteilt werden. Darüber hinaus möchte ich Ihnen vorschlagen, dass die Reden der Kolleginnen und Kollegen, deren Redewunsch im Rahmen dieses Gesamtzeitvolumens von drei Stunden nicht berücksichtigt werden kann, in einem Umfang zu Protokoll gegeben werden können, der einer Redezeit von Präsident Dr. Norbert Lammert fünf Minuten entspricht. Darf ich auch dazu Ihr Einverständnis feststellen? - Das ist offenkundig der Fall. Da damit sichergestellt ist, dass jeder, der bei dieser Debatte zu Wort kommen möchte, in jedem Falle mindestens schriftlich seine persönlichen Überlegungen und Überzeugungen zu Protokoll bringen kann, entfällt nach meinem Verständnis die Notwendigkeit persönlicher Erklärungen zur Abstimmung, die bei der geschilderten Verfahrenslage eigentlich nicht mehr plausibel wären. Können wir uns auch darauf verständigen? - Dann darf ich mich dafür schon einmal sehr bedanken. Nun gibt es, wie den allermeisten von Ihnen ja bestens vertraut ist, eine nicht einfache Verfahrenslage, die sich aus dem Umstand ergibt, dass wir drei Gesetzentwürfe haben, über die im Gesetzgebungsverfahren üblicherweise der Reihe nach abgestimmt wird, und zwar nach Maßgabe der guten Übung, dass über den weitestgehenden Antrag zuerst abgestimmt wird und dann im Folgenden die anderen Anträge zur Abstimmung gelangen. Es liegt in der Natur der Sache und nicht nur im ohnehin auch verständlichen Interesse der Antragsteller, dass es über die Frage, was denn eigentlich der weitestgehende Gesetzentwurf sei, jedenfalls kein Einvernehmen gibt. Ich stelle das ohne jeden kritischen Unterton fest und habe deswegen darauf hingewiesen, dass ich das aus der Sache heraus für absolut nachvollziehbar halte. Deswegen gibt es auch keinen gemeinsamen Verfahrensvorschlag der Antragsteller, was wiederum den Ältestenrat veranlasst hat, sich mit der gebotenen Sorgfalt und Gründlichkeit mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wir sind im Ältestenrat nach einer langen und intensiven Befassung am Ende zu dem Vorschlag gekommen, in Anlehnung an vergleichbare Verfahren, die wir bei ähnlichen, aber auch bei anderen Themen in der Vergangenheit angewendet haben, über die drei Gesetzentwürfe in einem Stimmzettelabstimmungsverfahren zu befinden, bei dem alle drei Anträge gleichzeitig zur Abstimmung stehen, natürlich verbunden mit der Möglichkeit, keinem dieser Anträge zuzustimmen bzw. sich der Stimme zu enthalten. Ein solches Verfahren ist möglich und hier auch mehrfach angewendet worden, wenn wir mit der notwendigen qualifizierten Mehrheit dafür stimmen, von der ansonsten hier üblichen Geschäftsordnung abzuweichen. Nun hat der Kollege Röspel aus wiederum, wie ich finde, verständlichen Gründen den Geschäftsordnungsantrag gestellt, bei dem üblichen Verfahren zu bleiben und über die Gesetzentwürfe in der Reihenfolge abzustimmen, die jedenfalls nach seinem Verständnis dem Prinzip „zunächst weitestgehender Antrag, dann andere Anträge“, entspricht. Einvernehmen gibt es darüber, dass wir die Debatte nicht mit einer Geschäftsordnungsdebatte eröffnen wollen, sondern dass wir nach dieser Erläuterung der denkbaren Verfahren über das Verfahren abstimmen, das dann am Schluss der Debatte Anwendung findet, und dass wir dann unverzüglich in die inhaltliche Diskussion eintreten. Ich möchte mich bei allen Antragstellern bedanken, dass sie diesem Verfahren insoweit zugestimmt haben. Ich lasse deswegen, weil es die übliche Vorgehensweise bei Gesetzentwürfen ist, zunächst über den Geschäftsordnungsantrag abzustimmen, den der Kollege Röspel auch im Namen anderer Antragsteller eingereicht hat, nämlich die Gesetzentwürfe in folgender Reihenfolge zur Abstimmung zu stellen: zunächst den Gesetzentwurf der Antragsteller um die Kollegin Flach, dann den Gesetzentwurf der Antragsteller um die Kollegin Göring-Eckardt und schließlich den Antrag der Kolleginnen und Kollegen, die zusammen mit Herrn Röspel einen Antrag eingebracht haben. Über den Geschäftsordnungsantrag, in dieser Reihenfolge über die Gesetzentwürfe abstimmen zu lassen, lasse ich nun zuerst befinden. Würde dieser Antrag eine Mehrheit finden, würden wir so verfahren. Findet dieser Vorschlag keine Mehrheit, lasse ich über den Vorschlag befinden, den Ihnen der Ältestenrat gemacht hat. Einverständnis? - Dann stelle ich jetzt den Geschäftsordnungsantrag des Kollegen Röspel zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Das Zweite war eindeutig die Mehrheit. Damit ist dieser Geschäftsordnungsantrag abgelehnt. Nachdem sich damit das Plenum jedenfalls insoweit festgelegt hat, möchte ich Ihnen empfehlen, dass wir uns dem Vorschlag des Ältestenrates anschließen, in Abweichung von der Geschäftsordnung im Wege eines Stimmzettelverfahrens über die drei Gesetzentwürfe abzustimmen. Ich mache noch einmal ausdrücklich darauf aufmerksam, dass dies ein Verfahren ist, das die Abweichung von der Geschäftsordnung zur Voraussetzung hat. Darüber sollte möglichst Einvernehmen bestehen. Darf ich dieses Einvernehmen hiermit feststellen? - Das ist der Fall. Dann haben wir uns so darauf verständigt. Es gibt weitere Hinweise zum Abstimmungsverfahren im Anschluss an die Aussprache, aber ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass auch nach diesem Verfahren, auf das wir uns jetzt verständigt haben, keineswegs ein Gesetzentwurf am Ende automatisch wegen relativer Mehrheit Gesetzeskraft bekommt, sondern dass wir vermutlich in mehreren Abstimmungsgängen am Ende über einen Gesetzentwurf werden abstimmen müssen und können, der die relativ größte Zustimmung hier im Deutschen Bundestag erhalten hat, der aber nur dann Gesetzeskraft bekommt, wenn er in der Schlussabstimmung mehr Ja- als Neinstimmen erhält, sodass insofern auch bei diesem Verfahren der Ausgang bis zu dieser Schlussabstimmung offen bleibt, nur um an dieser Stelle mögliche gegenteilige Spekulationen von vornherein vermeiden zu helfen. - Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir diese nicht ganz einfache Frage mit großem Einvernehmen haben regeln können. Ich eröffne nun die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Ulrike Flach. ({32})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten halben Jahr hat es eine intensive und von gegenseitigem Respekt geprägte Debatte über die PID gegeben. Drei Gruppen aus allen Fraktionen haben mit Leidenschaft und mit Sachlichkeit um die Unterstützung der Abgeordneten geworben. Anhörungen haben stattgefunden, Experten haben sich geäußert, die Medien haben die Debatte verantwortungsbewusst begleitet. Niemand - das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen - hat es sich leicht gemacht. Das ist der Bedeutung dieser Entscheidung absolut angemessen. Unsere Gruppe, die derzeit rund 220 Abgeordnete zählt, fühlt sich durch das Votum der Akademien der Wissenschaften, durch die Mehrheitsempfehlung des Deutschen Ethikrates, durch das Memorandum der Bundesärztekammer und durch viele Zuschriften von Paaren in schweren Konflikten bestätigt. Wir haben die Ergebnisse der Anhörung in einige Änderungsanträge umgesetzt, wir haben Definitionen geschärft und den Entwurf rechtssicher gemacht. Wir legen Ihnen unseren Entwurf für eine begrenzte Zulassung der PID ans Herz, weil wir glauben, damit Menschen mit schwerwiegenden Erberkrankungen oder der Gefahr einer Tot- oder Fehlgeburt die Entscheidung für ein Kind erleichtern zu können. Die Zulassung der PID wäre kein Dammbruch; denn es geht um wenige Hundert Fälle im Jahr. Sie würde Deutschland an die Seite unserer europäischen Nachbarn führen, die zum Teil seit Jahrzehnten verantwortungsvoll mit der PID umgehen. Die Zulassung der PID wäre verfassungskonform. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 6. Juli 2010 ganz deutlich gemacht, dass die PID denselben Zweck verfolgt wie die in § 218 a geregelte Indikation zum Schwangerschaftsabbruch. Ein Abbruch ist dann nicht rechtswidrig, wenn er dazu dient, eine Gefahr für das Leben oder die Beeinträchtigung der körperlichen und seelischen Gesundheit der Schwangeren jetzt oder in Zukunft abzuwenden. Eine schwere Erberkrankung des Embryos, die mit PID frühzeitig erkennbar wäre, kann ohne die PID unerkannt zu einer Abtreibung führen - mit massiver psychischer und physischer Belastung. Ein Gesetzgeber, der eine Frau zwingt, zur Abwendung einer schweren Erbkrankheit oder aber zu einer Fehl- oder Totgeburt in eine Abtreibung hineinzugehen - also eine weitaus gefährlichere Maßnahme, die sie dann erdulden muss, als es notwendig wäre, wenn wir die PID hätten -, wird deshalb vor dem Verfassungsgericht scheitern. ({0}) Wenn wir die PID in engen Grenzen zulassen, bedeutet das Wissens- und Entscheidungsfreiheit für Frauen in Notsituationen. Wir sehen keinen automatischen Anspruch auf eine PID vor, und es gibt eine ganz individuelle Entscheidung der Ethikkommission, die sich nicht an festen Krankheitsbildern orientieren wird, sondern im Einzelfall auch an unterschiedlichen Verlaufsformen von Krankheiten und Chancen auf Behandelbarkeit. Die moderne Medizin macht vieles möglich. Deshalb ist unser Gesetzentwurf keine schiefe Einbahnstraße, sondern ein Weg, der Anpassungen an medizinische Entwicklungen jederzeit möglich macht. Wer aber auf die Möglichkeit frühen Wissens um Krankheiten verzichtet, wer dieses Wissen sogar verbieten will, der setzt Frauen und Familien einem schweren, schweren Konflikt aus, den wir, die etwa 220 Kollegen, die diesen Antrag unterstützen, für nicht hinnehmbar halten. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere die Vorsitzende der Ethik-AG des Deutschen Ärztinnenbundes: Als Ärztinnen sehen wir uns den Frauen … verpflichtet, die ein leidvolles Schicksal haben: … die aufgrund von Chromosomentranslokationen immer wieder Fehlgeburten erlitten haben, die schwerstkranke Kinder pflegen oder ihre Kinder sterben sehen mussten, die sich bei weiteren Schwangerschaften bei auffälliger Pränataldiagnostik für Schwangerschaftsabbrüche entschieden haben. Diese Eltern wünschen sich sehnlichst ein gesundes Kind. Sie verstehen nicht, warum sie in Deutschland keine Hilfe bekommen können. Liebe Kollegen, für genau diese Eltern wollen wir die PID mit unserem Gesetzentwurf ermöglichen. Wir können eine Chance eröffnen. Bitte gehen Sie mit uns heute diesen gemeinsamen Weg. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Zöller. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Kollegin Flach, Sie erwecken zumindest den Eindruck, als würden wir die berechtigten Sorgen betroffener Paare nicht ernst genug nehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir nehmen sie nicht nur sehr ernst; wir nehmen auch gleichzeitig die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen dieser Regelung sehr ernst. ({0}) Ich darf Johannes Rau zitieren, der einst gesagt hat: Noch so verständliche Wünsche und Sehnsüchte sind keine Rechte. Es gibt kein Recht auf Kinder. Aber es gibt sehr wohl ein Recht der Kinder auf liebende Eltern - und vor allem das Recht darauf, um ihrer selbst willen auf die Welt zu kommen und geliebt zu werden. ({1}) Meine sehr geehrte Damen und Herren, wir diskutieren heute über eine Grundsatzentscheidung, die das Wertegefüge unserer Gesellschaft nachhaltig verändern kann. Es geht um die Frage, ob ein elementares Menschenrecht, das Recht auf Leben, zur Disposition gestellt werden soll. Es geht aber auch darum, den staatlichen Schutzauftrag gegen die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen infrage zu stellen. Ich bin der Auffassung: Wenn wir die PID genehmigen, dann werden wir dies so einleiten. Ein menschlicher Embryo entwickelt sich von Anfang an als Mensch, nicht zum Menschen. Deshalb bitte ich, folgende Gründe zu bedenken: Erstens. PID bedeutet Selektion. Unter den künstlich hergestellten Embryonen werden die einen ausgewählt und die anderen verworfen. Es wäre quasi eine Zeugung auf Probe. Zweitens. PID ist praktisch nicht eingrenzbar. Ich sehe keine überzeugenden Vorschläge, um den Einsatz der umstrittenen PID zu begrenzen. Eine begrenzte Zulassung ist weder an klaren Indikationen festzumachen, noch wird sie durchzuhalten sein. Sind es Erbkrankheiten, die unweigerlich zum Tode führen, und das in der frühen Kindheit, dann frage ich: welche? Sind es unter Umständen spätmanifestierende Krankheiten, stellt sich ebenfalls die Frage: welche? Oder sind es Krankheiten, von denen wir wissen, dass Menschen trotz Vorliegen dieser Krankheit ein glückliches, erfülltes und oft auch sehr erfolgreiches Leben führen können? Hat es Auswirkungen auf Träger dieser Krankheiten, wenn wir sagen: „Wir wollen nicht, dass Kinder geboren werden, die diese Krankheiten haben“? Liebe Kolleginnen und Kollegen, würden wir in diesem Hause heute Auswahlkriterien formulieren, dann benennen wir Grenzen zwischen lebenswert und nicht lebenswert. ({2}) Im Übrigen gibt es ein bisschen PID genauso wenig wie ein bisschen schwanger. Drittens. Die Legalisierung von PID würde viele auf den Irrweg führen, ein planbares gesundes Leben zum Maßstab und Vorbild eines erfüllten Lebens zu machen, statt das Leben in seiner individuellen Vielfalt mit all seinem Auf und Ab anzunehmen. Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der sich Eltern entschuldigen müssen, wenn sie kein sogenanntes Musterbaby vorweisen können. ({3}) Wir sind vielmehr aufgefordert, gemeinsam alles zu unternehmen, um Menschen mit Beeinträchtigungen eine Teilhabe zu ermöglichen. ({4}) Viertens. Gerade als Patientenbeauftragter habe ich jeden Tag mit Menschen zu tun, die selbst oder deren Kinder sehr krank sind oder eine schwere Behinderung haben. Aber glauben Sie mir bitte: Nie in meinem Leben habe ich zufriedenere Menschen kennenlernen dürfen, die fest im Leben stehen - nicht trotz der besonderen Herausforderung, sondern gerade deswegen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, genau diese Menschen sitzen jetzt zu Hause vor ihren Fernsehern, hören und sehen uns zu, weil wir über sie und das Lebensrecht ihrer potenziellen Kinder reden. Diese Menschen haben die Erwartung an uns, dass wir die richtige Entscheidung fällen - für sie und nicht gegen sie. ({5}) Aus diesen Gründen bitte ich Sie: Stimmen Sie einem PID-Verbot zu! ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege René Röspel. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns jetzt viele Wochen, Monate oder, wie einige von uns, schon Jahre damit auseinandergesetzt, ob oder wie es möglich ist, für die Präimplantationsdiagnostik Grenzen zu setzen. Die unterschiedlichen Gesetzentwürfe, die uns heute vorliegen, geben unterschiedliche Antworten darauf. Der Gesetzentwurf, der ein Präimplantationsdiagnostikverbot vorsieht, zieht eigentlich keine Grenzen. Eine Grenze verläuft immer zwischen zwei Positionen. Mit dem kategorischen Verbot der Präimplantationsdiagnostik allerdings grenzt dieser Entwurf aus. Vor diesem Verbot werden die Menschen stehen, die Paare, die sich sehnlich wünschen, Eltern zu werden, die aber vielleicht schon mehrere Tot- oder Fehlgeburten erlitten haben und die, wenn sie Eltern werden wollen, dieses Risiko wieder kalkulieren müssen. Der PID-Verbotsentwurf versucht, Leben zu schützen, das nicht geschützt werden kann aber das zulasten von Frauen und Eltern. Deswegen ist das an dieser Stelle für mich kein richtiger Weg. ({0}) Auf der anderen Seite steht der Entwurf derer, die die Präimplantationsdiagnostik weitgehend freigeben wollen, Frau Flach. Er wird häufig als ein Weg der beschränkten Zulassung beschrieben. Ich glaube, man muss sich genauer anschauen, wo dort Grenzen gezogen werden. Es gibt in diesem Entwurf zwei Fälle, für die die Präimplantationsdiagnostik zugelassen werden soll. Der erste Fall ist der, in dem die Eltern eine Erbkrankheit, eine Veranlagung in sich tragen, die dazu führen kann, dass die Nachkommen eine schwerwiegende Erkrankung aufweisen. Das Kriterium für die Grenzziehung in diesem Fall ist die schwerwiegende Erbkrankheit. Aber was ist das? Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie schaffen es nicht einmal, in Ihrem Entwurf zu definieren, was eine schwerwiegende Erbkrankheit ist. Das heißt, Sie sind nicht in der Lage, die Grenze aufzuzeigen. In dem zweiten Fall, der nach dem Flach-Entwurf zulässig sein soll, gibt es überhaupt keine Grenze. Der Entwurf sieht nämlich vor, dass Präimplantationsdiagnostik zugelassen ist, um festzustellen, ob ein Embryo das Risiko einer Fehl- oder Totgeburt in sich trägt, und zwar ohne die Vorbedingung, dass die Eltern eine Erbkrankheit haben oder eine solche bei ihnen diagnostiziert ist. Die meisten von Ihnen mögen kein Screening zulassen wollen, aber Sie machen es in diesem Fall. ({1}) Mit diesem Passus wird es künftig bei jeder künstlichen Befruchtung möglich sein, eine Präimplantationsdiagnostik durchführen zu lassen, wenn sie denn dazu dient, feststellen zu lassen, ob für den Embryo eine Wahrscheinlichkeit für eine Schädigung mit der Folge einer Tot- oder Fehlgeburt besteht. Das ist keine Grenzziehung; das ist eine sehr weite Öffnung, die ich nicht mittragen kann. ({2}) Zieht der dritte Entwurf, der Entwurf von Röspel, Meinhardt, Hinz, Lammert und anderen, Grenzen? Nein, wir ziehen keine Grenzen. Aber wir verwenden eine Grenze, die bereits existiert und die unabänderlich, unwiderruflich in dem Embryo, um den es geht, angelegt ist. Der Embryo ist nicht mehr zu schützen, weil seine Entwicklungsfähigkeit nicht gegeben ist: Das ist diese starke Grenze, die wir nicht beeinflussen können, die wir aber mit unserem Entwurf ziehen wollen. Das Leben des Embryos kann nicht mehr geschützt werden. Wenn das aber so ist, dann ist es umso mehr folgerichtig, dass das Leben der Frau geschützt wird. In diesen Fällen, und nur in diesen Fällen, schlagen wir vor, dass Präimplantationsdiagnostik zulässig ist, um nämlich einer Frau eine Tot- oder Fehlgeburt nicht zumuten zu müssen. ({3}) Die Grenze, die wir festlegen, ist längst im Embryo angelegt, bevor die Untersuchungen der PID beginnen. Ein Kompromiss oder ein Konsens kann ein ethischer Wert für sich sein. Das hat Professor Dabrock in der Debatte zur Stammzellforschung einmal gesagt. Ich glaube, er hat damit recht. Mit unserem Entwurf haben wir eine starke ethische Position und eine starke Grenze, die wir nicht verändern und die wir nicht festlegen können. Wir müssen aber beobachten, wie sie zu definieren ist. Das wird mit moderner Medizin zu schaffen sein. Wir wollen nicht, dass darüber entschieden wird, ob ein Leben gelebt werden darf. Aber wir akzeptieren die Tatsache, dass in einem Embryo die Entscheidung bereits getroffen ist, dass er nicht leben kann. Ich finde, das ist der Konsens, der wahrscheinlich von vielen unter Ihnen in diesem Hause akzeptiert werden könnte. Ich will ausdrücklich dafür werben, den Antrag von Röspel, Hinz und anderen zu unterstützen, damit es einen starken Konsens gibt. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Peter Hintze ist der nächste Redner. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Röspel vermisst in unserem Gesetzentwurf eine Definition über lebenswertes Leben. Er wird lange suchen müssen, weil wir in unserem Gesetzentwurf davon ausgehen, dass jedes Leben - ob es kurz oder lang ist, ob es gesund oder krank ist, ob es behindert oder frei von Behinderungen ist - gleich wertvoll und mit unverletzlicher Würde ausgestattet ist. ({0}) Wer einmal Gelegenheit hatte, mit Eltern zu sprechen, die eine schwere erbliche Vorbelastung als Verhängnis über sich spürten, der weiß um den tiefen Ernst ihrer Entscheidung, der weiß, dass sie ihre Kinder lieben und dass sie unter dem Gedanken leiden, dass sie ein ganz schlimmes Los auf ihr Kind übertragen könnten. Die Art und Weise, wie wir ihnen mit Angstworten begegnen - von Dammbruch bis zum Designerbaby - macht diese Eltern fassungslos. Damit schießen wir meilenweit an der Lebenswirklichkeit und an ihrer Gewissenssituation vorbei. ({1}) Die Frage an den freiheitlichen Rechtsstaat - wir müssen heute als Gesetzgeber entscheiden - lautet: Wie gehen wir mit Menschen in einer solch schweren Notlage um, die sich für PID entscheiden? Unterwerfen wir sie per Strafrecht einer rigiden Moral, oder nehmen wir sie als selbstbestimmte, verantwortlich handelnde Menschen wahr, die ihren Kindern schwerste Belastungen ersparen wollen? Was sagen wir einer Frau, die erleben musste, wie ihr erstes Kind blind, taub und starr wird und dann in ihren Armen qualvoll erstickt? Diese Frau hat jetzt Angst davor, dass sie das noch einmal miterleben muss. Sollen wir ihr sagen: „Das ist dein Schicksal; das hast du anzunehmen; da steht das Strafrecht vor“, oder sind wir nicht zur Hilfe aufgefordert? Der Kollege Zöller hat eben gesagt, wir müssen nach den gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen fragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Ärzteschaft hat an uns mit überwältigender Mehrheit appelliert, in diesem Fall zu sagen: Ja, hier sind wir zur Hilfe aufgefordert. ({2}) Ich finde auch das Schicksalsverständnis derjenigen, die für ein Totalverbot sind, schwer nachvollziehbar. Zivilisation bedeutet Emanzipation von der Natur. Wenn uns eine schwere Krankheit überkommt, dann versuchen wir doch auch, durch Operation oder medizinische Hilfe zu helfen, uns aus den Zwängen der Natur zu befreien. Das ist die Vernunft, die uns Gott gegeben hat und die wir mithilfe der Medizin nutzen. Dass das sehr verantwortungsvoll geschieht, beweist doch die Medizingeschichte. Schauen wir nach Skandinavien. Dort gibt es seit zwei Jahrzehnten die PID, und der Umgang mit Behinderten dort ist sehr achtungsvoll, und ihre Inklusion, ihre Integration, ihre Annahme, hat zugenommen. Ich finde, es ist einer der schlimmsten und gefährlichsten Vorwürfe in der Debatte, zu behaupten, ({3}) die Menschen, die sich dafür einsetzen, die PID für diese Notlagen zuzulassen, teilten nicht die Achtung, die Sensibilität, das Gefühl und den Wert für die behinderten Menschen um uns gleichermaßen. ({4}) Es wird viel über Maßstäbe gesprochen. Ja, ich finde es wichtig, dass wir uns an den grundlegenden Verfassungs- und Moralprinzipien orientieren. Meine Sorge ist, dass wir diese Maßstäbe verlieren, wenn wir eine befruchtete Eizelle - in der Tat der biologische Beginn des menschlichen Lebens - in der Petrischale höher gewichten als eine Frau in einer schweren Konfliktsituation. Die Menschen können von uns als Gesetzgeber erwarten, dass unsere Rechtsordnung stimmig bleibt. Unsere Rechtsordnung erlaubt die Verwendung von Mitteln, die dazu führen, dass hunderttausendfach befruchtete Eizellen abgehen, sie erlaubt die Pille danach, sie erlaubt die Untersuchung des Embryos im Mutterleib und eine Abtreibung bis zur Geburt, wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist. Das alles können wir ja moralisch verwerfen, aber in einem Staat, in dem das zugelassen ist, in dem unter diesen Voraussetzungen die Abtreibung zugelassen ist, die Vermeidung von Abtreibung zu verbieten, fände ich rechtlich unhaltbar und moralisch verwerflich. ({5}) Viele Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen wehren sich entschieden dagegen, moralisch in Anspruch genommen zu werden gegen Menschen, die sich in einer solchen Notlage befinden, wie das in der Diskussion leider häufig passiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht eine Ethik der Strafe, sondern eine Ethik des Helfens macht unsere Gesellschaft menschlicher. Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung für unseren Gesetzentwurf. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Dorothee Bär. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass jeder von uns, der sich mit diesem Thema über viele Wochen und Monate beschäftigt hat, auch in der Argumentation der anderen durchaus Nachdenkenswertes gefunden hat. Nach Abwägung alIer Argumente, die ich in Gesprächen mit Ärzten, Betroffenen und anderen gehört und die ich gelesen habe, muss ich sagen, dass für mich nur ein ganz klares Nein zur PID möglich ist. Warum? Ohne Zweifel geht es hier um das große Leid der Betroffenen. Dennoch müssen wir uns auch die Frage stellen, wer für die ungeborenen Kinder spricht. Während meiner zweiten Schwangerschaft habe ich mir besonders oft Gedanken darüber gemacht, ob alles gut geht. All diejenigen, die ein Kind zur Welt gebracht haben, wissen, dass man in dieser Zeit besonders sensibel ist, sich viele Gedanken macht und wohlmeinende Ratschläge erhält. Oft sind es nur Kleinigkeiten, und es ist gar nicht böse gemeint. Ich will Ihnen ein Bespiel nennen. Wenn man schon eine Tochter hat, wird einem von manchem gesagt: Hoffentlich wird es jetzt ein Sohn. - Wenn es wieder eine Tochter ist, sagen einem Wohlmeinende: Vielleicht klappt es dann beim nächsten Mal. - Das mag ja alles ganz nett und witzig gemeint sein, ist es aber gerade für werdende Mütter nicht. Das ist jetzt nur das Oberflächliche, über das man noch hinwegschauen kann. Viel schlimmer wird es dann natürlich, wenn es tiefer geht, wenn gefragt wird: Hast du denn im Vorfeld alles Menschenmögliche getan, um ein gesundes Baby auf die Welt zu bringen? Es lastet ein ganz besonderer Druck auf den Schwangeren. Ich möchte nicht, dass wir als Gesetzgeber suggerieren, dass wir jeder Frau bzw. jedem Paar qua Gesetz das Recht auf ein gesundes Kind ermöglichen können. Das können wir nicht. Wir sind nicht Gott. Bei uns leben 1,5 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen, nur rund 10 Prozent der Behinderungen sind genetisch bedingt. Wir können Behinderungen also nicht ausschließen. Ich möchte noch eine persönliche Geschichte erzählen: Zum Ende meiner ersten Schwangerschaft vor fünf Jahren wurde ich immer nervöser. Am Tag X wollte ich meiner Hebamme das Versprechen abringen, dass alles gut gehen wird. Ich wollte das einfach vorher noch einmal hören. Ich habe erwartet, dass sie sagt, es werde alles gut. Sie sagte dann aber: Das kann ich dir jetzt nicht versprechen. Ein bisschen Gottvertrauen gehört auch noch dazu. - Selbst wenn eine Schwangerschaft sozusagen perfekt verläuft und die Schwangere regelmäßig untersucht wurde, können wir nicht garantieren, dass es während der Entbindung nicht doch noch zu Schäden kommt. Das ist für mich ein Argument, zu sagen: Wir haben es nicht zu 100 Prozent in der Hand. Die Beurteilung, was lebenswertes Leben überhaupt ausmacht, beinhaltet auch die Entscheidung darüber, welche Behinderung noch angemessen ist und welcher Embryo nicht aussortiert werden muss. Daher ist es nicht unredlich, von Dammbruch zu reden. Wenn Sie mit Ärzten unter vier Augen sprechen, dann sagen diese Ihnen, dass alles, was medizinisch möglich ist, selbstverständlich irgendwann einmal als medizinisch notwendig eingestuft werden wird. Das ist einer der Punkte, die mir Angst machen. Auch eine Ethikkommission wird nicht umhinkommen, sich auf einen ganz bestimmten Katalog zu verständigen. Einen anderen Weg wird die Kommission nicht gehen können. Frauen ab 30 Jahren, die zur sogenannten Risikogruppe zählen, stehen unter Druck. So müssen sie sich zum Beispiel rechtfertigen, warum sie keine Fruchtwasseruntersuchung haben durchführen lassen. Es ist alltäglich, dass zu diesen Frauen gesagt wird: Wir haben die Risiken schon minimieren können. Es geht jetzt nur noch bei circa 1 Prozent der Fälle schief. Es muss daher doch eigentlich jeder Frau wert sein, eine solche Fruchtwasseruntersuchung durchführen zu lassen. - So fängt es an. Peu à peu wird sich die Situation dann dahin gehend ändern, dass zum Beispiel die Fruchtwasseruntersuchung nicht mehr nur eine Möglichkeit ist, sondern zur Notwendigkeit wird. Wer sagt, dass heute unheilbare Krankheiten im Jahr 2021 oder im Jahr 2031 immer noch unheilbar sind? Es muss diesbezüglich noch mehr Forschung betrieben werden. Denn wir wollen Krankheiten heilen. Wir wollen nicht vorher aussortieren. Wir sagen, dass es sich in jedem Fall um ein lebenswertes Leben handeln wird. Ein letzter Satz: Wir glauben, in einem Land zu leben, in dem alles planbar ist. Wir leben in einem Land, in dem das Prinzip Baukasten eigentlich ein gutes Geschäftsmodell ist. Wir haben die individualisierte Küche, das auf das persönliche Bedürfnis zugeschnittene Auto und die Kleidung nach Maß. Ich appelliere an Sie, gegen die PID zu stimmen und einfach zu akzeptieren, dass nicht alles in unserer Macht steht. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Meinhardt.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung, die jede Kollegin und jeder Kollege hier heute für sich treffen muss, ist weiß Gott keine leichte. Es gilt, eine Entscheidung zu treffen, bei der man sich selbst immer wieder vergewissern muss, dass man die moralischen Maßstäbe, die einem wichtig sind, nicht verletzt. Es gilt außerdem, eine Entscheidung zu treffen, die die rechtlichen und ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft nicht infrage stellt. Ich möchte an dieser Stelle bekennen, dass es mir sehr, sehr lange nicht leichtgefallen ist, eine eindeutige Antwort auf die Frage der PID zu geben. Gerade deshalb möchte ich Ihnen kurz einige der Beweggründe für meine Entscheidung skizzieren. Als überzeugter Christ sehe ich mich in der Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Leben, gegenüber den Eltern, gegenüber den Frauen, die Sehnsucht nach einem gesunden Kind haben und die leiden. Wir alle haben zahlreiche Anschreiben von betroffenen Eltern erhalten, in denen sie uns die großen Belastungen schildern, die mit einer künstlichen Befruchtung einhergehen. Deswegen ist es Aufgabe dieses Hohen Hauses, eine Brücke zu bauen zwischen einer Ethik des Lebens und einer Ethik des Helfens. Beides gehört zusammen, und beides muss heute Gegenstand unserer Beratungen sein. ({0}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die zutiefst menschliche Komponente in unserem Antrag ist der Umgang mit der Situation, wenn eine Frau vor dem Dilemma steht, sich einen Embryo einpflanzen zu lassen, dessen Entwicklung möglicherweise mit einer Totgeburt endet. Bei dieser Frage geht es nicht um Selektion oder um den Lebenswert, sondern es geht um Lebensfähigkeit. Diese Frage nach Lebensfähigkeit muss dieses Hohe Haus hier und heute beantworten. Nicht zuletzt waren für mich in der gesamten Debatte auch die Einschätzungen von wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Einrichtungen und Gremien von großem Wert. Die Stellungnahmen der Leopoldina, des Deutschen Ethikrates und des Rates der EKD haben mich darin bestätigt, dass es ethisch vertretbar ist, die PID unter strengsten Auflagen zuzulassen. Unsere Gruppe hat sich sehr intensiv mit den Anhörungen beschäftigt und mit den Stellungnahmen, die im Laufe des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens abgegeben wurden. In den Beratungen haben wir deshalb einen Nachbesserungsbedarf erkannt und im Zuge dessen den entsprechenden Passus im Hinblick auf die Befristung geändert. In meinen Augen ist diese wichtige Konkretisierung unseres Antrags eine Hilfe bei der Entscheidungsfindung für unser späteres Votum. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, hat gestern noch einmal in einer deutlichen Stellungnahme betont: Die PID ist keine Selektion, wenn es darum geht, Embryonen zu identifizieren, die überhaupt lebensfähig sind. Er sagt weiter: Ich möchte keine Haltung einnehmen, die von Misstrauen gegenüber Medizinern und Eltern geprägt ist. Wir haben allen Grund, ihnen Vertrauen entgegenzubringen. Recht hat der EKD-Ratsvorsitzende. ({1}) Eltern, die eine künstliche Befruchtung durchführen lassen, wollen ein Kind. Ärzte, die diese künstliche Befruchtung durchführen, sind weit davon entfernt, gewissenlose Wissenschaftler zu sein, die dem Wunsch hinterherrennen, Designerbabys zu erzeugen. Nein, ich bin überzeugt, dass die Menschen in unserem Land verantwortungsbewusst mit der Möglichkeit einer PID unter strengsten - und zwar unter allerstrengsten - Auflagen umgehen werden. Wir haben die Chance, mit einer derartigen Zulassung vor allem den Müttern viel Leid zu ersparen, die Sehnsucht nach einem gesunden Kind haben, ohne dass wir dabei rechtliche oder ethische Tabus brechen. Lassen Sie uns diese Chance nutzen. Unser Antrag - der Antrag der Kollegin Hinz, der Kollegen Röspel, Lammert und mir - bietet hierfür eine ausgewogene Grundlage. Unser Ziel ist es, den ethisch handelnden Staat zu stärken und leidenden Eltern nicht mit Paragrafen, sondern mit Mitmenschlichkeit zu begegnen. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Carola Reimann. ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will meine Rede mit einem Beispiel beginnen. Frau Professor Bettina Schöne-Seifert, eine der Sachverständigen, hat es uns in der Anhörung im Gesundheitsausschuss eindrücklich geschildert. Bei dem Beispiel handelt es sich um ein Paar mit einer bekannten Veranlagung beider Eltern für eine schwere Stoffwechselerkrankung. Beide Eltern tragen die genetische Veränderung einmal, sodass sie beide selbst nicht erkrankt sind. Der Zufall hat es nun gewollt, dass diese beiden Träger sich treffen. Bei ihnen besteht eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent, dass ihr Kind zwei solcher genetischen Veränderungen trägt - von beiden Elternteilen - und dann mit einer schweren Stoffwechselerkrankung geboren wird, die in den ersten Lebensjahren zum Tod führen wird. Das Paar hat bereits zwei Kinder mit dieser Krankheit zur Welt gebracht und leider verloren. Wenn die PID ganz verboten wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie es der Gesetzentwurf der Abgeordneten Göring-Eckardt und Singhammer vorsieht, kann man diesem Paar keine Hilfe anbieten. Ich frage: Kann man diesem Paar, das bereits eine solche Leidensgeschichte hinter sich hat, zumuten, dass es diese Tortur ein drittes Mal auf sich nimmt, ({0}) oder soll dieses Paar ganz auf weitere Kinder verzichten? Das Paar, von dem in diesem Beispiel die Rede ist, hätte auch nach dem Gesetzentwurf der Kollegen Röspel und Hinz keine Möglichkeit zur PID. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was sagen Sie diesen Betroffenen? Wir, die Befürworter einer begrenzten Zulassung der PID, wollen diesem Paar individuelle Hilfe anbieten. Unser Ziel ist es, Menschen, bei denen aufgrund einer genetischen Disposition für ihre Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit besteht oder die eine Fehl- oder Totgeburt fürchten müssen, die Chance zu geben, sich für ein eigenes Kind zu entscheiden. ({1}) Oft wird uns entgegnet, dass durch unsere Regelung der Druck auf die Paare, ein gesundes Kind zu bekommen, so enorm groß würde, dass sie sich nicht mehr frei entscheiden können. Ich frage mich aber: Was soll denn die Schlussfolgerung aus dieser Hypothese des Rechtfertigungsdrucks sein - die Freiheit aller einzuschränken? Auf der anderen Seite entsteht häufig der Eindruck, es gäbe geradezu einen Zwang zur PID. Auch das - das will ich hier betonen - ist nicht der Fall. Niemand ist verpflichtet, diese Möglichkeit in Anspruch zu nehmen. Wer sich für die Möglichkeit einer PID entscheidet, muss die belastende Prozedur einer künstlichen Befruchtung auf sich nehmen. Es geht in unserem Entwurf auch nicht um intelligente Kinder mit einer bestimmten Augenfarbe. Wer die Prozedur einer PID auf sich nimmt, tut das nicht, um ein Baby mit blauen Augen zu bekommen. Das ist medizinisch gar nicht möglich, und auf die Belastungen der künstlichen Befruchtung habe ich hingewiesen. Es ist geradezu absurd, anzunehmen, dass sich Frauen dieser Belastung freiwillig aussetzen, nur um ein bestimmtes Merkmal ihres Kindes auswählen zu können. ({2}) Den betroffenen Paaren eine solche Motivation zu unterstellen, halte ich für eine Form der Verleumdung. Sie wird der Konfliktsituation dieser Paare in keiner Weise gerecht. Kein Paar und auch keine Frau entscheidet sich leichtfertig für eine PID. ({3}) Kolleginnen und Kollegen, eine Zulassung der PID in Grenzen bedeutet auch keinesfalls eine Garantie auf ein gesundes Kind. Wir wollen den betroffenen Paaren aber die Möglichkeit eröffnen, ein Kind zu bekommen, das überhaupt eine Chance auf Leben hat. PID bedeutet für die Betroffenen vor allem eine Hoffnung, und diese wollen wir ihnen nicht nehmen. Die Betroffenen sollen nicht einfach ihr Leid hinnehmen müssen. Wir ertragen auch anderes Leid nicht einfach, sondern behandeln und therapieren es. Warum sollte das für Paare mit einer solchen genetischen Risikokonstellation anders sein? ({4}) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Gesetzgeber nicht das Recht haben, den betroffenen Paaren diese medizinische Möglichkeit zu versagen. Deshalb schlagen wir eine begrenzte Zulassung der PID vor - mit einer Einzelfallentscheidung durch eine Ethikkommission und einer ausführlichen Beratung und nur in zugelassenen Zentren. Wir, die wir für eine Zulassung in engen Grenzen werben, sind davon überzeugt, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit der PID möglich ist. Wir wollen Paaren, wie ich sie eingangs beschrieben habe, Hilfe anbieten. Ich finde, wir sollten diesen Paaren, die einen so langen Leidensweg hinter sich haben, Vertrauen entgegenbringen, statt ihnen durch ein Verbot jede Hoffnung auf ein eigenes Kind zu nehmen. Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, im Interesse der betroffenen Menschen für unseren Gesetzentwurf zu stimmen. Danke schön. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Harald Terpe ist der nächste Redner.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist verständlich, dass sich Eltern gesunde Kinder ohne eine Erbkrankheit wünschen, ihnen Leid ersparen möchten. Dieser Wunsch wird immer wieder als der zentrale Grund angeführt, die PID auch in Deutschland zuzulassen, häufig ohne zu hinterfragen, ob sich die Verheißung erfüllt. So verständlich dieser Wunsch ist: Taugt er auch als alleiniger Maßstab unserer heutigen Entscheidung? Um es anders auszudrücken: Heiligt der Zweck die Mittel? Die Zulassung der PID im Sinne von Frau Flach und anderen bedeutet für mich mindestens eine Relativierung von Normen unseres Grundgesetzes. Sie steht im Widerspruch zum Gendiagnostik- und Embryonenschutzgesetz. Es bedarf also schwerwiegender Argumente, um einen derartigen Grundwerteumsturz zu rechtfertigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einige Argumente aus ethischer und medizinischer Sicht wägen. Das von Befürwortern der PID-Zulassung immer wieder vorgetragene Argument, die PID könne Erkrankungen und Behinderungen vermeiden, führt in die Irre. Wohl aber soll die PID zur Vermeidung von Menschen mit bestimmten Behinderungen und Erkrankungen genutzt werden, also zur Vermeidung bestimmter Menschen an sich. Das wäre ein Paradigmenwechsel, eine andere Dimension. Auslese würde dann aus meiner Sicht zur gesetzlich-gesellschaftlichen Norm. Darüber hinaus bestünde die Gefahr, einen Menschen verstärkt auf seine Erkrankung zu reduzieren. Bei der Entscheidung, ob ein Kind gewünscht ist oder nicht, drohte die Erkrankung oder Behinderung zum ausschlaggebenden Maßstab zu werden. Dabei geriete vollkommen außer Acht, dass ein Mensch mehr ist als seine genetischen Anlagen, dass er neben einer Erkrankung viele andere Eigenschaften und Talente besitzt, die sein Leben für ihn lebenswert machen. ({0}) Nimmt man den vorgeschlagenen Anwendungsbereich der PID als Grundlage, wären Menschen wie Gottlieb Planck, der Vater unseres Bürgerlichen Gesetzbuches, oder der Schauspieler Richard Burton vermutlich ebenso wenig geboren worden wie die Musiker Paganini und Rachmaninow. Denken wir bei unserer Entscheidung daran! Die Möglichkeiten, Erbkrankheiten medizinisch zu behandeln, entwickeln sich ständig fort. Für die meisten Erkrankungen stehen in westeuropäischen Ländern mittlerweile gute Therapie- und Hilfsangebote zur Verfügung, sodass viele der Betroffenen zumindest das Erwachsenenalter erreichen. Bei mehr und mehr Erkrankungen unterscheidet sich die Lebenserwartung nicht mehr von der gesunder Menschen. Es stimmt einfach nicht, dass die PID im Sinne von Frau Flach und anderen nur in aussichtslosen und mit viel Leid verbundenen Fällen angewandt werden soll. Aber ließe sich nicht die Zahl leidvoller, bei einigen Frauen im Rahmen von natürlichen Schwangerschaften gehäuft auftretender Fehl- und Totgeburten reduzieren, wie Kollege Hintze und auch Frau Flach mit Verve argumentieren? Das schon, nur mit dem Nachteil, dass die für die PID notwendige künstliche Befruchtung zwar die Frau der Tortur einer hormonellen Stimulation aussetzt und sich die Chance auf ein gesundes Kind womöglich deutlich verringert; das ist in einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages nachzulesen. Auch im Hinblick auf die meisten Erbleiden dürfte sich die Chance auf ein gesundes Kind eher verringern, würden sich die Paare für eine PID entscheiden. Das ist ein Fakt, der von der Flach-Gruppe offenbar verschleiert wird. Das liegt darin begründet, dass von einer Erbkrankheit bedrohte Kinder zumeist auf natürlichem Weg gezeugt, die Frauen also spontan schwanger werden. Ich will nochmals betonen: In der heutigen Debatte geht es nicht um unfruchtbare Paare, sondern um Frauen, die sich wegen der PID einer quälenden, schlimmstenfalls lebensbedrohlichen, in mehr als 80 Prozent der Fälle erfolglosen künstlichen Befruchtung unterziehen müssten. Wie ist es aber mit dem Argument der Spätabtreibung? Die Vorstellung, durch die PID Spätabbrüche zu verhindern, geht fehl. Viele der Störungen, die Anlass für einen Spätabbruch sein können, werden mittels der PID überhaupt nicht diagnostiziert. PID und Pränataldiagnostik stehen also nicht in einem Entweder-oder13880 Verhältnis, sondern addieren sich. Es gibt bislang keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass durch die PID die Raten von Spätabbrüchen und Fehlgeburten signifikant gesenkt werden konnten. ({1}) Meine Abwägung zeigt, dass es sehr gute rationale Gründe gibt, die Zulassung der PID abzulehnen. Dazu möchte ich auch Sie ermutigen. Die Gründe stützen sich, wie gezeigt, auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Den noch Unentschlossenen kann ich nur empfehlen, sich diesen Erkenntnissen nicht zu verschließen, damit wir die betroffenen Paare nicht einer Behandlung aussetzen, die ihr Leid zumeist nicht mildert, unsere Gesellschaft aber in schwere ethische Konflikte stößt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Martina Bunge ist die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Problematik der Präimplantationsdiagnostik beschäftige ich mich seit zehn Jahren intensiv. Das sind immer stark berührende, ja, auch quälende Momente. Deshalb bin ich froh, dass der Bundesgerichtshof uns im letzten Jahr aufgefordert hat, für rechtliche Klarheit zu sorgen. Ich bin Unterzeichnerin des Gesetzentwurfs von Frau Flach, Herrn Hintze und anderen, nach dem eine begrenzte Anwendung der PID erlaubt sein soll. Wie bin ich zu dieser Entscheidung gekommen? Fast genau heute vor zehn Jahren, im Zusammenhang mit einer der ersten Anwendungen der PID in Großbritannien, ist dieses neue Ergebnis wissenschaftlicher, medizinischer Forschung auch in der breiten Öffentlichkeit in Deutschland bekannt geworden. Ich war damals Sozial- und Gesundheitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Schon eine Woche nach dem PID-Bericht hatte ich drei einschneidende Erlebnisse, die mein Denken seither beeinflussen. Sofort meldete sich der Weihbischof, der mir sehr wohlwollend gegenübersteht, seit mein Staatssekretär und ich nach dem Papstbrief zum Verbot des Schwangerschaftsabbruchs eine Gesetzesvariante schufen, die es ermöglicht, dass die Schwangerenberatung für Frauen katholischen Glaubens weiterhin gefördert wird. Nach Bekanntwerden der PID-Anwendung in Großbritannien appellierte Seine Exzellenz an mich, alles dafür zu tun, dass dieser Eingriff in die Menschwerdung nicht auch in Deutschland gestattet wird. Am nächsten Tag empfing ich die Spitze des gerade gegründeten Integrationsförderrates, der in Mecklenburg-Vorpommern alle gesetzgeberischen Initiativen daraufhin überprüft, ob die Belange von Menschen mit Behinderung ausreichend berücksichtigt wurden. In diesem Gespräch kamen wir natürlich auf die Angst zu sprechen, dass die PID einen Einstieg in das Sortieren in lebenswertes und -unwertes Leben bedeuten könnte und sich Eltern bald mit dem Vorwurf konfrontiert sehen würden, ob ihr behindertes Kind überhaupt hätte sein müssen. Aber einhellig war die Meinung nicht. Die Vertreterin der chronisch Kranken warf schüchtern ein, ob man denn darin nicht auch eine Chance sehen sollte, schwerste Erkrankungen zu vermeiden. Am nächsten Tag saß in meinem Wahlkreisbüro eine junge Frau mit ihrem Mann vor mir. Sie erzählten mir von ihren schrecklichen Erlebnissen bei den Versuchen, ein Kind zu bekommen. Die beiden hatten genetische Dispositionen, die es bisher nicht zuließen, dass die Frau die kleinen Wesen, die sich schon mehrmals in ihr entwickelt hatten, austragen konnte. Alle bisherigen Schwangerschaften endeten frühzeitig, weil der Fötus starb. Sie fragten mich, wann es die neue Methode aus Großbritannien auch bei uns in Deutschland gebe, weil sie darin eine Chance sahen. Ihr Arzt bestätigte, dass sie damit vielleicht eine Chance hätten. Jahr für Jahr hatte ich ähnliche Begegnungen. Es wurde die Angst vor dem Designerbaby geäußert, Details über neue Forschungsergebnisse wurden klarer, und ethische, moralische und juristische Fragen wurden gewälzt. Ich frage mich seither und Sie alle heute: Ist es verantwortbar, die PID strikt abzulehnen, weil nach christlichem Glauben bereits mit der befruchteten Eizelle der Schutz des ungeborenen Lebens beginnt? Was ist denn mit der Auffassung meines damaligen Staatssekretärs, der Jude war und die PID für verantwortbar hielt, weil sich nach jüdischem Glauben ein Mensch erst entwickeln kann, wenn der Körper der Frau die Eizelle aufgenommen hat? Das ist eine Auffassung, die ich als Atheistin teile. Darf ich mit meiner Entscheidung nur eine Auffassung tolerieren und die andere nicht? Ich meine, das geht nicht. ({0}) Wie ist verantwortbar, starke Gefühle unterschiedlich zu behandeln, beispielsweise die Ängste von Menschen mit Behinderungen, dass die Normalität ihres Andersseins infrage gestellt wird? Insofern müsste die Ablehnung der PID respektiert werden. Damit würde aber zugleich die Verzweiflung der jungen Frauen und deren Partner, die sich überhaupt ein Kind oder ein Kind ohne schwerste Beeinträchtigungen wünschen, nicht respektiert werden. Ich meine, das geht nicht. ({1}) Schließlich: Was ist von der Argumentation zu halten, dass eine begrenzte Zulassung ein Dammbruch wäre und sie über kurz oder lang zum Designerbaby führen würde? Ich denke, Eigenschaften und Aussehen sind nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen genetisch nicht auswählbar. Das wird auch in naher Zukunft nicht möglich sein. Ja, wir brauchen eine würdige Debatte und eine verantwortungsvolle Entscheidung. Wir brauchen aber auch so weit wie möglich eine Ausgewogenheit in der Beachtung von Interessen und Betroffenheit. Deshalb habe ich mich für die begrenzte Zulassung der PID entschieden. Die Einzelfallentscheidung zur PID wird meines Erachtens allen dargelegten Perspektiven am ehesten gerecht. Die Einzelfallentscheidung ist individuell und konkret und richtet sich nicht nach einem Katalog. ({2}) Was die nahe Zukunft betrifft, habe ich Vertrauen, dass auch spätere Politikerinnen und Politiker ebenso verantwortungsvoll wie wir heute entscheiden werden. Ich danke Ihnen. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Thierse. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, eine wahrlich schwierige Güterabwägung. Die Befürworter der PID tragen gewiss gewichtige Argumente vor. Ich kann mich ihnen trotzdem nicht anschließen; denn würden wir ihnen folgen, also PID zulassen, nähmen wir einen fundamentalen Paradigmenwechsel vor. Denn um der Hilfe bei individuellem Leid willen, um der Erfüllung des Wunsches nach einem eigenen, möglichst gesunden Kind willen veränderten wir ein Allgemeines höchst folgenreich: Wir ermöglichten Selektion, wir ermöglichten eine Qualitätsüberprüfung menschlichen Lebens. ({0}) Ich will meine Entscheidung gegen die PID in sieben Punkten begründen. Erstens. Die Garantie der Menschenwürde bedeutet, dass jeder Mensch Subjekt aus sich heraus ist, Zweck in sich selbst im Sinne Immanuel Kants. Diese Menschenwürde gilt von Anfang an. Naturwissenschaftlich herrscht heute Einvernehmen darüber, dass mit der Kernverschmelzung das vollständige individuelle menschliche Genom entstanden ist, aus dem ein vollständiger menschlicher Organismus, ein neugeborenes Individuum, hervorgehen kann. Der Schutz der Menschenwürde muss also hier, zu diesem Zeitpunkt, beginnen. ({1}) Zweitens. Aus dem Gebot der Menschenwürde ergibt sich das Verbot der Instrumentalisierung, der Verzweckung eines Menschen. Bei der PID aber geschieht genau dies. Embryonen werden als Sachen behandelt, sie werden nicht um ihrer selbst willen gezeugt, sondern zum Zweck ihrer Auswahl. Ihr Sein, ihre Entwicklung werden von bestimmten genetischen Dispositionen und Merkmalen abhängig gemacht. Drittens. Menschenwürde ist mit dem Recht auf Leben verknüpft. PID zielt aber auf Auswahl, ist also unweigerlich auf eine qualitative Selektion mit anschließender Beendigung menschlichen Lebens ausgerichtet. Die Notwendigkeit der Auswahl wird noch dadurch verschärft, dass zur Durchführung der PID mehr Embryonen gebraucht werden, als eingepflanzt werden können. Reproduktive Freiheit - wie das genannt worden ist rechtfertigt aber auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit einen solchen Eingriff in das Lebensrecht nicht. ({2}) Viertens. Nach meiner Überzeugung sind die Konfliktlagen bei PID und beim Schwangerschaftskonflikt nicht vergleichbar. ({3}) Bei der PND wird nicht prinzipiell ein Ergebnis vorweggenommen. Es geht im Konfliktfall um die Abwägung zwischen dem Lebensrecht des Ungeborenen und dem Recht der Schwangeren auf Leben und physische wie psychische Unversehrtheit. Bei der PID aber wird von vornherein eine Entscheidung zwischen verschiedenen, geeigneten oder ungeeigneten, Embryonen getroffen. ({4}) Fünftens. Eine Zulassung der PID würde genau den Selektionsgedanken in die deutsche Rechtsordnung wieder einführen, dem der Gesetzgeber mit der Ablehnung der embryopathischen Indikation, ({5}) also der Erlaubnis, menschliches Leben aufgrund unerwünschter Eigenschaften zu verwerfen, bei der Reform des § 218 ausdrücklich widersprochen hat. ({6}) Sechstens. Wer behauptet, PND und PID liefen dann, wenn ein krankes oder behindertes Kind zu erwarten sei, letztlich auf dasselbe, auf eine Tötung des Embryos, hinaus, unterstellt genau den Automatismus, den der Gesetzgeber mit der Abschaffung der embryopathischen Indikation verhindern wollte. Rechtsmissbrauch aber darf vernünftigerweise nicht als Argument herhalten. ({7}) Die missbräuchliche Praxis einer Inanspruchnahme der PND, die sogenannte Schwangerschaft auf Probe, sollte nicht zu einem Argument für die PID, für eine Zeugung auf Probe, gemacht werden. Siebtens. Es ist nicht Alarmismus oder ein angstbesetzter Blick auf den wissenschaftlichen Fortschritt, wenn man die Möglichkeiten der Begrenzung der PID für äußerst fraglich hält. Dank der Weiterentwicklung der Untersuchungsmethoden lässt sich mit aller Wahrscheinlichkeit die Erhebung von sogenannten Nebenbefunden nicht verhindern. Wenn man PID erlaubt, werden eben auch das Screening auf chromosomale Fehler oder das Genetic Screening möglich. Zum Schluss. Selbst nach Auffassung ihrer Befürworter handelt es sich bei der PID um eine Methode, die so problematisch ist, dass sie nur in seltenen Fällen eingesetzt werden sollte. Ist unsere ganze Aufregung also unangemessen? Sollten wir nicht diese wenigen Ausnahmen zulassen? Ich meine, nicht. Bei der Entscheidung über die PID geht es heute um sehr grundsätzliche Fragen: um die Frage nach der Bedingtheit oder Unbedingtheit des Kinderwunsches, die Frage nach unserem Begriff von Menschenwürde und für wen und ab wann diese gilt, die Frage nach der Qualitätsüberprüfung beginnenden menschlichen Lebens und der ihr folgenden Möglichkeit zur Selektion. Es geht nicht um eine Ethik der Strafe, sondern um eine Ethik der Menschenwürde. ({8}) PID verhindert möglicherweise in einzelnen Fällen Leid, aber sie verhindert in jedem Fall das Lebensrecht von gezeugtem menschlichen Leben. ({9}) Wir sollten das nicht tun. Bitte unterstützen Sie den Gesetzentwurf zum Verbot der PID! ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Jerzy Montag.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Je länger ich mich mit der PID in all ihren Facetten beschäftigt habe, umso klarer ist für mich geworden: Wir können und wir dürfen unsere Entscheidung nicht über die Köpfe derjenigen hinweg treffen, die an erster Stelle Verantwortung für ein möglicherweise schwerkrankes oder todgeweihtes Kind zu tragen haben. Es sind die Eltern und ganz besonders die Mütter, deren Wunsch und Urteil wir nicht übergehen dürfen, was aber im Ergebnis der Gesetzentwurf des Kollegen Singhammer und anderer tut. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der begrenzten Zulassung der PID nach unserem Gesetzentwurf geht es nicht um ein vermeintliches Recht auf ein durch und durch gesundes Kind. Ein solches Recht, einen solchen Anspruch gibt es nicht, und wir versprechen ihn auch nicht in unserem Gesetzentwurf. Herr Kollege Meinhardt, ich gebe Ihnen recht: Es geht nicht um ein Werturteil gegen sogenanntes lebensunwertes Leben, und es geht auch nicht um eine sogenannte Selektion, nicht nur in Ihrem Gesetzentwurf nicht, sondern auch in unserem Gesetzentwurf nicht. ({1}) Herr Kollege Thierse, ich widerspreche Ihnen vehement, wenn Sie diese Begriffe im Zusammenhang mit unserer Debatte verwenden. ({2}) Alleine schon wegen der Assoziationen mit diesen Begriffen, die in die dunkelste Vergangenheit Deutschlands führen, finde ich, verbietet es sich, ({3}) den Frauen zu unterstellen, ihnen gehe es um Selektion oder um die Ablehnung lebensunwerten Lebens. ({4}) Es geht auch nicht um die Hybris, Gott oder dem Schicksal in die Parade fahren und ein perfektes Kind züchten zu wollen. Der Landesbischof der evangelischen Kirche in Bayern - so las ich es in der Presse - hat den Betroffenen in einer Predigt vorgeworfen, sie würden die PID beanspruchen, um sich „am Leid vorbeizumogeln“. Den betroffenen Vätern und Müttern einen solchen Vorwurf zu machen, finde ich nicht richtig. ({5}) All diese Debatten haben ihre Berechtigung. Aber sie haben nichts mit den Frauen zu tun, die nach mehreren Tot- oder Fehlgeburten in Verzweiflung leben, weil sie Angst vor weiteren Schwangerschaften haben, sich aber eigene Kinder wünschen. Sie haben nichts mit den Eltern zu tun, die in sich die Veranlagung zu schweren, unheilbaren Erbkrankheiten tragen, die Kinder schon qualvoll haben sterben sehen oder die liebevoll Verantwortung für erkrankte Kinder tragen und so erschöpft sind, dass sie ein solches Leid nicht noch einmal erleben können. Die Eltern, die Väter und die Mütter, die wir bei unserer heutigen Entscheidung nicht übergehen dürfen, sind solche, die zum Beispiel die Anlage zur Erbkrankheit Morbus Krabbe in sich tragen, welche sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ihre Kinder übertragen. Wenn diese Krankheit bei Babys ausbricht, werden sie nach wenigen Monaten blind, taub und steif und sterben unausweichlich. Die moderne Medizin hat die In-vitro-Fertilisation ermöglicht; so sind inzwischen Hunderttausende von Kindern geboren worden. Damit ist auch die Pflicht der Gesellschaft und des Parlaments entstanden, extrakorporale Embryonen als beginnendes menschliches Leben zu schützen. Aber dieser Schutz ist in jeder nur denkbaren Variante nur mit den Frauen, den zukünftigen Schwangeren und Müttern, gemeinsam möglich. ({6}) Bei der In-vitro-Fertilisation ist eine Einpflanzung der extrakorporal erzeugten Embryos gegen den Willen der Frauen nicht möglich. Eine etwaige zwangsbewehrte Verpflichtung hierzu wäre krass verfassungswidrig und unmenschlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen es den Betroffenen auch mit unserem Vorschlag nicht leicht. Schon die In-vitro-Fertilisation ist langwierig, schmerzhaft und ungewiss; die Erlangung von weiblichen Eizellen ist kein Spaziergang. Danach verlangen wir eine Pflichtberatung über alle psychosozialen und medizinischen Aspekte. Die Frauen haben eine Bringschuld, die besondere Situation, in der sie sich befinden, darzulegen und glaubhaft zu machen. Es findet eine Begutachtung durch eine Ethikkommission statt. All das führt nicht mit Garantie zum Erfolg. Es erhöht nur die Chance auf ein lebensfähiges und gesundes Kind. Wir finden, dass die betroffenen Frauen diese Chance verdienen und dass sie in Selbstbestimmung einen Anspruch auf die medizinische Dienstleistung einer PID haben. Deshalb bitte ich Sie, unserem Gesetzentwurf nach Abwägung aller Argumente Ihre Zustimmung zu geben. Danke schön. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Maria Michalk ist die nächste Rednerin. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Menschen knüpfen an jede medizinische Entwicklung Hoffnungen. Wir möchten weniger Leid; wir möchten gesund werden; wir möchten weniger Schmerzen haben. Es ist tatsächlich so, dass sich ähnliche Hoffnungen auch an die PID knüpfen, die an Embryonen ab dem fünften Tag nach der Befruchtung außerhalb des Mutterleibes stattfindet. Nur diejenigen werden eingepflanzt bzw. transferiert, die gesund sind. Wir bewerten also. Aber müssen wir uns in diesem Fall nicht vorher fragen, wohin uns die Hoffnungen in Bezug auf die PIDMöglichkeiten führen, wenn in der Gesellschaft nicht die Frage beantwortet ist, ob es uns Menschen erlaubt ist, in vitro hergestellten Embryonen weniger Schutz zukommen zu lassen als den Embryonen im Mutterleib? Damit wende ich mich besonders an Herrn Montag. Diese Frage haben Sie nicht beantwortet. Wo bleibt unsere ethisch-moralische Verantwortung, wenn in diesem frühen Stadium mit drei Embryonen alles unternommen wird, um ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen, und die anderen Embryonen verworfen werden? Was geschieht mit ihnen? Wie fühlt sich die Mutter - die auch diese Embryonen, die nicht leben dürfen, haben -, die weiß, dass diese Kinder nicht leben durften? Nach welchen Kriterien wird eigentlich aussortiert? Ich habe heute noch kein vernünftiges, unser Menschsein aufnehmendes Argument gehört. Wer legt diese Kriterien fest? Was sind schwerwiegende genetische Schäden, von denen hier immer gesprochen wird? Bei einer natürlichen Empfängnis stellen sich diese Fragen in diesem Entwicklungsstadium tatsächlich nicht. Was beide Arten der Empfängnis verbindet, ist die Würde, die allen von Anfang an zukommt - allen; jedem von ihnen. Das steht auch in unserem Grundgesetz. Die Prognose, ob ein Kind gesund zur Welt kommt oder mit einer Behinderung oder einer Veranlagung zu einer Krankheit geboren wird, ist an dieser Stelle - an dieser Stelle - unerheblich. Es geht immer um die gleiche menschliche Würde. ({0}) Welches Gesicht soll unsere Gesellschaft in Zukunft haben? Auch diese Frage müssen wir uns in diesem Kontext stellen. Wollen wir nur schöne, junge, gesunde Menschen - keine blinden, keine körperbehinderten, keine geistig behinderten Kinder? ({1}) Was für eine Armut! Viele Zuschriften belegen, dass sich Menschen mit Behinderungen sorgen und den emotionalen Spagat kaum ertragen können - auf der einen Seite die Freude darüber, dass sie eine Mutter und einen Vater haben, die sie gezeugt und geboren haben, und auf der anderen Seite die Sorge vor in der Zukunft drohender Diskriminierung, weil künftig vielleicht die Geburt eines behinderten Kindes mit dem Satz belegt wird, der leider heute schon gelegentlich zu hören ist: Na, das musste ja nun wirklich nicht sein. Wir müssen diese Gefühle ernst nehmen. Wir alle in der Gesellschaft sind gut beraten, den bei manchen - ich habe das jetzt auch in der Debatte ein bisschen gespürt vorhandenen Hochmut abzulegen, der darin besteht, dass wir alles können, alles wissen und alles dürfen. Deshalb sage ich Ihnen, Kollegin Flach und Kollege Hintze: Sie möchten mit Ihrem Antrag, wie Sie wiederholt hier und in der Öffentlichkeit betont haben, vor allen Dingen dafür sorgen, dass Frauen das Schicksal erspart bleibt, Totgeburten oder Fehlgeburten zu haben. In der Tat ist das eine schwierige Lebenssituation. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Darauf will ich an dieser Stelle hinweisen. Unser erstes Kind war totgeboren. Hätte es damals die PID gegeben, hätte ich es nie in der Hand gehalten. Es gab auch drei Fehlgeburten. Ich kann nachvollziehen, wie es Paaren geht, die sich unbedingt ein gesundes Kind wünschen und den Druck kaum noch aushalten. Erst als der Druck aus meinem Kopf war und ich alle klugen Ratschläge abgelegt hatte, kamen drei gesunde Kinder. Und auch das müssen wir uns verinnerlichen: Die Natur lässt sich nicht vergewaltigen. Das ist meine Aussage an dieser Stelle. Ich finde, es ist ein großer Reichtum, auch solche Lebenserfahrungen machen zu müssen, zu dürfen. Auch das haben viele Paare geschrieben, die sich in den letzten Wochen an dieser Diskussion beteiligt haben. Ich glaube, wir müssen viel mehr das Natürliche unseres Menschseins und unseres Menschwerdens bewahren und dürfen nicht alles unter dem Aspekt der 100-prozentigen Sicherheit verkünsteln und abstrahieren und damit die Frauen und ihre Partner durch lauter Untersu13884 chungsmöglichkeiten, die immer besser werden, verunsichern und unter eine enorme psychische und physische Dauerbelastung setzen. Noch ein letzter Aspekt. Bei der Novellierung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes wurde die embryopathische Indikation bewusst abgeschafft. Viele, die heute hier sind, waren damals dabei. Wir wollten die Diskriminierung behinderten Lebens ein für alle Mal verhindern. Mit der Zulassung der PID - so, wie sie heute hier vorgestellt worden ist - würde dieses Auswahlkriterium wieder eingeführt werden. Wollen wir das wirklich? Krankheit und Behinderung gehören zu unserer menschlichen Existenz wie die Auflösung von Moll in Dur in der Musik.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb bitte ich Sie sehr, sich zu entschließen, dem Antrag auf Verbot der PID zuzustimmen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Mitglied des Hohen Hauses, das sich in die Debatte eingebracht hat, sich noch einbringen wird oder heute auch einfach nur abstimmen wird, muss eine Abwägung zwischen verschiedenen Rechtsgütern vornehmen. Diese Abwägung fällt höchst unterschiedlich aus, und das ist auch gut so. Es ist eine Abwägung zwischen den eigenen Prinzipien und der konkreten Situation der betroffenen Frauen. Es ist eine Abwägung zwischen Empathie und Verantwortung für die betroffenen Paare und dem nötigen Respekt vor ungeborenem Leben. Bei dieser Abwägung, was richtig und was falsch ist, macht es sich keiner von uns leicht. Aber: Wir müssen das Leiden der betroffenen Frauen ernst nehmen. Wir dürfen nicht auf dem eigenen Standpunkt beharren und an den eigenen abstrakten Prinzipien festhalten. Das Leiden einer Frau, deren erstes Kind im fünften Lebensjahr verstirbt, die einen ersten Abbruch nach einer Pränataldiagnostik und zwei Jahre später einen weiteren Abbruch nach einer Pränataldiagnostik verkraften musste, ist ganz konkret. ({0}) Deshalb plädiere ich dafür, diesen Frauen auch ganz konkret zu helfen. Für diese Hilfeleistung müssen wir einen rechtlichen Rahmen bieten. Der Antrag der Kolleginnen und Kollegen Flach, Hintze und anderer bietet genau den richtigen Rechtsrahmen, in dem die notwendige Hilfe geleistet werden kann. Als Gesetzgeber sind wir geradezu dazu verpflichtet, die Nutzung medizinischer Technologien zu ermöglichen, wenn dies ganz konkret zur Linderung von Leid beiträgt. Wir sollten die Chancen der PID nutzen, statt die vermeintlichen ethischen Risiken in den Vordergrund zu stellen. In allen Ländern, in denen die PID erlaubt ist, wird mit dieser Methode - und zwar schon seit 20 Jahren - sehr verantwortungsvoll umgegangen. ({1}) Lassen Sie mich bitte noch einmal auf den Kernpunkt dieser Debatte hinweisen, auf den Wertewiderspruch zwischen einer Zulassung der Pränataldiagnostik mit anschließendem Schwangerschaftsabbruch und einem Verbot der PID; denn eine PND, also eine Pränataldiagnostik, mit nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch wird in unserer Gesellschaft rechtlich und ethisch toleriert. Es wäre normativ höchst widersprüchlich, bei entsprechender genetischer Belastung der Familie als Alternative zur PID eine PND durchführen zu lassen und einen Spätabbruch zu akzeptieren. Das darf man keiner Frau, darf man keinem Paar zumuten. ({2}) In der Leopoldina-Stellungnahme vom Januar 2011 heißt es sehr treffend - ich zitiere wörtlich -: Auf Grund gleichgelagerter Konfliktsituationen für die Frau sollte unter einschränkenden und definierten Bedingungen eine PID gesetzlich zugelassen und die damit verbundenen Folgen für den Embryo vom Gesetzgeber der PND … und dem Schwangerschaftsabbruch … gleichgestellt werden. Klarstellen möchte ich auch: PID schafft keine gesunden Kinder, was heute schon häufiger behauptet wurde. Das trifft nicht zu. PID ermöglicht Kinder, die von einer bestimmen schweren genetischen Erkrankung nicht betroffen sein werden; das sollten wir hier noch einmal ganz klar sagen. Um auszuschließen, dass auch das dritte Kind einer Frau, wie ich es eben geschildert habe, lebensunfähig zur Welt kommt, um auszuschließen, dass es zum wiederholten Male zu einer Totgeburt kommt, um auszuschließen, dass diese Frau eine erneute Spätabtreibung erleiden muss, wollen wir, und zwar ausschließlich für die eben genannten Fälle, die PID ermöglichen. Eine Zulassung der PID ist eben nicht, wie es heute mehrfach behauptet wurde, die brachiale Brechstange, mit der wir für Selektion und Designerbabys Tür und Tor öffnen. PID ist auch kein Eingriff in die Schöpfung. PID ist der Ausdruck der Ethik des Helfens. Dafür bitte ich Sie heute um Ihre Unterstützung, um Unterstützung für den Antrag Flach/Hintze und anderer. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Kathrin Vogler. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit dem BGH-Urteil vor ungefähr einem Jahr machen wir uns hier im Haus sehr intensiv, ernsthaft und manchmal auch auf etwas emotionale Weise Gedanken über die Präimplantationsdiagnostik. Heute werden wir entscheiden: ohne Fraktionsbindung, jede und jeder nur nach seinem oder ihrem Gewissen. Ich respektiere absolut die Gewissensentscheidung derjenigen, die hier zu einem anderen Schluss gekommen sind als ich. Aber ich möchte doch einige offene Fragen aufwerfen, die Sie sich vielleicht nicht so gestellt haben, und bitte Sie, darüber nachzudenken. Zuerst einmal bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen: Jeder hier im Haus hat Verständnis für den Wunsch von Menschen, die von einer Erbkrankheit betroffen sind, nach einer glücklichen Schwangerschaft und nach Geburt eines gesunden Kindes. Niemand hier möchte Menschen in Not allein lassen. Aber wir müssen uns ganz nüchtern fragen, ob das, was wir hier gesetzgeberisch tun, nicht doch weitreichendere Folgen hat, Folgen, die wir so nicht beabsichtigen. Ich weiß aus vielen Diskussionen und Gesprächen mit Mitgliedern meiner Fraktion, dass es ganz unterschiedliche Motive gibt, dem Gesetzentwurf der Gruppe Flach/ Hintze zuzustimmen. Es gibt diejenigen, die eine möglichst uneingeschränkte Freigabe der PID wollen. Andere wollen nur in ganz eingeschränkten Situationen wenigen Paaren helfen und glauben, dass sie das mit diesem Gesetzentwurf am besten können. Nun lassen sich diese ganz unterschiedlichen Sichtweisen ausgesprochen schwer in einem Gesetzentwurf zusammenbringen. Deswegen hat er einige Unschärfen, die für mich viele Fragen offenlassen. Ein Beispiel ist der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung. Befürchten nicht auch Sie, dass dieser Begriff zu einer Ausweitung geradezu einlädt? Was „schwerwiegend“ ist, empfindet doch jeder Mensch anders. Ich habe hier zum Beispiel den Eintrag einer jungen Frau aus einem Kinderwunschportal im Internet. Sie möchte gerne schwanger werden, ihre Ärztin sieht dafür trotz ihrer chronischen Erkrankung kein Hindernis. Die Frau beschreibt nun recht plastisch, wie ihr Partner sie bedrängt, eine PID durchführen zu lassen. Ich zitiere: Schließlich will er gesunde Kinder haben und nicht, dass sie mal so leiden müssen wie ich. - Die junge Frau allerdings meint: So schlimm ist mein Fall doch gar nicht. Meine Mutter und ich reden uns über dieses Thema in Rage, jedes Mal, weil wir es zum Teil auch unfair finden. Mein Vater und mein Freund sind der Meinung, solche vorbelasteten Frauen sollten gar nicht erst Kinder bekommen. - Sie empfindet das Anliegen ihres Freundes, obwohl sie Verständnis dafür hat, auch als Infragestellung ihrer eigenen Person und fragt dann etwas zynisch: Wie kommt eine Frau mit definitiv nicht einwandfreien Genen überhaupt auf die Idee, eigens gezeugte Kinder zur Welt zu bringen? - Sie durchlebt also das, was wir in der Begründung unseres Antrags etwas abstrakt als „sozialen Druck“ beschreiben. Diesem Druck würden nach einer Zulassung, auch wenn sie begrenzt ist, noch viel mehr Frauen ausgesetzt. Können Sie diese Befürchtung verstehen? Was schwerwiegende Krankheiten sind, das bestimmen dann auch nicht die Frauen selbst, sondern Ethikkommissionen und im Zweifelsfall wieder Gerichte. Auch Krankheiten, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen und daher meiner Ansicht nach gar nicht als Belastung für die Eltern gewertet werden können, sind nicht ausgeschlossen. Entspricht das wirklich Ihren Vorstellungen? Mit einem Änderungsantrag wurde dann der ohnehin unscharfe Begriff „hohe Wahrscheinlichkeit“ durch den noch unschärferen Begriff des „hohen Risikos“ ersetzt und damit die Zielgruppe erheblich erweitert. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ist das wirklich in Ihrem Sinne? So geht es leider weiter. Auch im Gesundheitsausschuss konnten wir nicht klären, welche Form der PID mit diesem Antrag eigentlich zugelassen werden soll: die bisher übliche Blastomerenbiopsie oder, wie der Kollege Hintze in der Anhörung meinte, nur die Untersuchung von Blastozysten, also von nicht mehr voll entwicklungsfähigen Zellen. Wissen Sie aber, dass das ein als experimentell bezeichnetes Verfahren ist, das bisher weltweit erst äußerst selten durchgeführt wurde? Ich habe da als Gesundheitspolitikerin ganz massive Bauchschmerzen. Können Sie das nachvollziehen? Ich bitte Sie darum, noch einmal ganz ernsthaft zu überprüfen: Wollen Sie, dass die PID auch bei spätmanifestierenden Erkrankungen angewandt werden darf? Welches gesellschaftspolitische Signal wollen wir heute aussenden an die junge Frau, von der ich gerade erzählt habe, und an die vielen Paare, bei denen ein Partner chronisch krank oder behindert ist? Was antworten Sie, wenn Sie eine Ärztin fragt, welches Verfahren sie denn nun anwenden darf? Wenn Sie sich nicht ganz sicher sind, wie Sie diese Fragen beantworten würden, dann möchte ich Sie bitten, Ihr Stimmverhalten noch einmal zu überdenken. Wenn Sie eine klare Grenze ziehen wollen, dann bitte ich Sie: Stimmen Sie mit mir und der Gruppe Göring-Eckardt für ein eindeutiges Verbot der Präimplantationsdiagnostik. Danke. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Karin Evers-Meyer ist die nächste Rednerin. ({0})

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über eine Frage ab, mit der sich sowohl der Deutsche Ethikrat als auch die Akademie der Wissenschaften eingehend beschäftigt haben. Ihre Arbeit ist anerkannt, und das Ergebnis dieser Arbeit ist klar und eindeutig. Diese Fachgremien empfehlen uns, dass wir die PID unter bestimmten strengen Voraussetzungen zulassen sollen, nämlich dann, wenn Eltern aufgrund ihrer genetischen Disposition damit rechnen müssen, ein schwerbehindertes Kind zur Welt zu bringen. Wir stimmen heute aber nicht als berufene Vertreter dieser Gremien ab, sondern als Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. Wir stimmen ab als Menschen, jeder von uns mit seinen eigenen Erfahrungen und den daraus resultierenden Weltbildern. Deswegen ist es gut, dass wir in dieser Frage sehr respektvoll mit der Position des jeweils anderen umgehen. Das ist auch der Respekt, den Eltern, die diese Diskussion betrifft, von uns erwarten, und das wirklich zu Recht. Ich persönlich spreche in dieser Debatte nicht als jemand, der Theologie, Ethik oder Medizin studiert hat, sondern als jemand, der selbst Mutter eines schwerbehinderten Kindes war und sich als Behindertenbeauftragte einige Jahre sehr intensiv mit der Situation behinderter Menschen und ihrer Angehörigen in diesem Land beschäftigt hat. Als dieser Jemand will ich Ihnen sagen: Ich hätte, wenn ich von der schweren Behinderung meines Sohnes bereits zu einem frühen Zeitpunkt gewusst hätte, ohne jeden Zweifel mein Kind zur Welt gebracht, und ich würde es auch - weiß Gott - wieder tun. Ich weiß, dass die größte denkbare Mehrheit der Eltern behinderter Kinder genauso denkt. Deswegen sollten wir zuallererst Vertrauen in uns selbst und in alle die haben, die Eltern sind oder Eltern werden wollen; ({0}) denn auch das ist eine Form von Respekt, die man von uns erwartet. Das ist heute meine zentrale Botschaft an alle Eltern, die in einer solchen Situation sind: Wir vertrauen euch. Lasst euch nicht verunsichern. Freut euch auf eure Kinder. Sie werden euer Leben und die Gesellschaft bereichern, völlig unabhängig davon, ob das Kind eine Behinderung hat. Wir, die Politik, müssen dafür sorgen, dass diesen Eltern und ihren Kindern alle erdenkliche Unterstützung und Wertschätzung zuteil werden. Das ist aus meiner Sicht die vorrangigste Aufgabe. Aber - das gehört leider zu der bisher nicht ausgesprochenen Wahrheit - in unseren täglichen politischen Entscheidungen erfüllen wir diese Aufgabe nur unzureichend. Gerade in Deutschland tut man sich sehr schwer damit. Das Leben mit einem schwerbehinderten Kind - das ist hier vielfach gesagt worden - kann mit unsagbaren Belastungen verbunden sein, die Eltern und Familien an den Rand ihrer seelischen und physischen Kräfte führen. Das beginnt mit dem alltäglichen Bemühen um einen Platz in dem Kindergarten oder in der Schule, den oder die auch das Nachbarkind besucht. Es geht weiter mit dem ewigen Bittstellen bei Behörden und Krankenkassen und dem Werben um Verständnis im Familien- und Freundeskreis, wobei die alltägliche Diskriminierung nicht zu vergessen ist. Es endet schließlich da, wo wir zusehen müssen, wie das Kind leidet, und man nichts für das Kind tun kann, außer da zu sein und stark zu sein, auch wenn man sich selber dabei kaum über Wasser halten kann. Alle in diesem Hohen Hause, die sich heute für ein Verbot der PID entscheiden, haben meinen vollen Respekt. Das meine ich sehr ernst. Aber ich will Ihnen auch ganz deutlich sagen: Wenn Sie den Eltern, die aufgrund ihrer genetischen Disposition befürchten müssen, dass sie ein schwerbehindertes Kind zur Welt bringen, die medizinische Möglichkeit per Gesetz nehmen wollen, zu einem Zeitpunkt, an dem Zellen in einem Reagenzglas liegen, diesen unvorstellbaren Belastungen aus dem Weg zu gehen, dann müssen Sie noch viel mehr tun, als diese Gesellschaft heute bereit ist für behinderte Menschen und ihre Angehörigen zu tun. ({1}) Das sehe ich heute leider nicht. Ich sehe, dass wir über Moral und Ethik diskutieren und gleichzeitig immer noch mehr als 80 Prozent aller behinderten Kinder in Förderschulen, Werkstätten und stationäre Einrichtungen schicken. Ich verweise in diesem Zusammenhang sehr bewusst auf eine bei uns parallel stattfindende Debatte, nämlich auf die Debatte um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Damit bietet sich quasi zeitgleich zu der Diskussion über ein Verbot der PID die Chance, eine klare Botschaft an alle Eltern mit einer genetischen Vorbelastung zu senden. Die Botschaft muss klar und unmissverständlich sein: Wir werden alles dafür tun, dass ihre Kinder mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen können, unabhängig von den Kosten; denn wir sind der Überzeugung, dass Moral keine Frage der Kosten sein darf. ({2}) Diese eindeutige Botschaft vermisse ich bisher. Ich halte es aber für geboten, dass wir in unserer Debatte über die PID auch die Situation einfließen lassen, in der sich Tausende von Eltern behinderter Kinder in diesem Land befinden und in der sich diejenigen befinden, die Angst vor der Geburt eines schwerbehinderten Kindes haben. Ich glaube, erst dann, wenn wir dazu bereit sind, führen wir eine ehrliche Debatte über die ethisch-moralische Vertretbarkeit der Präimplantationsdiagnostik. Ich werde mich heute für den Gesetzentwurf der Kollegen Hintze, Reimann, Sitte und Montag entscheiden, weil ich Eltern Mut machen will, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden. Aber ich will sie nicht dazu zwingen. Dazu habe ich - das ist meine ganz persönliche Sicht - kein Recht. Ich will den Betroffenen, die sich ohnehin in einer schwierigen Situation befinden, keine gesetzliche Regelung vorschreiben, sondern ihnen mein Vertrauen entgegenbringen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Pascal Kober. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das individuelle Schicksal von Menschen, die an einer genetischen Disposition für schwere Krankheiten leiden, die sich sehnlichst ein leibliches, ein gesundes oder ein Kind wünschen, das voraussichtlich eine hohe Lebenserwartung haben wird, und die diesen Wunsch nicht erfüllt bekommen, rührt uns alle an. Es macht uns betroffen, und es ist gut, dass hier alle - ich betone: alle - bereit sind, zu helfen, wo sie können. Aber dieses individuelle Schicksal von Menschen und diese Absicht, dieser Wille, zu helfen, die Ethik des Helfens darf nicht verdecken, vor welcher folgenschweren Entscheidung wir heute auch stehen. Es geht um die Frage, inwieweit die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik nicht vielleicht eine fundamentale Abkehr von der Grundidee, vom Prinzip der Menschenund Grundrechte bedeutet. Diese Rechte gelten nach unserem bisherigen Verständnis unveräußerlich, sie gelten unteilbar, und sie gelten universell. Wenn wir zulassen, dass der Gesetzgeber sich selbst oder ein Gremium, ein Expertengremium oder eine Ethikkommission, dazu ermächtigt, Wertungsentscheidungen vorzunehmen, nämlich darüber, welches Leben mehr oder weniger zu achten und zu schützen ist, für welches menschliche Leben diese Bedingungen gelten und für welches menschliche Leben jene, für welche Menschen die Grundrechte bedingungslos gelten und für welche Menschen die Grundrechte unter Bedingungen gelten - und das alles aufgrund von im Menschen selbst angelegten genetischen Dispositionen, Alters- oder Entwicklungsstufen -, dann gelten die Menschen- und Grundrechte nicht mehr unveräußerlich, sondern dann sind sie abhängig von Bedingungen und von Willensentscheidungen anderer. ({0}) Wenn wir zulassen, dass die Grundrechte, das Recht auf Leben und das Recht auf eine individuelle Entwicklung, abhängig sind vom Entwicklungsstand oder vom Gesundheitszustand, von Wertungsentscheidungen der Gesetzgeber, der Ethikkommission oder anderer Gremien, dann geben wir diesen Grundsatz der Unveräußerlichkeit der Menschen- und Grundrechte auf. ({1}) Wir dürfen die Geltung der Grundrechte nicht und niemals an Bedingungen knüpfen. Niemals darf die Anerkennung von Grundrechten durch Gesundheit oder bestimmte Entwicklungsstufen begründet sein. Niemand darf sie einem Menschen aufgrund solcher Fragen absprechen. Lieber Peter Hintze, es ist richtig: Zivilisation bedeutet Emanzipation der Menschen von der Natur. Aber ich halte es für die zivilisatorische Errungenschaft schlechthin, dass die Idee unveräußerlicher Menschenrechte Wirklichkeit geworden ist. Sie schützt den Einzelnen vor dem Zugriff, dem Willen der Mehrheit absolut. ({2}) Zwischen der Nichtzulassung der Präimplantationsdiagnostik und den geltenden Regeln des Schwangerschaftsabbruchs besteht nach meiner Ansicht kein Widerspruch. Beim Schwangerschaftsabbruch ist eine konkrete Konfliktlage zweier gleicher Grundrechtsträger - werdendes Kind einerseits und Mutter andererseits - vorausgesetzt. Bei der Präimplantationsdiagnostik geht es hingegen darum, dass vorab Bedingungen formuliert werden - sei es schriftlich oder auch nur in den Köpfen von Mitgliedern von Ethikkommissionen -, unter denen die Grund- und Menschenrechte des Einzelnen umfänglich oder eben eingeschränkt oder in anderer Weise gelten sollen. ({3}) Damit gelten die Grund- und Menschenrechte nicht mehr unbedingt, damit sind sie nicht mehr unveräußerlich, sondern an Bedingungen geknüpft. Ich glaube, dass es genau das ist, was unser Grundgesetz ausschließen will, wenn es formuliert: Die Würde des Menschen ist unantastbar. „Unantastbar“ bedeutet: Sie gilt absolut und darf nicht an Bedingungen und Zwecke geknüpft sein. ({4}) Die Unveräußerlichkeit, die Unantastbarkeit der Grundrechte des Einzelnen darf auch nicht gegen gute Zwecke oder Absichten, gegen eine Ethik des Heilens abgewogen werden. Diesen Grundsatz haben wir zum Beispiel bei der Frage des Folterverbots immer verteidigt. Dieses Verbot erhalten wir auch dann aufrecht, wenn höchste Gefahr in Verzug ist. Wir sollten diesen Grundsatz auch an diesem Tage in der Frage der Präimplantationsdiagnostik gemeinsam verteidigen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche.

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Mutter von drei Kindern kann ich mir nichts Schlimmeres vorstellen als den Tod des eigenen Kindes, eine Totgeburt, einen frühen Kindstod oder auch die Pflege des eigenen Kindes bis zu dessen Tod. Allein der Gedanke ist grausam. Ein totes Kind ist eine Lebenskatastrophe, die niemals heilt. Auch scheinbar „normale“ Fehlgebur13888 Katherina Reiche ({0}) ten bedürfen oft einer langen Zeit der Aufarbeitung und der Trauer. Auch diese ist oftmals nie wirklich zu Ende. Wie sieht die Rechtssituation in Deutschland derzeit aus? Die juristische Diskussion über die PID in Deutschland kreist im Wesentlichen um die Frage, ob die PID mit dem 1990 verabschiedeten Embryonenschutzgesetz vereinbar ist. In seiner Urteilsbegründung aus dem Jahre 1975 zum Schwangerschaftsabbruch formulierte das Bundesverfassungsgericht: Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums besteht nach gesicherter biologisch-physiologischer Erkenntnis jedenfalls vom 14. Tage nach der … Nidation … an … Von dieser Position ist das Bundesverfassungsgericht nie abgerückt, auch nicht in seinem Urteil von 1993. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet also konsequent zwischen der befruchteten Eizelle in der Petrischale und einem Fötus, einem Embryo, im Mutterleib. Deswegen wurden konsequenterweise Nidationshemmer zugelassen, die die Einnistung der befruchteten Eizelle verhindern. Abtreibungen sind - das wurde mehrfach gesagt - bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich. Man darf auch Kinder im Mutterleib auf vielerlei Krankheiten untersuchen. Selbst Spätabtreibungen sind möglich, wenn ein schwerer Konflikt für die Mutter zu vermuten ist. Was bei der natürlichen Befruchtung erlaubt ist, soll nun bei der künstlichen Befruchtung verboten werden? Die PID dient ja gerade der Herbeiführung einer Schwangerschaft. Die bestehende Rechtsunsicherheit und die Wertungswidersprüche wurden durch ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs am 6. Juli des vergangenen Jahres beseitigt. Der Bundesgerichtshof hat darin ganz klar gesagt, dass Embryonen in Deutschland vor dem Einsetzen in die Gebärmutter untersucht werden dürfen. Wie kam es zu diesem Urteil? Dies ist ein bis dahin, wie ich finde, einmaliger Vorgang. Ein Mediziner aus Berlin hat erblich vorbelasteten Paaren, also werdenden Eltern in schwersten Konfliktsituationen, geholfen. Er hat die untersuchten Embryonen eingepflanzt und sich danach selbst angezeigt. Das muss man sich einmal vorstellen: Ein Arzt zeigt sich selbst an, um Hilfe für seine Patientinnen und Rechtssicherheit zu erwirken, vielleicht sogar zu erzwingen. Was würde nun ein Verbot bedeuten? Frauen würden per Gesetz gezwungen, vorhersehbare Fehlgeburten oder Spätabtreibungen zu erleiden. Sie müssten neun Monate mit der Gewissheit leben, ihr möglicherweise nicht lebensfähiges Kind sterben zu sehen. Ja, es ist richtig: Es gibt kein Recht auf ein Kind, und es gibt auch kein Recht auf ein gesundes Kind. Aber es gibt den verständlichen Wunsch danach. All die düsteren Bilder von der schiefen Ebene, von Selektion, gar von moderner Eugenik finde ich maßlos übertrieben. Die Suggestion, die damit verbunden ist, ist empirisch haltlos und vor allem zutiefst ungerecht gegenüber den Ärzten und den Paaren. ({1}) Die PID ist in Großbritannien seit 1992 zugelassen. Pro Jahr sind ungefähr 200 Fälle zu verzeichnen. Kein einziger Fall war Präzedenzfall für den nächstfolgenden Fall. Es ging immer um Einzelfallentscheidungen. In Belgien ist dies ähnlich. Die Unterstützer dieses Antrages, also auch ich, möchten Paaren in schweren Konfliktsituationen helfen. Bisher mussten sich betroffene Paare entscheiden, ob sie Totgeburten oder den späteren Tod des Kindes in Kauf nehmen oder eben auf ein Kind verzichten. Die PID eröffnet nun die Möglichkeit, Ja zu einem Kind zu sagen. Die PID brauchen Paare, die ein hohes Risiko haben, ein genetisch schwer geschädigtes Kind auf die Welt zu bringen. Aber das wissen die Paare in der Regel vorher nicht; das wissen nur ganz wenige vorher. Diejenigen, die dann aber in die Spezialkliniken fahren, eben oft nach Belgien oder nach Großbritannien, haben schwere Schicksale durchlitten und meist auch schon den Tod eines Kindes verkraften müssen. Als ich in Amerika studiert habe, habe ich bei einer Gastfamilie gelebt, bei der die Mutter in den 50er- und 60er-Jahren sieben Kinder auf die Welt gebracht hat: sechs Jungen und ein Mädchen. Fünf Jungen sind an Duchenne-Muskeldystrophie gestorben. Das Mädchen, mittlerweile eine erwachsene Frau, hat sich in Amerika für die PID entschieden, weil sie für sich persönlich ausschloss, den Leidensweg ihrer Mutter zu gehen. Sie hat fünf Brüder begraben, sie wollte nicht noch ihren eigenen Sohn begraben. Wenn ein PID-Verbot käme, dürften Frauen schwanger werden, könnten Fehlgeburten erleiden, so viele sie in der Lage wären zu ertragen; aber sie hätten keinen Ausweg, sie hätten nur das Ausland. Ich möchte Sie bitten, zu helfen. Ich glaube, wir sind als Gesetzgeber aufgerufen, zu helfen, die Situation für diese Paare zu verbessern. Die PID ist ein Weg, Ja zum Leben zu sagen. Für betroffene Paare wäre unser Gesetzentwurf ein gewaltiger Fortschritt. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Volker Kauder ist nun der nächste Redner. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat heute eine schwierige Entscheidung zu treffen, eine Entscheidung, der alle Kolleginnen und Kollegen persönliche Erfahrungen, aber auch mindestens wochen- bzw. monatelange Diskussionen zugrunde legen. Ich weiß, dass sich jeder Gedanken gemacht hat und für seine Entscheidung gute Gründe in Anspruch nehmen kann. Aber wir entscheiden heute nicht nur über eine Abwägung von gut oder weniger gut, sondern wir entscheiden heute über einen zentralen Grundsatz. Es geht nicht um eine Ethik des Helfens; denn es ist selbstverständlich, dass wir helfen, wo wir helfen können. Heute geht es darum, dass sich die Ethik des Lebens durchsetzt. ({0}) Es ist unstrittig, dass mit der Verschmelzung von Eiund Samenzelle etwas ganz Neues entsteht, ein qualitativer Sprung, der sich in der weiteren Entwicklung nicht wiederholt. Deswegen sagte Wolfgang Böckenförde in der Anhörung: Mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt der Prozess des Lebens, der sich fortsetzt bis hin zum Tod. Die Würde des Menschen, sagt Böckenförde, umfasst diesen gesamten Prozess. Wer die Würde des Menschen nur auf eine bestimmte Phase des Prozesses festlegen will, macht die Menschenwürde nicht mehr zu dem allumfassenden Grundsatz, wie er in unserer Verfassung steht. ({1}) Welcher Prozess soll noch zur Würde des Menschen gehören? Wann soll er beginnen - ist dies nun Definitionssache -, und wann hört der Prozess, der dem Würdeschutz des Grundgesetzes unterliegt, eigentlich auf? Ich glaube schon, dass es darum geht, klarzumachen, dass wir mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle den Lebensprozess in Gang gesetzt haben, zu dem es keinen qualitativen Sprung mehr gibt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist geradezu dramatisch, wenn formuliert wird: Der Beginn menschlichen Lebens hängt davon ab, ob irgendwann einmal implantiert wird. Was soll denn werden, wenn es sich eines Tages nicht mehr um einen 8-Zeller, 16-Zeller oder 32-Zeller handelt - das gelingt ja schon -, sondern um ein 30 Tage altes Wesen? Wollen wir die Antwort auf die Frage, ob jemand Mensch ist oder nicht, von der menschlichen Entscheidung abhängig machen, ob implantiert wird oder nicht? Das wäre ein schwerer Anschlag auf die Würde des Menschen. ({2}) Es geht tatsächlich, wie Kollege Thierse gesagt hat, um einen Paradigmenwechsel. Es geht darum, ob wir akzeptieren, dass ein Mensch entstanden ist, oder ob wir nur einen selektiven Blick auf das werfen, was die einen als Zellverbindung bezeichnen. Wolfgang Thierse hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass eine neue grundsätzliche gesetzliche Wertung vorgenommen werden könnte. Es könnte eine Umwertung dessen vorgenommen werden, was bisher in diesem Deutschen Bundestag gültig war, nämlich dass niemand wegen seiner genetischen Vorbedingung bzw. seiner genetischen Prädisposition vom Leben ausgeschlossen wird. 1995 haben wir festgelegt, dass es keine Abtreibung aufgrund eines genetischen Schadens des Embryos geben darf. ({3}) Es darf nur eine Abtreibung geben, wenn die Mutter erhebliche gesundheitliche Probleme hat. Jetzt findet, wie viele sagen, ein Wertungswiderspruch statt, da wir uns auf einer Ebene bewegen. Es geht darum, dass abgetrieben werden darf, auch wenn kein genetischer Schaden vorliegt, dass aber Leben nicht zugelassen werden darf wegen eines genetischen Schadens. Dies ist eine dramatische Umwertung, vor der ich warne, da sie brutale Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Deshalb sage ich: Es geht heute um die Ethik des Lebens. Deshalb bitte ich Sie, für ein Verbot der PID zu stimmen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Steffen Bockhahn. ({0})

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um es ganz offen zu sagen: Keiner der drei vorliegenden Gesetzentwürfe gefällt mir wirklich; denn ich - das sage ich ganz offen - bin für eine Freigabe der PID. Es wird aber heute eine pragmatische Entscheidung für den weitestgehenden Entwurf der Gruppe Flach, Hintze, Reimann, Sitte und weitere Abgeordnete geben. Ich maße mir an, zu wissen, was es heißt, sich bewusst für oder gegen den Abbruch einer Schwangerschaft zu entscheiden. Das heißt nämlich manchmal, sich vorher schon bewusst für eine Schwangerschaft entschieden zu haben. Es ist doch in hohem Maße verantwortlich, wenn man als Mutter und als Vater entscheidet, dass das eigene Kind kein schweres Leid ertragen soll. Ich finde das verantwortlich. Herr Kollege Kauder, ich habe Ihnen genau zugehört. Ich denke, wir alle wollen nicht unterstellen, dass sich jemand nicht bewusst über das, was er tut, Gedanken macht. Sie haben aber die Frage aufgeworfen, ob die einen die Würde des Menschen respektieren und die anderen nicht. Ich glaube, diese Frage stellt sich hier heute so nicht. ({0}) Der Weg zu einer PID-Behandlung ist äußerst anstrengend. Er ist auch nach dem Gesetzentwurf, für den ich spreche, ein sehr schmaler Weg. Wenn man sich anschaut, was die Paare und insbesondere die Frauen durchleiden müssen, bevor es zur PID kommt, dann weiß man, dass das kein Sonntagsspaziergang ist, dann weiß man, dass es sich um eine bewusste Entscheidung handelt. Die Frau wird über Wochen mit massiven Dosen an Hormonen vollgepumpt. Das ist kein Spaß in einer Beziehung. Es ist mit großem Leid verbunden, erst einmal dahin zu kommen. Die Entnahme der Eizellen, die Befruchtung außerhalb des Körpers der Mutter und das Warten darauf, ob die Befruchtung überhaupt erfolg13890 reich war, bedeuten höchsten emotionalen Stress für die werdenden Eltern bzw. für die, die Eltern werden wollen. Niemand wird sich diese Entscheidung leicht machen. Natürlich ist die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ein ganz wesentlicher Vorgang. Mindestens genauso wichtig aber ist die Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter der Frau. ({1}) Das ist der Zeitpunkt, zu dem die Interaktion zwischen Mutter und Kind beginnt, und damit ist es ein mindestens genauso wertvoller Moment. Ziel ist doch nicht, das Leben von Menschen in wertvoll oder nicht wertvoll einzuteilen. Aber was wollen Sie Eltern und vor allen Dingen Müttern zumuten, die zum wiederholten Mal schwanger werden und gegebenenfalls eine Schwangerschaft in dem Wissen oder Unwissen austragen müssen, dass es im Laufe der Schwangerschaft erneut zu großem Leid, zu vielen Schmerzen oder zum Tod des Kindes kommen kann? Ich war Zivildienstleistender in einer Kindertagesstätte und habe dort für ein ganzes Jahr eine individuelle Schwerstbehindertenbetreuung übernommen. Ich weiß, dass auch schwerstbehinderte Kinder lachen und glücklich sein können. Ich weiß aber auch, dass ich als Vater ein solches Schicksal nur schwer ertragen könnte und dass ich meine Schwierigkeiten hätte, Ja zu einem Kind zu sagen, von dem ich weiß, dass es sehr großes Leid ertragen muss. Sie können mir vorwerfen, dass ich das so sehe und dass ich bewusst Nein zu menschlichem Leben sagen würde - zu eigenen Nachfolgern, zu eigenen Kindern. Es ist aber eine sehr bewusste Entscheidung. Herr Zöller hat in seiner Rede ein Zitat von Johannes Rau bemüht, und auch von vielen anderen habe ich das Argument gehört, dass es natürlich kein Recht auf ein Kind und schon gar nicht auf ein gesundes Kind gibt. Ich muss Ihnen aber ganz ehrlich sagen, auch aus eigenem Erleben: Ich empfinde solche Bemerkungen als sehr verletzend, weil sie einem das Recht auf das, was man sich vielleicht am meisten wünscht, absprechen. Das finde ich nicht in Ordnung; das muss ich Ihnen so deutlich sagen. ({2}) Ich kenne sehr viele ungewollt kinderlose Paare, auch solche, die wegen genetischer Probleme kinderlos sind. Bei vielen dieser Frauen kam es zu Schwangerschaften, die zum Teil erfolglos verlaufen sind oder bei denen die Kinder kurz nach der Geburt gestorben sind. Meine Damen und Herren, ich selbst bin jetzt seit fast zwei Jahren der glücklichste Vater der Welt, auch ohne die PID. Ich möchte, dass alle Eltern, denen geholfen werden kann, ihren Wunsch nach einem Kind zu erfüllen, dieses Glück, das ich jetzt mit meiner Frau teilen kann, ebenfalls erleben können - und sei es durch die PID. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist Silvia Schmidt. ({0})

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! PID ist ein Thema, das ein hohes Maß an Aufmerksamkeit verdient; denn es geht um eine ethische Grundentscheidung, es geht um gesellschaftliche Werte und um Menschenwürde. Der Deutsche Bundestag kommt dieser schwierigen, aber notwendigen Aufgabe nach. Er hat in den zurückliegenden Debatten gezeigt, dass das Thema trotz unterschiedlichster Auffassungen würdevoll behandelt wird. Als Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion ist es mir wichtig, dass die Debatte um die UN-Behindertenrechtskonvention ebenso geführt wird. Denn sie ist eine Menschenrechtskonvention und damit ein wichtiger Grundpfeiler für unseren Umgang mit Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft. ({0}) Frauen und Familien, die bereits ein Kind mit Behinderung haben, werden oft mit einem großen gesellschaftlichen Druck konfrontiert. Sie müssen sich angesichts der technischen Möglichkeiten der PID und der PND die Frage gefallen lassen, warum sie dieses Leid in Kauf nehmen, warum sie sich für ein schweres, mühevolles Leben mit einem behinderten Kind entscheiden. Aussagen wie „Das muss doch nicht sein“ und „Heute ist doch schon alles möglich“ gehören bei diesen Familien zum Alltag. Für sie entsteht so der moralische Druck, sich Verfahren zu unterziehen, wenn ein genetisches Risiko bekannt ist. Das zeigt sich mir immer wieder in meinen Gesprächen. Frauen und Familien haben Angst vor gesellschaftlicher Bewertung, Missachtung oder Ablehnung und nicht vor dem behinderten Kind. Sie fürchten, alleingelassen zu werden. Sicher, ein Kind mit Behinderung braucht intensivere Betreuung und Unterstützung über längere Zeit. Derzeit leisten die Frauen diese Aufgabe fast allein. Für das normale Leben zu Hause in einer Familie gibt es noch keine ausreichende Unterstützung. Eine berufstätige junge Unternehmerin wie Frau Ahrend mit ihrem schwerstmehrfachbehinderten 17-jährigen Sohn möchte ein normales Leben führen. Wenn sie aber um Unterstützung bittet, gibt es nur den Vorschlag, ihren Sohn in ein Heim zu bringen. Sie wünscht sich Familienassistenz, um genauso in der Familie leben zu können wie wir alle auch. ({1}) Nicht der Sohn ist das Problem, sondern die Gesellschaft nimmt diese Situation noch nicht ausreichend wahr. Darauf müssen wir reagieren. Menschen und besonders Kinder mit Behinderungen, auch mit Schwerstmehrfachbehinderungen, sind das Wertvollste in unserer Gesellschaft; denn sie befähigen uns zur sozialen Kompetenz. Silvia Schmidt ({2}) ({3}) Es ist verständlich, dass Eltern ihrem Kind einen Leidensweg ersparen wollen. Aber wer definiert Leid? Wie sieht die tatsächliche Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen aus? Menschen mit Behinderungen haben eine grundsätzlich andere Wahrnehmung ihrer Behinderung. Sie wollen kein Mitleid. Viele sind glücklich in ihrer Lebenssituation. Sie fordern Anerkennung, Akzeptanz, ein Recht auf Glück, Liebe, Freundschaft und gleichberechtigte Teilhabe, also auf ein ganz normales Leben. Ulla Schmidt hat das Richtige gesagt: Bei der PID steht die Selektion am Anfang. Der Wunsch, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, setzt voraus, dass dem Leben, das nicht die entsprechenden Eigenschaften hat, das Recht genommen wird, sich weiterzuentwickeln. - Ich stimme ihr voll zu. Ich frage Sie auch: Was ist mit den behinderten Frauen, die einen Kinderwunsch haben? Bringen wir ihnen kein Vertrauen entgegen? Ihnen wird es in aller Regel ausgeredet, ein Kind zu bekommen. Ihnen wird in erster Linie gesagt, sie sollten sich sterilisieren lassen. Warum wird der einen Familie alles ermöglicht, um ein Kind zu bekommen, und der anderen Familie dieser Wunsch abgeschlagen? Messen wir in unserer Gesellschaft hier mit zweierlei Maß? Der bekannte Schauspieler und Philosoph Dr. Peter Radtke hat in der Anhörung berichtet, welche Signalwirkung von der PID ausgeht. Die PID suggeriert, dass angeborene Behinderungen nicht da sein müssten; man könnte sie ja verhindern. Somit teilt sie die Menschen mit Behinderung in zwei Gruppen ein: die Gruppe derer, die im Laufe ihres Lebens eine Behinderung erfahren, und die Gruppe derer, die von Geburt an eine Behinderung haben. Letztere müsste es dann nach dem Stand der Technik und Wissenschaft gar nicht mehr geben. Damit fühlen sich diese Menschen abgewertet. Er hat noch eine andere Angst, und die ist sehr real. Die UN-Behindertenrechtskonvention darf in der öffentlichen Wahrnehmung nicht hinter der PID-Debatte zurücktreten. ({4}) Sie ist nämlich der Ausgangspunkt eines Menschenbildes, nach dem Behinderung ein Teil der gesellschaftlichen Vielfalt und in jeder Hinsicht gleichberechtigt ist, vor und nach der Geburt. Vielleicht bin ich egoistisch, weil ich den Kinderwunsch der betroffenen Familien zwar verstehen, aber nicht unterstützen kann. Ich bin egoistisch, weil meine Freunde mit Behinderung für mich eine große Bereicherung sind, weil ich Thomas mit dem Down-Syndrom, der nicht anders, nicht besser und nicht schlechter ist als wir alle, nicht missen möchte, ebenso wenig wie die kleine Sidney May, die am 17. Juni 2011 geboren ist und am 24. Juni 2011 gestorben ist. Sie wird morgen zu Grabe getragen. Ihre Mutter hat jeden Moment, jede Sekunde des Lebens mit ihr genossen, und sie ist dankbar dafür. Sie sagt, sie hat so viel Liebe im Herzen für Kinder, dass sie durchaus bereit ist und sich wünscht, diese Liebe auch Kindern zu geben, die nicht ihre eigenen sind. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Erik Schweickert hat das Wort. ({0})

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir lange überlegt, welchen Antrag ich unterstützen werde, und bin nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluss gekommen, dass ich für den Antrag der Kolleginnen Flach, Reimann und anderer stimmen werde. Ich habe mir auch lange überlegt, ob ich heute hier dazu sprechen soll, aber ich glaube, ich bin es meiner Familie aufgrund vieler Gespräche und Erfahrungen, die ich in sehr schweren Stunden gesammelt habe, schuldig. Ich bin seit zwei Jahren und zwei Monaten stolzer Vater einer Tochter. Ich bin wirklich froh darüber, dass ich das Glück hatte, eine Tochter zu haben - das stand sehr lange auf der Kippe - und auch meine Frau noch haben zu dürfen. Wenn man sich in solch einer Situation befindet und nicht nur einen Tag, sondern eine längere Zeit auf der Kinderintensivstation verbringt, kommt man mit Menschen zusammen, die nicht so viel Glück haben wie man selbst. Man steht vor dem Brutkasten und unterhält sich. Man hat beim Kangarooing das Frühgeborene auf dem Bauch und unterhält sich. Wenn man die Geschichten dieser Familien hört, dann weiß man, dass es sich bei diesen Familien ganz sicherlich nicht um diejenigen handelt, die draußen auf Demos oftmals als Menschen bezeichnet werden, die sich ein Designerkind oder so etwas wünschen. Es sind Familien, die teilweise schon ein behindertes Kind haben. Es sind Familien, die teilweise eine Schwangerschaft hinter sich haben, bei der es - so war es auch bei uns - wirklich auf der Kippe stand, ob Mutter und Kind überleben. Es sind Familien, die schon ein behindertes Kind aufgezogen haben; sie wissen, was das bedeutet, und können gut einschätzen, dass auch hier Leben und Freude beisammen sein können. Wir sagen immer: Jeder Mensch ist individuell. Ich glaube, nach solch einer Erfahrung ist jeder Mensch individuell fähig, zu entscheiden, ob er die Belastung, die mit der Geburt eines behinderten Kindes, einer Totgeburt oder einem schwierigen Schwangerschaftsverlauf verbunden ist, noch einmal auf sich nehmen kann. ({0}) Wenn man mit diesen Paaren zusammensitzt, dann kommt die Diskussion auf, in der es heißt: In Belgien hätten wir Möglichkeiten gehabt. - Ich sehe nicht ein, dass ich - damals war ich noch nicht im Deutschen Bundestag - diesen Paaren die Hilfe nun verweigern soll. Wenn man solche Geschichten erlebt hat, dann kann man mit großer Überzeugung sagen, dass hier sehr ver13892 antwortungsvoll gehandelt wird. Wir machen ein Gesetz für wenige Hundert Menschen, nicht für die Allgemeinheit. Ich werde diesem Gesetz deshalb zustimmen, weil es - anders, als es oftmals dargestellt wird - keine unbeschränkte Zulassung der PID, sondern eine Zulassung nur in ganz speziellen Fällen vorsieht. Jedes Paar, das eine entsprechende genetische Disposition hat, wird sich sehr wohl überlegen, ob es ein zweites Kind bekommen möchte oder nicht, weil Gefahren bestehen, die abgewogen werden müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, aus diesem Grund kann ich nur an Sie appellieren: Verwehren wir diesen Paaren die notwendige Hilfe bitte nicht! Ich bin mir angesichts meiner Erfahrungen sicher, dass die betroffenen Eltern sehr wohl wissen, was sie tun; das ist alles andere als eine einfache Entscheidung. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Birgitt Bender hat das Wort. ({0})

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schweickert, Sie sprechen von der Verweigerung von Hilfe, wenn man die PID nicht zulasse. Der Kollege Hintze hat heute Morgen gefragt, ob „wir nicht zur Hilfe aufgefordert“ seien und deshalb die PID ermöglichen sollten. Auch ich will Ihnen dazu eine Geschichte erzählen. In meiner Stuttgarter Heimat gibt es eine Beratungsstelle, die Paaren im Schwangerschaftskonflikt nach Pränataldiagnostik beisteht. Die Beraterin hat von einem Paar berichtet, dem aufgrund einer erblichen Belastung geraten wurde, im Ausland eine PID vorzunehmen. Das hat es getan. Es hat kein Kind. Aufgrund der Hormonstimulation hat die Frau einen Eierstock verloren. Der zweite ist schwer beschädigt, sodass die Wahrscheinlichkeit, auf natürlichem Wege ein Kind zu bekommen, auf beinahe null gesunken ist. Die Frau ist völlig fertig und bereut, dass sie sich diesem Verfahren ausgesetzt hat. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Hintze, ist das Hilfeversprechen, mit dem man suggeriert, man könne Paaren ein gesundes Kind sozusagen liefern, nichts anderes als der Wunschtraum von Technokraten. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus. ({0}) Es ist doch so: Ein Paar, dem gesagt wird, dass es mit einer 25-prozentigen Wahrscheinlichkeit ein behindertes Kind bekommt, hat eine immerhin 75-prozentige Chance, ein gesundes Kind zu bekommen. Mit der PID sinkt die Wahrscheinlichkeit, überhaupt ein Kind zu bekommen, auf unter 20 Prozent. ({1}) Hinzu kommen das Risiko schwerwiegender Gesundheitsschäden - bis hin zum Tod - und das Trauma, wenn es dann doch wieder nicht geklappt hat; oder das Kind, das geboren wird, ist aus anderem Grund krank. Herr Hintze, Sie haben gesagt, die Emanzipation von der Natur sei angesagt. Als Mitglied einer ökologischen Partei finde ich das ohnehin befremdlich. Ich möchte Sie aber auch daran erinnern, dass die Emanzipation von der Natur ein alter sozialistischer Wunschtraum ist. ({2}) Ich wundere mich, dass große Teile der Union auf diesem Weg unterwegs sind. ({3}) Vielleicht wollen Sie das einmal überprüfen. Nicht jedes Argument, das in den letzten Wochen in den Debatten gefallen ist, ist reif für das philosophische Kolloquium. Ich finde aber, auch solche Argumente gehören hierher. Mir ist in den letzten Wochen mehrmals die Frage gestellt worden, wie ich in folgendem Fall handeln würde: Das Krankenhaus brennt, und ich kann nur einen Menschen retten. Entscheide ich mich für die Petrischale oder für ein lebendiges Kind? Damit soll wohl gesagt werden, es könne eine Verantwortung für die 16-Zeller in der Petrischale nicht geben. Das sehe ich anders. Ich will Ihnen sagen, warum: weil diese Embryonen nicht durch Sex in die Petrischale gekommen sind und weil sie da auch nicht aus irgendeinem großen Teich hingeschwommen sind, wie man Kindern früher den Akt der Zeugung zu erklären versucht hat, sondern weil diese Embryonen in einer Arztpraxis nach Hormonstimulation und operativer Eientnahme erzeugt worden sind, und zwar in größerer Zahl. ({4}) Man braucht nämlich mindestens acht dafür. Diese Embryonen sind zu einem einzigen Zweck erzeugt worden, nämlich um ein Auswahlangebot zu schaffen, ({5}) damit man die Auswahl zwischen gesunden und solchen, die wahrscheinlich krank oder behindert sein werden, hat. Frau Flach, nach Ihrem Gesetzentwurf soll es sogar möglich sein, dass ein Embryo aussortiert wird, der nur eine Anlage für eine Behinderung in sich trägt, aber selber die Chance hätte, zu einem gesunden Kind zu werden. Dazu muss ich Ihnen sagen: Eine solche Auswahl unterscheidet sich grundsätzlich von einer Abtreibung; denn da findet eine Abwägung statt. ({6}) Bei der PID wird nur aussortiert, ({7}) und das ist ein Verfahren, mit dem ich mich nicht abfinden kann. Da sehe ich die gesellschaftliche Verantwortung, das nicht zu ermöglichen. Frau Flach, Herr Hintze und all die anderen, die diesen Gesetzentwurf unterstützen, wenn man genau hinschaut, merkt man, dass Sie ein bestimmtes Unbehagen treibt. Sie reden zwar von der Freiheit der Paare und sagen, dass man ihnen diese Möglichkeit nicht nehmen sollte. Sie trauen dieser Freiheit aber nicht; denn Sie schalten eine Ethikkommission dazwischen. Sie werden Ihre Gründe dafür haben. ({8}) Sie trauen sich auch nicht, zu sagen, dass dieses Verfahren die Auswahl zwischen mindestens acht Embryonen bedeutet, dass man die Dreierregel des Embryonenschutzgesetzes ändern muss. Diese Dreierregel haben wir geschaffen, um die Entstehung überzähliger Embryonen, die man dann vernichten würde, zu verhindern. ({9}) Warum schreiben Sie das nicht ins Gesetz? Weil Sie wissen, dass da viele Fragen entstehen. Eine Frage lautet: Was passiert mit überschüssigen Embryonen? Die sollen offenbar vernichtet werden. Man mag das für richtig halten. Ich will aber noch eine andere Frage aufwerfen. Frau Flach, Sie waren einmal forschungspolitische Sprecherin Ihrer Fraktion und kennen doch die Community. Glauben Sie wirklich, dass es, wenn es Embryonen gibt, die den Stempel „Du bist doch sowieso krank und wirst deswegen nicht implantiert“ tragen, nicht ein Interesse der Forscher geben wird? Glauben Sie nicht, dass die dann sagen werden: „Oh, da könnten wir doch mit embryonalem Material wunderbar forschen; denn die Embryonen werden sowieso nie gebraucht“? Welche Art von Debatten werden wir dann hier führen? ({10}) Falls Ihr Gesetzentwurf - was ich nicht hoffe - die Mehrheit bekommt, dann, glaube ich, werden wir Debatten haben, die wir alle nicht wollen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie, für ein Verbot der PID zu stimmen. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sören Bartol hat das Wort. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner Heimatstadt Marburg hat sich - ausgehend von Institutionen wie zum Beispiel der Blindenstudienanstalt oder der Bundesvereinigung Lebenshilfe eine Kultur etabliert, in der Menschen mit verschiedensten Behinderungen immer mitgedacht werden und in der Behinderte schon seit vielen Jahren ganz selbstverständlich mitgestalten, und das ziemlich erfolgreich. Nicht zuletzt diese Tatsache hat dafür gesorgt, dass Politik für Menschen mit Behinderungen einen besonderen Stellenwert für mich hat. Deshalb ist es mir wichtig, gleich am Anfang meiner Rede klarzustellen: Menschen mit Behinderungen müssen ihre eigene Existenz nicht rechtfertigen, ({0}) und Eltern müssen sich nicht dafür rechtfertigen, dass sie ein behindertes Kind haben. Vielmehr müssen die Bedingungen für behinderte Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft immer weiter verbessert werden. ({1}) Dazu hat sich Deutschland auch mit dem Beitritt zur UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Der Stellenwert von Menschen mit Behinderungen in einer Gesellschaft hängt deshalb nicht von einer begrenzten Zulassung oder dem Verbot der Präimplantationsdiagnostik ab. Ausschlaggebend ist, wie gut es der Gesellschaft gelingt, Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und Vorurteile endgültig zu beseitigen. Dies ist eine immerwährende gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Anfang des Jahres lud ich in Marburg zu einem nichtöffentlichen Gespräch über die Präimplantationsdiagnostik ein. Es war bekannt, dass ich zu einer begrenzten Zulassung der PID tendiere. Ich war auf Anwürfe von verschiedenster Seite gefasst und erwartete eine Diskussion, in der jeder seine Maximalposition vertreten würde. Doch es kam anders. Es wurde ein besonnener und sehr konstruktiver Dialog. Natürlich blieben unterschiedliche Bewertungen. Große Übereinstimmung gab es aber bei der Einschätzung, dass die Ermöglichung der PID in eng begrenztem Rahmen nicht zu einer Entwertung behinderten Lebens führen würde. Diese Einschätzung von so verschiedenen Experten und Interessenvertretern hat mich damals in meiner Entscheidung bestärkt. Auch ich sehe es als staatliche und gesellschaftliche Verpflichtung an, Leben zu schützen. Dazu gehört, dass mit Embryos nur im Rahmen strenger gesetzlicher Maßgaben umgegangen werden darf. Dazu gehört aber insbesondere auch geborenes Leben. Dies schließt den Schutz von Frauen vor schwersten körperlichen und seelischen Belastungen und Gefahren im Hinblick auf eine Schwangerschaft mit ein, ebenso die Vermeidung von Spätabbrüchen, die oftmals bereits selbstständig lebensfähige Embryos betreffen. Die PID grundsätzlich zu untersagen, hieße, sich der Not betroffener Paare zu verschließen. Ich möchte, dass sich auch Menschen, deren Nachkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit unter einer schwerwiegenden Erbkrankheit leiden werden, für ein Kind entscheiden können. Ich möchte auch, dass diesen Eltern die schreckliche Erfahrung von Fehl- und Totgeburten so weit wie möglich erspart bleibt. Eine PID kann überhaupt nur bei künstlichen Befruchtungen in Betracht gezogen werden. Das kann nicht oft genug betont werden. Wir reden hier nicht über ein mögliches Standardverfahren bei jeder Schwangerschaft. ({2}) Künstliche Befruchtungen - liebe Kollegin Bender, darauf haben Sie hingewiesen - sind körperlich und mental sehr belastend. Wir müssen Frauen, die eine solche Bürde auf sich nehmen und für deren Kind dann auch noch eine reale Gefahr besteht, an einer schweren, nicht behandelbaren Erbkrankheit zu leiden, die Möglichkeit eröffnen, unter enggesetzten Voraussetzungen eine PID durchführen zu lassen. Eine Entscheidung über die Präimplantationsdiagnostik bedeutet Abwägung. Auf der einen Seite stehen der Schutz von ungeborenem Leben und die Stellung von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft, also prinzipielle ethisch-moralische, aber auch religiöse Bedenken. Auf der anderen Seite geht es um den Wunsch von Paaren nach Kindern, um die Selbstbestimmung der Frau und um die Vermeidung von seelischem und körperlichem Leid. Deshalb wäre eine starre Entscheidung für oder wider PID nicht angemessen. Der Antrag der Kolleginnen und Kollegen Flach, Hintze, Reimann und vieler anderer Kolleginnen und Kollegen hier im Haus, den auch ich unterstütze, sieht ein PID-Verbot vor, von dem es wenige Ausnahmen geben soll, Ausnahmen in sehr engem Rahmen, nach positivem Bescheid einer Ethikkommission für jeden Einzelfall und nach einer eingehenden Beratung der Frauen bzw. der Paare. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Ansatz der richtige ist und dem komplizierten Sachverhalt, über den wir hier heute reden, gerecht wird. Deshalb werde ich diesem Gesetzentwurf zustimmen. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über das Bild vom Menschen, das unser gesellschaftliches Zusammenleben prägt. Dies ist ein philosophisches Thema, für manche ist es ein theologisches; aber wir treffen am Ende eine politische Entscheidung. Welche Erwartungen würden denn geweckt, wenn auch nur der Anschein entstünde, man könne die Geburt eines gesunden Kindes garantieren? Es gibt keine perfekten Menschen; niemand von uns ist das. ({0}) Das, was hier als „medizinischer Fortschritt“ daherkommt, ist geeignet, Illusionen zu nähren, dass eines Tages doch so etwas wie „ewige Gesundheit“, „ewige Schönheit“, womöglich gar „ewiges Leben“ herstellbar sein könnte. Ich verstehe jeden Kinderwunsch; jede und jeder, die hier sprach, betonte das. Aber - das sagte ich bereits in der ersten Lesung - es gibt kein Recht auf ein Kind, erst recht nicht auf ein makelloses Kind; allenfalls - das ist hier weniger betont worden - gibt es den Anspruch auf Elternschaft. Deshalb wiederhole ich: Adoptionen sind alles andere als zweite Wahl. Ich wiederhole das hier deshalb, weil mich viele Menschen genau in dieser Aussage bestärkten. Das ist die Alternative, nicht die VorAuswahl im Reagenzglas! ({1}) Wir brauchen gar nicht weit in die Zukunft zu blicken und auch nicht über die Ausbreitung illusionärer Wunschvorstellungen zu spekulieren. Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren PID-Befürworterinnen und -Befürworter, eine ganz irdische Frage stellen: Wir wollen Sie allen Ernstes verhindern, dass in gar nicht allzu ferner Zeit, zum Beispiel unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz, auch nichtbelastete Paare während der künstlichen Befruchtung eine PID für ihre Embryonen erstreiten? ({2}) Weiter: Wie wollen Sie verhindern, dass, weil die Zelle schon untersucht, also zerstört, worden ist, nicht auch gleich einmal nach anderen Erbanlagen geschaut wird, beispielsweise nach spätmanifestierenden? Wie wollen Sie allen Ernstes verhindern, dass aus dem Kinderwunsch bald auch Wunschkinder mit speziell geplanten Eigenschaften werden? ({3}) Die Versuchung ist jedenfalls groß, sowohl bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als auch bei Ärztinnen und Ärzten als auch bei Klinikbetreiberinnen und Klinikbetreibern und nicht zuletzt bei potenziellen Eltern. Wenn es uns um das Menschenbild geht, muss ich daran erinnern, welche Schritte logischerweise folgen, wenn wir heute kein deutliches „Halt!“ setzen. Ein weiterer Punkt, auf den ich häufig angesprochen wurde, war die Aussage, dass jede Debatte über Präimplantationsdiagnostik die Frage nach dem Wert oder eben auch Unwert menschlichen Lebens stellt, ob wir es wollen oder nicht. Lassen Sie uns also bitte eine Entscheidung treffen, die niemandes Leben abwertet. ({4}) Besondere Beachtung, sei es in Form von Zustimmung, sei es in Form von Ablehnung, fand meine Aussage, dass ich Dutzende von Frauen und Männern unterschiedlichen Alters kenne, die angesichts der aktuellen Debatte und der damit verbundenen Erwartungen nichts anderes denken können als: Hätte diese Möglichkeit schon vor meiner Geburt existiert, gäbe es mich nicht. Sie, diese Menschen, nehmen die PID und übrigens auch die Auswirkungen der Pränataldiagnostik sehr persönlich. Sie haben schlicht Angst, per Gesetz als „nicht nötig“, als „vermeidbar“ zu erscheinen. Zustimmung kam von denen, die in genau dieser Lage sind. Sie hatten das Gefühl, dass ihre Lebensinteressen gegen den Wunsch einiger Paare nach einem genetisch eigenen Kind, nach einem genetisch eigenen, gesunden Kind ausgespielt werden. Die Ablehnung bestand darin, dass man mir unfaire Stimmungsmache vorwarf, weil ich Emotionen heraufbeschwört hätte. Ja, dazu bekenne ich mich: Diese Debatte ist hochemotional. ({5}) Heute werden wir abstimmen. Auch diejenigen von Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, die sich bisher nicht festlegten, werden sich entscheiden. Ich versuche, Sie von der Richtigkeit eines vollständigen PID-Verbots zu überzeugen. Deshalb wiederhole ich: Niemand bestreitet, dass ein Leben mit schweren Beeinträchtigungen weder sonderlich wünschens- noch gar erstrebenswert ist. Wer aber ein solches Leben führt, für die- oder denjenigen gibt es nichts Wichtigeres. Es ist nämlich das einzige Leben. Es hat gute und weniger gute Tage, traurige und weniger traurige Momente, Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse. Aber: Es ist das Leben. ({6}) Ich möchte zwei weitere Argumentationslinien infrage stellen, über die eine mehr oder weniger begrenzte Zulassung der PID befürwortet wird. Da hören wir erstens das Argument, sie sei nur eine kleine Ergänzung des ohnehin seit Jahren bestehenden Reproduktionsrechts. Zweitens sagt man, die PID sei in vielen anderen Ländern gang und gäbe; wir würden also nur den PID-Tourismus derjenigen, die es sich leisten können, organisieren. Ich bitte Sie: Wieso müssen wir einen Weg weitergehen, von dem wir wissen - zumindest ahnen wir es -, dass er ein Irrweg ist? Mag sein, dass wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die Kraft aufbringen, gemeinsam umzukehren; aber innehalten können wir. ({7}) Wir können unsere ethischen Maßstäbe offensiv vertreten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen: liebe noch suchende Kolleginnen und Kollegen, spätestens seit der UN-Behindertenrechtskonvention wissen wir und wollen wir, dass Menschen mit Behinderungen Teil der Menschheit, Teil unseres gesamten Wirs sind. Sie gehören dazu. Wir wissen, dass noch große Anstrengungen erforderlich sind, ihnen gleiche Teilhabe und freie Persönlichkeitsentfaltung zu verschaffen. Es ist viel besser, diese Bedingungen zu schaffen, als vergeblich zu versuchen, Menschen, die anders sind, zu verhindern. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Kretschmer hat das Wort. ({0})

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gespräche zum Thema PID verlaufen anders als diejenigen, bei denen es um die embryonale Stammzellforschung oder ähnliche ethische Themen geht. Man merkt ganz schnell, dass es viele Betroffene gibt. Viele Leute kennen in ihrer Familie oder bei ihren Freunden Fälle von künstlicher Befruchtung. Man ist erstaunt darüber, wie viele Personen, die man kennt und von denen man es nicht gedacht hätte, ins Ausland gehen - nach Tschechien fahren, nach Österreich reisen, nach Barcelona fliegen -, um dort eine künstliche Befruchtung oder PID vornehmen zu lassen. Das zeigt, dass wir viel weiter sind, als wir es uns vielleicht eingestehen wollen. Ich habe mich entschieden, für eine begrenzte Zulassung einzutreten, weil wir eine widerspruchsfreie, eine konsistente Lösung brauchen. Wir haben eben nicht ein weißes Blatt vor uns und können nicht neu entscheiden. Vielmehr wurden in diesem Bereich in der Vergangenheit sowohl hier als auch vor Gericht viele ethische Entscheidungen getroffen, die mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert sind. Es gibt Pränataldiagnostik; es gibt die PolkörperchenUntersuchung; es gibt die Spirale. Meine Damen und Herren, es gibt viel zu viele Abtreibungen, nämlich 110 400 pro Jahr. Ich halte das für einen ganz dramatischen Wert, über den es sich zu reden lohnt. Über 110 000 Abtreibungen muss es in einem aufgeklärten Land wie Deutschland nicht geben. ({0}) Außerdem gibt es die künstliche Befruchtung. Ohne die künstliche Befruchtung würden wir über PID überhaupt nicht sprechen. Sie ist aber gewollt. Es gibt Bundesländer, die sogar stolz darauf sind, dass sie noch den vierten, fünften oder sechsten Versuch finanziell unterstützen, wenn die Krankenkassen schon nicht mehr bezahlen. Wenn man an diesem Punkt ist, muss man sich dieser Sache auch stellen und kann nicht sagen: Nein, ich will damit nichts zu tun haben; ich will über diese Frage nicht reden. Schließlich kann der Arzt bei der Untersuchung sehen, ob eine befruchtete Eizelle lebensfähig ist oder nicht. Man kann doch nicht sehenden Auges die Eltern, insbesondere die Mütter, in die Situation bringen, dass sie am Ende das dramatische Erlebnis einer Totgeburt erleiden oder zu entscheiden haben, eine Abtreibung vornehmen zu müssen, wenn man es vorher anders klären kann. Zugegebenermaßen geht es um eine geringe Anzahl von Fällen, vielleicht um wenige Hundert. Das sind aber dramatische Fälle. Diesen Menschen muss man zu helfen versuchen. Das steht für mich außer Frage. ({1}) Es ist kein weißes Blatt. Man muss die vorhandenen Dinge zur Kenntnis nehmen und auf diesen Entscheidungen aufbauen. Deswegen haben wir uns für eine Lösung ausgesprochen, die klar auf schwere bzw. schwerste erbliche Vorerkrankungen begrenzt ist. Das entspricht dem, was der Bundesgerichtshof jetzt entschieden hat. Die PID ist in solchen Fällen zulässig. Deswegen wäre es meines Erachtens gut, sie heute auch vom Verfahren her zu klären. Wir haben gesagt: Diese Behandlung soll nur an wenigen Zentren vorgenommen werden; vorher soll eine Ethikkommission entscheiden. Ich halte es für richtig, dass in dieser Situation tatsächlich nur unter klaren Kriterien eine Behandlung vorgenommen wird und dass Ärzte sowie Theologen noch einmal die Möglichkeit haben, zu beraten und am Ende entweder „Nein, wir raten davon ab“ oder „Ja, wenn die Mutter das möchte, soll es so sein“ zu sagen. Meine Damen und Herren, in der Tat sind die Situation und die Geschichten, die wir erzählt bekommen, in einem solchen Maße dramatisch und anrührend, dass man sich nicht einfach wegducken kann, ohne darüber zu reden. Diese Debatte war sehr sachlich und von gegenseitiger Rücksichtnahme und Akzeptanz geprägt. In den letzten Wortmeldungen gab es allerdings einen Zungenschlag, der mir überhaupt nicht gefällt. Ich finde, dass wir ihn auch nicht hineinbringen sollten. Wir dürfen unsere Wissenschaft nicht in den Verdacht bringen, dass sie leichtfertig oder unethisch vorgeht. ({2}) Es sind dieselben Wissenschaftler, von denen wir uns in schwersten Fällen - wenn wir selbst erkranken oder wenn es um die Medizin im Allgemeinen geht - Hilfe erwarten, die wir jetzt hier so leichtfertig in den Verdacht setzen. Nein, die deutsche Wissenschaft hat klare Regeln. Wir können froh darüber sein, dass wir die Leopoldina, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den Wissenschaftsrat und unsere Wissenschaftsorganisationen haben, die uns mit Rat zur Verfügung stehen, und wir sollten hier nicht leichtfertig irgendwelche Verdächtigungen aussprechen. Sie sind unbegründet. Wir können froh sein, dass wir die deutsche Wissenschaft haben. Danke. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker hat jetzt das Wort. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht leicht und vielleicht sogar unmöglich, hier irgendeinen intellektuellen Schachzug, irgendeine sprachliche Raffinesse aufzubieten, die Sie überraschen und überzeugen könnte, nachdem so viele Argumente ausgetauscht wurden. Ich stehe hier, um mit aller Eindringlichkeit dafür zu werben, dass Sie die PID nicht zulassen. Es geht bei der PID auch um das, was Voraussetzung dafür ist, dass menschliches Leben entsteht. Einem Leben, das entstanden ist, wird womöglich das Lebensrecht nicht zugestanden, weil es einen Test nicht bestanden hat, weil es Standards nicht erfüllt. Wir könnten hier die medizinische Dimension beleuchten: Wie wahrscheinlich ist das? Wie hoch ist die Baby-take-Home-Rate? Was muten sich die Frauen zu? Ich muss sagen: Das sind für mich nicht die entscheidenden Argumente. Ich maße mir nicht an, für eine Frau die Entscheidung zu treffen, welcher Leidensdruck höher ist. Ist es der Leidensdruck, diese Prozeduren durchzuführen bzw. über sich ergehen zu lassen, oder ist es der Leidensdruck, sich den Kinderwunsch nicht erfüllen zu können? Darin sehe ich nicht die Aufgabe des Staates. Ich könnte mich als Juristin hier hinstellen und sagen: Das Bundesverfassungsgericht hat 1975 entschieden, dass mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle die Sache entschieden ist. Das würde dem Konflikt, um den es geht, und der Situation der Eltern nicht gerecht. Aber was ist dann entscheidend? Keiner von uns kommt heute an der Frage vorbei, wann menschliches Leben beginnt. Wir, die wir heute hier entscheiden müssen, kommen nicht daran vorbei, und auch die Eltern und Mediziner kommen nicht daran vorbei, wenn sie das dann im konkreten Fall beantworten müssen. Hat ein Mensch schon in diesem frühen Entwicklungsstadium mit wenigen Zellen die gleiche Würde und das gleiche Lebensrecht wie der geborene Mensch, der gesunde Mensch, der kranke Mensch, der alte Mensch? Das ist die Kernfrage. Wer sie verneint, der kann überhaupt keine Einwände gegen PID haben, und zwar im umfassenden Sinne nicht. Wer sich einmal auf den Standpunkt stellt, dass Lebensrecht und Menschenwürde erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen - welcher das sein soll, hat mir noch keiner überzeugend dargelegt -, der braucht dem Auswahlrecht der Eltern im Prinzip überhaupt keine Schranken zu setzen. ({0}) Ich weiß: Den Befürwortern der PID geht es heute nicht darum, Schrankenlosigkeit zu etablieren. Sie wollen nicht die Wunschbabys mit vorbestimmtem Geschlecht, vorbestimmter Haarfarbe und maßgeschneiderten Eigenschaften. Sie haben Familien im Blick, denen man wirklich helfen möchte. Wenn man das konsequent zu Ende denkt, dann erkennt man: Es gibt keinen Grund, die Auswahl auf bestimmte, definierte Krankheiten zu begrenzen. ({1}) Wenn dem Embryo in diesem Stadium das Lebensrecht aberkannt wird, dann brauchen wir auch keine Ethikkommission. ({2}) Das ist der Grund, weshalb sich die restriktive Linie, die hier aufgezeigt wird, nicht halten lassen wird. Das, was ich hier von den Kollegen in der Debatte gehört habe, bestärkt mich sehr in meinen Befürchtungen, dass das nur der erste Schritt hin zur völligen Freigabe ist. ({3}) Ich finde in der Entwicklung des Babys keine Stufe, von der man sagen könnte: Hier, an dieser Stelle, ändert sich etwas so gravierend, dass man vorher noch nicht von einem Menschen spricht, ab einem bestimmten Zeitpunkt aber schon. Im Embryo, auch in diesem Stadium, ist schon alles da; alles ist auf Entwicklung angelegt auf eine Entwicklung hin zu dem Menschen, dem wir später womöglich begegnen, den wir womöglich sehen. Das sagt mir nicht nur mein Verstand, das sagen mir auch Herz und Bauch, und das war auch mein Empfinden in den ersten Tagen meiner Schwangerschaften. Das ist kein Zellhaufen. Das ist ein Mensch, eine Person, ein Du, das sich auf den Weg ins Leben gemacht hat. ({4}) Ich habe ganz viel Sympathie für den Wunsch von Eltern nach einem Kind. Ich kann natürlich verstehen, dass sie sich für dieses Kind Gesundheit und eine gute Entwicklung wünschen. Aber das kann die PID nicht leisten. Sie sorgt nicht dafür, dass nur ein gesundes Kind gezeugt wird. Sie erhöht noch nicht einmal die Wahrscheinlichkeit. PID sorgt nicht dafür, dass von vornherein kein Leben mit irgendwelchen von der Medizin, der Gesellschaft oder der Politik definierten Defiziten entsteht, sondern sie ermöglicht nur, dass dieses Leben in einem möglichst frühen Stadium aussortiert wird. ({5}) PID ist kein Ansatz für eine Heilung. Sie führt nicht dazu, dass ein geliebtes, konkretes Kind zum Beispiel die Krankheit Mukoviszidose nicht hat; vielmehr hätten die Eltern ein anderes Kind. Das Kind mit der Normabweichung, mit der Krankheit, hätten sie verworfen und niemals kennengelernt. Das ist der ganze Unterschied. Um ein gesundes Kind zu haben, wird die Herstellung weiterer überzähliger Embryonen in Kauf genommen, denen dann kein Lebensrecht zugestanden wird. Oft wird die Freude über das gesunde Kind nicht auf Dauer vergessen machen können, dass auf seinem Weg ins Leben einmaliges menschliches Leben zurückgelassen wurde. Wie kann man mit diesem Wissen glücklich und beruhigt leben? Wie kann das Kind, das das Rennen gemacht hat, mit dem Druck leben, dass es diese Auswahlentscheidung und sein Lebensrecht auf Kosten der anderen rechtfertigen muss? ({6}) Wie kann eigentlich ein behindertes Kind damit leben, zu wissen, dass die Eltern beim nächsten Mal die PID in Anspruch genommen haben, weil sie eine solche Krankheit nicht noch einmal erleben wollten? Wie wollen wir als Gesellschaft damit leben, dass wir den Anpassungsdruck an vorgegebene Normen und Standards erhöhen, indem wir ein Verfahren etablieren, mit dem man möglichst früh Menschen mit Abweichungen aussortieren kann? Ich meine, dieser Preis ist zu hoch. ({7}) Wir wollen nicht schauen, welche Fähigkeiten fehlen und daran ein Verdikt knüpfen, mit dem das Lebensrecht abgesprochen wird. Wir wollen nicht so tun, als hätte nicht jeder von uns irgendwo eine Macke. Wir wollen das in den Mittelpunkt stellen, was jeder mitbringt. Nach meiner Überzeugung entspricht nur das der Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel HappachKasan von der FDP. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, wir haben hier eine sehr ernsthafte Debatte geführt. Ich wünsche mir sehr, dass wir am Ende dieser ernsthaften Debatte ein Ergebnis bekommen, mit dem wir alle leben können. Im Sommer des vergangenen Jahres hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass nach dem heute noch geltenden Recht die Präimplantationsdiagnostik zulässig ist. Wir wollen heute darüber entscheiden, in welcher Weise wir die Nutzung der Präimplantationsdiagnostik einschränken oder ob wir sie gänzlich verbieten. Wir alle haben sicherlich Briefe von Paaren bekommen, die Überträger ein schweren Erbkrankheit sind und die Leid erfahren haben, die einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen haben, die kranke Kinder haben sterben sehen, die sich nach einer Pränataldiagnostik entschieden haben, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Ich meine, wir müssen darüber entscheiden, wie wir mit diesem Thema umgehen. Wir müssen dies in Konsistenz mit der aktuellen Gesetzgebung entscheiden. Ein Vorredner hatte darauf hingewiesen, dass jedes Jahr über 100 000 Schwangerschaftsabbrüchen etwa 650 000 Geburten gegenüberstehen. Schon 1999 hatte die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz festgestellt: Es wäre ein Wertungswiderspruch, den Paaren, bei denen das Risiko der Übertragung eines Gendefekts festgestellt wurde, die Präimplantationsdiagnostik aus Rechtsgründen zu verwehren und dann diesen Paaren gleichwohl die Durchführung der Pränataldiagnostik zu erlauben, die im Fall einer festgestellten Indikationslage zum Schwangerschaftsabbruch führen kann. Wir haben hier auch gehört: Die „Pille danach“ ist rechtmäßig, die Spirale, die die Einnistung des Embryos verhindert, ebenfalls. Eine befruchtete Eizelle ist der Beginn menschlichen Lebens. Aber wir wissen auch: Nicht jede befruchtete Eizelle wächst zum Menschen heran. Nur etwa 30 Prozent der Eizellen - das haben wir in den Anhörungen gehört - nisten sich ein, wachsen zu einem menschlichen Leben heran, 70 Prozent sterben ab, und wir können diese Embryonen in keiner Weise schützen. Das heißt für uns: Die befruchtete Eizelle braucht die Einnistung in die Gebärmutter. Sie braucht die Mutter. Der menschliche Embryo ist nicht autonom lebensfähig. Wir können dem menschlichen Embryo Rechte nicht autonom zuweisen, weil er ohne Mutter nicht lebensfähig ist. ({0}) Nur mit der Mutter können wir den Embryo schützen. Paare, bei denen einer oder beide Partner Überträger einer schweren Erbkrankheit sind, wissen in sehr vielen Fällen um die in ihren Familien vorhandene Erbkrankheit. Ich habe in Marburg studiert, und dort gab es zu meiner Studienzeit bereits eine Beratungsstelle für Paare mit genetischer Belastung - lange bevor es irgendwelche Genomuntersuchungen des Menschen gegeben hat -, weil man aus Stammbaumuntersuchungen wusste, dass Menschen Überträger genetischer Krankheiten sind. Paare mit einer solchen genetischen Belastung stehen schon im Konflikt, wenn sie sich ein gesundes Kind wünschen. Sie können dem Konflikt nur dann ausweichen, wenn sie von vornherein auf eigene Kinder verzichten. Dies halte ich für nicht angemessen. Ich meine: Es gibt ein Recht darauf, sich ein gesundes Kind zu wünschen. ({1}) Wir als Gesellschaft haben auch die Pflicht, diesen Menschen die Möglichkeiten des medizinischen Fortschritts zu eröffnen. ({2}) Angesichts der emotionalen Not von Paaren mit einer erblichen Belastung, die sich eigene Kinder wünschen, sollten wir für die Anwendung der PID einen rechtlichen Rahmen schaffen. Ich habe mich entschieden, den Gesetzentwurf von Frau Flach, Herrn Hintze und Frau Reimann zu unterstützen, weil ich meine, dass dieser Gesetzentwurf am ehesten gewährleistet, dass solche Paare entsprechende Möglichkeiten bekommen. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass die Eingrenzung der Zulassung der PID schwierig ist. Aber eine solche Schwierigkeit kann doch für uns als Gesetzgeber keine Begründung dafür sein, ein vollständiges Verbot auszusprechen. ({3}) Wir haben sehr viele gesetzliche Vorlagen, bei denen eine Abwägung zu erfolgen hat, und wir drücken uns davor nicht. Es ist richtig, dass wir bei jeder PID eine Einzelfallentscheidung vorsehen. Nur so können wir unserer Verantwortung gegenüber menschlichem Leben gerecht werden. Ich möchte, dass die angesprochenen Paare die inzwischen entwickelten medizinischen Möglichkeiten erhalten, damit sie gesunde Kinder bekommen können. Ich bin mir bewusst, dass dies nur auf wenige Paare zutrifft. Ich bin mir auch bewusst, dass wir keine Garantie geben. Niemand hier hat von einem Versprechen, niemand hat von einer Garantie gesprochen. Ich meine, wir können Vertrauen in den verantwortungsvollen Umgang von Eltern und Ärzten mit der PID haben. Wir sehen die Erfahrungen aus dem benachbarten Ausland. Ich meine, dies bestärkt uns darin, dass wir Vertrauen haben können. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Kollegen Flach, Hintze und Reimann. Danke schön für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt das Wort.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, wir haben eine schwere, eine sehr schwere Entscheidung vor uns. Ganz wenige in diesem Haus werden von Anfang an genau gewusst haben, wie es richtig ist. Wir haben keine Entscheidung vor uns, die nur ganz wenige Paare, die nur ganz wenige Eltern, die nur ganz wenige Kinder betrifft, sondern wir haben eine Entscheidung vor uns, in der es um unsere Gesellschaft als Ganzes geht. ({0}) Da stehen zwei Menschen vor uns: Der eine hat eine Behinderung, und die andere nicht. Niemand käme auf die Idee, zu der einen zu sagen: „Wie schön, dass du auf der Welt bist“, und zu dem anderen: Dich hätte es lieber nicht geben sollen. - Wir haben ein untrügliches Gespür dafür, dass das nicht sein darf. Heute entscheiden wir über Verbot oder Zulassung der PID. Wenn wir sie zulassen, machen wir genau das, nur dass wir dem Menschen nicht direkt gegenüberstehen, sondern mit Blick in die Petrischale entscheiden. Nein, es ist dann noch kein für uns erkennbarer Mensch, der uns etwa anlächeln könnte. Aber in ihm ist alles angelegt, was ihn oder sie zum Menschen machen wird, und zwar so unterschiedlich, wie er oder sie ist. Es geht nicht um den Streit, wann das Leben beginnt; es geht um diese Unterschiedlichkeit und um die Frage: Wollen wir sie in unserer Gesellschaft zulassen, ja oder nein? ({1}) Mich beunruhigt das Argument, das in der Diskussion immer wieder zu hören war, die PID erspare eine belastende Abtreibung zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft; es sei besser, die Embryos vorher auszusortieren. Es scheint also nicht nur selbstverständlich zu sein, dass in unserem Land Spätabtreibungen wegen Behinderung stattfinden sollen, was ethisch höchst fragwürdig ist; entscheidend ist, dass wir als Gesetzgeber auch noch annehmen, wir müssten eine gesetzeswidrige Haltung zustimmungsfähig finden. Als Gesetzgeber sollten wir das definitiv nicht tun, meine Damen und Herren. ({2}) Was ist eigentlich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, um das es heute immer wieder ging? Was meinen wir, wenn wir heute von Selbstbestimmungsrecht reden? Welche Frau kann sich unter den Bedingungen, die der Gesetzentwurf Flach/Hintze vorsieht und die andere schon vorgesehen haben, heute noch ohne gesellschaftlichen Druck, ohne familiäre Ansprüche, ohne Ansprüche des Freundeskreises und ohne Druck der Ärzteschaft entscheiden? Die Pränataldiagnostik, die ursprünglich nur für ganz wenige Ausnahmefälle gedacht war, ist zu einer Regeluntersuchung geworden und wird mit entsprechendem Druck „angeboten“; man muss das schon in Anführungszeichen setzen. Damit ist das Selbstbestimmungsrecht alles andere als gewährleistet. ({3}) Es sind wieder die Frauen, die das alles auf sich nehmen sollen. Es sind die Frauen, die die Belastungen, die durch die künstliche Befruchtung entstehen, auf sich nehmen sollen. Es sind im Wesentlichen auch wieder die Frauen, die letztendlich zu entscheiden haben. Die Befürworter der PID legen großen Wert darauf, dass sie eigentlich verboten bleibe und nur in ganz engen Grenzen zugelassen werde. Wie belastbar ist diese Grenzziehung? Ich sage Ihnen: Die Grenzen werden nicht erst in Zukunft erweitert werden; die Erweiterung ist in diesem Gesetzentwurf schon angelegt. ({4}) Denn erstens sind die schwerwiegenden Erkrankungen nicht definiert. Zweitens soll es um Erkrankungen gehen, die häufig erst dann auftreten, wenn man 40 Jahre oder älter ist. Brustkrebs gehört zu diesen Erkrankungen. Das wollen wir aussortieren. Das wollen wir verhindern. Dem wollen wir nicht zum Leben verhelfen. Ich kann es nicht verstehen. Diese Ausweitung der Grenzziehung gibt es bereits heute in dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf. ({5}) Es wurde immer wieder argumentiert, es gebe die Spirale, die „Pille danach“ etc. Bei diesen Verhütungsmethoden geht es doch mitnichten darum, auszusortieren, welches Leben wir wollen und welches Leben wir nicht wollen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert ({6}) Hier geht es eindeutig um etwas anderes. Wir sollten solche Vergleiche nicht anstellen. Sie haben auch gesagt, dass es keine Liste geben werde; eine Ethikkommission werde in Einzelfällen entscheiden. Was glauben Sie, was mit den Einzelfällen passiert, über die entschieden worden ist? Selbstverständlich werden sie öffentlich; es wird faktisch eine Liste geben, auf der Menschen nachsehen können, ob sie, die mit einer Behinderung leben, aussortiert worden wären. Dass es keine Liste gibt, ist ein Pro-forma-Argument, das dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf definitiv nicht entspricht. ({7}) Dass Sie nicht wagen, deutlich zu machen, dass man mehr als drei Embryonen benötigt, wie es in der Anhörung unter anderem von Herrn Hintze gesagt worden ist, und was mit den Embryonen, die dann verworfen werden, geschehen soll, halte ich für unzulässig. Sie versuchen, zu verwischen. Sie versuchen, mit unklaren Argumenten deutlich zu machen, Sie würden nur für eine kleine Gruppe entscheiden. In Wirklichkeit ist in diesem Gesetz schon mehr als ein Dammbruch angelegt. ({8}) Zum Schluss: Die Nebenbefunde, die es bei dieser Untersuchung geben wird - das Downsyndrom gehört dazu -, werden nicht verschwiegen werden können; sie werden gesagt werden, und wir werden erleben - das gibt es heute schon -, dass empfohlen wird, dass ein Kind mit Behinderung eben gar nicht erst zur Welt kommen soll. Meine Damen und Herren, wir sind nicht auf einer Insel. Wir diskutieren nicht für einige wenige Paare. Wir reden über eine Gesellschaft, in der jeder seinen Platz haben soll: die Mutter, die ohne Druck entscheidet, das Kind, das mit oder ohne Behinderung in unserer Gesellschaft lebt. Ja, es geht um Hilfe, es geht um die Gewährung von Unterstützung, aber eben nicht darum, Leben überhaupt zu verhindern oder zu verhindern, dass unterschiedliche Menschen auf die Welt kommen. Manche sagen, das sei religiös. Ich finde, das ist zuerst einmal einfach menschlich. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Rede von Frau Göring-Eckardt hat den Punkt getroffen. Im Prinzip geht es doch darum: Kann der Embryo schon als Mensch gesehen werden, muss er gar als Mensch gesehen werden, oder ist er etwas anderes? Ich halte die Position, dass der Embryo schon ein Mensch ist, für eine religiöse Position, die ich persönlich nicht teile. ({0}) Sie darf auch nicht Grundlage für unsere Gesetzgebung sein. Wenn man die Position, der Embryo sei schon ein Mensch, zu Ende denkt, dann stellt der Einsatz der Spirale zwar keine Selektion dar, aber im Prinzip die Abtötung eines Menschen; denn der Mensch „Embryo“ würde durch die Spirale getötet. Wenn man den Embryo schon als Menschen versteht, dann müsste man im Übrigen auch die In-vitro-Fertilisation in Gänze verbieten; denn damit produziert man Menschen, die man dann sterben lässt. Das ist eine Position, die völlig unhaltbar ist, wenn man sie zu Ende denkt. ({1}) Ich respektiere diese Position als eine religiöse Position, aber sie kann nicht Grundlage unserer Gesetzgebung sein. Weiterhin wird hier gesagt, PID sei der Beginn der Selektion von Menschen. Das ist nicht richtig. Wenn man den Embryo nicht einsetzt, dann ist das die Selektion eines Embryos, aber nicht die Selektion eines Menschen. Aber wenn man denselben Embryo einsetzt, um ihn als Kind spät abzutreiben, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann ist das die Selektion eines Menschen, und das ist, wenn möglich, immer abzulehnen. Das ist oft auch eine Verzweiflungstat, und damit nicht immer illegal, wie Wolfgang Thierse angedeutet hat - Schwangerschaft auf Probe -; viele der betroffenen Frauen sind nämlich verzweifelt, und ihre seelische Gesundheit ist gefährdet; von daher ist der Eingriff in diesem Fall legal. ({2}) Er ist aber dennoch, wann immer möglich, zu vermeiden. Daher vertrete ich die Position: Wenn es mit der PID möglich ist, die Zahl von Spätabtreibungen auch nur zu reduzieren, dann ist das aller Ehren wert. ({3}) Das ist ein menschliches Anliegen. Das ist ein Fortschritt. Das ist eine Hilfestellung. Es ist auch kein Dammbruch. Der Dammbruch ist im Prinzip längst dort erfolgt, wo die PND missbraucht wird. Solche Fälle - Wolfgang Thierse, das ist völlig richtig - gibt es. Diesen Dammbruch dürfen wir nicht hinnehmen. Es gibt legale Fälle, es gibt aber auch illegale Fälle. Wir müssen uns damit beschäftigen, wie dies genauer zu prüfen ist. Ich sprach heute Morgen mit einem befreundeten Psychiater, der Gutachten zu der Frage zu formulieren hat, aus welchen Gründen nach der PND die Spätabtreibung erfolgt: Ist die seelische Gesundheit tatsächlich gefährdet, oder handelt es sich im Prinzip um Selektion? Selbst dieser Gutachter kann die Antwort nicht geben. Oft wissen die Frauen selbst die Antwort nicht. Daher gilt es, die PND zu vermeiden, wo immer wir können. Es gibt hier bei der Entstehung des Menschen auch einen qualitativen Unterschied. Herr Kauder, Sie haben gesagt, nach dem Embryo gebe es bei der Entstehung des Menschen ({4}) - nach der Verschmelzung - keinen qualitativen Unterschied. Es gibt diesen qualitativen Unterschied, den wir rechtlich immer gewürdigt haben: Es ist die Einnistung. ({5}) Denn ohne die Einnistung ist der Embryo nicht lebensfähig. ({6}) Die Wissenschaft belegt ganz eindeutig - das wird sich auch nie ändern -: Nur der nach der Verschmelzung eingenistete Embryo ist lebensfähig. Wenn es diesen Unterschied nicht gäbe, hätten wir hier ganz andere Rechtsfolgen zu beachten. Ich will noch auf das Argument von Herrn Seifert eingehen - ich halte dies für sehr wichtig -, dass wir hier mit einer Diskriminierung beginnen würden. Die Diskriminierung von behinderten Menschen wäre unerträglich. Das gilt für unser Land in ganz besonderer Weise. Unsere Geschichte verpflichtet uns, dass wir dieses Argument besonders ernst nehmen. Ich persönlich glaube, dass wir mehr tun müssen, um Diskriminierung zu vermeiden. Die Menschlichkeit im Umgang mit behinderten Menschen zeigt sich in der Art und Weise, wie wir ihre Teilhabe organisieren. Die Menschlichkeit zeigt sich nicht darin, wie viele behinderte Menschen wir in der Gesellschaft haben, sondern wie wir mit ihnen umgehen. ({7}) Ich bitte daher Folgendes zu beachten - dies ist meine letzte Bemerkung; denn ich habe die Redezeit schon überschritten -: Wir, die wir uns für die PID einsetzen, haben genau die gleiche Position zu behinderten Menschen wie Sie. Wir möchten, dass sich die Lebensbedingungen für behinderte Menschen verbessern. Das gilt übrigens auch für die Mütter. Herr Zöller, bitte unterstellen Sie den Müttern, die sich für die PID entscheiden, nicht, sie würden ihre Kinder weniger lieben. Das stimmt nicht. ({8}) - Sie haben gesagt, die Kinder hätten ein Recht auf Liebe. Sie haben damit angedeutet, dass die Eltern, die sich für die PID entscheiden, ihre Kinder nicht lieben. ({9}) Gerade die Eltern, die ihre Kinder lieben, leiden am stärksten unter der Behinderung und an dem zum Teil qualvollen Tod ihrer Kinder, den sie miterleben müssen, wenn es zu diesen Krankheiten kommt. Die PID ist, wie Herr Hintze gesagt hat, eine Hilfestellung und ein Baustein zur Humanisierung unserer Gesellschaft. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jens Spahn hat das Wort. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lauterbach, es ist selten so deutlich geworden wie in dieser Debatte - das zeigen Ihre Formulierungen -, dass Sie als Unterstützer des Antrages auf Freigabe der PID einem Embryo im Grunde genommen das Menschsein absprechen. Das bestärkt mich in meiner Überzeugung, warum ich Probleme mit den Gesetzentwürfen habe, mit denen die PID möglich gemacht werden soll. Herr Kollege Hintze, Frau Kollegin Flach und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die diesen Gesetzentwurf unterstützen, ich bin beeindruckt, mit welcher Überzeugung Sie hier Ihre Positionen vortragen: frei von Zweifeln und mit dem Anspruch, das ethisch Richtige zu tun. Ich allerdings habe viele Zweifel und viele offene Fragen. Mir bereitet die Eindeutigkeit, mit der Sie Ihre Position hier vertreten, große Sorge, ob alle Fragen ausreichend beachtet werden, insbesondere die Fragen, die Ihr eigener Gesetzentwurf aufwirft. Bis heute, bis zu dieser Debatte, weigern Sie sich - mich irritiert schon, dass Sie damit in der Diskussion immer durchkommen -, klar zu definieren, bei welchen Erkrankungen PID möglich sein soll und bei welchen nicht. ({0}) Sie verhalten sich zu dieser Frage nicht. ({1}) Sie verhalten sich nicht dazu, dass die Sorge besteht, dass die PID Schritt für Schritt ausgeweitet wird, und dass die Entscheidungen der Ethikkommission, da es keine klare Definition gibt, dazu führen, dass nach und nach eine Liste entsteht. Sie verhalten sich nicht dazu, dass es zwischen Pränataldiagnostik und PID einen Unterschied gibt, was die spätmanifestierenden Krankheiten angeht. Sie verhalten sich nicht dazu, dass die Zentrenbildung an sich wahrscheinlich schon eine Ausweitung bedeutet, weil jedes Zentrum eine Daseinsberechtigung braucht. ({2}) Zu alldem sagen Sie nichts. Das lässt Zweifel aufkommen, und diese Zweifel lassen mich Nein zu Ihrem Antrag sagen. ({3}) Auch eine weitere Frage beantworten Sie nicht wirklich: Was passiert mit den überschüssigen Embryonen? Es heißt dann immer - mir tut allein der Begriff weh -, sie würden verworfen. Verworfen! Sie brauchen mehr als drei - das ist in der Anhörung sehr deutlich geworden; das ist Ihnen ja auch bewusst -, nämlich sieben, acht Embryonen für die PID. Da bleiben welche übrig. Ich finde, dass Sie diese Frage, was passiert mit denen, die übrig bleiben, die das Potenzial menschlichen Lebens, ein Kind zu werden, in sich tragen, schon beantworten müssen. Einfach nur in den Gefrierschrank - das wird als Antwort auf Dauer nicht reichen. Denn da stellen sich ganz andere Fragen, und auch dazu müssen Sie etwas sagen. Da können Sie die Dinge nicht einfach so offen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ich habe auch Zweifel, wenn es um die Frage geht: Was passiert eigentlich mit den weiteren Erkenntnissen, die gewonnen werden? Die moderne Diagnostik, DNAChips und anderes machen es möglich, dass wahrscheinlich nicht nur auf die eine Erbkrankheit hin untersucht wird, sondern dass es viele weitere Informationen gibt. Die Frage ist schon: Wie ist denn mit diesen Informationen umzugehen? Dürfen die vorenthalten werden? Müssen sie, wenn sie da sind, nicht auch mit einbezogen werden in die Entscheidung, die dann da getroffen wird? Angesichts dessen, was moderne Technik wahrscheinlich noch möglich machen wird, ist das eine Frage, die man zu Beginn einer solchen Entwicklung gleich mit beachten und mitdiskutieren muss, liebe Kolleginnen und Kollegen. Frau Göring-Eckardt und andere haben das ja gerade noch einmal deutlich gemacht. Sie haben die „Ethik des Helfens“ angesprochen, Herr Kollege Hintze. Das suggeriert das Versprechen, dass dank PID auf jeden Fall ein Kind zur Welt kommt und dass ein gesundes Kind zur Welt kommt. Dieses Versprechen kann PID nicht geben. Das wissen Sie. Deswegen, finde ich, ist der Begriff „Ethik des Helfens“ an dieser Stelle schwierig. ({5}) Ich habe auch Zweifel in Bezug auf das, was in der Folge passiert. „Dammbruch“ ist mit Sicherheit der falsche Begriff. Ich habe eher die Sorge, dass das eine langsam anschwellende Flut wird, jeden Tag verschieben sich da ein bisschen die Rahmenbedingungen. Es ist übrigens absurd, zu sagen, beim Schwangerschaftsabbruch und bei der PND, also bei der Pränataldiagnostik, hätten wir schon eine solche Entwicklung. Es käme doch gar nicht mehr - das wurde sogar in der Anhörung von Sachverständigen gesagt - nur auf die Abwägung zwischen der Situation der Mutter und dem Recht des Kindes an, sondern es wäre im Grunde eine Entscheidung nach Diagnostik dann für das Kind oder gegen das Kind. Das ist rechtswidrig. Aber es wurde so in der Anhörung gesagt. Es ist doch absurd, aus der Rechtswidrigkeit eines Zustandes, den wir heute haben, der sich eben Schritt für Schritt durch eine Türöffnung entwickelt hat, abzuleiten, dass man eine andere Tür öffnen könne, wobei man die Sorge haben muss, dass sich genau das Gleiche entwickelt. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube nicht, dass ich alles weiß, schon gar nicht in diesen Fragen; vielmehr habe ich Zweifel, große Zweifel. Ich glaube, wenn man in einer solchen Frage Zweifel hat - diese Entscheidung ist nicht so revidierbar wie vielleicht Entscheidungen in der Energiepolitik oder bei anderen Dingen; diese Entscheidung weist in eine Richtung und wird unumkehrbar sein -, dann muss man sich, glaube ich, im Zweifel für ein Verbot entscheiden. Es mag sein, dass ich in drei Jahren, in fünf Jahren, in zehn Jahren klüger bin, es mag sein, dass wir diese Zweifel, die ich habe, und die Fragen, die ich aufgeworfen habe, zu einem späteren Zeitpunkt so ausräumen bzw. beantworten können, dass da keine Zweifel mehr sind. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir im Zweifel in einer solchen Frage die Entscheidung für das Leben treffen müssen. Deswegen bitte ich insbesondere die Kolleginnen und Kollegen, die sich noch nicht entschlossen haben, die unentschlossen sind, die zweifeln, sich für das Verbot zu entscheiden, weil sie eben diese Zweifel haben und weil man im Zweifel eine solch grundlegende Entscheidung nicht treffen sollte. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kerstin Müller hat das Wort.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier wurde von manchen gesagt, es gehe um Kinder, um die Selektion solcher Kinder, die lebenswert seien, und solchen, die das nicht seien, weil sie behindert sind. Ich sage: Das ist nicht richtig, und das wird auch nicht richtiger, wenn man es hier wiederholt. ({0}) Es geht bei der Frage, ob der Gesetzgeber die PID verbieten oder begrenzt zulassen soll, nicht um die Selektion von Menschen oder behinderten Lebens. Es geht um den Schutz und die Achtung einer befruchteten Eizelle in der Petrischale. Genauer gesagt geht es um ihren Schutz bis zur Einpflanzung in den weiblichen Körper. ({1}) Schon hier beginnen meines Erachtens die Widersprüchlichkeiten der Position derjenigen, die ein Totalverbot der PID in Deutschland fordern. Den absoluten Schutz, den hier viele von Ihnen für den in vitro gezeugten Embryo fordern, gewähren die meisten der Unterstützer dem auf natürliche Weise gezeugten Embryo im Mutterleib seit langem nicht mehr. Warum, frage ich Sie, soll dieses beginnende Leben, also die befruchtete Eizelle, vor der Einnistung im Körper der Frau schützenswerter sein als das bereits fortgeschrittene Leben im Bauch der Frau? Das ist es nicht, und das kann es nicht sein. ({2}) Das wissen die meisten von Ihnen sehr genau. Auch der BGH hat das sehr deutlich gemacht. Die Schutzwürdigkeit des sogenannten werdenden Lebens steigt, je älKerstin Müller ({3}) ter der Embryo wird, und nicht umgekehrt. Das muss in einem Rechtsstaat so sein. Ihre Positionen sind dahin gehend weiter sehr widersprüchlich. Darauf geben Sie auch heute keine Antwort. Noch widersprüchlicher wird es - das wurde hier bereits angesprochen -, wenn man bedenkt, dass den Frauen, die ohne oder mit In-vitro-Fertilisation bzw. mit oder ohne PID schwanger werden, ab dem 35. Lebensjahr die Pränataldiagnostik zur Verfügung steht. Sie wissen: Werden bei dieser schwere Erbschädigungen oder mögliche Behinderungen festgestellt, kann die Frau entscheiden, die Schwangerschaft abzubrechen, wenn sie in einer möglichen Behinderung eine für sie schwerwiegende seelische und körperliche Belastung für ihr künftiges Leben sieht; so steht es auch im Gesetz. Bei der PND wird also geprüft, was bei der PID schon hätte geprüft werden können. Es kann doch nicht sein, dass das eine - die Erbschädigung der befruchteten Eizelle schützenswerter ist als das werdende Leben ab dem fünften Monat. Auch darauf geben Sie hier keine Antwort. ({4}) Woher nehmen Sie das Recht, zu beurteilen, dass die eine Entscheidung moralisch unangreifbar ist, die andere - die der verantwortlich entscheidenden Eltern - aber nicht? Der geltenden Rechtsordnung kann man diese Bewertung jedenfalls definitiv nicht entnehmen. Ich sage Ihnen hier sehr offen: Wegen dieser Ungereimtheiten in Ihrer Argumentation bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass es, jedenfalls bei manchen, in dieser Debatte um die PID auch um ein Nachhutgefecht zu der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch geht. Ich will das hier sehr offen ansprechen. ({5}) Ich will es begründen: Sie können nicht verhindern, dass sich eine Frau nach einer Amniozentese für den Abbruch entscheidet, weil sie sich den Belastungen nicht gewachsen fühlt. Sie können ihr das Leben aber möglichst schwer machen. Wenn sie sich schon gegen die Austragung möglicherweise schwerbehinderten Lebens entscheidet, dann soll sie mit dem Leid des Schwangerschaftsabbruchs zahlen. ({6}) Jerzy Montag hat doch hier den Landesbischof der Evangelischen Kirche in Bayern zitiert, der genau von diesem „Leid“ der Frauen spricht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mehrheit von Ihnen diese Auffassung teilt. Es gibt Paare, die in der Angst leben, ihr Kind könnte mit einer schrecklichen Erbkrankheit geboren werden und, wie etwa bei Morbus Krabbe, nach den ersten fünf Monaten qualvoll vor ihren Augen sterben. Diese Paare können sich heute für eine künstliche Befruchtung und die PND entscheiden. Aber sie müssen ins Ausland fahren - nach Belgien zum Beispiel -, um das machen zu können. Was macht das für einen Sinn? Wenn es nicht darum geht, diesen Paaren das Leben schwer zu machen, stellt sich für mich zumindest die Frage: Was ist denn dann Ihre konkrete Empfehlung? Was bieten Sie diesen Paaren denn an? Im Rahmen der Debatten zum § 218 StGB - ich erinnere mich gut daran - wurde den Frauen immer wieder unterstellt, sie würden keine verantwortliche Entscheidung treffen oder treffen können. Man hat von wenigen Fehlentscheidungen auf die Mehrheit geschlossen. Schauen wir uns den Konflikt hier noch einmal an: Glauben Sie wirklich, dass es eine leichte Entscheidung ist, sich für den mühsamen und schmerzhaften Weg - das ist hier mehrmals gesagt worden - der künstlichen Befruchtung, die nur mit 15-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu einer Schwangerschaft führt, zu entscheiden? Die Paare entscheiden doch nicht leichtfertig, dass die geschädigte Eizelle nicht eingenistet werden soll. Sie machen es sich mit ihrer Entscheidung schwer. Sie stecken da in einem schlimmen Konflikt. ({7}) Man darf ihnen auch nicht unterstellen - das kam ja in dem einen oder anderen Interview zum Ausdruck -, dass der Wunsch nach einem Designerkind dahinterstecke. Ich finde das paternalistisch und infam. Darum geht es diesen Paaren, über die wir hier sprechen, sicher nicht. ({8}) Ich glaube: Wer es sich mit der künstlichen Befruchtung bereits so schwer gemacht hat, der trifft auch im Hinblick auf die PID und deren Folgen eine gewissenhafte und sorgfältige Entscheidung. Der Entwurf, den wir vorgelegt haben, antwortet auf diese Widersprüche und verfängt sich nicht darin. Er geht von den betroffenen Paaren aus, die eine verantwortliche Entscheidung treffen, und gibt ihnen dabei - etwa durch die vorgesehene Beratung - Hilfestellung. Ich bitte diejenigen von Ihnen, die sich noch nicht entschieden haben: Bedenken Sie Ihre Entscheidung. Trauen Sie den Paaren eine verantwortliche Entscheidung zu. Unterstützen Sie unseren Entwurf, der diesen vielleicht 200 Paaren in Deutschland die Möglichkeit zu einer informierten Entscheidung geben will. Um nicht mehr und nicht weniger geht es heute. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Andrea Nahles hat das Wort.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe einen unerfüllten Kinderwunsch gehabt: Jahrelang hatte ich zunächst Hoffnung. Dann hatte ich jahrelang wenig Hoffnung. Das Schwierigste, das ich in meinem ganzen Leben bisher zu meistern hatte, war - gegen Ende 30 -, die Hoffnung loszulassen, dass es mir vielleicht vergönnt sein könnte, doch noch ein eigenes Kind zu haben. Deswegen möchte ich stellvertretend für alle, die sich für ein Verbot der PID aussprechen - das tue nämlich auch ich -, festhalten, dass die Unterstellung, wir könnten die Schwierigkeiten für die betroffenen Ehepaare nicht nachvollziehen oder wüssten nicht darum, nicht wahr ist. Es geht schlicht und ergreifend um etwas anderes: Es geht um den Respekt vor dem Leben von Anfang an. ({0}) Im Übrigen geht es darum, dass die Würde des Menschen in dem Moment beginnt, in dem Ei- und Samenzelle verschmelzen. Und es gibt nur einen, der den Schutz für diesen Embryo gewährleisten kann: Das ist der Staat, das sind wir. Die einzelnen Paare oder Ehepaare können das nicht. ({1}) Wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, welche Aufgabe wir heute haben. Wir haben nämlich die Aufgabe, darüber zu entscheiden, auf welchem ethischen Fundament wir eine solch weitgehende Entscheidung treffen. Den Dammbruch, Frau Flach, mache ich nicht daran fest, um wie viele Fälle es geht. Ob es 200 oder 2 000 sind, spielt für mich überhaupt keine Rolle. Es stellt vielmehr einen Dammbruch dar, wenn ein Embryo, bevor er eingepflanzt wird, eine genetische Qualitätskontrolle durchlaufen muss, aus dem Embryo also nicht so, wie er ist, ein Kind aus sich selbst heraus geboren wird. ({2}) Das ist der Dammbruch. Es ist mir dabei völlig egal, wie viele Fälle das sind. Die Schutzverpflichtung des Staates, lieber Karl Lauterbach, beginnt übrigens sehr früh, und zwar genau da, wo ich sie markiert habe. Ganz offenbar sind eine Masse von Gesetzesänderungen geplant. Wenn man nämlich das ernst nimmt, was Karl Lauterbach und andere vorgetragen haben, dann müsste man eine ganze Reihe anderer Gesetze dementsprechend ändern. Wollen wir das wirklich? ({3}) Dann muss man das hier offen sagen. Im Rahmen dieser Debatte ist häufig die Rede von einer „begrenzten“ Erlaubnis. Das klingt für die Unentschlossenen nach „nicht so ganz“ oder „nicht ganz so schlimm“. Ich habe eine Freundin, die heißt Birgit. Sie hat zwei Kinder. Das erste Kind wurde mit einer Hasenscharte geboren. Bei der Geburt des zweiten Kindes lautete ihre erste Frage im Kreißsaal natürlich: Ist das Kind gesund? Die Ärztin sagte ihr: Nein, wieder Hasenscharte. - Meine Freundin fing an zu weinen, weil sie weiß, wie viele Operationen das bedeutet, wie viel Arbeit und Mühe damit verbunden sind und weil sie sich natürlich ein gesundes Kind gewünscht hätte. Das ist doch klar. Da sagt diese junge Ärztin so im Vorbeigehen von einem Patienten zum anderen: Haben Sie sich denn nicht genetisch beraten lassen? Ich meine, dass deswegen das, was hier als Selbstverwirklichung bzw. als Freiheit der Entscheidung und Wahlmöglichkeit verkauft wird, ungewollt ganz schnell zum Zwang werden kann. Ich glaube Ihnen, Frau Flach, dass Sie keine Designerbabys wollen. Ich glaube allen, die diesen Antrag unterstützen, dass sie das nicht wollen. Aber ich glaube nicht, dass die Grenzen, die Sie aufgezeigt haben, Grenzen sind, sondern ich glaube, dass es eine neue Praxis, eine neue Realität geben wird und dass die Frage: „Haben Sie sich denn nicht genetisch beraten lassen?“, eine Standardfrage in Deutschland wird, wenn wir heute diesen Dammbruch begehen. Deswegen stimmen Sie bitte für ein Verbot der PID. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gabriele Molitor hat das Wort.

Gabriele Molitor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004112, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen hier heute Morgen eine sehr ernsthafte und wichtige Debatte. Ich möchte an dieser Stelle nicht über Motivlagen urteilen. Ich möchte diejenigen gewinnen, die sich noch nicht entschieden haben, indem ich sie teilhaben lasse an dem Weg, wie ich meine Entscheidung getroffen habe. Darf ich als behindertenpolitische Sprecherin meiner Fraktion für die Zulassung der PID sein? ({0}) Wie ich diese Frage für mich entschieden habe, möchte ich Ihnen gern erläutern: Vor einigen Monaten habe ich mit einem mir nahestehenden Arzt über die PID gesprochen. Er hat darum gebeten, Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen. Der medizinische Fortschritt macht es eben immer wieder notwendig, dass wir grundsätzliche Fragen entscheiden, und damit dürfen wir die Medizin nicht alleinlassen. Die Gegner der Präimplantationsdiagnostik befürchten, dass durch die begrenzte Zulassung Dämme gebrochen werden. Das ist hier heute immer wieder angeklungen. Doch diese Argumentation geht weit über das hinaus, was eine PID heute möglich machen kann. Für mich hat das Eintreten für die Zulassung der PID unter strengen Auflagen auch etwas mit Vertrauen zu tun. Ich vertraue darauf, dass die für die Zulassung verantwortlichen Experten der Ethikkommission, die behandelnden Ärzte, die hoffnungsvollen Paare verantwortungsvoll und sorgsam mit diesem Diagnoseverfahren umgehen; denn auch nach einer PID gibt es keine Gewissheit, dass ein Kind gesund zur Welt kommt. Lediglich knapp 5 Prozent der bei uns lebenden Menschen mit Behinderungen sind bereits mit einer Behinderung auf die Welt gekommen. 95 Prozent der Menschen mit Handicap werden erst durch einen Unfall oder durch eine schwere Erkrankung in diese Situation gebracht, die ihr Leben vor neue Herausforderungen stellt. Vielfach wird die Sorge geäußert, dass die PID Menschen mit Behinderung an den Rand der Gesellschaft drückt. Ich sage dagegen: Jeder Einzelne - auch von den hier Versammelten - hat es mit in der Hand, dass Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich zu unserer Gesellschaft gehören. Deswegen lade ich Sie alle sehr herzlich ein, morgen bei der Debatte rund um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in genauso großer Zahl zu erscheinen und mit uns zu diskutieren, wie die Situation von Menschen mit Behinderungen verbessert werden kann. ({1}) Ich denke, es ist wichtig, Menschen mit Behinderung nicht als Opfer zu betrachten oder immer nur darauf abzuheben, welchen Mangel oder welche Beeinträchtigung sie haben. Es geht darum, sie ganz selbstverständlich miteinzubeziehen in unser Leben, in unsere Gesellschaft, und dafür können wir alle einen Beitrag leisten. Ich für meinen Teil bringe es nicht über das Herz, gegenüber Paaren mit nachgewiesenen Erbschädigungen Nein zu sagen und ihnen die Möglichkeit der PID zu verwehren oder ihnen gar zu sagen, sie müssten gänzlich auf Kinder verzichten, oder ihnen zu raten: Geht in europäische Nachbarländer, in denen die PID möglich ist. Ein Hinweis ist mir wichtig: In vielen europäischen Ländern ist die PID erlaubt; dort ist keineswegs festzustellen, dass Menschen mit Behinderung diskriminiert werden. ({2}) Die Zulassung der PID ist für mich eine Frage der Nächstenliebe. Aus all den genannten Gründen möchte ich Sie bitten, den Antrag von Ulrike Flach, Peter Hintze, Carola Reimann und anderen zu unterstützen und die PID zuzulassen. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kerstin Griese hat das Wort.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte begründen, warum ich den Gesetzentwurf von Flach, Hintze und Reimann unterstütze. Ich möchte das vor zwei Hintergründen tun: zum einen vor dem Hintergrund meines christlichen Menschenbildes, das mich in meinen Vorstellungen von umfassender Menschenwürde leitet, zum anderen vor dem Hintergrund, dass ich 2009 mit vielen anderen in diesem Haus, die sich jetzt auf die drei Gesetzentwürfe verteilen, einen Gesetzentwurf eingebracht habe, der die bessere psychosoziale Beratung bei eventueller Spätabtreibung vorsieht; für mich gibt es da einen inneren Zusammenhang. Ich will erstens ganz ausdrücklich sagen: Der Gesetzentwurf, den ich unterstütze, sieht vor, dass die PID zwar grundsätzlich verboten bleibt, aber in besonders schwer wiegenden Fällen aus ethischen Gründen Ausnahmen möglich sind. Die Perspektive der werdenden Eltern einzubeziehen, ist mir wichtig. Wir haben die Ausnahmen klar definiert: ein hohes Risiko schwerwiegender Erbkrankheiten, Vorerfahrungen mit Totgeburten und schwersten Behinderungen, die oft zu einem qualvollen Tod der Kinder führen, den die Eltern miterleben müssen. Wir haben festgesetzt, dass eine Ethikkommission über die Anwendung der PID entscheidet. Wer sich einmal damit beschäftigt hat, was Ethikkommissionen in Krankenhäusern schon heute leisten, wenn es um den Anfang und das Ende des Lebens geht, der weiß, wie wichtig die individuelle Beratung ist. ({0}) Ich will ausdrücklich sagen: Die Anzahl der Fälle ist kein Argument. Es ist wichtig, zu wissen, dass es vermutlich um etwa 200 Fälle von PID im Jahr geht, also nicht um eine hohe Zahl. Die Anzahl ist aber nicht das Argument; wir müssen diese Frage grundsätzlich klären. Deshalb sage ich zweitens: Als evangelische Christin bin ich natürlich der Überzeugung, dass der Embryo auch außerhalb des Mutterleibes schützenswert ist; aber ich bin der festen Überzeugung - ich weiß es -, dass allein im Reagenzglas noch kein Mensch heranreift, der zu einer eigenständigen Persönlichkeit werden kann. Erst zusammen mit der Mutter entsteht werdendes Leben. Ja, ein Embryo ist werdendes Leben, aber nur im Bauch der Mutter wird es Leben. ({1}) Der evangelische Theologe Richard Schröder hat es bei der großen Anhörung im Gesundheitsausschuss sehr gut auf den Punkt gebracht: Geboren werden zu können, ist eine Voraussetzung von Menschsein. - Wenn ich mir die Stellungnahmen der Kirchen, die mir durchaus wichtig sind, ansehe, dann erkenne ich, dass es in der evangelischen Kirche zwar keine einheitliche Haltung gibt, aber auch bei ihr das Argument der Perspektive der Eltern eine Rolle spielt. Ich habe mich gefreut, einen Brief von Donum Vitae aus Nordrhein-Westfalen zu bekommen, wo man mit der Schwangerschaftskonfliktberatung, der Pränataldiagnostik und der Frage eines unerfüllten Kinderwunsches sehr viel Erfahrung hat. Donum Vitae spricht sich ausdrücklich für eine begrenzte Zulassung der PID aus. Mein drittes Argument. Ich habe es schon gesagt: Die PID darf nur in besonderen Fällen zugelassen werden. Ich will ausdrücklich sagen: Da geht es nicht um eine Hasenscharte oder das Downsyndrom, sondern um schwerste genetisch bedingte, vererbbare Krankheiten und Behinderungen oder um Totgeburten. ({2}) Es ist doch klar: Wenn man den erblich schwer vorbelasteten Eltern die Möglichkeit der PID nicht geben würde, würde man sie auf die Pränataldiagnostik verweisen. Dann würden sie in den Schwangerschaftskonflikt kommen, der in § 218 StGB mit der Möglichkeit der sogenannten Spätabtreibung beschrieben ist, nämlich dann, wenn die Mutter sagt: Ich kann das psychisch nicht ertragen; ich werde das nicht schaffen. - Wir haben uns 2009 sehr intensiv mit der Spätabtreibung beschäftigt. Ich glaube, ich habe alle Berichte gelesen. Ich habe mit Frauen gesprochen, die eine Spätabtreibung erlebt haben; das ist so schlimm. Wenn die Hilfe für die betroffenen Frauen und Eltern für uns im Mittelpunkt steht, dann halte ich die PID für ethisch hinnehmbarer als eine eventuelle Spätabtreibung; ich finde, die PID ist für die Frauen erträglicher. ({3}) Insofern ist meine Entscheidung auch frauenpolitisch motiviert. Denn wir wissen, dass es für Frauen weniger belastend ist und es ihnen viele traumatische Erfahrungen erspart, wenn sie den schweren Konflikt um die Frage „Kann ich die Geburt eines schwerstbehinderten Kindes oder sogar eine Totgeburt ertragen?“ zu einem frühen Zeitpunkt lösen können und nicht erst später, wenn es sie - nach allem, was wir wissen, darüber gehört und gelesen haben - fürchterlich mitnimmt. Ein weiterer Punkt: Die Rechtsetzung wird in ethischen Fragen immer wieder vom medizinisch Möglichen überholt. Das gilt ganz besonders für die Pränataldiagnostik. Ich bitte aber ausdrücklich darum, dass wir die Debatte über die Pränataldiagnostik nicht mit der PIDDebatte vermischen. Wir kritisieren sicherlich gemeinsam, dass die Pränataldiagnostik überhand genommen hat und Druck auf Frauen ausgeübt wird. Wir müssen endlich einmal eine Debatte darüber führen, was sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Pränataldiagnostik verändert hat. Wir müssen uns damit beschäftigen, welche Veränderungen man herbeiführen sollte, auch um das Recht auf Nichtwissen zu verankern. Das hat aber nichts mit dieser PID-Debatte zu tun. ({4}) Ein letzter Punkt, der mir eigentlich der wichtigste ist: Ich finde es ganz schlimm, wenn uns unterstellt wird, uns würde nichts an der Teilhabe von Menschen mit Behinderung liegen. Wir alle wissen, dass es weiterhin, auch bei Anwendung von PID und PND, behinderte Menschen geben wird. Die meisten Behinderungen entstehen bei oder nach der Geburt. Es wird niemals Leidfreiheit geben. Es wird keine Perfektion geben; das ist auch nicht mein Menschenbild. Deshalb sollten wir dieser Idee nicht nachhängen, sondern Behinderung als Teil unseres Lebens ansehen und anerkennen, dass behinderte Menschen zur Mitte unserer Gesellschaft gehören. Wir sollten endlich mehr für die Inklusion behinderter Menschen tun und nicht nur in Sonntagsreden darüber sprechen. Das würde ihnen wirklich helfen. ({5}) In den Ländern, in denen die PID angewendet wird, gibt es zum Teil eine bessere Inklusion behinderter Menschen. Aus diesen Gründen habe ich mich entschlossen, den Gesetzentwurf von Flach, Hintze, Reimann und anderen zu unterstützen, der genau definierte, enge Regeln zur begrenzten Zulassung der PID in Ausnahmefällen festsetzt, der Aufklärung und Beratung verpflichtend verankert und der in jedem individuellen Fall die Entscheidung einer Ethikkommission vorsieht. Das ist für mich eine Entscheidung für das Leben. Das ist eine Entscheidung für die Hilfe für Betroffene. Für mich ist das Ethik für das Leben. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Rudolf Henke hat das Wort. ({0})

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Enge Grenzen, eng umschrieben, Beratung notwendig, Ethikkommission notwendig, eine Auswahl ganz bestimmter Zentren, in denen das durchgeführt werden kann, ist notwendig, kein Designerbaby - aber die Frage ist doch, Frau Flach, Herr Hintze: Wofür öffnet Ihr Gesetzentwurf die Anwendbarkeit der PID? ({0}) Der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, erlaubt die PID auch im Falle von spätmanifestierenden Erkrankungen. Spätmanifestierende Erkrankungen treten in der Regel erst im Erwachsenenalter auf. Sie ermöglichen ein jahrzehntelanges gesundes Leben. Das Gendiagnostikgesetz, das wir hier mit großer Mehrheit verabschiedet haben, verbietet solche Tests während der Schwangerschaft ausdrücklich; dieser Gesetzentwurf aber ermöglicht sie. ({1}) Dieser Entwurf, der „enge Grenzen“ vorsieht, lässt offen, was schwerwiegende Erkrankungen sind, bei denen die PID erlaubt werden soll. Wir haben dann einen unbestimmten Rechtsbegriff. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird von Ethikkommissionen und Gerichten gefüllt werden. Diese Auseinandersetzungen werden Leid über die Menschen bringen, die daran beteiligt sind. Eine Suche nach immer mehr Erbanlagen, auch nach solchen, die nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen überhaupt zu einer Erkrankung führen oder deren Folgeerkrankungen gut behandelbar sind, würde möglich. Damit ist die schleichende Ausweitung der Anwendungsbereiche der PID angelegt, wie Jens Spahn das dargestellt hat. ({2}) Ein weiterer Punkt. Vielleicht wollen viele von Ihnen das nicht, vielleicht ist das nicht das Ziel, vielleicht geht es Ihnen auch gar nicht darum, aber nach Text und Wortlaut Ihres Gesetzentwurfs soll die PID als Reihenuntersuchung auch bei gesunden Paaren zugelassen sein. ({3}) Nach Ihrem Gesetzentwurf ist die PID „zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos …, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt“ führen würde, erlaubt. Weil in Ihrem Gesetzentwurf für diese Suche keinerlei Voraussetzungen - weder genetische Belastung der Eltern noch bereits erlittene Fehl- oder Totgeburten - festgelegt werden, wäre die PID damit bei nahezu jeder künstlichen Befruchtung möglich. Das will ich nicht. ({4}) Herr Lauterbach hat von der Schwierigkeit der religiösen und naturwissenschaftlichen Analyse gesprochen. Er hat gefragt, was dieses menschliche Leben in den ersten 14 Tagen vor der Nidation repräsentiert. Wir würden da religiös argumentieren. Aber, Herr Lauterbach, jede andere Position im Hinblick darauf, wann das Menschlichsein, das Menschsein bzw. der Charakter des Menschen hinzutritt, ist wesentlich religiöser als die naturwissenschaftliche Annahme, dass dies mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle passiert. Jede andere Annahme ist nur pseudonaturwissenschaftlich. ({5}) Ein Letztes. Auf den Tag genau ein Jahr nachdem meine Mutter mich zur Welt gebracht hatte, kam ein Bruder zur Welt, der fünf Stunden gelebt hat. Ich habe ihn nie gesehen. Ich erinnere mich an die Besuche - über Jahrzehnte hinweg - am Grab, und ich weiß, dass dieser Bruder eine wesentliche Rolle in unserer Familie, bei meinem Lernen über den Zusammenhalt von Menschen und bei meinem Lernen über die Verhältnisse der Begrenztheit menschlichen Glücks gespielt hat. Wir sind nicht die Herren über Leben und Tod. Ich will nicht, dass wir Menschen, weil sie eine Schädigung aufweisen, die dafür sorgt, dass sie nach fünf Stunden tot sind, den Weg vor die Tür unserer Gattung weisen. Genau das geschieht, wenn wir das Recht von Menschen, weiterzuleben, an genetischen Merkmalen festmachen. Deswegen sage ich Ihnen: Das dürfen wir heute nicht tun. Vielleicht gelingt es, einen besseren Gesetzentwurf zu entwickeln als den, den Sie jetzt vorgelegt haben. Aber bis das der Fall ist, bitte ich Sie alle sehr, sehr herzlich darum: Stimmen Sie jetzt für den Gesetzentwurf, der ein Verbot der PID vorsieht. Stimmen Sie für den Gesetzentwurf, der den Namen „Göring-Eckardt“ trägt. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Priska Hinz spricht jetzt. ({0})

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier im Bundestag scheint es unversöhnliche Positionen zwischen Gegnern und Befürwortern der PID zu geben. Deswegen möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen: Es gibt einen weiteren Gesetzentwurf, der ein Mittelweg sein könnte, um zu einer gemeinsamen Mehrheit zu finden und damit Eltern zu helfen, gleichzeitig aber wirklich enge Grenzziehungen zu schaffen, damit wir Embryonen nicht nach Qualitätskriterien auswählen. ({0}) Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es möglich macht, die Überlebensfähigkeit des Embryos in den Mittelpunkt der Entscheidung zu stellen. Es geht um die Frage: „Kann ein Kind lebend zur Welt kommen?“ und nicht um die Frage: Ist das Kind behindert, oder hat es aufgrund der genetischen Disposition der Eltern eine Erbkrankheit? Alle Sachverständigen - auch die der Gegner der PID - haben gesagt: Wenn es eine Grenzziehung gibt, die eingehalten werden kann, dann ist es diese. Deswegen bitte ich Sie, noch einmal darüber nachzudenken, ob es nicht möglich sein kann, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen, um Leid von Eltern, die wiederholt Fehl- und Totgeburten erleben, zu lindern und trotzdem Behinderungen nicht aus unserem Leben auszugrenzen. ({1}) Der Gesetzentwurf der Kollegin Flach und anderer Kolleginnen und Kollegen sieht meines Erachtens keine Begrenzung der PID vor, sondern trägt in sich schon eine Erweiterung; das ist vorhin schon einmal erwähnt worden. Ich persönlich sage - ich war dabei, als wir über die Frage der spätmanifestierenden Krankheiten diskutiert haben -: Wir haben erst vor zwei Jahren ein Gendiagnostikgesetz beschlossen, in dem spätmanifestierende Krankheiten als Untersuchungsgrund bei der PND ausgeschlossen werden. Jetzt wollen Sie einen Gesetzentwurf verabschieden, durch den eine genetische Untersuchung auf spätmanifestierende Krankheiten zugelassen wird. Das bedeutet doch, dass wir Menschen absprechen, 30 oder 40 Jahre lang ein glückliches Leben führen Priska Hinz ({2}) zu können, bevor eine Krankheit ausbricht. Wir alle wissen: Es gibt nicht nur Krankheiten, die aufgrund von Erbanlagen ausbrechen, sondern jeden von uns kann eine Krankheit treffen oder wir können als Folge eines Unfalls behindert sein. Niemand würde uns ein glückliches Leben vor oder mit der Krankheit oder Behinderung absprechen. ({3}) Ein weiteres Problem ist das Screening, das in Ihrem Gesetzentwurf angelegt ist. Sie tun immer so, als sei das in Ihrem Gesetzentwurf nicht enthalten. Aber erstaunlicherweise haben die Sachverständigen in der Anhörung auf genau diesen Punkt hingewiesen. ({4}) Ich finde, wenn wir eine Fachanhörung mit Sachverständigen, die noch mehr Ahnung von der Materie haben als wir, durchführen, dann sollten wir zumindest auf die Warnungen, die sie aussprechen, hören. Natürlich kann es sein, dass Sie nicht wollen, dass ein Screening möglich ist, aber dann hätten Sie Ihren Gesetzentwurf an genau diesem Punkt ändern müssen. ({5}) Durch diesen Gesetzentwurf wäre bei allen künstlichen Befruchtungen ein Screening auf Erbkrankheiten und genetische Dispositionen zulässig. Ein Argument möchte ich noch aufgreifen, weil es immer wieder in der Diskussion genannt wird, nämlich die Frage, ob durch die PID Schwangerschaftsabbrüche vermieden werden. Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass ein Schwangerschaftskonflikt mit einer PID zu vergleichen ist - es ist ein Unterschied, ob ich ein Kind im Bauch trage und mich mit dem Konflikt auseinandersetzen muss, ob ich das Kind austragen kann, oder ob es um einen Embryo geht, der extrakorporal gezeugt wurde, und ich mich frage, ob er eine genetische Störung hat oder nicht -, wissen wir aufgrund der Zahlen aus anderen Ländern, in denen es die PID gibt, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche deutlich zunimmt. ({6}) Insofern ist es keine Vorwegnahme von Schwangerschaftsabbrüchen. Meine Damen und Herren, es handelt sich um eine schwierige Entscheidung und Abwägung zwischen vermeintlich zwei Wegen. Deswegen bitte ich darum, dass Sie sich noch einmal überlegen, ob wir es nicht tatsächlich möglich machen können, einen medizinischen Fortschritt dafür zu nutzen, dass in einem engbegrenzten Rahmen Eltern geholfen werden kann, die nur Tot- oder Fehlgeburten erleben, ohne dass die Möglichkeit besteht, Embryonen nach Qualitätskriterien auszusuchen. Wenn Sie dieser Auffassung sind, dann stimmen Sie bitte unserem Gesetzentwurf zu. Dann hätten wir in dieser ethisch schwierigen Frage große Einigkeit im Parlament. Danke schön. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004092, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe als junge Ärztin gleich nach dem Studium in der Gynäkologie und Geburtshilfe angefangen. Ich habe damals in der Ambulanz unserer Klinik unendlich viele Gefühlslagen werdender Eltern erlebt. Ich habe sehr viele glückliche Paare in froher Erwartung erlebt, aber auch Paare voller Angst, die sich mit einer Diagnose überfordert fühlten. Ich habe verzweifelte Frauen im siebten oder achten Schwangerschaftsmonat erlebt, die keine Kindsbewegungen mehr spürten und ahnten, dass ein früher Kindstod eingetreten ist. Ich habe resignierte Paare erlebt, die schon Fehlgeburten erlitten haben und wieder eine Fehlgeburt erleiden mussten. Ich glaubte am Anfang, nach acht langen Jahren Studium und Ausbildung vieles zu wissen. Aber die Wucht des Schicksals rund um Schwangerschaft und Geburt hat mich sehr still werden lassen. Seitdem bin ich mit dem Urteil, was in solchen Situationen absolut richtig oder absolut falsch ist, sehr vorsichtig geworden. ({0}) Der entscheidende Punkt ist für mich heute die Frage: Auf wessen Schultern lastet am Ende die Verantwortung? ({1}) Lastet sie auf den Abgeordneten, die die Gesetze machen? Ja, sicher, wir stehen in der Verantwortung. Dafür haben uns die Menschen gewählt. Deshalb macht es sich keiner und keine in diesem Hause leicht. Aber bei aller Sorgfalt, die wir aufwenden, und bei allem Anteil, den wir nehmen, spüren wir die Wucht des Schicksals am Ende nicht am eigenen Leib und an der eigenen Seele. Es sind die Paare mit schweren erblichen Vorerkrankungen, die den Schwangerschaftskonflikt bereits erlebt haben, die eine Fehl- oder Totgeburt bereits erlebt haben, die ein behindertes Kind bereits liebevoll pflegen, deren gemeinsames Bangen und Hoffen nicht aufhört. Auf ihnen lastet letztendlich die Verantwortung vor Gott, die Verantwortung vor dem ungeborenen Leben und die Verantwortung vor den eigenen Kindern, seien sie behindert oder seien sie nichtbehindert. ({2}) Meine Damen und Herren, ich trete dafür ein, dass wir diesen Paaren mit schwerer genetischer Vorbelastung den gesetzlichen Freiraum geben, zu wissen. Wir sagen bisher Ja zum Wissen aufgrund ausführlicher Diagnostik in der Schwangerschaft. Mit welchem Recht sagen wir dann Nein zu dem früheren Wissen durch die PID vor einer Schwangerschaft? Die Erkenntnis bzw. das Ergebnis ist ein und dasselbe. Wenn wir das frühe Wissen vor Eintritt einer Schwangerschaft zulassen, dann können wir den Betroffenen das spätere Leid in der Schwangerschaft und den Schwangerschaftskonflikt ersparen. Darum geht es. ({3}) Niemand entscheidet sich leichtfertig für eine künstliche Befruchtung und eine PID. Das ist ein körperlich und psychisch in hohem Maße belastendes und schambefangenes Verfahren. Paare, die diesen Weg gehen, haben bereits eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Deshalb finde ich es wichtig, die Gewissensfrage nicht gegen die Wissensfrage auszuspielen. Natürlich werden durch die PID die Grenzen des Wissens erweitert, aber innerhalb der Grenzen unserer ethischen Maßstäbe. Darum geht es. ({4}) Die Entwicklung der Menschheit ist voll von Wissenserweiterung gewesen. Niemand hier im Raum würde doch sagen, dass unsere gesamte Geschichte eine Geschichte des Irrens und des moralischen Fehlens ist. Wir leuchten mit der PID in einen Bereich des Lebens, in dem wir in Deutschland - nicht andere Länder, aber wir in Deutschland - bisher vollständig im Dunkeln tappen. Das verändert, was wir sehen. Aber das verändert doch nicht, wie wir es sehen. Die verantwortungsvolle Abwägung einer Frau und eines Mannes, was sie sich zutrauen und was sie überfordert, bleibt doch bestehen. ({5}) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht die Augen bewusst davor verschließen können, wie wir den Stand der Medizin mit Maß und Mitte nutzen können, um diese leidgeprüften Familien zu unterstützen und ihnen zu helfen. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass sowohl die deutsche Ärzteschaft als auch die betroffenen Eltern mit den Möglichkeiten der PID verantwortungsvoll umgehen werden. ({6}) Zwei Jahrzehnte guter Erfahrungen im Ausland sprechen für diesen Weg. Zum Abschluss: Ich bin als junge Ärztin oft von Patienten in verzweifelten Situationen gefragt worden: Wie würden Sie entscheiden, wenn Sie an meiner Stelle wären? Ich möchte diese Frage heute in diesen Raum geben und sie an uns gemeinsam stellen: Wie würden Sie entscheiden, wenn es zu einem Verbot käme? Würden Sie für immer auf Kinder verzichten? Würden Sie immer wieder den Versuch einer Schwangerschaft wagen - mit all dem Wissen, das Ihnen dann in der Schwangerschaft zur Verfügung steht? Oder würden Sie ins Ausland gehen, wo die PID seit vielen Jahren mit hoher Verantwortung angewendet wird? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass wir für die Menschen in unserem Land, in dem wir als Abgeordnete in der Verantwortung sind, gemeinsam eine Lösung mit Augenmaß finden. ({7}) Das Totalverbot geht eher von einem unmündigen Menschen aus. Wir gehen von einem mündigen Menschen aus. ({8}) Ich bitte Sie: Trauen wir den Menschen, den Eltern etwas zu. Und vor allem: Geben wir ihrer Gewissensentscheidung Raum. Darum geht es jetzt. Deswegen bitte ich Sie, für den Entwurf von Ulrike Flach, Peter Hintze und Carola Reimann zu stimmen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Abstimmungsverfahren, wie wir es vorhin beschlossen haben. Zur Abstimmung stehen drei Gesetzentwürfe zum künftigen Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik. Es handelt sich um den Gesetzentwurf der Abgeordneten Flach, Hintze, Dr. Reimann, Dr. Sitte, Montag und weiterer Abgeordneter zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik, den Gesetzentwurf der Abgeordneten Göring-Eckardt, Volker Kauder, Kober, Singhammer, Dr. h. c. Thierse und weiterer Abgeordneter zum Verbot der Präimplantationsdiagnostik sowie um den Gesetzentwurf der Abgeordneten Röspel, Hinz, Meinhardt, Dr. Lammert und weiterer Abgeordneter zur begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik. Der Ausschuss für Gesundheit hat in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6400 nur empfohlen, über die Gesetzentwürfe im Plenum einen Beschluss zu fassen, selbst aber keine inhaltliche Empfehlung abgegeben. Für die Entscheidung hier hat der Ausschuss die Gesetzentwürfe der Gruppe Flach und der Gruppe Röspel jeweils in einer Ausschussfassung vorgelegt. Der Gesetzentwurf Göring-Eckardt ist unverändert geblieben. Bei dem Stimmzettelverfahren werden zunächst die drei Entwürfe gemeinsam zur Abstimmung gestellt. Auf diesem Stimmzettel können Sie sich für einen der Entwürfe entscheiden oder Ihr Kreuz bei „Nein gegenüber allen Gesetzentwürfen“ oder bei „Enthaltung gegenüber allen Gesetzentwürfen“ machen. Es darf also nur eine Alternative angekreuzt werden, nur ein Kreuz auf dem Stimmzettel sein. Die erforderliche Mehrheit für einen Entwurf ist erreicht, wenn dieser mehr Jastimmen als die konkurrie13910 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt renden Vorlagen zusammen zuzüglich der Neinstimmen auf sich vereinen kann. Falls kein Entwurf diese Mehrheit erhält, kommt es in einem zweiten Abstimmungsgang zur Abstimmung über die beiden bestplatzierten Gesetzentwürfe. Dieser würde ebenfalls mithilfe eines Stimmzettels durchgeführt. Erhält auch im zweiten Abstimmungsgang keiner der beiden Gesetzentwürfe die erforderliche Mehrheit, müsste anschließend über den Entwurf mit dem besseren Ergebnis mit den üblichen Stimmkarten, also namentlich, entschieden werden. Würde dieser Gesetzentwurf nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten, wäre dieser damit in zweiter Beratung abgelehnt, und eine dritte Beratung würde entsprechend unseren Regelungen entfallen. Wäre dieser erfolgreich, käme es sofort zur dritten Beratung, in der ebenfalls namentlich abgestimmt wird. Wir kommen jetzt zum ersten Abstimmungsgang. Die weißen Stimmzettel wurden bereits verteilt bzw. werden noch weiter verteilt. Zunächst tragen Sie bitte Ihren Namen lesbar und einschließlich eines eventuellen Ortszusatzes und Ihre Fraktion ein. Sie können einen der Gesetzentwürfe ankreuzen, Sie können aber auch - ich wiederhole das - mit Nein stimmen oder sich enthalten. Das betrifft dann jeweils alle Gesetzentwürfe. Ungültig sind alle Stimmzettel, die keine Namensangabe oder mehr als ein Kreuz oder gar kein Kreuz enthalten. Nur die Abgabe eines mit Namen versehenen Stimmzettels gilt als Nachweis der Teilnahme an der Abstimmung. Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? Dann ist hiermit die Abstimmung eröffnet.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung im Stimmzettelverfahren über drei Gesetzentwürfe bekannt: abgegebene Stimmzettel 596, ungültig waren keine, gültig waren 596. Auf den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/5451 - Frau Kollegin Flach und andere - entfielen 306 Stimmen. ({0}) Auf den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/5450 - Frau Kollegin Göring-Eckardt und andere - entfielen 228 Stimmen. Auf den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/5452 - Kollege Röspel und andere - entfielen 58 Stimmen. Mit Nein gegenüber allen Gesetzentwürfen hat einer bzw. eine gestimmt, Enthaltungen gegenüber allen Ge- setzentwürfen 3.1) Ein Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen, wenn er mehr Jastimmen als die beiden anderen Gesetzentwürfe zusammen zuzüglich der Neinstimmen erhalten hat. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/5451 - Frau Kollegin Flach und andere - hat im ersten Abstimmungsgang die erforderliche Mehrheit erhalten und ist damit in zweiter Lesung angenommen. ({1}) Wir kommen somit zur dritten Beratung und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/5451 - Frau Kollegin Flach und andere. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich unterbreche die Sitzung, bis das Ergebnis vorliegt. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik der Abgeordneten Ulrike Flach, Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Petra Sitte, Jerzy Montag und weiterer Abgeordneter in dritter Beratung bekannt: abgegebene Stimmen 594. Mit Ja haben gestimmt 326, ({0}) mit Nein haben gestimmt 260, Enthaltungen 8. Der Ge- setzentwurf ist in dritter Beratung angenommen. 1) Endgültiges Ergebnis siehe Anlage 2. Vizepräsident Eduard Oswald Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 594; davon ja: 326 nein: 260 enthalten: 8 Ja CDU/CSU Peter Altmaier Norbert Barthle Günter Baumann Peter Beyer Clemens Binninger Wolfgang Börnsen ({1}) Norbert Brackmann Helmut Brandt Dr. Helge Braun Cajus Caesar Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Ingo Gädechens Michael Glos Olav Gutting Jürgen Hardt Ursula Heinen-Esser Robert Hochbaum Thomas Jarzombek Eckart von Klaeden Ewa Klamt Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Karl A. Lamers ({5}) Andreas G. Lämmel Ingbert Liebing Karin Maag Andreas Mattfeldt Dietrich Monstadt Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({6}) Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Ruprecht Polenz Katherina Reiche ({7}) Erwin Rüddel Anita Schäfer ({8}) Dr. Wolfgang Schäuble Norbert Schindler Tankred Schipanski Dr. Ole Schröder Detlef Seif Bernd Siebert Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Dieter Stier Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({9}) Kai Wegner Ingo Wellenreuther Dagmar Wöhrl SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({10}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Garrelt Duin Ingo Egloff Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({11}) Michael Groschek Michael Groß Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Hubertus Heil ({12}) Rolf Hempelmann Gustav Herzog Petra Hinz ({13}) Frank Hofmann ({14}) Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({15}) Steffen-Claudio Lemme Kirsten Lühmann Katja Mast Petra Merkel ({16}) Dr. Matthias Miersch Thomas Oppermann Holger Ortel Joachim Poß Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({17}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({18}) Bernd Scheelen Werner Schieder ({19}) Carsten Schneider ({20}) Swen Schulz ({21}) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Wolfgang Tiefensee Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({22}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Joachim Günther ({23}) Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({24}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({25}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Jan Mücke Petra Müller ({26}) Burkhardt Müller-Sönksen ({27}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({28}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Vizepräsident Eduard Oswald Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({29}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({30}) DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Roland Claus Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Petra Pau Jens Petermann Yvonne Ploetz Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Sahra Wagenknecht BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({31}) Ekin Deligöz Kai Gehring Dr. Anton Hofreiter Uwe Kekeritz Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Jerzy Montag Kerstin Müller ({32}) Omid Nouripour Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Manuel Sarrazin Dorothea Steiner Markus Tressel Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Thomas Bareiß Ernst-Reinhard Beck ({33}) Manfred Behrens ({34}) Steffen Bilger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({35}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Dr. Matthias Heider Frank Heinrich Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Christian Hirte Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({36}) Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Siegfried Kauder ({37}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Volkmar Klein Axel Knoerig Hartmut Koschyk Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Michael Luther Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({38}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({39}) Michaela Noll Eduard Oswald Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({40}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({41}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({42}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({43}) Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Christian Freiherr von Stetten Stephan Stracke Thomas Strobl ({44}) Antje Tillmann Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marcus Weinberg ({45}) Peter Weiß ({46}) Sabine Weiss ({47}) Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Willi Brase Bernhard Brinkmann ({48}) Petra Ernstberger Elke Ferner Sigmar Gabriel Wolfgang Gunkel ({49}) Christel Humme Ulrich Kelber Daniela Kolbe ({50}) Hilde Mattheis Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Heinz Paula Vizepräsident Eduard Oswald Gerold Reichenbach Michael Roth ({51}) ({52}) Marianne Schieder ({53}) Ulla Schmidt ({54}) Silvia Schmidt ({55}) Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Ute Vogt Waltraud Wolff ({56}) FDP Michael Link ({57}) Dr. Stefan Ruppert Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Eva Bulling-Schröter Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Heike Hänsel Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jutta Krellmann Kornelia Möller Wolfgang Nešković Paul Schäfer ({58}) Raju Sharma Alexander Ulrich Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck ({59}) Cornelia Behm Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({60}) Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Undine Kurth ({61}) Tobias Lindner Agnes Malczak Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Friedrich Ostendorff Claudia Roth ({62}) Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Josef Philip Winkler Enthalten CDU/CSU Helmut Heiderich Bartholomäus Kalb Dr. Mathias Middelberg SPD DIE LINKE Heidrun Bluhm Dr. Diether Dehm BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Lazar ({63}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in unserer Tagesordnung fortfahren, werde ich allen kurz die Mög- lichkeit geben, sich auf den nächsten Tagesordnungs- punkt vorzubereiten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis e sowie Zu- satzpunkt 4 auf: 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck ({64}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention - Magna Charta des internationalen Flüchtlingsschutzes umsetzen und fortentwickeln - Drucksache 17/6347 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({65}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention - Handlungsbedarf auf nationaler und internationaler Ebene - Drucksache 17/6095 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({66}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({67}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein offenes, rechtsstaatliches und gerechtes europäisches Asylsystem - zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck ({68}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren - Konsequenzen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen - Drucksachen 17/4679, 17/4886, 17/5362 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({69}) Josef Philip Winkler Vizepräsident Eduard Oswald d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({70}) zu dem Antrag der Abgeordneten Viola von CramonTaubadel, Josef Philip Winkler, Marieluise Beck ({71}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einheitlichen EU-Flüchtlingsschutz garantieren - Drucksachen 17/4439, 17/5361 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({72}) Josef Philip Winkler e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({73}) zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({74}), Viola von CramonTaubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unverzügliche Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens - Drucksachen 17/5775, 17/6383 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Daniela Kolbe ({75}) Hartfrid Wolff ({76}) Josef Philip Winkler ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({77}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck ({78}), Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für die Unterstützung der humanitären Hilfe zugunsten der libyschen Zivilbevölkerung und der Flüchtlinge aus Libyen und für eine menschenwürdige Behandlung und Aufnahme von Schutzbedürftigen - Drucksachen 17/5909, 17/6266 Berichterstattung: Abgeordnete Frank Heinrich Angelika Graf ({79}) Annette Groth Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommen werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Josef Winkler. Bitte schön, Kollege Josef Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 28. Juli wird die Genfer Flüchtlingskonvention 60 Jahre alt. Ihr Ziel war und ist es, Menschen zu schützen, die aufgrund von Verfolgung über Staatsgrenzen geflohen sind. Auch 60 Jahre nach Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention müssen Menschen aus Angst vor politischer Unterdrückung, vor Bedrohung durch Bürgerkriege oder vor willkürlicher Gewalt ihre Herkunftsländer verlassen und sind auf den Schutz der Aufnahmeländer angewiesen. Auf derzeit bis zu 50 Millionen Personen schätzt man weltweit die Zahl der Opfer von Flucht und Vertreibung. Die allermeisten von ihnen finden Aufnahme in Nachbarländern, die ihrerseits ebenfalls zu den ärmsten Ländern der Welt zählen. Trotz des Wandels globaler Migrationsbewegungen hat die Genfer Flüchtlingskonvention also auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Sie ist und bleibt die Magna Charta des internationalen Flüchtlingsschutzes. ({0}) Wir finden, ihre Bedeutung für den Schutz politisch Verfolgter ist durch die jüngsten Ereignisse in der arabischen Welt erneut eindrücklich bestätigt worden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, ausdrücklich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen, aber auch den vielen anderen international und national tätigen Flüchtlingsorganisationen für ihren unermüdlichen Einsatz zu danken. ({1}) Leider finden sie in der Politik der Bundesregierung bisher viel zu wenig Gehör. ({2}) Es wäre schön, wenn sich das wandeln könnte. Meine Damen und Herren, aus der Genfer Flüchtlingskonvention folgt auch zwingend, dass Schutzsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden muss. Aber wie ist die reale Situation in Europa? Anstatt mehr legale Möglichkeiten für die sichere Einreise von Flüchtlingen zu eröffnen, errichtet Europa immer neue und höhere Hürden, zunehmend unter Einfluss von angrenzenden Staaten, zum Beispiel im Mittelmeerraum. Da es kaum noch Möglichkeiten gibt, Europa auf legalem und sicherem Weg zu erreichen, gehen Flüchtlinge lebensgefährliche Risiken ein, um Schutz in der EU zu finden. Wenn man sich vor Augen hält, dass allein in den letzten vier Monaten mindestens 1 650 Menschen auf ihrer Flucht vor Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und Armut im Mittelmeer ertrunken sind, muss man festhalten: Diese Situation ist aus humanitärer Sicht unhaltbar. ({3}) Deshalb ist klar: Alle Grenzschutzmaßnahmen - grundsätzlich sind sie natürlich legitim - müssen mit internationalem Recht im Einklang stehen. Deshalb muss die Verantwortung für Frontex-Einsätze endlich unzweideutig festgeschrieben werden. Die Bundesregierung muss sich dazu bekennen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention neben anderen Schutzstandards an den EU-Außengrenzen und auf hoher See Anwendung finden muss. Diesbezügliche Anfragen, die wir gestellt haben, sind von der Bundesregierung bisher nicht unzweideutig beantwortet worden. Das muss sich ändern. ({4}) Es muss klar sein, dass ein faires Asylverfahren tatsächlich möglich ist. Deshalb dürfen Schutzsuchende nicht inhaftiert werden. Haft und Lagerunterbringung sind insbesondere für die Menschen, die bereits in ihren Herkunftsländern inhaftiert waren, verstörend und zerstörend. Stattdessen sollte man den Asylsuchenden während des Verfahrens zur Feststellung ihres Status größtmögliche Freizügigkeit im Aufnahmeland zubilligen. Die einschneidenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die im Rahmen der sogenannten Residenzpflicht in Deutschland zunächst für alle Schutzsuchenden gesetzlich vorgesehen sind, sind weder notwendig noch angemessen und sollten endlich abgeschafft werden. ({5}) Zu einem fairen Asylverfahren gehört zwingend der Zugang zu Unterstützungsleistungen während der gesamten Dauer des Verfahrens; das hört sich selbstverständlich an, ist es aber in Europa nicht überall. Unterkunft, Verpflegung und ausreichende Versorgung inklusive medizinischer Versorgung müssen gewährleistet sein. Es ist unwürdig, dass Asylantragsteller in bestimmten EU-Mitgliedstaaten monatelang auf der Straße leben müssen, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen und zu medizinischer Hilfe, ohne die Möglichkeit - ganz allgemein gesagt -, grundlegende menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Das kann so nicht bleiben; das folgt schon allein aus dem Grundsatz der Menschenwürde, der sich nicht nach dem Aufenthaltsstatus einer Person richtet. Die Bundesregierung muss auf der europäischen Ebene stärker als bisher intervenieren, damit diese Zustände zum Beispiel in Griechenland und Italien nicht mehr auftreten und endlich abgestellt werden. ({6}) Man muss aber nicht nur in andere Länder schauen; denn - das ist richtig - auch vor der eigenen Tür ist genug zu tun. Das gilt auch für das Flüchtlingsrecht. Viele Menschen wissen gar nicht, dass der effektive Rechtschutz, der nach den europäischen Richtlinien vorgeschrieben ist - das Einlegen von Rechtsmitteln hat im Asylverfahren demnach aufschiebende Wirkung -, in Deutschland nicht mehr gewährleistet ist. Das halten wir für nicht vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und den entsprechenden Richtlinien; der Gesetzgeber muss das korrigieren. Wir haben Ihnen heute eine Korrektur in Form eines Antrags vorgelegt, weil Sie offensichtlich nicht selber in der Lage sind, diese einfache Korrektur vorzunehmen. Lesen Sie sich diesen Antrag durch und stimmen Sie ihm zu! ({7}) Dann halten Sie das Europarecht endlich wieder ein. ({8}) Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben verabredet, dass beim Asylrecht möglichst viel in der Hand der Nationalstaaten bleiben soll; bei Asylfragen solle so wenig wie möglich auf europäischer Ebene geregelt werden. Das führt zu einem schlimmen Gefälle in der EU. Ich gebe Ihnen nur ein Beispiel aus dem Bereich der Flüchtlingsanerkennung: Die Wahrscheinlichkeit, dass einem afghanischen Flüchtling Asyl oder Abschiebungsschutz gewährt wird, liegt in den EU-Mitgliedstaaten zwischen 0 und 90 Prozent, je nachdem, in welchem Land der Asylantrag gestellt wurde. Das, meine Damen und Herren, kann einfach nicht gerecht sein; das kann nicht europäisches Flüchtlingsrecht sein. ({9}) Angesichts der warmherzigen Worte der Bundeskanzlerin in Richtung der Demonstranten im Zusammenhang mit dem arabischen Frühling sage ich: Es ist nicht allen gegeben, an den Demos teilnehmen zu können; viele mussten fliehen oder waren schon aus anderen Ländern zum Beispiel nach Libyen geflüchtet. Die Flüchtlinge, die in Libyen gestrandet sind, müssen das Land nun angesichts der dortigen Auseinandersetzungen verlassen. Man könnte auch in diesem Zusammenhang ein konkretes Zeichen setzen, indem man sofort Flüchtlinge aus Libyen aufnimmt. Auch hierzu legen wir Ihnen heute einen Antrag vor. Ein letzter Punkt: Syrien. Wir legen Ihnen einen Antrag zur unverzüglichen Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens vor, über den wir namentlich abstimmen lassen wollen. Es ist unverschämt genug, dass es so ein Abkommen mit einer Diktatur wie Syrien überhaupt gibt. ({10}) Das Bundesinnenministerium hat zwar einen Entscheidungsstopp für das Bundesamt für Migration verhängt - es wird also weder pro noch kontra entschieden; es wird nicht gesagt, ob die Flüchtlinge bleiben können oder nicht -, und in einem Schreiben an die Länder stand, dass Abschiebungen nach Syrien derzeit nicht ratsam seien, das ist aber windelweich. Das ist kein genereller Abschiebestopp, sondern nur eine Empfehlung. Man weiß auch nicht, ob diese Zeiten als legaler Aufenthalt angerechnet werden, wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine Bleiberechtsregelung gefunden wird. Deshalb sagen wir: Es muss ein genereller Abschiebestopp her. Die Länder sollen entsprechend angewiesen werden. Niemand darf von deutschem Boden nach Syrien abgeschoben werden. Dieses unsägliche Rückübernahmeabkommen muss zurückgenommen werden, und zwar sofort. ({11}) Dazu hat meine Fraktion einen Antrag vorgelegt. Er ist gerade zum 60. Jubiläum der Genfer Flüchtlingskonvention das richtige Zeichen, um zu sagen: Wir haben verstanden. Danke schön. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Joseph Winkler. - Als Nächster in unserer Debatte spricht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anlass für diese Anträge - 60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention - ist es wert, gewürdigt zu werden. Herr Kollege Winkler, ich würde gerne mit einer Rede, die einem Jubiläum angemessenen ist, reagieren. Ich bin sicher, dass über all die offenen Punkte, die Sie hier kritisch angemerkt haben, an anderer Stelle noch einmal diskutiert werden kann. Aus Sicht der Bundesregierung ist die Genfer Flüchtlingskonvention heute unzweifelhaft bedeutsamer denn je. Sie ist Teil der humanitären Fortschrittsgeschichte. Sie ist ein Erfolgsmodell. Der Erfolg dieser Flüchtlingskonvention ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Staaten es verstanden haben, auf neue Verfolgungssituationen mithilfe der Konvention adäquat zu reagieren. An dieser Stelle erinnere ich an das Gesetzgebungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz. Für den die Zeiten überdauernden Erfolg war zum Zweiten ausschlaggebend, dass viele Signatarstaaten selbst unter schwierigsten Bedingungen großes Geschick bei der Anwendung der Konvention bewiesen haben. Die große Herausforderung bestand darin, eine hohe Zahl von Asylanträgen zu bewältigen und gleichzeitig dem einzelnen Verfolgungsschicksal gerecht zu werden. Deutschland und andere Staaten haben sich dieser Herausforderung gestellt. Hier ließe sich auf viele Debatten, die in der Vergangenheit geführt wurden, verweisen. Wir sind der Meinung, dass Deutschland diese Aufgabe erfolgreich gemeistert hat und dass es jetzt darauf ankommt, den immensen Erfahrungsschatz, der in diesem Zusammenhang gesammelt wurde, auch auf europäischer Ebene im Rahmen der weiteren Harmonisierung des Asylrechts zu nutzen. 60 Jahre Genfer Konvention, das ist auch für Deutschland eine Erfolgsgeschichte. Wir sollten anlässlich dieses Datums mit Stolz auf die Leistungen verweisen, über die zwar durchaus kontrovers diskutiert wurde, die aber einen humanitären Fortschritt darstellen. In den Anfangsjahren suchten vor allen Dingen Menschen aus den ehemaligen Ostblockstaaten Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland. Später - ab Anfang der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts - kamen verstärkt außereuropäische Asylbewerber hinzu. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erlebten wir einen Massenzustrom vor allem aus Osteuropa. Mit 438 000 Asylbewerbern erreichte er 1993 den Höchststand. Ich mache darauf aufmerksam, dass gleichzeitig auf vertriebenenrechtlicher Basis auch ein großer Zuzug von Deutschen aus den Staaten Mittelost- und Osteuropas nach Deutschland stattfand. Dies alles hat unser Asylsystem damals an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Die Zugangszahlen sind seither zwar erheblich zurückgegangen; aber gerade im vergangenen Jahr stiegen die Asylbewerberzahlen wieder deutlich an. Nach einem zwischenzeitlichen Tiefststand von 19 000 Asylbewerbern im Jahre 2007 hatten wir im vergangenen Jahr 41 000 Asylbewerber zu verzeichnen. Dieser Trend setzt sich weiter fort. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres kamen 21 000 Asylbewerber, was gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 32 Prozent bedeutet. ({0}) - Herr Kollege Wiefelspütz, ich bitte um Verständnis: Ich habe gesagt, dass diese Rede durchaus den Charakter einer Jubiläumsrede haben soll. Ich möchte die Debatte gern an anderer Stelle führen. ({1}) In all den Jahren haben wir tatsächlich Verfolgten großzügig Schutz gewährt. Seit dem Inkrafttreten der Konvention haben mehr als 385 000 Personen in Deutschland den Flüchtlingsstatus erhalten. Viele sind inzwischen eingebürgert. Gegenwärtig leben noch 115 000 Personen mit Flüchtlingsstatus in Deutschland. Hinzu kommen rund 26 000 Personen mit einem humanitären - subsidiären - Schutzstatus. Unsere gegenwärtige Schutzquote ist hoch. Durchschnittlich erhalten rund 21 Prozent der Schutzsuchenden den Flüchtlingsstatus oder humanitären Schutz. Schutz wurde und wird jedoch nicht nur über das Asylverfahren gewährt, sondern auch durch besondere Aufnahmeaktionen oder im Wege des sogenannten vorüberParl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner gehenden Schutzes. In den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde mehreren Tausend Bootsflüchtlingen aus Indochina ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt. Mitte der 90er-Jahre kamen über 400 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien zu uns. Wir haben sie unbürokratisch aufgenommen und ihnen Schutz gewährt. Um die Jahrtausendwende nahmen wir im Rahmen einer Ad-hoc-Aktion innerhalb weniger Tage abermals 12 000 Vertriebene aus dem Kosovo auf. In jüngerer Zeit erhielten 2 500 irakische Christen ein dauerhaftes Bleiberecht. Gegenwärtig bereiten wir, wie Sie wissen, die Aufnahme von 150 Flüchtlingen aus Malta vor. Das sind bei weitem nicht alle Aufnahmemaßnahmen, die Deutschland durchgeführt hat. Sie zeigen jedoch exemplarisch unsere anhaltende Bereitschaft, Verfolgten beizustehen und ihnen Schutz zu gewähren. Nach Angaben des UNHCR - ich glaube, an dieser Wertung kommt niemand vorbei - gehört Deutschland damit zu den weltweit führenden Aufnahmestaaten von Flüchtlingen. 60 Jahre Genfer Konvention sind aber auch aus einem weiteren Grund für Deutschland zu einer besonderen Geschichte des Erfolgs geworden. Es ist uns gelungen, das Asylverfahren für Migranten mit asylfernen Motiven ({2}) unattraktiv zu machen. Das geschah vor allem durch Maßnahmen, die im Rahmen der Asylrechtsreformen Anfang der 90er-Jahre getroffen wurden. ({3}) - Herr Kollege Wiefelspütz, es geht mir um eine Gesamtschau. - Die große Zahl derjenigen, die in früheren Jahren versuchten, über den Asylweg nach Deutschland zu gelangen, ohne verfolgt zu sein, ist dadurch drastisch zurückgegangen. Das geschah aber nicht zulasten der Verfolgten. Tatsächlich kommt ein großer Teil der Asylbewerber nunmehr aus Ländern, in denen Verfolgung verbreitet und der Schutz der Menschenrechte insgesamt unzureichend ist. Dazu zählen Afghanistan, Iran und Irak. Ich könnte die Anerkennungsquoten für diese Länder, die im Moment festzustellen sind, im Einzelnen aufführen. ({4}) Dies ist aus meiner Sicht eine Mahnung an diejenigen, die leichtfertig mit dem Vorwurf agieren, restriktive Regelungen würden Verfolgten bereits den Verfahrenszugang versperren, Stichwort „Festung Europa“. Dies trifft offenkundig so nicht zu. ({5}) Die zukünftige Asylpolitik wird nicht mehr allein auf nationaler Ebene, sondern im Verbund mit den europäischen Partnern gestaltet. Auf EU-Ebene laufen derzeit die Verhandlungen über ein gemeinsames europäisches Asylsystem. Deutschland unterstützt dieses Anliegen nachdrücklich. Die aktuellen Verhandlungen über die Vorschläge der Kommission sind allerdings schwierig. Die Vorschläge der Kommission sind aus Sicht Deutschlands und vieler anderer Mitgliedstaaten nicht ausgewogen, da die Interessen der Mitgliedstaaten, insbesondere bei der Bekämpfung des Asylmissbrauchs, nicht hinreichend berücksichtigt sind. Ziel muss es sein, einen fairen Ausgleich zwischen den berechtigten Anliegen der Schutzsuchenden einerseits und der Mitgliedstaaten andererseits zu schaffen. Wichtig ist für uns vor allem, dass bewährte Verfahren in den Mitgliedstaaten nicht infrage gestellt werden. Diese Positionen werden auch von der Mehrheit der Mitgliedstaaten vertreten. Die Kommission hat dies in ihren ersten Vorschlägen zu wenig berücksichtigt. Sie wurden zurückgezogen und überarbeitet. Die neuen, Anfang Juni 2011 von der Kommission vorgelegten Vorschläge enthalten bereits Verbesserungen. Aus unserer Sicht bedarf es aber noch erheblicher weiterer Änderungen, um zu einem erfolgreichen Abschluss zu kommen. ({6}) Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Es ist nicht akzeptabel, wenn die neuen Vorschläge Regelungen enthalten, die erfahrungsgemäß Anreiz für einen verstärkten Zuzug von Wirtschaftsmigranten sein können. Man mag einwenden, dass das Asylrecht heutzutage Lockerungen verträgt, zumal die Asylbewerberzahlen ja immer noch wesentlich niedriger sind als in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber Asylpolitik darf nicht allein tagesaktuellen Erfordernissen genügen, sie muss auch Eventualitäten gerecht werden. Die Asylsysteme müssen so effizient und flexibel ausgestaltet sein, dass auch hohe Zugangszahlen angemessen bewältigt werden können. ({7}) Das gilt umso mehr, als ein gemeinsames europäisches Asylsystem langfristig Gültigkeit haben wird. Wenn es einmal beschlossen ist, wird es kaum mehr möglich sein, kurzfristige Änderungen vorzunehmen. Wir sehen gegenwärtig auch die Gefahr, dass nicht alle Staaten mit dem gegenwärtigen Harmonisierungstempo Schritt halten können. Ich verweise auf Griechenland und das Vereinigte Königreich. Ich denke, dass es aus diesem Grunde an der Zeit ist, auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass diese Nachzügler aufschließen können. Andernfalls laufen wir Gefahr, uns auf dem Gebiet des Asylrechts zu einem Europa der zwei oder mehr Geschwindigkeiten zu entwickeln. Ich hoffe, dass zumindest darüber Einvernehmen besteht, dass dies unbedingt zu verhindern ist. Ein Kernthema für Deutschland ist die EU-interne Solidarität bei der Flüchtlingspolitik. ({8}) Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass der Asylbewerberzugang in die gesamte EU seit einigen Jahren nur geringen Schwankungen unterliegt, während es gleichzeitig bei der Belastung einzelner Mitgliedstaaten zu teilweise gravierenden Verschiebungen kommt. ({9}) Aus eigener Erfahrung zu Beginn der 90er-Jahre haben wir Verständnis für Mitgliedstaaten, die einen unverhältnismäßig hohen Zustrom von Asylbewerbern haben. Wir wissen aber auch, was Mitgliedstaaten bei hohen Asylbewerberzahlen leisten können. Grundlage für die Verteilung von Asylbewerbern ist das Dublin-System. Die Zuständigkeitskriterien der DublinVerordnung nehmen einen angemessenen Ausgleich zwischen den legitimen Interessen der Beteiligten vor. Grundsätzlich gilt das Veranlasserprinzip. Das heißt, zuständig für das Asylverfahren ist der Mitgliedstaat, der für die Einreise des Asylbewerbers verantwortlich ist.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Staatssekretär, würden Sie bitte zum Ende kommen? ({0})

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Meine Damen und Herren, ich hätte jetzt gern noch ausgeführt, ({0}) wie wir die Prognose einschätzen und welche Maßnahmen wir im Sinne der Lastenteilung innerhalb der EU anpacken wollen. Herrn Kollegen Wiefelspütz, Herrn Winkler und allen anderen sage ich: Ich weiß - angesichts der Kritik, die Sie in Ihrer Rede geäußert haben, ({1}) bzw. angesichts der Kritik, die in Ihren Anträgen zum Ausdruck gekommen ist -, dass Sie sich möglicherweise eine Art Schlagabtausch über Einzelregelungen gewünscht hätten. ({2}) Es werden noch Abgeordnete sprechen, die in dieser Richtung argumentieren werden; ich will bloß darauf aufmerksam machen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Da haben Sie recht. Man sollte ihnen auch ihre Redezeit lassen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. ({0})

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Herr Präsident, wenn ich noch einen Satz sagen darf: ({0}) Mir ist es wichtig, einmal eine Gesamtdarstellung geben zu können, ({1}) um den von Ihnen oft zu Unrecht vermittelten Eindruck, Deutschland würde sich sperren, humanitären Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen nachzukommen, endgültig zu widerlegen. ({2}) Die Geschichte von 60 Jahren Genfer Flüchtlingskonvention zeigt, dass Deutschland einen erheblichen Beitrag geleistet hat. Danke schön. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Debatte ist unsere Kollegin Daniela Kolbe für die Fraktion der Sozialdemokraten. ({0})

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Der Anlass ist feierlich. Am 28. Juli 1951 trat eine UN-Sonderkonferenz zusammen und beschloss die Genfer Flüchtlingskonvention. Endlich wurden Kriterien festgelegt, wann ein Mensch ein Flüchtling ist und welche Schutzmöglichkeiten er hat. Wie viele Menschen betrifft diese Konvention im Moment? Weltweit gibt es etwa 43,7 Millionen Flüchtlinge. Als Vergleich: In Deutschland leben circa 81 Millionen Menschen. Wenn man sich also die Hälfte der Einwohner Deutschlands vor Augen führt, dann hat man eine Vorstellung davon, wie viel Flüchtlingsleid es auf dieser Welt gibt. 15,4 Millionen Menschen mussten ihre Länder verlassen. In all diesen Zahlen ist Nordafrika nicht berücksichtigt. Wir wissen, dass dort gerade Millionen von Menschen auf der Flucht sind. Viele dieser Flüchtlinge stecken fest. Sie stecken zum Beispiel in Flüchtlingslagern fest. Sie kommen weder vor - sie haben also keine Möglichkeit, sich irgendwo fest anzusiedeln -, noch kommen sie zurück in ihre Heimatländer. Daniela Kolbe ({0}) Ich finde, dies ist ein guter Moment, dass wir in Europa und Deutschland reflektieren über unsere Rolle und unsere Verantwortung in dieser ganzen Angelegenheit. Hier gibt es viele Punkte; einige sind angesprochen worden. Wir diskutieren derzeit auch im Hinblick auf das Asylbewerberleistungsgesetz unter anderem über Abschiebungen und die Residenzpflicht. Ich will mich in meiner Rede auf einen Punkt konzentrieren, nämlich auf die Außengrenzen der Europäischen Union und die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, dass Menschen nach Europa kommen, um hier Schutz zu suchen und zu finden. Die übergroße Mehrheit der Flüchtlinge findet sich in sehr armen Ländern. Gleichzeitig erleben wir in Europa eine massive Angst vor großen Flüchtlingsströmen. ({1}) António Guterres - das ist der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen - sagt dazu sehr treffend: Ängste vor angeblichen Massenbewegungen von Flüchtlingen in die Industrieländer sind massiv übertrieben oder fälschlicherweise mit Fragen der Migration verknüpft. Währenddessen tragen die übrigen ärmeren Länder die Belastungen. ({2}) Es stimmt: In Europa beobachten wir den Reflex, uns weiter abzuschotten - mit allen Konsequenzen. Wir erleben, dass Leute in immer kleineren Booten lange Strecken fahren, dass sie sich in die Hände von Schleppern begeben, dass viele von ihnen sterben. Eine Konsequenz ist auch, dass Menschen, die schutzbedürftig sind, überhaupt keine Möglichkeit mehr haben, nach Europa zu kommen. Wir sind hier in der Verantwortung. Wir müssen endlich neu abwägen: zwischen dem legitimen Interesse, unsere Grenzen zu sichern, und dem Recht auf Leben, dem Recht auf Asyl und der Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Eine Möglichkeit bestünde darin, legale Wege für Schutzsuchende zu schaffen, zum Beispiel mit Resettlement-Programmen. Eine kurze Erklärung: Dabei geht es darum, dass Menschen, die längere Zeit in Flüchtlingslagern festsitzen - um einmal eine Zahl zu nennen: alleine in Syrien halten sich derzeit 1,1 Millionen Flüchtlinge auf, davon sehr viele dauerhaft -, dauerhaft von Drittländern aufgenommen werden und sich dort niederlassen dürfen. Der UNHCR sagt, dass von den 11 Millionen Menschen, die er betreut, 7,2 Millionen länger als fünf Jahre ihre Länder verlassen haben, ohne sich niederlassen zu können. Der UNHCR weist auch darauf hin, dass wir jedes Jahr 800 000 Resettlement-Plätze bräuchten. Leider gibt es nur weniger als 80 000, viele davon in den USA. Was sagt die Bundesregierung? Im Zusammenhang mit der seitens der Vereinten Nationen an Europa gestellten Bitte, mehr Resettlement-Plätze zur Verfügung zu stellen, erklären der Staatssekretär und die Bundesregierung: Wir machen doch schon etwas. Wir nehmen nicht nur 100 Flüchtlinge aus Malta auf; wir nehmen 150 Flüchtlinge aus Malta auf. - Ich freue mich für diese 150 Menschen, bin aber beschämt von dieser Bundesregierung und davon, dass das der Beitrag sein soll. ({3}) Als weiteren Aspekt möchte ich hier die Verantwortung für Flüchtlinge auch in der Kooperation mit Drittstaaten ansprechen. Von dieser Stelle aus wurde schon vielfach der Deal kritisiert, den Berlusconi mit Gaddafi geschlossen hat: Milliarden an Hilfe an das Gaddafi-Regime zu zahlen - implizit mit der Forderung, man möge ihn mit Flüchtlingen verschonen. Und die Flüchtlinge kamen nicht mehr. Sie sind auf dem libyschen Arbeitsmarkt oder in Lagern oder in der Wüste gelandet. Die Verurteilung dieses Vorgehens ist einhellig, denke ich; wenn nicht, bitte ich um Signale der Regierung. Umso mehr bin ich persönlich beunruhigt, weil wir seit wenigen Tagen wissen, dass offensichtlich ein Deal der deutschen Bundesregierung mit Algerien, also einem autoritären Regime, über Rüstungsgüter, Sicherheitstechnik und Grenzschutztechnik in Höhe von 10 Milliarden Euro zustande gekommen ist. ({4}) Das ist eine Eins mit zehn Nullen dahinter. Bundeskanzlerin Merkel hat sich zu diesem Thema auch geäußert. Sie wurde vorgestern in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitiert. Das Zitat stammt von Ende letzten Jahres und lautet: Solche Grenzsicherungsprojekte tragen natürlich auch dazu bei, die Flüchtlingsströme zu unterbinden. Das heißt: 10 Milliarden Euro für die deutsche Rüstungsindustrie und weniger Flüchtlinge - das ist ja ein ganz toller Deal für dieses Land. Ehrlich gesagt: Ich schäme mich wirklich für diese Bundesregierung. Was hier gerade passiert, finde ich moralisch abgrundtief. ({5}) Die Opposition in Algerien sowie die Flüchtlinge dort und an der Südgrenze von Algerien scheinen dieser Bundesregierung reichlich egal zu sein. Das ist für mich ein weiterer Grund dafür, dass wir endlich eine parlamentarische Kontrolle von Rüstungsexporten brauchen. ({6}) Ebenso brauchen wir ein moralisches Umschwenken dieser Regierung. Eigentlich möchte man fast sagen: Wir brauchen eine andere Regierung. Vielen Dank. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster spricht für die Fraktion der FDP unser Kollege Hartfrid Wolff. Bitte schön, Kollege Hartfrid Wolff. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP freut sich, dass die Genfer Flüchtlingskonvention, zu Zeiten einer christlich-liberalen Koalition in Deutschland geschlossen, bei Linken und Grünen diese Unterstützung findet. Es ist immer gut, wenn die Arbeit einer christlich-liberalen Koalition auch von der Opposition gelobt wird - besonders, wenn das Lob zu Recht erfolgt. ({0}) Wir fühlen uns einer humanitären Flüchtlingshilfe verpflichtet. Im Hinblick auf das, was die Vorrednerin gesagt hat, möchte ich aber auch klarstellen: Betroffenheitspolitik hilft den Menschen nicht. ({1}) Nicht neu ist, dass wir heute Gelegenheit haben, wieder über eine Vielzahl von Anträgen zu immer den gleichen Themen der Flüchtlingspolitik aus den Reihen der Oppositionsparteien zu sprechen. Auf dem Weg zu einem europäischen Asylsystem gibt es auch aus Sicht der Liberalen durchaus Verbesserungsbedarf. So ist jedoch beispielsweise die Abschaffung der EU-Rückführungsrichtlinie ebenso wenig ein ernst zu nehmender Vorschlag wie die Auflösung von Frontex. Die Abschiebehaft ist - bei aller Notwendigkeit, sich die Bedingungen hierzu immer wieder genau anzusehen legitime Ultima Ratio, um einen Abschiebevollzug zu gewährleisten, und damit ein leider notwendiges Instrument im Rahmen des Vollzugs demokratisch zustande gekommenen Aufenthaltsrechts. ({2}) Die Abschaffung der EU-Rückführungsrichtlinie ist kontraproduktiv, da dort zum ersten Mal Mindeststandards für alle Mitgliedstaaten festgeschrieben worden sind. Die Linken schaffen mit ihrer Abschaffungsforderung nicht mehr, sondern gerade weniger Rechte für die Betroffenen. Dieser linke Populismus schadet den Schwächsten - gerade auch in der Migrationspolitik. ({3}) Das gilt auch für die Forderung, die Grenzschutzagentur Frontex aufzulösen, die die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen auf der Suche nach dem verlorenen Kommunismus erheben. ({4}) Es ist vielmehr sehr richtig, dass angesichts des gemeinsamen EU-Binnenraums die Grenzeinsätze über Frontex koordiniert werden. ({5}) Ein rechtsstaatlicher Ausbau von Frontex erscheint mir nicht fernliegend. Bestimmte Vorfälle, etwa auf dem Mittelmeer, müssen natürlich rückhaltlos untersucht und rechtsstaatliche und völkerrechtliche Unsicherheiten müssen geklärt werden. In den letzten Jahren hat es aber schon wichtige Verbesserungen bei Frontex gegeben - gerade im Einsatz. Eine, wie von der Opposition gefordert, zusätzliche Behörde, eine „europäische Koordinierungsstelle zur menschenwürdigen und rechtsstaatlichen Aufnahme von Flüchtlingen“, hat Europa und der Welt gerade noch gefehlt. Es gibt für manche offenbar noch nicht genug Bürokratie in Brüssel. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen gehen, wie ich finde, sehr verantwortungsvoll mit dem Thema Rückführungen um. Rückführungen werden ausgesetzt, wenn sie nicht vertretbar sind. Das gilt für Syrien ebenso wie für Griechenland. Das Bundesministerium des Innern hat etwa alle Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung nach Griechenland ausgesetzt, Kollege Winkler. ({6}) Hier gibt es die volle Unterstützung auch der FDP-Bundestagsfraktion. Damit wird die schwierige Situation berücksichtigt, die in Griechenland gerade für Asylbewerber besteht. Zudem hat die Bundesregierung konkrete Hilfe etwa für die griechischen Behörden angeboten. Dies ist zum Beispiel hinsichtlich einer menschenwürdigeren und schnelleren Gestaltung der Asylverfahren und der Rahmenbedingungen hierzu ({7}) ebenso wie zur Erhöhung der Grenzsicherheit tatsächlich vor Ort vonnöten. ({8}) Hartfrid Wolff ({9}) Nicht zuletzt aufgrund der Verhältnisse in Griechenland, des Urteils des EGMR und der Verfassungsgerichtsbeschlüsse zu Dublin II muss man über das System nachdenken und das auch bei den anstehenden Verhandlungen zum Ausdruck bringen. Eine Nachjustierung ist aus meiner Sicht nötig. In diesem Zusammenhang plakativ von menschen- und europarechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts zu sprechen, wie die Antragsteller, halte ich für völlig überzogen. ({10}) Meine Damen und Herren, die Menschenrechtslage in Syrien hat sich in den vergangenen Monaten dramatisch verschärft. Die syrische Regierung kämpft gegen ihr eigenes Volk. Die Lage ist äußerst besorgniserregend, wenn nicht noch schlimmer. Deshalb hat das Bundesinnenministerium den zuständigen Ländern dringend empfohlen, nicht nach Syrien abzuschieben. Die FDP unterstützt diese konsequente Haltung. ({11}) Mehr kann durch eine Aussetzung des Abkommens, wie von den Grünen gefordert, aber auch nicht bewirkt werden. Lieber Kollege Veit, das ist übrigens ein Abkommen, das damals noch von Vizekanzler Steinmeier ausgehandelt wurde und durch das allein technisch das Wie einer Rückführung und nicht das Ob-überhaupt geregelt wird. Die Rückführung selbst - das ist das Entscheidende - bleibt eine individuelle Entscheidung. ({12}) Wir sind uns der Verantwortung Deutschlands auf diesem Gebiet bewusst. Menschenrechte verpflichten! Die FDP wird in der Koalition mit der CDU/CSU die Asyl- und Flüchtlingspolitik weiterhin verantwortungsbewusst und sensibel gestalten ({13}) und die EU-Planungen konstruktiv begleiten. Vielen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin in unserer Debatte ist unsere Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Frau Kollegin Jelpke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Art, wie die Debatte heute von der Koalition geführt wird, zeigt sich schon, wie berechtigt es ist, dass wir heute nicht nur allgemein über diese wichtige Errungenschaft der Flüchtlingspolitik, die Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch ganz konkret über ganz aktuelle Flüchtlingsdramen reden. Diese spielen sich, wie wir eben schon gehört haben, vor allen Dingen in Nordafrika ab, wo Tausende schutzbedürftige Menschen weiterhin feststecken. Vor allem das Lager im tunesischen Choucha, wo 4 000 Menschen unter extremen Lebensbedingungen dahinvegetieren, muss erwähnt werden. Es gab dort sogar bewaffnete Angriffe und Brandstiftungen von tunesischen Milizen und dem Militär. Einige Flüchtlinge haben versucht, das Lager zu verlassen und über das Mittelmeer zu fliehen, wurden dabei gestoppt und zurückverfrachtet. Nicht alle haben diesen Ausbruch überlebt. Die Linke fordert ganz klar, dass Flüchtlingen aus Choucha und anderen Krisengebieten dringend geholfen werden muss. Es bedarf einer Regelung, damit die Flüchtlinge nach Europa geholt werden und gemäß einem aufzustellenden Schlüssel auf die EU-Staaten verteilt werden. ({0}) Die Genfer Flüchtlingskonvention regelt eben nicht nur, wer als Flüchtling zu gelten hat und welche Rechte ein Flüchtling genießt. Sie sollte vor allem sicherstellen, dass Flüchtlinge nicht in die Staaten zurückkehren müssen, in denen sie verfolgt werden. Das bedeutet auch, dass niemand in einen Staat verbracht werden darf, in dem ihm wiederum die Abschiebung in das Verfolgerland droht. Dieses Gebot der Nichtzurückweisung ist das Herzstück der Flüchtlingskonvention. Genau dieser zentrale Bestandteil, Staatssekretär Bergner, wird durch die Bundesrepublik und auch durch viele EU-Staaten auf breiter Front unterlaufen. ({1}) Das sehen wir am Beispiel Nordafrika. Wir haben neulich sogar an der griechisch-türkischen Grenze erlebt, dass griechische Grenzschützer Flüchtlinge mit Waffengewalt in die Türkei zurückgezwungen haben. Die Verletzung von Flüchtlingsrechten durch Abschiebung in vermeintlich sichere Drittstaaten ist in der EU leider zu einem System geworden, wie man sagen muss. Nach der Dublin-Verordnung müssen Asylsuchende dort ihr Verfahren betreiben, wo sie in die EU eingereist sind. Flüchtlingsorganisationen sprechen davon, dass die Flüchtlinge eigentlich vom Himmel fallen müssten. Ob sich tatsächlich alle Staaten an die Anforderungen der Flüchtlingskonvention halten, spielt für das Innenministerium überhaupt keine Rolle. Asylsuchende können sich in Deutschland gerichtlich nicht effektiv wehren, wenn sie in ein anderes EU-Land zurückgeschickt werden sollen. 400 Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr von Deutschland nach Italien zurückverbracht worden, obwohl die Bundesregierung weiß, dass dort die Flüchtlingsrechte mit Füßen getreten werden. Ähnlich ist auch mit Griechenland verfahren worden, auch wenn die entsprechende Regelung für ein Jahr ausgesetzt ist. Das heißt, wir müssen wirkliche Schutzmaßnahmen ergreifen, um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Das Fehlen eines Rechtsschutzes gegen solche Abschiebemaßnahmen ist eindeutig ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das hat erst kürzlich der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in einem Urteil ganz klar festgestellt. Er hat darin die Bundesregierung sehr deutlich kritisiert und sie aufgefordert, die Rechte der Flüchtlinge endlich zu achten und umzusetzen. ({2}) Ich kann mich meinem Kollegen Winkler nur anschließen: Man muss den Flüchtlingsinitiativen danken, die immer wachsam sind, den Finger auf die Wunde legen und deutlich machen, wie skandalös die Flüchtlingspolitik ist. Änderungen im Asylverfahren werden auch vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen regelmäßig angemahnt. Er kritisiert beispielsweise die Behandlung von Asylanträgen an Flughäfen, wo es nur Schnellverfahren gibt, in denen nicht gründlich geprüft wird, wodurch natürlich schnelle Ablehnungen produziert werden. Auch die Praxis, anerkannte Flüchtlinge hier in Deutschland mit sogenannten Widerrufsverfahren zu überziehen, um ihnen ihren Status wieder abzuerkennen, wird vom UNHCR kritisiert. In den letzten elf Jahren wurde 70 000 Menschen ihr Status aberkannt. Im letzten Jahr waren es 15 000 Menschen, die mit einem solchen Verfahren überzogen wurden. Sie bewirken damit extreme Verhältnisse, vor allem eine völlig unnötige Verunsicherung der Betroffenen. Ich meine, dass dieser bürokratische Wahn, den es übrigens nur in Deutschland und in sonst keinem anderen EUStaat gibt, endlich beendet werden muss. Es kann einfach nicht sein, wie hier Flüchtlinge behandelt werden. ({3}) Diejenigen, die es geschafft haben, nach Deutschland zu kommen, sind immerhin in die Festung Europa vorgedrungen. Viele Flüchtlinge schaffen es aber überhaupt nicht hierher; denn die EU schottet sich immer weiter ab. Sie liefert den EU-Anrainerstaaten, wie wir schon gehört haben, Waffen und Technologie, damit sie die Flüchtlinge an ihren Grenzen festhalten. Übrigens war auch Gaddafi ein Nutznießer dieser Vorverlagerung der Flüchtlingsabwehr, ebenso wie andere Diktatoren in dieser Region. Zusätzlich kreuzen die Schiffe europäischer Grenzschützer vor den Küsten Nordafrikas, um schon die Abfahrt nach Europa zu verhindern. Wir haben schon gehört, dass bei der Abkürzung von Wegen immer mehr Menschen ertrinken. Das ist ein menschenrechtlicher Skandal. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex ist zu einem Symbol für diese Abschottungspolitik geworden. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat schon 2009 festgestellt, Frontex produziere „ein bedrohliches Schutzvakuum … auf hoher See und an den europäischen Außengrenzen“. Menschen- und Flüchtlingsrechte gelten bei Frontex-Einsätzen nichts. Erst auf massiven Druck von Menschenrechtsgruppen wurden die Leitlinien für Frontex-Einsätze geändert. Es wurde zwar gesagt, dass man das Gebot der Nichtzurückweisung beachten wolle; aber die konkrete Umsetzung bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, und hier gibt es große Fehlentwicklungen. Der Frontex-Einsatz an der griechisch-türkischen Landgrenze von Oktober 2010 bis März 2011, den ich schon angesprochen habe, war durch massive Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet. Darüber haben sogar die Bundespolizisten berichtet. Trotzdem wurde dieser Einsatz von der Bundesregierung nicht abgebrochen. In den Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union vom Juni lässt sich ablesen, wo die Prioritäten für Frontex liegen. Demnach soll die Effizienz bei Grenzsicherungen gesteigert werden. Von einem effizienten Flüchtlingsschutz ist nicht die Rede. Das wäre aber unserer Meinung nach unbedingt notwendig. ({4}) Eines ist doch klar: Diese Abschottungspolitik führt direkt zum Tod von vielen Menschen. Allein in diesem Jahr - das haben wir heute schon gehört - waren es über 1 600 bei dem Versuch, nach Europa zu kommen; die Dunkelziffer kennen wir nicht. Darunter waren etliche Flüchtlinge aus den afrikanischen Staaten, insbesondere aus krisen- und kriegsgeschüttelten Ländern wie Somalia, Sudan und Eritrea, die in Libyen festgehalten oder sogar ins Gefängnis gebracht wurden, wie eine Delegation des Innenausschusses selbst sehen konnte. Es ist wirklich ein Skandal, dass solchen Regimen Geld gegeben wird, damit Flüchtlinge nicht nach Europa kommen. ({5}) Zum Schluss möchte ich noch etwas zu den Anträgen der Grünen sagen. Die Linke ist der Meinung, dass diese Abschiebungs- bzw. Rückführungsabkommen gekündigt werden müssen. Sie dürfen erst gar nicht mit Ländern zustande kommen, die systematisch Menschenrechtsverletzungen betreiben. Deswegen werden wir uns bei diesem Antrag enthalten. Außerdem ist es hauptsächlich ein Prüfantrag. Was Syrien angeht, sind wir der Meinung, dass dieser Antrag nicht weit genug geht, wenn man nur prüft. Von der Aussetzung für ein Jahr haben wir gehört. Wir sind der Meinung, dass nicht zu prüfen ist, sondern dass Entscheidungen für ein Bleiberecht von Menschen, die schon viele Jahre hier leben, getroffen werden müssen, und dass diejenigen, die jetzt kommen, ein Asylverfahren durchlaufen können. Man darf die Situation nicht einfach aussitzen und die Menschen in Flüchtlingssammelunterkünften belassen, obwohl sie eigentlich ein Asylrecht in Deutschland hätten. Schönen Dank. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Michael Frieser. ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention - der Herr Staatssekretär hat versucht, das in Erinnerung zu rufen -, das hat eine Bedeutung für dieses Land in seiner Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Es hat auch für das Europa dieser Stunde eine Bedeutung. Diese 60 Jahre der Geschichte wurden hier als Plattform genutzt, was gutes demokratisches Recht ist und demokratischer Ordnung entspricht; aber leider Gottes müssen wir heute sehen, dass der 60. Jahrestag der Genfer Flüchtlingskonvention als Aufhänger missbraucht wird, um eine Reihe von Anträgen, die wir schon sehr oft in diesem Hause diskutiert haben, erneut auf die Tagesordnung zu bringen. ({0}) Unverdrossen wird auch immer wieder gerne der Versuch unternommen, ein Bild von der Bundesrepublik als einen Staat zu zeichnen, der unzuverlässig ist, gegen jegliche Form von Menschenrechten handelt und sich unmenschlich gegen jede Art von Flüchtlingen stellt. Liebe Kollegen, bitte hören Sie auf, den Eindruck zu erwecken, als könnte man in irgendeiner Weise allen Flüchtlingen und Verfolgten dieser Welt Genüge tun. Das wird nicht funktionieren. Wir müssen nach wie vor den Einzelfall im Blick behalten. ({1}) Wer zu uns kommt und nach den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Land tatsächlich von Folter oder Tod bedroht ist, hat nicht nur ein verbrieftes, sondern ein reales und auch praktisch umgesetztes Recht, hierzubleiben. Genau darum soll es gehen. Wenn Sie diese Regeln nicht aufrechterhalten wollen, dann wollen Sie einen anderen Staat. Dann bitte ich aber, das auch zu sagen; denn damit setzen Sie in gewisser Weise unsere Rechtsordnung aufs Spiel. Es geht darum, dass wir denjenigen, die hierherkommen, eine Perspektive bieten müssen, wenn sie in ihrem Land tatsächlich verfolgt sind. Bei anderen, die weniger schutzbedürftig sind, können wir versuchen, helfend einzuwirken, was diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen tun. Wir können aber nicht jedes Leid dieser Welt heilen. Wenn Sie diejenigen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention als schutzbedürftig und verfolgt gelten und Flüchtlinge sind, mit jedem anderen gleichsetzen, der hierherkommen kann, aus welchen Gründen auch immer, dann verhalten Sie sich meines Erachtens wirklich inhuman. ({2}) Diese Unterscheidung führt dazu, dass Sie jegliche Bemühungen in diesem Land, die auch zur Integration beitragen, ad absurdum führen, weil dann letzten Endes denen, die es wirklich nötig haben, nicht mehr geholfen werden kann. ({3}) Deshalb glaube ich, dass man den Einzelfall im Blick behalten muss. Von Griechenland war schon die Rede. Vielen herzlichen Dank, aber dieser Antrag ist, wie so oft, obsolet. Was Dublin II angeht, macht die Bundesregierung von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch und führt Asylverfahren hier durch. Zum Thema Syrien haben wir in den 80er-Jahren schon einmal Bilder der Gewalt gegen das eigene Volk gesehen. Wir erleben die Wiederholung der Geschichte, dass erneut ein sozialistisches Baath-Regime nicht davor zurückschreckt, die eigene Bevölkerung nicht nur zu drangsalieren, sondern auch über den Haufen zu schießen. Heute erfährt die Welt davon. Früher konnte noch verschleiert werden, dass mit Panzern ganze Viertel plattgemacht wurden. Heute aber kann per Twitter, mit Fotos oder Filmen die Welt davon erfahren. ({4}) Was passiert dadurch? Wir ändern unsere Verfahren. Herr Kollege Wolff hat darauf hingewiesen, dass das BAMF aufgefordert ist und bleibt, bei Rückführungen in jedem Einzelfall auf eine Prüfung zu achten. Deswegen ist doch das Rückführungsabkommen, das - darauf haben Sie hingewiesen - unter der rot-grünen Mehrheit verhandelt wurde, weder falsch noch obsolet. ({5}) Ich will es nicht zum Lob ausarten lassen. Aber dass man mit Ländern Rückführungsabkommen aushandelt, ist notwendig, damit wir in der Lage sind, denen, die hierbleiben müssen, zu helfen. ({6}) Insofern stelle ich fest: Wir sind nach wie vor auch in diesem Fall in der Lage, Rückführungen durchzuführen. Das ist aber nach einer Einzelfallprüfung zu entscheiden. Wir haben das BAMF mit der Kompetenz ausgestattet, eine Einzelfallprüfung durchzuführen, wenn sich die Situation vor Ort ändert. Es ist keine Befassung des Deutschen Bundestages nötig, wenn das BAMF selbst eine Rückführung aussetzen kann. Ich komme daher im Ergebnis dazu, dass das Durchsetzen der Rückführung von Ausreisepflichtigen notwendig ist, um die Funktionsfähigkeit dieses Staates zu erhalten. Es ist notwendig, dass wir Zuwanderung steuern. Wenn Sie alle Grenzen fallen lassen wollen, dann verheißen Sie Menschen eine Perspektive. Sie geben Menschen ein Versprechen, das Sie am Ende des Tages nicht halten können. Wenn man das will, ist das ein politischer Auftrag, zu dem wir als Koalitionsfraktionen nur sagen können: Wir sind anderer Auffassung. ({7}) Bezogen auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in der Rückführungspolitik bedarf die Bundesregierung keiner Belehrung. Ich glaube auch nicht, dass es richtig ist, den Eindruck zu erwecken, Sie würden anders verfahren. ({8}) Ich glaube im Ergebnis, dass „60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention“ keine Plattform dafür sein sollte, alle Grenzen fallen zu lassen ({9}) und diesen Rechtsstaat vor eine Herausforderung zu stellen, deren Folgen Sie meines Erachtens nicht im Griff haben können. Wichtig bleibt für uns der Inhalt dieser Flüchtlingskonvention. ({10}) Menschen, die wirklich mit Verfolgung oder Tod bedroht sind, sollen bei uns einen Hafen finden. Alles andere ist unter dem Mäntelchen von Gutmenschentum lediglich eine andere politische Auffassung, die ich nicht teile. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege Rüdiger Veit für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Kollege Veit. ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines kann ich an dieser Debatte nicht verstehen. Die Grünen haben verdienstvollerweise einen Antrag mit dem Titel „60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention“ vorgelegt. Die anderen führen an, gern darüber zu sprechen, haben aber etwas dagegen, dass alle anderen Anträge zu dem Thema hier beraten werden. Das passt für meine Begriffe relativ schlecht zusammen. Wir alle sollten einmal sagen: Es ist ein Verdienst von Bündnis 90/Die Grünen, den Antrag gestellt zu haben, ({0}) sodass wir hier überhaupt zu dem Thema kommen. Dieser Antrag ist, nebenbei bemerkt, auch in all seinen Formulierungen so ausgezeichnet, dass er aus meiner Sicht nur einen einzigen Fehler hat, wenn ich das jetzt ein wenig scherzhaft sagen darf: dass er nicht von mir oder von uns stammt. ({1}) Es gibt einen Antrag von den Grünen - liebe Kolleginnen und Kollegen, das sage ich, damit das am Schluss nicht zu kurz kommt -, dem wir nicht zustimmen werden. Das ist der Antrag betreffend die libyschen Flüchtlinge. Das hängt damit zusammen, dass aus unserer Sicht Italien ein Drama der Überbelastung inszeniert, was keiner europäischen Solidarität bedarf, um das nur stichwortartig schon einmal zu sagen. Wir werden auch den Anträgen der Linken nicht zustimmen können, aber nicht deswegen, weil uns der Antragsteller nicht passt, sondern deswegen, weil wir inhaltlich andere Positionen haben. Es sind schon Zahlen genannt worden. Es schadet aber nichts, wenn man das wiederholt; denn Wiederholung ist bekanntlich ein wichtiges Prinzip in der Pädagogik. ({2}) Es gibt 47 Millionen Flüchtlinge - Daniela Kolbe hat das gesagt -, davon 15 Millionen in Drittstaaten, also nicht Binnenvertriebene. Es gibt im Übrigen - kaum jemand denkt daran - sogar 6,6 Millionen Staatenlose auf dieser Welt, die überhaupt nicht wissen, wohin. Von daher ist das Anliegen, das mit der Genfer Flüchtlingskonvention verfolgt wird, unbestreitbar aktuell. Es sollte gerade in Deutschland besonders aktuell sein, weil es dazu eine historische Verpflichtung besonderer Art gibt, über die hier noch niemand geredet hat. Deswegen will ich das kurz andeuten. Es war im Jahre 1938, als die USA versucht haben, zugunsten der aus Deutschland vertriebenen Juden so etwas Ähnliches wie eine Schutzkonvention auf den Weg zu bringen - damals vergeblich. Als 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention formuliert und später signiert wurde, galt sie zunächst einmal im Wesentlichen der Bewältigung der Kriegsfolgen, der Flüchtlingsströme, die durch den Krieg ausgelöst worden waren. Es war der Krieg, den wir Deutsche ausgelöst haben. Insofern müssten wir mit ganz besonderer Sensibilität, aber auch mit ganz besonderem Engagement an den Einsatz dieses völkerrechtlichen Instrumentes gehen, wenn wir das auf die heutige Zeit zu spiegeln versuchen. Da mache ich schon auch Defizite aus. Wenn ich das einmal an die Adresse der FDP sagen darf: Zu rot-grünen Zeiten, aber auch noch zu Zeiten der Großen Koalition haben Sie sich in der Rolle gefallen, ausländer- und flüchtlingspolitisch am besten noch die Linkspartei zu überholen; jedenfalls haben Sie Rot-Grün ständig gescholten, viel zu wenig zu tun, viel zu spät und viel zu halbherzig tätig zu werden. Wenn Sie heute sagen - zwei Jahre sind anscheinend eine sehr lange Zeit in dieser Koalition -, dass Sie die Ausländer- und Flüchtlingspolitik dieser Bundesregierung weiterhin konstruktiv begleiten wollen, dann ist das - Entschuldigung, lieRüdiger Veit ber Kollege Wolff - in meinen Augen eher eine herbe Bedrohung. ({3}) Denn das, was Sie einmal an Inhalten vertreten haben, haben Sie bei Ihrer Liebesheirat, die heute eher eine Zwangsheirat zu sein scheint, sozusagen an der Garderobe abgegeben. ({4}) Wir haben mehrere Beispiele dafür: Die Bleiberechtsregelung ist unzureichend, die Opfer von Zwangsheirat sind nicht ausreichend geschützt usw. Diese Punkte kann ich jetzt allerdings nicht weiter ausführen. Ich will zum Kernpunkt dessen kommen, was uns heute wichtig sein muss. Das ist die Frage, wie wir in Europa mit Flüchtlingen umgehen. Herr Staatssekretär Bergner, trotz der Zahlenbilanz, die Sie aufzumachen versucht haben, muss man sagen: In den letzten fünf Jahren hat Europa 2,3 Flüchtlinge pro 1 000 Einwohner aufgenommen. Angesichts der Gesamtzahl der Bedrohten, Bedrängten und Heimatlosen in der Welt ist dies eine sehr geringe Größenordnung. Wir treten daher ganz entschieden dafür ein, dort, wo die Not am größten ist - also in den Herkunftsländern, aber auch in den Ländern, in die die Menschen als Erstes geflohen sind -, zu helfen. ({5}) Wir brauchen ein Resettlement-Programm. Der UNHCR hat angesichts der Situation in Tunesien und Ägypten gesagt, dass mindestens 8 000 Resettlement-Plätze zur Unterbringung derjenigen, die Flüchtlinge im Sinne der GFK sind, gebraucht werden. Aber es gibt nur 800 davon. Vor diesem Hintergrund wird die europäische Verantwortung deutlich. Wir dürfen uns nicht an dem Beispiel Italien orientieren, wo gesagt wird: Wenn es uns nicht mehr mit der Hilfe von Gaddafi gelingt, die Flüchtlinge, die über das Mittelmeer zu uns flüchten wollen, in Libyen zu halten, dann wollen wir sie gerne ohne Überprüfung weiterreichen. Am Ende würden wir sogar aus der EU austreten. - Auch Äußerungen des bayerischen Innenministers Herrmann, man müsse angesichts dieser Massenbewegung wieder zu Grenzkontrollen zurückkehren, sind nicht unbedingt hilfreich. Wenn wir ein Resettlement-Programm wollen, dann müssen wir über andere Größenordnungen reden. ({6}) Der Bundesregierung muss, notfalls vom Parlament, eine klare Vorgabe gemacht werden, damit sie auf EUEbene entsprechend auftritt. Es reicht nicht, zu sagen, dass auf freiwilliger Basis und von Fall zu Fall über ein paar Hundert Plätze entschieden wird. Ich will hierzu eine Zahl nennen; dafür habe ich einen unverdächtigen Zeugen. Als wir darüber diskutiert haben, wie viele Flüchtlinge aus dem Irak, die zwischenzeitlich in Jordanien und Syrien Zuflucht gefunden hatten, in Deutschland aufgenommen werden sollten, hat der damalige Bundesinnenminister Schäuble auf Befragung im Menschenrechtsausschuss gesagt, er könne sich durchaus eine kleine fünfstellige Zahl vorstellen. Dies wären also mindestens 10 000. Weil das allein für die Flüchtlinge aus dem Irak gilt und weil wir einen entsprechenden Gesamtansatz für die europäische Verantwortungsteilung brauchen - ich rede nicht von der Lastenteilung hinsichtlich der Flüchtlinge, die direkt hierherkommen; das ist ein anderes Thema -, müssen wir über ganz andere Größenordnungen reden. Wir müssen zu einer Binnenverteilung in der EU gelangen, die sich beispielsweise an der Wirtschaftskraft und an der Einwohnerzahl orientiert. Zur FDP komme ich angesichts meiner fortgeschrittenen Redezeit nicht mehr. Ich würde dem Kollegen Wolff sehr gerne noch die Thesen der FDP in Niedersachsen überreichen; ich werde sie ihm nachher geben. ({7}) Als letzten Punkt möchte ich noch ein Zitat nennen: Oberstes Gebot einer jeden Flüchtlingspolitik muss der Schutz der Verfolgten sein. Und der Schutz vor Verfolgung muss großzügig gewährt werden. Damit beziehe ich mich vor allem auf den Kreis der Schutzberechtigten. Ich halte es für unangemessen, bei der Definition des Verfolgungsbegriffs kleinlich zu sein. Sie dürfen dreimal raten, wer das gesagt hat. ({8}) - Das war nicht Otto Schily. Dieses Zitat ist jüngeren Datums. Es war der jetzige Innenminister Friedrich am 20. Juni 2011. ({9}) Das Problem ist, dass der Rest der Rede nicht so gut war.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie wollten zu Ihrem letzten Punkt kommen.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sollten Ihren eigenen Innenminister beim Wort nehmen und seiner grundsätzlich begrüßenswerten Auffassung Taten folgen lassen. Darüber würde ich mich freuen. Danke. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Serkan Tören. Bitte schön, Kollege Tören. ({0})

Serkan Tören (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004177, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Veit, weil Sie uns direkt angesprochen haben, will ich sagen: Ich wundere mich manchmal sehr über Ihr Erinnerungsvermögen ({0}) und wiederhole, was mein Kollege Hartfrid Wolff gesagt hat: Das deutsch-syrische Rücknahmeübereinkommen ist von Ihrem damaligen Außenminister ausgehandelt worden. ({1}) Dann haben Sie noch das Bleiberecht erwähnt. Sie haben es in elf Jahren nicht hinbekommen, für die betroffenen Menschen etwas Vernünftiges zu regeln. Wir haben eine Regelung insbesondere für Jugendliche gefunden, die hier zur Schule gehen und integriert sind. Darauf können wir in dieser christlich-liberalen Koalition stolz sein. ({2}) Überhaupt nicht erwähnt haben Sie natürlich - ganz klar die Lockerung der Residenzpflicht. Sie haben eben einmal darüber hinweggesehen und es nicht erwähnt, weil es Ihnen ebenfalls nicht passt. Für die FDP ist klar: Der Staat hat das Recht und auch die Pflicht, Zuwanderung mit den ihm hierfür zur Verfügung stehenden Mitteln zu regulieren und zu kontrollieren. Gleichwohl stehen wir auch für eine humanitäre Zuwanderungspolitik auf der Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts, das bedeutet natürlich auch: für ein rechtsstaatliches und gerechtes Asylsystem. So ähnlich lautet auch der Titel eines Antrags der Linken, den wir hier unter anderem debattieren, nur dass der Titel hier völliger Etikettenschwindel ist. ({3}) Sie fordern unter diesem Deckmantel etwa die Abschaffung der Rückführungsrichtlinie, die Abschaffung der Abschiebehaft oder auch die Komplettauflösung von Frontex. ({4}) Sie hätten Ihren Antrag schlichtweg „Abschaffung aller Grenzen“ oder „Freizügigkeit für alle zu jeder Zeit und überall“ nennen sollen. Das wäre ehrlicher gewesen. ({5}) Allein schon die Forderung nach Abschaffung der Rückführungsrichtlinie ist absurd und läuft dem Titel zuwider. Die Rückführungsrichtlinie setzt im Bereich der Rückführung doch endlich Mindeststandards in den Mitgliedstaaten. Das ist eine Verbesserung; das gab es bisher nicht. Entgegen unser aller Wunsch sind die Standards im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik leider nicht immer auf einem einheitlich hohen Niveau in der EU. Ich begrüße übrigens an dieser Stelle auch die Pläne der Kommission, Frontex zu stärken. Allerdings darf sich diese Stärkung nicht nur auf die quantitative Erweiterung von Mitteln und Personal beziehen. Ich halte es für dringend geboten, die Schulung und Ausbildung von Frontex-Mitarbeitern weiter voranzutreiben und insgesamt für mehr Transparenz zu sorgen. Das muss Hand in Hand gehen. Die Europäische Union geht mit Unterstützung der Bundesregierung hier den Weg, der tatsächlich zu einem gerechteren und effizienteren Asylsystem führen wird. Bis 2012 soll ein gemeinsames Asylsystem entstehen. Das ist ein zugegebenermaßen straffer Zeitplan; aber wenn es um vernünftige und gemeinsame Standards für Flüchtlinge in der gesamten EU geht, dürfen wir ruhig sportliches Engagement zeigen. Trotz der aktuellen Entwicklung in Nordafrika und der zeitweise gestiegenen Zahl an Flüchtlingen in der EU gilt: Die Gesamtzahl der Asylanträge in der EU ist über die letzten Jahre relativ konstant geblieben. Die Anträge in den einzelnen Mitgliedstaaten variieren jedoch stark. Beispielsweise in Deutschland ist die Zahl der Asylanträge deutlich gestiegen. In der Zeit von Januar bis Mai 2011 haben insgesamt 17 369 Personen in Deutschland Asyl beantragt. Gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr bedeutet dies eine Erhöhung um 36,6 Prozent. In Österreich beispielsweise ist die Zahl der Anträge 2010 um 30 Prozent gesunken. Im Übrigen ist Deutschland laut UNHCR das Industrieland, in dem die meisten Flüchtlinge leben, nämlich rund 600 000. Eines ist klar: Wir haben in Europa ein Verteilungsproblem. Ich würde mir hierzu zeitnah Vorschläge von der Kommission wünschen, wie ein nachhaltiges, verantwortungsvolles, effizientes und missbrauchssicheres Verteilungssystem aussehen kann. ({6}) Ein solches System würde nicht unbedingt eine Mehrbelastung für Deutschland darstellen; denn - hier kann ich unserem Innenminister nur zustimmen - Asylpolitik ist keine Tagespolitik. Wer die EU als einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erhalten will, wer dem Schutzbedarf der Flüchtlinge und Vertriebenen im nächsten Jahrzehnt gerecht werden will, der muss sich mit der Dynamik der Migrationsströme und der Mobilität von Menschen auseinandersetzen. ({7}) Migration ist nicht statisch. Politische Konflikte, Ressourcenknappheit und Umweltfragen werden zunehmend Einfluss auf Wanderungsbewegungen auch nach Europa haben. Wir dürfen aber auch die andere Seite der Medaille nicht vergessen, nämlich die Heimatländer der Flüchtlinge. Ein Großteil der Menschen bleibt heimatverbunden, lebt unter schwierigsten Bedingungen und in extremer Armut im Ausland. Viele dieser Menschen wollen ihre Familie und ihr Land nicht verlassen. Aus diesem und vielen anderen guten Gründen gilt es vor Ort für eine Verbesserung der politischen, gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Verhältnisse zu sorgen. Menschen brauchen Perspektive. ({8}) Dies ist eine wichtige Zukunftsaufgabe, der wir uns mit viel Engagement und Einsatz widmen müssen. Vielen Dank. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Christoph Strässer. Bitte schön, Kollege Christoph Strässer. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinen Redebeitrag zum Thema „60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention“ möchte ich mit einem Zitat des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen aus diesem Jahr beginnen. Herr Guterres hat anlässlich der Feierlichkeiten Folgendes gesagt - ich glaube, das trifft den Kern -: Alles hinter sich zu lassen, was einem lieb und teuer war, bedeutet, sich in einer unsicheren Zukunft wiederzufinden, in einer fremden Umgebung. Stellen Sie sich vor, welchen Mut es erfordert, mit der Aussicht fertigzuwerden, Monate, Jahre, womöglich ein ganzes Leben im Exil verbringen zu müssen. Herr Guterres ist kein Gutmensch. Er kennt die Realitäten in dieser Welt. In diesem Zitat beschreibt er exakt das Schicksal von Menschen, die auf der Flucht sind. Diese Menschen sind keine Last, sondern wollen ein Leben in Würde leben, so wie wir es für uns reklamieren. Das wünschen wir auch allen anderen Menschen. ({0}) Einige der Bemerkungen aus den vorangegangenen Redebeiträgen möchte ich gern aufgreifen; denn ich denke - das sage ich in aller Offenheit -, dass es sich hier um unterschiedliche Menschenbilder handelt. Es geht um unterschiedliche Einschätzungen dahin gehend, was Staaten aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention, des, wie ich finde, richtungweisenden Werkes des Völkerflüchtlingsrechts, tun können und müssen. Wir sagen immer - das ist nicht nur die Auffassung der Sozialdemokratie -: Das ist die Magna Charta des Völkerflüchtlingsrechts. Daran haben wir uns zu halten und zu orientieren. Da gibt es aus meiner Sicht keine Ausnahmen und keine Ausflüchte. ({1}) Lassen Sie mich nur einige Begriffe aufgreifen. Herr Bergner, Sie haben den Begriff der Lastenverteilung in die Debatte eingebracht. Ich finde, wenn wir über Flüchtlinge reden, ist es falsch, von Lasten zu sprechen. ({2}) Ich empfinde Flüchtlinge nicht als Lasten, sondern als Menschen, die auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben sind. ({3}) Wenn man wirklich über Lastenverteilung reden sollte und wollte, dann müsste man sich doch einmal anschauen, wo welche Lasten zu finden sind. Es wurden bereits viele Zahlen genannt. Ich nenne immer folgendes Beispiel: In Deutschland gibt es knapp 600 000 registrierte Flüchtlinge. Sie machen weniger als 1 Prozent der Bevölkerung aus. Im Tschad, dem Nachbarland des Sudan und dem viertärmsten Land der Welt, leben dagegen seit mehr als zehn Jahren 2 Millionen Flüchtlinge. Wenn wir in Deutschland von Lasten reden, dann ist das gegenüber den Ländern, die eine solch hohe Verantwortung tragen, purer Zynismus. ({4}) Ich möchte noch eine weitere Bemerkung machen. Wir alle haben gedacht, die Bundesregierung befände sich auf einem guten Weg, als sie sich zu einem Moratorium für die Rückführung von Flüchtlingen nach Griechenland bereit erklärt hat. In der gerade stattgefundenen Anhörung im Menschenrechtsausschuss haben wir alle erst einmal gesagt: Oh prima! Was ist das denn? - Die Botschaft, die dahinter steht, war unserer Einschätzung zufolge aber ganz klar: Es handelte sich nicht um die Einsicht, dass das bisherige Verfahren, die Menschen dorthin zurückzuführen, wo sie kein Asylverfahren genießen können, falsch ist. Es handelte sich vielmehr um schiere Furcht vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache. ({5}) Nach acht einstweiligen Anordnungen gegen die Bundesregierung hatte man Angst, dass es zu einer endgültigen Entscheidung kommt, die die Rückführung der Flüchtlinge nach Griechenland nach der Dublin-II-Verordnung grundsätzlich verbietet. Das war der eigentliche Hintergrund. ({6}) Ich möchte noch eine Bemerkung zu einer Gruppe machen, die hier heute noch keine Rolle gespielt hat, die aber aus meiner Sicht als besonders schutzbedürftig anzusehen ist: die Kinder. Ich glaube, der ganze Deutsche Bundestag hat ein Stück weit gefeiert, als es zur Rücknahme der Vorbehalte gegenüber der Kinderrechtskon13928 vention kam. Eines haben wir in diesem Zusammenhang aber nicht geregelt - ich weiß, dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt -: Es kann und darf nicht sein, dass nach der Kinderrechtskonvention in Deutschland für Kinder ein anderes Recht gilt, als nach der Kinderrechtskonvention vorgesehen. Auch Kinder in Deutschland müssen nach dem Asylrecht bis zu ihrem 18. Geburtstag als Kinder gelten. ({7}) Deshalb meine eindringliche Bitte an dieses Haus und an diese Bundesregierung: Ergreifen Sie endlich die Initiative für Anpassungen im Bundesrecht, insbesondere im Asylverfahrensrecht. Stellen wir die Kinder den Kindern in anderen Regionen der Welt gleich, und geben wir ihnen die gleichen Chancen und Möglichkeiten. ({8}) Ich komme zu einem letzten Punkt, der aus meiner Sicht am Schluss dieser Debatte eine Rolle spielen sollte. Wir haben auf Einladung des UNHCR im Dezember dieses Jahres eine Ministerkonferenz über die Fortentwicklung der Genfer Flüchtlingskonvention. Ich hoffe und wünsche - wir werden das hier im Hohen Hause begleiten -, dass von dieser Initiative der Bundesregierung eine deutliche Verbesserung des Flüchtlingsrechts in Deutschland und in Europa ausgeht. Die „Festung Europa“ kann nicht die Zukunft eines fortschrittsgerichteten Asylverfahrens sein. Wir brauchen wieder ein menschliches und würdiges Asylverfahrensrecht. Darum bitten wir Sie, und dafür bekommen Sie unsere Unterstützung. Danke schön. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Letzter Redner in dieser Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU Kollege Dr. Egon Jüttner. Wir sollten ihm noch die notwendige Aufmerksamkeit schenken. ({0})

Dr. Egon Jüttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! In den Reden zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2011 wurde immer wieder auf die Bedeutung der Genfer Flüchtlingskonvention hingewiesen. Wenn wir heute daran erinnern, dass vor 60 Jahren, am 28. Juni 1951, die Genfer Flüchtlingskonvention auf einer UN-Sonderkonferenz in Genf verabschiedet worden ist, so erinnern wir an einen Akt, der den Übergang vom staatlichen Gnadenakt hin zum individuellen Schutzanspruch, zum rechtlich einklagbaren Anspruch auf Abschiebeschutz, vollzogen hat. In der Praxis bedeutet dies, dass Menschen, die wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden, ein persönliches Schutzrecht zugebilligt wird. Zunächst bezog sich dieses Schutzrecht auf Personen, die infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten waren, zu Flüchtlingen wurden. Diese zeitliche Beschränkung und die Einschränkung auf europäische Flüchtlinge wurden im Protokoll von 1967 richtigerweise aufgehoben. Immerhin sind weit über 140 Staaten sowohl der Konvention als auch dem Protokoll beigetreten. Deutschland, das nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem erheblichen Flüchtlingsstrom konfrontiert war, gehörte zu den ersten sechs Unterzeichnern der Konvention. Auch heute, 60 Jahre nach der Unterzeichnung, ist die Genfer Flüchtlingskonvention eines der wichtigsten Dokumente für den internationalen Flüchtlingsschutz. Die Konvention ist geprägt von einem humanitären Geist, der auch in Zukunft oberstes Gebot einer jeden Flüchtlingspolitik sein sollte. Sie legt genau fest, welchen rechtlichen Schutz Betroffene von den Unterzeichnerstaaten erhalten sollten, aber auch, welche Pflichten einem Flüchtling dem Gastland gegenüber auferlegt werden. Die Konvention definiert genau, wer im rechtlichen Sinne als Flüchtling anerkannt werden soll, nämlich: wer in seinem Heimatland verfolgt wird, wer seine Heimat vorübergehend oder auf Dauer verlassen und in einem anderen Land Schutz beantragen muss. Mit der Genfer Flüchtlingskonvention wurde die erste völkerrechtlich verbindliche Regelung zum Umgang mit Flüchtlingen getroffen. Wir erleben in vielen Ländern politische Unterdrückung, Gewalt sowie die Verfolgung Andersdenkender und religiöser Minderheiten. Hauptflüchtlingsländer sind zurzeit Angola, Myanmar, Uganda, Kolumbien, Aserbaidschan und Sudan. Die Situation im Sudan ist vor der offiziellen Unabhängigkeitserklärung des Südsudan am 9. Juli dieses Jahres sehr angespannt. Nordsudans Präsident Baschir hat gedroht, Abtrünnige in der Provinz Süd-Kordofan, die Teil des Nordsudans ist, deren Bürger sich aber mehrheitlich dem Süden zugehörig fühlen, umbringen zu lassen. Hier droht ein erneuter Völkermord, verbunden mit einem großen Flüchtlingsstrom. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, UNHCR, geht von weltweit 15,3 Millionen Flüchtlingen aus, die gezwungen sind, in anderen Ländern als ihren Heimatländern zu leben. Hinzu kommen rund 27 Millionen Menschen, die innerhalb ihrer jeweiligen Heimatländer als Binnenflüchtlinge in fremden Regionen leben. Die Zahl der Asylbewerber wird weltweit mit knapp 1 Million Menschen beziffert. Das sind Zahlen, hinter denen sehr viele Einzelschicksale stehen - Menschen, die alles hinter sich gelassen haben, was ihnen lieb und teuer war, die sich nach nichts mehr sehnen als nach einem menschenwürdigen, sicheren Leben. Sie, die meist alles verloren haben, müssen mit einem unglaublichen Mut durchs Leben gehen. Sie sind auf andere angeDr. Egon Jüttner wiesen, um ihre Grundversorgung mit Nahrung, Kleidung und Unterkünften zu sichern. Nach Angaben des UNHCR gehört Deutschland zu den führenden Aufnahmestaaten von Flüchtlingen. Derzeit haben knapp 600 000 Flüchtlinge in Deutschland Zuflucht und Schutz gefunden. Damit belegt Deutschland den vierten Rang, noch vor den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Während die Zahl der Asylbewerber im Jahre 2010 gegenüber dem Vorjahr weltweit um 5 Prozent zurückgegangen ist, ist die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland um 49 Prozent gestiegen. Wir hatten 2010 mehr als 41 000 Asylbewerber. In der ersten Hälfte dieses Jahres ist ihre Anzahl im Vergleich zum Vorjahr noch einmal beträchtlich angestiegen. Deutschland hat sich auch in der Vergangenheit immer wieder für den Schutz von Flüchtlingen eingesetzt. Ich erinnere etwa an die vielen Flüchtlinge, die in den 90er-Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien zu uns kamen und bei uns aufgenommen wurden. Ich erinnere an die 2 500 irakischen Christen, bei denen sich Deutschland federführend für eine EU-weite Aufnahme eingesetzt hat. Leider ist die Religionsfreiheit noch in 64 Ländern der Erde stark eingeschränkt oder gar nicht existent. Wir fordern deshalb weltweit Religionsfreiheit als eine zentrale Voraussetzung für ein freiheitliches Leben in Würde; denn bei Fragen von Glaubensüberzeugung und Weltanschauung ist der Kernbereich der Persönlichkeit eines jeden Menschen betroffen, den es zu schützen gilt. Gewissens- und Religionsfreiheit sind elementare Menschenrechte, die bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind. ({0}) Insofern haben wir konsequent gehandelt, als wir uns für die Aufnahme der 2 500 irakischen Christen eingesetzt haben, denen dauerhafter Schutz gewährt wurde. ({1}) Leider mussten wir in der Vergangenheit auch die Erfahrung machen, dass die durch die Genfer Flüchtlingskonvention definierten gesetzlichen Bestimmungen missbraucht wurden, indem Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge die Situation ausgenutzt haben. Sie haben auf diese Weise denjenigen geschadet, die aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihrer Religion oder ihrer Rasse verfolgt werden. Trotz dieser Mängel, die manchmal die öffentliche Meinung über die Asyl- und Flüchtlingspolitik negativ beeinflusst haben, ist der Schutz Verfolgter oberstes Gebot unserer Flüchtlingspolitik geblieben. Die Akzeptanz der Genfer Flüchtlingskonvention ist nach wie vor hoch. Alle politischen Kräfte sind sich darin einig, dass der Schutz vor Verfolgung großzügig gewährt werden muss. Gerade auf europäischer Ebene ist die zentrale Bedeutung der Genfer Flüchtlingskonvention unstrittig. Darüber kann auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass es innerhalb der EU Unterschiede gibt. Da ist auf der einen Seite beispielsweise Italien, das sich aufgrund seiner geografischen Lage mit einem massiven Flüchtlingsstrom konfrontiert sieht, und auf der anderen Seite Dänemark, dessen Bevölkerung eher skeptisch ist, was sich in der Wiedereinführung von Grenzkontrollen widerspiegelt. Solche Disparitäten müssen aufgelöst werden. Hierfür wird sich die Bundesregierung auf EUEbene auch entsprechend einsetzen. ({2}) Bei den derzeitigen Verhandlungen auf EU-Ebene plädiert Deutschland für ein möglichst umfassendes Verständnis der Verfolgungsgründe und unternimmt alles, um bei den Mitgliedstaaten Überzeugungsarbeit zu leisten. Dabei muss alles darangesetzt werden, dass sowohl den Interessen eines Landes als auch dem Recht Schutzsuchender und Verfolgter auf Aufnahme Rechnung getragen wird. Dies muss auch der Maßstab für die neuen Vorschläge der EU-Kommission sein, die auf Solidarität der Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander aufbauen sollten. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass das geltende EU-Recht in allen Mitgliedstaaten angewandt wird und Auslegungsunterschiede, etwa bei der Flüchtlingsanerkennung, beseitigt werden. Ich danke Ihnen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/6347 und 17/6095 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 17/5362. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4679 mit dem Titel „Für ein offenes, rechtsstaatliches und gerechtes europäisches Asylsystem“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Kann ich bitte das Abstimmungsverhalten der Grünen noch einmal signalisiert bekommen? Das war hier nicht zu erkennen. ({0}) - Gut. - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD- Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- nommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/4886 mit dem Titel „Für wirksa- men Rechtsschutz im Asylverfahren - Konsequenzen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen“. Wer stimmt für diese Be- Vizepräsidentin Petra Pau schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 7 d. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einheitlichen EU- Flüchtlingsschutz garantieren“. Der Ausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5361, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/4439 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion ge- gen die Stimmen der antragstellenden Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 7 e. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bün- dnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Unverzügliche Aus- setzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkom- mens“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 17/6383, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5775 abzulehnen. Wir stimmen nun auf Verlangen der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen namentlich über die Be- schlussempfehlung ab. Daraus folgt, dass die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer ihre Plätze einnehmen und die Kolleginnen und Kollegen bitte kontrollieren, ob die Ab- stimmungskarten ihren Namen tragen. - Sind alle Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme bislang noch nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie um die notwendige Aufmerksamkeit und darum, die Gespräche am Rande des Plenums so einzuschränken, dass wir uns verstehen können. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für die Unterstützung der humanitären Hilfe zugunsten der libyschen Zivilbevölkerung und der Flüchtlinge aus Libyen und für eine menschenwürdige Behandlung und Aufnahme von Schutzbedürftigen“. ({1}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass Sie gerne wählen möchten. Wir sind aber noch nicht bei der Wahl, sondern immer noch bei der Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ich bitte Sie, die notwendige Aufmerksamkeit herzustellen und mir hier vorne den Blick freizumachen. 1) Ergebnis Seite 13932 D Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6266. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5909 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Wahlvorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahl eines Mitglieds des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes - Drucksache 17/6439 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt auf Drucksache 17/6439 die Kollegin Priska Hinz ({2}) vor. ({3}) - Liebe Kollegen, es hilft nichts. Die Wahl werde ich erst eröffnen, wenn die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt ist und die notwendigen Erläuterungen erfolgt sind. Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich Sie um Auf- merksamkeit für einige Hinweise. Die erforderlichen Stimmkarten wurden verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, können Sie diese von den Plenar- assistenten bekommen. Für die Wahl benötigen Sie au- ßerdem einen Wahlausweis, den Sie in der Lobby aus Ih- rem Stimmkartenfach entnehmen können. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mit- glieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt min- destens 311 Stimmen erhält. Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Die Wahl ist nicht geheim; Sie können deshalb die Stimmkarte an Ihrem Platz ankreuzen. Bevor Sie die Stimmkarte einwerfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahl- ausweis an der Wahlurne einer der Schriftführerinnen oder einem der Schriftführer. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ih- ren vorgegebenen Plätzen? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich jetzt die Wahl.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schrift- führerinnen und Schriftführer, ihre Stimmkarte abgege- ben? - Das ist der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus- zählung zu beginnen. Sie sind einverstanden, dass das Ergebnis der Wahl später bekannt gegeben wird.2) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 53 a bis g und 53 i bis m sowie die Zusatzpunkte 5 a und b auf: 53. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines … Strafrechtsände- rungsgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2) Ergebnis Seite 13938 D Vizepräsident Eduard Oswald des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt - Drucksache 17/5391 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und des Personenbeförderungsgesetzes - Drucksache 17/6262 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes und des Seeaufgabengesetzes - Drucksache 17/6332 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seesicherheits-UntersuchungsGesetzes - Drucksache 17/6334 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Überweisung des Goldstone-Berichtes an den Internationalen Strafgerichtshof durch den UN-Sicherheitsrat - Drucksache 17/6339 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({4}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Koch, Kathrin Vogler, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Behandlungs- und Betreuungsangebote für traumatisierte Soldatinnen und Soldaten, zivile Kräfte und Angehörige ausbauen - Drucksache 17/6342 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({5}) Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kretschmer, Wolfgang Börnsen ({6}), Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Sören Bartol, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Patrick Kurth ({7}), Reiner Deutschmann, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Josef Philip Winkler, Katrin GöringEckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Reformationsjubiläum im Jahre 2017 Ein Ereignis von Weltrang - Drucksache 17/6465 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({8}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss i) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Menschenrechte in der Tourismuswirtschaft achten, schützen und gewährleisten - Drucksache 17/6458 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Marks, Christel Humme, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zeit zwischen den Geschlechtern gerecht verteilen - Partnerschaftlichkeit stärken - Drucksache 17/6466 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({10}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck ({11}), Marieluise Beck ({12}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Seenotrettung im Mittelmeer konsequent durchsetzen und verbessern - Drucksache 17/6467 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({13}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vizepräsident Eduard Oswald l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck ({14}), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine glaubwürdige Außenpolitik gegenüber Usbekistan - Drucksache 17/6498 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({15}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Kerstin Müller ({16}), Volker Beck ({17}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausbildungstätigkeit der Bundespolizei in Saudi-Arabien beenden - Drucksache 17/6468 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({18}) Auswärtiger Ausschuss ZP 5 a Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Sören Bartol, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorrang für Verbraucherinteressen im Gentechnikrecht verankern - Drucksache 17/6479 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({19}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein einheitliches Lkw-Tempolimit von 80 km/h auf Autobahnen in Europa - Drucksache 17/6480 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({20}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 54 a bis 54 q sowie die Zusatzpunkte 6 a bis 6 l auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 54 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vierten, Fünften und Sechsten Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals ({21}) - Drucksache 17/6061 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({22}) - Drucksache 17/6440 Berichterstattung: Abgeordneter Herbert Behrens Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6440, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/6061 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag „Unverzügliche Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ bekannt: abgegebene Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 312, mit Nein haben gestimmt 200, Enthaltungen 69. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 581; davon ja: 312 nein: 200 enthalten: 69 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({23}) Manfred Behrens ({24}) Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen ({25}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({26}) Dirk Fischer ({27}) Axel E. Fischer ({28}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({29}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({30}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Siegfried Kauder ({31}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({32}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({33}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({34}) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({35}) Lothar Riebsamen Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({36}) Anita Schäfer ({37}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({38}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({39}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({40}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({41}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({42}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({43}) Peter Weiß ({44}) Sabine Weiss ({45}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({46}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Vizepräsident Eduard Oswald Joachim Günther ({47}) Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({48}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Dr. Martin Lindner ({49}) Michael Link ({50}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({51}) Burkhardt Müller-Sönksen ({52}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({53}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({54}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({55}) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({56}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({57}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Garrelt Duin Ingo Egloff Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({58}) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann ({59}) Hubertus Heil ({60}) Rolf Hempelmann Gustav Herzog Petra Hinz ({61}) Frank Hofmann ({62}) Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Daniela Kolbe ({63}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({64}) Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({65}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({66}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({67}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({68}) Werner Schieder ({69}) Ulla Schmidt ({70}) Silvia Schmidt ({71}) Carsten Schneider ({72}) Swen Schulz ({73}) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({74}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({75}) Volker Beck ({76}) Cornelia Behm Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({77}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Undine Kurth ({78}) Monika Lazar Tobias Lindner Agnes Malczak Kerstin Müller ({79}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Omid Nouripour Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({80}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Vizepräsident Eduard Oswald Markus Tressel Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Yvonne Ploetz Paul Schäfer ({81}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Sabine Zimmermann Tagesordnungspunkt 54 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. April 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien über den Sitz des IRENA-Innovations- und Technologiezentrums - Drucksachen 17/6039, 17/6265 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({82}) - Drucksache 17/6464 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Dirk Becker Dorothee Menzner Hans-Josef Fell Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6464, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/6039 und 17/6265 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Somit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 54 c: - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Juni 2010 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Turks- und Caicosinseln über den steuerlichen Informationsaustausch - Drucksache 17/6057 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Juni 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik San Marino über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch - Drucksache 17/6058 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. Oktober 2010 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Britischen Jungferninseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch - Drucksache 17/6059 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Ge13936 Vizepräsident Eduard Oswald biet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 17/6056 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Republik Ungarn zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 17/6060 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({83}) - Drucksache 17/6388 Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding ({84}) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstaben a bis e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6388, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/6057, 17/6058, 17/6059, 17/6056 und 17/6060 anzunehmen. Sind Sie damit einverstanden, dass wir über diese fünf Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte nun diejenigen, die den Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Alle anderen waren dafür. Die Gesetzentwürfe sind angenommen. Tagesordnungspunkt 54 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie im Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht ({85}) - Drucksache 17/6208 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({86}) - Drucksache 17/6494 Berichterstattung: Abgeordnete Marcus Weinberg ({87}) Oliver Kaczmarek Heiner Kamp Dr. Rosemarie Hein Kai Gehring Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6494, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/6208 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind alle Mitglieder des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 54 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({88}) zu dem Grünbuch Europäischer Corporate Governance-Rahmen KOM({89})164 endg.; Ratsdok. 8830/11 hier: Stellungnahme im Rahmen eines Konsultationsverfahrens der EU-Kommission - Drucksachen 17/5822 Nr. A. 20, 17/6506 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6506, in Kenntnis des Grünbuchs eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 54 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({90}) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kulturelle Bildung von Bundesseite nachhaltig fördern - Auflegung eines Förderprogramms „Jugendkultur Jetzt“ - Drucksachen 17/3066, 17/4595 Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Strobl ({91}) Ulla Schmidt ({92}) Dr. Lukrezia Jochimsen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4595, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3066 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Tagesordnungspunkt 54 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({93}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Alexander Bonde, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 28./29. Oktober 2010 in Brüssel und zum G-20-Gipfel am 11./12. November 2010 in Seoul hier: Stellungnahme gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes - Drucksachen 17/3425, 17/4246 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({94}) Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4246, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3425 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! - Das sind die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 54 h: Beratung der vierten Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({95}) zu 43 Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September 2009 - Drucksache 17/6300 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Michael Grosse-Brömer Michael Hartmann ({96}) Christian Lange ({97}) Dr. Dagmar Enkelmann Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenprobe! - Keine. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Es ist vereinbart, hierzu dem Kollegen Thomas Strobl das Wort zu geben. Bitte schön, Kollege Thomas Strobl. ({98})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben Sie über die letzte von insgesamt vier Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag zu entscheiden. Nachdem die Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland vom 7. Juni 2009 bereits vor einem Jahr abschließend beraten worden sind, schließen wir heute, wenn Sie der Empfehlung des Ausschusses folgen und die Einsprüche zurückweisen, auch die Prüfung der Bundestagswahl vom 27. September 2009 ab, gegen die insgesamt 163 Einsprüche eingereicht worden sind. Die heute zu behandelnden letzten 43 Wahleinsprüche richten sich unter anderem gegen die Wahlen in einzelnen Justizvollzugsanstalten, die Briefwahl, die Überhangmandate sowie die Kandidatenaufstellung in einzelnen Fällen. In allen Fällen schlägt der Wahlprüfungsausschuss vor, den Wahleinspruch zurückzuweisen. Der Grund hierfür liegt darin, dass ein Wahleinspruch nur Erfolg haben kann, wenn, erstens, ein Wahlfehler festzustellen ist und dieser, zweitens, für die Verteilung der Mandate relevant sein kann. Beides - ein Wahlfehler und die Möglichkeit, dass dieser Fehler sich auch auf das Ergebnis auswirkt - muss für den Erfolg eines Wahleinspruchs kumulativ vorliegen. Der Ausschuss hat auch im Rahmen der Prüfung der letzten 43 Einsprüche nicht und damit bei keinem der insgesamt 163 Einsprüche festgestellt, dass beide Voraussetzungen vorliegen. Der Ausschuss ist dennoch allen behaupteten Verstößen gegen Vorschriften für die Vorbereitung oder Durchführung der Wahl gründlich nachgegangen und hat in einem Fall nicht mit Sicherheit feststellen können, dass kein Wahlfehler vorgelegen hat. Dabei ging es um die Aufstellung einer Wahlkabine in einem Wahlraum, der mit einer Überwachungskamera ausgestattet war. Es handelte sich hier, was häufiger vorkommt, um einen als Wahllokal genutzten Raum einer Sparkasse. Es ist natürlich nicht so, dass die Kameras zur Überwachung der Wahl installiert worden sind. Da aber aus versicherungsrechtlichen Gründen das Verdecken oder Abschalten dieser Kameras am Wahltag problematisch war, fühlten sich einzelne Wähler in dieser Situation verständlicherweise unwohl. Daher hat der Ausschuss seine Bedenken, dass es hier zu einem Verstoß gegen die wahlrechtlichen Vorgaben zum Schutz des Wahlgeheimnisses gekommen sein könnte, deutlich geäußert. Jedoch war auch in diesem Fall das erforderliche zweite Kriterium, der Einfluss des Wahlfehlers auf die Sitzverteilung im Bundestag, nicht erfüllt. In einem weiteren Fall ist es nicht auszuschließen, dass es zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit bei der Vergabe von Plakatflächen an Parteien für die Wahlwerbung gekommen ist. Auch hier fehlte es aber an der Mandatsrelevanz des Wahlfehlers. Thomas Strobl ({0}) Diese Einsprüche werden zwar - wie auch die in den vorherigen Beschlussempfehlungen behandelten Einsprüche, in denen Wahlfehler bestätigt wurden - vom Ausschuss als unbegründet zurückgewiesen, ich gehe aber davon aus, dass die zuständigen Stellen unsere Hinweise auf die Mängel beachten und Sorge tragen, dass derartige Wahlfehler in Zukunft nicht mehr vorkommen. Zusätzlich hat der Ausschuss aufgrund der Erfahrungen in Wahlprüfungsangelegenheiten die Bundesregierung in bestimmten Fällen um Prüfung gebeten, ob und inwieweit Defizite des geltenden Wahlrechts bzw. seiner Anwendung behoben werden können. Eine dieser Prüfbitten bezieht sich auf die Frage, ob der Rechtsschutz für politische Vereinigungen, die nicht zur Bundestagswahl zugelassen werden, verbessert werden kann. Der Hintergrund ist hier, dass nach der jetzigen Gesetzeslage Rechtsmittel erst nach der Wahl eingelegt werden können, zu der die Partei nicht zugelassen worden ist. In Bezug auf den geschilderten Fall eines Wahllokals mit bereits vor der Wahl installierter Überwachungskamera wurde die Regierung gebeten, solche Räumlichkeiten zukünftig grundsätzlich nicht als Wahllokale zu nutzen. Gegen die Entscheidung des Hohen Hauses über einen gegen die Bundestags- oder Europawahl gerichteten Wahleinspruch ist, wie Sie alle wissen, die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig. Hier ist zurzeit ein Verfahren anhängig, das von einiger Bedeutung ist. Dabei geht es um die vom Ausschuss, wie eingangs erwähnt, bereits im Juni letzten Jahres abgeschlossene Prüfung der gegen die Europawahl gerichteten Einsprüche. In dem konkreten Fall wendet sich der Einspruchsführer gegen die Fünf-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht. Hierzu hat es vor einigen Wochen eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegeben, an der neben Mitgliedern des Bundestages auch deutsche Abgeordnete des Europaparlaments teilgenommen haben, die dem Gericht wertvolle Eindrücke aus der Praxis des Europäischen Parlaments schildern konnten. Eine Prognose über den Ausgang dieses Verfahrens in Karlsruhe möchte ich nicht wagen. Zum Abschluss der Wahlprüfung möchte ich die sachliche Atmosphäre, die bei den Beratungen im Ausschuss herrschte, ebenso hervorheben wie die Tatsache, dass im Hinblick auf das Ergebnis der meisten Wahlprüfungsentscheidungen im Ausschuss ein breiter, parteiübergreifender Konsens bestand. Deshalb möchte ich mich bei der Kollegin und den Kollegen im Wahlprüfungsausschuss herzlich für die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Außerdem danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats für ihre gute Arbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie nun, den Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses Ihre Zustimmung zu geben. Danke sehr fürs Zuhören. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das haben wir auch gemacht. Insofern wird dieser Bitte in der Tat entsprochen. Jetzt kommen wir aber noch zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6450. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke? - Das ist die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Enthaltungen? Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist somit abgelehnt. Tagesordnungspunkt 54 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({0}) Übersicht 5 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 17/6453 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und die Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 580, davon gültig 577. Mit Ja haben gestimmt 517, mit Nein 33, Enthaltungen 27. Ungültige Stimmkarten 3. Die Abgeordnete Priska Hinz ({1}) hat die erforderliche Mehrheit von 311 Stimmen er- reicht. Sie ist damit als Mitglied des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes gewählt.1) Wir fahren in der Tagesordnung fort. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 54 j bis 54 q. Sie betreffen die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 54 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 287 zu Petitionen - Drucksache 17/6323 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Sozialdemokraten und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Damit ist die Sammelübersicht angenommen. Tagesordnungspunkt 54 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3. Vizepräsident Eduard Oswald Sammelübersicht 288 zu Petitionen - Drucksache 17/6324 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, SPD-Fraktion und Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/ Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand. Die Sammelübersicht ist somit angenommen. Tagesordnungspunkt 54 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 289 zu Petitionen - Drucksache 17/6325 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist die Sammelübersicht angenommen. Tagesordnungspunkt 54 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 290 zu Petitionen - Drucksache 17/6326 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist die Sammelübersicht angenommen. Tagesordnungspunkt 54 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 291 zu Petitionen - Drucksache 17/6327 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - SPD und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Die Sammelübersicht ist somit angenommen. Tagesordnungspunkt 54 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 292 zu Petitionen - Drucksache 17/6328 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Linksfraktion. Somit ist die Sammelübersicht angenommen. Tagesordnungspunkt 54 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 293 zu Petitionen - Drucksache 17/6329 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Die Sammelübersicht ist somit angenommen. Tagesordnungspunkt 54 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 294 zu Petitionen - Drucksache 17/6330 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Die Sammelübersicht ist somit angenommen. Zusatzpunkt 6 a: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grenzüberschreitende Bürgerrechte beim Atomkraftwerksprojekt Temelín 3 und 4 - Drucksache 17/6481 Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist der Antrag abgelehnt. Zusatzpunkt 6 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10}) - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Mobilität nachhaltig sichern - Elektromobilität fördern - zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Kumpf, Wolfgang Tiefensee, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nachhaltige Mobilität fördern - Elektromobilität vorantreiben - zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Petra Sitte, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Klimaschutz im Verkehr braucht wesentlich mehr als Elektroautos - zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Valerie Wilms, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit grüner Elektromobilität ins postfossile Zeitalter - Drucksachen 17/3479, 17/3647, 17/2022, 17/1164, 17/6441 Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Beckmeyer Vizepräsident Eduard Oswald Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/3479 mit dem Titel „Mobilität nachhaltig sichern - Elektromobilität fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Fraktion Die Linke. Enthaltungen? Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist somit angenommen. Wir sind noch beim Zusatzpunkt 6 b. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3647 mit dem Titel „Nachhaltige Mobilität fördern - Elektromobilität vorantreiben“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Linksfraktion. Gegenprobe! - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Das sind Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2022 mit dem Titel „Klimaschutz im Verkehr braucht wesentlich mehr als Elektroautos“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Die Linksfraktion. Enthaltungen? Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir sind immer noch beim Zusatzpunkt 6 b. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1164 mit dem Titel „Mit grüner Elektromobilität ins postfossile Zeitalter“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 6 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 295 zu Petitionen - Drucksache 17/6469 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und alle anderen Fraktionen dieses Hauses. Vorsichtshalber frage ich: Wer stimmt dagegen? - Niemand. Stimmenthaltungen? - Auch niemand. Somit ist die Sammelübersicht 295 angenommen. Zusatzpunkt 6 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 296 zu Petitionen - Drucksache 17/6470 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und alle anderen Fraktionen des Hauses. Vorsichtshalber: Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Keine. Somit ist die Sammelübersicht 296 angenommen. Zusatzpunkt 6 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 297 zu Petitionen - Drucksache 17/6471 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? Linksfraktion. Stimmenthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Die Sammelübersicht 297 ist somit angenommen. Zusatzpunkt 6 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 298 zu Petitionen - Drucksache 17/6472 Wer stimmt dafür? - Die Koalitionsfraktionen und alle anderen Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Stimmenthaltungen? - Auch niemand. Die Sammelübersicht 298 ist somit angenommen. Zusatzpunkt 6 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 299 zu Petitionen - Drucksache 17/6473 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und alle anderen Fraktionen des Hauses. Ich frage vorsichtshalber: Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Auch niemand. Die Sammelübersicht 299 ist somit angenommen. Zusatzpunkt 6 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 300 zu Petitionen - Drucksache 17/6474 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand. Die Sammelübersicht 300 ist somit angenommen. Zusatzpunkt 6 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 301 zu Petitionen - Drucksache 17/6475 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten. Wer stimmt Vizepräsident Eduard Oswald dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Die Sammelübersicht 301 ist somit angenommen. Zusatzpunkt 6 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 302 zu Petitionen - Drucksache 17/6476 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist die Sammelübersicht 302 angenommen. Zusatzpunkt 6 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 303 zu Petitionen - Drucksache 17/6477 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist die Sammelübersicht 303 angenommen. Zusatzpunkt 6 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 304 zu Petitionen - Drucksache 17/6478 Wer stimmt dafür? - Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist die Sammelübersicht 304 angenommen. - Jetzt haben wir es geschafft. Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Anhaltend positive Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der Debatte ist der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Kollege Volker Kauder. Bitte schön, Kollege Volker Kauder. ({21})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit einiger Zeit hören wir jeden Monat positive Arbeitsmarktzahlen. Außerdem können wir alle erkennen, dass es in Deutschland boomt. Eine der Lokomotiven, eine der Schlüsselindustrien - die deutsche Automobilwirtschaft -, meldet in diesen Tagen, dass sie in ihrer 125jährigen Geschichte das beste Absatzergebnis erwartet, das sie je hatte: 5,9 Millionen Autos sollen in Deutschland produziert werden. ({0}) Ein Erfolg ist nicht nur, dass so viele Autos verkauft werden, sondern auch, dass es Tausende von neuen Arbeitsplätzen in der deutschen Automobilindustrie gibt. ({1}) Dieses großartige Ergebnis einer klugen Politik, das sich übrigens auch in den Kassen der Sozialversicherungen auswirkt, weshalb wir in der Lage sein werden, die Beiträge zu senken und somit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlasten, ist eine große Gemeinschaftsleistung in diesem Land, eine Gemeinschaftsleistung von fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von risikofreudigen Unternehmern. ({2}) - Herr Kollege Heil, ich habe überhaupt keinen Grund, zu bestreiten, dass die SPD unter Führung einer CDUKanzlerin dazu in der Lage ist, dem Land etwas Gutes zu tun. ({3}) Aber allein können Sie es auf gar keinen Fall, ({4}) und mit Grün zusammen wird es ohnehin nichts. ({5}) Wir haben zum Schluss der Großen Koalition tatsächlich ein paar richtige Entscheidungen getroffen. ({6}) Es war diese Regierungskoalition, die angesichts des drohenden Anstiegs der Arbeitslosigkeit aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise mit einer guten Politik - wir haben die Kurzarbeit erleichtert - dafür gesorgt hat, ({7}) dass die Menschen im Boot bleiben konnten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beieinander bleiben und eine gute Zukunft haben. ({8}) - Herr Heil, Sie sollten hier nicht so herumschreien. Sie sind nachher an der Reihe. ({9}) Wenn Sie wollen, dass Herr Steinbrück Kanzlerkandidat wird, können Sie es nachher hier sagen und mit Herrn Steinmeier klären, warum Sie dafür und nicht für etwas anderes sind. ({10}) Ich glaube, das ist genau das, was die Menschen irritiert. Die Menschen sind nämlich stolz auf das, was sie miteinander erreicht haben. ({11}) Sie wollen nicht solche Leute, die so herumbrüllen und ihnen damit den notwendigen Respekt versagen. ({12}) Herr Heil, es bleibt dabei: Die Deutschen sind stolz auf das, was sie erreicht haben, und darauf, dass sie besser aus der Wirtschaftskrise herausgekommen sind als andere in Europa. Mit Ihnen hat dies wahrhaftig nichts zu tun. Gar nichts hat das mit Ihnen zu tun. ({13}) Wir lassen uns da auch gar nicht beirren. ({14}) Wir haben jetzt die große Aufgabe, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen, welche Konsequenzen der Altersaufbau in unserem Land hat und was die demografische Veränderung verlangt, damit wir auch in Zukunft genügend Menschen in Ausbildung bekommen, damit wir genügend Facharbeiterinnen und Facharbeiter haben. ({15}) Deswegen ist es nur konsequent - da kann ich die Sozialdemokraten überhaupt nicht verstehen -, dass wir sagen: Diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und die jetzt Lohnerhöhungen bekommen, ({16}) sollen von diesen Lohnerhöhungen auch etwas mehr haben als nur ein paar zusätzliche Prozent. ({17}) Wir werden die schnell steigende Progression korrigieren. Dies ist eine Frage der Gerechtigkeit. ({18}) Dagegen können Sie lang polemisieren. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir stoßen beim Handwerk und bei der Wirtschaft auf Zustimmung. ({19}) Dort sagt man: Jawohl, wenn die Menschen von uns schon einen guten Lohn bekommen, dann sollen sie auch etwas haben. Dafür sorgt diese Regierungskoalition. ({20}) So weit müssen Sie es erst einmal bringen. Gestern Abend wurde im deutschen Fernsehen eine von der Unionsfraktion herausgebrachte Broschüre dargestellt, in der gezeigt wird: Dem Land geht es gut. In der Sendung wurde das bestätigt. Es wurde gesagt: Das ist richtig. Deutschland geht es gut. Daran haben alle ihren Anteil. ({21}) Die Deutschen sind stolz darauf, dass sie dies erreicht haben, und das lassen sie sich von Ihnen nicht wegbrüllen. ({22}) Damit können wir zeigen: Diese Regierungskoalition ist gut für unser Land. ({23})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Juratovic für die SPD-Fraktion. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauder, ich werde das Gefühl nicht los, dass jetzt, vor der Sommerpause, mit dieser Aktuellen Stunde der schlechte Ruf der Bundesregierung etwas aufpoliert werden soll. ({0}) Lassen Sie uns in Ruhe und Sachlichkeit weitermachen. ({1}) Es stimmt, dass wir, was die nackten Zahlen betrifft, noch nie eine so hohe Beschäftigungsquote hatten. Es ist allerdings fraglich, welche Bundesregierung dafür die Weichen gestellt hat. Fraglich ist auch, wie viel Einfluss wir Politiker tatsächlich auf die konjunkturelle Lage haben. Aber das nur am Rande. Was eine Bundesregierung tatsächlich beeinflussen kann, ist die Arbeitsqualität und somit die Lebensqualität der Menschen in unserem Land. Doch dazu später. Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die Zahlen werfen: Wir haben 40,8 Millionen Erwerbstätige. Davon sind über 4 Millionen Selbstständige, darunter viele Scheinselbstständige. Von den 36 Millionen abhängig Beschäftigten sind 23,5 Millionen in Vollzeit; also sind knapp 13 Millionen in verschiedenen Teilzeitarbeitsverhältnissen tätig. Jede dritte Stelle, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet ist, ist ein Leiharbeitsverhältnis. 1,4 Millionen Menschen, darunter 300 000 Vollzeitbeschäftigte, müssen trotz Arbeit zusätzlich zum Sozialamt, um sich und ihre Familie ernähren zu können, wenn sie sich überhaupt noch eine Familie leisten können. Diese Zahlen verdeutlichen, dass das Jobwunder, von dem die Bundesregierung immer spricht, ein Jobwunder der prekären Beschäftigung ist. ({2}) Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie wundern sich wahrscheinlich, warum viele Menschen trotz der Rekordzahlen der Erwerbstätigen unzufrieden sind und das Vertrauen in Ihre Politik verloren haben. Das liegt auf der Hand: weil dieser Bundesregierung der Kompass aus Menschenwürde, Gerechtigkeit, Fairness und Wertschätzung der Arbeit völlig abhandengekommen ist. ({3}) Das Menschenrecht auf eine würdevolle Arbeit spielt in dieser Bundesregierung so gut wie keine Rolle mehr. Das Einzige, was zählt, sind Zahlen und geschönte Statistiken. ({4}) Die Menschen spüren das, und sie merken, dass in der Politik der Bundesregierung nicht das Schicksal jedes einzelnen Menschen zählt. Die Menschen in unserem Land hatten viel Verständnis für Probleme während der Wirtschaftskrise. Aber sie haben zu Recht kein Verständnis dafür, dass es jetzt, nach der Krise, auf dem Arbeitsmarkt immer noch ungerecht zugeht. Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Praktika, Minijobs, Arbeit auf Abruf und Hungerlöhne sind zum selbstverständlichen Kalkulationsgegenstand der Unternehmen geworden. Diese teils menschenunwürdigen Beschäftigungsverhältnisse werden von der Bundesregierung geduldet, da die Unternehmen behaupten, sonst seien die Jobs in Deutschland nicht mehr bezahlbar. Der Mensch ist zum Kalkulationsgegenstand der Unternehmen verkommen. Aber auch im Facharbeiterbereich gibt es viele Menschen, die mit ihrem Lohn am Rande des Existenzminimums stehen. Auch bei gut verdienenden Akademikern machen sich alarmierende Arbeitsverhältnisse breit. Sie müssen rund um die Uhr erreichbar sein und haben keine Grenze mehr zwischen Arbeit und Privatleben. Daran scheitern viele Ehen. Psychische Erkrankungen und Burn-out nehmen immer weiter zu. Allen, die sich über die Wachstumsraten freuen, sage ich: Diese Zahlen sind das Zwischenergebnis dieser erschreckenden Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Das Endergebnis dieser Entwicklungen muss unsere Gesellschaft bezahlen, wenn wir es mit Altersarmut wegen prekärer Beschäftigung, Erwerbsunfähigkeit und vielen sozialen Problemen durch gescheiterte Familien zu tun haben. Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass sich manch einer in der Bundesregierung nur schwer vorstellen kann, worüber der Fließbandarbeiter hier am Rednerpult spricht. Ich kann Ihnen dazu einen Tipp geben: Reden Sie mal mit den Fahrern aus unserem Fahrdienst, mit den Reinigungskräften und dem Wachpersonal! ({5}) Sie werden sehen, dass all das, worüber ich rede, inzwischen über externe Dienstleister auch im Bundestag Einzug gehalten hat. Hier sind wir als Auftraggeber dafür verantwortlich, gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne umzusetzen. Damit könnten wir ein Beispiel für andere Arbeitgeber in unserem Land sein, ({6}) und damit könnte die Politik wieder Glaubwürdigkeit bei den Menschen zurückgewinnen. Dazu könnte auch die sofortige Einführung des von der SPD geforderten flächendeckenden Mindestlohnes beitragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen schöne Tage in der Sommerpause. Von der Bundesregierung erwarte ich allerdings, dass sie sich ausreichend Zeit zum Nachsitzen nimmt, damit wir zu mehr Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt kommen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer Brüderle. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland ist Wachstumsland. ({0}) - Herr Heil, Ihr Vorgänger als König der Zwischenrufer in der SPD war Herr Tauss. ({1}) Ich hätte nicht gedacht, dass das Niveau von Herrn Tauss noch unterboten werden kann. ({2}) Sie unterbieten es. Sie belegen das durch Ihre Zwischenrufe. ({3}) Deutschland ist Wachstumsland. ({4}) Das Gewerkschaftsinstitut - nicht die Regierung! - prognostiziert 4 Prozent reales Wachstum für dieses Jahr. ({5}) Aber eines ist sicher: Der XL-Aufschwung setzt sich megamäßig fort. Die Rekordmarke vom letzten Jahr mit 3,5 Prozent können wir in diesem Jahr wieder erreichen. Schwarz-Gelb sorgt dafür. Der XL-Aufschwung ist extra stark und extra lang. ({6}) Das ganze Land freut sich. Wir können stolz darauf sein, dass unsere fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dies möglich machen. Wir können stolz darauf sein, dass unsere Industrie, Mittelstand und Handwerk - alle erfolgreich! - dies möglich machen. Wir können stolz darauf sein, dass unser Land das erreicht. Nur die Opposition miesepetert vor sich hin ({7}) und versucht, das schlechtzureden, das Land schlechtzureden, die Leistung schlechtzureden. Herr Gabriel hat noch im letzten Jahr von der Abschwungspirale der schwarz-gelben Regierung schwadroniert. ({8}) Das Gegenteil ist der Fall: Schnellstraße zur Vollbeschäftigung! Deutschland wird Vollbeschäftigungsland. ({9}) - Auch wenn Sie schreien: Das ist die Realität. Wir belegen das. ({10}) Der Herr Steinmeier sieht das übrigens genauso; ich verweise auf seine Äußerungen in der Süddeutschen Zeitung. Er ist eben der Vernunftbegabte in der Sozialdemokratie. Vernunft macht aber bei Ihnen in der SPD sehr einsam. ({11}) Deutschland hat noch nie so viele Menschen in Beschäftigung gehabt wie jetzt. ({12}) 40,9 Millionen Arbeitsplätze gab es noch nie in Deutschland. Wir werden im nächsten Jahr mit 41 Millionen alle Beschäftigungsrekorde brechen. Die Arbeitslosenquote in Deutschland ist so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr. ({13}) Das ist der Erfolg einer gemeinsamen Anstrengung und einer gemeinsamen Politik. ({14}) Schwarz-Gelb macht Vollbeschäftigungspolitik. GrünRot war Massenarbeitslosigkeit. Schwarz-Gelb ist Vollbeschäftigung. Das ist der Unterschied. Wir haben mit Steuerentlastungen in Höhe von 24 Milliarden Euro das Wachstum beschleunigt. ({15}) Wir werden noch eine Schippe drauflegen. Wir entlasten die Mitte bei Steuern und Abgaben. Wir befreien die unteren und mittleren Einkommen von der kalten Progression. ({16}) Ich bin sehr gespannt, wie die SPD dem Monteur bei Bosch, dem Bandarbeiter bei Volkswagen oder der Krankenschwester im Krankenhaus erklären wird, dass sie von den Lohnzuwächsen nichts übrig behalten, weil sie in die nächste Progressionsstufe kommen, weil das wegbesteuert wird. ({17}) Sie verweigern den kleinen und mittleren Einkommen, Anteil am Aufschwung zu haben. ({18}) Sie wollen das nur bei den Konzernen und den Finanzministern haben, aber nicht bei den hart arbeitenden Menschen im Lande. Das ist Ihre Politik. ({19}) Sie verweigern Teilhabe am Aufschwung in Deutschland. ({20}) Wir stabilisieren die Binnennachfrage, um diesen Wachstumspfad langfristig fortsetzen zu können. ({21}) Das ist unsere erfolgreiche Politik. Sie schwadronieren aber nur davon, dass das „auf Pump“ geschehe. Die größte Pumpstation ist Ihr Möchtegernkanzlerkandidat Steinbrück. Er hat 86 Milliarden Euro Neuverschuldung zu verantworten. Wir stehen jetzt bei 27 Milliarden Euro, und die Neuverschuldung wird weiter heruntergehen. Das ist der Unterschied zwischen uns. ({22}) Einen Verfassungsbruch können Sie in NordrheinWestfalen, durch das dortige Verfassungsgericht bestätigt, erleben. Wir müssen Ihren Kollegen dort mit Bundesmitteln helfen, damit die WestLB nicht in Konkurs geht. ({23}) Ihre Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ist dazu nicht in der Lage. Das ist Sozial- und Haushaltspolitik à la SPD. ({24}) Die Agenda in Deutschland hat sich völlig gewandelt. Unsere Themen sind jetzt Fachkräftemangel. ({25}) Unser Thema ist nicht der Mangel an Ausbildungsplätzen, sondern ein Mangel an Auszubildenden. ({26}) Deshalb müssen wir die Reserve im Land mobilisieren, die Ausbildungsreife weiter steigern und die inländischen Potenziale stärken. Wir müssen auch die Hinzuverdienstmöglichkeiten für die Rentner erweitern. Außerdem müssen wir der Bundesagentur für Arbeit einmal Beine machen. Bei 5 Millionen Arbeitslosen hatte sie 90 000 Beschäftigte. Jetzt gibt es über 2 Millionen Arbeitslose weniger, und die Bundesagentur hat 115 000 Beschäftigte. ({27}) Das kann nicht angehen; dieser Trend muss umgekehrt werden. Jetzt endlich fangen sie damit an. ({28}) Das sind die Entlastungspotenziale, die wir im Haushalt brauchen. In der Bundesagentur wird zu viel verwaltet und zu wenig vermittelt. Das muss sich ändern. ({29}) Wer hat denn die 1-Euro-Jobs eingeführt, Herr Heil? Das war Grün-Rot. Wir schaffen Vollbeschäftigung und ordentliche Arbeitsverhältnisse. ({30}) Sie haben die 1-Euro-Jobs geschaffen und anschließend die betreffenden Menschen stigmatisiert. Wer hat denn die Veränderungsprozesse eingeleitet, die zu prekären Arbeitsverhältnissen geführt haben? Das waren Sie. ({31}) Wir machen aus 1-Euro-Jobs Dauerarbeitsplätze. Das entspricht der Menschenwürde. ({32}) Ich bekenne mich klar zu Wachstum; ich finde Wachstum prima. Wachstum ist toll. Wir brauchen es. Wer wie die Grünen meint, mit Nullwachstum die Lebensqualität verbessern zu können, der irrt. Für sie ist es vielleicht ein freudiges Erlebnis - aber dies gilt nicht für Deutschland und Bayern -, dass unser Land den Zuschlag für die Olympischen Spiele nicht bekommen hat. Sie wollten die Olympiade nicht haben, weil sie nicht einmal diese den Menschen in Deutschland gönnen. Gönnen Sie, meine Damen und Herren, den Menschen wenigstens, was wir für sie tun! Bekennen Sie sich dazu, dass wir in Deutschland eine erfolgreiche Politik machen! ({33})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Steffen Bockhahn für die Fraktion Die Linke. ({0})

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um an Herrn Brüderle anzuknüpfen: Es stimmt, Deutschland freut sich über die konstant niedrigen Umfragewerte der FDP. Sie liegen sauber unter 5 Prozent. Sie haben gerade bewiesen, warum. ({0}) 52 Prozent der Beschäftigten in der Bundesrepublik Deutschland unterliegen noch Branchen- oder Haustari13946 fen. Das heißt, 48 Prozent der Beschäftigten unterliegen keinerlei tariflichem Schutz mehr. Das zeigt, in welche Richtung sich der Arbeitsmarkt entwickelt. Von 36 Millionen Beschäftigten hat ein Drittel nur Teilzeitjobs mit etwa 15 Wochenstunden. Wer soll denn davon leben? Das sind die Erfolge Ihrer Arbeitsmarktpolitik, die Sie hier feiern. Es gibt 1 Million Leiharbeiter in Deutschland, die keinen ausreichenden Schutz vor Kündigung haben und die keine ordentlichen Mitbestimmungsrechte haben. Das verkaufen Sie als Erfolg. Herr Brüderle und Herr Kauder, wenn Sie hier große Lohnerhöhungen für die kommenden Monate ankündigen, dann haben Sie vielleicht recht hinsichtlich der ganz wenigen Beschäftigten, die in der Exportwirtschaft arbeiten. Aber die vielen Menschen, die in den Dienstleistungsberufen und in den sozialen Berufen arbeiten, haben seit Jahren brutal sinkende Löhne, was zu einer weiteren Verarmung dieser Menschen führt, die eine so wichtige Arbeit machen. Das ist das Ergebnis Ihrer Arbeitsmarktpolitik. ({1}) In Mecklenburg-Vorpommern, dem bekanntlich schönsten Bundesland, ({2}) geht es vielen Menschen nicht so gut. 45 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in MecklenburgVorpommern, also fast die Hälfte, arbeiten im Niedriglohnbereich. Etwa zwei Drittel aller unter 25-Jährigen arbeiten ebenfalls im Niedriglohnbereich. ({3}) - Um Ihre Frage zu beantworten: In Mecklenburg-Vorpommern regiert die CDU zusammen mit der SPD. Das ist richtig. ({4}) Ich habe kein Problem damit, dass die SPD da regiert, aber die brauchen künftig einen ordentlichen Koalitionspartner. Das wird, denke ich, nach dem 4. September auch wieder möglich sein. ({5}) Aber um Ihnen zu sagen, was das bedeutet: In Mecklenburg-Vorpommern erhält man bei einer 40-StundenWoche nur etwa 1 000 Euro brutto im Monat - nicht in der Woche, im Monat! 1 000 Euro brutto für Vollerwerbsarbeit - das ist unwürdig. Es ist unwürdig, dafür Leute arbeiten zu schicken, und es ist kein Erfolg, wenn man solche Arbeitsplätze schafft. ({6}) Man kann sehr wohl etwas dagegen tun. Man könnte zum Beispiel mal damit anfangen, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen gleichzeitig einzuführen. Das wäre ein Schutz für all diejenigen, die, wie ich eingangs erwähnte, dieser tariflichen Bindung nicht mehr unterliegen. Das wäre eine vernünftige Maßnahme auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. ({7}) In Richtung SPD muss ich aber - das tut mir leid - sagen, dass ich nicht verstehe, warum Sie gerade wieder Mindestlöhnen zugestimmt haben, die im Osten und im Westen unterschiedlich hoch sind - und dann auch noch in der Leiharbeit. Das funktioniert leider auch nicht. Das müssen Sie noch mal überdenken. ({8}) Ich glaube aber, dass Ihre vermeintlichen Erfolge am Arbeitsmarkt noch zu ganz anderen Problemen führen. Laut Statistik haben wir etwa 3 Millionen Arbeitslose. Das ist ein Erfolg, sagen Sie. Das Problem ist, dass die Zahl, wenn Sie sich einmal anschauen, wen Sie alles nicht mehr in die Statistik hineinrechnen, plötzlich nicht mehr so kuschelig wirkt. ({9}) Wen betrifft das also? Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 58 Jahre tauchen nicht mehr in Ihrer Statistik auf. Leute, die gerade Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung haben, also 1-Euro-Jobber, werden da nicht mehr eingerechnet. ({10}) Leute, die in Bildungsmaßnahmen sind, werden da nicht mehr eingerechnet. Aber noch verrückter ist - das finde ich besonders toll -, Arbeitslose, die krankgeschrieben sind, sind nicht mehr arbeitslos. Die werden in die Statistik nicht eingerechnet. Da drücken Sie jeden Monat 70 000 bis 80 000 Arbeitslose aus der Statistik. Ihre Statistiken sind nicht ehrlich. Wir haben etwa 4 Millionen fehlende Arbeitsplätze in Deutschland, wir haben 4 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Das ist der Erfolg Ihrer Politik. Das ist aber kein Erfolg; denn er führt dazu, dass die Kommunen gravierende Probleme bekommen. Es mag Sie verwundern, dass ich das sage. Aber das Problem sind die vielen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, die vielen Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten gerade im Bereich des Tourismus, gerade im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes. Die gehen als Aufstockerinnen und Aufstocker zum Jobcenter. Ich weiß nicht, Herr Brüderle, ob Ihnen das klar ist, wenn Sie die Lohnerfolge so bejubeln: 13 Milliarden Euro - 13 Milliarden Euro! - geben wir in jedem Jahr für Aufstockerinnen und Aufstocker im Hartz-IV-Bezug aus. ({11}) Das sind 13 Milliarden Euro direkte Lohnsubvention an die Unternehmerinnen und Unternehmer. Ich finde, das Geld ist falsch angelegt. Ich glaube, damit könnten wir Besseres machen. ({12}) Meine Damen und Herren, das nächste Problem in dem Bereich besteht darin, dass den Kommunen dieses Geld, das sie unter anderem mit aufwenden müssen, um diese Armut trotz Arbeit auszugleichen, fehlt, um Schulen zu sanieren, um Sportplätze offen und in einem guten Zustand zu halten, das fehlt, um Kulturarbeit zu ermöglichen, das fehlt an allen Ecken und Enden. Ihre Arbeitsmarktpolitik führt nicht nur zu einer stärkeren Spaltung in Arm und Reich, Ihre Arbeitsmarktpolitik führt nicht nur dazu, dass Menschen in Armut leben, obwohl sie arbeiten, sondern Ihre Arbeitsmarktpolitik führt auch dazu, dass die Kommunen in Deutschland pleite sind und damit das Land von unten her kaputtgeht. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kauder, Herr Brüderle, ich verstehe Sie ja. Ich kann verstehen, ({0}) dass die Bundesregierung jetzt kurz vor der parlamentarischen Sommerpause noch einmal versucht, sich im schönen Schein der Arbeitsmarktpolitik zu sonnen. Also: Wenn eine Bundesregierung so eine katastrophale Zwischenbilanz vorlegt, ({1}) wenn eine Bundesregierung so ein schlechtes Ansehen selbst bei Topmanagern hat, wenn der Streit bei den Koalitionspartnern einfach nicht enden will, dann kann ich verstehen, dass Sie versuchen, das mit dieser Bilanz zu überdecken. Aber Sie wissen natürlich schon, dass die offiziellen Arbeitsmarktzahlen auch nur ein Teil der Wahrheit sind. Der andere Teil der Wahrheit ist das Problem der Langzeitarbeitslosen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, Herr Brüderle, dass Deutschland zu den Ländern gehört, in denen die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu allen anderen OECD-Ländern im Durchschnitt am längsten andauert. Nur noch die Slowakei ist schlechter als wir. ({2}) Sie, Herr Brüderle, haben dann davon geredet, dass wir mehr Ausbildungsplätze als Auszubildende haben. Ich will Ihnen an dieser Stelle einmal sagen, dass immerhin noch 17 Prozent der 25- bis 29-Jährigen weder einen Arbeits- noch einen Ausbildungsplatz haben. 6,5 Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnbereich. Hunderttausende Menschen arbeiten als Leiharbeiter und machen bei den Aufstockern die größte Gruppe aus. Jeder fünfte Job in Deutschland ist inzwischen ein Minijob. Hinter dem deutschen Jobwunder verbirgt sich in Wahrheit also ein zutiefst gespaltener Arbeitsmarkt. Dagegen unternehmen Sie rein gar nichts. ({3}) Diese Spaltung findet in doppelter Hinsicht statt. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die gut qualifiziert sind, die mobil sind und die in der Tat glänzende Aussichten haben. Auf der anderen Seite gibt es aber auch diejenigen, die gering qualifiziert sind, die langzeitarbeitslos sind und die trotz Aufschwung noch immer keinen Arbeitsplatz gefunden haben. Für diese Menschen tun Sie gar nichts. Das nehmen wir nicht hin. ({4}) Die Spaltung setzt sich im Übrigen auch bei denen fort, die Teilnehmer des Arbeitsmarktes sind, nämlich zwischen der Stammbelegschaft und der Randbelegschaft. Die einen verdienen relativ gut und arbeiten zu fairen Bedingungen. Die anderen arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen. An dieser Stelle gibt es gar keine Durchlässigkeit. Ich sage Ihnen: Arbeitsmarktpolitik fängt nicht damit an, dass Sie sich für den Aufschwung bejubeln lassen. Arbeitsmarktpolitik fängt damit an, dass Sie beginnen, diese Spaltung zu überwinden. Und genau an dieser Stelle haben Sie eine negative Bilanz. ({5}) Doch gerade hier könnte Arbeitsmarktpolitik zeigen, was sie kann. Herr Brüderle, Sie reden davon, dass Deutschland ein Land ist, das Vollbeschäftigung erreichen kann. Das finde ich auch. Aber nicht mit dieser Regierung! ({6}) Denn das Versagen Ihrer Arbeitsmarktpolitik zeigt sich an folgender Situation: ({7}) Sie haben auf der einen Seite einen Fachkräftemangel und auf der anderen Seite gleichzeitig eine hohe Arbeitslosigkeit. Daran wird das Versagen dieser Regierung deutlich. Daran wird das Versagen Ihrer Arbeitsmarktpolitik deutlich. ({8}) Ich sage Ihnen etwas: Die Kürzung der Mittel in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, für die Sie sich gerade noch gerühmt haben, Herr Brüderle, ({9}) ist wirklich der falsche Weg. Damit treiben Sie die Spaltung des Arbeitsmarktes immer weiter voran. ({10}) Diese Regierung streicht das Geld für die Integration der Ärmsten der Armen. Genau damit, Herr Brüderle, sind Sie gerade dabei, den wirtschaftlichen Aufschwung zu gefährden. ({11}) Der Fachkräftemangel ist aktuell das größte Risiko für den wirtschaftlichen Aufschwung. ({12}) In genau dieser Situation wollen Sie jetzt die Steuern senken. ({13}) Gleichzeitig wollen Sie uns hier erzählen, dass die Steuersenkung insbesondere denen zugutekommt, die mittlere und geringe Einkommen haben. ({14}) Herr Brüderle, die Hälfte der Bevölkerung zahlt gar keine Steuern. Die haben von Ihrer Steuersenkung rein gar nichts. ({15}) Sie behaupten, Ihnen ginge es darum, dass die Beschäftigten ihren Anteil vom Aufschwung kriegen. Ihnen geht es aber ausschließlich um sich selbst. Ihnen geht es darum, dass Sie noch einen kleinen Anteil der Wählerstimmen kriegen. ({16}) Diese Steuersenkung ist nichts weiter als ein Reanimationsprogramm für die FDP. ({17}) Das wird aber nicht funktionieren. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Gerda Hasselfeldt spricht nun für die Unionsfraktion. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Jahren sagte unsere Bundeskanzlerin: Wir werden gestärkt aus der Krise herauskommen. - Heute können wir sagen: Sie hat damals schon recht gehabt. Wir sind nicht nur gut herausgekommen, sondern stehen heute besser da als viele andere Länder in unserer Nachbarschaft. Wir stehen besser da als vor der Krise. Das ist das Ergebnis. ({0}) All das ist kein Zufall und auch keine Selbstverständlichkeit, sondern es ist das Ergebnis von klugen Entscheidungen der Unternehmer ({1}) und zwar nicht nur der Manager in großen Unternehmen, sondern vieler mittelständischer Unternehmer -, die ihre Verantwortung ernst genommen und die ihre Arbeitnehmer nicht vorschnell entlassen haben. ({2}) Durch Unternehmensentscheidungen wurde so deutlich gemacht, dass auch in schwierigen Zeiten weiterhin auf Innovation und Forschung gesetzt wurde. ({3}) Es ist auch das Ergebnis von Tarifentscheidungen verantwortungsvoller Tarifpartner, das Ergebnis von fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - Volker Kauder hat darauf hingewiesen -; es ist das Ergebnis einer riesengroßen Gemeinschaftsleistung, auf das die Deutschen stolz sein können und wir mit ihnen stolz sein sollten. ({4}) Meine Damen und Herren, es ist auch das Ergebnis einer klugen Politik. Einiges wurde bereits in der letzten Legislaturperiode - das ist richtig - unter Kanzlerin Angela Merkel eingeleitet und in dieser Legislaturperiode fortgeführt. Es ist das Ergebnis einer Politik, die auf Regulierung des Finanzmarktes, auf Einsparungen in den öffentlichen Haushalten und auf konjunkturelle Belebung setzte. Dieses Zusammenspiel war es, das positive Signale nicht nur für die internationalen und nationalen Finanzmärkte, sondern auch für die Verbraucher und Investoren gegeben hat. Das ist eine riesengroße politische Leistung, die wir nicht gering schätzen sollten; denn sie hat zu diesem positiven Ergebnis beigetragen. ({5}) Die Gewinner dieser Politik sind die Arbeitsuchenden - wenn auch noch nicht alle, aber doch viele -, die in weiten Bereichen wieder eine Beschäftigung gefunden haben. Gewinner sind auch die Hochschulabsolventen, die Schulabsolventen und die Ausbildungsabsolventen. Gewinner sind diejenigen, die aus der Kurzarbeit wieder in die Vollzeitbeschäftigung wechseln konnten. Gewinner sind die Arbeitnehmer, die als ihren Anteil vom größer gewordenen Kuchen Lohn- und Gehaltserhöhungen erhielten. ({6}) Gewinner sind auch die Unternehmer, die durch zusätzliche Aufträge aus dem In- und Ausland wieder mehr Gewinne erzielen. Meine Damen und Herren, es wurde Politik für die Menschen gemacht. Das ist das Ergebnis dieser Politik. ({7}) Ganz persönlich sage ich Ihnen: Ich freue mich sehr, dass die Entwicklung in meiner Heimat, in Bayern, ganz besonders gut ist. Wir haben eine ganze Reihe von Regionen mit einer ganz geringen Arbeitslosenquote. Den Daten liegt übrigens die gleiche statistische Erhebungsweise zugrunde, die vor Jahren bereits galt; daran hat sich nichts geändert. Wenn Sie das alles schlechtreden wollen, dann will ich in dem Zusammenhang festhalten, dass es sich um die gleiche statistische Grundlage handelt. ({8}) Es gibt Regionen mit einer Arbeitslosenquote von unter 2 Prozent, in Eichstätt liegt sie sogar bei 1,2 Prozent. ({9}) Diese Zahl ist nicht gottgegeben, auch nicht in Bayern, ({10}) sondern es ist letztlich die Dividende einer weitsichtigen, klugen, über Jahrzehnte hinweg geleisteten regionalen Wirtschaftspolitik ({11}) eine Wirtschaftspolitik, die alle Regionen bedachte und die immer auf Bildung, Qualifikation und auf Innovation gesetzt hat. ({12}) An diesem Beispiel merken Sie, dass diese Erfolge nicht selbstverständlich sind und dass es auch nicht egal ist, wer Politik macht. Jetzt geht es darum, die durch den Aufschwung entstandene Situation zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Spielräume dafür gibt es in den Haushalten, aber auch in den Sozialversicherungen. Es geht darum, diese Spielräume richtig zu nutzen - für Haushaltskonsolidierungen, aber auch für die Herstellung von Gerechtigkeit. Die geplanten Entlastungen für die unteren und mittleren Einkommensschichten - sowohl im steuerlichen als auch im Sozialversicherungsbereich - sind eine Frage der Gerechtigkeit. Es wundert mich, wenn sich die Sozialdemokraten und die Grünen nun davon verabschieden. Ich habe in früheren Jahren - ich möchte fast sagen: in meinem früheren Leben - gelernt, dass sich gerade die Sozialdemokraten um die Anliegen der kleinen Leute gekümmert haben. Wo ist eigentlich Ihr Herz geblieben für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land? ({13}) - Es trifft Sie offensichtlich stark. Ich möchte Sie herzlich bitten, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns auf diesem Weg fortfahren. Wir haben Erfolge erzielt. Darauf sind wir stolz, und darauf werden wir auch künftig aufbauen. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Klaus Barthel hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, der Arbeitsmarkt entwickelt sich positiver als erwartet. Man könnte fast sagen: Diesen Aufschwung in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf. Das ist bei dieser Bundesregierung das eigentliche Beschäftigungswunder in diesem Land. ({0}) Wir haben die Vollbeschäftigung noch nicht erreicht. Es gibt enorme regionale Verwerfungen, Frau Hasselfeldt, gerade auch innerhalb von einzelnen Bundesländern, so etwa in Bayern, wo die Spannen zwischen den guten und den schlechten Arbeitsmarktregionen genauso groß sind wie zwischen Ost und West. In der ganzen Republik gibt es solche Orte, wo Sie die Strukturprobleme nicht in den Griff kriegen. Die Arbeitslosigkeit in Oberfranken schießt nur deshalb nicht durch die 10-Prozent-Decke, weil die Menschen dort weg- und den Arbeitsplätzen hinterherziehen. Das ist ein Problem auf dem Arbeitsmarkt. ({1}) Weiterhin haben wir es mit der Prekarisierung, mit der Polarisierung, mit dem hohen Sockel an Langzeitarbeitslosigkeit und mit den verdorbenen Preisen auf dem Arbeitsmarkt, also den niedrigen Löhnen, zu tun. Aber richtig ist eines - das müssen wir heute auch festhalten -: Vollbeschäftigung rückt in greifbare Nähe. Es gab Sozialdemokraten, die das schon vor vier, fünf, sechs Jahren gesagt haben und die damals als Utopisten verlacht worden sind. Aber wir wollen festhalten: Wir kämpfen weiter für das Ziel der Vollbeschäftigung. Die Ursachen für den Erfolg müssen wir uns aber noch einmal genauer anschauen, weil es ja nicht die Arbeitsmarktpolitik im engeren Sinne war, durch die der Erfolg erzielt worden ist; denn noch so viel Druck auf Arbeitslose, noch so viele Leistungskürzungen, noch so viel Flexibilisierung bringen nichts, solange die Wirtschaft nicht läuft und solange nicht tatsächlich die Arbeitsplätze da sind. Um es mit Bill Clinton zu sagen: It’s the economy, stupid! ({2}) Das heißt aber gerade nicht, dass sich der Staat und die Politik heraushalten dürfen oder heraushalten können. Im Gegenteil: Gerade die letzten drei Jahre zeigen doch, dass der Staat die richtigen makroökonomischen Impulse setzen muss, dass er antizyklisch in die Wirtschaft eingreifen muss. Deswegen haben wir in der Großen Koalition durchgesetzt, dass erstens die unteren Einkommen gestützt wurden, dass zweitens Konjunkturprogramme aufgelegt wurden, dass drittens eine expansive Haushaltspolitik gemacht wurde, eine antizyklische, ({3}) und zwar unter dem vehementen Protest der FDP und von Herrn Brüderle - wir können uns alle noch gut daran erinnern - und dass viertens eine Kurzarbeiterregelung eingeführt wurde. Genau dieses klassisch keynesianische Teufelszeug hat uns gestärkt aus der Krise herausgebracht. Das ist die Tatsache, vor der wir heute stehen. ({4}) Die verteufelten Konjunkturprogramme wirken heute noch nach, und sie haben wieder einmal enorme Hebelwirkungen bewiesen. Es hat sich in der Städtebauförderung, in der energetischen Gebäudesanierung, bei der öffentlichen Infrastruktur gezeigt, dass ein ausgegebener Euro für solche Programme 7, 8, 9 Euro an Investitionen in Bewegung setzt. Genau das ist der Unterschied zu den Hotelsteuergeschenken, bei denen die Proportion genau umgekehrt ist. Wir haben mit der Kurzarbeiterregelung gezeigt - damals waren rechnerisch eigentlich 2 Millionen Arbeitsplätze übrig -, dass Flexibilität in der Arbeit, Flexibilität im Betrieb stattfinden muss und dass es keine externe Flexibilität durch Hire and Fire geben darf. Wir haben das mit Arbeitszeitkonten und mit dem Kurzarbeitergeld gemacht. Diese Flexibilität hat auf der Grundlage von Sicherheit und von Mitbestimmung stattgefunden, mit den Gewerkschaften, mit den Betriebsräten und nicht gegen sie. ({5}) Das hat erstens bewiesen, dass so etwas nur auf der Grundlage von stabilen, geregelten und mitbestimmten Arbeitsverhältnissen möglich ist. Das hat zweitens bewiesen, dass das Teufelszeug Arbeitszeitverkürzung im Zweifelsfall sehr wohl Arbeitsplätze sichern kann und nicht gefährdet. Das steht ja ganz im Gegensatz zu dem, was hier immer behauptet wird. Ich komme zu den Konsequenzen, die wir auch aus der heutigen Debatte ziehen müssen. Wir sind gespannt, was im Sommer passiert. Es ist doch völlig pervers, ({6}) was die Bundesregierung im Moment mit der EU-Kommission und anderen in Europa treibt: Trotz der Erfahrungen, die wir gemacht haben, zwingen Sie die Griechen, Portugiesen und Spanier genau das Gegenteil von dem zu tun, was bei uns positiv gewirkt hat. Sie zwingen sie, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und den Kündigungsschutz kaputtzumachen. Sparen, sparen, umverteilen! Sie zerschlagen die Tarifautonomie und reden einer Politik der dezentralen Lohnfindung das Wort. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir hier erfolgreich gemacht haben. Die erste Konsequenz lautet: Wir brauchen eine Neuorientierung in der europäischen Wirtschaftspolitik. Zur zweiten Konsequenz. Nur die Binnenwirtschaft kann auf Dauer den Aufschwung tragen. Wir dürfen uns nicht weiter von der Konjunktur in China, in den europäischen Nachbarländern und den USA, also vom Export, abhängig machen. Wir müssen die Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz abbauen. Die Binnennachfrage ist die Achillesferse des Aufschwungs. Schauen wir uns einmal die Zahlen zum ersten Quartal an: ein Plus von 1,9 Prozent beim privaten Konsum, ein Plus von 13 Prozent bei den Exporten. Das heißt, da gibt es ein riesiges Ungleichgewicht. Jeder kann sich vorstellen, was passiert, wenn die Stimmung bei den Exporten abkühlt. Letzte Bemerkung. Die Löhne brauchen natürlich einen Schub. Sie werden sagen: Das ist Sache der Tarifvertragsparteien. Wir alle wissen aber ganz genau - das wurde schon angesprochen -, von welchen Rahmenbedingungen die Lohnfindung abhängt. Jetzt wäre eigentlich die Kanzlerin gefordert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Barthel, es genügt nicht, dass Sie mir signalisieren, dass Sie mein Signal sehen. Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin beim letzten Satz. ({0}) Man kann nicht durch die Weltgeschichte reisen, die Gewerkschaften preisen, von den Erfolgen, die man daheim aufgrund der Sozialpartnerschaft erreicht hat, erzählen und dann, wenn man wieder nach Hause zurückkommt, die Gewerkschaften sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am ausgestreckten Arm zappeln lassen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Heinrich Kolb hat für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst der Kollegin Gerda Hasselfeldt sehr herzlich zu ihrem heutigen Geburtstag gratulieren. ({0}) Frau Kollegin Hasselfeldt, ich glaube, man hat Ihrer charmanten Rede angemerkt, dass Sie sich gar kein schöneres Geburtstagsgeschenk hätten wünschen können als die Arbeitsmarktbilanz, über die wir heute hier reden. ({1}) Man muss einmal die Zahlen nennen. Frau Kollegin Pothmer, Sie wollen immer alles schlechtmachen. Eines ist klar: In Ihrer Dagegen-Republik würde es nie Vollbeschäftigung geben. ({2}) Wir sind auf einem guten Weg. Die Zahlen sehen so aus: Im April sind 40,7 Millionen Menschen in diesem Land erwerbstätig gewesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist Rekordniveau. ({3}) 28,233 Millionen Menschen waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auch das ist Rekordniveau. All das wirkt in einer Art und Weise zusammen, wie wir es uns nur wünschen können: Die Steuern sprudeln. Wir erleben, dass sich die Haushaltskassen, aber auch die Kassen der Sozialversicherungen füllen. ({4}) Das ist doch etwas Erfreuliches. Es ist die beste Sozialpolitik, die man in einem Land machen kann. ({5}) Die Arbeitslosenquote auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen belief sich im Juni 2011 auf 6,9 Prozent. Das ist zugegebenermaßen noch keine Vollbeschäftigung; aber der Trend nach unten ist ungebrochen. Ich will hier sehr deutlich sagen: Da ist noch einiges drin. Wenn ich mir den Rechtskreis des SGB III anschaue, dann kann ich festhalten: Mit etwa 804 000 betreuten Personen ist hier mittlerweile eine Größenordnung erreicht, bei der man davon ausgehen kann, dass es sich überwiegend um Sucharbeitslosigkeit handelt; diese Zahl lässt sich in einer in Bewegung befindlichen Volkswirtschaft kaum weiter reduzieren. Es sind aber auch 23,1 Prozent weniger Arbeitslose als noch im Vorjahresmonat; da ist eine irre Bewegung drin. Das sollten Sie hier nicht verschweigen, sondern positiv und anerkennend zur Kenntnis nehmen. ({6}) Im Rechtskreis des SGB II müssen wir arbeiten: 2 089 000 Menschen sind in Langzeitarbeitslosigkeit. Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass das 4 Prozent weniger als im Vorjahr sind. Zugegebenermaßen gibt es hier nicht die gleiche Dynamik wie im Rechtskreis des SGB III. Die Probleme der Menschen, die langzeitarbeitslos sind, sind aber auch komplexer; sie müssen angegangen werden. ({7}) - Auf die Frage „Ja, wie denn?“ antworte ich: beispielsweise indem wir in die Qualifikation und Weiterbildung dieser Menschen investieren. ({8}) Ich nenne Ihnen jetzt einmal die nackten Zahlen zu den Weiterbildungsausgaben - Rechtskreise SGB II und SGB III - und parallel dazu die Zahlen zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit: ({9}) Im Jahr 2005 betrugen die Ausgaben für die Weiterbildungsförderung 2 Milliarden Euro, 2,002 Milliarden Euro, um ganz exakt zu sein. Im Jahr 2011 beträgt das Soll für das Aufgabengebiet Weiterbildung - Frau Kollegin Hagedorn, als Haushälterin müssten Sie das eigentlich wissen - 3,076 Milliarden Euro, mithin 1 Milliarde Euro mehr als im Jahr 2005. ({10}) Um das zu komplettieren: Die Zahl der Arbeitslosen betrug 2005 4,861 Millionen, im Jahr 2011 2,919 Millionen. ({11}) Das heißt, 2011 waren knapp 2 Millionen Menschen weniger arbeitslos, und die Aufwendungen für diesen Bereich sind um 1 Milliarde Euro gestiegen. Das zeigt: Wir nehmen die Herausforderungen an. Wir kämpfen um jeden einzelnen Menschen, der langzeitarbeitslos ist, damit er eine Chance zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt hat. Das ist die Politik dieser Regierung. ({12}) Zum Schluss will ich an die Adresse der SPD sagen - heute redet der Kollege Schreiner nach mir; manchmal redet er auch vor mir, sodass ich ihn replizieren kann -: ({13}) Das Problem ist, dass Sie nicht mehr wahrhaben wollen, wie Sie gehandelt haben. Mit der Agenda 2010 haben Sie im Bereich der Arbeitsmarktpolitik vieles richtig gemacht. Das hat doch gewirkt; das muss man doch aner13952 kennen. Das Problem ist - das ist Ihr Fehler -, dass Sie mit der Agenda 2010 heute überhaupt nichts mehr zu tun haben wollen. Sie wollen die Agenda 2010, wo immer das geht, rückabwickeln. ({14}) Sie müssen einmal einen Gang runterschalten und sich sagen lassen, dass Sie die Orientierung vollkommen verloren haben. ({15}) - Sie hätten doch reden können, Herr Kollege Heil, wenn Sie das Thema so sehr interessiert. Ich hätte gerne gehört, was Sie vom Rednerpult aus gesagt hätten. Das findet heute aber offensichtlich nicht statt. Wie die SPD mittlerweile tickt, hat man an der Rede des Kollegen Barthel sehr schön gesehen. Wir sind auf die Tarifautonomie in diesem Land, auf die Tariffindung von Arbeitgebern und Gewerkschaften stolz. ({16}) Sie aber stellen sich hier bettelnd hin und sagen: Der Gesetzgeber soll es richten. Das ist doch der falsche Weg. Das zeigt: Sie sind nach den diversen Pirouetten, die Sie in den letzten Jahren gedreht haben, völlig irritiert. Nehmen Sie wieder Vernunft an. Nehmen Sie sich ein Beispiel an dieser Koalitionsregierung, ({17}) die vieles richtig macht und mit guten Arbeitsmarktzahlen dafür belohnt wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ottmar Schreiner für die SPD-Fraktion. ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem etwas radauhaften Beitrag des Kollegen Kauder - ({0}) - Ja, das war schon ein bisschen radauhaft. Das war ungewöhnlich für das Hohe Haus. Der Kollege Brüderle hat das sogar noch getoppt. Er hat hier fünf Minuten herumgetobt, ohne irgendetwas Konkretes zu sagen. ({1}) Ich habe versucht, sorgfältig mitzuschreiben. Ich habe aber nichts zu Papier gebracht, weil er nichts Konkretes gesagt hat. ({2}) Sie vermitteln den Eindruck, dass diese Bundesregierung aus lauter Heldinnen und Helden besteht. Sie stimmen die schönsten Lieder an, sodass man meinen könnte, man habe es mit einem Heldenepos zu tun. ({3}) Die Hälfte der Heldinnen und Helden stellt die FDP, in qualitativer Hinsicht natürlich. ({4}) - Ein Drittel. Das ist auch gut. - Wenn das so ist, müssen Sie mir erklären, Herr Brüderle, wieso die von Ihnen prognostizierten Wachstumsraten der Wirtschaft deutlich höher sind als die Umfrageergebnisse der FDP in Prozent. Mit dem Heldentum kann es also nicht so weit her sein. ({5}) Der Kollege Kolb hat behauptet, die SPD hätte die Orientierung verloren. Dazu kann ich nur sagen: Die Orientierung kann man nur verlieren, wenn man eine hat. Mir ist völlig unklar, woran sich die FDP orientiert. ({6}) Sie müssen sich doch irgendwann einmal fragen, worin die Gründe für den politischen Absturz Ihrer Partei liegen. Einen Absturz dieses Ausmaßes hat man in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht erlebt. ({7}) Das kommt doch nicht aus heiterem Himmel. Dafür muss es doch Gründe geben. Vermutlich liegt das in Ihren Aktivitäten oder Nichtaktivitäten begründet. ({8}) Anstatt an diesem Pult oberlehrerhaft aufzutreten, sollten Sie während der Sommerferien lieber in sich gehen und darüber nachdenken, was Sie alles falsch gemacht haben. Richtiges werden Sie kaum finden. Nun zum Kollegen Kauder. ({9}) - Jetzt seid mal ruhig. Nun seid mal friedlich. Jetzt sind die Schwarzen dran. Die waren auch nicht viel besser. Lieber Kollege Kauder, Sie haben zwei Punkte genannt. Erstens haben Sie darauf hingewiesen, dass die amtierende Koalition die Regelungen der Kurzarbeit erleichtert habe, um die Anpassungsprozesse in der Krise deutlich zu befördern. Das war eine der gröbsten Fehlinformationen, die man in diesem Hause geben konnte. Das Kurzarbeitergeld war - zusammen mit den sogenannten Langzeitkonten im Rahmen der Arbeitszeit eine wirksame Waffe gegen die möglichen Folgen der Krise, zum Beispiel eine abrupt steigende Arbeitslosigkeit. ({10}) Das ist vom ehemaligen Bundesarbeitsminister Scholz, der nachweislich nicht der Union angehört, formuliert, konzipiert und durchgesetzt worden. ({11}) Das hat mit der CDU/CSU-FDP-Regierung überhaupt nichts zu tun. Sie haben nach einem langen, radaumäßigen Anlauf von zwei Minuten verkündet, das sei im Übrigen einer der großen Erfolge dieser Koalition. Der zweite Versuch war auch nicht besser. Sie haben die Sozialdemokraten gemahnt, wir sollten gemeinsam mit Ihnen, und zwar mithilfe Ihrer angekündigten Steuerpolitik, diejenigen, die jeden Tag arbeiten gehen, etwas besser stellen, ({12}) als das jetzt der Fall ist. Sie kündigen im 14-Tage-Rhythmus eine andere Steuerpolitik und Erleichterungen an. Im 14-Tage-Rhythmus werden die dann wieder gekippt. Wenn Sie mir einen einzigen christdemokratischen Ministerpräsidenten nennen können, der Ihre Vorgaben in den letzten Wochen unterstützt hat, lobe ich für Sie ein Preisgeld aus, Herr Kollege Kauder. ({13}) - Das gewinnen Sie? Sie haben zehn Minuten Bedenkzeit. Dann komme ich in Ihren Wahlkreis, und wir führen gemeinsam eine Podiumsdiskussion durch. Sie werden niemanden finden. Sie müssen erst einmal, bevor Sie hier die Sozialdemokraten angreifen, sehen, dass Sie in den eigenen Reihen Zustimmung finden. Die christdemokratischen Ministerpräsidenten - ich sehe das am Beispiel des saarländischen - haben doch ihre Gründe. Die Kassen der Bundesländer sind weitgehend leer. Die Länder sind blank bzw. bankrott. Sie verkraften keine weiteren Steuererleichterungen mehr, weil sie dann ihre originären Aufgaben im Bereich der Kinderbetreuung bzw. der Kinderkrippen, der Bildung, der Sicherheit usw. nicht mehr wahrnehmen können. ({14}) Sie, Herr Kollege Kauder, sind ein massives Sicherheitsrisiko geworden - aufgrund weiterer Pläne, die dazu beitragen, dass genau diese Infrastruktur noch stärker lädiert wird, als sie in den vergangenen Jahren sowieso schon beschädigt worden ist. Das kann so nicht gut sein. ({15}) Sie haben in der Sache gar nichts gesagt, außer dass Sie diese beiden grässlichen Fehlinformationen gegeben haben. Das ist im Hinblick auf den Status eines Fraktionsvorsitzenden auch nicht gerade furchtbar angemessen. ({16}) Wenn Sie über Löhne bzw. Erleichterungen für diejenigen geredet hätten, die es verdient haben, hätten Sie über die Lohnentwicklung bei der Arbeitnehmerschaft in Deutschland reden müssen. Dazu hat Ihnen vor wenigen Wochen die Internationale Arbeitsorganisation gesagt, dass die Bundesrepublik Deutschland die schlechteste Lohnentwicklung aller OECD-Länder gehabt hat, nämlich minus 4,5 Prozent in den letzten zehn Jahren. ({17}) Sie hätten dann etwas sagen müssen zu Mindestlöhnen und zur Bekämpfung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die es in den allermeisten Fällen ebenfalls im Niedriglohnsektor gibt. Weiter hätten Sie etwas über den Bereich der Leiharbeit sagen müssen, der, relativ gesehen, über den höchsten Anteil an Aufstockern verfügt. Die Steuerzahler zahlen jährlich allein 500 Millionen Euro, um die Betriebe zu unterstützen, die ihre Leute mit miserablen Löhnen nach Hause schicken. All dies hätte Ihnen einfallen können, als Sie über diejenigen geredet haben, die die Lasten in diesem Land tragen, nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({18}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie hätten auch etwas zur Arbeitsmarktpolitik sagen können. Der Kollege Kolb hat eben vorgetragen, dass es bei den Langzeitarbeitslosen zu einem Minus von 4 Prozent gekommen ist. Bei den übrigen Arbeitslosen liegen die Zahlen wesentlich höher. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der Gesamtarbeitslosigkeit ist im Übrigen in den letzten Jahren auf jetzt 34 Prozent gestiegen. Ich kann hierzu zitieren -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege, das funktioniert jetzt nicht mehr. Achten Sie bitte auf die Zeit.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme sofort zum Schluss; bedauerlicherweise kann ich das nicht mehr zitieren. - Die OECD bescheinigt Ihnen, dass die Bundesrepublik Deutschland, was die Unterstützung der Langzeitarbeitslosen anbelangt, an allerletzter Stelle aller entwickelten Industrieländer steht. Das ist im Kern Ihre Bilanz. Für die Schwächsten der Schwachen machen Sie gar nichts. Die Situation der Arbeitnehmerschaft ist Ihnen relativ egal, Hauptsache die Töpfe derjenigen werden gefüllt, für die Sie sich persönlich verantwortlich fühlen. Herr Kollege Kolb, das hat mit einer sozial ausgewogenen Politik nichts zu tun. Deshalb sollten Sie in die Sommerpause gehen und dort intensiv Gewissenserforschung betreiben. Dann haben Sie sehr viel zu tun. Die Pause müsste eigentlich bis in den Herbst hinein verlängert werden, damit Sie zu Potte kommen. Berichten Sie dann darüber, damit wir hier eine neue Debatte führen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Redezeit verlängern wir jetzt aber nicht mehr.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling für die Unionsfraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schreiner, ich hatte bei Ihnen gerade den Eindruck, das blanke Elend Deutschlands spreche zu uns. ({0}) Ich sage Ihnen das in aller Deutlichkeit. Sie haben es nicht einfach. In der Zeit, in der Sie dem Deutschen Bundestag angehört haben, waren Sie - soweit ich das beobachten konnte -, egal wer regiert hat, in der Opposition. ({1}) Das ist natürlich nicht einfach. Viele Dinge, die Sie gerade genannt und kritisiert haben, sind zu anderen Regierungszeiten und nicht zu unseren Regierungszeiten entstanden. ({2}) Richten Sie also Ihre Kritik, bitte schön, nicht an uns, sondern an andere. ({3}) Ich will Ihnen in aller Klarheit sagen: Wir haben vor sechs Jahren noch von 5 Millionen Arbeitslosen gesprochen. Mittlerweile sprechen wir von 2,8 Millionen Arbeitslosen, und wir diskutieren über Facharbeitermangel. Wenn uns jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, dass wir 2011 über Fachkräftemangel diskutieren, wäre er von vielen Leuten, einschließlich Ihrer eigenen Fraktion, ausgelacht worden. Sie haben damals gesagt: Vollbeschäftigung wird es nie geben. Sie haben nicht daran geglaubt; das hat auch der Vorredner Ihrer Fraktion in seiner Rede gesagt. Aber wir haben daran geglaubt, und wir sind ganz sicher, dass wir es schaffen, dass die Menschen wieder ordentlich in Beschäftigung kommen. ({4}) Lassen Sie mich einen Satz zu den Arbeitslosenzahlen und zu der Mär von der Statistikfälschung sagen. Die Parameter der Statistik sind in Zeiten der jetzigen Koalition aus CDU/CSU und FDP nicht geändert worden. ({5}) Die letzte Änderung der Parameter erfolgte während der Großen Koalition. Da haben wir die 58er-Regelung mit aufgenommen. Wir haben die Statistik dadurch, technisch gesehen, sogar noch verschlechtert. Zu sagen, die Zahlen seien alle falsch, halte ich für abenteuerlich. ({6}) Die Zahlen haben Bestand. Ich bin froh, dass die Zahlen so sind, wie sie sind. Wir haben übrigens im OECD-Vergleich die Statistik, die am konsequentesten und unter strengsten Gesichtspunkten die Arbeitslosigkeit beschreibt. Alle anderen Länder fassen die Arbeitslosigkeit enger bzw. weiter ({7}) und sorgen dafür, dass die Arbeitslosenquote schöngerechnet wird. ({8}) Bei uns wird strenger gerechnet. Deswegen können wir mit diesen Zahlen bestehen. ({9}) Aber es kommt nicht nur auf die Arbeitslosenzahlen an, auch wenn diese wichtig sind. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch der Aufwuchs an Beschäftigung. Fast 41 Millionen Menschen sind jetzt in Erwerbstätigkeit. ({10}) 760 000 Menschen mehr sind in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Ich möchte auch etwas zur Mär der Aufstocker sagen. Natürlich haben wir Aufstocker. Aber warum? Eine Familie mit drei Kindern in Hartz-IV-Bezug bekommt bei uns im Münsterland Pi mal Daumen 1 700 Euro. Wenn einer allein diese Familie ernähren wollte, müsste er, um netto auf diesen Betrag zu kommen, ({11}) einen Durchschnittsverdienst von 15 Euro pro Stunde haben. ({12}) Weil dies nicht immer funktioniert, bekommt die Familie Geld vom Staat dazu. Das ist keine Schande, sondern eine Solidarleistung, die vom Steuerzahler erbracht wird. ({13}) In der Tat ist das Jobwunder, das wir erleben, nicht vom Himmel gefallen. Es ist auch kein Wunder, sondern hat ganz reale Ursachen. Die wirtschaftliche Entwicklung und die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen haben eine Menge damit zu tun. Sie alle wissen genauso gut wie ich: Arbeitsmarktpolitik schafft keine Arbeitsplätze. Arbeitsmarktpolitik setzt die Rahmenbedingungen, damit sich Arbeitsplätze entfalten können und Menschen wieder in Beschäftigung kommen. Wir haben die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt. Ich muss - auch wenn es der Opposition wehtut kurz auf Folgendes hinweisen: In den vergangenen anderthalb Jahren haben wir im Bereich der Arbeitsmarktund Sozialpolitik gemeinsam mit Ihnen und dem Bundesrat die Jobcenterreform beschlossen. Wir haben gemeinsam mit Ihnen und dem Bundesrat die Frage der Regelsätze geklärt. ({14}) Wir haben in der Zeitarbeit die sogenannte Drehtürklausel unterbunden und einen Mindestlohn eingeführt. Ich möchte es Ihnen deutlich sagen: In der Zeitarbeit haben wir die größte Dichte an Tarifverträgen. 98 Prozent aller Beschäftigten arbeiten auf Basis von Tarifverträgen. Angesichts Ihrer Rede über die blanke Verelendung Deutschlands könnte man glatt meinen, Sie seien in diesem komischen Ausschuss der UN gewesen, dessen Mitglieder von New York aus offensichtlich einmal schräg nach Deutschland geschaut haben und glauben, sie könnten unser Land beurteilen. ({15}) - Das sage nicht nur ich, sondern das sagen mittlerweile auch alle Zeitungskommentatoren, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben. ({16}) Ich sage in aller Klarheit: Wir geben den Menschen in diesem Land die Hoffnung, dass sie in Zukunft mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen können. ({17}) Das ist die Perspektive, mit der wir arbeiten. Wir arbeiten damit erfolgreich. Ich denke, dass wir es auf diesem Weg tatsächlich schaffen, in den Bereich, den wir als Vollbeschäftigung bezeichnen, zu kommen. Der Fachkräftemangel ist ein Zeichen dafür. Mittlerweile sind 235 000 Menschen aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezug in Beschäftigung gekommen. ({18}) Ich hoffe sehr, dass sich diese Zahl noch erhöht. Wir werden alles dafür tun. Die arbeitsmarktpolitischen Instrumente sind darauf ausgerichtet. Ich hoffe sehr, dass Sie mit uns gemeinsam konstruktiv daran arbeiten, damit wir auch den Menschen, die es nicht so leicht haben, eine gute Perspektive eröffnen. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Johannes Vogel hat für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Schreiner hat eben das Kunststück hinbekommen, seine Rede damit zu beginnen, den Kollegen Kauder dafür zu kritisieren, dass er nicht zur Arbeitsmarktpolitik gesprochen habe, und dann seinerseits 99 Prozent seiner Redezeit nicht zur Arbeitsmarktpolitik zu sprechen. ({0}) Aber ich verstehe, warum. Weil die Zahlen so sind, wie sie sind, und weil es Ihnen wehtut - leider tut es Ihnen weh -, zugeben zu müssen, dass es auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland gut aussieht, dass wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit 20 Jahren haben und dass wir übrigens auch - das ist wichtig - die zweitniedrigste Jugendarbeitslosenquote in ganz Europa haben. ({1}) Andere Länder wären froh und dankbar, wenn sie in unserer Situation wären. ({2}) Alles, was Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dazu einfällt, ist, das deutsche Jobwunder schlechtzureden und zu behaupten, das seien nur schlechte Jobs. Das Problem ist: Dabei erzählen Sie gerne auch Märchen. Ich habe durchaus Verständnis dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, dass Sie Kollegen in diese Debatte schicken, die mit Arbeitsmarktpolitik weniger zu tun haben ({3}) - „Wo ist der eigentlich?“, ist eine gute Frage -, weil sie zum Beispiel aus Landesverbänden kommen, die bald Wahlkampf machen müssen. Dafür habe ich, wie gesagt, Verständnis. ({4}) - Das gehört dazu, Herr Birkwald. - Aber dann sollten Sie sie vorher vielleicht briefen, wie die Lage ist. Wenn Sie sich allen Ernstes hier hinstellen und sagen, all die Jobs, die in Deutschland neu entstehen, seien schlechtbezahlte Jobs, bei denen man aufstocken muss, dann muss ich Ihnen entgegnen: Das stimmt nicht. Das wissen Sie ganz genau. ({5}) Der Kollege Schiewerling hat es Ihnen eben schon erklärt: Drei Viertel derjenigen, die in Deutschland aufstockendes Hartz IV bekommen, bekommen es nicht, weil ihr Lohn zu niedrig ist, sondern weil sie Teilzeit arbeiten. Bei der Mehrheit des restlichen Viertels bekommen sie Hartz IV deshalb, weil wir, die Solidargemeinschaft, ihnen Geld dazugeben wollen, weil sie eine große Familie haben. Bei denjenigen, die in Deutschland Vollzeit arbeiten, alleinstehend sind und nur wegen der Höhe ihres Lohns aufstocken, handelt es sich um einige Zehntausend. Tun Sie also nicht so, als würden Millionen Menschen in diesem Land für Billiglöhne arbeiten! Das stimmt schlicht nicht. ({6}) Nun zu den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Liebe Frau Pothmer, ({7}) Sie haben wieder einmal ein Bild gezeichnet, das Sie gerne zeichnen. Sie sagten, wir würden jetzt, in Zeiten des Fachkräftemangels, bei der Qualifikation der Menschen sparen. ({8}) Ich freue mich, dass wir an einer Stelle einer Meinung sind: dass für die Menschen am unteren Rand des Arbeitsmarktes, für die wir alle noch mehr Perspektiven schaffen wollen, Qualifikation das A und O ist und dass Qualifikation das Beste ist, was wir als Gesellschaft in diese Menschen investieren können. Nur, zu behaupten, diese christlich-liberale Koalition würde an dieser Stelle sparen, das ist schlicht falsch. Ja, die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gehen zurück. Aber warum denn? Weil die Arbeitslosenzahl zurückgeht. ({9}) Außerdem konzentrieren wir unsere Anstrengungen auf die Mittel, die wirklich wirken. Das sind die Mittel für Qualifikation. Als der Kollege Kolb es Ihnen eben erklärt hat, haben Sie verschämt in Ihren Papieren geblättert: Wir geben heute 3 Milliarden Euro für die Qualifikation von Arbeitslosen aus. 2005 - damals haben Sie von den Grünen mitregiert -, als es 2 Millionen Arbeitslose mehr gab, waren es nur 2 Milliarden Euro. Zu behaupten, wir würden bei der Qualifikation sparen, ist alles Mögliche; aber richtig ist es nicht. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die wesentliche Aussage, die ich heute von Ihnen zum Thema Arbeitsmarkt gehört habe, lautete - dies wird auch deutlich, wenn man die Zwischenrufe des Kollegen Heil, der leider nicht mehr hier ist, interpretiert -: Ja, auf dem deutschen Arbeitsmarkt sieht es gut aus - trotz der Regierung. ({11}) Ich verstehe, dass man dann, wenn man sich für all das schämt, was man, als man an der Regierung war, gemacht hat, und wenn man all das zurücknehmen will, was man mit der Agenda 2010 erreicht hat, diese Perspektive einnimmt. ({12}) Deswegen sollten Sie aber nicht den Blick auf das verlieren, was wir für den Arbeitsmarkt erreicht haben. ({13}) Ich sage es einmal so: Schon dann, wenn diese Koalition auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr erreicht hätte, als die Gräueltaten zu verhindern, die Sie zum Beispiel im Hartz-IV-Vermittlungsverfahren auf dem Arbeitsmarkt anrichten wollten, hätte es sich für die Menschen in diesem Land gelohnt. ({14}) Aber dabei ist es ja nicht geblieben. Wir haben Hartz IV fairer gemacht. Wir haben die Regelung zum Kurzarbeitergeld - die Sie richtigerweise eingeführt haben; das will ich gerne zugestehen - verlängert. Wir unternehmen Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Wir reformieren jetzt die arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Wir flankieren den wirtschaftlichen Aufschwung in der Arbeitsmarktpolitik sehr erfolgreich. Das ist auch Teil des Jobwunders in diesem Land. Johannes Vogel ({15}) Wir fördern aber auch den wirtschaftlichen Aufschwung; das wurde heute schon angesprochen. Wir sagen: Die Menschen müssen auch einen Anteil an ihren Lohnsteigerungen haben; ({16}) diese dürfen nicht durch die kalte Progression aufgefressen werden. Deswegen wollen wir durch eine Steuersenkung die kleinen und mittleren Einkommen weiter entlasten - das zweite Mal in dieser Legislaturperiode. ({17}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden darüber hinausgehen. Wir wollen nämlich auch die Sozialabgaben reduzieren. ({18}) Das Beste, was man dafür tun kann, ist, Ihre Forderung, den Bereich der Rente mit immer neuen Aufgaben aufzublähen, abzuwehren. Auch das werden wir tun, damit es auf dem Arbeitsmarkt weiter aufwärtsgeht und die Menschen auch etwas davon haben. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie aufhören würden, das deutsche Jobwunder, um das man uns im Ausland beneidet, hier schlechtzureden - nicht weil wir nicht darüber streiten sollten, welchen Anteil die Politik daran hat, sondern weil den größten Anteil am deutschen Jobwunder - und es sind eben nicht nur schlechte Jobs die Menschen in diesem Land haben: die Unternehmer, die Menschen in den Unternehmen, die Betriebsräte und die Gewerkschaftler. Sie alle erarbeiten das, was dieses Land und das Jobwunder ausmacht, hart. Auch ihren Erfolg machen Sie madig, weil Sie permanent so tun, als sei die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt schlecht. Das sollten Sie beenden. Dann haben wir auch eine bessere Diskussionsgrundlage. Vielen Dank. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Straubinger für die Unionsfraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Wir haben heute natürlich die Erfolge der Bundesregierung darzustellen. Ich glaube, dass es entscheidend ist, den Menschen das Signal zu geben, dass diese Erfolge weiterhin anhalten werden - im Sinne der Menschen, damit sie in Arbeit kommen. Hier haben die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen großartige Erfolge erzielt. Die entsprechenden Zahlen wurden schon dargestellt: Im Juni dieses Jahres hatten wir 2,89 Millionen Arbeitslose. ({0}) Das sind 255 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr, und damit sind mehr Menschen in Lohn und Brot. 282 000 Menschen weniger beziehen Hartz-IV-Leistungen. Das zeigt sehr deutlich, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland für die Menschen gelohnt hat. Dass wir noch nie so viele Erwerbstätige hatten wie jetzt, wurde schon mehrmals dargestellt. ({1}) Das Ganze ist zusätzlich mit positiven Zukunftsaussichten verbunden. Das IAB hat geschätzt, dass es in unserem Land noch 1 Million offene Arbeitsstellen gibt. Das bedeutet auch 1 Million Chancen mehr für die Menschen in unserem Land, ihre Zukunft selbstbestimmt zu gestalten, ohne von staatlichen Leistungen abhängig zu sein. ({2}) Ganz besonders ist dies in Bayern spürbar, das mit 3,5 Prozent die geringste Arbeitslosigkeit aller Bundesländer aufzuweisen hat. Der wesentliche Beitrag dort ist die fundierte Strukturpolitik der Staatsregierung mit unserem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer von der CSU an der Spitze. ({3}) Das ist letztendlich die Grundlage und hier mit zu berücksichtigen. ({4}) Es war schon großartig, dass man versucht hat, diese positiven Zahlen auf eine angebliche Statistikverfälschung oder statistische Veränderungen zurückzuführen, wie es der Kollege Bockhahn getan hat, der die Debatte leider Gottes schon verlassen musste. Das zeigt aber auch sehr deutlich, dass die Linke offensichtlich nur in ihrer Tradition denkt: früher Wahlfälschung ({5}) und jetzt offensichtlich kein Beherrschen der Mitgliederlisten. Auch hier können Sie keine richtige Statistik führen, und dann glauben Sie, dass das bei der Bundesagentur für Arbeit auch so sei. Das weisen wir mit Entschiedenheit zurück. ({6}) Es ist hier schon auch bedeutsam, dass dieser wirtschaftliche Aufschwung vor allen Dingen auf die politi13958 schen Entscheidungen in unserem Land zurückzuführen ist. ({7}) Es kann ja nicht so sein, dass immer die Regierung schuld ist, wenn es bergab geht, außer bei Rot-Grün. ({8}) Ich habe ja Verständnis für die Einstellung der Kolleginnen und Kollegen der SPD und auch der Grünen, dass Sie an vieles nicht mehr erinnert werden wollen und tatsächlich glauben, Politik könne nichts gestalten; denn für die 5 Millionen Arbeitslosen im Jahre 2005 wollten Sie ja wirklich nicht verantwortlich sein. Dafür habe ich auch Verständnis. Als aber die Union in Regierungsverantwortung kam, gab es eine Veränderung der Politik, nämlich dahin gehend, dass wir die Belastungen der Menschen verringert haben, während Rot-Grün sie über ständige Beitragssteigerungen - Sie mussten den Arbeitslosenversicherungsbeitrag ständig erhöhen, weil es immer mehr Arbeitslose gab - erhöht hat. Wir hatten in der Regierung den Mut, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, ({9}) die steuerliche Belastung der Betriebe zurückzunehmen und damit die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich die Wirtschaft entwickeln kann. Das ist letztendlich das Geheimnis des Erfolges, den die Bundesregierung jetzt für sich in Anspruch nehmen kann. ({10}) Wir werden auf diesem Wege auch weiterarbeiten. ({11}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der linken Ecke dieses Hauses, zum Januar 2010 haben wir die Steuern gesenkt und die Bürgerinnen und Bürger um 20 Milliarden Euro entlastet. Jetzt haben wir einen Wirtschaftsaufschwung zu verzeichnen. Im ersten Quartal dieses Jahres betrug der Zuwachs über 5 Prozent, wodurch viele Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. Das ist auf die anspringende Binnenkonjunktur zurückzuführen. Es wird in unserem Land mehr investiert, weil wieder Zutrauen in die Zukunft gegeben ist und die Menschen letztendlich gute Startchancen haben. ({12}) Deshalb werden wir die steuerlichen Rahmenbedingungen weiterhin verbessern. Wir sind die Entlastungspartei, SPD und Grüne sind die Belastungsparteien. ({13}) Das gilt gerade für Baden-Württemberg, wo sofort nach der Wahl die Grunderwerbsteuer erhöht wurde. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist der Unterschied zwischen der bürgerlich-liberalen Regierungskunst und Rot-Grün und den Linken in unserem Land. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 16 a und b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid - Drucksachen 17/5750, 17/6264 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Katrin Kunert, Wolfgang Nešković, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot der Speicherung von Kohlendioxid in den Untergrund des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland ({0}) - Drucksache 17/5232 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) - Drucksache 17/6507 - Berichterstattung: Abgeordnete Jens Koeppen Klaus Breil Oliver Krischer b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Koeppen, MarieLuise Dött, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der AbVizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse geordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Umfassende Datenbasis für Nutzungsmöglichkeiten des Untergrunds schaffen - Drucksachen 17/3056, 17/6507 Berichterstattung: Abgeordnete Jens Koeppen Klaus Breil Oliver Krischer Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung und über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({3})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung der CCS-Technologie ist aus der Sicht von vielen und auch aus meiner eine unendliche Geschichte, die heute aber wahrscheinlich zu einem guten Ende geführt wird. ({0}) Das ist dann der Anfang einer guten CCS-Story in Deutschland. CCS ist auf der einen Seite für viele eine Horrortechnologie, die mit vielen Risiken belastet ist. Auf der anderen Seite - das ist die Ambivalenz - ist sie eine Wunderwaffe gegen den Klimawandel. Diese Ambivalenz in der Politik und in der Gesellschaft müssen wir auflösen. Mir als Techniker fällt das vielleicht ein bisschen leichter als anderen. Die Technologie, die ja noch gar nicht auf dem Markt ist, ist ideologisch kontaminiert. Die Diskussion darüber ist mit Unwissenheit gespickt, und vor allen Dingen werden Wissenschaft und Forschung ignoriert, obwohl sie noch gar nicht erprobt ist und obwohl es noch keine Großanlagen gibt. Hier ist sie wieder, die German Angst- und die German Dagegen-Gesellschaft. ({1}) Hier sollten wir gegensteuern. Trotzdem möchte ich einen Blick nach vorne wagen. Warum haben wir diesen Gesetzentwurf erarbeitet? Warum wollen wir diese Technologie? Erstens. Wir brauchen einen Rechtsrahmen. Wir müssen und wollen schlicht und ergreifend die EU-Richtlinie umsetzen. Zweitens. Das gibt uns dann die Möglichkeit, diese Technologie überhaupt erst einmal zu demonstrieren und zu erproben. Drittens. Es ist - das dürfte Ihnen sehr entgegenkommen - eine Klimaschutztechnologie. ({2}) - Das kommt mir sehr entgegen. Ohne CCS werden beim Klimaschutz bis zu 70 Prozent höhere Kosten entstehen. Ohne CCS werden wir das 2-Grad-Ziel nicht erreichen. Das sage nicht ich, sondern das sagt der IPCC, der Weltklimarat. Ihn tragen Sie doch immer wie eine Monstranz vor sich her und nutzen ihn als Kronzeugen für alles. Jetzt müssen Sie nicht nur den Mund spitzen, sondern auch pfeifen. Es geht jetzt darum, dem IPCC recht zu geben, wenn er sagt: CCS ist eine risikoarme Technologie. ({3}) Zum Gesetzentwurf. Es ist schwierig, alle zufriedenzustellen. Es ist schwierig, ein einfaches Gesetz zu machen. Es ist auch schwierig - ich sage es einmal so -, die reine Lehre zu vertreten. Wir müssen Kompromisse machen. Aber wenn wir irgendwann die Realitäten betrachtet und Kompromisse geschlossen haben, ({4}) dann sollten wir handeln. Ich möchte etwas zum Gesetz und zur Länderklausel sagen. Ich bin kein Freund der Länderklausel; das habe ich erklärt. Aber es ist ein Mittel, um die Länder und auch die Menschen in den Ländern einzubeziehen. Aber es ist ein Märchen, dass die Länderklausel ein Vetorecht darstellt. ({5}) Die Demonstration ist möglich, und sie ist in allen Ländern möglich. Das ist keine Lex Brandenburg. Es ist auch für mehrere Projekte möglich. Deswegen ist es auch keine Lex Vattenfall. Es gibt kein Vetorecht für die Länder. Es ist die Wiederholung und Verschärfung des Raumordnungsrechtes. Ministerpräsident und Wirtschaftsminister, SPD und Linke, in Brandenburg haben gesagt: Wir wollen das Gesetz, das steht so im Koalitionsvertrag. - Jetzt will Brandenburg den panikartigen Rückzug. CCS-Gegner in Brandenburg wollen demonstrieren. Brandenburg will jetzt ein durchsichtiges Manöver starten, indem es sagt: Wir steigen aus diesem Vorhaben aus. ({6}) Sich in die Furche zu legen, bis der Sturm vorbei ist, wird nicht funktionieren. Das funktioniert schon gar nicht, wenn man in einer Regierung ist. ({7}) Das Gesetz ist wichtig. Wir haben - das habe ich gesagt - einen juristischen Rahmen. Mit dem Gesetz wird die Akzeptanz gestärkt. Mit dem Gesetz wird die Sicherheit erprobt. Mit dem Gesetz zeigen wir, dass diese Technologie beherrschbar ist. ({8}) Mit dem Gesetz wird ein Signal nach außen gesandt, dass es jetzt losgehen kann. Das ist auch ein Zeichen an die Industrie, nicht nur in Richtung Kohleverstromung, sondern auch an die energieintensive Industrie, von der ich mir ein stärkeres Bekenntnis gewünscht hätte. Aber dieses Signal ist auch ein Zeichen für Investitionssicherheit. Es werden keine Steuergelder vergraben, wie das im Brandenburger Sand so oft passiert ist. ({9}) Im Rahmen dieses Projekts fließen sehr viele Steuergelder in Forschung und Entwicklung. Es ist gut, dass wir dieses Gesetz heute nicht begraben. ({10}) Ein letzter Punkt - das ist der wichtigste -: Wir haben bezogen auf diese Technologie bei Forschung und Entwicklung zurzeit eine Spitzenposition inne. ({11}) CCS wird kommen. CCS wird weltweit vorangetrieben, ob wir das wollen oder nicht. Aus meiner Sicht ist CCS nur eine Übergangstechnologie. Ich bin seit einiger Zeit mit dem Wort „Brückentechnologie“ ein bisschen vorsichtig. ({12}) - Das bin ich auch. ({13}) Die CCS-Technologie ist aus meiner Sicht ein Übergang zu CCU, und zwar zur CO2-Nutzung im industriellen Maßstab, zum Beispiel bei den Algen und bei vielen anderen Dingen. Wer heute bei CCS die Nase vorn hat, der spielt morgen bei CCU in der Champions League mit. Ich bitte um Ihre Unterstützung und Zustimmung für dieses Gesetz. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der schwarz-gelben Energiepolitik ist die Rolle rückwärts sozusagen schon enthalten. Aber das, was wir heute erleben, ist doch ein Novum, weil die Rolle rückwärts jetzt schon im Verfahren selbst implementiert ist. Während Herr Koeppen sagt, das Ganze werde hier zu einem guten Ende geführt - möglicherweise ist es tatsächlich das Ende dieser Technologie -, erklären die Ministerpräsidenten der CDU, diese Technologie sei eine Sackgasse, und sie komme in den Ländern nicht an. Herr Koeppen, einen größeren Widerspruch können Sie gar nicht schaffen. ({0}) Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, das sei eine der am stärksten umstrittenen Technologien. Aber gerade weil sie so umstritten ist - beispielsweise zwischen den Umweltverbänden oder den Mitgliedern von Parteien -, muss man eine Herangehensweise wählen, die auf diese Dinge Rücksicht nimmt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, haben Sie mit diesem Gesetz an keiner Stelle getan. ({1}) Sie haben eben keine Rücksicht auf die Einwände genommen, die Ihre eigenen Mitglieder vor Ort überall artikulieren. ({2}) Was hätten Sie tun müssen? Sie hätten Antworten auf die Fragen geben müssen: Wo wollen wir eigentlich mit dieser Technologie hin? Warum wollen wir sie einsetzen, und in welchen Bereichen wollen wir sie einsetzen? ({3}) Sie hätten auf die Fragen zu Risiken und Haftungen eindeutige Antworten finden müssen. Stattdessen erklären Sie hier, Sie hätten ein Gesetz gefunden, welches die Technik sicher macht. Das ist eine Gesetzesbegründung, die ich in diesem Hause ehrlich gesagt noch nie erlebt habe, Herr Koeppen. Und Sie hätten weitere Fragen beantworten müssen. Sie hätten beispielsweise die Frage beantworten müssen: Bringt uns diese Technologie im Bereich der Energieerzeugung überhaupt etwas? - Denn wann steht sie allenfalls zur Verfügung? Wollen wir dann nicht längst aus der fossilen Energieerzeugung ausgestiegen sein? Sie hätten die Frage beantworten müssen, warum die großen Prestigeobjekte im Ausland zum großen Teil versandet und gestoppt worden sind. Sie hätten die Fragen zu möglichen Gefährdungen durch Trinkwasserbelastungen beantworten müssen, die beispielsweise auch in der Anhörung aufgekommen sind. Sie hätten die Frage beantworten müssen, wie Sie das mit dem Pipelinebau machen wollen, da wir parallel dazu eine Riesenanstrengung bei dem Ausbau von Netzen unternehmen. Sie hätten die Frage beantworten müssen, wie es sich mit der Haftung verhält. - All diese Fragen haben Sie nicht beantwortet. ({4}) - Ja, ich komme gleich dazu. Sie haben auch nicht die Frage beantwortet, ob es trotz dieser Fragen sinnvoll sein kann, sich eine solche Option offenzuhalten. In Ihrem Gesetzentwurf machen Sie gar nichts. ({5}) Ich kann Ihnen hier drei wesentliche Punkte nennen, weshalb man diesen Gesetzentwurf ablehnen muss. Das Erste ist die Haftung. 30 Jahre soll ein Unternehmen haften. Das riecht doch schon wieder nach dem Modus, der auch beim Atomdeal Anwendung gefunden hat: Alle Risiken werden von der Öffentlichkeit, dem Steuerzahler, getragen, und die Unternehmen, die davon profitieren, müssen gar keine Risiken tragen. - Eine völlig unzureichende Haftungsregel! ({6}) Das Zweite. Sie haben jetzt im Gesetzgebungsverfahren noch einen aus meiner Sicht elementaren Fehler eingebaut, indem Sie bei der Haftungsfrage folgenden Passus ändern: Die Höhe der Deckungsvorsorge soll nicht mehr danach bemessen werden, wie viel CO2 gespeichert wird, sondern danach, wie viel CO2 im Schadensfall austreten könnte. Welcher Widerspruch ergibt sich denn dort? Auf der einen Seite soll die Langzeitsicherheit gewährleistet sein. Dann muss auf der anderen Seite auch ausreichend Vorsorge für den Klagefall getroffen werden. Es muss die Pflicht bestehen, eine Haftungs- und Deckungsvorsorge in Höhe eines möglichen Gesamtschadens zu treffen. Dies ist ein aus meiner Sicht unerklärbarer Widerspruch, der jetzt im Gesetzgebungsverfahren noch mit aufgenommen wurde. ({7}) Dann haben Sie eine Länderklausel geschaffen, die besagt: Wir machen hier in den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP große Klimapolitik. Aber gleichzeitig soll die Klimapolitik - Ihrer Denke gemäß vor der Haustür der Länder enden. Sie räumen ein Vetorecht ein, sagen aber gleichzeitig, es gebe kein Vetorecht. ({8}) Klären Sie den Sachverhalt einmal auf! Soll ich dann Herrn McAllister der Lüge bezichtigen? Er hat nämlich in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung festgestellt, er habe ein Vetorecht durchgesetzt, Herr Koeppen. Sie widersprechen Ihrem eigenen Landesfürsten. An Ihren Äußerungen wird deutlich, dass Sie etwas konstruieren, was nur Rechtsunsicherheit schafft. Das wird keiner Seite gerecht. ({9}) Letztlich ziehen Sie - insbesondere vor dem Hintergrund der kritischen Diskussion - keine klare Grenze und sagen nicht, dass Sie ein Forschungsgesetz machen. In der Anhörung haben mehrere Sachverständige exemplarisch erläutert, wie schnell daraus eine weitflächige Nutzung der CCS-Technologie entstehen kann. Sie machen eben kein reines Forschungsgesetz. Das ist aus unserer Sicht ein gravierender Fehler. ({10}) Man kann das Thema möglicherweise heute noch nicht mit Schwarz oder Weiß bewerten. Umso wünschenswerter wäre es gewesen, dass Sie sensibel und ausführlich auf die Fragen und möglichen Risiken eingehen und dann prüfen, ob es möglich ist, sich eine Option nicht für die Energieerzeugung, sondern vor allen Dingen für die energieintensive Industrie, beispielsweise im Bereich Stahl und Zement, offenzulassen. Aber davon findet sich nichts in Ihrem Gesetzentwurf; Sie zielen damit in die Breite. Sie haben leider einen Gesetzentwurf vorgelegt, der niemandem hilft. Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Fragen gemeinsam klären. Das machen Sie aber nicht. Sie wollen heute einen Gesetzentwurf beschließen, der schon morgen nicht mehr gilt, weil die Länder aussteigen werden. ({11}) Aus unserer Sicht wäre es wünschenswert gewesen, ein Forschungsgesetz zu machen, das sehr enge Grenzen vorsieht und die Haftungsfragen eindeutig klärt, und sich dann zu fragen, ob das eine Option für die Bundesrepublik Deutschland ist. Dann hätten Sie auch die Frage beantworten müssen, welche Nutzungskonkurrenzen es beispielsweise zur Geothermie oder zur Druckluftspeicherung gibt. All das lassen Sie außen vor. Ich komme abschließend zu der Fraktion der Linken. Man kann es sich auch nicht so leicht machen, zu sagen: Diese Technologie gehört verboten. ({12}) Ich glaube, wir haben derzeit noch keine ausreichenden Erkenntnisse, um uns in dieser Frage ausreichend positionieren zu können. Ihr eigener Wirtschaftsminister und Ihre eigene Fraktion in Brandenburg sehen das anders als Sie. Es gibt Zukunftsfragen, die im Parlament sensibel erörtert werden müssen. Das macht weder die CDU/ CSU, noch machen es die Linken. Ich lade Sie alle herzlich ein: Kehren Sie um, wenn Sie merken, dass das Ganze zum Scheitern verurteilt ist und ein Rohrkrepierer wird! Möglicherweise haben wir dann schon wieder andere Mehrheiten. Dann lassen Sie uns das Thema sachlich diskutieren. So geht es jedenfalls nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Klaus Breil für die FDP-Fraktion. ({0})

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns zunächst klären, worüber wir heute entscheiden. In der Begründung zum Entschließungsantrag der Grünen zu diesem Gesetzentwurf heißt es: Das vorliegende CCS-Gesetz schafft Fakten, bevor ergebnisoffen die Tauglichkeit der Technik und ihre Risiken … geklärt sind. ({0}) Genau das tut es nicht. ({1}) Wir wissen: Das Abspeichern von CO2 im Untergrund bereitet vielen Bürgern Sorge. Daher schaffen wir mit diesem Gesetzentwurf keine Fakten. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt einen Rechtsrahmen für die großtechnische Erprobung. Deshalb wird erstens in einem genau begrenzten Umfang und zweitens zum Zwecke der Demonstration das Speichern von CO2 im Untergrund zugelassen. Es geht also nicht darum, heute über die zeitnahe kommerzielle Anwendung von CCS-Technologien zu entscheiden. Deswegen sehe ich auch die typisch grüne Forderung nach einem CCS-Sofortausstieg als völlig überflüssig an. ({2}) Diese Entscheidung steht erst an, wenn wir mit einer Demoanlage genügend Erfahrungen über die Umweltauswirkungen und die technische und wirtschaftliche Machbarkeit gesammelt haben. Jeder, der die Erprobung dieser neuen Technologie ohne jegliche Erfahrungen für überflüssig oder gefährlich hält, ist hochmütig. So eine Haltung können wir uns als Industrienation, die wirtschaftlich weiter wachsen will und wahrscheinlich auch weiter wachsen muss, nicht leisten. ({3}) An dieser Stelle empfehle ich uns allen einen Besuch bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Dort kann man sich bei unabhängigen und hochkompetenten Wissenschaftlern über die wahren Gefahrenpotenziale dieser Technologie und über die Maßnahmen zur Gefahrenvermeidung kundig machen. Noch haben wir in Deutschland eine Grundstoffindustrie. In vielen Prozessen in diesen Branchen ist es rein technisch gar nicht möglich, CO2-Emissionen noch stärker oder überhaupt zu vermeiden. Die Unternehmen stehen am Anfang der Wertschöpfungsketten von Produkten, die wir gerade jetzt für unsere Energiewende brauchen. Denken Sie zum Beispiel an Dämmstoffe für die Gebäudesanierung, an neue, hochbelastbare Stähle - die brauchen wir für die hocheffizienten Dampferzeuger in Gas-, Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken oder an Windkraftanlagen an Land und auf See! Es geht bei dem CCS-Gesetz also darum, Zukunftschancen zu erhalten: Chancen für neue Technologien, Chancen für Menschen und für eine Energiewende, die Umweltschutz und Versorgungssicherheit zu bezahlbaren Preisen miteinander verbindet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke lehnt den Regierungsentwurf eines CCS-Gesetzes weiterhin ab; ({0}) denn CCS ist ein gefährlicher und teurer Irrweg. Genau aus diesen Gründen wenden sich nicht nur viele Bürgerinitiativen dagegen, zum Beispiel an der Nordseeküste, in der Altmark oder in Ostbrandenburg; auch die Mehrheit der Umweltverbände kämpft gegen diese neue Bedrohung. Jenen wenigen Verbänden, die CCS zumindest für prozessbedingte Emissionen der Industrie befürworten, möchte ich sagen: Zur Erfüllung der Klimaziele benötigen wir kein CCS. ({1}) Das hat die Bundesregierung gerade in einer Antwort auf eine Anfrage bestätigt. Wenn wir aber CCS nicht benötigen, dann frage ich erneut: Wozu wollen wir uns ein neues Endlagerproblem unter die Füße pressen? Reicht nicht das Dilemma um die Asse? CCS ist auch politisch ein falsches Signal; denn es gilt, zu beweisen, dass eine Industrienation wie Deutschland in der Lage ist, ihre Wirtschaft emissionsfrei zu gestalten, und zwar - das halte ich für wichtig - ohne neue Langzeitprobleme zu schaffen. Stecken wir Geld und Grips also da hinein, wo es notwendig ist, um etwa Photovoltaik effektiver zu machen, preiswerte Stromspeicher zu entwickeln und einen sinnvollen internationalen Stromverbund für erneuerbare Energien zu befördern! ({2}) Ohnehin wird als Zeitpunkt für die großtechnische Einsatzfähigkeit von CCS mittlerweile das Jahr 2030 gehandelt - liebe Kolleginnen und Kollegen: 2030! -, wenn es überhaupt dazu kommt. Bis dahin aber werden die Erneuerbaren schon deutlich billiger sein als eine fossile Stromerzeugung mit CCS. Wir schmeißen also mit beiden Händen Geld aus dem Fenster. „Wem nützt das, außer den Kohlekonzernen?“, frage ich Sie. ({3}) Ein zentrales Problem von CCS bleibt die Gefährdung des Trinkwassers durch verdrängte Salzwässer. In der Anhörung letztens hat der Vertreter des GeoForschungsZentrums Potsdam behauptet, das wäre beherrschbar; die Ergebnisse der Forschungsverpressung von CO2 in Ketzin hätten ergeben, dass die geologischen Barrieren halten werden. ({4}) Komisch nur, dass eine Vertreterin der gleichen Einrichtung vor einiger Zeit erklärte, Ketzin eigne sich überhaupt nicht dazu, Aussagen über die Langzeitsicherheit der CO2-Lagerung zu machen; dort gehe es allein darum, erst einmal Methoden und Instrumente zu entwickeln, um die Ausbreitung des CO2 im Untergrund besser verstehen zu können. Herr Krischer von den Grünen - wie auch ein Kollege von der CDU/CSU - hat mich in der letzten CCS-Debatte auf die Rolle der rot-roten Landesregierung in Brandenburg hingewiesen. Darum sage ich heute noch einmal: Ja, wir in der Bundestagsfraktion halten die Position der Brandenburger Landesregierung für einen Fehler. ({5}) Eine Technologie zu befördern, die weder nachhaltig noch wirtschaftlich ist - und das noch gegen den Widerstand der Bevölkerung -, ergibt für uns keinen Sinn. ({6}) Allerdings möchte ich eine Frage an die Grünen stellen: Sind Sie nun eigentlich gegen CCS oder dafür? ({7}) Bislang haben Sie sich zwar stets gegen CCS bei Kraftwerken gewandt, aber gleichzeitig zur CO2-Verpressung für die Industrie bekannt. Ich verweise da auf Ihren Entschließungsantrag. Ich frage mich jetzt Folgendes: Wenn Sie für Industrie-CCS sind, dann können Sie natürlich nicht gegen Forschungs- und Demonstrationsspeicher sein. ({8}) Denn dann würde es ja höchste Zeit, auszuloten, ob eine Langzeitspeicherung gefahrlos möglich wäre oder nicht. Warum aber verkaufen Sie sich dann an den Brennpunkten vor Ort als Kämpfer gegen die CO2-Speicherung? Sowohl die SPD als auch die Grünen können ihre ablehnende Haltung unter Beweis stellen, indem Sie unserem Antrag zustimmen. Daran kann die Bevölkerung vor Ort sehen, wo Sie wirklich stehen. Danke. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CCS-Euphorie, die wir vor zwei oder drei Jahren europaweit hatten, ist verflogen. In Europa haben einstige Musterländer wie die Niederlande entsprechende Projekte gestoppt und beschränken sich auf Offshorelösungen. Das Gleiche gilt für Großbritannien. Die Mehrzahl der EU-Staaten hat bis heute noch nicht einmal die entsprechende Richtlinie umgesetzt, obwohl die Frist schon abgelaufen ist. Auch das einstige Musterland Norwegen, das eine Reihe von Projekten geplant hatte, hat all diese Projekte auf Eis gelegt. Das zeigt: CCS ist keine Zukunftstechnologie in Europa. ({0}) In Deutschland verhält es sich ähnlich. Es ist nicht so, wie Sie hier behaupten, dass es nur die Grünen, die Sozialdemokraten oder die Bürgerinitiativen sind, die vor Ort gegen CCS sind. Der Riss geht doch mitten durch die Regierungskoalition, also durch CDU/CSU und FDP. Das zeigt, dass auch bei Ihnen die Akzeptanz fehlt. ({1}) Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang eine Äußerung aus dem Bayerischen Landtag präsentieren. Bayern ist eigentlich unverdächtig, etwas mit dem Thema CCS zu tun zu haben. Ich habe jedenfalls noch nie von einem Projekt dort gehört. Ich zitiere: Beim Thema CCS sollten wir nicht den Fehler wiederholen, den wir beispielsweise bei der Kernenergie gemacht haben, indem wir versuchen, irgendwelche Abfallstoffe irgendwo zu verstecken. Ich möchte aus Gründen des Klimaschutzes, aber auch aus einem Verantwortungsbewusstsein für kommende Generationen CO2 vermeiden und nicht CO2 verbuddeln. Das Protokoll vermerkt danach „Beifall bei der FDP“. Das hat Herr Thalhammer gesagt, ein bayerischer Freidemokrat, der ganz offensichtlich eine Position vertritt, die von der FDP-Landtagsfraktion in Bayern getragen wird, die aber mit Ihrer überhaupt nicht deckungsgleich ist. ({2}) Um diese Widersprüche zuzukleistern, haben Sie eine Länderklausel erfunden. Diese Klausel, in der sich jeder wiederfinden kann, soll es allen recht machen. Herr Röttgen erzählt seit Monaten, dass jedes Land auf Wunsch CCS ausschließen kann. Der Parlamentarische Staatssekretär Otto hat uns noch gestern im Wirtschaftsausschuss erklärt, nein, so gehe es nicht, es müsse einen komplizierten Abwägungsprozess geben. Heute lesen wir in der Süddeutschen Zeitung eine Äußerung von Herrn de Jager, seines Zeichens Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Er erklärt, man werde sofort ein Gesetz auf den Weg bringen, mit dem CCS in SchleswigHolstein insgesamt verboten wird. Das zeigt doch: Sie verkleistern Ihre Widersprüche und schaffen es nicht, sich an dieser Stelle zu einigen. ({3}) Außerdem haben Sie noch Folgendes bewirkt: Die einzigen Befürworter, die es deutschlandweit gab, nämlich die Sozialdemokraten und die Linken in Brandenburg, müssen jetzt ebenfalls gegen Ihr CCS-Gesetz sein, weil sie - das ist aus ihrer Sicht nachvollziehbar - nicht die Deppen der Nation sein wollen, die als Einzige diese Technologie anwenden, während sich andere aus dem Staub machen. Das geht doch nicht. Das ist unseriöse Gesetzgebung. Das hat mit einer seriösen Gesetzgebung nichts zu tun. ({4}) Die Krönung setzt dem Ganzen der Kollege Meierhofer auf, der uns hier kurz vor der Plenardebatte in einer Agenturmeldung mitteilt: Wer für CCS ist, muss gegen diesen Gesetzentwurf stimmen. - Meine Damen und Herren, das ist die Position des umweltpolitischen Sprechers der FDP zu diesem Thema, zum vorliegenden Gesetzentwurf. ({5}) Deshalb sage ich: Tun Sie das, was Sie schon lange hätten tun sollen: Werfen Sie diesen Gesetzentwurf in die Tonne; er bringt CCS nicht weiter, er löst das Problem nicht, er schürt nur weitere Konflikte. CCS ist ohnehin keine Zukunftslösung, es ist, wenn überhaupt, eine Rückfalloption für prozessbedingte Emissionen, wenn es uns in den nächsten Jahrzehnten nicht gelingt, diese zu vermeiden. Dafür brauchen wir Forschung, wie wir sie in Ketzin betreiben. Das müssen wir fortsetzen. ({6}) Dafür brauchen wir ein Forschungsgesetz, wie wir es in unserem Antrag vorschlagen. Wenn Sie es ernst meinten, würden Sie sich auf unseren Vorschlag zubewegen. Damit kämen wir dann weiter, damit hätten wir auch etwas für den Klimaschutz getan. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schicksal. - Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich bedanke mich für das Mitleid der SPD, dass ich angeblich immer das Unerklärliche erklären muss. Das fällt mir heute aber, glaube ich, relativ leicht. Ich möchte dennoch mit einer allgemeinen Vorbemerkung beginnen. Wir führen in diesem Haus in steter Regelmäßigkeit Akzeptanzdiskussionen. Immer geht es dabei um die Frage, was wir denn noch hinzunehmen bereit sind. Leider Gottes wird dabei zu wenig mit Blick auf das Ziel formuliert. Akzeptanz hinnehmen, akzeptieren heißt doch, dass man auch ein Ziel, einen Maßstab im Auge haben muss. Ich habe den Eindruck, dass viele in diesem Hohen Haus diesen Maßstab mittlerweile nicht mehr im Blick haben, dass sie glauben, Wohlstand, Arbeitsplätze, Industrie seien etwas, was in diesem Land komplett selbstverständlich ist. Meine Damen und Herren, das ist falsch. Wir leben in einer dynamischen Welt. Wir müssen uns diesen Wohlstand, diese Arbeitsplätze täglich wieder erarbeiten. Dazu gehört es auch, offen und offensiv daDr. Georg Nüßlein rüber nachzudenken, wie alles weitergeht und was man tun muss. Damit sind wir bei unserem heutigen Thema. Natürlich ist CCS kein einfaches Thema, bei dem man einfach mal so aus der Hüfte geschossen sagt: Jawohl, das ist prima, das löst unsere Probleme, das nehmen wir hin. Das ist nicht der Fall. Es ist uns in der Tat, wie es auch etliche beschrieben haben, nicht leicht gefallen, eine Position zu finden; denn auf der einen Seite geht es um die Sicherheit von Menschen und Umwelt und auf der anderen Seite um Eigentumspositionen. Ich möchte in der Debatte ausdrücklich betonen, dass es hier auch um Eigentumspositionen geht. Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, das ich persönlich für einen sinnvollen und gangbaren Weg mit Blick auf das Ziel erachte. Das Ziel heißt nämlich Erprobung, Demonstration. Das ist - um mal auf die Vorredner, insbesondere von den Grünen und von der SPD einzugehen - ein gutes Stück mehr als einfach nur Erforschung, Forschung im Labor, wie Sie es wohl im Kopf haben. Wir gehen einen notwendigen Schritt weiter. Denn die Forschungsspeicherung in Ketzin hat uns gezeigt, dass 60 000 Tonnen eingelagert werden können. Das, was man machen kann, ist von der Forschung schon belegt. Also müssen Sie ein Stück weiter gehen. Wir haben internationale Erfahrungen mit einer jährlichen Speicherung von 1 Million Tonnen pro Jahr in Norwegen und in Algerien. Also müssen Sie auch hier einen Schritt weitergehen, wenn Sie eine Technologie erproben, demonstrieren und mit Blick auf ihre Anwendbarkeit weiter erforschen wollen. Ich halte es für entscheidend, dass wir hier einen Schritt nach vorn tun. Dass wir das im Rahmen einer Vereinbarung mit den Ländern, im Rahmen dieser vielfach zitierten Länderklausel tun, ist auch richtig und wichtig. Man kann beim besten Willen nicht einfach von einem Vetorecht sprechen. Es muss abgewogene Kriterien geben, die einen Gebietsausschluss zulassen. Diese Kriterien müssen fachlich und gerichtlich überprüfbar sein, um bestimmte Gebiete wegen geologischer Besonderheiten, wegen Nutzungskonkurrenzen und wegen anderer öffentlicher Interessen auszuschließen. Man kann das eben nicht nach Gutdünken irgendwelcher Ministerpräsidenten handhaben. Das formuliere ich so klar an die Adresse derjenigen, die das anders sehen. Das muss man aus meiner Sicht klar in den Raum stellen. ({0}) Man muss über die Forderungen, die von der Opposition vorgetragen werden, diskutieren. Das Ziel ist die Eingrenzung auf prozessbedingte Emissionen, also nur auf die Emissionen der produzierenden Industrie. Bevor wir über das Ziel sprechen, müssen wir aber diskutieren, ob wir dies auf den gesamten Bereich der Energieproduktion anwenden wollen. Wo wollen wir denn solche Prozesse zum Einsatz bringen? Dort, wo es keine Substitutionsmöglichkeiten und keine Alternativen gibt, sind sie natürlich ganz besonders wichtig; da haben Sie recht. Jetzt in der Erprobungsphase geht es aber nicht um die Frage, wo das CO2 herkommt. Thema ist auch nicht, ob CO2 gut oder schlecht ist oder was auch immer Sie damit sagen wollen. Es kommt darauf an, dass wir diese Phase in Übereinstimmung mit der Europäischen Union durchschreiten, um diese Technologie überhaupt einsatzfähig zu machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht auf die Einsatzfähigkeit in Deutschland allein ankommt. Es wird darauf ankommen, dass wir solche Technologien insbesondere in den Schwellenländern voranbringen. Es gab in China Jahre, in denen jeden zweiten Tag ein Kohlekraftwerk ans Netz gegangen ist. Es gab in China auch Jahre, in denen der jährliche Zuwachs an CO2-Ausstoß so groß war wie unser Gesamtausstoß. Jenseits aller grünen Traumtänzereien in Bezug auf die Themen Kohle und fossile Brennstoffe ist mir eines vollständig klar: Die Kohle dieser Welt wird verbrannt, wenn uns nichts Besseres im Bereich der Energieversorgung einfällt. Wenn sie verbrannt wird, kommt es entscheidend darauf an, mit welcher Technologie sie verbrannt wird. Dass wir die Wirkungsgrade erhöhen und den CO2-Ausstoß im Auge behalten, halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe, der sich eine Industrie- bzw. eine Ingenieurnation - das sage ich mit Entschlossenheit wie Deutschland annehmen will. Ich sage ganz klipp und klar: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass diese Technologie so weit vorangebracht wird, dass man sie beispielsweise in den Schwellenländern einsetzen kann. Ich lade Sie herzlich ein, heute mit uns diesen nächsten Schritt zu gehen. Vielen herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Michael Kauch für die FDPFraktion das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon unverfroren, dass sich Herr Miersch von der SPD hier hinstellt, sich aufplustert und uns erzählen will, was man alles hätte besser machen können. Es war ein roter Umweltminister, der es in der letzten Wahlperiode nicht geschafft hat, ({0}) ein Gesetz zur Umsetzung der CCS-Richtlinie durch den Deutschen Bundestag zu bringen. Jetzt ist er Ihr Parteivorsitzender. ({1}) Sie haben es nicht hinbekommen. Sie sind die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die zu dieser Debatte keine Vorlage eingebracht hat. Die SPD-Fraktion weiß offensichtlich nicht, ob das, was Herr Miersch erzählt, auch das ist, was die SPD-Fraktion denkt. ({2}) Ich sage mit Blick auf das Parlament und auch auf die Länderparlamente ganz deutlich: Es gibt in Deutschland immer schnell Koalitionen zum Neinsagen. Die gehen über die Parteien hinweg und sagen vor Ort immer Nein. Ich frage mich, ob es nicht an der Zeit ist, in Deutschland nicht nur über die Risiken, sondern auch über die Chancen von Technologien zu reden. ({3}) Meine Damen und Herren, die Vertreterin der Umweltorganisation WWF hat in der Anhörung ausgeführt, dass es Menschen gibt, die meinen, wir sollten uns nicht auf CCS einlassen, sondern lieber Bäume pflanzen, um CO2 zu binden. Daraufhin hat sie gesagt: Ja, wir müssen Bäume pflanzen - diese Bäume müssen wir aber in jedem Fall pflanzen, unabhängig davon, ob wir CCS zulassen. Wir müssen beides machen; nur dann werden wir bis 2050 eine CO2-Reduktion von 95 Prozent erreichen. ({4}) Das ist der entscheidende Punkt. Wir können uns nicht einfach entspannt hinsetzen und zusehen, dass wir in Deutschland unsere Ziele erreichen. Wir müssen global mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen einsparen; das sind in den Industrieländern bis 2050 95 Prozent. Es gibt aber Industrien, die ihre Emissionen nicht senken können, weil sie prozessbedingt sind. Wenn Sie diese Industrien nicht nach China vertreiben wollen, dann müssen Sie eine Lösung hier im Land anbieten. ({5}) Dazu muss auch die CO2-Abspeicherung und -Einlagerung in die Erde gehören. ({6}) Jetzt tragen die Länder eine besondere Verantwortung. ({7}) Sie haben die Verantwortung, mit ihren Kompetenzen sinnvoll und verantwortungsvoll umzugehen. Ich sage ganz deutlich - auch an eigene Parteifreundinnen und Parteifreunde -: Wer es mit dem Klimaschutz ernst meint, der kann in seinem eigenen Bundesland entsprechende Technologien nicht pauschal ablehnen. Sie haben die Verantwortung, und die müssen sie jetzt tragen. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zum Abschluss sage ich Ihnen ganz deutlich: Die SPD hat behauptet, wir würden uns nicht um Nutzungskonkurrenzen kümmern. Wenn Sie einmal die Vorlagen des Deutschen Bundestages lesen würden, dann würden Sie erkennen, dass es diese Koalition ist, die mit einem Antrag die Bundesregierung beauftragt, einen Atlas zu erstellen, ({0}) in dem die Nutzungskonkurrenzen zwischen Geothermie, ({1}) CCS und weiteren energetischen Nutzungen - wie beispielsweise Druckluftspeichern - aufgeführt sind. Es muss endlich klargestellt werden, dass die Regionen in Deutschland nicht mehrfach ({2}) für die Nutzungen verplant werden, die wir klimapolitisch erreichen wollen. CCS ist notwendig. Die Einführung von CCS über die Länderklausel ist nicht der Weg unserer Wahl gewesen; es ist aber der einzige Weg, dieses Gesetz durch den Bundesrat zu bringen. Deshalb nehmen wir die Länderklausel in Kauf und appellieren an die Länder, sensibel mit ihrer neuen Verantwortung umzugehen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur De- monstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Spei- cherung von Kohlendioxid. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/6507, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/5750 und 17/6264 in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Regierungsfrak- tionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktio- nen angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Ge- setzentwurf namentlich ab. Ich möchte darauf hinwei- sen, dass wir im Anschluss noch eine weitere nament- liche Abstimmung durchführen wollen. Es liegen zu dieser Abstimmung eine ganze Reihe persönlicher Er- klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be- setzt? - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Abstimmung. Die obligate Frage: Haben alle anwesenden Mitglie- der des Hauses sich an der Abstimmung beteiligt? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstim- mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab- stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6513. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionen und der Linken gegen die Stimmen der Grünen bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zum Verbot der Speicherung von Kohlendioxid in den Untergrund des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland. Der Ausschuss für Um- welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/6507, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5232 abzulehnen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist offensicht- lich der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Die obligate Frage: Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie bitte Platz; denn wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Umfassende Datenbasis für Nutzungsmög- lichkeiten des Untergrunds schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6507, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/3056 anzuneh- men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer 1) Anlage 7 2) Ergebnis Seite 13970 D 3) Ergebnis Seite 13973 B stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung von SPD und Linken gegen die Stimmen der Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Mast, Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Arbeitsmarktpolitik an den Herausforderungen der Zeit orientieren - Weichen für gute Arbeit, Vollbeschäftigung und Fachkräftesicherung stellen - Drucksache 17/6454 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion das Wort. ({1})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute diskutieren wir den arbeitsmarktpolitischen Antrag der SPD. Dieser Antrag ist notwendig, weil Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik zwei Farben hat: ({0}) Schwarz und Gelb. Das wissen Sie. Deshalb behaupten Sie immer in den Debatten über die massiven Haushaltskürzungen, das sei alles gar nicht so. Hier sitzt die Lobby für aktive Arbeitsmarktpolitik. Hier sitzen diejenigen, die in der Arbeitsmarktpolitik fördern und fordern wollen. Diese Gedanken liegen unserem Antrag „Arbeitsmarktpolitik an den Herausforderungen der Zeit orientieren - Weichen für gute Arbeit, Vollbeschäftigung und Fachkräftesicherung stellen“ zugrunde, über den wir jetzt diskutieren. ({1}) Uns geht es darum, die Spaltung am Arbeitsmarkt zu überwinden. Darin sehen wir eine Aufgabe der Politik. Auch das unterscheidet uns von Schwarz-Gelb. Wir wollen, dass die Spaltung am Arbeitsmarkt ein Ende hat. Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt dafür? ({2}) Vollbeschäftigung ist ein hehres Ziel; das wissen wir alle. Wenn es um Vollbeschäftigung geht, dürfen wir aber nicht nur die Menschen, die Arbeitslosengeld I be13968 ziehen, in den Blick nehmen, sondern wir müssen auch die Menschen berücksichtigen, die Arbeitslosengeld II beziehen, also diejenigen, die langzeitarbeitslos sind. An dieser Stelle möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten Herrn Weise zitieren, der - das können wir heute nachlesen - ein Zehnjahresprogramm gegen Sockelarbeitslosigkeit gefordert hat. Er fordert die Bundesregierung auf, dafür Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Er appelliert an die Bundesregierung, die Mittel für die Bundesagentur für Arbeit nicht voreilig zu kürzen. Das Geld sei bei der Bundesagentur zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit und zur Vermeidung der sozialen Folgekosten gut angelegt. Er sagt: Geben Sie uns das Geld. Bei uns gibt es Rendite. Woanders wird es verbrannt. - Er bringt es auf den Punkt, Kolleginnen und Kollegen von SchwarzGelb: Machen Sie Schluss mit Ihren massiven Kürzungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. ({3}) Wir haben in dieser Woche im Ausschuss über den Gesetzentwurf diskutiert, den Sie in der letzten Woche ins Plenum eingebracht haben. In dieser Woche haben Sie im Ausschuss gesagt, dass Sie ihn nicht in den Bundesrat schicken können, weil er dort vielleicht keine Zustimmung bekommen würde. Wenn dieser Gesetzentwurf so gut wäre, wie Sie sagen, brauchten Sie keine Angst vor den Bundesländern zu haben. Wenn Sie über diesen Gesetzentwurf Chancen schaffen könnten, sollten Sie damit in den Bundesrat gehen. Unsere Unterstützung haben Sie. Jetzt zu unserem Antrag, der auf sieben Leitideen basiert. Ich will an dieser Stelle auf einige eingehen. Wir setzen erstens eine klare Priorität bei der Herausforderung unserer Zeit: Wir müssen sicherstellen, dass der Fachkräftebedarf auch in Zukunft gedeckt wird. Das ist die größte wirtschaftliche Herausforderung für unsere Volkswirtschaft. Deshalb rücken wir - das ist unser erster Punkt - Ausbildung, Bildung, Qualifizierung und Weiterbildung in das Zentrum der Arbeitsmarktpolitik. In unserem Antrag finden Sie das Recht auf Ausbildung, die Forderung nach mehr Praxisbezug im Rahmen der Berufsvorbereitung junger Menschen und die Entfristung der Einstiegsqualifizierung, die vielen Jugendlichen die Chance auf Ausbildung eröffnet. Das ist unser erster Punkt. Diesen Punkt finden wir in Ihrem Gesetzentwurf nicht. Deshalb mussten wir einen eigenen Antrag einreichen. ({4}) Zweiter Punkt: Wir wollen einen sozialen Arbeitsmarkt. Wir wollen öffentlich geförderte Beschäftigung, die auf Dauer angelegt ist, damit die Menschen, die am Rand des Arbeitsmarktes stehen, weil bei ihnen vielfältige Vermittlungshemmnisse vorhanden sind, die zum Beispiel schon sehr lange arbeitslos sind, endlich eine dauerhafte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden. Sie wollen das nicht. Mit Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie die Chancen dieser Menschen reduzieren. Wir wollen neue Chancen schaffen. Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Wir stehen zu einem sozialen Arbeitsmarkt, den wir über einen Passiv-Aktiv-Transfer finanzieren. Das ist ganz im Sinne der Menschen, die ein Recht auf Beschäftigung wollen. ({5}) Drittens - und auch dazu sagen Sie im Rahmen Ihrer uninspirierten Arbeitsmarktpolitik nichts -: Alle arbeitsmarktpolitischen Fachleute wissen, dass wir Langzeitarbeitslose am besten in Arbeit bringen, wenn wir die Arbeitsvermittler stärken. Wir müssen dafür sorgen, dass die Vermittler weniger Menschen betreuen, als das heute der Fall ist. Das Verhältnis liegt heute im Schnitt bei 1 : 158. Wir finden, dieser Schnitt muss deutlich gesenkt werden. Nur so können wir genug Fachkräfte für die Zukunft ausbilden. Wir wollen spezifische Angebote für Frauen, Migrantinnen, Migranten und Jugendliche. Dafür brauchen wir gut qualifizierte Vermittlerinnen und Vermittler sowie einen besseren Betreuungsschlüssel. Dazu sagen Sie in Ihrem zentralen Arbeitsmarktprogramm, das Sie letzte Woche vorgelegt haben, nichts. ({6}) Auch deshalb bekommen Sie heute die Antwort der SPD: Wir wollen einen besseren Vermittlungs- und Betreuungsschlüssel insbesondere im Sozialgesetzbuch II verankern. ({7}) Wir wollen aber auch, dass die wissenschaftliche Begleitung unserer Arbeitsmarktpolitik besser wird. Wir wollen nicht nur wie Sie - das ist wichtig; das ist das zentrale Ziel der Arbeitsmarktpolitik - den ersten Arbeitsmarkt im Blick haben, sondern auch soziale Teilhabe gerade für langzeitarbeitslose Menschen in die wissenschaftliche Begleitung mit aufnehmen. Ich freue mich auf die Debatte mit Ihnen. Im September wird es eine Anhörung zu unseren Gesetzentwürfen und Anträgen geben. Ich fordere Sie noch einmal auf - wir brauchen eine Lobby für aktive Arbeitsmarktpolitik -: Kämpfen Sie dafür, dass die Kürzungen, Ihre Sparorgien ein Ende haben! Kämpfen Sie für die Menschen, die in Ihrer Verantwortung sind, für Arbeitslose, die Arbeit haben wollen und die ein Recht auf Beschäftigung haben! ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Herbst 2005 - nach der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin - hat die Bild-Zeitung getitelt: „Frau Merkel, das sind jetzt Ihre Arbeitslosen“. Nun will ich Peter Weiß ({0}) Ihnen die Bilanz vorlegen. Im Jahr 2005 - beim Regierungsantritt von Angela Merkel - lag die Arbeitslosigkeit in Deutschland bei 4,86 Millionen Personen oder 12 Prozent. Im Jahr 2009 - nach der erneuten Wahl von Angela Merkel zur Kanzlerin - lag die Arbeitslosigkeit in Deutschland bei 3,41 Millionen Menschen, sprich: 8,2 Prozent. Und heute, im Juni 2011, liegt die Arbeitslosigkeit in Deutschland bei 2,83 Millionen Menschen oder 6,9 Prozent. Nichts kann mehr als diese klaren und eindeutigen Zahlen, die niemand bezweifeln kann, belegen: Diese Bundesregierung unter Angela Merkel ist die erfolgreichste, was die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit in Deutschland anbelangt. ({1}) Unter Rot-Grün war die Arbeitsmarkpolitik von der Frage „Was machen wir gegen die Massenarbeitslosigkeit?“ bestimmt. Heute diskutieren wir über die Perspektive, dass wieder Vollbeschäftigung in Deutschland möglich ist, und darüber, dass wir in einigen Bereichen bereits einen Mangel an Fachkräften erleben. Auch die Debatte über „gute Arbeit“ ist von Rot-Grün in den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nicht geführt worden. Im Gegenteil: All die Verwerfungen am Arbeitsmarkt, die die Sozialdemokraten in dem vorliegenden Antrag beklagen und vorhin in der Aktuellen Stunde beklagt haben, sind Ausfluss der Gesetzgebung von Rot-Grün. Deswegen müssten Sie ehrlicherweise über Ihren Antrag schreiben: Schluss! Nie wieder Rot-Grün! Das wäre konsequent. ({2}) Nun zu dem Geld, das der Staat zur Verfügung stellt. Ich glaube, jedem wird einleuchten, dass eine veränderte Situation auf dem Arbeitsmarkt auch Auswirkungen auf die finanzielle Ausstattung der Arbeitsmarktpolitik haben muss. ({3}) Bei 2,8 Millionen Arbeitslosen muss und kann der finanzielle Rahmen nicht genauso aussehen wie bei 4,8 Millionen Arbeitslosen. Ich komme zu den konkreten Zahlen. Im Jahr 2006 - das war das Jahr, ({4}) in dem eine Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel die Verantwortung trug; ({5}) es war die die Große Koalition von CDU/CSU und SPD haben wir für 2,82 Millionen Arbeitsuchende im SGB-IIBereich, also Arbeitslosengeld-II-Bezieher, 4,5 Milliarden Euro für Vermittlung und Förderung zur Verfügung gestellt. ({6}) Das waren damals - Sie können das nachrechnen - pro Kopf rund 1 600 Euro. ({7}) Im Entwurf für den Bundeshaushalt 2012, den der Herr Bundesfinanzminister kürzlich vorgestellt hat, ({8}) stellen wir für 1,86 Millionen Arbeitslose, die derzeit Arbeitslosengeld II beziehen, einen Betrag von 4,4 Milliarden Euro zur Verfügung, also pro Kopf knapp 2 400 Euro. 2 400 Euro sind deutlich mehr als 1 600 Euro. ({9}) Zweitens zu den Zahlen für die Bezieher von Arbeitslosengeld I. Im Jahr 2006 gab es 1,66 Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld I; für diese haben wir 2,7 Milliarden Euro aufgewandt. Für das Jahr 2012 werden wir für geschätzte 0,8 Millionen Personen ziemlich genau die Hälfte der Summe zur Verfügung stellen, die wir 2006 zur Verfügung gestellt haben. Sowohl für die Bezieher von Arbeitslosengeld I als auch für die Bezieher von Arbeitslosengeld II wird es im nächsten Jahr pro Kopf deutlich mehr finanzielle Förderung durch den Staat und die Arbeitslosenversicherung geben als 2006. Wer hier von einem finanziellen Kahlschlag bei der Arbeitsmarktpolitik spricht, kann schlichtweg nicht rechnen. Das ist die Wahrheit. ({10}) - Die Haushälterin Frau Hagedorn möchte mir eine Frage stellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich war so im Zuhören begriffen, dass ich das nicht bemerkt habe. ({0}) Bitte schön, Kollegin Hagedorn.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Weiß, weil Sie hier versuchen, einen vollkommen falschen Eindruck zu erwecken, ({0}) möchte ich Sie fragen, ob Sie mit mir einig sind, dass die Bundesregierung vor ziemlich genau einem Jahr ein sogenanntes Sparpaket beschlossen hat, durch das die Mittel im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik um über 40 Prozent gekürzt werden sollten. Dieses Paket ist mit dem Haushaltsbegleitgesetz umgesetzt worden. Die Instrumentenreform, über die wir hier jetzt diskutieren, ist nichts anderes als ein Etikettenschwindel; denn durch die im Rahmen der Instrumentenreform geplanten Maß13970 nahmen sollen die angestrebten Kürzungen erreicht werden. Genau das haben Sie vor. Daher muss man auch nach vorne und nicht nur zurückschauen, Herr Kollege Weiß, um Ihre Politik zu beurteilen. Es ist ganz klar - Zahlen lügen an dieser Stelle nicht -, dass Sie bis 2015 strukturelle Kürzungen vornehmen: bei der Bundesagentur für Arbeit 11,5 Milliarden Euro und ein halber Mehrwertsteuerpunkt, 4 Milliarden Euro, pro Jahr. Zusätzlich kassieren Sie den Überschuss bei der Insolvenzgeldumlage von 1,1 Milliarden Euro in diesem Jahr und kürzen im Bereich des SGB II, also bei Langzeitarbeitslosen, um 15 Milliarden Euro. Diese Kürzungsorgie haben wir noch vor uns; sie wird erst 2013, wenn Sie möglicherweise nicht mehr regieren, ihren Höhepunkt erreichen. Das ist die Folge Ihres Kürzungspakets, das Sie hier beschlossen haben. Sie sagen, dass Sie dadurch die Schuldenbremse einhalten wollen. Aber in Wahrheit nehmen Sie den Menschen damit die Chancen und verbrämen alles mit dem Etikettenschwindel „Instrumentenreform“. ({1})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hagedorn, zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich bemerkenswert finde, dass Sie die Zahlen, die ich vorgetragen habe, überhaupt nicht infrage stellen. Als Mitglied des Haushaltsausschusses und als zuständige Berichterstatterin für den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales kennen Sie diese Zahlen. Ich möchte also zuerst einmal festhalten, dass meine Zahlen von Ihnen nicht bezweifelt worden sind. ({0}) Zweitens. Da uns alle Wirtschaftsforschungsinstitute, auch die gewerkschaftsnahen, voraussagen, dass die Zahl der Arbeitslosen Gott sei Dank in den kommenden Jahren weiter zurückgehen wird, ({1}) können wir die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik insgesamt zurückführen, selbstverständlich auch strukturell. ({2}) „Strukturell“ heißt zum Beispiel: Wenn wir deutlich weniger Arbeitslose haben, dann brauchen wir auch nicht mehr den vollen Apparat, den die Bundesagentur für Arbeit heute zur Verfügung hat. ({3}) Hier sind in der Tat strukturelle Einsparungen und Veränderungen - ich muss sagen: Gott sei Dank - notwendig. Denn es geht nicht darum, Arbeitslosigkeit zu verwalten, sondern darum, Menschen aus der Arbeitslosigkeit hinauszuführen. ({4}) - Jawohl. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Frage ist: Greift unsere aktive Arbeitsmarktpolitik auch mit der Mittelausstattung, die wir in Zukunft haben werden? Ich finde es ganz interessant, dass zum Beispiel eine aktuelle Untersuchung unter Beteiligung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zu dem Ergebnis kommt, dass wir mittlerweile auch klassische Problembereiche des Arbeitsmarktes zusehends aufbrechen. Im Altersübergangs-Report 2011 heißt es: Noch nie waren so viele Ältere ab 50 Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt wie heute. Das zeigt doch: Wir haben mit der Arbeitsmarktpolitik, die wir gemeinsam verantworten, Erfolg. ({6}) Um was es geht, ist: Wir wollen mit der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente deren Effizienz erhöhen. Wir wollen Maßnahmen, die sich nach der Evaluierung und der wissenschaftlichen Untersuchung, die Frau Mast gefordert hat, ({7}) als nicht wirksam erwiesen haben, künftig nicht mehr anwenden und Maßnahmen, die effektiv sind, verstärkt anwenden. So - da sind wir uns sicher - werden wir die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt auch in Zukunft fortführen. Von Streichorgien zu reden, ist schlichtweg falsch. ({8}) Die Zahlen strafen Sie Lügen. Bitte unterlassen Sie in Zukunft eine solche Argumentation der Verunsicherung! ({9}) Wir setzen das notwendige Geld ein, damit die Arbeitslosigkeit in Deutschland in Zukunft weiter erfolgreich bekämpft werden kann. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischendurch darf ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen AbstimVizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse mung über den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid bekannt geben: abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 306, mit Nein haben gestimmt 266, Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 573; davon ja: 306 nein: 266 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Manfred Behrens ({1}) Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({2}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Siegfried Kauder ({8}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({10}) Dr. Michael Meister Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Stefan Müller ({11}) Nadine Schön ({12}) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({13}) Lothar Riebsamen Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({14}) Anita Schäfer ({15}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({16}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({17}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({18}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({19}) Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({20}) Peter Weiß ({21}) Sabine Weiss ({22}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({23}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Joachim Günther ({24}) Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({25}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Dr. Martin Lindner ({26}) Michael Link ({27}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({28}) ({29}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({30}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau hierse Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({31}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({32}) Nein CDU/CSU Hans-Georg von der Marwitz SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({33}) Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({34}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Garrelt Duin Ingo Egloff Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({35}) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann ({36}) Hubertus Heil ({37}) Rolf Hempelmann Gustav Herzog Petra Hinz ({38}) Frank Hofmann ({39}) Christel Humme Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Daniela Kolbe ({40}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({41}) Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({42}) Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({43}) Michael Roth ({44}) ({45}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({46}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({47}) Werner Schieder ({48}) Ulla Schmidt ({49}) Silvia Schmidt ({50}) Carsten Schneider ({51}) Swen Schulz ({52}) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({53}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Horst Meierhofer Judith Skudelny DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Michael Leutert Ulla Lötzer Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Ingrid Remmers Paul Schäfer ({54}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Alexander Süßmair hierse Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({55}) Volker Beck ({56}) Cornelia Behm Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({57}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Undine Kurth ({58}) Monika Lazar Tobias Lindner Agnes Malczak Kerstin Müller ({59}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Omid Nouripour Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({60}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Enthalten SPD Gerd Bollmann Des Weiteren darf ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke zum Verbot der Speicherung von Kohlendioxid in den Untergrund des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland bekannt geben: abgegebene Stimmen 575. Mit Ja haben gestimmt 65, mit Nein haben gestimmt 445, Enthaltungen 65. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 575; davon ja: 65 nein: 445 enthalten: 65 Ja DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Ingrid Remmers Paul Schäfer ({61}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Sabine Zimmermann Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({62}) Manfred Behrens ({63}) Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({64}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({65}) Dirk Fischer ({66}) Axel E. Fischer ({67}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({68}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({69}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Siegfried Kauder ({70}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig hierse Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({71}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({72}) Dr. Michael Meister Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Stefan Müller ({73}) Nadine Schön ({74}) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({75}) Lothar Riebsamen Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({76}) Anita Schäfer ({77}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({78}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({79}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({80}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({81}) Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({82}) Peter Weiß ({83}) Sabine Weiss ({84}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({85}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({86}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Garrelt Duin Ingo Egloff Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({87}) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann ({88}) Hubertus Heil ({89}) Rolf Hempelmann Gustav Herzog Petra Hinz ({90}) Frank Hofmann ({91}) Christel Humme Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Daniela Kolbe ({92}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({93}) Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({94}) Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({95}) Michael Roth ({96}) ({97}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({98}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({99}) Werner Schieder ({100}) Ulla Schmidt ({101}) Silvia Schmidt ({102}) Carsten Schneider ({103}) Swen Schulz ({104}) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer hierse Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({105}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({106}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Joachim Günther ({107}) Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({108}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Dr. Martin Lindner ({109}) Michael Link ({110}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({111}) ({112}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({113}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({114}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({115}) Enthalten CDU/CSU Hans-Georg von der Marwitz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({116}) Volker Beck ({117}) Cornelia Behm Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({118}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Undine Kurth ({119}) Monika Lazar Tobias Lindner Agnes Malczak Kerstin Müller ({120}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Omid Nouripour Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({121}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 9 zurück. Ich erteile Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke das Wort. ({122})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vorliegenden Antrag wird die schwarz-gelbe Arbeitsmarktpolitik kritisiert, und das zu Recht. Ich möchte die Kritikpunkte aus Sicht der Linken darstellen. Die Pläne der Bundesregierung - das können Sie nicht einfach wegrechnen, Herr Weiß - gehen Hand in Hand mit Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik. ({0}) Wir hatten die Vertreter des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit bei uns im Ausschuss. Herr Clever, der parteipolitisch wahrlich nicht im Verdacht steht, Mitglied der Linken zu sein, hat dort gesagt: Diese Kürzungen gehen nur mit enorm tiefen Einschnitten in der Arbeitsmarktpolitik. ({1}) Sie haben hier ein verzerrtes Bild gezeichnet. In der Summe sind zwar jeweils weniger Erwerbslose zu verzeichnen. Weil die Beschäftigungsdauer kürzer ist, die Leute also schneller gefeuert werden und sich schneller wieder arbeitslos melden müssen, gibt es aber einen höheren Umschlag und demzufolge bei der Bundesagentur für Arbeit mehr zu tun. Deshalb kann man dort nicht einfach kürzen. ({2}) Wenn Schwarz-Gelb über dieses Thema redet, dann klingt das immer ganz schön. Sie sagen dann: Wir wollen Ordnung im Instrumentenkoffer schaffen. - Jeder, der schon einmal vor einem chaotischen Werkzeugkoffer stand, denkt dann: Na ja, da ist bestimmt etwas dran. Aber dieses Bild ist verlogen. Denn Sie kürzen gerade bei den Maßnahmen, die zu vergleichsweise guten Ergebnissen geführt haben, und führen die Maßnahmen fort, die in der wissenschaftlichen Evaluation schlecht abgeschnitten haben. ({3}) Um beim sprachlichen Bild des Werkzeugkoffers zu bleiben: Es ist schon ein Problem, wenn man nur noch einen Hammer im Werkzeugkasten hat, aber eigentlich einen Schraubenzieher bräuchte. Da ich neulich in meiner WG renoviert habe, kann ich nur sagen: Versuchen Sie einmal, einen Wandschrank ohne den passenden Schraubenzieher anzubringen! Bei der Arbeitsmarktpolitik reden wir über Menschen, bei denen Mangel verheerende Folgen hat. Das heißt nämlich ganz konkret, dass der Sachbearbeiter dann zum Erwerbslosen sagen muss: Tja, für Sie habe ich heute weder Weiterbildung noch eine Arbeitsgelegenheit mit Entgelt. - Für uns als Linke ist das nicht akzeptabel. ({4}) Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass aus Pflichtleistungen Ermessensleistungen werden. Ermessensleistungen - das ist Behördendeutsch. Da schreckt man erst einmal gar nicht auf. Und wenn die FDP davon redet, klingt das nach etwas ganz Tollem, ({5}) nämlich so, als ob dann aus der reichen Theke des Angebotes das Beste ausgesucht würde. Ich kann den Zuhörern nur empfehlen: Lassen Sie sich davon nicht täuschen! Denn in Verbindung mit Mittelkürzung bedeutet Ermessensleistung vor allen Dingen eines: Der Entscheidungsspielraum wird am Ende bei null liegen. Dann wird der Sachbearbeiter nur noch sagen können: Für Sie haben wir heute leider keine Förderung. - Die Verantwortung dafür liegt bei CDU/CSU und FDP. ({6}) Die schwarz-gelbe Arbeitsmarktpolitik konzentriert sich vor allen Dingen auf die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Das ist gut, aber eben zu kurz gegriffen. Gegenüber dem wichtigen Potenzial einer öffentlich geförderten Beschäftigung sind Sie vollkommen blind. Öffentlich geförderte Beschäftigung kann nämlich Projekte, die nicht sofort der Profitlogik entsprechen, in denen aber notwendige gesellschaftliche Arbeit geleistet wird, wie das in Frauenzentren der Fall ist, mit Langzeiterwerbslosen zusammenbringen, die auf der Suche nach sozialen Kontakten sind. Das ist eine wichtige Dimension, die Sie nicht einfach ignorieren können. ({7}) Deswegen setzen wir uns für öffentlich geförderte Beschäftigung ein. Ich finde die Idee eines Arbeitsmarktes von unten sinnvoll. Man sollte besser bei Projekten wie der Nachbarschaftshilfe, bei der Erwerbslose selbstbestimmt sinnvolle Tätigkeiten stiften, Jobs finanzieren. Dort ist das Geld allemal besser aufgehoben, als wenn man es in den Sanktionsapparat steckt. ({8}) Nun gäbe es tatsächlich Veränderungsbedarf. Genau die notwendigen Veränderungen werden von Ihnen aber nicht in Angriff genommen. Um nur einmal ein Beispiel zu nennen: Es gibt einen enormen Bedarf an Altenpflegern. Altenpfleger ist aber ein Beruf mit einer Ausbildung, die mindestens drei Jahre dauert. Das Problem ist, dass die meisten Maßnahmen in der Berufsförderung nur auf zwei Jahre angelegt sind. Diese wichtige Veränderung nehmen Sie nicht in Angriff. Aus all diesen Gründen und Kritikpunkten sagen wir ganz deutlich Nein zur schwarz-gelben Arbeitsmarktpolitik. Sie kürzen an der falschen Stelle. Die wirklich notwendigen Änderungen nehmen Sie nicht in Angriff. Wir haben als Linke unsere Alternativen hier bereits vor mehreren Wochen in einem Antrag vorgestellt. Ich will sie noch einmal kurz zusammentragen. Wir als Linke setzen auf eine Vermittlung in gute Arbeit. Gute Arbeit meint: gut bezahlt, ohne Zwang, sinnstiftend und mit familienfreundlichen Arbeitszeiten. ({9}) Wir wollen die vorhandene Erwerbsarbeit besser verteilen. Eines der zentralen Mittel dabei ist die Arbeitszeitverkürzung. Wir setzen auch auf eine öffentlich geförderte Beschäftigung in sinnvollen Tätigkeiten, die mindestens mit dem Mindestlohn bezahlt werden, die voll sozialversicherungspflichtig sind und deren Annahme freiwillig ist. ({10}) Um all dies zu finanzieren, haben wir auch ein eigenes Steuerkonzept eingebracht. Lassen Sie mich den Unterschied einmal auf den Punkt bringen: Im Zentrum Ihrer Arbeitsmarktpolitik, der schwarz-gelben Arbeitsmarktpolitik, steht der Rotstift. Im Zentrum unserer Arbeitsmarktpolitik steht der Mensch - einfach weil er ein Mensch ist. Danke schön. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Johannes Vogel für die FDP-Fraktion. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, als Einzige Ihren Antrag nicht zu unserem Gesetzentwurf letzte Woche vorgelegt haben, will ich jetzt nicht nur über unseren Gesetzentwurf reden. Vielmehr habe ich mir konkret Ihren Antrag angeschaut. Darin findet man wirklich interessante Sachen. So schreiben Sie, wir würden den wissenschaftlichen Evaluationsergebnissen kaum folgen. ({0}) Erstens ist das falsch. Zweitens, Frau Kollegin Mast, wäre das noch gut gegenüber dem, was Sie hier tun; denn Sie ignorieren sie einfach komplett. Ich will nur aus dem Evaluationsbericht des IAB zu einer ganz interessanten Maßnahme, den sogenannten ABM-Stellen, zitieren. Warum ist diese Maßnahme so interessant? Weil Sie in Ihrem Antrag fordern, dass die ABM wieder eingerichtet werden sollen. Das IAB schreibt dazu: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen schaden der Tendenz nach eher den Integrationschancen der Geförderten. Und weiter: Vor diesem Hintergrund stimmt es bedenklich, wenn ABM für viele Teilnehmergruppen signifikant negative Eingliederungswirkungen auslösen. Der Bedeutungsverlust im SGB III ist damit richtig und zwangsläufig. Auch ihre Abschaffung im Rechtskreis SGB II ist nachvollziehbar: … Frau Kollegin Mast, wie Sie vor diesem Hintergrund allen Ernstes sagen können, das sei moderne Arbeitsmarktpolitik - durch dieses Instrument werden Menschen aus dem Arbeitsmarkt herausgehalten anstatt hineingebracht -, kann ich nicht nachvollziehen. Richtigerweise ist das nicht unsere Arbeitsmarktpolitik. ({1}) Ich würde mich wirklich freuen und unsere Debatte wäre viel anregender, wenn Sie zwei Dinge auseinanderhalten würden: Das eine ist die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, das andere ist die Kürzung im Eingliederungstitel. ({2}) - Das gehört eben nicht zusammen. ({3}) Das eine ist in der Tat - liebe Frau Kollegin Kipping, ich freue mich, dass Sie unsere Intention verstanden haben -, dass wir wollen, dass der Werkzeugkasten für die Arbeitsmarktpolitik aufgeräumt wird, ({4}) und das andere ist, dass die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik in Zeiten sinkender Arbeitslosenzahlen natürlich auch ein Stück weit sinken. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD - auch an Sie, Frau Kollegin Hagedorn -, das ist deshalb noch lange kein Kahlschlag. ({6}) - Das ist es nicht. - Das ist kein Kahlschlag; denn - wir haben es Ihnen schon mehrfach vorgerechnet - Sie dürfen ja nicht nur die absolute Höhe der Mittel, sondern Johannes Vogel ({7}) Sie müssen auch die Relation zu den Arbeitslosen betrachten. ({8}) Wenn Sie sich das anschauen, dann stellen Sie fest, dass jetzt im Schnitt jedes Jahr noch immer mehr Geld pro Arbeitslosen zur Verfügung steht, als das in den letzten vier Jahren der Fall war, als Sie den Bundesarbeitsminister gestellt haben. ({9}) Ich komme zum letzten Punkt aus Ihrem Antrag, zu dem ich etwas sagen will. Frau Kollegin Mast, ich finde wirklich, es ist Chuzpe, dass Sie in Ihrem Antrag allen Ernstes schreiben, Sie würden sich gegen die weit verbreitete Einschätzung wehren, Deutschland stünde - als würde das nicht stimmen - bei der Jugendarbeitslosigkeit gut da. Sie sagen, das würde nicht stimmen. Sie wehren sich gegen diese Einschätzung. ({10}) Anstatt dass Sie sich freuen, dass wir bei der Jugendarbeitslosigkeit die zweitbesten Zahlen in ganz Europa haben, bemühen Sie irgendwelche statistischen Tricks, um das schlechtzureden. ({11}) Ich verweise hier auf Eurostat. Wenn man Eurostat fragt, dann sagen sie: „Zur Jugend gehört jemand bis 25 Jahre“, also nicht bis 29 Jahre, wie Sie sich das zurechtgelegt haben. Hier haben wir die zweitbesten Zahlen in ganz Europa. Das sollten Sie in Ihrem Antrag bei aller Liebe nicht schlechtreden. Das ist den Menschen in unserem Land gegenüber unfair und irreführend. Das ist keine vernünftige Arbeitsmarktpolitik. ({12}) Frau Kollegin Mast, wir haben übrigens keine Angst vor dem Bundesrat. Das haben Sie uns eben ja unterstellt. Wir haben nur erlebt, dass Sie im Bundesrat bei den Hartz-IV-Verhandlungen Unsinn veranstaltet haben und die Arbeitsmarktpolitik schlechter machen wollen. Das wollen wir uns und dem Land nicht noch einmal antun. Zu unseren Instrumenten will ich nur kurz etwas sagen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem der Instrumentenkasten in der Tat aufgeräumt wird. ({13}) Alleine dadurch wird die Arbeitsmarktpolitik besser und werden mehr Menschen in diesem Land Chancen gegeben, auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Perspektive zu haben. ({14}) Das ist die Politik unserer Regierung. Was Sie hier machen - ABM wieder einführen und die Erfolge bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit schlechtreden -, ist in meinen Augen alles, aber keine verantwortungsvolle Politik. ({15}) Trotzdem möchte ich das Blinken der Uhr zum Anlass nehmen, Ihnen allen einen schönen Sommer zu wünschen. Ich freue mich auf das Wiedersehen nach der Sommerpause und insbesondere auf die Anhörung zu unseren arbeitsmarktpolitischen Instrumenten und die Fortsetzung der Debatte. Vielen Dank. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, ich dachte, wir sehen uns morgen noch einmal. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich arbeite auch morgen noch, aber wir sehen uns nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Mal sehen. - Das Wort hat nun Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! … das deutsche Jobwunder ist kein Selbstläufer, der Arbeitsmarkt braucht weiter unsere Aufmerksamkeit. Das hat Ursula von der Leyen am letzten Donnerstag anlässlich der Verkündung der Arbeitsmarktzahlen gesagt. Daran kann man wieder einmal sehen, wie weit Handeln und Reden bei dieser Regierung auseinanderliegen; denn von Unterstützung auf diesem Feld kann man bei Ihrer Politik nun wirklich nicht mehr reden. Herr Vogel und Herr Weiß, ich will jetzt noch etwas zu Ihrem halbseidenen Zahlenvergleich sagen: ({0}) Sie vergleichen hier Äpfel mit Birnen. Wir sind uns einig: Wir vergleichen das Jahr 2006 mit dem Jahr 2012. Wenn wir von Ansätzen reden, dann sollten wir auch in Bezug auf 2006 von Ansätzen reden. Sie vergleichen hier aber das Ist mit den Ansätzen. Der Ansatz für 2006 betrug 6,75 Milliarden Euro, der Ansatz für 2012 beträgt 4,4 Milliarden Euro. Also sind die Zahlen, die Sie hier vorlegen, einfach falsch. ({1}) Nicht nur Ihre Zahlenvergleiche sind unseriös, sondern auch Ihre Arbeitsmarktpolitik ist sehr unseriös. Es ist einfach Unsinn, wenn Sie sagen, Herr Vogel, man könne den Gesetzentwurf zur Instrumentenreform nicht im Kontext mit den Einsparungen diskutieren. Es ist doch so, dass zu diesem Gesetzentwurf das Finanztableau quasi mitgeliefert wird. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vogel?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Pothmer, Sie haben uns eben vorgeworfen, dass wir für die Jahre, die noch vor uns liegen, nur Ansätze vergleichen. Ich wüsste nicht, wie das anders gehen sollte; denn für die Jahre, die vor uns liegen, können wir noch keine Istzahlen nehmen. Das ist das Wesen der Zukunft. ({0}) Wir können uns zum Beispiel anschauen, dass die Istzahlen pro Arbeitslosen im Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II 2010 immer noch höher liegen als 2008. Sind Sie mit mir der Meinung, dass dann Ihr Gerede von einem Kahlschlag einfach nicht angemessen ist, Frau Kollegin?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Herr Vogel, das ist vollkommen falsch. Selbstverständlich können Sie die Istzahlen von 2012 noch nicht wissen. Ich fürchte, dass sie noch unter 4,4 Milliarden Euro liegen werden. Aber Sie können sehr wohl die Istzahl von 2006 wissen. Sie ist nämlich schon 2006 zur Kenntnis gebracht worden. Deswegen sind Sie sehr wohl in der Lage, Äpfel mit Äpfeln und Birnen mit Birnen zu vergleichen, und müssen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Das ist unseriös; das wissen Sie auch. ({0}) Herr Vogel, es ist wirklich Quatsch mit Soße, wenn Sie sagen, man dürfe den Gesetzentwurf zur Instrumentenreform nicht mit dem Finanztableau in Einklang bringen. Sie selber haben das zusammen vorgelegt. Sie machen das in Teilen sogar instrumentenscharf. Im Zusammenhang mit dem Gründungszuschuss schreiben Sie in das Gesetz hinein, dass hier 5 Milliarden Euro eingespart werden. Gleichzeitig sagen Sie hier, wir dürften das nicht in einem Kontext sehen. Da lacht doch wirklich die Koralle, die schon lange nicht mehr zu Wort gekommen ist. ({1}) Sie machen eines der wirksamsten Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik kaputt. Herr Vogel und Herr Weiß, das sehe nicht nur ich so. Das sehen doch auch Ihre Parteikollegen so. Die schwarz-gelbe Koalition in Bayern hat angekündigt, den Veränderungen, die Sie beim Gründungszuschuss angekündigt und im Gesetzentwurf festgelegt haben, nicht zuzustimmen. Der gesamte Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates hat gesagt: Beim Gründungszuschuss handelt es sich um ein erfolgreiches Instrument der Arbeitsförderung, das … nicht verkürzt oder verschlechtert werden darf. … Gerade beim Gründungszuschuss handelt es sich um ein Instrument, das direkt in Erwerbstätigkeit führt, die Chance bietet, dass weitere sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geschaffen wird, und gleichzeitig auch wirtschaftspolitische Impulse setzt. Das ist eine kluge Empfehlung des Ausschusses. Die Kritik an Ihrer Politik ist vollkommen berechtigt. Auch Ihre Ministerinnen und Minister haben dieser Empfehlung zugestimmt. ({2}) Im Koalitionsvertrag versprechen Sie, Deutschland zu einem Gründerland werden zu lassen. Sie wollen sogar eine Gründerkampagne machen. Was sollen denn die Arbeitslosen dazu sagen? Sind sie Gründer zweiter Klasse? Der Gründungszuschuss im Jahre 2010 hat allein bei den Gründern, also nur bei denjenigen, die für sich selbst Arbeitsplätze geschaffen haben, 146 500 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Diese Gründer haben zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in einer Größenordnung von über 100 000 geschaffen. Mit anderen Worten: 250 000 neue, zusätzliche Arbeitsplätze werden durch Ihre Politik gefährdet.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Pothmer, 13980

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Weiß! ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- da Ihre Partei Bündnis 90/Die Grünen tendenziell immer noch besonders gern mit den Sozialdemokraten koalieren möchte Brigitte Pothmer ({0}): Das liegt aber nicht an den Sozialdemokraten. Das liegt an Ihnen. ({1})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- gut, ich nehme diese Liebeserklärung zur Kenntnis und die Frau Kollegin Mast darum gebeten hat, dass die wissenschaftliche Begleitforschung zu den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten auch wirklich ernst genommen wird, frage ich Sie, was Sie zu der Untersuchung des IAB sagen, nach der beim Gründungszuschuss ein Mitnahmeeffekt von bis zu 75 Prozent festzustellen ist, dass also öffentliches Geld verausgabt wird, das man für diesen Zweck gar nicht hätte verausgaben müssen. Warum wollen Sie diese Feststellung des IAB schlichtweg nicht zur Kenntnis nehmen?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Weiß, das IAB hat diese Feststellung nie getroffen. Das IAB hat sich presseöffentlich darüber beschwert, dass die Bundesarbeitsministerin angebliche Forschungsergebnisse des IAB instrumentalisiert, um ihre Kürzungspolitik zu rechtfertigen. So weit zu Ihrer sauberen wissenschaftlichen Arbeit. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Mast?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Pothmer, sind Sie mit mir der Meinung, dass das IAB in seinem Kurzbericht 11/2011 Folgendes festgehalten hat: Eingliederungszuschüsse, betriebliche Trainingsmaßnahmen und die Gründungsförderung haben besonders positive Effekte … Meines Wissens findet sich das auf der Titelseite des IAB-Berichts. Haben Sie wissenschaftliche Belege dafür, dass man den Vermittlungsgutschein weiterführen soll?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Vermittlungsgutschein ist ein Instrument, gegen das wir uns nicht wehren. Es ist aber schon sehr auffällig, dass die Lobbyistenpolitik der FDP ({0}) dieses eine Instrument eben nicht zu einer Pflichtleistung gemacht hat. Es ist vielmehr eine Ermessensleistung und stellt insoweit eine Ausnahme dar. ({1}) Aber gegen die Vermittlungsgutscheine an sich setze ich mich nicht zur Wehr. Was das Forschungsergebnis des IAB angeht, würde ich Sie doch bitten, nicht mir diese Information zur Kenntnis zu geben, sondern dem Kollegen Weiß. Der hat da eine echte Wissenslücke. ({2}) Ich habe jetzt nur noch sehr wenig Redezeit. Lassen Sie mich noch eines sagen: Diese Instrumentenreform ist doch auch eine sehr wichtige Weichenstellung für die Behebung des Fachkräftemangels. Das, was Sie in Sachen Fachkräftemangel vorgelegt haben, ist ein 30-seitiger Besinnungsaufsatz. Sie reden zwar davon, dass Sie Migranten, Ältere und Frauen verstärkt in den Arbeitsmarkt bringen wollen. Sie nennen aber keine Instrumente, und Sie unterlegen das auch nicht mit Mitteln. Das sind Appelle, von denen sich die Leute nichts kaufen können. Sie brauchen handfeste Unterstützung. Das - das sage ich an dieser Stelle noch einmal - sehen die Länder genauso, ebenso die Verbände und die arbeitsmarktpolitischen Experten. Ich bitte Sie an dieser Stelle: Stellen Sie sich nicht gegen diese Expertisen. Stellen Sie sich hinter die Arbeitslosen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ulrich Lange für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir über das Thema Arbeitsmarkt heute in der Aktuellen Stunde schon sehr ausführlich gesprochen haben, haben wir uns in einer Art ABM nunmehr mit diesem Antrag der SPD auseinanderzusetzen. ({0}) Die SPD möchte nicht über die Erfolge reden, sondern springt, liebe Kollegin Mast, in einer negativen Art und Weise in diese Debatte, die wir nicht ganz nachvollziehen können. Aber während der Regierungszeit von RotGrün blühte nicht die Wirtschaft, sondern die Arbeitslosigkeit. Wenn Sie sich jetzt als Lobby für aktive Arbeitsmarktpolitik darstellen wollen, dann muss ich sagen - seien Sie mir nicht böse -: Bei über 5 Millionen Arbeitslosen und einer Quote von 13 Prozent ist das eher eine Lobby des Versagens. Die Zahlen zur gegenwärtigen Lage wurden heute oft genannt. Das zeigt, wie wichtig richtige Politik und richtige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt sind. Es ist eben nicht egal, wer regiert, wie es heute Nachmittag anklang, als es hieß: Es ist egal, wer regiert; die Lage wird besser. Nein, weil wir regiert haben, ist es besser geworden. Wo Schwarz-Gelb regiert - ich nenne nur Bayern im Vergleich zu Berlin -, ist die Lage deutlich besser, um nicht zu sagen: gut. ({1}) Wir haben letzte Woche über den Gesetzentwurf der Bundesregierung diskutiert. Wir haben schon festgestellt, liebe Kollegin Mast, dass die Langzeitarbeitslosigkeit sehr wohl zurückgeht. Sie haben heute vorsichtigerweise die Zahlen von letztem Freitag nicht wiederholt; denn wir haben festgestellt, dass die Zahlen, mit denen Sie letzten Freitag operiert haben, nicht richtig waren. Uns geht es darum, Langzeitarbeitslose zu mobilisieren und in Arbeit zu bringen. Erste Erfolge zeigen sich in der Konjunktur. Eine gute Konjunktur ist auch immer eine Frage der Struktur von Arbeitslosigkeit. ({2}) Wenn Sie von Kahlschlag oder Rotstift reden, dann kann ich nur sagen: Auch dies ist falsch. Das haben wir ebenfalls letzte Woche diskutiert. Wir führen gerne jede Woche eine Debatte als Nachhilfe für die SPD in Zahlenlehre. Liebe Kollegin Kipping, wenn Sie sagen, bei Ihnen stehe der Mensch im Mittelpunkt, dann entgegne ich sehr deutlich: Nach unserer christlichen Soziallehre steht sehr wohl der Mensch im Mittelpunkt. Bei Ihnen ist es nichts anderes als die rote Ideologie. ({3}) Ich glaube, unser Hauptaugenmerk muss auch auf der Sicherung des Fachkräfteangebots liegen. Das wird eine der großen Herausforderungen der nächsten Monate und Jahre, damit die gute Konjunktur nicht ins Holpern kommt. Ich glaube, dass wir auch dort mit den angedachten Maßnahmen zur Bildungsinitiative und Berufsbildung vorankommen. Wir müssen uns darum bemühen, dass die Zahl der Hochschulabbrüche sinkt, und wir müssen vor allem dafür sorgen, dass weniger Hochqualifizierte unser Land verlassen. Ich glaube, dass wir in diesem Zusammenhang auch in den Anhörungen über die Instrumente hinaus viel zu diskutieren haben. Ich freue mich auf die sachliche Auseinandersetzung ({4}) und glaube, dass sie uns weiterbringt als die wöchentliche Wiederholung der Debatte über vergleichbare Anträge mit gleichem Inhalt. Lassen Sie uns in der Sache arbeiten. Die Struktur der Langzeitarbeitslosigkeit ist nicht festgezurrt. Wir haben in der jetzigen Konjunktur eine echte Chance. Das bedeutet auch, Instrumente neu auszurichten, finanzielle Mittelströme zu überprüfen und das eine oder andere Instrument in diesem Zusammenhang effektiver zu gestalten. Ich bin mir sicher, dass das gelingen wird. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Nachmittag eine Aktuelle Stunde zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt durchgeführt. Ich kam mir vor wie beim Schützenfest in Niedersachsen; denn die Beiträge hatten ein Niveau wie im Bierzelt. ({0}) Ich bedauere das ausdrücklich. Es gibt mehr als 4 Millionen Menschen in Deutschland, die sich Teilhabe durch Arbeit, und zwar durch gute Arbeit, wünschen. Ich weiß nicht, wie sich diese Menschen fühlen müssen, wenn sie gehört haben, auf welchem Niveau hier heute Nachmittag diskutiert wurde. ({1}) Ich freue mich, dass unter anderem auch aufgrund unseres Antrags der eine oder andere Beitrag beginnt sich davon abzuheben; denn diese Menschen haben das verdient. Herr Kollege Weiß, Sie haben Martin Brussig zitiert. Sie haben auf die Untersuchung abgehoben, die die Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht hat. Sie haben sich an die Brust geheftet, dass Sie es geschafft haben, mehr Ältere auf dem Arbeitsmarkt in Beschäftigung zu bringen. Es wäre gut gewesen, Sie hätten uns den ganzen Satz zur Kenntnis gegeben. Das ist nämlich nicht ein Erfolg Ihrer Arbeitsmarktpolitik, sondern: Kohorten älter als 50 drängen stärker auf den Arbeitsmarkt. ({2}) Das ist etwas, an dem nicht einmal Kanzlerin Merkel persönlich einen Anteil hat. Wenn Sie darstellen, wie wunderbar Ihre Politik allen geholfen hat, die in Beschäftigung gekommen sind, dann will ich Ihnen sagen: Ich habe da so eine Idee, woran das liegt. Das lag daran, dass wir konjunkturpolitisch die richtigen Weichen gestellt haben. Wissen Sie, wer mir da einfällt? Herr Scholz, Herr Steinmeier, Herr Steinbrück. ({3}) Ehrlich gesagt: Die verorte ich alle bei den Sozialdemokraten und nicht bei Ihnen. ({4}) Insofern finde ich: Was wir mit unserem Antrag vorschlagen, ist die konsequente Fortentwicklung einer Politik, die denen Hilfe zuteilwerden lässt, die sie verdient haben. Latent - latent! - schimmert bei Ihnen durch: Den Langzeitarbeitslosen muss man nicht nur unter die Arme greifen; sie brauchen geradezu Druck, dass sie in Beschäftigung kommen. ({5}) Sie wissen, dass das nicht der Fall ist. Deshalb möchte ich all denen, die sich jahrelang um Arbeit bemühen, sagen: Dieses Bemühen erkennen wir an, wir respektieren das. Wir wollen helfen. Das ist die Zielrichtung unseres Antrags. ({6}) Meine Kollegin Mast hat schon Herrn Weise zitiert. Den würde ich auch nicht gerade in unseren Reihen zu Hause sehen. Er hat recht, wenn er sagt: Jetzt haben wir eine Chance, Arbeitsmarktpolitik so zu machen, dass Langzeitarbeitslose einen Vorteil davon haben können. Aber was machen Sie? Strukturell ziehen Sie blank, was den Haushalt anbelangt; Frau Hagedorn hat doch recht. ({7}) Wenn Sie meinen, Sie könnten auf der einen Seite Instrumente reformieren und auf einer ganz anderen Seite, kilometerweit entfernt, Milliarden kürzen, ({8}) dann kann ich nur sagen: Beides kommt bei den Menschen an. Das Resultat vor Ort ist: Was vorher ein Rechtsanspruch war, wird zur Ermessensleistung. Die Fallmanager haben das Ermessen, Nein zu sagen, wenn sie eigentlich gute Lösungen vorschlagen wollen. ({9}) Das ist ärgerlich. Ich finde, das ist auch Augenwischerei. Ich will Ihnen noch etwas zum Thema Fachkräfte sagen; denn es stimmt ja - das wurde mehrfach angesprochen -: Wir haben schon einen gespaltenen Arbeitsmarkt. Ihre Politik trägt dazu bei, dass diese Spaltung massiv voranschreitet. Wir haben einen Fachkräftemangel, schon akut im Bereich von Pflege und Erziehung. Fachkräftebedarf haben wir ohne Ende, zukünftig stärker auch in anderen Branchen. Es gab ein Zitat dazu. Ihre Kanzlerin hat einmal gesagt: Man kann nicht aus jedem Langzeitarbeitslosen einen Ingenieur machen. Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen! Damit hat sie vielleicht sogar ein bisschen recht, aber ich sehe: Auf der Strecke vom Langzeitarbeitslosen zum Ingenieur liegen zehn Berufe, für die man qualifizieren kann, die am Ende ein ordentliches Einkommen erzeugen, wenn es denn gute Arbeit ist. Darum sollten wir uns bemühen. ({10}) Insofern ist unser Antrag - wir haben es gesehen - bitter notwendig. Ich freue mich auf die Debatte. Eines will ich Ihnen noch sagen, Herr Vogel. Sie haben am Mittwoch im Ausschuss so nett gesprochen von narrativer Evidenz; Sie werden sich erinnern. ({11}) - Nein, Sie haben „narrativ“ gesagt; „anekdotisch“ war das nicht. - Gelegentlich habe ich ein Wort im Kopf, wenn ich Sie höre, und das hat zu tun mit juveniler Arroganz. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen, insbesondere von Bündnis 90/Die Grünen und von der SPD, ich finde es ein bisschen schade, dass Sie die gesamte Diskussion um die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente blockieren, indem Sie permanent versuchen, den Menschen Angst zu machen mit der Behauptung, wir würden unangemessene Kürzungen im Haushalt bei den Mitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik vornehmen. ({0}) Es ist ja richtig, dass wir die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik zurückführen. Aber dies ist kein Grund, den Menschen Angst zu machen. Frau Mast, Frau Lösekrug-Möller und Frau Pothmer, was dahinter steckt, möchte ich Ihnen an einem einfachen Beispiel erläutern: ({1}) Wenn Sie einen Kuchen für acht Personen backen, dann brauchen Sie weniger Eier, Mehl und Milch, als wenn Sie einen Kuchen für 16 Personen backen. Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, dann brauchen Sie weniger finanzielle Mittel, um diese Menschen in Arbeit zu bringen. ({2}) Es zeigt unsere Verantwortung gegenüber künftigen Generationen, dass wir auf diese Weise den Bundeshaushalt gestalten. ({3}) Je weniger Menschen auf aktive Arbeitsmarktpolitik angewiesen sind, desto weniger Geld müssen wir einsetzen. Wichtig ist aber festzustellen, dass wir in jedem Fall mehr Geld für die Menschen ausgeben, als Sie von Bündnis 90/Die Grünen und von der SPD in Ihrer gemeinsamen Koalition je bereit waren, zu geben. Man muss dabei bedenken, dass es nicht um die absolute Höhe geht, sondern darum, wie viel jeweils für den Einzelnen zur Verfügung steht. Sie waren bereit, während Ihrer Regierungszeit etwa 1 500 bis 1 600 Euro pro Langzeitarbeitslosen zur Verfügung zu stellen. Wenn man das mit dem vergleicht, was wir aktuell im Jahr 2011 zur Verfügung stellen, nämlich 1 980 Euro, dann sieht man daran, dass wir mehr für den Einzelnen tun als Sie zu Ihrer Regierungszeit. ({4}) Ich würde mich für die Menschen, die auf aktive Arbeitsmarktpolitik angewiesen sind, freuen, wenn Sie sich an der Sachdebatte über die einzelnen Instrumente beteiligen würden und diese Diskussion nicht mit dem Vorwurf belasten würden, wir würden hier Kahlschlag betreiben oder in unangemessener Form kürzen. ({5}) Das ist nicht der Fall. Wir machen eine verantwortliche Arbeitsmarktpolitik. Vor allen Dingen schaffen wir mit unserer Politik die Voraussetzung dafür, dass die Arbeitsmarktpolitik überhaupt wirksam werden kann. Durch eine kluge und verantwortungsvolle Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik schaffen wir Anreize für Investitionen, die dann zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen. Durch eine gute Bildungspolitik in den Ländern, in denen wir zusammen mit der Union regieren, erzielen wir gute Ergebnisse bei der Schulausbildung der Jugendlichen. ({6}) Das ist später die Voraussetzung dafür, ohne staatliche Unterstützung und ohne Unterstützung durch die Arbeitsmarktpolitik in Arbeit zu kommen. Wir können es einfach, und Sie konnten und können es nicht. ({7}) Wir sind besser. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich Kollegen Paul Lehrieder das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die letzten Wochen unserer Ausschussarbeit waren durch eine Vielzahl freudiger Ereignisse gekennzeichnet. Die Kollegin Mast hat vor wenigen Tagen geheiratet. Frau Mast, bei allen Unterschieden in der Sache gratuliere ich Ihnen an dieser Stelle sehr herzlich zum Einlaufen in den Hafen der Ehe. ({0}) Aus gleichem Anlass gratuliere ich dem Kollegen Kolb. Auch wenn wir uns manchmal streiten, werden solche persönlichen Ereignisse hier honoriert. ({1}) Mindestens genauso wichtig wie diese persönlichen Ereignisse war das Angehen der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. ({2}) - Ich will warten, bis die Heiterkeit der Kollegin Mast abgeklungen ist, damit sie sich auf meine Ausführungen konzentrieren kann. Diese werden aber nicht mehr so heiter sein. ({3}) Jetzt kommt die SPD mit ihrem nachgehechelten Antrag, um direkt nach der Sommerpause eine Ausschuss13984 anhörung durchführen zu können. Frau Kollegin Mast, in Ihrem Antrag klingt es am Anfang ganz gut: Fairness ist der Schlüssel für gute Arbeit. … Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs, der derzeit nach der schweren Krise der letzten Jahre ordentlich in Fahrt kommt, ist Fairness … noch lange nicht erreicht. Jetzt geht Ihr Lamento wieder los. Sie attestieren aber: Der Aufschwung ist da, er ist ordentlich in Fahrt gekommen. Sie haben während der Großen Koalition diesbezüglich sicherlich auch nicht viel falsch gemacht. Diesen Aufschwung hat die christlich-liberale Koalition weiter begleitet. Meine Damen und Herren, Sie monieren in Ihrem Antrag: … jungen Menschen, Frauen, Migrantinnen und Migranten … wird der Zugang zu Arbeit und Beschäftigung oftmals erschwert. Einige Vorredner haben dazu bereits Ausführungen gemacht. Die beste Erleichterung für den Zugang zu Arbeit gerade bei den von Ihnen angesprochenen Gruppen ist natürlich die Schaffung von ausreichenden Arbeitsmöglichkeiten, also die Schaffung eines gut funktionierenden und brummenden Arbeitsmarktes. Wenn Sie sich den Arbeitsmarkt anschauen, dann stellen Sie fest: Die Arbeitslosigkeit liegt im Westen bei 5,8 Prozent; das sind 1,9 Millionen Arbeitslose. Im Vergleich zum letzten Jahr sank sie um immerhin 200 000, im Osten um 55 000. ({4}) Wir haben also seit Jahresfrist für eine Viertelmillion Menschen neue Arbeitsplätze geschaffen. Dies reduziert natürlich die Zahl der von Ihnen angesprochenen Problembereiche. ({5}) Heute Nachmittag stand hier ein Redner der SPD am Pult - den Namen weiß ich nicht mehr; so ähnlich wie Barthel oder so -, ({6}) kein Arbeitsmarktpolitiker - den hätten Sie lieber nicht reden lassen sollen; da hätten Sie besser Toni Schaaf genommen oder jemanden, der etwas von der Sache versteht -, der sagte: In Bayern sind die regionalen Unterschiede ähnlich wie auf Bundesebene. - Ich habe mir einmal die Zahlen für Bayern herausgesucht und möchte - Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis - ein bisschen daraus vorlesen: In Bayern haben wir zugegebenermaßen auch Bereiche, bei denen die Arbeitslosigkeit über 5 Prozent liegt. ({7}) - Hören Sie halt zu, Frau Kramme. Sie wissen das doch, Menschenskind; Sie kommen doch auch aus Bayern. Sie müssen froh sein; darüber können Sie sich gemeinsam mit uns freuen, zum Kuckuck. ({8}) Wir haben aber auch Landkreise wie Freising mit 1,8 Prozent, Erding mit 1,9 Prozent, Pfaffenhofen an der Ilm mit 1,9 Prozent, Neuburg-Schrobenhausen mit 1,8 Prozent und meinen eigenen Landkreis Würzburg mit 2,6 Prozent. Das heißt, wir haben eine Supersituation, um hier geschwind neue Arbeitsplätze zu schaffen. Nach der Strukturreform im Hartz-IV-Bereich gehen wir nun daran, geschwind die arbeitsmarktpolitischen Instrumente voranzubringen. Wirtschaft schafft Arbeitsplätze - das hatte ich gerade ausgeführt -, und wir setzen die Rahmenbedingungen dafür. Warum zieht sich die SPD aus der Agenda 2010, die sie in besseren Zeiten auf den Weg gebracht hat, zurück? Kollege Müntefering hat die Rente mit 67 eingeführt. ({9}) Es gibt auch gute Sozialdemokraten, die wissen, wie es geht. ({10}) Die Wirtschaft hat seit 2009 Vertrauen gefasst. Das ist der wichtigste Beitrag unserer Koalition. ({11}) Damit aber nicht genug. Wir verbessern mit der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente die Möglichkeiten der Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Das ist ein gutes Gesetz. Dem können Sie eigentlich auch zustimmen. Gestern kam der Antrag der SPD. Er wird den Herausforderungen am Arbeitsmarkt in keinster Weise gerecht. Er ist ein typisches SPD-Papier, aus meiner Sicht konfus und wenig ausgewogen. Die SPD will bei sinkender Arbeitslosigkeit mehr Geld pro Kopf ausgeben. Die Berechnungen - ich habe sie in meinem Skript - kann ich Ihnen vorhalten: Wir haben 2006 im Schnitt 1 600 Euro pro Kopf ausgegeben und 2010 im Schnitt 2 400 Euro pro Kopf. Liebe Frau Kollegin Pothmer, wir sollten jetzt nicht die Zahlen für 2012 antizipieren. ({12}) Lassen Sie uns die Istzahlen berücksichtigen, dann funktioniert das. Frau Kollegin Kipping, Sie haben moniert, dass wir den Werkzeugkasten aufgeräumt haben. ({13}) - Sortiert, aufgeräumt, Frau Kollegin. Die wichtigsten Werkzeuge sind noch drin. Da brauchen Sie keine Angst zu haben. - Gleichzeitig haben Sie gesagt, Sie hätten beim Tapezieren Ihren Schraubenzieher vermisst. Ich würde mir wirklich gerne vorstellen, wie die Frau Kollegin Kipping beim Tapezieren mit dem Schraubenzieher hantiert. Wir haben jetzt aber ein sogenanntes Leatherman-Messer im Werkzeugkasten, ein Messer mit mehreren Werkzeugen, das es dem Jobcenter-Mitarbeiter vor Ort ermöglicht, selbst zu entscheiden, mit welchem - bildlich gesprochen - Werkzeug er welche Maßnahme auf den Weg bringt. Damit ist dem Arbeitslosen, auch dem Langzeitarbeitslosen mehr geholfen als mit populistischen Anträgen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe noch nicht einmal eine Minute überzogen. ({0}) Meine Damen und Herren, glauben Sie uns: Nach der Sommerpause werden wir mit Ihnen

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen trotzdem zum Ende kommen.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- in einer dreistündigen Anhörung über die Anträge diskutieren, und dann begleiten Sie uns. Herzlichen Dank. - Herr Präsident, danke für Ihren Langmut. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6454 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und eines … Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 17/6291 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 17/6496 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Gabriele Fograscher Raju Sharma Wolfgang Wieland Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Bernhard Kaster für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({1})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. So lautet Art. 21 unseres Grundgesetzes. Die demokratischen Parteien unseres Landes sind Kernbestandteil unserer parlamentarischen Demokratie. Durch ihre zumeist breite Verankerung auf kommunaler Ebene, auf Landesebene und im Bund schaffen sie letztlich die entscheidende Stabilität für Demokratie und Freiheit. Dabei wird häufig übersehen, dass die politische Nachwuchsgewinnung ganz überwiegend über die örtliche Basis, also von unten nach oben, erfolgt. Der Wert unserer Parteien in der Demokratie wird uns als Bundestagsabgeordnete im Alltagsgeschäft oft erst dann richtig bewusst, wenn wir nichtdemokratische Länder besuchen - das ist leider die große Mehrheit - und wir dann hören, wie sehr man uns um unsere parlamentarische Demokratie und die partei- und gesellschaftspolitische Vielfalt beneidet, für die in vielen Ländern mit Leib und Leben gekämpft wird. ({0}) Es ist richtig, dass wir uns schon vor vielen Jahren für eine staatliche Teilfinanzierung entschieden haben. Diese haben wir seit nunmehr bereits neun Jahren in unveränderter Höhe belassen, ({1}) obwohl sich die Aufgaben und Anforderungen verändert und vergrößert haben. Es gäbe jetzt viel dazu zu sagen, auf welchen Aufgabengebieten wir noch besser werden müssen. Aber das ist die Situation. Mit der jetzigen Erhöhung der allgemeinen Obergrenze der Finanzierung gehen wir einen maßvollen Schritt. Das gesetzlich mögliche Volumen schöpfen wir nicht aus und bleiben somit in einem gut vertretbaren Rahmen. Wir sprechen insgesamt über eine Größenordnung - für alle Parteien auf allen Ebenen im ganzen Land - von 141,9 Millionen Euro bzw. 150,8 Millionen Euro. Wenn man das auf den Bundeshaushalt bezieht, sieht man, dass wir uns hier im Promillebereich bewegen. Ich komme zur Änderung des Abgeordnetengesetzes. Die Erhöhung der Diäten ist immer ein sensibles Thema; dessen sind wir uns alle bewusst. Es ist allerdings ein Thema, das bei weitem nicht so häufig vorkommt, wie es die Diskussion in den vergangenen Jahren oft hat er13986 scheinen lassen. Der letzte Beschluss des Deutschen Bundestages zur Erhöhung der Diäten erfolgte Ende 2007 zum 1. Januar 2009. Wir wollen nunmehr eine Erhöhung in zwei Schritten, und zwar zum 1. Januar 2012 sowie zum 1. Januar 2013, beschließen. Damit fand und findet über einen Zeitraum von drei Jahren faktisch keine Diätenerhöhung statt. Um bei dem schwierigen Thema der angemessenen Abgeordnetenbezahlung einen vertretbaren Maßstab zu finden, haben wir uns richtigerweise schon Anfang der 90er-Jahre dazu entschieden, die Besoldung von Bürgermeistern kleinerer und mittlerer Städte als Maßstab zu wählen. Diesen Maßstab haben wir übrigens in der Vergangenheit nie erreicht. Wir werden ihn auch künftig nicht erreichen. So schwierig die Diskussion auch ist: Wir haben eine große Verantwortung gegenüber dem Parlament und seinen Abgeordneten in ihrer Gesamtheit. Der Deutsche Bundestag und seine Abgeordneten brauchen den Vergleich zu anderen Führungsaufgaben und Verantwortlichkeiten nicht zu scheuen. ({2}) Das gilt in Bezug auf die Verantwortung für die gesamte Gesetzgebung des Bundes, die Verantwortung der kritisch hinterfragenden Regierungskontrolle, die Verantwortung für Alternativen, die Verantwortung für die Detailarbeit und Kärrnerarbeit in den Ausschüssen und die Aufgaben im wöchentlichen Spagat zwischen Berlin und den Wahlkreisen, also die Kommunikation mit den Bürgern bei zahlreichen Terminen und Veranstaltungen. Ein Aspekt kommt meines Erachtens immer etwas zu kurz: 40 Prozent aller Bundestagsabgeordneten verlassen das Parlament bereits nach zwei Legislaturperioden. Der Gesamtdurchschnitt liegt bei einer Verweildauer von etwa zehn Jahren. Das heißt, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen für einen überschaubaren Zeitraum ihre eigene Lebens- und Arbeitsbiografie unterbrechen, um als Parlamentarier an der Entwicklung ihres Landes und ihrer Heimat mitzuwirken. Auch deshalb haben wir die Verpflichtung, einer letztlich immer befristeten Verantwortung eine adäquate Vergütung gegenüberzustellen. Wer sich für die Politik entscheidet, der tut das nicht des Geldes wegen. Das sieht man im Übrigen auch daran, dass bei den allermeisten Kolleginnen und Kollegen dem Einzug in den Deutschen Bundestag ein jahrelanges ehrenamtliches Engagement auf den unterschiedlichen Ebenen vorausging. ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit der maßvollen Anpassung der Abgeordnetenvergütung werden wir einerseits der Vorgabe unseres Grundgesetzes bezüglich einer angemessenen und die Unabhängigkeit sichernden Entschädigung und andererseits den Erwartungen der Bürger und der Öffentlichkeit in Bezug auf Vernunft und Augenmaß durchaus gerecht. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe acht Minuten Redezeit. Das ist an dieser Stelle viel zu viel. Über die Fragen, die uns heute beschäftigen, haben wir schon vor einer Woche ausreichend, angemessen und präzise gesprochen. Wir haben es heute mit einer Vorlage zu tun, die vor einer Woche ausgereift und gut war. Sie ist es auch heute noch, und sie verdient eine breite Zustimmung in diesem Hohen Hause. ({0}) Sogar von Porsche-Klaus würde ich mir wünschen, dass er zustimmt, schon wegen der gestiegenen Benzinpreise. ({1}) Aber ganz ernsthaft: Die Vorlage ist ausgewogen. Im Bereich des Parteiengesetzes - Kollege Kaster hat schon darauf hingewiesen - haben wir in Deutschland das System einer staatlichen Teilfinanzierung, die sich für die Parteien auf das Notwendigste beschränken muss. Die Parteien sind in unserem Lande nicht alleine auf der Welt. Sie sind Teil unseres Verfassungsstaates und verdienen eine angemessene Förderung. Ich glaube, dass wir heute einen Fehler korrigieren. Neun Jahre lang haben wir die staatliche Parteienfinanzierung nicht verändert. Dadurch haben wir im Deutschen Bundestag dazu beigetragen, dass sich die strukturellen Arbeitsbedingungen für die Parteien eher verschlechtert haben. Das korrigieren wir heute mit Augenmaß. Ich will darauf hinweisen, dass wir durch die Indexierung - durch einen Kostenindex, bei dem in Zukunft Kostensteigerungen, wie etwa Tarifabschlüsse im Personalbereich, berücksichtigt werden - diese Defizite nicht wieder auflaufen lassen werden. Dieser Index ist eine ganz wichtige Errungenschaft, die wir vonseiten der SPD-Fraktion sehr begrüßen. Er ist ein Beitrag zu vernünftigeren Regelungen im Bereich der staatlichen Teilfinanzierung. ({2}) Ich danke sehr dafür, dass das gelungen ist. Wir werden dem heute mit breiter Mehrheit zustimmen. Lassen Sie mich noch kurz etwas zu dem Thema Abgeordnetenentschädigung sagen. Ich möchte noch einmal wiederholen: Als Abgeordnete verfügen wir über ein ordentliches Gehalt. Die meisten der Bürger, die uns wählen, haben deutlich geringere Arbeitseinkünfte; das ist richtig. Andererseits: Reich werden wir in unserem Amte nicht. Das muss auch nicht sein. Wer hier nicht wirklich mit Leidenschaft bei der Sache ist, der hat diesen Platz ohnehin nicht verdient. Die Arbeit funktioniert nur, wenn man wirklich mit Leidenschaft dabei ist. Wir haben ein ordentliches Gehalt; mehr muss auch nicht sein. Es ist aber vernünftig und sachgerecht, dass dieses Gehalt um 1 bis 2 Prozent pro Jahr angehoben wird. Genau das machen wir mithilfe der gesetzlichen Regelung in dieser Wahlperiode. Bezogen auf vier Jahre bedeutet das eine Anhebung unseres Bruttogehalts um knapp 2 Prozent. Das ist ausgewogen und angemessen. Herr Kollege Schreiner, das ist für alle über 600 Mitglieder dieses Hauses angemessen; es ist vernünftig und überlegt. Deswegen ist die öffentliche Reaktion auch entsprechend angemessen. Es gibt kein Potenzial für eine Skandalisierung und keine künstlichen Aufgeregtheiten. Deswegen, glaube ich, ist nicht zuletzt die öffentliche Reaktion der Beweis dafür, dass wir eine vernünftige, solide Gesamtregelung geschaffen haben. Ich hoffe sehr, dass uns eines Tages auch bei der Abgeordnetenentschädigung eine Indexierung gelingt. Vor einer Woche habe ich in meiner ersten Rede darauf hingewiesen: Die beste Regelung auf diesem Sektor hat Bayern. Daraus kann man einiges lernen, Herr Uhl. Bayern hat in seinem Landtag die beste Regelung getroffen; denn im Index und bei der jährlichen Anpassung wird die Einkommensentwicklung der bayerischen Bevölkerung sehr präzise abgebildet. Wir wollen als Abgeordnete nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen an der Einkommensentwicklung unseres Volkes teilhaben. Wenn die Situation eintreten sollte, dass die Einkommensentwicklung des Volkes rückläufig ist, dann sind wir selbstverständlich mit dabei; ({3}) ich wäre sehr damit einverstanden. Das ist doch auch eine Frage von Gerechtigkeit. So etwas kann ein Index sehr wohl leisten. Insoweit verspreche ich mir durchaus noch den einen oder anderen Hinweis von dieser Kommission. Aber das, was wir heute hier beschließen, können wir guten Gewissens beschließen. Es ist ausgewogen, vernünftig und sehr in Ordnung. Schönen Dank fürs Zuhören. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz. - Jetzt für die Fraktion der FDP Kollege Dr. Stefan Ruppert. Bitte schön, Kollege Dr. Ruppert. ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Abgeordneter, der diesem Hohen Haus erst seit dieser Legislaturperiode angehört, muss man sich gut überlegen, was man einer breiten Öffentlichkeit zum Thema Diätenerhöhung sagt. Ich weiß nicht, wie der öffentliche Eindruck unserer heutigen Debatte sein wird, wenn sich vier Fraktionen im Deutschen Bundestag einig sind. Ich stelle aber fest, dass die Menschen, mit denen ich diskutiere, sehr häufig sagen: Wir wünschen uns eigentlich den Typus des unabhängigen Politikers, des Politikers, der zuvor in einem anderen beruflichen Arbeitsfeld Erfahrungen gesammelt hat, der jederzeit bereit und in der Lage ist, in sein angestammtes klassisches Arbeitsfeld zurückzukehren. - Diesen Politikertypus, den man sich in Sonntagsreden so oft wünscht und der sich aus meiner Sicht unabhängig verhalten sollte, muss man aus meiner Sicht auch adäquat bezahlen - nicht zu gut, aber auch nicht zu schlecht. ({0}) Als jemand, der der FDP angehört und - ich sage das einmal etwas freundlich - auch Umfragen kennt, mache ich mir schon den einen oder anderen Gedanken, wie ein Leben nach der Politik aussehen kann. ({1}) Sie fragen sich vielleicht, Herr Montag: Ist unser System eigentlich durchlässig? Ist unser System so durchlässig, dass wir den gewünschten Wechsel von der Privatwirtschaft - bei mir von der Wissenschaft - in die Politik und zurück regelmäßig schaffen? ({2}) Da habe ich schon meine Zweifel, ob unsere Anforderungen an das typische Abgeordnetenprofil mit den Rahmenbedingungen einhergehen, die wir im Parlament mitunter schaffen. Ich glaube, es ist richtig, wenn wir die uns nun einmal auferlegte Aufgabe, nämlich für eine adäquate Bezahlung der Abgeordneten zu sorgen, selbstbewusst und von vorne - wie ich es sagen würde - verteidigen. Herr Wiefelspütz hat richtig gesagt, die Erhöhung ist angemessen. Sie sichert Unabhängigkeit. Sie sichert aber auch, dass wir nicht auf die Idee kommen, uns vielleicht noch in zu vielen anderen Tätigkeiten zu ergehen. ({3}) Ich will einen weiteren Aspekt bei der Parteienfinanzierung hervorheben. Wenn wir uns Länder in Europa oder in der Welt daraufhin anschauen, wie sie ihre politischen Eliten oder ihre politischen Abgeordneten rekrutieren, dann wird aus meiner Sicht deutlich, dass die oft geschmähten Parteien in Deutschland sehr wohl eine gute Aufgabe bei der Rekrutierung politischen Personals leisten. ({4}) Oft wird gesagt: Parteien, das sind verfilzte Organisationen mit mangelnder innerparteilicher Demokratie. Da werden Hinterzimmerentscheidungen getroffen, die nicht transparent gemacht werden können. - Die repräsentative Demokratie gerät unter einen gewissen Verdacht. Wenn Sie aber sehen, wer in Italien, in den USA oder in anderen Ländern dieser Welt wirklich Mandate erringt, welche persönlichen Voraussetzungen er erfüllen muss, wie viel Geld er sammeln muss ({5}) und wie viel Spenden er einwerben muss, dann ist festzustellen: Unsere Parteien leisten, wie ich finde, einen sehr guten Dienst bei der Rekrutierung des politischen Personals. Auch das will ich an dieser Stelle einmal selbstbewusst sagen. ({6}) Wer diese Parteien nicht in Abhängigkeit von einseitigen Finanzierungsquellen bringen will, der muss eben dafür sorgen, dass die drei Säulen der Parteienfinanzierung auch weiterhin tragen. Da sind zunächst die Mitgliedsbeiträge und Mandatsträgerbeiträge, die viele von uns bezahlen. Da sind durchaus auch Spenden von natürlichen Personen sowie der Wirtschaft ({7}) und von Organisationen, und da ist die staatliche Parteienfinanzierung. ({8}) - Sie hatten bei der Debatte eigentlich niveauvoller angefangen, Herr Wiefelspütz. Wenn Sie jetzt wieder auf dieses Niveau abgleiten, dann ist das eigentlich bedauerlich. ({9}) Die dritte Säule der Parteienfinanzierung ist Gegenstand der heutigen Beratung. Wir haben die Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung seit vielen Jahren nicht angehoben. Wer eine solche Anhebung nicht will, der muss irgendwann sagen, welche alternative Parteienfinanzierung oder welche alternative demokratische Organisationsform er sich für dieses Land vorstellt. Ich glaube, die staatliche Finanzierung steht in einem ausgewogenen, sachgerechten Verhältnis. Insofern sind beide Aspekte des heutigen Beratungsgegenstandes richtig: auf der einen Seite eine moderate, die Unabhängigkeit des Abgeordneten sichernde Entschädigung, auf der anderen Seite eine ausgewogene Parteienfinanzierung. Ich bin froh, dass auch die Oppositionsfraktionen der Grünen und der SPD nicht dem Reflex erlegen sind, sich aus kurzfristigen Erwägungen der angemessenen Erhöhung zu verschließen. Ich bin froh, dass wir eine verantwortungsvolle Opposition haben, die uns in dieser Frage folgt. Dafür herzlichen Dank. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt spricht für die Fraktion Die Linke unser Kollege Raju Sharma. Bitte schön, Herr Kollege. ({0})

Raju Sharma (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004156, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! In dem von Ihnen allen vorgelegten Gesetzentwurf haben Sie zwei Themen zusammengefasst - das ist schon gesagt worden -: die Änderung des Parteiengesetzes und die Diätenerhöhung. Wir Linken finden das bedauerlich, weil wir dem einen Teil des Entwurfes durchaus hätten zustimmen können. Dabei rede ich nicht, wie Sie sich denken können, von der Diätenerhöhung, sondern ich spreche von der Änderung des Parteiengesetzes. Die Parteien übernehmen nach unserer Verfassung eine wichtige Aufgabe: Sie „wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Dafür brauchen wir eine solide Form der Parteienfinanzierung. Wir haben drei Säulen der Parteienfinanzierung - der Kollege Ruppert hat es eben dargestellt -, die alle ordentlich aufgebaut sein müssen: erstens die Mitgliedsbeiträge, zweitens die Spenden und Mandatsträgerbeiträge - ich fasse sie in einer Säule zusammen -, drittens die staatliche Teilfinanzierung. Wenn Sie in den Rechenschaftsbericht unserer Partei schauen, dann werden Sie feststellen, dass wir ungefähr 40 Prozent unserer Gesamtfinanzierung mit Mitgliedsbeiträgen abdecken. Nun sind wir keine Partei, die über große Finanziers oder sehr viele reiche Mitglieder verfügt. ({0}) - Wir verlangen von unseren Mitgliedern ganz einfach ordentliche Mitgliedsbeiträge. Es ist kein Zufall, dass wir als Linke bei unserer Klientel und unseren Mitgliedern - ({1}) - Herr Krings, kommen Sie jetzt nicht wieder mit den SED-Milliarden, die niemand kennt, von denen niemand weiß und die auch nie jemand finden wird! Raju Sharma ({2}) Der Punkt ist: Wir erheben von unseren Mitgliedern ordentliche Mitgliedsbeiträge, im Monat durchschnittlich 10 Euro und mehr. Damit haben wir von allen im Bundestag vertretenen Parteien die höchsten Durchschnittsbeiträge. ({3}) Wenn die CSU die gleichen Beiträge erheben würde wie wir, dann wäre sie nicht auf die Spenden von Großunternehmen, von Versicherungen und so etwas, angewiesen; all das wäre gar nicht nötig. ({4}) - Hören Sie einfach einmal zu, Herr Krings! 40 Prozent unserer Parteienfinanzierung basieren also auf Mitgliedsbeiträgen. Ungefähr 20 Prozent der Finanzierung basieren auf Spenden und Mandatsträgerbeiträgen; natürlich zahlen wir Bundestagsabgeordnete ordentliche Mandatsträgerbeiträge. ({5}) - Wer spendet an die Linke? Das sind nicht die großen Unternehmen, sondern Menschen, die unsere Politik gut finden, ({6}) die etwas Gutes tun wollen, die ihren mühsam ersparten Arbeitergroschen einsetzen, um uns und unsere gute Sache zu unterstützen. ({7}) Das passiert tatsächlich. So kommt es, dass ich als Bundesschatzmeister auch in diesem Jahr mehrere Tausend Zuwendungsbescheide unterschreiben konnte, und zwar oft über Zuwendungen in der Größenordnung von 3, 5 oder 10 Euro. ({8}) Andere Parteien machen das anders; sie müssen nur wenige Zuwendungsbescheinigungen unterschreiben. Da gibt es irgendwie auf einmal sechsstellige Beträge ({9}) von Panzerherstellern. ({10}) - Ja, natürlich. Wenn wir nicht dieses aktuelle Beispiel hätten, hätte ich natürlich wieder das Beispiel Mövenpick gebracht. Dann hätte Herr Ruppert aus nachvollziehbaren Gründen gesagt: Das ist langweilig, weil wir es oft genug gehört haben. - Ich finde, man kann es nicht oft genug hören. Es ist nach wie vor eine Schweinerei - Entschuldigung, das war jetzt unparlamentarisch -; es ist nach wie vor nicht in Ordnung, dass eine Partei zunächst einmal Großspenden einnimmt und dann eine Politik macht, die zu dem Spender passt. So geht das einfach nicht; das macht den Glauben der Menschen an den Parlamentarismus kaputt. ({11}) Die dritte Säule ist die staatliche Teilfinanzierung. Sie ist wichtig; wir brauchen sie. Deswegen ist auch die Erhöhung der Teilfinanzierung wichtig. Ich will kurz etwas zur Diätenerhöhung sagen. Sie alle haben gesagt, sie sei notwendig. Wir von der Linken haben eine grundsätzlich andere Auffassung. Wir sagen, dass Erhöhungen um 3,7 bis 3,8 Prozent angesichts der geringen Erhöhungen der Löhne, der Renten und des BAföGs in der Bevölkerung einfach nicht vermittelbar sind. ({12}) Deswegen lehnen wir das ab. Wir finden es gut, dass eine Kommission eingerichtet wird, die das Ganze überprüft. Das ist notwendig, und man sollte das machen. Man muss aber erst die Kommission einsetzen und die Ergebnisse abwarten. Dann kann man daraus die richtigen Schlüsse ziehen. So wird ein Schuh daraus. ({13}) Das, was Sie hier veranstalten, ist aus Sicht der Bevölkerung nichts anderes als Selbstbedienung. Das wollen wir als Linke nicht mittragen. Vielen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Ströbele, die Redezeit des Kollegen war schon abgelaufen. Daher hat er nicht mehr reagiert. Nächster Redner auf unserer Liste ist für Bündnis 90/Die Grünen Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir uns zumindest beim Parteiengesetz einig sind, obwohl in dem Entwurf ebenfalls eine prozentuale Steigerung vorgesehen ist. Die vorgesehene Steigerung halte ich für angemessen. Außerdem sorgen wir durch die Indexierung für Rechtsfrieden bei diesem Thema; denn letztendlich wird jeder Cent, der zusätzlich in die Parteien fließt, von der Öffentlichkeit kritisiert, nach dem Motto: Jetzt kriegen die schon wieder mehr Geld. Gleichzeitig erwarten die Bürgerinnen und Bürger von unseren Parteien aber, dass sie ihnen ihre Konzepte erklären und sagen, mit welchen Volker Beck ({0}) Ideen sie konkurrieren. Die Bürgerinnen und Bürger beschweren sich oftmals, dass die Politik sich nicht genügend erklärt. Die Fraktionen dürfen das nicht machen. Sie dürfen nur ihre parlamentarische Arbeit nach außen vertreten. Die Zukunftskonzepte zu kommunizieren ist Aufgabe der Parteien, und zwar über den Wahlkampf hinaus. In einer solchen Debatte muss man auch Folgendes sagen: Wir Bundestagsabgeordneten, die wir im Lichte der Öffentlichkeit stehen - das gilt für jeden von uns in unterschiedlichem Maße -, sind zumindest im Wahlkreis oftmals viel bekannter als die vielen Aktivistinnen und Aktivisten in den Parteien, die Plakate kleben, Infostände organisieren und die Büros am Laufen halten. Doch auch ihnen gebührt Dank für diese Arbeit; denn sie leisten einen Dienst für die Demokratie in unserem Land. ({1}) Herr Kollege Sharma, Sie haben gesagt, die vorgesehene Steigerung der Diäten sei unangemessen. Man muss berücksichtigen, wie lange es keine Anpassung gab, und sehen, wie hoch die Steigerung ist. Wenn man das über die Jahre hochrechnet, stellt man wahrscheinlich fest, dass nicht einmal die Inflationsrate ausgeglichen wird. Das ist aber gar nicht der Punkt. Uns Abgeordneten geht es gut. Wir werden anständig bezahlt. ({2}) Darüber gibt es keinen Streit. Wir brauchen dieses Geld nicht, weil wir notleidend wären und uns deswegen irgendetwas nicht kaufen könnten, was wir dringend brauchen. Das ist aber nicht der Punkt. Die Frage ist: Was ist der angemessene Maßstab für die Bezahlung der Abgeordneten? Wir haben einen angemessenen Maßstab. Das Bundesverfassungsgericht hat uns nun aufgegeben, „die reguläre Entschädigung von Zeit zu Zeit den steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen; auch dadurch, dass die Entschädigung im Gefolge der wirtschaftlichen Entwicklung allmählich die Grenze der Angemessenheit unterschreitet, wird die Freiheit des Mandats gefährdet“. Wenn man einen Maßstab festgelegt hat, der die Angemessenheit bestimmt, ({3}) muss man diesen Leitsätzen des Bundesverfassungsgerichts folgen. ({4}) § 11 des Abgeordnetengesetzes - Abgeordnetenentschädigung - besagt: Ein Mitglied des Bundestages erhält eine monatliche Abgeordnetenentschädigung, die sich an den Monatsbezügen - eines Richters bei einem obersten Gerichtshof des Bundes ({5}), - eines kommunalen Wahlbeamten auf Zeit ({6}) orientiert. Das ist der Maßstab, auf den wir uns im Abgeordnetengesetz verständigt haben. Das ist natürlich nicht Gottes Wort. ({7}) Das ist eine politische Entscheidung gewesen. Es ging um die Frage, was wir für angemessen halten. Wenn Sie einen anderen Vorschlag zur Angemessenheit haben, dann akzeptiere ich das und setze mich damit auseinander. Es geht aber nicht, dass Sie in Ihrem Antrag, über den wir in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf debattiert haben, lapidar schreiben: Der Orientierungsmaßstab der monatlichen Abgeordnetenentschädigung ist kritisch zu überprüfen. ({8}) Wenn Sie den Maßstab kritisch überprüfen wollen, hätte ich gerne einmal die Kriterien gewusst, die Sie anwenden wollen. ({9}) Wir sind die Einzigen, die nicht mehr wollen! Wir nehmen es mit! Wir lehnen es ab, solange die Zustimmung gesichert ist! - Ist das Ihr Motto? ({10}) Das ist meines Erachtens eine zu billige Nummer. ({11}) Diese Nummer ziehen Sie auf Kosten des ganzen Hauses durch, auf Kosten des Ansehens der parlamentarischen Demokratie. Ich bin durchaus dafür, dass wir die Diskussion noch einmal eröffnen. Dann sollten Sie aber bitte konkrete Vorschläge für den Maßstab der Angemessenheit vorlegen. Ich hänge nicht an einer Erhöhung um 292 Euro; aber ich will, dass die Abgeordneten angemessen ausgestattet sind, weil ich möchte, dass sie unabhängig sind und von Nebenbeschäftigungen und anderen Einflüssen frei sein können, wenn sie das für sich so entscheiden. Das gehört zur Freiheit des Mandats und zu unserer Unabhängigkeit, die das höchste Gut in der parlamentarischen Demokratie ist. Denn nur sie sichert, dass die Abgeordneten allgemeinwohlorientiert arbeiten. Volker Beck ({12}) ({13}) Wenn Ihnen das alles zu viel ist, wüsste ich gerne einmal, was für Sie angemessen ist. Sie haben auch bei den letzten Erhöhungen nicht zugestimmt; das war alles zu viel. Es gibt da - ich will Ihnen gerne helfen - eine Möglichkeit. Ich nenne Ihnen die Bankverbindung für Spenden an den Bund: ({14}) Kontoinhaber Bundeskasse Halle, Kontonummer 860 010 40, Bankleitzahl 860 000 00. Kontoführendes Institut ist die Bundesbank Leipzig. Dorthin können Sie das überweisen, was Sie für unangemessen und für zu viel halten. ({15}) Wenn Sie das nicht tun, sind es leere Worte und blanker Populismus, was Sie hier abgeliefert haben. ({16})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Hans-Peter Uhl. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst beim Kollegen Beck bedanken, dass er die Heuchelei der Linken bei der Thematik, die wir hier besprechen, deutlich gemacht hat. ({0}) Es ist nicht anständig, wie Sie mit dem Thema umgehen. Wir sind uns einig, dass wir bei beiden Punkten - bei der Parteienfinanzierung und bei den Abgeordnetendiäten das tun müssen, was angezeigt ist. Bei der Parteienfinanzierung ist es richtig, die staatliche Finanzierung zu erhöhen. Wir haben uns darauf verständigt, weil sie seit zehn Jahren nicht mehr erhöht wurde. Aber wir wissen auch, dass dieses Thema ein Problem beinhaltet. Bei der Struktur der Parteienfinanzierung sind wir aus Gründen der Gleichbehandlung verpflichtet, Parteien staatlich mitzufinanzieren, die keiner von uns finanziert haben will: die NPD. Keiner von uns will das, und dennoch müssen wir es aus Gründen der Gleichbehandlung tun. Es gibt zwar ein Gutachten, wonach das nicht zwingend ist; ich halte dieses Gutachten aber nicht für nachvollziehbar. Nein, ich will mich nicht mit der Kapitalausstattung der Linkspartei, ihrem Grundvermögen und ihren Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen befassen. ({1}) Wenn man darauf eingehen würde, könnte man einige Punkte herausarbeiten, die den Linken sicher nicht gefallen würden. Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Abgeordnetenbezügen sagen. Bevor ich in den Bundestag kam, war ich kommunaler Wahlbeamter in München und immerhin elf Jahre lang - es gab 13 Monatsgehälter - in der Besoldungsgruppe B 7. Wenn man fragt, was man als Bundestagsabgeordneter verdient, stellt sich heraus: Eigentlich müsste man B 6 bekommen. ({2}) Schaut man in die Gehaltstabelle, stellt man fest, dass die Abgeordneten bis zuletzt nicht immer den Mut hatten, sich die angemessene Besoldungsgruppe B 6 per Gesetz zu verschaffen. Es ist ein scheinbares Privileg, dass wir unser Gehalt selbst festlegen können. In Wahrheit ist es eine Last. Denn es gibt keinen Tag im Jahr, an dem es in die politische Landschaft passt, zu sagen: Jetzt wollen wir - wie die Beamten, die dort eingestuft sind die Besoldungsgruppe B 6 bekommen. ({3}) Deswegen muss man einfach die Zivilcourage und den Mut aufbringen, zu sagen: Jetzt ist der Abstand so groß, dass wir unsere Besoldung wieder anpassen wollen. Das versuchen wir jetzt. Wenn wir diese Anpassung vornehmen, werden wir im Monat 400 Euro weniger verdienen als ein Beamter, der in der Besoldungsgruppe B 6 ist, oder als ein Bundesrichter. Was ist ein Beamter in der Besoldungsgruppe B 6? Er ist Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt mit 40 000 Einwohnern. ({4}) Der verdient so viel, wie wir uns, wenn man so will, genehmigen wollen. Das ist angemessen und gerecht. Ich freue mich immer, wenn Besuchergruppen aus meinem Wahlkreis hier sind. Dann debattiere ich mit ihnen sehr gerne über dieses Thema. Sie wollen dann immer wissen, wie viel ein Abgeordneter arbeitet. Manchmal wollen sie auch wissen, was ein Abgeordneter verdient. Dann setze ich Arbeitszeit und Arbeitsentgelt in Bezug zueinander, und es wird ganz schnell ruhig im Raum, weil jeder vernünftige Mensch sagt, dass das Verhältnis möglicherweise nicht ganz angemessen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass wir die Erhöhung heute so beschließen. Wenn uns das Bundesverfassungsgericht schon dazu zwingt, jede Erhöhung - und sei es nur um 1 Euro - per Gesetz transparent zu beschließen ({5}) - ja, das ist auch richtig -, sollten wir, egal ob es in die Landschaft passt oder nicht, den Mut aufbringen, hier einen Rhythmus hineinzubringen und zweimal in der Legislaturperiode zu prüfen, wie weit sich unsere Diäten von B 6 und R 6 entfernt haben, und sie, wenn es angezeigt ist, erhöhen. Wir sollten uns parteiübergreifend einigen, daraus kein Thema zu machen, bei dem wir aufeinander losgehen. Das wäre eine vernünftige Umgangsweise. Vielleicht findet sich der Mut, in den kommenden Legislaturperioden so mit dem Thema umzugehen. Danke schön. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort unserer Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe jetzt bei einigen der Zuhörer Taschentücher gesehen. Vielleicht haben sie Mitleid mit uns Abgeordneten. Keine Sorge, Mitleid ist nicht nötig. Die Abgeordneten bekommen schon jetzt ausreichend, um davon leben zu können. Sie müssen für uns Abgeordnete nicht unbedingt sammeln. ({0}) Uns ist gerade Heuchelei unterstellt worden. ({1}) Es ist richtig: Wenn Sie das jetzt hier beschließen, dann wird das Geld auch auf die Konten unserer Abgeordneten gehen. Aber ich kann Ihnen eines versichern: Wir gehen damit sehr transparent um. Unsere Abgeordneten spenden mehr als 2 000 Euro im Monat; das ist auf unseren Homepages nachzulesen. ({2}) - Wir spenden an Projekte, zum Beispiel Tafeln, an Organisationen und Verbände, die dringend Geld brauchen. Außerdem hat unsere Fraktion einen Fonds, mit dessen Hilfe sie an Projekte spendet, die aus staatlichen Mitteln keine Unterstützung bekommen. Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Projekte unterstützt und dafür gesorgt, dass sie weiter existieren können, nachdem Sie an solchen Stellen gekürzt haben. ({3}) Ich kann Ihnen eines versichern: Auch diese Diätenerhöhung wird wieder einem guten Zweck zugeführt werden. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Zur Entgegnung hat das Wort Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will jetzt nicht in den Wettbewerb treten, wer hier wie viel spendet. ({0}) Auch unsere Kollegen spenden viel, und ich vermute, dass das auch für andere Fraktionen gilt. Dafür bekommen Sie in der Regel Spendenquittungen, sodass Sie das steuermindernd absetzen können. Das haben Sie jetzt wohlweislich verschwiegen. Wenn Sie der Ansicht sind, dass Ihnen das Geld nicht zusteht, dann dürfen Sie es nicht spenden, sondern müssen es dem Bund zurückgeben; denn von dem haben Sie das Geld bekommen. Alles andere ist nicht konsequent; das wissen Sie. Sie sind dabei erwischt worden, ({1}) dass Sie sagen, es sei zu viel, aber nicht sagen können, was gerade noch genug wäre. Das ist unehrlich. Deshalb finde ich es gut, dass wir hier beschließen, eine Kommission einzurichten, die sich über die Frage der Angemessenheit unterhält ({2}) und vielleicht auch den Gedanken aufnimmt, über den wir 1996 diskutiert haben. Dafür hatten wir damals eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, aber das Vorhaben wurde im Bundesrat vom niedersächsischen Ministerpräsidenten gestoppt. Es ging darum, das, was wir für angemessen halten, ins Grundgesetz zu schreiben, um ein für alle Mal die Diskussion, ob es mehr oder weniger geben sollte, zu beenden. Dann müssten wir uns nicht mehr selber die Gehälter erhöhen; bisher darf es niemand anders. Ich fände es gut, wenn wir diese Verantwortung durch einen sauberen, verfassungsrechtlich korrekten Akt loswerden und ein für alle Mal klären, was angemessen ist. Das bliebe dann die Regel, nach der wir uns gemeinsam richten. Dann müsste man sich nicht für jeden Euro rechtfertigen, und dann wäre solcher Populismus auf Kosten der parlamentarischen Demokratie nicht mehr möglich. In diesem Zusammenhang kann man auch über die Altersversorgungssysteme diskutieren. ({3}) Das Beamtenversorgungssystem und das Abgeordnetenversorgungssystem sind im Wesentlichen gleich. ({4}) Volker Beck ({5}) - Frau Kollegin, ein Beamter zahlt auch nichts in die Rente. Trotzdem gibt es Beamte, denen es finanziell nicht so gut geht. ({6}) - Pumpen Sie sich nicht so auf; seien Sie ganz entspannt. ({7}) Wir führen hier eine sachliche Debatte. Diese Fragen sollten von der Kommission, die wir einrichten, beantwortet werden. Dort sind es nicht Abgeordnete, die darüber befinden und Vorschläge machen. Vielleicht kann man so die erforderliche Akzeptanz gewinnen. Sicher darf man sich allerdings nicht sein. Ich weise auf das hin, was sich im Abgeordnetenhaus von Berlin zugetragen hat. Dort gab es eine solche Kommission; aber niemand hatte den Mut, ihren Vorschlägen zu folgen. Auch so kann es gehen. Am Ende muss diese Entscheidung ohnehin vom Hohen Haus getroffen werden. Die Gefahr, der Versuchung des Populismus zu erliegen, ist bei Ihnen leider sehr groß. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6496, den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6291 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, das Bündnis 90/Die Grünen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Linksfraktion und eine Stimme aus dem Kreise der Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Eine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? Enthaltung des Kollegen Ströbele. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung bezahlbarer Mieten und zur Begrenzung von Energieverbrauch und Energiekosten - Drucksache 17/6371 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Niemand widerspricht. Dann ist dies so beschlossen. Die erste Rednerin kommt aus der Fraktion Die Linke. Es ist unsere Kollegin Ingrid Remmers. Frau Kollegin Ingrid Remmers hat das Wort. ({1})

Ingrid Remmers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004134, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wohnen zu bezahlbaren Mieten, in Wohnungen, die barrierefrei und klimagerecht ausgestattet sind, wird immer mehr zu einem zentralen Thema der Sozialpolitik. Immer mehr zeigt sich dabei, dass Wohnen unter den heutigen Herausforderungen der sozialen, demografischen und ökologischen Entwicklung nicht mehr allein den Regulierungsmechanismen des Marktes überlassen werden kann. Der Markt allein - das sagen im Übrigen alle Akteure in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft - ist mit dieser Herkulesaufgabe hoffnungslos überfordert. ({0}) Immer drängender werden auf der einen Seite die Forderungen aus der Bau- und Wohnungsbranche nach staatlichen Zuschüssen in Form von Fördermitteln und steuerlichen Vergünstigungen. Begleitet werden diese Forderungen vom Drängen nach Änderungen des ordnungspolitischen Gefüges - konkret: nach der geplanten Änderung des Mietrechts -, um Investitionen leichter realisieren und sicherer davon profitieren zu können. Gleichzeitig wächst auf der anderen Seite die Sorge von Mieterinnen und Mietern, dass sie am Ende die Zeche für die ökologische Sanierung, für den barrierefreien Umbau und für den klimagerechten, barrierefreien Neubau allein zahlen sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sie sorgen sich zu Recht. Alle politischen Ideen und Absichten der Bundesregierung, die bis jetzt in der Pipeline sind, bestätigen diese Befürchtungen leider: einerseits ehrgeizig formulierte Ziele, die CO2-Emissionen im Gebäudebereich zu vermindern - das ist richtig und wird von uns allen unterstützt -, andererseits eine völlig unzureichende und ungewisse Ausstattung der entsprechenden Förderprogramme; einerseits steuerliche Zugeständnisse an Haus- und Wohnungseigentümer als Anreiz zur ökologischen Sanierung, andererseits die völlig offenen Fragen, wie die umzulegenden Modernisierungskosten von den Mieterinnen und Mietern aufgebracht werden können und wie sie sich künftig gegen unzumutbare Härten zur Wehr setzen sollen. Parallel zu den Sanierungsvorgaben und den steuerlichen Entlastungen befindet sich ein Referentenentwurf mit dem bedeutungsschwangeren Titel „Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln“ in der Ressortabstimmung. Schon die Vermischung einer wirklichen Generationenaufgabe, der energetischen Sanierung, mit einer gutachterlich bescheinigten Marginalie, dem sogenannten Mietnomadentum, geht gar nicht. ({1}) Um eine Marginalie handelt es sich deshalb, weil wir beim Mietnomadentum von lediglich 0,02 Prozent aller insgesamt 38 Millionen Mietwohnungen sprechen. Dieses marginale Argument nutzen Sie, um das Mietrecht zu verschlechtern. Schon diese Vermischung zeigt die Konfusion oder, was noch viel schlimmer wäre, die Klientelsteuerung der Koalition auch in der Wohnungsfrage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist deshalb dringend notwendig, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die bezahlbare Mieten für alle sichern, und gleichzeitig auf die Begrenzung von Energieverbrauch und Energiekosten hinzuwirken. Genau dieses Ziel verfolgt der Gesetzesantrag, den das Land Berlin Anfang November 2010 in den Bundesrat eingebracht hat. Zugegeben, der Gesetzesantrag ist nur ein Kompromiss zwischen der Berliner SPD und der Berliner Linken. Aber auch wir als Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag unterstützen das Anliegen dieser Initiative. ({2}) Auch wenn die darin gemachten Forderungen noch hinter unseren eigenen Vorstellungen zurückbleiben - Sie erinnern sich, dass ich an dieser Stelle vor drei Wochen für eine Senkung der Modernisierungsumlage nicht auf neun, sondern auf fünf vom Hundert geworben habe -, geht der Berliner Antrag einen großen Schritt in die richtige Richtung. Deshalb übernehmen wir hier den Berliner Gesetzesantrag und machen ihn zu unserem eigenen Gesetzentwurf. ({3}) Wir, die Linke, wollen, dass im Interesse von Millionen Mieterinnen und Mietern Bewegung in die Sache kommt und Sicherheiten geschaffen werden. Es kann doch zumindest für die Oppositionsfraktionen hier im Hause eigentlich keine unüberwindliche Hürde sein, einem Antrag wohlwollend zuzustimmen, der von der in Berlin regierenden SPD verfasst worden ist, oder? Danke. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Der nächste Redner kommt aus der Fraktion der CDU/CSU und ist unser Kollege Jan-Marco Luczak. Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Remmers, ich finde es einigermaßen ehrlich, ({0}) dass Sie bei Ihren Ausführungen hier zumindest zugestehen, einen Gesetzesantrag übernommen zu haben, der vom Land Berlin vor fast einem Jahr in den Bundesrat eingebracht worden ist. Dabei haben Sie allerdings ein wenig überspielt, dass Sie diesen Antrag wirklich wortwörtlich übernommen haben. Sie haben ihn einfach abgeschrieben und gesagt: Wir übernehmen ihn und machen ihn jetzt zu unserem eigenen Gesetzentwurf. - Man kann mit Fug und Recht darüber streiten, ob das in dieser Form richtig ist. Nicht streiten kann man allerdings darüber, dass man sich, wenn man so etwas tut, auch die Mühe machen muss, zu schauen, was in der Zwischenzeit passiert ist. Da ist die Welt nämlich nicht stehen geblieben - Sie haben das auch selbst erwähnt -: Es gibt mittlerweile einen Referentenentwurf zur Novellierung des Mietrechts. Daraus haben Sie ja auch einige Dinge zitiert; Sie haben von Mietnomaden gesprochen. Das hat mit unserer Thematik heute Abend zwar überhaupt nichts zu tun, aber lassen wir das einmal dahingestellt sein. Jedenfalls haben Sie diesen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mietrechts ganz offensichtlich zur Kenntnis genommen. Was Sie aber nicht gemacht haben, ist Folgendes: Sie haben Ihren Gesetzentwurf in keiner Weise angepasst. ({1}) Mit keiner Silbe haben Sie die Forderung, die Sie dem im Bundesrat eingebrachten Gesetzesantrag entnommen haben, dem aktuellen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mietrechts angepasst. Das hätten Sie besser einmal machen sollen. Schließlich fordern Sie zum Beispiel in Bezug auf die gewerbliche Wärmelieferung, das Contracting, dass die dafür anfallenden Kosten die bisherigen Heizkosten nicht übersteigen dürfen. Wenn Sie unseren Entwurf gelesen hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass die Forderung nach Kostenneutralität dort längst erfüllt ist. ({2}) - Moment. Tatsächlich geht unser Gesetzentwurf sogar noch weiter als der Ihrige. Bei uns gilt nämlich strikt und ohne Ausnahme, dass die Betriebskosten nach der Umstellung auf Contracting nicht höher sein dürfen als vorher. Nach Ihrem Gesetzentwurf kann das in bestimmten Fällen aber sehr wohl erlaubt sein. Das heißt, Sie bleiben hinter Ihrem selbst gesteckten Ziel des Mieterschutzes sogar noch zurück. ({3}) Meine Damen und Herren, diesen Vorwurf müssen Sie sich in der Tat gefallen lassen. Konstruktive OpposiDr. Jan-Marco Luczak tionsarbeit sieht nun wirklich anders aus. Dafür hat man möglicherweise ein bisschen Verständnis: Momentan haben Sie ja viel mit innerparteilichen Streitigkeiten zu tun. Das hindert Sie vielleicht daran, hier eigenen Sachverstand einzubringen, weshalb Sie sich dann einfach auf andere Gesetzentwürfe stützen. ({4}) Machen Sie aber ruhig weiter so. Dann merken die Menschen nämlich umso deutlicher, dass Sie inhaltlich gar nichts zu bieten haben. ({5}) Das alles ginge ja vielleicht noch, wenn nicht auch Ihr Gesetzentwurf in der Sache genauso ideenlos und verfehlt wäre. ({6}) Wir alle wissen: Vom Mietrecht ist wirklich fast jeder in unserem Land betroffen, entweder als Mieter oder als Vermieter. Es gibt 24 Millionen Menschen, die in Mietwohnungen leben. Deswegen hat die Ausgestaltung des Mietrechts wirklich eine existenzielle Bedeutung. Ein ausgewogenes und soziales Mietrecht ist für die christlich-liberale Koalition eine bare Selbstverständlichkeit. Wir sagen: Jeder Eingriff in das Mietrecht muss sorgfältig abgewogen sein, damit der gebotene Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen auch wirklich gewährleistet bleibt. Mit dem, was Sie uns hier präsentieren, werden Sie der notwendigen gesellschaftlichen Ausgewogenheit aber in keiner Weise gerecht. Im Gegenteil: Die Änderungen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen, führen zu einer absolut einseitigen Belastung der Vermieter. ({7}) Sie schaffen es damit gerade nicht, dem eigenen Anspruch zu genügen, einen gerechten Interessenausgleich zwischen den Beteiligten zu erreichen. Ihr Gesetzentwurf ist von der ersten Zeile an ein Widerspruch in sich. Ich kann das sehr gerne einmal an Beispielen festmachen: Erstes Beispiel. Mit Ihrer Initiative wollen Sie die Möglichkeiten der Umlage von Modernisierungskosten erschweren, indem Sie die Umlagefähigkeit von 11 Prozent auf 9 Prozent reduzieren. Dadurch soll die Akzeptanz von Modernisierungsmaßnahmen bei Mietern erhöht werden. Aber was hat das zur Folge? Natürlich werden die Anreize für Vermieter sinken, Modernisierungen vorzunehmen, weil sie die Kosten nicht mehr in gleicher Weise umlegen können und vielleicht sogar auf diesen sitzen bleiben. Wir alle reden in diesen Monaten vermehrt über den Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Wir alle reden über Klimaschutz. Auch die Linken tun das. Sie haben das selber gerade gemacht, Frau Kollegin Remmers. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf, dass sich die Wohnungswirtschaft an einer nachhaltigen, betriebskostensparenden und klimaschützenden Investitionspolitik orientieren soll, weil das Vorteile für alle Beteiligten und die Umwelt bringt. Ich dachte eigentlich nicht, dass ich Ihnen einmal recht geben würde; aber an dieser Stelle haben Sie wirklich recht. Ich frage mich allerdings, warum Sie mit Ihrem Gesetzentwurf genau das Gegenteil davon anstreben. Sie wollen rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, durch die die energetische Modernisierung erschwert wird. Das macht doch keinen Sinn. Meine Damen und Herren von den Linken, wie wollen Sie die Eigentümer zu den notwendigen, aber teuren Modernisierungsmaßnahmen motivieren, wenn Sie ihnen Steine in den Weg legen? Das ist doch kontraproduktiv. ({8}) Modernisierungsmaßnahmen müssen für Vermieter wirtschaftlich tragbar sein. Deswegen bedarf es wirtschaftlicher Anreize und nicht zusätzlicher Hürden. Zweites Beispiel. Die Kappungsgrenze für die Erhöhung der Miete bis zur ortüblichen Vergleichsmiete soll reduziert werden. Derzeit kann die Miete innerhalb von drei Jahren um maximal 20 Prozent in Richtung der ortsüblichen Vergleichsmiete angehoben werden. Sie wollen jetzt, dass nur noch 15 Prozent in vier Jahren erlaubt sind. Dabei vergessen Sie, dass die Kappungsgrenze bereits 2001 gesenkt worden ist. Ich finde, wir haben mit der derzeitigen Regelung einen gerechten Ausgleich der Interessen geschaffen. Diesen sollten wir aufrechterhalten. ({9}) Im Übrigen greift die Kappungsgrenze ohnehin nur in den Fällen, in denen zwischen tatsächlicher Miete und der ortsüblichen Vergleichsmiete ein Gefälle besteht. Regelmäßig ist das aber gar nicht der Fall; es kommt nämlich sehr darauf an; die Situation in den einzelnen Regionen ist sehr unterschiedlich. Deswegen spielt das, was Sie hier vorschlagen, in der Praxis eigentlich keine Rolle. Was Sie hier machen, ist wieder einmal nichts weiter als Symbolpolitik. Damit, dass Sie die Vermieter auch noch mit einer Verschärfung des Wirtschaftsstrafgesetzes drangsalieren wollen, machen Sie endgültig klar, wes Geistes Kind Sie sind. Sie haben sich noch immer nicht von alten Ideologien verabschiedet. Die Eigentümer sind bei Ihnen immer die Bösen. Fangen Sie endlich einmal an, zu begreifen, dass wir in einer sozialen Marktwirtschaft leben, wo Eigentum nichts Schlechtes ist. Ich könnte jetzt noch einige weitere Punkte nennen. Sie schlagen vor, § 550 a BGB zu ändern. Da geht es darum, dass ein Mietvertrag nur dann geschlossen werden darf, wenn der Energieausweis Bestandteil des Mietvertrages ist. Hier kann man sich schon fragen, ob die Mieter damit einverstanden sind. Was ist denn die Folge, wenn der Vermieter dagegen verstößt? Hinterher steht der Mieter ohne Mietvertrag da. Das heißt, er kann bei der Wohnungssuche möglicherweise von vorne anfangen. Sie geben den Mietern damit Steine statt Brot. Die Mieter werden sich bei Ihnen bedanken. Zum Schluss kann ich nur feststellen: Ihr Gesetzentwurf ist nicht nur abgeschrieben, sondern er ist auch handwerklich schlecht gemacht. Damit verfehlen Sie die selbst gesetzten Ziele. Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner aus der Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Ingo Egloff. Bitte schön, Kollege Ingo Egloff. ({0})

Ingo Egloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, Herr Kollege, dass wir eine soziale Marktwirtschaft haben. Aber weil das so ist - Sie haben hier das Thema Eigentum erwähnt -, gibt es kaum einen anderen Bereich, auf den das, was in Art. 14 Grundgesetz steht, „Eigentum verpflichtet“, so zutrifft wie auf das Mietrecht. ({0}) Wir streiten hier immer wieder über die Fragen eines sozialen Mietrechts, und zwar zu Recht. Die Linke hat selber zugegeben, dass sie den Gesetzesantrag, den die Bürgermeisterin und Senatorin Junge-Reyer für das Land Berlin im November 2010 in den Bundesrat eingebracht hat - im dortigen Rechtsausschuss ist er meines Erachtens noch anhängig -, als Vorlage genommen hat. Nun freuen wir uns natürlich, wenn ein Gesetzesantrag, den ein SPD-geführter Senat in den Bundesrat eingebracht hat, von der Linken als Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht wird. Das Ganze verläuft ein bisschen nach dem Motto: Ich kann zwar nicht bestimmen, wohin der Zug fährt, aber ich will auf jeden Fall mit in der Lok sitzen. ({1}) In der Sache beschreibt der Gesetzentwurf die Problemlagen richtig. Die Tatsache, dass in bestimmten Teilen großer Städte die Mieten steigen, meist einhergehend mit einer Verdrängung der angestammten Bevölkerung, führt bei der Erstellung des Mietspiegels für die gesamte Stadt automatisch dazu, dass das Mietniveau auch in weniger privilegierten Wohnvierteln steigt, weil das Niveau in der gesamten Stadt steigt. Hier aus sozialpolitischen Gründen einen Riegel vorzuschieben und die Mietentwicklung in bestimmten Teilgebieten steuern zu können, ist zumindest für große Städte wie Hamburg, Berlin, München und Köln wichtig. Ich finde, angesichts dessen lohnt es sich, über diesen Gesetzentwurf zu reden. Sie können natürlich anderer Auffassung sein. Aber tun Sie das bestehende Problem nicht einfach ab, sondern lassen Sie uns über bessere Lösungen streiten. ({2}) In keinem anderen europäischen Land ist der Anteil am Einkommen, den die Bevölkerung für Mieten ausgibt, so hoch wie in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist eine solche Regelung, mit der wir Grenzen einziehen, zumindest für diejenigen Bevölkerungsschichten besonders wichtig, bei denen das Einkommensniveau eine Steigerung schon jetzt nicht zulässt. Genauso verhält es sich bei den Energiekosten. Wir sind uns alle einig, dass energetische Gebäudesanierung sinnvoll ist und durchgeführt werden muss. Das haben wir alle in der letzten Woche beschlossen. Aber wir sollten uns auch darin einig sein, dass energetische Gebäudesanierung nicht dazu führen darf, dass der Mietraum nicht mehr bezahlbar ist. Es kann schwierige Situationen geben, auch wenn Sie dies bestreiten, Herr Kollege. Ein Beispiel dafür sind Frauen, deren Ehemann verstorben ist und deren Einkommen dadurch geringer wird. Die Wohnungen dieser Frauen müssen womöglich saniert werden, ohne dass sie dies noch bezahlen können. Wenn eine solche Situation eintritt, dann ist das schlicht und ergreifend nicht richtig. Das ist eines Sozialstaates nicht würdig. ({3}) Ich kann Ihnen solche Beispiele bei mir im Wahlkreis, in Hamburg-Großlohe, zeigen. Das ist keine privilegierte Gegend. Dort ist genau das eingetreten. Ich finde, da müssen wir aufpassen. Wenn die energetische Gebäudesanierung durchgeführt wird, dann müssen wir aufpassen, dass am Ende nicht diejenigen, die sich das nicht erlauben können, in nicht sanierten Wohnungen wohnen müssen, weil sie andere Wohnungen nicht mehr bezahlen können. Das hieße, das Kind mit dem Bade auszuschütten. ({4}) Wir müssen uns über die Frage Gedanken machen: Wie ist das mit der Umlagefähigkeit? Wie ist das mit der Senkung der Modernisierungsumlage von 11 auf 9 Prozent? Eine Senkung auf 5 Prozent halte ich für illusorisch; aber über eine Senkung von 11 auf 9 Prozent müssen wir nachdenken. Auch die Sache mit dem Energiepass ist sinnvoll. Die Frage ist nur: Ist die Aushändigung des Energiepasses eine zugesicherte Eigenschaft? Dann tritt das nicht ein, Herr Kollege, was Sie gesagt haben: dass der Mietvertrag keine Gültigkeit mehr hat. Vielmehr hat dann der Vermieter eine Mietsache zur Verfügung gestellt, die nicht die zugesicherte Eigenschaft hat. ({5}) Diese Frage haben wir im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens zu klären. Die Bundesregierung hat sich schon Gedanken darüber gemacht - Sie haben darauf hingewiesen -, im Zuge der energetischen Gebäudesanierung das Mietrecht zu ändern. Der Referentenentwurf hat uns zwar offiziell noch nicht erreicht, aber jeder hat schon einmal hineingeschaut. Ich finde, die Bundesregierung tut gut daran, diesen Gesetzentwurf endlich vorzulegen, damit wir ihn im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf diskutieren können. Im Referentenentwurf steht beispielsweise: Bei energetischer Gebäudesanierung darf der Mieter in Zukunft für drei Monate kein Recht auf Mietminderung geltend machen. Schon bisher gab es die energetische Gebäudesanierung. Wenn die Mietsache beeinträchtigt, also nicht in vertragsgemäßem Zustand, war, konnte man Mietminderung geltend machen. Wo wollen Sie die Abgrenzung zwischen regelmäßig durchzuführenden Instandhaltungsmaßnahmen und energetischen Gebäudesanierungsmaßnahmen vornehmen? Ich glaube, an dieser Stelle ist der Gesetzentwurf, den Sie hier in der Pipeline haben, noch nicht ausgereift. Wir müssen noch diskutieren, damit in der Praxis unnötige Prozesse vermieden werden. Solche Prozesse wären das Einfallstor für Streitigkeiten zwischen dem Mieter und dem Vermieter: Wo fängt Instandhaltung an - da kann man die Miete kürzen -, und wo hört die energetische Gebäudesanierung auf? Was Sie da tun, ist nicht praxisgerecht. Wir sollten uns jedenfalls hüten, im Zuge der Überarbeitung des Mietrechts im Hinblick auf die energetische Gebäudesanierung Dinge zu regeln, die eigentlich nicht in diesen Kontext gehören. ({6}) Wir Sozialdemokraten sind dagegen, dass unser soziales Mietrecht zulasten der Mieter weiter eingeschränkt wird. Über das Thema Contracting und darüber, ob die hier vorgelegte Regelung oder eine andere Regelung zielführend ist, werden wir uns im Ausschuss noch in aller Ausführlichkeit unterhalten müssen. Auf jeden Fall gibt es unterschiedliche Aussagen dazu. Frau Junge-Reyer hat im Bundesrat gesagt, Contracting führe regelmäßig zu Mietminderung. Wenn Sie mit den Mietervereinen reden, erzählen sie Ihnen das Gegenteil. ({7}) Wir haben solche Gespräche letzte Woche geführt. Wir sollten das klären. Wir sollten eine Anhörung durchführen, und wir sollten ein Mietrecht schaffen, das einerseits dem Ziel, das wir beim Klimaschutz alle miteinander verfolgen, gerecht wird, und andererseits die Frage der sozialen Gerechtigkeit nicht ausblendet. Wenn das geschieht, dann haben Sie uns an Ihrer Seite, sonst nicht. Vielen Dank. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die FDP-Fraktion spricht unser Kollege Stephan Thomae. Bitte schön, Kollege Stephan Thomae. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Linksfraktion will mit dem vorgelegten Entwurf die Mieten bezahlbar halten, Energie einsparen und Energiekosten senken. Es wird Sie nicht verwundern, dass ich skeptisch bin, ob Sie mit diesem Entwurf das Ziel erreichen können. Ich will an einigen Punkten deutlich machen, weshalb wir meinen, dass der von Ihnen vorgelegte Entwurf abzulehnen ist. Der erste Punkt betrifft das Thema Energieausweis. In Ihrem Entwurf schreiben Sie, dass der Mietvertrag über Wohnraum nur dann wirksam ist, wenn der Vermieter bei Abschluss des Vertrages einen Energieausweis für den Wohnraum vorlegt. Die Folge ist aber logischerweise, dass immer dann, wenn bei Abschluss des Vertrages kein Energieausweis vorliegt, auch kein wirksamer Mietvertrag zustande kommt. Die Folge ist - Kollege Luczak hat es schon anklingen lassen -, dass eben kein wirksamer Mietvertrag zustande kommt. Man muss sich einmal überlegen - das ist ein Punkt, der in dem von Ihnen vorgelegten Entwurf überhaupt nicht bedacht ist -, was das für die Altfälle, also für die schon bestehenden Mietverträge, bedeutet. Muss dann der Energieausweis nachgereicht werden, oder welche Konsequenzen sind ansonsten zu gewärtigen? Das ist ein Punkt, der bei der Übergangsregelung zu bedenken wäre. Dazu besagt Ihr Entwurf nichts. Der zweite Punkt: Was gilt für die faktischen Mietverhältnisse, etwa wenn bei Eingehung des Mietvertrags ein solcher Energieausweis nicht vorgelegt wird, weil die Parteien es nicht bedenken, die Vorschriften nicht kennen, sie ihnen gleichgültig sind oder keiner von beiden Wert darauf legt? Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem zu klären ist, ob ein wirksamer Vertrag geschlossen worden ist. Dann kann genau das passieren, was schon angesprochen worden ist: Der Mieter ist rechtlos, weil er im Falle des Beendigungswunsches des Vermieters auf keinen wirksamen Mietvertrag zurückgreifen kann. ({0}) Sie wollen mit Ihrem Entwurf vielleicht die Vermieter ärgern. In Wirklichkeit erzeugen Sie aber eine gewaltige Rechtsunsicherheit für Hunderttausende, ja für Millionen von Mietverhältnissen. Das ist die Gefahr, die Sie den Mietern hiermit sozusagen ins Nest legen. Sie erzeugen genau das Gegenteil dessen, was Sie eigentlich erreichen wollen. ({1}) Der dritte Punkt sind gewerbliche Wärmelieferungen, Contracting-Verträge. Wir begrüßen, dass Sie diesem Punkt zustimmen. Überraschenderweise sieht Ihr Entwurf vor, dass dem Mieter für Wärme-Contracting höhere Nebenkosten entstehen dürfen. Da kann ich Ihnen sagen: Die Regierung will erreichen, dass sich der Vertrag beim Wärme-Contracting für den Mieter kostenneutral auswirkt. Wir meinen: Das Ganze ist für den Mieter eine neutrale Investition, da sie mit einer Wertverbesserung einhergeht. Sie haben zwei Voraussetzungen in Ihren Gesetzentwurf eingebaut, nämlich zum einen, dass der Primärenergiebedarf um mindestens 15 Prozent sinken muss, und zum anderen, dass bei größeren Mietobjekten die Hälfte der Mieter zustimmen muss. Für uns haben Sie zu viele Voraussetzungen mit eingebaut. Diese Voraussetzungen gefährden unser Vorhaben, ein Energieeinsparziel zu erreichen. Sie senken den Modernisierungsanreiz und verhindern geradezu das, was wir beabsichtigen, nämlich die energetische Sanierung des Wohnraums bei uns in Deutschland. ({2}) Ein weiterer Punkt ist die Kappungsgrenze; das ist ebenfalls schon angeklungen. Nach der bisherigen Regelung darf die Miete innerhalb von drei Jahren um maximal 20 Prozent erhöht werden. Sie wollen diese Grenze nun dahin gehend verändern, dass innerhalb von vier Jahren die Miete um maximal 15 Prozent ansteigen darf. In diesem Zusammenhang muss man berücksichtigen, was auf dem Mietmarkt geschieht. Die Anschaffung von Wohnungsmietraum in Form einer Immobilie ist für den Vermieter zunächst eine Geldanlage. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass diese Geldanlage im Vergleich zu anderen Anlageformen eher als renditeschwach gilt. Sie gilt als sichere Geldanlage, aber Liquidität und Rendite sind schwach. Insofern muss man berücksichtigen, dass diese Anlageform mit anderen Anlageformen konkurrieren muss. Die Gewinnerzielung ist nichts Illegitimes. Auch das muss man sehen. Sie wollen die Obergrenze ändern, wobei man nicht übersehen darf, dass eine wirksame Begrenzung der Mieten heute über den Markt stattfindet. Das berücksichtigen Sie in Ihrer Denklogik nicht in derselben Weise wie wir. In vielen Regionen Deutschlands bzw. auf vielen Mietmärkten gibt der Mietmarkt sogar viel weniger her als die gesetzlich erlaubte Erhöhung. Das ist nur eine Obergrenze. Die eigentliche Obergrenze für Mieterhöhungen bildet aber der Markt. Wenn der Vermieter die Miete zu stark erhöht, riskiert er Mietleerstand und Mietausfälle gerade in Gegenden fernab der Innenstädte großer Städte. Dieses Risiko trägt der Vermieter ebenfalls. Das ist als eigentliche Kappungsgrenze anzusehen. ({3}) Der letzte Punkt sind die Modernisierungskosten. Derzeit können bis zu 11 Prozent dieser Kosten auf die Jahresmiete umgelegt werden. Sie wollen den Anteil auf 9 Prozent senken. An dieser Stelle muss man sich vor Augen halten, was die Miete wirtschaftlich betrachtet ist. Die Miete ist eine Abzinsung, die der Mieter auf die Anschaffungskosten des Vermieters entrichtet. Der Vermieter schafft Eigentum an, das er finanzieren muss. Er hat Kapitalkosten, muss Zinsen zahlen sowie Investitionskosten und vielleicht auch Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung tragen. Das schießt er dem Mieter sozusagen vor. Die Miete ist also eine Abzinsung. Deswegen heißt es auch Mietzins. Diese Aufwendung darf der Vermieter refinanzieren. Wenn wir diese Möglichkeiten beschneiden, dann riskieren wir, dass immer weniger Eigentümer bereit sind, in Wohnraum zu investieren. Auch das ist nicht im Interesse der Mieter, weil sich dann die Lage auf dem Mietmarkt verschärft. ({4}) Sie haben recht, Kollege Egloff: Eigentum verpflichtet; aber es muss auch jemand Eigentum schaffen; jemand muss investieren. Deswegen dürfen wir die Anschaffung von Eigentum nicht allzu sehr erschweren. Aus diesem Grund werden wir Ihren Entwurf ablehnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Daniela Wagner. Bitte schön, Frau Kollegin Daniela Wagner.

Daniela Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004184, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte und die Rede von Kollegin Remmers haben deutlich gemacht, dass die wohnungs- und mietpolitischen Träumereien der Linken von der Berliner SPD mittlerweile erfolgreich geglättet worden sind. Herausgekommen ist ein Gesetzentwurf, dem man seine Zustimmung, jedenfalls über weite Strecken, nicht verweigern kann. ({0}) Man hat allerdings ein bisschen den Eindruck, dass die Debatte zur Unzeit stattfindet. Sie steht eigentlich dann an, wenn wir über eine Mietrechtsnovelle reden. Richtig ist aber auch - damit haben Sie recht -, dass unsere Wohnungsmärkte vor massiven Herausforderungen stehen. Ohne die umfassende energetische Modernisierung unseres Gebäudebestands wird die Energiewende nicht zu schaffen sein. Wir alle wissen: 40 Prozent der Energie wird zurzeit im Gebäudebestand verbraucht. Außerdem haben wir aufgrund des demografischen Wandels einen Mehrbedarf an ungefähr 2,5 Millionen barrierereduzierten bzw. barrierefreien Wohnungen. Bis 2030 wird dieser sogar noch auf 3 Millionen steigen. Die weitreichenden Investitionen, die dafür zu tätigen sind, werden erhebliche Folgen sowohl für die Gebäudeeigentümer als auch für die Mieterinnen und Mieter haben. Das Mietrecht ist nun einmal das zentrale Instrument, mit dem man solche Fragen regeln und Konflikte entschärfen kann. So kann man ja Mietanstiegsdynamiken ausbremsen oder beschleunigen. Insbesondere in Metropolregionen mit angespannten Wohnungsmärkten besteht im Moment durchaus die Gefahr - das ist wahr -, dass einkommensschwächere Mieterinnen und Mieter unter dem Deckmantel der energetischen Sanierung aus ihren Wohnungen heraussaniert werden. Das kann man nicht wollen. Dem muss man etwas entgegensetzen. Wir sind aber auch der Meinung, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Mieterinnen bzw. Mieter, Vermieter, Klima- und Mieterschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. ({1}) Wir glauben, dass ein soziales und klimafreundliches Mietrecht möglich ist und dass der Interessenausgleich mit den bestehenden Regelungen zu bewältigen ist. Wir glauben vor allen Dingen, dass sich eine angemessene Förderung, sowohl KfW-Förderprogramme als auch steuerliche Entlastung - beides muss ja gemäß § 559 a BGB weitergegeben werden -, mietmindernd auswirkt. Von jeder Art von Entlastung des Eigentümers soll nämlich auch die Mietpartei etwas haben. ({2}) Im Moment ist vorgesehen, dass das Gebäudesanierungsprogramm künftig aus dem Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ finanziert werden soll. Täglich lese ich in der Zeitung neue Berichte darüber, was aus diesem Fonds noch alles finanziert werden soll. Insofern sind wir skeptisch, dass das Geld tatsächlich dort landet, wo es landen müsste. Für das KfW-Förderprogramm „Altersgerecht Umbauen“ stehen praktisch gar keine Mittel mehr zur Verfügung, obwohl seine Bedeutung in jeder Rede betont wird. Das ist, finde ich, eine Art wohnungspolitischer Geisterfahrt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Jenseits vom Mietrecht und jenseits der Frage „Absenkung der Kappungsgrenze“ ist das Wirtschaftsstrafrecht zu erwähnen, das auch jetzt schon wirksam wird. Im Volksmund ist das der Mietwucherparagraf. Das Begehren ist nun, dass dieser Paragraf auch stadtteilbezogen angewendet werden kann. Das ist sinnvoll; denn auf die ganze Stadt bezogen kommt er praktisch nie zur Anwendung, weil extreme Wuchermieten durch niedrige Mieten im Mittel ausgeglichen werden. Auch Sie wissen natürlich, dass es vernünftig ist, diesen Paragrafen gebietsweise zur Anwendung zu bringen. ({3}) Die einzelnen mietrechtlichen Normen werden wir sicher im September einer eingehenden Würdigung unterziehen. Lassen Sie mich jetzt nur so viel sagen: Die Drittelung der Belastung ist unser Credo. Wir wollen, dass die Mieterinnen und Mieter, die Vermieter und der Staat sich die Last der energetischen Gebäudesanierung und der Energiewende teilen, und dazu ist es erforderlich, dass für die Förderprogramme zur energetischen Gebäudesanierung auf jeden Fall Mittel in ausreichender Höhe und vor allem verstetigt zur Verfügung stehen. Danke schön. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Jetzt für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Gero Storjohann. ({0})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das deutsche Mietrecht ist ein fein abgestimmter Mechanismus, und die berechtigten Interessen von Mietern und Vermietern werden nach meiner Auffassung gleichermaßen berücksichtigt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist meines Erachtens ein Angriff auf diese Ausgewogenheit. ({0}) In Deutschland ist das Gut „Wohnen“ für jedermann erschwinglich und möglich. Wir Abgeordnete wohnen hier in Berlin ja fast alle zur Miete. Ich habe mich gewundert, dass ich für 5 Euro in einem Altbau, saniert, Erstbezug, unterkommen kann. Das ist günstiger als in meinem Dorf. Wenn ich im Ausland bin, frage ich nach der Mietsituation in den Städten. Gerade die Botschaftsangehörigen machen mir dann immer sehr deutlich, dass sie für eine Miete unter 2 000, 3 000 oder 4 000 Euro keine vernünftige Bleibe finden können. Daher kann man sagen: In Deutschland ist grundsätzlich eine gute Wohnsituation, in den letzten Jahren politisch begleitet, erreicht worden. Das muss an der bisherigen Förderpolitik und auch an der Investitionsbereitschaft von Unternehmen und Privaten gelegen haben. Bisher hat noch keiner das Förderinstrument Wohngeld erwähnt, das auch zu einem Ausgleich beiträgt und schwächeren Mietparteien die Möglichkeit gibt, angemessen zu wohnen. Auch das muss man in diesem Kontext sehen. Die Bestimmungen im Gesetzentwurf der Linken würden zu einer einseitigen Belastung der Vermieter führen. Das sagen Sie ganz offen am Ende Ihres Entwurfs. Frau Wagner von den Grünen hat schon den Bedarf dargestellt, der sich in den nächsten Jahren ergibt und den wir bewältigen müssen. ({1}) Das heißt, wir brauchen die Bereitschaft, Investitionen zu tätigen. Mein Kollege Thomae von der FDP hat bereits gesagt, dass wir diese Bereitschaft fördern und nicht abwürgen wollen. Wir müssen daher aufpassen, dass wir hier nicht zu falschen Zielsetzungen kommen. Herr Egloff, was ausbleibender Wohnungsneubau bewirkt, konnten wir in Hamburg genau beobachten. ({2}) - Über 20 Jahre kann ich die Planung auch zurückverfolgen. - Die Ausweisung von billigen Grundstücken ist in Städten schwierig. Aber wenn man es schafft, kann es Neubau geben. Das hat dann eine dämpfende Wirkung auf die Mieten. ({3}) Das ist das Geheimnis: Wir dürfen eine Verknappung nicht zulassen. Ein entsprechendes Angebot wirkt einer Verknappung entgegen. Insofern würden die Linken mit ihrem Entwurf mittelfristig dem Anliegen auf bezahlbaren Wohnraum erheblichen Schaden zufügen. ({4}) Ihr Gesetzentwurf blendet völlig aus, dass es in großen Städten zwar Mietspiegel gibt, dass dies in Stadtrandlagen oder verdichteten ländlichen Regionen jedoch nicht der Fall ist. Zudem gibt es keine gesetzliche Verpflichtung für die Kommunen, Mietspiegel aufzustellen. Die geltenden Regelungen zum Schutz der Mieter vor unverhältnismäßigen Mieterhöhungen haben sich darüber hinaus bewährt. Die Kappungsgrenze, die verhindert, dass sich die Miete in großen Sprüngen erhöht, wurde zuletzt 2001 unter Rot-Grün neu festgelegt. Man hat sich damals, so glaube ich, etwas dabei gedacht. Wie richtig erkannt wurde, bietet die energetische Modernisierung von Mietshäusern ein großes Potenzial, um CO2-Ausstoß einzusparen. Diese Modernisierungsmaßnahmen kosten Geld. Wir von der Union meinen, dass diese Kosten gleichmäßig von Mietern und Vermietern getragen werden müssen und dass wir den Staat an dieser Stelle größtenteils heraushalten sollten. Das ist also ein klares Votum gegen die Drittelungslösung. Die Linke möchte die entstehenden Kosten stärker als bisher an den Vermieter weitergeben. Wir aber denken, dass sich die Vorteile bei der Nebenkostenabrechnung in einem Beitrag zu den Investitionen niederschlagen können. Dann werden die Investitionen getätigt, und nur dann - das ist unser Ziel - wird auch ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Diesen Punkt dürfen wir nicht außer Acht lassen. Bei einer Umsetzung der Vorschläge der Linken würde die Bereitschaft der Vermieter, Modernisierungen anzupacken, erheblich sinken. Wenn Vermieter einseitig die Kosten von Modernisierungsmaßnahmen tragen müssen, werden diese in Zukunft schlicht ausbleiben. Sie können die Vermieter nicht dazu zwingen. Mit einem engagierten Klimaschutz hat dies nichts zu tun. ({5}) Anders als die Linke fühlen sich CDU und CSU Mietern und Vermietern gleichermaßen verpflichtet. Die einseitigen Vorschläge der Linken, die eher zu höheren Mieten führen würden, werden wir in den anstehenden Ausschussberatungen nicht unterstützen. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Wir sind damit am Ende der Rednerliste, sodass ich die Aussprache schließen kann. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/6371 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - Drucksache 17/4143 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches ({0}) - Drucksache 17/2165 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 17/6505 Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Dr. Eva Högl Halina Wawzyniak Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch erhebt sich nicht. Somit ist das beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der Debatte ist unser Kollege Jörg van Essen von der Fraktion der FDP. Bitte schön, Kollege Jörg van Essen. Vizepräsident Eduard Oswald ({2})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer gelegentlich in einem Streifenwagen mitfährt - ich habe das in meinem früheren Beruf getan, tue es jetzt gelegentlich auch noch -, der macht sofort eine Beobachtung: Egal, wie die Polizisten unterwegs sind, ob sie helfend unterwegs sind - dann bekommen sie böse Vorwürfe, man hätte viel schneller sein können - oder ob sie eingreifend unterwegs sind, es gibt immer Zoff und Zunder. Deshalb zunächst einmal am Beginn dieser Debatte ein herzliches Dankeschön, dass so viele Polizeibeamte in diesem Land dann immer so ruhig reagieren, für den Rechtsstaat stehen, die Gesetze anwenden und alles dafür tun, dass die ganze Situation nicht eskaliert. ({0}) Wenn man dabeisteht, dann weiß man, wie schwer das oft ist. Ich persönlich hätte in der einen oder anderen Situation mit Sicherheit nicht so ruhig reagiert, wie es die erfahrenden Polizeibeamten getan haben. Die Zahlen zeichnen aber im Übrigen auch ein deutliches Bild: Zwischen 1999 und 2008, also innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren, hat die Zahl der Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte um über 30 Prozent zugenommen. Das ist eine unglaubliche Steigerung, die wir dort haben. Alle wissen, dass das nach 2008 nicht weniger, sondern, ganz im Gegenteil, noch mehr geworden ist. Der Verfassungsschutzbericht hat gerade deutlich gemacht, dass die Gewaltbereitschaft bei Extremisten beider Lager, links wie rechts, noch einmal erheblich gestiegen ist. Diejenigen, die es auszubaden haben, sind die Polizeibeamten. Deshalb sind wir als diejenigen, die die Polizeibeamten in ihrem Dienst für den Staat auch zu schützen haben, aufgerufen, zu prüfen, was wir tun können. Die dafür im Strafgesetzbuch vorgesehene Vorschrift, nämlich der § 113 Strafgesetzbuch „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“, ist dafür zunächst einmal grundsätzlich der richtige Ort. Der § 113 normiert alle typischen Widerstandshandlungen, die dann passieren, wenn es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizeibeamten und Bürgern kommt, und setzt dafür die Strafen fest. Er beinhaltet im Vergleich zu den Vorschriften allgemeiner Art, die wir haben, also beispielsweise Vorschriften zu Körperverletzung oder gefährlicher Körperverletzung, eine Privilegierung der Bürger. Privilegierung heißt, die Bürger werden grundsätzlich besser gestellt. Dafür gibt es auch einen Grund, weil es sich bei solchen Einsätzen - das weiß jeder, der einmal dabei war - auch schon mal aufschaukelt. Deshalb soll den Bürgern entgegengekommen werden; deshalb gibt es andere Strafrahmen als bei den Grundtatbeständen, also beispielsweise bei der Körperverletzung oder bei der gefährlichen Körperverletzung. Dennoch, finde ich, ist es angemessen, auch in einer solchen privilegierenden Vorschrift auf Entwicklungen zu reagieren und auch auf Gerichtsentscheidungen zu antworten. Eine der Maßnahmen, die wir heute vorschlagen, stellt somit auch eine Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dar. Die Rechtsprechung der Gerichte hat insofern für eine Erweiterung gesorgt, als gefährliche Werkzeuge auch als Waffe im Sinne des § 113 betrachtet wurden. Der Bundesgerichtshof hat in einer Kammerentscheidung darauf hingewiesen, dass das eine zu weite Auslegung ist, und hat deutlich gemacht, dass eine entsprechende Rechtsprechung in Zukunft nicht weiter vorgenommen werden darf. Wir ändern das, denn es ist völlig klar: Egal, ob man eine Waffe oder ein gewöhnliches Werkzeug bei der Tat benutzt, beides ist gefährlich für die Polizeibeamten und muss deshalb bei der Strafzumessung gleichermaßen berücksichtigt werden. ({1}) Auf die allgemeine Entwicklung antworten wir mit einer Erweiterung des Strafrahmens. Auch danach bleibt aber die Privilegierung noch bestehen. Der Gesetzgeber ist nämlich frei, wie weit er diese Privilegierung anwendet; er kann sie besonders weit ziehen, aber er kann sie natürlich auch ein Stück zurücknehmen, wenn aus der Entwicklung deutlich wird, dass man härter gegenüber den Tätern sein muss. Wir hatten ja - ich erinnere nochmals daran - bei den Fallzahlen eine Steigerung von über 30 Prozent. Von daher macht es Sinn, den Strafrahmen vorsichtig auszuweiten. Wir reagieren auch auf eine weitere Entwicklung der letzten Jahre. Dies halte ich für ebenfalls richtig und wichtig. Wir merken nämlich, dass es zunehmend Brandanschläge auf Fahrzeuge gibt. Das ist hier in Berlin in besonderer Weise zu beobachten. Ein Bekannter von mir hat gerade seinen Privatwagen verloren. Sein ganz alter Mercedes, der am Straßenrand abgestellt war, ist abgefackelt worden. Wir alle wissen, dass es auch konzertierte Aktionen gegen die Polizei, gegen die Rettungsdienste, gegen den Katastrophenschutz und viele andere gibt, bei denen deren Fahrzeuge in Brand gesetzt werden. Auch deshalb ist es sinnvoll, die entsprechenden Brandstiftungsvorschriften zu ergänzen. Auf diese Weise kann man aktuell auf das Verhalten der Täter reagieren. Von daher ist das, wie ich glaube, richtig. Insgesamt lautet die Botschaft, die meine Fraktion heute an die Polizeibeamten sendet: Wir unterstützen sie in ihrem Dienst. Wir nehmen es nicht hin, dass sie zunehmend Opfer von Gewalt werden. Deswegen nehmen wir diese Änderungen vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung für diesen Gesetzentwurf. Vielen Dank. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Dr. Eva Högl für die sozialdemokratische Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Beim vorliegenden Gesetzentwurf geht es um die Verschärfung des Strafrechts. Bei der Verschärfung des Strafrechts müssen wir immer ganz sorgfältig prüfen, ob das notwendig ist. Deswegen müssen wir uns anschauen, ob es eine Lücke im Strafrecht gibt und ob es tatsächlich, wie Sie gesagt haben, Herr Kollege, eine gestiegene Zahl von Fällen gibt. Wir müssen uns auch anhören, was die Experten sagen. Ich möchte etwas zur gestiegenen Zahl der Fälle sagen. Wir können uns jetzt lange darüber streiten, ob die Anzahl der Fälle um 30 Prozent gestiegen ist oder nicht. Alle Expertinnen und Experten haben gesagt: Es lässt sich nicht nachweisen, dass die Anzahl der Fälle signifikant gestiegen ist. Diese Aufgeregtheit muss es also nicht geben. ({0}) Darum geht es aber in der Debatte gar nicht. Ich will nur angesprochen haben, dass man diese 30 Prozent nicht pauschal in die Debatte werfen kann. Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen: Jeder einzelne Fall einer Polizistin oder eines Polizisten, gegen den Widerstand geleistet wird, ist wichtig und rechtfertigt diese Debatte. Die Frage ist allerdings, ob es dadurch gerechtfertigt ist, das Strafrecht zu verschärfen. Das ist die Frage, die wir uns heute hier stellen müssen. ({1}) Wir rufen bei gesellschaftlichen Entwicklungen, die uns nicht gefallen, nur allzu gerne nach dem Strafrecht. Ich persönlich sage, dass eine Verschärfung des Strafrechts in vielen Fällen nicht die richtige Antwort ist. Andere Maßnahmen greifen häufig viel besser. Darüber müssen wir uns hier Gedanken machen. Es gab eine Expertenanhörung, an der alle Fraktionen beteiligt waren. Alle Fraktionen konnten Experten einladen. Die Experten haben uns nicht geraten, das Strafrecht zu verschärfen. Deswegen bin ich persönlich sehr skeptisch gegenüber einer Strafrechtsverschärfung. Wir müssen hier im Deutschen Bundestag mit symbolischer Gesetzgebung sehr vorsichtig sein. Allerdings sind manchmal auch starke Signale notwendig - das will ich gerne zugestehen -, wenn die Adressatinnen und Adressaten - in diesem Fall die Vollstreckungsbeamten - ein starkes Signal brauchen. Die Polizistinnen und Polizisten brauchen ein starkes Signal aus dem Deutschen Bundestag; das haben Sie, Herr van Essen, schon angesprochen. Sie brauchen unsere Unterstützung gegen Gewalt und gegen Widerstand in jeder Form. Dafür stehen wir hier im Deutschen Bundestag fraktionsübergreifend ein. ({2}) Sie brauchen Dank für ihre Arbeit. Sie brauchen unsere Unterstützung. Sie brauchen auch im täglichen Geschäft unsere Wertschätzung. Ich bin unterwegs gewesen und habe mit Polizistinnen und mit Polizisten ganz offen diskutiert. Ich habe Ihnen gesagt: Ich bin Mitglied des Deutschen Bundestages und sitze im Rechtsausschuss. Sagt mir bitte, ob ihr eine Strafverschärfung braucht. - Die Rückmeldung, die ich bekommen habe, lautete ganz überwiegend: Wir brauchen Unterstützung von unseren Dienststellen bei der Anwendung des geltenden Rechts. Wir brauchen Unterstützung der Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftätern. Wir brauchen außerdem Unterstützung bei der Durchführung der gerichtlichen Verfahren. Das war unisono die Rückmeldung, die ich in diesen Gesprächen bekommen habe. Ich habe nicht gehört, dass Strafverschärfung hierfür das richtige Mittel ist. Trotzdem möchten ich konstatieren, dass der Gesetzentwurf auch einige richtige Aspekte enthält, die wir als SPD-Fraktion durchaus würdigen. Wir halten es für richtig, in den Geltungsbereich des § 114 die Feuerwehr, die Rettungsdienste und insbesondere - auch dafür haben wir uns eingesetzt - den Katastrophenschutz einzubeziehen. Hierzu hatten wir eine gute Diskussion. Ich habe mich in dem Zusammenhang darüber informiert, wie es derzeit bei der Feuerwehr und den Rettungsdiensten aussieht. Da war ich schon erschrocken - ich rede jetzt nicht von 30 Prozent -, insbesondere von Feuerwehrleute zu hören, dass sie zunehmend auf Widerstand stoßen und attackiert werden. Nennen Sie mich bitte naiv, aber darüber habe ich mich gewundert; denn ich ging nicht davon aus, dass Menschen gegenüber jemandem, der kommt, um andere Menschen zu retten, Widerstand leistet. ({3}) Die Einbeziehung des Katastrophenschutzes, der Feuerwehr und der Rettungsdienste begrüßen wir insofern ganz ausdrücklich. Wir begrüßen ebenfalls ausdrücklich die Einbeziehung der Definition „ein anderes gefährliches Werkzeug“ in die Norm. Das ist ein richtiger Schritt. Von der Gesamtanlage sind wir zwar durchaus kritisch - das habe ich für die SPD-Bundestagsfraktion bereits gesagt -, aber wir erkennen einige gute Ansätze. Es möge nützen! In diesem Sinne: Hoffen wir, dass das starke Signal ankommt und dass es nicht nur ein symbolischer Akt ist, sondern auch die Richtigen erreicht und die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte verhindert. ({4}) Deswegen ist dieser Schritt richtig. Danke schön. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Ansgar Heveling. ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Hamburg wurden im Juni des letzten Jahres fünf Polizisten brutal mit Steinen angegriffen und durch Fußtritte schwer verletzt. Der Einsatz war eigentlich ein Routineeinsatz; die Beamten hatten nicht mit dem Angriff gerechnet. In Mönchengladbach erlitt im August 2010 ein Polizist schwerste Kopfverletzungen. Nach einem Einbruch wollten die Polizisten bei einer Gruppe von Männern im Umfeld des Tatorts die Personalien feststellen eigentlich eine Routineangelegenheit. Gleich zweimal in einer Woche wurde im September des vergangenen Jahres in Dachau eine 17-Jährige auffällig. Zuerst bewarf sie einen Polizeiwagen mit einer Flasche und leistete dann bei der anschließenden Ingewahrsamnahme heftigen Widerstand. Wenige Tage später kam sie zur Polizeistation zurück, beschimpfte die Beamten und leistete wiederum heftigen Widerstand, als sie in Gewahrsam genommen wurde. ({0}) Das sind drei wahllos aus der Presseberichterstattung herausgegriffene Fälle.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Jerzy Montag?

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Herr Kollege.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, auch Sie haben jetzt einige Beispiele genannt. Seit Monaten hören wir in dieser Debatte immer wieder Beispiele. Würden Sie mir zustimmen, dass alle Beispiele, die Sie genannt haben, Straftatbestände beschreiben - versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Beleidigung, Sachbeschädigung, anderes gefährliches Vorgehen -, die mit dem Widerstandsbegriff in § 113 überhaupt nichts zu tun haben? Wären Sie bereit, zuzugestehen, dass Ihre eigenen Beispiele nicht dem Thema gerecht werden, über das wir heute reden? ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Montag, zum einen habe ich diese Frage erwartet, ({0}) zum anderen waren es eigentlich zwei Fragen; denn der zweite Teil Ihrer Ausführungen bezog sich eigentlich gar nicht auf die erste Frage. Ich bin natürlich bereit, anzuerkennen, dass in dem diskutierten Zusammenhang auch andere Straftatbestände relevant werden, was im Übrigen im Bereich des Strafrechts ein ganz normaler Vorgang ist; denn in den meisten Fällen sind in eine Handlung unterschiedliche Straftatbestände einbezogen. Trotzdem wird man letztlich wegen aller Straftatbestände angeklagt; und es ist später eine Frage der Strafzumessung, wie die einzelnen Straftatbestände berücksichtigt werden. ({1}) Insofern machen die Beispiele im Kontext „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ in der Tat Sinn. ({2}) - Herr Montag, schön, dass Sie sich schon hingesetzt haben, aber ich war eigentlich noch mit der Beantwortung der Frage beschäftigt. Wenn Sie aber den Rest nicht mehr hören wollen, dann höre ich gerne auf und mache weiter. ({3}) Schon diese drei Fälle lassen ein Muster erkennen, das die Polizei sowie andere Einsatz- und Rettungskräfte vermehrt beschäftigt: Fälle, die zeigen, dass sich in unserer Gesellschaft etwas verändert hat; Fälle, die zeigen, dass wir uns diesen Konstellationen ohne ideologische Scheuklappen nähern müssen, egal von welchen politischen Seiten wir kommen. Ich bin mir natürlich bewusst, dass der Straftatbestand „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ politisch aufgeladen ist. Während konservativ veranlagte Menschen wie ich da oft an Demonstrationssituationen denken, mag bei anderen ein anderes Bild im Kopf bestehen. Ohne Frage sind Übergriffe im Rahmen von Demonstrationen nach wie vor auch eine strafrechtlich nicht zu vernachlässigende Größe. Gerade in diesen Fällen ist auch - das zeigen Untersuchungen - der Einsatz von Waffen häufig. Unser Hauptaugenmerk muss aber den Situationen gelten, die ich in den eingangs beispielhaft genannten Fällen beschrieben habe. Sie zeigen eine neue Qualität von Angriffen auf Polizistinnen und Polizisten sowie auf andere Einsatz- und Rettungskräfte. Es geht um Angriffe, die in scheinbaren Routinesituationen erfolgen, um ein dumpfes Draufschlagen aus ebenso dumpfer grundsätzlicher Feindschaft gegen die Polizei und den Staat schlechthin. Oftmals ist auch noch Alkohol im Spiel. Keine Frage, das Problem ist vielschichtig und bedarf eines Ansetzens an vielen Stellen. Respekt vor dem Staat und seinen Organen erzeuge ich sicherlich nicht oder nicht allein durch Repressionen und die Mittel des Strafrechts. Strategien hierfür müssen früher und an anderer Stelle ansetzen. Aber angesichts dieser Entwicklung dürfen wir gerade die Instrumente des Strafrechts auch nicht aus dem Blick lassen. Wenn sich - die Zahlen belegen dies - eine zunehmende Bereitschaft zur Gewalt in der gesamten Bandbreite - beim einfachen Streifengang wie bei der Großdemonstration - konstatieren lässt, müssen wir darauf auch aus dem Blickwinkel des Strafrechts reagieren. ({4}) Wir haben uns entschieden, hier anzusetzen. Es ist ein klares Signal an die zur Vollstreckung berufenen Organe - seien es Polizisten, Gerichtsvollzieher, Justizvollzugsbeamte oder sonstige Amtsträger im Sinne des § 11 des Strafgesetzbuches -, dass der Strafrahmen in § 113 erhöht wird. Zwar sollte durch den niedrigeren Grundstrafrahmen eine Privilegierung in der konkreten Tatsituation gegenüber dem Straftatbestand der Nötigung zum Ausdruck kommen - sprich: es sollte zu berücksichtigen sein, dass sich der Täter in einer Extremsituation befindet, weil er sich der staatlichen Gewalt ausgesetzt fühlt -, aber die Wirklichkeit in unserer Gesellschaft zeigt eben, dass wir es mit einem veränderten Täterbild zu tun haben. Mehr und mehr geraten die staatlichen Organe in eine Extremsituation, weil sie sich jederzeit einer unkontrollierten und unerwarteten Gewaltsituation ausgesetzt sehen können. Leider zeigt sich, dass der Respekt gegenüber dem Staat und damit der Respekt vor den für ihn Handelnden sinkt. Dies drückt sich auch in den deutlich gestiegenen Zahlen der Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte aus. So sind ausweislich der polizeilichen Kriminalstatistik die Fälle von Widerstandshandlungen von 1993 bis 2009 um 44 Prozent auf 26 344 Fälle gestiegen. Es ist der christlich-liberalen Koalition ein ganz besonderes und ein grundsätzliches Anliegen, die staatliche Handlungsfähigkeit und Sicherheit zu gewährleisten; denn geben wir diese Werte preis, geben wir auch das Vertrauen der Bürger, dass der Staat sie schützen kann, preis. Ist der Staat nicht in der Lage, sein Handeln und die Personen staatlichen Handelns zu schützen, werden wir dem Bürger auch nicht vermitteln können, dass wir in der Lage sind, ihn, den Bürger, zu schützen. Damit würde das Gewaltmonopol des Staates insgesamt infrage gestellt. ({5}) Was für Vollstreckungs- und Vollzugsbeamte im Einsatz gilt, muss auch für Rettungs- und Einsatzkräfte gelten: also zum Beispiel für Feuerwehrleute und Angehörige des Technischen Hilfsdienstes, die bei Gefahren, Unglücken und Katastrophen auch Angriffen von gewaltbereiten Personen an Einsatzorten ausgesetzt sind. Anders als Polizisten, Gerichtsvollzieher und Justizvollzugsbeamte zum Beispiel sind diese Personen oftmals nicht Amtsträger und deshalb nicht von § 113 erfasst. Derjenige, der sich gegen den Vollzugsakt eines Polizeibeamten wehrt, ist im Zweifel auch gegen die am Einsatzort anwesenden Sanitäter, Feuerwehrleute und Rettungskräfte gewaltbereit. Häufig unter Alkoholeinfluss gewinnt der Widerstand gegen jegliche Maßnahmen eine Eigendynamik und richtet sich gegen alles und jeden, der an der Abwicklung beteiligt ist. Berichte von Feuerwehrleuten sowie Einsatz- und Rettungskräften haben uns immer wieder deutlich gemacht, dass die Gewaltbereitschaft auch gegen diese Rettungs- und Hilfskräfte zunimmt und dass diese sich gegen die Angriffe nicht ausreichend geschützt fühlen. Hier geht es um ein positives Signal an die Berufstätigen in diesem Bereich: Wir wollen sie vor Nötigung und Gewalttaten schützen. ({6}) Schließlich passen wir die Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 StGB an die Rechtsprechung an. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2008 die bis dahin gängige Auslegung des Begriffs „Waffe“ als zu weit beanstandet. So wurden nicht nur klassische Waffen wie Schuss-, Hieb- und Stichwaffen sowie Wurfgeschosse unter den Waffenbegriff subsumiert, sondern auch andere Gegenstände, die konkret zum Angriff genutzt wurden. In dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegenden Fall ging es konkret um ein Kraftfahrzeug, das als „Waffe“ eingesetzt wurde. In Zukunft werden diese bisher untechnisch als „Waffe“ bezeichneten Gegenstände nunmehr als „andere gefährliche Werkzeuge“ erfasst sein. Quintessenz unserer Änderungen ist und bleibt aber: Wir lassen am staatlichen Gewaltmonopol nicht rütteln. Der Schutz von Polizistinnen und Polizisten sowie anderen Vollstreckungsbeamten bedeutet Schutz und Sicherheit für unsere Bürger. Vielen Dank. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Jörn Wunderlich. Bitte schön, Herr Kollege Jörn Wunderlich. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sollte regeln, wo Regelungsbedarf ist. Beim vorliegenden Gesetzentwurf geht es fast ausnahmslos um Strafverschärfungen. Die Anhebung des Strafrahmens in § 113 StGB - Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - ist unangemessen und nicht notwendig. ({0}) Es ist schon gesagt worden: Der unter diesen Tatbestand fallende Täter war bisher beispielsweise gegenüber dem Tatbestand der Nötigung privilegiert. Diese Privilegierung folgte der Erkenntnis, dass es in Vollstreckungssituationen leicht zu Affekthandlungen des Betroffenen oder eines Dritten, der für ihn Partei ergreift, kommen kann. Die Privilegierung trug diesem nachvollziehbaren Umstand Rechnung. Jetzt wird die Privilegierung ohne Anführung von Argumenten abgeschafft. ({1}) Alkoholisierte oder sich im Recht glaubende Personen, worum es sich bei den Tätern im Sinne des § 113 StGB meist handelt, lassen sich doch nicht durch einen höheren Strafrahmen abschrecken. Sie machen zu Beginn der Tat keine Kosten-Nutzen-Abwägung, sondern handeln spontan und emotional. ({2}) Gegenwärtig wird in den abgeurteilten Fällen des § 113 - die Zahlen, die Herr van Essen genannt hat, bezogen sich nur auf Anzeigen, nicht auf abgeurteilte Taten ({3}) der Strafrahmen von den Gerichten äußerst selten nach oben hin voll ausgenutzt. Deshalb frage ich: Warum sollen wir den Strafrahmen weiter erhöhen? Bei dem Gesetzentwurf handelt es sich wirklich um reine Symbolpolitik. Es ist doch kriminologisch erwiesen, dass eine Strafandrohung allein keine abschreckende Wirkung hat. Man muss auch sagen: Die Sorgen der Polizei werden doch nicht dadurch gelöst oder verringert, dass wir die Zahl der Stellen auf Landesebene um 30 Prozent reduzieren und dafür den Strafrahmen des § 113 StGB um 50 Prozent anheben. ({4}) Dadurch ist die Welt nicht wieder in Ordnung. Wer das glaubt, hat von Kriminologie, von der Justiz und vom Polizeidienst keine Ahnung. Gehen Sie raus, reden Sie mit den Polizisten! Die Realität sieht ganz anders aus. ({5}) Ich kann nur sagen: Willkommen in der Wirklichkeit. Die Einbeziehung von Feuerwehrleuten und Rettungskräften ist nicht sachgerecht; denn sie wurden bereits - das ist schon gesagt worden - durch § 240 StGB und andere Strafrechtsnormen entsprechend geschützt. Ich halte es auch für verfehlt, die Wörter „gefährliches Werkzeug“ in den Gesetzentwurf aufzunehmen und dies letztendlich mit Waffen gleichzusetzen. Von Waffen geht eine andere Gefährdung aus. Bislang konnte der erkennende Richter, wenn gefährliche Werkzeuge mitgeführt wurden, dies in der Strafzumessung berücksichtigen. Das muss man nicht als Tatbestandsmerkmal in den Paragrafen aufnehmen. ({6}) Das einzig Positive an dem Gesetzentwurf ist die Einführung des minderschweren Falls beim Diebstahl mit Waffen. Bislang zieht allein das Mitführen einer Waffe eine erhöhte Strafe nach sich, auch wenn nicht die Absicht bestand, sie zu benutzen. Das hat in der Vergangenheit im Einzelfall zu ungerecht hohen Strafen geführt. Das einzig Positive an diesem Gesetzentwurf ist also, dass jetzt der minderschwere Fall eingeführt wird. Wegen seines repressiven Charakters - außer bei diesem Punkt - ist der Gesetzentwurf im Übrigen in Gänze abzulehnen. ({7}) Der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund haben sich in ihren Stellungnahmen und in der Anhörung am 27. Januar ganz überwiegend ablehnend zu dem Gesetzentwurf geäußert. Die Strafbarkeitslücke, die es möglicherweise zu schließen gilt, wird in dem Gesetzentwurf weder behauptet noch dargestellt noch ist sie an irgendeiner Stelle ersichtlich. Der Polizei soll ein bisschen der Bauch gestreichelt werden, ohne dass ihr tatsächlich geholfen wird. Wir sollten keine Gesetzentwürfe verabschieden, die lediglich Symbolcharakter haben, sondern, wie eingangs gesagt, dort regeln, wo Regelungsbedarf ist. Danke schön. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Jerzy Montag. Bitte schön, Herr Kollege Montag.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Woche konnte die Öffentlichkeit in der Zeit über die Koalition und die Regierung ein vernichtendes Urteil lesen. ({0}) Das Urteil lautete - ich darf zitieren -: Wir haben die „schlechteste Regierung seit 1949“. ({1}) Das Urteil war eine Mischung aus Hohn und Spott, gemischt mit leichter Verzweiflung. Unter der Überschrift „Kopflos glücklich“ wurde der Regierung und der Koalition völlige Unfähigkeit attestiert. ({2}) Mit diesem Gesetzentwurf sind Sie auch auf dem Gebiet der Rechtspolitik auf diesem Niveau angekommen. ({3}) - Hören Sie mir einmal zu. - Es ist interessant, was Jurastudenten zurzeit über Ihre Reform des § 113 StGB - Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - lernen. In der Aprilausgabe der Juristischen Arbeitsblätter - Grundstudium ({4}) liest unter anderem meine Tochter, die jetzt Jura studiert, über Sie - das lernen alle Jurastudenten in Deutschland -: Das systematische Verhältnis zwischen den §§ 113 und 240 StGB wird auf den Kopf gestellt. Eine rechtsgutorientierte Anwendung wird ungemein erschwert. Zum Schluss steht da - Zitat -: Die abwegigen Gesetzesbegründungen zeigen, dass sich der Gesetzgeber weder des Privilegierungscharakters der Norm noch ihres Schutzzwecks auch nur im Ansatz bewusst ist. ({5}) Das lernen Jurastudenten in diesen Monaten über den Gesetzentwurf, über den wir hier diskutieren. Der Deutsche Richterbund sagt Nein zu diesem Gesetzentwurf. Die Anwaltsverbände sagen Nein. Von drei Sachverständigen, die wir angehört haben, haben zwei erklärt, sie lehnen diese Regelung ab. Der Dritte war ein Vertreter des Deutschen Feuerwehrverbandes. Er hat sozusagen in eigener Sache geredet, als er angehört worden ist. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Siegfried Kauder?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist zu spät. Alle wollen nach Hause. Heute nicht. ({0}) Was Sie da betreiben, ist eine unheilvolle Zersetzung des rechtsgüterorientierten, systematisch geordneten Strafrechts nur und ausschließlich zugunsten von reinstem Populismus, ohne jeglichen Sinn und Verstand. ({1}) Die Gesetzentwürfe von Bundesregierung und Bundesrat beginnen mit dem Hinweis, dass Vollstreckungsbeamte und Polizeibeamte in den letzten Monaten und Jahren vermehrt angegriffen und verletzt worden sind. Das ist richtig; das stimmt. ({2}) Dafür haben wir Straftatbestimmungen: von Mord und Totschlag über gefährliche Körperverletzung und schwere Körperverletzung bis runter zur Nötigung. ({3}) Diese Straftaten sind alle mit Strafrahmen bewehrt, die höher sind als derjenige, den Sie jetzt für den Widerstandsparagrafen anbringen wollen. Deswegen sage ich Ihnen: Diese Reform ist nur ein fragwürdiges Signal an die Polizei - wir tun irgendetwas für euch -, ({4}) und macht darüber hinaus überhaupt keinen Sinn. Die Täter erreichen Sie so sowieso nicht. Sie müssten die Deutsche Richterzeitung lesen. Darin stand im April etwas über die Typologie des Täters, der Widerstand leistet. Dort stand, dass er sich um eine Strafrahmenerhöhung von zwei auf drei Jahre nicht im Geringsten schert. ({5}) Deswegen erinnere ich Sie zum Schluss an das, was die Bundesjustizministerin in der letzten Woche im Vorgriff auf die Strafrechtslehrertagung in Leipzig gesagt hat: Wünsche nach ständiger Ausdehnung des Strafrechts sind zurückzuweisen. Neue Gesetze sind nur reine Symbolpolitik. Diejenigen, die immer davon sprechen, dass Strafbarkeitslücken geschlossen werden müssen, blenden aus, dass das Strafrecht als Allheilmittel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme nicht taugt. - Das sind die Worte Ihrer Bundesjustizministerin. Deswegen sage ich, Herr Kollege Stadler: Diesen Gesetzentwurf der Koalition hätten Sie sich von der CDU niemals aufzwingen lassen dürfen. Er ist schlecht und unbrauchbar, und wir lehnen ihn ab. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege Montag, Ihr Wunsch, nach Hause gehen zu wollen, ist nachvollziehbar. Trotzdem hat es den Kollegen Siegfried Kauder nicht daran gehindert, sich zu einer Kurzintervention zu melden. - Bitte schön, Kollege Siegfried Kauder. ({0})

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Montag, erstens schätze ich es durchaus, wenn Sie im Rechtsausschuss sachlich argumentieren; aber hier haben Sie unnötig den Scharfmacher gespielt. Sie haben aus den Juristischen Arbeitsblättern zitiert. Mich würde interessieren, wer das geschrieben hat, ob das ein Professor oder so ein Scharfmacher wie Sie war. Das ist vielleicht nicht ganz ohne Bedeutung. Siegfried Kauder ({0}) ({1}) Zweitens. Herr Kollege Montag, was Konkurrenzlehre ist, brauche ich Ihnen nicht zu erklären; ({2}) Sie wissen es. Bei einem Tötungsversuch, von dem der Täter zurücktritt, bleibt § 113 StGB übrig. Auch bei einer gefährlichen Körperverletzung, von der der Angreifer zurücktritt, bleibt § 113 StGB übrig. Das ist einfache Konkurrenzlehre. Das lernt Ihre Tochter schon im zweiten Semester. Deswegen sollten auch Sie es wissen. ({3}) Ihre Tochter lernt aber auch, was Generalprävention ist. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass Strafe nicht abschreckt, brauchen wir sie nicht. Dann können wir es ganz sein lassen. Es ist anerkannt, dass Generalprävention ein strafverschärfendes Mittel darstellt, welches wichtig und notwendig ist. Deswegen wissen Sie genau, dass das, was Sie erzählt haben, Unfug war. Bleiben Sie bei dem Niveau, das Sie im Rechtsausschuss pflegen, dann können wir auch wieder anständig miteinander umgehen. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das Wort zur Entgegnung hat Kollege Jerzy Montag. ({0})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke sehr, Herr Präsident. - Die Beispiele, die Sie in Bezug auf die Konkurrenzlehre erwähnt haben, können wir im Rechtsausschuss oder im Rahmen eines Privatissimums miteinander diskutieren. Das waren aber nicht die Fälle, die der Kollege Heveling angesprochen hat. Es sind auch nicht die Fälle von brutalen Übergriffen auf die Polizei, die in der Öffentlichkeit seit Jahren - völlig zu Recht, wie ich finde - diskutiert werden. Da gibt es keinen strafbefreienden Rücktritt. Es gibt da Verletzte bzw. Polizeibeamte, die im Krankenhaus landen, und es gibt Sachbeschädigungen. Das alles muss und kann unsere Rechtsordnung ohne Ihr Gesetz von heute sehr wohl ahnden und verfolgen. ({0}) Zu der Frage, wer hier polemisiert oder nicht, will ich Ihnen Folgendes sagen: Ich habe keine linksradikale Kampfzeitschrift zitiert, sondern die Zeit. Die mögen Sie nicht mögen; aber dass es eine seriöse Zeitung ist, Herr Kollege, werden Sie nicht abstreiten können. Es war nun einmal in der Zeit der letzten Woche zu lesen, dass wir die schlechteste Regierung seit 1949 haben und dass Sie sich auf allen Politikfeldern nur durch Unfähigkeit auszeichnen. ({1}) Zum Schluss komme ich zu den Juristischen Arbeitsblättern. Ich habe aus einem Beitrag zitiert, der nicht von einer Studentin oder einem Studenten und auch nicht von einem wild gewordenen Rechtsreferendar geschrieben worden ist, sondern von Herrn Professor Dr. Nikolaus Bosch, der - man höre und staune - in Bayreuth, also an einer bayerischen Universität, lehrt. So viel zu Ihren Überlegungen. Danke schön. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir fahren in unserer Debatte fort. Für die Fraktion der CDU/CSU hat Kollege Armin Schuster das Wort.

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Montag, auch wenn das nicht die beste Rede seit 1949 in diesem Hause war, ({0}) möchte ich mich erbarmen und Ihrer Tochter Unterstützung anbieten. ({1}) Als ehemaliger Behördenleiter - das darf ich Ihnen versichern - war eine meiner allerbesten Erfahrungen, junge Staatsanwälte nach ihrer juristischen Ausbildung in meine Behörde zu bitten - meistens haben die LOStA das mitgemacht - und sie eine komplette Schicht mit ganz normalen Polizeibeamten mitfahren zu lassen. Sie ahnen nicht, von wie vielen juristischen Schriften und Kommentaren die sich danach gedanklich verabschiedet haben ({2}) und gesagt haben: Jetzt habe ich gelernt, wie ich juristisches Wissen mit Praxis kombinieren muss. - Das ist das, was Herr Kauder Ihnen erklärt hat. Schicken Sie Ihre Tochter einmal eine Schicht lang zu den 250 000 Polizistinnen und Polizisten, die tagtäglich in diesem Land für die Sicherheit sorgen und das Gewaltmonopol durchsetzen. ({3}) Der Bürger hat das Recht, bei Gefahr Schutz zu suchen und auszuweichen. Wir verlangen von Vollzugsund Vollstreckungsbeamten, dass sie ihrer Pflicht nachkommen und aktiv einschreiten. Diese Pflicht bürden wir ihnen per Gesetz auf. Sie tragen damit erhöhte Ge14008 Armin Schuster ({4}) fahren, oft zum Nachteil ihrer Gesundheit. Deswegen müssen wir hier darüber diskutieren, wie wir diesen Beamten einen besonderen Schutz bieten; diese Debatte ist richtig. Polizeidienst auf der Straße wird leider immer gefährlicher, und dabei kommt es immer häufiger zu offener Feindschaft. Herr Montag, ich erspare Ihnen jetzt die Aufzählung von Beispielen. Sie haben mich durch Ihre Rede nicht davon überzeugt, dass der Gesetzentwurf falsch ist. Es gibt aber nicht nur Gefahren bei Demonstrationen; diese werden immer hervorgehoben. Für mich ist der alltägliche Einsatz, wo die Lagen eskalieren, viel prekärer. Beamte werden bespuckt, getreten, geschlagen, mit Flaschen und Steinen beworfen, sogar mit Waffen bedroht oder angegriffen. Dass eine enorme Erhöhung der Zahl solcher Vorkommnisse in der PKS nachweisbar ist, haben Sie gehört. Dass PMK, politisch motivierte Kriminalität, insbesondere von links, dabei eine erhebliche Rolle spielt, finde ich besonders besorgniserregend. Über die Dunkelziffer haben wir nicht gesprochen. Wir wissen nicht, wie viele Delikte von Polizeibeamten gar nicht erst angezeigt werden. Das ist noch gar nicht zur Sprache gekommen. Am 17. November 2010 wurde ein Rettungssanitäter während eines Notfalleinsatzes der Feuerwehr Bremerhaven schwer verletzt, als zwei Männer ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund auf ihn einschlugen. Diese - auch durch Studien belegte - zunehmende Gewalt zeigt, wie wichtig es ist, den strafrechtlichen Schutz für die Angehörigen der Polizei, der Rettungs- und Katastrophenschutzdienste und der Feuerwehr schnell und spürbar zu verbessern. Es ist richtig, dass die Koalition mit der Verschärfung des § 113 Strafgesetzbuch ein Zeichen setzt: Wir stehen hinter unseren Einsatzkräften. Der Staat duldet diese Taten nicht, im Gegenteil: Wir verurteilen sie. Das möchte ich hier ganz nachdrücklich zum Ausdruck bringen. ({5}) Frau Dr. Högl, ich weiß nicht, mit welchen Polizeibeamten Sie gesprochen haben. Ich spreche regelmäßig in Arbeitskreisen mit Polizisten. Diese sagen mir: Das ist keine Symbolpolitik. Wir erwarten von euch glasklar eine Strafverschärfung. Das ist eine ganz klare Erwartung. Deswegen bin ich heute froh, dass wir politisch endlich liefern. Ich werde seit eineinhalb Jahren gefragt, wann wir endlich etwas tun. Wenn ich den Polizisten nun am Samstag gegenüberstehe, habe ich ein gutes Gefühl. Wir wissen: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist in bestimmten Bereichen mittlerweile zum Kavaliersdelikt, fast zum Angeberdelikt geworden. Deshalb wollen wir hier ausdrücklich zeigen, dass wir das nicht dulden. Dass Rettungskräfte, Feuerwehrleute und THW-Einsatzkräfte einbezogen werden konnten, finde ich besonders gut. Ich verspreche Ihnen - insbesondere Ihnen, Frau Dr. Högl, weil Sie uns eine Chance geben; das habe ich wohl gehört -, dass dieses Gesetz seine Wirkung in der Praxis nicht verfehlen wird. ({6}) Was Polizisten und Rettungskräfte betrifft, haben wir alles getan, um deeskalierend zu wirken. Wir trainieren sie. Wir verbessern die Eigensicherung. Wir sorgen für klare Befehlstaktik und gute Einsatzführung. Wenn Täter dennoch vorsätzlich gewalttätig werden, ist das ein unerhörter Angriff auf unsere Polizeibeamten, aber auch auf unseren Rechtsstaat. Daher stimmen wir der heute vorgeschlagenen Verschärfung der Gesetzeslage, die allerdings mit einer deutlichen Verbesserung des präventiven Schutzes unserer Einsatzkräfte einhergeht, ausdrücklich zu. Abschließend: Ich freue mich - jetzt, kurz vor der Sommerpause, sogar ganz besonders -, dass wir mit der Verlängerung der Antiterrorgesetze und der Verschärfung des § 113 des Strafgesetzbuches die von uns erwarteten klaren Zeichen an die Betroffenen - sprich: an diejenigen, die in diesem Land im Bereich der inneren Sicherheit tätig sind - gegeben haben. ({7}) - Dazu komme ich noch.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich glaube nicht, dass Sie dazu noch kommen, weil Ihre Redezeit nicht ausreicht. ({0})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Antwort will ich ihm nicht schuldig bleiben: Das Glück wäre gar nicht auszuhalten gewesen, wenn wir auch noch eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung hinbekommen hätten. ({0}) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin für das zweite Halbjahr dieses Jahres optimistisch. Schnell und falsch kann nämlich jeder. Herzlichen Dank. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt spricht für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Sebastian Edathy. Bitte schön, Herr Kollege. ({0})

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Schuster hat etwas Richtiges gesagt: Schnell und falsch kann jeder. - Langsam, träge und falsch, das bekommt allerdings nur Schwarz-Gelb hin, wie wir seit zwei Jahren beobachten können. ({0}) Herr Schuster, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion und aus dem übrigen Hause, bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es nicht um eine massive Verschärfung des Strafgesetzbuches. Das kann man schon dem Umstand entnehmen, dass die FDP dem Gesetzentwurf zustimmt. Wenn es im Bereich der inneren Sicherheit um wirklich wichtige Stellschrauben geht, tritt die FDP auf die Bremse. Sie sind offenkundig gutgläubig genug, sich mit Placebos abspeisen zu lassen; das ist von vielen Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Opposition zu Recht gesagt worden. Auch wenn Sie, Herr Schuster, von schweren Körperverletzungen gesprochen haben, muss ich Ihnen sagen: In den einschlägigen Kapiteln des Strafgesetzbuches ist ein deutlich höheres Strafmaß als drei Jahre vorgesehen, wie Sie es jetzt in § 113 des Strafgesetzbuches einführen wollen. Hier sollte man redlich und realistisch bleiben. Ich habe eben im Handbuch des Deutschen Bundestages nachgeschlagen. Herr Schuster, Sie haben bis zum Einzug in den Bundestag unter anderem leitende Funktionen bei der Bundespolizei bekleidet. Ich kann Ihnen nur sagen: In meinen Gesprächen, ob mit Landespolizisten oder mit Vertretern der Bundespolizei, stellte ich fest: Am meisten wurde von den Beamtinnen und Beamten bemängelt, dass der Gesetzgeber bzw. die jeweils zuständige Regierung nicht genug für ihre Motivation tut. Ich glaube, Sie hätten einen größeren Beitrag zur Unterstützung der Bundespolizei geleistet, wenn Sie zum Beispiel die sogenannten Weihnachtsgelder nicht weiterhin eingefroren, sondern sie zur Steigerung der Motivation der Beamten verwendet hätten. ({1}) Die Gewerkschaft der Polizei weist immer wieder darauf hin, dass 10 000 Polizeibeamte fehlen. Ich glaube, es wäre auch ein Gewinn für die innere Sicherheit, wenn man dafür sorgen würde, dass hoch motivierte Beamte in einen solchen Einsatz gehen und nicht solche, die schon viele Überstunden geleistet haben. ({2}) Der Beitrag, den man damit leisten würde, wäre mit Sicherheit größer als der Beitrag, den Sie durch die Veränderungen in § 113 des Strafgesetzbuches leisten. ({3}) Weil ich glaube, dass einige Beispiele, die die Redner der Koalitionsfraktionen angeführt haben, irreführend sind, will ich betonen: Nötigung wird schon jetzt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft, in besonders schweren Fällen sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Körperverletzung wird schon jetzt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft, gefährliche Körperverletzung sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Das Einzige, das man Ihrem Gesetzentwurf abgewinnen kann, ist, dass Sie in § 114 des Strafgesetzbuches auch diejenigen Kräfte, die im Rettungsdienst und im Katastrophenschutz tätig sind, aufnehmen; das ist richtig. Diese Berufsgruppen neben den Polizeikräften auch in § 305 a des Strafgesetzbuches aufzunehmen - hier geht es um die Sanktionierung der Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel -, ist ebenfalls vernünftig und richtig. Unter dem Strich ist Ihr Gesetzentwurf ziemlich viel Wind um ziemlich wenig Substanz. An dieser Stelle hat Herr Montag recht: Ihr Gesetzentwurf reiht sich nahtlos in die traurige Geschichte ein, in der es darum geht, was Sie der Öffentlichkeit als vermeintliche Erfolge dieser Koalition zu präsentieren versuchen. ({4}) Was den Bereich der inneren Sicherheit betrifft, ist das, was Sie heute vorschlagen - ich will es einmal so formulieren -, nicht schädlich, punktuell sogar begrüßenswert. Aber im Grunde genommen ist es nichts, was uns substanziell voranbringt. Deswegen wird sich die SPDFraktion bei der Abstimmung enthalten. Vielen Dank. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Damit sind wir am Ende der Rednerliste. Mir liegt eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsord- nung unseres Kollegen Kai Wegner von der Fraktion der CDU/CSU vor.1) Somit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- rung des Strafgesetzbuches - Widerstand gegen Vollstre- ckungsbeamte. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/6505, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/4143 in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Linksfraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzent- wurf ist damit in der zweiten Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage- gen? - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 1) Anlage 7 Vizepräsident Eduard Oswald und die Linksfraktion. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6505, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/2165 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt damit die dritte Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva Högl, Michael Hartmann ({0}), Christian Lange ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Interessenvertretung sinnvoll regeln - Lobbyismus transparent machen - Drucksache 17/6442 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Michael Hartmann. Bitte schön, Kollege Michael Hartmann. ({3})

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie alle zu dieser späten sommerlichen Abendstunde darum bitten, noch einen Moment einem tatsächlich wichtigen Thema Aufmerksamkeit zu schenken. Dieses Thema ist deshalb wichtig und zentral, weil es nicht nur um die in dem Antrag formulierte Fragestellung geht, sondern im Zusammenhang damit auch sehr viel weiter gehende Aspekte diskutiert werden. Wir hören immer wieder und zunehmend Klagen über den abnehmenden Stellenwert, die abnehmende Bedeutung des Parlaments und parlamentarischer Prozesse. Unser Bundespräsident hat erst jüngst in einem Interview davor gewarnt. Unser Bundestagspräsident wird nicht müde, als unser Fürsprecher in dieser Sache zu agieren. Deshalb ist es wichtig, dass wir in Zeiten, in denen das parlamentarische Regierungssystem vermeintlich in eine Krise zu geraten droht, auch Selbstheilungskräfte entwickeln. Ein Instrument, eine Therapie kann es sein, dass sich das Parlament in Zeiten, in denen immer schneller immer komplexere Entwürfe diskutiert und verabschiedet werden müssen, in Zeiten, in denen es so aussieht, als würden wir immer fremdbestimmter agieren, eigene Entscheidungskompetenz mit Selbstbewusstsein zurückholt. Das gilt auch für das Thema Lobbyismus. Es lässt sich natürlich nichts dagegen einwenden, dass wir alle immer wieder mit interessengeleiteten Stellungnahmen aller möglichen Verbände und Vereinigungen konfrontiert werden. Das beginnt meinethalben bei den großen Kirchen und endet noch lange nicht beim BDI und anderen Organisationen. Das ist in Ordnung. Es geht aber darum, dass wir präziser und genauer alles das erfassen können, womit wir konfrontiert werden. Mit unserem Antrag ist die Chance gegeben, hier tatsächlich weiter zu gehen. Bereits seit 1972 - das wird niemand leugnen - haben wir hier im Deutschen Bundestag eine Registrierungspflicht für alle, die Zugang zum Parlament bekommen sollen. Trotzdem kommt es einem gelegentlich so vor, als würden sich die vielen Lobbyisten, die hier registriert sind, wahnsinnig schnell vermehren. ({0}) Das ist also tatsächlich nicht das Problem. Zugang wird gefunden. Daran, dass dieser Zugang immer legitimiert und berechtigt ist, haben wir aber Zweifel. Deshalb wollen wir mit Ihnen offen einen Antrag diskutieren - das, was wir vorschlagen, ist nicht in Stein gemeißelt -, der vorsieht, dass erstens ein wahrhaftig verbindliches Lobbyistenregister eingeführt wird, zweitens ein Verstoß gegen die darin enthaltenen Regelungen nun endlich sanktionsbewehrt wird und drittens - das ist für uns der wichtigste Punkt - die Finanzierungsströme und die Hintergründe der Finanzierung aller Lobbyistenverbände, die hier beim Deutschen Bundestag registriert sein sollen, offengelegt werden; ({1}) denn hinter manchem, der hier im Gewande des Schützers des Allgemeinwohls daherkommt, verbirgt sich eine knüppelharte, egoistische und kleinkarierte Interessenvertretung. ({2}) Indem die Finanzierungsströme offengelegt werden, wird dieses getarnte Unterwegssein in dieser Weise nicht mehr möglich sein. Denken Sie bitte darüber nach, ob es nicht mit Ihren Stimmen seitens der Koalition möglich ist - ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen das allgemeine Unbehagen teilen -, dass wir dieses verbindliche und transparente Lobbyistenregister unterhalb der Regelung eines Gesetzes im Sinne einer Selbstreinigung und Selbstheilung einführen. Das ist natürlich nur ein Mosaikstein neben vielen weiteren Bemühungen. Dazu gehören auch - Sie wissen es - die Registrierungspflicht und die Meldepflicht von Michael Hartmann ({3}) Externen in den Bundesministerien. Last, not least gehört auch die Änderung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung dazu; wir werden bald einen Vorschlag dazu unterbreiten. Helfen Sie bitte mit, unser Parlament transparenter zu machen. Helfen Sie mit, zu verhindern, dass Lobbyisten hier scheinbar die Macht übernehmen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Bernhard Kaster von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade einmal drei Monate her, dass wir hier den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Einführung eines Lobbyistenregisters diskutiert haben. ({0}) Ich habe den damaligen Antrag als einen Schaufensterantrag bezeichnet, ({1}) und zwar deshalb, weil er ausschließlich darauf ausgerichtet war, sich aktuelle politische Stimmungen zu Eigen zu machen und den Begriff „Lobbyismus“ als - man kann ihn inzwischen so bezeichnen - politischen Kampfbegriff zu nutzen, trotz des Wissens, dass die parlamentarische Wirklichkeit anders aussieht. ({2}) Der heutige Antrag ist nicht nur ein schlechter zweiter Aufguss, sondern er ist mehr als ein Schaufensterantrag. Ich muss das so sagen: Er ist quasi ein Phantomantrag, der in den Details überhaupt nichts mehr mit unserer Arbeit zu tun hat. ({3}) Über Ihren Debattenbeitrag können wir diskutieren, aber die Details Ihres Antrags haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun. ({4}) - Ich habe ihn gelesen. Damit ich nicht missverstanden werde: In Ihren Begründungen stehen Formulierungen, die wir gemeinsam durchaus sehr ernst nehmen müssen. Wenn im Land wirklich der Eindruck entsteht, dass wir als Parlamentarier nicht mehr in der Lage sind, Interessen richtig abzuwägen oder auch abzuwehren, und dass sich vielleicht Interessen einseitig - ich sage es einmal so - auf dunklen Wegen durchsetzen, dann muss uns das schon alarmieren. Wenn es in der Parlamentspraxis denn so wäre! Zunächst einmal sei festgestellt, dass unsere Parlamentariertätigkeit, ja, Politik überhaupt, letztlich nichts anderes als die ständige Wahrnehmung von Interessen ist. ({5}) Das fängt bei jedem Kollegen schon in seiner Heimat an. Jeder von uns bringt hier in Berlin Wahlkreisinteressen ein. Das sind im Übrigen oft auch Wirtschaftsinteressen: das Interesse am Erhalt und der Sicherung von Arbeitsplätzen und Branchen, die im jeweiligen Wahlkreis von besonderer Bedeutung sind. Durch jeden Beschluss und jedes Gesetz treffen wir Menschen und Gruppen unserer Gesellschaft mal positiv, mal negativ. Diese Menschen und Gruppen haben sich in der Regel schon vorher durch Einzelstimmen, Verbandsvertreter oder die Mobilisierung der Öffentlichkeit gemeldet. Es ist sogar so, dass wir Interessenvertreter sehr bewusst einladen, am Gesetzgebungsverfahren teilzunehmen, indem wir öffentliche, transparente Anhörungen durchführen, ({6}) mit der ausdrücklichen Erwartung, dass von den oft beschimpften Verbandsvertretern zusätzlicher Sachverstand in die Debatte, in die Diskussion eingebracht werden kann. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie wichtig mir als Abgeordneter von der Mosel die Stellungnahmen der Bauern- und Winzerverbände waren, als wir das Weingesetz diskutiert haben, um hier zu einer guten Lösung zu kommen. ({7}) Wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck aufkommt, dass die Interessen einzelner Gruppen - Sie haben einige genannt -, seien es spezielle Wirtschaftsverbände, seien es Gewerkschaften, seien es Sozialverbände, Kirchen oder Einzelinteressen, in politisch nicht wünschenswerter Weise in ein Gesetz Eingang gefunden haben, dann muss das hier in der Debatte ganz konkret benannt werden. Das geschieht auch. Das tragen wir hier miteinander aus: in erster, zweiter und dritter Lesung. Wir tragen das in Ausschussberatungen und Anhörungen aus. Dabei helfen keine bürokratischen und weltfremden Vorschläge - ich muss sie einfach so bezeichnen - wie die in Ihrem Antrag. Ein immer wieder aktualisiertes Lobbyistenregister liegt bereits seit Jahrzehnten vor. Sie werden es nie schaffen - es wäre schlimm, wenn es anders wäre -, den Bundestagsabgeordneten Vorschriften zu machen, mit wem sie wann und wo sprechen oder nicht sprechen. ({8}) - Doch, ich komme jetzt zu Ihrem Antrag. In Ihrem Antrag heißt es: Als entscheidendes Kriterium der Kontaktaufnahme zu Bundestagsabgeordneten oder Bundesbehörden müssen finanzielle wie zeitliche Schwellenwerte festgelegt werden. Oder: Definitionen von Interessenvertretung müssen formuliert werden. Sagen Sie uns, wie das in der Praxis gehen soll. Ich frage Sie im Ernst: Wie definieren Sie gute und schlechte Interessenvertreter? Wo fängt für Sie der Interessenvertreter überhaupt an? ({9}) Was ist dafür die Definition? Der Gipfel des Ganzen ist der Vorschlag, Ordnungswidrigkeitstatbestände einzuführen bzw. neu zu schaffen. ({10}) An dieser Stelle sage ich ganz klar: Bei Bestechung und Korruption gilt das Strafrecht. Dann helfen keine irgendwie gearteten Register, Listen oder das Vorzeigen von Gehaltsbescheinigungen von Gesprächspartnern. Ich möchte zum Schluss mit einem Zitat unseres Bundestagspräsidenten Dr. Lammert aus einer wie immer, wie ich finde, sehr bemerkenswerten Rede am 28. März 2011 in der Frauenkirche in Dresden enden, und zwar zum Thema „Interessen gegen Gemeinwohl - Gerechtigkeit in der Politik“. Er hat dabei sehr zutreffend ausgeführt, dass die meisten Menschen mit der Wahrnehmung von Interessen, auch in organisierter Form, kein Problem haben - ich zitiere -, … wenn es sich um ihre Interessen handelt, während dann, wenn eigene Interessen mit anderen kollidieren, die ärgerlicherweise auch noch organisiert vertreten werden, sich beinahe reflexhaft Empörung einstellt. Und die inzwischen handelsübliche Form der Empörung ist heutzutage mit dem Begriff „Lobbyismus“ verbunden. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Raju Sharma von der Fraktion Die Linke. ({0})

Raju Sharma (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004156, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Kaster hat eben von Phantomanträgen gesprochen. Wenn eine Sache etwas Phantomhaftes hat, dann ist es eher der Lobbyismus, weil man ihn nicht sehen kann, aber man weiß, dass es ihn gibt. Der Lobbyismus ist ein Phänomen, dessen Existenz man nicht bestreiten kann. ({0}) - Lobbyismus gibt es. Er ist eine Form von gesellschaftlicher Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen. Wir als Linke sagen: Wir finden, es gibt bessere, transparentere und richtigere Formen der gesellschaftlichen Beteiligung, zum Beispiel Volksentscheide auf Bundesebene. Dafür streiten wir. ({1}) Da es den Lobbyismus nun einmal gibt, muss man ihn regulieren. ({2}) - Sicher muss man ihn regulieren. Ich nenne Ihnen nachher ein Beispiel, wie sich ein unregulierter Lobbyismus auswirkt. Dabei komme ich auch ganz speziell auf die FDP zu sprechen. ({3}) Immerhin sind Sie realistisch genug, zu erkennen, dass Sie mit dem unregulierten Lobbyismus am meisten Profite machen können. Dazu kommen wir nachher. ({4}) Der Punkt ist: Die SPD hat jetzt als dritte Partei einen Antrag zur Regulierung des Lobbyismus vorgelegt. Dieser Antrag sieht im Wesentlichen ein verpflichtendes Lobbyistenregister vor. Das ist gut, das ist richtig, und das ist überfällig. Es ist in gewisser Weise auch so etwas wie ein Akt der Selbstkritik der SPD. Das Schöne an Selbstkritik ist, dass es den anderen die Notwendigkeit nimmt, auch noch den Finger in die Wunde zu legen und darin herumzubohren. ({5}) Ansonsten könnte ich jetzt einen Haufen Beispiele bringen, um zu belegen, warum gerade die SPD in den letzten und auch in früheren Jahren mit dem Lobbyismus Probleme gehabt hat. Das will ich jetzt jedoch nicht machen. Ein Beispiel will ich Ihnen aber nicht ersparen, weil es so aktuell ist und weil ich es auch heute Nachmittag schon beim Thema Parteienfinanzierung angesprochen habe. Es betrifft ein Thema, über das wir auch morgen reden werden. Die Bundesregierung beabsichtigt nämlich, Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern. Panzer nach Saudi-Arabien - das allein ist schon fragwürdig. Aber wenn man dann sieht, dass FDP, CDU/CSU und auch die SPD in den letzten Jahren über 600 000 Euro an Spenden von den Hauptherstellerfirmen der Panzer bekommen haben, macht man sich schon Gedanken, ob hier wirklich alles so unabhängig ist. ({6}) Die SPD hat einen Antrag vorgelegt, der inhaltlich weitgehend dem Antrag der Linken folgt. Das finden wir natürlich begrüßenswert. Wir können uns vielleicht für zukünftige Fälle vornehmen, dass wir solche Anträge gleich zusammen formulieren. Dann kann man sich besser dabei unterstützen. Das machen wir gerne. ({7}) Fakt ist jedenfalls, dass wir uns jetzt auf Oppositionsseite einig sind, dass der Lobbyismus mit einem verpflichtenden, verbindlichen Lobbyistenregister reguliert werden muss. Wir sind uns einig, die Bürgerinnen und Bürger wollen das auch. Im Grunde muss man sich nur fragen, warum Sie nicht mitmachen. Warum weigern Sie sich, hier für mehr Transparenz zu sorgen? Warum weigern Sie sich, das alles auf den Tisch zu legen? Es würde der Demokratie guttun, es würde auch uns in diesem Hause guttun. Arbeiten Sie mit! Es gibt genug Vorschläge, die alle auf dem Tisch liegen. Sie sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Manuel Höferlin von der FDP-Fraktion. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Antrag der SPD zum Lobbyistenregister. Ich muss sagen, Kollege Hartmann, Ihren Wortbeitrag kann man in Teilen unterstützen. ({0}) Aber das, was Sie als Antrag vorgelegt haben, entspricht nicht dem, was Sie hier an dem Pult wörtlich von sich gegeben haben. ({1}) Insofern unterstütze ich das, was Herr Kaster sagt. Grundsätzlich liegen Sie mit der Feststellung richtig, dass es offensichtlich eine öffentliche Wahrnehmung gibt, die nahelegt, dass man das Thema Lobbyismus vielleicht genauer betrachten muss. Das unterstützen wir. Es gibt auch ein Lobbyistenregister. Aber Ihren Antrag, so wie Sie ihn gestellt haben - den werde ich mir gleich mit Ihnen zusammen angucken -, lehnen wir ab, weil darin Kriterien stehen, die schwammig sind, und Forderungen, die nicht umzusetzen sind. ({2}) Lassen Sie mich zum Beispiel feststellen: Sie fordern, dass Lobbyarbeit dann erfasst werden soll, wenn sie entweder einen bestimmten zeitlichen oder einen bestimmten finanziellen Rahmen überschreitet. Da frage ich mich: Was sind das für Kriterien? Sie sind übrigens auch beide falsch, wie ich Ihnen gleich noch erläutern werde, weil sie willkürlich gewählt sind und - das ist natürlich die Zielrichtung Ihres Antrages - vor allen Dingen auf unternehmerisch tätige oder verbandlich organisierte Lobbyisten abzielen. Aber wir haben natürlich - wenn man den Lobbyistenbegriff wirklich genau nimmt - eine Vielzahl von Lobbyisten. Im Grunde sind wir alle ein Stück weit Lobbyisten für das Volk; denn wir hier im Parlament sind gewählte Interessenvertreter und deswegen sicher auch Lobbyisten für das Volk im guten Sinne. ({3}) - Wenn Sie sich nicht als Lobbyist für das Volk sehen, müssen Sie das mit sich ausmachen; das tut mir leid. ({4}) Nun zu Ihren Kriterien: Was soll das Kriterium Zeit genau bedeuten? Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass ein bestimmter zeitlicher Rahmen überschritten werden muss. Wie stellen Sie sich das vor? Die aufgewendete Lobbyarbeit soll irgendwie erfasst werden. Das kann doch angesichts der vielen Gespräche mit Interessenvertretern nicht funktionieren. Das wissen Sie selbst. Manchmal ist eine kleine Bemerkung am Rande eines Treffens oder ein kurzes Telefonat genauso wirkungsvoll wie eine Lobbyarbeit von großem zeitlichem Aufwand. Auch Geld oder Organisation sind Kriterien, die ich ganz vehement infrage stelle, weil wir auch jede Menge ehrenamtlich tätige Lobbyisten haben, übrigens auch durchaus und gerade aus Ihren Reihen. In der Zeitschrift AWO in Bayern zum Beispiel schreibt der AWO-Bezirksvorsitzende im Juni 2011: In der Tat haben Lobbyisten großen Einfluss. Die AWO könnte, heißt es weiter, „diese Karte noch viel öfter und besser spielen, wenn sie sich im Interesse ihrer Klientel zusammentun und noch mehr gemeinsam agieren würden. Wir haben ein hohes Ansehen, Tausende Beschäftigte, unzählige Sozialeinrichtungen.“ Dieses Zitat zeigt ganz klar, dass Ihre Kriterien, nämlich Zeitaufwand und Geld, nicht zur Abgrenzung von Lobbyismus geeignet ist. Kollegin Högl und Kollege Hartmann, Sie sind beide Mitglied der AWO und damit sozusagen Teil dieses Lobbyistenverbandes. In jedem Ortsverband der SPD gibt es auch Mitglieder der AWO. ({5}) Das ist eine große ehrenamtliche Lobbyistenvereinigung. Wie wollen Sie bei ihr die Kriterien Zeitaufwand und Geld anlegen? Nein, dieses System funktioniert, weil Ehrenamtler organisatorische Unterstützung leisten. Deswegen ist das Kriterium ungeeignet. Zu den Offenlegungspflichten in Ihrem Antrag haben Sie nichts gesagt. Sie sind ebenfalls kritisch zu betrachten. Sie fordern eine detaillierte Aufschlüsselung und die Veröffentlichung von Auftragsvolumina, und zwar nicht nur von Lobbyistenverbänden, sondern auch von den Angestellten dieser Lobbyistenverbände. Das heißt, dass Lobbyisten, die als Angestellte arbeiten, den Anteil ihres Gehaltes für sogenannte Lobbyaktivitäten veröffentlichen sollen. Ich frage mich, wie Sie, die immer den Arbeitnehmerdatenschutz anführen, das miteinander in Einklang bringen wollen. Wie wollen Sie das vor allen Dingen praktisch handhaben? Das funktioniert nicht. Sie verletzen damit die Privatsphäre dieser Arbeitnehmer, die vielleicht für ihren Arbeitgeber Lobbyarbeit machen müssen. Sie wollen zudem, dass deren Postanschrift veröffentlicht wird. Wozu eigentlich? Damit irgendwelche Verrückten radikale Extreme, wie es sie in manchen politischen Interessenvertretungen gibt, zu der Privatanschrift von Angestellten kommen und Drohbriefe schicken oder Ähnliches? An dieser Stelle geht Ihr Wunsch nach Transparenz ein großes Stück zu weit. ({6}) Ich glaube, dass Ihr Antrag wegen dieser Mängel abzulehnen ist. ({7}) - Lesen Sie doch den Antrag. Dann merken Sie, dass das, was ich beschreibe, genauso darin enthalten ist. Sie erklären auch nicht genau, wie die Überwachung Ihrer Forderungen funktionieren soll. Das kann nur funktionieren, indem man zusätzlich zu dem Lobbyistenregister, das es seit Jahrzehnten gibt, eine große Überprüfung der Gespräche vorsieht, die wir führen. Es wurde bereits gesagt: Wir führen viele Einzelgespräche. Jetzt sollen wir auch noch in irgendeiner Form vorher kontrollieren, ob jedes Einzelgespräch diesen Lobbyistenkriterien entspricht, die auch noch, wie gesagt, ungeeignet sind. Das funktioniert mit Sicherheit nicht. Liebe Freunde von den Linken, was Sie machen, ist die Regulierung politischer Meinungsbildung in der Demokratie. Mir ist klar, dass Sie gerne alles regulieren wollen. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir Meinungsbildung in unserer Demokratie nicht regulieren müssen. Das geht einen entscheidenden Schritt zu weit. Wir lehnen aus den genannten Gründen den Antrag ab. Wir können aber gerne in Ruhe weiter diskutieren. Herr Hartmann, Ihr Wortbeitrag hat interessante Aspekte enthalten. Darüber können wir gerne weiter reden, aber über den Antrag nicht. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Demokratie braucht Transparenz. So schlicht ist das. Darin werden Sie mir wahrscheinlich noch zustimmen, Herr Kollege Kaster. Aber wenn Sie von einer weltfremden Phantomdebatte reden und gleichzeitig Bürgergespräche mit dem 100 Millionen Euro schweren Lobbyismus im Regierungsviertel vergleichen, dann ist nicht der Antrag zur Einführung eines Lobbyistenregisters, sondern Ihre Ansicht weltfremd. ({0}) Ich will in dieser Debatte zu vorgerückter Stunde eine kurze Geschichte erzählen. Ich bin vor circa drei Jahren auf die Landesliste in Schleswig-Holstein gewählt worden. Kurze Zeit später schenkte mir ein alter Freund aus Studienzeiten ein Buch „LobbyPlanet Berlin - Der Reiseführer durch den Lobbydschungel“. Es ist ein interessantes Buch. Darin steht viel über Lobbyismus in Berlin. Ich empfehle jedem sehr, es zu lesen. Ich erzählte das meiner Kollegin Ingrid Nestle, die auch auf die Landesliste der schleswig-holsteinischen Grünen gewählt worden war. Sie sagte: Das ist ja lustig. Eine Freundin hat mir gestern genau dasselbe Buch geschenkt. - Weil ich fand, dass das ein merkwürdiger Zufall war, erzählte ich die Geschichte auf dem Neujahrsempfang der Oberbürgermeisterin in Kiel. Dort kam die CDU-Direktkandidatin aus Kiel auf mich zu und sagte: Mir hat das Buch auch gerade jemand geschenkt. ({1}) - Genau! In Schleswig-Holstein werden Bücher verschenkt, und das ist ein schönes Zeichen. ({2}) Ich schenke es dir gleich, Halina. Ob das nun statistisch ein Zufall ist oder nicht: Auf jeden Fall kommt doch zum Ausdruck, dass in der Bevölkerung ein massives Problembewusstsein bezüglich des Lobbyismus besteht, der hier stattfindet. ({3}) Wenn Sie dieses Zusammentreffen als zufällig abtun, dann nehmen Sie aber bitte die vielen Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern ernst. Die können bei Ihnen ja nicht total anders verlaufen als bei uns. ({4}) Man wird immer wieder darauf angesprochen, dass der Wunsch besteht, mehr Transparenz in den Lobbyismus in Berlin zu bekommen. Das geht bis hin zu statistischen Erhebungen, nach denen der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik zu stark ist und man mehr Transparenz braucht. Wir brauchen miteinander nicht zu diskutieren, dass Lobbyismus, Interessenvertretung das alltägliche Geschäft hier ist und dass wir alle jeden Tag damit zu tun haben. Vom THW über das Rote Kreuz bis hin zum Verband der Chemischen Industrie ({5}) alle bringen ihre Positionen vor. Anders kann Politik nicht funktionieren. Wir als Abgeordnete müssen sozusagen auf der Basis unserer lauteren Werte - das ist ein ganzer Kanon - dann die richtige Entscheidung treffen. ({6}) - So ist es, Herr Kaster. Aber wenn es so ist, dann müssen wir nach außen Transparenz darüber schaffen, wer hier versucht, Einfluss zu nehmen. Die Leute wollen es wissen. Deswegen ist es einfach eine Selbstverständlichkeit, ein Lobbyregister einzuführen. ({7}) - Ja, aber kein verpflichtendes, Herr Höferlin; das wissen auch Sie. Wer sich nicht eintragen lassen will, der lässt sich eben nicht eintragen. Das reicht nicht. ({8}) - Dass es heute schon 600 Seiten hat, zeigt doch, ({9}) wie viele Lobbyisten es gibt, die das schon freiwillig tun. ({10}) Interessant wäre es, jetzt noch sozusagen die einzusortieren, die sich nicht freiwillig melden, aus welchen Gründen auch immer. ({11}) Deswegen haben wir schon vor geraumer Zeit, vor mehreren Monaten, unseren Antrag vorgelegt. Die Linke hat einen Antrag vorgelegt. Die SPD hat jetzt nachgezogen. Wir unterstützen auch diesen Antrag. Weil der Kollege Hartmann von Selbstheilungskräften gesprochen hat, sage ich: Es geht hier nicht um Selbstheilungskräfte, sondern es geht bei der Frage eines Lobbyistenregisters um einen Selbstbehauptungsanspruch, den wir als Abgeordnete geltend machen sollten. Deswegen würde ich Ihnen doch sehr zuraten, sich einen Ruck zu geben. Ich weiß, die FDP ist gar nicht so weit davon entfernt, uns hier zuzustimmen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, erlauben Sie zum Abschluss noch eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, das ist gut. Sehr gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Fricke.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, wir merken in der Debatte, dass es durchaus Punkte gibt, über die wir diskutieren, um gute Lösungen zu finden. Ich will zur Mehrung der Erkenntnis einfach zwei, drei Sachen fragen. Meinen Sie, wenn Sie von Lobbyisten sprechen, auch Gewerkschaften, ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Natürlich.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- Kirchen, Umweltverbände, Flüchtlingsverbände usw., alle? ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Selbstverständlich.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist gar keine kritische Frage, sondern nur eine Frage zur Aufklärung. Jetzt habe ich das folgende Problem: Ich habe vor kurzem ein Gespräch mit Vertretern eines Flüchtlingsverbandes gehabt, der - ich will es vorsichtig formulieren - im weitesten Sinne die Interessen von Flüchtlingen aus Syrien vertritt, also ein Lobbyverband ist. Der Vertreter hat mir gesagt, dass er mit mir nur sprechen will, wenn klar ist, dass von seiner Person nichts auftaucht, und wenn ich als Abgeordneter zusage, dass diese Gruppe - in Ihrem Sinne eine Lobbygruppe - auf keinen Fall in die Öffentlichkeit kommt. Nach dem, was Sie sagen, sind wir uns darüber einig, dass es aber auch Fälle gibt, und zwar viele Fälle, in denen der Abgeordnete sogar die Pflicht hat, nicht zu sagen, mit welchem Interessenvertreter er spricht. ({0}) - Ich frage allgemein. Es geht mir um Erkenntnisgewinn.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fricke, ich begrüße zunächst einmal sehr, dass Sie sich auch mit solchen Lobbyistengruppen treffen. Für diesen besonders gelagerten Fall wird man, so würde ich behaupten, eine gute Regelung finden, sodass die Vertreter nicht ins Licht der Öffentlichkeit geraten. ({0}) Die Tatsache, dass Sie diesen Fall herauspicken, Herr Kollege Fricke, lässt doch tief blicken. Wenn Sie einmal durchs Regierungsviertel schlendern und sich die Hausfronten in einem Umkreis von 800 Metern anschauen, dann sehen Sie, dass hier die gesamte Industrie Haus an Haus vertreten ist. ({1}) - Nein, das ist überhaupt nicht schlimm. Dieser Widerspruch, hinter dem Sie sich ständig verstecken - ich weiß nicht, wie ich es noch deutlicher sagen soll -, besteht aber nicht. ({2}) - Ich stimme Ihnen völlig zu. Sie müssen stark genug sein, den Anreizen zu widerstehen. Das traue ich Ihnen auch total zu. Ich sage Ihnen allerdings, viele Länder auf der Welt haben ein verpflichtendes Lobbyistenregister, und die Welt ist trotzdem nicht untergegangen. Deswegen steht dies auch Deutschland gut an. Herr Fricke, wir werden bestimmt Regelungen finden, wie wir da gemeinsam zu einem Ergebnis kommen können. Ich komme zum Schluss. Die Selbstheilungskräfte, die der Kollege Hartmann angemahnt hat, sind vielmehr Selbstbehauptungskräfte, die wir als Parlamentarier entwickeln sollten. Es sollte uns ein inneres Bedürfnis sein, nach außen Transparenz herzustellen. Es ist keine große Sache. Ich möchte behaupten, dass der Widerstand, den man eventuell befürchtet, gar nicht vorhanden ist, weil Unternehmen, gerade auf europäischer Ebene, ein Interesse an Transparenz haben, um diesen Makel loszuwerden. Demokratie braucht Transparenz. Dabei bleibt es. Stimmen Sie für diesen Antrag, selbst wenn er von der SPD kommt. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war vorhin schon einmal die Rede von einem Antrag der Grünen aus dem April und von einem Antrag der PDS zum selben Thema, ({0}) der nicht wesentlich länger zurückliegt. Nun gibt es also diesen Antrag der SPD. Solche Anträge kann man natürlich im monatlichen Rhythmus stellen. Es stellt sich aber die Frage, ob neuere Erkenntnisse hinzugekommen sind. Wir sehen diese jedenfalls nicht. Das Lobbyistenregister gibt es bereits seit 1972 in Deutschland. Man kann es natürlich auf irgendeine Weise qualifizieren. Aber dafür muss es aus unserer Sicht Gründe geben. Ich denke, wir sind uns alle einig - das merken wir, wenn wir mit Bürgerinnen und Bürgern sprechen, Herr Kollege von Notz -, dass die Wörter „Lobbyismus“ und „Lobbyist“ negativ besetzt sind. Ich beklage dies, weil ich es für falsch halte. Anträge wie den, den Sie hier einbringen, und solche Debatten, die wir heute hier führen, zeichnen ein Zerrbild, das eben nicht der Realität entspricht. ({1}) Wenn sieben von zehn Bürgerinnen und Bürgern - so steht es im Antrag der SPD; es wird darin vorausgesetzt, dass diese Zahlen repräsentativ sind - der Auffassung sind, dass die Korruption in Deutschland zugenommen hat, dann besteht in der Tat ein Problem; denn die Zahlen, die das Ausmaß der Korruption verdeutlichen, besaMarco Wanderwitz gen genau das Gegenteil. Es handelt sich also lediglich um ein dumpfes und subjektives Gefühl, dass dem so sei. Kollege Hartmann hat vorhin so schön gesagt, Politik werde immer komplexer. In der Tat kann man deswegen ein solches Gefühl bekommen. Aber die Realität ist offensichtlich anders. Lobbyismus ist - Kollege Kaster hat es schon gesagt für uns Politiker eine lebenswichtige Form von Interessenvermittlung. All die Argumente fallen doch nicht vom Himmel. Niemand von uns hat das notwendige Wissen, um Kenntnis über alle möglichen Verästelungen bei den Interessen zu haben, was die Voraussetzung für die bestmögliche Abwägung im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens ist. Wir sind also geradezu darauf angewiesen, dass all die Interessenvertreter - viele sind schon angesprochen worden; sie sind mehr oder weniger in Verbänden organisiert; ich nenne beispielsweise die klassischen NGOs und die berufsständischen Vertretungen - auf uns zukommen und uns erläutern, was die Gruppe, die sie vertreten, bewegt. Das erleben wir in Berlin, ebenso wie die Kollegen in Brüssel oder in den Landtagen, im Großen. In den Wahlkreisen erleben wir es im Kleinen, wo wir es beispielsweise mit Kreisverbänden im Bereich des Sports zu tun haben. Ich kann daran überhaupt nichts Schlechtes entdecken. Ich könnte es einzig und allein nur dann, wenn wir uns selbst nicht zutrauten, diese subjektiven Interessen als genau das zu erkennen, was sie sind, nämlich subjektive Interessen, die wir uns genau anschauen und gegeneinander abwägen müssen, um am Ende das für uns herauszulesen, was Gemeinwohlinteresse ist. ({2}) Im Übrigen fand ich das Bild, das Kollege Höferlin gezeichnet hat, überhaupt nicht kritikwürdig. Das ist nämlich auch mein Bild. Auch ich empfinde mich als Lobbyist für die Menschen meiner Heimatregion. ({3}) - Ja, offensichtlich nicht. Die Zwischenrufer von den Linken haben wir vorhin ja zu diesem Thema gehört. Ich habe einen positiv besetzten Lobbyistenbegriff. Sie schreiben im Übrigen in Ihren Antrag selbst hinein: Eine verbesserte Transparenz kann illegitime Formen der Einflussnahme oder gar Fälle von Korruption zwar nicht völlig verhindern, … Ich will mal den Schwerpunkt nicht auf das „völlig“ legen, obwohl das da steht, sondern will Ihnen sagen: Eben, schwarze Schafe wird es immer geben. ({4}) Dafür haben wir jetzt schon das Strafrecht. Ich glaube nicht, dass Ihr Antrag da vieles wesentlich besser machen würde. Das ist viel weiße Salbe, im Übrigen verbunden mit einer erheblichen Menge an Bürokratie. Denn das müssen Menschen aufnehmen, vielleicht überprüfen. Mit der Meldung ist es ja nicht getan, wenn man das wirklich alles ernst meint. Durch diese Formulierungen aber, die hier immer wieder in die Debatte getragen werden, reden wir nicht über die schwarzen Schafe, sondern wir tun so, als bestünde die ganze Schafherde aus schwarzen Schafen. Die Herde besteht aber mehrheitlich aus weißen Schafen, um jetzt mal das Bild, dass die schwarzen Schafe die Schlechteren sind, was der alten Volksmeinung entspricht, zu nehmen. Wir können es auch umdrehen. Ich glaube, wir müssen einfach aufhören, das Bild von irgendwelchen Dunkelmännern und Dunkelfrauen zu zeichnen, die über unsere Gänge schleichen und die keiner kennt. Zu behaupten, zu Tausenden zögen sie hier umher, ist doch schlicht falsch. ({5}) Wenn irgendjemand von uns einen Termin will, fragen wir doch: Wer sind Sie denn? Wenn ich darauf keine befriedigende Antwort bekomme, dann bekommt diejenige oder derjenige bei mir jedenfalls keinen Termin. Ich höre mir doch irgendjemanden, der mir nicht mal sagen kann, für wen er steht - es sei denn, er bringt seine ureigenen Interessen vor -, nicht an. Einen konkreten Punkt möchte ich noch ansprechen: Was muss mich interessieren, was ein Verbandsvertreter oder ein anderer Lobbyist verdient? Dahinter kann doch nur ein Gedanke stehen: Derjenige, der mehr verdient, hat die moralisch verwerflichen Interessen. ({6}) - Aha, größere Möglichkeiten. Es gibt eine größere Wirkkraft seiner Argumente, die er mir entgegenhält? ({7}) - Ja, Herr Kollege Montag, da kann ich nur für uns sagen - ich glaube, das geht uns allen hier im Haus so; da hoffe ich doch, dass Sie nicken -, das sind doch die Argumente, die in dieser Herde, in der die weißen Schafe überwiegen, hoffentlich niemanden interessieren. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin hat die Kollegin Dr. Eva Högl von der SPD das Wort. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von den Koalitionsfraktionen, ich habe es registriert, aber ich habe nicht verstanden, warum Sie unseren Antrag ablehnen. Ich verstehe es einfach nicht. ({0}) Ich sehe aber in der Auseinandersetzung mit Details, insbesondere von Ihnen, Herr Kollege Höferlin, die Chance, dass wir vielleicht doch zu einer Sachdebatte kommen. Allerdings setzt das voraus, liebe Kollegen, dass Sie unseren Antrag erst mal lesen - leider haben Sie ihn bisher noch nicht gelesen ({1}) und ihn dann im zweiten Schritt auch verstehen. Liebe Kollegen, ich gebe Ihnen die Chance, über die Sommerpause diesen Antrag noch einmal zu lesen, dann auch zu verstehen, und anschließend können wir im Ausschuss vielleicht sachlich darüber diskutieren. Ich will dazu ein paar Aspekte ansprechen. Wir können das Register, das wir vorschlagen und das auch die anderen beiden Fraktionen vorgeschlagen haben, nicht mit dem vergleichen, was wir seit 1972 haben, weil wir nämlich ein verbindliches Lobbyistenregister fordern ein verbindliches mit verbindlichen Vorschriften und auch mit Sanktionen, wenn nicht eingetragen wird. ({2}) Da geht es nicht darum, wer wann mit wem an welchem Ort welche Gespräche geführt hat. Darum geht es nicht. Das soll auch nicht veröffentlicht werden und auch nicht in diesem Register niedergelegt werden. ({3}) - Das steht nicht in unserem Antrag, und darum geht es auch nicht. Es geht darum, diejenigen zu verpflichten, sich einzutragen, die professionell, hauptamtlich Lobbyismus betreiben. ({4}) Darüber können wir uns in der weiteren Debatte verständigen. Sie haben bereits erste Ansätze gezeigt, die ermöglichen, dass wir in ein Gespräch kommen. Wir brauchen Definition und natürlich auch Grenzen. Wir müssen sagen: Wir unterscheiden, ob jemand gelegentlich für bestimmte Interessen wirbt und diese dann durchsetzt oder ob das vielleicht seine hauptsächliche Tätigkeit ist. Eine Anwaltskanzlei, die sich überwiegend mit anderen Dingen beschäftigt und by the way in bestimmten Situationen Lobbyismus betreibt, ist natürlich von einer Kanzlei zu unterscheiden, die professionell für bestimmte Interessen und mit sehr viel Geld im Hintergrund überwiegend Lobbyismus betreibt. Deswegen steht in unserem Antrag, dass wir zeitliche und finanzielle Grenzen und natürlich auch eine saubere Definition des Begriffs „Lobbyismus“ brauchen. Es geht nicht darum, zwischen guten und schlechten Interessenvertretungen und Lobbyisten zu unterscheiden. Natürlich sind die AWO oder der Deutsche Gewerkschaftsbund genauso Interessenvertretungen und genauso legitim wie BDA, BDI, EADS und andere. Es geht nicht um gut und schlecht. Es geht darum, Lobbyismus zu benennen. Ich weiß wie Sie alle auch sehr gut, dass wir als Abgeordnete von der Interessenvertretung abhängig sind; deswegen verstehe ich nicht, warum Sie alle dagegen sind. Wir können unsere Meinung nur bilden, wenn wir die verschiedenen Einflüsse aufnehmen und dann als selbstbewusste, gewählte Abgeordnete Entscheidungen treffen. Aber - daher kommt das ungute Gefühl der Bürgerinnen und Bürger - wir haben ganz viele Tatbestände registriert, die gezeigt haben, dass das nicht immer passiert und zum Beispiel Rechtsanwaltskanzleien Gesetzentwürfe oder Teile von Gesetzentwürfen geschrieben haben. Ich möchte Folgendes in Richtung FDP sagen - ich weiß, dass das ein wunder Punkt ist -: In der letzten Zeit hat Ihnen doch das Stichwort „Mövenpick-Partei“ am meisten geschadet. ({5}) Es war ganz offensichtlich, dass ein Lobbyist die Gesetzgebung hier im Deutschen Bundestag in eine bestimmte Richtung gelenkt hat. Das schadet nicht nur einer Partei bzw. einer Fraktion. Das schadet der gesamten Demokratie. Deswegen müssen wir hier im gesamten Bundestag selbstbewusst damit umgehen und sagen: Ja zur Interessenvertretung, Ja zum Lobbyismus. Wir sind davon abhängig. Wir bilden dadurch unsere Meinung. Wir führen Gespräche, und zwar mit Flüchtlingsorganisationen genauso wie mit Wirtschaftsverbänden. Wir gehen zu Sommerfesten, gerade in den letzten beiden Wochen. Wir unterhalten uns. Das gehört zu unserer Arbeit dazu. Das müssen wir selbstbewusst vertreten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das bitte aus den Hinterzimmern herausholen. ({6}) Lassen Sie uns das in die Öffentlichkeit holen. Lassen Sie uns mit diesem Selbstbewusstsein für mehr Transparenz und für mehr öffentliche Kontrolle sorgen. Das geht nicht, wenn es unverbindlich bleibt. Das geht nur mit einem verbindlichen Lobbyistenregister. Ich lade Sie ein, nach der Sommerpause im Ausschuss mit uns eine sachorientierte Debatte zu führen. Dann finden wir auch gute Definitionen und gute Kriterien. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6442 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe den Tagesordnungspunkt 51 sowie den Zusatzpunkt 7 auf: 51 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs ({0}) - Drucksache 17/6261 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Ekin Deligöz, Volker Beck ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen sowie zur Ausweitung der Hemmungsregelungen bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung im Zivil- und Strafrecht - Drucksache 17/5774 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sowie zu diesem Zusatzpunkt sollen zu Protokoll gegeben wer- den.1) Erlauben Sie mir, dass ich die Namen der Rednerinnen und Redner nicht einzeln verlese. Sie können Sie im Protokoll nachlesen. Wir haben noch etwa 30 Tagesordnungspunkte vor uns. Die Sitzung wird also noch eine Weile dauern. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/6261 und 17/5774 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Friedens- und Konfliktforschung stärken Deutsche Stiftung Friedensforschung finanziell ausbauen - Drucksachen 17/1051, 17/6437 Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Martin Neumann ({5}) Krista Sager Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben.2) 1) Anlage 18 2) Anlage 8 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6437, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1051 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und Grünen und Enthaltung der Linken angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Elisabeth Winkelmeier-Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marlene Rupprecht ({7}), Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Christian Ahrendt, Stephan Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Katja Dörner, Josef Philip Winkler, Volker Beck ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Opfern von Unrecht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirksam helfen - zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Dittrich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Unterstützung für Opfer der Heimerziehung Angemessene Entschädigung für ehemalige Heimkinder umsetzen - Drucksachen 17/6143, 17/6093, 17/6500 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Marlene Rupprecht ({9}) Nicole Bracht-Bendt Heidrun Dittrich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Norbert Geis von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({10})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Kinderheimen des Westens, mit denen ich mich hauptsächlich befassen werde - mit den Kinderheimen in der DDR wird sich der Kollege Kolbe befassen -, waren in der Zeit von 1949 bis 1975 etwa 800 000 Säuglinge, Kinder und Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr untergebracht. Die Kinder und Jugendlichen wurden dort eingewiesen, weil häufig die Eltern - oft war es nur die Mutter, weil der Vater gar nicht mehr in der Familie lebte - nicht mehr in der Lage waren, die Kinder richtig zu erziehen. Diese Kinder galten oft als „schwer erziehbar“. Deshalb nannte man diese Heime - was wir heute als abfällig empfinden - im Volksmund auch Erziehungsheime oder sogar Erziehungsanstalten. Wer einen Teil seiner Jugend in einem solchen Heim verbracht hatte, dem haftete oft ein Makel fürs ganze Leben an. Aufgrund der Initiative des Petitionsausschusses kam es dann zu dem Runden Tisch Heimerziehung, der sich mit den Missständen der Kinderheime in den 50er-, 60er- und in den Anfängen der 70er-Jahre beschäftigte. Der Runde Tisch nahm nicht Stellung zu den Vorgängen in den Kinderheimen der DDR; dieses Gebiet muss noch im Einzelnen erforscht werden. Wir können aber von vornherein davon ausgehen, dass es auch dort Unrecht gab. In vielen Kinderheimen des Westens gab es ebenfalls große Missstände. Hiervor darf man die Augen nicht verschließen. Der übergreifende Antrag von SPD, FDP, Grünen und CDU/CSU hat den Vorschlag des Runden Tisches aufgegriffen. Im Laufe der Untersuchungen wurde festgestellt, dass in den Heimen sicherlich fürsorglich erzogen wurde; man hat aber auch auf die Missstände hingewiesen. Wir müssen allerdings, so glaube ich, etwas vorsichtig sein, was den Begriff „Unrecht“ anbelangt. Es gab Verletzungen und Missstände; es gab Unrecht, das schon zur damaligen Zeit nach dem damals geltenden Strafrecht hätte strafrechtlich verfolgt werden müssen und das auch zu Schadensersatzansprüchen seitens der Kinder hätte führen können. Es gab aber auch Verhaltensweisen, die wir heute zwar scharf missbilligen, die aber nach damaliger Praxis nicht als Unrecht angesehen wurden. Das müssen wir erkennen. Nach den damaligen pädagogischen Vorstellungen und der damaligen pädagogischen Praxis wurden Kinder oder Jugendliche, wenn sie sich ganz auffällig schlecht verhielten - aber auch in weniger auffälligen Fällen -, oft hart bestraft. Sie erhielten Arrest oder bekamen Arbeitsauflagen. Ebenso gab es Entzug des Essens oder das, was wir heute als Prügelstrafe bezeichnen. ({0}) Das war zum Teil ein grober Missstand. Zum Teil war es auch gängige Praxis, weil man der Auffassung war, dass die Kinder, die in ein Kinderheim eingewiesen wurden und oft Verwahrlosungszustände aufwiesen oder schwer erziehbar waren, ({1}) einem besonderen Rechtsverhältnis unterworfen waren. Dieses besondere Rechtsverhältnis hat tatsächlich dazu geführt, dass Grundrechte der Kinder damals nicht so erkannt worden sind, wie sie eigentlich hätten erkannt werden müssen. Dieses besondere Rechtsverhältnis oder besondere Gewaltverhältnis hat das Bundesverfassungsgericht 1972 gekippt. Seit dieser Zeit kann auch in Strafanstalten nur aufgrund eines Gesetzes vollzogen werden. Aber es entstand aufgrund der damaligen Praxis so etwas wie ein rechtsfreier Raum. Das muss man erkennen. Man darf deshalb nicht alle Maßnahmen, die dort getroffen worden sind, vom damaligen Standpunkt her als Unrecht bezeichnen, wenngleich wir sie heute scharf missbilligen und heute scharf als Unrecht bezeichnen würden. Wir müssen ja von dem ausgehen, was sich damals abgespielt hat. Nun stellt sich die Frage: Wie können wir dieses damals geschehene Unrecht an den Kindern wiedergutmachen? Der Runde Tisch hat sich damit beschäftigt. Da ging es zunächst um die Frage: Sollen sie individuell entschädigt werden, oder soll eine pauschale Entschädigung erfolgen? Bei der individuellen Entschädigung ist man sehr schnell an die Grenze gekommen. Die damaligen Vorfälle lassen sich heute nicht mehr rekonstruieren. Es ist auch schon Verjährung eingetreten. Man hätte sich schwergetan, solche individuellen Entschädigungsmaßnahmen durchzuführen. Das hat der Runde Tisch so erkannt. Dann ging es um die Frage: Soll pauschal entschädigt werden? Auch da war man sich sehr unsicher; denn das hieße ja, dass bei einer pauschalen Entschädigung schon die Anwesenheit in einem Heim als Unrecht hätte angesehen werden können oder müssen. Daher hat sich der Runde Tisch davon ebenfalls abgewandt. Der Runde Tisch ging zu der Überlegung über, die Folgen wiedergutzumachen, die heute noch erkennbar sind. Da will der Runde Tisch eine Wiedergutmachung vorsehen. Ich meine, dass dies ein richtiger Weg ist. Allerdings meine ich auch, dass wir uns noch ein wenig Gedanken darüber machen müssen, ob nicht auch - wie beim sexuellen Missbrauch - eine Art Schmerzensgeld möglich sein muss. Das wird vom Runden Tisch in Bezug auf sexuellen Missbrauch vorgeschlagen. Ich meine, dass wir das, wenn wir eine entsprechende gesetzliche Regelung finden, auch für die Heimkinder vorsehen sollten, denen Unrecht widerfahren ist. Auch das muss man irgendwie gerecht austarieren. Es geht nicht an, dass die einen entschädigt werden und die anderen nicht. Es war in beiden Fällen Unrecht, wenn es im Falle des sexuellen Missbrauchs auch ein schweres Unrecht war. Ich möchte noch ein Wort zu der Frage der Finanzierung sagen, Herr Präsident. Was die Frage der Finanzierung angeht, glaube ich, müssen wir uns einfach noch zusammensetzen und müssen überlegen, wie das am besten zu finanzieren ist. Ich bin ganz sicher, dass wir einen vernünftigen Weg finden werden. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht von der SPD-Fraktion. ({0})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Acht Jahre ist es her; seitdem habe ich das Thema Heimkinder vor mir. Ich will eine kurze Entwicklung darstellen; vielleicht versteht man dann besser, was passiert ist. Es kamen Menschen zu mir, die gesagt haben, ihnen sei Unrecht angetan worden. Dabei ging es nicht um das, was man damals als übliche Erziehung ansah, sondern um massives Unrecht. Die erste Reaktion war, das waren Einzelfälle. Das ist bedauerlich; aber es sind Einzelfälle. Aber nachdem die Einzelfälle immer mehr wurden, habe ich die Betroffenen aufgefordert, eine Petition zu schreiben; denn als einzelne Abgeordnete kann man nicht helfen. Aber ich fand, dass das ein Thema ist, mit dem sich das Gremium auseinandersetzen muss, das Verfassungsrang und die größten Wirkungsmöglichkeiten hat, nämlich der Deutsche Bundestag. Der Deutsche Bundestag hat im Petitionsausschuss zwei Jahre darüber beraten und kam zu dem Schluss: Es muss weiter daran gearbeitet werden. Das wurde von allen Abgeordneten einstimmig, im absoluten Konsens, in großer Verantwortung und Sachlichkeit beschlossen. Wir haben es als gesamtgesellschaftliches Problem angesehen, das wir zu lösen haben. Da sind nämlich Menschenrechtsverletzungen passiert; das war nicht ein Klaps oder eine Ohrfeige, sondern ein Zerbrechen von Menschen, von Persönlichkeiten. Die Zerstörungen an den Menschen halten noch heute an. Das war für uns der Grund, zu sagen: Wir müssen ein Fachgremium dazu einberufen; deshalb wurde der Runde Tisch Heimerziehung eingerichtet. Der Runde Tisch hat zwei Jahre lang mit Betroffenen und anderen, die Mitverantwortung hatten, getagt. Ich durfte für den Bundestag daran teilnehmen. Wir haben uns am Runden Tisch informiert, Hintergründe erforscht und nach Lösungen gesucht. Wir haben damit angefangen, nach tatsächlich tragbaren und umsetzungsfähigen Lösungen zu suchen. Im Dezember 2010 hat der Runde Tisch Heimerziehung seinen Abschlussbericht vorgelegt, so wie es der Bundestag gefordert hatte. Im Januar hat der Bundestagspräsident den Bericht in Empfang genommen. Wir haben uns geeinigt: So wie wir vorher gemeinsam versucht haben, Lösungen zu finden, wollen wir die Lösungsvorschläge, die uns der Runde Tisch unterbreitet, gemeinsam umsetzen. Die Fraktionen haben sich mehrfach getroffen, um auf Grundlage der Ergebnisse einen Antrag zu schreiben, der uns heute zur letzten Abstimmung vorliegt. Diese Woche haben wir im Ausschuss noch einmal darüber beraten und waren uns einig, dass das, was im Antrag und im Abschlussbericht steht, Wirklichkeit werden soll. Da habe ich gedacht: Jetzt sind wir eigentlich auf der Zielgeraden. Ich habe noch im Ausschuss gesagt: Wir müssen nicht mehr viel diskutieren, weil eigentlich klar ist, was wir umsetzen wollen. Es ging darum, den Prozess zu begleiten; denn wir gehen neue Wege. Auch die Regierung muss neue Wege gehen - das ist nicht selbstverständlich -; denn wir haben so etwas vorher noch nie gemacht. Gestern Mittag habe ich dann eine Mitteilung erhalten. Zuvor waren wir uns alle - die vier Fraktionen, die den Antrag eingebracht haben - wirklich einig: Wir machen das und wollen nicht, dass ein Ressort die Kosten in Höhe von 40 Millionen Euro über den laufenden Etat trägt. Dann haben wir die Mitteilung erhalten; ich dachte, mich tritt ein Pferd. Im Schwäbischen würde ich sagen: Leut’, warum redet ihr net mit’nander? Das Folgende richtet sich an die Koalitionsfraktionen. Ich versuche sonst wirklich immer, einen Konsens zu finden; aber jetzt muss ich sagen: Sie müssen Ihre Haushälter dafür, dass sie Ihnen so etwas vorlegen, in Grund und Boden stampfen. ({0}) Das darf nicht wahr sein. Ich sage Ihnen, warum es nicht wahr sein darf: Es ist das völlig falsche Signal an die Betroffenen. Es ist das falsche Signal an die ehemaligen Heimkinder aus dem Osten. Es ist ein völlig falsches Signal an alle jetzt jungen Menschen, wenn wir die Mittel aus dem Haushalt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, aus dem Haushalt für Justiz und dem Haushalt für Arbeit und Soziales nehmen. Wir können es nicht verantworten - das sage ich; die Familienpolitiker werden es genauso sagen -, dass wir den heutigen Jugendlichen das Geld nehmen, damit wir die Sünden der Urgroßväter und Urgroßmütter ausgleichen, die vor Jahrzehnten geschehen sind. Das ist ein Widersinn. ({1}) Dafür müssen diejenigen im Haushaltsausschuss, die das beschlossen haben, wirklich geprügelt werden. Ich bin Ihnen sonst immer wirklich wohlgesonnen. ({2}) - Doch, es gibt einen entsprechende Beschlussanhang. Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie das nicht spätestens bei den Haushaltsberatungen revidieren, gibt es einen Eklat; das geht nicht gut. Der zweite Effekt dieses Beschlusses ist, dass die Mittel den Ressorts, die im betreffenden Bereich beteiligt sind, entzogen werden. Die Länder müssen jetzt beschließen, ebenfalls 40 Millionen Euro einzubringen. Wenn die Länder sehen, dass der Bund die Mittel aus den laufenden Etats nimmt, dann entnehmen auch die Länder die Mittel den Etats. Dann wird vom Bund über die Länder bis zu den beteiligten Gemeinden genau dort gespart, wohin das Geld eigentlich muss: Es wird bei den Kindern und Jugendlichen gespart. Das kann nicht wahr sein. Marlene Rupprecht ({3}) ({4}) Ich halte es für fatal, wenn wir es so machen. Ich habe gestern noch versucht, alle möglichen Leute zu mobilisieren und ihnen zu sagen: Ihr dürft euch das nicht bieten lassen. - Eigentlich ist es ein Armutszeugnis, dass so etwas passiert. Ich glaube nicht einmal, dass es aus Boshaftigkeit gemacht wurde. Man hat schlicht und ergreifend nicht miteinander geredet; das ist ein Problem der Kommunikation. Es hat aber fatale Folgen. Das ist das Problem. Ich möchte, dass wir das ganz schnell korrigieren. Unser Antrag ist auf die betroffenen Menschen ausgerichtet. Die Betroffenen können jetzt lesen, was beschlossen worden ist - das steht in der Beschlussempfehlung -: Der Bund, die alten Bundesländer und die Kirchen zahlen je 40 Millionen Euro. Wenn der Bund bei den 40 Millionen Euro sparen will, dann geht das nur durch Einsparungen bei den freiwilligen Leistungen, also beim Kinder- und Jugendplan. Das heißt, wir sagen den Kirchen, die viele Kinder- und Jugendverbände haben: Ihr zahlt nicht bloß 40 Millionen Euro, sondern ihr zahlt quasi auch einen Anteil an den 40 Millionen Euro des Bundes, weil ihr weniger Geld für eure Kinder- und Jugendarbeit bekommt. Wir müssen das Geld ja irgendwo abziehen. Wir müssen es ja irgendwo hernehmen. - Das ist eine Katastrophe. Bitte korrigieren Sie das. Es war ausgemacht, dass von diesen 40 Millionen Euro keine Leistungen für die sogenannten Ost-Heimkinder bezahlt werden. Das, was sie brauchen, sollte zu einem Drittel vom Bund bezahlt werden. Das war ausgemacht. Das haben wir, die wir diesen Antrag ausgearbeitet haben, gemeinsam so beschlossen. Und dann kommt so ein dicker Knaller! ({5}) - Ich finde das gut. Ich höre Ihr Wort. Hoffentlich kommt es ins Protokoll. Hoffentlich steht im Protokoll, dass Sie gesagt haben: Das war ein Versehen; es tut uns leid; wir wollten das so nicht. Dann ist das okay. Schriftlich festgehalten ist aber das, was ich eben gesagt habe, und das kann so nicht bleiben. Ich bitte unsere Haushälter dringend, dies zurückzunehmen. ({6}) Sonst können wir die ganze Arbeit - ich habe acht Jahre daran gearbeitet - in den Papierkorb schmeißen und den Menschen sagen: Eigentlich haben wir es gar nicht so gemeint. Das wäre eine ganz falsche Botschaft. Ich werde unserem Antrag trotzdem zustimmen. Meine Fraktion wird zustimmen, weil unser Antrag gut ist. Wir haben uns eng an die Vorgaben des Runden Tisches gehalten. Ich hoffe, dass wir, wenn es um die Umsetzung geht, trotz dieses wirklich nicht tollen Ereignisses wieder zu einer guten sachlichen Arbeit zusammenfinden. In diesem Sinne wünsche ich uns heute einen fast einstimmigen Beschluss. Die Linken haben einen eigenen Antrag dazu eingebracht. Dazu nehme ich jetzt nicht mehr Stellung. ({7}) - Ist gut. Das muss ich euch nicht vorbeten. Ich hoffe, dass die Fraktionen, die das beantragt haben, das heute gemeinsam beschließen. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk von der FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst ein Wort an Sie, Frau Kollegin Rupprecht: Ich verstehe Ihre Aufregung angesichts der Tatsache, dass Sie sich schon sehr lange mit dem Thema befassen und das ehrliche und nachvollziehbare Ziel verfolgen, das Thema Heimkinder zu einem guten Ergebnis zu führen. Dieses Ziel haben wir alle. Wenn ich den Beschluss des Haushaltsausschusses richtig verstehe, sind die 40 Millionen Euro, um die es geht, für die Heimkinder vorgesehen; denn es heißt hier: Bund, Länder und Kirchen. Dabei ging es immer um die Kinder, die in Heimen im Westen untergebracht waren. So verstehe ich das. ({0}) Auch das kommt ins Protokoll. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir das beibehalten, was wir am Runden Tisch und in den Ausschüssen geschafft haben: ein weitgehend fraktionsübergreifendes, sachorientiertes Diskussionsklima. Im Ergebnis beraten wir heute abschließend einen von fast allen Fraktionen getragenen Antrag, der eine lange Geschichte hat und, wie ich glaube, rechts- und gesellschaftspolitisch wirklich bedeutsam ist. Wir haben uns die Mühe gemacht - das haben wir uns vorgenommen -, Unrecht aufzuarbeiten, das zu der Zeit, als es geschehen ist, vielleicht nicht als Unrecht verstanden wurde - so habe ich Herrn Geis gerade verstanden -, auch wenn es das zweifellos war. Das war ein rechtsfreier Raum. Das kann aber nicht die Grundlage dafür sein, dass mit Kindern, mit Menschen Schindluder getrieben wird. Und das war es. Ich glaube, das sollten wir ganz deutlich und unumwunden sehen und uns dem stellen; denn das verlangen die Heimkinder im Westen und auch im Osten von uns. ({1}) Wenn man das rekapituliert, muss man schon sagen, dass es eigentlich unglaublich ist, wie damals mit diesen Kindern umgegangen wurde. Ich war zu dieser Zeit selber Kind und weiß, dass es damals hieß: Wenn du nicht parierst, nicht richtig funktionierst, kommst du eben ins Heim. - Das war eine Drohung, und jeder hat sie verstanden. Ich glaube, wenn wir uns in der Geschichte noch ein Stück weiter zurückbewegen, dann merken wir: Da waren andere Drohungen in Deutschland an der Tagesordnung. Als Demokraten haben wir uns aus dieser Tradition gelöst. Darüber haben wir Diskussionen geführt. Wir müssen sie immer wieder aufs Neue führen, damit uns klar ist: Wo Recht gesetzt wird, muss auch dafür gesorgt werden, dass Unrecht aus der Vergangenheit aufgearbeitet wird. Der Runde Tisch hat hier Großes geleistet. Es war für mich sehr eindrucksvoll, in der Anhörung zu hören, wie Frau Vollmer als Vorsitzende des Runden Tisches sagte: Es war eine anstrengende, schwere Arbeit. - Es war eine Arbeit, die nicht jederzeit wieder so geleistet werden kann. Wir haben ja auch noch einen anderen Runden Tisch, nämlich zum Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern“. In der Anhörung war für mich besonders eindrucksvoll, Betroffene zu hören. Durch die Anhörung habe ich gelernt, dass es für die Heimkinder auch heute noch sehr, sehr schwierig ist, mit ihrem Thema in der Öffentlichkeit umzugehen. Sie sind sehr empfindsam, traumatisiert, geschädigt und teilweise fürs Leben gezeichnet. Sie sind auch sehr empfindsam in Bezug darauf, wie man mit ihnen umgeht. Ich glaube, dass wir uns abverlangen müssen, uns mit ihnen zu beschäftigen, ihnen auch in einer solchen Anhörung das Wort zu geben. Im Rahmen des Möglichen ist das auch geschehen. Es hat uns alle erschüttert, zu hören, was Heimkinder erlebt haben. Ich konnte es mir in dieser krassen Form bis dahin nicht vorstellen. Wir haben einen Antrag formuliert, der meiner Ansicht nach genau das auf den Weg bringt, was den Heimkindern am Herzen liegt und was uns als Aufarbeitung am Herzen liegt. Er beinhaltet den Auftrag an die Bundesregierung, zu handeln. Obwohl keine Rechtsansprüche mehr bestanden, haben wir gesagt: Es muss hier die Grundlage, eine gewisse Entschädigung zu leisten, geschaffen werden. Das wird der Fall sein. Ich bin ganz sicher, dass eine Finanzierungslösung gefunden wird, die praktikabel ist. Es sollten in den jetzt vorliegenden Antrag nicht noch andere offene Themen mit eingearbeitet werden. Vielmehr werden diese gesondert abgearbeitet, Stichwort „Behandlung der Heimkinder in der damaligen DDR“. Auch sie befanden sich in einer untragbaren Situation und wurden teilweise ebenfalls mit geradezu krimineller Energie behandelt, wie wir ebenfalls in der Anhörung des Ausschusses hören mussten. Das ist ein weites Feld. Ich erwarte von der Bundesregierung hier zügiges Handeln und einen überzeugenden Vorschlag. Wir werden uns im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens weiter mit dem Thema befassen. Ich hoffe, dass wir dann eine so konstruktive Vorgehensweise finden werden, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Aufregung und Emotionen helfen uns nicht weiter. Nach meinem Dafürhalten ist das so - auch wenn ich gut verstehen kann, dass Emotionen bei diesem Thema zu Recht eine große Rolle spielen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich von der Fraktion Die Linke. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider kam es nicht zu einem Antrag, der von allen Fraktionen des Hauses getragen werden kann. Es gab zwar die interfraktionelle Arbeitsgruppe. Im Ergebnis entspricht das, was da erarbeitet wurde, allerdings auch nicht ganz den Vorstellungen meiner Fraktion. Aus Sicht der Linken ist an die damals betroffenen Kinder, die in Heimen misshandelt wurden, eine wirkliche Entschädigung zu leisten. ({0}) Auf die Einzelheiten des Grauens, das diese Kinder damals durchlebt haben - das ist heute auch noch einmal angesprochen worden -, muss ich nicht noch einmal eingehen. Wiedergutmachen kann man das nicht, aber man kann das Leid der Betroffenen anerkennen und ein Schmerzensgeld zahlen, das zumindest angemessen erscheint. Legt man die Zahlen zugrunde, die auch in der Anhörung im Ausschuss zur Sprache kamen, so entspricht der von den anderen Fraktionen beantragte Fonds von 120 Millionen Euro einer Entschädigung von 125 Euro pro Kopf. Von daher waren und sind wir uns fraktionsübergreifend alle einig, dass die veranschlagten 120 Millionen Euro nicht ausreichen werden. Gleichwohl hat der Haushaltsausschuss gestern beschlossen, die 40 Millionen Euro Anteil des Bundes als einmalige maximale Obergrenze zu veranschlagen und aus dem Einzelplan 17 zu finanzieren. Mit anderen Worten: Entschädigung der Kinder von gestern auf Kosten der Kinder von heute. ({1}) So viel zu der Familien- und Entschädigungspolitik dieser Regierung. Darin kann kaum eine Anerkennung des Leidens oder auch nur ansatzweise eine Schadenswiedergutmachung gesehen werden. ({2}) Deshalb gehen die Forderungen im Antrag der Linken über die im Antrag der übrigen Fraktionen hinaus. Wir fordern nicht nur eine angemessene Versorgung anknüpfend an noch bestehende Folgeschäden, sondern wirk14024 liche Entschädigung. Die Entschädigung muss sich an dem persönlich erlittenen Unrecht orientieren und nach Überzeugung der Linken bis zu 54 000 Euro betragen; in besonders schweren Fällen soll der Betrag höher ausfallen können. Wenn wir davon ausgehen, dass wir jedes zehnte Kind mit einem durchschnittlichen Betrag von 27 000 Euro entschädigen müssten, würde dies den Haushalt mit etwa 2 Milliarden Euro belasten. Die Frage ist, ob wir bereit sind, 2 Milliarden Euro für die Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen auszugeben. Die Berechtigung der finanziellen Forderungen der betroffenen Heimkinder zeigt ein kurzer Blick ins Zivilrecht. Im System der deliktischen Handlung spielt das Schmerzensgeld eine wichtige Rolle für die Anerkennung des erlebten Leidens; dies ist nicht in wirtschaftliche Kosten, Arztrechnungen etc. übertragbar. Der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ ist vorhin angesprochen worden. Wenn man die Ergebnisse dieses Runden Tisches betrachtet, muss man feststellen, dass die Unabhängige Beauftragte Christine Bergmann in ihrem Abschlussbericht ein Modell vorgelegt hat, welches Entschädigungszahlungen in Höhe der entsprechenden Schmerzensgeldsätze mit einer Obergrenze von 50 000 Euro vorsieht. Aus Sicht der Linken wäre es ein fatales Signal an die ehemaligen Heimkinder, wenn eine vergleichbare Opfergruppe Entschädigungen mit Genugtuungsfunktion erhielte, die für sie selbst nicht vorgesehen sind. Die Einrichtung einer Stiftung oder eines Fonds, wie es vorgeschlagen wird, reicht nicht aus. Nein, es bedarf eines Gesetzes - dies fordern wir -, welches den Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Entschädigung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen gewährt; dieser kann notfalls auch auf dem Rechtsweg durchgesetzt werden. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die damals betroffenen Heimkinder teilweise auch in Betrieben als billige oder kostenlose Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Diese Betriebe gilt es festzustellen und zu der Finanzierung der Entschädigung mit heranzuziehen. Es darf nicht bei Bund, Ländern und Kirchen bleiben. ({3}) Wir alle sind uns einig, dass wir gemeinsam einen Kampf gegen Kinderarbeit führen wollen; das kam gestern im Ausschuss zur Sprache. Lassen Sie uns mit einem entsprechenden Gesetz beginnen, um zu zeigen, dass wir unsere Vergangenheit nicht verdrängen, die damaligen Opfer als solche entsprechend anerkennen und zumindest ein wenig Wiedergutmachung leisten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Josef Winkler von Bündnis 90/Die Grünen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin, so wie Kollegin Rupprecht, schon etliche Jahre mit diesem Thema befasst. Wir waren gemeinsam im Petitionsausschuss Berichterstatter zu diesem Thema und haben den Beschluss zur Einsetzung des Runden Tisches und auch diesen Beschluss, den wir heute hier fassen, mit vielen anderen Kollegen gemeinsam vorbereitet. Sie können davon ausgehen, dass dies durchaus ein besonderer Tag ist. Daher war es mir nicht möglich, meine Rede zu diesem Thema zu Protokoll zu geben. Ich möchte einen Punkt ansprechen: die Entschädigungssummen. Wenn man zum Vergleich darauf hinweist, was wir an die Opfer des NS-Regimes ausgezahlt haben, dann muss man den großen Gesamtzusammenhang betrachten. Man kann Unrecht nicht gegeneinander aufrechnen. Herr Wunderlich, Sie haben gerade versucht, dies zu machen. Sie haben gesagt: Diese Opfer haben zum Teil nur Summen um die 5 000 Euro bekommen und waren von den Nazis verfolgt. - Das können Sie nicht mit dem Leid der Heimkinder in einen Bezug setzen. Ich finde, wir haben einen historischen Erfolg erzielt. Er kommt Jahrzehnte zu spät, aber wir können froh sein, dass wir uns interfraktionell geeinigt haben. Ich persönlich muss sagen: Wir können stolz darauf sein, dass wir diesen Beschluss heute gemeinsam fassen. Jetzt zu dem, was die Linke hier betreibt. In der Anhörung hat ein Vertreter der Heimkinder gesagt: Ich hoffe sehr, dass Sie uns nicht täuschen. - Doch, genau das tun Sie. Sie wussten von vornherein, dass Ihre Forderung völlig aussichtslos ist. Wir reden nicht von einem Betrag von 2 Milliarden. Herr Witti und andere fordern 24 Milliarden Euro. Sie haben immer gesagt, dass Sie die Forderungen der Vertreter der Heimkinder aufgreifen. Veräppeln Sie diese Leute nicht! Sie sollten sich schämen, vor diesen Leuten, denen in der Bundesrepublik Deutschland so viel Unrecht angetan wurde, eine Show zu veranstalten und zu sagen: Die anderen Parteien im Parlament wollen Ihnen zu wenig Geld geben, weil sie Ihnen nicht mehr gönnen. - Sie sollten sich wirklich schämen! Sie sollten sich nicht hier hinstellen und solche Aussagen treffen. ({0}) Der zweite Grund, weswegen Sie diesem Antrag nicht zustimmen, ist - geben Sie es doch zu! -, weil in unserem Antrag steht, dass die Unterbringung in Heimen der DDR, in einem diktatorischen System, immer die Unterordnung unter das sozialistische System zum Ziel hatte. Das ist ein weiterer Grund, warum Sie sich herausmogeln und sagen, Sie wollen dem Antrag nicht zustimmen. ({1}) Wir haben nämlich interfraktionell klar festgestellt: Die Heimunterbringung in der DDR hatte immer die Unterordnung des Charakters unter die sozialistische Diktatur zum Ziel. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Winkler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wunderlich?

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Winkler, vielleicht können Sie sich daran erinnern, dass wir in der interfraktionellen Arbeitsgruppe gemeinsam an den von Ihnen gerade erwähnten Begriffen gearbeitet haben und dass die Linke insoweit einverstanden war. Im Übrigen sprechen wir heute nicht über die Heimkinder in der DDR; dazu werden wir noch genügend Argumente hören. Das ist nicht Gegenstand des Antrags. Es geht hier um die Heimkinder aus dem Westen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist doch gar nicht wahr.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir wissen, dass in der DDR auch Schlimmes passiert ist.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sage nur: Beschlussempfehlung.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann haben Sie Ihren eigenen Antrag nicht richtig gelesen. ({0}) Das muss aber noch aufgearbeitet werden. Ein entsprechendes Gesetz soll auf den Weg gebracht werden. Hier ist noch Forschung notwendig. Das haben wir allesamt übereinstimmend festgestellt. Um auf die Anhörung zurückzukommen: Wenn Sie hier schon aus der Anhörung zitieren, können Sie sich vielleicht auch daran erinnern, dass die Sachverständigen von etwa 800 000 Überlebenden der Kinderheime gesprochen haben - ich finde, das ist ein ganz schlimmer Begriff - und davon ausgegangen sind, dass jedes dieser 800 000 Kinder mit dem von uns geforderten Betrag von 54 000 Euro - das ist die Obergrenze - entschädigt wird. Dies führt in der Summe zu einem Betrag von etwa 44 Milliarden Euro. Das ist natürlich Quatsch. Das ist nämlich keine pauschale, unabhängige Entschädigung. Vielmehr bemisst sie sich nach dem persönlich erlittenen Leid. Die Zahlen im Hinblick auf die Antragsteller, die Sie zugrunde legen, liegen darunter; auch das muss man feststellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss der Frage.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Geht man von einem Mittelwert, nämlich von 27 000 Euro, aus, kommt man auf einen Betrag von etwa 2 Milliarden Euro. Insofern: Rechnen - ich hatte MatheLeistungskurs - kann ich.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich nehme das mal als Zwischenbemerkung, auf die ich gerne eingehe. Ich will gar nicht abstreiten, dass es Mitglieder Ihrer Fraktion gibt, die diesen interfraktionellen Antrag hätten unterstützen können. Aber ich bezweifle wirklich ernsthaft, dass Sie es jemals geschafft hätten, Ihre Fraktion hinter diesem Antrag zu versammeln, völlig unabhängig von den Summen. Der Grund dafür ist, dass wir uns auch mit der DDR beschäftigt und gesagt haben: Auch für das, was dort geschehen ist, muss eine Entschädigung erfolgen, nicht in diesem Sachzusammenhang, sondern separat und mit eigenen Mitteln. Daran wird sich der Bund mit einem Drittel beteiligen. - Dafür hätten Sie keine Mehrheit gefunden das war jedenfalls meine Überzeugung -, weil die Formulierung so ist, wie sie ist. Das ist eine Prognose. ({0}) Sie mag falsch sein; das ist schließlich ein „hätte, wäre, könnte“. Aber das ist, wie gesagt, meine Vermutung. Sie können sie nicht widerlegen. Die Fakten sprechen dagegen. ({1}) Jetzt muss ich mich der anderen Seite des Hauses zuwenden; ich bin nämlich der Auffassung, über die Linke wurde genug gesprochen. Ich möchte die Entscheidung des Haushaltsausschusses ansprechen. Weil bei diesem Thema eben ein bisschen Heiterkeit herrschte, muss ich sagen: Ich finde, vom Stil her war es schlecht. In dem langen Prozess, der sich, zumindest was den Bundestag betrifft, über sechs Jahre hingezogen hat, haben wir immer darauf geachtet, dass wir interfraktionell vorgehen; zunächst war die Linke ja gar nicht im Parlament vertreten. Dies war das erste Mal, dass die beiden Regierungsfraktionen in diesem Prozess im Haushaltsausschuss an14026 ders als die Oppositionsfraktionen abgestimmt haben. Das halte ich einfach für ein schlechtes Signal. Von allem, was Frau Rupprecht gesagt hat, will ich hoffen, dass es nicht eintritt. Ich bitte Sie, das noch einmal zu bedenken, es mit Ihren Haushältern zu besprechen und dann zu anderen Empfehlungen zu kommen. Das ist wirklich keine Petitesse. Für uns ist es jedenfalls sehr wichtig. ({2}) Frau Kollegin Rupprecht spricht hier auch nicht nur für ihre Fraktion, sondern ebenfalls für meine. Wir tragen das so nicht mit, wie es in dieser Fassung im Haushaltsausschuss beschlossen worden ist. ({3}) - Wir hörten, wie es beschlossen worden sein soll. Deshalb sage ich: Die Empfehlungen des Runden Tisches müssen jetzt umgesetzt werden. Auch die Landesparlamente müssen die Empfehlungen umsetzen und ein glaubwürdiges Signal an die Heimkinder aussenden, dass es zeitnah losgehen kann - am besten zum 1. Januar des nächsten Jahres. Ich hoffe, dass wir uns dann auch hier in dieser Gemeinsamkeit wiederfinden. Herzlichen Dank, Herr Präsident, für die Geduld, und Ihnen allen noch einen schönen Abend. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Manfred Kolbe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute Abend einen Antrag der vier Fraktionen, bei dem es darum geht, wie wir Opfern von Unrecht und Misshandlung in West- und Ostdeutschland wirksam helfen können. Herr Wunderlich, Sie haben schlicht und ergreifend unrecht und haben unseren Antrag nicht gelesen. Es geht heute nicht nur um die Heime West. ({0}) Wir sind hier weiter als der Runde Tisch. Wir handeln gesamtdeutsch. Wir behandeln hier im Deutschen Bundestag die Problematik Ost und West. Darum geht es heute Abend. An dieser Stelle wäre es angemessen gewesen, dass Sie, statt nur große Forderungen zu stellen - 54 000 Euro pro Heimkind usw. -, auch einmal ein Wort zu den Zuständen in der ehemaligen DDR gesagt hätten. Dabei waren Sie natürlich persönlich nicht involviert. Als Abgeordneter der Nachfolgepartei der SED hätten Sie aber schon ein Wort der Entschuldigung hervorbringen können. ({1}) Dazu haben Sie aber nichts gesagt. Das ist auch bezeichnend. ({2}) Wir haben den Runden Tisch gehabt, der unter Vorsitz von Frau Dr. Antje Vollmer wertvolle Arbeit zur Aufklärung der Heimerziehung West geleistet hat. Kollege Norbert Geis hat dazu bereits Ausführungen gemacht. Hier ist Unrecht geschehen. Dieses Unrecht muss entschädigt werden. Dazu wird ein Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro aufgelegt, der drittelparitätisch vom Bund, den Ländern und den Kirchen getragen wird. Ich sage als Berichterstatter für den Osten, dass dieser Fonds alleine für die Heimkinder West gedacht ist, Frau Rupprecht. Wir haben von Anfang an niemals darauf abgezielt, diesen Fonds auch für den Osten zu nutzen. Das gäbe auch keinen Sinn, weil zum Beispiel die Kirchen nicht Träger von Kinderheimen im Osten waren, sich aber natürlich an diesem Fonds beteiligen. Wir haben von Anfang an einen zusätzlichen, eigenständigen Fonds für den Osten gefordert. Genauso, wie wir diesen Fonds für den Westen respektieren, haben wir aber immer gesagt: Wir brauchen zeitgleich auch eine Lösung für den Osten. Es kann nicht bei der Situation des Runden Tisches bleiben, wo nur die Situation West erörtert und entschädigt wird und die Heimkinder Ost außen vor bleiben. Wir brauchen zeitgleich auch eine Lösung für die Heimkinder Ost, die mindestens gleiches Unrecht erlitten haben wie die Heimkinder West. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Worte zur DDR-Heimerziehung sagen. Die DDR-Heimerziehung war zentralistisch organisiert. Oberstes Organ war das Ministerium für Volksbildung, seit 1963 unter Leitung von Margot Honecker. Es ist kein Zufall, dass der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau, die schlimmste Einrichtung dieses Systems, 1964 unter ihrer Leitung eingerichtet wurde. Es gab 474 Heime, Spezialheime, 32 Jugendwerkhöfe und als zentrale Einrichtung den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Die Heimerziehung war auch in der ehemaligen DDR vielschichtig. Ich kenne ehemalige Heimkinder, die von einer fürsorglichen Erziehung sprechen und dort gerne gelebt haben. Ich kenne aber auch Heimkinder, die am liebsten Selbstmord begangen hätten, um dort nicht weiter leben zu müssen. Auch die Heimeinweisungen waren vielschichtig: Sie erfolgten bei wiederholtem und grobem Verstoß gegen die gesellschaftlichen Normen. Das reichte von Arbeitsverweigerung und Schulverweigerung bis hin zu politischen Gründen, ({3}) wenn die Eltern etwa versuchte Republikflucht begangen hatten oder wenn sich die Jugendlichen nicht den sozialistischen Normen unterwarfen, indem sie etwa eine andere Haartracht oder westlich anmutende Kleidung trugen. Im Zentrum der DDR-Heimerziehung stand die Erziehung zu sozialistischen Persönlichkeiten. Der war alles untergeordnet. Ich zitiere Eberhard Mannschatz, den Chefideologen, der die „individualistische Gerichtetheit“ der Jugendlichen als den „Kern der psychischen Besonderheit“ Schwererziehbarer definierte. Deshalb stand im Mittelpunkt das Kollektiv, die Gruppe. Die Gruppe wurde für das Versagen Einzelner bestraft, und die Gruppe hat dann den Einzelnen bestraft. Straffe Tagesordnung, Morgenappell, Sport und Drill waren an der Tagesordnung. Die Spitze des ganzen Systems war der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau. Wer nach Ansicht der Organe in den anderen Einrichtungen noch nicht zur sozialistischen Persönlichkeit geformt worden war, kam nach Torgau und sollte dort durch eine Schocktherapie gemäß dem Motto „Wer nicht hören will, muss fühlen“ zur sozialistischen Persönlichkeit erzogen werden. Horst Kretschmar, der ehemalige Direktor, schrieb zynisch in seiner Diplomarbeit: In der Regel benötigen wir drei Tage, um die Jugendlichen auf unsere Forderungen einzustimmen. Welch Zynismus! Man kann Ost und West nur schwer vergleichen, aber zwei Dinge muss man zur Situation in der ehemaligen DDR sagen: Erstens. Die DDR war im Unterschied zur Bundesrepublik, die auch in den 50er-Jahren ein demokratischer Rechtsstaat war, wenn die Erziehungsmethoden vielleicht auch nicht den heutigen entsprachen, ({4}) ein Unrechtsstaat, in dem der Betroffene nicht einmal theoretisch die Möglichkeit hatte, Abhilfe zu suchen. Diese Möglichkeit bestand in der Bundesrepublik manchmal schon. Zweitens. Die Zustände in der ehemaligen DDR haben bis 1989 angedauert, ohne irgendeinen gesellschaftlichen Wandel wie im Westen. Es geht nicht um die Zustände West. ({5}) Die Zustände in der DDR haben bis 1989 angedauert. Gerade dieser besagte Horst Kretschmar hat bis zum bitteren Ende sein Unwesen getrieben. Er ist - das ist ein Zufall der Geschichte - in der Nacht des Mauerfalls eines natürlichen Todes verstorben, was ihn vor einem Strafverfahren gerettet hat. Dieses Unrecht wird in Torgau und in den anderen Stellen aufgearbeitet. Es gibt dort einen Verein, der verdienstvolle Arbeit leistet. So wie wir im Westen eine Entschädigungsregelung haben, so muss es auch eine Entschädigungsregelung Ost geben. ({6}) Wir brauchen einen zusätzlichen Fonds für den Osten. Die 120 Millionen Euro sind für die Heimkinder im Westen. Der Bund hat sich bereit erklärt, für den Osten ebenfalls ein Drittel zu tragen. Das zweite Drittel könnte von den Ländern im Osten und das dritte Drittel vielleicht aus dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR kommen. Das wird sich aber in den kommenden Monaten zeigen. Wichtig ist uns - das ist mein Schlusssatz -, dass wir das Unrecht in Ost und West hier gleichermaßen auf die Tagesordnung setzen und dass es zeitgleich eine Rehabilitation und Entschädigung in beiden Landesteilen Deutschlands gibt; denn wir sind mittlerweile seit 20 Jahren ein wiedervereinigtes Land, und deshalb brauchen wir eine gesamtdeutsche Lösung. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/6500. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 17/6143 mit dem Titel „Opfern von Unrecht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirksam helfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Linken mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6093 mit dem Titel „Unterstützung für Opfer der Heimerziehung - Angemessene Entschädigung für ehemalige Heimkinder umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Andrej Hunko, Dr. Diether Dehm, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU wirksam kontrollieren - Drucksache 17/5387 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({0}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es liegt der Wunsch nur einer Rednerin vor, zu spre- chen. Die anderen Reden werden zu Protokoll genom- men.1) Ich erteile daher der Kollegin Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist kein Zufall, dass das Hohe Haus ein so bedeutendes und bedeutsames Thema wie die europäische Außen- und Sicherheitspolitik wieder einmal im Schutz der Dunkelheit behandelt. Die Regierungsfraktionen, CDU/CSU und FDP, haben gemeinsam mit SPD und Grünen wirklich alles unternommen, um eine Debatte über die parlamentarische Kontrolle der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik von der Öffentlichkeit fernzuhalten. ({0}) Selbst bei der Behandlung Ihrer eigenen Anträge einigten Sie sich auf ein vereinfachtes Verfahren ohne Debatte, als ginge es hier lediglich um Bagatellen und nicht um die zukünftige Ausrichtung der deutschen Außenpolitik. ({1}) Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU bis Grüne, die so gerne von Demokratie reden, versuchen hier im Bundestag eine Tradition zu etablieren, bei der Entscheidungen über Krieg, Sanktionen, Rüstungsexporte und Auslandseinsätze als Protokolldebatten geführt werden. Das macht die Linke wie bei Ihrem klammheimlichen Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien nicht mit. ({2}) Der Kollege Spatz von der FDP-Fraktion hat es letztens auf den Punkt gebracht, wenn auch nur zu Proto- koll. Es gehe, so meinte er in seiner Protokollrede - ich zitiere -, „letztlich doch um die Perzeption elementarer Sicherheitsbedürfnisse“, bei der die Bevölkerung mitge- nommen werden solle. Ja, es gehört leider doch zu einer 1) Anlage 9 Unsitte der deutschen Außenpolitik von Joschka Fischer bis Guido Westerwelle, dass das Schüren von Ängsten und Bedrohungsszenarien die Rechtfertigung einer kriegerischen Außenpolitik herstellen sollen. ({3}) Hierin scheint auch die einzige Sorge der CDU/CSUFraktion um das, wie es der Kollege Kiesewetter sagte, „zarte Pflänzchen“ GASP, also die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik, zu liegen. Nur um diese Sorge geht es Ihnen anscheinend. Unter Kontrolle der gemeinsamen Sicherheitspolitik versteht der Kollege nicht die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, sondern eben die Durchsetzungskraft deutscher Interessen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Im Vertrag von Lissabon werden den nationalstaatlichen Parlamenten wie auch dem Europäischen Parlament parlamentarische Kontrollrechte in der EU-Außenpolitik schlicht verweigert; das wissen Sie ganz genau. Solange dieses Demokratiedefizit in den europäischen Verträgen selbst nicht beseitigt wird, fordern wir, die Linke, die Gründung einer interparlamentarischen Versammlung zur Kontrolle der GASP und auch der GSVP, ({4}) allerdings nur dann, wenn damit eine wirksame und umfassende parlamentarische Kontrolle gewährleistet wird. Dazu gehört für uns gerade auch ein Ablehnungs- bzw. ein Zustimmungsrecht zu allen Maßnahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, zu allen Missionen sowie der Verhängung von Zwangsmaßnahmen wie Sanktionen, und zwar unabhängig von den Rechten der einzelstaatlichen Parlamente und auch unabhängig von den Rechten des Europäischen Parlaments. Eine solche Versammlung muss auch Stellungnahmen vom Europäischen Auswärtigen Dienst, von der Kommission und auch vom Rat erbitten können. Für uns ist weiterhin zentral, dass die Vertretung von kleineren Fraktionen in dieser Versammlung sichergestellt werden muss. ({5}) Wir schlagen deshalb vor, dass sich die Zusammensetzung dieser interparlamentarischen Versammlung nach dem Vorbild der Parlamentarischen Versammlung des Europarates richtet. ({6}) Wieder einmal - ich komme zum Schluss - will allein die Linke eine echte parlamentarische Kontrolle. Sie steht damit leider im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen, die es vorziehen, hier mit Placebos zu arbeiten. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag, weil auch Sie als Parlamentarierinnen und Parlamentarier sich nicht weiter entmachten lassen sollten. Die Entscheidung über Krieg und Frieden ({7}) Sevim Daðdelen wie auch die Entscheidung über Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien darf keine Entscheidung eines geheimen Kabinetts mehr sein. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5387 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan- den? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Wir haben jetzt noch eine große Zahl von Tagesord- nungspunkten, bei denen die Reden zu Protokoll gege- ben worden sind. Ich bitte Sie, mich dabei noch zu be- gleiten. Ich werde so schnell machen, wie ich reden kann. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:1) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung - Drucksachen 17/5334, 17/5388 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christine Lambrecht, Sonja Steffen, Dr. Peter Danckert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung ({0}) - Drucksache 17/4431 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Jerzy Montag, Volker Beck ({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung - Drucksache 17/5363 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 17/6406 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak Sonja Steffen Mechthild Dyckmans Jens Petermann Ingrid Hönlinger Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 17/6406, den Gesetzentwurf 1) Anlage 11 der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/5334 und 17/5388 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen- stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Lin- ken angenommen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung der Zivilprozessordnung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 17/6406, den Gesetzent- wurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4431 ab- zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des § 522 der Zi- vilprozessordnung. Der Rechtsausschuss empfiehlt un- ter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6406, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 17/5363 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthal- tungen? - Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt. Auch hier entfällt die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:2) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kai Gehring, Dr. Harald Terpe, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Effektivierung des Jugendschutzes - Drucksachen 17/3725, 17/5868 - Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag auf Drucksache 17/6451. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung von SPD und Grü- nen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und auf:3) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten 2) Anlage 10 3) Anlage 12 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 4. August 1963 zur Errichtung der Afrikanischen Entwicklungsbank - Drucksache 17/6062 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}) - Drucksache 17/6395 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Selle Joachim Günther ({4}) Ute Koczy b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 29. November 1972 über die Errichtung des Afrikanischen Entwicklungsfonds - Drucksache 17/6063 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({5}) - Drucksache 17/6396 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Selle Joachim Günther ({6}) Ute Koczy Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6395, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/6062 in der Ausschussfassung anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei- chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- tionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/6396, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/6063 in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist in der zweiten Bera- tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz- entwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:1) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex - Drucksache 17/6053 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex - Drucksache 17/5470 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7}) - Drucksache 17/6497 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({8}) Josef Philip Winkler Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/6497, die Gesetzentwürfe der Bundesregierung auf Drucksache 17/6053 sowie der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf Drucksache 17/5470 zusammen- zuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen gegen die Oppositionsfraktionen angenom- men. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:2) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Tack, 1) Anlage 14 2) Anlage 13 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Wilhelm Priesmeier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klonen von Tieren zur Lebensmittelproduk- tion verbieten - Drucksachen 17/5485, 17/5893 - Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Kerstin Tack Dr. Kirsten Tackmann Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5893, den Antrag der Fraktion der SPD auf Druck- sache 17/5485 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und b auf:1) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({10}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Erika Steinbach, Arnold Vaatz, Ute Granold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Pascal Kober, Serkan Tören, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Situation der Sinti und Roma in Europa verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Graf ({11}), Kerstin Griese, Rüdiger Veit, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Integration der Sinti und Roma in Europa verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Renate Künast, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für die Umsetzung der Gleichstellung von Sinti und Roma in Deutschland und Europa - Drucksachen 17/5767, 17/6090, 17/5191, 17/6446 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Steinbach Angelika Graf ({12}) Annette Groth Volker Beck ({13}) 1) Anlage 16 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({14}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE In historischer Verantwortung - Für ein Bleiberecht der Roma aus dem Kosovo - zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({15}), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Zwangsrückführungen von Minderheitenangehörigen in das Kosovo - Drucksachen 17/784, 17/1569, 17/3735 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({16}) Josef Philip Winkler Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 17/6446. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/5767 mit dem Titel „Situation der Sinti und Roma in Europa verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen die Oppositions- fraktionen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck- sache 17/6090 mit dem Titel „Die Integration der Sinti und Roma in Europa verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der SPD und Enthaltung der Linken und der Grünen angenom- men. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5191 mit dem Titel „Für die Umsetzung der Gleich- stellung von Sinti und Roma in Deutschland und Eu- ropa“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen gegen die Linken und die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion. Tagesordnungspunkt 25 b. Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 17/3735. Der Aus- schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/784 mit dem Titel „In histori- scher Verantwortung - Für ein Bleiberecht der Roma aus dem Kosovo“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von SPD und Grünen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/1569 mit dem Titel „Keine Zwangsrückführungen von Minderheitenangehörigen in das Kosovo“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen bei Gegenstimmen von Linken und Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:1) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Elke Ferner, Monika Lazar, Cornelia Möhring und weiterer Abgeordneter Erweiterung der Anzahl der Sachverständigen in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ - Drucksachen 17/5885, 17/6435 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Michael Hartmann ({18}) Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({19}) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6435, den Antrag der Abgeordneten Elke Ferner, Monika Lazar, Cornelia Möhring und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 17/5885 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 27:2) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP zu der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit ({20}) Nr. 2009/138 ({21}) sowie zum Entwurf einer Richt- linie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2003/71/ EG und 2009/138/EG im Hinblick auf die Be- 1) Anlage 15 2) Anlage 17 fugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge und der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ({22}) hier: Stellungnahme nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Für eine harmonisierte europäische Versicherungsaufsicht unter Wahrung bewährter Aufsichtsinstrumente zur Risikovorsorge in Deutschland - Drucksache 17/6456 Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/6456. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von SPD und Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute öffentlich geförderte Beschäftigung Eine Alternative zu Langzeiterwerbslosigkeit und Ein-Euro-Jobs - Drucksachen 17/1397, 17/5448 Berichterstattung: Abgeordneter Pascal Kober

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Arbeitslosigkeit sinkt deutlich unter 3 Millionen, die Zahl der Jobs geht auf neue Rekordstände zu. Die umsichtige und kluge Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik der Union trägt gute Früchte. Im internationalen Vergleich steht Deutschland sehr gut da - es wird sogar vom „German Wunder“ gesprochen. Die Linken aber ignorieren diese guten Entwicklungen und üben sich weiterhin in Larmoyanz. Die Linke spricht von der „Geißel einer hohen Langzeitarbeitslosigkeit“. Es ist zwar richtig: Jeder Erwerbslose ist einer zu viel - und das nicht nur aus pekuniären Gründen, sondern weil Erwerbstätigkeit auch ein Türöffner ist für soziale und gesellschaftliche Teilhabe. Sicher, wir müssen besonderes Augenmerk darauf legen, dass auch Langzeitarbeitslose und weniger Qualifizierte zügig den Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt finden. Dennoch halte ich es für erwähnenswert, dass sich die Zahl der Langzeiterwerbslosen unter der Regierung Merkel von durchschnittlich über 1,8 Millionen im Jahr 2005 auf knapp über 1 Million im Jahr 2010 erheblich verringert hat. Das ist eine beachtliche Entwicklung. Ebenso wenig kann ich den Klageruf der Linken nachvollziehen, die soziale Absicherung verschlechtere sich. Seit Gründung der BRD haben wir einen stets steigenden Sozialhaushalt, der eine politisch gewollte, effektive soziale Absicherung möglichst breiter gesellschaftlicher Schichten widerspiegelt. So sind im Jahr 2010 mit 153 Milliarden Euro fast die Hälfte der gesamten Bundesausgaben auf den Arbeits- und Sozialbereich entfallen. Das ist Rekord und widerspricht dem Bild der Linken einer allgemeinen sozialen Kälte in unserem Land. Ebenso haltlos ist die Unterstellung, die öffentlichen Investitionen seien gedrosselt worden. Gerade im Rahmen der Konjunkturpakete I und II sind die öffentlichen Investitionen massiv erhöht worden. Hierbei haben wir - auch in Zusammenarbeit mit den Ländern - vor allem die Forschung und Entwicklung des Mittelstandes gefördert und in nachhaltige Mobilitäts- und Infrastrukturprojekte investiert. Insgesamt belaufen sich die zusätzlichen wachstumspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung auf rund 100 Milliarden Euro. Wer hier von einer Drosselung spricht, hat jedweden Sinn für Maß und Mitte verloren. Noch mehr irritiert hat mich die Aussage der Linken, das Land Berlin sei beispielhaft, was die strategische Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit angeht. Möglicherweise haben die Antragschreiber die Diagramme verkehrt herum gehalten, aber die Zahlen sprechen eine ganz eindeutige Sprache: Berlin verkörpert mitnichten ein Jobwunder. Die Erwerbslosenquote entwickelt sich zwar analog zum Bundesdurchschnitt und damit positiv, allerdings auf fast doppelt so hohem Niveau. Einen überdurchschnittlichen Abbau der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Bundestrend ist hier beim besten Willen nicht erkennbar. Daher erschließt sich mir Berlin bei der Entwicklung der Arbeitslosigkeit nicht zwingend als ein Musterland. Nun fordern die Linken die Schaffung von 500 000 öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnissen. Dieser Bedarf erschließt sich mir nicht. Auch mein geschätzter Kollege Mierscheid, der in seiner Funktion als Vorsitzender des Kleintiervereins Morbach vehement für eine Ausweitung der öffentlich geförderten Beschäftigung gestritten hat, bezeichnete die Forderung der Linken als nicht praktikabel. Eine solche Zahl würde auch der Luftkurort Morbach nicht bewältigen können. Öffentlich geförderte Beschäftigung kann ein sinn- und wirkungsvolles Arbeitsmarktinstrument sein, aber die Evaluationen des IAB zeigen, dass dieses seine Wirkung nur dann entfaltet, wenn es auch gezielt eingesetzt wird. Eine breite und willkürliche Streuung dieser Maßnahme lehnen wir daher ab. Nicht zuletzt würde eine massenhafte Anwendung dieses Instrumentes auch unterstellen, dass Erwerbslose kongruente Problemlagen hätten. Dies ist nicht der Fall. Gerade Langzeitarbeitslose weisen multiple Problemlagen auf, weshalb wir auch einen breiten Kasten arbeitsmarktpolitischer Instrumente bereithalten. Diese Instrumente wird die Bundesregierung nun mit ihrem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt schärfen. Der Gesetzentwurf wurde am 1. Juli 2011 in erster Lesung im Deutschen Bundestag beraten. Erst nach der Sommerpause wird die weitere Behandlung im Ausschuss Arbeit und Soziales mit einer Anhörung Anfang September fortgesetzt. Die zweite und dritte Lesung ist für den 22. September geplant. Dieser Zeitplan dokumentiert, dass die parlamentarische Diskussion gerade erst beginnt. Uns haben zahlreiche Stellungnahmen von Verbänden und Institutionen erreicht. Zwischenzeitlich wurden im vorliegenden Regierungsentwurf bereits einige Änderungsvorschläge aufgenommen. So wurden die kritisierten Kriterien der Zusätzlichkeit, des öffentlichen Interesses, der Wettbewerbsneutralität teilweise bereits aufgegeben zugunsten einer anderen Regelung. Wir werden auch weitere Vorschläge anhand der Zielsetzung des Gesetzesvorhabens prüfen, wo noch Handlungsbedarf besteht. In allen Debatten hat für uns die Integration der Menschen in den ersten Arbeitsmarkt oberste Priorität. Ich meine, dass die vorliegende Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente eine gute Basis bietet, um die Integration auf den Arbeitsmarkt zu beschleunigen und zu verbessern. Sie ermöglicht mehr Flexibilität und Effizienz. Sie schafft mehr Entscheidungsfreiheit vor Ort. Die Notwendigkeit der Reform ergibt sich nicht in erster Linie aus Sparzwängen, sondern auch aus der Auswertung der Evaluation zu den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten. Denn die Prüfung hat ergeben, dass bislang nicht alle vorhandenen Arbeitsmarktinstrumente den gewünschten Erfolg hatten, ebenso wie eine willkürliche Streuung bestimmter Maßnahmen - wie dies die Linken fordern - nicht zielführend ist.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Befristete Beschäftigungsgelegenheiten im Rahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ABM, und Arbeitsgelegenheiten. Die vorrangige Zielsetzung von öffentlich geförderter Beschäftigung waren die Heranführung von Langzeitarbeitslosen an den allgemeinen Arbeitsmarkt und die Entlastung des Arbeitsmarktes. Sie diente insbesondere dazu, einerseits die „soziale“ Integration zu fördern als auch die Beschäftigungsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen und damit die Chance zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen. So weit die Theorie - die jahrelange Praxis sieht aber völlig anders aus. ABM-Maßnahmen haben sich über die Jahre nicht bewährt. Die Kosten waren gigantisch, die positiven Auswirkungen sehr gering mit der Folge, dass die Bedeutung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen immer weiter abgenommen hat. Deshalb ist es folgerichtig, dass wir in unserem jetzigen Gesetzentwurf auf die ABM-Maßnahmen verzichten. Trotz der negativen Erfahrungen in der Vergangenheit fordert die Linke öffentlich geförderte Beschäftigung, einen zweiten Arbeitsmarkt, immer nach dem Motto: Der Staat muss es richten, der Staat ist für alles zuständig. Ja sehen Sie denn nicht, dass viele durch die Zu Protokoll gegebene Reden Einbindung in diesen Scheinmarkt mit ihrer Situation zufrieden sind, sich in dieser Scheinarbeitswelt einrichten und nicht wirklich nach Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt suchen, quasi im Bereich der ABM-Maßnahmen eine Dauerposition beziehen? Mit Recht weisen Sie darauf hin, dass wir die Langzeitarbeitslosen nicht aus den Augen verlieren dürfen. Wir haben sie im Blick. In unserem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt haben wir viele Instrumente, die zu einer drastischen Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit führen werden. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist: Im Rahmen einer Aktivierungs- und Vermittlungsoffensive mit innovativer Förderung werden gezielt die Beschäftigungschancen wichtiger Zielgruppen erhöht. Insbesondere junge Menschen, Alleinerziehende und ältere Leistungsempfänger sollen dauerhaft aus der Hilfebedürftigkeit geführt werden. Auch Fachkräftemangel und demografischer Wandel fordern, dass wir diese Bemühungen intensivieren. Die Reform findet einerseits in Zeiten der Haushaltskonsolidierung statt, anderseits aber auch in dem überaus freundlichen Umfeld des Arbeitsmarktes. In einigen Regionen haben wir bereits Vollbeschäftigung, DonauRies. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt, und zwar in diesem Monat schon deutlich unter die 3-Millionen-Grenze. Nicht nur an Fachkräften mangelt es, sondern zum Beispiel im Bereich der Pflege, auf dem Bau werden auch weniger Qualifizierte sowie Auszubildende dringend gesucht. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Bestand Langzeitarbeitsloser nahezu halbiert. Wir haben heute über 250 000 weniger Langzeitarbeitslose als vor der Krise. Im Fokus der Reform stehen folgende Schwerpunkte: Höhere Qualität von Beratung und Vermittlung. Künftig soll dezentral vor Ort flexibler und passgenau im Hinblick auf die jeweilige Situation der Menschen entschieden werden, welches das richtige Instrument ist. Die Eingliederungsmittel werden den Arbeitsagenturen und Jobcentern pauschal zur Verfügung gestellt. Es liegt am Entscheider vor Ort, wie die Mittel eingesetzt werden. Eine Qualifizierungsinitiative soll das Personal in die Lage versetzen, Arbeitsuchende noch effizienter und passgenauer in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Die Jobcenter und Optionskommunen müssen künftig aber auch verstärkt Rechenschaft ablegen. Mehr Effizienz. Um vor Ort freieres Arbeiten zu ermöglichen, wird die unübersichtliche Anzahl der Instrumente um ein Viertel reduziert und einfacher geregelt, ohne die Handlungsmöglichkeiten der aktiven Arbeitsmarktpolitik einzuschränken, weil nur Instrumente mit geringer Bedeutung wegfallen. Fördern und Fordern junger Menschen. Es wird eine Aktivierungs- und Vermittlungsoffensive zur verstärkten Betreuung junger Menschen in den Grundsicherungsstellen gestartet. Ausbildungsreife junge Menschen sollen unmittelbar den Weg in die Berufsausbildung finden. So bietet die jeweilige Grundsicherungsstelle jedem Arbeitslosen unter 25 Jahren innerhalb von sechs Wochen einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz oder eine Arbeitsgelegenheit an. Neue Perspektiven für Alleinerziehende. Vorrang soll künftig die Betreuung und Vermittlung von Alleinerziehenden haben, die den weit überproportional größten Teil der Leistungsempfänger in der Grundsicherung für Arbeitsuchende stellen und lange in der Hilfebedürftigkeit verbleiben. Um Alleinerziehende in den Arbeitsmarkt eingliedern zu können, muss unter anderem die Kinderbetreuung angemessen und passgenau geregelt sein. Neben der Betreuung in Kindertagesstätten sollen vor Ort Tagesmütterstrukturen aufgebaut werden. Mehr Chancen für Ältere - Arbeiten bis 67. Die Aktivitäten in der Arbeitsmarktpolitik zur Erhöhung der Beschäftigungschancen Älterer werden weiter ausgebaut. Zur Fachkräftesicherung gehören gerade die älteren, erfahrenen Arbeitnehmer, denen wir die Möglichkeit geben, sich weiterzuqualifizieren, wenn sie bereits einem Beruf nachgehen. Genauso sollen sich arbeitsuchende Ältere weiterbilden können, wenn das die Chance auf eine Rückkehr in reguläre Arbeit erhöht. Reduzierung der Mitnahmeeffekte. Der sogenannte Gründungszuschuss, also die finanzielle Förderung von Arbeitslosen in der Anlaufphase ihrer Unternehmensgründung, wird neu justiert, indem Mitnahmeeffekte abgebaut werden. Neuausrichtung öffentlich geförderter Beschäftigung. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ABM, im Bereich der Arbeitsförderung werden abgeschafft. Sie wurden in den vergangenen Jahren kaum noch genutzt und haben in Bezug auf die Integration in den regulären Arbeitsmarkt eine eindeutig negative Wirkung. Wir verwenden angesichts der guten Konjunktur die Steuergelder dafür, dass die Menschen schneller wieder in Arbeit kommen. Nach wie vor ist die Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt die wichtigste Brücke. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist kein fester Block, es gibt Bewegung. Wir haben Erfolge vorzuweisen. Werfen Sie Ihre rosarote Brille in den Müll, vergessen Sie Ihr dauerhaftes Gerede vom glorreichen Sozialismus, mit dem Sie schon die Wirtschaft der DDR gegen die Wand gefahren und dabei versenkt haben. Haben Sie den Mut, Ihre alten Trampelpfade zu verlassen. Haben Sie den Mut, Ihrer rückwärtsgewandten Ideologie den Rücken zu kehren, für die Menschen in unserem Land. Vergessen Sie Ihren veralteten Antrag, stimmen Sie mit uns für unseren Gesetzentwurf, damit die Anzahl der Langzeitarbeitslosen weiter sinken kann.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunehmender Fachkräftebedarf einerseits, Langzeitarbeitslose ohne Perspektive andererseits - beides Herausforderungen, auf die Arbeitsmarktpolitik Antworten finden muss. Wir denken Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zusammen und deshalb ist der soziale Arbeitsmarkt ein wichtiger Teil unserer Vollbeschäftigungsstrategie. Denn nur so können wir für Langzeitarbeitslose mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen, beispielsweise fehlende Ausbildung oder gesundheitliche Zu Protokoll gegebene Reden Probleme, würdevolle Beschäftigung ermöglichen. Durch meine jährlichen Praktika mit Langzeitarbeitslosen in meinem Wahlkreis Pforzheim/Enzkreis weiß ich, was es für sie bedeutet, wenn sie einen Arbeitsvertrag in der Hand halten. Dieses Strahlen im Gesicht und Leuchten in den Augen spricht für sich. Warme Worte, kalte Taten. Das ist, was Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen mit ihren Plänen zur Neuordnung der öffentlich geförderten Beschäftigung derzeit umsetzt. Mit warmen Worten verspricht sie, sich besonders um Langzeitarbeitslose zu kümmern. Kalt kürzt sie die Mittel für Instrumente wie den Beschäftigungszuschuss, Jobperspektive oder die Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante zusammen. Die Dauer der noch möglichen Förderung wird in ein enges Korsett gepresst, und so wird es immer wieder zu Unterbrechungen von Qualifizierungsmaßnahmen kommen. Das schafft demotivierende Förderlücken und keine dauerhafte Perspektive auf Beschäftigung und damit Teilhabe. Eigentlich wäre es die Aufgabe der Bundessozialministerin, Lobby für Langzeitarbeitslose zu sein. Doch stattdessen ist Ursula von der Leyen lieber die oberste Lobbyistin für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und kürzt und streicht, wie es ihr aus seinem Ministerium vorgegeben wird. Dies hat mit einer Arbeitsmarktpolitik, die sich an den Herausforderungen der Zeit orientiert, nichts zu tun. Diese Politik lässt Menschen am Rande stehen. Diese Politik nimmt Menschen ihre Würde. Über 200 Expertinnen und Experten, die mit Langzeitarbeitslosen arbeiten und ihnen durch Qualifizierung und Beschäftigungsangebote eine Perspektive geben, waren am 5. Juli 2011 auf Einladung der SPDBundestagsfraktion im Bundestag zu Gast. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beschäftigungs- und Weiterbildungsträger haben uns berichtet, was durch diese Kürzungspolitik vor Ort passiert. Durch die Politik Ursula von der Leyens wird ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen. Die dauerhafte Integration von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung und die dafür notwendige Qualifizierung sind kaum noch möglich. Ein Geschäftsführer hat gesagt, dass er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bereits kündigen musste. Wie sollen engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit denn helfen, wenn Sie durch die Politik von Schwarz-Gelb selbst um ihre Jobs fürchten müssen? Wir als SPD-Bundestagsfraktion stehen zum sozialen Arbeitsmarkt. Deshalb haben wir heute auch einen umfassenden Arbeitsmarktantrag eingebracht. Wir wollen die öffentlich geförderte Beschäftigung ausbauen. Dabei ist uns wichtig, dass wir uns auf eine enge Zielgruppe konzentrieren. Wir setzen auf einen Ausbau der Jobperspektive, und unsere Vorstellung eines sozialen Arbeitsmarktes folgt klaren Kriterien. Gewerkschaften und Arbeitgeber arbeiten vor Ort in sogenannten Beiräten zusammen, um die Einsatzfelder für öffentlich geförderte Beschäftigung ausfindig zu machen. Diese Zustimmungserfordernis hilft, Missbrauch zu verhindern. Die Annahme der Beschäftigungsverhältnisse ist freiwillig, sozialversicherungspflichtig und wird tariflich entlohnt. Dort, wo dies nicht möglich ist, ist eine ortsübliche Entlohnung Födervoraussetzung. Unterste Haltelinie ist der jeweils gültige Mindestlohn. Im Gegensatz zur Fraktion Die Linke und dem vorliegenden Antrag, den wir heute hier beraten, diskutieren wir unsere Arbeitsmarktpolitik nicht in der Vergangenheit, sondern unsere Arbeitsmarktpolitik orientiert sich an den Herausforderungen der Zeit. Deshalb sind wir für differenzierte Lösungen statt pauschalen Urteilen. Das trifft auch auf die Arbeitsgelegenheiten - die sogenannten 1-Euro-Jobs - zu. Die Durchführung von Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante wird auf das unumgängliche Maß beschränkt. Sie kommen nur im Ausnahmefall zum Einsatz. Wir sehen die Arbeitsgelegenheiten als Instrument, das ausschließlich dazu dient, Arbeitsuchende auf eine Beschäftigung vorzubereiten, damit beispielsweise ein strukturierter Tagesablauf wieder möglich wird. Wir picken uns nicht einzelne Instrumente heraus und leiten daraus eine fehlgeleitete Politik ab, sondern wir arbeiten konsequent daran, gute Arbeit in Deutschland im Rahmen einer Vollbeschäftigungsstrategie zu schaffen. Deshalb lehnen wir den vorliegenden Antrag ab.

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Arbeitsmarktzahlen und die konjunkturelle Entwicklung sind für uns alle Grund zur Freude. Auch die Aussichten für die kommenden Monate sind sehr positiv. Und erstmals seit der deutschen Einheit sinkt aktuell auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen, was besonders erfreulich ist. Wir wissen, dass hinter diesen Zahlen, Statistiken und Prognosen Menschen und ihre Lebensschicksale stecken. Und wir wissen um die besondere Verantwortung, die wir für diese Menschen übernehmen, wenn wir hier im Bundestag Politik machen. Die FDP hat immer darauf hingewiesen, dass eine vernünftige Wirtschaftspolitik die beste Politik für diejenigen ist, die erwerbsfähig, aber ohne Arbeit sind. Denn was hilft die beste arbeitsmarktpolitische Maßnahme, wenn keine Arbeitsplätze vorhanden sind, weil Unternehmen nicht investieren können, weil ihre Produkte keinen Abnehmer finden oder Steuern, Abgaben und Bürokratie den Unternehmen die Luft abschnüren? Darüber hinaus haben wir immer betont, dass die Voraussetzungen für eine langfristig positive wirtschaftliche Entwicklung eine gute Bildungs- und Familienpolitik sind. Deshalb haben wir zum Beispiel das Bildungs- und Teilhabepaket für benachteiligte Kinder geschaffen, damit kein Kind in seiner Entwicklung behindert ist, weil die Eltern nicht genügend Geld verdienen. Aber entscheidend für das gegenwärtige wirtschaftliche Wachstum ist auch, dass diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und weitere Maßnahmen nicht nur mit entscheidende Wachstumsimpulse, sondern auch Vertrauen für eine langfristig positive Entwicklung und damit für Investitionen geschaffen haben, was die VoraussetzunZu Protokoll gegebene Reden gen für die Schaffung von Arbeitsplätzen weiter verbessert hat. Dass Sie ausgerechnet in dieser wirtschaftlichen Konjunktur und ausgerechnet bei diesen positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt - ausdrücklich auch bei den Langzeitarbeitslosen - 500 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze fordern, mutet doch etwas eigenartig an. Ziel der aktuellen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik muss es doch jetzt sein, dass wir die Menschen wieder oder erstmals in den ersten Arbeitsmarkt integrieren. Wer in dieser konjunkturellen Lage nicht alles dafür tut, die Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, macht sich schuldig. Natürlich ist uns auch bewusst, dass es Menschen gibt, denen dies nicht so einfach gelingt. Für diese Menschen brauchen wir zielgerichtete, passgenaue, auf die individuellen Bedürfnisse und Verhältnisse abgestimmte Angebote der Arbeitsvermittlung. Es kann nicht Ziel öffentlich geförderter Beschäftigung sein, die Menschen in irgendeiner Art von Arbeit zu parken. Deshalb muss das Instrument der öffentlich geförderten Beschäftigung sehr zielgerichtet und einzelfallbezogen eingesetzt werden. Denn was auf gar keinen Fall geschehen darf, ist, dass Menschen durch Einbindungseffekte die Chance auf eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt verlieren. Studien belegen, dass, wer erst einmal dauerhaft in öffentlich geförderter Beschäftigung ist, aus dem Blick der Jobcenter leichter verschwindet, selbst weniger Eigeninitiative zeigt und es daher deutlich schwerer hat, eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Ohne öffentlich geförderte Beschäftigung geht es nicht. Aber sie darf nur sehr zielgerichtet und genau auf die Bedürfnisse der Betroffenen und ihres Arbeitsmarktumfeldes eingesetzt werden. Mit der aktuellen Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente bekennt sich diese Regierungskoalition weiterhin zum Instrument der öffentlich geförderten Beschäftigung. Unser Ziel ist dabei die Befähigung oder auch, wo es nötig ist, die Teilhabe des Individuums und nicht das pauschale Schaffen von öffentlich geförderten Arbeitsplätzen, mit denen man die Arbeitslosenzahlen schönen könnte. Dazu kommt, dass die Tätigkeiten für die Menschen sinnstiftend sein müssen und nicht sinnentleert sein dürfen. Arbeitsplätze entstehen in der sozialen Marktwirtschaft vorrangig durch unternehmerisches Handeln, nicht vorrangig durch den Staat. So ist es klar, dass wir nicht als Staat der größte Arbeitgeber sein dürfen. Die Auswirkungen einer solchen Politik, die Arbeit bezahlt, für die es keine Nachfrage am Markt gibt, etwa in Form eines überdimensionierten Staatssektors, können wir gerade in Griechenland erkennen. Und auch die Kolleginnen und Kollegen der Linken haben das da, wo sie in Regierungsverantwortung sind, erkannt. Denn das Bundesland mit dem größten Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst ist das rot-rot regierte Berlin. Unsere Politik zielt darauf ab, die Menschen zu befähigen und dort, wo es notwendig ist, auch durch öffentlich geförderte Beschäftigung teilhaben zu lassen. Das kann man aber nicht einfach durch pauschale Forderungen nach einer bestimmten Anzahl von Arbeitsplätzen, sondern allein durch individuelle und zielgerichtete Unterstützung des Einzelnen.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die derzeitigen Kürzungspläne der Bundesregierung zeigen: Der Antrag der Linken, den wir heute abschließend beraten, ist bitter nötig. Aus dem Titel geht klar hervor: Wir wollen gute öffentlich geförderte Beschäftigung einrichten als Alternative zur Langzeiterwerbslosigkeit und zu den 1-Euro-Jobs. Die Bundesregierung sagt, das sei falsch. Es müsse vielmehr darum gehen, die Menschen jetzt in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, statt sie künstlich von diesem fernzuhalten. Das hört sich gut an, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn die Bundesregierung sagt nichts dazu, warum sie bei der Weiterbildung der Erwerbslosen deutlich kürzt. Und sie sagt nichts dazu, warum trotz Aufschwung die Zahl der Langzeiterwerbslosen auf einem hohen Niveau stagniert. 886 026 Menschen sind im Juni dieses Jahres bereits länger als ein Jahr arbeitslos. Das sind nur 56 000 weniger als ein Jahr zuvor. Der Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit an der gesamten Arbeitslosigkeit steigt und liegt inzwischen bei 34 Prozent. Richtig ist: Viele Langzeiterwerbslosen könnten jederzeit einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt annehmen. Aber der Aufschwung geht an vielen vorbei. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Sie werden von vielen Arbeitgebern abgelehnt. Und die Bundesregierung verweigert notwendige Qualifikationen und Weiterbildungen. All das ist nicht hinzunehmen und die Politik ist gefordert, hier zu reagieren. Richtig ist aber auch: Es gibt eben auch eine größere Zahl von Erwerbslosen, die aus verschiedensten Gründen auf absehbare Zeit keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, sei es, weil in manchen Regionen nach wie vor Arbeitsplätze fehlen. Das trifft insbesondere auf den Osten Deutschlands zu. Hier kommen auf eine gemeldete Arbeitsstelle zwölf Arbeitslose. Zugleich hat bei nicht wenigen Menschen die lange Arbeitslosigkeit deutliche Spuren hinterlassen. Sie sind nicht von heute auf morgen vermittelbar. Hier geht es zunächst darum, sinnvolle Beschäftigungsprojekte zu fördern, um sie an den Arbeitsmarkt heranzuführen und mittelfristig in reguläre Jobs zu integrieren. Die Linke will diesen Menschen eine Perspektive bieten und fordert, gute öffentlich geförderte Beschäftigung einzurichten. Es ist tausendmal besser, mit dem Geld der Arbeitsmarktpoli t ik gesellschaftlich sinnvolle Projekte zu fördern - und damit dem Einzelnen und der Gemeinschaft zu helfen -, als die Betroffenen künstlich in der Arbeitslosigkeit zu halten oder mit Zwang in einen 1-Euro-Job zu pressen. In dem vorliegenden Antrag hat die Linke klare Eckpunkte für ein solches Konzept benannt. Wir wollen sinnvolle Beschäftigungsverhältnisse schaffen. Diese müssen freiwillig sein und existenzsichernd, am besten tariflich bezahlt. Das ist das Gegenteil der derzeitigen 1-Euro-Jobs. Wir wollen diese Beschäftigung mit Qualifizierung begleiten, denn nur so Zu Protokoll gegebene Reden wird den Betroffenen eine Perspektive geboten. Wir wollen sicherstellen, dass keine reguläre Beschäftigung verdrängt wird. Am besten ist dies durch regionale Beiräte vor Ort zu gewährleisten, die ein Vetorecht besitzen. Und wir wollen die öffentlich geförderte Beschäftigung auf eine solide finanzielle Grundlage stellen. Dafür muss es möglich sein, die verschiedenen Gelder der Arbeitsmarktpolitik zur Finanzierung solcher Beschäftigungsverhältnisse zusammenzuführen. Das ist eine Forderung, die auch immer wieder Sozialverbände erheben. Die Bundesregierung sagt: All das brauchen wir nicht. Noch schlimmer: Sie will die öffentlich geförderte Beschäftigung einstampfen. Das kündigt der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung zur sogenannten Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente an. Jenseits der 1-Euro-Jobs und gescheiterten Bürgerarbeit soll Beschäftigungsförderung nur noch eine Randgröße sein. Für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsverhältnisse sollen die Jobcenter maximal 5 Prozent ihres Etats ausgeben dürfen. Umgerechnet sind das bundesweit ab dem nächsten Jahr etwa nur noch 200 Millionen Euro. 2010 war es noch deutlich über 1 Milliarde. Das zeigt: Diese Regierung hat die Langzeiterwerbslosen abgeschrieben. Die Linke wird das nicht hinnehmen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Union und FDP verschärfen die Spaltung des Arbeitsmarktes. Die Kürzung der Mittel für die Arbeitsförderung, die Konzentration der arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf diejenigen, die eine schnelle Integration in den ersten Arbeitsmarkt erwarten lassen, und die Einschränkungen bei der öffentlich geförderten Beschäftigung stellen Langzeitarbeitslose immer weiter ins Abseits. Sie werden trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt und ausgegrenzt, und ihnen wird die Teilhabe verwehrt. In Deutschland sind derzeit trotz Aufschwungs und Fachkräftemangels nahezu 900 000 Menschen länger als ein Jahr arbeitslos. Sie brauchen dringend eine gute Förderung. Viele von ihnen könnten bei entsprechender Qualifizierung offene Stellen übernehmen und damit den Fachkräftemangel entschärfen. Daher wollen wir Grüne jetzt im Aufschwung in die Betreuung, Qualifizierung und Vermittlung Langzeitarbeitsloser investieren. Zusätzlich wollen wir aber auch für diejenigen Chancen eröffnen, die trotz guter Konjunktur in den kommenden Jahren den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen werden. Für sie fordern wir einen verlässlichen sozialen Arbeitsmarkt. Genau der rückt aber mit den arbeitsmarktpolitischen Vorgaben der Bundesregierung in weite Ferne. Die Bedingungen im Bereich geförderter Beschäftigung werden im Rahmen der Instrumentenreform von Arbeitsministerin von der Leyen so gestrickt, dass eine sinnvolle, längerfristig angelegte Integrationsstrategie für die Personengruppe der besonders Benachteiligten nicht möglich ist. Ihre Teilhabe- und Eingliederungschancen werden damit dramatisch zurückgehen. Richtig ist zwar, dass die 1-Euro-Jobs in den letzten Jahren massenhaft und teilweise über jedes Maß hinaus geschaffen wurden. Die Konsequenzen aber, die die Bundesregierung daraus zieht, wie beispielsweise die Kürzung der Trägerpauschale, sind falsch. Wir schlagen stattdessen vor, die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung darauf zu konzentrieren, Kompetenzen zu stärken, Defizite zu beseitigen und auf eine Erwerbstätigkeit vorzubereiten und dafür ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen. Das alles muss Bestandteil einer umfassenden Integrationsstrategie sein. Einer Abschaffung der Ein-Euro-Jobs, wie die Linke in ihrem Antrag fordert, stimmen wir nicht zu. Nicht als Alternative zu den 1-Euro-Jobs, sondern darüber hinaus brauchen wir einen gut ausgestalteten und vernünftig finanzierten sozialen Arbeitsmarkt. Die Rahmenbedingungen dafür haben wir mit unserem Antrag „Teilhabe und Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit einem verlässlichen Sozialen Arbeitsmarkt schaffen“ formuliert. Leistungen wie das Arbeitslosengeld II und die Kosten der Unterkunft wollen wir über einen sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer in ein Arbeitsentgelt umwandeln. Uns geht es darum, sinnstiftende Beschäftigung zu schaffen, von der die gesamte Gesellschaft profitiert und bei der die Interessen und Fähigkeiten der Arbeitssuchenden berücksichtigt werden. Und das ist etwas ganz anderes als das Modell „Bürgerarbeit“, mit dem Union und FDP einen sozialen Arbeitsmarkt nur vorgaukeln. In der Realität wird „Bürgerarbeit“ für die Gruppe von Arbeitssuchenden, die trotz aller Bemühungen auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hat, kaum Verbesserungen bringen. Mit einem Lohn von 900 Euro ist der ergänzende Arbeitslosengeld-II-Bezug für viele von ihnen vorprogrammiert. Zudem zeigen die aktuellen Zahlen, dass das Modell „Bürgerarbeit“ ein Flop ist: Die Zahl der bewilligten Plätze bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, und das liegt nicht daran, dass es keines sozialen Arbeitsmarkts bedürfte, sondern an den hohen Hürden. All dies zeigt: Wir brauchen sowohl mehr und bessere Qualifizierungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose als auch gute öffentlich geförderte Beschäftigung inklusive eines sozialen Arbeitsmarktes. Nur dann haben Arbeitsuchende eine echte Chance auf Teilhabe an Arbeit. Und genau darum geht es.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5448, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1397 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPDFraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 1272/2008 und zur Anpassung des Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Chemikaliengesetzes und anderer Gesetze im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon - Drucksache 17/6054 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) - Drucksache 17/6463 Berichterstattung: Abgeordneter Ingbert Liebing Judith Skudelny Dorothea Steiner

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Heute beraten wir abschließend über das CLPAnpassungsgesetz. CLP steht für „Classification, Labelling, Packaging“. Der uns vorliegende CLP-Gesetzentwurf regelt die Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Chemikalien neu. Die Neureglung geht auf Beschlüsse der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro zurück. Auf dieser für die Belange des Umweltschutzes so wichtigen Konferenz wurden auch Vorgaben für ein weltweit abgestimmtes System der Einstufung und Kennzeichnung gemacht. Zwecks schrittweiser Einführung dieses neuen Systems verabschiedete die EU im Dezember 2008 die europäische CLP-Verordnung ({0}) Nr. 1272/2008. Ab dem 1. Juni 2015 wird Europa vollständig auf das System der CLP-Verordnung umgestellt haben. Die EU-Verordnung gilt in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar und bedarf keiner gesonderten Umsetzung in deutsches Recht. Um in Deutschland jedoch einen reibungslosen CLP-Vollzug sicherzustellen, ist es notwendig, das deutsche Chemikalienrecht an die EU-Vorgaben anzupassen. Beispielsweise müssen die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für einen Übergangszeitraum geschaffen werden: Innerhalb einer Übergangsphase bis zum Jahr 2015 sollen das bisherige deutsche Recht und das neue EU-UN-System parallel nebeneinander bestehen bleiben. Darüber hinaus müssen die Zuständigkeiten der Behörden festgestellt werden. Hier werden aus der Verordnung erwachsene Aufgaben zum Beispiel der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ({1}) zugewiesen. Nicht zuletzt werden überflüssig gewordene nationale Vorschriften gestrichen und terminologisch angepasst. Beispielsweise wird das Wort „Zubereitung“ durch das Wort „Gemisch“ ersetzt. Wie aber lauten die wesentlichen inhaltlichen Änderungen, die durch die Umsetzung der EU-CLP-Verordnung in deutschem Recht vorgenommen werden? Im Vergleich zum bisherigen Recht führt die CLP-Verordnung insbesondere neue Einstufungsvorschriften ein. Durch diese werden die Einzelheiten des Begriffs der chemikalienrechtlichen Gefährlichkeit und der zugrunde liegenden Gefährlichkeitsmerkmale geändert. Statt der bisherigen Zuordnung zu Gefährlichkeitsmerkmalen erfolgt die Einstufung gefährlicher Stoffe und Gemische nun in Gefahrenklassen. Diese werden durch neue Gefahrenkategorien innerhalb der Klassen weiter abgestuft. Die Kennzeichnungssymbole und sonstige Kennzeichnungsbestandteile wurden grundlegend neugestaltet. Das bedeutet, dass die bisher bekannten orangenen Vierecke zukünftig durch Symbole bestehend aus weißem Grund und roter Umrandung ersetzt werden. Die Mitteilungspflichten der Unternehmen an Behörden, wie die Giftinformationszentren, werden angepasst. Auf diese Weise wird der Schutz der Verbraucher durch eine verbesserte Notfallbehandlung erhöht. Gleichzeitig wurden Vorkehrungen getroffen, dass sich der aufgrund dieser Regelung aufseiten der Unternehmen entstehende Mehraufwand in einem angemessenen Verhältnis befindet. Aus umweltpolitischer Perspektive überzeugt dieser Gesetzentwurf, weil er dazu beiträgt, das auf der RioKonferenz von 1992 beschlossene CLP-System global effektiv durchzusetzen. Durch die Harmonisierung der Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Chemikalien auf UN-Ebene wird der gesundheitliche Verbraucherschutz zu Recht gestärkt. Auch aus wirtschaftspolitischer Sicht überzeugt dieser Gesetzentwurf; denn er garantiert Unternehmen, die am globalen Markt agieren, einheitliche Wettbewerbsbedingungen. Aus diesem Grund wurde nicht zuletzt auch eine praktikable Umsetzung des neuen Einstufungs- und Kennzeichnungssystems sichergestellt. Im Rahmen einer Übergangsphase wird den betroffenen Unternehmen bis 2015 Zeit gegeben, sich an die neuen Regeln anzupassen. Diese Übergangsphase, in der altes und neues Recht zum Teil parallel existieren, wurde transparent ausgestaltet. Dies sorgt für die nötige Rechtssicherheit. Vor dem Hintergrund dieser positiven Bewertung des uns zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurfs bitte ich um Ihre Zustimmung.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die 63. Generalversammlung der Vereinten Nationen hat das Jahr 2011 zum Internationalen Jahr der Chemie erklärt. Dieses Jahr steht unter dem Motto „Chemie unser Leben, unsere Zukunft“ und soll dazu beitragen, die Öffentlichkeit noch mehr zu sensibilisieren für die fundamentale Bedeutung der Chemie. Ein weiteres Ziel ist, die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich zu fördern. Einen wichtigen Beitrag in diesem Zusammenhang leistet das schrittweise in der Europäischen Union eingeführte neue und weltweit harmonisierte System der Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien, sowohl für die Sicherheit am Arbeitsplatz als auch für den sicheren Umgang von Verbraucherinnen und Verbrauchern mit Chemikalien. Denn mit Chemikalien kommen wir täglich in Berührung. Sie sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir benutzen sie als Waschmittel, Reiniger, Lack und Lösemittel im Haushalt, in der Freizeit oder im Beruf. Oft erleichtern sie unser Leben, oft sind sie aber auch gefährlich für die menschliche Gehttp://de.wikipedia.org/wiki/Vereinte_Nationen http://de.wikipedia.org/wiki/Vereinte_Nationen http://de.wikipedia.org/wiki/Vereinte_Nationen http://de.wikipedia.org/wiki/1992 http://de.wikipedia.org/wiki/Rio_de_Janeiro http://de.wikipedia.org/wiki/Rio_de_Janeiro sundheit und für die Umwelt. Denn viele chemische Stoffe haben unerwünschte Wirkungen auf die menschliche Gesundheit. Manche Stoffe können die Haut oder die Augen reizen, andere Allergien auslösen oder eine narkotische Wirkung haben. Auch Vergiftungen kommen leider immer wieder vor, wenn Chemikalien aus Versehen geschluckt werden. Oft sind hiervon Kinder oder Senioren betroffen. Um einen verantwortungsbewussten Umgang mit Chemikalien zu sichern, müssen wir Chemikalien erkennen und wissen, wie sie wirken. Vor dem sogenannten Inverkehrbringen unterliegen alle Chemikalien grundsätzlich der Einstufungs- und Kennzeichnungspflicht und werden hierzu einer toxikologischen Bewertung unterzogen. Werden dabei gefährliche Eigenschaften erkannt, werden die Stoffe entsprechend eingestuft. Für eine schnelle Information über die Gefährlichkeit eines Stoffes oder Gemisches müssen deren Verpackungen mit entsprechenden Gefahrenkennzeichnungen versehen werden. Dadurch sollen Mensch und Umwelt beim Umgang mit Chemikalien vor nachteiligen Auswirkungen geschützt werden. Weltweit gibt es jedoch sehr unterschiedliche Systeme zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien. Es kann daher passieren, dass ein Stoff oder Stoffgemisch in einem Land als gefährlich eingestuft und behandelt wird und in einem anderen nicht. Dies führt nicht nur beim Transport und im Handel zu Problemen, sondern auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern und im Arbeitsschutz. Auf dem Weltgipfel für Nachhaltigkeit 1992 in Rio de Janeiro wurde erstmals von den Staaten festgelegt, dass ein weltweit einheitliches System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien unter der Leitung der UN geschaffen werden soll. Das sogenannte Globally Harmonised System, GHS, wurde 2003 erstmals vorgelegt und wird seitdem alle zwei Jahre aktualisiert. Ziel des GHS ist es, erstmals ein weltweit einheitliches System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien zu schaffen. Überall, wo dieses global harmonisierte System eingeführt wird, sei es in China, Indien, den USA oder in Europa, werden Chemikalien in Zukunft nach einheitlichen Kriterien eingestuft und gekennzeichnet. Was zum Beispiel giftig oder umweltgefährlich ist, trägt dann überall das gleiche Symbol. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist dabei besonders wichtig, dass unsere hohen Schutzstandards nicht abgesenkt werden, sondern weltweit gelten. Wir alle erinnern uns an die Fälle von gefährlichem Spielzeug aus China. Deshalb müssen wir uns nicht zuletzt zum Wohl unserer Kinder für einen universellen Schutz vor gefährlichen Chemikalien starkmachen. Das GHS auf UN-Ebene ist jedoch nicht unmittelbar rechtswirksam, sondern wird erst durch die Umsetzung in den einzelnen Staaten oder Staatengemeinschaften verbindlich. Innerhalb der Europäischen Union ist das GHS mit der sogenannten CLP-Verordnung, Classification, Labelling and Packaging, am 20. Januar 2009 in Kraft getreten. Damit wurde europaweit ein neues System für die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen eingeführt. Die rechtliche Basis für das bisher gültige Einstufungs- und Kennzeichnungssystem, die Stoffrichtlinie und Zubereitungsrichtlinie, werden zum 1. Juni 2015 aufgehoben. Ziel des Gesetzes, das wir heute in abschließender Lesung beraten, ist es, das Chemikaliengesetz und weitere Gesetze an diese CLP-Verordnung anzupassen. Im Vergleich zum bisherigen europäischen Recht führt die CLP-Verordnung insbesondere neue Einstufungsvorschriften ein, die die Einzelheiten des Begriffs der chemikalienrechtlichen Gefährlichkeit und der zugrunde liegenden Gefährlichkeitsmerkmale ändern. Statt der bisherigen Zuordnung zu Gefährlichkeitsmerkmalen erfolgt die Einstufung gefährlicher Stoffe und Gemische nun in Gefahrenklassen, die durch neue Gefahrenkategorien innerhalb der Klassen weiter abgestuft werden. Die Kennzeichnungssymbole und sonstige Kennzeichnungsbestandteile wurden grundlegend neu gestaltet. Menschen reisen, Menschen beziehen Produkte aus anderen Ländern. Wir begrüßen, dass es jetzt weltweit gleiche Symbole gibt, die unabhängig von Schriftzeichen und Sprachkenntnissen von allen verstanden werden können. Es kommt jetzt darauf an, dass die Menschen aber auch vertraut werden mit den neuen Symbolen. Als unmittelbar geltendes EG-Recht bedarf die CLPVerordnung keiner Umsetzung in nationales Recht. Erforderlich ist aber eine Anpassung des nationalen Chemikalienrechts, mit der die rechtlichen Voraussetzungen für eine effektive Anwendung der Verordnung in Deutschland geschaffen, Zuständigkeiten der Behörden festgelegt und überflüssig gewordene Vorschriften aufgehoben werden. Da die Verordnung bis 2015 einen Übergangszeitraum vorsieht, in dem Teile des bisherigen Rechts teils optional, teils verpflichtend fortgeführt werden, besteht dabei die Notwendigkeit, das bisherige Recht zunächst noch transparent zu halten und so anzupassen, dass beide Systeme reibungslos nebeneinander bestehen können. Das Gesetzesvorhaben wird gleichzeitig dazu genutzt, im Chemikaliengesetz, im Wasch- und Reinigungsmittelgesetz und im Elektro- und Elektronikgerätegesetz erforderliche begriffliche Anpassungen an den Vertrag von Lissabon vorzunehmen, wie zum Beispiel die Änderung von „Europäische Gemeinschaft“ in „Europäische Union“. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, denn er ist ein weiterer Schritt hin zu einer weltweit einheitlichen und klar erkennbaren Zuordnung von Chemikalien. Wir setzen uns seit langem auf nationaler wie auf internationaler Ebene dafür ein, die Chemikaliensicherheit zu verbessern und damit die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist die wichtigste Neuerung, dass die bislang verwendeten orangefarbenen Gefahrstoffsymbole durch neue rot umrandete Gefahrenpiktogramme ersetzt werden. Das muss in der Öffentlichkeit noch mehr bekannt gemacht werden. In Bayern gab es bereits im letzten Jahr eine Wanderausstellung, die nicht nur über die neue Kennzeichnung von Chemikalien informierte, sondern Arbeitnehmern und Verbrauchern auch hilfreiche Hinweise an die Hand gab, in welchen Produkten welche Chemikalien vorkommen. Besonders für Familien waren gute Zu Protokoll gegebene Reden Tipps dabei, wie man sich selbst und seine Kinder beim Umgang mit Chemikalien schützen kann. Das allein reicht noch nicht. Deshalb würde ich es sehr begrüßen, wenn solche und ähnliche Informationsveranstaltungen verstärkt durchgeführt würden. Die eingangs genannte Intention des diesjährigen Internationalen Jahrs der Chemie könnte damit konkret umgesetzt werden.

Dr. Lutz Knopek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004074, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Anpassung des deutschen Chemikalienrechts an die 2008 verabschiedete EU-Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen und nimmt zudem die durch den Vertrag von Lissabon erforderlich gewordenen begrifflichen Veränderungen im nationalen Recht vor. Im Wesentlichen bedarf es veränderter gesetzlicher Regelungen, um während der Übergangszeit bis 2015 ein strukturiertes Nebeneinander von altem und neuem Chemikalienkennzeichnungssystem zu gewährleisten. Auch sind die Zuständigkeiten der nationalen Behörden neu zu regeln. Der Gesetzentwurf sieht hierzu vor, die Kompetenzen analog zur 2006 in Kraft getretenen REACH-Verordnung zu strukturieren. Die erneute Novellierung des deutschen Chemikalienrechts ist Teil des mit der REACH-Verordnung begonnenen und derzeit noch andauernden Umbaus des europäischen Chemikalienrechts, welches schrittweise von national umzusetzenden EU-Richtlinien in unmittelbar geltendes EU-Recht überführt wird. Für meine Fraktion verbindet sich damit die Hoffnung, insgesamt zu einem kohärenteren und effizienteren Rechtsrahmen für die Produktion, die Weiterverarbeitung und die Vermarktung von Chemikalien zu gelangen und ein adäquates Schutzniveau für Arbeitnehmer und Verbraucher im Umgang mit Chemikalien zu gewährleisten. Vor wenigen Tagen hat die Europäische Chemikalienagentur ECHA in diesem Zusammenhang den turnusmäßig vorgesehenen ersten Evaluationsbericht zur EUweiten Implementierung von REACH vorgelegt. Das Fazit der bisher gemachten Erfahrungen ist durchweg positiv. REACH funktioniert. Es funktioniert trotz kleiner Kinderkrankheiten, wie etwa den zwischenzeitlich aufgetretenen Problemen mit der REACH-IT, sehr gut, und es hat gerade erst begonnen, seine positiven Wirkungen für den Umwelt- und Gesundheitsschutz zu entfalten. Daher will ich an dieser Stelle auch davor warnen, vor der vollständigen Umsetzung und dem Inkrafttreten der einschlägigen mengenabhängigen Vorschriften über eine weitere Verschärfung des europäischen Chemikalienrechts nachzudenken. Der heute vorliegende Gesetzentwurf zeigt vielmehr, dass es in den nächsten Jahren entscheidend darauf ankommt, die zahlreichen Detailregelungen des Chemikalienrechts weiter zu optimieren und aufeinander abzustimmen. Aus den aus diesem Prozess gewonnenen Erfahrungen können dann Ansätze für eine punktuelle Weiterentwicklung des Chemikalienrechts entwickelt werden. Dies braucht aber seine Zeit und sollte nicht übereilt geschehen. Der Gesetzentwurf findet unsere uneingeschränkte Zustimmung.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ohne Chemikalien, ohne verschiedene Stoffe und Stoffgemische kommt die Menschheit nicht mehr aus, und leider haben diese gefährliche Nebenwirkungen. Egal ob sie giftig, explosiv, brennbar oder ätzend sind, ihre schädlichen Nebenwirkungen entfalten Chemikalien weltweit. Die Verordnung 1272/2008 der EG, auch CLP-Verordnung genannt, beruht auf einem UN-Vorschlag. Sie soll die Kennzeichnung von Stoffen und Gemischen regeln und weltweit erkennbar vor möglichen Gefahren warnen. Außerdem erfasst sie Meldepflichten zu gefährlichen Stoffen. Eine international angepasste Kennzeichnung begrüßt meine Fraktion, und auch die im Gesetzentwurf vorgenommene Erweiterung der Liste gefährlicher Stoffe und erweiterte Mitteilungspflichten für Hersteller und Nutzer dieser Stoffe unterstützen wir. Aber aus folgenden Gründen kann die Linke nicht zustimmen. Die Bildsymbole sollen zukünftig nur noch mit den Signalworten „Gefahr“ und „Achtung“ versehen werden. Es entfallen also die gewohnten Einstufungen, die aber durchaus der Systematik in der EU-Verordnung ähneln. Das ist ein Problem. Eine giftige Flüssigkeit wurde bisher mit einem Totenkopf markiert. Eine hautreizende Flüssigkeit hat derzeit ein Warnkreuz auf dem Etikett. Zukünftig werden beide dasselbe Warnsymbol haben, nur das kleingedruckte Wort „Gefahr“ oder „Achtung“ unterscheidet sie noch. Aber wie sollen Menschen, die nicht Deutsch lesen können, den Unterschied erkennen? In abgewandelter Form hätte die Regierung klarere Gefahrenhinweise einführen können. Das würde einige Unfälle mit Chemikalien und schwerwiegende Gesundheits- und Umweltschäden verhindern. Überall schwärmt man von Nanostoffen; das sind extrem kleine Partikel. Dummerweise besitzen die neben ihren neuen, gut nutzbaren Eigenschaften auch unerwartete, noch unbekannte gefährliche Nebenwirkungen. Diese Materialien durchdringen aufgrund ihrer geringen Abmessungen zum Beispiel Haut und Blutgefäße. Ihre im Verhältnis zur Masse größere Oberfläche verstärkt die Reaktivität mit anderen Stoffen. Mikroskopische Titanoxidpartikel verändern das Erbgut. Das in Sonnenschutzmitteln enthaltene Silber in Nanoform schädigt Wasserorganismen. Die Auswirkungen des Nanosilbers wurden erst Jahre nach Beginn der Nutzung erkannt. Ab 2012 müssen Kosmetikartikel, die Nanopartikel enthalten, gekennzeichnet werden. Dazu gehört dann auch das Nanosilber. Damit Verbraucherinnen und Verbraucher eine Chance haben, eventuellen Schäden auszuweichen, fordern wir eine Kennzeichnungspflicht für neuartige Nanostoffe. Unabhängig davon müssen natürlich bekannte Risiken, die von Nanostoffen ausgehen, mit den entsprechenden Gefahrenhinweisen dargestellt werden. Zuletzt stelle ich eine Frage an die Bundesregierung. Warum lassen Sie einige Stoffe und Gemische, welche chronisch schädigende Auswirkungen auf die GesundZu Protokoll gegebene Reden heit haben, mit dieser Richtlinie aus der Kennzeichnungspflicht herausfallen? Gerade für Arbeitnehmer, die zum Beispiel in Lackierereien solchen Stoffen täglich ausgesetzt sind, bedeutet dies, dass sie nicht mehr auf der Verpackung sehen, dass sie sich vor dem Anlagenreinigungsmittel eigentlich schützen müssten. Firmen erkennen nicht mehr, dass sie ihre Beschäftigten gefährden, und werden erhöhte Krankenstände haben. Wie wollen Sie diese Nebenwirkungen der Richtline ausschließen? Wie wollen Sie verhindern, dass Schäden durch Unkenntnis entstehen? Entscheiden Sie sich wie wir für die Variante „Lieber eine Kennzeichnung zu viel als einen Kranken mehr“. In Abwägung der positiven und negativen Auswirkungen dieser Gesetzesänderung kommen wir zur Entscheidung, dass wir uns enthalten.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Heute endlich beraten wir die notwendigen Gesetzesänderungen zur Schaffungen der rechtlichen Voraussetzungen zum effektiven Vollzug der EU-Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Chemikalien in Deutschland. Reichlich spät. Diese Verordnung wurde schon 2008 verabschiedet und trat am 20. Januar 2009 in Kraft. Da die Verordnung unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht ist, muss nun durch Gesetzesänderungen, wie der heute vorliegenden, der ordnungsgemäße Vollzug sichergestellt werden. Da fragt man sich doch: Warum braucht die Bundesregierung mehr als zwei Jahre, um eine rein technische Anpassung zur Vollzugssicherstellung einer EU-Verordnung auszuarbeiten? Und wie wurde der Vollzug eigentlich bisher sichergestellt? Dass man allein für technische Anpassung im Chemikalienrecht so lange braucht, spricht Bände. Welchen Stellenwert hat denn das Thema Chemikalienpolitik überhaupt noch bei dieser Bundesregierung und im Umweltministerium? Ich würde mich freuen, wenn die wirklichen drängenden Herausforderungen in der Chemikalienpolitik endlich auch mal hier im Hause umfassend diskutiert würden. Mit der damals heiß umkämpften REACH-Verordnung wurde das zuvor sehr mangelhafte EU-Chemikalienrecht stark verbessert. Aber heute, vier Jahre nach Inkrafttreten von REACH, ist deutlich geworden, welche gravierenden Lücken und Schwachstellen es in der Umsetzung noch immer gibt. Doch was tut die Bundesregierung auf nationaler und auf europäischer Ebene, um diese Schwachstellen zu beseitigen und einen Schutz für Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien sicherzustellen? Sonntagsreden halten! Ich will nur kurz zwei Bereiche nennen, in denen dringender Handlungsbedarf besteht: Nanomaterialien und hormonelle Schadstoffe. Der Einsatz von Nanomaterialien ist durch REACH bisher nicht erfasst. Nanoteilchen haben durch ihre Winzigkeit zum Teil völlig andere Eigenschaften als die Ursprungsstoffe; sie müssen damit als Neustoffe eine eigene Sicherheitsbewertung durchlaufen. Gerade Nanosilber, das immer häufiger in verbrauchernahen Produkten, wie Textilien, Spielzeuge und Kosmetik auftaucht, ist ein besonderes Problem. Um einen wirksamen Gesundheitsschutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sicherzustellen, wäre es am besten, Nanosilber sofort unter REACH zu registrieren. Dafür sollte sich die Bundesregierung einsetzen und, unabhängig von REACH, in Deutschland die Inverkehrbringung von verbrauchernahen Produkten mit Nanosilber verbieten. Dazu haben wir Grüne auch einen Antrag gestellt, der derzeit noch beraten wird. Wir werden versuchen, die Kollegen der anderen Fraktionen zu überzeugen, unserem Antrag zuzustimmen und so gemeinsam für den effektiven Schutz von Mensch und Umwelt vor risikoreichen Chemikalien wie Nanosilber einzutreten. Eine zweites drängendes Problem in der Chemikalienpolitik ist der mangelnde Schutz der Menschen vor hormonellen Schadstoffen. Bisher finden sich keine Stoffe auf der REACH-Kandidatenliste, die speziell aufgrund ihrer hormonellen Eigenschaften ausgewählt wurden. Dabei sind gerade diese Stoffe besonders gefährlich und können schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich ziehen. Wir begrüßen sehr, dass das Umweltbundesamt mit Octylphenol jetzt endlich einen hormonellen Schadstoff auf die Kandidatenliste setzen will. Liest man dann aber das Positionspapier einer anderen Bundesbehörde, dem Bundesinstitut für Risikobewertung, zur Definition von hormonell wirksamen Chemikalien, muss man sich fragen, wie ernst es der Bundesregierung mit dem Schutz von Mensch und Umwelt vor hormonellen Schadstoffen ist. Die in dem Papier vorgeschlagenen Definitionskriterien sind ein Rückschlag für den Gesundheitsschutz. Sie machen es in der Praxis fast unmöglich, einen Stoff als hormonellen Schadstoff zu klassifizieren und regulieren. Wir Grüne würden es begrüßen, wenn die Bundesregierung endlich einmal Vorschläge macht, wie man die Lücken in der Regulierung von hormonellen Schadstoffen und Nanomaterialien schließen kann. Dies sind die drängenden Themen der Chemiepolitik, über die wir im Parlament diskutieren müssen. Allein die Diskussion nur über verspätete rein technische Gesetzesanpassungen, die geltendes EU-Recht umsetzen, ist unzureichend.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6463, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/6054 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung der Linken und der Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Fritz Kuhn, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bürokratieabbau vorantreiben: Kleine Unternehmen von der Bilanzierungspflicht befreien - Drucksache 17/3221 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Tourismus

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bürokratieabbau oder Entbürokratisierung: Wörter, die regelmäßig in aller Munde sind. Es ist nicht nur kostbare Zeit, sondern auch jede Menge Geld, was die Bürokratie verschlingt. Ich höre die Klagen im Wahlkreis häufig; Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen sind ebenso betroffen wie die öffentliche Verwaltung selbst. So klein jeder einzelne Akteur im Wirtschaftskreislauf sein mag, so bedeutend sind sie insgesamt für die europäische Wirtschaft. Gerade Handwerker würden vom Abbau unnötiger bürokratischer Formalien profitieren. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion arbeiten daher seit geraumer Zeit für Entlastungen und gegen überzogene Bürokratie zugunsten der Kleinunternehmer aus. Auch die EU hat für sich 2007, unter deutscher Ratspräsidentschaft der unionsgeführten Bundesregierung, Handlungsbedarf an dieser Stelle gesehen. Der Aufwand für einen Jahresabschluss ist für Kleinunternehmer und kleine Betriebe beträchtlich und fällt in gehörigem Maße ins Gewicht. Ein Unternehmen, das sinnvollerweise keine Bilanz fertigen muss, soll auch keine fertigen müssen. So weit so gut. Nach einem aktuellen Vorschlag des Rates sollen das Unternehmen sein, die am Bilanzstichtag zwei von drei definierten Schwellenwerten nicht überschreiten: Eine Bilanzsumme von 250 000 Euro, einen Nettoumsatzerlös von 500 000 Euro und/ oder eine durchschnittliche Zahl von zehn Beschäftigten während des betreffenden Geschäftsjahres. Die Bundesregierung wirbt intensiv für den sogenannten Micro-Vorschlag, wie er letztlich im Änderungsvorschlag der Richtlinie 78/660/EWG Eingang fand. Ein entsprechender Vorschlag zur gewünschten kompletten Freistellung von der Bilanzierungs- bzw. Offenlegungspflicht für Kleinunternehmer wurde vom Europäischen Parlament dann 2009 mit großer Mehrheit verabschiedet. Doch Mehrheiten verschieben sich im politischen Alltag bekanntlich schnell, und so müssen wir akzeptieren, dass nicht wenige EU-Staaten den Verzicht auf die Offenlegungspflicht mittlerweile nicht mehr befürworten. Das bedauern wir sehr, denn hier liegen die größten Potenziale. Der von Deutschland nun nicht mitgetragene Kompromiss gesteht den Kleinunternehmern nur kleine Erleichterungen bei der Bilanzierung zu. Eine Befreiung von den Publizitätspflichten wurde insofern abgelehnt, als es weiterhin eine Mindestleistung bleibt, dass die Bilanz bei mindestens einer Behörde qualifiziert hinterlegt und an das Unternehmensregister übermittelt werden muss. Das geht uns nicht weit genug. Dass im Ergebnis bei den Verpflichtungen, die man in eine Bilanz zu schreiben hat, ein paar Begründungen weggelassen werden können, ist unzureichend. Das sorgt nicht für die erhoffte Entlastung. Wir werden die weitere Entwicklung aufmerksam begleiten, denn wenn es die EU mit dem Bürokratieabbau wirklich ernst meint, ist eine wesentliche Erleichterung für kleinere Betriebe nur ein Anfang. Dennoch helfen nationale Schnellschüsse hier nicht. Die werden wir weder unterstützen noch vorlegen. In der bevorstehenden zweiten Lesung des Europäischen Parlaments ist zudem noch einiges möglich. Die Chancen stehen nicht schlecht, das Blatt zugunsten der kleineren Betriebe noch einmal wenden zu können. Nach unserer Auffassung muss den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet werden, für Kleinunternehmen Bilanzierungserleichterungen zu schaffen. Aus diesem Grunde hat der Bundestag im Jahre 2009 bereits mit großer Mehrheit das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz verabschiedet, nachdem für kleinere Einzelunternehmer die Verpflichtung zur Buchführung, Stichtagsinventur und Bilanzierung nach Handelsrecht abgeschafft wurde. Allein dies hat zu einer Entlastung dieser um über 2 Milliarden Euro pro Jahr geführt. Aber: Wir haben uns schon damals aus gutem Grunde gegen eine Bilanzierungserleichterung für Personenund Kapitalgesellschaften ausgesprochen. Diese sind üblicherweise haftungsbeschränkt, weshalb es schon aus diesem Grunde gegenüber einem Einzelkaufmann, der vollumfänglich haftet, eines Mehrs an Transparenz für den Geschäftsverkehr bedarf, wollen wir nicht diese Unternehmensform diskreditieren. Der Antrag der Grünen geht genau an dieser Stelle in die falsche Richtung; auch deshalb lehnen wir ihn ab.

Ingo Egloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir befassen uns heute mit einem Antrag der Fraktion der Grünen, dessen Kernaussagen quer durch alle Fraktionen des Bundestages breite Zustimmung finden dürften. Was wollen wir? In der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Art. 54 Abs. 3 Buchstabe g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen werden die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gliederung und den Inhalt des Jahresabschlusses und den Lagebericht, die Bewertungsmethoden sowie die Offenlegung dieser Schriftstücke für sämtliche Kapitalgesellschaften koordiniert. Für kleine und mittlere Unternehmen können die Mitgliedstaaten unter anderem vorsehen, die Pflicht zur Offenlegung der Jahresabschlüsse zu lockern oder kleine Unternehmen von der Prüfung ihres Jahresabschlusses freizustellen. Seit 2009 gibt es einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates - Vorschlag vom 26. Februar 2009 - zur Änderung der Richtlinie 78/ 660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von GeIngo Egloff sellschaften bestimmter Rechtsformen im Hinblick auf Kleinstunternehmen, Drucksache KOM({0}) 83 endg. Der Vorschlag sieht vor, Kleinstunternehmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 78/660/EWG auszunehmen. Gemeint sind alle diejenigen Unternehmen, deren Bilanzsumme unter einer halben oder Nettoumsatzerlöse unter 1 Million Euro liegen und die nicht mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen. Dieser Vorschlag findet unsere Zustimmung, weil er es gestattet, bei Privatgesellschaften, Einzelselbstständigen und anderen sehr kleinen Unternehmen auf die Verpflichtung zum Jahresabschluss ganz zu verzichten und stattdessen eine einfache Gewinnermittlung vorzunehmen. Das wird Sie nicht überraschen, denn in dem von uns 2009 vorgelegten Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, BilMoG, das der Bundestag mit breiter Mehrheit verabschiedet hat, waren ähnliche Erleichterungsvorschriften für kleine und mittlere Unternehmen ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil. Bürokratie- und andere Kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro und mehr konnten durch die Maßnahmen des BilMoG bereits eingespart werden. Der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Max Stadler, hat hier im letzten Jahr auf eine Frage der Kollegin Christine Scheel geantwortet, dass „die Beratungen im Rat über den … Richtlinienvorschlag der Kommission zu Bilanzerleichterungen für Kleinstunternehmen … bislang durch die Ablehnung einiger Mitgliedstaaten blockiert worden ({1}).“ In der Zwischenzeit hat sich diese Blockade offenbar aufgelöst. Mein Eindruck ist, dass der Einigungsprozess auf europäischer Ebene gute Fortschritte gemacht hat. Das Europäische Parlament hatte bereits im März 2010 eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen. Der Vorschlag der EU-Kommission zu den neuen Bilanzrichtlinien und der Möglichkeit, kleine Körperschaften von den Verpflichtungen zu befreien und mittlere bei bestimmten Vorschriften auszunehmen, deckt sich mit unserer Auffassung von einer pragmatischen Lösung für kleine und mittlere Unternehmen in Europa. Nach den angesprochenen Widerständen bei einigen Mitgliedstaaten hat sich nun auch der Rat Wettbewerbsfähigkeit am 30. Mai für den Vorschlag der Kommission ausgesprochen. Damit ist der Weg frei für eine baldige Inkraftsetzung der Richtlinie, und ich bin ganz sicher, dass der Bundestag nicht zögern wird, diese Richtlinie unverzüglich zu ratifizieren. Die SPD-Bundestagsfraktion ist deshalb gegenüber Geist und Inhalt des Antrags der Grünen aufgeschlossen, hält aber die meisten Aspekte für bereits erfüllt oder zumindest kurz vor Vollzug. Jedenfalls sehen wir keinen Anlass zur Sorge, ob diese wirklich vernünftigen Regelungen innerhalb kürzester Frist auch für deutsche Unternehmen gelten werden - ich bin da zuversichtlich. Die ebenfalls im Antrag der Grünen enthaltene Forderung nach einer Vereinfachung der EinnahmeÜberschuss-Rechnung unterstützen wir ausdrücklich. Dies tun wir insbesondere vor dem Hintergrund, dass die früher formlos eingereichte Gewinnermittlung heute nach § 60 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung das Ausfüllen einer Anlage EÜR verlangt, die unnötig kompliziert erscheint und ohne Steuerberater für viele der betroffenen Kleinstunternehmer nicht fehlerfrei zu bewältigen ist. Wir werden darüberhinaus im Rahmen der Ausschussbefassung darauf zu achten haben, dass die zügige Umsetzung der EU-Richtlinie weiter im Fokus steht. Ein eigener Gesetzentwurf zur Befreiung der Kleinstunternehmer von den Bilanzrichtlinien, wie der Antrag der Grünen ihn hilfsweise fordert, wäre dann unnötig.

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir debattieren heute über einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Lassen Sie mich trotzdem mit einem großen Lob beginnen. Dies ist einer der ganz wenigen Anträge Ihrer Fraktion, der ausnahmsweise nicht neue Bürokratie schafft, sondern welche abbauen möchte. Sonst ist es Ihnen meist eher ein Anliegen, den Unternehmen in unserem Land immer neue Pflichten aufzuerlegen. Insofern begrüßen wir es als FDP, dass die Grünen erkennen, dass man Bürokratie abbauen und nicht ausweiten muss. Leider erkennt jeder kundige Leser sofort, dass Sie vielleicht dieses richtige Anliegen verfolgen, aber in der Sache so oberflächlich vorgehen, dass man nur zu einem Schluss kommen kann: Ein echtes Herzensanliegen kann es Ihnen wohl doch nicht gewesen sein! Das möchte ich Ihnen anhand einiger offenkundiger Mängel Ihres Antrages aufzeigen: Sie schreiben in Ihrem Antrag auf Seite 1, dass es darum gehe, Kleinstunternehmen - Zitat - „von der Pflicht, eine Bilanz zu erstellen“ - Zitat Ende - zu befreien. Das schreiben Sie sogar noch vor dem Hintergrund, dass es um Kapitalgesellschaften gehen solle. Nun, jedermann weiß, dass man Kapitalgesellschaften und seien sie noch so klein - nicht von der Pflicht befreien kann, eine Bilanz zu erstellen. Wesentliche Rechtsvorschriften im Kapitalgesellschaftsrecht setzen zwingend eine Bilanz voraus. Der Geschäftsführer einer GmbH braucht eine Bilanz, um zu wissen, ob er rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt hat oder sich nach § 15 a InsO strafbar gemacht hat. Die Gesellschafter brauchen eine Bilanz, um zu wissen, ob sie Gewinnausschüttungen vornehmen dürfen, ohne dafür mit ihrem Privatvermögen haften zu müssen. Und letztlich ist die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage bei einer Kapitalgesellschaft gar nicht anders denkbar als mit einer Bilanz. Wer die Bilanzierungspflicht für kleine Kapitalgesellschaften abschafft, muss sagen, wie man all diese Funktionen der Bilanz, auf die Geschäftsführer, Gesellschafter und auch der Staat angewiesen sind, anders erfüllen möchte. Es wäre ein großer Schritt in Richtung etwa eines gespaltenen Rechts der großen und der kleinen GmbH. Das erleichtert nichts, sondern macht es am Ende für die Beteiligten nur komplizierter. Genau das möchte auch der Entwurf für eine Änderung der Richtlinie 78/660/EWG ({0}), auf den sie sich beziehen, überhaupt nicht. Es geht gar nicht um die Abschaffung der Bilanzierungspflicht im Allgemeinen. Es geht unter anderem nur darum, ob etwa zusätzliche Bilanzierungspflichten und OffenlegungsZu Protokoll gegebene Reden pflichten, die das europäische Recht vorsieht, in den Mitgliedstaaten zwingend sein sollten oder ob man den Mitgliedstaaten hier einen Handlungsspielraum eröffnet. Da sagen auch wir, dass es sinnvoll ist, Kleinstunternehmen von den zwingenden Vorgaben des EU-Bilanzrechts zu befreien, um auf nationaler Ebene den Spielraum für Bürokratieabbau nutzen zu können, indem Erleichterungen bei der Bilanzierung und der Publizität gewährt werden. Wenn Sie das meinen, dann müssen Sie das auch schreiben. Ein weiterer offenkundiger Mangel Ihres Antrags ist, dass Sie Dinge fordern, die wir schon längst umgesetzt haben. Nehmen wir Ihre Forderung, dass man Einzelkaufleute im Rahmen bestimmter Schwellenwerte von der Bilanzierungspflicht befreien solle. Anders als bei Kapitalgesellschaften ist dies hier unschwer möglich, da aufgrund der persönlichen Haftung die bilanziellen Kontrollgrößen nicht dem Gläubigerschutz dienen. Ihre Forderung können Sie aber nicht aus dem Richtlinienentwurf ableiten, auf den Sie sich beziehen. Denn nach Art. 1 Abs. 1 soll die Richtlinie ausdrücklich nur für Kapitalgesellschaften gelten. Schließlich sind Einzelkaufleute bereits größtenteils von der Bilanzierungspflicht befreit. Das ergibt sich aus § 242 Abs. 4 HGB in Verbindung mit § 241 a HGB. Kurz und knapp lässt sich das Votum der FDP-Fraktion daher wie folgt auf den Punkt bringen: Gut gemeint ist nicht gut gemacht! Daher können wir einem Antrag, der zwar vom Grundanliegen her sympathisch, aber wegen der offenkundigen fachlichen Mängel sachlich untauglich ist, nicht zustimmen.

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen greift einen Regelungspunkt auf, der bereits in der letzten Legislaturperiode im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, BilMoG, umfassend debattiert wurde. Damals wurde mit § 241 a HGB eine Regelung eingeführt, nach der Einzelkaufleute von der Buchführungspflicht und, in der Systematik jedenfalls folgerichtig, von der Pflicht zum Jahresabschluss befreit sind, wenn ihr Handelsgewerbe gewisse Schwellenwerte unterschreitet. Bereits diese Regelung wurde von uns, aber auch der Fachwelt kritisiert. Die Beratungen zum BilMoG fanden im Schatten der durch die Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers eingeleiteten weltweiten Finanzkrise statt, die Millionen Arbeitsplätze vernichtet hat und mit deren Nachbeben wir uns auch heute noch auseinandersetzen müssen. Schon damals hatten die Ziele der Entbürokratisierung, Deregulierung und Flexibilisierung der Bilanzierungsvorschriften sowie die Anpassung an internationale Rechnungslegungsvorschriften einen faden Beigeschmack. Erst nach intensiven Beratungen wurde den tradierten Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung wieder mehr Bedeutung beigemessen. Drei Jahre später zeigt Ihr Antrag, dass die damalige, aber auch die aktuellen Krisen und deren Ursachen von Ihnen nicht verstanden worden sind. Erneut bewerten Sie die Vorgaben des HGB zur Buchführung und zur Erstellung eines Jahresabschlusses allein unter den Gesichtspunkten der vermeintlichen Unwirtschaftlichkeit und der unnötigen Bürokratie. Sie fordern daher, die unter diesen Vorschriften „leidenden“ Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften unterhalb der Schwelle von 500 000 Euro Umsatzerlös und 50 000 Euro Jahresüberschuss von der Pflicht zur Erstellung eines Jahresabschlusses zu befreien. Sie verkennen, dass diese Vorschriften in erster Linie dem Kaufmann selbst und seinen Gläubigern dienen. Nur ordnungsmäßige Buchführung und Bilanzierung versetzen den Handelsgewerbetreibenden überhaupt in die Lage, Forderungen und Verbindlichkeiten, aber auch den Status von Anlageund Umlaufvermögen zuverlässig zu bestimmen und sich jederzeit einen realistischen Gesamteindruck über den Stand seines Unternehmens zu verschaffen. Die öffentliche Anhörung zum Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, ESUG, hat deutlich gemacht, dass eine Vielzahl kleinerer Unternehmen zahlungsunfähig ist, die ihren bestehenden Pflichten zur Buchführung und zur Erstellung von Jahresabschlüssen nicht nachkommt, also gerade keinen Überblick über ihre finanzielle Situation hat. Dem leisten Sie mit Ihrem Antrag nun weiter Vorschub. Als vollkommen abstruse Lösung dafür hat Ihr Abgeordneter Jerzy Montag ja bereits in seiner Rede zum BilMoG vom 25. September 2008 gefordert, man könne und müsse den Risiken erleichterter Buchführungspflichten mit einem verbesserten Insolvenzrecht begegnen. Unabhängig von den grundlegenden Einwänden gegen Ihre Forderungen ist der Antrag auch im Detail von Widersprüchlichkeiten geprägt. Zunächst ist festzuhalten, dass bereits § 241 a HGB in der geltenden Fassung ein Fremdkörper im Handelsrecht ist. Er erlässt die Pflicht zur Buchführung für Einzelkaufleute, obwohl gerade die Notwendigkeit dazu deren Kaufmannseigenschaft überhaupt erst begründet. Nun wollen Sie eine vergleichbare Regelung für Personen- und Kapitalgesellschaften. Dass auch Sie die Konkurrenz mit § 141 AO dabei übersehen, mag man verzeihen. Allerdings verlangen Sie, dass nur die Pflicht zum Jahresabschluss entfällt. Gerade kleinere Unternehmen lassen auch die Finanzbuchhaltung durch Steuerberater durchführen. Eine nennenswerte Entlastung allein durch die Herausnahme der Jahresabschlusserstellung dürfte damit nicht eintreten. Konsequent wäre es, wenn Sie wenigstens den § 241 a HGB auf diese Gesellschaften ausdehnen wollten. Stattdessen soll aber offenbar ein weiterer Fremdkörper im Handelsrecht etabliert werden: Kaufleute, die buchführungspflichtig sind, aber keinen Jahresabschluss erstellen müssen. Auch die Begründung für diesen Vorschlag entbehrt jeglicher Logik. Sie führen Liquiditätsengpässe bei Unternehmen aufgrund restriktiver Kreditvergabe durch Banken ins Feld. Statt dieses Problem anzugehen und der unsozialen Kreditvergabepraxis der Banken durch deren Vergesellschaftung entgegenzutreten, wie wir es fordern, sollen Einsparungen für die Jahresabschlusserstellung von 2 500 Euro im Jahr die Liquiditätsprobleme lösen. Endgültig ad absurdum wird die BegrünZu Protokoll gegebene Reden dung dadurch geführt, dass Unternehmer überhaupt nur eine Chance auf einen Kredit bekommen, wenn sie solide Buchführungsunterlagen und Jahresabschlüsse vorweisen können. Ihr Antrag ist damit nicht mehr als der missglückte Versuch, wirtschaftspolitische Kompetenz zu beweisen, um die FDP als Koalitionspartner in schwarz-grünen Bündnissen ablösen zu können.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zwei Jahre schwarz-gelbe Koalition waren leider auch zwei verlorene Jahre für kleine und mittlere Unternehmen. Nichts ist passiert für den Mittelstand. Die größte Maßnahme war es da noch, als Sie vergangene Woche angekündigt haben, die Grenzwerte der Istbesteuerung zu entfristen - eine Maßnahme der Vorgängerregierung wohlgemerkt. Es reicht einfach nicht, sich immer mal wieder in Schaufensterreden über die Bedeutung des Mittelstands auszulassen. Eine konsequente Mittelstandspolitik kümmert sich auch um Details und tritt konsequent für kleine und mittlere Unternehmen ein. Beides vermisse ich bei dieser Bundesregierung. Die Befreiung von der Bilanzierungspflicht war eines der größten Projekte der EU für einen Bürokratieabbau in der Wirtschaft, eine durch und durch positive Initiative, die mehr als die verbale Unterstützung der Bundesregierung verdient hätte. Stattdessen stehen wir jetzt nach einem Beschluss des EU-Ministerrats vor einem faulen Kompromiss, der fast nichts mehr mit der ursprünglichen Idee zu tun hat. Die Befreiung von der Bilanzierungspflicht wurde vom Ministerrat leider weitestgehend gekippt. Dabei wäre eine Befreiung sehr sinnvoll gewesen: Die Bilanzierung ist für kleine Unternehmen mit hohen Kosten verbunden, die oftmals den Nutzen bei weitem übersteigen. Eine halbe Arbeitskraft allein für die Erstellung des Jahresabschlusses ist für Kleinstunternehmen eine Investition ohne Gegenwert. Die Vorteile des Mittelstands wären beträchtlich gewesen. Mit einer jährlichen Ersparnis von zwischen 1 200 und 2 500 Euro pro Unternehmen würden wichtige Mittel in den Betrieben frei. Diese zusätzlichen Mittel können dann zur Finanzierung und für Investitionen genutzt werden. Daher sollte es kleinen Unternehmen freigestellt werden, ob sie einen Jahresabschluss mit Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anlagen und Lagebericht erstellen wollen. Sollten sich kleine Unternehmen geschäftliche Vorteile von einer umfassenden Bilanzierung versprechen, stünde es ihnen selbstverständlich weiterhin frei, diese vorzulegen. Das war die Initiative, bei der Kommission und Parlament auf einer Seite standen. Auch die Bundesregierung hat sich immer wieder positiv geäußert. Aber Worten müssen auch Taten folgen. Bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene hat diese schwarz-gelbe Regierung dann aber leider auf ganzer Linie versagt. Seit mehr als zwei Jahren können Sie sich mit einem konkreten Entwurf der Kommission befassen. Der Rat kennt seit März 2010 den Standpunkt des Parlaments. Sie hatten also weit mehr als ein Jahr Zeit, eine Mehrheit für die Verabschiedung zu organisieren. Stattdessen wurde Ende Mai diesen Jahres ein sogenannter Kompromiss im Rat verabschiedet, der diese Bezeichnung jedoch nicht verdient. Nicht nur, dass die relevanten Schwellenwerte halbiert wurden. Nein, außerdem können bürokratische Entlastungen nur noch in wenigen Punkten innerhalb des Jahresabschlusses realisiert werden. Die Befreiung von der Bilanzierung fällt weg, und ein spürbarer Impuls ist für den deutschen Mittelstand daher nicht mehr zu erwarten. 70 Prozent der deutschen Unternehmen wären davon betroffen gewesen. Erklären Sie diesen Unternehmerinnen und Unternehmern, warum Sie nicht besser verhandelt haben. Wenn man sich das Votum der Bundesregierung im Rat anschaut, muss man festhalten, dass diese Bundesregierung diesen inhaltsleeren Beschluss des Rates sogar zu einer Mehrheit verholfen hat. Jetzt müssen Sie Millionen deutschen Unternehmen erläutern, warum Sie sich bei einem solch schlechten Kompromiss enthalten haben und damit einer Mehrheit den Weg bereiten. Stattdessen hätten Sie konsequenterweise gegen ein solch unbefriedigendes Verhandlungsergebnis stimmen müssen, wenn Ihnen an der Initiative etwas gelegen hätte. Eine Befreiung der Kleinstunternehmen von der Bilanzierungspflicht hätte vielen kleinen Unternehmen gut getan. Heute sind zwar schon Einzelkaufleute mit sehr niedrigen Schwellenwerten befreit. Aber es geht um eine konsequente Befreiung von der Jahresabschlusspflicht unabhängig davon, welche Rechtsform eine Unternehmerin oder ein Unternehmer gewählt haben - es geht darum, dass Einzelkaufleute, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften gleichermaßen profitieren können. Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass sich kleine Unternehmen auf ihr Geschäft konzentrieren können und sich nicht im bürokratischen Klein-Klein verstricken müssen. Das EU-Parlament wird sich hoffentlich gegen den faulen Kompromiss des Rates aussprechen, sodass es noch Chancen zur Korrektur des Ratsbeschlusses gibt. Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich diesmal für den deutschen Mittelstand ein. Hören Sie auf, Politik nur für die großen Konzerne zu machen, und kümmern Sie sich um die Belange der KMU. Mit der jetzigen Beschlusslage ist niemandem geholfen. Aber auch hier im Bundestag können Sie Farbe bekennen: Schon jetzt wäre eine Entlastung der Personengesellschaften nach den für Einzelkaufleute geltenden Grenzwerten möglich. Da müssen Sie nicht auf ein Votum anderer EU-Regierungen warten, das können Sie schon jetzt ganz allein umsetzen. Machen Sie endlich eine konsequente Politik für den Mittelstand, und reden Sie nicht nur davon.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/3221 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Demokratische Republik Kongo stabilisieren - Drucksache 17/6448 Hartwig Fischer ({0}) ({1}): Zu Beginn meiner Rede möchte ich gerne aus meiner Rede vom 1. Juni 2006 im Deutschen Bundestag zitieren, wo wir im Rahmen der UN-Operation EUFOR RD Congo über die Entsendung deutscher Soldaten zur Absicherung der damals bevorstehenden Präsidentschaftsund Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik Kongo zu entscheiden hatten: „… Wir stehen jetzt am Vorabend von Entscheidungen, die dazu beitragen können, dass ein zentraler Unruheherd in Afrika befriedet wird. … Wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einem kurzen militärischen Einsatz einem Volk die Chance zu geben, in freier Verantwortung seine Parlamentarier und seinen Präsidenten zu wählen.“ Fünf Jahre nach dieser Rede muss ich leider feststellen, dass die kongolesische Regierung unter Präsident Joseph Kabila das in sie gesetzte Vertrauen und damit die angesprochene Chance nicht genutzt hat. Wir befinden uns heute fast fünf Monate vor den geplanten Präsidentschaftswahlen in der Demokratischen Republik Kongo. Dies haben wir zum Anlass genommen, mit unserem Antrag ein Resümee der vergangenen Jahre zu ziehen und gleichzeitig einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Ich freue mich, dass dieser Antrag als interfraktioneller Antrag heute zur Debatte steht, denn dies zeigt, dass wir hier mit einer gemeinsamen Stimme sprechen. Wir stellen leider zuallererst fest, dass sich die Situation der kongolesischen Bevölkerung, gerade in den östlichen Regionen, seit Jahren nicht gebessert, ja vielerorts sogar verschlechtert hat. Misswirtschaft und Korruption sind nach wie vor an der Tagesordnung. In den letzten Tagen erreichen uns vermehrt Meldungen über die immer größere Ausbreitung einer Choleraepidemie. Die Epidemie war im März in der Stadt Kisangani ausgebrochen und hat sich seitdem immer weiter entlang des Flusses Kongo ausgebreitet. Den Angaben zufolge sind bereits 2 787 Menschen erkrankt und 153 bereits gestorben. Die nahezu ungehinderte Ausbreitung der Cholera hat vor allem folgende Gründe: hohe Bevölkerungsdichte, mangelhafte Hygienebedingungen und eingeschränkter Zugang zu sauberem Wasser. Im Jahre 2006 waren die Wahlen zu 90 Prozent von den Geberstaaten finanziert. Die kongolesische Regierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, die kommenden Wahlen mit einem hohen Eigenanteil, nämlich circa 60 Prozent, selber zu finanzieren. Allerdings ist bis heute nicht klar, woher das Geld genau stammen soll. Am 31. Juni 2011 kam es in der Hauptstadt Kinshasa zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Anhängern der Oppositionspartei UDPS und der Polizei vor dem Sitz der Wahlkommission. Die Anhänger der Opposition werfen der Kommission Unregelmäßigkeiten bei der Wählerregistrierung vor. Wir fordern die kongolesische Regierung daher auf, den Fahrplan für die Präsidentschaftswahlen einzuhalten und somit den anvisierten Wahltermin im November 2011 einzuhalten. In der letzten Woche hat der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Verlängerung von MONUSCO, mit 22 000 Mann eine der größten UN-Blauhelmmissionen, um ein Jahr beschlossen. Die jährlichen Kosten für diesen Einsatz werden auf circa 1,4 Milliarden US-Dollar geschätzt. Deutschland als viertgrößter Zahler ist mit rund 10 Prozent an den Kosten beteiligt. Daran sehen Sie, dass die Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo, gerade der östlichen Provinzen, in unserem ureigensten Interesse sein muss. Immer wieder erreichen uns schreckliche Nachrichten von Massenvergewaltigungen, Verschleppungen und Raub aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo. Marodierende Milizen treiben dort weiter ihr Unwesen und betreiben bewusst eine Destabilisierung der Region. Straf- und Rechtsfreiheit sind an der Tagesordnung. Dies führt weiterhin zu einem nahezu unkontrollierten Abbau und somit zur Ausbeutung der vorhandenen Rohstoffe. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe ({2}) arbeitet deshalb bereits seit mehreren Jahren an einem Mechanismus für die Zertifizierung der kongolesischen Rohstoffe. Nur so können wir sicherstellen, dass die Rohstoffe zu Weltmarktkonditionen abgebaut, zu Weltmarktpreisen verkauft und nicht wie geschehen gegen Waffen getauscht werden. Wenn wir es nicht schaffen, die Demokratische Republik Kongo zu stabilisieren, können wir auch das gesamte Gebiet der Großen Seen nicht stabilisieren. Lassen Sie uns gemeinsam den vorliegenden Antrag zum Anlass nehmen, die Demokratische Republik Kongo wieder mehr in den Fokus der deutschen Außenpolitik zu rücken. Denn nur mit einer europäisch und international abgestimmten Position können wir eine Verbesserung in und für die Bevölkerung in der Demokratischen Republik Kongo erreichen. Die Menschen sind der Gewalt und des Mordens müde geworden. Unterstützen Sie deshalb den vorliegenden Antrag, denn mit den darin aufgezeigten Mitteln und Wegen wollen wir versuchen, unseren Anteil zur Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo beizutragen.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum 1. Juli hat Deutschland den Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen übernommen. Einen Tag zuvor lief das ursprüngliche Sicherheitsratsmandat für die MONUSCO-Mission der Vereinten Nationen aus. Auch wenn wir zurzeit intensiv über die Umwälzungen in Nordafrika und die Zukunft des Sudans diskutieren, dürfen wir die Demokratische Republik Kongo als zweiten großen Krisenherd auf dem afrikanischen Kontinent nicht aus den Augen verlieren. Daher hat der Antrag zum Ziel, die Bedeutung dieses Konfliktes zu unterstreichen. Wir wollen aber auch, dass die Bundesregierung, die Europäische Union und die Vereinten Nationen eine kohärente Strategie für die Demokratische Republik Kongo entwickeln, um gezielt Druck auf die Regierung und andere relevante Akteure auszuüben. Dazu zeichnet der Antrag zunächst ein ungeschöntes Bild der Lage in der Demokratischen Republik Kongo und nennt die Dinge beim Namen. Er beschreibt konkret die Probleme und Defizite, ohne sie zu verharmlosen. Dies hat sich bei ähnlichen Berichten oder Anträgen zu Afghanistan oder dem Sudan bewährt, und ich freue mich daher auch über die breite interfraktionelle Zustimmung dazu. Diese ungeschönte Analyse fängt bei der Beschreibung der Menschenrechtslage an - sie ist katastrophal. Wir alle kennen die Berichte über die grauenhaften Massenvergewaltigungen vor einem Jahr, bei denen binnen vier Tagen über 300 Frauen und Kinder vergewaltigt wurden. Der Antrag nennt auch ein anderes grauenhaftes Beispiel und klagt die Massenvergewaltigungen an der Grenze zu Angola mit 1 400 Opfern in nur einem Dorf innerhalb weniger Monate an. Folge dessen sind eine katastrophale Sicherheitslage mit über zwei Millionen Binnenvertriebenen, hauptsächlich im Grenzgebiet zu Ruanda. Damit lässt sich nicht abstreiten, dass die Blauhelmmission ihrem prioritären Auftrag, die Zivilbevölkerung des Landes zu schützen, wiederholt nicht gewachsen war. Dies gilt nicht nur für die Verhinderung einzelner Massaker oder Vergewaltigungen, sondern auch für die Niederschlagung größerer regionaler Unruhen. Dabei ist die MONUC/MONUSCO-Mission seit 1999 stetig gewachsen und mittlerweile die größte der Vereinten Nationen. Zurzeit umfasst sie ein robustes Mandat mit rund 20 000 Blauhelmen. Auch Deutschland als viertgrößter Beitragszahler unterstützt diese Mission seit langem. Neben einer verheerenden Bestandsaufnahme umfasst der Antrag aber auch einige wenige Erfolge. Dazu zählen die Wahlen im Jahr 2006, die nicht nur von der Bundesregierung und der EU finanziert, sondern auch im Rahmen der Operation EUFOR RD Congo militärisch abgesichert wurden. Ich erinnere mich noch gut an die damalige Debatte, als deren Ergebnis wir uns trotz mancher Einwände entschieden haben, 780 Soldaten zu entsenden. Im Nachhinein betrachtet war das eine richtige Entscheidung. Jetzt stehen die zweiten demokratischen Präsidentschaftswahlen an, die für den 27. November angesetzt sind. Über deren Bedeutung brauchen wir nicht zu diskutieren. Denn - und das sagt der Antrag klar und deutlich - „das Vertrauen der Bevölkerung in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist jedoch in den letzten Jahren gefährlich gesunken.“ Weder Menschenrechte noch Sicherheit oder eine unabhängige und funktionierende Justiz sind in der Demokratischen Republik Kongo vorhanden. Der Rohstoffreichtum scheint für die Bevölkerung kein Segen, sondern ein Fluch zu sein. Und ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Vor diesem Hintergrund scheint ein großer Wurf zur schnellen Wende kaum möglich. Daher braucht es langfristige und nachhaltige Arbeit, um das Ruder herumzureißen. Entsprechende Passagen finden sich im Afrika-Konzept der Bundesregierung. Als Entwicklungspolitikerin weiß ich um die Bedeutung der Demokratischen Republik Kongo als bilaterales Partnerland der deutschen Entwicklungspolitik. Doch all das hat in der Vergangenheit nicht zum entscheidenden Durchbruch verholfen. Daher müssen wir darüber nachdenken, wie Sanktionen und Konditionalisierung, aber auch Mechanismen zur Transparenz und Rohstoffzertifizierung sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden können. Andernfalls werden Willkür und Korruption jeglichen Fortschritt verhindern. Exemplarisch wird das an dem offensichtlich jeder ernsthaften Grundlage entbehrenden Vorgehen der kongolesischen Justiz gegen die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, deutlich. Daher unterstützt der Deutsche Bundestag auch eine zukünftig deutlichere Ansprache der Bundesregierung und EU gegenüber den kongolesischen Verantwortlichen. Der Antrag macht deutlich, dass die Zeit der Ausreden und leeren Versprechen durch die kongolesische Regierung ein Ende haben muss - deren Verantwortlichkeit für die Entwicklung des Landes wird klar benannt. Wir als Bundesrepublik und internationale Gemeinschaft können nur unsere Hilfe anbieten.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nach Verhandlungen zwischen den oben genannten Fraktionen ist ein interfraktioneller Antrag zur Stabilisierung der Demokratischen Republik, DR, Kongo entstanden, der aufgrund der vorgenommenen Änderungen vonseiten der SPD-Fraktion befürwortet wird. Auf folgende Punkte, die im Verhandlungsprozess Berücksichtigung gefunden haben, möchte ich nochmal eingehen: Von einer positiven Entwicklung der DR Kongo hängt die Sicherheitslage der gesamten Region ab. Das Land ist an Fläche und Bevölkerung eines der größten Afrikas. Seit den ersten Wahlen im Jahre 2006, die von der Europäischen Union in erheblichem Maße mitfinanziert und personell gestützt wurden, lassen sich jedoch kaum Zeichen einer fortschreitenden Demokratisierung ausmachen. Besonders die im November anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stimmen sorgenvoll und sind mit ein Grund dafür, dass die größte Blauhelmmission der VN, MONUSCO, um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Die Lage vor den Wahlen ist angespannt. Darüber hinaus gibt es Unmut in der Bevölkerung über die Maßgabe der Regierung, sich erneut in das Wählerregister eintragen zu lassen, eine fast unüberbrückbare Hürde für viele Kongolesen, die vor der Gewalt im Land flüchten oder vertrieben wurden. Die VN fordern die kongolesische Regierung auf, für faire, regelmäßig und transparente Wahlen zu sorgen. Ohne beträchtliche internationale Unterstützung dürften die Zu Protokoll gegebene Reden Wahlen jedoch - selbst bei einer wohlwollenden Einschätzung - kaum erfolgreich verlaufen. Darum fordert der Antrag die Bundesregierung unter anderem auf, bei der Vorbereitung der Wahlen organisatorische und rechtliche Unterstützung anzubieten und frühzeitig auf die Entsendung internationaler und EU-Wahlbeobachter zu drängen. Diese sollen in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft die Wahlkämpfe und Wahlgänge überwachen. Die Lebensumstände der Menschen insbesondere im Osten und Norden des Landes haben sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verbessert. Etwa 55 Millionen Menschen sind immer noch von eklatanter Armut betroffen und müssen mit weniger als 1 US-Dollar pro Tag auskommen. Gerade die Sicherheitslage bereitet Anlass zur Sorge. Frauen und Kinder laufen unverändert Gefahr, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden. Massenvergewaltigungen werden von den Milizen systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt, um die Gemeinschaften zu zerstören. Obwohl internationale Programme zur Reform des kongolesischen Sicherheitssektors vorhanden sind, ist es bisher nicht gelungen, einen Großteil der Milizionäre zur Aufgabe ihres Kampfeinsatzes zu bewegen. Kinder werden verstärkt als Kindersoldaten rekrutiert und zum Töten missbraucht - ein lebenslanges Trauma ist die Folge. Besonders bemängelt wird die Tatsache, dass die kongolesische Regierung die Sicherheit der Menschen in ihrem Land nicht gewährleistet und Menschenrechtsverletzungen nicht konsequent verfolgt und geahndet werden. Dies muss insbesondere für Vergewaltigungen gelten, die von der VN in ihrer Sicherheitsratsresolution 1820 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit besonders geächtet wurden. So bleibt es meist Aufgabe anderer, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu untersuchen. So ist es nicht die kongolesische Regierung, sondern die VN-Mission MONUSCO, die prüft, wie es zu den Massenvergewaltigungen im Juni durch desertierende Soldaten im Osten des Landes gekommen ist und wie rechtlich vorgegangen werden muss. Eine Umverteilung des beträchtlichen Ressourcenreichtums steht immer noch aus und bleibt eine der grundlegenden Herausforderungen für die Befriedung des Landes. Die aus Bodenschätzen wie Coltan, Kupfer und Zink gewonnenen Einnahmen werden immer noch allzu oft zur Finanzierung von Kriegsaktivitäten verwendet oder fließen ausländischen Unternehmen zu, die sich durch geschickte Vertragsverhandlungen beträchtliche Erträge sichern. Fehlende Mittel für die Armutsbekämpfung sind die Folge. Die Entwicklung eines einheitlichen und flächendeckenden Zertifizierungs- und Transparenzmechanismus muss daher mit besonderem Nachdruck vorangetrieben werden. Mit diesem könnten die Handelswege der aus der DR Kongo abgebauten Rohstoffe nachverfolgt werden. Unsere Fraktion schlägt auch vor, eine europäische Regelung zu schaffen, die analog zum US Financial Reform Act fordert, die Zahlungen von europäischen Firmen transparent zu machen, um damit dem illegalen Ressourcentransfer entgegenzuwirken.

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bevor ich auf das Inhaltliche eingehe, nur kurz zum Ablauf der Beratungen. Der vorliegende Antrag der CDU/CSU, der SPD, der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen - Drucksache 17/6448 - ist ein interfraktioneller Antrag, der auf Basis des Koalitionsantrages ({0}) entstanden ist. Deswegen wird der Koalitionsantrag zurückgezogen und durch den interfraktionellen Antrag ersetzt. Diesen interfraktionellen Antrag stellen wir zur Sofortabstimmung, da wir möchten, dass er noch vor der Sommerpause beschlossen wird, denn in der Demokratischen Republik Kongo stehen im November Präsidentschaftswahlen an. Die Demokratische Republik Kongo hat also nicht nur deswegen eine entscheidende Phase vor sich, in der wir als Parlamentarier mit unserem umfassenden Forderungskatalog konzeptionell zur rechten Zeit kommen. Ich bin erleichtert, dass uns zur Situation in der Demokratische Republik Kongo ein interfraktioneller Antrag gelungen ist und er belegt, dass der erhobene Vorwurf, die Regierungskoalitionen würden grundsätzlich keine interfraktionellen Anträge wünschen, nicht stimmt. Es ist auch bei weitem nicht der erste interfraktionelle Antrag. Zum Beispiel hatten wir interfraktionelle Anträge zum Sudan, zu Belarus, zum Iran, um nur einige zu nennen. Als Mitglied des Menschenrechtsausschusses habe ich im Mai an einer Ausschussreise nach Ruanda und in den Ostkongo - nach Goma und Bukavu - teilnehmen können. Ich möchte an dieser Stelle daher ganz ausdrücklich der Deutschen Botschaft, dem Botschafter Dr. Peter-Christof Blomeyer und seinem Vertreter, Herrn David Schwake, für die hervorragende Vorbereitung und Betreuung danken. Gleiches gilt für die Botschaft in Kigali und dem Geschäftsträger der Botschaft in Ruanda, Herrn Frank Maier. Auch wenn ich natürlich nicht für die anderen Reiseteilnehmer sprechen kann: Diese Reise hat uns - gerade was den Rohstoffhandel betrifft - neue Einblicke vor Ort gebracht. Vieles, was hier in den deutschen Medien manchmal simplifiziert dargestellt wird, sieht in der Realität anders aus. Keine Frage: Die Demokratische Republik Kongo ist reich an Rohstoffen - doch leider kommt dieser Reichtum nicht der Bevölkerung zu Gute, sondern ist vielmehr selbst ein Teil des nicht enden wollenden Gewaltkreislaufs. Es stimmt aber nicht, dass 80 Prozent des Coltans aus der Demokratische Republik Kongo kommen. Der Anteil an Coltan aus der Demokratische Republik Kongo am Weltmarkt beträgt 8,7 Prozent. Auch wird der Preis für Coltan-Kondensatoren in Handys überschätzt er dürfte bei etwa 2 Cent liegen. Diese Zahlen sollen nichts verharmlosen, nur ins rechte Licht rücken. Denn unser Ziel ist und bleibt das gleiche: Den Rohstoffhandel aus dem Gewaltzirkel herauszulösen und die Erträge einer nachhaltigen Entwicklung zugänglich zu machen. Das ist ein besonders wichtiger Beitrag zur Friedenskonsolidierung im Ostkongo. Durch den Dodd-Frank-Act und das Importverbot Ruandas, das die Einfuhr von nicht zertifizierten Mineralien seit dem 1. März 2011 verbietet, ist endlich ein so hoher Druck auf die kongolesische Regierung ausgeübt worden, dass sie sich bewegen muss. Jetzt hat man vor Zu Protokoll gegebene Reden Ort ein hohes Interesse am EITI-Prozess und an der Zertifizierung. Hierbei nimmt Deutschland durch die Arbeit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe ({1}) mit ihren Zertifizierungssystemen für mehrere Rohstoffe und durch die EITI-Initiative eine weltweite Vorreiterrolle ein. Mein ausdrücklicher Dank gilt daher Dr. Uwe Näher von der BGR und Herrn Götz von Stumpfeldt von der GIZ. Wenn ich die Reise Revue passieren lasse, dann ist es so, dass man die vielen Menschenrechtsverletzungen, die dort nach wie vor geschehen, kaum verarbeiten kann. Wir haben ehemalige Kindersoldaten besucht. Ein Junge, 12 Jahre alt, war vier Jahr Kindersoldat bei den Mai-Mai-Rebellen. Wir haben das Panzi-Krankenhaus in Bukavu besucht, in dem pro Jahr 3 500 Vergewaltigungsopfer behandelt werden Die meisten Vergewaltigungen gehen - auch nach Angaben der UN vor Ort bestätigt - von der offiziellen kongolesischen Armee aus. Wir haben in Bukavu ein Gefängnis besucht - ein Gefängnis, das ausgelegt war auf 400 Häftlinge, in dem 1 200 Häftlinge untergebracht waren, in Schlafsälen mit dreckigen, schimmligen Matratzen und Plastikeimern als WC - und das Gefängnis war sicher das „beste“ in der Region von den Standards her. Wir haben mit Häftlingen gesprochen - einer seit fünf Jahren in Haft, ohne Anklageerhebung, ohne dass er je einen Anwalt gesehen hätte. Wir haben mit inhaftierten Oppositionspolitikern gesprochen - inhaftiert, weil sie etwas Regierungskritisches gelesen haben sollen. Wir haben MONUSCO besucht - die händeringend Hubschrauber brauchen - und wer die Landschaft dort kennt, der weiß, dass ohne Hubschrauber selbst nah gelegene Ortschaften nur in stundenlanger Fahrt auf mehr als holprigen oder schlammigen Pisten erreicht werden können. Dann nämlich kommt die Hilfe zu spät für die Abwehr eines Überfalls. Wir haben eine artisanale Mine gesehen, wo mit bloßen Händen nach Gold geschürft wird und wo sich sämtliche Ausführungen zu Arbeitsstandards erübrigen. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen. Fest steht: Die Sicherheits- und Menschenrechtslage bleibt katastrofal, auch wenn es im riesigen Gebiet des Ostkongos natürlich Unterschiede gibt. Deswegen ist es dringend geboten, dass wir uns gerade jetzt intensiv mit der Demokratische Republik Kongo beschäftigen. Die Demokratische Republik Kongo befindet sich nach über einem Jahrzehnt mehrerer, miteinander verknüpfter interner und regionaler Kriege und Konflikte, die nach Angaben des internationale Rescue Committees mehr als 5 Millionen Todesopfer forderten, in einem wechselhaften Übergangsprozess. Etwas Hoffnung keimte auf, als die Kongolesen im Jahr 2006 zur Wahlurne schritten, um erstmals in der Geschichte ihres Landes in freien Wahlen Präsident und Parlament zu wählen. An der Absicherung dieser Wahlen durch die internationale Gemeinschaft war auch die Bundeswehr mit 780 Soldaten im Rahmen der EU-Mission EUFOR RD Congo beteiligt. Fünf Jahre später stehen nun turnusgemäß die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Wir wissen aus anderen Postkonflikt-Ländern nur zu gut, dass dieser zweite Urnengang für die Konsolidierung einer neuen Ordnung fast so entscheidend ist wie der erste. Wenn die internationale Medienkarawane längst weitergezogen und der Konflikt aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit verschwunden ist, erst dann zeigt sich, wie nachhaltig die Anstrengungen zur Beendigung des Konfliktes waren und wie stabil die neue Ordnung tatsächlich ist. Der Wahlkampf und die Wahlen erfordern die volle Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft, um glaubwürdige Wahlgänge durchzuführen. Die Wahlvorbereitung erfüllt mich mit Sorge: Es gibt zwei Faktoren, die zu einem Legitimitätsproblem führen könnten. Erstens. Es gibt deutlich weniger Wählerregistrierungsstationen in der Demokratische Republik Kongo als noch 2006. Die Zahlen veranschaulichen dies: Im Südkivu waren es 2006 noch 700 Stationen, heute 303 Stationen. Zweitens. Präsident Kabila hat die Wahlgesetzgebung nach seinen Vorstellungen so umschreiben lassen, so dass eine Stichwahl bei der anstehenden Präsidentschaftswahl als ausgeschlossen gelten kann. Außerdem gibt ihm die Verfassungsänderung, die Möglichkeit, ein Provinzparlament aufzulösen und den Gouverneur abzusetzen. Fest steht: Wir brauchen eine intensive Begleitung des Wahlprozesses. Es muss EU-Wahlbeobachter geben, es muss auch jetzt schon Beobachtung der Wählerregistrierung, des Wahlkampfs geben, und vor allem muss die Opposition Zugang zu staatlichen Medien haben und muss sich frei betätigen können. Eines müssen wir auch klar feststellen: Die Verantwortung für die Gewährleistung eines stabilen Sicherheitsumfelds, die Geltung der Menschenrechte und die Umsetzung sämtlicher Reformprojekte liegt letztlich und zuerst bei der Regierung der Demokratische Republik Kongo. Die internationale Gemeinschaft kann hierzu lediglich Hilfestellung bieten. Aber Deutschland hat ein fundamentales Interesse daran, dass die Konsolidierung der Demokratische Republik Kongo erfolgreich voranschreitet. Denn nicht nur war die Bundeswehr zur Absicherung der Wahlen 2006 im Kongo im Einsatz, seit Jahren engagiert Deutschland sich in diesem Land auch als Geber in der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Im neuen Afrika-Konzept der Bundesregierung nimmt die Demokratische Republik Kongo in den Bereichen „Frieden und Sicherheit“, „Umwelt und Klima“ sowie „Energie und Rohstoffe“ einen bedeutenden Platz ein. Zwei wichtige Sicherheitssektorreformen der EU werden mit deutschem Geld und Personal unterstützt. Und wir sind viertgrößter Beitragszahler der VNMission MONUSCO, die schon seit 1999 im Land aktiv ist und deren Mandat Ende Juni gerade um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Das deutsche Engagement bezüglich der Demokratische Republik Kongo ist unter den Prämissen einer werte- und interessengeleiteten Außenpolitik nicht nur gerechtfertigt, es ist vielmehr zwingend geboten. Denn Massaker, Massenvergewaltigungen, Plünderungen, Vertreibungen und weitere Menschenrechtsverletzungen Zu Protokoll gegebene Reden durch Rebellengruppen, aber auch Armee-Einheiten sind vor allem in den östlichen Kivu-Provinzen an der Tagesordnung. Ich habe von meinem Besuch im PanziKrankenhaus berichtet. Aber selbst in den Teilen des Landes, in denen kein bewaffneter Konflikt schwelt, ist die Menschenrechtssituation katastrofal. Menschenrechtsaktivisten und Journalisten werden zunehmend in ihrer Arbeit eingeschüchtert, mit dem Leben bedroht oder ermordet. Hierfür zeichnen auch die staatliche Polizei und der nur dem Präsidenten unterstellte Geheimdienst verantwortlich. Eine unabhängige Justiz, die solche Verbrechen aufklären und zur Anklage bringen könnte, existiert in den seltensten Fällen. Verfahren gegen die Täter werden kaum angestrengt und enden oft ohne Verurteilung. Im ganzen Land existiert eine Kultur der Straflosigkeit. Auch die im Kontext des Krieges begangenen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit harren weiter einer systematischen Aufarbeitung. Die Behandlung weniger, prominenter Fälle bleibt dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überlassen. Dies ist die erschütternde Bestandsaufnahme rund fünf Jahre nach den Wahlen von 2006, in die viele Kongolesen so große Hoffnungen gesetzt hatten. Fünf Jahre nach ihrem Amtsantritt hat die Regierung Joseph Kabila kaum eines ihrer zahlreichen Wahlversprechen gehalten. Der Schutz der Zivilbevölkerung ist vor allem in den Kivu-Provinzen nicht gewährleistet. Wichtige Reformen wie etwa die in der Verfassung geforderte dezentralisierte Neugliederung des Landes oder die Einsetzung einer ebenfalls in der Verfassung verankerten Nationalen Menschenrechtskommission unterblieben jedoch. Die anhaltende Stagnation legt die Vermutung nahe, dass Teile der kongolesischen Elite in Kinshasa sich mit dem prekären Zustand ihres Landes arrangiert und kein Interesse an grundlegenden Fortschritten haben. Deutschland und die internationale Gemeinschaft sind daher aufgefordert, ihre Unterstützungsmaßnahmen umfassend auf den Prüfstand zu stellen und ihre Anstrengungen besser zu koordinieren. International muss die Gewährung von Entwicklungszusammenarbeit direkter an messbare Erfolge bei der Verbesserung der Menschenrechtslage geknüpft werden. Insbesondere bei der Reform des kongolesischen Sicherheitssektors - einem Schlüsselprojekt bei der langfristigen Friedenskonsolidierung - sind Verbesserungen notwendig. Hier brauchen wir eine spürbare finanzielle und personelle Aufstockung von den beiden EUPOLund EUSEC-Missionen. Aber auch bei der Unterstützung der MONUSCO-Mission sind eine Überprüfung laufender Maßnahmen und eine verbesserte Abstimmung mit den internationalen Partnern notwendig. Oberste Aufgabe für MONUSCO muss der Schutz der geschundenen Zivilbevölkerung sein. Ich begrüße, dass man nun Gemeinde-Verbindungspersonal einsetzt, die mit Handy ausgestattet, im Notfall schneller Hilfe rufen können. Die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz von MONUSCO hängt entscheidend von dieser Schutzfunktion ab. Und es ist ein nicht hinnehmbarer Zustand, dass sich in der internationalen Gemeinschaft keine Hubschrauber finden. Wir müssen auch die regionale, politische Dimension im Blick behalten. Die Demokratische Republik Kongo grenzt an insgesamt neun Staaten und ist damit von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung Zentralafrikas. Politische Stabilität und wirtschaftliche Prosperität im Kongo strahlen positiv auf die gesamte Region aus umgekehrt haben Instabilität und eine anhaltend schwache wirtschaftliche Entwicklung einen negativen Effekt auf die Anrainer-staaten, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Mit dem vorliegenden Antrag leistet der Deutsche Bundestag einen wichtigen Beitrag für die zukünftige Entwicklung, indem er eine Bestandsaufnahme liefert und konkrete Schwerpunkte für zukünftiges Handeln benennt. Hieran wird die Bundesregierung nun mit konkreten Taten anknüpfen und ihr Engagement fortsetzen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP hat uns gemeinsam mit den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein Protokoll des Grauens und der Verbrechen in der Demokratischen Republik Kongo vorgelegt. Es ist zugleich auch ein Protokoll des Versagens der internationalen Gemeinschaft und der bisherigen deutschen Außenpolitik. Ein Versagen Ihrer Politik, meine Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, die de facto auch die Fortführung der rot-grünen Politik in diesem rohstoffreichen afrikanischen Land ist. Wer nach den Ursachen der Konflikte im Kongo sucht, wird sie in diesem interfraktionellen Antrag nicht finden. Systematische Einschüchterungen und Morddrohungen durch die kongolesische Polizei und das Militär gehören zur Tagesordnung. Das Europäische Parlament hat am 22. September 2010 in einem gemeinsamen Entschließungsantrag festgestellt, dass es sich hier um einen eindeutigen Trend handelt und dass „viele nichtstaatliche Organisationen im vergangenen Jahr eine zunehmende Unterdrückung von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionsführern, Opfern und Zeugen in der Demokratischen Republik Kongo einschließlich Tötungen, rechtswidriger Verhaftungen, Verfolgungen, Drohanrufen und wiederholten Vorladens bei den Geheimdienststellen beobachtet haben“. Sowohl dem Rat der Europäischen Union, EU, als auch der Bundesregierung ist bekannt, dass die allermeisten Menschenrechtsverletzungen in der Demokratischen Republik Kongo auf die Polizei und das Militär zurückgehen, die seit Jahren von Deutschland und der EU ausgerüstet und ausgebildet werden. Im Rahmen der Mission EUPOL Kinshasa wurden für 10 Millionen Euro sogenannte Integrierte Polizeieinheiten in der Hauptstadt aufgebaut. Diese Einheiten wurden aufgerüstet, um demokratische Versammlungen niederzuschlagen. Gemäß einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion wurden diese Einheiten im Rahmen der EUPOL-Mission mit „Schutzschildern, Helmen, Schlagstöcken und Tränengas sowie Maschinenpistolen der Marke Uzi“ ausgestattet. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehen anders aus. Die Zu Protokoll gegebene Reden Sevim Daðdelen Linke lehnt es ab, solche Regime mit Repressionsapparaten zu unterstützen! Mit dem skandalösen Urteil vom 23. Juni hat die kongolesische Justiz, wegen der Auftragsmorde an den kongolesischen Menschenrechtsaktivisten Floribert Chebeya und Fidèle Bazana, bewiesen, dass die Täter weitgehende Immunität besitzen. Trotz dieser erdrückenden Faktenlage verweigern Sie von der Regierungskoalition zusammen mit SPD und Grünen eine Evaluierung dieser Missionen. Angesichts des Elends Ihrer bisherigen Afrika-Politik werden uns nur alte Antworten auf aktuelle Fragen präsentiert: mehr Aufrüstung und Ausbildung der kongolesischen Polizei. Ihre Verantwortung für zahlreiche Verbrechen und die Unterdrückung demokratischer Bestrebungen ist erwiesen. Als hätten Sie diesem Zustand durch Ihre Auslandsmissionen nicht aktiv geholfen, fordern sie noch die finanzielle und personelle Aufstockung der EUSEC- und EUPOL-Missionen bzw. der MONUC/MONUSCO und sehnen sich nach noch mehr Waffen und Hubschraubern, die in das Land gebracht werden sollen. Die Linke fordert hier eine radikale Umkehr. Sie müssen aufhören, meine Damen und Herren von der Koalition, der SPD und den Grünen, die Ausrüstungs-, Ausstattungs- und Ausbildungshilfe für autoritäre Regime wie im Kongo fortzuführen. In Bezug auf die Aufarbeitung der verübten Verbrechen halten Sie weiter an einem Rechtsverständnis fest, das unter internationaler Strafgerichtsbarkeit nur die exklusive Verfolgung von Feinden des Westens versteht. Sie entdecken nun sogar das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, an welches Sie sich, wenn es um die Verfolgung von Verbrechen geht, die durch Ihre kongolesischen Partner, die NATO oder Bundeswehr verübt werden, nur ungern erinnern wollen. Als Autorinnen und Autoren dieses Antrages wissen Sie genau, dass die Präsenz der Vereinten Nationen nicht erst 2006 und die der EU und einzelner europäischer Staaten erst mit ihrem militärischen Eingreifen 2003 begonnen hat. Vielmehr stehen die in dem Antrag detailliert geschilderten Verbrechen in der Kontinuität des Bestrebens, Kongo als ein Gehege zur Handelsjagd zum Zwecke der Sicherung von Bodenschätzen und geostrategischen Interessen unter der Kontrolle des Westens beizubehalten. In Ihrer Darstellung nehmen die Menschen vor Ort nur eine Statistenrolle ein. Die von Ihnen geschilderten Verbrechen spielen für Sie nur insofern eine Rolle, als dass sie Zeugnis über das Versagen Ihrer bisherigen langjährigen Polizei- und Militärausbildungsmissionen ablegen. Offensichtlich kann die Wahrheit angesichts der massiven Verbrechen nicht mehr unterdrückt werden. Diese Sorge scheint das einzige Motiv dieses Antrages zu sein. In Wirklichkeit versank nämlich in jedem Stadium der von außen als Stabilisierungsmissionen verkauften Interventionen das Land in einem blutigen Bürgerkrieg. Diese militärische Präsenz der UN und EU hat zur Befriedung des Landes nicht beigetragen, sondern seine Eskalation und Verlängerung durch die Unterstützung einer biegsamen Kriegspartei vorangetrieben. AufSevim Dağdelen grund der völligen Verkennung Ihrer Mitverantwortung für die gegenwärtige Lage und ein Festhalten an Maßnahmen, welche die Eskalation des Bürgerkrieges intensivieren, lehnt die Linksfraktion diesen Antrag ab. Die Linke beteiligt sich nicht an der polizeilichen und militärischen Unterstützung von Despoten.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vor der letzten Präsidentschaftswahl 2006 war ich in der Demokratischen Republik Kongo. Ich habe auch den Osten des Landes besucht und dort vor Ort viel über die dramatisch schlechte Sicherheitssituation der Bevölkerung erfahren. Auf einem Berg in der Nähe der Stadt Bukavu in Südkivu wies ein Entwicklungshelfer auf ein offenes Gelände im weiten Urwald unter uns und erläuterte: Dort ist das Lager der FDLR-Hutu-Rebellen. Von dort aus unternehmen diese die Überfälle auf Dörfer, töten die Männer, vergewaltigen und verschleppen Frauen und Mädchen und halten sie im Wald in einer Art Sexsklaverei. Die UN-Truppe Monuc wisse das, gehe gegen das Lager aber nicht vor, weil der UN-Kommandant der Meinung sei, dies sei von ihrem UN-Auftrag nicht gedeckt. Ich wollte das nicht glauben. Später wurde bestätigt, Ja, es gebe Streit darüber, was das Mandat erlaube und was nicht. Einige Kommandeure verweigerten mit dieser Begründung den unangenehmen und gefährlichen Einsatz gegen die Hutu-Rebellen. Später bin ich mit einigen betroffenen Frauen zusammen getroffen, die „ausgedient“ hatten oder entkommen waren. Sie erzählten ihre grauenhaften Erlebnisse. Ich habe auch ein Hilfskrankenhaus für Frauen besucht. Nach dieser Erfahrung hatte ich dem Einsatz deutscher Soldaten zur Sicherung der Wahlen damals nicht zugestimmt, auch weil ihnen nicht erlaubt wurde, in solchen Notsituationen im Ostkongo zu helfen. Sie blieben in der Nähe der Hauptstadt Kinshasa, weit weg vom Ostkongo. Deshalb habe ich mich immer wieder für eine Verstärkung der UN-Schutztruppe eingesetzt und für eine Klarstellung in ihrem Mandat, welches Nothilfe gegen die Rebellen leistet, um die Bevölkerung vor Massaker und Vergewaltigung zu schützen. Später habe ich gehört, dass ausreichende Klarheit des Mandats immer noch nicht erreicht sei. Das heißt nicht, dass ich die Leistung der UN-Schutztruppe insgesamt schlechtmache. Sie leisten viel für die Sicherheit. Sie haben erreicht, dass in dem weitaus größten Teil des Landes der 30-jährige Krieg beendet ist. Sie sorgen weitgehend sogar für eine Verkehrsinfrastruktur und damit für ein wenig Handel und Wandel in dem riesigen Land. Sie helfen häufig, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Aber mit Soldaten kann man ein Land wirtschaftlich nicht entwickeln, selbst wenn es so unendlich fruchtbar sowie reich an Ressourcen und wertvollen Bodenschätzen ist wie dieses Land am Kongo. Und auch diese größte und teuerste Streitmacht der UNO konnte nicht eine gute Regierungsführung im Staat durchsetzen. Von demokratischen Verhältnissen, AchZu Protokoll gegebene Reden tung der Menschenrechte und der Pressefreiheit ist das Land weit entfernt. Kritische Journalisten und Menschenrechtsaktivisten werden verfolgt und ermordet. Nach wie vor ist es nicht gelungen, alle Milizen zu entwaffnen und verlässliche Sicherheitskräfte zu schaffen, denen die Bevölkerung vertrauen kann. Korruption blüht überall, am meisten in der Staatsspitze. Der Präsident kann sich eine eigene bewaffnete Garde leisten. Soldaten der offiziellen Armee werden nicht oder schlecht bezahlt und plündern, um sich und ihre Familien durchzubringen. Sie beteiligten sich in der Vergangenheit auch an schwersten Verbrechen an der Bevölkerung und tun dies bis in die Gegenwart. Ausländische Konzerne und Regierungen von Nachbarstaaten profitieren weit mehr von den Bodenschätzen des Landes als die einheimische Bevölkerung, weil sie ihre Interessen mittels Korruption und zuweilen auch mit militärischer Intervention durchsetzen. Wir in Europa haben Verantwortung für die Entwicklung des Landes, nicht nur weil Staaten Europas sich als Kolonialmächte und später mittels skrupelloser Interessendurchsetzung mit allen Mitteln bereichert haben und noch heute bereichern. Europa kann das ferne Land am Kongo nicht sanieren. Aber deutsche und europäische Politik kann Einfluss nehmen, um die Regierungsführung zu verbessern. Wir können wirklich freie und faire Wahlen fordern, und zwar auf allen Ebenen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ebenso wie für die lange zugesagten Regionalwahlen. Wir können Zusammenarbeit und Hilfen von der Erfüllung dieser Forderungen und dem wirksamen Schutz von Bürgerechten und unabhängiger Presse abhängig machen. Wir können die Beziehungen zu bekannten korrupten Politikern einfrieren und abbrechen. Wir können Hilfen auf kontrollierte, direkte Bekämpfung der großen Armut konzentrieren. Und wir müssen auf unsere europäischen Partner einwirken, nachkoloniale Interessen zurückzustellen und gemeinsam wirklich für die Interessen der kongolesischen Bevölkerung zu wirken. Im Sicherheitsbereich müssen wir für die Fortsetzung der UN-Mission und für klare Mandate zum Schutz der Bevölkerung sorgen. Wir können helfen, die Entwaffnung der Milizen und Rebellentruppen und die Zivilisierung der kongolesischen Armee voranzubringen. Wir müssen dafür eintreten, dass die Verantwortlichen für Massaker, Massenvergewaltigungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bei den Rebellen und aus der Regierungsarmee gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Der gegen den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Bemba angelaufene Prozess und das Verfahren gegen den Milizenführer in der kongolesischen Armee Ntaganda beim Internationalen Gerichtshof sind ein hoffnungsvoller Anfang. Seit ich erfahren hatte, dass die Anführer der FDLRHutu-Milizen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni unbehelligt in Deutschland lebten, hier als politische Flüchtlinge anerkannt sind, aber immer wieder in den Kongo flogen, um die Hutu-Milizen zu neuen Angriffen gegen die Bevölkerung anzutreiben und von hier aus zu führen, habe ich mich dafür eingesetzt, dieses Treiben zu beenden. Ich habe mich bemüht, die deutsche Staatsanwaltschaft zu interessieren und ihr Belastungsmaterial zuzuleiten. Die inzwischen erfolgte Verhaftung der Beschuldigten und der Beginn des Prozesses sind ein wichtiges Signal in das Land am Kongo, dass Verbrechen nicht folgenlos bleiben und die Beschuldigten sich in fairen Prozessen auch in Europa verantworten müssen. In der neuesten UN-Resolution zum Kongo wurde das Mandat der UN-Mission MONUSCO um ein Jahr bis Mitte 2012 verlängert, und gleichzeitig werden Warnungen über die Sicherheitslage und die Wahlvorbereitung zum Ausdruck gebracht. Der UN-Sicherheitsrat äußert sich in seiner Resolution 1991 vom 28. Juni, genau fünf Monate vor dem Wahltermin, „sehr besorgt über die humanitäre Lage und das weiterhin große Ausmaß von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Zivilbevölkerung“. Gleichzeitig sei „in erster Linie die Regierung der Demokratischen Republik Kongo für die Sicherheit verantwortlich“, und die UNO „ermutigt“ die Regierung, sich der „Kohäsion der nationalen Armee“ zu widmen und sich professionelle und nachhaltige Sicherheitskräfte zu geben. Die Entwicklung am Kongo ist derzeit kaum kalkulierbar und deshalb kann heute nicht beurteilt werden, wie es nach den Wahlen im Dezember weitergeht. Richtig ist jetzt vor allem, den Dialogprozess - wie im Friedensprozess vereinbart - weiter voranzubringen. Das heißt konkret, die Repräsentanten von Regierung, Opposition und aus der Zivilgesellschaft an einen Tisch zu bekommen, damit es faire und gleiche Wahlen geben kann. Der von uns mitgetragene überfraktionelle Antrag soll helfen, diese gemeinsam darin formulierten Ziele zu erreichen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag auf Drucksache 17/6448 ist bei Gegenstimmen der Linken mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Die UN-Leitlinien für menschenrechtlich verantwortliches unternehmerisches Handeln aktiv unterstützen - Drucksachen 17/6087, 17/6445 Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Klimke Serkan Tören Volker Beck ({1})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Anlass der heutigen Debatte ist die Vorlage von Leitlinien der Vereinten Nationen für menschenrechtlich verantwortliches unternehmerisches Handeln als einen „Global Compact“ durch den UN-Sonderbeauftragten John Ruggie. In diesen Leitlinien, die Ruggie als Bestandsaufnahme des geltenden Völkerrechts verstanden wissen will, werden zehn Gebote zu Menschenrechten, Arbeit, Umwelt und Korruptionsbekämpfung festgeschrieben. Inzwischen verpflichten sich rund 5 300 Unternehmen aus 130 Ländern zur Umsetzung dieser Prinzipien und einer Fortschrittsberichterstattung. Fast gleichzeitig wurden auch die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen überarbeitet und Ende Mai dieses Jahres vorgestellt. Hier hat es deutliche Verbesserungen gegeben, weil jetzt der Finanzsektor eingeschlossen wurde und auch Geschäfts- und Lieferbeziehungen betrachtet werden. Inhaltlich enthalten die OECD-Leitsätze ein generelles Prinzip der Sorgfaltspflicht. Außerdem ist der Aspekt der Menschenrechte hier mit einem eigenen Artikel aufgewertet worden. Darin werden wichtige Kriterien genannt, mit denen Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nachkommen können. Es bewegt sich also etwas auf der internationalen Ebene im Bereich der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung. Das ist sehr erfreulich, denn wir sind hier bei aller berechtigten Kritik auf einem richtigen und erfolgversprechenden Weg. Deshalb begrüßen wir als CDU/CSU sowohl die UN-Leitlinien für menschenrechtlich verantwortliches unternehmerisches Handeln als auch die Fortentwicklung der OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen. Insofern ist es grundsätzlich durchaus begrüßenswert, dass die SPD einen Antrag eingebracht hat, der die UN-Leitlinien vor allem unterstützen möchte und der schon aus diesem Grund auch aus meiner Sicht in die richtige Richtung zielt. Bei näherer Betrachtung des Antrags kommen mir aber dann doch Zweifel, ob die Forderungen im Detail realistisch und zielführend sind: Das gilt zum Beispiel für die geforderte Bindung der Außenwirtschaftsförderung an die Verpflichtung des jeweiligen Unternehmens auf die Einhaltung der Menschenrechte in allen Tochter- und Subunternehmen sowie bei Zulieferern. Diese Anforderung wird nicht nur durch die Unternehmen schwer zu leisten sein. Sie ist auch kaum rechtlich verbindlich international durchsetzbar. Noch schwerer ist die Umsetzung, denn die Kontrolle müsste als erstes ausschließlich seitens der Regierungen der Entwicklungsländer erfolgen. Das ist in vielen Ländern unrealistisch. Eine direkte Haftung der Mutterunternehmen bei Menschenrechtsverletzungen der Töchter, die im Antrag der SPD ebenfalls enthalten ist, kann aus unserer Sicht erst der zweite Schritt sein. Unser Primat liegt auf der Schaffung von Bedingungen, die Menschenrechtsverstöße direkt vor Ort in den Entwicklungsländern bei den Tochterunternehmen ahnden. Die geeignete Maßnahme in den Industrieländern sehe ich eher im Verbraucherboykott. Der geforderte verbesserte Rechtsschutz der Opfer gerade bei Unternehmen mit Sitz in Deutschland widerspricht völkerrechtlichen Grundsätzen. Will die SPD die Verfahren in Deutschland durchführen? Das wäre nicht nur rechtlich problematisch, sondern auch logistisch aufwändig und mit unkalkulierbaren Kosten verbunden. Es zeugt auch von einer gewissen Arroganz gegenüber den Entwicklungsländern, wenn wir deren Angelegenheiten hier in Deutschland behandeln wollen, anstatt die Länder beim Aufbau eines funktionierenden Rechtssystems zu unterstützen. Grundsätzlich geht es der SPD aus unserer Sicht zu sehr darum, unrealistische globale Forderungen aufzustellen, die weder international durchsetzbar noch realistisch in absehbarer Zeit umzusetzen sind. Es fehlt der Ansatz vor Ort in den Entwicklungsländern, und der interessante Ansatz von besseren Verbraucherinformationen wird auch nicht angesprochen. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, diesen Antrag der SPD abzulehnen, auch wenn wir die Erstellung von UN-Leitlinien für menschenrechtlich verantwortliches unternehmerisches Handeln grundsätzlich begrüßen. Tatsächlich zielt unsere Politik ja in die gleiche Richtung wie die Leitlinien, nämlich die Menschenrechte in allen Bereichen weltweit zu stärken. Wie sehr wir dies als ein Grundthema unserer Arbeit sehen, kann man an der Entwicklung unserer Entwicklungspolitik festmachen, die sich ja mit dem Thema der Menschenrechte in einer neuen Dimension befasst. Das gerade verabschiedete Menschenrechtskonzept des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stellt eine ganz neue Qualität für die Menschenrechte in diesem Bereich dar, auch weil es für alle Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit verbindlich ist. In deren Monitoring und deren Evaluierung werden jetzt erstmals Menschenrechte einbezogen, Beschwerde- und Sanktionsmechanismen werden geschaffen. Ich begrüße es ganz außerordentlich, dass die Menschenrechte jetzt auch in der Entwicklungszusammenarbeit kraftvoll verankert werden. Ich wundere mich nur darüber, dass es in mehr als einem Jahrzehnt, in dem die SPD das Entwicklungsressort innehatte, nicht gelungen ist, die Menschenrechte in der Entwicklungspolitik zu institutionalisieren. Umso froher bin ich über die jetzige Initiative, die die Entwicklungspolitiker der Union mit Nachdruck unterstützen. Um kurz bei der Entwicklungszusammenarbeit zu bleiben: Auch hier gibt es große Herausforderungen, die mit den Unternehmen zu tun haben, nämlich die Einbindung der Wirtschaft in die deutsche Entwicklungspolitik zum gegenseitigen Nutzen. Dabei spielt der Aspekt der Wahrnehmung von menschenrechtlicher Verantwortung nicht die einzige, sehr wohl aber eine wichtige Rolle. Zu Protokoll gegebene Reden Einerseits kann die Wahrnehmung der menschenrechtlichen Verantwortung für Unternehmen einen Mehrwert haben. Andererseits können Anstrengungen der Unternehmen in diesem Bereich zu einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtssituation in Entwicklungsländern beitragen. Allerdings sehe ich hier auch noch erheblichen Nachholbedarf. Deshalb sehe ich internationale Politik hier weiterhin in der Rahmensetzung, aber auch als Impulsgeber sowie als Multiplikator von Best-practice-Beispielen gefordert. Nachhaltige Fortschritte müssen jedoch auch durch die Unternehmen und deren Organisationen erreicht werden. Hier sehe ich vor allem den Druck der Verbraucher als ausschlaggebend an. Denn gerade in diesem Bereich hat es ganz erhebliche Fortschritte bei der Sensibilisierung der Verbraucher für sozial und ökologisch nachhaltige Produktion gegeben, die wiederum zu einer Rückkopplung bei den Unternehmen geführt haben und sich zum Beispiel in einer Corporate-Responsibility-Strategie vieler Unternehmen äußern. Entscheidend für das Funktionieren dieses Mechanismus ist, dass der Verbraucher über Missstände, aber auch über besonders vorbildliche Unternehmen informiert wird. Hier kommt gerade den Medien eine wichtige Rolle zu, weil sie die Versprechen der Unternehmen zunehmend vor Ort in den Produktionsländern abgleichen können. Dass solche Informationen Veränderungen bewirken können, ist gerade nach einigen Berichten über unzumutbare Arbeitsbedingungen in der Textilproduktion in Bangladesch augenfällig geworden. Nachhaltige Veränderungen können jedoch meines Erachtens nur erfolgen, wenn der Verbraucher dauerhaft informiert wird. Das kann zum Beispiel durch besondere Siegel geschehen, die die Einhaltung bestimmter Produktionsstandards garantieren und auf die sich der Verbraucher verlassen kann. Beispiele dafür sind das Biosiegel, das Fair-Trade-Zeichen oder auch MSC als Ausweis für nachhaltige Fischerei. Leider hat sich im Bereich der sozialen Mindeststandards der Produktion zum Beispiel im Bereich der Textilien noch kein solches Siegel etabliert. Deshalb setze ich mich gerade in diesem problematischen Bereich für ein mindestens EUweites Siegel zum Beispiel mit dem Titel „Social made“ ein. Für ein solches Siegel müssen Mindeststandards bei Lohnniveau, Arbeitsbedingungen und Ökologie erfüllt sein. Unternehmen, die in den Produktionsländern diese höheren Standards erfüllen, können dann mit dem „Social-made“-Siegel werben und den Verbraucher informieren, dass er sozial verantwortungsvoll und ökologisch nachhaltig handelt. Umgekehrt werden Unternehmen, die das Siegel nicht besitzen, in Erklärungsnot kommen, insbesondere wenn sie teure Markenkleidung in Deutschland verkaufen, aber in Bangladesch oder anderswo nicht einmal Mindeststandards erfüllen. Wir schließen damit also eine wichtige Lücke. Deshalb würde ich mich freuen, wenn möglichst viele Kolleginnen und Kollegen fraktionsübergreifend diese Idee unterstützen würden. Die UN-Leitlinien für menschenrechtlich verantwortliches unternehmerisches Handeln sind ein guter und wichtiger Ansatz, den wir in unsere nationale Entwicklungszusammenarbeit integrieren sollten und den wir auf internationaler Ebene - zum Beispiel in der Form eines Folgemandats - ausbauen sollten.

Ullrich Meßmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

2011 stehen Menschenrechte und Unternehmensverantwortung im Zentrum der Aufmerksamkeit. 2011 können in entscheidender Weise die Weichen für die Stärkung der Menschenrechte und den Ausbau der gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung gestellt werden. Im Juni wurde die Revision der OECD-Leitsätze abgeschlossen. Zur selben Zeit stimmte auch der UN-Menschenrechtsrat über die sogenannten „Guiding Principles“ von John Ruggie, dem UN-Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte, ab. Daneben bestehen bereits die Erklärung der ILO über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik sowie der Global Compact der Vereinten Nationen. Während verbindliche Normen sich zumeist in gewerkschaftlich erstrittenen tariflichen Vereinbarungen niederschlagen, umfasst der Begriff CSR - Corporate Social Responsibility - freiwillige Initiativen der Wirtschaft zur Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten, zur nachhaltigen Entwicklung und zur Beachtung von Umweltfaktoren. Mit seinem Rahmenwerk „Guiding Principles“ will Ruggie zwischen sämtlichen bestehenden teils freiwilligen, teils verbindlichen Normen vermitteln. Sein Rahmenwerk beruht auf drei Säulen: erstens protect, die staatliche Verpflichtung, die Menschenrechte gegenüber Verletzungen Dritter zu schützen, zweitens respect, die Verantwortung von Unternehmen, die Menschenrechte zu respektieren, drittens remedy, Zugang der Opfer zu effektiven Beschwerde- und Abhilfemaßnahmen. Damit definiert er neben menschenrechtlichen auch soziale und ökologische Standards für global tätige Unternehmen. Denn ökologische und soziale Belange berühren die menschenrechtliche Dimension unternehmerischen Handelns häufig in erheblichem Umfang. Wenn Ureinwohnern durch Landgrabbing beispielsweise ihre Lebensgrundlage entzogen wird, verletzt dies Menschenrechte sogar in existenziellem Sinne. Die Guiding Principles stellen dabei kein neues Regelwerk dar, sie bieten aber Orientierung in der Fülle von rechtlichen Verpflichtungen, freiwilligen Initiativen und unklaren Verantwortlichkeiten, und sie klären die verschiedenen Handlungsebenen für die Staaten, die Unternehmen und die Betroffenen. Sie enthalten politische, juristische und verfahrenstechnische Empfehlungen an Unternehmen, wie sie den Menschenrechtsschutz intern in ihren Tochtergesellschaften und ihren Zulieferbetrieben verbessern und Menschenrechtsverletzungen vermeiden können. Auch werden Unternehmen durch sie Zu Protokoll gegebene Reden aufgefordert, mögliche Menschenrechtsverletzungen zu erkennen, zu beseitigen und bereits eingetretene Folgen wiedergutzumachen und weiteren Verletzungen vorzubeugen. Darüber hinaus enthalten die Leitlinien Anregungen für einen effektiven Rechtsschutz für die möglichen Opfer von Menschenrechtsverletzungen und für nichtjuristische Maßnahmen im Sinne der Opfer. Um die Leitlinien mit der wünschenswerten Durchsetzungskraft und Dynamik auszustatten, ist ein UN-Folgemandat für Menschenrechte und Wirtschaft unerlässlich. Hier fordern wir als SPD die Bundesregierung ausdrücklich auf, konstruktiv und nachdrücklich an der weiteren Ausgestaltung des UN-Folgemandats mitzuwirken und dafür zu sorgen, dass dieses Folgemandat angemessen ausgestattet bleibt, damit die Implementierung der Leitlinien überwacht und ihre Verbreitung und Weiterentwicklung befördert wird. An dieser Stelle ist die Zivilgesellschaft ausdrücklich einzubeziehen. Des Weiteren soll sich die Bundesregierung auf EUEbene für eine Berichts- und Offenlegungspflicht für Unternehmen engagieren, damit unternehmerisches Handeln transparenter und der Umgang von Unternehmen mit menschenrechtlichen Risiken dokumentiert wird. Wir fordern die Bundesregierung weiter auf, dass auch Freihandelsabkommen eine Menschenrechtsklausel enthalten und Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen Bestandteil dieser Abkommen werden. In diesem Zusammenhang machen wir uns für eine menschenrechtliche Risikoanalyse für alle Bereiche der Außenwirtschaftsförderung stark: Unternehmen sollen sich für die Einhaltung der Menschenrechte in allen Tochterund Subunternehmen sowie den Zulieferbetrieben einsetzen. Eine direkte Haftung von Mutterunternehmen für alle schuldhaften Menschenrechtsverletzungen von Tochterunternehmen gehört ebenfalls dazu. Diese Maßnahmen müssen insgesamt zu einem verbesserten Rechtsschutz für die Opfer führen. In diesem Zusammenhang müssen auch die viel zu kurzen Verjährungsfristen erneut auf den Prüfstand gebracht werden. Wir als SPD fordern die Bundesregierung an dieser Stelle nachdrücklich dazu auf, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden und unsere Forderungen eingehend zu prüfen. Der Einsatz für die Menschenrechte weltweit muss erklärtes Ziel deutscher Politik, auch der deutschen Außenwirtschaftspolitik sein.

Serkan Tören (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004177, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In der heutigen abschließenden Beratung der Beschlussempfehlung diskutieren wir den vorgelegten Antrag der SPD-Fraktion. Der Antrag wird von der FDPBundestagsfraktion abgelehnt. Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion sind die Forderungen des SPD-Antrags zu wenig differenziert. So sollen Unternehmen nach Auffassung der SPD umfassenden Berichts- und Monitoringpflichten im Hinblick auf ihre menschenrechtliche Verantwortung unterworfen werden. Diese Pflichten sollen sich auch auf Tochter-, Subunternehmen und Zuliefererbetriebe erstrecken. Zudem soll auf EU-Ebene auf verbindliche Berichts- und Offenlegungspflichten gedrängt werden. Die Einhaltung von Menschenrechts-, Sozial- und Umweltstandards trägt zum guten Ruf des Unternehmens bei. Auch die deutsche Wirtschaft insgesamt profitiert von dem guten Ruf ihrer Unternehmen. Aus Sicht der FDP sollte die menschenrechtliche Verantwortung ein essenzielles Interesse jedes Unternehmens sein, insbesondere dann, wenn es international tätig ist. Zum einen: Unternehmen möchten ungern mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden. Dies schon allein deshalb nicht, um Imageschäden zu vermeiden. Zum anderen: Die Beachtung von Menschenrechten stellt im Rahmen der sozialen Unternehmensverantwortung einen unternehmerischen Vorteil dar. Zudem erhöht sich in einem Umfeld, in dem Menschenrechte beachtet werden, die Investitionssicherheit für das Unternehmen. Umfassende Berichts- und Dokumentationspflichten stellen hingegen eine zusätzliche bürokratische Belastung für Unternehmer dar. Dies gilt auch für deren Tochter-, Subunternehmen und Zuliefererbetriebe. Diese Pflichten verursachen zusätzliche Kosten. Deutschland hat sich verschiedenen Initiativen internationaler Organisationen angeschlossen. Hintergrund ist, die Beachtung von Menschenrechten durch Unternehmen zu verbessern. Zu nennen sind hier beispielsweise der Global Compact der Vereinten Nationen. Diese Initiative ist im Jahr 2000 als Allianz zwischen der UN und der Privatwirtschaft ins Leben gerufen worden. Heute ist sie die weltweit umfassendste freiwillige Initiative zur Förderung unternehmerischer Verantwortung. Des Weiteren sind die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu erwähnen. Diese OECDLeitsätze wurden überarbeitet. Der Round Table, bei dem diese diskutiert wurden, fand am 29. Juni 2011 in Paris statt. Im Zuge der Erneuerung der Leitsätze wurde ein eigenes Menschenrechtskapitel eingefügt. Auch die Zuliefererbeziehungen sind hierbei thematisiert worden. Zudem ist die Bundesregierung bestrebt, die OECDLeitsätze international zu verbreiten. Damit sollen weitere Staaten diese anerkennen. Seit 2001 besteht ein „Runder Tisch Verhaltenskodizes“. Hier diskutieren Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, NRO und Bundesministerien gemeinsam über Verhaltenskodizes und Sozialstandards. Allein diese drei Beispiele zeigen: Deutschland ist bereits sehr aktiv im Hinblick auf die Förderung der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung. Zu dem Forderungskatalog des SPD-Antrags ist folgendes festzustellen: Zur Forderung 1 des Antrags ist zu erwähnen: Die „Guiding Principles“ sind am 16. Juni 2011 vom Menschenrechtsrat in Genf im Konsens angenommen worden. Somit nur wenige Tage, nachdem die SPD ihren Antrag vorgelegt hat. Deutschland begrüßt die „Guiding Principles“ und war Cosponsor der begleitenden ResoZu Protokoll gegebene Reden lution. Wenngleich sich der praktische Nutzen dieser Resolution in Zukunft erst noch erweisen muss, ist die zentrale Forderung des Antrags damit hinfällig. Zur Forderung 2 ist zu sagen: Der UN-Menschenrechtsrat hat am 16. Juni 2011 über ein Nachfolgemandat für den UN-Sonderbeauftragten John Ruggie entschieden. Dieser darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren. Eine Arbeitsgruppe aus fünf Experten wird sich künftig dem Thema widmen. Die Experten werden aber erst im Herbst 2011 benannt. Forderung 2 ist demnach obsolet. Zur Forderung 4 ist zu konstatieren: Die Folgekosten dieser Forderung sind nicht quantifizierbar. Daher kann diese aufgrund ihrer Pauschalität nur abgelehnt werden. Zu der Forderung 5 ist festzustellen: Seit den frühen 1990er-Jahren bezieht die Europäische Gemeinschaft in alle Rahmenabkommen, die mit Drittstaaten geschlossen werden, eine sogenannte Menschenrechtsklausel ein. Dies gilt für Handels- und Kooperationsabkommen oder Assoziationsabkommen wie die Europa-Abkommen über die Mittelmeer-Abkommen bis hin zum Abkommen von Cotonou. Ausnahmen bilden Abkommen über Landwirtschaft, Textilien und Fischerei. Über 50 solcher Abkommen sind bereits unterzeichnet worden, und die Menschenrechtsklausel gilt derzeit für über 120 Länder. Die ohnehin bereits obligatorische Menschenrechtsklausel ist ein Weg, wie Menschenrechtsprobleme im Verhältnis von EU und Vertragsstaat adressiert werden können. Sie entbindet die EU-Staaten nicht, darüber hinaus auch in den bilateralen Beziehungen jeweils Verbesserungen anzumahnen. Die FDP vertritt die Auffassung: Handelsabkommen sollten in erster Linie darauf abzielen, Wirtschaftsbeziehungen zu stärken und somit Armut zu bekämpfen. Das entscheidende Stichwort ist hier „Wandel durch Handel“. Eine „Überfrachtung“ von solchen Handelsabkommen mit einem Forderungskatalog, was die Menschenrechte betrifft, würde dem grundsätzlichen Charakter solcher Abkommen zuwiderlaufen. Damit würde ein Zustandekommen unnötig erschwert. Die positiven Effekte der Wirtschaft auf die Wohlfahrt in den Ländern und damit die Verbesserung der konkreten Lebenssituation vieler Menschen würde verhindert werden. Insbesondere bei Ländern mit kritischer Menschenrechtslage ist die Menschenrechtssituation in den Beziehungen zu thematisieren. Ein Freihandelsabkommen bietet einen weiteren Gesprächskanal, auf dem gegenüber Regierungen auch Menschenrechtsanliegen kommuniziert werden können. Aufgrund des bereits erfolgenden Engagements Deutschlands für die Beachtung von Menschenrechten durch Unternehmen und die zum Teil hinfälligen, zum Teil problematischen Forderungen im Antrag der SPD kann dieser von der FDP-Bundestagsfraktion nur abgelehnt werden.

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Außenhandels- und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik zeigt deutlich, dass unverantwortliches unternehmerisches Handeln durch staatliche Politik unterstützt wird. Ein Beispiel hierfür ist die Hermesbürgschaft in Höhe von 1,3 Milliarden Euro für den Atomreaktor Angra 3 in Brasilien. Es ist unverantwortlich, dass mit deutscher Hilfe ein fast 25 Jahre alter Schrottreaktor in Brasilien fertiggebaut wird. Angra 3 ist vergleichbar mit dem Atomkraftwerk Grafenrheinfeld, das in Deutschland 2015 stillgelegt werden muss. In Brasilien soll es jedoch mit staatlicher Unterstützung der Bundesregierung noch Jahrzehnte betrieben werden. Auch das zweite Großprojekt in Brasilien, der Bau des Stahlwerks von ThyssenKrupp und dem Brasilianischen Konzern Vale in Sepetiba im Bundesstaat Rio de Janeiro hat massiv die Menschenrechte verletzt. Über 8 000 Fischerfamilien mit mehr als 40 000 Betroffenen müssen um ihre Existenz fürchten. Die Fangmengen der Fischer sind durch den Bau des Stahlwerks um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig werden die wertvollen Mangrovenwälder nachhaltig geschädigt. Um den Protest der Fischerinnen und Fischer zu verhindern, werden Kritikerinnen und Kritiker des Stahlwerkbaus von Milizen bedroht. Die Bundesregierung hat den Bau des Stahlwerkes als Entwicklungsperspektive bezeichnet. Dies ist zynisch. Alle Forderungen der Bundesregierung, die UNLeitlinien für menschenrechtlich verantwortliches Handeln zu unterstützen, sind unglaubwürdig, wenn sie aus rein exportegoistischen Gründen eine unverantwortliche Politik unterstützt. Menschenrechtlich verantwortliches Handeln bedeutet, dass die Industriestaaten keine Investitionen zulassen oder fördern dürfen, die das Recht auf Arbeit und Nahrung von anderen Menschen zerstört. Von den Unternehmensmanagern von ThyssenKrupp erwarten wir, dass sie an die Fischerfamilien Entschädigungen zahlen und das Stahlwerk so umbauen, dass die Existenz der Fischer gesichert werden kann und die Bucht von Sepetiba nicht mehr verschmutzt wird. Auch in der neuen Rohstoffstrategie der Bundesregierung kommen Menschenrechte de facto nicht vor. Zwar wird im Einleitungsteil darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung die „nachhaltige Rohstoffwirtschaft unter Wahrung der Menschenrechte und Einhaltung international anerkannter sozialer und ökologischer Mindeststandards stärken“ will. Die Rohstoffstrategie ist jedoch einseitig auf „bilaterale Rohstoffpartnerschaften“, „europäische Rohstoffpolitik“ und auf die „Bekämpfung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen“ ausgerichtet. Damit will die Bundesregierung Länder in Afrika und Südamerika zwingen, ihre Exportsteuern auf unverarbeitete Rohstoffe massiv abzubauen oder abzuschaffen. Sie verhindert damit bewusst die Entwicklung von Wertschöpfungsketten in diesen Ländern. Auch Zu Protokoll gegebene Reden die Staatshaushalte vieler rohstoffexportierender Länder werden dadurch massiv gefährdet. Die gesamte Rohstoffstrategie ist einseitig von den Interessen der deutschen Industrie bestimmt. Viele Forderungen wurden im Vorfeld der Erarbeitung der Strategie vom BDI erhoben und finden sich fast wortgleich in der Rohstoffstrategie der Bundesregierung wieder. Durch diese Ausrichtung der Rohstoffpolitik Deutschlands auf die Liberalisierung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen werden die Menschenrechte in vielen Regionen der Welt den ökonomischen Forderungen der Industriestaaten untergeordnet. Ein typisches Beispiel für die bewusste Ausblendung der Folgen deutscher Rohstoffpolitik ist der Abbau von Uran in Niger. Wenn die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zur Herkunft des in deutschen Atomkraftwerken eingesetzten Urans mitteilt, dass „unter ‚Herkunft‘ des Materials das Land verstanden wird, in welchem der letzte Konversionsschritt bei der Verarbeitung zum Beispiel des Urans durchgeführt worden war“, zeugt das von einer bewussten Ignoranz der Bundesregierung. Allgemein bekannt ist, dass Frankreich mehr als 40 Prozent seiner Uranimporte aus Niger bezieht. Wenn die Bundesregierung aber mitteilt, Deutschland beziehe sein Uran zu großen Teilen aus europäischen Ländern, ist das die bewusste Unwahrheit, um von den katastrophalen Abbaubedingungen in den Uranminen Nigers abzulenken. Der französische Konzern Areva betreibt Uranminen in Niger. Seit 1968 haben sie mehr als 100 000 Tonnen des Atombrennstoffs in den Minen gefördert. Die Folgen des Uranabbaus in Niger sind Millionen Tonnen radioaktiver Abfälle, schwere Krankheiten, verstrahltes Wasser und ganze Regionen, die radioaktiv verstrahlt sind. Der Abbau von metallischen und nichtmetallischen Rohstoffen sowie die Förderung von Erdöl und Erdgas sind in vielen Entwicklungsländern einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Häufig führt dieser Rohstoffreichtum dazu, dass für die Interessen der Rohstoffkonzerne die Armutsbekämpfung auf der Strecke bleibt, das Recht auf Nahrung, Gesundheit und menschenwürdiges Wohnen mit Füßen getreten wird. In den Förderländern leben mehr als die Hälfte der Menschen in äußerster Armut. Gerade in Ländern mit hohem Rohstoffreichtum nehmen Armut, Staatszerfall, Gewalt und Korruption durch die einseitige Umsetzung der Interessen der Rohstoffkonzerne massiv zu. Die Landrechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften werden häufig verletzt. Umweltzerstörungen führen zu einer Verletzung des Rechts auf Gesundheit. Eine Studie des „Open Society Institute of Southern Africa“ kommt zu dem Ergebnis, dass die Abbauländer kaum von dem Preisboom der Rohstoffe zwischen 2003 und 2008 profitiert haben, „weil den Bergbauunternehmen zu viele Steuererleichterungen gewährt werden und viele Unternehmen die Zahlung von Steuern durch geheime Verträge und konzerninterne Gewinnverlagerung umgehen.“ Hierbei nennt die Studie Beispiele aus Ghana, Tansania, Sierra Leone, Sambia, Malawi, Republik Südafrika und Demokratische Republik Kongo. Deshalb weist das Global Policy Forum völlig zu Recht darauf hin, dass nur „eine faire und ökologisch tragfähige Rohstoffstrategie die Senkung des Ressourcenverbrauchs, Achtung und Schutz der Menschenrechte, die Einhaltung der internationalen Umwelt- und Sozialstandards, die zivile Konfliktprävention sowie die Eindämmung der Rohstoffspekulation“ Entwicklung in den rohstoffreichen Ländern ermöglichen und Menschenrechtsverletzungen durch die Unternehmen eindämmen kann. Der bisherige Entwurf der OECD-Leitlinien bezieht an keiner Stelle die Verantwortung von Geschäftsführern, weder im Völkerrecht noch im nationalen Recht und weder unter straf- noch unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten, ein. Das „European Center for Constitutional and Human Rights“, ECCHR, kritisiert, dass mit der Ausrichtung des Entwurfs der weiteren Untätigkeit der Staaten des globalen Nordens Vorschub geleistet wird. Dies will die Fraktion Die Linke verändern, damit transnationale Unternehmen und deren Verantwortliche in Zukunft für ihr Handeln direkt zur Rechenschaft gezogen werden können. Der Antrag der SPD geht bei einigen Forderungen in die richtige Richtung und fordert teilweise verbindlichere UN-Leitlinien ein. Dennoch fehlen in dem Antrag weiter gehende Forderungen wie die nach einem verpflichtenden Zugang der Opfer zu Beschwerde- und Klagemöglichkeiten und die Möglichkeiten der Betroffenen, Schadenersatzzahlungen von den transnationalen Unternehmen zu erhalten. Aus diesem Grund wird sich die Fraktion Die Linke bei diesem Antrag enthalten.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen stellen das internationale Menschenrechtssystem vor enorme Herausforderungen. Weder die klassischen, staatszentrierten Menschenrechtskonzeptionen noch die aktuelle Rechtslage auf internationaler und nationaler Ebene werden den menschenrechtlichen Gefahren, die von Unternehmen ausgehen, gerecht. Professor John Ruggie, der bis Ende Juni 2011 UN-Sonderbeauftragter zur menschenrechtlichen Verantwortung internationaler Konzerne war, hat die Debatte über Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen in den letzten sechs Jahren beharrlich vorangebracht und bestehende Regelungslücken aufgezeigt. Dafür gebührt ihm Respekt. Ruggie hat UN-Leitlinien für menschenrechtlich verantwortliches unternehmerisches Handeln erarbeitet, die am 16. Juni 2011 vom UN-Menschenrechtsrat beschlossen wurden. Sie fassen bestehende Rechtspflichten von Staaten und Verantwortlichkeiten von Unternehmen zusammen und geben Empfehlungen ab. Im Dschungel rechtlicher Verpflichtungen, freiwilliger Initiativen und unklarer Verantwortlichkeiten bieten sie Orientierung für Staaten, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen, die sich für einen besseren MenschenrechtsZu Protokoll gegebene Reden schutz engagieren. Eine konsequente Umsetzung des geforderten Prinzips der menschenrechtlichen Sorgfaltsplicht, Due Diligence, würde einen großen Schritt nach vorn bedeuten. Demnach müssen Unternehmen Vorkehrungen treffen, um nachteilige Auswirkungen auf Menschenrechte zu vermeiden oder, sollten bereits Schäden entstanden sein, zu entschädigen. Dabei beziehen sich die Maßnahmen auch auf die Zulieferer und andere staatliche und nicht staatliche Geschäftspartner. Die Leitlinien sind ein Schritt in die richtige Richtung. Er reicht aber nicht aus. So weisen die Leitlinien eine Reihe von Schwächen auf, die Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und FIAN zu Recht kritisieren: Erstens. Die Leitlinien beruhen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und sind rechtlich nicht verbindlich. Die Deutungshoheit über das, was ein angemessenes soziales Verhalten ist, wird also den Unternehmen überlassen. Zweitens. Den Leitlinien mangelt es an Verzahnung der drei Säulen der Menschenrechtsumsetzung Protect ({0}), Respect ({1}) und Remedy ({2}). Noch werden also staatliche Schutzpflichten nicht ausreichend mit unternehmerischen Sorgfaltspflichten verknüpft. Eine Pflicht von Staaten, Verletzungen der Sorgfaltspflicht durch Unternehmen konsequent zu ahnden, ist nicht vorgesehen. Drittens. Die Leitlinien greifen extraterritoriale Staatenpflichten kaum auf. Das wird den ökonomischen und politischen Realitäten in Zeiten der Globalisierung und der massiven staatlichen Außenwirtschaftsförderung nicht gerecht. Hier sind Menschenrechte noch nicht ausreichend verankert. Eine menschenrechtliche Risikoanalyse fehlt ganz. Um die Arbeit von John Ruggie weiterzuführen, sollte ein wirksames Verfahren ({3}) im UN- Menschenrechtsrat beschlossen werden, wie es ver- schiedene Nichtregierungsorganisationen fordern. Ein solches Verfahren sollte vor allem vier Aufgaben erfül- len: Erstens. Die bestehenden Rechtsschutzlücken analy- sieren und international verbindliche Regelungsinstru- mente entwickeln. Zweitens. Die Umsetzung des „Protect, Respect and Remedy“-Ansatzes durch Staaten und Unternehmen im Hinblick auf die UN-Leitlinien und die entsprechenden internationalen Menschenrechtspflichten beobachten, zum Beispiel durch Länderbesuche, das Sammeln von „Best Practices“ und durch Empfehlungen an Staaten und Unternehmen. Drittens. Regierungen, die Zivilgesellschaft und Op- fer von durch Unternehmen verursachte Menschen- rechtsverletzungen in Zusammenarbeit mit dem UN- Hochkomissariat für Menschenrechte unterstützen. Eine Studie der George-Washington-Universität schätzt, dass nur 400 von den circa 80 000 multinationa- len Unternehmen weltweit Menschenrechtsprinzipien in- tegriert haben. Noch weniger prüfen Auswirkungen ih- res Unternehmertums auf Menschenrechte. Wir müssen beharrlich daran arbeiten, dass die Leitlinien für menschenrechtlich verantwortliches unternehmeri- sches Handeln Eingang in rechtliche Vorgaben finden. Nur so können Menschen vor Verletzungen ihrer Rechte durch Unternehmen geschützt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6445, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6087 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen bei Gegenstimmen von SPD und Grünen und Enthaltung der Linken angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes - Drucksachen 17/6055, 17/6209 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - Drucksache 17/6508 - Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Angelika Brunkhorst Dorothea Steiner b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Unsere Meere brauchen Schutz - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Schutz der Meere vor Vermüllung und anderen Verschmutzungen - Drucksachen 17/1960, 17/1763, 17/4566 Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Sabine Stüber

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Meere sind kostbar. Ihr Schutz ist uns ein wichtiges Anliegen. Meeresschutz stellt einen Eigenwert an sich dar. Der effektive Schutz der Ozeane und Meere ist aber auch wichtig für uns und unser tägliches Leben. Der immense Einfluss, den menschliche Aktivitäten auf die Meere ausüben, steht diesem Schutzanliegen oftmals entgegen. Um die Potenziale der Meere - wie Fischerei, Energiegewinnung, marine Wirkstoffe - weiter nutzen zu können, müssen wir die Meere auch in unserem eigenen Interesse noch besser schützen. Vor diesem Hintergrund freue ich mich, dass das Thema auf den verschiedenen politischen Ebenen zunehmend mehr Aufmerksamkeit erfährt und dass bereits viel Gutes erreicht wurde. Beispielsweise ist Deutschland im Bereich der Meeresschutzgebiete Vorreiter. Im Jahr 2010 erfüllt die Ostseeregion als erste Meeresregion weltweit die Zielvorgabe der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt. Sie ist weltweit die erste Meeresregion, die es geschafft hat, mindestens 10 Prozent der Meeresfläche als Meeresschutzgebiete vorweisen zu können. Innerhalb des deutschen Ostseegebietes sind sogar mehr als 35 Prozent als Meeresschutzgebiete ausgewiesen. Mit Blick auf die beiden Anträge der Opposition meine ich deshalb: Wir sollten es vermeiden, den Eindruck zu erwecken, dass alles schlecht sei und bislang nichts substanziell Gutes erreicht worden sei. Ich warne davor, ein falsches Bild zu zeichnen. Von deutscher Passivität beim Meeresschutz kann jedenfalls keine Rede sein. Richtig ist jedoch: Wir geben uns mit dem bisher Erzielten nicht zufrieden. Noch lange nicht sind alle Probleme zufriedenstellend gelöst. Gerade weil immer noch Handlungsbedarf besteht, ist die Vorlage des Gesetzes zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtline, MSRL, von besonderer Bedeutung. Dies zeigt, dass die christlich-liberale Bundesregierung dem Thema Meeresumweltschutz einen hohen Stellenwert beimisst und gemeinsam mit den Bundesländern intensiv an der Reduzierung der Belastung der Meere arbeitet. Die MSRL wurde am 17. Juni 2008 auf EU-Ebene verabschiedet. Der integrative Politikansatz, der der Richtlinie zugrunde liegt, dient dem Schutz des marinen Ökosystems als Ganzes. Dies schließt die biologische Vielfalt und die Meeresschutzgebiete als Unterpunkte ein. Das konkrete Ziel der Richtlinie besteht darin, bis 2020 einen guten Umweltzustand der europäischen Meere zu erreichen. Zur Erreichung dieses Ziels wurde erstmals ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen, innerhalb dessen die EU-Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen. Erstmals gibt es verbindliche Ziele. Erstmals wird die Durchführung systematischer und aufeinander aufbauender Verfahrensschritte zum Schutz der Meere gesetzlich normiert. Hieraus folgen erhöhte Anforderungen an die Überwachung der Meere und die Koordinierung entsprechender Maßnahmen, auch in Abstimmung mit den Anrainerstaaten. Wie sieht der Weg zur Erreichung des guten Umweltzustands genau aus? Das wesentliche Instrument auf dem Weg ist die Erstellung von Meeresstrategien, die jeder EU-Mitgliedstaat entwickeln muss. Die sechs Schritte zur Entwicklung der Meeresstrategie bestehen in der Anfangsbewertung zur Erfassung des aktuellen Umweltzustands, der Beschreibung eines guten Umweltzustands, der Festlegung von Umweltzielen und dazugehörigen Indikatoren, der Erstellung und Durchführung eines Überwachungsprogramms für die laufende Bewertung, der Erstellung eines Maßnahmenprogramms zur Erreichung des guten Umweltzustands und der praktischen Umsetzung des Maßnahmenprogramms. Bei der Ausführung dieser Schritte stehen Bund und Bundesländer gemeinsam in der Verantwortung. Nur in Zusammenarbeit können die oben genannten Ziele erreicht werden. Aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten - der Bund für die AWZ und die Bundesländer für die Küstengewässer - gibt es beim Meeresschutz einen regelrechten Zwang zur Kooperation. Der Schutz der Meere ist nicht teilbar. Weil das so ist, hat sich die Umsetzung der europäischen Richtlinie in deutsches Recht verzögert. Ein Beispiel für die zunehmende Schwerfälligkeit unseres föderalistischen Systems. Den Änderungswünschen des Bundesrates hat die Bundesregierung jedoch weitgehend zugestimmt. Wir haben dies in unseren Änderungsanträgen der Koalition aufgenommen. Wenn wir heute den Gesetzentwurf mit einem Jahr Verzögerung gegenüber den Fristsetzungen der EURichtlinie beschließen, so heißt das nicht, dass wir auch in der konkreten Arbeit, zum Beispiel der Anfangsbewertung, im Verzug sind. Es ist gut, dass daran bereits gearbeitet wird. Ich gehe davon aus und erwarte auch, dass für alle weiteren Verfahrensschritte zur Umsetzung der EU-MSRL die darin vorgegebenen Fristen eingehalten werden. Die Meere und ihre Bewohner verzeihen uns keine Verzögerungen! Es ist gut, dass das Gesetz heute beschlossen wird. Jetzt können wir beim Meeresschutz weiter voranschreiten. Die MSRL und ihre nationale Umsetzung sind ein Meilenstein für den Meeresschutz. Wir müssen das uns Mögliche tun, um marine Lebensräume zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Aus diesem Grund bitte ich um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Lage der Meere ist dramatisch. Überfischung, Klimawandel, Vermüllung, Verschmutzungen durch die Ölförderung. Das sind nur ein paar Bespiele der Bedrohungen, denen unsere Meere ausgesetzt sind. Forscher warnen in einem neuen Bericht sogar vor einem Massensterben in den Ozeanen - so schlimm, wie es sich zuletzt vor rund 55 Millionen Jahren ereignete, als ein bedeutender Teil der im Meer lebenden Arten verschwand. Wissenschaftler warnen auch vor kumulativen Effekten der schädlichen Einflüsse. Ein schädlicher Einfluss ist Zu Protokoll gegebene Reden zum Beispiel die Versauerung der Ozeane. Durch menschlichen Einfluss erwärmen sich die Ozeane - und sie versauern, weil sie Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen. Als Folge schwindet jetzt der Sauerstoffgehalt in manchen Meeresregionen. Die Pufferkapazität des Meeres sinkt. Das führt dazu, dass die Ozeane noch schneller versauern und dass sie weniger CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen können, was wiederum den Klimawandel beschleunigt. Eine andere schädliche Veränderung sind das Verschwinden von Fischarten und das Auftreten gefährlicher Algenblüten. Die Bestände einiger kommerziell wichtiger Fischarten sind um mehr als 90 Prozent reduziert worden. Der kumulative Effekt der schädlichen Einflüsse sei - so eine Gruppe von Wissenschaftlern in einem Bericht über einen Kongress in der Universität von Oxford im April - größer als bisher angenommen - und größer als die Summe der einzelnen Effekte. So würden etwa gleichzeitige Überfischung, Überdüngung, klimatische Veränderung und das Einführen nicht heimischer Arten dazu führen, dass sich diese fremden Arten ausbreiten, was sich etwa durch Algenblüten bemerkbar mache. Steigende Temperaturen und Versauerung zerstören gemeinsam tropische Korallenriffe. Der Meeresschutz muss ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Die Meeresstrategierahmenrichtlinie ist dabei ein wichtiger Schritt hin zu einem besseren Schutz der Meere. Diese Richtlinie der EU wurde 2008 verabschiedet und sollte eigentlich seit letztem Jahr in deutsches Recht umgesetzt werden. Mit fast einem Jahr Verspätung liegt der Gesetzentwurf nun dem Deutschen Bundestag vor. Deutschland hat es versäumt, rechtzeitig die Meeresschutzrahmenrichtlinie umzusetzen. Dafür wurde Deutschland im Juni von der EU-Kommission in einer Stellungnahme gerügt. Die Umsetzungsfrist für beide Rechtsakte ist bereits im Juli 2010 abgelaufen. Aber wenigstens ist die jetzige Fassung des Gesetzes deutlich besser als die Version, die die Bundesregierung letztes Jahr vorgelegt hat. Der Entwurf vom letzten Jahr wäre der Richtlinie nicht gerecht geworden. Die aktuelle Fassung vom 15. April 2011 wird den Vorgaben der Meeresstrategierahmenrichtlinie in weiten Teilen gerecht. Doch noch immer finden sich einige gravierende Schwachstellen, die unserer Meinung nach dringend verbessert und angepasst werden müssen: Die Meeresstrategierahmenrichtlinie schafft einen Ordnungsrahmen für Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft zum Schutz der Meeresumwelt. Als Umweltsäule der europäischen Meerespolitik hat sie das Ziel, die europäischen Meere bis zum Jahr 2020 in einen guten Umweltzustand zu versetzen bzw. diesen zu erhalten. Dabei will diese Richtlinie zur Kohärenz der verschiedenen politischen Maßnahmen beitragen, die sich auf die Meeresumwelt auswirken. Damit die Ziele der Meeresstrategie erreicht werden können, ist ein transparenter und einheitlicher Rechtsrahmen erforderlich. Die Richtlinie schreibt einen „guten Umweltzustand“ für die europäischen Meere ab 2020 vor. Die Richtlinie schreibt den EU-Mitgliedstaaten vor, bis 2020 Maßnahmen umzusetzen, die geeignet sind, diesen guten Umweltzustand zu erreichen. Die Richtlinie enthält dazu elf sogenannte Deskriptoren des guten Umweltzustands, unter anderem die biologische Vielfaltssicherung oder die Verringerung von Schadstoffeinträgen in die Meere. Diese Diskriptoren sind in die nationale Gesetzgebung überzuführen. Trotz verschiedener inhaltlicher Schwächen und Schlupflöcher im Gesetzestext kann die Meeresstrategierahmenrichtlinie bei ambitionierter nationaler Anwendung ein wertvolles Werkzeug für den europäischen Meeresnaturschutz darstellen. Der erste wichtige Schritt besteht dabei in der Umsetzung in nationales Recht. Zur Umsetzung der Meeresstrategie sind Änderungen des Wasserhaushaltsgesetzes und wenige Folgeänderungen des Bundesnaturschutzgesetzes und des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich. Im Änderungsantrag der Koalition ist auch eine Änderung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes vorgesehen. Enthalten sind auch Folgeänderungen des Bundeswasserstraßengesetzes. Denn die in dem Wasserhaushaltsgesetz neu übertragenen Aufgaben an die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV, verlangen eine verfahrensrechtliche Festschreibung im Bundeswasserstraßengesetz. Insbesondere werden dazu neue Vorschriften zu Zubehör, Unterhaltung und Aus- und Neubau von Bundeswasserstraßen angepasst. Zwar ist der jetzige Gesetzentwurf besser als der erste Entwurf. Zu kritisieren ist aber, dass wichtige Punkte nicht aufgegriffen wurden. So ist zum Beispiel der Schutz der biologischen Vielfalt nur unzureichend als eines der Teilziele definiert. In der Begründung wird dieses Ziel zwar aufgeführt, es sollte jedoch innerhalb der Problemstellung und Zielsetzung genannt werden, um die Kohärenz mit dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt zu unterstreichen. Der wichtigen Bedeutung der Meeresschutzgebiete wird der Gesetzentwurf nicht gerecht. In der Begründung zur Struktur des Gesetzentwurfs fehlt die Nennung der Meeresschutzgebiete. Ebenso fehlt auch an dieser Stelle die Hervorhebung des Schutzes der biologischen Vielfalt und des Ökosystemansatzes. In § 45 a wird von Bewirtschaftungszielen als Hauptaufhänger der Meeresstrategierahmenrichtlinie gesprochen. Ziel sollte jedoch der allgemeine Meeresschutz mitsamt dem Schutz der Biodiversität sein. Dies sollte an verschiedenen Stellen des Gesetzes stärker zum Ausdruck kommen. Auch der Änderungsantrag der Koalition ist kritisch zu bewerten. Er greift Zuständigkeits- und Kompetenzfragen zwischen Bund und Ländern auf, ändert das Gesetz jedoch auch inhaltlich. Der Änderungsantrag orientiert sich an der Stellungnahme des Bundesrates. Der Antrag möchte, dass die Länder ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, wenn der Bund nicht tätig wird. Er greift die Zuständigkeit der Länder nach dem Bundesnaturschutzgesetz auf und unterstützt die Forderung der Länder, dass die Zuständigkeit der Bundeswasserstraßenverwaltung nicht erweitert wird. Der Antrag greift auch den Vorschlag des Bundesrates auf, eine Änderung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes vorzunehmen. Der Verweis auf das Düngegesetz in der Ermächtigungsgrundlage des Kreislaufwirtschafts- und AbfallgeZu Protokoll gegebene Reden setzes vollzieht in der Verweisung die Ablösung des Düngemittelgesetzes durch das Düngegesetz nach. Abzulehnen ist jedoch die inhaltliche Änderung in § 45 Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes. Das ist eine Änderung der Zielsetzung des Gesetzes. Nun sollen vom Menschen in die Meere eingetragene Stoffe nicht mehr mit dem Ziel vermindert werden, dass nachteilige Auswirkungen auf die Meeresökosysteme auszuschließen sind. Es soll nur noch das Ziel gelten, dass diese Schadstoffeinträge so weit gemindert werden, dass keine signifikanten nachteiligen Auswirkungen bestehen. Das ist eine Verschlechterung des Umweltschutzes im Vergleich zum vorliegenden Entwurf des Gesetzes. Zwar steht in der Richtlinie, dass es zu „keinen signifikanten Auswirkungen auf die Artenvielfalt des Meeres“ kommen soll. Im Sinne eines ambitionierten Schutzes des Meeres ist das jedoch kein Argument, warum wir in Deutschland eine Umsetzung der Richtlinie wählen sollen, die weniger Meeresschutz zulässt. Ziel muss ein hoher Schutzstandard für unsere Meere sein. Deswegen sollten wir die Richtlinie zugunsten des Meeresschutzes auslegen. Wir lehnen den Änderungsantrag der Koalition somit ab. Zum Gesetzentwurf werden wir uns enthalten, da der Entwurf neben brauchbaren Elementen auch Punkte enthält, denen wir nicht zustimmen können. Die heutige Verabschiedung des Gesetzes ist jedoch nur der erste Schritt. Jetzt müssen die zuständigen Behörden die Meeresgewässer bewerten und beschreiben, wie ein guter Zustand dieser Gewässer aussehen kann. Daraufhin müssen Maßnahmen erarbeitet werden, mit denen wir bis zum Jahr 2020 einen guten Zustand der Meere erreichen können, eine anspruchsvolle Aufgabe, aber angesichts der Bedrohungen der Meere eine Aufgabe, die wir dringend anpacken müssen, sei es beim Artenschutz, bei der Fischerei oder dem Klimaschutz. Ziel muss sein, die Nutzung und Bewahrung der Meere wieder miteinander zu verbinden. Wir müssen den Schutz der Meere vermehrt auf die politische Agenda setzen und hartnäckig und mit langem Atem für Verbesserungen kämpfen. Als Politiker müssen wir hierfür den Dialog suchen und dafür eintreten, dass kurzfristiges Profitdenken durch langfristige Verantwortung abgelöst wird.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Unsere Erde ist zu mehr als 70 Prozent mit Wasser bedeckt. Die Meeresflora erzeugt täglich einen Großteil des weltweiten Sauerstoffs und ist somit Quell unseres Lebens. Viele Lebewesen, die sich unter Wasser in Riffen, Gebirgen, Gräben und Rinnen tummeln, sind noch völlig unbekannt. Ihre Lebensräume werden jedoch zunehmend durch Müll und Verschmutzung bedroht. Im Namen der Fraktion der FDP begrüße ich deshalb die Verabschiedung des Gesetzes zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinien. Nach einem zweiten Anlauf haben wir jetzt eine sehr gute Lösung gefunden. Unser Ziel und unsere Verpflichtung ist es, eine gute Balance zwischen dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Meere zu schaffen. Die Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ist hierfür der Grundstein. Alle europäischen Meeresanrainerstaaten sind im Moment mit der Erarbeitung von nationalen Strategien zur Umsetzung befasst. Europaweit wird so ein Fundament für eine intakte Meeresumwelt geschaffen. Dies wird den vielen im Meer lebenden Arten nutzen. Ihre Lebensräume wollen wir in Zukunft besser schützen. Deshalb ist vor allem der Biodiversitätsansatz in der Richtlinie von großer Bedeutung. Unser erklärter Wunsch ist es, den Rückgang der maritim-biologischen Vielfalt konsequent zu stoppen. Wir wollen produktive und dynamische Meeressysteme schaffen. Der Artenschutz ist dafür die Basis, er soll ein großes Augenmerk bekommen. Hier gilt es in erster Linie der Überfischung und Vermüllung der Ozeane entgegenzutreten. Nur nachhaltig genutzte Meere versorgen uns auch morgen noch mit Ihren Gütern. Die Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ist ambitioniert. In wenigen Jahren wollen wir eine deutliche Verbesserung der europäischen Meere erreichen. In einem ersten Schritt werden wir den Zustand unserer Meere umfangreich dokumentieren. Dann gilt es den gewünschten Umweltzustand festzulegen und peu à peu Ist- und Soll-Zustand anzugleichen. Hierzu zählt auch die Entwicklung eines maritimen Schutzgebietsnetzwerkes. Ebenso wie die Entwicklung und Durchführung von Monitoring-Programmen. Ab 2016 wollen wir mit einem umfangreichen Maßnahmenkatalog für eine bessere Meeresumwelt sorgen. 2020 soll der tatsächliche Zustand unseres Meeres dem Soll-Zustand entsprechen. Wir haben uns hohe Ziele gesteckt und müssen nun die Ärmel hochkrempeln. Europa kann international zum Vorbild werden. Weltweit gibt es nur wenige Meeresschutzgebiete. Nach den ambitionierten Zielen der 10. Vertragsstaatenkonferenz der CBD in Nagoya sollen endlich neue Schutzzonen folgen. Der Ausbau eines globalen Netzes von Meeresschutzgebieten soll fortgeführt und erweitert werden. Einmalige Unterwasserwelten müssen bewahrt und Rückzugsgebiete für bedrohte und seltene Arten gesichert werden. Die Meere bergen noch viele Geheimnisse. Rund 30 Prozent der Ozeane sind zwischen 4 000 und 5 000 Meter tief, und etliche Regionen sind noch gänzlich unbekannt. Vieles gibt es noch zu erforschen und die Bedeutung der Meere als Nahrungs- und Rohstoffquelle wird in den kommenden Jahrzehnten weiter zunehmen. Eines dürfen wir jedoch nicht vergessen: Das Meer ist ein sensibles Ökosystem, das als Kohlenstoffspeicher unser Klima sichert. Wir müssen sorgsam mit den Ozeanen und ihren Bewohnern umgehen. Ein Leben auf der Erde ist nur im Einklang mit intakten Meeren möglich. In dieser Position stimmen wir mit der SPD und den Grünen bei den Zielen überein. Die rot-grünen Lösungswege in den jeweiligen Anträgen können wir jedoch nicht mittragen. Der Antrag „Schutz der Meere vor Vermüllung und anderen Verschmutzungen“ von Bündnis 90/Die Grünen verfolgt gute Absichten. Er will die Verschmutzungen der Meeresumwelt aus land- und meeresgestützten Quellen verhindern oder wenigstens reduzieren. Auch soll die Vielfalt der Meere anhand von Schutzgebieten gesichert Zu Protokoll gegebene Reden werden. Der einführende Text beschreibt den Sachstand weitestgehend zutreffend. Der Antrag entpuppt sich jedoch im weiteren Verlauf als ein ungeordnetes Sammelsurium aktuell diskutierter Themen des Meeresschutzes. Er ist in keiner Weise fokussiert, mit Forderungen und Maßnahmen, die längst in Kraft sind. Dazu zählen unter anderem das Verbot von Bunker-C-Öl oder die Seekartierung von Munitionsfunden. Der Antrag hinkt den aktuellen Gegebenheiten hinterher. Ein grünes Potpourri an Verboten, weder ausgegoren noch tragfähig. Deshalb werden Sie von der FDP auch keine Unterstützung erhalten. Auch der Antrag „Unsere Meere brauchen Schutz“ der SPD-Bundestagsfraktion ist nicht viel erquicklicher. Die SPD fordert Maßnahmen gegen die zunehmende Überfischung und Verschmutzung der Meere. Anhand einer neuen Strategie sollen unter anderem Meeresschutzgebiete ausgebaut und Verschmutzungen durch Ölförderungen eingedämmt werden. Auch verlangt der Antrag ein generelles Moratorium in der Tiefseeölförderung. Mit diesen Maßnahmen soll das Artensterben in den Meeren gestoppt und die biologische Vielfalt der Ozeane erhalten werden. Wir haben zwar das gleich Ziel: Auch wir wollen den Lebensraum Meer schützen. Doch wir brauchen keine neue Strategie. Wir haben auf europäischer Ebene die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, die wir heute verabschiedet haben. Sie schafft den Ordnungsrahmen für die notwendigen Maßnahmen für alle EU-Mitglieder. Sie ist die Strategie, die den Schutz der europäischen Meere würdigt. Sie legt den Ökosystemansatz zugrunde und wählt den integrativen Politikansatz. Sie gilt es nun konsequent umzusetzen und nicht parallel etliche neue Strategien zu schaffen, um am Ende nichts zu erreichen. Die FDP steht für einen Umweltschutz mit Augenmaß. Dies gilt auch für die Ölförderung im Meer. Sicherheit und Umweltschutz müssen dabei jedoch großgeschrieben werden. Die FDP sieht in der verantwortungsvollen Nutzung der Meeresressourcen eine besondere Herausforderung. Wir sprechen uns deshalb auch gegen ein pauschales Verbot der Tiefseeförderung aus. Wir wollen einen Einklang zwischen dem Schutz der Meere, der Nutzung der Meeresressourcen und der Entwicklung der maritimen Wirtschaft erzielen, und nicht ein neues Verbot an das andere reihen. Der von der SPD vorgelegte Antrag ist dafür ungeeignet.

Sabine Stüber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004171, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nur ein halbherziger Versuch zum Schutz der Meere ist die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie in Deutschland. Besser als nichts, hört man allgemein, aber das ist zu wenig. Worum geht es? Unsere Meere brauchen Schutz. Ich kenne niemanden, der das nicht weiß, niemanden, der dem nicht mit Inbrunst der Überzeugung zustimmen würde. Und wir kennen alle die Schlagzeilen über Ölpest, Überfischung, giftige Chemikalien, Plastikmüll und radioaktive Stoffe im Meer. Meer bedeutet im Hochdeutschen, die miteinander verbundenen Gewässer der Erde, die die Kontinente umgeben. Es ist das größte, zum Teil noch völlig unbekannte und unerforschte Ökosystem unserer Erde, das immer mehr zerstört wird, und es ist unsere Maßlosigkeit, die zur Bedrohung wird, mit der industriellen Fischerei, mit der Öl- und Gasförderung, dem Abbau von Sand und Kies, dem ständig wachsenden Schiffsverkehr und der Verklappung von Chemikalien. Die Auswirkungen des Klimawandels kommen noch dazu, aber auch daran haben wir unsere Aktie. Es gäbe noch viel zu dem Horrorszenario zu sagen, dass sich täglich in den Meeren abspielt, aber wir wollen nach vorn schauen. 2008 verabschiedete die EU eine MeeresstrategieRahmenrichtlinie. Damit wurde der gesetzliche Hintergrund geschaffen, um die Belastungen der Meere zu verringern. Was wir anstreben, sind saubere und gesunde europäische Meere mit Fischreichtum und großer Artenvielfalt. Das klingt irgendwie nach Märchen und heißt dann auch im Beamtendeutsch: Erreichung eines „guten Umweltzustandes“. Wie macht man das? Man nehme die Erfassung des Ist-Zustandes und rühre eine Definition für den „guten Zustand“ hinein. Dazu kommen Maßnahmen, mit denen das Ziel erreicht werden soll und zum Abschluss ein Programm zur Überwachung des Ganzen. Es gibt gute Nachrichten von der Nordsee. Auswertungen von ersten Langzeitbeobachtungen im Wattenmeer belegen: Überdüngung und viele Schadstoffkonzentrationen sind rückläufig, und die Populationen von Seevögeln und Meeressäugern wachsen wieder an. Offensichtlich ist konsequenter Schutz das Mittel der Wahl. Das bedeutet, wir sollten einem Netzwerk von Meeresschutzgebieten mehr Bedeutung einräumen. Nur so können wir Lebensräume und Arten vor der Zerstörung bewahren und ihnen die Chance zur Regeneration geben. Was also ist zu tun? Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie in deutsches Recht umsetzen ist der erste Schritt. Der Gesetzentwurf liegt uns heute mit einem Jahr Verspätung vor. Er wird den europäischen Anforderungen weit besser gerecht als ein erster Entwurf aus dem vergangenen Sommer. Und trotzdem bleibt es nur ein erster Schritt; denn es bleiben Schwachstellen, maßgeblich im Ergebnis der Beratung mit dem Bundesrat. Bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben geht es auch um Besitzstandsinteressen. Da wird um Begriffe gefeilscht und gestritten und für den Meeresschutz läuft es auf so viel Schutz wie gerade nötig hinaus und keinen Deut mehr. Ein Beispiel: Im Gesetzentwurf wird das Wort „nachteilige“ Auswirkungen für vom Menschen verursachte Beeinträchtigungen durch das Wort „signifikant“ ersetzt. In der Begründung dafür heißt es, der Begriff nachteilig sei in der deutschen Sprache ein Synonym für ungünstig oder störend und so für wirtschaftliche Aktivitäten zu negativ belegt. Aber Überdüngung, Überfischung und die Verschmutzung unserer Meere durch Öl, Chemikalien und Müll sind nachteilige Beeinträchtigungen, die vermieden werden müssen. Solange das weiter schöngeredet wird und wir nicht einmal durchsetzen, dass Ross und Reiter klar benannt werden, fehlt der politische Wille. Solange nenne ich den deutschen Meeresschutz halbherzig. Zu Protokoll gegebene Reden

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Zustand der Meere weltweit ist - man kann es leider nicht dramatisch genug ausdrücken - eine Katastrophe. Sie scheinen unendlich groß zu sein, und so werden sie vielfach auch behandelt: Als Ressource, die es schonungslos zu nutzen und auszubeuten gilt. Die Folgen sind klar, auch wenn sie unter der Wasseroberfläche liegen und zunächst verborgen erscheinen: Massive Überfischung bei der jetzt an die letzten Reserven gegangen und Fisch gefangen wird, den vor wenigen Jahren keiner kannte, geschweige denn essen wollte, oft sogar noch bevor sie sich wenigstens einmal fortpflanzen konnten. Hinzu kommen Schadstoffe aus allen Richtungen: Der Meeresboden wird nach Öl und Gas angezapft oder auf der Suche nach Rohstoffen umgepflügt, über die Flüsse werden Rückstände aus der Landwirtschaft eingeleitet, befeuern das Algenwachstum und senken den Sauerstoffgehalt so weit, dass Teile der Ostsee zum Beispiel praktisch tot sind. Hinzu kommt die Schifffahrt, die mit Raffinerieabfällen angetrieben wird, die ihre Abwässer legal in die Meere kippt und mit ihren Ballasttanks fremde Arten einschleppt und Heimisches verdrängt. Nicht zu vergessen ist schließlich die Müllproblematik. Vor allem Kunststoff kommt von Land in die Meere, treibt jahrzehntelang herum, zerfällt in kleinste Teile und wird von Vögeln gefressen, woran sie schließlich sterben. Für all diese Probleme haben wir bisher nur Lösungsansätze. Einen durchschlagenden Erfolg gibt es nicht. Im Gegenteil: Die Ausbeutung wird weiter vorangetrieben. Die Deepwater Horizon ist fast vergessen, und manche träumen von den sogenannten Chancen des Klimawandels, um endlich mit Schiffen durch das sensible Ökosystem Arktis fahren zu können. Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ist überfällig und als europäische gemeinsame Initiative der richtige Weg, denn Meere kennen keine Grenzen. Müll oder Ölreste schwappen gnadenlos an jeden Strand. Leider blieb schon die europäische Vorgabe hinter unseren Vorstellungen zurück. Die Fischerei wurde vollkommen ausgenommen. Obwohl die Richtlinie den Erhalt der Fischbestände und zerstörerische Fangmethoden als Teil der Definition zum guten Umweltzustand betrachtet, können diese Punkte nicht in der nationalen Gesetzgebung reguliert werden. Die Staaten sollen mit ihren Gesetzen zwar die Meere schützen, auf die Fischerei können sie aber keinen direkten Einfluss ausüben. In der Zwischenzeit hat auch die Biodiversitätskonvention, CBD, Ziele zum Meeresschutz verabschiedet. Zentral ist dabei das Ziel, Fischerei und Aquakultur nachhaltig zu gestalten. Dieser Bezug wird in der MeeresstrategieRahmenrichtlinie nicht hergestellt. Leider ist die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie in sich nicht konsistent: Einerseits wird ein kohärenter und transparenter Rechtsrahmen über die relevanten Politikbereiche hinweg gefordert, andererseits wird die gemeinsame Fischereipolitik nicht angetastet. Hier wäre eine Ermächtigung der Mitgliedstaaten wünschenswert gewesen, da eine wirklich weitreichende Ökologisierung der Fischereipolitik bisher nicht absehbar ist. Das ist ein echter Schwachpunkt in der europäischen Vorlage. Sie setzt kaum einen ausreichenden Handlungsrahmen für die Mitgliedstaaten. Auch die deutsche Umsetzung hat Mängel, das zeigt auch die Kritik von Umwelt- und Naturschutzverbänden. So ist der Schutz biologischer Vielfalt zwar in der Begründung als Ziel aufgeführt, müsste aber viel stärker das Ineinandergreifen mit dem CBD-Übereinkommen über die biologische Vielfalt unterstreichen. Auch die Bedeutung von Meeresschutzgebieten wird zu wenig berücksichtigt. Bei den Maßnahmen hätte man die Schutzgebiete herausheben sollen, denn gerade hier wird die Vielfalt maritimer Ökosysteme repräsentativ und angemessen berücksichtigt. Wenn man gewollt hätte, wäre in der Gesamtheit mehr drin gewesen. Sowohl die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie als auch die deutsche Umsetzung hätten viel konsequenter sein müssen. Trotz dieser Kritik ist es wichtig, dass nun endlich eine Grundlage zum Schutz der Meere vorliegt. Es besteht die Chance, den Zustand der Meere umfassend zu bewerten und anhand dieser konkrete Schritte zu gehen. Dabei dürfen wir aber keine rosarote Brille aufsetzen. Der Zustand ist in seiner Dramatik, wie uns fast schon regelmäßig in jeder neuen Studie vorgehalten wird, kaum zu unterschätzen. Die Lücke zu einem guten ökologischen Zustand ist groß, und ein Maßnahmenprogramm, das diese Lücke schließen soll, muss es in sich haben. Doch die tatsächlichen Debatten und Ergebnisse stimmen trübe. Eines der wesentlichen Handlungsfelder - die Fischerei - wird kaum angetastet. Genau wie bei der jüngst vorgelegten europäischen Biodiversitätsstrategie schnellen sofort die Zeigefinger in die Luft, die Strategie dürfe den europäischen Agrar- und Fischereireformen nicht vorgreifen. Falsch! Die Strategien, Richtlinien und legislativen Umsetzungen sind genau dazu da, ressortübergreifend einen Rahmen zu setzen. Sonst sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Es ist höchste Zeit, und wir alle müssen viel arbeiten, um nicht zu spät zu kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6508, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/6055 und 17/6209 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/4566. Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms der SPD auf Drucksache 17/1960 mit dem Titel „Unsere Meere brauchen Schutz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1763 mit dem Titel „Schutz der Meere vor Vermüllung und anderen Verschmutzungen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bürgerinnen und Bürger dauerhaft vom Bahnlärm entlasten - Alternative Güterverkehrsstrecke zum Mittelrheintal angehen - Drucksache 17/6452 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die schwarz-gelbe Koalition hat schon im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir mehr Güter auf die Schiene verlagern wollen. Aber wie alle Verkehrsträger verursachen auch die Güterwagen Lärm. Der Schienenverkehr eignet sich aber wie kein anderes System, Personen und Güter über große Entfernungen sicher und schnell zu transportieren. Auch der Umweltvorteil macht das Rad-Schienensystem wirtschafts- und gesellschaftspolitisch sinnvoll. In diesem Kontext gewinnt die Schiene als umweltverträglichster Verkehrsträger zunehmend an Bedeutung. Diesen Umweltvorteil zu erhalten und auszubauen, ist ein wichtiger Bestandteil unserer Bahnphilosophie. Es ist allen Bahnpolitikern bewusst, dass die Lärmimmission des Schienengüterverkehrs eine Belastung für die Bevölkerung, insbesondere an stark befahrenen Schienenstrecken wie im Mittelrheintal, darstellt. Der umweltfreundliche Schienenverkehr stößt dort auf Vorbehalte, wo sich die Menschen vom Güterverkehr, insbesondere in der Nacht, gestört fühlen. Wir wissen, dass viele Anwohner unter Schienenverkehrslärm leiden und nehmen dieses Problem sehr ernst, auch in dem Bewusstsein, dass der leisen Bahn die Zukunft gehört. Eine signifikante Reduzierung der Lärmimmission ist deshalb sinnvoll, ja erforderlich, damit die gesellschaftliche Akzeptanz des Schienengüterverkehrs erhalten bleibt. Lärmminderung ist deshalb ein gemeinsames Anliegen innerhalb der Koalitionspolitiker. Dass die Anwohner der Mittelrheintalbahn besonders betroffen sind, steht außer Frage. Eine Prüfung einer Machbarkeitsstudie hinsichtlich möglicher neuer Schienengüterverkehrstrassen und der Umleitung des Güterfernverkehrs über andere bestehende Bahntrassen sollte unter dem Gesichtspunkt des Kosten-Nutzen-Verhältnisses erwogen werden. Wichtiger erscheint mir ihre zweite Forderung nach kurz- und mittelfristig lärmmindernden Maßnahmen. Unser Ziel ist, bis zum Jahr 2025 eine Reduzierung um 50 Prozent des Schienenlärms in hochbelasteten Gebieten zu erreichen. Dies betonte Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer beim Abschluss der Eckpunktevereinbarung am 5. Juli 2011 zum lärmabhängigen Trassenentgelt. Deshalb haben wir auch die Beseitigung des Schienenbonus im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Das Reduktionsziel werden wir auf der einen Seite über den traditionellen Lärmschutz mit Lärmschutzwänden, Lärm-schutzfenstern etc. erreichen. Die positiven Wirkungen bleiben jedoch nur lokal begrenzt. Lärmursache Nummer eins ist das Rollgeräusch, das durch den dynamischen Kontakt zwischen Schiene und Radlaufflächen entsteht. Deshalb setzen wir hier an. Wir werden eine erhebliche Lärmreduzierung bei den Waggons mithilfe der Flüsterbremsen, LL-Sohlen, erreichen. Durch die Einführung eines lärmabhängigen Trassenpreissystems schaffen wir einen rechtlichen Rahmen zum Ausbau der Flüsterbremsen. Das lärmabhängige Trassenpreissystem sieht ab Dezember 2012 höhere Entgelte für Züge ohne Flüsterbremsen vor und einen Bonus für Güterwagen, die auf lärmmindernde Technologie umgerüstet wurden. Durch die Umrüstung kann die Lärmbelastung mittelfristig bis zu 10 Dezibel reduziert werden. Dies entspricht etwa einer Halbierung des wahrgenommenen Lärms. Der Bonus wird direkt an die Wagenhalter ausgezahlt. Finanziert wird dies acht Jahre lang durch einen Bundeszuschuss. Zusammengefasst: Laute Züge müssen bezahlen, leise Züge erhalten einen Bonus - Zuckerbrot und Peitsche. Dadurch werden wir den Schienenlärm deutlich und spürbar verringern. Durch die Einführung von lärmabhängigen Trassenpreisen werden wir in einem Zeitraum von acht Jahren den Großteil der hier verkehrenden Güterzüge auf Flüstertechnik umgerüstet bekommen. Damit wird es überall leiser, wo Güterwagen unterwegs sind, nicht nur auf bestimmten Strecken. Deutschland stellt sich bei einem weiteren ökologischen Projekt weltweit an die Spitze. Trassenentgelte mit Lärmkomponente werden sich auch wirtschaftlich positiv auswirken, da die Eisenbahnunternehmen in den Lärmschutz investieren werden.

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erst einmal möchte ich deutlich machen, dass mir die Situation der Betroffenen entlang der Bahnstrecke am Mittelrhein absolut bewusst ist. Bei meinen Besuchen im Rheintal habe ich nur zu deutlich erfahren, was der Bahnlärm für die Anwohner bedeutet. In vielen Gesprächen mit Betroffenen wurde mir ihre Last anschaulich beschrieben. Aber nicht nur ich, sondern die ganze Union steht auf der Seite der Menschen, die unter Bahnlärm leiden. Und wir drücken dabei eben nicht nur unsere Betroffenheit aus, sondern wir handeln auch. Seit Jahren und Jahrzehnten wird darüber diskutiert, wie wir die zunehmende Lärmbelastung verringern können. Dass Lärm krank machen kann, ist auch wissenschaftlich hinlänglich erwiesen. Bei meiner Teilnahme am zweiten Schienenlärmkongress in Freiburg im Breisgau letztes Jahr ist mir das eindrücklich vor Augen gemalt worden. Am Kongress in Boppard letztes Jahr hätte ich ebenfalls gerne teilgenommen, aus terminlichen Gründen war mir dies jedoch nicht möglich. Unsere Fraktion weiß, dass Lärm keine Kleinigkeit ist. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag mit der FDP auch festgehalten: „Die Akzeptanz für einen weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hängt entscheidend davon ab, dass die Lärmbelastung der Bevölkerung reduziert wird. Wir wollen deshalb den Lärmschutz ausweiten. Dazu wollen wir den Schienenbonus schrittweise reduzieren mit dem Ziel, ihn ganz abzuschaffen. Gleichzeitig wollen wir eine lärmabhängige Trassenpreisgestaltung bei der Bahn. Bei bereits bestehenden Strecken wollen wir das Lärmsanierungsprogramm Schiene fortsetzen und intensivieren. Dazu wollen wir auch die Möglichkeiten des technischen Fortschritts bei Fahrzeugen nutzen.“ In unserem Antrag zur Rheintalbahn vom 18. März 2011 haben wir deshalb die Bundesregierung aufgefordert, „den Schienenbonus schrittweise abzuschaffen“. Auch andere Fraktionen hätten einen solchen Beschluss in ihrer Regierungszeit fassen können. Wir als christlich-liberale Koalition setzen unsere Ankündigung nun um. Nach langen Diskussionen und vielen verschiedenen Bundesregierungen ist es also die jetzige, die endlich nicht mehr zwischen „gutem“ und „bösem“ Lärm unterscheidet. Dabei sind wir aber nicht stehen geblieben. Gerade diese Woche wurde die Einführung eines lärmabhängigen Trassenpreissystems zum Dezember 2012 zwischen dem Bundesverkehrsministerium und der Deutschen Bahn AG beschlossen. Der Schienenlärm soll damit deutlich und dauerhaft verringert werden. Das lärmabhängige Trassenpreissystem sieht höhere Entgelte für Züge ohne Flüsterbremsen vor und einen Bonus für Güterwagen, die auf lärmmindernde Technologie umgerüstet werden. Durch die Umrüstung kann die Lärmbelastung mittelfristig bis zu 10 db reduziert werden. Das kostet sowohl die Bundesregierung Geld als auch die Deutsche Bahn AG. Die Umrüstung auf sogenannte Flüsterbremsen wird mit über 300 Millionen Euro zu Buche schlagen. Das neue Preissystem ist eine gute Nachricht für alle Menschen, die entlang von Güterverkehrsstrecken wohnen - besonders aber für die Betroffenen am Mittelrhein. Die Abschaffung des Schienenbonus und lärmabhängige Trassenpreise ergänzen sich. Wir brauchen beides und bekommen beides. Ergänzt wird es durch das von uns weiter vorangetriebene Lärmsanierungsprogramm Schiene, wie wir es im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Mit diesen drei wichtigen Maßnahmen zeigt die schwarz-gelbe Koalition, dass sie die Lärmbekämpfungskoalition ist! Ich möchte mich auch an dieser Stelle für die konstruktive Arbeit der Bürgerinitiativen bedanken. Wir brauchen eine gelebte Kultur von Bürgerbeteiligung. Das kann ich bei Pro Rheintal erkennen. Ich danke auch meinen Kollegen vor Ort, besonders Peter Bleser und Ute Granold, die uns Verkehrspolitikern in Berlin immer wieder vor Augen und Ohren „malen“, was am Mittelrhein los ist. Trotz aller Anstrengungen bei der Lärmminderung ist natürlich auch uns klar, dass der beste Lärm der ist, der gar nicht erst entsteht. Da das in unserer Industriegesellschaft aber kaum komplett möglich ist, müssen wir über Maßnahmen nachdenken, damit zumindest nur so wenig Menschen wie nötig belästigt werden. Deshalb prüfen wir bei der Rheintalbahn in Baden auch alternative Strecken. Und dasselbe sollte auch am Mittelrhein getan werden - und das wird es. Die Bahn hat in ihrem Wachstumsprogramm schon genau das vorgelegt, was der Antrag fordert: ein Ertüchtigungsprogramm für Entlastungsstrecken. Wer mehr Güter auf den ökologischen Verkehrsträger Schiene bekommen möchte, muss die Kapazitäten erhöhen. Der Stau auf der Schiene darf sich nicht weiter ausweiten. Wir als Bund sind gefordert. Bereits bei der Bedarfsplanüberprüfung 2010 hat sich gezeigt, dass der Bereich Köln-Mittelrhein-Mannheim-Karlsruhe im Prognosejahr 2025 mehrere Engpässe aufweisen könnte. Allein schon deshalb wird das Bundesverkehrsministerium eine Untersuchung durchführen, in der verkehrliche Konzepte für die Verkehrsachsen zwischen Köln und in etwa Karlsruhe ermittelt werden sollen. Derzeit läuft das Ausschreibungsverfahren für die Studie. Ziel ist die Entwicklung eines verkehrlich sinnvollen Konzeptes für den gesamten Korridor. Damit werden die erforderlichen Eingangsdaten für den neuen Bundesverkehrswegeplan ({0}) 2015 erarbeitet. Die Untersuchungsergebnisse werden wahrscheinlich bis Ende 2012 vorliegen. Die geforderte Prüfung für die nötige Entlastung der Bürger über eine alternative Strecke ist also bereits in Auftrag gegeben. Wir schließen uns also unseren Kollegen in Rheinland-Pfalz an. Trotzdem lehnen wir den Antrag der Sozialdemokraten ab. Wir brauchen hier keine Aufforderungen an die Bundesregierung. Die eine Hälfte davon wurde schließlich bereits diese Woche umgesetzt, und die andere Hälfte ist sowieso geplant. Obwohl wir uns also inhaltlich hinter die Forderungen stellen, lehnen wir den Antrag als organisatorisch überflüssig ab.

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Konjunktur nimmt Fahrt auf, die Wirtschaft brummt und setzt ordentlich Waren um. Es gibt Menschen, die nehmen diese im Allgemeinen durchaus positiven und erfreulichen Nachrichten als Bedrohung ihrer Gesundheit und Lebensqualität wahr. Und das zu Recht! Ich rede von den Menschen, die an Güterverkehrstrassen leben, arbeiten und tagtäglich einer LärmZu Protokoll gegebene Reden kulisse ausgesetzt sind, die sich verheerend auf ihre Gesundheit auswirkt. Über 100 Dezibel werden dort gemessen, Nacht für Nacht! Diese Menschen leiden unter dem Lärm, den Erschütterungen, die insbesondere von den Güterzügen ausgehen, aber auch Personenzüge tragen ihren Teil dazu bei. Das Mittelrheintal ist diesbezüglich ein wahrer Hexenkessel, weit über 100 Ortsdurchfahrten werden über den Tag registriert, und die Menschen haben keine Möglichkeit, den Auswirkungen zu entfliehen, wenn sie ihrer Heimat nicht den Rücken kehren möchten. Schon mehrfach haben wir in diesem Jahr hier im Plenum des Deutschen Bundestages über das Problem Schienenlärm debattiert, auch in der Debatte zur Rheintalbahn war der Lärm zentraler Bestandteil der Reden aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, dort wollen wir verhindern, was im Mittelrheintal jede Stunde des Tages und der Nacht bittere Realität ist! Viele Maßnahmen haben wir unter rot-grüner Bundesregierung eingeleitet, die seither geplant, finanziert und gebaut wurden, viele Millionen Euro haben wir in die Hand genommen, doch der Durchbruch ist uns nicht gelungen. Lärmschutzwände und -fenster sind kein Königsweg, ganz im Gegenteil; denn diese verschleiern das Problem. Wie oft habe ich von der jetzigen Bundesregierung gehört, wie viel Geld im Mittelrheintal investiert wurde - sie tut fast so, als wäre das Problem damit vom Tisch. Hier wird versucht, alles auszusitzen, es wird beschwichtigt, angekündigt und verschoben. Letztlich fehlt nach wie vor ein Bewusstsein für die Probleme vor Ort. Ich frage mich, warum es so lange dauern muss, um ein lärmabhängiges Trassenpreissystem einzuführen. Erst hieß es: zum Fahrplanwechsel 2011/12; und gestern verkündet unser Verkehrsminister: 2012/13 - und ist auch noch stolz darauf. Natürlich freue ich mich, dass es eingeführt wird; aber warum dauert es so lange? Die Umrüstung muss jetzt angeschoben werden, wir müssen jetzt Impulse setzen, und die Wirtschaft muss jetzt umrüsten; jeder Tag ist ein verlorener Tag. Bis zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2012 sind es noch 528 Tage, bei 100 Ortsdurchfahrten sind das über 50 000 Züge, die den Menschen das Leben schwer machen. Ich erwarte hier entschieden mehr Engagement, und ich bin davon überzeugt, das geht den Menschen vor Ort nicht anders. Die zögerliche Haltung der Bundesregierung und der Koalition bleibt mir ein Rätsel. Vielleicht liegt das daran, dass Lärm und Erschütterungen hier im fernen Berlin nur noch als leichtes Rauschen ankommen. Rheinland-Pfalz übt massiven Druck über den Bundesrat aus, und auch der Mainzer Landtag hat am 10. Februar 2011 einen einstimmigen Beschluss gefasst. Wohlgemerkt, mit den Stimmen von CDU und FDP fordert der Landtag den Bund auf, die Suche nach einer alternativen Trassenführung endlich einzuleiten und die Züge umzuleiten. Kurz- und mittelfristig müssen mit Nachdruck alle Register gezogen und die Einführung eines lärmabhängigen Trassenpreissystems unterstützt werden. Das ist wegweisend, und daher haben wir diesen Antrag heute in den Deutschen Bundestag eingebracht. Ich fordere meine Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen auf, es ihren Landtagsfraktionen gleichzutun. Lassen Sie uns gemeinsam für ein leiseres Mittelrheintal kämpfen und damit auch andernorts Signale setzen, dass wir das Problem Verkehrslärm erkannt haben und nicht länger hinnehmen möchten! Rüdesheim, Boppard, Kamp-Bornhofen, Spay sind nur einige Orte, doch sie stehen stellvertretend für verlärmte Regionen in der ganzen Republik - hier muss was geschehen! Lassen Sie uns das „Epizentrum“ des Schienenlärms gemeinsam anpacken! Wir brauchen jetzt kurzfristige Maßnahmen, um schnell zumindest Linderung zu bringen. Mittelfristig muss der Schienenbonus abgeschafft werden, und das nicht schrittweise, wie es die Koalition jetzt verkündet; denn das würde nur Chaos im Planungsrecht schaffen und für Jahrzehnte einen Flickenteppich unterschiedlichster Lärmschutzstandards hinterlassen, den man niemandem erklären kann. Auch brauchen wir zügig den lärmabhängigen Trassenpreis als Anreizprogramm zur Umrüstung, flankiert mit einem qualifizierten Nachtfahrverbot, um klar der Wirtschaft zu signalisieren, dass wir es ernst meinen. Dafür müssen wir eine rechtliche Grundlage schaffen. Langfristig kommen wir aber nicht um einen neuen Korridor für den europäischen Güterverkehr herum. Dabei dürfen wir uns nicht auf den Bundesverkehrswegeplan vertrösten lassen jetzt ist Zeit, zu handeln und den Lärm der Zukunft zu verhindern. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss und dass die vielen Papiere und Gutachten endlich umgesetzt werden. Es gibt genug Gutachten, jetzt müssen wir handeln!

Werner Simmling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verkehrslärm ist ein zentrales Umweltproblem. Dauerhafter Lärm gefährdet die Gesundheit. Etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung fühlen sich durch Schienenverkehrslärm belästigt, etwa ein Viertel davon schwer. Schienenlärm wird weniger durch einen geschlossenen Geräuschpegel als durch laute Einzelereignisse bestimmt. Insbesondere in der Nacht beeinträchtigen Aufweckreaktionen, beispielsweise verursacht durch nächtliche Gütertransporte, die Regenerationsphase des Körpers - mit erheblichen Gefahren für die Gesundheit. Ich habe selbst bei meinen Besuchen entlang der Rheintalstrecke die Auswirkungen des Güterverkehrslärms kennengelernt. Wir haben an den bestehenden Schienenwegen einen besonders hohen Bedarf an Lärmsanierung. Das geltende Immissionsschutzrecht verlangt allerdings nur beim Neubau und der wesentlichen Änderung von Schienenstrecken, dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Eine entsprechende Regelung fehlt für bestehende Strecken. Damit werden die Anwohner an Altstrecken deutlich höheren Belastungen ausgesetzt. Wir erleben das aktuell im Rheintal oder auch, wie in ihrem Antrag erwähnt, im Mittelrheintal. Aus diesem Grund haben wir der Frage des Lärmschutzes im Koalitionsvertrag einen hohen Stellenwert Zu Protokoll gegebene Reden beigemessen und immer betont, dass wir hier zum Schutze der Anwohner Änderungen herbeiführen wollen. Ich freue mich, dass ich Ihnen mitteilen kann, dass wir Ihrem Antrag bereits zuvorgekommen sind und die Einführung lärmabhängiger Trassenpreise in einer Eckpunktevereinbarung zwischen dem Bundesverkehrsministerium und der DB AG am vergangenen Dienstag unterzeichnet wurde. Damit setzen wir eine wichtige verkehrs- und umweltpolitische Forderung der schwarzgelben Koalition um. Die Bundesregierung macht damit einen wichtigen Schritt hin zur einer spürbaren Verringerung des Schienenverkehrslärms. Der Schienenlärm wird damit deutlich und dauerhaft verringert werden. Das lärmabhängige Trassenpreissystem sieht höhere Entgelte für Züge ohne Flüsterbremsen vor und einen Bonus für Güterwagen, die auf lärmmindernde Technologie umgerüstet werden. Durch die Umrüstung kann die Lärmbelastung mittelfristig bis zu 10 db reduziert werden. Der Bonus wird direkt an die Wagenhalter ausgezahlt. Finanziert wird dies acht Jahre lang durch einen Bundeszuschuss. Damit wird das lärmabhängige Trassenpreissystem zu gleichen Teilen durch den Eisenbahnsektor und die öffentliche Hand finanziert. Bei rund 180 000 umrüstbaren Wagen in Deutschland betragen die Kosten für die Umrüstung über 300 Millionen Euro. Wirksam wird das lärmabhängige Trassenpreissystem zum Fahrplanwechsel 2012/2013. Wir handeln nicht nur im Interesse der Anwohner an Schienenstrecken, sondern auch im Interesse eines leistungsfähigen Schienengüterverkehrs. Die Fraktionen von FDP und CDU/CSU haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir eine ordnungspolitische Lösung wollen, um einen Anreiz zur Umrüstung von Güterzügen mit Flüstersohlen zu setzen. Das wird jetzt umgesetzt und damit ein wichtiger Beitrag zum flächendeckenden Lärmschutz in Deutschland geleistet. Das ist allerdings nur der erste Teil der Maßnahmen, die wir noch in diesem Jahr zur Verbesserung des Lärmschutzes im Schienenverkehr aufs Gleis setzen wollen. Noch in diesem Jahr werden wir für neue Schienenvorhaben den sogenannten Schienenbonus kippen. Das bedeutet eine Hebung der Lärmschutzanforderungen um weitere 5 Dezibel. Damit wollen wir einen Beitrag leisten, um Anwohner von Neubaustrecken in Zukunft besser zu schützen. Dadurch wird auch die Akzeptanz von Infrastrukturvorhaben verbessert. Das wird in diesem Jahr noch Gesetz werden.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

„Das ist grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung“! Ich würde mich freuen, wenn Sie sich Ihrem Kollegen anschließen und Ihren Antrag zurückziehen würden.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zum wiederholten Male ist der Bahnlärm Thema hier im Bundestag und wieder geht es um die Rheintalstrecke, deren Anwohnerinnen und Anwohner in teilweise wirklich unerträglicher Weise vom Bahnlärm betroffen sind. Die Bahn ist ein vergleichsweise umweltfreundlicher Verkehrsträger - aber wirklich verträglich für Anwohner, Umwelt und Klima wird er nur, wenn mehr Geld in die Schiene und insbesondere in den Lärmschutz investiert wird. Bei dieser Gelegenheit habe ich gleich eine Frage an die antragstellende SPD: Können wir nicht auf den höchst umstrittenen Hochmoselübergang verzichten, für den die Kosten gerade explodieren und der zudem von zweifelhaftem Nutzen ist? Brauchen wir das Geld nicht vielmehr für sinnvolle Schienenprojekte in RheinlandPfalz, zum Beispiel für eine Güterverkehrstrasse zur Entlastung des Mittelrheins? Wir unterstützen die Aufforderung aus dem Antrag, „eine Machbarkeitsstudie hinsichtlich möglicher neuer Schienenverkehrstrassen und der Umleitung des Güterverkehrs über andere bestehende Bahntrassen sowie deren Ertüchtigung zu erstellen“. Dies muss schnellstmöglich angegangen werden, um bei den Planungen von Anfang an eine Bürgerbeteiligung sicherzustellen und trotzdem nicht erst in Jahrzehnten eine Entlastung der Rheintaltrasse zu erreichen. Wir unterstützen außerdem das 10-Punkte-Programm „Leises Rheintal“. Für die besonders belasteten Abschnitte, bei denen andere Maßnahmen nicht zügig umgesetzt werden können und die Grenzwerte weiter überschritten werden, müssen die rechtlichen Möglichkeiten geprüft und ausgeschöpft werden, insbesondere nachts und für laute Güterzüge Geschwindigkeitsbeschränkungen oder sogar Fahrverbote anzuordnen. Zu prüfen sind auch die kurz- und mittelfristigen Maßnahmen, die die Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn e. V. fordert. Als mittelfristige Maßnahme fordern wir, an den am höchsten belasteten Abschnitten bis 2015 eine Lärmsanierung vorzunehmen. Die Haushaltsmittel dafür sind zu verdoppeln. Am 5. Juli haben sich Bundesministerium und Bahn auf die Umsetzung einer Forderung aus dem Antrag bereits verständigt: Die Einführung lärmabhängiger Trassenpreise. Angesichts der Gesundheitsschäden, der Einbußen an Lebensqualität und auch der damit verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten ist das Ziel, innerhalb von acht Jahre den Großteil der Güterzüge auf Flüstertechnik umzurüsten, wenig ambitioniert. Sobald die Technik serienreif ist, muss es deutlich schneller gehen. Es muss auch ein Datum gesetzt werden, ab dem diese Technik bzw. die Unterschreitung eines damit einzuhaltenden Lärmgrenzwertes für alle Güterwagen verpflichtend wird. Die Bundesregierung muss nun auch zügig ein Gesetz vorlegen, mit dem der Schienenbonus wie im Koalitionsvertrag vorgesehen schrittweise reduziert und dann ganz abgeschafft wird. Den Stufenplan halten wir allerdings nicht für sinnvoll: Der Schienenbonus sollte ab 2012 ganz gestrichen werden. Neubaustrecken sollten gleich so gebaut werden, dass strenge Lärmgrenzwerte eingehalten werden. Natürlich wird das erheblich teurer, wie die Regierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage schreibt. Aber sollen Strecken gebaut werden, die dann nicht nachgerüstet werden können, von denen also für die weitere Zukunft eine ständige unzulässige Lärm- und Zu Protokoll gegebene Reden damit Gesundheitsbelastung ausgeht? Wir müssen Infrastruktur für eine lebenswerte Zukunft bauen. Wenn wir endlich aufhören, Beton für ein Weiter-so! in die Landschaft zu gießen, haben wir auch genügend Geld. Ein Weiter-so! kann es beim Autoverkehr aber nicht geben - eine Ausweitung schon gar nicht. Autobahnbau ist daher von gestern. Es ist zynisch, Lärmschutzmaßnahmen als unbezahlbar zu bezeichnen. Tatsächlich verursachen die physischen und psychischen, die sozialen und volkswirtschaftlichen Folgen der tagtäglichen Lärmbelastung immense Kosten, die sich unsere Gesellschaft nicht leisten kann. Das Geld ist da - es ist lediglich eine Frage der Prioritätensetzung. Brauchen wir Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 und immer weitere Hochgeschwindigkeitstrassen? Brauchen wir unsinnige Straßenprojekte wie den Hochmoselübergang? Wir sagen ganz klar: Nein! Die Bahn muss in der Fläche entwickelt werden - so sozial- und umweltverträglich wie möglich. Lärmschutz ist dabei ein ganz wichtiges Element. Und: Die tatsächlichen - auch externen - Kosten des Straßenverkehrs müssen endlich den Verursachern angelastet werden. Wer den Straßenverkehr weiter subventioniert, aber kein Geld für Lärmschutz hat, handelt rückwärtsgewandt und verantwortungslos.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lärm macht krank - das ist keine neue Erkenntnis. Zu viele Menschen leiden besonders unter den Folgen, welche die starke Zunahme des Verkehrs mit sich bringt. Ein Exportland wie Deutschland ist darauf angewiesen, die steigende Nachfrage nach seinen Produkten immer schneller zu den Kunden in alle Welt zu bringen. Der Güterverkehr wird weiter ansteigen - und die Politik hat dafür zu sorgen, dass dies möglichst umweltfreundlich klima- und ressourcenschonend passiert. Deswegen setzen wir auf die Schiene - denn die kann ihre ökologischen Vorteile voll ausspielen. Sie ist umweltfreundlicher, klimaschonender, sicherer sowie flächen- und ressourcensparender. Trotz dieser eindeutigen Vorteile können wir die Nachteile nicht ignorieren. Besonders an den Haupttrassen leiden Menschen unter der Verkehrszunahme, vor allem unter dem Lärm. Die Lärmbelastung an viel befahrenen Bahnstrecken ist inzwischen so hoch, dass sie nicht nur als Belästigung empfunden wird, sondern auch eine Gesundheitsgefahr für die Anwohner ist. Darauf müssen wir eingehen, um die Akzeptanz für diesen umweltfreundlichsten Verkehrsträger nicht zu verlieren. Die Ankündigung des Verkehrsministeriums, lärmabhängige Trassenpreise einzuführen, kommt einer unserer Forderungen nach. Das ist zu begrüßen. Hierdurch kann ein Anreiz gesetzt werden, um in leisere Fahrzeuge zu investieren. Dazu werden mit diesem Vorschlag externe Kosten internalisiert, und wir Grünen hoffen, dass dies ein Anstoß für die dringend erforderliche weitere Internalisierung externer Kosten ist. Viel zu oft muss die Allgemeinheit für die Vorteile Weniger aufkommen. Wir müssen uns insgesamt ehrlich machen und die Kosten, die für die Umwelt - etwa durch den Verkehr - entstehen, auf die einzelnen Produkte übertragen. So können wir klarer sehen, dass Transporte mit Autos nicht nur Sprit und mit Bahnen nicht nur Strom kosten, sondern dass darüberhinaus viel mehr Mittel durch die Allgemeinheit aufgebracht werden. Nicht nur in Infrastruktur muss investiert werden, auch wenn Kranke wieder gesund werden sollen, wenn zerstörte Natur wieder hergestellt werden muss, kostet das sehr viel Geld. Deswegen können lärmabhängige Trassenpreise für die Bahnen nur ein erster Schritt sein, um Kostenwahrheit herzustellen. Auch bei der Straße müsste nachgezogen werden, damit hier nicht ein Verkehrsträger - der noch dazu der umweltfreundlichste ist - einseitig benachteiligt wird. Neben den lärmabhängigen Trassenpreisen kommt es jetzt jedoch zusätzlich darauf an, ein Gesamtpaket zu schnüren; denn die Preise sind nur eine Stellschraube. Auch der Schienenbonus - mit welchem man beim Bahnlärm vom tatsächlichen Schallpegel pauschal 5 Dezibel abzieht - muss nun endlich abgeschafft werden. Die Annahme, dass Bahnlärm weniger belastend ist als der an Straßen, weil die Frequenzen deutlich geringer ausfallen, ist mittlerweile durch zahlreiche Studien widerlegt. Hinzu kommt, dass auf vielen Strecken inzwischen so viele Züge unterwegs sind, dass es kaum noch Lärmpausen gibt. Auf diese Entwicklung müssen wir reagieren und können die Koalition hier nur an ihre eigene Vereinbarung erinnern. Auch wenn wir wissen, dass vieles aus dem Koalitionsvertrag - zum Glück - wohl nicht umgesetzt wird, bei der Abschaffung des Schienenbonus haben Sie unsere Unterstützung. Darüber hinaus macht unsere Fraktion jedoch noch weitere konkrete Vorschläge. Setzen Sie jetzt auch das Bundesimmissionsschutzgesetz konsequent um. Dann sind Schienenfahrzeuge endlich so zu betreiben, dass vermeidbare Emissionen verhindert und unvermeidbare Emissionen - einschließlich Lärm - auf ein Mindestmaß reduziert werden. Hierzu gehört ebenfalls, dass Alternativtrassen für den Güterverkehr ernsthaft geprüft und in die Planung von Schienenwegen einbezogen werden. Außerdem müsste das Lärmsanierungsprogramm des Bundes aufgestockt werden, damit die Sanierung bestehender Strecken beschleunigt wird. Ergreifen Sie als Koalition und Regierung den breiten gesellschaftlichen Konsens und setzen Sie endlich weitere Maßnahmen zum Lärmschutz um!

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6452 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes - Drucksache 17/5515 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Petitionsausschuss

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir beraten heute in erster Lesung den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes. Es ist die mittlerweile neunte Änderung des Bundesvertriebenengesetzes und betrifft insbesondere die Spätaussiedler. Denn im Bundesvertriebenenrecht fehlt bisher eine konkrete Regelung, die es beispielsweise dem Ehegatten oder Abkömmling eines Spätaussiedlers ermöglicht, auch nachträglich ins Bundesgebiet auszusiedeln, wenn ein Härtefall vorliegt. Damit soll beispielsweise eine unvertretbare Familientrennung bei Spätaussiedlern vermieden werden. Nehmen wir an, eine Spätaussiedlerin hat bereits ihren ständigen Aufenthalt in Deutschland. Sie hat einen Ehegatten oder Nachkommen, der im Aussiedlungsgebiet verblieben ist und die sonstigen bereits bestehenden Aufnahmevoraussetzungen erfüllt, die im Bundesvertriebenenrecht aufgeführt sind. Nach der vorgeschlagenen Regelung könnte der Familienangehörige in solchen Härtefällen ebenfalls nach Deutschland aussiedeln. Ich begrüße die Bemühung der Bundesregierung, hier für die Betroffenen Abhilfe zu schaffen, denn mittlerweile leben rund 2,4 Millionen Spätaussiedler in Deutschland, die unsere Gesellschaft bereichern. Für den einen oder anderen unter ihnen wird diese Änderung mehr als nur überfällig sein. Darum sehen auch wir eine Änderung und Ergänzung des § 27 als notwendig an. Denn damit vermeiden wir das, was in der Vergangenheit bislang immer geschehen ist, nämlich dass eine Aussiedlung nach Deutschland für Spätaussiedler wiederholt zu einer nahezu unumgänglichen und fortdauernden Trennung von ihrer Familie geführt hat. Wenn zurückbleibende Familienangehörige sich zunächst dafür entschieden haben, im Aussiedlungsgebiet zu verbleiben, gab es keine Chance, später nachzufolgen. Ein späteres Zusammenkommen wurde dadurch nahezu ausgeschlossen. Dies hat in dem einen oder anderen Fall auch zu schlimmen menschlichen Schicksalen geführt. Nehmen wir zum Beispiel ein in Deutschland lebendes älteres Ehepaar, das aufgrund des Alters und gesundheitlichen Zustandes unter einer Trennung von ihren Kindern gravierend leidet. Bislang gab es keine Chance, dass die Kinder oder Enkel folgen konnten. Mit der vorliegenden Änderung wird es künftig vereinfacht werden, dass diese Abkömmlinge im Härtefall mit in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen werden können und so auch noch später nach Deutschland folgen können. Gleichwohl denke ich, dass wir aber auch die Anmerkungen des Bundesrates mit in unsere anstehenden Beratungen einfließen lassen sollten. Die Länder fordern unisono bei der nachträgliche Einbeziehung eine zeitliche Befristung, um so Planungssicherheit zu erhalten. Ich denke, darüber sollten wir noch einmal diskutieren. Diskussionsbedarf sehe ich hierbei aber auch im Zusammenhang mit den auch von Spätaussiedlern in Anspruch genommenen Integrationskursen. Insbesondere im Punkt Kosten für Integrationskurse und Spracherwerb müssen wir hier dann auch nachbessern, sehr geehrte Bundesregierung. Ich kann nur schlicht sagen, ich bin überrascht, dass Sie hier keine weiteren Kosten erwarten. Sie rechnen mit einer Mindestzahl von 5 000 Härtefallanträgen. Dies wird sich natürlich auch auf die angebotenen Integrationskurse auswirken, die im Übrigen bereits jetzt schon unterfinanziert sind. Darum fordere ich Sie hier auch konkret auf, mehr Geld für Integrationskurse und Sprachkurse im Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen. Alles andere wäre blauäugig und fatal. Sorgen Sie dafür, dass die Menschen, die lernen wollen, die sich integrieren wollen in unser Land, dazu auch die Möglichkeit finden! Man kann nicht nur von Verbesserung der Integration reden und sie von den Menschen fordern, man muss dafür auch die entsprechenden Mittel und Wege zur Verfügung stellen. Das wäre eine Zuwanderungspolitik mit Weitsicht, die ich mir in anderen Bereichen wünschen würde.

Serkan Tören (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004177, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der eine oder andere wird sich wahrscheinlich wundern, dass wir heute dieses Thema auf der Tagesordnung haben. Die meisten gehen sicherlich davon aus, dass es für eine Novellierung mangels Betroffener doch heute eigentlich keinen Bedarf mehr gibt. Große Ströme von Aussiedlern haben wir heute sicherlich nicht mehr; das ist richtig. Aber dieses Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte ist noch immer nicht abgeschlossen. Noch immer leben in Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion Angehörige von anerkannten Spätaussiedlern, die schon nach Deutschland ausgesiedelt sind. Diese Familienmitglieder haben bei der Aussiedlung ihrer nächsten Angehörigen auf die Möglichkeit verzichtet, ihr Recht, mit auszusiedeln, wahrzunehmen. Die Gründe für diesen Verzicht waren beziehungsweise sind vielfältig. Einige wollten zum Bespiel bei ihren nicht deutschstämmigen Ehepartnern bleiben. Andere ließen aus Unkenntnis Fristen verstreichen und verwirkten somit das Recht, auszusiedeln. Wieder andere Betroffene wollten das ihnen vertraute Umfeld nicht verlassen. So unterschiedlich diese Fälle sind, in allen Fällen ist ein Teil der Familien im Aussiedlungsgebiet geblieben. Wie sich herausgestellt hat, gibt es Konstellationen, in denen die Betroffenen sich wünschen, dass die Familienteile wieder zusammengeführt werden. Die Gründe hierfür sind so unterschiedlich wie bei dem Wunsch, zunächst nicht mit auszusiedeln. Da gibt es das Problem, über die weiten Entfernungen einen engen Kontakt zu halten. Direkte Besuche in Deutschland sind aus visarechtlichen Gründen nahezu unmöglich. Besuche in der ehemaligen Heimat kommen in vielen Fällen wegen des fortgeschrittenen Alters der in Deutschland lebenden Angehörigen nicht in Betracht. Es gibt aber auch Fälle, bei denen der - nicht deutschstämmige - Ehepartner im Aussiedlungsgebiet verstorben ist und die nahen Angehörigen nun in Deutschland leben. Da ohne den Ehepartner keine familiäre Bindung mehr im Aussiedlungsgebiet besteht, will man nun doch zur Familie nach Deutschland aussiedeln. Oder aber die Angehörigen in Zu Protokoll gegebene Reden Deutschland sind alt und gebrechlich und sind auf Hilfe angewiesen und wünschen sich von den Angehörigen, gepflegt zu werden. Nach derzeitigem Recht ist die nachträgliche Einbeziehung in den Aussiedlungsbescheid ausgeschlossen. Sofern diese sehr unterschiedlichen Fallkonstellationen eine extreme Härte für die Betroffenen darstellen, will die christlich-liberale Koalition durch die Novellierung des Bundesvertriebenengesetzes hier für eine pragmatische Lösung sorgen. Mit dem nun eingebrachten Gesetzentwurf wird den Betroffenen nachträglich die Möglichkeit eröffnet, in den Aussiedlungsbescheid aufgenommen zu werden. Dies eröffnet dann die Möglichkeit, ebenfalls nach Deutschland nachträglich auszusiedeln und die Familie wieder zusammenzuführen. Wie viele von der angestrebten Lösung Gebrauch machen werden, kann nicht genau gesagt werden. Bei Zugrundelegung verschiedener Indikatoren - bisher abgelehnte nachträgliche Einbeziehungsanträge, Petitionen mit nachträglichem Einbeziehungsersuchen, in den Aussiedlungsgebieten verbliebene Abkömmlinge - ist mit etwa 5 000 Härtefällen zu rechnen. Von diesen 5 000 Fällen werden wohl etwa 2 500 Fälle positiv für die Betroffen beschieden werden können. Uns Liberalen ist das Schicksal der Spätaussiedler nicht egal! Daher unterstützen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung, um den betroffenen Familien in ihrer schwierigen Situation zu helfen. Lassen Sie uns die Sache schnell anpacken und sorgen wir für eine einfache und pragmatische Lösung.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes. Konkret geht es um den Nachzug von Familienangehörigen zu den Spätaussiedlern, die bereits länger in der Bundesrepublik leben. Bislang erhalten Spätaussiedler einen Aufnahmebescheid und können dann in die Bundesrepublik übersiedeln. Im Aufnahmebescheid sind auch die einbezogenen Angehörigen, also Eheleute und Nachkommen, genannt. Bislang war ein Nachzug zu einem späteren Zeitpunkt nicht möglich. Dies soll nun im Rahmen einer Härtefallregelung gelockert werden. Wird beispielsweise ein hier lebender Spätaussiedler krank und ist auf die Hilfe seiner Kinder angewiesen, kann das einen solchen Härtefall begründen. Die Kinder können dann nachträglich in den Aufnahmebescheid aufgenommen werden, obwohl sie ursprünglich in ihrem Herkunftsland bleiben wollten. Grundsätzlich ist diese Lockerung begrüßenswert. Der Gesetzentwurf stellt auch klar, zumindest in seiner Begründung, dass das Ermessen der Behörden in dieser Frage recht großzügig ausgeübt werden soll. Dennoch stellt sich die Frage, warum hier eine solche Härtefallregelung notwendig ist und nicht stattdessen der Familiennachzug zu Spätaussiedlern ohne weitere Prüfung und ohne Fristen zugelassen wird. In der Gesetzesbegründung selbst ist davon die Rede, dass mit 5 000 Anträgen im Rahmen dieser Regelung zu rechnen ist. Dort steht auch schon, dass die Hälfte davon abgelehnt werden wird. Das ist doch unsinnig und kleinlich. Man schafft eine Härtefallregelung für einen sehr überschaubaren Kreis von Betroffenen, spricht aber gleich der Hälfte dieser Menschen ab, die Härtefallkriterien zu erfüllen. Insgesamt ist die Zuwanderung von sogenannten Spätaussiedlern in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Nach den Spitzenwerten zu Beginn der 90erJahre mit über 200 000 Aussiedlern und Spätaussiedlern pro Jahr sind es seit 2006 nur noch wenige Tausend, die pro Jahr übersiedeln. Selbst bei einer großzügigen Regelung werden sich die Zahlen also sehr in Grenzen halten. Wie schon bei den Regelungen zum Familiennachzug im Aufenthaltsgesetz kritisiert die Linke auch an diesem Gesetz, dass der Zuzug vom Nachweis deutscher Sprachkenntnisse abhängig gemacht wird. Das konterkariert im Übrigen auch noch einmal den Charakter der Härtefallregelung. Denn davon soll nach der Gesetzesbegründung beispielsweise auch der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Abkömmling übergesiedelter Spätaussiedler profitieren können, der hilfsbedürftig geworden ist. Der müsste jetzt also unter extrem erschwerten Bedingungen zunächst Deutsch lernen, bevor er mit Aussicht auf Erfolg das Verfahren zur Aufnahme in die Bundesrepublik betreiben kann. Das Bundesvertriebenengesetz hat über Jahrzehnte diejenigen ausländischen Staatsangehörigen bei der Zuwanderung nach Deutschland privilegiert, die nach Kriterien der blutsmäßigen Abstammung auf deutsche Vorfahren verweisen konnten. Damit sollte den Deutschen eine Übersiedlung in die Bundesrepublik ermöglicht werden, die in den sozialistischen Staaten Osteuropas lebten. Nach 1990 wurde dieses Gesetz fortgeschrieben, obwohl von einer Vertreibung der Deutschen nicht mehr die Rede sein konnte. Es wäre also an der Zeit, grundsätzlich darüber nachzudenken, ob die Zuwanderung dieser Gruppe weiterhin in einem speziellen Gesetz statt im allgemeinen Aufenthaltsgesetz geregelt sein sollte.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung, eine Härtefallregelung für Spätaussiedler beim Familiennachzug einzuführen. Mit der neuen Härtefallregelung soll es Ehegatten und Abkömmlingen von Spätaussiedern ermöglicht werden, bei besonderen persönlichen Belastungen nachträglich ihren Familienangehörigen nach Deutschland zu folgen. In welchem Ausmaß die Neuregelung die Situation für die Betroffenen verbessern wird, muss sich noch zeigen. Insbesondere die weiterhin geforderten Deutschkenntnisse und die Einschränkung, dass nur Umstände nach der Aussiedlung berücksichtigt werden, könnten die Anwendung der Vorschrift erheblich einschränken. Wir Grüne haben eine Härtefallregelung immer wieder befürwortet. Es ist erfreulich, dass nun auch die Bundesregierung die große Bedeutung des Familienzusammenlebens erkennt und einsieht, dass das Einwanderungsrecht hierauf flexibel eingehen muss. Zu Protokoll gegebene Reden Im Petitionsausschuss haben uns in den letzen Jahren eine Vielzahl von Petitionen erreicht, in denen Familien ihr schweres Leid von ungewollten Trennungen vortrugen. Die starren und restriktiven Regelungen zum Familiennachzug versperren insbesondere älteren Menschen und Personen aus ländlichen Gebieten oder bildungsfernen Schichten den Weg zu ihren Ehegatten in Deutschland. Diese Petitionen betreffen aber nicht nur Spätaussiedler - auch in Deutschland lebende Ehegattinnen und Ehegatten von Türken und Türkinnen, Argentiniern und Argentinierinnen oder anderen Drittstaatsangehörigen beklagen viel zu oft die Härten einer jahrelangen oder dauerhaften Trennung, die das deutsche Einwanderungsrecht ihnen und vielen anderen Familien zumutet. Eine spezielle Härtefallregelung nur zugunsten von Spätaussiedlern zu schaffen, ist sachlich nicht begründbar. Nach der Gesetzesbegründung ist das erklärte Ziel der Neuregelung, Härtefälle zu vermeiden, die durch dauerhafte Familientrennungen entstehen, und dadurch die Integration von Spätaussiedlern in Deutschland weiter zu fördern. Es gibt keinen Grund, warum dieses Ziel nicht auch für andere binationale Familien gültig sein soll. Auch unter Deutschen und Drittstaatsangehörigen gibt es Familien, die durch die Trennung unzumutbar belastet werden. Für diese Personen, denen es nicht gelingt, die strengen Voraussetzungen für den Nachzug zu erfüllen, muss das deutsche Recht auch eine Härtefallregelung vorsehen. Wir fordern daher eine allgemeine Härtefallregelung bei der Familienzusammenführung im Aufenthaltsrecht. Die spezielle Härtefallregelung im Bundesvertriebenengesetz könnte insofern als Grundlage für eine allgemeine Härtefallregelung dienen, als sie erfreulicherweise „nur“ eine „einfache Härte“ für den Familiennachzug voraussetzt. Das sollte auch bei einer allgemeinen Härtefallregelung beibehalten werden. Die im Aufenthaltsgesetz enthaltenen Sonderbestimmungen für Härtefälle setzen bislang höhere Anforderungen an die vorgebrachte Härte. Beim Kindernachzug wird etwa eine „besondere Härte“ verlangt, beim Nachzug sonstiger Familienangehöriger wird der Nachzug sogar nur zur Vermeidung einer „außergewöhnlichen Härte“ gestattet. Eine Härtefallregelung für den Familiennachzug ist dem deutschen Recht auch nicht ganz fremd. So enthielt bereits das Ausländergesetz von 1990 eine Klausel, nach der von dem Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung abgesehen wurde, wenn aus der Ehe ein Kind hervorgegangen oder die Ehefrau schwanger ist. Da die Bundesregierung uns mit dem heutigen Gesetzentwurf gezeigt hat, dass sie die Schutzbedürftigkeit von Familien anerkennt, müsste der nächste Schritt, nämlich eine allgemeine Härtefallregelung für den Familiennachzug im Aufenthaltsrecht, in greifbarer Nähe sein. Alles andere dürfte im Hinblick auf das Grund- und Menschenrecht auf Familienzusammenführung und Partnerwahl sowie im Hinblick auf das Gleichheitsgebot nur schwer zu begründen sein. Schließlich wächst auch der Druck aus der Europäischen Union für eine Reform des Familiennachzugs. Gerade erst hat die Kommission in einem Verfahren vor dem EuGH über die Vereinbarkeit des niederländischen Integrationstests im Ausland mit der Familienzusammenführungsrichtlinie erklärt, dass mangelnde Sprachkenntnisse nicht zu einer automatischen Sperre des Nachzugs beim Familiennachzug der Kernfamilie führen darf, die einen Nachzugsanspruch aus der Richtlinie ableiten kann.

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Das Bundesvertriebenenrecht kennt seit 20 Jahren das Instrument des gemeinsamen Aufnahmebescheides für Spätaussiedler und ihre Abkömmlinge und Ehepartner. Dieses Verfahren knüpft an die besonders bei den Russlanddeutschen ausgeprägten Familienbindungen an und ermöglicht ein gemeinsames Aufnahmeverfahren der Familien. Im Zuge der mehrjährigen Praxis haben sich jedoch auch Härtefälle eingestellt, die die Wohlfahrts- und Vertriebenenverbände ebenso wie den Petitionsausschuss beschäftigt haben. Bis heute kommt es immer wieder zu tragischen Fällen der Trennung von Familien von Spätaussiedlern. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. So können zum Ersten Angehörige, die sich zunächst entschieden haben, im Herkunftsgebiet zu bleiben, zum Beispiel weil dort noch ein Angehöriger zu versorgen war, selbst nach schweren Schicksalsschlägen nicht nachträglich aussiedeln. Das Gleiche gilt zum Zweiten für Angehörige, die verschärfte Aufnahmevoraussetzungen nicht erfüllten - zum Beispiel für Ehegatten und Abkömmlinge, die nicht über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügten, wie sie seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005 für die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers erforderlich sind. Selbst der nachträgliche Erwerb entsprechender Deutschkenntnisse reicht nicht, wenn der Volksdeutsche Angehörige bereits spätausgesiedelt ist. Eine sachgerechte Lösung solcher Fälle ist auf der Basis des geltenden Rechts nicht möglich, da das geltende Vertriebenenrecht keine nachträgliche Einbeziehung zulässt. Nicht einmal in Härtefällen gibt das Bundesvertriebenengesetz diese Möglichkeit. So ist es zum Beispiel derzeit regelmäßig nicht möglich, dass ein erwachsenes Kind eines Spätaussiedlers - entgegen seinen früheren Plänen zum Zeitpunkt der Aussiedlung der Eltern oder Großeltern - nach Deutschland zu seinen hier lebenden Angehörigen übersiedelt. Selbst nach tragischen familiären Entwicklungen und Schicksalsschlägen können die Nachkommen gehindert sein, zu ihren Eltern nach Deutschland zu ziehen. Eine vertriebenenrechtliche Aufnahmemöglichkeit besteht nicht einmal dann, wenn in Deutschland lebende Eltern pflegebedürftig werden oder aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters gravierend unter der Trennung von ihren engsten Familienangehörigen leiden. In solchen und ähnlichen Härtefällen will die Bundesregierung den betroffenen Familien helfen. Durch das Gesetz sollen tragische Härtefälle vermieden werden, die durch dauerhafte Familientrennungen Zu Protokoll gegebene Reden entstehen. Ehegatten und Abkömmlingen von Spätaussiedlern, die sich zunächst bei deren Aussiedlung entschieden hatten, im Aussiedlungsgebiet zu bleiben, soll im Härtefall die nachträgliche Aussiedlung nach Deutschland zu ihren Familienangehörigen ermöglicht werden. Gleiches gilt im Härtefall für Ehegatten und Abkömmlingen von Spätaussiedlern, die damals Aufnahmevoraussetzungen noch nicht erfüllten, diese aber jetzt erfüllen - zum Beispiel weil sie zwischenzeitlich Grundkenntnisse der deutschen Sprache erworben haben. Die geschilderten Beispiele zeigen: Die Ihnen vorliegende Härtefallregelung ist geboten. Sie ist erstens maßvoll. So bedeutet die nachträgliche Einbeziehung nicht etwa den Verzicht auf die üblichen Voraussetzungen einer Aufnahme nach dem Bundesvertriebenengesetz. Eine nachträgliche Einbeziehung kann vielmehr nur dann erfolgen, wenn alle anderen Voraussetzungen, die im Falle einer Einbeziehung vor Aussiedlung vorliegen müssen, erfüllt sind. Damit sind auch weiterhin deutsche Sprachkenntnisse erforderlich. Auch die Ausschlussgründe nach § 5 BVFG gelten ebenso uneingeschränkt, was bedeutet, dass Personen, die ein Verbrechen begangen, den Terrorismus unterstützt oder sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet haben, nicht nachträglich in den Aufnahmebescheid des hier lebenden Spätaussiedlers einbezogen werden können, Zum Zweiten ist die hier vorgestellte Härtefallregelung sachgerecht: Der deutsche Verfassungsgeber hat die Solidarität mit Vertriebenen, Flüchtlingen und deren Ehegatten und Abkömmlingen in Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes verankert. Deutschland hat damit seine dauerhafte historische Verantwortung gegenüber den Menschen manifestiert, die als Deutsche in Osteuropa und Südosteuropa sowie in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges gelitten haben. Dies gilt heute insbesondere noch für die Deutschen in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, bei denen das Kriegsfolgenschicksal am längsten nachgewirkt hat. Auch die Bundesländer befürworteten die Schaffung einer neuen Härtefallregelung im Grundsatz. Sie haben allerdings die Forderung erhoben, die Wirksamkeit der nachträglichen Einbeziehung gesetzlich zu befristen. Die Bundesregierung verschließt sich der Absicht der Länder nicht, missbräuchliche Handhabungen und zeitlich unkalkulierbare Zuzüge von Familienangehörigen zu unterbinden. Die Bundesregierung hält allerdings die vorgeschlagene Lösung des automatischen Erlöschens der nachträglichen Einbeziehung nach Ablauf von drei Jahren für nicht sachgerecht. Es sind einerseits Fälle denkbar, in denen bereits kurz nach Erteilung eines nachträglichen Einbeziehungsbescheides kein Härtefall mehr zu begründen ist. Andererseits sind auch Fälle denkbar, in denen auch noch nach Ablauf von drei Jahren weiterhin ein Härtefall vorliegt. Hier wollen wir dem von den Ländern formulierten Anliegen durch untergesetzliche Regelungen Rechnung tragen, zum Beispiel flexible Handhabung ermöglichen. Ich denke hier zum Beispiel an eine Befristung des nachträglichen Einbeziehungsbescheides mit der Möglichkeit für den Betroffenen, seine spezielle Situation noch einmal darzulegen, bevor der Einbeziehungsbescheid endgültig verfällt. Zu guter Letzt: Die hier vorgestellte Härtefallregelung hat keine unüberschaubare Welle neuer Spätaussiedlung zur Folge. Sie ist nicht Teil einer Zuwanderungspolitik; sie soll auch nicht als ein Teil davon verstanden werden. Sie ist vielmehr Teil des bis in unsere Tage fortreichenden Bemühens aller bisherigen Bundesregierungen, sich der Verantwortung Deutschlands im Blick auf die Folgen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges für die stärkst betroffenen deutschen Minderheiten zu stellen. Die Härtefallregelung verdient daher unserer aller Unterstützung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/5515 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Hände weg von der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ - Drucksache 17/6393 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit dem vorliegenden Antrag kommt die Fraktion Die Linke genau eine Woche zu spät. Bereits in der zurückliegenden Plenarwoche haben wir einen SPD-Antrag debattiert, der nahezu identische Forderungen beinhaltete. Die Position meiner Fraktion hat sich seit der letzten Woche nicht verändert. Es wäre sinnvoll und effektiv gewesen, Sie hätten den Antrag zurückgezogen. Bereits in den letzten Wochen haben wir festgestellt, dass die Forderungen an den Tatsachen vorbeigehen. Daran hat sich auch eine Woche später nichts geändert. Es ist daher nur konsequent, Ihnen das zu sagen, was ich bereits zu dem Thema ausgeführt habe. Mit der Initiative „Jugend Stärken“ hat das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seine bereits bestehenden Programme für benachteiligte junge Menschen und Jugendliche mit Migrationshintergrund erheblich gebündelt und geschärft. Gleichzeitig ist es gelungen, die bestehenden Programme besser aufeinander abzustimmen und sie zum Teil erheblich auszubauen. Die Initiative „Jugend stärken“ bündelt dabei die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“, die „Kompetenzagenturen“, das Programm „Stärken vor Ort“ sowie die Jugendmigrationsdienste. Bundesweit bilden mehr als 1 000 Standorte der Initiative ein flächendeckendes Netzwerk an Angeboten und Strukturen. Mit den Programmen ist die Bundesregierung neue Wege gegangen. Benachteiligte junge Menschen, die bei ihrer Lebensplanung zu scheitern drohen, erhalten mithilfe der Programme kompetent und einfühlsam die Hilfe, die sie brauchen, um in ihrem Alltag künftig besser zu bestehen. Einer der Schwerpunkte liegt dabei unter anderem auf den Jugendmigrationsdiensten. Wir wollen damit junge Migrantinnen und Migranten begleiten und sie bei der Integration in die Gesellschaft unterstützen. Es hat sich dabei ein beachtliches Netzwerk gebildet, das jungen Migranten wirksam und unbürokratisch weiterhilft. Dies ist ein voller Erfolg. Mit den Programmen werden junge Menschen dort abgeholt, wo sie sind. Gerade die unbürokratische und behutsame Herangehensweise stellt sicher, dass junge Menschen die Angebote als ehrlich und auf Augenhöhe empfinden. Dies ist der Schlüssel zur Akzeptanz bei den Betroffenen und damit auch zum konkreten Erfolg der Programme. Einer der Schwerpunkte der Initiative ist dabei die Aktivierung der Stärken junger Menschen. Nicht selten geht es darum, bestehende Stärken zu wecken, sie förmlich wieder zu beleben und den Jugendlichen den Glauben an sich selbst zurückzugeben. Dies gelingt nicht selten in beachtlicher Art und Weise. Gleichzeitig wird das Umfeld der Betroffenen angeregt und dabei unterstützt, sich für die Perspektiven junger Menschen aktiv einzusetzen. Und erfreulicherweise bedarf es dazu oft keiner großen Überredungskunst. Der Punkt ist viel häufiger, dass es einfach jemanden geben muss, der sein Umfeld mitzieht und neue Impulse gibt. Besonders erfreulich ist die geschickte Abstimmung der Programme auf die tatsächlichen Bedürfnisse benachteiligter Jugendlicher. Das Programm „Aktiv in der Region“ zielt auf ein möglichst lückenloses Fördersystem, um den Übergang von der Schule in das Berufsleben, wo es leider häufiger Probleme gibt, zu vereinfachen und gleichzeitig wichtige Starthilfe zu geben. Dies geschieht auch in wohlverstandenem Interesse des Steuerzahlers. Denn ein geglückter Einstieg in das Berufsleben kann helfen, hohe Kosten für den Sozialstaat zu sparen. Das Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ soll erreichen, dass junge Menschen, die den Besuch der Schule verweigern, eine neue Perspektive erhalten, mit dem Ziel, sie wieder in die Schulen eingliedern zu können, damit sie einen Abschluss machen können und ihre Chance auf ein beruflich erfolgreiches Leben nicht frühzeitig aufgeben. Dies passiert nicht im luftleeren Raum, sondern in enger Abstimmung mit Eltern und Lehrkräften. Damit wird erreicht, dass die Fördermaßnahmen auch tatsächlich auf den Bedarf jedes Einzelnen abgestimmt sind. Die Kompetenzagenturen hingegen unterstützen besonders benachteiligte Jugendliche. Hierbei geht es häufiger über die Frage hinaus, einen Beruf zu finden. Häufig geht es darum, den Jugendlichen dabei zu helfen, einen Weg in die Gesellschaft zurückzufinden. Gerade diejenigen, die vom bestehenden System der Hilfeangebote beim Übergang von der Schule in den Beruf nicht mehr erreicht werden, erhalten hier engagierte und persönliche Hilfe. Für den Einsatz möchte ich mich im Namen meiner Fraktion bei Ministerin Schröder herzlich bedanken. Es lohnt sich, noch einmal genau auf die Faktenlage zu schauen: Im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens der Programme „Kompetenzagenturen“ und „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ hat das Familienministerium Ende Mai entschieden, die bisher zur Verfügung stehenden ESF-Mittel von 50 auf 80 Millionen Euro für den Förderzeitraum September 2011 bis Ende 2013 zu erhöhen und sämtliche 409 förderfähigen Träger, die sich am Interessenbekundungsverfahren beteiligt haben, zur Antragstellung zuzulassen. Damit erhalten von insgesamt 430 Antragstellern nur 21 aus fachlichen, nicht aus finanziellen Gründen eine Absage. Die Antragsaufforderung erfolgte am 31. Mai 2011 durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Bis 1. Juli haben die Träger noch Zeit, ihren Antrag einzureichen. Danach erfolgt das Bewilligungsverfahren, sodass ab September mit einer nahtlosen Weiterförderung zu rechnen ist. Niemand wird dabei im Regen stehen gelassen. Die zur Verfügung stehenden ESF-Mittel von 80 Millionen werden in einem gerechten Verfahren auf Grundlage der ESF-Anforderungen auf die Länder verteilt. Da die zur Verfügung stehenden Fördermittel nicht ausreichen, um die 409 förderfähigen Träger mit der im Interessenbekundungsverfahren angegebenen Fördersumme zu fördern - durch die Träger wurden Mittel von mehr als 100 Millionen Euro beantragt -, mussten die beantragten Mittel teilweise gedeckelt werden, sofern die Mittel für das Zielgebiet und das entsprechende Bundesland erschöpft waren. Dies ist nichts Unübliches, im Gegenteil, es ist Bestandteil eines üblichen Antragsverfahrens. Sämtliche Interessenbekundungen für die ESF-Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ wurden nach einem einheitlichen Bewertungsverfahren geprüft. Die fachlich-inhaltliche Bewertung erfolgte durch ein objektives Bewertungsraster und wurde unabhängig von zwei Prüfern durchgeführt. Die beiden Einzelbewertungen waren Grundlage für die Gesamtbewertung. Die Deckelung einzelner Träger ist nach der im Bewertungsverfahren erreichten Punktzahl und somit nach der Qualität der Interessenbekundungen erfolgt. Voraussetzung für eine Förderung und somit Aufforderung zur Antragstellung war das Erreichen einer Mindestpunktzahl. Förderwürdig waren insofern nur Interessenbekundungen, die mindestens 50 Prozent der möglichen Punkte erreicht haben. Da es sich dabei um Fördersummen im sechsstelligen Bereich handelt, ist es ein Gebot der Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern, eine maßvolle Vergabe von Steuermitteln zu praktizieren, die sich auf Qualitätsstandards gründet und nicht einfach wahllos Gelder mit der Gießkanne verteilt. Zu Protokoll gegebene Reden Die Damen und Herren von der Linken greifen mit der von ihnen gemachten Forderung nach Bereitstellung von Mitteln in gleichbleibender Höhe wie in der Förderperiode eindeutig zu kurz. Sie verkennen, dass es nicht um eine Eins-zu-eins-Weiterförderung bestehender Standorte geht, sondern die Programme mit neuer Aktzentsetzung ausgeschrieben wurden und eine Bewerbung der Träger erforderlich ist, die bestimmten Qualitätskriterien unterliegt. Wie gesagt: Erst wenn die Qualität stimmt, wird ein Bescheid erteilt. Aktuell werden die Programme „Schulverweigerung Die 2. Chance“ an 192 Standorten durch 173 Träger und das Programm „Kompetenzagenturen“ an 204 Standorten durch 200 Träger - insgesamt 396 Standorte, 373 Träger - umgesetzt. Im Rahmen der neuen Ausschreibung wurden alle 409 förderfähigen Träger zur Antragstellung aufgefordert, die insgesamt 408 Standorte, also 208 „Kompetenzagenturen“ und 200 Koordinierungsstellen der „2. Chance“ bedienen. Damit werden ab September 2011 sowohl auf Trägerebene als auch nach Standorten mehr Aktivitäten als in der aktuellen Förderphase gefördert. Wenn Sie dann davon schwadronieren, dass das Ende dieses Unterstützungsangebotes eingeleitet werden würde, dann zeigt das, dass es Ihnen um die Sache nicht geht, sondern vielmehr um das Bedienen von alten Klischees. Ihre Forderung, eine Kofinanzierung aus dem SGB II/III über den 1. Januar 2012 hinaus zu ermöglichen, liegt neben der tatsächlichen Situation. Die Kofinanzierung des Programms „Kompetenzagenturen“ aus SGB-II/IIIMitteln ist ab dem 1. Januar 2012 nicht mehr möglich. Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII obliegt - wie Sie wissen - den Kommunen, die für die Umsetzung des SGB VIII zuständig sind. Im Hinblick auf die gewünschte Verstetigung des Angebots und zur Stärkung der kommunalen Verantwortung sollen daher die erforderlichen Kofinanzierungen in erster Linie aus kommunalen Mitteln erbracht werden. Die nach einer Übergangszeit bis Ende 2011 auslaufende Möglichkeit der 20-prozentigen Kofinanzierung aus Mitteln des Zweiten und Dritten Buches Sozialgesetzbuch trägt diesem Anliegen Rechnung. Zudem kann künftig ergänzend auch eine Kofinanzierung aus dem Bundesprogramm der Jugendmigrationsdienste erbracht werden. Jugendmigrationsdienste und Kompetenzagenturen weisen sowohl hinsichtlich der Zielgruppe als auch bei den angewendeten Instrumenten und Arbeitsmethoden eine große Schnittmenge auf. Daher ist beabsichtigt, mit beiden Einrichtungen näher zusammenzurücken. Ein erster Schritt zur Synergie ist die mit der neuen Ausschreibung zugelassene Möglichkeit der nationalen Kofinanzierung aus der Bundeszuwendung der Jugendmigrationsdienste, mit der die Zusammenarbeit vor Ort positiv befördert werden soll. Ihre Forderung, das Programm für die Träger zukünftig transparenter zu gestalten, deckt sich ebenfalls nicht mit den Tatsachen. Vielmehr war es doch so, dass die Träger im zweistufigen Ausschreibungsverfahren laufend über die ESF-Regiestelle und das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben informiert worden sind. Neben schriftlichen Informationen, die für alle Träger relevant waren, bestand jederzeit die Möglichkeit, auch telefonisch individuelle Beratung zu erhalten. Die Länder wurden ebenfalls sowohl in die Mittelverteilung als auch in den Auswahlprozess der Standorte mit einbezogen. Wichtig für die Arbeit vor Ort ist daher in meinen Augen ganz besonders die Botschaft, dass beide Programme, also sowohl das Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ als auch das Programm „Kompetenzagenturen“, in Zukunft weitergeführt werden. Dies ist nicht zuletzt dem Erfolg und der Qualität der Programme geschuldet, wofür der Bundesregierung noch einmal ein herzlicher Dank gebührt. Ein wichtiges Signal ist zudem, dass alle förderfähigen Antragsteller bereits ihre Anträge erhalten haben. Ich bin sicher, dass es gelingen wird, das flächendeckend aufgebaute Hilfesystem der Initiative „Jugend stärken“ zu erhalten, und dies auf hohem Niveau. Diese Bundesregierung hat sich die Förderung benachteiligter Kinder in enger Partnerschaft mit den Kommunen zum Ziel gemacht und wird diesen Weg konsequent weiter beschreiten. Ihr Antrag hingegen läuft den Entwicklungen hinterher, ihre spekulativen Forderungen sind für die Antragstellung zudem irrelevant und keinerlei Hilfe für die Arbeit vor Ort. Ihren Antrag werden wir daher auch ablehnen. Die christlich-liberale Regierung kümmert sich stattdessen mit Hochdruck darum, dass alle Förderbescheide in den kommenden Wochen erteilt werden, damit die Arbeit im September nahtlos fortgeführt werden kann.

Stefan Schwartze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachdem wir in der vergangenen Woche den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu den Programmen „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ beraten haben, beraten wir nun den Antrag der Fraktion die Linke. Insgesamt fünf Modellprogramme sind unter dem Dach der Initiative „Jugend stärken“ beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) zusammengefasst. Ende 2010 gab das BMFSFJ das Aus für das Programm „Stärken vor Ort“ bekannt. Für zwei weitere Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ verkündete es, dass diese im Jahr 2011 neu ausgeschrieben werden sollen. Obwohl die Förderphase ursprünglich bis ins Jahr 2013 geplant war. Im Februar 2011 rückte das BMFSFJ dann mit einer gravierenden Änderung heraus: Im Zuge der Neuausschreibung sollten die Mittel aus dem Europäischen Sozialfond ({1}) für die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ um die Hälfte gekürzt werden. Zusätzlich soll für das Programm „Kompetenzagenturen“ die bis zu 20-prozentige Kofinanzierung über den SGB-II- und SGB-III-Bereich ab Januar 2012 entfallen. In der letzten Maiwoche setzte die zuständige Ministerin Schröder nach vehementen Protesten der TrägerZu Protokoll gegebene Reden organisationen kurzerhand die ESF-Mittel für die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ von 50 Millionen Euro auf 80 Millionen Euro hoch. Die SPD-Bundestagsfraktion hat das aus einer Pressemitteilung des Ministeriums erfahren. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich das Heraufsetzen der Fördersumme. Dennoch liegt der jahresdurchschnittliche Fördermittelbetrag in der neuen Programmphase von 2011 bis 2013 nur noch bei 34,29 Millionen Euro. Das ist eine Kürzung der Förderung um über 13 Millionen Euro pro Jahr, beziehungsweise um 28 Prozent. Die SPD-Bundestagsfraktion will, dass die Fördersumme auf die bisherige Höhe von 112 Millionen Euro aufgestockt wird. Für uns ist nicht nachvollziehbar, warum das BMFSFJ die ESF-Mittel an dieser Stelle um fast ein Drittel kürzt. Aktuell werden rund 40 000 junge Menschen bundesweit durch 192 Anlauf- und Beratungsstellen für das Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ sowie 204 Kompetenzagenturen unterstützt. Es zeichnet sich ab, dass Länder und Kommunen alleine die drohende Finanzierungslücke nicht auffangen können. In der Konsequenz bedeutet dies, dass durch die Kürzung der Mittel entweder die Anzahl der Standorte oder die Qualität der Arbeit vor Ort gefährdet ist. Logisch zu begründen ist die Kürzung nicht. Beide Programme werden vom BMFSFJ hochgelobt und haben eine außergewöhnlich hohe Erfolgsquote, weil es sich um Programme der aufsuchenden Sozialarbeit handelt. 60 Prozent der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher erreichen mit dem Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ einen Schulabschluss. Die „Kompetenzagenturen“ bringen rund 70 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Job oder Ausbildung. Auch eine Änderung der Förderschwerpunkte in der Europäischen Union betrifft diese Programme nicht. Soweit ich dem Protokoll der 117. Sitzung entnehmen kann, teilen alle Fraktionen im Deutschen Bundestag die Auffassung, dass die Programme unter dem Dach der Initiative „Jugend stärken“ außerordentlich erfolgreich sind. Die Menschen in den Trägerorganisationen leisten hier eine außerordentlich wichtige und engagierte Arbeit. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt die Kürzung für die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ ab. Sie fordert, ESF-Mittel in Höhe von mindestens 112 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Außerdem fordert die SPD-Bundestagsfraktion, eine 20-prozentige Kofinanzierung beim Programm „Kompetenzagenturen“ auch über den 1. Januar 2012 hinaus zu ermöglichen. Ich möchte an dieser Stelle auf einige Behauptungen von Schwarz-Gelb eingehen. Es ist falsch, wenn behauptet wird, die Programme seien ohnehin nur bis 2011 gelaufen. Richtig ist, dass die ESF-Förderperiode bis 2013 reicht und dass die Trägerorganisationen stets davon ausgingen, beide Programme würden bis 2013 laufen. So wurden die Programme auch ursprünglich ausgeschrieben. Schon die Neuausschreibung der Programme hatte die Trägerorganisationen misstrauisch gemacht, sodass sie sich an uns gewandt haben. Wir haben daraufhin eine Kleine Anfrage gestellt und mit der Antwort erste wichtige Informationen erhalten. Es ist weiterhin falsch, zu behaupten, es würden alle Standorte erhalten bleiben. Wir haben bereits erste Informationen, wonach sich Kompetenzagenturen nicht mehr am Antragsverfahren beteiligen werden, weil sie die Kofinanzierung nicht hinbekommen. Hier ging es insbesondere um die wegfallenden Mittel aus der SGB-IIKofinanzierung. Auch die Eröffnung der Kofinanzierung über die Jugendmigrationsdienste ist kein geeigneter Weg. Es bleibt ohnehin bei einer Kürzung; denn die Mittel, die aus den Jugendmigrationsdiensten für Kompetenzagenturen entzogen werden, fehlen dann bei den Jugendmigrationsdiensten. Der vorgelegte Antrag der Fraktion die Linke enthält viele Forderungen der SPD-Bundestagsfraktion. In einem Punkt geht er aber deutlich weiter, nämlich in dem Verlagen, diese Programme dauerhaft im Kinder- und Jugendhilfeplan des Bundes zu verstetigen. Darüber werden wir im Ausschuss zu beraten haben. Wir werden beide Anträge gemeinsam nach der Sommerpause beraten. Vielleicht gibt es bis dahin positive Neuigkeiten von den Koalitionsfraktionen. Bei ESF-Mitteln bleibt stets die Hoffnung, dass Mittel umgeschichtet werden könnten. Es wäre begrüßenswert, wenn nicht abgerufene Mittel in diese wichtigen Programme fließen. Aber noch wichtiger wäre die Ermöglichung der Kofinanzierung im SGB II und SGB III über den 31. Dezember 2011 hinaus.

Florian Bernschneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004009, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Seit 2009 fördert das BMFSFJ gezielt junge Menschen, die auf ihrem Weg durch Schule und Berufsausbildung in Schwierigkeiten geraten sind. In der Initiative „Jugend stärken“ bündelt das Ministerium die fünf Teilprogramme „Jugend stärken: Aktiv in der Region“, „Schulverweigerung - Die 2. Chance“, „Kompetenzagenturen“, „Stärken vor Ort“ sowie die „Jugendmigrationsdienste“. Diese Teilprogramme richten sich gezielt an solche Jugendliche, die von regulären Hilfsangeboten in Schule oder Jobcenter nur noch unzureichend oder gar nicht mehr erreicht werden. Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke bezieht sich in erster Linie auf die beiden Teilprogramme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Stärken vor Ort“. Das Programm für Schulverweigerer unterstützt junge Menschen bei der Reintegration in einen geregelten Schulalltag und gibt ihnen so eine zweite Chance auf einen Schulabschluss. „Stärken vor Ort“ setzt daneben voll auf das Prinzip der Subsidiarität in der Jugendförderung, indem es Mikroprojekte zur ganzheitlichen - das heißt schulischen, sozialen und beruflichen - Integration bezuschusst. Den Programmen der Initiative „Jugend stärken“ wurde in der jüngeren Vergangenheit große - vor allem Zu Protokoll gegebene Reden auch mediale - Aufmerksamkeit gewidmet. Leider resultierte diese Aufmerksamkeit nicht aus dem Erfolg der Programme. Erfolgreich waren sie allesamt, und ich hätte mir sehr gewünscht, dass dieser Erfolg auch einmal angemessen in der Öffentlichkeit honoriert wird. Doch dem war nicht so. Aufmerksamkeit erfuhr die Initiative „Jugend stärken“ erst, als manche Vertreter der Opposition und der Medien offenbar völlig überraschend die Nachricht ereilte, dass die Programme wie geplant im August 2011 auslaufen sollten. Das muss einige wirklich völlig unerwartet getroffen haben. Dabei hilft es einem als Jugendpolitiker an der ein oder anderen Stelle durchaus weiter, sich mit den Förderplänen des Ministeriums auseinanderzusetzen. Da Sie dies aber offenbar nicht getan haben, möchte ich Ihnen gerne auf die Sprünge helfen: Die Programme der Initiative „Jugend stärken“ werden bis auf die Jugendmigrationsdienste vollständig aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, ESF, finanziert. Sie waren von Anfang an bis zum Sommer 2011 angelegt, und das war allen Beteiligten auch lange bekannt. Es kann also gar keine Mittelkürzungen seitens der Bundesregierung oder des BMFSFJ gegeben haben, wie von ihnen behauptet, weil sich an der Höhe der ESF-Mittel rein gar nichts verändert hat. Die Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds sind für mehrere Jahre fest vereinbart worden. Ist das Geld aufgebraucht, kommt auch keines mehr nach. Danach ist der Topf leer. Nichtsdestotrotz hat sich meine Fraktion schon zu einem Zeitpunkt für eine Anschlussfinanzierung eingesetzt, als andere noch fleißig Pressemitteilungen verschickt haben. Entsprechende Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen und den beteiligten Ministerien fanden über Wochen hinweg statt. Dass uns dabei eine Fortführung der Programme gelungen ist, ist ein toller Erfolg, aber die Programme können nur deshalb fortgeführt werden, weil ursprünglich nicht vorgesehene Rückflüsse von ESF-Mitteln hierfür aufgewendet werden. Auch wenn Sie davon nichts mitbekommen haben wollen, so hätten Sie spätestens am 31. Mai auf der Website des BMFSFJ erfahren können, dass alle Teilprogramme der Initiative „Jugend stärken“ bis 2013 verlängert werden. Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, kommt Ihr Antrag genauso zu spät wie der Antrag Ihrer Kollegen von der SPD in der letzten Woche. Es stellt sich bei mir unweigerlich das Bild ein, dass es Ihnen weniger um die Programme an sich geht als vielmehr um ein letztes bisschen Aufmerksamkeit. Denn wenn es Ihnen tatsächlich um die Programme geht und Sie in Ihrem Antrag fordern, dass die Finanzierung in mindestens gleichbleibender Höhe gewährleistet bleiben soll, dann hoffe ich auch sehr, dass Sie im Rahmen der Ausschussberatung die Gegenfinanzierung Ihrer Forderungen einmal ausführlich präsentieren. Bis zum heutigen Tage haben Sie aber leider in keinem einzigen Politikfeld mit konstruktiven Finanzierungsvorschlägen glänzen können.

Yvonne Ploetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Bundesregierung plant Kürzungen im Bereich der Initiative „Jugend stärken“. Diese Initiative unterstützt Jugendliche beim Übergang von Schule und Ausbildung in den Beruf oder hilft schulfremd gewordenen Jugendlichen zurück in den Schulalltag. Die beiden Teilprogramme „Schulverweigerung - Die zweite Chance“ und „Kompetenzagenturen“ sollen nun ab September mit nur noch einem Teil der Fördersumme auskommen. Das Teilprogramm „Stärken vor Ort“ wird ganz gestrichen. Weshalb streicht die Bundesregierung ihr eigenes, sehr erfolgreiches Programm zur Unterstützung Jugendlicher derart zusammen? Besteht kein Interesse mehr an der Förderung benachteiligter Jugendlicher? Durch die Kürzungen wird sich die Lage an den Standorten um rund 28 Prozent verschlechtern. Es gibt weniger Personal bei gleichbleibender Belastung. Wie soll da die Qualität aufrechterhalten werden? Was wird aus dem angestrebten Netzwerk von 1 000 Standorten, das ab 2013 aus Mitteln des Bundes und des ESF entstehen sollte? Bei andauernder Unterfinanzierung wird auch dies wohl nicht verwirklicht werden können. Angesichts der Kürzungen wird die ohnehin schon komplizierte Kofinanzierung der Stellen weiter erschwert. Es ist keine Rede mehr davon, die Schnittstellenprobleme in der Jugendhilfe abzubauen, wie es im Koalitionsvertrag der regierenden Parteien heißt. Bisher werden fast 40 000 Jugendliche individuell und zielgenau durch die Initiative „Jugend stärken“ begleitet. Sie werden auf Augenhöhe angesprochen, sie bekommen ihre eigenen Stärken gespiegelt, und ihr Umfeld wird aktiviert. Zusätzlich sprechen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der rund 400 Standorte der Programme „Kompetenzagenturen“ und „Schulverweigerung - Die zweite Chance“ mit den Jugendämtern, Schulen, Betrieben, Jobcentern und Arbeitsagenturen. Sie entwickeln einen Integrationsplan, und entwickeln mit den Jugendlichen Strategien, damit Probleme in der Familie oder in der Schule erst gar nicht mehr auftreten, damit die Jugendlichen einmal ein Leben ohne Transferleistungen gestalten können, ganz individuell. Die Arbeit muss getan werden, will man den erfolgreichen Kurs weitergehen. Was macht also ein Jugendlicher in Zukunft, wohnungslos, ohne Schulabschluss? Was würde passieren, wenn die Programme nicht mehr ausreichend ausgestattet sind? Es gibt niemanden mehr, der ihm hilft, den Weg zu finden, seine Probleme kennt und hilft, sie zu lösen. Dieser Jugendliche wäre ohne eine konkrete Anlaufstelle wieder sich selbst überlassen. „Jugend stärken“ ist im Ganzen eine erfolgreiche Initiative, und ich bin überrascht, dass die Ministerin sich nicht mit mehr Verve für seinen Erhalt einsetzt. Wie hat die Bundesregierung informiert? Sie hat die Kürzungen als Ausgabensteigerung verkauft, ein X für ein U vorgemacht. Erst nach Protesten der Sozialverbände wie zum Beispiel dem Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit, erst nachdem die Oppositionsparteien - und insbesondere Die Linke - nachgehakt haben, wurZu Protokoll gegebene Reden den in der letzten Maiwoche die Mittel von 50 Millionen Euro auf 80 Millionen Euro aufgestockt. Dadurch wurde das Ende des Teilprogrammes „Stärken vor Ort“ besiegelt, ebenso von 200 Programmstandorten, wie der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit schätzt. Es reicht eben nicht, darauf zu verweisen, dass es nur ein unwahrscheinliches Glück gewesen sei, dass Mittel aus dem ESF zurückgeflossen sind. Denn wenn es um die Lebenschancen Jugendlicher geht, wenn es darum geht, ihnen den Zugang zu Bildung und Arbeit zu ermöglichen, dann müssen wir das möglich machen. Das heißt, sich dafür zu entscheiden, Mittel einzustellen, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen und das Programm „Jugend stärken“ auch in Zukunft im vollen Umfang fortzuführen. Letztlich konterkariert die Bundesregierung ihre eigene Maßgabe, benachteiligte junge Menschen zu stärken. Sie gibt sie verloren, und das auf Dauer. Die Kürzungen stehen im Widerspruch zu den jugendpolitischen, arbeitsmarktpolitischen und bildungspolitischen Zielen der Bundesregierung. Man kann sich nur wundern, dass Sie das Ruder aus der Hand geben. Nun zu unseren Forderungen. Wir sind nicht die Einzigen, die den Erhalt der Initiative „Jugend stärken“ fordern. Wir möchten allerdings mehr als SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP. Wir wollen, dass das Programm im vollen Umfang erhalten bleibt und verstetigt wird. Es sind vier einfache Punkte, die unserer Ansicht nach notwendig sind: Erstens. Die Finanzierung der Initiative „Jugend stärken“ muss sichergestellt werden, und zwar in gleichbleibender Höhe wie in der letzten Förderperiode. Zweitens. Die Kofinanzierung der Programme durch Jobcenter und Agenturen für Arbeit muss über den gesamten Förderzeitraum bis Ende 2013 weiterhin möglich sein. Drittens. Die Finanzierung der Programme muss dauerhaft über den Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gesichert werden. Viertens. Die Programme der Initiative „Jugend stärken“ müssen transparent gestaltet werden. Sie müssen über Mittelherkunft, Mittelhöhe, Vergabekriterien und Mittelverwendung eindeutig informieren und Trägern wie Betroffenen einen Überblick über die Unterstützungsangebote bieten. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir stehen für eine eigenständige Jugendpolitik, eine starke Jugendhilfe und eine starke Jugendarbeit, die junge Menschen teilhaben lässt und ihre Potenziale fördert und ausbaut. Wir wollen Jugendliche beim Übergang von Ausbildung in den Beruf besser unterstützen. Wir betonen die zentrale Bedeutung der kulturellen Kinder- und Jugendbildung für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen. Es gilt die neuen Möglichkeiten im Schnittfeld Jugend, Kultur und Schule zu nutzen und qualitativ und quantitativ auszubauen.“ Das kann man unterschreiben! Doch bitte fangen Sie endlich an, danach zu handeln! Sie sind in der Verantwortung dafür, dass jeder junge Mensch mit ganzer Kraft dahin gehend gefördert wird, dass ihm die bestmöglichen Chancen für sein zukünftiges Leben bereitgestellt werden.

Till Seiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004216, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir erleben derzeit, wie sich die soziale Kluft in Deutschland immer weiter vertieft. Dies gilt gerade für die junge Generation: einer gut ausgebildeten Gruppe junger Menschen, die vor dem Hintergrund der aktuellen positiven wirtschaftlichen Entwicklung hervorragende Berufsperspektiven hat, steht eine benachteiligte Gruppe gegenüber. Viele dieser jungen Menschen sind in den Arbeitsmarkt nicht integriert, sodass der Weg in die Langzeitarbeitslosigkeit vorgezeichnet ist. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung betrifft dies 17 Prozent der Jugendlichen. Sie befinden sich in nutzlosen Warteschleifen, die zu selten individuelle Defizite der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beheben, und haben keine wirkliche Chance auf die Integration in den Arbeitsmarkt. Vor diesem Hintergrund kommt der Initiative „Jugend stärken“ eine besondere Bedeutung zu. Hier ist es mit Erfolg gelungen, junge Menschen auf ihrem Weg zu ihrem Schulabschluss und bei ihrem Übergang in den Beruf zu unterstützen. Verschiedene Sozial- und Jugendverbände haben vor Kürzungen des Programms zu Recht gewarnt und darauf hingewiesen, dass viele der dringend förderbedürftigen jungen Menschen demnächst ohne Hilfe und Unterstützung bleiben und auch die in den letzten Jahren entstanden Netzwerkstrukturen für die Förderung junger Menschen in den Regionen geschwächt werden. Und um es noch einmal zu betonen: Hier geht es gerade um die Gruppe von Jugendlichen, für die Verlässlichkeit und Kontinuität am Wichtigsten sind. Die Bundesregierung schreibt sich im Koalitionsvertrag auf die Fahnen, dass vor Ort Bildungsbündnisse aller relevanten Akteure - Kinder- und Jugendhilfe, Eltern, Schulen, Arbeitsförderung sowie Zivilgesellschaft - gefördert werden sollen. Und mehr noch: Alle Jugendlichen sollen dabei unterstützt werden, einen Schulabschluss zu erreichen und eine Ausbildungsstätte zu finden. Die Koalitionspartnerinnen, so heißt es, stünden für eine eigenständige Jugendpolitik und eine starke Jugendhilfe. Denn: Junge Menschen sollen teilhaben können und ihre Potentiale müssen gefördert und ausgebaut werden. Leider stehen diese Ankündigungen nur auf dem Papier, das konkrete Handeln der Bundesregierung weist eher in die andere Richtung. Natürlich muss verstärkt und präventiv in die frühe Bildung und den Elementarbereich investiert werden, aber doch nicht zulasten der jetzt unterstützungsbedürftigen Jugendlichen. Vor dem Hintergrund der Europa-2020-Strategie ist im Rahmen der Nationalen Qualifizierungsinitiative die Verringerung der Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher von 8 auf 4 Prozent bis 2012 das erklärte Ziel. Davon ist die Bundesrepublik mit einem Prozentsatz von 7,5 Prozent zurzeit weit entfernt. Dieser Missstand bei den Abbrecherquoten bewirkt, dass ein erheblicher Teil der Jugendlichen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen ist. Auch wirtschaftlich ist dieser Umstand angesichts des steigenden Bedarfs an gut ausgebildeten Fachkräften schädlich. Zu Protokoll gegebene Reden Es ist unverantwortlich, dass die Bundesregierung nicht bereit ist, „Jugend stärken“ als wichtiges Unterstützungsangebot für junge Menschen in wenigstens gleichbleibendem Umfang weiterzuführen und ausgerechnet in diesem Bereich kürzen will. Dies gilt insbesondere, wenn zu gleicher Zeit über die Möglichkeit von Steuersenkungen schwadroniert wird. Wir können daher den Antrag der Linken unterstützen, wonach die Finanzierung der Initiative „Jugend stärken“ in mindestens gleichbleibender Höhe gewährleistet werden muss. Wir fordern die Regierung auf, ihre Politik der Einsparungen im Sozialbereich zu beenden und angemessen auf sozialpolitische Herausforderungen zu reagieren. Wir stehen auf der Seite der benachteiligten Jugendlichen und wehren uns entschieden gegen die Pläne der Bundesregierung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6393 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 11. Oktober 1985 zur Errichtung der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur - Drucksache 17/5263 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) - Drucksache 17/6231 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Selle Joachim Günther ({1}) Ute Koczy

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur, MIGA, wurde als jüngste Tochter der Weltbankgruppe durch das Übereinkommen vom 11. Oktober 1985 gegründet. Ihre Aufgabe ist es, ausländische Direktinvestitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern gegen politische Risiken wie Enteignung, Krieg, Devisentransferbeschränkungen sowie Vertragsbruch seitens der Regierung des Investitionsstandortes abzusichern. Sie ist damit ein sehr wichtiges Förderinstrument der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung beginnt, wenn die Wirtschaft investiert, und wir haben entwicklungspolitisch erfolgreich gearbeitet, wenn eine Region für Investoren interessant wird. Trotzdem bleiben für Investoren abschreckende Risiken, die durch die MIGA abgefedert werden sollen. Es ist ein selbstverständlicher Vorgang, nach einer gewissen Zeit die Wirksamkeit der geschaffenen Instrumente zu überprüfen und an veränderte Bedingungen bzw. Bedürfnisse anzupassen. So muss auf praktische Erfahrungen reagiert werden, wenn man erfolgreich bleiben oder noch erfolgreicher werden will. Im Übereinkommen von 1985, das Deutschland unterzeichnet hat, ist geregelt, mit welchem Verfahren das Übereinkommen angepasst werden kann. Für die Änderung des Austrittsrechts oder der Haftung eines Mitglieds müssen alle Gouverneure zustimmen, für alle anderen Änderungen sind drei Fünftel der Gouverneure mit vier Fünftel der Gesamtstimmenzahl erforderlich. Durch die Entschließung des Gouverneursrats der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur vom 30. Juli 2010 wird das MIGA-Übereinkommen erstmals substanziell verändert. Die Entschließung ändert nicht das Kernmandat und es ändert nicht die Haftung der Mitgliedstaaten. Ziel der Änderungen ist vielmehr die Anpassung an aktuelle Marktentwicklungen und die Möglichkeit, effizienter ihr Entwicklungsmandat zu verfolgen. Dies erlaubt auch eine effektive Unterstützung von Anpassungsmaßnahmen, zum Beispiel beim Klimawandel in Entwicklungsländern. Das trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei. Mit deutscher Zustimmung und der erforderlichen Mehrheit wurde das Gründungsübereinkommen geändert. Ermöglicht wurde nun die Abdeckung von alleinstehenden Darlehen - stand alone debt -, die Ausdehnung des Verfahrens zur Registrierung von Investoren - investor registration -, die Ausdehnung des Anwendungsbereiches zur Risikoabdeckung von bestehenden Investitionen - coverage for existing assets - und die Abschaffung der gemeinsamen Antragstellung von Investor und Gastland zur Autorisierung der Risikoabdeckung. Bisher war es so, dass die Agentur nur Darlehen absichern konnte, wenn auch die Beteiligung eines Investors abgedeckt war. Nun sollen auch isolierte Bankdarlehen versichert werden können. Dies ist eine Anpassung an die internationale Praxis. Damit werden Banken in Zukunft schneller in der Lage sein, Darlehen für interessante Vorhaben in Entwicklungs- und Schwellenländern zu mobilisieren. Mit der Anpassung des Verfahrens zur Registrierung von Investoren wird eine weitere Erleichterung eingeführt. Bislang war es so, dass Investitionen über die MIGA nur versichert werden konnten, wenn ein Antrag auf Absicherung von Leistungserbringung vorlag. Dies ist ein komplexes und zeitaufwendiges Verfahren, weil oftmals die Absicherung erst im Zusammenhang mit der Finanzierung diskutiert wird. Die angestrebte Veränderung stellt eine große Vereinfachung dar und öffnet die MIGA für neue Investoren, Banken und Unternehmen, weil nun gewährleistet wird, dass Entscheidungen schneller stattfinden werden. Mit der Änderung des Übereinkommens können jetzt unter gewissen Bedingungen bestehende Investitionen einbezogen werden. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn mit der Investition Modernisierungen oder Erweiterungen verbunden sind. Damit wird das Übereinkommen marktgerecht fortentwickelt. Derzeit liegt die durchschnittliche Dauer eines Prüfverfahrens eines durch MIGA geförderten Projektes bei etwa zwölf Monaten. Die MIGA prüft in den Einzelfällen, welche Konsequenzen die Übernahme der Deckung bei Bestandsinvestitionen hat. Die Abschaffung der gemeinsamen Antragstellung von Investor und Gastland zur Autorisierung der Risikoabdeckung ist ausgesprochen sinnfällig. MIGA möchte gerade auf dem afrikanischen Kontinent Investitionen fördern und ist deshalb eine einzigartige Partnerschaft mit der African Development Corporation, ADC, eingegangen, um dabei behilflich zu sein, dass Investitionen in die kleinen und mittleren Unternehmen Afrikas weiter gestärkt werden. Der Präsident der ADC, Dirk Harbecke, zeigt sich in Bezug auf Afrika als Investitionsstandort optimistisch: „Wir sehen Subsahara-Afrika als einen der größten Wachstumsmärkte an. Es gibt einen schnell wachsenden Mittelstand und eine erhöhte Nachfrage nach neuen Produkten. Einige Technologien, wie zum Beispiel Mobiltelefonbanking, waren zuerst in Afrika verbreitet und wurden dann in andere Regionen exportiert.“ ADC ist ein Geschäftsentwicklungsunternehmen, das auf Private Equity für Investitionen in Subsahara-Afrika mit einem Schwerpunkt auf Bankgeschäften, IT, Finanzen, Dienstleistungsbranchen und Immobilien baut. Das Unternehmen wandte sich an MIGA, um die Unterstützung der Agentur in Bezug auf die Beschaffung von Mitteln für verschiedene geplante Investitionen in Anspruch zu nehmen. ADC und MIGA haben einen „Rahmenvertrag“ geschlossen. Dieser Vertrag ermöglicht MIGA, politische Risikodeckung für bis zu 20 der von ADC geplanten Investitionen bereitzustellen - bis zu einer Gesamtsumme von 150 Millionen US-Dollar. Die meisten der abgedeckten Investitionen fallen voraussichtlich unter das kleine Investitionsprogramm von MIGA - dies bedeutet, dass die Deckung unter 10 Millionen US-Dollar pro Projekt betragen wird. Die abgedeckten Risiken sind Transferbeschränkungen, Enteignung, Krieg und Unruhen. Jedes Projekt, für das MIGA das Risiko übernommen hat, wird überprüft, um sicherzustellen, dass die Risikoübernahmestandards einschließlich ökologischer und sozialer Aspekte eingehalten werden. Und sie werden auf der MIGA-Webseite veröffentlicht. „MIGA ist ein sehr wichtiger Partner für uns“, so Dirk Harbecke. „Als Teil der Weltbankgruppe verfügt MIGA über viel mehr Einflussmöglichkeiten und Kenntnisse über Afrika als andere private oder staatliche Versicherer. In der Regel ist es so, dass jedes Gastland von uns über die Investitionen informiert wird und eine entsprechende Befürwortung für die Deckungsübernahme des Vorhabens abgeben muss.“ Die beschlossenen Änderungen des Übereinkommens können also mit Fug und Recht als Fortentwicklung angesehen werden. Sie werden bereits seit 2010 angewendet, obwohl der Bundestag nach der geltenden Rechtslage noch seine Zustimmung geben muss. Nach dem Vorschlag der Bundesregierung sollen künftige Änderungen des MIGA-Übereinkommens nach Art. 59 und Art. 60 per Rechtsverordnung durch den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in deutsches Recht umgesetzt werden können. Dies halten die Koalitionsfraktionen für eine sinnvolle Vereinfachung, insbesondere durch im Übereinkommen vorgesehene Mehrheitsentscheidung und der auf 90 Tage beschränkten Zeit bis zum Inkrafttreten. Um keinen Zweifel an der erforderlichen und auch gewünschten Parlamentsbeteiligung zu lassen, haben die Koalitionsfraktionen in einem Änderungsantrag klargestellt, dass nicht alle Änderungen des Übereinkommens unter die Ermächtigung fallen sollen, per Rechtsverordnung in deutsches Recht umgesetzt zu werden. Das sind die Veränderungen, bei denen die Zustimmung aller Gouverneure bzw. die Zustimmung des deutschen Gouverneurs aufgrund der möglichen Auswirkungen für Deutschland im Übereinkommen ohnehin vorgesehen ist. Dazu zählen zum Beispiel die Haftungsveränderungen. Mit dem Änderungsantrag wird sichergestellt, dass die Bundesregierung das Parlament von geplanten Änderungen vorher informiert und eine Meinungsäußerung der Parlamentarier einbezogen werden kann. Zusammen mit dem Änderungsantrag sollte eine Zustimmung zum vorgeschlagenen Gesetz der Bundesregierung auch für die Oppositionsfraktionen möglich sein.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Bundesregierung hat drei Gesetzentwürfe vorgelegt, aufgrund derer jeweils Änderungen von völkerrechtlichen Verträgen gebilligt werden sollen und mit denen außerdem der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ermächtigt werden soll, künftige Änderungen dieser völkerrechtlichen Übereinkommen durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen. Die Gesetzentwürfe betreffen zum einen das Übereinkommen zur Errichtung der Multilateralen InvestitionsGarantie-Agentur, MIGA, die Teil der Weltbankgruppe ist und an der Deutschland mit einem Stimmrechtsanteil von 4,47 Prozent beteiligt ist, zum anderen das Übereinkommen zur Errichtung der Afrikanischen Entwicklungsbank sowie das Übereinkommen über die Errichtung des Afrikanischen Entwicklungsfonds. Die SPD-Fraktion hat gegen alle drei Gesetzentwürfe inhaltliche und verfassungsrechtliche Bedenken, die auch nicht durch die von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungsanträge ausgeräumt werden konnten. Deshalb wird die SPD-Fraktion die Gesetzentwürfe ablehnen. Lassen Sie mich das hinsichtlich des nun zur Abstimmung stehenden MIGA-Abkommens begründen. Zunächst begrüßen wir außerordentlich, dass die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen auf unsere Bedenken eingegangen sind und nach einer Anhörung am 10. Mai die vorliegenden Änderungsanträge Zu Protokoll gegebene Reden gestellt haben. Dies ist doch ein bemerkenswerter Vorgang; denn es passiert nicht alle Tage, dass ein Gesetzentwurf der Bundesregierung im Hinblick auf seine Verfassungsgemäßheit von der eigenen Parlamentsmehrheit geändert werden muss. Die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur, MIGA, soll als Mitglied der Weltbankgruppe ausländische Direktinvestitionen in Entwicklungsländern fördern, indem sie Garantien gegen nichtkommerzielle Risiken und Investitionsberatung für Entwicklungsländer anbietet. Der Gouverneursrat der MIGA hat mit deutscher Zustimmung das Gründungsübereinkommen geändert, unter anderem für die Abdeckung von alleinstehenden Darlehen, Stand Alone Debt, die Ausdehnung des Verfahrens zur Registrierung von Investoren, Investor Registration, die Ausdehnung des Anwendungsbereichs zur Risikoabdeckung von bestehenden Investitionen, Coverage for Existing Assets, und die Abschaffung der gemeinsamen Antragstellung von Investor und Gastland zur Autorisierung der Risikoabdeckung. Diese Änderungen stellen Vereinfachungen dar, die zu einer Beschleunigung und Erweiterung der Antragsverfahren führen sollen. Ohne Zweifel ist das im Sinne der Investoren und der Versicherungsagentur, die in einem Umfeld zunehmender Investitionstätigkeit in Entwicklungs- und Schwellenländern durchaus ein Eigeninteresse an ihrer Marktfähigkeit hat. Da bei ausländischen Direktinvestitionen über die MIGA lediglich das politische Risiko versichert wird und der Anlagestaat als eigentlicher Garant der politischen Stabilität nun in bestimmten Fällen als Mitantragsteller wegfällt, wird damit allerdings gleichzeitig ein „eingebauter Risikominimierer“ aufgegeben. Das wollten auch die Experten nicht uneingeschränkt begrüßen. Im Gesamtergebnis haben die Sachverständigen die Auswirkungen dieser Vereinfachungen im Hinblick auf die Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung in den Gastländern jedoch positiv bewertet. Eine Projektprüfung hinsichtlich der Sustainability and Social Standards der International Finance Corporation, IFC, wird vorgenommen. Wir kritisieren aber, dass bessere und weitergehende umwelt- und menschenrechtliche Standards bei der Projektprüfung nicht in ausreichendem Umfang herangezogen werden. Auch die begleitende oder nachträgliche Projektevaluation ist ein großer Schwachpunkt. Nicht zuletzt durch die Tätigkeit der Extracting Industries Transparency Initiative, EITI, wissen wir, dass die entwicklungspolitische Dimension von Investitionen zum Beispiel bei der Gewinnung von Rohstoffen nicht endet, sondern deren weitere Wertschöpfungskette sowie die Gewinnverteilung umfassen muss. Mit anderen Worten: Wir haben Bedenken, dass über dem Bestreben nach Vereinfachung und Beschleunigung der entwicklungspolitische Auftrag in den Hintergrund tritt. Es kann nicht sein, dass die entscheidende Schwachstelle bei Weltbank und MIGA, nämlich die Projektevaluation, noch weiter verschlechtert wird. Die Zivilgesellschaft kann das nicht über nachträgliche Beschwerden beim Ombudsmann ausgleichen; denn dann ist das Kind oft schon in den Brunnen gefallen. Ich möchte mich aber nun im Folgenden auf unsere verfassungsrechtlichen Bedenken konzentrieren. Nach Art. 59 Abs. 2 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes mit dem Ausland regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes. Im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben wir daher eine Anhörung für den Gesetzentwurf zur Multilateralen InvestitionsGarantie-Agentur durchgeführt mit Fragestellungen zu den inhaltlichen Änderungen und Kompetenzerweiterungen der MIGA und zur zukünftigen Inkraftsetzung durch Rechtsverordnung. Die Anhörung haben wir beantragt, da die Gesetzentwürfe ohne Debatte im vereinfachten Verfahren überwiesen und schon in der folgenden Sitzungswoche nach der Ausschussberatung in zweiter/dritter Lesung ohne Debatte im vereinfachten Verfahren verabschiedet werden sollten. Der Ausschuss sollte das erste Mal vor dieser abschließenden Lesung dreißig Minuten mit Debatte unterrichtet werden. Wir haben ebenfalls den Wissenschaftlichen Dienst um die Erstellung eines verfassungsrechtlichen Gutachtens zu folgender Fragestellung gebeten: „Ermächtigung der Exekutive zur Änderung völkerrechtlicher Verträge mittels Rechtsverordnung - Möglichkeiten und Grenzen nach Art. 59 Abs. 2 GG“. Der Wissenschaftliche Dienst stellt darin eindeutig fest: „Nach der Verordnungsermächtigung in Art. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 11. Oktober 1985 zur Errichtung der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur müssen Änderungen sich allein „im Rahmen der Ziele des Übereinkommens halten“ und dürfen „nicht Art. 47 des Übereinkommens betreffen“. Die Änderungsklausel des MIGA-Übereinkommens in Art. 59 des MIGA-Übereinkommens selbst ist inhaltlich unbegrenzt. Die Verordnungsermächtigung begründet dadurch eine nahezu unbegrenzte dynamische Verweisung auf die Änderungsbefugnis des Gouverneursrats in Art. 59 und 60 des MIGA-Übereinkommens. Damit dürfte die Verordnungsermächtigung nicht den verfassungsrechtlichen Erfordernissen genügen, sind doch weder Inhalt noch Ausmaß der Verordnungsermächtigung näher bestimmt. Allein die Zweckrichtung ist konturiert. Dies genügt aber gerade vor dem Hintergrund der umfassenden Änderungsermächtigung des Gouverneursrats wohl nicht den Bestimmtheitsanforderungen. Zudem fehlt es an einem Ausschluss von Regelungsbereichen, die dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen und einer Regelung per Rechtsverordnung nicht zugänglich sind, beispielsweise im Falle von Haushaltsbelastungen oder des Eingriffs in bestehende gesetzliche Rechte und Pflichten Einzelner. Im Ergebnis dürfte die Verordnungsermächtigung in Art. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 11. Oktober 1985 zur Errichtung der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur den Zu Protokoll gegebene Reden verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht genügen. Auch der zu unserer Anhörung am 10. Mai eingeladene Verfassungsrechtler Professor Dr. Ulrich Fastenrath kommt in seiner schriftlichen Stellungnahme zu einem vergleichbaren Schluss. Ich möchte bei diesem doch recht komplexen Thema nicht unscharf werden. Deshalb erlaube ich mir an dieser Stelle, auch Herrn Professor Fastenrath ausführlich zu zitieren: „Die in Art. 2 des Entwurfs des Vertragsgesetzes enthaltene Verordnungsermächtigung für künftige Änderungen des MIGA-Übereinkommens begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie ist positiv lediglich dadurch eingegrenzt, dass sie nur für Änderungen des MIGA-Übereinkommens im Rahmen der in dessen Art. 2 recht weit formulierten Ziele gilt, und negativ dadurch, dass Änderungen des Art. 47 des MIGA-Übereinkommens ({0}) von der Ermächtigung ausgenommen sind. Damit ist lediglich der Zweck der Verordnungsermächtigung hinreichend klar bestimmt, nämlich das innerstaatliche Inkraftsetzen von Vertragsänderungen zu erleichtern. Inhalt und Ausmaß der Verordnungsermächtigung bleiben aber offen, da die Änderungsklausel des MIGA-Übereinkommens inhaltlich unbegrenzt ist. Damit liegen schon nach Punkt 2.3 [der Richtlinien des BMJ für die Fassung von Vertragstexten und vertragsbezogenen Verordnungen] RiVeVo die Voraussetzungen für eine Verordnungsermächtigung nicht vor. Ausgeschlossen ist zudem nicht, dass künftige Änderungen des MIGA-Übereinkommens zu überjährigen oder über die Ansätze des laufenden Haushaltsjahres hinausgehenden Finanzierungs- und Garantieverpflichtungen führen, die nur auf formell-gesetzlicher Grundlage eingegangen werden dürfen. Auch können sonstige Gesetze von künftigen Änderungen des MIGAÜbereinkommens betroffen sein, ohne dass die vom Bundesverfassungsgericht ({1}) gesetzten Grenzen für gesetzesändernde Rechtsverordnungen vorliegen […]. Wenn die Verordnungsermächtigung beibehalten werden soll, müsste sie weiter begrenzt werden etwa in dem Sinne, dass sie Vertragsänderungen nicht erfasst, durch die finanzielle Verpflichtungen Deutschlands erhöht werden oder in bestehende gesetzliche Rechte und Pflichten Einzelner eingegriffen wird.“ Diese Ergebnisse sind auch auf die beiden den Afrikanischen Entwicklungsfonds und die Afrikanische Entwicklungsbank bezogenen Gesetzentwürfe übertragbar. Sowohl die Anhörung als auch das inzwischen vorliegende Gutachten haben somit unsere Bedenken nicht ausräumen können. Die Mehrheitsfraktionen im Ausschuss haben aufgrund der in der Anhörung geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken den Passus der Rechtsverordnung geändert und einen neuen Artikel mit der Verpflichtung, das Parlament rechtzeitig zu informieren, eingefügt. Doch reichen diese Ergänzungen aus unserer Sicht nicht aus, um Einfluss auf die Änderung internationaler Übereinkommen zu nehmen. Gerade die im Ausschuss streitig debattierten inhaltlichen Änderungen und Kompetenzerweiterungen, wie in den vorliegenden Fällen geschehen, werden durch die veränderte Gesetzesfassung des MIGA-Übereinkommens nicht gedeckt. Daher begrüßt die SPD-Fraktion zwar die eingebrachten Ergänzungen zur Beteiligung des Parlaments. Wir wenden aber ein, dass diese nicht ausreichen, da hierin nur Art. 47 des Übereinkommens angesprochen werde und nicht Art. 60, gemäß dem jedoch die inhaltlichen Änderungen im Übereinkommen vom Gouverneursrat beschlossen werden. Uns ist bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht in einem frühen Urteil vom 29. Juli 1952 ausgeführt hat, dass die Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 GG nur durch förmliches Gesetz vorgenommen werden kann. Dennoch hatte es in den vergangenen Jahrzehnten Fälle gegeben, bei denen die Zustimmung zu Änderungen von völkerrechtlichen Verträgen per Rechtsverordnung vorgesehen war. Es geht uns darum, die Rechte des Parlamentes umfassend zu sichern. Die Wahrung der Rechte des Parlaments ist eine Aufgabe aller Abgeordneten. Das schließt auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP, mit ein. Um unseren Standpunkt zu unterstreichen, haben wir auch für die beiden weiteren erwähnten Gesetzentwürfe die Mitberatung durch den Rechtsausschuss beantragt. Die in der Begründung der Bundesregierung für die Rechtsverordnung angegebene zeitliche Belastung des Parlaments dürfte bei rechtzeitiger und guter inhaltlicher Informationspraxis nicht zutreffen; denn ein informiertes Parlament kann schnelle Entscheidungen treffen. Hierzu möchte ich unkommentiert eine Aussage unseres Bundestagspräsidenten zitieren. Bereits im November sagte Herr Professor Lammert dem Spiegel: „Es schadet dem Ansehen des Parlaments, wenn der Eindruck entsteht, als folgten wir vermeintlichen oder tatsächlichen Vorgaben, statt selbstständig zu urteilen und zu entscheiden.“

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bei der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur, MIGA, handelt es sich um das kleinste Tochterunternehmen der Weltbank. Die MIGA sichert privatwirtschaftliche Direktinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern durch Garantien gegen nichtkommerzielle Risiken ab, wie zum Beispiel Devisentransferbeschränkungen, Vertragsbruch seitens der Regierung des Investitionsstandortes, Krieg und zivile Unruhen oder Enteignung. Sie bietet zudem Dienstleistungen im technischen Bereich sowie Investitionsberatung an, um Aktivitäten der Investitionsförderung zu unterstützen. Deutschland ist Gründungsmitglied der MIGA, mit rund 5 Prozent am gezeichneten Kapital beteiligt und hat einen Stimmrechtsanteil von 4,19 Prozent. 2009 wurden Garantieverträge für 26 Vorhaben mit einem Gesamtumfang von 1,4 Milliarden US-Dollar abgeschlossen, die hauptsächlich auf Süd-Süd-Investitionen basieren. Seit Mitte der 80er-Jahre hat es keine Veränderung im Aktionsradius der MIGA gegeben. Um flexibler und marktgerecht agieren zu können, hat die MIGA ihr Zu Protokoll gegebene Reden Joachim Günther ({0}) Gründungsabkommen geändert und kann damit durch Entbürokratisierung ihren entwicklungspolitischen Tätigkeitsbereich ausweiten. Die Änderungen traten unter Zustimmung des deutschen Gouverneurs Bundesminister Niebel am 28. Oktober 2010 in Kraft und sind damit völkerrechtlich wirksam. Die Entschließung des Gouverneursrats der MIGA ändert nicht das Kernmandat der MIGA, ausländische Direktinvestitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern zu fördern. Ziel ist vielmehr die Anpassung an aktuelle Marktentwicklungen und eine effizientere Verfolgung des Entwicklungsmandates in Verbindung mit Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in den Entwicklungsländern. Die Änderungen des Gründungsabkommens beziehen sich insbesondere auf die Abdeckung von alleinstehenden Darlehen, die Ausdehnung des Verfahrens zur Registrierung von Investoren, die Ausdehnung des Anwendungsbereichs zur Risikoabdeckung von bestehenden Investitionen und die Abschaffung der Voraussetzung einer gemeinsamen Antragstellung von Investor und Gastland zur Autorisierung der Abdeckung von spezifischen, nicht kommerziellen Risiken. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat in Deutschland das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet, um die Änderungen in deutsches Recht umzusetzen. Der Gesetzentwurf wurde im Ressortkreis - Zustimmung von AA, BMI, BMJ, BMF und BMWi - abgestimmt; die Zustimmung des Kabinetts erfolgte im Januar 2011. Im Rahmen der parlamentarischen Befassung hat die Opposition eine öffentliche Anhörung zur Ausgestaltung des Gesetzentwurfes im federführenden Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beantragt. Begründet wurde dieser Schritt neben Fragen zur entwicklungspolitischen Sinnhaftigkeit mit der Sorge, dass der Gesetzentwurf die Beteiligungsrechte des Parlaments gefährdet. Die entwicklungspolitischen Implikationen des Gesetzentwurfes stießen bei den beteiligten Experten auf vollständige Zustimmung. Der Sachverständige Herr Wietstock von PricewaterhouseCoopers begrüßte die geplante Absicherung von alleinstehenden Darlehen zur Finanzierung spezieller förderungswürdiger Vorhaben. Die MIGA passe sich hier nur einer internationalen Praxis der Investitionsversicherer an. Es seien ausschließlich positive Auswirkungen auf die Entwicklungs- und Schwellenländer zu erwarten. Von der Abschaffung der Voraussetzung einer gemeinsamen Antragstellung von Investor und Gastland zur Autorisierung der Absicherung nichtkommerzieller Risiken verspreche er sich eine Vereinfachung des Verfahrens. Auch der Sachverständige Herr Vitinius von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, DEG, begrüßte die beschlossenen Änderungen uneingeschränkt, da in der Vergangenheit viele Investoren den Weg zur MIGA wegen des langwierigen, bürokratischen und zu teuren Verfahrens gescheut hätten. Auch die umstrittene Nichtinvolvierung des Gastlandes in die Antragstellung beantwortete er positiv, da dies in der Vergangenheit zu massiven Verzögerungen bei der Indeckungnahme geführt habe und damit letztlich zum Scheitern vieler Projekte. Da die MIGA im Unterschied zu Hermes oder anderen Exportförderinstrumenten keine kommerziellen Risiken versichere, sondern politische Risiken prüfe, würden im Prüfungsverfahren nicht nur Aspekte der wirtschaftlichen Plausibilität, sondern schwerpunktmäßig auch Aspekte der entwicklungspolitischen Sinnhaftigkeit berücksichtigt. Allerdings äußerte der geladene Experte Professor Dr. Fastenrath von der Technischen Universität Dresden Bedenken gegenüber der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Gesetzentwurfes, da die im Entwurf integrierte Verordnungsermächtigung zu weit gefasst sei und einer Einschränkung bedürfe. Auf Grundlage dieser Rechtsauffassung haben wir uns in den Koalitionsfraktionen darauf verständigt, die infrage stehende Verordnungsermächtigung per Änderungsantrag geringfügig anzupassen. Ich möchte für die FDP-Bundestagsfraktion unterstreichen, dass die in der Anhörung aufgekommenen Bedenken, die Beteiligungsrechte des Parlamentes könnten gefährdet sein, mit dem vorliegenden Änderungsvertrag vollständig ausgeräumt werden. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird verpflichtet, über jede geplante Änderung des Übereinkommens im Bundestag rechtzeitig zu unterrichten. Das Parlament wird im rechtlich notwendigen Maße beteiligt. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur MIGA sichert in Ergänzung bestehender Investitionsschutzabkommen privatwirtschaftliche Direktinvestitionen aus Industrieländern in Entwicklungsländern durch Bürgschaften gegen nicht kommerzielle Risiken wie etwa Vertragsbruch, Krieg oder Enteignung ab. 2009 wurden Garantieverträge für 26 Vorhaben mit einem Gesamtumfang von 1,4 Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Die MIGA berät außerdem Regierungen im Süden bei der Förderung ausländischer Investitionen. Die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur als Teil der Weltbank-Gruppe muss bei der Absicherung privatwirtschaftlicher Direktinvestitionen menschen- und arbeitsrechtliche, umwelt- und sozialpolitische Standards berücksichtigen. Eigentlich sollten die abgesicherten Projekte diese Bereiche sogar fördern. Jedoch wurde in den letzten Jahren von Nichtregierungsorganisationen häufig kritisiert, dass die von der Investitions-GarantieAgentur abgesicherten Projekte oftmals keine entwicklungsförderliche Wirkung entfaltet oder sogar Menschrechts- und Umweltstandards missachtet hätten. Der bekannteste Fall ist in diesem Zusammenhang sicher der einer Nickelmine in Indonesien, die von der französischen Gesellschaft Eramet und dem japanischen Konzern Mitsubishi betrieben wird. MIGA hat hier Garantien in Höhe von 207 Millionen Dollar übernommen, obwohl es zur Zerstörung tropischer Wälder und der Vertreibungen indigener Gruppen gekommen ist. Zu Protokoll gegebene Reden Deutschland ist Gründungsmitglied der MIGA, hält einen Kapitalanteil von 5 Prozent und einen Stimmrechtsanteil von 4,2 Prozent und ist damit durchaus in der Lage, sich innerhalb der Agentur Gehör zu verschaffen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sich dafür einzusetzen, dass die Einhaltung von Menschenrechtsstandards durch die begünstigten Unternehmen verbindlich und sanktionierbar wird. Konkreten Sanktionen gegen Unternehmen müssen möglich sein, wenn sie Menschenrechte, Umwelt- oder Sozialstandards verletzen. Grundsätzlich tritt die Linke für eine andere Investitionspolitik ein: dafür, dass die OECD-Leitlinien verbindlichen Charakter bekommen, für ein alternatives entwicklungsförderliches Investitionsrahmenabkommen und für den Aufbau eines internationalen Investitionsregimes für zukunftsfähige Entwicklung im Rahmen der Vereinten Nationen. Laut Gesetzentwurf sollen künftige Änderungen am Übereinkommen zum Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur-Übereinkommen per Rechtsverordnung durch den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in deutsches Recht, also ohne Bundestag und Bundesrat, umgesetzt werden. Diese Einschränkung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte zugunsten der Exekutive lehnt die Linke ganz klar ab. Eine schlichte Unterrichtung des Bundestags über künftige Änderungen per Rechtsverordnung halten wir für zu wenig. Änderungen am Übereinkommen müssen auch künftig im Parlament ratifiziert werden.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Als Teil der Weltbank versichert die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur, MIGA, privatwirtschaftliche Direktinvestitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern gegen politische Risiken wie Enteignung, Krieg oder Vertragsbruch seitens der Partnerregierung. Die Agentur ist vor der Übernahme einer Investitionsschutzgarantie verpflichtet zu prüfen, welchen Beitrag die Investition zur Entwicklung des Gastlandes leistet und ob diese mit den Entwicklungszielen des Landes vereinbar ist. Wem die Entwicklung des Landes durch die Übernahme von Garantien dient, ist im Einzelfall zu klären. So hat MIGA beispielsweise im Juli 2010 eine Garantie über 207 Millionen US-Dollar für den französisch-japanischen Konzern Strand Minerals für eine Nickelmine in Weda Bay, Indonesien, übernommen. Die indonesische Nichtregierungsorganisation WALHI hat daraufhin Beschwerde beim Ombudsmann von MIGA eingelegt, da Vertreibungen indigener Gruppen, Zerstörung des tropischen Regenwalds und Kontaminierung des Wassers durch das Vorhaben drohten. Die von MIGA im Vorfeld durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung hatte diese gewichtigen sozialen, ökologischen und politischen Risiken aber gar nicht berücksichtigt. Doch gelten auch für MIGA die IFC-Standards der Weltbanktochter International Finance Corporation. Diese stehen jedoch in der Kritik, da sie unter anderem menschenrechtliche Defizite aufweisen. Sie werden zurzeit überarbeitet, was sie eigentlich auch dringend nötig haben. Änderungen des MIGA-Übereinkommens sehen nun eine Ausweitung der Schutzgarantien für Investoren vor. Aus unserer Sicht muss ein besserer Schutz für Investoren vor allem einhergehen mit dem besseren Schutz der lokalen Bevölkerung vor möglichen negativen Auswirkungen, wie beispielsweise Landverlust oder Umweltverschmutzung. Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Im Gouverneursrat der Weltbank wurden Änderungen des Gründungsübereinkommens von MIGA vorgenommen, welche die Bundesregierung mitgetragen hat. Gegen die inhaltlichen Statutenänderungen der Übereinkommen bestehen aus unserer Sicht mehrere Einwände. Die Ausweitung der Garantiezusagen soll künftig auch rückwirkend möglich sein. Durch eine neue Klausel können theoretisch auch Dinge nachträglich versichert werden, die keine genuine Weltbankförderung bekommen hätten. Die Evaluationsmaßnahmen von MIGA sind bislang unzureichend, da nur circa 3 Prozent der Vorhaben überhaupt überprüft werden. Dies lässt differenzierte Erkenntnisse über die Arbeit von MIGA gar nicht zu. In diesem Bereich muss es dringend Verbesserungen geben. Aus unserer Sicht ist die Einbeziehung der betroffenen Bevölkerungsgruppen und der Zivilgesellschaft durch MIGA dringend geboten. Sozial- und Umweltstandards und die Folgeabschätzung von Investitionen müssen künftig eine gewichtigere Rolle spielen. Die Statutenänderungen berücksichtigen dies jedoch leider nicht. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf im Art. 2 eine Verordnungsermächtigung, die vorsieht, dass künftige Änderungen der Statuten im Alleingang durch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorgenommen werden können, ohne den Bundestag zu beteiligen. Hiermit wird die parlamentarische Kontrollfunktion ausgehebelt. Die Richtlinien des Bundesjustizministeriums für die Fassung von Vertragsgesetzen und vertragsbezogenen Verordnungen sehen für eine Verordnungsermächtigung vor, dass der Gegenstand der Änderungen oder Ergänzungen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß - Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG - hinreichend bestimmt ist. Es bestehen aus unserer Sicht aber erhebliche Bedenken, ob die Verordnungsermächtigung in Art. 2 des Gesetzentwurfs hinreichend bestimmt ist. Der Gesetzeswortlaut - Art. 2 - enthält weder eine Begründung noch eine Eingrenzung, die über die sehr allgemeine Formel, dass sich die Änderungen „im Rahmen der Ziele des Übereinkommens halten“ müssen, hinausginge. Der von der Koalition eingebrachte Änderungsantrag kann aus unserer Sicht die verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der fehlenden Bestimmtheit nicht ausräumen. Zu Protokoll gegebene Reden Aus all diesen genannten Gründen lehnen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu den Statutenänderungen der Multilateralen Investitions-GarantieAgentur ab.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6231, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/5263 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für eine Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen bei durch den Bund geförderten Ausstellungen - Drucksache 17/6346 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({0}) Haushaltsausschuss

Prof. Monika Grütters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum wiederholten Mal diskutieren wir heute das Für und Wider einer Ausstellungsvergütung. Jetzt sind es die Grünen, die sich einer Forderung des BBK anschließen. Sie wollen eine „verpflichtende Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen in die Förderkriterien für die aus dem Einzelplan 04 ({0}) finanzierten oder bezuschussten Institutionen oder Projektträger“. „Mit der Aufnahme einer pauschalierten Ausstellungszahlung in die Förderkriterien für die aus dem Etat des BKM finanzierten oder bezuschussten Institutionen und Projektträger, welche Ausstellungen ausrichten, kann der Bund eine Zahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen für die öffentliche Ausstellung ihrer Werke ermöglichen, soweit sich die Werke im Eigentum der Künstlerin oder des Künstlers befinden“. Dies, so Ihr Antrag, sei ein „Signal gegen die bestehende Gerechtigkeitslücke“. Eine „Gerechtigkeitslücke“ kann ich nicht erkennen. Wir alle wissen, dass es sehr erfolgreiche Maler und Bildhauer gibt ebenso wie arme Poeten und nur wenig wohlhabende Musiker. Richtig ist: Der bildende Künstler lebt im Gegensatz zu anderen Künstlern vom Verkauf seiner Werke, der Autor vom Vertrieb, der Musiker von Aufführungen. Erfolgreich verkaufen kann ein Künstler dann, wenn er zuvor bekannt gemacht wurde, zum Beispiel durch Ausstellungen in Museen, Kunstvereinen, Galerien etc. Das bringt dem Künstler eine große Öffentlichkeit und bestenfalls Anerkennung eines Werkes. Und während die einen bei Lesungen, die anderen bei Konzerten eine direkte Vergütung erhalten, lebt der bildende Künstler lediglich vom Verkauf seiner Werke bzw. von der Nutzung der Abbildungen. Die nun erneut geforderte Ausstellungsvergütung soll dazu dienen, bildenden Künstlern auch aus der Ausstellung ihrer Werke einen wirtschaftlichen Nutzen zukommen zu lassen - auf dass sich ihre wirtschaftliche Lage verbessere. Einmal abgesehen davon, dass auch eine Ausstellungsvergütung die schwierige wirtschaftliche Situation der Künstler nicht auffangen würde, wäre die Ausstellungsvergütung so nur eine verkappte zusätzliche Sozialleistung. Aber mit welcher Berechtigung eigentlich? Wenn auch in verschiedenen Systemen, so arbeiten und leben doch alle Künstler von demselben Prinzip: vom Verkauf ihrer kreativen Arbeit - in dem sie sie aufführen ({1}) oder ihr Kunstwerk sein Publikum ({2}) oder neue Besitzer ({3}) findet. Die soziale Absicherung aller ({4}) Künstler in Deutschland unterstützen wir mit der Künstlersozialkasse, einer Anerkennung, die die Gesellschaft den besonderen Erfordernissen diesem uns so wichtigen Berufsstand zollt. Sie blicken hoffnungsvoll auf das schwedische Modell, das 2009 in Kraft trat. Aber hat das schwedische Modell die ökonomischen Verhältnisse der Künstler oder deren Möglichkeit, ihre Werke auszustellen, dramatisch verändert? Nicht, dass wir wüssten. Zu bedenken ist aber sehr wohl, welche dramatischen Konsequenzen das für die Museen hätte: Forderungen nach einem Vergütungsanspruch für die öffentliche Ausstellung bildender Kunst gibt es schon lange; ebenso lange lehnen fast alle im Kunstbetrieb Verantwortlichen diese Forderung ab. Die Museen haben ein großes Interesse an Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Sie verleiht den Häusern Lebendigkeit und Aktualität. Umgekehrt wissen natürlich auch die Künstler um die Vorteile einer Ausstellung in diesen Institutionen. Gerade Ausstellungen ihrer Werke in öffentlichen Museen sind für die Künstler wie ein Ritterschlag, die Arbeiten erfahren eine enorme Wertsteigerung. Die Schattenseite: Durch Ausstellungsvergütungen werden Ausstellungen für die Veranstalter erheblich teurer, in der Folge planen die Museen weniger Ausstellungen, oder man greift gleich auf die ({5}) Werke zurück, für die keine Gebühr bezahlt werden muss; und das geht letztlich zulasten der Künstler, weil sie noch weniger Präsentationmöglichkeiten bekommen. In fast allen Fällen werden Ausstellungen nicht einmal kostendeckend durchgeführt. Künstler an Ausstellungseinnahmen zu beteiligen, würde in vielen Fällen den finanzielMonika Grütters len Ruin der Veranstaltungen bedeuten, und das wäre dann das endgültige Aus einer wirksamen Kunst- und Künstlerförderung. Die meisten Museen verfügen ohnehin kaum noch über große Ausstellungsetats. Ihr Budget für Ausstellungen müsste also entsprechend erhöht werden. Im Jahr 2009, in dem die Übereinkunft in Schweden in Kraft trat, erhielten deshalb sowohl das Moderna Museet als auch Riksutställningar einen Sonderzuschuss, um diese Vergütungen überhaupt zahlen zu können ({6}). Aus langjähriger persönlicher Erfahrung als Ausstellungsmacherin kann ich Ihnen berichten, dass die Mehrzahl der ({7})Museumsbesucher nicht an Werken zeitgenössischer Künstler, sondern vielmehr an Werken der alten Kunst oder der klassischen Moderne interessiert ist, und diese fallen ohnehin nicht unter die Ausstellungsvergütung. Für Werke zeitgenössischer Künstler müssen wir das Publikum zunächst begeistern. Kuratierung der Ausstellung, Transport der Werke, Schreiner-, Maler- und Reinigungsarbeiten, Restaurierung, Beschriftung, Beleuchtung, Bewachung, Heizung und Klimatisierung, Herstellung von Katalogen, Plakaten, Einladungskarten, deren Versand, Kosten für die Eröffnung etc. - alle diese Kosten übernehmen wir als Aussteller bereits. Und dann auch noch Vergütung zahlen? Natürlich könnte man die Künstler an dem Gewinn, der mit der Präsentation ihrer Kunstwerke erwirtschaftet wird, beteiligen, wenn es denn einen gäbe. Doch wer am Erlös beteiligt wird, müsste sich auch an den entstehenden Kosten beteiligen, und diese übertreffen bekanntlich in fast allen Fällen den Gewinn eines Ausstellungsprojektes. Hinzu kommt, dass der Kunstmarkt dieses Geschäft betreibt, in Galerien und auf Messen. Museen haben einen anderen Auftrag. Die Auswirkungen auf die private Kunstförderung und Ausstellungstätigkeit wären verheerend, da sich die Kosten nicht über die Eintrittsgelder auf die Besucher verlagern lassen. Die Enquete-Kommission hat dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung empfohlen, erneut zu prüfen, „mit welchen Regelungen und Maßnahmen im Urhebervertragsrecht eine angemessene, an die wirtschaftlichen Verhältnisse angepasste Vergütung für alle Urheber und ausübenden Künstler erreicht werden kann, da die bisherigen Regelungen im Urhebervertragsgesetz unzureichend sind“. Die bildende Kunst wird über den Verkauf verwertet. Glauben Sie wirklich, dass ein Künstler, dessen Werke nicht gekauft werden, gegen Vergütung ausgestellt würde? Käme demnach eine Ausstellungsvergütung nicht vor allem einem kleinen Kreis etablierter Künstler zugute? Österreich jedenfalls hat die Ausstellungsvergütung zurückgenommen ({8}): Dort gibt es keine Ausstellungsvergütung für urheberrechtlich geschützte Werke der bildenden Kunst mehr. Die Ausstellungsvergütung bewirke nämlich prompt eine Benachteiligung lebender Künstler und wirke sich am Ende sogar nachteilig für den ganzen Kunststandort Österreich aus. Positiv an Ihrem Antrag ist, dass wir einmal mehr das wichtige Thema „Soziale Lage der Künstler“ besprechen. Es ist uns allen wichtig, dass unsere Künstler für ihre Arbeit - gut - bezahlt werden. Aber eine pauschalierte Ausstellungszahlung für Einrichtungen des BKM? Für Institutionen, die überwiegend mit etablierten und auf dem Kunstmarkt bereits eingeführten Künstlern arbeiten? Wäre das wirklich die geforderte Gerechtigkeit? Unser Anliegen ist es vielmehr, besonders auch die junge, zeitgenössische Kunst zu fördern. Von einer solchen von Ihnen geforderten Ausstellungsvergütung würden aber in erster Linie die etablierten Künstler, die auf dem Kunstmarkt bereits eingeführt sind, profitieren. Wichtiger ist es, die Chancen für Künstler, überhaupt ausstellen zu können, zu verbessern, nicht, sie gesondert zu vergüten. Es braucht mehr Ausstellungsmöglichkeiten für jüngere bildende Künstler, weitere Fördermöglichkeiten, Projektzuschüsse oder Arbeitsstipendien ({9}) und Ankaufsetats für die Museen. Hier sind vor allem die Länder und Kommunen gefragt.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern hat in unserem Land grundsätzlich einen guten Ruf, zu Recht; denn durch großzügige Finanzspritzen privater Unterstützer und auch durch Förderprogramme des Bundes und der einzelnen Bundesländer gelingt es, die ökonomisch oft instabilen und stark erfolgsabhängigen Lebensbedingungen der Künstler aufzufangen und abzufedern; denn wir alle wünschen uns, dass die Kunstschaffenden ihren Fokus in vollem Umfang auf ihre kreativen Schöpfungen lenken und sich nicht mit Finanzierungsnöten beschäftigen müssen. Vor diesem Hintergrund betrachte ich auch den vorliegenden Antrag der Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen: als gut gemeinte Wohltat. Aber wie so oft ist auch in diesem Fall gut gemeint oft das Gegenteil von gut. Ich wage folgende These: Eine verpflichtende Ausstellungszahlung senkt die Zahl der Ausstellungen in der Bundesrepublik und schwächt damit die Künstlerinnen und Künstler und die Kulturszene in unserem Land; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Ihrem Antrag folgen würden und die ausstellenden Institutionen zu einer Zahlung verpflichten würden, dann überlegen diese sich zweierlei: Erstens. Entweder sie verzichten aus Kostengründen gänzlich auf die Ausstellung. Dies darf uns weder recht noch billig sein, da wir zu Recht stolz auf eine sehr reiche und vielfältige Kunstszene in Deutschland sind und diese auch als Parlamentarier schützen und fördern müssen. Oder - zweitens - sie entscheiden sich für eine Umlage der Kosten, die automatisch zu einer Erhöhung der Eintrittspreise führt. Die Folge dessen wird sein, dass immer weniger Bürgerinnen und Bürger in der Lage und willens sind, für einen Ausstellungsbesuch Geld auszugeben, und daher einfach wegbleiben. Wenn ich in den Fraktionsbeschluss der grünen Bundestagsfraktion vom 15. März diesen Jahres schaue, lese ich dort: Bibliotheken, Theater, Archive und Museen traZu Protokoll gegebene Reden gen Unverzichtbares zur sozialen Teilhabe bei. - Inhaltlich stimme ich Ihnen vollumfänglich zu! Gleichzeitig frage ich mich aber: Warum dann dieser Antrag? Ich habe Verständnis für die soziale Situation der Künstler, und auch ich möchte, dass sie von ihrem kreativen Schaffen ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Was ich aber nicht möchte, ist, dass das Erleben von Kunst für einen Großteil unserer Gesellschaft nicht mehr bezahlbar ist. Sie verweigern aber mit dem vorliegenden Antrag nicht wenigen in diesem Lande eine soziale Teilhabe. Dies kann doch nicht in Ihrem Interesse sein. Ich bin der Überzeugung, dass wir bei der Förderung von Künstlern andere Akzente setzen sollten - vor allem solche, die abseits starrer gesetzlicher Regelungen liegen. Mit einer kleinen, aber wirksamen Katalogförderung ist vielen deutlich mehr geholfen. Auch Projektzuschüsse oder Arbeitsstipendien, wie sie beispielsweise die Stiftung Kunstfonds vergibt, sind wichtige Impulse der Bundeskulturförderung für die bildende Kunst in Deutschland. Ein zu starker Eingriff seitens der Gesetzgebung ist meiner Meinung nach jedoch nicht der richtige Weg, um unsere Künstlerinnen und Künstler in ihrer wertvollen und für unsere Gesellschaft stark prägenden Arbeit zu unterstützen.

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Seit mehr als 30 Jahren fordern maßgebliche Verbände im Bereich der bildenden Kunst, ein Ausstellungshonorar bzw. eine Ausstellungsvergütung einzuführen. Sie führen an, dass bildende Künstlerinnen und Künstler ungleich behandelt werden gegenüber Künstlern anderer Sparten wie Musik, Theater oder Literatur, bei denen das Urheberrecht den Künstlerinnen und Künstlern eine Vergütung für jede öffentliche Verwertung ihrer Werke sichert. Im Unterschied zu diesen erhalten bildende Künstlerinnen und Künstler in Deutschland, wenn ihre Werke öffentlich ausgestellt werden, hierfür keine Vergütung. Angesichts der schwierigen materiellen Situation vieler bildender Künstlerinnen und Künstler ist diese Situation besonders unbefriedigt. Wie berechtigt ist dieses Anliegen? Natürlich ist eine Ausstellung im ureigenen Interesse der Künstler, weil sie ihre Werke präsentieren und damit Interesse für ihre Kunst wecken können. Es findet aber auch im rechtlichen und wirtschaftlichen Sinne eine Nutzung ihres Werkes statt. Sie ist vergleichbar mit den im Urheberrecht geregelten Nutzungs- und Verwertungsrechten in anderen Kunstsparten. Von daher müsste die Ausstellung von Kunstwerken im Zusammenhang mit sonstigen Nutzungen anderer Werke gesehen werden, etwa der Aufführung von Musikstücken in Konzerthallen, in Hörfunk- und Fernsehprogrammen, der Aufführung von Theaterstücken, dem Vermieten von Videokassetten oder CDs oder dem Verleihen von Büchern in öffentlichen Bibliotheken, also mit Vorgängen, die als urheberrechtliche Nutzungen als vergütungspflichtig anerkannt sind. Für eine Vergütung spricht außerdem, dass mit der öffentlichen Präsentation eines Kunstwerkes für die Künstlerinnen und Künstlern auch Kosten verbunden sind. Oft konzipieren sie nicht nur die Ausstellung, sondern übernehmen auch Transport und Aufbau etc. der Kunstwerke. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite muss natürlich auch danach gefragt werden, ob eine solche Ausstellungsvergütung den bildenden Künstlerinnen und Künstlern in der Praxis auch wirklich etwas bringt. Vertreter der Kommunen und Länder, in deren Verantwortung ja viele Museen und Ausstellungsräume liegen, führen immer auch wieder mögliche Zusatzkosten an, die dazu führen könnten, dass im Ergebnis weniger Ausstellungen durchgeführt werden. Gerade von kommunaler Seite, aber auch vom Deutschen Museumsbund und anderen wurde in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Ausstellungsvergütung dazu führen könnte, dass am Ende nur die bekannten und etablierten Künstler profitieren. Derartige Erfahrungen in Österreich jedenfalls haben dazu geführt, dass man sich dort mittlerweile von einer entsprechenden Regelung wieder verabschiedet hat, die aber - und das muss der Vollständigkeit halber hinzugefügt werden - auch etwas anders strukturiert war als die in Deutschland diskutierten Vorschläge. Genau hier steckt der Teufel im Detail. Mit einem Sondervotum hat sich die SPD in der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland für eine Ausstellungsvergütung ausgesprochen. Eine parlamentarische Initiative aus den Reihen der SPD-Kulturpolitiker 2005 scheiterte jedoch an den unterschiedlichen Vorstellungen, wie genau eine Ausstellungsvergütung rechtlich ausgestaltet sein soll. Gerade die Verbände waren sich da nicht einig. Dennoch: Das Anliegen ist berechtigt: Die SPD hat sich in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2009 deutlich dafür ausgesprochen, dass Kultur- und Medienschaffende, Künstlerinnen und Künstler und Kreative von ihrer Arbeit leben können müssen. Daran halten wir fest. Das Urheberrecht und das Urhebervertragsrecht bieten die Grundlagen dafür, ein angemessenes Einkommen aus der Verwertung geistigen Eigentums zu ermöglichen. Beide Bereiche wollen wir gezielt weiterentwickeln, um eine angemessene Vergütung für alle auch tatsächlich zu erreichen. Künstlerinnen und Künstler müssen deshalb von der Möglichkeit profitieren können, ihre Werke in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Um aber das zuvor beschriebene Dilemma und den Anspruch, eine angemessene Vergütung zu realisieren, auflösen zu können, muss man nach neuen Wegen suchen. Das haben wir getan. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat am 25. November 2010 ein Expertengespräch zum schwedischen Modell der Künstlervergütung durchgeführt. In Schweden hat man sich im Jahr 2009 für eine untergesetzliche Regelung entschieden, die vorsieht, dass Ausstellungshäuser, insbesondere die staatlichen Museen, ein in einem Rahmenvertrag geregeltes Honorar an die ausstellenden Künstlerinnen und Künstler zahlen. Das schwedische Modell ist interessant, jedoch aus mehreren Gründen nicht direkt auf Deutschland übertragbar. Gleichwohl waren die damalige DiskusZu Protokoll gegebene Reden sion und das schwedische Modell Anlass für die Künstlerverbände in Deutschland, auch hier die Debatte wieder anzuregen, was wir als SPD sehr unterstützen und befördern. In Berlin beispielsweise wird die Einführung eines Haushaltstitels für Ausstellungshonorare diskutiert. An diesen Diskussionsprozess knüpft nun die Fraktion der Grünen an. Wir begrüßen die Initiative grundsätzlich, wobei ihr Antrag aus meiner Sicht einige wichtige Fragen unbeantwortet lässt. Warum beispielsweise soll eine „verpflichtende Ausstellungszahlung“, wie es im Antrag heißt, nur auf die vom Bund geförderten Einrichtungen und Projektträger beschränkt bleiben? Von den über 6 000 Museen und Ausstellungshäusern in Deutschland sind nach Angaben des Instituts für Museumsforschung nur 59 in der Trägerschaft des Bundes. Der überwiegende Teil der Museen und Ausstellungshäuser ist in der Verantwortung von Ländern und Kommunen. Spannender wäre also die Frage, wie man es schafft, zu einer umfassenderen Lösung zu kommen. Zudem muss man sich der Frage stellen, welche Effekte eine solche Ausstellungszahlung in der Realität hat. Ich erinnere an die zuvor angesprochenen Argumente des Museumsbundes und von Vertretern aus den Ländern und Kommunen und die von ihnen geäußerte Befürchtung, dass am Ende nur die etablierten Künstlerinnen und Künstler profitieren und weniger Ausstellungen gemacht werden. Dann würde man den Künstlern einen Bärendienst erweisen. Das ist nicht der Anspruch der SPD, weshalb wir diese Fragen vertiefter betrachten werden. Denn letztlich muss es das Ziel sein, dass die Künstler und Kreativen durch ihr Schaffen und ihr Werk auch ein angemessenes Einkommen erzielen können.

Reiner Deutschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004027, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir debattieren heute einen Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen, der sich im Grunde mit der sozialen Lage von bildenden Künstlerinnen und Künstlern in unserem Lande auseinandersetzt. Wie kann der Kreative von seinem Werk leben? Diese Frage ist auch für uns Liberale eine der wichtigsten Fragestellungen der Kulturpolitik. Zum Erhalt einer lebendigen und schaffenskräftigen Kulturszene existiert eine Vielzahl von Werkzeugen, mit deren Hilfe wir die Förderung des Kreativen unterstützen. Bund, Länder und Kommunen geben über 8 Milliarden Euro für die Förderung von Kunst und Kultur aus, und zwar nicht nur für Einrichtungen und Projekte der Hochkultur. Natürlich muss man in diesem Zusammenhang auch auf die einzigartige soziale Absicherung hinweisen, die uns mit der Künstlersozialversicherung zur Verfügung steht. Bei aller Wertschätzung für meine Kollegin Agnes Krumwiede, die den uns heute vorliegenden Antrag initiiert hat, berührt der Vorstoß von Bündnis 90/Die Grünen aus Sicht der Liberalen keine Punkte, die einer Regelung bedürfen. Künstler wissen sehr gut, auf welch finanziell wackligen Brettern sie sich gerade zu Beginn ihres Schaffens bewegen. Mit diesem Risiko und der mangelnden Sicherheit muss jeder leben, der sich selbstständig betätigen möchte. Hier unterscheiden sich Kunst und Kultur in der freien Szene nicht vom normalen Marktgeschehen. Alles andere wäre auch lebensfremd. Der erste Teil des Antrages beschäftigt sich mit der prekären Lage vieler bildender Künstler und vieler Fotografen. Sie schreiben in Ihrem Antrag - Zitat -: „Wenn kein Werksauftrag vorliegt, gehen bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen mit der Erstellung eines Werkes grundsätzlich eine kreative und finanzielle Vorleistung ein“. Sie beschreiben die finanziellen Risiken und die fehlende Sicherheit für Künstlerinnen und Künstler im kommerziellen Raum, stellen dann aber folgerichtig fest, dass man dort wohl nichts machen kann. Die Einführung einer Ausstellungsabgabe im kommerziellen Raum wäre nämlich, so weit, so richtig, kontraproduktiv für Nachwuchskünstler, die damit kämpfen, überhaupt Raum für die Ausstellung ihrer Werke - oftmals in kleinsten privaten Galerien - zu finden. Außerdem wäre es ein Eingriff in den Markt, beispielsweise in die Verhandlungen zwischen Künstlern und Galeristen. Warum aber sollen nun die durch den BKM geförderten Einrichtungen und Projekte eine solche Zahlung leisten? Die vom BKM unterstützten Projekte zielen oftmals gerade auf die Förderung unbekannter Künstler ab. Hier ist das Interesse des Künstlers doch vorrangig, einen Bekanntheitsgrad aufzubauen. Es verhält sich also nicht anders als im kommerziellen Raum. Der Ausstellungsraum ist für den Jungkünstler zunächst wichtiger als die Vergütung. Die dann für eine Ausstellung fällige Zahlung an den Künstler reduzierte die für andere Ausstellungen benötigten Mittel der Einrichtung. Ganz anders verhält es sich mit den großen Staatsgalerien und Ausstellungstempeln. Die hier ausgestellten Werke befinden sich ganz überwiegend im Eigentum der Museen, Kunsthallen und Galerien oder werden von den Käufern bzw. Sammlern der Werke für eine Ausstellung zur Verfügung gestellt. Der Bekanntheitsgrad eines Künstlers, der im Martin-Gropius-Bau oder in der Neuen Nationalgalerie ausstellt, ist in der Regel auch schon so groß, dass er erstens gesammelt wird und damit Werke erfolgreich verkauft, und zweitens durch eine Ausstellung weitere Sammler zum Kauf seiner Werke animiert. Selbst wenn der Künstler nicht weithin bekannt ist, so gewinnt er durch eine Ausstellung in einer großen vom BKM geförderten Einrichtung doch eine Aufmerksamkeit, die in Geld nicht ohne weiteres aufzuwiegen ist und die sich im Nachhinein auch positiv auf die finanzielle Situation des Künstlers auswirken wird. Im Übrigen dürfte der Großteil von relevanten Ausstellungen in Einrichtungen der Länder und Kommunen stattfinden, sodass der Bund hier qua fehlender Zuständigkeit nicht handlungsfähig wäre. In jedem Fall vermisse ich in dem Antrag konkrete Ausführungen, welche Einrichtungen zu welchen Bedingungen betroffen wären. Auch vermisse ich belastbares Material, das die Situation derjenigen Künstler beschreibt, die in BKM geförderten Einrichtungen ausstellen. Die globalen Ausführungen der erwähnten Studie des Bundesverbandes der bildenden Künstler, zumal aus dem Jahr 2008, sind hier nur wenig hilfreich, weil daZu Protokoll gegebene Reden raus keinerlei Rückschlüsse zu den vom BKM geförderten Einrichtungen gezogen werden können. Mehrere Gefahren birgt der Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen ganz konkret: Erstens. Eine Ausstellungszahlung durch den BKM trifft womöglich ganz überwiegend diejenigen „großen“ Künstler, die aufgrund ihres Erfolges gut auf das Geld verzichten könnten. Damit würde gerade der Sinn und Zweck der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern, die unsere Unterstützung nötig haben, verfehlt. Zweitens. Es ist zu erwarten, dass sich die Ausstellungsabgabe auf die Eintrittspreise und damit negativ auf die Besucherzahlen auswirken wird. Das wäre eine Erschwerung des Zugangs zu Kunst und Kultur. Schließlich kann sich der BKM nicht aus der Haushaltskonsolidierung verabschieden und seinen Etat beliebig aufstocken. Die betroffenen Einrichtungen müssten also einen eigenen finanziellen Beitrag zur Aufbringung der schon häufig unter dem Begriff „Ausstellungsvergütung“ diskutierten Abgabe leisten. Drittens. Viele vom BKM geförderte Einrichtungen, gerade im kommunalen Bereich, würden keine Ausstellungen mehr durchführen, da sie damit finanziell überfordert wären oder den damit verbundenen Aufwand scheuen. Viertens. Die Festlegung einer solchen Ausstellungsabgabe dürfte sich schwierig gestalten, sowohl organisatorisch als auch der Höhe nach; denn jede geförderte Einrichtung verfügt über andere räumliche und technische Voraussetzungen. Der wirtschaftliche Erfolg von Künstlerinnen und Künstlern liegt mir sehr am Herzen. Das Kernproblem schein mir jedoch zu sein, diesen Künstlerinnen und Künstlern genügend Ausstellungsraum und damit Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Vielleicht sollten wir uns einmal Gedanken machen, wie wir diesem Umstand in Zukunft besser Rechnung tragen können. Ich kann hier nur aus meinen eigenen Erfahrungen berichten. Als Leiter eines kommunalen Kulturbetriebes habe ich mindestens 15 Jahre Ausstellungen selbst verantwortet, zum Beispiel in Kirchenräumen, in einem Speicherbau und in einem Theaterfoyer. Es war mir immer wichtig, einerseits Künstlern eine Plattform zu geben und andererseits den Besuchern die Schwellenangst beim Galeriebesuch zu nehmen. Neben bekannten und unbekannten regionalen Künstlern gab es auch Ausstellungen mit Georg Baselitz, Benjamin Katz oder Neo Rauch. Dabei war es immer möglich, eine individuelle und stimmige Vereinbarung zwischen Kommune und Künstler zu treffen, aus der beide Seiten ihren Nutzen ziehen konnten.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ist Gott für die Finanzen zuständig? Oder wer? In der aktuellen Ausgabe von Politik und Kultur sagt die Künstlerin Sarah Haffner über Malen und Geld: „Wenn man Freiberufler ist, muss man an Gott glauben. Gott ist für die Finanzen zuständig.“ Die Beschreibung ihres Lebens und Arbeitens zeigt deutlich, welchen Unsicherheiten bildende Künstlerinnen und Künstler ausgesetzt sind, die für den freien Markt arbeiten. Der Verkauf von Werken ist von vielen Faktoren, auch vielen Zufälligkeiten, abhängig, mal gelingt er, mal gelingt er nicht. Sie malt großformatige Bilder, nicht sehr markttauglich. Dennoch schaffte sie es, über die Runden zu kommen, auch wenn sie sich einschränken musste. Heute, nach 30 Jahren Selbstständigkeit, erhält sie Rente aus der Künstlersozialkasse. „Wenn ich davon leben müsste, sähe es schlimm aus“, sagt sie. Seit der letzten großen Untersuchung zur sozialen und wirtschaftlichen Lage von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Jahre 1972, deren Befunde maßgeblich mit zur Gründung der Künstlersozialkasse im Jahre 1983 führten, hat sich die Einkommenssituation von freiberuflich und selbstständig tätigen Künstlerinnen und Künstlern im Durchschnitt nicht verbessert - so lautete das Fazit der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem Abschlussbericht, Drucksache 16/7000 Seite 297 ff. In vielen Fällen hat sie sich sogar verschlechtert, ist von unsicheren und schwankenden, insgesamt geringen Einkünften gekennzeichnet. Das betrifft insbesondere bildende Künstlerinnen und Künstler. Die Gruppe der bildenden Künstlerinnen und Künstler verfügt mit 94 Prozent über den höchsten prozentualen Anteil von Selbstständigen, ebenda Seite 240. Der derzeitige durchschnittliche Jahresverdienst von bildenden Künstlerinnen und Künstlern, die in der Künstlersozialkasse versichert sind, beträgt insgesamt 13 185 Euro. Frauen verdienen noch deutlich weniger: 11 103 Euro im Jahr. Sie haben also mehrheitlich ein Einkommen, von dem sie nicht leben können. Einer der Gründe für die schwierige wirtschaftliche Situation dieser Berufsgruppe ist, dass die bildenden Künstlerinnen und Künstler im Unterschied zu den Werkschaffenden aller anderen Sparten bislang keine Vergütung erhalten, wenn ihre Werke öffentlich ausgestellt werden. Bildende Künstlerinnen und Künstler beziehen ihre Einnahmen allein aus dem Verkauf der Werke bzw. der Nutzung von Abbildungen dieser Werke. Der Bundesverband bildender Künstler und andere Künstlerverbände kämpfen gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi seit nunmehr über 30 Jahren darum, diese Ungleichbehandlung zu beenden, bislang ohne Erfolg. Eine Ausstellungsvergütung - so lautet die Forderung soll diese Lücke im Urheberrecht schließen. Wir als Linke haben diese Forderung immer unterstützt, auch im Rahmen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, die sich in ihrem Schlussbericht leider gegen eine Handlungsempfehlung zu diesem Thema entschied, Drucksache 16/7000, Seite 263 ff. Wir haben dazu ein Sondervotum eingebracht und die rechtliche Verankerung einer Ausstellungsvergütung im Urheberrecht empfohlen. Diese Forderung halten wir bis heute aufrecht. Bündnis 90/Die Grünen bringen nun einen Antrag für eine Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen bei durch den Bund geförderten Ausstellungen ein. Das ist noch nicht die Umsetzung der Forderung nach einer gesetzlich festgelegten Ausstellungsvergütung, wäre aber Zu Protokoll gegebene Reden aus unserer Sicht ein erster und wichtiger Schritt, um zu einer solchen Regelung zu kommen. Vor allem wäre dies ein wichtiger Beitrag des Bundes dazu, die wirtschaftliche Situation von bildenden Künstlerinnen und Künstlern zu verbessern. Der Bund könnte damit als Vorbild für andere öffentliche Geldgeber in den Ländern und Kommunen wirken und auch über den öffentlich geförderten Bereich hinaus dazu beitragen, die Wertschätzung für die kreative Leistung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern zu erhöhen. Wir unterstützen deshalb die im Antrag gestellten Forderungen an die Bundesregierung. Im Rahmen der Fördergrundsätze des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, BKM, hätte hier der Bund die Möglichkeit, ein Signal zu setzen. Mit der Aufnahme einer pauschalierten Ausstellungszahlung in die Förderkriterien für die aus dem Etat des BKM finanzierten oder geförderten Institutionen und Projekte, die Ausstellungen ausrichten, kann der Bund eine Zahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen für die öffentliche Ausstellung ihrer Werke ermöglichen, sofern diese Einrichtungen und Projekte dafür auch hinreichend finanziell ausgestattet werden. Das heißt aber, dass die Bundeszuschüsse diesem finanziellen Mehrbedarf dann auch angepasst werden müssen. Das Geld müsste ja sonst woanders weggenommen werden, im schlechtesten Falle könnten Projekte nicht realisiert werden. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Insofern bitten wir, zu überlegen, ob das nicht auch als Forderung in einen solchen Antrag gehört. Vielleicht müsste dafür auch ein spezieller Titel im Etat des BKM eingerichtet werden. Wir halten es für richtig, dass Höhe und Kriterien einer Ausstellungszahlung in einem Gremium mit Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Institutionen und Projekte sowie von Verbänden festgelegt werden. Diese haben auch die Kenntnisse und Erfahrungen, auf deren Basis prognostiziert werden kann, welcher finanzielle Mehrbedarf daraus für den Bund erwächst. Aus unserer Sicht wäre das aber wahrlich gut angelegtes Geld. Wir wollen die Finanzierung der Künstler nicht einfach dem lieben Gott überlassen. Ein Blick nach Schweden zeigt, dass auch kleine Schritte in Richtung einer Ausstellungsvergütung einen Prozess in Gang setzen können, der die Situation der Künstler nachhaltig verbessern kann. Unter sozialdemokratischer Regierung wurde in Schweden der Anstoß dazu gegeben, für staatliche Institutionen klare und verbindliche Regelungen aufzustellen, wie diese bildende Künstler bezahlen müssen. Diese Regeln wurden zwischen den Organisationen der Künstler und dem Kulturrat ausgehandelt und traten mit Beginn des Jahres 2009 in Kraft. In einer Art Tarifvertrag werden staatliche Museen verpflichtet, eine Ausstellungsvergütung für die Ausstellung von Werken zu zahlen, die im Eigentum eines in Schweden lebenden Künstlers stehen. Optional ist ferner die Zahlung einer Mitwirkungsvergütung für die Beteiligung zum Beispiel am Aufbau einer Ausstellung. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass das schwedische Modell, an einigen Stellen verbessert, eine gute Basis für Lösungsansätze in anderen Ländern sei. Also: Lassen sie uns mit einer Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen bei durch den Bund geförderten Ausstellungen beginnen und dann sollten wir erneut über eine rechtliche Verankerung einer Ausstellungsvergütung nachdenken. Wir unterstützen den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Krumwiede (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004082, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werke berühmter Künstlerinnen und Künstler bereichern nicht nur unser visuelles Umfeld und unsere Fantasie, sondern sind für viele Kunstsammler auch - je nach Berühmtheit der Schöpferin oder des Schöpfers eine Kapitalanlage, die Option einer Wertsteigerung inbegriffen. Im Jahr 2009 betrug der Umsatz des Kunsthandels 1,8 Milliarden Euro, weltweit waren es 31,3 Milliarden Euro. Meisterwerke kann man käuflich erwerben, Talent nicht. Im krassen Gegensatz zu den meisten Käufern ihrer Werke befinden sich Künstlerinnen und Künstler die meiste Zeit ihres Lebens in prekären Einkommensverhältnissen. Die von Carl Spitzweg illustrierte Metapher auf die „brotlose Kunst“ trifft seit Generationen auf die Biografien bildender Künstlerinnen und Künstler zu. Einer der prominentesten unter ihnen ist Vincent van Gogh. Zeit seines Lebens konnte er kaum eines seiner Werke verkaufen, er war hoch verschuldet. Das Schicksal van Goghs ist auch heute exemplarisch für die Lebensumstände vieler bildender Künstlerinnen und Künstler. Eine Studie des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler, BBK, zur „wirtschaftlichen und sozialen Situation bildender Künstlerinnen und Künstler“ belegt, dass über 50 Prozent der befragten Künstlerinnen und Künstler im Laufe eines Jahres weniger als 5 000 Euro durch den Verkauf ihrer Werke eingenommen haben. Nach Angaben der Künstlersozialkasse liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen bildender Künstlerinnen und Künstler aktuell bei knapp über 13 000 Euro. Für die Mehrheit der Kunstschaffenden im Bereich bildende Kunst und Fotografie sind die Ausstellungsbedingungen in Deutschland finanziell unbefriedigend: Während bildende Künstlerinnen und Künstler, Kunstfotografinnen und -fotografen im kommerziellen Raum - beispielsweise in Galerien - zumindest eine theoretische Chance auf den Verkauf ihrer Werke haben, profitieren sie im nicht kommerziellen Raum - beispielsweise in Museen - finanziell in den allermeisten Fällen nicht von der Ausstellung ihrer Werke. Aber vom Ruhm allein kann sich niemand seine Brötchen kaufen. Leihgebühren für die Leihgabe von Kunstwerken zwischen Museen sind schon längst üblich. Umso fragwürdiger erscheint die Tatsache, dass das „Ausleihen“ von Kunstwerken beim Künstler selbst kostenlos ist. Seit mittlerweile 30 Jahren schwelt bei uns die Debatte um die Einführung einer Ausstellungsvergütung, bisher ohne nennenswerte Initiativen vonseiten der BunZu Protokoll gegebene Reden despolitik. Schweden ist diesbezüglich schon etwas weiter: 2009 wurde dort das sogenannte schwedische Modell eingeführt, eine Übereinkunft zwischen schwedischen Künstlerverbänden und staatlichen Ausstellungshäusern zur Zahlung einer pauschalierten Ausstellungsvergütung. Mit Blick nach Schweden ist eines der Hauptargumente von Gegnern einer Ausstellungsvergütung schnell widerlegt: Die Ausstellungsvergütung ist keineswegs mit immensen Kosten verbunden, die Vergütung der Künstlerinnen und Künstler macht gerade einmal zwei bis drei Prozent eines Ausstellungsetats aus. Die von uns geforderte Aufnahme einer pauschalierten Ausstellungszahlung in die Fördergrundsätze des Beauftragen der Bundesregierung für Kultur und Medien, BKM, wäre ein wichtiges Signal der Wertschätzung und ein Schritt zur Verbesserung der Entlohnung künstlerischer Leistungen in den Bereichen bildende Kunst und Fotografie. Der Bund könnte dadurch eine Vorbildfunktion für Länder, Kommunen und private Aussteller übernehmen. Unser Antrag sieht vor, in die Förderkriterien für alle durch den Etat des BKM finanzierten oder bezuschussten Institutionen und Projektträger, welche öffentliche Ausstellungen ausrichten, eine verpflichtende Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen aufzunehmen, unter der Voraussetzung, dass sich die Werke im Eigentum der Künstlerin bzw. des Künstlers befinden. Die Höhe sowie die Kriterien einer Ausstellungszahlung sollten in einem Gremium mit Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Kulturinstitutionen und Projektträger, Vertreterinnen und Vertretern von Kunstverbänden und ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern sowie Fotografinnen und Fotografen festgelegt werden. Die am teuersten verkauften Gemälde der Welt stammen überwiegend von Künstlern, die seit Jahrzehnten verstorben sind. Unter den „Top 3“ befinden sich zwei Werke von Pablo Picasso, jeweils im Wert von rund 100 Millionen Dollar. Ob Kunstwerke im Laufe der Zeit eine Wertsteigerung erfahren und deren Schöpferin oder Schöpfer in die Ahnengalerien berühmter Meister eingestuft wird, entscheiden oftmals erst die nachfolgenden Generationen. Nicht zuletzt deshalb entspricht die Argumentation, ein außergewöhnlich talentierter Künstler - bzw. Künstlerin - könne automatisch auch zeitlebens gut von der künstlerischen Arbeit leben, nicht der Realität. Ich erachte es als eine der zentralen Aufgaben der Kulturpolitik, dafür zu sorgen, dass Künstlerinnen und Künstler faire Rahmenbedingungen zur Ausübung und Vermarktung ihrer Kunst haben. Die zahlreichen alarmierenden Statistiken zur sozialen Situation Kulturschaffender in Deutschland drängen uns dazu, politisch endlich aktiv zu werden: Wir müssen Künstlerinnen und Künstler in Deutschland finanziell und wirtschaftlich besser unterstützen. Die von uns geforderte Ausstellungszahlung ist auf diesem Weg ein Schritt in die richtige Richtung. Die Einführung einer Ausstellungszahlung im Rahmen der Kompetenzen des Bundes wäre auch eine Geste der Wertschätzung. Damit könnte der Bund lebenden Künstlerinnen und Künstlern, die unsere Museen und somit unsere inneren Erlebniswelten mit ihren Werken bereichern, den notwendigen Respekt vor ihrer künstlerischen Leistung entgegenbringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6346 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen Schulz ({0}), Aydan Özoğuz, Daniela Kolbe ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Einrichtung eines Zentrums für Alevitische Studien fördern - Drucksache 17/5517 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Antrag der Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion behandelt übergeordnet gesehen einen Aspekt, der uns allen in der Politik wichtig sein sollte: Religionsvielfalt und auch die grundgesetzlich verankerte freie Ausübung der jeweiligen Religion. Deutschland, geprägt durch seine christlich-jüdischen Wurzeln, wird durch seine Mitbürgerinnen und Mitbürger verschiedener Glaubensrichtungen seit Jahrzehnten bereichert. Das friedliche Nebeneinander verschiedener Religionen in unserem Land ist ein Beispiel, das Mut macht für andere Länder auf dieser Erde, in denen Konflikte wegen verschiedener Religionszugehörigkeiten leider auch noch an der Tagesordnung sind. Diese Religionsfreiheit in Deutschland setzt Toleranz und gegenseitiges Verständnis auf der einen Seite, aber auch den selbstreflektierenden-kritischen Umgang mit der eigenen Religion auf der anderen Seite voraus. Insbesondere der jeweilige Religionsunterricht an staatlichen Schulen trägt dazu bei, sich religiös zu bilden, den eigenen Glauben zu festigen und objektiv die eigene und auch fremde Religionen zu verstehen. Zum Islamunterricht an Schulen. Über den flächendeckenden Islamunterricht in Schulen wird bereits intensiv auf Länder- und auf Bundesebene diskutiert, viele Bundesländer führen dazu bereits erfolgreich Modellversuche durch. Zukünftig werden wir für den islamischen Religionsunterricht staatlich ausgebildete Religionslehrer und Pädagogen benötigen. Genau deswegen werden - mit Unterstützung der Bundesregierung - bereits islamische Zentren an staatlichen deutschen Hochschulen gegründet und gefördert. Auch die fundierte Ausbildung alevitischer Religionslehrerinnen und -lehrer ist notwendig. Es ist wichtig, diese große Glaubensgemeinschaft in Deutschland zu berücksichtigen. Mit den Vertretern der alevitischen Gemeinde in DeutschMarcus Weinberg ({0}) land findet übrigens seitens der Bundesregierung durch Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich bereits ein intensiver Austausch statt, was zeigt, welchen Stellenwert die Bundesregierung auch den Aleviten und ihren Vertretern zumisst. Zur Ablehnung eines alevitischen Zentrums. Eine gesonderte Einrichtung eines Zentrums für alevitische Studien, wie in dem Antrag der SPD gefordert, betrachte ich in der momentanen Situation skeptisch: Zum einen müssen sich die alevitischen Gemeinden und Verbände innerhalb ihrer Gemeinschaft darüber im Klaren werden, wie sie sich genauer religiös positionieren. Unter anderem in dem Buch „Aleviten in Deutschland. Identitätsprozesse einer Religionsgemeinschaft in der Diaspora“ von Martin Sökefeld aus dem Jahr 2008 wird deutlich, dass unter den Aleviten selbst offenbar keine Einigkeit bzw. eine gewisse Unsicherheit darüber herrscht. Dieser Prozess sollte zunächst abgeschlossen werden. Zum anderen sollten wir auch die Ergebnisse der Forschungsgruppe „Islamische Religionsbedienstete. Forschungsprojekt zur Gewinnung vertiefender Informationen über Imame und Dedes in Deutschland“ abwarten und auswerten. Aus diesem Projekt werden mit Sicherheit noch viele Aspekte zur zukünftigen Ausbildung von islamischen Religionslehrern erwachsen. Wie bereits Bundespräsident Christian Wulff in seiner Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit im letzten Jahr richtig anmerkte, gehört der Islam zu Deutschland. Dem schließen wir uns an; denn Religionsfreiheit und auch Religionsvielfalt in Deutschland sind uns als Unionsparteien wichtig. Wir unterstützen den Dialog der Bundesregierung mit der alevitischen Gemeinde in Deutschland ausdrücklich. Es ist aber meiner Meinung nach zu früh, um ein Zentrum für alevitische Studien einzurichten. Insoweit können wir uns dem Antrag in dieser Form so nicht anschließen. Wir sollten im zuständigen Ausschuss weiterhin über das weitere Vorgehen diskutieren.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke den Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion, dass sie mit ihrem Antrag ein Thema auf die Tagesordnung gebracht haben, das uns gemeinsam am Herzen liegt: Die Ausbildung alevitischer Religionsgelehrter und Pädagogen. Sie verweisen zu Recht darauf, dass in unserem Land nach Schätzungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge circa 500 000 Menschen leben, die sich zum Alevitentum bekennen. Die alevitische Gemeinde Deutschlands weist selbst noch höhere Zahlen aus und geht von bis zu 700 000 Aleviten in unserem Land aus. Selbstredend gilt für sie - wie für alle Menschen, die einer Religion angehören - Art. 4 unseres Grundgesetzes, nach dem sie ihre Religion ungestört ausüben dürfen. Daraus folgt, dass dazu auch die Strukturen notwendig sind, die ihre Religionsausübung gewährleisten. Dazu gehört nicht nur - wenn auch zentral - der Bau von Gotteshäusern, sondern sicherlich auch die Möglichkeit der religiösen Bildung. Aus diesem Grund sieht unsere Verfassung trotz der grundsätzlichen Trennung von Staat und Kirche die Kooperation im Bereich des Religionsunterrichtes vor: Gerade auch für eine Religionsgemeinschaft wie die Aleviten, denen die Bildung, speziell ihrer Kinder, ein Herzensanliegen ist, sollten wir diese Möglichkeiten nutzen und fördern. Den Wunsch von Eltern, die sich religiöse Bildung für ihre Kinder wünschen, beantworten wir positiv. Die Union engagiert sich aus diesem Grund nicht nur für den Erhalt des konfessionellen christlichen Religionsunterrichtes - anders übrigens, als die meisten Ihrer Berliner Kolleginnen und Kollegen -, sondern wir fordern seit langem den flächendeckenden bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht. Selbstverständlich erheben wir diese Forderung auch für Religionsunterricht für Kinder der alevitischen Glaubensrichtung. Allerdings gebe ich auch zu: Es braucht einen langen Atem, bis die strukturellen Voraussetzungen gerade in unserem guten föderalen System dafür geschaffen sind. Religionsunterricht, der verfassungsgemäß - in Art. 7 Abs. 3 - ordentliches Lehrfach an staatlichen Schulen ist, braucht qualifiziertes Personal. Er muss von Lehrkräften erteilt werden, die eine Ausbildung, ein Studium mit hohen Qualitätsstandards erfahren haben und die mit der deutschen Sprache souverän vertraut sind. Religionslehrerinnen und Religionslehrer - das gilt umso mehr noch für Dedes bzw. Anas, die auf die Sorgen ihrer Gemeindemitglieder seelsorgerisch reagieren können müssen - müssen die Lebenswirklichkeiten und die Fragen der Menschen, gerade der Jugendlichen, die hier leben, kennen. Es ist daher unweigerlich richtig: Unsere Universitäten sind der richtige Standort für die theologische Ausbildung. Theologie als Wissenschaft, mittels derer Glaubensgrundsätze vermittelt, hermeneutisch-kritisch durchdrungen und in den Kontext der jeweiligen Zeit hineininterpretiert werden können, ist eine wichtige akademische Disziplin. Unsere staatlichen Universitäten, an denen dafür wissenschaftliche Qualitätsstandards, Forschungsfreiheit bei gleichzeitiger Bewahrung der Glaubensgrundsätze und die Möglichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit mit verwandten Fächern gegeben sind, sind daher der richtige Ort für die theologische Wissenschaft. Hinzu kommt, dass die Theologie in Deutschland zudem eine Tradition hat, auf die wir stolz sein können. Religion ist wichtig für unsere Kultur, sie ist wichtig für die Identität des Einzelnen, also um der Angehörigen der Religion selbst willen, und sie ist auch wichtig unter dem Aspekt der Integration. Der Frieden und der respektvolle Umgang unter den Angehörigen der verschiedenen Religionen in unserem Land ist eine maßgebliche Voraussetzung für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Gegenseitiges Verständnis als Grundlage von Toleranz und des gedeihlichen Zusammenlebens erfordert, dass wir die religiösen Traditionen, die Glaubensgrundlagen des jeweils anderen kennen. Der Religionsunterricht an staatlichen Schulen ist der richtige Ort, um hierfür die Grundlagen zu legen: Junge Menschen lernen im bekenntnisorientierten Religionsunterricht - egal, ob katholisch, evangelisch, alevitisch-islamisch oder jüdisch etc. - am besten, sich mit Zu Protokoll gegebene Reden religiösen und ethischen Inhalten auseinanderzusetzen. Für den Dialog mit anderen Religionen ist es notwendig, sich mit dem eigenen, auch gelebten, Glauben zu befassen. Konfessioneller Religionsunterricht hilft jungen Menschen, Orientierung zu finden und einen eigenen Standpunkt auszubilden; gerade für junge Menschen, die aufgrund ihrer Migrationserfahrung verstärkt auf der Suche nach Heimat und Identität sein können, kann der Religionsunterricht, wenn er mit geeignetem Personal durchgeführt wird, hierfür eine wichtige Stütze sein. Theologisches Wissen erleichtert es, auch der eigenen Religion gegenüber kritisch zu bleiben und fundamentalistischen Tendenzen zu widerstehen. Wir wissen, dass wir für einen solchen Religionsunterricht, der diesen Anforderungen gerecht werden soll, gut ausgebildete Religionslehrerinnen und -lehrer brauchen. Unsere Bundesregierung hat dies nicht nur wortreich bekundet, sondern hat dieser Erkenntnis längst Taten folgen lassen. So diskutieren wir beispielsweise im Forum der Deutschen Islamkonferenz seit 2006 mit Vertretern der muslimischen Verbände sowie muslimischen Einzelpersönlichkeiten darüber, wie dies im Fall der islamischen Theologie gelingen kann. Sie haben ausdrücklich begrüßt, dass unsere Bundesregierung der Empfehlung des Wissenschaftsrates vom Januar 2010 gefolgt ist und die Gründung islamischer Zentren an staatlichen Universitäten auch vom Bund gefördert wird. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie so deutlich machen, dass Sie diesen Schritt begrüßen. Ich freue mich, dass wir uns hier über die gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser Aufgabe einig sind. Islamischer Religionsunterricht ist darüber hinaus in der zweiten Runde der Islamkonferenz seit 2009 ein ausdrückliches Schwerpunktthema der Konferenz, die sich in dieser Legislaturperiode noch stärker den Herausforderungen der Praxis widmet. Ich freue mich, dass die Alevitische Gemeinde Deutschlands die Einladung unseres Bundesinnenministers in dieses Forum angenommen hat und dass sie - selbstverständlich unter dem entsprechenden Vorbehalt, den wir ernst nehmen - sich auch bereit erklärt hat, in der Projektgruppe „Fortbildung von religiösem Personal“ der Deutschen IslamKonferenz mitzuarbeiten, die bereits einen „Leitfaden für die gesellschaftskundliche und sprachliche Fortbildung von religiösem Personal und weiteren Multiplikatoren islamischer Gemeinden auf kommunaler Ebene“ erarbeitet hat. Unser Bundesinnenminister, Dr. Hans-Peter Friedrich, hat sich auch persönlich unmittelbar nach seinem Amtsantritt bei einem Besuch der Alevitischen Gemeinde in Deutschland Ende März mit den Vorsitzenden des größten Dachverbandes der Aleviten zum Austausch getroffen. Ich bin daher sicher, dass auch auf dieser Ebene die Frage, wie wir die qualifizierte Ausbildung alevitischer Religionsgelehrter und Pädagogen unterstützen können, konstruktiv weitergeführt wird. Als Beauftragte meiner Fraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften bekunde ich ganz offen meine Sympathie für die Forderung der Alevitischen Gemeinde Deutschland nach einem Lehrstuhl für alevitische Theologie. Ich würde die Einrichtung eines solchen Lehrstuhls - vielleicht wäre ja eine Stiftungsprofessur denkbar? - ausdrücklich begrüßen. Aber ich möchte Sie doch um Zurückhaltung bitten, was die - vielleicht vorschnelle - Forderung nach einem alevitischen Zentrum betrifft. Ich möchte sie dazu auf drei Anhaltspunkte verweisen, bevor ich zum Schluss komme. So darf ich von der Homepage der Alevitischen Gemeinde in Deutschland zitieren: Für die Gewährleistung einer adäquaten Ausbildung ist die Schaffung eines ordentlichen Lehrstuhls für die alevitische Theologie unumgängliche Voraussetzung. Es gibt zur Zeit in Deutschland keine universitäre Möglichkeit, Lehrerinnen und Lehrer für den alevitischen Religionsunterricht auszubilden. Die Ausbildung der alevitischen Lehrer soll an einer Universität mit einem Erweiterungsfach erfolgen. Alevitische Studenten sollen die Möglichkeit haben, das Zusatzfach Alevitische Religionslehre zu ihren zwei obligatorischen Studienfächern zu belegen. Von einem Zentrum ist hier nicht die Rede. Zudem sollten wir abwarten, was das Forschungsprojekt: „Islamische Religionsbedienstete - Forschungsprojekt zur Gewinnung vertiefender Informationen über Imame und Dedes“, das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert wird, ergibt. Dieses Forschungsprojekt soll unter anderem bessere Kenntnisse über die Bildungsvoraussetzungen von Imamen und Dedes gewinnen, um den Bedarf der Aus- und Fortbildung zu eruieren und Bildungsangebote zielgruppengerecht gestalten zu können. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes sollten wir doch berücksichtigen, bevor wir uns nun bei der Ausbildung alevitischer Religionsgelehrter nur an dem - durchaus wichtigen - Bedarf an Religionslehrern orientieren würden. Zum anderen möchte ich, wie im Antrag der SPD gefordert, auf die Erkenntnisse des Deutschen Wissenschaftsrates verweisen. Er stellt in seinen „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“ vom Januar 2010 für den Fall, dass Aleviten sich nicht im Kontext des Islam verorten, ausdrücklich folgende Überlegung an: Sofern sich alevitische Gemeinden und Verbände nicht im Kontext des Islam verorten, können sie keine Akteure im Kontext der Islamischen Studien werden. Dies schließt aber keineswegs aus, dass die alevitische Glaubensrichtung in Lehre und Forschung in anderen Fächern wie zum Beispiel in der Religionswissenschaft oder in der Turkologie wissenschaftlich begleitet werden kann. Auch hier ist also von einer Forderung nach einem speziellen Zentrum keine Rede. Ob es für die Förderung der Ausbildung alevitischer Religionsgelehrter eines eigenen Zentrums bedarf, um darüber zu entscheiden, ist es zum jetzigen Zeitpunkt zu früh. Über die Form, wie wir seitens des Staates die Rahmenbedingungen unterstützen können, unter denen alevitische Religionsgelehrte am besten ausgebildet Zu Protokoll gegebene Reden werden können, müssen wir noch weiter gemeinsam nachdenken. Ich bitte Sie dafür um Ihre Unterstützung.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachdem der Wissenschaftsrat im Januar 2010 empfohlen hat, islamische Studien an Hochschulen zu etablieren, hat die Bundesregierung im Grundsatz richtig reagiert: Es wurden Fördermittel zur Verfügung gestellt, um die Bundesländer und Hochschulen bei der Einrichtung der neuen Zentren zu unterstützen. Inzwischen gibt es vier Zentren, die von dieser Unterstützung profitieren. Doch leider hat die Bundesregierung versäumt, auch die Einrichtung eines Zentrums für alevitische Studien zu fördern. Nach Schätzungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge leben in Deutschland zwischen 480 000 und 552 000 Menschen mit alevitischer Glaubensrichtung. Die Alevitische Gemeinde ist eine anerkannte Religionsgemeinschaft in Deutschland. Für sie muss der Gleichbehandlungsgrundsatz auch in dieser Frage gelten. Zumal die zentralen Argumente, die für die Einrichtung islamischer Studien gelten, auch hier Bedeutung haben. Bereits 2002 ermöglichte Berlin als erstes Bundesland alevitischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Inzwischen wird in sieben Bundesländern alevitischer Religionsunterricht angeboten. In weiteren Bundesländern laufen Vorbereitungen und Verhandlungen. Diese Entwicklung macht deutlich, dass eine Etablierung einer Ausbildung alevitischer Religionsgelehrter und Pädagogen an Hochschulen in Deutschland notwendig ist und unterstützt werden muss. Darüber hinaus geht es grundsätzlich darum, wie bei anderen Theologien eine wissenschaftliche Beschäftigung in und mit dem Glauben zu organisieren. Das ist Voraussetzung für einen vertieften Dialog über Grundlagen und Ausrichtung der Religionen und der Religionsgemeinschaften in Deutschland. Dies ist ein Zukunftsthema. Die Religionen sollen Teil einer lebendigen, demokratischen und sozialen Gesellschaft sein - dafür liefert die wissenschaftliche theologische Debatte unverzichtbare Grundlagen. Ohne gegenseitigen Respekt und Toleranz, ohne Gleichbehandlung und Akzeptanz ist gutes Zusammenleben nicht erreichbar. Und dazu gehört eben auch der Umgang mit dem anderen Glauben. Gerade bei der gesellschaftlichen Debatte ebenso wie bei der Vermittlung von Glaubensfragen müssen wir weltoffen, pluralistisch und integrativ handeln. Der alevitische Glaube hat seine Rolle und Bedeutung. Das muss durch die Einrichtung eines Zentrums für alevitische Studien an einer deutschen Universität verdeutlicht und unterstützt werden. Wir fordern darum die Bundesregierung auf, einen Wettbewerb zur Einrichtung eines solchen Zentrums auszuschreiben.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit unserem Antrag möchten wir ein klares Signal setzen, dass auch Alevitinnen und Aleviten in unserem Land willkommen sind und dass wissenschaftliche Forschung und Lehre über die alevitische Glaubensrichtung dringend notwendig ist. Lange hat es gedauert, bis die ersten Zentren für Islamische Studien an deutschen Hochschulen eingerichtet wurden - das ist ein richtiger Schritt. Wir begrüßen es außerordentlich, dass sich Ministerin Schavan zusammen mit den Ländern und den Universitäten auf vier Standorte verständigt hat, an denen islamisch-theologische Nachwuchswissenschaftler, Religionslehrer und Religionsgelehrte ausgebildet werden können. Die SPD wollte solche Lehrstühle seit langem einrichten; schön, dass es nunmehr geklappt hat. Vor diesem Hintergrund fände ich es aber folgerichtig, auch ein Zentrum für Alevitische Studien an einer deutschen Universität einzurichten. Laut Bundesbildungsministerin Schavan sind die neuen Lehrstühle dafür verantwortlich, die personellen Voraussetzungen für einen bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterricht und für die Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs zu schaffen. Schon heute gibt es genau diesen bekenntnisgebundenen alevitischen Religionsunterricht in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern. Daher ist ein Zentrum für Alevitische Studien, an dem wissenschaftliche Forschung, Lehre und Diskurs über das Alevitentum stattfinden und die Lehrkräfte für den alevitischen Religionsunterricht ausgebildet werden könnten, durchaus erforderlich. Dass die Bundesregierung keine Initiative für so ein Zentrum zeigt, ist ein eklatanter Widerspruch zu den selbst gesetzten Zielen. Diese Herausforderung war schon lange absehbar, wenn wir uns noch einmal vor Augen führen, dass die Alevitische Gemeinde seit 2005 eine anerkannte Religionsgemeinschaft nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes ist. Als Antwort auf Frage 17 in unserer Kleinen Anfrage auf Drucksache 17/3387 fiel der Bundesregierung lediglich ein, dass sie erwarte, dass das vielfältige Glaubensspektrum des Islam sich am besten dadurch abbilden könne, dass die Bundesregierung keine Vorgaben dazu macht, sondern den Ländern und Standorten die Möglichkeit gebe, unterschiedliche Konzepte zu verfolgen, was die Besetzung der Beiräte und die Ausrichtung des Angebots betrifft. Dies wird zurzeit richtigerweise kontrovers diskutiert. Wir müssen uns dann aber auch fragen, wie die Lehrkräfte für den alevitischen Religionsunterricht ausgebildet werden sollen. Derzeitige Lösungen wie in Nordrhein-Westfalen mit zertifizierten Kursen, angeboten durch die Alevitische Gemeinde Deutschland e. V. selbst, sind ein erster Schritt, aber nicht ausreichend. Für den Kurs benötigen interessierte Lehrkräfte - in der Regel alevitischen Glaubens - eine offizielle Abordnung durch die zuständige Schulbehörde, was in der Vergangenheit wiederholt daran scheiterte, dass die Schulen die Abordnung ablehnten, weil die Lehrkraft an der Schule dringend gebraucht wurde und unentbehrlich war. Solange es kein Zentrum für Alevitische Studien gibt, wird sich auch kein wissenschaftlich fundierter Diskurs entwickeln. Lehre und Forschung an einem Zentrum - angeschlossen an eine deutsche Universität - könnten Zu Protokoll gegebene Reden Aydan Özoðuz auch das Verhältnis des Alevitentum zum sunnitisch und schiitisch geprägten Islam in einem akademischen Diskurs untersuchen und thematisieren. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, unserem Antrag zu folgen und die Bundesregierung aufzufordern, die Errichtung eines Zentrums für Alevitische Studien an einer deutschen Universität auf den Weg zu bringen.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die FDP-Bundestagsfraktion hat die Initiative der christlich-liberalen Bundesregierung von Anfang an gestützt, den Aufbau von Zentren für islamische Studien zu fördern. Entsprechend der Empfehlung eines hochrangig besetzten Gutachterausschusses des Wissenschaftsrates wurden in zwei Auswahlrunden bereits insgesamt vier Zentren für islamische Studien an deutschen Hochschulen eingerichtet. Im Herbst 2010 sind Tübingen und Münster/Osnabrück und im Februar 2011 die Universitäten Erlangen-Nürnberg und Frankfurt/Gießen ausgewählt worden und erhalten seitdem eine Förderung aus Bundesmitteln. Der Bund fördert für die nächsten fünf Jahre Forschungsprofessuren, Mitarbeiterstellen und Nachwuchsgruppen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, stellt dafür pro Standort bis zu 4 Millionen Euro zur Verfügung. Man darf nicht vergessen, dass auf diesem Gebiet jahrelanger Stillstand herrschte, sich kein Lüftchen regte. Während elf Jahren sozialdemokratischen Tiefschlafs regte sich bei diesem wichtigen Thema nichts. Und nun - ganz plötzlich - wird versucht, per Antrag „Einrichtung eines Zentrums für Alevitische Studien fördern“ ein wenig Stimmung zu machen. Da passt natürlich, dass der Antrag der SPD-Fraktion sich als Potpourri unklarer und wenig durchdachter Forderungen darstellt, alles nach dem Motto: in den Topf und kräftig verrühren - wird schon eine rote Soße werden. - Etwas Brauchbares kann dabei natürlich nicht herauskommen! Zu den Inhalten: Man will zunächst einen „Wettbewerb“ anzetteln, um Bundesmittel für ein Zentrum an einer deutschen Universität loszueisen. Sehr kreativ! Das Ganze wird damit begründet, dass die circa 500 000 Moslems alevitischer Prägung, die in Deutschland beheimatet sind, eine akademisch verwurzelte Anlaufstelle benötigen. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Leider wird das Vorhaben, auch auf Länderebene, nicht so einfach umzusetzen sein, wie die SPD dies in ihrem Papier suggeriert. Man übersieht - ob wissentlich oder nicht, soll hier einmal nicht interessieren, - dass die alevitische Gemeinde nur in fünf Bundesländern als „eine anerkannte Religionsgemeinschaft“ zählt. Dazu gehören Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. In Bremen, Brandenburg oder Rheinland-Pfalz, genau dort, wo die SPD seit Jahrzehnten das Zepter in der Hand hält, wird dies den alevitischen Gemeinschaften gerade nicht zuerkannt! Man stelle sich unter diesen Umständen vor, wie ein Herr Kurt Beck an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz ein solches alevitisches Zentrum eröffnet! Auch sollte sich die SPD an die Nase fassen und nicht im Glashaus mit Steinen spielen! Die Gründung und Betreibung von Zentren für Islamstudien, wie sie erstmals von der christlich-liberalen Bundesregierung vorangetrieben wird, ist Ausdruck einer offenen und toleranten Gesellschaft. Für uns Liberale leisten diese Zentren einen wichtigen Beitrag zur Akzeptanz des Islams in Deutschland. Gerade die theologische Forschung und die Ausbildung von Religionslehrern und Imamen ist entscheidend für die Integration von Muslimen in unserem Land. Der Islam kann in unserem Land von der hiesigen Bevölkerung nur dann als Bereicherung angesehen werden, wenn er verfassungskonform ausgestaltet ist und unsere Werteordnung anerkennt. Wir haben uns in diesem Zusammenhang auch die Frage gestellt, inwiefern die wesentlichen Strömungen innerhalb des Islams hier gebündelt eine Heimat finden können oder ob eine weitere Differenzierung zwingend notwendig ist. Letztlich muss dies jedoch seitens der zuständigen Ebene entschieden werden. Der Aufbau von Studiengängen liegt in der Zuständigkeit der Länder. Die Entscheidung über die Einrichtung von Zentren für islamische oder - wie von der SPDFraktion gefordert - alevitische Studien an deutschen Hochschulen liegt grundsätzlich bei den Ländern. Bei den islamischen Studien konnten sich diese um eine Förderung des BMBF bewerben, ohne dass das BMBF die Inhalte der Studiengänge vorgegeben hatte. Für die Aleviten bestand und besteht die Möglichkeit, sich mit dem Anliegen, die Etablierung der alevitischen Glaubensrichtung in Lehre und Forschung an deutschen Universitäten und die Ausbildung von alevitischen Geistlichen in Deutschland voranzutreiben, an die vonseiten des BMBF zur Förderung ausgewählten Standorte zu wenden. Das BMBF ist nach unseren Informationen in einem ständigen Austausch mit der Gemeinde der Aleviten in Deutschland; insofern bedarf es hierfür keines Antrags aus den Reihen der Opposition. Sollte unabhängig von der Etablierung der islamischen Studien in Deutschland ein landesseitig finanzierter Lehrstuhl für alevitische Glaubenslehre eingerichtet werden, kann man aus unserer Sicht immer noch über eine flankierende Bundesförderung nachdenken. Eine spezielle Förderung für die Ausbildung alevitischer Geistlicher im Rahmen der Etablierung islamischer Studien lässt sich mit Blick auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats und auf die Besonderheit der alevitischen Glaubensrichtung in Bezug zum Islam jedoch nicht verwirklichen. Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion kann eine institutionelle, solide und nachhaltige Finanzierung von Hochschuleinrichtungen kaum „auf Basis eines Wettbewerbs“ sichergestellt werden. Wer eine dauerhafte Lösung sucht, muss ein gemeinschaftliches Vorgehen von Bund und Ländern anstreben. Der von der SPD-Fraktion vorgelegte Antrag gaukelt den Betroffenen etwas vor und findet daher nicht unsere Unterstützung.

Raju Sharma (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004156, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In Deutschland lebt mehr als eine halbe Million Menschen der alevitischen Glaubensrichtung. Im vorliegenden Antrag stellt die SPD richtig fest, dass die alevitiZu Protokoll gegebene Reden sche Gemeinde eine anerkannte Religionsgemeinschaft ist. Die Fraktion Die Linke begrüßt daher den Antrag der SPD nach der Einrichtung eines Zentrums für alevitische Studien. Das wäre allein schon deshalb eine sinnvolle Maßnahme, weil es die Religionsfreiheit verlangt, dass der Staat alle Religionsgemeinschaften gleich behandelt. Die von der Bundesregierung angeregten Zentren für Islamstudien würden dem nicht gerecht werden. Zwar war deren Einrichtung ein guter und wichtiger Schritt. Religiöse Vielfalt als Bereicherung zu verstehen und dabei mit aller Konsequenz für die Gleichbehandlung der Religionen einzutreten bis hin zur Verankerung an den Universitäten, in Forschung und Lehre, ist der nächste wichtige Schritt. Der Islam ist vielfältig ausgeprägt. Das ist zu erkennen und anzuerkennen. Gerade die alevitische Gemeinde ist der Beweis dafür, dass es nicht den einen Islam gibt: Genau wie bei Christen oder Juden gibt es sowohl konservative als auch liberale Erscheinungsformen ein und derselben Religion. Die alevitische Gemeinde steht für eine besonders liberale Ausprägung des Islam. Sie ist damit ein lebendiges Gegenbeispiel für die stereotypen Ressentiments, die immer wieder gegen die islamischen Glaubensgemeinschaften - zum Beispiel aus den Reihen der SPD durch Thilo Sarrazin - formuliert werden. Alevitinnen und Aleviten bekennen sich zur unantastbaren Würde des Menschen, zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, zur Gewährleistung von Glaubens- und Religionsfreiheit. Warum sollen wir also jenen unsere Anerkennung und im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften gleichberechtigte Unterstützung verweigern? An zahlreichen Schulen wird schon heute alevitischer Religionsunterricht angeboten - der Antrag verweist auf die Bundesländer Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern. Das ist gut, doch es mangelt gravierend an speziell geschulten Lehrkräften. Die Nachfrage nach alevitischem Religionsunterricht wird in den kommenden Jahren sogar weiter wachsen. Auch das spricht für die Einrichtung alevitischer Zentren zur Ausbildung von Lehrpersonal, zur Förderung von Wissenschaft und Forschung. Die Regierungskoalition sollte sich daher ihrer Verantwortung stellen und der Einrichtung eines Zentrums für alevitische Studien nicht verweigern.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich begrüße und unterstütze ausdrücklich die Initiative der SPD-Kolleginnen und -Kollegen, ein Zentrum für alevitische Studien zu fördern. In Deutschland leben inzwischen rund eine halbe Million Aleviten. Sie sind überwiegend türkischer Herkunft und als Arbeitsmigrantinnen und -migranten nach Deutschland gekommen oder sind deren Nachkommen. In der Türkei leben zwischen 13 und 22 Millionen Aleviten. Bis heute werden die Aleviten vom türkischen Staat nicht als religiöse Minderheit anerkannt, sondern immer noch diskriminiert und marginalisiert. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass alevitische Kinder am sunnitisch geprägten Religionsunterricht teilnehmen müssen. Im Gegensatz zur sunnitischen Glaubensrichtung erhalten sie auch keine staatliche Unterstützung für die Ausübung ihrer Religion, und ihre Versammlungshäuser sind nicht geschützt. Die Europäische Union hat die Diskriminierung der Aleviten im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei mehrfach kritisiert. Von orthodoxen sunnitischen Muslimen werden Aleviten als Häretiker und Ungläubige bezeichnet. Böswillige Vorurteile gegen Aleviten sind bei türkischen Sunniten noch heute verbreitet. In osmanischer Zeit wurde das Alevitentum verfolgt, und bis in die jüngste Zeit gab und gibt es in der Türkei Übergriffe und Pogrome gegen Aleviten vonseiten türkischer Nationalisten und sunnitischer Fundamentalisten. 1993 zündete in Sivas ein aufgebrachter Mob ein Hotel an, in dem sich zahlreiche alevitische Künstler und Intellektuelle aufhielten. 37 Menschen starben in den Flammen. Deutschland und die EU sollten die Beendigung der Diskriminierung des Alevitentums von der Türkei unmissverständlich einfordern. Der deutsche Staat sollte aber auch dazu beitragen, dass sich die Marginalisierung der Aleviten nicht auch noch in Deutschland fortsetzt. Deshalb ist es richtig, bei der Gestaltung des Religionsunterrichts und der Einrichtung von Zentren für islamische Studien den alevitischen Glauben nicht einfach unter einem sunnitisch verengten Islam zu subsumieren, sondern seine Selbstbestimmung und Eigenständigkeit zu betonen. Die Alevitische Gemeinde in Deutschland fordert seit langem die Möglichkeit für alevitischen Religionsunterricht in deutscher Sprache an deutschen Schulen. Einige Städte haben bereits damit angefangen. Dies setzt aber die Ausbildung von geeignetem Lehrpersonal an deutschen Universitäten voraus. Einige Aleviten sehen sich als Muslime, andere nicht. Welcher Glaube zur muslimischen Religion gehört und welcher nicht, kann und darf nicht die Politik entscheiden. Es muss den alevitischen Gemeinden und Verbänden überlassen bleiben, sich innerhalb des Kontexts des Islam oder außerhalb zu verorten. Die Verortung können die Gläubigen nur selbst vornehmen. Diesem Spannungsverhältnis des Alevitentums im Verhältnis zum Islam müssen auch die Institutionen gerecht werden, die die Politik für die Herausbildung theologischer Studien fördert. Deshalb ist es richtig, einerseits bei den Zentren für islamische Studien grundsätzlich keine Richtung islamischer Glaubenstradition und Gelehrsamkeit auszuschließen, andererseits aber auch parallel dazu ein Zentrum für alevitische Studien einzurichten. Es geht dabei nicht nur um die Ausbildung von Lehrpersonal für einen alevitischen Religionsunterricht. Das Alevitentum ist auch aus Forschungssicht ein spannendes Feld mit seinen tiefen mystischen Wurzeln, der herausragenden Bedeutung von Tänzen, Musik, Gedichten und Liedern, den vielen integrierten Elementen des Sufismus bis hin zu besonderen Ausprägungen wie den Derwischbruderschaften der Bektaschi. Die Aleviten in Deutschland haben aber auch aus politischer Zu Protokoll gegebene Reden Sicht Unterstützung nicht nur nötig, sondern auch verdient. Es handelt sich um eine tolerante Religion, in der der Mensch und sein individuelles Verhältnis zu Gott im Mittelpunkt stehen. Dogmatische Regeln wie Ritualgebete, Bedeckung oder Verschleierung von Frauen und andere als oberflächliche Äußerlichkeiten bewertete Vorschriften haben im Alevitentum keinen Platz. Die Scharia wird abgelehnt. Männer und Frauen sind gleichgestellt. Das Alevitentum ist eine humanistische und universelle Religion, die zu liberalen und modernen Gesellschaftsvorstellungen passt. Kein Wunder, dass die Aleviten in Deutschland in der Regel gut integriert sind und viele die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Ein Zentrum für alevitische Studien wäre für die gesamte deutsche Gesellschaft und nicht nur für die Aleviten ein Gewinn und könnte den Dialog der Weltreligionen um eine besondere Facette bereichern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5517 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ausgrenzung stoppen - Alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Leistungsbezug des Asylbewerberleistungsgesetzes in das Bildungs- und Teilhabepaket einbeziehen - Drucksache 17/6455 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Ausgrenzung stoppen“ ist die plakative Überschrift des vorliegenden Antrages der SPD-Fraktion. Sie implizieren, dass in unserem Land asylsuchende Kinder und Jugendliche systematisch ausgegrenzt werden. Diesen Vorwurf weise ich in aller Deutlichkeit zurück. Bei der Lektüre Ihres Antrages ist aufgefallen, dass er im Grunde deckungsgleich mit dem Bundesratsantrag der Freien und Hansestadt Hamburg vom 14. Juni 2011 - Drucksache 364/11 - ist. Es freut mich, dass die SPD in breiter Front antritt, aber führen Sie doch bitte keine Scheingefechte. Lassen Sie mich zur Thematik klar feststellen - und Sie führen es in Ihrem Antrag auch an -: Die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Leistungsbezug nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes, AsylbLG, haben einen Anspruch auf die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes, das die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Dies ist unstrittig. Sie wissen auch, dass wir uns des Themas der jungen Menschen mit Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG bereits angenommen haben und der Sachverhalt geprüft wird. Daher kann ich die Notwendigkeit Ihres Antrages nicht erkennen. Sie verkennen komplett, dass die Problematik im Fluss ist. Einerseits haben sich viele Kommunen der Herausforderung angenommen und gewähren den leistungsberechtigten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach § 3 AsylbLG die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 6 Abs. 1 AsylbLG. Andererseits beginnen die Bundesländer, denen die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes obliegt, eigene Regelungen zu erlassen. Beispielsweise beschloss der Berliner Senat im April 2011, dass die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes allen Asylbewerberkindern gewährt werden. Auch wenn Sie die Deutungshoheit über die Sozialpolitik gerne für sich in Anspruch nehmen, so müssen Sie doch eingestehen, dass wir uns des Themas angenommen haben. Sie argumentieren in ihrem Antrag mit der UN-Kinderrechtskonvention. Darf ich Sie daran erinnern, dass es gerade die christlich-liberale Koalition war, die die UN-Kinderrechtskonvention vorbehaltlos anerkannt hat? Wenn Ihnen das Thema so wichtig wäre, hätten Sie die Jahre Ihrer Regierungsverantwortung nutzen können, um dies abzustellen. Durch Ihre Formulierung „bislang nicht vorgesehen“ müssen Sie einerseits erkennen, dass eine einheitliche Regelung angedacht und in Vorbereitung ist. Die Bundesregierung teilte in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke ({0}) mit: „Soweit es um Leistungsberechtigte nach § 3 AsylbLG geht, ist die Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe Gegenstand der Prüfung der Bemessung der Leistungssätze. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.“ Andererseits impliziert „nicht vorgesehen“, dass Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe schlicht und ergreifend verboten sei. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Es ist schon jetzt möglich und vielfach auch gelebte Praxis, dass Kindern, die nach § 3 AsylbLG leistungsberechtigt sind, die Leistungen für Bildung und Teilhabe als sonstige Leistungen nach § 6 Abs. 1 dritte Alternative AsylbLG gewährt werden. Wir haben uns des Themas angenommen, und Sie wissen, dass wir und das BMAS den Sachverhalt zum Wohle der Betroffenen prüfen. Ich möchte Sie daher auffordern, dass Sie Ihren Antrag zurückziehen. Das Thema ist bereits auf der Agenda und auch für mich ein wichtiges Anliegen. Da die Prüfung läuft, ist Ihr Antrag entbehrlich und daher von uns abzulehnen.

Heike Brehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004019, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir behandeln den Antrag der SPD-Fraktion „Ausgrenzung stoppen - Alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Leistungsbezug des Asylbewerberleistungsgesetzes ({0}) in das Bildungs- und Teilhabepaket einbeziehen“. Für mich als Christdemokratin ist es wieder sehr interessant, zu beobachten, dass ein solcher Antrag vonseiten der SPD gestellt wird. Dabei dürfte doch allen Anwesenden bewusst sein, dass mit der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets durch unsere Bundesregierung erst einmal das repariert werden musste, was Rot-Grün seinerzeit bei der Einführung der ALG-IISätze vergessen hatte, nämlich einen Rechtsanspruch für Kinder auf Bildung und aufs Mitmachen. Nach einer für alle Seiten nervenaufreibenden Beratungs- und Umsetzungsphase, die vor allem seitens der SPD immer wieder blockiert und unterbrochen wurde, gab es für das Bildungspaket Ende März endlich den offiziellen Startschuss. Bevor ich das AsylbLG ins Spiel bringe, möchte ich noch einmal an die Idee des Bildungspaketes erinnern: Kinder einkommensschwacher Familien sollen die Möglichkeit haben, Lern- und Freizeitangebote in Anspruch zu nehmen. Anspruchsberechtigt sind Kinder und Jugendliche, deren Eltern leistungsberechtigt nach dem SGB II sind, also Kinder, deren Familien Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen. Nun komme ich zum AsylbLG. Schon in der unglücklichen Titelwahl Ihres Antrags, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der mit „Ausgrenzung stoppen“ beginnt, fragt man sich doch, ob der Leitgedanke des Bildungs- und Teilhabepaketes richtig interpretiert wurde. Kinder und Jugendliche, deren Familien rechtlich unter das AsylbLG fallen, können ebenfalls vom Bildungs- und Teilhabepaket profitieren. Voraussetzung hierfür ist, dass ihre Eltern Leistungen nach § 2 des AsylbLG beziehen. Ob dann aber ein Anspruch auf die von der SPD infrage gestellten „sonstigen Leistungen“ vorliegt, ist eine Ermessensentscheidung. Dieses Ermessen obliegt - so sieht es der Gesetzgeber bei allen Verwaltungsakten wie auch bei diesem vor - der jeweiligen Behörde vor Ort, sprich den Ländern und ihren Kommunen. Insgesamt sind für das Bildungspaket Summen von rund 1,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden. Diese kommen bundesweit circa 2,5 Millionen Kindern zugute. Sowohl bei der Umsetzung als auch bei den Ermessensleistungen im Einzelfall sind die Entscheidungsträger vor Ort gefragt. Da kann der Bund nicht bestimmen, welche individuellen Bedürfnisse ein einzelner ALG-II oder AsylbLG-Empfänger in der Region XY aufzuweisen hat. Der Bund kann auch nicht vorhersagen, welche besonderen Umstände in der Biografie oder der Region des Leistungsempfängers dominieren und welche Handlungsansätze dort am besten geeignet sind. Wir setzen deshalb auf das Vertrauen der Ansprechpartner vor Ort in den Ländern und Kommunen, die das Bildungs- und Teilhabepaket an das Kind bringen. Denn da sollen die Leistungen letztlich hin - zum Kind. Rot regierte Länder wie Berlin oder Hamburg haben das Bildungspaket bereits in den vergangenen Monaten auf Familien ausgeweitet, die einen Asylantrag gestellt haben. Diese Entscheidung sollte man, wie diese Beispiele zeigen, durchaus den einzelnen Ländern überlassen. Vielleicht wäre es ja ganz interessant, wenn die SPD-Fraktion in einer Art Evaluation von ihren Erfahrungen in den Ländern berichten könnte. Als Harzer Christdemokratin kann ich aus persönlicher Erfahrung in meinem Wahlkreis sagen, dass dort ein großartiges soziales Engagement, beispielsweise seitens der Kirchen, vorhanden ist. Das ist in vielen Bereichen des sozialen Miteinanders der Fall. Bestimmte Träger von Kindertagesstätten geben allen Kindern - egal ob Leistungsempfänger oder nicht - ein kostenloses warmes Mittagessen. Das Bildungspaket, das heißt die warme Mittagsversorgung, muss in diesen Fällen nicht beantragt werden. Wir als Bund geben die Rahmenbedingungen, um die freie Entfaltung der Persönlichkeit unserer Kinder vor Ort zu gewährleisten, die dann von den Ländern und Kommunen umgesetzt werden. Der Bund kann nicht alles regeln. Länder und Kommunen vor Ort können und sollten im Interesse ihrer Bürger in ihrem jeweiligen Bundesland Entscheidungen und soziale Maßnahmen vor Ort regeln, und wir sollten sie aus dieser sozialen Verantwortung nicht entlassen.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heute haben wir mit unserem Antrag eine große und wichtige Baustelle auf die Tagesordnung des Bundestages gehoben. Es geht um die Bildungs- und Teilhabechancen der Kinder in unserem Land. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich gemeinsam mit den sozialdemokratischen Landtagsfraktionen dafür ein, dass endlich alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene einen Rechtsanspruch auf die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes bekommen. Dies ist bisher nicht der Fall. Flüchtlingskinder, die weniger als vier Jahre in Deutschland leben, haben keinen gesetzlichen Anspruch. Sie sind auf das Ermessen der jeweilig zuständigen Behörden angewiesen. Manche bewilligen, andere nicht. Rund 40 000 Kinder sind betroffen, und es sind die ärmsten der armen Kinder. Kinder im Asylbewerberleistungsbezug müssen mit bis zu 40 Prozent geringerer Regelleistung auskommen. Sie sind deshalb in ganz besonderer Weise auf das Bildungs- und Teilhabepaket angewiesen. Doch sie werden zu Bittstellern degradiert und bei Nichtgewährung schlichtweg ausgegrenzt. Wenn wir uns die Folgen einmal praktisch vorstellen, kann die derzeitige gesetzliche Regelung dazu führen, dass ein Teil der Kinder und Jugendlichen, die zusammen in dieselbe Kita oder Schule gehen, von gemeinsamem Mittagessen, Ausflügen und Klassenfahrten ausgeschlossen ist und am Nachmittag nicht zum Sportverein gehen kann. Diese bestehende Diskriminierung ist auch mit der UN-Kinderrechtskonvention unvereinbar. Ein unhaltbarer Zustand. Diese soziale Ungerechtigkeit müssen wir schnellstens beenden. Die schulischen Erfolgschancen, insbesondere in höheren Klassen, werden mangels Anspruch auf Lernförderung und Übernahme der Schülerbeförderungskosten sowie den fehlenden Zu Protokoll gegebene Reden 100 Euro jährlich für Schulbedarf ebenfalls stark verringert. Welches Kind erreicht unter den ohnehin schwierigen Bedingungen einer Flucht aus dem Heimatland in einem fremden Land mit unbekannter Sprache ohne Unterstützung einen Schul- oder Berufsabschluss? Diesen jungen Menschen wird auch noch die Hilfestellung des Bildungs- und Teilhabepaketes gerade in den wichtigen ersten Jahren in Deutschland versagt, die wir anderen Kindern aus sozial schwachen Familien zur Verbesserung ihrer Bildungschancen ermöglichen. Alle anderen Gruppen, die derzeit Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen besitzen, also Familien, die Grundsicherung, Sozialhilfe, Wohngeld oder Kinderzuschlag beziehen, haben - zumindest vergleichsweise - durchweg mit weniger Schwierigkeiten zu kämpfen und größere finanzielle Möglichkeiten als diejenigen, die sich weniger als vier Jahre im Leistungsbezug des Asylbewerberleistungsgesetzes befinden. Daher ist im Sinne der Gleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen eine Gesetzesänderung unbedingt nötig. Unsere sozialdemokratisch geführten Bundesländer Berlin und Hamburg gewähren als Sofortmaßnahme auch den aktuell ausgeschlossenen Kindern die Leistungen für Bildung und Teilhabe aus Landesmitteln. Sie tun das, weil sie diese soziale Ungerechtigkeit zulasten von Kindern nicht hinnehmen wollen. Und wie sieht es auf Bundesebene aus? Mit dem Motto „Mitmachen - Möglich machen!“ bewirbt Bundesarbeitsministerin von der Leyen das Bildungs- und Teilhabepaket. Die große Gesetzeslücke, dass etwa 40 000 arme Flüchtlingskinder gar keinen Anspruch aufs „Mitmachen“ haben, verschweigt sie. Korrigieren will sie den Fehler aber bislang auch nicht. Es muss in ganz Deutschland endlich eine klare und einheitliche Regelung geben, die den Betroffenen Rechtssicherheit gibt. Dafür müssen wir uns einsetzen. In unserem vorliegenden Antrag, den Hamburg in ähnlicher Form in den Bundesrat eingebracht hat, fordern wir die Bundesregierung daher auf, auch Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen von Asylbewerbern, die weniger als vier Jahre in Deutschland leben, einen Rechtsanspruch auf Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets zu gewähren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der Linken, Sie dürften keine Schwierigkeiten haben, unseren Anträgen im Bundestag und Bundesrat zuzustimmen. Sie haben ja beispielsweise im schleswig-holsteinischen Landtag kürzlich zusammen mit der SPD dafür gestimmt, dass die Landesregierung allen Kindern aus Asylbewerberfamilien die Bildungs- und Teilhabeleistungen gewähren soll. Leider ist dies an der schwarzgelben Regierungskoalition gescheitert. Ich bitte im Interesse der Flüchtlingskinder um Ihre Unterstützung. Aber auch die Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP lade ich ein, unseren Antrag zu unterstützen. Meine Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, geben Sie sich einen Ruck und setzen Sie das Motto „Mitmachen!“ Ihrer Ministerin von der Leyen endlich aktiv in die Tat um. Frau Ministerin von der Leyen, Sie stehen aber noch viel stärker in der Bringschuld. Die Grundsicherungssätze des Asylbewerberleistungsgesetzes sind immer noch verfassungswidrig und müssen schnellstmöglich angepasst werden. Das wissen wir spätestens seit dem Urteil zu den Regelsätzen im Sozialgesetzbuch II und XII - also zum Arbeitslosgengeld II und der Sozialhilfe - im Februar 2010, das natürlich auch für das Asylbewerberleistungsgesetz gilt. Dies habe ich bereits in zwei Reden zum Asylbewerberleistungsgesetz im Juni 2010 und im Januar dieses Jahres deutlich gemacht und Sie aufgefordert, endlich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die derzeitige verfassungswidrige Leistungspraxis für Asylbewerber beendet. Wir haben diese Forderung am 2. März 2010 in unserem Antrag zur Neufestsetzung der Regelsätze formuliert und in unserem Antrag zur transparenten Bemessung der Regelbedarfe vom 10. November 2010 erneuert. Geschehen ist seit bald eineinhalb Jahren immer noch nichts. Frau von der Leyen, wann handeln Sie endlich, um das Asylbewerberleistungsgesetz grundgesetzkonform und menschenwürdig auszugestalten? Über 120 000 Menschen in Deutschland erhalten Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes. Da sie nicht arbeiten dürfen, sind sie zwangsläufig auf die Grundsicherung angewiesen. Sie müssen aber mit deutlich weniger auskommen als Sozialhilfe- oder Arbeitslosengeld-II-Bezieher, und das, obwohl sie zum großen Teil bereits viele Jahre in Deutschland leben. Allerdings müssen nicht nur die Regelsätze selbst neu berechnet werden, auch deren fortlaufende Aktualisierung muss endlich sichergestellt werden. Denn seit Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1993 gab es keinerlei Erhöhung der Regelsätze. Der Kaufkraftverlust beträgt seitdem etwa 25 Prozent. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Februar 2010 ausdrücklich eine transparente, menschenwürdige Grundsicherung und auch deren Anpassung an Preissteigerungen eingefordert. Dieses Urteil unterscheidet nicht zwischen deutschen und ausländischen Menschen, die bei uns leben und auf Sozialleistungen angewiesen sind. Darüber hinaus sehen wir in weiteren Bereichen des Asylbewerberleistungsgesetzes Handlungsbedarf und werden im Herbst einen dezidierten Forderungskatalog vorlegen. Das betrifft hauptsächlich das diskriminierende Sachleistungsprinzip einschließlich der Gemeinschaftsunterkünfte, die medizinischen Leistungen, den Kreis der Leistungsberechtigten und die Dauer des Leistungsbezuges. Denn weder Essenspakete noch Gutscheine für Kleidung oder Lebensmittel sind ein würdiger Umgang mit den Hilfebedürftigen, die zudem Mehrkosten durch den Verwaltungsaufwand verursachen. Unmenschlich ist auch die teure Zwangsunterbringung in isoliert gelegenen Gemeinschaftsunterkünften. Darüber hinaus muss der Kreis der Leistungsberechtigten überprüft und wieder auf den ursprünglich Personenkreis, für den das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 geschaffen wurde, nämlich Asylsuchende und Flüchtlinge, reduziert werden, die unser Land voraussichtlich wieder verlassen werden. Auch die Dauer des LeistungsZu Protokoll gegebene Reden bezuges muss reduziert werden. Denn bei den derzeitigen vier Jahren kann nicht mehr von einem vorübergehenden Aufenthalt gesprochen werden. Obgleich die sogenannte Residenzpflicht nicht im Asylbewerberleistungsgesetz enthalten ist, sind Asylbewerberinnen und Asylbewerber von den damit verbundenen Mobilitätseinschränkungen betroffen. Deshalb haben wir kürzlich einen Antrag zur Abschaffung der Residenzpflicht und für mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete vorgelegt - Drucksache 17/5912. Auch hierfür werbe ich um Unterstützung. Abschließend appelliere ich noch einmal an Sie: Der Bildungs- und Teilhabeflickenteppich der deutschen Kleinstaaterei beim Bildungspaket für Kinder von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern - wie es die „taz“ in ihrer Ausgabe vom 8. Juni nannte - muss endlich ein Ende haben. Handeln Sie im Sinne der 40 000 ausgegrenzten Flüchtlingskinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland, unterstützen Sie unseren Antrag im Bundestag und wirken Sie auf Ihre Landtagsfraktionen ein, das Gleiche auf Landesebene zu tun. Nur Bund und Länder gemeinsam können hier soziale Gerechtigkeit bewirken.

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit der Leistungsreform des Sozialgesetzbuches II haben wir am 25. Februar im Deutschen Bundestag erstmalig einen Bildungs- und Teilhabeanspruch von Kindern und Jugendlichen, deren Eltern Arbeitslosengeld II beziehen, geschaffen. Die bisherige Gesetzgebung und die bisherige Regelsatzverordnung sah keinerlei Anspruch auf diese Leistungen vor. Die christlichliberale Koalition war diejenige, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 ernst genommen und umgesetzt hat. Wir haben uns dafür entschieden, im so wichtigen Bereich der Bildungsunterstützung von Kindern einen Wechsel von Geldleistungen hin zu Sachleistungen zu vollziehen. Wir wollen damit verhindern, dass Kindern Chancen verwehrt bleiben, nur weil ihre Eltern aktuell auf unsere Unterstützung und Solidarität angewiesen sind. Der Antrag der SPD verwundert mich aber doch ein wenig. Zum einen haben wir die Leistungsreform des Sozialgesetzbuches II zusammen im Vermittlungsausschuss beraten und gemeinsam im Bundestag und Bundesrat beschlossen. Dabei haben wir auch Einigkeit über das Bildungs- und Teilhabepaket hergestellt. Was mich aber noch mehr verwundert, ist der genaue Inhalt Ihres Antrags. Sie haben in den Verhandlungen über einen Kompromiss bei der Leistungsreform des SGB II für eine kommunale Lösung gestritten. Sie wollten, dass die Kommunen die Verantwortung für die Erbringung des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten. Dadurch kann jede Kommune unterschiedliche Wege beschreiten. Daher sollte es Sie nicht verwundern, dass wir nun kommunal unterschiedliche Lösungen und Herangehensweisen haben. Das war Ihr Wunsch. Der erste Vorschlag der Bundesregierung war, das Ganze in der Hoheit der Bundesagentur für Arbeit zu verorten. Daher sollten Sie jetzt auch nicht mit dem Finger auf die Bundesregierung zeigen. Sie wissen, das, wenn man mit dem Finger auf jemanden zeigt, die restlichen Finger auf einen selbst zeigen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar hat sich mit den Kindern befasst, deren Eltern Arbeitslosengeld II, den Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen. Aussagen zum Asylbewerberleistungsgesetz hat es nicht getroffen. Daher haben wir diesen Bereich auch nicht gesetzlich geregelt. Es müsste doch in Ihrem Sinne sein, dass die Kommunen jetzt über die Erbringung der Leistungen selbst entscheiden können. In § 6 Abs. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes heißt es: „Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerläßlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten … sind. Die Leistungen sind als Sachleistungen … zu gewähren.“ Wir haben hier also schon eine gesetzliche Regelung. Zudem ist es schon heute so, dass der Großteil der Kommunen die Leistungen auch für die Kinder aus dem Rechtskreis des Asylbewerberleistungsgesetzes erbringt. Dabei werden es jede Woche mehr. Ich möchte aber Ihren Antrag auch nutzen, um einen anderen Aspekt in die Debatte einzuführen. Es steht für die FDP-Bundestagsfraktion außer Frage, dass jeder, der als Asylbewerber nach Deutschland kommt, das Recht auf ein faires Verfahren und einen fairen Umgang hat. Eines sollten wir aber nicht vergessen, dass es der Wunsch fast aller Menschen ist, in ihrer Heimat glücklich, sorgenfrei und ohne Gefahr für Leib und Leben leben zu können. Um dies zu gewährleisten, hat diese Bundesregierung unter Bundesminister Dirk Niebel die deutsche Entwicklungszusammenarbeit deutlich verbessert. Unter dem Aspekt der Hilfe zur Selbsthilfe wollen wir die Strukturen vor Ort so verbessern, dass die Lebenssituation für die Menschen in ihren Heimatländern nachhaltig verbessert wird. Wir wollen die Menschen befähigen, in ihrer Heimat ihre Situation zu verbessern. Unsere wertegebundene Außenpolitik setzt einen Schwerpunkt auf den Menschenrechtsdialog. Auch dies ist im Sinne der Menschen, die in ihrer Heimat von absoluter Armut, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung bedroht sind.

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im Februar des vergangenen Jahres hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu den ALG-II-Regelsätzen unterstrichen, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums universale Gültigkeit besitzt. Das Verfassungsgericht hat außerdem die Anforderung formuliert, dass dieses Existenzminimum auf Grundlage realitätsnaher, transparenter und nachvollziehbarer Kriterien berechnet werden muss. Durch die Feststellung der universalen Gültigkeit könnte man nun zu dem Schluss kommen, dass die Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums auch für Asylbewerberinnen und Asylbewerber bzw. Menschen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus, die bisZu Protokoll gegebene Reden lang unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, gelten würde. Anders gesagt: Hätte die Bundesregierung das Urteil zum Anlass genommen, eine verfassungskonforme Grundsicherung zu schaffen, müssten die damit verbundenen Leistungen auch diesen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Die Realität aber sieht anders aus: Durch das Asylbewerberleistungsgesetz wird weder ein menschenwürdiges Existenzminimum gewahrt, noch liegen den Leistungssätzen nachvollziehbare Kriterien zugrunde. Die Grundleistungen, die diesen Menschen zugebilligt werden, liegen mittlerweile über 30 Prozent unter den Hartz-IV-Sätzen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in besagtem Urteil einer Gruppe von Betroffenen ganz besonders gewidmet: den Kindern. Es hat entschieden, dass das Existenzminimum von Kindern deren tatsächlichen Bedürfnissen entsprechend gesichert werden muss. Mit der Neugestaltung der Regelleistungen in der Grundsicherung hat die Bundesregierung entschieden: Für Kinder von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern oder aus Familien mit ungesichertem Aufenthaltsstatus gilt dieses Recht nicht. Dabei ist gerade ihre Situation alles andere als ein Garant für eine bestmögliche Entwicklung. Auch im Jahr 2011 ist ein Schulbesuch dieser Kinder erschwert, ist die Wohnsituation in maroden Sammelunterkünften eine zusätzliche und andauernde Belastung und alles andere als kindgerecht. Ihre Familien haben in der Regel keine Ansprüche auf familienpolitische Leistungen wie Kinder- oder Elterngeld und fallen nicht selten auch nach längerem Aufenthalt in Deutschland aus dem Bezug des Kinderzuschlages heraus, und dank der Bundesregierung besteht auch nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil kein Anspruch auf die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes. Angesichts dieser Situation wird wohl nur ein Zyniker noch von Teilhabe an Bildung, Kultur oder Sport sprechen. An dieser Stelle wird gern die Länderkompetenz ins Spiel gebracht, die in diesem Fall auch kompetenter gehandelt haben, zumindest teilweise. Dieser Verweis aber ist falsch, denn genau die Sicherung des Zugangs zu Bildung für alle Kinder wurde vom Gericht eindeutig als Aufgabe des Bundes definiert. Durch die Zuordnung im Asylbewerberleistungsgesetz schiebt die Bundesregierung genau diese Verantwortung den Ländern zu. Ein unhaltbarer Zustand. Die Linke unterstützt die Forderung der SPD-Fraktion, auch Kindern und Jugendlichen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, einen Rechtsanspruch auf den Zugang zu den Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zu gewähren. Dies aber kann nur ein erster Schritt sein. Die Linke fordert: Weil das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums universale Gültigkeit besitzt, muss man es endlich auch den Menschen gewähren, die in der Bundesrepublik Zuflucht und Asyl suchen. Für alle in unserem Land lebenden Kinder muss gelten: Sie sind keine kleinen Erwerbslosen und keine kleinen Asylbewerber. Sie sind Menschen mit eigenen Rechten und Bedürfnissen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes muss umgesetzt werden. Dies ist bisher weder für Menschen mit deutschem Pass noch für Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und Asylbewerber geschehen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bevor ich auf die berechtigte Forderung näher zu sprechen komme, das Bildungs- und Teilhabepaket auch den Kindern nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zukommen zu lassen, möchte ich auf das Asylbewerbergesetz sowie das Bildungs- und Teilhabepaket eingehen. Das Asylbewerberleistungsgesetz, AsylbLG, gehört abgeschafft. Dies fordern wir Grüne schon seit Jahren, ist es doch nicht ersichtlich, warum die Sozialleistungen für erwachsene Asylsuchende um rund 38 Prozent niedriger sind als die sogenannten Hartz-IV-Regelsätze. Seit Einführung des Gesetzes 1993 wurden die Leistungen nach dem AsylbLG zudem kein einziges Mal an die Preisentwicklung angepasst. In einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales vom 7. Februar 2011 über unseren Gesetzentwurf für eine Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes ({0}) sprach sich eine klare Mehrheit der Experten für unseren Gesetzentwurf aus. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 die Regelsätze des Arbeitslosengeldes II für verfassungswidrig erklärte, hat dies nun unmittelbare Folgen für das AsylbLG. Einzig eine Neuberechnung der Leistungen für Asylbewerberinnen und -bewerber greift aber zu kurz. Aus unserer Sicht gelten die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts nicht nur für Deutsche, sondern für alle Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Die Bundesregierung verschleppt derweil die Neuberechnung und die Erhöhung der passiven Leistungen. Es ist zu befürchten, dass sie wie schon bei den sogenannten Hartz-IV-Regelsätzen auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wartet, bevor die Bundesregierung selbst aktiv wird und das verfassungswidrige Gesetz abschafft. Zum Bildungs- und Teilhabepaket. Der verfassungsrechtliche Zugang zu Bildung und Teilhabe hätte nach dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar 2010 bequem im Kinderregelsatz oder in Infrastrukturinvestitionen in Kitas und Schulen aufgehen können. Aufgrund der diskriminierenden Unterstellung, alle Eltern im SGB-II-Bezug würden ihre Gelder verprassen, anstatt für das Wohl ihrer Kinder zu verwenden, wurde von Schwarz-Gelb die Umsetzung als Sachbzw. Dienstleistung beschlossen. Für diese Unterstellung gibt es im Übrigen keinerlei empirische Belege. Im Gegenteil: Eine umfangreiche Studie aus diesem Jahr im Auftrag des Diakonischen Werks Braunschweig und im Auftrag der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz hat herausgefunden, dass Eltern mit geringem Einkommen zuallerletzt bei ihren Kindern sparen. Im ursprünglichen Gesetzentwurf von Ministerin von der Leyen sollten zudem nur Kinder aus Familien im Hartz-IV-Bezug vom Bildungspaket profitieren. In den zähen Verhandlungen zum Regelbedarfsermittlungsgesetz haben wir erreicht, dass der Kreis auch andere bedürftige Kinder umfasst. Außerdem haben wir dafür geZu Protokoll gegebene Reden sorgt, dass die Kommunen und nicht die Jobcenter die Umsetzung in die Hand nehmen können. Ein wesentliches Problem bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakts stellt die extrem bürokratische und vielschichtige Umsetzung dar. Zuständig für Antragstellung, Bewilligung und Abrechnung sind die Jobcenter, die Kommunen können durchführen. Es ist nicht zu vermitteln, wie viel Mittel und Personal allein für die Verwaltung aufgewendet werden muss. Das ist an Bürokratie kaum zu überbieten. Ein weiteres Problem bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets stellt die Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen dar. So sind die Begriffe „wesentliche Lernziele“ ({1}), „Mittagsverpflegung in schulischer Verantwortung“ ({2}) sowie „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“ in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit ({3}) nicht abschließend definiert. In der Praxis kommt es zur Rechtsunsicherheit, die schließlich wieder die Sozialgerichte beschäftigen wird. Zwar setzt das Bildungs- und Teilhabepaket den Anspruch auf Bildung und Teilhabe gesetzlich um, droht aber aufgrund der genannten Probleme nicht hinlänglich in Anspruch genommen zu werden. Anspruchsberechtigt auf Leistungen des Bildungsund Teilhabegesetzes sind neben dem schon genannten Personenkreis Kinder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Nicht anspruchsberechtigt sind nach bisheriger Gesetzeslage allerdings alle anderen Kinder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, obwohl diese natürlich auch zur Schule gehen und an kulturellen Aktivitäten teilhaben möchten. Ein solcher Ausschluss ist nach unserer Auffassung weder verfassungsrechtlich zulässig noch mit dem Umstand vereinbar, dass die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern, die in großer Zahl auch künftig in Deutschland leben werden, verbaut werden. Die Anhörung zum Asylbewerberleistungsgesetz im Arbeits- und Sozialausschuss veranschaulichte diese Problematik. So gab die Sachverständige Professor Dr. Frings etwa zu bedenken, dass bei Kindern von Asylantragstellern und Geduldeten, die in die normalen Strukturen, das heißt, im Kindergarten oder in der Schule eingebunden sind, „jede Sonderbehandlung gegenüber anderen Kinder zu einer ausgesprochenen Stigmatisierung und Ausgrenzung führt“. Es sei ein Wertungswiderspruch, wenn es einerseits eine Schulpflicht für diese Kinder gäbe sowie einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, andererseits aber Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket vorenthalten werden. Eine solche Stigmatisierung und Ausgrenzung sei zudem teuer, wenn man bedenke, dass mehr als die Hälfte dieser Kinder langfristig in diesem Land blieben: „Wenn wir sie in dieser Phase der ersten Jahre in dieser Weise ausgrenzen, dann zerstören wir die Möglichkeit, dass sie zu unserem Humankapital beitragen und es ist auch volkswirtschaftlich sehr bedauerlich, dass wir Hinderungsgründe setzen, die erschweren, dass hier qualifizierte junge Menschen heranwachsen können.“ Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen. Mit der Abschaffung des Gesetzes hätten konsequenterweise alle bedürftigen Kinder ausnahmslos Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket. Geht sie diesen Weg nicht, muss sie das Bildungs- und Teilhabepaket, trotz all seiner Tücken und Schwierigkeiten, auf alle Kinder nach dem AsylbLG auszuweiten. Besser wäre es dann aber auch, das Geld aus dem Paket in Infrastruktur und in höhere Kinderregelsätze zu investieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6455 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Chancen der Digitalisierung erschließen Urheberrecht umfassend modernisieren - Drucksache 17/6341 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Angeblich leben wir ja im Zeitalter der Remix-Kultur, und auch die Linke hat mit diesem Antrag ein so genanntes Remix oder auch Mash-up vorgelegt. Sie haben ihre Handlungsempfehlungen, die für die Projektgruppe „Urheberrecht“ in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ erarbeitet und dort weitgehend abgelehnt worden sind, in eine neue Form gebracht und als Antrag noch einmal hier im Plenum eingebracht. Wenn aber das Original nicht gut ist, dann kann das Mash-up oder der Remix auch nicht gut sein. Und genau darum geht es beim Urheberrecht - um eine qualitativ anspruchsvolle und vielfältige Kulturlandschaft mit spannenden und immer wieder neuen Ideen, die uns begeistern, unterhalten und inspirieren. Dafür stellt das Urheberrecht den Urheber in den Mittelpunkt. Denn er ist es, der diese Ideen hat, umsetzt und den Nutzern zur Verfügung stellt. Der Nutzer nutzt eben dessen Kreativität, wenn er dessen Werk überarbeitet und daraus ein Mash-up erstellt. Jedenfalls ist sein Kreativbeitrag in der Regel deutlich geringer. Der Antrag der Linken verkennt dies, wenn sie einen „solidarischen Gesellschaftsvertrag für die digitale Welt“ fordert. Sie gibt vor, die Urheber zu stärken, aber eigentlich will sie den Urheber zugunsten des Nutzers entmündigen, ent14102 eignen und entrechten. Sie fordern die Einführung unabdingbarer und von Verbotsrechten unabhängiger gesetzlicher Vergütungsansprüche. Damit bekämen die Urheber grundsätzlich nicht mehr Rechte, sondern weniger. Denn über ihre jetzt bestehenden Rechte können sie dann nicht mehr verfügen. Damit wird ihnen die Möglichkeit genommen, ihre Werke zu monetarisieren und ihre Investitionen zu amortisieren. Stattdessen würden sie pauschal vergütet. Das ist nichts anderes als eine Abschaffung der Vertragsfreiheit und die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne. Zumindest wird damit schon in Ihrer ersten Forderung das eigentliche Ziel Ihres Antrags klar: die Wiedereinführung des real existierenden Sozialismus für die Kulturwirtschaft durch die Hintertür. Auch die weiteren Forderungen lesen sich wie ein Plädoyer für eine Egalisierung jeglichen Kreativschaffens. Die von Ihnen angesprochene Kulturflatrate führt im Ergebnis dazu, dass der Markt ausgesetzt und die Urheber dazu gezwungen werden, ihre Werke gegen eine Pauschalvergütung zur Verfügung zu stellen. Das ist für den Nutzer vielleicht recht und vor allem billig, aber für den Urheber ist dies der falsche Anreiz. Er möchte doch in der Regel selbst bestimmen, wie sein Werk veröffentlicht wird, wer es nutzt und für welchen Betrag er bereit ist, es zur Verfügung zu stellen. Sie treten hier nicht nur die Eigentumsrechte, sondern vor allem das Persönlichkeitsrecht aller Kulturschaffenden in Deutschland mit Füßen. Auch die gesetzliche Konkretisierung des bislang unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Vergütung in § 32 UrhG ist eine Bevormundung des Urhebers. Es kommt eben auf den Einzelfall an, was angemessen und was unangemessen ist. Eine gesetzliche Regelung kann niemals jeden Fall erfassen, bleibt ungenau und ist daher nichts anderes als eine staatliche Preisfestlegung eine Wettbewerbsverzerrung. Genau das scheint es aber auch zu sein, was Sie eigentlich wollen. Sie wollen keinen Wettbewerb und keinen freien Markt in der Kultur. Sie wollen eine staatliche Kulturpolitik mit umfassender Förderung. Dies birgt aber, wie wir aus 40 Jahren DDR wissen, auch die Gefahr der staatlichen Einflussnahme auf die Kultur. Dieser Ansatz hat sich nicht nur nicht bewährt - er ist geradezu eine Bedrohung für die Freiheit aller Kulturschaffenden. Ich halte es für richtig, dass sich jeder Kulturschaffende auch den Prinzipien des Marktes stellen muss. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, zu entscheiden, was gute und was schlechte Kultur ist. Es soll die Gesellschaft als Ganzes entscheiden, was sie goutiert und was nicht. Angebot und Nachfrage können dies sehr gut abbilden. Und ich finde es durchaus legitim, dass gute Ideen und Werke belohnt werden. Konsequenterweise müssen wir aber auch akzeptieren, dass manches Werk nicht gelesen, gehört oder im Internet gedownloadet wird. Dies mag daran liegen, dass das Werk seiner Zeit voraus ist - oder eben, dass es einfach nicht gut genug ist. Jeder Künstler muss damit leben, dass er nicht rezipiert wird - und dass er, wenn er nicht nachgefragt wird, eben auch kein Geld bekommt. Ein Künstler ist eben kein Arbeitnehmer, zu dem ihn der Antrag der Linke machen will; er ist kreativer Unternehmen. Auch die Linke muss letztendlich damit leben, dass ihr Mash-up, wenn es nicht gut genug ist, keine Zustimmung findet. Und nachdem das Original schon durchgefallen ist, wird die Kopie, auch wenn sie ein wenig abgeändert ist, trotzdem durchfallen.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir debattieren heute über die Anforderungen der digitalen Gesellschaft an eine Reform des Urheberrechts. Ist das Urheberrecht wirklich „umfassend reformbedürftig“, wie die Fraktion Die Linke in ihrem heute vorgelegten Antrag behauptet? Müssen wir das Urheberrecht in seiner Substanz infrage stellen? Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke haben uns heute ihre in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zur Abstimmung gestellten Handlungsempfehlungen zur Reform des Urheberrechts zur Beratung vorgelegt. Ziel der Reform müsse eine grundlegende Neukonzeption des Urheberrechts sein. Im Antrag findet sich eine Vielzahl von Vorschlägen, die - so scheint es - auf den ersten Blick ganz auf die Interessen der Kreativen und Kulturschaffenden zugeschnitten sind. Einige davon sind diskussionswürdig, so zum Beispiel die Forderungen nach zusätzlichen gesetzlichen Maßnahmen zur Stärkung des Anspruchs der Urheberinnen und Urheber auf angemessene Vergütung. Teilweise schießen die Forderungen jedoch deutlich über das Ziel hinaus. Wenn von einer Verkürzung der urheberrechtlichen Schutzfristen, einer Einschränkung von Ausschließlichkeits- und Verbotsrechten und der Einführung neuer Schrankenregelungen sowie der großzügigen Ausdehnung bestehender Schrankenbestimmungen die Rede ist, wird klar, wohin die Reise tatsächlich gehen soll: Der Schutzzweck des Urheberrechts soll sich vom Werkschöpfer lösen und die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer in den Vordergrund rücken. Das kann nicht Sinn und Zweck einer weiteren Urheberrechtsnovelle sein. Der Urheber selbst muss Mittelpunkt des Urheberrechts bleiben. Für eine Neuformulierung des Schutzzwecks des Urheberrechts besteht kein Anlass. Unbestreitbar ist: Das Urheberrecht unterliegt angesichts der rasanten technischen Entwicklung einem ständigen Anpassungsdruck. Die digitale Revolution hat die Rahmenbedingungen für Werkschöpfer, Rechteinhaber und Verwerter, aber auch für Nutzerinnen und Nutzer grundlegend verändert. Das Internet erleichtert die Verletzung von Urheberrechten, und gleichzeitig stößt die Verfolgbarkeit von Urheberrechtsverstößen im Internet an ihre Grenzen. Rechteinhaber und Verwerter beklagen dies nicht zu Unrecht. Auf der anderen Seite sieht die sogenannte Netzgemeinde das geltende Urheberrecht als Hindernis für die Entfaltung des enormen kreativen Potenzials im Netz. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des Urheberrechts. Unbestritten ist auch, dass sich die bestehenden, zu einem großen Teil auf die analoge Welt zugeschnittenen Regelungen des Urheberrechtsgesetzes nicht eins zu eins auf die digitale Welt übertragen lassen. Daher Zu Protokoll gegebene Reden denke ich, wir sind uns einig, dass wir ein starkes Urheberrecht brauchen, auch und gerade im Internetzeitalter. Deshalb ist unerklärlich, warum die Bundesregierung ihren Ankündigungen, das Urheberrecht zügig fortzuentwickeln, keine Taten folgen lässt. Seitdem Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger am 14. Juni 2010 in ihrer Berliner Rede die Vorstellungen der Bundesregierung für einen „Dritten Korb Urheberrecht“ vage skizziert hat und Kulturstaatsminister Neumann im November 2010 mit einem Zwölfpunktepapier zum Schutz des geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter nachgelegt hat, herrscht nahezu Stillstand. Ebenso unklar ist, welche konkreten Maßnahmen die Koalition im Rahmen ihrer Reform vorlegen wird und in welchen Bereichen sie gänzlich von Veränderungen absehen wird. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, schnellstmöglich einen Referentenentwurf für den „Dritten Korb“ vorzulegen. Aus SPD-Sicht müssen wir uns vor allem Gedanken darüber machen, wie wir die Rechte der Kreativen, insbesondere den Anspruch auf „angemessene Vergütung“, in der Praxis besser als bisher verwirklichen können. Urheberinnen und Urheber müssen in ihrem Anspruch auf angemessene Vergütung gestärkt werden. Gemeinsame Vergütungsregeln sind bisher in weit geringerem Umfang zustande gekommen als vom Gesetzgeber erwartet. Woran liegt das? Welche Umstände erschweren das Zustandekommen gemeinsamer Vergütungsregeln in der Praxis? Muss das Schlichtungsverfahren verändert werden? Oder müssen in Anlehnung an die ursprüngliche Fassung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern Verfahren geschaffen werden, wonach eine Vergütungsregel erzwungen werden kann? Bisher hat sich die Bundesregierung diese Fragen noch nicht einmal gestellt, geschweige denn Lösungsvorschläge entwickelt. Aus Sicht der SPD müssen die Regeln des Urhebervertragsrechts deshalb - wie bereits von der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ angeregt - evaluiert und dort nachgebessert werden, wo die Mechanismen des Gesetzes nicht richtig greifen. Unklar ist auch, mit welchen konkreten Maßnahmen die Bundesregierung eine effektivere Rechtsverfolgung gewährleisten will. Sicher ist nur eines: Die Provider sollen mehr Verantwortung für den Schutz des Urheberrechts übernehmen und die Haftung für Hostprovider gegebenenfalls erweitert werden. Dazu sagen wir: Eine effektive Rechtsverfolgung darf nicht auf Kosten der Informationsfreiheit erfolgen. Es ist notwendig, nicht nur von Internetsperren Abstand zu nehmen, sondern auch vom sogenannten Warnhinweismodell, denn Warnhinweise sind ohne Datenerfassung und Inhaltskontrolle technisch nicht denkbar. Auch von grundlegenden Änderungen des TMG-Haftungsregimes für Provider halten wir wenig. Klarstellungen in Bezug auf die Haftung für Hostprovider sind diskussionswürdig, wenn das Geschäftsmodell des Providers offensichtlich darauf ausgerichtet ist, von Urheberrechtsverletzungen anderer wirtschaftlich zu profitieren. Änderungen müssen sich unseres Erachtens aber an der geltenden Rechtsprechung zur Haftung von Hostprovidern orientieren, die zu Recht darauf hinweist, dass die auf dem sogenannten Cloud Computing basierenden Dienste eine Vielzahl von legalen Nutzungsmöglichkeiten bieten, an denen ein beträchtliches technisches und wirtschaftliches Interesse besteht. Etwaige Prüfungspflichten müssen daher zumutbar sein. Darüber hinaus halten wir schärfere Sanktionen nicht für sachgerecht. Außerdem brauchen wir dringend eine rechtssichere Grundlage für die Nutzung von verwaisten und vergriffenen Werken, damit diese Werke im digitalen Zeitalter nicht aus dem kulturellen Gedächtnis verschwinden und für die Deutsche Digitale Bibliothek nutzbar gemacht werden können. Wir haben dazu die Vorschläge von VG Wort und VG Bildkunst aufgegriffen und einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, den wir nach der Sommerpause im Rechtsausschuss beraten werden. Außerdem ist aus unserer Sicht die Einführung eines unabdingbaren Zweitverwertungsrechts für wissenschaftliche Urheberinnen und Urheber geboten. Auch dazu liegt dem Bundestag ein Gesetzentwurf der SPD zur Beratung vor. Urheberrechtliche Abmahnungen, gerade in Bagatellfällen, werden zunehmend von den Bürgerinnen und Bürgern als missbräuchlich wahrgenommen. Abmahnungen sind grundsätzlich ein legitimes Instrument der Rechtsverfolgung, sie dürfen aber nicht selbst zum „Geschäftsmodell“ werden. Daher halten wir es für sachgerecht, weitere Maßnahmen zur Eindämmung missbräuchlicher Abmahnungen zu prüfen. Die jüngsten Abstimmungen in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zu den Handlungsempfehlungen der Projektgruppe Urheberrecht zeigen deutlich, wie vielschichtig die Problemfelder sind, die sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung im Urheberrecht stellen, aber auch, dass sich - mitunter überraschende - Mehrheiten für Lösungsansätze finden lassen. Deshalb hoffen wir, dass die Bundesregierung ihre Vorstellungen zum „Dritten Korb“ alsbald konkretisiert und wir möglichst nach der Sommerpause die Diskussion auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs zum Dritten Korb weiterführen können. Wir sind bereit, uns an der Debatte intensiv zu beteiligen.

Jimmy Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004148, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir brauchen ein Urheberrecht, das nicht versucht, jahrhundertealte Strukturen zu konservieren. Wir brauchen ein Urheberrecht, das anpassungsfähig ist, sowohl an die heutige Zeit wie auch an eine noch unbekannte Zukunft. Wir sollten zurück zum Gedanken eines reinen, gegenüber Geschäftsmodellen blinden Rechtsrahmens, nicht aber zum Festschreiben und Bewahren von etablierten Strukturen, die sich bald wieder überholt haben. Das kann nicht unsere Aufgabe sein. Wir als Gesetzgeber müssen dafür sorgen, dass die Interessen und die Vergütung der Urheber wie auch die Rechte der Konsumenten in Einklang gebracht werden. Gerade in der Musikbranche wurde bewiesen, dass es sehr wohl tragfähige Vertriebsmodelle für Musik geben kann, ohne dass diese einen Kopierschutz aufweisen muss. Wer sich durchsetzen kann, ist also eine Frage des intelligenten, modernen und vor allem adaptiven GeZu Protokoll gegebene Reden schäftsmodells, nicht aber des Gesetzgebers. Nicht zuletzt deswegen halte ich die Überlegungen für ein Leistungsschutzrecht für Verleger auch für unglücklich. Es wird uns bzw. den Verlegern nichts bringen, Alleingänge zu unternehmen. Grundsätzlich stellt sich bei nationaler Gesetzgebung rund um das Internet immer die Frage der Tauglichkeit. Wir müssen auf die Veränderungen, die die Digitalisierung gebracht hat, eingehen und uns erlauben, infrage zu stellen, ob vorhandenes Recht noch zeitgemäß ist. Es muss ein Interessenausgleich gefunden und zwischen den beteiligten Akteuren gesichert werden. Dieser Ausgleich könnte durch eine Neuorientierung der Urheberrechtsschranken ermöglicht werden. Diese reflektieren heute exklusiv die Position des Urhebers, ohne dem Nutzer eigene Interessen oder Motivationen zuzugestehen. Der Nutzer wird so in die Rolle des Konsumenten ohne Möglichkeit zur Interaktion mit dem Werk gezwängt. Ich halte das für nicht mehr zeitgemäß. Die Urheberrechtsschranken der Zukunft könnten sich weg von grundsätzlichem Verbot der Verwertung mit wenigen Ausnahmen hin zu einer Definition von Freiräumen entwickeln, die den Nutzern einen verlässlichen Rechtsrahmen für die öffentliche Rezeption und die Weiterentwicklung von Content stellt. Vom digitalen Wandel sind alle Branchen betroffen, deren Produkte sich einfach digitalisieren lassen. Raubkopien sind ja kein ganz neues Phänomen. Manchmal hat die Bedrohung durch Piraterie aber sogar zu neuen Ideen geführt. Public-Domain- oder Open-Source-Software stellen für viele Unternehmen ein tragfähiges Geschäftsmodell dar. Es wird nicht mehr das eigentliche Geisteswerk auf einem Datenträger verkauft, sondern oft eine Dienstleistung im Umfeld. Es wird in Zukunft schlicht und einfach nur sehr eingeschränkt Bedarf für die Mittelmänner geben, die Content auf einen physikalischen Träger bannen und diesen dann verkaufen. Die Zeiten sind ein für alle Mal vorbei. Dementsprechend muss das Urheberrecht auch reformiert werden. Trotz allem Reformbedarf muss es aber auch im Internet möglich sein, unter Einhaltung des Datenschutzes bestehende ({0})Rechte konsequent und effektiv durchzusetzen. Künstler, Musiker, Kreative müssen für ihre Leistung angemessen entlohnt werden, daran kann gar kein Zweifel bestehen. Hierfür brauchen wir Lösungen. Insofern gibt es also für mich durchaus im vorliegenden Antrag auch Ansätze und Ideen, die diskussionswürdig sind. Trotzdem können wir ihm nicht zustimmen. Meine Damen und Herrn von der Linken, Sie vermischen in ihrem Antrag Netzsperren mit digitalem Rechtemanagement. Sie werfen in den Topf, was gerade zur Hand ist. So kann man kein modernes Urheberrecht aufziehen. Sie pauschalisieren und überzeichnen, wo Sie nur können: Natürlich fällt nicht „jede Meinungsäußerung im Netz“ unter das Urheberrecht. Dazu müsste Sie schon besonders originell sein, da der Urheberschutz durch kreativen Gehalt erlangt wird und nicht durch bloße Öffentlichkeit. Wenn die Dinge so wären, wie Sie behaupten, hätte sich kein einziges Onlineforum entwickeln können. Sie beschreiben Notsituationen, die so nicht existieren, um ihren überzogenen Forderungen mehr Gewicht zu verleihen. Es ist keineswegs so, dass „breite Bevölkerungsschichten“ ihre „partizipatorische Kreativität“ nicht ausleben können, weil ihnen das Urheberrecht im Wege steht. Sie malen hier den Teufel an die Wand, und dabei sollten doch gerade Sie wissen, dass der gar nicht existiert.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verstehen Sie, warum eines der strengsten Urheberrechte der Welt in Deutschland dazu führt, dass Urheberinnen und Urheber hier im Durchschnitt noch schlechter verdienen als in Ländern mit weniger strengen Regeln? Können Sie mir darlegen, was Urheberinnen und Urheber davon haben, dass ihre Werke bis 70 Jahre nach ihrem Tod vor freier Nutzung geschützt sind? Ein Schutz übrigens, der für alle urheberrechtlich geschützten Werke vom großen Roman über kleinste Computerprogramme mit wenigen Zeilen Code bis hin zur Struktur von Datenbanken gilt. In der Regel profitieren noch nicht einmal die Urenkel der Urheberinnen und Urheber von diesem außergewöhnlichen Erbrecht. Die Rechte an den Werken haben nämlich meist Verlage und andere Verwerter den eigentlichen Urheberinnen und Urhebern abgekauft. Hier zeigt sich, dass das geltende Urheberrecht heute viel mehr ein Verwerterrecht ist. Es gibt den Urheberinnen und Urhebern kaum Instrumente an die Hand, über ihre Rechte souverän zu verfügen und von ihrer Arbeit zu leben. Deshalb fordern wir in unserem Antrag umfassende Änderungen im Urhebervertragsrecht. Urheberinnen und Urheber brauchen endlich wirksame Mittel, um für sich angemessene Vergütungen gegen die Medienindustrien durchzusetzen. Sie müssen auch wirksam davor geschützt werden, dass ihnen Rechte dauerhaft und unwiederbringlich abgeknöpft werden. Aber das geltende Urheberrecht krankt nicht nur daran, dass es Urheberinnen und Urhebern nicht bietet, was es verspricht. Es ist gleichzeitig auch noch altersschwach. Als im 19. Jahrhundert die Tradition unseres heutigen Urheberrechts begann, betraf es wissenschaftliche, künstlerische und journalistische Texte. Für diese Druckwerke wurden bestimmte Exklusivrechte gewährt, um sie besser vermarkten zu können. Heute umfasst das Urheberrecht darüber hinaus Aufnahmen und Aufführungen von Musik, unzählige Aspekte der Filmproduktion, Computerprogramme, Design und vieles mehr. Die Verbreitung der betroffenen Werke geschieht nicht mehr nur über Papier, sondern über Tonträger, Kinos, Radio, Fernsehen und eben schon seit längerer Zeit auch digital. So sehr dies im Einzelnen bei vergangenen Novellierungen bedacht wurde, eine umfassende Anpassung an die neue Zeit fand nicht statt. Vor allem aber dienten viele Anpassungen dazu, die Werknutzung im digitalen Zeitalter zu erschweren. Ein gekauftes Buch aus Papier darf ich problemlos weiterverkaufen. Ein E-Book, das ungefähr gleichviel kostet, kann ich bei bestimmten AnZu Protokoll gegebene Reden bietern nach einer begrenzten Anzahl von Lesevorgängen noch nicht einmal selbst weiter verwenden. Eine CD für den privaten Gebrauch zu kopieren ist in Ordnung, aber eine Musikdatei auf der Festplatte oder gar im Internet zu kopieren, kann illegal sein. Das ist eine absurde Situation. Vergessen wir nicht, dass Werknutzung gerade in einer digitalen Umgebung oft auch bedeutet, dass vorgefundenes Material kreativ bearbeitet und weiterverbreitet wird: Nutzer werden selbst zu Urhebern. Doch schon das Einbetten eines Youtube-Videos im eigenen Blog kann Fans von Künstlerinnen und Künstlern in urheberrechtliche Probleme stürzen. Erst recht werden kreative Techniken wie das Zitieren, Remixen oder Samplen erschwert. Die Beschneidung solcher Nutzungsmöglichkeiten beschneidet also gleichzeitig das Produktionspotenzial der Urheberinnen und Urheber selbst. Auch dies sind nur Beispiele dafür, warum es dringend nötig ist, hier zeitgemäße Regelungen für die Nutzung urheberrechtlich relevanter Werke zu finden. Eine einfachere Verbreitung kreativer Werke führt übrigens nicht zwangsläufig zur Entwertung der dahinter steckenden Arbeit, wie gerade die Medienindustrie gerne behauptet. Doch während diese oder die großen Wissenschaftsverlage früher die Verbreitung von Kulturgütern erst ermöglichten, sind sie heute vielfach dabei, diese Verbreitung künstlich zu verknappen. Hier müssen wir dringend umsteuern. Das gesellschaftliche Interesse an möglichst freier und intensiver Auseinandersetzung mit Text, Bild und Ton jeglicher Art und die Bedürfnisse der Kreativen nach ideeller wie finanzieller Anerkennung ihrer Leistungen lassen sich nur zusammenbringen, wenn wir mutig und ergebnisoffen auch neue Vertriebs- und Vergütungswege diskutieren und ausprobieren. Das Urheberrecht sollte diese neuen Wege unterstützen und nicht blockieren.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wissen und Information, deren Verbreitung zu wesentlichen Teilen durch das Urheberrecht geregelt wird, sind Hauptressourcen unserer Gesellschaft, manche sprechen auch vom Öl des 21. Jahrhunderts. Digitalisierung und Internet bieten eine großartige Chance zur Verbreitung von Wissen und Kultur, eine Chance für mehr Bildung und Prosperität, und doch werden Digitalisierung und Internet in manchen gesellschaftlichen Kreisen auch als Gefahr wahrgenommen. Um dieser vermeintlichen Gefahr vorzubeugen, werden zurzeit unterschiedlichste Initiativen auf europäischer, internationaler und nationaler Ebene auf den Weg gebracht. Die EU arbeitet an gesetzgeberischen Initiativen, die sich den Schutz geistigen Eigentums auf die Fahnen geschrieben haben. International wird an multilateralen Handelsabkommen zur Erweiterung der Verfolgungsbefugnisse gegenüber Urheberrechtsverletzungen gearbeitet, und auch die deutsche Bundesregierung versucht sich in Gedankenspielen um Warnhinweis- und Sperrmodelle zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen. Mit einer deutlich ausgewogeneren Herangehensweise hingegen hat sich die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in den zurückliegenden zwölf Monaten intensiv und teilweise höchst kontrovers mit dem Urheberrecht auseinandergesetzt. All das zeigt immerhin: Das Urheberrecht ist im Fokus der politischen Debatte. Wir befinden uns bei gesetzgeberischen Fragen rund um das Urheberrecht in einem Spannungsfeld zwischen individuellen - überwiegend wirtschaftlich motivierten und kollektiven Interessen. Das ursprüngliche Ziel des Urheberrechts, einen Ausgleich zwischen den Interessen von Urheberinnen und Urhebern, Allgemeinwohl und Verwertern herzustellen, ist ein Ehrenwertes: Die Konstruktion des Urheberrechts, ein oftmals systembedingt vorauszusetzendes Vertragsungleichgewicht auszugleichen, ist förderlich für Rechtsfrieden und Wohlstand. Der Interessenausgleich wird dabei durch Schrankenregelungen, Regelungen zur Privatkopie, zur angemessenen Vergütung etc. erreicht, und dieses System stellte in seiner deutschen Ausprägung lange ein Musterbeispiel gelungener Interessenabwägung in Europa dar. Kein anderes Land hatte ein solch ausdifferenziertes und auf Ausgleich bedachtes Schrankensystem wie Deutschland. Ein Rückblick auf vergangene Urheberrechtsreformen aber zeigt, dass mit jeder Novelle Verschärfungen zulasten der Allgemeinheit, Einschränkungen der urheberrechtlichen Ausnahmen und eine Stärkung wirtschaftlicher Interessen einhergingen. Auch und insbesondere die Regelungen zur Privatkopie wurden immer weiter eingeschränkt und dies, obwohl sich die Regelung zur Privatkopie sowohl rechtlich als auch finanziell für die Urheberinnen und Urheber und Nutzerinnen und Nutzer bewährt hat. Auf der einen Seite fließen Gelder in Milliardenhöhe über die Leergeräte- und Speichermedienabgabe an die Urheberinnen und Urheber. Auf der anderen Seite konnten Verbraucher davon ausgehen, sich nicht strafrechtlich verantworten zu müssen, wenn sie ihren Familienangehörigen die Kopie einer CD schenkten. Dessen ungeachtet lassen Diskussionen um die in Kürze zu erwartende Urheberrechtsnovelle, den sogenannten Dritten Korb, vermuten, dass es zu weiteren Verschärfungen des Urheberrechts zulasten der Allgemeinheit kommen wird. Allein schon die Pläne der Koalition zur Schaffung eines besonderen Leistungsschutzrechts für Presseverleger lassen für diese Legislaturperiode wenig Hoffnung für eine am Gemeinwohl orientierte Urheberrechtsreform. Während sich die Regierung um die Bedienung ihrer Klientel sorgt, bleibt der Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext solcher Reformüberlegungen auf der Strecke. Wir Grüne sehen uns verpflichtet, auch im Feld des Urheberrechts eine den berechtigten Interessen aller Beteiligten Rechnung tragende Lösung vorzulegen. Vor diesem Hintergrund möchte ich den Antrag der Linken bewerten. Lassen Sie mich kurz auf einige Punkte eingehen: Zutreffend an dem Antrag ist, dass es etwas Zu Protokoll gegebene Reden mehr als vereinzelter Maßnahmen bedarf, um eine Gesamtstrategie für eine prosperierende Wissens- und Informationsgesellschaft zu entwickeln. In dieser Richtung hat insbesondere die Projektgruppe „Urheberrecht“ bereits einzelne wichtige Anregungen und Vorschläge erarbeitet. Gerade vor diesem Hintergrund aber ist der vorliegende Antrag oberflächlich und zu kurz gegriffen. Es reicht nicht aus, vereinzelte Handlungsempfehlungen aus der Enquete-Kommission abzuschreiben und uns dann hier im Plenum als Antrag vorzulegen. Es ist gerade im Zusammenhang mit urheberrechtlichen Fragestellungen erforderlich, den Gesamtkontext gesetzgeberischer Aktivitäten in den Gestaltungswillen mit einzubeziehen. Nehmen wir die Forderung nach einem unabdingbaren Zweitverwertungsrecht für wissenschaftliche Autorinnen und Autoren. Dadurch sollen die Autorinnen und Autoren von sich aus ihre Werke unter OpenAccess-Bedingungen veröffentlichen können. Wir unterstützen eine solche Forderung zweifelsfrei. Ist es damit aber allein schon getan, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diejenigen Rechte behalten können, die sie nach jetziger Rechtslage - mit Ausnahme der Unabdingbarkeit - ohnehin bereits haben, damit aber die Fortentwicklung von Open Access allein in die Hände der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst gelegt wird? Wir treten für eine umfassendere Förderung von Open Access ein und erwarten neben der einzuführenden Garantie eines unabdingbaren Zweitverwertungsrechts für Autorinnen und Autoren von der Bundesregierung eine Gesamtstrategie zu Open Access, die alle Beteiligten einbezieht und ein durchdachtes Konzept anbietet, das der Bedeutung dieses für unsere Wissensgesellschaft so zukunftsweisenden Themas angemessen Rechnung trägt. Die Linke gibt mit ihrem Antrag zu erkennen, dass ihr die Fortentwicklung im Feld des Urheberrechts teilweise auch schwer fällt. Die zum Teil kaum durchdachten Forderungen erinnern an ihr Bundestagswahlprogramm von 2009, in dem sie nach einem Fair-WorkSiegel auf Spiele, Programme und andere geistige Leistungen rufen. Das ist eine nette, plakative Forderung. Aber werden Urheberinnen und Urheber dadurch tatsächlich gestärkt, dass ihre Leistungen Gütesiegel erhalten? Diskussionswürdig und aus unserer Sicht auch und vor allem noch weiterer Begründung bedürftig ist die Dauer der urheberrechtlichen Schutzfristen. Der Antrag enthält nur die unscharfe Bitte, die Schutzfristen nicht weiter zu verlängern. Stets sind in den Reformbestrebungen der Vergangenheit allerdings Verlängerungen durchgeführt worden. Wir führen die Diskussion also auf einem hohen, unseres Erachtens zu hohen Niveau der Schutzfristen. Klar ist uns allen, dass Schutzfristen, die weit über die Lebensdauer der Urheberinnen und Urheber hinausreichen, das gemeinwohlschädliche Verwaisen von Werken fördern können. Deshalb geht der Antrag in die richtige Richtung. Die Bemessung der Fristen muss aber im Hinblick insbesondere auf die Ungewissheit der Verwertbarkeit abgewogen werden. Vor diesem Hintergrund fordern wir eine klare Verkürzung der Schutzfristen. Hier erscheint eine Orientierung an den Verwertungszyklen der Werke sinnvoll, denn längst nicht jedes Werk lässt sich beliebig lange gewinnbringend am Markt absetzen. Das würde bewirken, dass der Verkauf von Werken solange urheberrechtlich geschützt ist, wie dies für die Urheberinnen und Urheber umsatzfördernd und refinanzierend wirkt. Der vorliegende Antrag begnügt sich damit, weitere Verlängerungen der Schutzfristen zu verhindern. Eine über den Verwertungszeitraum hinausgehende Abschottung der Teilhabe durch die Allgemeinheit ist aber unter Abwägung der verschiedenen Interessen unter Einbeziehung des legitimen Interesses an einer Verwertung der Werke und einer Amortisation der Investitionen nicht gerechtfertigt. Was in diesem Antrag ganz und gar fehlt, ist der Blick über den Tellerrand in die Zukunft der Digitalisierung und des Internets. Ein im Vergleich zu Tauschbörsen wesentlich aktuelleres Thema ist das des Filehostings oder die Tatsache, dass die Inanspruchnahme von Datenclouds mit jeder neuen Gerätegeneration zunehmen wird. Der Antrag der Linken enthält keinerlei Lösungsoptionen angesichts dieses technologischen Fortschritts. Auf nationaler und internationaler Ebene wird in diesem Zusammenhang heftig über technische Maßnahmen zur Kontrolle dieser internetbasierten Innovationen und Geschäftsmodelle diskutiert. Digitalisierung und Internet werden zum Anlass genommen, das Urheberrecht weiter zu verschärfen und nach Maßnahmen zu suchen, Urheberrechtsverletzungen zu bekämpfen. Hier werden Vorschläge von Netzsperren über Vorratsdatenspeicherung bis hin zu Warnhinweismodellen diskutiert, die an Gefährlichkeit für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, aber auch an Naivität nicht zu überbieten sind. Hacker aller Länder vereinigen sich längst und oft mit Erfolg, wenn es darum geht, nationale bzw. staatliche Maßnahmen zur Überwachung der urheberrechtskonformen Nutzung des Internets zu umgehen und den nationalen Regierungen ihre Grenzen aufzuzeigen. Der Gesetzgeber läuft dann Gefahr, sich mit im Ergebnis wirkungslosen Vorstößen selbst zu diskreditieren. Ihm verbleibt dann lediglich die Rolle als wenig geachteter Symbolgesetzgeber. Hintergrund der unterschiedlichsten und oft schon verzweifelt anmutenden gesetzgeberischen Anstrengungen ist, dass Digitalisierung und Internet den potenziellen Verbreitungsgrad von urheberrechtlich relevanten Werken ins schier Unendliche erhöhen können. Klar ist, dass die Verbreitung eines einmal im Netz befindlichen Werkes kaum kontrollierbar ist. Daran besteht auch kein Zweifel. Allerdings ist die von vielen gezogene Schlussfolgerung falsch: Die Verbreitung neuer kreativer Schöpfungen ist nicht per se urheberrechtsgefährdend. Es ist vielmehr geradezu im Sinne - das wage ich pauschal zu behaupten - aller Urheberinnen und Urheber, wenn sie ihre Werke über das Internet verbreiten und bekannt machen können. Die Verwertungsindustrien sind dagegen oftmals diejenigen, die negative Effekte und Untergangsszenarien für Kultur und Gesellschaft überzeichnen. Sie erliegen dem mit keinerlei Empirie untermauerten Fehlschluss, der Verkauf etwa von Tonträgern ginge allein dadurch in die Knie, dass die Werke auch digital Verbreitung finden. Dieser Zusammenhang entZu Protokoll gegebene Reden behrt aber, wie einschlägige Studien aus der Musikwirtschaftsforschung belegen, schon deshalb jedweder Logik, weil erste Voraussetzung für den Umsatz von Werken ist, dass dem Käufer die Existenz der Werke überhaupt bekannt ist, diese also bereits vorgestellt und verbreitet wurden. Lassen Sie mich zu der Frage zurückkommen, wie die Chancen von Digitalisierung und Internet im Sinne einer prosperierenden Gesellschaft auch urheberrechtlich wahrgenommen werden können. Ich wage die Behauptung aufzustellen, dass es keine andere adäquate gesetzgeberische Reaktion auf das technische Know-how und die technische Versiertheit von Internetnutzerinnen und nutzern gibt, als sie bei ihrer grundlegenden Bereitschaft, für kulturelle Werke auch im Internet zu bezahlen, ernst zu nehmen. Nutzerinnen und Nutzer sind nicht nur bereit, für urheberrechtlich relevante Inhalte zu zahlen, sie suchen geradezu nach Möglichkeiten, die es ihnen erlauben, mit urheberrechtlich geschützten Werken zu arbeiten, diese zu verbreiten. Sie geben mehr Geld denn je für Musik, Filme, Konzerte etc. aus. Warum sollte der Gesetzgeber diese großartige Chance nicht wahrnehmen? Die Einführung der Leergeräte- und Speichermedienabgabe hat in den 60-er Jahren in einer vergleichbaren Situation für Rechtsfrieden gesorgt. Die pauschale Vergütung hat große Beträge in die Kassen der Urheberinnen und Urheber gespült. Warum sollte dieses System nicht auch im Internet funktionieren? Digitalisierung und Internet fordern kreativen Tribut. Wir müssen durchsetzbare Vergütungsmodelle erfinden. Eine Alternative der Totalüberwachung ist weder kreativ noch gewinnbringend für uns alle. Aus diesem Grund wurde unsere Kulturflatrate in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ausgiebig diskutiert. Die Enquete-Kommission hat daraufhin letzten Endes empfohlen, Urheberinnen und Urheber einen Anspruch auf Vergütung gegen Provider einzuräumen, der auf die Nutzerinnen und Nutzer umgelegt werden kann. Hiermit haben wir ein Vergütungsmodell der Zukunft aufgezeigt und sichergestellt, dass diese Vergütungsansprüche auch durchgesetzt werden können, ohne das Internet mit einer flächendeckenden Überwachungsinfrastruktur zu überziehen. Die Tatsache, dass der technologische Fortschritt nicht aufzuhalten ist, sollte uns in der Entscheidung bestärken, jetzt das Richtige zu tun, um eine sinnvolle Reform des Urheberrechts voranzubringen, die den berechtigten Interessen aller Beteiligten ausreichend Rechnung trägt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6341 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Verkehrsträgerübergreifende Schlichtung gesetzlich fixieren - Drucksachen 17/4855, 17/5657 Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Horst Meierhofer Markus Tressel

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Tourismus haben wir in Deutschland schon heute ein hohes Verbraucherschutzniveau erreicht. Das deutsche Recht gewährt Reisenden einen Schutz, der über geltenden europäischen Standard hinausgeht. Wichtige Grundlagen sind: das Pauschalreiserecht, die Fluggastrechte und die Verordnung zu den Passagierrechten im Eisenbahnverkehr. Bald kommen die im Verfahren inzwischen abgeschlossenen EU-Verordnungen über die Passagierrechte im See- und Binnenschifffahrtsverkehr sowie über die Passagierrechte im Busverkehr hinzu. Wir setzen uns für einen möglichst umfassenden Verbraucherschutz ein. Der Verbraucher soll sich leicht informieren können, er soll gut beraten und seine Interessen sollen gut vertreten werden. Deshalb haben wir auch im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff gesetzlich verankert wird. Am 1. Dezember 2009 hat die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr ({0}) ihre Arbeit aufgenommen. Seither ist die söp-Anlaufstelle für all die Verbraucher, deren Beschwerden bei einem Verkehrsunternehmen nicht erfolgreich waren oder nicht ihren Erwartungen entsprochen haben. Wir haben uns in mehreren Gesprächen mit Vertretern der söp über die Arbeit dieser Schlichtungsstelle informiert und sind zu dem Ergebnis gekommen: Ihre erfolgreiche Tätigkeit stärkt den Verbraucherschutz im Tourismus. Es gibt viele gute Argumente für eine außergerichtliche Streitbeilegung. Die söp weist zu Recht darauf hin, dass „nicht immer der Weg zum Gericht die einzige Möglichkeit ist, um verbriefte Rechte durchzusetzen“. Der söp zufolge werden zwar bereits die meisten Beschwerden von den Verkehrsunternehmen selbst zur Zufriedenheit der Kunden geregelt. Der Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften ({1}) gibt zum Beispiel an, dass im Flugbereich 99 Prozent aller Kundenbeschwerden außergerichtlich durch Ausgleichsangebote der Fluggesellschaften zufriedenstellend beigelegt wurden. Dennoch kennen wir sicher alle Einzelfälle, wo dies nicht zutrifft. Die Mehrheit der bei der söp bisher eingegangenen Fälle betrifft Bahnreisen. Die söp wünscht sich eine Beteiligung der deutschen Fluggesellschaften. Diese lehnten jedoch bislang eine Mitgliedschaft ab. Neben anfänglichen grundsätzlichen Zweifeln werden nun insbesondere Kostengründe genannt. Natürlich wollen auch wir eine breite Beteiligung aller Verkehrsträger an Schlichtungsverfahren, um den Verbraucherschutz im Tourismus weiter zu stärken und Reisenden die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern. Ich denke, darüber besteht große Einigkeit bei allen Fraktionen. Dies muss aber nicht unbedingt heißen, dass sich alle Verkehrsträger an einer einzigen übergreifenden Schlichtungsstelle beteiligen. Noch weniger zielführend erscheint uns die Forderung im vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen soll, der die Teilnahme aller Verkehrsträger an einer verkehrsträgerübergreifenden Schlichtung unter dem Dach der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr erzwingt. Ein solcher Zwang zur Beteiligung widerspricht dem Gedanken einer freiwilligen Schlichtung und lässt sich auch nicht aus dem Koalitionsvertrag ableiten. Die Deutschen Fluggesellschaften sind nach langem Zögern endlich zu einer Teilnahme an Schlichtungsverfahren bereit. Das begrüßen und unterstützen wir. Wie sie wissen, streben die Fluggesellschaften allerdings die Einrichtung einer separaten Schlichtungsstelle für den Luftverkehr an. Dagegen haben wir keine grundsätzlichen Bedenken. Für die Kunden von Verkehrsunternehmen ist es letztlich unerheblich, welche Schlichtungsstelle sich um ihre Anliegen kümmert. Hinzu kommt: Für die Verbraucher könnte trotzdem sogar ein einheitlicher Zugang zu Schichtungsverfahren gewährleistet werden, beispielsweise indem ein gemeinsamer Internetauftritt der söp mit dieser Spezialschlichtungsstelle sowie einer gemeinsamen telefonischen Anlaufstelle geschaffen würde. Anschließend könnte eine Weiterleitung an die einzelnen Stellen erfolgen. Wir setzen auch in Zukunft auf eine freiwillige Mitwirkung der Luftverkehrsunternehmen an Schlichtungsverfahren. Die Streitbeilegung muss einvernehmlich erfolgen. Bei einer gesetzlichen Verpflichtung zur Teilnahme an einer Schlichtung bestünde die Gefahr, dass die Unternehmen Schlichtersprüche aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Damit wäre den Verbrauchern nicht geholfen. Sie stünden erneut vor der Entscheidung, ob sie ihre Ansprüche vor Gericht geltend machen sollen. Zudem können die Fluggesellschaften auch nicht verpflichtet werden, einen Schlichterspruch zu akzeptieren. Seit mehreren Monaten gibt es intensive und inzwischen weit fortgeschrittene Gespräche zwischen der Bundesregierung und den Deutschen Fluggesellschaften über die Einzelheiten der Ausgestaltung einer freiwilligen Schlichtungsstelle für den Luftverkehr. Offensichtlich sind fast alle Punkte geklärt. Dem Ergebnis dieser Gespräche sollten wir nicht vorgreifen. Wichtig für uns ist, dass diese Einzelheiten so geregelt werden, dass sich möglichst alle Fluggesellschaften - auch ausländische beteiligen, damit eine Wettbewerbsverzerrung zulasten deutscher Unternehmen vermieden wird. Allerdings wünschen wir uns von der Bundesregierung, dass diese Gespräche nun zügig zum Abschluss geführt werden, damit wir möglichst schnell einen noch besseren und umfassenderen Verbraucherschutz im Tourismus erreichen.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Grunde genommen ist es sehr zu begrüßen, wenn auch der Opposition die Umsetzung unseres Koalitionsvertrages am Herzen liegt. Das ist implizit eine schöne Bestätigung unserer Ziele und zeigt, dass die Koalition eine gute Politik für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land macht. Auch die ersten Erfahrungswerte, die wir aus der Arbeit der Schlichtungsstelle gewonnen haben, bestätigt dies ganz nachdrücklich. Wir haben damit also ganz richtig in unserem Koalitionsvertrag die Einrichtung einer „unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff“ festgeschrieben und dies zum 1. Dezember 2009 auch schon umgesetzt. Die konkreten Forderungen der Grünen gehen aber nun deutlich an unseren Vorstellungen vorbei und schießen weit über das Ziel hinaus. Insbesondere zwei Forderungen sind es, die den vorliegenden Antrag inakzeptabel machen. Zum einen ist es die zwingende Beteiligung aller Verkehrsträger, welche die Grünen mit ihrem Antrag verlangen, sicherzustellen. Besonderes Kennzeichen einer Schlichtung ist aber gerade die Freiwilligkeit, mit der die beiden Parteien eine gütliche Einigung im Streitfall anstreben. Diese Freiwilligkeit ist jedoch nicht mehr erreichbar, wenn die eine Seite hierzu verpflichtet wird. Einer beidseitigen Anerkennung der Schlichtersprüche wäre damit nicht gedient. Eine Verpflichtung zur Schlichtung konterkarierte damit gerade den besonderen Vorzug der privaten, außergerichtlichen Streitbeilegung. Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus zu erwarten, wenn die Flugunternehmen diese Schlichtungsergebnisse grundsätzlich nicht akzeptierten; denn der Weg einer verpflichtenden Einigung steht schließlich mit dem Klageweg immer offen. Zum Zweiten ist es die verbindliche Vorgabe der Schlichtungsstelle. Auch hier ist es einer gütlichen Streitbeilegung nicht dienlich, wenn der Schlichter den Parteien gesetzlich vorgeschrieben wird; denn auch an dieser Stelle darf die Freiwilligkeit der Schlichtung nicht eingeschränkt werden. Die Akzeptanz der Schlichtungsstelle ist hierfür aber eine maßgebliche Voraussetzung. Die deutschen Fluggesellschaften haben bislang aus unterschiedlichen Gründen insbesondere aufgrund der Kosten eine Beteiligung an der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, söp, abgelehnt. Grundsätzlich zeigen sie aber schon die Bereitschaft, sich an entsprechenden Schlichtungsverfahren zu beteiligen. Hier haben in der vergangenen Zeit auch konstruktive und zielführende Gespräche stattgefunden, und das nicht zuletzt, da auch den Flugunternehmen ganz klar ist, dass jede Schlichtung im Grunde genommen eine Win-win-Situation bedeutet. Denn eine Schlichtung ist eine schnelle und unbürokratische Hilfe. Sie ist kostengünstiger als ein Gerichtsverfahren und bringt für die Zu Protokoll gegebene Reden Anita Schäfer ({0}) Unternehmen eine höhere Kundenzufriedenheit und einen deutlichen Imagegewinn. Daher, denke ich, kann die Einrichtung einer eigenen Schlichtungsstelle für den Luftverkehr eine klar zielführende Lösung sein. Auf diesem Weg wird die Akzeptanz und die Freiwilligkeit im Schlichtungsverfahren gewahrt. Letztlich kann nur auf diesem Weg eine regelmäßig gütliche Einigung und damit eine erfolgreiche Verhinderung des Rechts- und Klageweges erreicht werden. Aber auch aus einem anderen Grund ist der sich abzeichnenden Lösung einer eigenen Schlichtungsstelle für den Flugverkehr der Vorzug zu geben. Grundsätzlich sollte hier eine europaweit einheitliche Lösung angestrebt werden. Mit einer rein nationalen Verpflichtung wäre diesem Ziel nicht ausreichend gedient; denn im Unterschied zum monopolartig strukturierten Eisenbahnverkehr ist der Luftverkehr ein globaler Markt mit nationalem wie auch internationalem Wettbewerb, und dieser fordert auch wettbewerbsneutrale Regelungen. Mit einer verbindlichen Verpflichtung zur Schlichtung entstünde den Unternehmen wie dem Standort Deutschland ein weiterer zu kalkulierender Kostenfaktor und damit ein Wettbewerbsnachteil. Dabei sind es aber gerade auch ausländische Fluggesellschaften, die immer wieder mit einem deutlich höheren Prozentsatz an Kundenbeschwerden konfrontiert sind als die deutschen. Von daher werden wir gerade vor dem Hintergrund eines stetig zunehmenden Flugreiseverkehrs auf die Dauer eine EU-weite Regelung anstreben. Nicht ohne Grund sind auch die Fluggastrechte im europäischen Rahmen definiert, und auch in der Schlichtungsfrage darf ein möglichst weitgreifender Verbraucherschutz nicht an den nationalen Grenzen haltmachen. In den Beratungen ist gegen eine eigene Schlichtungsstelle für den Luftverkehr aber auch das Argument vorgebracht worden, dass viele Reisende während ihrer Reise den Verkehrsträger wechselten und demzufolge in der Schlichtung unterschiedlichen Ansprechpartnern gegenüberstünden. Das ist in sich aber nicht stichhaltig. Erhebt der Reisende seine Beschwerden gegen unterschiedliche Verkehrsträger, so bedeutet das, dass er sich ohnehin schon mit mehreren Ansprechpartnern auseinanderzusetzen hat. Erhebt er sie gegen einen Pauschalreiseanbieter, der für eine Reise unterschiedliche Verkehrsträger verpflichtet hat, so ist gemäß des Pauschalreiserechts dann auch nur dieser der Ansprechpartner. Und das liegt auch in der Natur der Sache: Einen Regressanspruch kann ich nur einmal geltend machen - und demzufolge auch nur bei einem Ansprechpartner. Darüber hinaus ist auch aus der Dokumentation der Arbeit der söp von 2009 bis 2010 ersichtlich, dass dies nur in einem von den 3 311 von der Schlichtungsstelle dokumentierten Beschwerden der Fall war. An all dem wird deutlich, dass wir mit der von der Koalition eingerichteten Schlichtungsstelle eine unbürokratische und zielführende Einrichtung geschaffen haben, um auf nationaler Ebene zu einer schnellen außergerichtlichen Streitbeilegung zu kommen. Davon profitieren die Reisenden. Davon profitiert aber auch der Tourismusstandort Deutschland. Es ist aber auch deutlich geworden, dass eine außergerichtliche Streitbeilegung im Flugverkehr komplexer ist und damit einen umfassenderen Ansatz benötigt, dem jedoch der vorliegende Antrag der Grünen keine Rechnung trägt.

Heinz Paula (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003606, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zu Beginn meiner Ausführungen darf ich den Koalitionsvertrag zitieren: Die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff wird gesetzlich verankert. Dies haben CDU/CSU und FDP Ende 2009 so festgelegt. Dies schlägt auch der uns vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen so vor. Es ist bekannt, dass dies auch im Sinne der SPD-Bundestagsfraktion ist. Daher erhält der Antrag unsere volle Unterstützung. Es sieht nicht danach aus, als ob die Fluggesellschaften sich freiwillig an einer Möglichkeit der außergerichtlichen Einigung beteiligen wollen. Vielmehr war im „Handelsblatt“ vom 8. März dieses Jahres zu lesen, dass unsere Bundesjustizministerin LeutheusserSchnarrenberger in Zusammenarbeit mit den Fluggesellschaften ein Eckpunktepapier verfasst hat. Inhalt: Lufthansa und Air Berlin sowie das Bundesministerium der Justiz wollen eine gesonderte Schlichtungsstelle gründen. Der Clou: Die Beiträge werden nicht von den Fluggesellschaften getragen, sondern von den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Sie sollen Eintrittsgebühren leisten. Als Tourismus- und Verbraucherpolitiker, vor allem aber als Sozialdemokrat kann und werde ich solche Forderungen nicht akzeptieren. Vor allem aber frage ich mich: Was ist mit der Aussage der Bundesregierung im Koalitionsvertrag? Dort sprechen Sie von einer verkehrsübergreifenden Schlichtungsstelle, nicht etwa von einer separaten. Die Bundesregierung wendet sich ein weiteres Mal gegen die Wünsche und Bedürfnisse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich möchte nur darin erinnern, dass auch die Verbraucherschutzministerkonferenz der Länder am 17. September 2010 einen eindringlichen Appell an die Fluggesellschaften gerichtet hat, sich an den Schlichtungsverfahren der söp zu beteiligen. Die Minister für Verbraucherschutz der Länder haben die Bundesregierung aufgefordert, bei einer weiteren Weigerung der Luftfahrtsunternehmen die Teilnahme an und die Mitgliedschaft in der söp für alle in Deutschland tätigen Reiseverkehrsunternehmen gesetzlich festzuschreiben. Auch die Verbraucherzentralen auf Länder- und Bundesebene fordern eine gesetzliche Regelung für ein verbindliches Schlichtungsverfahren. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom Februar dieses Jahres führt die Bundesregierung aus - ich darf zitieren -: Mit Inkrafttreten eines Gesetzes, das eine Schlichtung von Verbraucheransprüchen im Luftverkehr Zu Protokoll gegebene Reden einführt, werden Ansprüche gegenüber Luftfahrtunternehmen, die vor deutschen Unternehmen eingeklagt werden könnten, dieser Schlichtung unterfallen. Nehmen Fluggesellschaften nicht freiwillig teil, so ist beabsichtigt, sie zur Schlichtung zu verpflichten. Mit Blick auf die zeitliche Nähe zum Artikel im „Handelsblatt“ scheint es, als führe die Bundesregierung zweigleisig: hier die gesonderten Verhandlungen für eine gesonderte Schlichtungsstelle, dort die Zusage einer gesetzlichen Verpflichtung. Wieder ein Beispiel für den Einfluss der Lobbyisten und ein klassischer Fall der oft zitierten Klientelpolitik dieser Bundesregierung! Die Fluggesellschaften weigern sich beharrlich, der söp beizutreten. Ich selbst konnte mich in Gesprächen mit Vertretern einiger Fluggesellschaften davon überzeugen, dass sie beabsichtigen, bei dieser Meinung zu bleiben. Also muss eine andere Lösung her! Wir Sozialdemokraten machen Politik für den Verbraucher. Dies ist unsere Klientel. Daher wollen wir bessere Reiserechte, bessere Fahrgastrechte, bessere Fluggastrechte - und eine bessere Durchsetzung dieser Rechte. Für uns ist die außergerichtliche Streitschlichtung generell die beste Lösung. Wir haben seit 2009 die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr - kurz söp genannt. Unsere damalige Bundesjustizministerin, Brigitte Zypries, hat sie auf den Weg gebracht. Sie ist als Schlichtungsstelle weitgehend anerkannt. Im Jahr 2010 gab es mehr als 3 600 Anträge auf Durchführung eines Schlichtungsverfahrens. Diese Zahlen sprechen für sich. Eine Schlichtungsstelle ist notwendig. Die Schlichtungsquote im Bahnverkehr betrug 2010 rund 90 Prozent. Auch diese Zahl spricht für sich: Die Schlichtungsstelle ist erfolgreich. Bahnfernverkehrs-, Bahnnahverkehrs- und Busunternehmen sind bisher an der Schlichtungsstelle beteiligt. Sie wird von den Verbraucherinnen und Verbrauchern gut angenommen. Auch Flugreisende müssen eine Anlaufstelle zur Schlichtung ihrer „Streitfälle“ bekommen. Eine Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband von Herbst 2010 hat aufgezeigt, wie notwendig eine Schlichtungsstelle für den Luftverkehr ist. Die Umfrage legte offen, dass Reisende häufig nicht frühzeitig über Flugstörungen informiert, nicht mit angemessenen Betreuungsleistungen versorgt und rechtlich geschuldete Ausgleichszahlungen nicht geleistet werden. Die von den Reisenden erhobenen Beschwerden wurden zögerlich bearbeitet. 32 Prozent erhielten erst nach mehr als einem Monat eine Antwort, 22 Prozent erhielten keine. Nur in 3 Prozent der Fälle verlief die Rechtsdurchsetzung reibungslos. Bei solchen Umfrageergebnissen muss ich mich fragen, wie viel Wert die Fluggesellschaften eigentlich auf Kundenzufriedenheit legen und wie viel Wert die Bundesregierung darauf legt, diese Missstände endlich im Sinne der Verbraucher zu beenden. Wir befürworten, ebenso wie unsere grünen Kollegen, eine verkehrsübergreifende Schlichtung. Die Fluggesellschaften müssen ohne Wenn und Aber eingebunden werden. Viele Reisende wechseln die Verkehrsmittel während ihrer Reise. Ob Bus, Bahn, Schiff oder Flugzeug bei einer verkehrsübergreifenden Schlichtungsstelle haben sie alles unter einem Dach. Das ist verbraucherfreundlich. Wir halten es auch für erforderlich, dass ausländische Luftverkehrsunternehmen an der Schlichtungsstelle beteiligt werden. Dies ist für die Verbraucher ebenso wichtig wie für die Luftfahrtunternehmen. Sollte es weiterhin bei der beharrlichen Weigerung der Luftfahrtunternehmen bleiben, sehen wir zu einer gesetzlichen Verpflichtung keine Alternative. Daher richte ich an dieser Stelle einen eindringlichen Appell an die Regierungsparteien, diesem Antrag zuzustimmen. Bei der Vielzahl der Argumente können Sie sich der Einsicht über die Notwendigkeit einer verkehrsübergreifenden Schlichtungsstelle nicht entziehen.

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wer kennt das nicht: Der lang ersehnte Urlaub steht vor der Tür, die Vorfreude ist groß, und dann passiert das, wovon man nicht zu träumen gewagt hätte. Man steht am Flughafen, und der Flug in das Land der Träume hat eine Verspätung von fünf Stunden. Und als wäre das nicht schon genug: Wenig später wird der Flug womöglich sogar annulliert, und erst am nächsten Morgen, nach einer unbequemen Nacht auf einer Sitzbank in der Flughafenhalle, kann der Urlaub endlich starten. Zu allem Überfluss ist nach der Landung auch noch das Gepäck beschädigt. Dies ist leider keine Seltenheit. Aber was tun, wenn der Flug Verspätung hat, der Flug ausfällt oder der gebuchte Flug überbucht ist? Eigentlich ist die Sachlage eindeutig: Nach der Fluggastrechteverordnung EG Nr. 261/2004 haben die Fluggäste bei einer Verspätung bzw. der Annullierung des Fluges einen Entschädigungsanspruch. Der Entschädigungsanspruch umfasst Ausgleichszahlungen in der Höhe von 250 bis 600 Euro sowie Unterstützungs- und Betreuungsleistungen. Es besteht auch kein Unterschied zwischen Linienflug, Charterflug oder Billigflug, auch wenn das manche Fluglinien ihren Passagieren weismachen wollen. Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass sich die meisten Fluggesellschaften bei der Entschädigung der Passagiere in der Vielzahl der Fälle kulant zeigen und sogar bereit sind, die Kunden über das rechtlich vorgesehene Maß hinaus zu entschädigen. Es gibt aber leider auch schwarze Schafe unter ihnen. Insbesondere die Billigfluggesellschaften, die mit billigen Preisen den Wettbewerbsdruck erhöhen, versuchen bei Entschädigungsfällen möglichst wenig oder gar nichts zu zahlen, um ihre Gewinnmargen nicht zu beschädigen. Hier guckt der geschädigte Fluggast leider ganz schnell in die Röhre. Diesen Fluggästen bleibt nur die Durchsetzung ihrer Ansprüche auf dem Klageweg, der teilweise sehr langwierig und vor allem kostspielig ist. Die Gerichtskosten sind im Verhältnis zu den Entschädigungskosten so horrend hoch, dass manch ein Fluggast den Aufwand und die Kosten lieber scheut und die Angelegenheit im Zu Protokoll gegebene Reden Sande verlaufen lässt - letztlich zum Wohle der Fluggesellschaft. Um in solchen Fällen für eine bessere Rechtsdurchsetzung zu sorgen, haben wir auch im Koalitionsvertrag geregelt, „die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff“ gesetzlich zu verankern. Dadurch wollen wir die Rechte der Fluggäste stärken und teure und lange Verfahren in Zukunft vermeiden. Dass die außergerichtliche Streitbeilegung wichtig und zielführend ist, hat der Einsatz der söp, der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Nahverkehr, bereits bewiesen. Im ersten Jahr sind bei der söp 3 311 Fälle zur Schlichtung eingegangen. Davon konnten 90 Prozent der Fälle mit einer erfolgreichen Schlichtung abgeschlossen werden, alles zum Wohle der Verbraucher, der beteiligten Unternehmen und auch der Gerichte, denen dadurch eine Menge Arbeit erspart werden konnte. Außerdem konnte mit der außergerichtlichen Streitbeilegung nicht nur die Servicequalität der Nahverkehrsträger, sondern auch eine erhöhte Kundenzufriedenheit erreicht werden. Die Fluggesellschaften haben sich der söp leider nicht angeschlossen. Eine Teilnahme aller Verkehrsträger an einer verkehrsübergreifenden Schlichtung unter dem Dach der söp wird es daher auch nicht geben. Deshalb hat die schwarz-gelbe Koalition bei den Fluggesellschaften dafür geworben, sich an einer eigenen Schlichtungsstelle für den Flugverkehr zu beteiligen. Nach zähen Gesprächen wird die Bundesregierung nun eine entsprechende Initiative umsetzen und eine Schlichtungsstelle für den Flugverkehr ins Leben rufen, der sich die Fluggesellschaften nun anschließen können. Allerdings sage ich auch ganz deutlich: Sollten sich manche Fluggesellschaften weigern, werden wir diejenigen, die sich der Schlichtungsstelle nicht freiwillig anschließen, gesetzlich dazu verpflichten, so wie wir es im Koalitionsvertrag auch verankert haben. Denn eine Schlichtungsstelle macht nur dann Sinn, wenn sich der Schlichtung nicht nur die nationalen Fluggesellschaften unterwerfen, sondern alle Fluggesellschaften, die in Deutschland starten und landen. Ich halte dies für einen großen Fortschritt. Eine alle Verkehrsträger übergreifende Schlichtungsstelle, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern, ist aus meiner Sicht nicht nötig. Auch Ihre Begründung, eine gemeinsame Schlichtungsstelle bedeute geringere OverheadKosten, überzeugt mich nicht. Denn es ist ohne Weiteres möglich, die Kosten gering zu halten, indem wir für alle Fahrgäste zum Beispiel eine gemeinsame Internetplattform schaffen, auf der der Kunde im Hauptportal entweder die Schlichtungsstelle des öffentlichen Nahverkehrs oder die Schlichtungsstelle für Fluggäste auswählt. Diese gemeinsame Plattform ist eine übersichtliche und kosteneffiziente Lösung für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Bei der Behandlung der Fälle halte ich eine getrennte Struktur für sinnvoller. Denn dadurch können sich die Mitarbeiter der jeweiligen Stelle viel besser auf einen Verkehrsträger spezialisieren und auf diese Weise die Fälle mit größerer Expertise bearbeiten. Damit lässt sich aus meiner Sicht sogar der Bearbeitungszeitraum der Schlichtungsfälle verkürzen. Deshalb halte ich den von der schwarz-gelben Regierungskoalition eingeschlagenen Weg für absolut zielführend und eine große Verbesserung für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist geradezu symptomatisch für die gegenwärtige Politik der schwarz-gelben Bundesregierung und den Zustand der Regierungskoalition, dass es die Opposition ist, die immer wieder auf die Erfüllung von Versprechen, aber auch konkreten Verpflichtungen hinweisen muss, die aus dem Lager der Regierungsparteien selbst gekommen sind. Das betrifft unter anderem auch das Thema „Verkehrsträgerübergreifende Schlichtung“. Hatten Sie sich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nicht vorgenommen, eine unabhängige, übergreifende Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff gesetzlich zu verankern? Ist Ihnen Ihre eigene Koalitionsvereinbarung gar nichts mehr wert? Unsere Fraktion hatte Sie in einem Antrag bereits vor einem Jahr aufgefordert, nationale Handlungsspielräume zu nutzen und sich gegenüber der Europäischen Union und im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, vor allem den Fluggästen die Anrufung einer wirksamen Schlichtungsstelle zu ermöglichen. Zu unseren weiteren Forderungen gehörte damals, die Beteiligung von Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle gesetzlich festzuschreiben und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Schlichtungsstelle zu gewährleisten. Im September vorigen Jahres stimmten die Verbraucherschutzminister der Länder einstimmig für eine verpflichtende Teilnahme der Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V., söp. Das hatten die Verbraucherschutzminister bereits im Jahr davor auf ihrer Konferenz angeregt. Die Bundesregierung wurde gebeten, ich zitiere: durch geeignete Maßnahmen dafür zu werben, dass die deutschen Fluggesellschaften der Schlichtungsstelle Personenverkehr beitreten. Die Bundesregierung hatte aber ihre Koalitionsvereinbarung offenbar völlig aus dem Auge verloren. Dabei gab es aus eigenen Ministeriumskreisen ernstzunehmende Aufforderungen. Der Leiter des Referats Schadensersatzrecht des Justizministeriums, Hans-Georg Bollweg, schrieb 2010 in einem Aufsatz: Der Koalitionsvertrag hat der neuen Bundesregierung … die gesetzliche Verankerung einer unabhängigen und übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff auf die Tagesordnung gesetzt. Ihre Fachjuristen wissen also sehr genau, was eigentlich auf der Tagesordnung stehen müsste, auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, sich hier im Parlament nach wie vor dagegen sperren und eine Lösung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben wollen, und dies nicht aus juristischen Gründen oder anderen vorgeschobenen Ausflüchten, sondern Zu Protokoll gegebene Reden aus politischem Kalkül: Auf dem Rücken der Fluggäste, also der Verbraucherinnen und Verbraucher, wollen Sie den deutschen Fluggesellschaften Wettbewerbsvorteile einräumen. Anders kann man das Argument der FDP aus der Debatte im Ausschuss gegen den heute zur Abstimmung stehenden Antrag, es müssten sich aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit auch die internationalen Fluggesellschaften an dem Verfahren beteiligen, nicht werten. Das ist im Übrigen die gleiche schäbige Politik, die Sie seit Jahren auf lohn- und sozialpolitischem Gebiet im sogenannten Interesse des Standortes Deutschland betreiben und für deren Resultate die Bundesrepublik erst gerade wieder von der UNO scharf kritisiert wird. Dass wir als Linksfraktion dem heute zur Abstimmung stehenden Antrag von Bündnis 90/Den Grünen unsere Zustimmung geben werden, hat mehrere Gründe. Zu den bereits genannten möchte ich noch folgende hinzufügen: Anfang 2009 hat die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr söp ihre Arbeit aufgenommen. Bis zum 31. März 2011 wurden insgesamt 4 513 Fälle bearbeitet, davon betrafen 1 667 Fluggesellschaften, 91 Prozent konnten erfolgreich abgeschlossen werden. Die Schlichtungsstelle ist anerkannt, hat bei den Verbraucherverbänden, den Fachjuristen und nicht zuletzt bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen guten Ruf und ist in der Lage, Schlichtungen für alle Verbraucher und Verkehrsträger in hoher Qualität und mit geringen Kosten durchzuführen. Von den Fluggesellschaften wurde argumentiert, die Mitgliedschaft bei der söp sei für sie zu teuer. Dieses Argument ist zumindest fadenscheinig. Nach mir vorliegenden Informationen hat die söp den Fluggesellschaften ein so günstiges Angebot unterbreitet, dass sie selbst eine eigene Schlichtungsstelle nicht preiswerter installieren könnten. Wenn eine übergreifende Schlichtung nicht zustande kommt, hat dies also ausschließlich politische Gründe. Dazu sollten Sie sich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dann aber auch öffentlich bekennen. Wir Linke haben mit unserem Antrag auf Drucksache 17/2021 „Fluggastrechte stärken“ unseren Willen für einen umfassenden Verbraucherschutz auf diesem Gebiet bekundet und halten daran fest. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist sinnvoll und richtig. Er liegt im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie von der Regierungskoalition sollten ihm deshalb auch zustimmen und damit den Weg für eine verkehrsübergreifende Schlichtungsstelle endlich frei machen.

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist schon paradox: Wir haben hier einen Antrag vorliegen, der eine Passage aus dem Koalitionsvertrag aufgreift. Letztlich geht es um folgenden Satz, den ich Ihnen, meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, in Erinnerung rufen möchte: Die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff wird gesetzlich verankert. Es wäre gut, wenn auch Ihre Ministerinnen und Minister das wollten, oder? Denn von der gesamten Opposition findet das Zustimmung. Doch leider nicht mehr von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition. Wer soll Ihnen eigentlich noch irgendetwas abnehmen? Selbst Ihre Vertragsgrundlage wird nicht mehr eingehalten. Ihnen ist der ordnungspolitische Kompass anscheinend wirklich vollkommen abhanden gekommen. Dass es Ihnen nicht um die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern geht, sondern um reine Lobbypolitik, haben wir nun unlängst feststellen können. Aber gut: Ich möchte Ihnen noch einmal inhaltlich erklären, worum es hier geht. Denn das scheint wichtig. Bislang haben das bei Ihnen offensichtlich nur Fluggesellschaften machen dürfen. Im Ausschuss war Ihnen diese Debatte ja auch sichtlich unangenehm. Selten habe ich Sie so wortkarg erlebt. Einig sind wir uns alle, dass es sinnvoll erscheint, eine außergerichtliche Streitbeilegung für Reisende anzubieten, um ihnen zu ihrem Recht bei Verspätungen, Annullierungen, Nichtbeförderung oder Ähnlichem zu verhelfen. Verbraucherschützer bemängeln, in keinem Rechtsbereich sei die Diskrepanz zwischen Anspruch auf Recht und Rechtsdurchsetzung so eklatant wie im Bereich der Fluggastrechte. Auch die Europäische Kommission hat die Bundesregierung sechs Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung jüngst ganz schön durchgeschüttelt. Aber das scheint an Ihnen abgeperlt zu sein wie an einer Teflonpfanne. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen ihre Rechte auch verkehrsträgerübergreifend durchsetzen können. Lieber Herr Döring, das hatten Sie ja auch richtigerweise in der vorletzten Sitzungswoche, als es hier zwar um Verkehrsstatistiken und nicht um Schlichtung ging, festgehalten. Dann zeigen Sie mal, wie es geht, und bringen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen auf Spur. Aber ich muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass Sie mit Ihrem Votum gleich zeigen, wie schnell Sie Ihre Meinung wieder ändern können. Neben gesetzlich definierten Fahr- und Fluggastrechten und der Möglichkeit ihrer gerichtlichen Durchsetzung ist die Schlichtung für Verkehrsteilnehmer eine wichtige Ergänzung bei der niedrigschwelligen Klärung von streitigen Sachverhalten im Personenverkehr. Niedrigschwellig ist ein Schlüsselwort. Denn wer ist denn schon bereit, diesen Spießrutenlauf bei Behörden und Airlines einzugehen? Die Airlines wissen das ganz genau, offenbar auch besser als Sie. Denn so haben sie es geschafft, dass das Justizministerium zunächst bereit war, eine Eingangsgebühr von 50 Euro zuzulassen. Niemand wusste aber, ob und wann der Reisende diese 50 Euro jemals wieder sehen würde, beispielsweise wenn die Airline den Schlichterspruch nicht annimmt. Erst auf massiven Mediendruck zeigte sich Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger einsichtig. Ich hoffe inständig, dass es dabei bleibt. Denn sowohl für Unternehmen als auch für die Reisenden hat sich das Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung bewährt. Es Zu Protokoll gegebene Reden erhöht die Servicequalität der teilnehmenden Unternehmen und führt zu mehr Kundenzufriedenheit. Nachdem die unter Verbraucherministerin Renate Künast eingerichtete Schlichtungsstelle Mobilität nicht mehr fortgeführt worden ist, gibt es dafür seit Dezember 2009 die Schlichtungsstelle für öffentlichen Personenverkehr e.V., söp. Die söp ist verkehrsträgerübergreifend konzipiert und bemüht sich durch diverse Angebote an die Verkehrsträger, diesem Anspruch gerecht zu werden. Während nahezu alle Bahnunternehmen und auch vermehrt Nahverkehrsanbieter, wie zum Beispiel die BVG, als Träger der söp die Vorteile dieses Verfahrens anerkennen, weigern sich die Flugunternehmen weiterhin. Die Schlichtungsquote von über 90 Prozent und die unabhängige Arbeit spricht eigentlich schon für sich. Mitunter auch ein Grund dafür, dass die Verbraucherschutzminister der Länder auch aufgrund des besonders hohen Beschwerdepotenzials bei Flugreisen bereits am 17. September 2010 - einstimmig, also auch Minister und Ministerinnen von Union und FDP - für eine verpflichtende Teilnahme der Fluggesellschaften bei der söp votierten. Aber was ist nun Stand der Dinge? Die Airlines wollten nie eine Schlichtung, ihre Servicezentren seien gut genug. Wussten Sie, dass Condor alle Beschwerdeschreiben an eine Anwaltskanzlei übergibt und so den sogennannten Customer Support abwickelt? Nachdem der Druck durch die Medien - und teilweise auch durch die Politik - auf die Airlines stark erhöht wurde, sehen sie sich nun offenbar genötigt, eine eigene Schlichtungsstelle aufzubauen, eine Schlichtungsstelle ganz nach ihren Vorstellungen, eine Schlichtungsstelle von den Airlines ausschließlich für unzufriedene Fluggäste, nicht für andere Verkehrsträger. Diese spezielle Behandlung einzelner Sektoren sei im Versicherungswesen auch der Fall, meinten die Airlines. Das kostet nicht nur viel Geld, sondern auch Zeit. Die Airlines wissen das. Sie wissen auch ganz genau, was sie mit einer nach ihren Vorstellungen ausgestalteten Schlichtungsstelle an Geld sparen können, um die Verordnung weiterhin nur unzureichend umzusetzen und Reisende bei Beschwerden oftmals gezielt zu verwirren. Ganz im Ernst, jenseits des politischen Diskurses gibt es außer Lobbyinteressen der Airlines eigentlich keine Argumente für eine separate Schlichtungsstelle. Eine unabhängige und verkehrsträgerübergreifende Streitbeilegung in einer einzigen Schlichtungsstelle ist für ein zeitnahes Ergebnis im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig. Für eine verkehrsträgerübergreifende Lösung spricht neben intermodalen Angeboten wie zum Beispiel Rail-and-Fly-Tickets vor allem die Neutralität gegenüber den verschiedenen Verkehrsträgern. Die Airlines sprachen immer davon, dass die söp zu teuer sei. Ich würde zu gerne deren Kalkulationen sehen. Denn eine einzige Stelle bedeutet neben dem Vermeiden von Parallelstrukturen auch betriebswirtschaftliche Skaleneffekte, die die Kosten für eine Schlichtung so niedrig wie möglich halten. So sind die sogenannten Overheadkosten bei einer zentralen Stelle deutlich geringer, als wenn man verschiedene, sektorspezifische Stellen einrichtet. Zugleich steigen aber Effizienz und Effektivität von Werbemaßnahmen. Das wichtigste Argument sind dabei aber die Reisenden: Sie sollten sofort wissen, an wen sie sich mit Verbraucherbeschwerden richten können - ganz unabhängig davon, welchen Verkehrsträger sie nutzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Tourismus empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5657, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4855 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 42 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stefan Liebich, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten - Umgang mit Gefangenen in palästinensischen Gefängnissen verändern - Drucksache 17/6340 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({0}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Heute müssen wir uns mit einem Antrag der Fraktion Die Linke beschäftigen, der sich - ganz ungewohnt von dieser Seite - gegen die Zustände in den Gefängnissen der palästinensischen Autonomiebehörde richtet. Inhaltlich bietet uns der Antrag aber keine neuen Erkenntnisse, und es wird auch nichts von der Bundesregierung gefordert, was sie nicht bereits umsetzt. Genau dies ist auch der Grund, warum wir den Antrag ablehnen, obwohl er in der Sache genau die Probleme benennt, die wir in der Koalition seit Langem und immer wieder ansprechen. Schon mit dem Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“, Drucksache 17/257 aus dem Dezember 2009, hat die Koalition, zusammen mit SPD und Grünen, die Bundesregierung aufgefordert, sich weiterhin konsequent für die Menschenrechte in allen Politikbereichen einzusetzen und in ihrem Regierungshandeln auch zukünftig auf die weltweite Abschaffung von Todesstrafe, Folter und unmenschlicher Behandlung hinzuwirken. „Die Todesstrafe weltweit ächten und abschaffen“, Drucksache 17/2331, war der nächste Antrag der Koalition im Juni 2010. Als letzten Antrag mit zugegebenermaßen starker europäischer Ausrichtung möchte ich noch auf die Drucksache 17/3423 verweisen, die im Oktober 2010 von der Koalition, zusammen mit SPD und Grünen, aus Anlass der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Menschenrechtskonvention verabschiedet worden ist. Dass die Bundesregierung auch ganz konkret die zum Teil menschenrechtswidrige Lage der vielen Menschen in palästinensischen Gefängnissen, in der Westbank wie in Gaza, stets im Blick hat und sich nachhaltig damit beschäftigt, ist gleich mehreren Dokumenten zu entnehmen: Zum einen heißt es im Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, dass immer wieder in den Gesprächen mit den Behörden im Gazastreifen auf die Einhaltung der Menschenrechte gedrängt und eine Abschaffung, zumindest jedoch eine Aussetzung der Todesstrafe gefordert wird. Zum anderen hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke vom 1. März 2011, Drucksache 17/4993, zu diesem Thema dargestellt, dass vor allem die Situation großer Teile der palästinensischen Sicherheitskräfte im Westjordanland defizitär sei. Die Tätigkeit der Sicherheitskräfte im Gazastreifen werde als Ganzes kritisch gesehen. Vor allem dort, aber auch im Westjordanland komme es regelmäßig zu politisch motivierten Festnahmen und Beeinträchtigungen der Medien- und Versammlungsfreiheit. Die Bundesregierung hat zugleich aber auch Verbesserungen in der Lage Gefangenen, vor allem im Westjordanland, erkannt und darauf hingewiesen, dass Menschenrechtsorganisationen in den letzten Monaten von einem deutlichen Rückgang von Folter und herabwürdigenden Behandlungen berichten. Es würde diese positiven Entwicklungen zweifellos eher gefährden als stützen, wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt durch Anträge wie den Ihren den Druck auf die Palästinenser noch einmal erhöhten. Die Forderungen, die von der Fraktion Die Linke im heutigen Antrag aufgestellt werden, sind somit weder notwendig noch der guten Sache förderlich. Durch die schlichte Wiederholung von Aufforderungen an die Bundesregierung, die von den anderen Parteien schon formuliert worden und die seit längerem dezidiert in die Politik der Regierung eingegangen sind, soll lediglich der - falsche - Eindruck erweckt werden, Regierung und Regierungskoalition wären sich der bedrückenden Lage der in den Palästinensergebieten inhaftierten Menschen nicht bewusst oder würden sich nicht klar und oft genug gegen die dort geschehenden Menschenrechtsverletzungen und die Todesstrafe aussprechen. Dies sind Unterstellungen, die im Gewand der Sorge um eine gute Sache daherkommen, die ich aber entschieden zurückweisen muss. Diesem Antrag liegt aber ein weiteres, noch weniger edles Motiv zugrunde; und meines Erachtens ist dies auch das eigentliche Motiv, das sich allerdings erst durch einen Blick hinter die Parteikulissen erschließt: Wir kennen alle die öffentlichen wie parteiinternen Debatten über die antisemitischen und antizionistischen Strömungen und Traditionen in der Partei Die Linke, die den inneren Zusammenhalt der Partei gefährden und ihre Umfragewerte sinken lassen. Diesen Antrag verstehe ich deshalb wohl nicht zu Unrecht als den Versuch einer in Panik geratenen Fraktion, sich mit einem Rundumschlag aus einer misslichen Lage zu befreien. Mit ihrer Kritik an der Lage der Gefangenen in den Palästinensergebieten, die sie nach meinem Gefühl etwas zu plötzlich als kritikwürdig entdeckt haben, versucht die Linke nun mit Macht, die in der Öffentlichkeit inzwischen vorherrschende Wahrnehmung zu korrigieren, dass Antizionismus und Antisemitismus in dieser Partei immer noch ein gewisses Heimatrecht genießen, das zu Besorgnis Anlass gibt. Kurz: Dieser Antrag dient auch dazu, das durch diese Debatte nicht unerheblich ramponierte Ansehen der Partei wiederherzustellen. Parteipolitisch ist dies zwar verständlich, politikethisch aber, da es für diese Erneuerungskur ganz offensichtlich konkrete, bedrückende Menschenrechtsprobleme instrumentalisiert, höchst bedenklich. So sehr ich als Sprecher meiner Fraktion in Menschenrechtsfragen und als Abgeordneter Nürnbergs, das sich als Stadt der Menschenrechte versteht, jedes Engagement für die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte von Herzen begrüße: Einer solchen Instrumentalisierung kann ich, können wir nicht folgen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Linken, in Menschenrechtsfragen überzeugt und konsequent hätten handeln wollen, dann hätten Sie zum Beispiel, um regional im Nahen Osten zu bleiben, in der Gilad-SchalitDebatte mit Union, FDP, SPD und Grünen dazu hinreichend Gelegenheit gehabt. Dass Ihr durch Ideologien belastetes Herz für Menschenrechtsfragen im Israel-Palästina-Konflikt aber recht einseitig und nachhaltig für die Palästinenser schlägt, haben Sie damals in Ihrem eigenen Antrag durch den Satz, die Freilassung Schalits würde ein „humanitäres Zeichen“ für die Entlassung „palästinensischer politischer Gefangener“ sein, mehr als eindringlich deutlich gemacht. Für die Realpolitik der Linkspartei mag es ohne Belang sein, ob sie im Bundestag mal Menschenrechte in Palästina kritisiert oder mal eben die Färöer-Inseln aufs Festland verlegen möchte. Nur würde sie sich mit der zweiten Forderung lächerlich machen, während sie mit der ersten ihren Anhängern Toleranz und der Öffentlichkeit gelungene Entideologisierung vorgaukelt. Hier werden wir nicht mitmachen. Eine Partei, die daheim nicht einmal in der Lage ist, vernünftige innenpolitische Vorschläge zu machen, sondern sich einseitig auf Umverteilung und Gleichmacherei versteift, sollte sich, wenn sie ernsthaft an Menschenrechtsfragen im Nahostkonflikt mitarbeiten will, erst einmal konsequent von ihren ideologischen Spätlasten, erst recht aber von ihrer Neigung zu parteipolitischen Kurzschlussaktionen lösen. Sehr geehrte Damen und Herren der Linken: Wenn es Ihnen allein um die gute Sache, die Menschenrechte, gegangen wäre und nicht zugleich auch um das Kitten interner Zersplitterungen und das Aufpolieren des eigenen Images, dann hätten Sie schon damals den von mir genannten Anträgen der Koalition zustimmen können, ja müssen.

Dr. Egon Jüttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In ihrem Antrag, der Gegenstand der heutigen Debatte ist, thematisiert die Fraktion Die Linke die Situation von Häftlingen, die in palästinensischen Gefängnissen einsitzen. Auch die CDU/CSU-Fraktion beklagt die Zu Protokoll gegebene Reden offensichtlichen Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der Menschenrechte in den unter der Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde, PA, stehenden Gebieten. Die Staatlichkeit in Gaza und im Westjordanland ist stark eingeschränkt. Die jahrelangen Konfrontationen zwischen den rivalisierenden Kräften der Hamas und der Fatah haben die Staatlichkeit und die Stabilität in der Region zusätzlich beschädigt. Nach wie vor werden Menschen in den palästinensischen Gebieten zum Tode verurteilt. Sicherheitskräfte der von der Fatah dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde nehmen im Westjordanland Anhänger der Hamas fest. Die Hamas handelt in gleicher Weise in Gaza mit Verhaftungen von Personen, denen sie Verbindungen zur Fatah vorwirft. In Gaza sind nach Angaben von Amnesty International 2010 mindestens elf Todesurteile ausgesprochen worden, fünf Menschen wurden bislang hingerichtet. In keinem der Fälle haben die Gerichtsverfahren den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprochen. Sowohl im Westjordanland als auch in Gaza haben die Sicherheitskräfte weitreichende Befugnisse. So können sie beispielsweise Personen auf den bloßen Verdacht einer Zusammenarbeit mit Israel hin inhaftieren. Die Unabhängige Kommission für Menschenrechte, ICHR, zählte mehr als 1 400 Beschwerden wegen willkürlicher Festnahmen im Westjordanland und über 300 Beschwerden im Gazastreifen. Die Verantwortlichen für Folter und andere Misshandlungen bleiben in den meisten Fällen straffrei. Die Situation in den palästinensischen Gefängnissen ist dramatisch. Diese Zustände sind nur Ausdruck der eigentlichen und viel weiter reichenden Problematik. Es geht hier primär um die bislang nicht gelungene Umsetzung einer Zweistaatenlösung, also der Errichtung eines eigenständigen, demokratischen und souveränen palästinensischen Staates und der Aussöhnung der Palästinenser untereinander. Die deutsche Bundesregierung spricht sich deutlich für diesen Schritt aus. Die Entwicklungen der vergangenen Monate geben Anlass zur Hoffnung: Am 4. Mai dieses Jahres unterzeichneten Vertreter der verfeindeten Gruppierungen Hamas und Fatah ein Versöhnungsabkommen. Dieses birgt die Chance, die Spaltung der palästinensischen Gebiete zu beenden und Wahlen durchzuführen. Das Abkommen sieht eine Übergangsregierung vor, die als Hauptaufgabe die Vorbereitung von Wahlen koordiniert. Zudem soll die Blockade des Gazastreifens überwunden werden. Die Demokratisierungsprozesse des „arabischen Frühlings“ könnten diese Entwicklung zusätzlich positiv beeinflussen. Die Bundesregierung hat bereits viel unternommen, um die Verhandlungen um den Nahostkonflikt neu zu beleben und konstruktiv weiterzuführen. Sie unterstützt auch den Aufruf von US-Präsident Barack Obama an Israel und die Palästinenser, die Wiederaufnahme des Friedensprozesses voranzutreiben. Das Versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der nächste Schritt muss sein, dass die Hamas vor den entscheidenden Verhandlungen der Gewalt gegen Israel abschwört. Vergangene Woche wurde im Plenum ein Antrag der Linken debattiert, der eine einseitige Anerkennung des palästinensischen Staates durch die Generalversammlung der UN im September dieses Jahres fordert. Dieses Vorgehen dient dem Anliegen, den Friedensprozess voranzutreiben, nicht. Der Friedensprozess kann nur fortgeführt werden, wenn beide Konfliktparteien wieder in direkte Verhandlungen miteinander treten. Einseitige Schritte würden im Nahostfriedensprozess in eine Sackgasse führen und die Positionen gegebenenfalls zusätzlich verhärten. Es ist für den weiteren Verlauf der Verhandlungen wichtig, dass beide Seiten vor der UN-Versammlung im September wieder in einen direkten Dialog treten. In diesem Zusammenhang ist auch eine gemeinsame Position der Länder der Europäischen Union unabdingbar. Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen muss sein, dass durch die Existenz eines palästinensischen Staates die Sicherheit Israels nicht beeinträchtigt wird. Hier trägt Deutschland eine besondere historische Verantwortung, die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Rede in der Knesset im März 2008 als „Teil der Staatsräson meines Landes“ bezeichnet hat, die nicht verhandelbar sei. Die Koalitionsfraktionen haben mit ihrem Antrag „Todesstrafe weltweit ächten und abschaffen“ deutlich gemacht, dass die Todesstrafe eine inakzeptable Form der Bestrafung ist. Sie ist eine besondere Form von Menschenrechtsverletzung und mit unseren Werten in keiner Weise vereinbar. In ihrem Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“ fordern die Koalitionsfraktionen die Ächtung der Todesstrafe in den betreffenden Ländern und sprechen sich für ein absolutes Folterverbot aus. Leider hat die Fraktion Die Linke keinen der beiden Anträge unterstützt. Der vorliegende Antrag der Linken muss daher im Kontext der vorangegangenen parlamentarischen Debatten gesehen werden, weshalb wir ihm nicht zustimmen werden.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bevor ich zum vorliegenden Antrag zur Situation von Gefangenen in den palästinensischen Gefängnissen komme, möchte ich zwei kurze Vorbemerkungen machen: Erstens. Palästina ist in einer entscheidenden Phase für seine Zukunft angekommen. Wie in vielen arabischen Nachbarstaaten hat der Druck von der Straße die Machthaber zu Zugeständnissen gezwungen. Dabei spielten insbesondere junge Menschen eine Rolle. Im Falle Palästinas forderten sie Fatah und Hamas auf, eine einheitliche Regierung für Gaza und das Westjordanland zu schaffen, weil sie der Spaltung ihrer Regierung und ihres Landes überdrüssig waren und ein Entwicklungshemmnis für sich darin sahen. Zweitens. Palästina ist völkerrechtlich noch immer kein souveräner Staat. Diese Aussage soll nichts entschuldigen, doch ist es ein Unterschied, ob man den Umgang eines souveränen und international anerkannten Staates oder den Umgang einer Autonomiebehörde mit ihren Inhaftierten kritisiert. Zu Protokoll gegebene Reden Wir sehen seitens der SPD-Bundestagsfraktion im aktuellen Ringen der Palästinenser um ihre politische Neuordnung und ihre Souveränität eine Chance, den Nahost-Friedensverhandlungen neuen Schwung zu verleihen, wie es in unserem in der letzten Woche debattierten Antrag heißt. Ich hoffe darüber hinaus, dass sich mit den aktuellen politischen Veränderungen auch Chancen zur Verbesserung der Situation von Gefangenen in palästinensischen Gefängnissen ergeben. Und damit komme ich zu Ihrem Antrag: Grundsätzlich unterstützen wir seitens der SPD-Bundestagsfraktion die Forderungen des hier debattierten Linken-Antrages. Auch für uns steht es außer Frage, dass Menschen- und Bürgerrechte beachtet werden, keine willkürlichen oder politisch motivierten Verhaftungen erfolgen, keine Todesurteile mehr gefällt und vollstreckt bzw. verhängte Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt werden, Gefangene gemäß internationaler Rechtsnormen nicht misshandelt und gefoltert werden und Sicherheitskräfte und Justizbehörden in die Lage versetzt werden, die einschlägigen internationalen und palästinensischen Rechtsstandards für ordentliche Verfahrensabläufe und korrekte Behandlung von Betroffenen einzuhalten. Da sind wir ganz nahe beieinander. Die Anwendung der Todesstrafe verurteilen wir seitens der SPD-Bundestagsfraktion auf das Schärfste, und nicht nur gegenüber Palästinensern. Ich weiß nicht, welchen Beitrag die Linksfraktion und ihre Vorgänger in der Vergangenheit zum Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen in den palästinensischen Gebieten geleistet haben. Die SPD hat jedenfalls in ihrer Regierungsverantwortung in Bund und Ländern eine ganze Reihe von Projekten zum Verwaltungsaufbau und zur Förderung rechtsstaatlicher Strukturen im Westjordanland initiiert - und zwar unter den schwierigen Voraussetzungen der Besatzung. Doch wir dürfen wohl nicht davon ausgehen, dass jegliche Gefangenschaft in den Palästinensergebieten innerhalb der beginnenden und schwachen staatlichen Strukturen organisiert wird. Und an dieser Stelle leidet Ihr Antrag an einem analytischen Mangel. Er tut so, als finde der Justizvollzug so wie bei uns in Deutschland im Rahmen der Verwaltung der Autonomiebehörde statt. Dies ist jedoch wahrscheinlich nur bei einem Teil der Gefangenen der Fall. Niemand von uns weiß zum Beispiel genau, wie viele Gefangene sich in Gewahrsam der Hamas befinden und wie diese dort mit ihren Gefangenen umgeht. Ich ahne hier nichts Gutes. Mehr als Ahnungen hierzu sind auch in Ihrem Antrag nicht zu finden. Und genau dies ist das Problem: Es gibt vor allem im Gazastreifen leider kaum nachvollziehbare Verantwortlichkeiten im Justizvollzug. Dies müsste als Erstes geändert werden. Insofern liegt im Aufbau eines rechtsstaatlichen Justizvollzugs für die Zukunft ein sehr wichtiges Kooperationsfeld. Zum Schluss noch einige Sätze zum Kontext ihres Antrages: Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass die Fraktion Die Linke im Oktober 2010 einen Antrag zur Situation palästinensischer politischer Häftlinge in israelischen Gefängnissen vorlegt und es ihr über ein halbes Jahr später auffällt, dass auch in Palästina selbst - insbesondere im Gazastreifen - unhaltbare Verhältnisse herrschen. Kann es sein, dass diese plötzliche Horizonterweiterung mit der aktuellen innerparteilichen Positionsfindung der Linkspartei zu Israel, den Vorwürfen des Antisemitismus gegen einzelne Mitglieder und ihrer bisherigen Fixierung auf Palästinenser als Opfer zusammenhängt?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir beschäftigen uns zum wiederholten Male mit der Lage im Nahen Osten, und das ist auch richtig so. Dieser Konflikt enthält viele unterschiedliche Aspekte und regionale Komponenten. Einen davon greifen die Kolleginnen und Kollegen von der Linken auf. Lassen Sie mich sagen, dass ich froh bin, dass Sie auch einmal auf die andere, die palästinensische Seite schauen und Forderungen an sie stellen. Wir alle kennen die Auseinandersetzungen ihrer Fraktion über den Staat Israel. Es ist sogar so weit, dass Gregor Gysi vorschlagen musste, das Existenzrecht Israels im Parteiprogramm von der Linken festzuschreiben. Die Bundesregierung und auch das Parlament haben bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass sie den Aufbau eines unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen Staates Palästina als ein zentrales Element bei der dauerhaften Lösung des Nahostkonfliktes sehen. Deshalb ist die Bundesregierung schließlich der größte bilaterale Geber für den palästinensischen Staatsaufbau innerhalb der Europäischen Union. Deshalb legt sie die Schwerpunkte des deutschen Engagements auch auf gute Regierungsführung und das Training und gerade die Unterstützung der palästinensischen Polizei als bürgernahen Garanten von staatlicher Ordnung. Um die Palästinenser bei dem Aufbau ihres Staates zu unterstützen, hat die Bundesregierung schon im letzten Jahr den deutsch-palästinensischen Lenkungsausschuss eingerichtet. Ein Ergebnis dieses Instruments sind die Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung ganz konkret bei dem Aufbau der Polizei in der West Bank mitarbeitet. Die GIZ ist für den Bau von vier Polizeistationen im Raum Jenin und einer „Modellwache“ in Jericho verantwortlich. Es wurden Funkgeräte und Streifenwagen besorgt sowie ein System zur automatischen Fingerabdruckidentifizierung angeschafft. Bis Ende des Jahres werden 15 Millionen Euro für den Polizeiaufbau abgeflossen sein. Das Auswärtige Amt hat das Programm „Zukunft für Palästina“ eingerichtet. Als Teil dieses Programms nehmen palästinensische Polizisten an Lehrgängen teil. Diese Lehrgänge finden sowohl in den palästinensischen Autonomiegebieten als auch in Deutschland statt. Anfang dieses Jahres haben zum Beispiel palästinensische Polizisten den Umgang mit Fingerabdrücken in Oranienburg gelernt. Die Bundesregierung legt großen Wert darauf, dass die Vermittlung rechtsstaatlicher Standards Teil dieser Lehrgänge ist. Das deutsche Engagement bei dem Aufbau der Polizeiinfrastruktur in den palästinensischen Gebieten ist Zu Protokoll gegebene Reden derart erfolgreich, dass es in den USA und den Niederlanden als Vorbild gilt. Über den deutsch-palästinensischen Lenkungsausschuss hinaus engagiert sich Deutschland als Mitglied der Europäischen Union ebenfalls für die Errichtung eines unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen Staates Palästina, der seinen Bürgerinnen und Bürgern rechtstaatliche Grundsätze garantiert. Das EU-Programm EUPOL COPPS bietet Training und Beratung an, um den Palästinensern bei dem Aufbau tragfähiger Polizeistrukturen zu helfen.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Nahostkonflikt beschäftigt uns hier immer wieder. Das ist auch gut, denn darin kommt die besondere Verantwortung Deutschlands für eine sichere Heimstadt der Jüdinnen und Juden in Israel zum Ausdruck. Wir wissen um unsere Verantwortung, die aus der Vergangenheit unseres Landes resultiert. Zahlreiche Facetten des Konfliktes standen und stehen im Fokus der Debatten. Ein Thema scheint mir jedoch unterbelichtet, das ist die innere Verfasstheit der palästinensischen Gesellschaft. Diese Frage ist jedoch für ein friedliches Miteinander der Bürgerinnen und Bürger in dem im Werden befindlichen Staat sehr wichtig. Und wenn es endlich eine Friedensregelung in der Region geben sollte, dann nur auf Basis einer Zweistaatenlösung, das heißt mit einem lebensfähigen Staat Palästina. Dieser Staat muss seinen Bürgerinnen und Bürgern politische und soziale Grundrechte ermöglichen. Und hier liegt einiges im Argen. Zur nachhaltigen äußeren Konfliktregelung gehören aber immer auch innerer Ausgleich, soziale und wirtschaftliche Perspektiven für die Palästinenserinnen und Palästinenser einerseits und Partizipation andererseits; davon bin ich überzeugt. Und da wir nicht mit zweierlei Maß messen, sprechen wir dies hier genauso klar an wie in anderen Regionen der Erde. Die Freiheit der Meinungen, der politischen Entscheidungen, der Medien sind im Gazastreifen und der Westbank unter dem Eindruck einer Bürgerkriegssituation - vorsichtig formuliert - eingeschränkt. Leidtragende von Gewalt, der Klientelwirtschaft, Paternalismus, der Nichtachtung der Würde des Menschen sind Palästinenserinnen und Palästinenser. Ein trauriger Tiefpunkt der Entwicklungen war der opferreiche Bruderkrieg zwischen Hamas und Fatah. Mit der jüngst gefundenen Vereinbarung zwischen diesen Kontrahenten ist es jedoch nicht getan. Der minimale Interessenausgleich der beiden mächtigsten Fraktionen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft mag eine Machtteilung sein, aber er führt nicht automatisch zu Versöhnung, Transparenz oder gar Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Hier bleibt noch viel zu tun. Dem soll unser Antrag dienen. Wir sprechen hier einen Aspekt an, der allen Abgeordneten des Bundestages am Herzen liegen dürfte: der Umgang mit Gefangenen. Hier zeigt sich besonders, ob die Verantwortlichen eines Staates in der Lage und gewillt sind, Grundrechte durchzusetzen. Und das gilt auch für die palästinensischen Autoritäten. Das aktuelle Bild ist allerdings bedrückend. Vor allem die palästinensisch-israelischen Auseinandersetzungen, aber auch der Kampf zwischen Fatah und Hamas führten und führen dazu, dass Palästinenserinnen und Palästinenser wegen Verdachts der Kollaboration verhaftet, länger als zu lässig inhaftiert, in Haft misshandelt, ja sogar zum Tode verurteilt und auch hingerichtet werden. Bestehende palästinensische Rechtsgrundlagen für Haftvoraussetzungen oder Normen, die Misshandlung ausschließen sollen, werden nicht eingehalten. Ein Beispiel. Nach palästinensischem Recht ist eine Unterschrift des Präsidenten der Autonomiebehörde erforderlich, um Todesurteilen - die wir ja generell ablehnen - Rechtskraft zu verleihen. Und obwohl es diese nicht gab, sind mehrere Todesurteile im Gazastreifen vollstreckt worden, gerade erst wieder vor einigen Wochen. Die Berichte von Amnesty International, aber auch von palästinensischen Bürgerrechtsorganisationen selbst zeigen viele weitere massive Menschenrechtsverletzungen auf. Adressaten hierfür sind sowohl die Autoritäten im Gazastreifen, aber auch der Westbank. Uns ist es wichtig, auf die Versäumnisse, Probleme und Fehlentwicklungen hinzuweisen. Natürlich wissen wir, dass die Besatzungs- und Bürgerkriegssituation ein schwieriges Umfeld abgibt. Wir finden aber eben auch, dass dies nicht zur Relativierung von Verletzungen der Rechte der Palästinenserinnen und Palästinenser herangezogen werden darf. Gerade auf dem Weg zu einem eigenen Staat muss von Anfang an die politische Partizipation gesichert sein und müssen die Menschen- und Grundrechte eingehalten werden. Deutschland hat im bilateralen Verhältnis, aber auch über die Europäische Union Einflussmöglichkeiten, um demokratische und rechtsstaatliche Entwicklungen zu unterstützen und entsprechende Strukturen zu entwickeln. Ich bitte um wohlwollende Beratung unseres Antrags in den zuständigen Ausschüssen und dann um ihre Zustimmung. Ich finde, wir sollten uns in grundlegenden Menschenrechtsfragen mit möglichst großer Mehrheit an internationale Partner wenden. Das verliehe unseren Forderungen ein größeres Gewicht. Und das wäre in diesem Fall, da bin ich mir sicher, ein Beitrag zu einem nachhaltigen Frieden und einem guten Zusammenleben der Menschen in Israel und seinen Nachbarstaaten der Region.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin sehr froh, dass der Antrag der Fraktion Die Linke „Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten - Umgang mit Gefangenen in palästinensischen Gefängnissen verändern“ ein Thema aufgreift, dem in der Regel bei der Auseinandersetzung um den israelisch-palästinensischen Konflikt viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die UNO, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds haben der palästinensischen AuZu Protokoll gegebene Reden Kerstin Müller ({0}) tonomiebehörde bescheinigt, sie erfülle die Vorausset- zungen, um einen unabhängigen Staat regieren zu können. Über die Absicht der Palästinenser, die Frage der Anerkennung eines palästinensischen Staates vor die UNO zu bringen, haben wir hier in der vergangenen Woche debattiert. Das Thema der Behandlung palästi- nensischer Gefangener in palästinensischen Gefängnis- sen ist eindeutig ein Defizit beim bisherigen Staatsauf- bau in den palästinensischen Gebieten. Nicht zuletzt ist die besorgniserregende Situation in den Gefängnissen auch ein Ausdruck der innerpalästinensischen Spaltung zwischen Fatah und Hamas. Denn diese hat sich negativ auf die Behandlung von Gefangenen in der Westbank und im Gazastreifen ausgewirkt. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al Haq veröffentlichte im Juli 2008 einen Bericht mit dem Titel „Torturing Each Other: The Widespread Practices of Arbitrary Detention and Torture in the Palestinian Territory“. Darin wird nach der Machtübernahme von Hamas im Gazastreifen eine deutliche Zunahme der Fol- ter von Gefangenen in Gefängnissen sowohl im Gaza- streifen wie in der Westbank beschrieben, Folter wurde zu einem Instrument der Rache an dem vermeintlich politischen Gegner. Nach dem Amnesty-International- Report 2010 halten schwere Menschenrechtsverletzun- gen bis heute an. Wer sich mit offiziellen israelischen und palästinensi- schen Vertretern trifft und dabei das Thema Menschen- rechtsverletzungen anspricht, wird immer wieder und zum Teil fast wortgleich mit folgenden Argumenten kon- frontiert: Sie müssen verstehen, dass wir uns im Nahen Osten, in einer Krisenregion befinden und nicht in der Schweiz oder in Norwegen. Von palästinensischer Seite wird meist noch auf die andauernde israelische Besat- zung verwiesen. Kann dies eine Rechtfertigung für den Umgang mit Gefangenen sein, wenn rechtsstaatliche und Menschenrechtsprinzipien eklatant verletzt wur- den? Nein, selbstverständlich nicht! Eine Rechtfertigung für Menschenrechtsverletzungen gibt es grundsätzlich nicht. Denn Menschenrechte sind universell, Und sie dürfen weder durch sogenannte kulturelle Eigenheiten noch durch besondere Konfliktlagen relativiert werden. Im Gegenteil: Die Einhaltung von Demokratie- und Menschenrechtsstandards ist zwingende Voraussetzung für einen erfolgreichen Staatsaufbau. Und dazu gehört auch die Verbesserung der Lage der Gefangenen in pa- lästinensischen Gefängnissen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist der stockende Prozess der Gesetzgebung. Denn seit dem Wahlsieg von Hamas im Januar 2006 und der anschließenden Verhaf- tung zahlreicher der Hamas angehörenden Parlamenta- rier durch Israel ist das palästinensische Parlament in seiner Arbeitsfähigkeit stark eingeschränkt. Es gibt fak- tisch keinen Gesetzgebungsprozess mehr. Auf die damit verbundenen Probleme hat schon vor zwei Jahren der damalige Leiter der auch von Deutschland unterstützten European Union Police Coordinating Office for Palesti- nian Police Support, EUPOL COPPS, hingewiesen. Aus diesem Grund wurde nach dem Amtsantritt des palästi- nensischen Ministerpräsidenten Fayad das EUPOL- COPPS-Mandat erweitert. Es wurden zahlreiche Juris- ten aus verschiedenen EU-Staaten hinzugezogen, die Vorschläge zu Gesetzesbestimmungen zur Frage der Verteidigung von Angeklagten, den Rechten der Polizei, polizeilichen Ermittlungen usw. erarbeitet haben, Die Verabschiedung dieser Gesetze scheitert aber bislang daran, dass es kein funktionsfähiges Parlament gibt. Es ist zu begrüßen, dass Fatah und Hamas vor dem Hintergrund des arabischen Frühlings im April eine Versöhnungsvereinbarung getroffen haben und die Bil- dung einer Übergangsregierung mit dem Ziel der Aus- richtung von Wahlen beschlossen haben. Aber klar ist auch: Beide Seiten und auch eine neue Einheitsregie- rung müssen sich tatsächlich daran machen, Demokra- tie und Rechtsstaat aufzubauen. Erst die Einhaltung von Menschenrechten durch palästinensische Behörden ist Voraussetzung für eine tatsächliche innerpalästinensi- sche Versöhnung und eine nachhaltige Entwicklung des Landes. Die Bundesregierung sollte die Palästinenser hierbei unterstützen. Denn die Einhaltung dieser grund- legenden Prinzipien sind letztlich auch Voraussetzung für eine Friedenslösung zwischen Palästinensern und Is- raelis im Sinne einer Zweitsaatenlösung auf der Basis der Grenzen von 1967.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6340 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 43 a bis c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zucht mit Schweinen mit Maligne-Hyperthermie-Syndrom ({0}) verhindern - Drucksache 17/6344 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Dr. Harald Terpe, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dokumentation der Antibiotika-Vergabe in der Tierhaltung transparent gestalten - Son- derregelungen für die Geflügelindustrie strei- chen - Drucksache 17/6443 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ostendorff, Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Intensive Nutztierproduktion überprüfen - Drucksachen 17/5047, 17/5574 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Hans-Michael Goldmann Friedrich Ostendorff

Josef Rief (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute einmal mehr drei Anträge der Grünen, die primär zum Ziel haben, die Mehrheit der deutschen Tierzüchter zu stigmatisieren. Um es Ihnen gleich zu sagen: Wir lehnen Ihre Anträge ab! Nutztierhaltung in Deutschland erfolgt heute fachlich, hygienisch und in Bezug auf Tierschutz auf sehr hohem Niveau. Das gilt für jede Haltungsform und hat mit der Anzahl der Tiere, die in einem Stall gehalten werden, rein gar nichts zu tun. Ich will noch einmal für meine Fraktion sagen: Wir überlassen es im Rahmen der Gesetze und Vorschriften der unternehmerischen Freiheit der Landwirte, wie viele Tiere sie halten möchten, ob sie dies konventionell oder als Biobetrieb, intensiv oder extensiv tun. Sicher ist aber, dass jeder Weg seine Bestätigung am Markt und am Ende beim Verbraucher finden muss. Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen und die Einhaltung kontrollieren. Von einer Intensivierung der Nutztierhaltung, wie die Grünen sie beklagen, kann flächendeckend keine Rede sein. So ist der Tierbesatz in Deutschland seit der Wiedervereinigung zurückgegangen. Dies betrifft vor allem die neuen Bundesländer. Hier muss man von einer geringeren Intensität der Nutztierhaltung sprechen. Wie wir schon in den Ausschussberatungen angeführt haben, wünschen wir uns eine Zunahme der Veredelung in diesen Regionen, um auch hier attraktive Arbeitsplätze im Umfeld der Landwirtschaft zu erhalten und neu zu schaffen und die meist geringe Wertschöpfung in diesen Räumen zu erhöhen. Die Grünen fordern in ihrem Antrag eine bundesgesetzliche Lösung, um Tierhaltungsbetriebe in den Kommunen zu verhindern. Ich frage mich, ob dies nur von wenig kommunalpolitischer Erfahrung zeugt oder einfach ein weiterer Punkt des Anprangerns der Tierhalter ist. Die Kommunen, die Stadt-, Gemeinde- und Ortschafträte sind auch heute schon ausreichend in die Lage versetzt, den Bau von Ställen maßgeblich zu steuern. Wir brauchen hier keine weiteren Regelungen. Es ist schon erstaunlich, dass dieselben Kollegen, die Geruchs- und Lärmbelästigung durch Mastbetriebe beklagen, auch jedesmal das Bauen im Außenbereich infrage stellen. Es ist immer auch im Sinne der Landwirte, dass eine gute Nachbarschaft und eine hohe Akzeptanz vor Ort gegeben ist. Deshalb unternehmen die Bauern und im Normalfall auch die Behörden viele Maßnahmen, um mögliche Beeinträchtigungen zu minimieren. Von den Gegnern wird dann wieder unterstellt, man wolle im Verborgenen handeln. Dem ist nicht so! Unser Baurecht umfasst maximale Transparenz. Wir brauchen aber auch Rechtssicherheit. Als praktizierender Landwirt, der über 30 Jahre einen eigenen Betrieb führt, weiß ich, dass der Tierschutz in unseren deutschen Ställen noch nie auf höherem Niveau war. Trotzdem gibt es immer wieder neue Erkenntnisse darüber, was tiergerecht ist und wo Verbesserungen nötig oder möglich sind. Hier müssen wir auch weiter am Ball bleiben. Daher begrüßen wir die Initiative unserer Ministerin Ilse Aigner, die den Tierschutz weiter vorantreiben will. Es ist aber für die Konkurrenzfähigkeit unserer Betriebe wichtig, immer die europäischen Standards im Blick zu haben und weiter zu entwickeln und nicht nationale Alleingänge zu unternehmen. Ich erinnere nur an die Situation bei der Legehennenhaltung, die uns einen Absturz beim Selbstversorgungsgrad bei Hühnereiern auf 50 Prozent beschert hat, der noch vor fünf Jahren bei über 70 Prozent lag. Das hat Existenzen, Arbeitsplätze und Wertschöpfung gekostet und für den Tierschutz nichts gebracht. Ich bin sicher, dass die Bundesregierung in Brüssel immer für europaweite Regelungen eintreten wird. Ich bin auch davon überzeugt, dass die überwältigende Anzahl der Tierhalter ihre Tiere mögen, ihnen mit Achtung begegnen und sie schützen! Nur gut gehaltene Tiere bringen die entsprechende Leistung. Es nützt uns nichts, wenn Sie die Bevölkerung weiter verunsichern! Auch in den Medien wird in diesem Bereich nicht immer objektiv berichtet. Öffnen dann aber Schweinezüchter oder etwa, wie in der Fernsehsendung „Panorama“ zu sehen, in dieser Woche Ferkelproduzenten bereitwillig die Stalltüren, sind die Menschen überrascht, wie sauber, unaufgeregt und tiergerecht moderne Schweinehaltung heutzutage ist. Wenn wir weiter an der Fortentwicklung von Standards arbeiten und in der Landwirtschaft das hohe Ausbildungsniveau beibehalten, wird auch in Zukunft eine tiergerechte, konkurrenzfähige Nutztierhaltung möglich sein, die den Verbraucher mit gesunden, schmackhaften Lebensmitteln zu akzeptablen Preisen versorgt und mit Umwelt und Nachbarschaft in Einklang ist. Das ist nicht nur eine Floskel! Noch nie waren Landwirte an ein so umfangreiches Regelwerk gebunden! Noch nie waren Standards so hoch wie heute! Meine Damen und Herren von den Grünen: Ihre Anträge beruhen nicht etwa auf dem Streben nach Verbesserung. Sie wollen aus purer Ideologie den uralten Kampf „Bio gegen konventionell“ und „romantische Hobbybetriebe gegen die bösen Mastbetriebe, aus denen sich oft kaum eine Familie ernähren kann“ weiter anfachen. Wie erklärt sich sonst auch Ihr Antrag zum Malignen-Hyperthermiesyndrom bei der Schweinerasse Piétrain? Jeder Fachmann kann bestätigen, dass diese Krankheit in der Praxis keine Rolle spielt. Jeder Landwirt kann mit einem Blick wissen und entscheiden, ob der eingesetzte Eber reinerbig stressunempfindlich, misch14120 erbig stressunempfindlich oder stressempfindlich ist. Niemand hat ein Interesse, kranke Tiere weiter zu züchten und wird schon zur Gesunderhaltung seines Tierbestandes darauf achten, dass dies nicht vorkommt. Sicher gibt es Zuchtlinien, in denen die Krankheit vorkommen kann. Eine Weiterzucht wird in der Praxis aber vermieden. Bei jeglicher Zucht geht es vorrangig um gesunde Tiere. Alles andere wäre Unsinn. Die Zuchtergebnisse müssen wirtschaftlich sein, und die Tiere müssen Stress vertragen können. Wir sehen hier keinen Handlungsbedarf. Es ist schon im Interesse der Schweinezüchter, ihre Linien gesund zu halten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass hier große Erfolge erzielt wurden. Fleischfülle und Stressunempfindlichkeit wurden erfolgreich vereint, was sich züchterisch früher ausschloss. Sicher ist Ihr Antrag Arbeitsbeschaffung vor der Sommerpause. Gleiches sehe ich auch bei Ihrem Antrag zur Dokumentation von Tierarzneimitteln. Hier wurden die Dokumentationspflichten gerade verschärft, und die Bundesregierung hat Ihnen bereits geantwortet, dass im Rahmen der Deutschen Antibiotikaresistenzstrategie weitere Maßnahmen einen Überblick über dieses Thema geben werden. Hier sehen wir ebenfalls keinen Handlungsbedarf, und deshalb lehnen wir auch diesen Antrag ab. Wir brauchen hier nicht noch mehr Bürokratie, die niemandem - weder Tier noch Tiergesundheit, weder Verbrauchern noch Bauern - nutzt! Weniger wäre hier mehr!

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Verantwortlichen in der Schweinezucht haben bereits seit Jahrzehnten ein besonderes Augenmerk auf das Maligne-Hyperthermiesyndrom gerichtet, und dies hat mehrere Gründe: Zum einen steigt durch diesen Gendefekt die Mortalitätsrate bei reinrassigen Merkmalsträgern erheblich an. Das bedeutet: Bis zu einem Zehntel der reinrassigen Piétrain-Eber sterben frühzeitig, weil ihnen in entsprechenden Stresssituationen der Stoffwechsel entgleitet. Sie verenden in einem Krampfzustand, ohne dass es eine sinnvolle Therapiemöglichkeit gibt. Zum anderen bleibt festzuhalten, dass dieser Gendefekt sich auch negativ auf die Fleischbeschaffenheit auswirkt. Die Korrelation zwischen der mangelnden Fleischqualität und der Fähigkeit, schnell Fleisch anzusetzen, ist bekannt. Früher wurden die stressresistenten Tiere umständlich mit dem Halothantest selektiert. Heute sind die Gensequenzanalyseverfahren so ausgereift, dass wir genau wissen, in welchen Populationen und Zuchtlinien sich dieser Gendefekt häuft. Eine genaue Identifikation ist wichtig. Denn nur so lässt sich das Ziel der weiteren Zucht umsetzen: Weg mit dem Gendefekt! Die Züchtervereinigungen und Zuchtunternehmen müssen ihre Zuchtziele neu definieren, damit sie den Gendefekt aus ihren Zuchtlinien und Populationen herauszüchten. Aus meiner Sicht muss die Zucht derjenigen Schweine grundsätzlich verboten werden, die stressanfällig sind. Die gegenwärtige Zuchtausrichtung wirft aber nicht nur beim Hausschwein Fragen auf. Wir müssen auch andere, nicht wünschenswerte Entwicklungen in der Zucht unserer landwirtschaftlichen Nutztiere kritisch hinterfragen. An dieser Stelle sind die Zucht auf einen größtmöglichen Brustansatz bei Puten, die maximale Legeleistung bei Hennen oder die höchste Milchleistung unserer Kühe zu nennen. Ich bin natürlich für eine leistungsorientierte Zucht, aber der Leistungsbegriff kann sich nicht nur auf ein Immer-mehr und Immer-größer beschränken. Nach meiner Überzeugung muss sich die Zucht langfristig an einem erweiterten Leistungsbegriff orientieren. Wir müssen darauf achten, dass am Ende die Leistungsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Nutztiere nicht dauerhaft überschritten wird. Wir müssen eine breite Debatte darüber führen, was überhaupt noch erstrebenswert und ethisch vertretbar ist. Es kann nicht sein, dass wir unsere landwirtschaftlichen Nutztiere während ihrer Lebenszeit überfordern und ihre gesamte Konstitution auf die maximale Wirtschaftlichkeit trimmen. Das erfreut zwar den Tierarzt, aber erhöht das Leiden der Tiere. Ein erweiterter Leistungsbegriff muss beispielsweise das Ziel der Langlebigkeit bei Rindern stärker in den Fokus rücken. Die Zuchtziele müssen neu definiert und dann im deutschen Tierzuchtgesetz verankert werden. Gleichzeitig müssen wir eine europaweite Initiative für dieses wichtige Anliegen starten. Wir Sozialdemokraten werden dieses Thema in Zukunft auch unter dem Aspekt des Tierschutzes aufgreifen. Heute stimmen wir dem vorgelegten Antrag zu.

Heinz Paula (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003606, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beschriebene Situation in einigen Regionen Deutschlands ist uns bewusst. Die zunehmende Ansiedlung großer Tierhaltungsanlagen ist als äußerst problematisch zu bewerten, und wir erkennen dringenden Handlungsbedarf. „Intensive Nutztierproduktion“, wie Sie es nennen, hat negative Auswirkungen auf viele Bereiche. Die Tiere leiden aufgrund hoher Besatzdichte zum Teil unvorstellbare Qualen. Ihnen werden Schwänze und Schnäbel gekürzt, damit sie sich nicht gegenseitig verletzen. Die Umwelt wird mit Gülle und Mist überfrachtet. Die Menschen kritisieren die Verschandelung der Landschaft und leiden an dem Ausstoß von Aerosolen. Ich muss Sie nicht daran erinnern, dass Tierschutz Staatsziel und somit Staatsaufgabe ist. Im Tierschutzgesetz ist festgehalten, dass niemand Tieren ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Daran müssen wir uns halten. Die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten artgerechte Haltungsformen. Im Jahr 2007 bezeichneten in einer Emnid-Umfrage 93 Prozent der Befragten eine tiergerechte Haltung als wichtigste Aufgabe in der Landwirtschaft. Professor Dr. Spiller von der Universität Göttingen kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Unsere Verbraucherinnen und Verbraucher legen immer mehr Wert auf hochwertige Lebensmittel, eine umweltverträgliche Landwirtschaft und eine artgerechte Tierhaltung. Dies beweisen auch die zahlreichen ZuZu Protokoll gegebene Reden schriften, die mich tagtäglich erreichen. Bündnis 90/ Die Grünen fordern ebenso eine Koppelung der staatlichen Zahlungen an eine solche Landwirtschaftsform. Daran sollten wir uns messen. Daher ist die Bundesregierung aufgefordert, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Tiergerechte Haltung, mehr Handlungsspielräume für die Kommunen bei der Ansiedlung großer Tierhaltungsanlagen, mehr Schutz für unsere Böden und Gewässer - nur so können wir in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz für unsere Landwirtschaft erreichen. Wir unterstützen Ihren Antrag daher in vielen Punkten. Allerdings sind uns Ihre Forderungen nicht konkret genug. Daher haben wir einen eigenen Antrag eingereicht. Er benennt ganz konkret die notwendigen Änderungen im Tierschutz, im Bau- und Planungsrecht und im Umweltrecht. Wir fordern mehr Tierschutz. Wir fordern damit die Stärkung der Verbraucherinteressen. Wir unterstützen die Interessen der Landwirte und der Bürger. Wir achten auf unsere Umwelt. Mit unserem Antrag stellen wir vollkommen neue Weichen für landwirtschaftliche Tierhaltung. Niedersachsen hat die Zeichen der Zeit bereits erkannt. Mit dem Tierschutzplan macht Landwirtschaftsminister Lindemann einen großen Schritt in die richtige Richtung. Er hat erkannt, dass man - ich zitiere - „die Tiere nicht an die Bedingungen, sondern die Bedingungen an die Tiere anpassen muss.“ Er hat unsere volle Unterstützung. Ich fordere Frau Aigner auf, dem Beispiel Niedersachsens zu folgen. Im Agrarpolitischen Bericht dieses Jahres bekennen Sie sich eindeutig zu verbesserten Haltungsbedingungen. Und ich sage Ihnen: Handeln, nicht reden!

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung ist seit zehn Jahren im Arzneimittelgesetz - 11. AMG-Novelle - mit einer Beschränkung der Abgabe verankert. Mit der Novelle wurde die Verabreichung von Antibiotika an eine tierärztliche Untersuchung gebunden: 7-TageRegelung, 30-Tage-Regelung. Damit sind wir schon mal auf einem guten Weg. In erster Linie gilt es einen verantwortungsvollen Umgang mit Arzneimitteln zu garantieren und die prophylaktische Anwendung ohne tierärztliche Untersuchung zu unterbinden. Dabei können wir stark auf die Mithilfe der Tierärzte hoffen, die sich selbst die Antibiotikaleitlinien auferlegt haben. Hierbei geht es neben ganz praktischen Fragen der Dosierung und der Auswahl des Medikaments auch um die Frage des gewissenhaften Einsatzes von Antibiotika. Auch im Ausschuss haben wir uns ausführlich darüber informiert und festgestellt, dass die Bildung von Antibiotikaresistenzen vor allem auch ein humanmedizinisches Problem ist. Zur besseren Überprüfung und Rückverfolgbarkeit wurden Maßnahmen ergriffen im Rahmen der Deutschen Antibiotikaresistenzstrategie, DART, und des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI. An diesem Thema bleiben wir auch weiterhin dran. Die Erfassung und das Monitoring über die Abgabe von Antibiotika in der Nutztierhaltung dienen der Bekämpfung und Beobachtung von Antibiotikaresistenzen. Dabei sind pharmazeutische Unternehmen und Großhändler aufgefordert, bis Jahresende die Abgabemengen je Tierarzt in Kombination mit der Benennung der ersten zwei Ziffern der Postleitzahl des Tierarztes abzugeben. Die Tierarzneimittelsicherheit macht dabei entgegen Ihrer Aussage keine Ausnahme bei der Geflügelhaltung. Dass im Geflügelbereich, statt der ersten beiden Postleitzahlziffern, nur die Einsatzmenge an Antibiotika genannt wird, erfolgt aus datenschutzrelevanten Gründen. In Deutschland sind nur wenige Veterinäre ausschließlich für die Behandlung von Geflügelbeständen zugelassen. In schwach besiedelten Regionen könnten Tierärzte bei der Zulassung von ausschließlich für Geflügel zugelassenen Arzneimitteln bei Nennung der ersten beiden Postleitzahlenziffern womöglich eindeutig identifiziert werden. Das ist aber nicht Sinn und Zweck des DIMDI. Vielmehr geht es uns ja darum, einmal eine gründliche Übersicht zu erhalten, um die Gefahr der Antibiotikaresistenzen besser in den Griff zu bekommen, und nicht einzelne Regionen oder Tierärzte an den Pranger zu stellen. Zudem dürfen wir dabei nicht die Handlungsfreiheit der Tierärzte gefährden. Nicht gefährden sollten wir auch die Stimme der Vernunft und Fachlichkeit, wenn es um den Tierschutz bei unserer Landwirtschaft geht. Deshalb kann ich den Anträgen der Grünen zur Nutztierhaltung in der derzeitigen Situation, wo wir dabei sind, die Fachlichkeit zur Grundlage unserer Entscheidung zu machen, nichts Gutes abgewinnen. Die Überschrift des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Intensive Nutztierproduktion überprüfen“ macht das deutlich. Wir wollen nicht überprüfen, sondern wir wollen auf der Basis der Facherkenntnis handeln. Es ist doch bekannt, dass FDP und CDU/CSU in Zusammenarbeit mit dem Ministerium Arbeitsaufträge erteilt haben, die Rahmenbedingungen für intensive Nutztierproduktion den aktuellen Erkenntnissen aus der Forschung anzupassen und zu erarbeiten. Im Antrag wird unter anderem gefordert, Mindestanforderungen an die Haltung von Mastkaninchen in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aufzunehmen, während wir im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bereits mehrmals über das Thema beraten haben. Es wurde auch deutlich gemacht, dass entsprechende Anforderungen entwickelt werden, basierend auf Untersuchungsergebnissen und Erfahrungen aus anderen Ländern. Mögliche Eckpunkte der Regelung wurden schon erarbeitet und werden nun mit Tierschutzorganisationen und Vertretern der Wirtschaft diskutiert. Warum also wird etwas gefordert, woran schon intensiv und fachlich gearbeitet wird? Der Antrag ist nicht nur politisch unklug, sondern zeugt auch von einer nur wenig fachlichen und praxisbezogenen Einstellung des Antragstellers. Wie kann man unverzügliche Lösungen für den Umgang mit den nichtkurativen Eingriffen an Zu Protokoll gegebene Reden Nutztieren fordern, wenn dies bereits im Tierschutzgesetz geregelt ist und der Vollzug den zuständigen Länderbehörden obliegt? Amputationen sind in Deutschland grundsätzlich verboten, die Durchführung ist nur im Ausnahmefall zulässig. Für meine Fraktion ist klar, dass wir keine Qualzucht akzeptieren. Unsere Landwirte müssen die Haltungssysteme den Tieren anpassen. Die Grundlage unseres Handelns ist gute fachliche Praxis. Die Umsetzung dieses praktischen Handelns liegt in der Hand fachlich hochqualifizierter Bauern und Landwirte. Wir brauchen mehr Vertrauen in vorhandene Fachlichkeit, wir brauchen keine unausgegorenen Gesetze. Wir brauchen sicher keine Gesetze, wenn wir die Untersuchungsergebnisse unserer Fachaufträge für den besseren Tierschutz noch nicht haben. Als Beispiel sei hier das Schnabelkupieren bei Geflügel oder das Kupieren der Schwänze in der Schweinehaltung zu nennen. Wir wissen, dass bei nicht kupierten Tieren zum Beispiel vermehrtes Federpicken und Kannibalismus auftreten können. Die Forschungsergebnisse liegen noch nicht vor, wie wir das Problem lösen können. Deshalb ist kluge Fachlichkeit vor Aktionismus angesagt. Deshalb werden wir die populistischen und unfachlichen Anträge der Grünen ablehnen. Die Liberalen werden sich weiterhin für praxisorientierte Fortschritte im Tierschutz, besonders bei der Nutztierhaltung, einsetzen.

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der vorliegende Antrag „Intensive Nutztierproduktion prüfen“ ist, wie der Name schon sagt, vor allem ein Prüfauftrag an die Bundesregierung. Die Regierung soll prüfen, inwiefern Intensivtierhaltung mit den Bedürfnissen von Mensch und Tier in Einklang steht bzw. zu bringen ist. Anders formuliert geht es darum, den tierschutzpolitischen Ankündigungen von Frau Aigner bezogen auf die Nutztiere Taten folgen zu lassen. Daher riecht dieser Antrag fast nach einem interfraktionellen Antrag. Sind die Forderungen, die Prüfaufträge in dieser Vorlage nicht auch Anliegen Ihrer Agrarministerin, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP? Der Antrag berücksichtigt in Punkt II Förderung des ländlichen Raumes, Stärkung der Demokratie, Stärkung der Kommunen, gesundheitspolitische Aspekte, umweltpolitische Aspekte und vor allem Belange des Tierschutzes. Auch bezüglich des Antrags „Zucht mit Schweinen mit Maligne-Hyperthermie-Syndrom verhindern“ könnte man eigentlich mit einer übergroßen Mehrheit rechnen. Heute müssen wir keine Halothan-Tests mehr machen, MHS kann auf genanalytischem Weg festgestellt werden. Und mit solchen Tieren dann zu züchten, ist faktisch ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Im dritten Antrag, den wir beraten, geht es um die Dokumentation der Antibiotikavergabe in der Tierhaltung. Der mißbräuchliche Einsatz von Antibiotika widerspricht den Grundsätzen des Tierschutzes und fördert die Bildung von Resistenzen. Genau das wollen wir mit der Nationalen Antibiotikaresistenzstrategie ja verhindern. Deshalb ist die Streichung der Ausnahmen bei der Meldepflicht für den Antibiotikaeinsatz folgerichtig. Kurzum: Die Zielrichtung dieser drei Anträge ist völlig richtig. Wir werden ihnen deshalb zustimmen. Damit wäre alles gesagt, ist es aber nicht. Denn ein Punkt fehlt uns. Und für uns Linke ist das ein entscheidender Punkt. Auch der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss berücksichtigt werden. Und natürlich muss es einen Mindestlohn auch in der Agrarwirtschaft geben. Die Linke lehnt Tierhaltungsformen ab, bei denen ausschließlich ökonomische Interessen im Vordergrund stehen. Bei der Tierhaltung muss es für uns eine gleichwertige Abwägung von sozialen, ökologischen - hier natürlich auch Tierschutz - und ökonomischen Aspekten geben, dies auch aus Gründen internationaler Solidarität und internationaler Ernährungssicherung. Dennoch kaufen die Menschen gern im Supermarkt das billige Fleisch. Aber warum ist das eigentlich so, möglichst naturnahe Landwirtschaft fordern und gleichzeitig das billige Fleisch kaufen wollen? Ich werde Ihnen sagen, woran das liegt: Rot-Grün fing mit radikalem Lohndumping und Hartz IV an, Schwarz-Gelb macht da weiter. Es ist eben schwierig, sich von circa 350 Euro ökologisch und nachhaltig zu ernähren. Die Leute haben nach 20 Jahren Lohndumping einfach kein Geld mehr. Die Griechinnen und Griechen kriegen es gerade zu spüren: Deutschland wird immer mehr Billiglohnland und ist daher Exportweltmeister. Und all dies hat auch mit heimischer Tierhaltung und Fleischerzeugung zu tun. Dabei zeigt sich wieder einmal deutlich: Die ökologische Frage ist wichtig. Aber sie darf niemals und nimmer abgekoppelt werden von der sozialen Frage. Meine Damen und Herren von den Grünen, die soziale Frage taucht in Ihrem Antrag zur Nutztierproduktion nicht auf. Sie klingt allenfalls in Punkt 4 an. Das überrascht nicht, denn die soziale Frage spielt bei Ihnen ja keine große Rolle mehr. Die Linke denkt beim Thema Nutztierhaltung nicht nur an die Tiere, wir denken auch an die Menschen, an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, an Verbraucherinnen und Verbraucher. Bei allen möglichen und tatsächlichen Differenzen untereinander unterscheidet uns Oppositionsfraktionen eines aber ganz deutlich von der Regierungskoalition: Wir sind nicht die Lobby der Agrarkonzerne. Wir sind nicht die Lobby der Lebensmittelindustrie. Wir, die Linke, vertreten die Interessen der Menschen im ländlichen Raum, der Bäuerinnen und Bauern, der Familienbetriebe und der Mehrfamilienbetriebe. Wir verteidigen das Staatsziel Tierschutz und die Interessen der Menschen gegen die Angriffe des Kapitals. Wir stellen fest, das sich binnen 20 Jahren der Bestand an Truthühnern verdoppelt hat, von 5 Millionen Truthühnern 1990 auf 11 Millionen 2007. Auch beim Schweinefleisch kam es zu einer erheblichen Steigerung von 3 602 000 Tonnen auf 4 985 000 Tonnen. Agrarkomplexe mit Größenordnungen von rund 90 000 Schweinen, 800 000 Legehennen und 500 0000 Masthähnchen befinden sich in Genehmigungsverfahren oder bereits in Betrieb. Mithilfe der EU, der Bundes- und Landesregierungen sowie von Verbänden der Agrar- und Ernährungsindustrie wachsen TierZu Protokoll gegebene Reden haltungskonzerne heran, deren Kern außerlandwirtschaftliche Investoren bilden. Die EU importiert Futtermittel, für deren Produktion etwa die Anbaufläche Frankreichs, über 25 Millionen Hektar, benötigt wird. Und wofür das alles? Für den Export! Schon längst fällt der Fleischkonsum in Deutschland weit hinter die Erzeugung zurück. Dagegen gibt es Widerstand. Und wir müssen uns nicht nur fragen, ob all dies tiergerecht ist. Wir müssen uns vor allem fragen: Ist das menschengerecht? Nein. Wir wollen eine andere Tierhaltung, eine menschen-, umwelt- und tiergerechte Lebensmittelproduktion.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Februar dieses Jahres vermittelte uns Ministerin Aigner einen Hauch von Hoffnung auf einen verbraucher- und agrarpolitischen Frühling. Der Dioxinskandal hatte gerade das agrarindustrielle System mit seinen undurchschaubaren Lebens- und Futtermittelketten infrage gestellt. Das ließ auch Frau Aigner nicht unbeeindruckt. In einer großen Medienoffensive kündigte sie eine Tierschutzoffensive an. Es sollte Schluss sein mit tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen, Schluss mit der Käfighaltung bei Hühnern, Schluss mit dem Abschneiden von Schweineschwänzen, Schluss mit dem Schenkelbrand bei Pferden. Nun ist der Frühling längst vorbei, und es ist mal wieder bei den Ankündigungen geblieben. Die Regierung macht bis zum heutigen Tag keinen einzigen Vorschlag, wie sie einen Rahmen für eine artgerechte Nutztierhaltung schaffen will. Entsprechende Initiativen kommen nur aus dem Bundesrat - von NRW oder wie zur bevorstehenden Bundesratssitzung am 8. Juli von der rheinlandpfälzischen Landesregierung, die die Bundesregierung an die Umsetzung des vom Bundesrat beschlossenen Schenkelbrandverbots erinnert und eine Abschaffung der Käfighaltung bei Legehennen als Konsequenz aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Oktober 2010 fordert. Auch bei der Einführung eines Tierschutzlabels ist es nicht die Bundesregierung, die vorangeht. Statt dessen setzt zum Beispiel der Deutsche Tierschutzbund in Kooperation mit der Wirtschaft - mit Vion, Netto und Coop - mit dem „Tierwohllabel“ dankenswerterweise erste wichtige Standards bei der Tierschutzkennzeichnung. Frau Aigner, es sind eigentlich Sie, die von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden ist, um entsprechende Regelungen zu schaffen. Wenn Sie das nicht tun, dann stehen Sie aber dazu und verkünden der Öffentlichkeit: Wir brauchen keinen Tierschutz. Es ist gut so, wie es ist. Mit unserem Antrag zur Nutztierhaltung bauen wir Ihnen doch eine Brücke. Wir fordern genau das ein, was Sie in den letzten Monaten angekündigt haben, Frau Aigner. Aus unserer Sicht sind das nur Mindestforderungen. Eigentlich müssten wir noch viel weiter gehen. Die grüne Bundestagsfraktion hat den Handlungsbedarf in einem Positionspapier zur Nutztierhaltung einmal zusammengefasst. Drei Punkte möchte ich hervorheben: Erstens. Die Haltungsbedingungen müssen endlich tiergerecht gestaltet werden. Missstände bei Tiertransporten und an Schlachthöfen müssen beseitigt werden. Zweitens.Wir müssen wirksam gegen Qualzuchten vorgehen. Es kann nicht sein, dass wir Tiere züchten, bei denen Gesundheitsprobleme vorprogrammiert sind. Eigentlich ist Qualzucht durch den § 11 b Tierschutzgesetz untersagt. Die Praxis hat aber leider gezeigt, dass eine Durchsetzung des § 11 b äußerst schwierig ist. Hier müssen wir zu grundsätzlichen und praktikablen Änderungen kommen. Aber es gibt auch Fälle, bei denen bereits heute nach bestehender Rechtslage gehandelt werden kann, wie bei der Schweinerasse Piétrain, die hauptsächlich in Süddeutschland eingesetzt wird. Es ist wissenschaftlich unbestritten, dass es sich beim Gendefekt MHS - dem Malignen Hyperthermie-Syndrom -, das bei dieser ausschließlich auf Fleischmasse gezüchteten Rasse auftritt, um ein zuchtbedingtes Problem handelt. Alle Tatbestände des § 11 b sind erfüllt. Handeln Sie endlich. Drittens. Gerade in Zeiten von Lebensmittelkrisen müssen wir dringend die Antibiotikavergabe in der Tierhaltung in den Blick nehmen. Wir wissen, dass gerade in der Intensivtierhaltung mit ihren engen Besatzdichten präventiv und permanent Antibiotika eingesetzt werden. Das kann wiederum zur Bildung von multiresistenten Keimen wie dem MRSA-Bakterium führen. Zurzeit werden die Übertragungswege dieser Keime von Tier zu Mensch näher untersucht. Experten wie Professor Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie weisen immer wieder darauf hin, dass sie in der industriellen Massentierhaltung ein erhebliches Potenzial für die Ausbreitung und Übertragung von multiresistenten Keimen sehen. Das zeigt uns doch, dass wir einen genauen Überblick darüber brauchen, wo, wie viel und wie oft Antibiotika in der Tierhaltung vergeben werden. Wir begrüßen deshalb auch, dass nach jahrelangem Hin und Her 2010 endlich die DIMDI-AMV auf den Weg gebracht wurde, sodass ab März 2012 die Anwendung von Tierarzneimitteln beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information dokumentiert werden muss. Völlig unverständlich ist aber, warum die Verordnung der Bundesregierung eine Sonderregelung für die Geflügelindustrie vorsieht. Für alle Medikamente muss die abgegebene Gesamtmenge unter Angabe der ersten beiden Postleitzahlen des behandelnden Tierarztes dokumentiert werden, nur nicht für Medikamente, die ausschließlich für Geflügel zugelassen sind. Als Begründung macht die Regierung Datenschutzgründe geltend. Das versteht kein Mensch, Frau Aigner. Das versteht auch nicht der Datenschutzbeauftragte, der auf Anfrage von „NDR-Info“ bestätigt hat, dass er keine Datenschutzrelevanz für die Sonderregelung erkennen kann. Vielmehr gewichtet er die Transparenz für die Verbraucher deutlich stärker. Wir Grünen teilen diese Sicht. Wir fordern deshalb: Schluss mit dem Lobbyismus. Wir fordern eine restlose Streichung aller tierartenspezifischen Sonderregelungen in der DIMDI-AMV. Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Aigner, sieht Ihr CDU-Kollege Lindemann aus Niedersachsen das inzwischen genauso und unterstützt die Initiative von NRW im Bundesrat, um diese Zu Protokoll gegebene Reden fachlich und sachlich falsche Sonderregelung für die Geflügelindustrie zu beenden. Ich denke, es ist deutlich, dass wir im Bereich der Nutztierhaltung einen gewaltigen Reformstau haben. Frau Aigner spricht immer wieder einzelne Punkte an, setzt sie aber nicht um. Ob sie nicht will oder nicht kann, wissen wir nicht. Das ist auch letztlich nicht wichtig. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von der Politik und zumal von der Bundesregierung, dass sie sagt, was sie tut, und dass sie tut, was sie sagt. Genau das leisten Sie nicht, Frau Aigner. Wir Grünen beziehen deutlich Position. Wir haben klar dargelegt, welche Nutztierhaltung wir wollen. Tiergerecht. Bäuerlich. Transparent. Das ist unser Ansatz. Dieser Ansatz prägt auch unsere parlamentarischen Initiativen. Wir erwarten Ihre Unterstützung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/6344 und 17/6443 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 43 c. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5574, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5047 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen und Enthaltung der SPD. Ich rufe Tagesordnungspunkt 44 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nährwert-Ampel bundesweit einführen - Drucksachen 17/2120, 17/2961 Berichterstattung: Abgeordnete Carola Stauche Iris Gleicke Karin Binder Ulrike Höfken

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Linken fordern in ihrem Antrag eine sehr plakative Darstellung des Nährstoffgehalts in Lebensmitteln: grün, gelb, rot. Gesund, neutral, ungesund? So einfach ist gesunde Ernährung aber nicht, wie es eine Ampel suggeriert! Nach diesem System würde gutes Olivenöl zusammen mit anderen Fetten auf der roten Liste landen. Dabei ist die gesundheitsfördernde Wirkung dieses Pflanzenfettes - in Maßen genossen - unumstritten. Stellen wir den Gehalt an Fetten, ungesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz in Farben dar, ist das für die Verbraucher kaum hilfreich. Denn die Spannen im Ampelsystem für die Kennzeichnung mit den einzelnen Farben sind sehr groß. Bei Fett wird die Farbe Gelb für einen Gehalt von 3 bis 20 Gramm Fett je 100 Gramm Lebensmittel vergeben. Zwischen 3 Gramm Fett und 20 Gramm Fett pro 100 Gramm Nahrung liegen ernährungsphysiologisch Welten. Um zu wissen, wie viel Gramm Fett, Zucker oder Salz nun genau im Produkt sind, benötigt der interessierte Verbraucher zusätzliche Informationen, Informationen, wie sie das „1 plus 4“-Modell des Verbraucherschutzministeriums und die gestern vom Europaparlament verabschiedeten Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel bereits vorsehen. Dieser gestrige Entschluss des Europaparlaments macht unabhängig von der schlechten Eignung der Ampel den Antrag der Linken überflüssig. Das Europaparlament macht mit der neuen Lebensmittelinformations-Verordnung verbindliche Vorgaben für die 27 EU-Staaten. Damit ist dem Verbraucher viel mehr gedient als mit einem nationalen Alleingang, was die Kennzeichnung anbelangt. Ein nationaler Alleingang würde für die Unternehmen zusätzliche Kosten für die Verpackung bedeuten und somit für die Verbraucher. Zudem findet sich der Urlauber im europäischen Ausland schlicht besser zurecht, wenn die Kennzeichnung die gleiche ist. Erstmals wird die Angabe der Nährwerte in einem Nährwertkästchen verpflichtend. Diese müssen bezogen auf 100 Gramm oder 100 Milliliter angegeben werden. Was dabei für die Verbraucher wichtig ist: Alle Informationen müssen gut lesbar sein. Dafür sorgen eine verbindliche Mindestschriftgröße abhängig von der Packungsgröße sowie weitere Kriterien wie etwa der Kontrast zwischen Schrift und Hintergrund. Auch wird es die wachsende Zahl von Allergikern zukünftig leichter haben, geeignete Lebensmittel zu erkennen. Denn Allergene müssen im Zutatenverzeichnis fett hervorgehoben werden, selbst bei nicht verpackten Lebensmitteln, sogenannter loser Ware. Verbraucher können sich auch darüber freuen, dass Imitate, Klebefleisch und irreführende Angaben strenger gehandhabt werden. Die Verwendung von Pflanzenfett in Analogkäse muss zum Beispiel in unmittelbarer Nähe des Produktnamens angegeben werden, und zwar in einer Schriftgröße, die mindestens 75 Prozent derjenigen des Markennamens ausmacht. Auch „Klebefleisch“ muss künftig mit dem Hinweis „aus Fleischstücken zusammengefügt“ deutlich kenntlich gemacht werden. Ein weiteres Ärgernis für Verbraucher wird es in Zukunft nicht mehr geben: schöne, frische Früchte auf der Verpackung, die dann nur Aromen und künstliche Farbstoffe enthält. Bekanntestes Beispiel: Erdbeerjoghurt, auf dessen Verpackung tolle Erdbeeren prangen, der aber keine einzige davon enthält. Diese Irreführung wird unterbunden. Ein enormer Fortschritt ist es, dass der Herkunftsort von frischem Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch nun deklariert wird, wie dies schon bereits seit 2000 bei Rindfleisch der Fall ist. Dies ist übrigens der Verdienst von Ministerin Aigner, die mit vier weiteren Kollegen dafür gekämpft hat. Ursprünglich wollten die meisten EU-Verbraucherminister nur den Verpackungsort von Fleisch aufführen. Ob eine Herkunftskennzeichnung für andere Produktkategorien, wie Milch und Milchprodukte, Fleisch in verarbeiteten Erzeugnissen und Lebensmitteln, die im Wesentlichen aus einer Hauptzutat bestehen, sinnvoll durchzuführen ist, wird die Kommission zunächst evaluieren. Es stellt sich die Frage, ob es bei den heutigen Handelsströmen tatsächlich machbar ist und welche Zusatzkosten daraus folgen. Eine Molkerei müsste dann für die Milch aus jedem Land einen eigenen Tank vorhalten. Insgesamt ist die Lebensmittelinformations-Verordnung ein ausgewogener Kompromiss und ein bedeutender Fortschritt für aufgeklärte Verbraucher. Diese können viel differenzierter entscheiden, welches Produkt sie kaufen und konsumieren wollen, als dies die Ampelkennzeichnung leisten könnte. Deshalb lehnen wir den Antrag der Linken ab.

Carola Stauche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004162, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern ein Antrag zum Thema Nährwertampel. Den von der Linksfraktion gestellten Antrag - es wird wenige überraschen - lehnen wir auch dieses Mal ab. Bereits ziemlich genau vor einem Jahr, am 17. Juni 2010, haben wir den Antrag der Linksfraktion gemeinsam mit einem Antrag der Grünen behandelt, und schon damals habe ich gesagt: Im Land des Autos sind wir uns der Bedeutung von Ampeln durchaus bewusst, allerdings gehören diese an Kreuzungen und nicht auf Lebensmittel. Auf der Straße helfen sie, den Verkehr zu regeln, auf Lebensmitteln führen sie dazu, den Verbraucher zu verwirren. Dieser Ansicht bin ich auch noch heute. Ich bin noch immer der Überzeugung, dass die Ampelkennzeichnung nichts anderes als Aktionismus und Alibipolitik ist und nichts anderes tut, als die Verbraucherinnen und Verbraucher zu bevormunden. Das hat nichts mit dem mündigen Verbraucher zu tun, den wir an der Ladentheke stehen sehen wollen. Die Koalitionsfraktionen sehen es immer noch als ihre Aufgabe an, zu informieren und nicht zu verwirren. Wir trauen den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu, dass sie sich selbst über ihre Lebensmittel und deren Inhalt informieren. Das kann zum einen beim Einkauf selbst geschehen, aber auch das Internet bietet vielfältige Möglichkeiten, sich zu informieren, und das nicht nur beim Anbieter von Lebensmitteln. Das heißt, dass wir auch in diesem Jahr der Meinung sind, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst darüber entscheiden sollen, was sie zu sich nehmen und was nicht. Die Ampel kann unserer Meinung ernährungsphysiologische Fragen, etwa in welcher Menge und Zusammensetzung Lebensmittel dem Organismus zuzuführen sind, damit dieser Organismus je nach Alter, Geschlecht und Lebensbedingungen einen optimale Ernährung erhält, nicht hinreichend gewährleistet werden. Die Ampelkennzeichnung differenziert zu wenig und ist irreführend. Ich bringe das Beispiel des Cola-Getränks mit den drei grünen und nur einem roten Punkt gerne immer wieder vor. Aber all das haben wir im letzten Jahr schon diskutiert. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, wir verstehen die Notwendigkeit Ihrerseits, in jedem möglichen und unmöglichen Antrag Kapitalismuskritik unterbringen zu müssen. Wir jedoch sehen nicht hinter jedem Unternehmer ein böses Monster, das für seine Kunden nur das Schlechteste möchte, sondern verantwortungsvolle Marktteilnehmer, denen einiges daran liegt, auch zu einem späteren Zeitpunkt ihre Produkte an möglichst viele Kundinnen und Kunden verkaufen zu dürfen. Deshalb haben wir die GDA-Kennzeichnung als Schritt in die richtige Richtung angesehen. Das Europäische Parlament anscheinend auch, wenn man sich die Entscheidung von gestern ansieht. Das EU-Parlament hat die geäußerten Bedenken hinsichtlich der ungenauen Mengenangaben bei dieser Kennzeichnung erkannt. Das wird daran deutlich, dass ab 2014 vorgeschrieben ist, dass die Mengenangaben auf 100 Milliliter oder 100 Gramm zu erfolgen haben. Auch Angaben in Portionsmengen sind möglich. Es ist also nicht so, dass die Industrie auf dem komplett falschen Weg gewesen ist, wie Sie uns das immer erklären wollten. Wie auch im letzten Jahr lehnen die Koalitionsfraktionen den Antrag auf Einführung einer Ampelkennzeichnung für Nahrungsmittel ab.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Geschichte der Nährwertampel ist ein Trauerspiel. Umfragen haben immer wieder sehr deutlich gezeigt: Verbraucherinnen und Verbraucher wollen die Ampel. Mit den Farben Rot, Gelb und Grün ist sie schnell erfassbar, leicht verständlich und vergleichbar eine alltagstaugliche Entscheidungshilfe beim Einkauf. Trotzdem hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung - unter dem starken Einfluss der Lobby der Lebensmittelindustrie - ihre ablehnende Haltung gegenüber der Ampel sogar schon in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Für eine Nährwertkennzeichnungspflicht nach dem Ampelsystem gab es breite Unterstützung von vielen Organisationen aus dem Verbraucherbereich und dem Gesundheitsbereich. Die SPD tritt seit langem für die Ampel ein. Um die 70 Milliarden Euro pro Jahr müssen für ernährungsbedingte Krankheiten aufgewendet werden. Hinter diesen Zahlen stehen erschütternde Einzelschicksale von Betroffenen, und das sind immer häufiger Kinder und Jugendliche. Der Kampf gegen ernährungsbedingte Krankheiten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und jede Chance muss genutzt werden. Die Ampelkennzeichnung hätte dabei eine wichtige Hilfestellung sein können. Zu Protokoll gegebene Reden Aber es kam anders: Die Industrie machte Druck auf die EU-Abgeordneten und investierte laut einem Bericht der Anti-Lobby-Organisation Corporate Europe Observatory über 1 Milliarde Euro, um die Nährwertampel zu verhindern und das Gegenmodell GDA zu etablieren. Wie groß muss die Angst dort gewesen sein, dass Verbraucher endlich in alltagstauglicher Form erfahren, was sie essen, und womöglich bestimmte Produkte nicht mehr kaufen? Gestern nun hat das EU-Parlament nach jahrelangen Diskussionen darüber, welche Informationen Verbraucher in Zukunft im Supermarkt bekommen sollen, die Lebensmittelinformationsverordnung verabschiedet. Fazit: Die Ernährungsindustrie hat sich mit den meisten Forderungen durchgesetzt. Keine Angaben zum Nährwert auf der Vorderseite, keine realistischen und leicht nachvollziehbaren Portionsgrößen als Berechnungsgrundlage, keine Informationen über die Herkunft außer bei Frischfleisch. Und die CDU/CSU feiert in ihrer Presseerklärung die „endgültige Absage an eine Ampelkennzeichnung, die wir stets abgelehnt hatten“. Die Geschichte der Nährwertampel ist eine Geschichte des Scheiterns des Verbraucherschutzes und des Einknickens von CDU/CSU und FDP von dem Druck der Lobbyisten. Wir sind weiterhin von der Idee der Nährwertkennzeichnung nach dem Ampelsystem überzeugt, werden uns aber zum Antrag der Linken enthalten: Er hat sich leider erledigt, vorläufig. Es werden auch wieder bessere Tage für die Verbraucherinnen und Verbraucher kommen: wenn diese Bundesregierung abgetreten ist.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine Ampelkennzeichnung auf Lebensmitteln wäre nur dann akzeptabel, wenn ihre Empfehlungen für alle Menschen gelten würden und wenn sie eindeutig wären. Beides ist bei der Nährwertampel nicht der Fall, und deswegen lehnt die FDP sie ab. Mit der sogenannten Nährwertampel werden die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur über den Nährwertgehalt eines Lebensmittels informiert, sie erhalten gleichzeitig mit den Farben der Verkehrsampel eine Empfehlung. Die Bewertung des Nährwertgehalts mit roten, gelben, grünen Punkten stellt die Empfehlung dar, denn die Farben der Verkehrsampel geben einen eindeutigen Verhaltenshinweis. Der Warnhinweis auf der Zigarettenpackung gilt für alle Menschen. Rauchen ist ungesund. Aber der rote Punkt bei der Kalorienangabe eines Lebensmittels kann für einen übergewichtigen Menschen ein richtiger Hinweis sein, für einen magersüchtigen Jugendlichen ist dies jedoch genau der falsche Verhaltenshinweis. Essstörungen wie Bulimie und Magersucht sind gerade bei jungen Frauen, mittlerweile aber auch bei jungen Männern weit verbreitet. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2006 hat jedes dritte Mädchen von 11 bis 17 Jahren Essstörungen und Krankheiten wie Magersucht, EssBrech-Sucht oder Fettsucht. Bei Jungen im gleichen Alter sind es immerhin noch 15,2 Prozent. Diese jungen Menschen führt die Nährwertampel in die Irre. Keine Ernährungsempfehlung kann die individuelle Ernährungs- und Lebenssituation eines jeden Käufers berücksichtigen. Die Nährwertampel ist außerdem nicht eindeutig. Wenn die Ampel an der Kreuzung rot zeigt, sagt die Straßenverkehrsordnung, dass jeder stehen bleiben muss. Was ist aber zum Beispiel mit dem Matjesfilet? Wegen des hohen Fett- und Kaloriengehalts würde es zwei rote Punkte tragen und wegen des hohen Gehalts an ungesättigten Fettsäuren und des Fehlens von Zucker außerdem zwei grüne Punkte. Empfehlenswert oder nicht empfehlenswert? Das Beispiel zeigt: Die Ampelkennzeichnung bei Lebensmitteln ist anders als die Ampel im Straßenverkehr nicht eindeutig. Rot, Gelb und Grün auf Lebensmitteln würden im Straßenverkehr gleichzeitiges Bremsen und Gasgeben bedeuten. Das ist keine gute Verhaltensempfehlung. Viele Menschen in Deutschland haben Übergewicht. Dieser Befund wird unter anderem als Argument für die Nährwertampel genannt. Dies ist in der Tat ein Problem. Aber die Nährwertampel bietet keine Lösung. Allein schon durch die Diskussion über die Nährwertampel wird den Menschen mit Übergewicht suggeriert, eine Ampelkennzeichnung könnte ihr Gewichtsproblem lösen. Das ist nicht der Fall. Die Diskussion über die Nährwertkennzeichnung verdeckt, dass das beobachtete Übergewicht nicht allein durch die Umstellung der Ernährung aufgefangen werden kann. Das Bewegungsverhalten der Menschen hat sich in den letzten Jahren verändert. Kinder spielen weniger draußen, sitzen mehr am Computer, und auch Erwachsene bewegen sich wesentlich weniger als früher. 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig. Der Vergleich des Energie- und Zuckerkonsums von sechs- bis elfjährigen Jungen und Mädchen in den Jahren 1985 - Nationale Verzehrstudie - und 2006 - Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland - zeigt jedoch, dass sowohl die Aufnahme von Energie als auch von Zucker in den letzten 20 Jahren in dieser Altersgruppe gesunken ist. Dies macht deutlich: Kinder essen nicht mehr als früher, sondern sie bewegen sich weniger. Bewegung, die Beherrschung des eigenen Körpers, Sport in der Gemeinschaft machen Spaß, bringen Lebensfreude. Bewegungsmangel bedeutet somit nicht nur, dass weniger Kalorien verbraucht werden, mit der Folge von Übergewicht, sondern bedeutet auch einen Verlust an Lebensfreude. Der damit verbundene Stress macht krank. Für die Ausbildung von Diabetes Typ II - und dieser ist schon bei Kindern zu beobachten - ist nicht nur das Übergewicht von Bedeutung, sondern auch der Bewegungsmangel. Bewegung hat eine positive Auswirkung auf den Zuckerhaushalt, weil durch die Muskeltätigkeit die Zellen empfindlicher für Insulin werden. Der Ausbildung einer Insulinresistenz und damit der Ausbildung von Diabetes Typ II wird entgegengewirkt. Zu einer gesunden Lebensführung gehört nicht nur eine gesunde Ernährung, sondern auch eine ausreichende Bewegung. Wer das verschweigt, führt die Menschen in die Irre. Zu Protokoll gegebene Reden Die Nährwertampel ist bereits vor über einem Jahr im Europaparlament mehrheitlich abgelehnt worden, und das zu Recht. Trotzdem setzt die Linke diesen überholten Antrag erneut auf die Tagesordnung. Sie betreibt damit umfrageorientierte Politik - egal welches Thema, wenn man sich populistisch einen Vorteil davon verspricht, wird es immer und immer wieder hervorgeholt, selbst wenn das Thema bereits längst abgeschlossen ist. Um sich ausgewogen und gesund ernähren zu können, brauchen die Verbraucherinnen und Verbraucher genaue Informationen für eine bewusste Entscheidung. Bereits jetzt tragen 80 Prozent der verpackten Lebensmittel eine Nährwertkennzeichnung. Dies ist eine gute Entwicklung. Nicht nur die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat sich gegen die Nährwertampel ausgesprochen, sondern auch die Lebensmittelwirtschaft. Dies wurde von den Befürwortern der Nährwertampel als Lobbyismus gebrandmarkt. Zwei plus zwei ist vier; jeder weiß das. Ist diese wahre Aussage automatisch dann falsch, wenn ein Lobbyist sie bestätigt? Mir haben die von mir persönlich angeschriebenen Krankenkassen keine wissenschaftliche Studie nennen können, die belegt, dass die Nährwertampel die Gesundheit fördert. Die Tatsache, dass Verbraucherverbände sich für die Nährwertampel ausgesprochen haben, ist kein wissenschaftlicher Beleg dafür, dass sie die angesprochenen Probleme lösen hilft. Die FDP tritt ein für eine sachliche Nährwertkennzeichnung ohne farbliche Bewertung, wie sie inzwischen auf sehr vielen Lebensmitteln zu finden ist. Für eine wirksame Bekämpfung von Fehlernährung sind zudem Ernährungswissen und Ernährungsbildung, eine ausgewogene Ernährung sowie ausreichende Bewegung und Sport notwendig. Initiativen wie das Schulobstprogramm, der „Ernährungsführerschein“ der Landfrauen oder „peb“, die Plattform für Ernährung und Bewegung, helfen dabei.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gestern beschloss das Europäische Parlament die Lebensmittelinformationsverordnung. Sie ist nicht mehr als ein schlechter Kompromiss. Die Entscheidung der EU kam unter massivem Störfeuer der Lebensmittellobby zustande, unter dem auch die schwarz-gelbe Bundesregierung einknickte. Zunächst die gute Botschaft aus Brüssel: Zucker und Salz, Fett und gesättigte Fettsäuren müssen mit ihrem jeweiligen Anteil in 100 Gramm des fertigen Produktes angegeben werden. Das ist wichtig, denn die „dicken Vier“ werden von der Lebensmittelindustrie immer häufiger im Übermaß als Geschmacksanreger eingesetzt. Damit wurde und wird wohl auch weiterhin die Minderwertigkeit anderer oder das Fehlen wertvollerer Zutaten übertüncht. Das wars dann auch schon. Jetzt kommt der Kritikteil. Künftig werden trotz vieler Hinweise und anderslautender Forderungen von Experten, Verbänden und Institutionen die Pflichtangaben für Zucker, Salz und Fette kaum lesbar in 1,2 Millimeter kleiner Schrift auf der Rückseite der Verpackung angebracht sein. Auf der Vorderseite hingegen prangen gut lesbar die sogenannten Portionsangaben der Hersteller. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden damit vorsätzlich getäuscht. Mit diesen willkürlichen Portionsgrößen werden die Dickmacher extra „schlankgerechnet“. Bei 14 Gramm Salami, 30 Gramm Pizza oder 40 Gramm Müsli kann niemand zunehmen. Fett-, Zucker- und Salzgehalt schrumpfen wie durch Zauberhand. Diese vorsätzliche Verbrauchertäuschung ist Gift für eine ausgewogene Ernährung, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Die Linke fordert deshalb nach wie vor die Einführung einer Nährwertampel, um eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu unterstützen. Unabhängige Experten wie der Potsdamer Ernährungswissenschaftler Hans-Georg Joost, Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung, Dife, Krankenkassen, Bundesärztekammer, Kinder- und Jugendärzte und natürlich Verbraucherschützerund Verbraucherschützerinnen sprechen sich einhellig für die Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln aus. Denn die Gesundheit leidet, wenn Dickmacher und zu viel Salz im Essen hinter Werbung versteckt werden. Mit der Nährwertampel werden der Gehalt von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz auf der Vorderseite der Verpackung angegeben und farblich unterlegt: Grün für „gering“, gelb für „mittel“ und rot für „hoch“. Damit alle Produkte miteinander vergleichbar sind, müssen sich die Angaben einheitlich auf 100 Gramm oder 100 Milliliter beziehen. So können Verbraucherinnen und Verbraucher auf den ersten Blick erkennen, was darin steckt und Schummelwerbung umgehen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Essen und Gesundheit gehören zusammen. Wir alle wissen, dass der Biss in einen Apfel gesünder ist als die Currywurst von der Imbissbude. Doch Essen ist auch Genuss. Und deshalb muss man auch einmal Fünfe gerade sein lassen. Mann/Frau muss nicht immer Kalorien zählen. Wenn aber Übergewicht zum Problem wird oder man sich bewusst und gesund ernähren möchte, ist es wichtig, über den Gehalt von Fett, Zucker und Salz im Essen Bescheid zu wissen. Beim Blick ins Supermarktregal verliert man aber schnell den Überblick. Die Lebensmittelindustrie tut alles, um Dickmacher und Geschmackszusätze kleinzurechnen und hinter bunter Werbung zu verstecken: ein „gesunder“ Kindermilchdrink, der mehr Zucker enthält als die gleiche Menge Cola; „Vital“Müsli, das zur Hälfte aus Zucker und Fett besteht; Fertigpizza „wie vom Italiener“ mit mehr Salz als täglich empfohlen. Aber wenn es nach der Bundesregierung geht, sind die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst schuld, wenn sie darauf hereinfallen. Bereits mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Europa gilt als übergewichtig oder fettleibig. Jedes fünfte Schulkind ist zu dick. Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen können die Folge sein. Die Werbelügen der Lebensmittelindustrie tragen ihren Teil dazu bei: Nach Ansicht von Ärzten und Krankenkassen ist falsche ErZu Protokoll gegebene Reden nährung durch versteckte Dickmacher ein Hauptgrund für viele unserer Zivilisationskrankheiten. Und: Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen ist eine Folge ernährungsbedingter Gewichtszunahme. Damit muss Schluss sein. Ich lasse nicht locker und fordere die Bundesregierung auf, sich aus der Umklammerung der Lebensmittelindustrie zu lösen. Die Nährwertampel ist und bleibt das beste Modell zur verbraucherfreundlichen Kennzeichnung von Lebensmitteln.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Übergewicht entwickelt sich mehr und mehr zur Epidemie. Seit 1985 gibt es einen dramatischen Anstieg von Menschen mit Übergewicht und Adipositas. In Deutschland sind knapp 40 Millionen Menschen zu dick und damit schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken oder Beeinträchtigungen ausgesetzt. Die im Januar 2008 veröffentlichten Ergebnisse der Nationalen Verzehrsstudie II bestätigen, dass 58 Prozent der Männer und immerhin 41 Prozent der Frauen übergewichtig sind. 12 bis 15 Prozent davon gelten sogar als adipös. Die Kindergesundheitsstudie KIGGS geht von 1,9 Millionen übergewichtigen und 800 000 ({0}) adipösen Kindern und Jugendlichen aus. Über 20 Prozent unserer Kinder sind also zu dick. In einer aktuellen Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse, DAK, erklären 95 Prozent der befragten Kinderärzte, dass Übergewicht bei Kindern in den vergangenen zehn Jahren zugenommen hat. Ungesunde Ernährung ist entgegen allen Behauptungen interessierter Kreise die Hauptursache für Übergewicht. Verbraucher haben bisher keine praktikable Möglichkeit, sich zuverlässig und verständlich über den Nährwertgehalt von Lebensmitteln zu informieren. In vielen Fällen täuschen die Hersteller durch die Aufmachung und Etikettierung ihrer Produkte über deren tatsächlichen Inhalt hinweg. Die Einführung der Nährwertampel würde es allen Verbraucherinnen und Verbrauchern erleichtern, schnell und unkompliziert zu erfassen, welche Lebensmittel zucker- und fettreiche Dickmacher sind oder zu viel Salz enthalten. Das ist der entscheidende Vorteil gegenüber dem Modell der Lebensmittelindustrie, dem GDA-Modell. Die Fachhochschule Münster hatte im direkten Vergleich zwischen Nährwertampel und der GDA-Kennzeichnung der Industrie herausgefunden, dass mit der Ampelkennzeichnung 95 Prozent der Befragten erkennen konnten, welches von zwei vergleichbaren Lebensmitteln weniger Zucker enthält. Mit der Industriekennzeichnung schätzten weniger als die Hälfte der Testpersonen den Zuckergehalt richtig ein. Diese Desinformation ist von den Herstellern durchaus gewollt, verstellt sie doch die kritische Sicht auf viele Nahrungsmittel, die als gesunde Mahlzeiten beworben werden, in Wahrheit jedoch voller Zucker und Fett stecken. Während die meisten Verbraucher wissen, dass man Schokolade oder Sahnetorte nur dosiert genießen sollte, erkennt kaum jemand auf den ersten Blick, dass handelsübliche Saftschorlen zu viel Zucker enthalten, um als alleiniger Durstlöscher zu dienen, oder dass ein Riegel mit einer Füllung aus „Magermilchjogurt und Erdbeeren“ eine fettige Süßigkeit ist und mitnichten schlanker als gewöhnliche Schokolade. Wer würde seinen Kindern wohl noch Frühstücksflocken auf den Tisch stellen, die in ihrer Nährwertstruktur am ehesten Keksen vergleichbar sind? Welcher Hersteller möchte schon, dass die vollmundigen Werbebotschaften für „reichhaltige“ Zutaten und „leichte Zwischenmahlzeiten“ durch rote Punkte bei Fett- und Zuckergehalt entlarvt sehen? Die Nährwertampel erlaubt einen kritischen Blick auf die Rezepturen von Lebensmitteln; deshalb wurde sie von der Industrie bekämpft. In Großbritannien hat die Einführung der Ampel zu Veränderungen bei den Rezepturen geführt, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher gesündere Optionen nachfragen, wenn sie sie auf den ersten Blick erkennen können. Die fehlende Umsetzung der Nährwertampel bestärkt die Verbraucherdesinformation; damit werden die nationalen Programme zur Bekämpfung von Übergewicht und Fehlernährung ad absurdum geführt - mit fatalen Folgen auch für die Gesundheitssysteme, die heute schon etwa ein Drittel ihrer Gesamtausgaben für die Bekämpfung ernährungsbedingter Folgeerkrankungen aufwenden. Es ist unverantwortlich, dass die Europäische Kommission und die schwarz-gelbe Bundesregierung hier dem Lobbydruck gefolgt sind, statt auf den Rat von Ernährungsexperten, Krankenkassen, Verbraucherverbänden und Kinderärzten zu hören. Die meisten Menschen wollen sich und ihre Kinder gesund ernähren, aber kaum jemand hat Zeit und Lust, beim Einkauf komplizierte Rechenleistungen zu vollbringen. Deshalb brauchen wir ein einfaches, transparentes Instrument. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich eine Ernährungs- und Verbraucherpolitik zu machen, die ihren Namen verdient. Entwickeln Sie eine farbliche Kennzeichnung der Inhaltsstoffe, setzen Sie sich für Werbebeschränkungen von Süßigkeiten im Umfeld von Kindersendungen ein. Wälzen Sie den flächendeckenden Ausbau der Kindergarten- und Schulernährung nicht allein auf die Länder ab, sondern gehen Sie über ein Bund-Länder-Aktionsprogramm mit in die Verantwortung und Finanzierung. Daher gilt: Wir brauchen dringend eine transparente und leicht verständliche Information über den Nährwertgehalt von Lebensmitteln. Unausgewogene Ernährung führt erwiesenermaßen zu großen gesundheitlichen Problemen und hohen gesellschaftlichen Kosten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2961, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2120 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von SPD und Grünen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe den Tagesordnungspunkt 45 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Armuts- und Reichtumsbericht zum Ausgangspunkt für Politikwechsel zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit machen - Drucksache 17/6389 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Armuts- und Reichtumsbericht dient dazu, Hinweise zu arbeits- und sozialpolitischen Maßnahmen von Vertretern der Länder, Kommunen, Verbände, Institutionen und Betroffenenorganisationen zu erhalten. Die Linke aber betreibt mit ihrem Antrag unter dem Vorwand einer Verbesserung der künftigen Armuts- und Reichtumsberichte sozialpolitischen Klamauk. Auf einige Punkte möchte ich mit der gebotenen Kürze eingehen. Die Linken beschwören mit ihrem Antrag eine bevorstehende sozialpolitische Apokalypse in unserem Land herauf. Ich bin der Meinung, mit dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft sind wir in der Bundesrepublik Deutschland gut gefahren. Es schützt diejenigen davor, durch das soziale Netz zu fallen, die unverschuldet in eine soziale Notsituation geraten sind. Die Mechanismen unseres Sozialstaates kultivieren den gesellschaftlichen Zusammenhalt - sie sind deshalb richtig und wichtig. Wir tragen als Politiker aber auch eine Verantwortung dafür, dass soziale Leistungen von Einzelnen nicht ohne Gegenleistungen in Anspruch genommen werden dürfen. Eine solche Gegenleistung manifestiert sich beispielsweise darin, dass SGB-II-Empfänger aktiv nach einer Beschäftigungsmöglichkeit suchen. Das Prinzip des Förderns und Forderns ist prioritär. Die Leistungen nach dem SGB II orientieren sich deshalb eng an einem menschenwürdigen Leben. Hierfür haben wir bei der Neubemessung nachvollziehbare Berechnungen angestellt, um vor allem einem Ziel gerecht zu werden: einer Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Forderung der Linken nach einer Anhebung der Regelsätze auf 500 Euro folgt keiner Arithmetik und ist völlig losgelöst vom Ziel einer Integration der Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt. Sie ist daher abzulehnen. Eine weitere altbekannte Forderung der Linken ist die nach einem Mindestlohn. Sie findet auch in diesem Antrag Niederschlag. Allerdings bleibt die Linke hier eine Erklärung schuldig: Warum 10 Euro pro Stunde? Warum nicht - wie sie es lange gefordert hat 8,50 Euro? Oder, wie ich auch schon in Papieren der Linken lesen konnte, 11 Euro und mehr? Man könnte beinahe glauben, für jeden Antrag würde die Höhe des Mindestlohnes neu gewürfelt. Erst gestern berichtete mir der Kollege Mierscheid von seinen Erfahrungen bei der Aufzucht geringelter Haubentauben. Die Expansion der FE-Abteilung seines Taubenzuchtvereins in das Mecklenburgische Stolpe sei durch einen von der Linkspartei gewürfelten Mindestlohn arg gefährdet. Nicht zuletzt wären dadurch auch seine geleisteten Forschungen umsonst, aus der geringelten Haubentaube eine gekräuselte Schneppenhaubentaube herauszuzüchten. Während die Linken am Mindestlohn würfeln, hat die christlich-liberale Koalition zum 1. Mai 2011 die gesetzlichen Grundlagen für einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche geschaffen. Dies ist ein Schritt, für den ich und viele meiner Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion schon lange gestritten haben. Persönlich wünsche ich mir, dass in absehbarer Zeit auch nicht mehr durch Ausnahmeregelungen vom Equal-PayGrundsatz abgewichen werden darf. Grundsätzlich gibt es bereits eine sogenannte Equal-Pay-Klausel in der Zeitarbeit. Ich möchte an dieser Stelle keine parteipolitischen Schlammschlachten beginnen; denn dafür ist das Thema zu ernst. Aber es waren SPD und Grüne, welche die Möglichkeit geschaffen haben, vom Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit abzurücken. Die CDU-Sozialausschüsse haben sich auf ihrer Bundestagung im Mai 2011 für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in der Höhe des Mindestlohns in der Leiharbeit ausgesprochen. Dabei soll nach wie vor der Vorrang der Tarifautonomie gelten, genauso wie es die Möglichkeit geben muss, tarifliche Mindestlöhne über Allgemeinverbindlichkeitserklärungen auf Unternehmen einer Branche auszudehnen, die nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sind. Ich sehe den Staat dort in der Pflicht, wo Tarifverträge die Arbeitnehmer nicht schützen können. In diesen Fällen muss künftig ein Mindestlohn greifen. Der gesetzliche Mindestlohn soll dabei ein nachgelagerter Mindestlohn sein, der vor allem die Menschen in quasi gewerkschaftsfreien Branchen vor unfairem Lohngebaren schützen muss. Ein solcher Mindestlohn entspricht im Übrigen auch dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und zerstört keine Arbeitsplätze. Wir wollen die Tarifpartner dabei nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, denn einseitig festgelegte Löhne sind ungerechte Löhne. Die Tarifvertragsparteien müssen auch in Zukunft für die Lohnfindung zuständig sein. An diesem Grundsatz wollen wir festhalten. Zuletzt möchte ich noch kurz auf das obsessive Mantra der Linken eingehen, die Rente mit 67 rückgängig zu machen. Auch dieses Ansinnen entbehrt jedweder Logik. Die demografische Entwicklung lässt sich eben - trotz künftiger Produktivitätssteigerungen und steigender Löhne - nicht ausblenden. Sicherlich können höhere Beitragszahlungen auch demografische Entwicklungen bis zu einem bestimmten Grad abfedern. Das werden sie auch müssen. Die steigende Lebenserwartung sorgt aber dafür, dass die meisten Menschen erfreulicherweise länger Rente beziehen können als je zuvor. 1960 betrug die durchschnittliche Rentenbezugsdauer noch 9,9 Jahre. Heute liegen wir bei mehr als 17 Jahren. Nach allen Prognosen wird die Lebenserwartung und damit die Rentenbezugsdauer weiter steigen. 2029 wird die Lebenserwartung nochmals um drei Jahre länger sein als heute. Die Erwerbsfähigen in Deutschland werden zukünftig deutlich weniger und erheblich älter sein. Bis 2030 wird die Zahl der 20- bis 64-Jährigen um über 6 Millionen sinken, während die Zahl der über 64-Jährigen um mehr als 5 Millionen zunehmen wird. Das Ver14130 hältnis der über 64-Jährigen zu den 20- bis 64-Jährigen wird von derzeit eins zu drei auf eins zu zwei Personen sinken. Dies ist ein ganz entscheidender Unterschied, warum Produktivitäts- und Lohnsteigerungen allein die demografische Entwicklung nicht so werden kompensieren können, wie dies bisher der Fall war. Die Rahmenbedingungen müssen daher so gestaltet werden, dass trotz einer schrumpfenden und älteren Erwerbsgesellschaft ein Höchstmaß an Produktivität und Innovationsfähigkeit erreicht wird. Dazu müssen Betriebe, Sozialpartner und die Politik dafür sorgen, dass die Arbeitsorganisation und die Arbeitsgestaltung auf die spezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgerichtet werden.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die in dem vorliegenden Antrag zitierten Daten, die einen Anstieg der Einkommensarmut und ein steigendes Armutsrisiko in Deutschland belegen sollen, erfassen die negativen Wirkungen der internationalen Finanzund Wirtschaftskrise, aber nicht den positiven Trend des derzeitigen Konjunkturaufschwungs. Im letzten Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung, der im Sommer 2008 vorgestellt wurde, finden sich jedenfalls keinerlei Daten, die auf eine Verschärfung des Armutsproblems hierzulande hinweisen. Armut entzieht sich einer eindeutigen Messung. Die Orientierung des Armutsbegriffs am Durchschnittseinkommen beispielsweise wäre lebensfremd. Wenn das Durchschnittseinkommen steigt, würde gleichzeitig die statistische Zahl der Armen steigen. An deren Situation hätte sich aber in Wahrheit nichts geändert. Die Armutsund Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung orientiert sich daher an einem umfassenden Analyseansatz, der die Risiken für Armut und soziale Ausgrenzung beschreibt. Im letzten Bericht wurde das Konzept der relativen Einkommensarmut zugrunde gelegt, das heißt, Armut gilt als eine auf den mittleren Lebensstandard bezogene Benachteiligung und spiegelt so den durchschnittlichen Wohlstand der Gesellschaft wider. Der dritte Armuts- und Reichtumsbericht wies gleichzeitig aber darauf hin, dass die größte Bedeutung zur Armutsvermeidung wirtschaftliches Wachstum und damit steigende Beschäftigung haben. Wir haben in den vergangenen Jahren die Rahmenbedingungen für das Wachstum der Wirtschaft durch strukturelle Reformen verbessert und gemeinsam mit den Tarifpartnern, die unsere Instrumente zur Krisenbewältigung genutzt haben, dafür gesorgt, dass Deutschland gestärkt aus der Krise hervorgegangen ist. Die Unternehmen können Innovationen vorantreiben, ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und Beschäftigung schaffen. Die Krise ist überwunden. Im Februar 2005 waren 5,29 Millionen Personen arbeitslos. Damit erreichte die Arbeitslosenquote mit 14,1 Prozent den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Seit Mai dieses Jahres liegt die Arbeitslosigkeit unter der 3-Millionen-Marke, auf dem niedrigsten Stand seit den 90er-Jahren. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit einer Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent im besten Drittel. Dieser Beschäftigungsaufschwung ist nachhaltig. Rund 700 000 Menschen haben innerhalb des vergangenen Jahres eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden, davon deutlich mehr als die Hälfte, nämlich 440 000 in Vollzeit. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung lag im März 2011 bei 28,09 Millionen und ist damit trotz Krise wieder höher als vor zehn Jahren, als sie 27,71 Millionen betrug. Und dieser Beschäftigungsaufschwung kommt bei allen an. Allein 282 000 Menschen haben es im abgelaufenen Jahr aus Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz-IV-Bezug heraus geschafft. Dies ist im Vergleich zu früheren Konjunkturzyklen eine neue Entwicklung. Kern sozial gerechter Politik, wie wir sie verstehen, ist es, ökonomische und soziale Teilhabe- und Verwirklichungschancen für alle Mitglieder in der Gesellschaft zu gewährleisten. Politik, die dazu beitragen will, Armut und soziale Ausgrenzung zu verhindern, kann sich daher nicht in der Sicherung von Grundbedürfnissen erschöpfen, wie es der vorliegende Antrag vorsieht. Dauerhafte Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge führt zur Verfestigung von Armut und muss vermieden werden. Entscheidend ist es, den Betroffenen Angebote zu eröffnen und sie zu befähigen, mit einer angemessen entlohnten Erwerbstätigkeit so weit wie möglich vom Bezug von Transferleistungen unabhängig zu werden. Alle müssen die Chance erhalten, ihre individuellen Möglichkeiten auszuschöpfen, Grundbedingung dafür sind wirtschaftliches Wachstum und die damit einhergehenden Beschäftigungsmöglichkeiten. Eine solch leistungsfähige und eine im globalen Wettbewerb erfolgreiche Wirtschaft, die dauerhaft Wohlstand für alle sichert, erwarten wir auch für die nähere Zukunft. Die Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren eine wachsende Wirtschaft und eine weiter rückläufige Arbeitslosigkeit. Die Wachstumsprognosen für 2011 liegen derzeit zwischen 3,5 und 3,7 Prozent Wachstum in diesem Jahr. Einen solchen Wert hat Deutschland seit dem Ende der 1980er-Jahre - bedingt durch die Lasten der Wiedervereinigung - nicht mehr erreichen können. Wir haben gute Voraussetzungen geschaffen, um Armutsrisiken weiter zu vermindern und Teilhabechancen zu verbessern. Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wird den Aufschwung unterstützen. Auch wenn Lohnsteigerungen, dem üblichen Konjunkturmuster folgend, erst in der Spätphase des Aufschwungs realisiert werden, sind wir zuversichtlich, dass wir weiter hohe Tarifabschlüsse und eine gute Arbeitsmarktentwicklung haben werden.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der dritte Armuts- und Reichtumsbericht aus dem Jahr 2008 ist hier im Hause ebenso wie die beiden vorangegangenen Berichte intensiv diskutiert worden. Alle Fraktionen hatten die Gelegenheit, ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Das Gleiche gilt für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das uns in Beantwortung einer Zu Protokoll gegebene Reden Kleinen Anfrage im August letzten Jahres ausführlich über den Stand der Vorbereitungen des vierten Berichtes informiert hat. Es hat seitdem wichtige Fortschritte gegeben: Erstens hat eine kluge und kreative Wirtschaftspolitik die Bundesrepublik Deutschland in eine weltweit anerkannte Wachstumsphase geführt. Damit haben sich die Lebensbedingungen zahlreicher Familien weitaus stärker verbessert, als es durch nachsorgende Sozialmaßnahmen jemals möglich wäre. Zweitens hat die Bundesrepublik Deutschland inzwischen zu ihrem Sozialsystem einen zusätzlichen Baustein ergänzt, nämlich das Bildungs- und Teilhabepaket im Zuge unserer Hartz-IV-Reform. Damit haben wir aus der wichtigsten Schlussfolgerung, die der dritte Armutsund Reichtumsbericht uns nahelegte, konkrete gesetzgeberische Schritte folgen lassen. Die Chancengerechtigkeit in Deutschland wächst. Und ich füge hinzu: Die bei der kommunalen Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets aufgetretenen Probleme sind nicht so überraschend und auch nicht so schlimm, wie es interessierte Kritiker beschreiben, abgesehen vielleicht vom Land Berlin, wo die zuständige Senatsverwaltung bis heute nicht in der Lage ist, ihren Ämtern einheitliche Umsetzungsregelungen und Software zur Verfügung zu stellen. Dafür sind aber weder die Bundesregierung noch der Gesetzgeber verantwortlich zu machen. Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke ist weder sachgerecht noch angemessen. Er enthält Thesen und baut auf Voraussetzungen auf, die für Sozialisten oder Kommunisten akzeptabel sein mögen, aber nicht als Entscheidungsgrundlage für das Parlament eines freiheitlichen Staates. Schon der Verweis auf sogenannte wissenschaftliche Erkenntnisse der zwei Epidemiologen Pickett und Wilkinson kann doch nicht allen Ernstes zur Beschlussgrundlage des Deutschen Bundestages gemacht werden. Dass ich als Liberaler deren These von der Ungleichheit als Ursache gesellschaftlicher und speziell gesundheitlicher Probleme für absurd halte, wird niemanden wundern. Auch Abgeordnete weniger liberaler Fraktionen werden dem nicht folgen können. In freien Ländern lebt es sich nachweislich gesünder als etwa in Nordkorea. Und unter den Ungerechtigkeiten und durchaus auch negativen gesundheitlichen Folgen der DDR leiden viele Menschen bis heute. Die breit ausgeführte Behauptung, erst habe RotGrün, dann Rot-Schwarz, dann Schwarz-Gelb die soziale Ausgrenzung vorangetrieben, ist unsinnig. Allein schon der Versuch, sich derart plump von allen anderen Fraktionen zu distanzieren, macht deutlich, dass dieser Antrag überhaupt nicht auf Unterstützung angelegt ist. Die Linke will isoliert bleiben. Das ist ihr Konzept. Dazu dient auch die ständig wiederholte These von der bewusst herbeigeführten sozialen Spaltung. Im Übrigen trägt der Antrag in weiten Teilen Eulen nach Athen, wenn er Forderungen beinhaltet, die schon in früheren Armuts- und Reichtumsberichten berücksichtigt wurden. Alle Forderungen, die nicht ideologisch gefärbt, sondern objektiv nachvollziehbar sind, wurden in den früheren Berichten längst umgesetzt. Die spezielle Situation von Kindern und Jugendlichen spielte zum Beispiel schon in den früheren Berichten eine zentrale Rolle. Und auch die Laeken-Indikatoren, EU-SILC, waren schon 2008 Grundlage. Die erwähne ich, weil der Antrag der Linken suggeriert, das erfordere alles deren Aufforderung. Die Diskussion über Armut leidet unter den völlig unterschiedlichen Armutsbegriffen, die man ihr zugrunde legen kann. Das soziokulturelle Existenzminimum ist etwas anderes als der am Existenzminimum orientierte Steuerfreibetrag. Das menschenwürdige Existenzminimum unter Berücksichtigung der soziokulturellen Teilhabe nach dem SGB II darf nicht mit der Armutsrisikogrenze verwechselt werden. Und diese ist in der Vergangenheit so unterschiedlich berechnet worden, dass sie nach dem zweiten Armutsbericht 11 256 Euro betragen hätte und nach dem dritten Armutsbericht nur noch 9 372 Euro. Der übliche relative Armutsbegriff täuscht über die faktische Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Menschen in Deutschland hinweg. Alle Haushalte mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens für armutsnah zu erklären und solche mit weniger als 50 Prozent pauschal für arm, ist ebenso schlau wie eine Weltbank-Studie von 1980, in der festgestellt wurde, dass fast die Hälfte aller Amerikaner Hunger leide, weil sie weniger als 50 Prozent der durchschnittlichen Kalorienzahl zu sich nahm. Ich zitiere aus einer Broschüre „Statistische Probleme bei der Armutsmessung“ der Bundesregierung, die dieses Thema bereits 1997 sehr gut aufbereitete. Dort steht auf Seite 36: „Es gibt keine allseits anerkannte, weltweit akzeptierte Art der Armutsmessung. Insbesondere ist die Unterstellung unzutreffend, das Festmachen an der Hälfte des Durchschnitts wäre die ,von führenden Armutsforschern’ unisono anerkannte Art der Armutsmessung; anders als die von DGB und Wohlfahrtsverbänden alimentierten Armutsstudien immer wieder unterstellen, wird diese Art der Armutsmessung von den wirklich führenden Armutsforschern weltweit unisono als verfehlt verworfen. Indem wir Armut als den Abstand von den anderen messen, machen wir das Ausrotten dieser Armut fast definitionsgemäß unmöglich.“ Der nächste Armuts- und Reichtumsbericht kann insofern wiederum nur Fakten, Erfahrungen und Tendenzen zusammenstellen. Sein wissenschaftlicher Wert darf nicht überschätzt werden. Ich bleibe auch bei meiner Meinung, er sollte besser durch ein neutrales Institut und nicht durch die Bundesregierung aufgestellt werden. Bei der Zusammenstellung bedarf die Bundesregierung jedenfalls keiner Aufforderung der Fraktion Die Linke, um das Selbstverständliche zu tun. Bundesregierung und Bundestag benötigen erst recht kein Wahlprogramm der Linken, um ihre Politik daran zu orientieren. Selbstverständlich werden wir auch den Versuch ablehnen, mit diesem Antrag durch die Hintertür flächendeZu Protokoll gegebene Reden ckende gesetzliche Mindestlöhne oder verdoppelte Hartz-IV-Sätze einzuführen. Für mich bleibt unbegreiflich, dass tatsächlich jemand glaubt, dieser Staat könne gesetzliche Mindestlöhne erzwingen, die Lebensarbeitszeit senken, die Renten erhöhen, Investitionsprogramme auflegen, Hartz-IVSätze massiv anheben, Kindergeld und Kinderzuschläge erhöhen, Wohngeld erhöhen, öffentlich geförderte Arbeitsplätze zuhauf anbieten und gebührenfreie Kindertagesbetreuung einführen - alles Forderungen, die auf einer von drei Seiten des Antragstextes aufgelistet sind und das alles durch die sogenannte Reichensteuer finanzieren, die in Wirklichkeit Facharbeiter und große Gruppen der Angestellten und Beamten trifft. Arbeitsplätze, die im Markt entstehen und keiner staatlichen Subvention bedürfen, sind die beste Prävention gegen Armut. Darauf konzentrieren wir unsere Politik. Und ergänzend sorgt die christlich-liberale Koalition dafür, unser Sozialsystem so aufzustellen, dass es auf lange Sicht stabil und bezahlbar bleibt. Abschließend möchte ich betonen, dass noch wichtiger als die Befassung mit materieller Armut eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der sozialen Armut ist, die insbesondere Kinder und Jugendliche erleiden. Einsamkeit, mutwillige Ausgrenzung und andere krankmachende Lebensumstände haben viel mehr mit Erziehungs- und Bildungserfahrungen zu tun als mit berechenbaren Geldbeträgen. Eine Politik, die mehr an die Wahrnehmung persönlicher Verantwortung für sich und andere appelliert und dafür Freiräume schafft, tut mehr gegen Armut als noch so viel umverteiltes Steuergeld. Ich zitiere die Einleitung des dritten Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung aus dem Jahr 2008: „Armut ist ein gesellschaftliches Phänomen mit vielen Gesichtern. Es entzieht sich deshalb einer eindeutigen Messung.“ Und ich ergänze mit Blick auf die antragstellende Fraktion: Armutsbekämpfung entzieht sich auch der einfachen Lösung durch politische Entscheidungen. Schon bei der Vorstellung des dritten Berichtes habe ich darauf hingewiesen, dass seine Politisierung nicht sachdienlich ist. Auch deshalb lehnen wir den vorliegenden Antrag 17/6389 ab.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Armuts- und Reichtumsberichterstattung ist ein wichtiges Instrument zur Analyse der sozialen Wirklichkeit in Deutschland. Sie zeigt uns insbesondere auf, wie erschreckend viele Menschen, darunter besonders häufig Kinder, in diesem reichen Land in Armut leben oder von Armut bedroht sind. So zeigt das Statistische Bundesamt auf der Grundlage der EU-SILC-Daten einen Anstieg der Einkommensarmut von 12,7 Prozent im Jahr 2005 auf 15,5 Prozent im Jahr 2008. Einen Anstieg der Armut weist in längerer Perspektive auch das DIW auf der Grundlage des sozio-oekonomischen Panels aus: Danach lag das Risiko von Einkommensarmut Anfang der 90er-Jahre bei rund 12 Prozent und stieg seitdem bis 2008 auf 14 Prozent an. Dies entspricht etwa 11,5 Millionen betroffenen Personen. Allein an diesen Zahlen lässt sich erkennen, wie wichtig es ist, diese Berichte fortzuführen. Aber sie müssen in wesentlichen Bereichen dringend qualitativ verbessert werden. Gleichzeitig lässt aber auch die Berichterstattung über den Bestand und die Entwicklung des Reichtums erheblich zu wünschen übrig. Zukünftig müssen wesentlich mehr Indikatoren und Befunde zu diesen Themen präsentiert werden. Ein Problem, welches sowohl in den Berichten als auch in den politischen Debatten hingegen fast vollständig ausgeblendet wird, ist verdeckte Armut. Auch hierzulande gibt es Menschen, denen keine oder nur ganz geringe Mittel zur Verfügung stehen und die insofern einen Anspruch auf soziale Leistungen haben, diesen aber nicht realisieren. Die notwendigen Analysen zum Ausmaß und zu Ursachen verdeckter Armut in allen Grundsicherungssystemen und zur Nichtinanspruchnahme von anderen Sozialleistungen, wie beispielsweise Kinderzuschlag oder Wohngeld, fehlen bislang in der Armutsund Reichtumsberichterstattung. Nach einer Untersuchung der Wissenschaftlerin Dr. Irene Becker, deren Kompetenz die Bundesregierung auch bei der Erarbeitung des letzten Armuts- und Reichtumsberichts sehr zu schätzen wusste, lebten im Jahr 2007 etwa 2,7 Millionen Menschen in Deutschland in verdeckter Armut. Das heißt, sie hätten zwar laut Gesetz Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, stellen aber keinen Antrag. Da stellt sich natürlich die Frage: Warum? Die Bundesregierung ist der Meinung, sie verzichten freiwillig, weil sie den Bezug von Sozialleistungen vermeiden wollen. Die Forschungsergebnisse von Frau Becker zeigen allerdings ein anderes Ergebnis: Die Menschen verzichten nicht nur aus Bescheidenheit; die Gründe reichen vielmehr von Angst vor Stigmatisierung über schlechte Erfahrung mit Behörden bis hin zur Unkenntnis. So glauben irrtümlicherweise 57 Prozent der verdeckt Armen, man müsste Sozialhilfe dann zurückzahlen, wenn sich die persönlichen Verhältnisse gebessert haben. Ebenso fehlt bislang eine Analyse der sozialen Kosten und Verwerfungen, die durch Armut und soziale Ungleichheit produziert werden. Hier rate ich, die wissenschaftlichen Ausführungen und Erkenntnisse von Kate Pickett und Richard Wilkinson zu den sozialen Folgekosten sozialer Ungleichheit, die sie beispielsweis in ihrem Buch „Gleichheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ dargelegt haben, zur Kenntnis zu nehmen und im Rahmen der Armuts- und Reichtumsberichterstattung auf die sozialen Verhältnisse in Deutschland zu beziehen. Und leider wird die Armuts- und Reichtumsberichterstattung bis heute auch nicht genutzt, um konkrete politische Instrumente und Maßnahmen in Hinblick auf ihren Beitrag zur Entwicklung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu untersuchen sowie endlich ein umfassendes Programm zur Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung auszuarbeiten und vorzulegen. Die Durchführung des Europäischen Jahres gegen Armut und soziale Ausgrenzung in 2010 oder das regierungsZu Protokoll gegebene Reden amtliche Kleinrechnen des menschenwürdigen Existenzminimums zeigen aktuell die Ignoranz der amtierenden Regierung gegenüber den Problemen von Armut und sozialer Exklusion. Die praktische Politik der Haushaltskonsolidierung wirkt - ganz im Gegenteil zum eigentlich Notwendigen - noch armutsfördernd und ausgrenzend. Mit den Maßnahmen des sogenannten Haushaltsbegleitgesetzes wird massiv bei den Ärmsten - insbesondere bei Hartz-IV-Leistungs-Beziehenden - eingespart, während Vermögende, Banken und Unternehmen geschont werden. Um den Sozialabbau zu verschleiern, werden für Kinder und Jugendliche im Rahmen des angepriesenen Bildungspakets ein paar Gutscheine verteilt. Die Bundesregierung spaltet durch solche Maßnahmen willentlich und wissentlich die Gesellschaft. Aktuell haben ja auch gerade eben die UN Deutschland für ihre schweren Versäumnisse in der Sozialpolitik - beispielsweise die anhaltend hohe Kinderarmut, die Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten sowie Asylberwerberinnen und Asylberwerbern oder die unzureichende Existenzsicherung durch Hartz IV - massiv kritisiert und endlich wirksame Maßnahmen eingefordert. Vor diesem Hintergrund strebt Die Linke eine Umverteilung der materiellen Ressourcen von oben nach unten an und will soziale Sicherheit und Teilhabe am gesellschaftlich geschaffenen Reichtum sowie eine langfristige Lebensperspektive für alle realisieren.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist gut, dass sich nun auch die Linksfraktion dem Thema „Armuts- und Reichtumsbericht“ widmet. Wie schon in meiner Rede zum Antrag der SPD aus dem Februar dieses Jahres betont, ist es wichtig, die Datengrundlage für den Bericht zu erweitern, die Daten des sozio-oekonomischen Panels zu verwenden sowie die Reichtumserfassung zu verbessern. Good Governance ist erst auf der Grundlage einer ausgewogenen und vollständigen Berichterstattung möglich. Zwar ist die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise in den letzten Jahren etwas zurückgegangen. Mittlerweile wachsen die Einkommen und Vermögen im obersten Bereich allerdings wieder überproportional. Die erwarteten wirtschafts- und haushaltsstrukturellen Veränderungen werden vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung aller Voraussicht nach einen weiteren Anstieg der Einkommens- und Vermögensungleichheit nach sich ziehen. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei den Systemen sozialer Sicherung zu. Sie können bei entsprechender Ausgestaltung einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leisten. Die bundesdeutschen Sozialversicherungssysteme stehen ihrerseits jedoch vor diversen Herausforderungen. Nicht nur die demografischen Veränderungen setzen die Systeme unter Druck. Immer wieder wird das angeblich zu hohe Leistungsniveau kritisiert. Dabei ist soziale Sicherung in Deutschland heute viel mehr als die klassische Sozialversicherung Bismarck’scher Prägung, die zuvörderst eine Antwort auf die Bedürfnisse der sich entwickelnden Industrie darstellte. Letztere war zunehmend auf verlässliche Arbeitskräfte angewiesen, die ohne eine Absicherung gegen das elementare Risiko „Erwerbsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall“ nicht dauerhaft zu binden waren. Nicht zufällig markieren die Kranken- und Unfallversicherung den Beginn des gegliederten Systems der sozialen Sicherung in Deutschland. Das heutige System der sozialen Sicherung beschränkt sich nicht mehr allein auf ein System von Lohnersatzleistungen. Der moderne Wohlfahrtsstaat stellt mit seinem breit gegliederten Sozialrechtssystem aus Entschädigung, Vorsorge, Förderung und Hilfe längst eine wesentliche Voraussetzung für soziale und wirtschaftliche Entwicklung dar. Leider ist diese Erkenntnis der Produktivitäts- und Stabilisierungsfunktion sozialer Sicherung in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten. Es ist seit geraumer Zeit von einer Krise des Sozialstaats die Rede, die weniger die - in der Tat zu kritisierende - Institutionenfokussierung in den Blick nimmt als vielmehr die fiskalischen Auswirkungen eines angeblich zu hohen Leistungsniveaus. Die Senkung der Sozialabgaben ist dabei zu einem neuen Mantra wirtschaftlichen Wachstums und der Arbeitsplatzschaffung geworden. Außerdem wirkten sich, so die Gegner eines angeblich überbordenden Sozialstaats, soziale Transfers wettbewerbsverzerrend und letztlich hemmend auf Leistungsanreize aus. Eine solch einseitige Diskussion über die kurzfristigen Kosten reduziert die Sozialpolitik nicht nur auf die Gewährung von Lohnersatzleistungen. Sie zeigt dabei auch, dass Systeme sozialer Sicherung einem enormen Rechtfertigungsdruck unterliegen, mit dem es sich gilt, stets aufs Neue auseinanderzusetzen. Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Sozialausgaben die Risikobereitschaft und damit auch das wirtschaftliche Wachstum positiv beeinflussen. Auch jüngste Studien der Prognos AG aus dem Jahr 2009 zu Kosten und Nutzen medizinischer Rehabilitation, eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln aus dem Jahr 2010 zur beruflichen Rehabilitation in den deutschen Berufsbildungswerken, BBW, sowie eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin, WZB, aus diesem Jahr zu den Wohlfahrtsverlusten aufgrund mangelnder beruflicher Qualifikation von Jugendlichen belegen den volkswirtschaftlichen Investitionscharakter von Sozialausgaben. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung sowie das Bewusstsein hierüber sind allerdings sehr überschaubar. Auch die vergleichende Wohlfahrtsforschung, bei der Wohlfahrtsstaaten oft nur von ihrer Leistungsseite betrachtet werden, tut sich mit den wirtschaftlichen und politischen Aspekten der Sozialpolitik recht schwer. In der Folge ist und bleibt es schwer, sich gegenüber solchen Kräften zu behaupten, die soziale Leistungen vorrangig als Kostenfaktor brandmarken. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, auf der Grundlage einer die Realität abbildende Armuts- und Reichtumsberichterstattung die sozialen Sicherungssysteme im Sinne zu stärken und gegen Angriffe zu verteidigen. Allerdings überfrachtet der Antrag der Fraktion Die Linke die Armuts- und Reichtumsberichterstattung mit ihren parteipolitischen Forderungen. Würde man diesem Vorschlag folgen, würde der Armuts- und ReichZu Protokoll gegebene Reden tumsbericht eher geschwächt als gestärkt. Eine Berichterstattung, die sich dem Verdacht aussetzt, tendenziös zu sein, kann keine politische Durchschlagskraft entfalten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6389 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Arbeit familienfreundlich gestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN „Kinder, Küche und Karriere“ - Vereinbarkeit für Frauen und Männer besser möglich machen - Drucksachen 17/3189, 17/3203, 17/5088 Berichterstattung: Abgeordnete Nadine Schön ({1}) Miriam Gruß Katja Dörner

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eines der wichtigsten Themen zurzeit und mit dem demografischen Wandel und dem damit einhergehenden Fachkräftemangel wird es in den kommenden Jahren noch ein viel bedeutenderes Thema werden. Deshalb freut es mich sehr, dass das Bewusstsein dafür in den Unternehmen merklich gestiegen ist, und das nicht nur aus altruistischen Gründen. Unsere Firmen kalkulieren hart und haben verstanden: Familienfreundlichkeit zahlt sich aus - gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. So bestätigen vier von fünf Unternehmen, dass Familienfreundlichkeit konkrete betriebswirtschaftliche Vorteile bringt. Dazu passen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter Arbeitnehmern, die besagt, dass vier von fünf sich vorstellen können, für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Arbeitgeber zu wechseln. Ob Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Telearbeit, Betriebskindergärten oder sei es nur der Bügelservice, der die Hemden und Anzüge wieder herrichtet: Bundesweit erleben wir, wie sich unsere Firmen auf familiäre Bedürfnisse einstellen, landauf und landab. Diese freiwillige Selbsterkenntnis ist es, die wir meiner Meinung nach nicht durch überzogene Gesetze erdrücken dürfen. Ich sage das mit Blick auf die Vorschläge der Linken in ihrem Antrag. Ein Kündigungsschutz bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres eines Kindes ist schlichtweg übertrieben. Wir sollten Politik immer an den realistischen Bedingungen vor Ort und am Machbaren ausrichten. Das hilft den Menschen, überzogene politische Forderungen hingegen helfen niemandem. In den vergangenen Jahren hat sich bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einiges getan, zum Beispiel bei der Gewährleistung einer möglichst guten Betreuungsinfrastruktur. Ich weiß sehr gut, wovon ich spreche; denn das Thema ist bei mir im ländlichen Raum besonders aktuell. Die Bundesregierung hat viel Geld in die Hand genommen, um ein hohes Versprechen einlösen zu können: den gesetzlich garantierten Anspruch auf einen Platz in einer Kita ab dem Jahre 2013. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dieses Ziel zu erreichen. Und ja, es gibt Unterschiede zwischen den Ländern beim Ausbau der Betreuungsplätze. Aber es liegt nicht am Bund, dass einige Länder hinterherhinken. Werden die Mittel wie geplant eingesetzt, dann sind auch Fortschritte zu sehen. Auf Platz eins beim Ausbau liegt mein Heimatland, das Saarland, trotz bekanntermaßen knapper Kassen. Es geht also, wenn man will. Gemeinsam können wir das Ziel 2013 erreichen. Eine umfassende Betreuungsinfrastruktur alleine reicht aber noch nicht aus. Merklich verbesserte Familienfreundlichkeit, diese umfasst auch noch andere Maßnahmen. Der Ausgangspunkt muss dabei immer die individuelle Situation des Arbeitnehmers vor Ort sein. Daraus leiten sich die nächsten Schritte ab: die gemeinsame Organisation von Babypausen, Fortbildungsangebote während der Elternzeit oder konkrete Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Beruf nach der Babypause. Hinzu kommt immer mehr die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Die geplante Familienpflegezeit ist ein Vorzeigestück an Flexibilität und Praxisnähe, an dem deutlich wird, wie sich die anfangs genannten Zeitkonflikte auflösen lassen, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten. Auch um die flexiblere Gestaltung der Arbeitszeiten werden wir nicht herumkommen. Bislang kennen wir vor allem Vollzeit und Halbzeit. Junge Familien empfinden hingegen eine Arbeitswoche von 30 bis 35 Stunden als optimal. Weshalb sollte man das und andere innovative Modelle nicht aufgreifen? Das Familienministerium tut dies mit der Initiative „Familienbewusste Arbeitszeiten“ gemeinsam mit der Wirtschaft - eine lohnenswerte Alternative. Die Wirtschaft ist - anders als in diesem Hause vonseiten der Opposition oftmals dargestellt - ebenfalls an Kooperationen interessiert. So bündeln Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, Gewerkschaften und Stiftungen ihre Erfahrungen im Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“. Die erfolgreichen Unternehmen werden dann mit dem Audit Beruf und Familie zertifiziert und sind damit auch Vorbild für andere - eine Nadine Schön ({0}) nachhaltige und gute Initiative, der sich hoffentlich noch viele Unternehmen anschließen werden! Gleichzeitig liegt es aber auch an jedem einzelnen Arbeitnehmer, initiativ zu werden und sich für die Verbesserung seiner Situation einzusetzen. Für Frauen, die nach einer längeren Erwerbspause wieder ins Berufsleben eintreten wollen, hat das Familienministerium das Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“ entwickelt und jüngst noch verbessert. Auf dem neuen Internetportal können sich Frauen und Familien noch leichter darüber informieren, wie ein Wiedereinstieg ins Berufsleben am besten organisiert werden kann und inwieweit er sich für die Familie auszahlt. An dieser Stelle wollen wir weiterarbeiten und den Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtern. Alle Regelungen und Verpflichtungen, alle Gesetze, Vorschriften und Hilfestellungen werden die Familien nicht dauerhaft glücklicher machen, solange sich nichts an der Einstellung ändert: an der Einstellung der Mitarbeiter, der Chefs und im Ganzen der Gesellschaft, was den Stellenwert von Familienfreundlichkeit in unserer Arbeitswelt angeht. Meiner Meinung nach werden diese weichen Faktoren besonders bei unserer Anwesenheitskultur deutlich. Denn solange die junge Mutter oder der junge Vater belächelt oder schief angeschaut wird, wenn sie oder er um 17 Uhr das Büro verlässt, um sich um die Kinder zu kümmern, so lange werden sich junge berufstätige Eltern nicht akzeptiert fühlen. Familienfreundlichkeit darf nicht nur proklamiert werden, sie muss gelebt und vorgelebt werden. Ich ende mit eine positiven Nachricht: Im Juni lief die Meldung über die Ticker, dass immer mehr Väter Elternzeit nehmen. Besonders in Sachsen und in Bayern ist die Auszeit vom Beruf zur Unterstützung der Familie sehr beliebt. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich etwas tut in Sachen Familienfreundlichkeit. Und vielleicht dringt diese Nachricht auch bis in die Reihen der Opposition vor. Ich würde das jedenfalls sehr begrüßen.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wieder einmal diskutieren wir die Schwierigkeiten für Frauen und Männer, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Fakt ist: Nach wie vor sind wir in Deutschland von einer guten Vereinbarkeit sowie einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit weit entfernt. Aber genau diese brauchen wir. Unser Ziel muss es daher sein, Frauen ökonomische Unabhängigkeit und Chancengleichheit im Beruf zu ermöglichen und Männern mehr Familienzeit zu geben. Vereinbarkeit heißt eben nicht entweder Familie oder Beruf, sondern beides. Als Erstes ist dazu sicherlich ein Wandel der Arbeitskultur notwendig, hin zu mehr Familienfreundlichkeit und einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben muss endlich vorangehen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat hierzu bereits im Februar 2010 einen Antrag vorgelegt, Drucksache 17/821. Die freiwillige Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft im Jahr 2001 hat keinen gleichstellungspolitischen Fortschritt gebracht. Sie ist kläglich gescheitert. Damit ist der letzte Beweis erbracht: Es bedarf klarer gesetzlicher Regelungen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung bleibt allerdings weiterhin untätig. Betrachten wir nur einmal die Frauenerwerbsquote. Sie ist inzwischen auf weit über 60 Prozent gestiegen. Aber bei genauem Hinsehen bleibt festzustellen, dass das Arbeitszeitvolumen - das heißt die geleisteten Arbeitsstunden - trotz erhöhter Erwerbsquote von Frauen sogar gesunken ist. Denn immer mehr Frauen sind in Teilzeit beschäftigt oder haben Minijobs - häufig ungewollt, wie Umfragen zeigen. Unzureichende soziale Sicherung ist die Folge. Und junge Frauen sind zunehmend - zu fast einem Drittel - befristet beschäftigt. Dies entspricht aber nicht den Vorstellungen und Wünschen junger Menschen. Ökonomische Unabhängigkeit von Frauen heißt auch, dass Arbeit gerecht bezahlt werden muss. Die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern bei gleicher und gleichwertiger Arbeit ist nicht länger hinzunehmen. Jedes Jahr, am Equal Pay Day, wird auch anhand der zahlreichen Aktionen deutlich: Wir brauchen endlich konkrete Lösungen. Notwendig sind verbindliche gesetzliche Regelungen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits Eckpunkte für ein Entgeltgleichheitsgesetz verabschiedet. Ein Wandel der Arbeitskultur ist auch notwendig im Hinblick auf das Thema „Frauen in Führungspositionen“. Wenige der gut ausgebildeten Frauen schaffen einen Aufstieg bis in die Führungsetagen, gar in die Aufsichtsräte und Vorstände von Aktiengesellschaften. Dies zu ändern, dafür brauchen wir eine gesetzliche Quote von mindestens 40 Prozent. Die geplante Besetzung im Vorstand der Telekom mit zwei Frauen, wie sie diese Woche angekündigt wurde, ist zu begrüßen. Aber sie ist eben nicht mehr als ein Signal bzw. ein Tropfen auf den heißen Stein. Für eine wirklich bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf brauchen wir auch flexible familienfreundliche Arbeitszeitmodelle. Mütter wollen mehr und Väter oft weniger arbeiten. Lassen Sie uns also über moderne und innovative Arbeitszeitmodelle reden. Arbeitszeitmodelle wie die sogenannte Große Teilzeit mit circa 30 Stunden Wochenarbeitszeit für Männer und Frauen. Verschiedene Lebensphasen bestimmen die Wünsche zu Arbeitszeit und -volumen. Männer wie Frauen brauchen endlich mehr Optionen, ihre Arbeitszeit an ihren Lebenslauf anpassen zu können, die Arbeit kurzfristig unterbrechen und ohne Probleme zurückkehren zu können. Das Sachverständigengutachten zur Erstellung des Gleichstellungsberichts gibt der Bundesregierung viele gute Lösungsvorschläge an die Hand. Jetzt ist die Bundesregierung aufgefordert zu handeln. Leider ist Stillstand das Motto der Bundesregierung, vor allem bei der Familienministerin. Die angekündigte Weiterentwicklung des Elterngeldes - ein sinnvolles InZu Protokoll gegebene Reden strument zur besseren Vereinbarkeit - ist auf Eis gelegt. Nicht unerwähnt lassen möchte ich in diesem Zusammenhang, dass wir endlich andere Rahmenbedingungen im Steuerrecht brauchen. Bisher zementiert dieses alte Rollenbilder und trägt somit nicht zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen bei. Anstelle des Ehegattensplittings müssen Ehepartner zukünftig individuell besteuert werden. Die Steuerklassenkombination III/V gehört abgeschafft. Bei der Individualbesteuerung wollen wir Unterhaltsverpflichtungen der Ehegatten und entsprechende Bestandsschutzregelungen berücksichtigen. In den beiden vorliegenden Anträgen der Grünen und der Linken, die wir heute abschließend debattieren, ist die beschriebene Problemanalyse überwiegend zutreffend. Der notwendige Dreiklang von Zeit, Geld und Infrastruktur in der Familienpolitik muss gelingen und mit Leben gefüllt werden. Nach wie vor gibt es große Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weil es zu wenige, zu unflexible und nicht ausreichend lange Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt. Die viel beschworene Wahlfreiheit existiert in der Wirklichkeit nicht. Wir brauchen mehr Kinderbetreuungsangebote, vor allem fehlen Krippenplätze und Ganztagsangebote in Kitas und Schulen. Es ist wichtig, dass für jedes Kind ein bedarfsgerechter und qualitativ hochwertiger Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Vor allem in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder entscheidet sich für Eltern die Verteilung der Familien- und Erwerbsarbeit für einen langen Zeitraum. Deswegen ist der Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren von besonderer Bedeutung. Denn nach wie vor kehren Mütter nur zu 14 Prozent nach der Geburt des ersten Kindes wieder zurück in eine Vollzeiterwerbstätigkeit, Väter hingegen kehren in der Regel nach kurzer Elternzeit zurück in ihre Vollzeiterwerbstätigkeit. Auch die steigende Zahl der älteren Menschen mit Betreuungs- und Pflegebedarf erfordert neue Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt und eine bedarfsgerechte Pflegeinfrastruktur. Betonen möchte ich: Pflegearbeit ist eine gesamtgesellschaftliche und keine ausschließlich private Aufgabe. Wo Pflegearbeit aber familiär übernommen wird, muss dies gelingen können, aber nicht mit einseitig den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern übertragenem Lohnverzicht, den sich überhaupt nur wenige leisten könnten. Vielmehr brauchen Beschäftigte flexible Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung, Rückkehrrechte in Vollzeit nach Arbeitszeitreduzierung, mit einem bezahlten kurzfristigen Freistellungsanspruch von zehn Tagen. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen effektiv zu verbessern, bleibt noch viel zu tun. Lassen sie es uns gemeinsam voranbringen.

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie liegt auch der christlich-liberalen Regierungskoalition sehr am Herzen. Wie die Grünen in ihrem Antrag richtig festhalten, fehlen bislang immer noch ausreichende Betreuungsplätze und teilweise flexible Arbeitszeiten. Aber: Wir tun sehr viel dafür, dies zu ändern! Und die Zahlen sprechen für uns: Der Ausbau der Kinderbetreuung bis 2013 kommt gut voran. Mein Bundesland Bayern hat bereits all seine Investitionsmittel abgerufen wir sind damit Vorreiter im Ausbau der Kinderbetreuung. Die Betreuungsquote ist um 118 Prozent gestiegen! Aber auch die anderen Länder ziehen nach. Ich bin hier sehr zuversichtlich. Allerdings fällt vieles, was Sie ansprechen, in den Zuständigkeitsbereich der Länder und Kommunen - die Sprachausbildung in den Kindergärten beispielsweise. Trotzdem leistet der Bund mit der Sprachförderung in den 4 000 Schwerpunktkitas wichtige Arbeit. Die „Offensive Frühe Chancen“ genauso wie das „Aktionsprogramm Kindertagespflege“ wirken. Der Bund beteiligt sich mit 4 Milliarden Euro am Ausbau einer bedarfsgerechten, qualitätsorientierten Kindertagesbetreuung. Sie können uns also einiges vorwerfen - Untätigkeit jedoch nicht! Im Gegenteil: Wir engagieren uns in einem Maße für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie noch keine Regierung zuvor. Ich kann die Zielsetzung der beiden Anträge gut nachvollziehen; auch wenn sie sich teilweise erübrigen. Was ich nicht verstehen kann, ist die Staatsgläubigkeit, die aus ihnen deutlich wird. Zum Antrag der Grünen: Es braucht nicht unbedingt einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung! Lassen Sie uns erst einmal den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz erproben, Nicht alles muss auf diesem Wege gelöst werden! Sie fordern mehr Teilzeitlösungen für junge Eltern. Flexible Arbeitszeiten sind in der Tat ein wichtiger Punkt. Die Ergebnisse des Familienmonitor 2010 zeigen: 60 Prozent der Väter wollen mehr Zeit für ihre Kinder. Und Bertelsmann stellte vor kurzem fest: Für sechs von zehn Deutschen ist der männliche Alleinverdiener ein Auslaufmodell. Wir setzen Anreize, um Teilzeitarbeit für Mann und Frau attraktiver zu gestalten. Manche Eltern wollen vielleicht 20, andere 25 Stunden arbeiten. Sie werden in Zukunft die Möglichkeit dazu haben. Dass dies funktioniert, zeigt ein Beispiel aus meiner Heimat: Unternehmen wie MTU bieten ihren Mitarbeitern mehr als 50 verschiedene Arbeitszeitmodelle an. Das ist bedarfsgerecht und entspricht den tatsächlichen Bedürfnissen von Eltern. Die Unternehmen haben selbst ein großes Interesse an einem familienfreundlichen Klima. Sie wollen und müssen gute Angestellte halten. Mehr Zwang und Bürokratie sind da aber der falsche Weg. Was die Linke fordert, entbehrt wieder einmal jeglicher Wirtschaftskenntnis: Sechs Jahre Kündigungsschutz oder das Recht darauf, seine Arbeitszeiten selbst zu setzen, wird Eltern nicht nützen, sondern nur schaden. Die Unternehmer vor Ort wissen meist am besten, was ihre Angestellten brauchen, und schaffen passende Lösungen. Als Regierung unterstützen wir diesen Prozess. Allerdings sollte unser Schwerpunkt nicht auf Teilzeitmodellen liegen. Wie Sie in allen Studien zum Fachkräftemangel in Deutschland nachlesen können, hat Zu Protokoll gegebene Reden Deutschland die höchste Quote von Frauen in Teilzeitbeschäftigung in Europa - und dazu noch mit der geringsten Wochenstundenzahl! Wir müssen es daher noch mehr Frauen ermöglichen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen, auch wenn sie junge Kinder haben. 2011 muss unser Ziel doch lauten, möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen. Das bringt mich gleich zu zwei weiteren Punkten: Sie fordern den Mindestlohn. Man kann es nicht oft genug betonen: Politisch festgelegte Mindestlöhne bedrohen Arbeitsplätze. Uns geht es aber darum, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Und das zeichnet uns aus: Wir haben gegenwärtig den niedrigsten Arbeitslosenstand seit langem! Beide Anträge fordern die Verbesserung der Wiedereinstiegsmöglichkeiten nach der Familienphase. Diesen Ansatz teilen wir als schwarz-gelbe Regierung. Deshalb legen wir auch ein umfassendes Wiedereinstiegsprogramm vor. Ein „Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle“, wie in den zwei Anträgen gefordert, halte ich aber für kontraproduktiv. Es darf doch nicht zu einem Risiko für die Unternehmen werden, junge Menschen einzustellen. Nein, Zwang ist der falsche Weg! Eltern müssen die Wahlfreiheit haben, Familie und Job nach ihren Vorstellungen vereinbaren zu können. Dafür setzen wir uns mit ganzer Kraft ein. Die „bundesgläubigen“ Lösungen, die in den beiden Anträgen vorgeschlagen werden, lehnen wir deshalb ab. Wir wollen eine wirkliche „Vereinbarkeit“ von Beruf und Familie - kein Gegeneinander von Wirtschaft und Familien, sondern ein Miteinander. Alles andere geht auch an der Wirklichkeit der Arbeitnehmer draußen vorbei.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Trotz des 7. Familienberichtes liegen im Bereich der Zeitpolitik wenig zielführende Vorschläge für die politische Ausgestaltung einer modernen Familienpolitik vor. Noch immer ist eine Entscheidung für ein Kind eine Entscheidung über die Erwerbstätigkeit der Frau. Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist, wie intensiv in letzter Zeit über eine familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt geredet wird. Es werden Allianzen für Familien ins Leben gerufen, es finden sich Impulsgruppen von Wirtschaft, über Gewerkschaft bis hin zu wissenschaftlich begleiteten Initiativgruppen. Es werden Studien, Expertisen und Beraterverträge in Auftrag gegeben, siehe Drucksache 17/6032, Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Was aber ist konkret passiert bzw. was soll noch konkret passieren? An dieser Stelle sei mir ein Rückblick gestattet: Am 12. Dezember 2007 hat meine Fraktion den Antrag „Arbeit familienfreundlich gestalten - Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter lebbar machen“ - Drucksache16/7482 - eingereicht. 2008 wurde er im Ausschuss bearbeitet, am 5. März 2009 im Plenum diskutiert und abgestimmt. Sie alle haben erwartungsgemäß - in gewohnter Manier - den Antrag abgelehnt. Die Gründe für ihre Ablehnung lassen sich wie folgt fassen: Die Forderung, die Arbeitswelt familienfreundlich zu gestalten, könne man noch unterstützen. So weit, so gut; aber den im Antrag geforderten Maßnahmen zum Kündigungsschutz, zur Berufsrückkehr und zur Arbeitszeitgestaltung könne man nicht folgen. Am 6. Oktober 2010 hat meine Fraktion erneut einen Antrag - Drucksache 17/3189: „Arbeit familienfreundlich gestalten“ - eingereicht. Im Ausschuss wurde er am 16. März 2011 von CDU/CSU und FDP abgelehnt. SPD und Grüne haben sich diesmal der Stimme enthalten. Das ist interessant. Auch ein entsprechender Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde von der Koalition abgelehnt. Die CDU/CSU kommt in der Begründung ihrer Ablehnung unseres Antrages zu dem Schluss - ich zitiere aus Drucksache 17/5088 -: „Der im Antrag zum Ausdruck kommende Staatsdirigismus“ wird abgelehnt. Weiter: „Es erscheint beispielsweise sehr fraglich, ob man jungen Eltern mit einem Kündigungsschutz von sechs Jahren tatsächlich nützt oder eher schadet.“ Die FDP bemängelt dagegen in unserem Antrag eine immanente Bundesgläubigkeit. Der Bund könne nun einmal nicht alles regeln. Die Forderung nach Einführung eines Mindestlohnes wird strikt abgelehnt. Das Kuriose an der ganzen Sache erschließt sich mir in der Antwort der Bundesregierung auf die schriftlich eingereichte Frage meiner Fraktion - ich zitiere -: Anknüpfend am hohen Bedarf berufstätiger Eltern hat das BMFSFJ in Kooperation mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag am 29. Oktober 2010 die Initiative „Familienbewusste Arbeitszeiten“ gestartet. Damit werden Arbeitgeber motiviert und dabei unterstützt, mehr flexible und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle anzubieten, die Müttern mehr Karrierechancen und Vätern mehr Familienzeit ermöglichen. Dazu passt dann auch noch der O-Ton der Bundesministerin Kristina Schröder - ich zitiere -: „Zeit ist die Leitwährung moderner Familienpolitik“. Hört, hört! Welche interessante Wende in der politischen Argumentation. Die in diesem Zusammenhang unterzeichnete Charta für familienbewusste Arbeitszeiten zwischen der Bundesregierung, den Spitzenverbänden der Wirtschaft und den Gewerkschaften soll im Frühjahr 2013 Bilanz ziehen. Was soll man davon halten, frage ich Sie? Mein Fazit zu Ihren politischen Spitzfindigkeiten und Taktiken - ich wiederhole mich ungern, aber an dieser Stelle ist es angebracht -: Wenn wir, die Linke, mit Geduld abwarten, dann finden sich unsere Forderungen in Ihren Anträgen wieder. Genau dies habe ich Ihnen schon einmal nachweisen können, und ich werde nicht müde dabei, es weiter zu tun. Immerhin, so kommen die Forderungen der Linken doch zum Zuge, wenn auch zeitversetzt. Wir sind halt der Zeit immer ein wenig voraus. Zu Protokoll gegebene Reden

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Wir wollen familien- und kinderfreundliche Rahmenbedingungen durch eine familienfreundliche Kultur und Infrastruktur sowie eine familiengerechte Arbeitswelt schaffen.“ Das ist nicht etwa ein Zitat aus unserem Antrag, sondern entstammt dem Koalitionsvertrag der Parteien, die unseren Antrag zur Förderung familienfreundlicher Rahmenbedingungen und einer familiengerechten Arbeitswelt im Ausschuss abgelehnt haben. Sicherlich können wir geteilter Auffassung sein, was genau denn unter der Verbesserung von Rahmenbedingungen für Kinder und Familien zu verstehen ist. Wir Grünen gehen davon aus, dass die Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz zentral ist, und wir wollen, dass die Qualität dieser Kitaplätze verbessert wird. Der Bericht der Bundesregierung zum Ausbau der Kindertagesbetreuung belegt, dass der Personaleinsatzschlüssel vielerorts „unter fachlichen Gesichtspunkten als bedenklich“ und als „verbesserungswürdig“ einzustufen ist. Warum ihn dann nicht verbessern und damit die Qualität der Kinderbetreuung steigern? An der mangelnden Erkenntnis liegt es offensichtlich nicht, viel eher am politischen Willen. Es ist absolut richtig: Für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie braucht man Zeit, Infrastruktur und Geld. Zu familienfreundlichen Rahmenbedingungen gehört dann auch die Weiterentwicklung des Teilelterngeldes. Wenn heute beide frischgebackenen Elternteile nach der Geburt eines Kindes in Teilzeit arbeiten, dann verlängert sich der Bezugszeitraum des Elterngeldes eben gerade nicht. Verglichen mit einem Paar, bei dem ein Elternteil zu Hause bleibt und der andere weiter Vollzeit arbeitet, bekommen diese Eltern insgesamt also weniger Elterngeld. Das ist ungerecht und meiner Meinung nach auch unzeitgemäß. Viele Eltern wollen sich Erwerbsarbeit und Familienarbeit fair und partnerschaftlich teilen. Deshalb brauchen wir endlich ein flexibles Teilelterngeld ohne doppelten Anspruchsverbrauch. Diese richtige Idee hatte die Ministerin ja auch schon einmal, aber wie fast alle anderen familienpolitischen Maßnahmen, die groß im Koalitionsvertrag angekündigt waren, ist auch das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden. Damit die Ministerin mit „mehr Vereinbarkeit“ einmal ernst machen könnte, darf sie eben keine Ankündigungsministerin bleiben. Trotz eines zunehmenden Problembewusstseins - auch in der Bundesregierung - gibt es noch immer zahlreiche Hindernisse auf dem Weg zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Eltern benötigen neben guter Infrastruktur eine familienfreundliche Arbeitswelt. Leider setzt die Familienministerin hier statt auf solide Regelungen auf politische Appelle. Angesichts der Erfahrungen mit freiwilligen Vereinbarungen ist auch bei der im Februar 2011 unterzeichneten „Charta für familienbewusste Arbeitszeiten“ zu befürchten, dass es sich dabei letztlich nur wieder um einen „zahnlosen Tiger“ handelt. Eltern brauchen bezogen auf ihren Arbeitsplatz Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Nach der Elternzeit in erzwungener Teilzeit und auf einer wenig qualifizierten Stelle stecken zu bleiben - das ist ein realer Erfahrungswert vieler junger Eltern, insbesondere von Müttern. Deshalb ist es absolut überfällig, das Recht auf Teilzeit, das wir heute schon im Teilzeit- und Befristungsgesetz verankert haben, um ein Rückkehrrecht auf eine Vollzeittätigkeit zu ergänzen. Gleichzeitig halte ich die Forderung, die sachgrundlose Befristung und die Befristung auf Probe abzuschaffen - auch im Zusammenhang mit unserer heutigen Debatte -, für ausgesprochen wichtig und vielversprechend. Es ist bedauerlich, dass unsere Vorschläge von den Regierungsfraktionen so einfach vom Tisch gewischt werden; dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Regierung jedes Engagement in der Frage vermissen lässt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/5088. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3189 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von SPD und Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3203. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir haben es vor 23 Uhr geschafft. ({0}) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 8. Juli 2011, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.