Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Platz
gibt es ja reichlich.
({0})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen zunächst einige Mitteilungen zu machen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 2
und 3 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und
den Tagesordnungspunkt 4 auf morgen zu verschieben.
Als neuer Tagesordnungspunkt ist die erste Beratung des
Antrags der Bundesregierung zur Beteiligung deutscher
Soldaten am sogenannten UNMISS-Einsatz in Südsudan
vorgesehen. Dieser Zusatzpunkt soll nach der Regierungsbefragung aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat mitgeteilt, dass der Kollege Stefan Müller anstelle des Kollegen Dr. Hans-Peter
Friedrich neues ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuss werden soll. Als seine Stellvertreterin ist die
Kollegin Gerda Hasselfeldt vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? - Dann ist auch das offenkundig so vereinbart.
({1})
Damit sind der Kollege Müller als ordentliches Mitglied
und die Kollegin Hasselfeldt als Stellvertreterin in den
Vermittlungsausschuss gewählt.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass zu der gerade
vorgenommenen Wahl schriftliche Erklärungen der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vorliegen, die wir zu Protokoll nehmen.
({2})
- Wir begrüßen die SPD-Fraktion in Gestalt ihres Ersten
Parlamentarischen Geschäftsführers, der rechtzeitig zum
Tagesordnungspunkt 1 erschienen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf des Bundeshaushalts 2012.
Bevor ich für den einleitenden Bericht dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Steffen Kampeter, das Wort erteile, will ich darauf
hinweisen, dass wir uns bei den Regierungsbefragungen
in den letzten Wochen darüber verständigt hatten, dass
sowohl die Fragen als auch die Antworten nach dem einleitenden Bericht jeweils auf eine Minute beschränkt
werden. Auch heute wird nach Ablauf der Minute ein
akustisches Signal ertönen und sowohl die Fragesteller
als auch den antwortenden Staatssekretär daran erinnern,
zum Schluss zu kommen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist offenkundig der Fall.
({3})
- Sehr geehrter Herr Staatssekretär, lieber Kollege
Kampeter, ob die Regierung das nett findet oder nicht,
ist völlig unerheblich. Wenn der Bundestag das so beschließt, wird so verfahren. Deswegen nehme ich den
Zwischenruf zum Anlass, noch einmal ausdrücklich festzuhalten, dass dies erkennbar der Wille des Bundestages
ist.
({4})
Damit erhält der Kollege Kampeter Gelegenheit für
seinen einführenden Bericht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat sich heute schwerpunktmäßig mit der Verabschiedung des Haushaltsplanentwurfes für das Jahr 2012
Redetext
und der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2015
beschäftigt. Der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang
Schäuble hat das Parlament unmittelbar nach Ende der
Kabinettssitzung in der Haushaltsausschusssitzung unterrichtet. Ich freue mich, Ihnen hier in der Regierungsbefragung die Grundzüge des Haushaltsplanentwurfes
darlegen zu können.
Wir haben dem Parlament ein Ausgabevolumen für
das Jahr 2012 in Höhe von 306 Milliarden Euro vorgeschlagen. Wir gehen für das nächste Jahr von Steuereinnahmen in Höhe von 247,4 Milliarden Euro und sonstigen Einnahmen von 31,5 Milliarden Euro aus. Damit
kommen wir zu einer Nettokreditaufnahme von 27,2 Milliarden Euro.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem
Haushaltsplanentwurf spiegelt sich die gute wirtschaftliche Entwicklung wider, von der wir uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt begleitet sehen. Aber auch die haushaltswirtschaftlichen und haushaltspolitischen Eckpunkte
lassen sich erkennen. Wir halten auch 2012 und in den
Folgejahren die Vorgaben der seit diesem Jahr geltenden
Schuldenbremse strikt ein. Wenn der Bundestag den
Vorschlägen folgt, bin ich zuversichtlich, dass wir im
Jahre 2016, wie wir es vereinbart haben, einen strukturell ausgeglichenen Haushalt erreichen können. Das
strukturelle Defizit sinkt im Finanzplanungszeitraum
Jahr für Jahr im Durchschnitt um rund 5 Milliarden
Euro.
Eine zweite Anmerkung. Der Konsolidierungskurs,
den wir Ihnen mit dem Haushaltsplanentwurf und der
mittelfristigen Finanzplanung vorschlagen, geht nicht
zulasten wichtiger Gestaltungsspielräume. Wir schaffen
durch den Ausbau der Förderung von Bildung, Forschung und Entwicklung nachhaltig wirkende Wachstumsimpulse. Gleichwohl wird ein besonderer Schwerpunkt im energiepolitischen Bereich gesetzt. Die Reform
der Bundeswehr wird im Spannungsfeld von notwendigen Aufwendungen und Konsolidierung entsprechend
der Festlegung vom Frühjahr fortgeführt; die personalwirtschaftliche Planung wird kompatibel dazu sein.
Drittens. Beim Abbau der Neuverschuldung sind wir
auf einem guten Wege, aber noch lange nicht am Ziel.
Auch wenn die Neuverschuldung in den nächsten Jahren
kontinuierlich zurückgeht, besteht weiterer Handlungsbedarf, damit das Ziel eines strukturell annähernd ausgeglichenen Haushalts tatsächlich erreicht wird. Dies ist
nicht zuletzt vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und
haushalterischer Risiken notwendig, die immer mit dem
vergleichsweise langen Zeitraum einer mittelfristigen Finanzplanung verbunden sind.
Vierte Anmerkung. Über einen Mehrjahreszeitraum
betrachtet, erfolgt der Abbau der Neuverschuldung über
einen begrenzten Ausgabenzuwachs und steigende Einnahmen. Vor dem Hintergrund der stark sozialpolitisch
ausgerichteten Ausgabenstruktur stellt eine umfassende
Kürzung der Ausgaben keine politisch und gesellschaftlich akzeptierte Alternative dar. Im Umkehrschluss folgt
daraus, dass ein Großteil der Mehreinnahmen erforderlich ist, um die Konsolidierungsaufgabe zu bewältigen.
Bei der Ausgabenentwicklung planen wir konservativ,
das heißt, die Ausgaben steigen im Vergleich zur Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts weniger schnell.
Auch so tragen wir nicht nur zur Konsolidierung, sondern auch zur Senkung der Staatsquote bei.
Neben der nationalen Bedeutung des Bundeshaushalts sind auch internationale Aspekte der Haushaltsplanung zu berücksichtigen. Mit dem Europäischen Semester und der frühzeitigen Verabschiedung der Eckwerte
des Bundeshaushalts bereits im Frühjahr dieses Jahres
gab es in diesem Jahr wichtige Verbesserungen im Haushaltsaufstellungsverfahren und eine konsequente Orientierung der Haushaltspolitik am europäischen Stabilitätsund Wachstumspakt sowie an der Schuldenbremse. Damit steigt die gemeinsame Verantwortung aller Kabinettsmitglieder und Fachpolitiker für einen nachhaltigen
und wachstumsfreundlichen Haushalt, der sich in die internationalen Konsolidierungsbemühungen in der EuroZone und der Europäischen Union eingliedert.
Ich freue mich auf die Fragen zu diesem Haushaltsplanentwurf.
Vielen Dank. - Die erste Nachfrage ist von der Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege
Kampeter, ich würde gerne die Einschätzung der Bundesregierung dazu hören, wie sie trotz der Nettokreditaufnahme bzw. der Nettoneuverschuldung von über
27 Milliarden Euro zu dem Ergebnis kommt, dass eine
Steuersenkung durchgeführt werden soll. Angesichts der
geplanten Steuerentlastung in Höhe von 8 bis 10 Milliarden Euro, die derzeit öffentlich diskutiert wird, frage ich
mich, wie Sie trotzdem die vorgesehene Nettokreditaufnahme rechtfertigen. Auf diese Frage hätte ich gerne
eine Antwort.
Frau Kollegin Hasselfeldt -
Haßelmann.
Frau Kollegin Haßelmann - aus Bielefeld, Ostwestfalen-Lippe, Sie sind mir wohlbekannt -, es gibt keine
endgültige Festlegung auf Art und Umfang möglicher
steuerpolitischer Anpassungen in dieser Legislaturperiode. Es gibt lediglich einen politischen Grundsatzbeschluss der Vorsitzenden der Parteien, die die Regierungskoalition bilden. Dieser Beschluss ist heute im
Kabinett zur Kenntnis genommen worden. Im Lichte der
steuerlichen Entwicklung werden wir uns im Laufe des
Jahres - im Herbst stehen weitere politische Entscheidungen an - gemeinschaftlich darauf einigen, wie wir
den vorhandenen Gestaltungsspielraum ausgestalten.
Im Kern geht es dabei auch um die gerechte Behandlung von unbeabsichtigten Steuererhöhungen im Bereich
der kalten Progression. Wie dies konkret ausgestaltet
wird, obliegt den politischen Festlegungen, die heute im
Kabinett allerdings noch nicht getroffen worden sind.
Die nächste Frage stellt der Kollege Schneider.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, wie exzellent Ihrer Auffassung nach die Haushaltseckwerte sind.
Ich stelle fest, dass wir im Jahre 2008 das absolute Spitzenniveau erreicht hatten, sowohl was die Wirtschaftsleistung als auch was die Steuereinnahmen betrifft. Im
Jahr 2012 toppen wir das: Wir haben voraussichtlich
10 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und auch ein
höheres Bruttoinlandsprodukt. Nichtsdestotrotz ist im
Haushalt 2012 eine Nettokreditaufnahme von 27 Milliarden Euro vorgesehen. 2008 waren es 11 Milliarden Euro.
Wie können Sie behaupten, dass das ein guter Haushalt
ist, wenn wir trotz deutlich höherer Steuereinnahmen
eine dreifach höhere Nettokreditaufnahme zu verzeichnen haben?
Herr Kollege Schneider, zur Bewertung von Haushaltsplanentwürfen durch Regierung und Opposition:
Ich will gerne konzedieren, dass wir - das ist eine historische Erfahrung - selten beieinander liegen.
Tatsache ist: In dem bisher geltenden Finanzplan, den
wir heute aktualisiert haben, haben wir für das Jahr 2012
eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 40 Milliarden
Euro vorgesehen. Durch die erfreuliche Entwicklung auf
der Einnahme- wie auf der Ausgabenseite können wir im
Eckwertebeschluss die hohe Nettokreditaufnahme auf
31,5 Milliarden Euro korrigieren. Mit der Beschlussfassung, die in diesem Jahr eine Nettokreditaufnahme in
Höhe von 27,2 Milliarden Euro vorsieht, liegen wir etwa
13 Milliarden Euro unter der Nettokreditaufnahme, die
wir noch vor einem Jahr als Grundlage für unsere mittelfristige Finanzplanung herangezogen haben.
Sie haben gefragt, welche Veränderungen es bei den
Ausgaben gibt. Es handelt sich im Wesentlichen um sozialpolitisch induzierte Bereiche. Sie wissen, dass wir
beispielsweise einen vollen Umsatzsteuerpunkt an die
Rentenversicherung abführen.
({0})
- Das ist das akustische Signal. - Durch die erfreuliche
wirtschaftliche Entwicklung fällt dieser Beitrag höher
aus. Ebenso ist es richtig, dass wir Stabilisierungsmaßnahmen im Bereich der Krankenversicherung durchgeführt haben.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Schneider.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben ausgeführt, dass
die Nettokreditaufnahme gegenüber der Vorjahresplanung um 13 Milliarden Euro sinkt. Das ist gut. Können
Sie mir bestätigen, dass die konjunkturellen Effekte für
den Bundeshaushalt 2012 ein Plus von rund 20 Milliarden Euro bedeuten, nämlich 14,6 Milliarden Euro mehr
Steuereinnahmen und 4,7 Milliarden Euro geringere
Arbeitsmarktausgaben? Das ergibt eine Differenz von
7 Milliarden Euro. Wo soll dieser Betrag ausgegeben
werden?
Herr Kollege Schneider, ich kann Ihnen erstens nachdrücklich bestätigen, dass wir 13 Milliarden Euro mehr
eingenommen haben, als wir vor einem Jahr weniger optimistisch geglaubt haben. Zweitens haben wir die im
Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse vollumfänglich eingehalten. Drittens stehen wir mit unserem
Konsolidierungskurs sowohl auf internationaler Ebene
als auch auf der Ebene der Staaten der Euro-Zone an der
Spitze. Daher glaube ich, dass die christlich-liberale Koalition und die Bundesregierung Ihnen eine nachhaltige
und erfolgreiche Haushaltspolitik vorschlagen.
({0})
Frau Hinz hat die nächste Frage.
Herr Kollege Kampeter - ({0})
- Lieber Herr Kollege Staatssekretär Kampeter!
({1})
Im Haushaltsausschuss herrscht Respekt zwischen
den Kolleginnen und Kollegen.
Das geht alles unnötig auf Kosten der Redezeit.
({0})
Angesichts der Tatsache, dass trotz des konjunkturellen Aufschwungs bis zum Jahr 2015 85,5 Milliarden
Euro neue Schulden aufgenommen werden sollen, und
angesichts der Tatsache, dass für den Finanzplan zusätzliche Risiken entstanden sind - globale Minderausgabe;
höhere Ausgaben für die Bundeswehr, die entstehen, obwohl sie verkleinert wird; Stichwort „Finanztransaktion13784
Priska Hinz ({0})
steuer“, die noch nicht beschlossen ist -, möchte ich Sie
fragen, welchen Spielraum Sie für Steuersenkungen sehen.
Frau Kollegin Hinz, ich habe in meiner einleitenden
Stellungnahme deutlich gemacht, dass wir in der Haushaltspolitik in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen stehen werden. Eine Abkehr vom Konsolidierungskurs ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder
geboten noch in irgendeiner Art und Weise von der Regierungskoalition oder der Bundesregierung politisch
gewollt.
Unabhängig davon haben sich die drei die Koalition
tragenden Parteien darauf verständigt, die Entwicklung
in diesem Jahr im Auge zu behalten. Wenn sie weiter so
erfreulich ist, werden wir im Lichte der Steuerschätzung
im November festlegen, welche steuerlichen Anpassungsmaßnahmen es geben kann. Diese müssen zum einen die notwendige Verhinderung von unerwünschten
Steuererhöhungen beinhalten und dürfen zum anderen
die Einhaltung des Konsolidierungskurses, des Abbaupfades und der Schuldenbremse nicht gefährden. Den
Spielraum zwischen beiden - in Teilen miteinander konkurrierenden - Zielsetzungen auszuloten, ist Teil der Gestaltungsaufgabe der Bundesregierung. Wir werden sie
annehmen.
Frau Dörner hat die nächste Frage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ist es zutreffend,
dass für die eventuell geplanten Steuersenkungen in der
mittelfristigen Finanzplanung keinerlei Vorsorge getroffen worden ist?
Frau Kollegin, nein, sehr geehrte Frau Kollegin - Entschuldigung! -, ich wiederhole, dass wir über Volumina
möglicher steuerlicher Anpassungsmaßnahmen und Vergleichbares - Stichwort „kalte Progression“, Verhinderung unerwünschter Steuererhöhungen - noch keine abschließende Entscheidung getroffen haben. Insoweit
bilden sich diese Dinge in der mittelfristigen Finanzplanung, im Haushaltsplanentwurf noch nicht ab.
Letztendlich ist die Gestaltungsaufgabe der Politik,
wenn eine neue Lage entsteht, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen und sein politisches Handeln entsprechend
auszurichten. Ich bin sicher - das habe ich bereits deutlich gemacht -, dass wir sowohl die steuerpolitischen
Rahmenbedingungen werden verbessern können als
auch die Schuldenbremse und die Nettokreditaufnahmelinie im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen
einhalten werden. Diese Regierung hält sich sowohl an
die Vorgaben der notwendigen nachhaltigen Finanzpolitik als auch an die rechtlichen Vorgaben.
Sven Kindler hat die nächste Frage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, lieber Kollege
Kampeter, meine Frage bezieht sich auf den ökologischen Umbau. Das Umweltbundesamt hat festgestellt,
dass Investitionen in Höhe von 48 Milliarden Euro umweltschädlich sind. Jetzt plant die Bundesregierung, im
Rahmen des Energie- und Klimafonds weitere Subventionen in Höhe von 500 Millionen Euro an energieintensive Unternehmen zu vergeben. Wann macht die Bundesregierung ernst mit dem Abbau von ökologisch
schädlichen Subventionen, um die Haushaltskonsolidierung fortzusetzen und vor allen Dingen den Schuldenabbau konsequenter betreiben zu können?
Herr Kollege Kindler, ich weiß nicht, ob die Bundesregierung all Ihre Einschätzungen hinsichtlich der Qualifizierung von steuerlichen Ausnahmetatbeständen teilt;
aber ich kann Ihnen versichern, dass gerade mit diesem
Haushalt der Beweis dafür erbracht wird, dass wir bereit
und willens sind, die ökologische Erneuerung im Rahmen der von uns für notwendig erachteten Energiewende
auch im Haushalt abzubilden. Das spiegelt sich auf der
Einnahmeseite des Haushalts wider - das ist Ihnen bekannt -, wird aber auch durch den Energie- und Klimafonds deutlich, der die Ausgabenseite der ökologischen
Umgestaltung, der Energiewende in der Bundesrepublik
Deutschland abbildet.
Darüber hinaus planen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anpassungen, wie Sie sie vorschlagen.
Diese wären - Stichwort „Steuererhöhungen“ - auch
kontraproduktiv.
Zusatzfrage? - Herr Kindler.
Ich gehe davon aus, Herr Staatssekretär, dass Sie das
Umweltbundesamt zu dieser Bundesregierung zählen.
Es hat die Aufstellung über umweltschädliche Subventionen in Höhe von 48 Milliarden Euro vorgelegt. Meine
Frage bezieht sich auf den Energie- und Klimafonds.
Teilen Sie die Auffassung - diese wurde in der Anhörung des Haushaltsausschusses einhellig geteilt -, dass
der Fonds, wie er jetzt ausgestaltet ist, völlig überbucht
ist, weil die Summen, die zur Erfüllung der Zwecke benötigt werden, viel größer sind als die Summen, die eingestellt werden, und dass das zum Beispiel zulasten des
internationalen Klimaschutzes gehen kann?
Herr Kindler, diese Auffassung teilt die Bundesregierung nicht. Wir glauben, dass es eine bedarfsgerechte
Ausstattung ist.
Kollege Schirmbeck.
Herr Staatssekretär, leider müssen wir zur Kenntnis
nehmen, dass die Hauptbeschäftigung dieser Opposition
darin besteht, herumzumäkeln. Dabei hätten wir uns
diese Entwicklung der Staatsfinanzen auf Grundlage unserer Volkswirtschaft vor einem Jahr so gar nicht vorstellen können. Deshalb frage ich Sie: Wie stehen wir eigentlich im internationalen Vergleich da? Wie sehen
unsere europäischen Partner die wirtschafts- und finanzpolitische Entwicklung in Deutschland?
({0})
Bitte vollständig antworten, aber in einer Minute.
({0})
Herr Kollege Schirmbeck, sinnfällig ist vielleicht folgendes Bild: Vor etwa zehn Jahren hat eine englische
Wirtschaftszeitung, The Economist, getitelt, dass der
kranke Mann Europas zu identifizieren sei. Dieser Artikel vom Anfang dieses Jahrtausends bezog sich leider
auf die Bundesrepublik Deutschland. Regierungen unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse und die Tarifvertragsparteien haben in der Bundesrepublik Deutschland
im vergangenen Jahrzehnt eine enorme Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Tätigkeit in Deutschland herbeiführen können. Vor kurzem hat das gleiche
englische Wirtschaftsmagazin von einem „German
miracle“, einem deutschen Wunder, gesprochen. Das ist
relativ repräsentativ für die Sicht des Auslandes.
Vor ein oder zwei Jahren ist die Bundesrepublik
Deutschland wegen ihrer starken Exportorientierung im
Ausland als vor dem wirtschaftlichen Abgrund stehend
bezeichnet worden. Jetzt wird die erfreuliche Entwicklung als ein Wunder bezeichnet; das ist, glaube ich, eine
Übertreibung. Ich würde sie als Ergebnis einer soliden
Leistung der Menschen in diesem Land gemeinsam mit
den Tarifvertragsparteien und der Politik bezeichnen;
dies wird wohl positiv bewertet.
Kollege Brandner hat die nächste Frage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben heute
einen Eckwertebeschluss gefasst. Daraus geht hervor,
dass 2 Milliarden Euro mehr Ausgaben für Zinsbelastungen vorgesehen sind. Wie wollen Sie den Bürgern in
unserem Land erklären, dass Sie öffentlich Steuersenkungen kundtun und zugleich deutliche Mehrbelastungen für Zinsen im Haushalt vorsehen?
Herr Kollege Brandner, ich kann keinen sachlichen
Zusammenhang zwischen diesen beiden Positionen sehen.
In der Finanzgeschichte der Bundesrepublik Deutschland hatten wir im Trend immer steigende Zinslasten;
eine Zeit lang gab es eine Seitwärtsbewegung. Sie selbst
haben Mehrheiten angehört, die steuerliche Entlastungen
trotz steigender Zinsbelastungen durchgeführt haben. Da
ich nicht glaube, dass Sie das damals ohne Kenntnis des
Sachverhalts durchgeführt haben, finde ich es weder
zielführend noch erhellend, da jetzt einen inneren Zusammenhang darzulegen.
Richtig ist: Wir wollen nur so viele Steuereinnahmen,
wie unbedingt notwendig sind, um die Aufgabe dieses
Staates zu erfüllen. Wir unterscheiden uns dabei, glaube
ich, von anderen Gruppen hier in diesem Haus, die,
wenn sie an Steuerpolitik denken, nur an Steuererhöhungen denken können. Dies ist der Unterschied zwischen
Regierung und Opposition.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Brandner. Bitte.
Herr Staatssekretär, genau in diesem Zusammenhang
hat der Minister gerade in der Sitzung des Haushaltsausschusses deutlich gemacht, dass vorrangiges Ziel der
Bundesregierung ist, den Haushalt zu konsolidieren und
die Neuverschuldung zurückzufahren. Mit Steuersenkungen würden Sie genau das Gegenteil machen. Deshalb ist die Antwort, die Sie gerade gegeben haben, aus
meiner Sicht keineswegs schlüssig. Ich glaube, wenn Sie
ernsthaft wollen, dass die Zinsbelastungen zurückgehen,
werden Sie die Neuverschuldung zurückführen müssen.
Das wäre logisch. Alles andere kann zumindest ich nicht
nachvollziehen.
Lieber Herr Kollege Brandner, die Neuverschuldung
wird ausweislich der heute zu verabschiedenden Zahlen
vorrangig zurückgeführt. Die mittelfristige Finanzplanung sieht für dieses Jahr eine Nettokreditaufnahme von
27,2 Milliarden Euro, für das nächste Jahr von 24,9 Milliarden Euro, für das Jahr 2014 von 18,7 Milliarden Euro
und für das Jahr 2014 von 14,7 Milliarden Euro vor.
Wir haben deutlich gemacht, dass wir im Rahmen
dieser Nettokreditaufnahmelinie mögliche steuerpolitische Anpassungen im Lichte der Steuerschätzungen im
November prüfen werden. Dann wird es auch zu Ent13786
scheidungen kommen. Eine sinkende Nettokreditaufnahme und eine gerechte steuerliche Belastung sind zwei
Seiten ein und derselben Medaille. Man wird, wenn man
die Bürger steuerlich überfordert, niemals das an Steuereinnahmen bekommen, was man braucht, um einen Staat
auf Dauer zu finanzieren. Deswegen sind Gerechtigkeit
in der Steuerpolitik und eine sinkende Nettokreditaufnahme wirklich keine antagonistischen, sondern harmonisch miteinander zu vereinbarende Ziele.
Kollege Barthle.
Herr Staatssekretär, vor wenigen Tagen hatten wir in
diesem Hohen Hause eine Aktuelle Stunde. Da ging es
um die Einhaltung der Schuldenregel nach Art. 115 GG.
Die Opposition hat uns im Rahmen dieser Aktuellen
Stunde vorgeworfen, wir seien nicht in der Lage und willens, die Schuldenregel einzuhalten. Wenn ich mir den
Entwurf des Bundeshaushalts und die mittelfristige Finanzplanung anschaue, sehe ich, dass wir, gemessen an
der Schuldenregel, im Jahre 2012 eine Unterschreitung
in Höhe von 10,6 Milliarden Euro haben werden. Im
Jahre 2013 wird die Unterschreitung 9,9 Milliarden Euro
betragen, im Jahr 2014 12,9 Milliarden Euro und im Jahr
2015 8,7 Milliarden Euro. Wir werden die Spielräume
also nicht ausnutzen.
Erstens. Können Sie vor diesem Hintergrund bestätigen, dass das nicht nur Ausdruck des Willens der Koalitionsregierung ist, die Schuldenregel einzuhalten, sondern dass sich das auch in den Zahlen niederschlägt?
Zweitens. Können Sie eine Einschätzung abgeben, ob
mit diesen Zahlen vielleicht sogar der von der SPDFraktion geforderte engere Spielraum eingehalten werden würde?
Herr Kollege Barthle, ich glaube, dass das Vertrauen
in die Finanzpolitik umso größer ist, je besser man seine
eigenen Ziele einhält. Das Vertrauen wird noch größer,
wenn man besser als das ist, was man eigentlich als Ziel
vorgegeben hat. Vertrauen ist im Augenblick nicht nur in
der nationalen Finanzpolitik, sondern auch in der internationalen Finanzpolitik ein knappes Gut. Die Bundesrepublik Deutschland bzw. diese Bundesregierung tut
gut daran, konsequent das strukturelle Defizit weiter abzubauen, ohne einen heißen Reifen an der oberen Kante
des gesetzlich Zulässigen zu fahren. Insoweit bestätige
ich ausdrücklich die von Ihnen hier vorgetragenen Zahlen.
Wir liegen weit unter den gesetzlichen Vorgaben. Ich
füge hinzu: Ich wünsche mir, dass wir möglichst schnell
und damit umso sicherer zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen; denn mit einem ausgeglichenen Haushalt
wird die Basis für gestalterische Politik in dem Sinne
wieder größer, von dem der Kollege Brandner gesprochen hat: je weniger Schulden, desto weniger Zinsen.
Herr Dr. Gambke.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich habe gerade gelernt, dass eine konkrete Frage als Herummäkeln bezeichnet wird; ich will trotzdem eine solche Frage stellen. Sie haben zu den konjunkturellen Schwankungen
Aussagen getroffen und in Ihrer Antwort den Gestaltungswillen der Bundesregierung erwähnt. Vielleicht
muss man in diesem Zusammenhang die Frage stellen,
was Gestaltungskönnen ist.
Es wurde die Bundeswehrreform angesprochen. Es stehen folgende Themen auf der Tagesordnung: 500 000 Euro
Istbesteuerung bei der Umsatzsteuer, Funktionsverlagerung. Das alles ist nicht konjunkturell bedingt, sondern
bezieht sich auf Regierungshandeln. Wie groß ist nach
Ihrer Schätzung der Saldo bei Einnahmen und Ausgaben
in Bezug auf den heutigen Haushaltsentwurf?
Danke für die Frage, sehr geehrter Herr Kollege. Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie mich zu irgendwelchen Spekulationen im Hinblick auf die steuerpolitischen Entscheidungen im Herbst verleiten. Die
Bundesregierung lehnt Spekulationen ab.
({0})
Wir haben mit Spekulationen auf den internationalen Finanzmärkten schlechte Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil: Wir sind bereit und willens, dort einen klaren
Rechtsrahmen zu schaffen. Was die politischen Spekulationen im Hinblick auf den Herbst angeht, so werden Sie
mich mit Ihrer Frage - aus Ihrer Sicht: leider - nicht erfolgreich aufs Glatteis führen können.
Aber einen zweiten Versuch hat er noch. Bitte schön.
Ich muss mich entschuldigen, wenn meine Frage
nicht präzise genug war. Ich fragte gerade nicht nach
Spekulationen, sondern nach den Unsicherheiten, die
schon heute gegeben sind, und zwar deshalb, weil bestimmte Projekte nicht sicher definiert, aber eingepreist
sind. Wenn man, wie ich, aus dem Unternehmertum
kommt, dann gebietet es die kaufmännische Vorsicht,
dieses zu kennen und auch zu benennen.
Herr Kollege, ja, wir handeln kaufmännisch vorsichtig. Ein Kennzeichen des Erfolgs der Finanzpolitik von
Wolfgang Schäuble ist beispielsweise, dass er bei der
Nettokreditaufnahme - sie steht ja gewissermaßen für
die gefühlte Qualität von Haushaltspolitik - immer unterhalb des Rahmens geblieben ist, den er vom Parlament genehmigt bekommen hat. Das heißt, unsere kaufmännische und konservative Vorsicht hat dazu geführt,
dass wir durch Vertrauen so viel wirtschaftliches Wachstum induzieren können, dass unsere Haushaltsabschlüsse
im Hinblick auf die Nettokreditaufnahme immer besser
als unsere Haushaltsansätze sind. Diese Regierung bzw.
diese Mehrheit beabsichtigt, an dieser Erfolgsgeschichte
im Laufe dieser Legislaturperiode nichts zu ändern.
({0})
Kollege Kalb.
Herr Staatssekretär, im Moment haben wir eine hervorragende konjunkturelle Entwicklung. Die wirtschaftliche Entwicklung ist ausgezeichnet. Die Entwicklung
auf dem Arbeitsmarkt ist sehr günstig. Auch das Zinsniveau war bisher ausgesprochen günstig. Wir müssen
aber davon ausgehen, dass die positive konjunkturelle
Entwicklung nicht - zumindest nicht in diesem Maße anhalten wird. Außerdem kann sich das Zinsniveau ändern. Darf ich Sie fragen, wie die Bundesregierung beabsichtigt, diesen Risiken entgegenzuwirken bzw. im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung dafür Vorsorge zu
treffen?
({0})
Herr Kollege Kalb, es ist richtig: In der Vergangenheit
hatte das „unverschämt“ niedrige Zinsniveau einen etwas unguten Effekt. Wir hatten zwar eine steigende
Bruttoverschuldung zu verzeichnen, aber die Nettokreditaufnahme hat sich, obwohl diese Schulden ja bedient
werden mussten, sehr moderat entwickelt. Dies führte
gewissermaßen zu der Illusion, man könne sich verschulden. Wie wir gesehen haben, hat dies in Staaten, die
dieser Illusion gefolgt sind, zu sehr negativen Entwicklungen geführt.
Wir haben daher die Ansätze für Zinsausgaben in der
mittelfristigen Finanzplanung, sowohl was den Mengeneffekt als auch was den Zinseffekt angeht, moderat angehoben; das war notwendig. Die von mir genannten Zahlen zur Nettokreditaufnahme spiegeln nach Planung der
Bundesregierung für diesen Finanzplanungszeitraum
eine Steigerung der Zinsausgaben von 38 auf 49,1 Milliarden Euro wider. Dabei haben wir die möglichen Zinsausgabensteigerungen, zu denen es nach unserem bisherigen Wissen kommen wird, bereits vollumfänglich
berücksichtigt. Auf Basis dieser unserer Annahmen ergibt sich daraus kein Haushaltsrisiko.
Ich mache zwischendurch darauf aufmerksam, dass
mir noch die Wortmeldungen von Frau Hagedorn, vom
Kollegen Luther, vom Kollegen Schneider, von Frau
Hinz, von Johannes Kahrs und von Frau Dörner vorliegen. Danach sind wir schon über dem eigentlich vorgesehenen Zeitmaß. Ich bitte um Nachsicht, dass ich jetzt
keine weiteren Fragen mehr annehme.
Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Hagedorn.
Frau Kollegin Hagedorn!
- zunächst einmal: Sie haben gesagt, es sei typisch,
dass Opposition und Regierung, wenn es um den Haushalt geht, unterschiedlicher Auffassung darüber sind, ob
dem Geist der Schuldenbremse ehrgeizig genug gefolgt
wird. Ich will aber dezent darauf hinweisen: Es ist nicht
der Regelfall, dass sich in dieser Frage die Bundesbank,
der Bundesrechnungshof und der Sachverständigenrat
mit der Opposition einig sind.
Nun zu meiner Frage: Herr Kollege, die einzigen Einsparungen bzw. Kürzungen, die diese Regierung vornimmt - alles andere sind konjunkturelle Einsparungen,
die Sie sozusagen im Schlafwagen erzielen -, verbergen
sich in dem Sparpaket, das Sie vor einem Jahr beschlossen haben und das ein Volumen von 80 Milliarden Euro
umfassen sollte. Fast die Hälfte der darin vorgesehenen
Maßnahmen sollte zulasten der Langzeitarbeitslosen und
der Bundesagentur für Arbeit gehen. Dies wird jetzt offensichtlich konkret umgesetzt.
Frau Kollegin, die Fragezeit ist erkennbar um.
Entschuldigung. - Alle anderen sogenannten Einsparungen, die Sie durch die Belastung von Unternehmen
oder das Heranziehen der Verursacher der Finanz- und
Wirtschaftskrise erzielen wollten, haben sich in Luft aufgelöst. Meine Frage ist: Wo finde ich im Haushalt dafür
einen angemessenen Ersatz?
({0})
Frau Kollegin Hagedorn, danke für diese Frage.
Zur Bewertung der Qualität unserer Haushaltspolitik
({0})
möchte ich vielleicht auch einmal darauf hinweisen, dass
die Zuwachsrate der Ausgaben in den nächsten Jahren
mit durchschnittlich 0,7 Prozent pro Jahr weit hinter der
vermutlichen Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes bleiben wird.
({1})
Das zeigt: Durch eine moderate Ausgabensteigerung
verringert sich der Anteil des Bundeshaushalts an der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Die Staatsquote sinkt.
Dies ist wichtig - auch als Signal. Selbst bei Berücksichtigung der ausgelagerten Ausgabensätze stellt man fest,
dass die Ausgabensteigerung relativ moderat ist.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Vergleichswerte nennen: In den 70er-Jahren betrug das
durchschnittliche Ausgabenwachstum 9,4 Prozent, in
den 80er-Jahren 5,8 Prozent, in den 90er-Jahren 2,3 Prozent und im letzten Jahrzehnt 2,2 Prozent. Diese moderate Absenkung der Ausgaben zeigt, dass sich der Staat
weiter zurücknimmt. Das halte ich für eine erfolgreiche
Konsolidierungspolitik. Diese sollten wir fortsetzen.
Kollege Luther.
({0})
- Nein. Wir sind schon über den Zeitrahmen hinaus, den
wir uns vorgegeben haben, wenn ich all die Fragen zulasse, die ich gerade angekündigt habe. Ich bitte um
Nachsicht.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage zum Aufstellungsverfahren. Bislang war es ja so, dass die Ressorts
ihre Bedarfe angemeldet haben und dann entschieden
worden ist, wie und in welcher Höhe dem gefolgt wird.
Jetzt gibt es das Top-Down-Verfahren, das eine völlig
veränderte Charakteristik aufweist. Somit stellt sich
natürlich die Frage, ob auf diese Weise alles richtig wiedergegeben werden kann. Meine Frage: Wie ist Ihre Erfahrung mit dem Top-Down-Verfahren im Rahmen des
Aufstellungsverfahrens? Dazu bitte ich um eine Einschätzung.
Herr Kollege Luther, die Bundesregierung hat umfassend gute Erfahrungen mit dem sogenannten Top-DownVerfahren. Demnach wird im Frühjahr festgelegt, welche
Politikbereiche mit wie viel Geld ausgestattet werden,
und die eigentliche Schwerpunktsetzung innerhalb
dieser Politikbereiche wird in die Verantwortung der
Ressorts verlagert, das heißt, es gibt eine Stärkung der
politischen Autonomie der Ressorts bei gleichzeitiger
Steigerung der Steuerungsfähigkeit des Bundesfinanzministers.
({0})
Daran, dass über Streit, Diskussionen oder sogenannte Ministergespräche in den letzten Wochen und
Monaten so gut wie nichts in der Zeitung zu lesen war,
können Sie erkennen, dass sich das Miteinander in der
Bundesregierung durch dieses neues Haushaltsaufstellungsverfahren verbessert hat.
({1})
Gleichzeitig können Sie an den Zahlen erkennen, dass
die Qualität der Konsolidierung und die Qualität der
politischen Schwerpunktsetzung keinesfalls darunter gelitten haben.
Ich glaube, wenn wir das in den nächsten Jahren fortführen können, dann wird unser Top-Down-Verfahren
ein Qualitätsmerkmal für staatliche Planungen und für
die Haushaltswirtschaft.
Kollege Schneider.
Herr Staatssekretär, wir haben ja die höchsten Steuereinnahmen, die es jemals im Bund gegeben hat, und
auch geringere Ausgaben aufgrund der niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit zwei Jahrzehnten.
({0})
Ist Ihnen bekannt, dass Sie bei einer geplanten Nettokreditaufnahme von 27,2 Milliarden Euro die Investitionen im Bundeshaushalt auf 26 Milliarden Euro gekürzt
haben? Ist es richtig, dass dieser Haushalt nach der bis
2009 geltenden Schuldenregel in diesem konjunkturellen
Superaufschwung damit verfassungswidrig gewesen
wäre?
({1})
Herr Kollege Schneider, die Grundannahme in Bezug
auf die alte Schuldenregel des Bundes war ja der keynesianische Irrtum, dass die Wirtschaft durch staatliche Investitionen mehr vorangebracht wird als durch private
Investitionen. Das hat sich weder in Form einer Schuldenbegrenzung bestätigt, denn während der Geltung der
alten Schuldenregel kam es zu einem teilweise explosionsartigen Anstieg der Verschuldung, noch hat dies in
Bezug auf die Investitionstätigkeit in Deutschland einen
Nutzen gebracht.
Mit unserer wirtschaftspolitischen Philosophie zielen
wir darauf ab, unsere Volkswirtschaft durch privatwirtschaftliche Investitionen voranzubringen, für die wir
gute und kluge Rahmenbedingungen schaffen. Komplementär dazu haben wir beispielsweise die Infrastrukturinvestitionen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung auf einem hohen Niveau stabilisiert. Aber wir
beenden die Philosophie, dass Staat vor Privat die einzig
glückseligmachende Investitionsstrategie ist.
Diese neue Philosophie drückt sich auch in der neuen
Schuldenbremse im Grundgesetz aus, mit der von dieser
veralteten Investitionsideologie Abstand genommen
wird, zumal wir beispielsweise sonst die Bildungsinvestitionen zukünftig kürzen müssten. Die neue Philosophie
ermöglicht kreative, nachhaltige und verlässliche Haushaltspolitik.
Frau Hinz.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Kampeter, Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Sehr geehrte Frau Kollegin Hinz!
- der Verteidigungsminister sollte im Zusammenhang
mit der Verkleinerung der Bundeswehr eigentlich einen
Einsparbeitrag von über 8 Milliarden Euro erbringen.
Dieser Beitrag wurde ihm schon im Frühjahr zur Hälfte
erlassen. Jetzt werden im Bundeshaushalt zusätzlich
1 Milliarde Euro für das sogenannte Überhangpersonal
eingestellt.
Deswegen möchte ich Sie jetzt fragen: Wann und in
welcher Höhe wird durch die Verkleinerung der Bundeswehr tatsächlich ein Einsparbeitrag geleistet?
Frau Kollegin Hinz, die Umdefinition und Reformierung der Bundeswehr war unausweichlich, die Bundeswehr auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
vorzubereiten, war notwendig, und die Umstellung von
einer Wehrpflichtarmee auf eine Freiwilligenarmee war
eine von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragene notwendige und richtige Reform.
({0})
Dieser Sachverhalt bildet sich in den sinkenden Ausgaben innerhalb des Verteidigungsetats in den nächsten
Jahren ab. Das betrifft sowohl Personal wie auch bestimmte Investitionen. Aber er entbindet uns nicht von
der sozialen Fürsorge gegenüber denjenigen, die zukünftig nicht mehr in der Bundeswehr, sondern in anderen öffentlichen Bereichen tätig sein werden. Dafür haben wir
Vorsorge getroffen.
Das heißt konkret, dass wir im Einzelplan 60 des
Bundesfinanzministers eine Ermächtigungsgrundlage
geschaffen haben, um damit die nichtmilitärische Weiterverwendung des Personals, das zukünftig außerhalb
der Bundeswehr tätig ist, abzupuffern. Ich halte es für einen Ausweis von sozialer Marktwirtschaft, der diese Koalition anhängt, dass wir diese Menschen nicht einfach
im Stich lassen.
Kollege Kahrs.
Geschätzter Kollege Kampeter, Sie haben eben die
Frage von der Kollegin Hinz nicht beantwortet. Lassen
Sie es mich erneut probieren.
Die Bundeswehr soll 8,3 Milliarden Euro einsparen.
In der Sache halte ich das für nicht machbar und sowieso
für falsch. Könnten Sie mir anhand der mittelfristigen
Finanzplanung, die Sie gerade beschlossen haben, darstellen, in welchem Jahr Sie welche Summen einsparen,
um auf die 8,3 Milliarden Euro zu kommen?
Herr Kollege Kahrs, ich habe gerade gesagt, dass wir
die Bereiche der Bundeswehrreform in den einzelnen
Ressortausgaben abbilden. Die Zahlen werden wir im
Haushaltsausschuss sehr intensiv beraten.
Dafür, dass wir - ich glaube, das ist der Kern des
Streits - gleichzeitig für das Personal im nichtmilitärischen Bereich eine gewisse Fürsorgepflicht wahrnehmen, erwarte ich von der sozialdemokratischen Fraktion
in diesem Deutschen Bundestag eigentlich besonderen
Respekt. Sie sind doch sonst diejenigen, die sich immer
an die Spitze stellen, wenn es um personalwirtschaftliche Belange geht. Dass Sie das hier so kritisch annotieren, verwirrt mich einigermaßen. Die Bundesregierung
kümmert sich um die Menschen in ihrem Verantwortungsbereich. Ich wiederhole: Das ist gelebte soziale
Marktwirtschaft.
({0})
Frau Dörner.
Ja, Antworten wären nicht schlecht. - Herr Staatssekretär, wir haben erfahren, dass die Bundesregierung
plant, mehr als 27 Milliarden Euro zusätzliche Schulden
aufzunehmen. Wir haben ebenso erfahren - das wissen
wir auch -, dass das weniger Schulden sind, als Sie ursprünglich eingeplant haben. Wir haben darüber hinaus
erfahren, dass Sie vor diesem Hintergrund umgehend die
Spendierhosen anziehen wollen und für die nahe Zukunft Steuersenkungen vorgesehen haben.
Ich möchte Sie ernsthaft fragen, wie Sie das vor dem
Hintergrund verantworten können, dass wir schon heute
jeden sechsten Euro im Bundeshaushalt - die Tilgung ist
dabei noch nicht eingerechnet - für den Schuldendienst
aufwenden.
Damit kommen wir zum Beginn dieser Regierungsbefragung zurück, Frau Kollegin, als ich deutlich gemacht
habe, dass ich keinen Widerspruch zwischen sinkenden
Nettokreditaufnahmen und der Einhaltung der Schuldenbremse auf der einen Seite und der Entscheidung auf der
anderen Seite sehe, unerwünschte Steuererhöhungen,
insbesondere beispielsweise durch Lohnerhöhungen
- Stichwort „kalte Progression“ -, zu vermeiden.
Ich sehe in der erfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung die Chance, dass wir uns im Herbst auf konkrete
steuerpolitische Maßnahmen zur Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen verständigen werden.
Dies setzt allerdings voraus, dass wir die Steuerschätzung im November noch einmal in den Blick nehmen,
um dann auch in Gesprächen mit den Bundesländern zu
einer gemeinsamen Auffassung darüber zu kommen, wie
wir die teilweise in Konflikt stehenden Zielsetzungen,
gegebenenfalls weniger Steuereinnahmen generieren zu
wollen und gleichzeitig die Nettokreditaufnahme weiter
abzusenken, politisch miteinander verknüpfen können.
Das ist der Kern von Politik. Dazu werden wir im Herbst
weitere Vorschläge vorlegen.
({0})
Vielen Dank. - Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung sind nicht angemeldet worden,
({0})
wohl aber eine der sonstigen Fragen an die Bundesregierung. Dazu hat die Kollegin Enkelmann jetzt das Wort.
Entschuldigung, Herr Präsident. Ich habe gedacht, Sie
hätten mich vergessen.
Das haben Sie nicht im Ernst vermutet.
({0})
Nicht wirklich. Alles andere behandeln wir dann später.
Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen hat sich im Mai in seinem Staatenbericht mit
Deutschland beschäftigt und äußert in seinen abschließenden Bemerkungen heftige Kritik an der Bundesregierung, die die Hartz-IV-Regelsätze, die Bildungspolitik,
die Gesundheitspolitik, die Armutsbekämpfung, vor allem die Bekämpfung der Kinderarmut, den Umgang mit
den erheblichen sozialen Unterschieden zwischen Ost
und West, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und viele andere Themen betrifft.
Meine Frage lautet: Hat sich das Kabinett mit diesen
abschließenden Bemerkungen des Berichts befasst?
Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?
Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Enkelmann, das Kabinett hat sich heute
nicht mit dem Bericht befasst.
({0})
Damit schließe ich die Regierungsbefragung ab. Weitere Anfragen liegen mir nicht vor.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der von den Vereinten Nationen geführten
Friedensmission in Südsudan
- Drucksache 17/6449 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido
Westerwelle.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Welt wird nur sehr
selten Zeuge der Geburt eines neuen Staates. Am 9. Juli,
also Ende dieser Woche, wird der Südsudan seine Unabhängigkeit erklären.
Mit der Unabhängigkeitserklärung des Südsudan endet die von den Vereinten Nationen geführte Friedensmission in Sudan, UNMIS. Damit endet auch das Mandat des Deutschen Bundestages für unsere Beteiligung
daran.
Der Südsudan steht vor großen Herausforderungen.
Viele von Ihnen waren bereits vor Ort. Ich bin sicher, Sie
teilen die Eindrücke, die ich selbst bei meinem Besuch
in Juba vor zwei Wochen gewonnen habe. Die staatliche
Verwaltung und die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur im Südsudan sind noch im Aufbau. Der Südsudan hat die internationale Gemeinschaft um weitere
Unterstützung und um Fortsetzung der Präsenz der Vereinten Nationen auf seinem Staatsgebiet gebeten.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erarbeitet
zurzeit, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: zurzeit,
ein Mandat für eine neue Friedensmission im Südsudan,
UNMISS. Dieses Mal mit zwei „S“, also für Südsudan.
Das bedeutet, dass wir nicht das alte Mandat verlängern,
sondern Ihnen ein neues Mandat zur Beschlussfassung
vorschlagen.
Deutschland trägt eine besondere Verantwortung,
auch weil unter deutscher Präsidentschaft der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Aufnahme der neuen
Republik Südsudan in die Vereinten Nationen beschließen wird. Deutschland hat großes Interesse an einem stabilen Südsudan und an konfliktfreien Beziehungen zwischen Juba und Khartoum. Deshalb beabsichtigt die
Bundesregierung auch, sich von Anfang an an der neuen
Mission zu beteiligen.
Es sollen bis zu 50 deutsche Soldatinnen und Soldaten
eingesetzt werden können. Völkerrechtliche Grundlage
ihres Einsatzes wird die Resolution des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen sein. Der Resolutionsentwurf
liegt den Außenpolitikern vor. Wir haben heute Morgen
im Ausschuss darüber beraten. Wir haben heute ein derart konkretes Bild des Mandates der Vereinten Nationen,
dass wir dem Hohen Hause einen hinreichend konkreten
Mandatsantrag vorlegen können. Wir beantragen also
keinen Vorratsbeschluss; darauf will ich ausdrücklich
noch einmal hinweisen.
Ich habe dieses Verfahren bereits in der letzten Woche
per Brief mit den Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien erörtert. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, als Bundesregierung auch heute im
Kabinett: Der Antrag ist so weit konkretisiert und so
weit konsolidiert, dass die Grundlinien eines Mandates,
wie es beschlossen werden soll, feststehen. Das bedeutet
wiederum, dass wir Entscheidungsreife haben, heute im
Kabinett, am Freitag mutmaßlich dann hier im Hohen
Hause, dem Deutschen Bundestag. Darum bitten wir Sie
um Zustimmung; denn es ist uns wichtig, dass an dem
Parlamentsvorbehalt in keiner Weise gerüttelt wird. Die
Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Deswegen wird
der Bundestag - daran habe ich keinen Zweifel - dieser
besonderen Verantwortung auch gerecht werden.
({0})
Auch wenn es ein kleiner Einsatz ist - solche Beschlüsse
dürfen nie zur Routine werden. Das ist jedenfalls die
Haltung der Bundesregierung, die wir auch hier im
Deutschen Bundestag vortragen.
Das Mandat soll in seiner Gültigkeit beschränkt sein.
Voraussetzung für das Mandat ist, dass der Weltsicherheitsrat tatsächlich ein UN-Mandat für den Südsudan
verabschiedet und die entsprechende Resolution inhaltlich nicht über den vorliegenden Entwurf hinausgeht.
Das will ich hier noch einmal ausdrücklich zusagen.
Ich kann Ihnen nicht ankündigen, zu welcher Stunde
und an welchem Tag genau die Beschlussfassung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stattfinden wird.
Gestern ist nach unserer Ortszeit noch bis nachts spät
verhandelt worden. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass die Grundlinien jetzt so klar sind, dass wir es
verantworten können. Ich habe jedenfalls der ganz überwiegenden Zahl der Rückmeldungen aus den Fraktionen
entnommen, dass man sowohl mit dem Verfahren einverstanden ist als auch das Mandat materiell unterstützen
will. Das alles ist Ausdruck einer ganz überwiegenden
Einigkeit in diesem Hohen Hause.
({1})
Wir bitten also um Zustimmung zum Mandat. Weil
wir alle natürlich sehr sensibel sind - ich will das auch
für mich persönlich sagen; ich habe hier viele Jahre als
Abgeordneter einer Oppositionsfraktion gesessen, und
wir haben immer Wert darauf gelegt, dass es in keinem
Falle dazu kommt, dass die Rechte des Parlaments auch
nur relativiert werden -, sage ich hier aber ausdrücklich:
Als eine zusätzliche Sicherung für den Deutschen Bundestag beantragen wir ungewöhnlicherweise, das Mandat bis Ende September dieses Jahres zu befristen, sodass sich der Bundestag damit nach der Sommerpause
erneut befassen kann. Sollte sich wider Erwarten die Beratungslage in den nächsten Tagen fundamental verändern, würden wir selbstverständlich die Notbremse ziehen. Dann wird es auch keinen Einsatz geben. Auch das
sage ich hier noch einmal ausdrücklich zu. Es handelt
sich also nicht um einen Vorratsbeschluss, sondern das
Mandat wird ordentlich beraten und ordentlich beschlossen. Jeder Abgeordnete nimmt hier seine parlamentarische Verantwortung wahr, wenn er dem Mandat seine
Zustimmung erteilt.
Kernauftrag der Friedensmission im Südsudan ist Unterstützung beim Staats- und Institutionsaufbau, bei der
weiteren friedlichen Entwicklung und beim Schutz der
Zivilisten. Unsere Bundeswehrsoldaten werden dabei
vor allem Stabs- und Beobachterfunktionen ausüben. Ich
will allerdings auch sagen: Das Mandat ist zwar, was unseren Beitrag angeht, klein und überschaubar. Aber
- auch das steht im Mandatstext, wenn wir auch nicht
davon ausgehen, dass das notwendig sein sollte - es wird
auch die Gewaltanwendung legitimiert. Das heißt, es
kann in dem Fall, dass das Mandatsziel durch Gewalt anderer gefährdet wird, auch Gewalt eingesetzt werden.
Darüber müssen wir uns hier im Klaren sein. Wir rechnen nicht damit; wir hoffen selbstverständlich nicht, dass
das passieren wird. Aber das muss jeder wissen; denn
- auch wenn es sich um eine kleinere Anzahl von Soldaten handelt - wir tragen Verantwortung für jeden einzelnen Soldaten. Deswegen beraten wir auch sorgfältig jedes einzelne Mandat.
Meine Damen und Herren, nachdem ich Ihnen die
parlamentarischen Verfahrensweisen dargelegt habe,
möchte ich zum Schluss eine persönliche Anmerkung
machen. Ich glaube, dass noch viele Fragen im Verhältnis zwischen Nord- und Südsudan zu beantworten sind.
Denken Sie an die Frage der Grenzziehungen, die Frage
nach dem Zugang zu Energiequellen, die Verteilung von
Gewinnen oder unsere Beratungen über die humanitäre
Lage in Darfur! Viele Fragen sind von Ihnen, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, noch genau
so zu stellen, wie sie auch von uns gestellt werden. Wir
arbeiten an ihrer Beantwortung.
Eines möchte ich hinzufügen: Bitte beachten Sie
auch, wie weit wir gekommen sind. Noch vor einem
Dreivierteljahr hatten wir alle Zweifel daran, ob es überhaupt ein Referendum geben kann, ob dieses Referendum akzeptiert wird und es zu einer Unabhängigkeit
kommen kann und ob dieses Referendum einigermaßen
gewaltfrei durchgeführt werden kann. Das alles ist der
Fall gewesen. Nichts ist endgültig entschieden; die Situation ist noch sehr fragil. Aber ich glaube, dass die
Mission der Vereinten Nationen erfolgreich gewesen ist.
Sie hat einen Beitrag dazu geleistet, dass mehr und mehr
eine friedliche Konfliktlösung möglich wird.
Ich denke deshalb, dass der Deutsche Bundestag seine
Verantwortung wahrnehmen und diesem Mandat zustimmen sollte. Im Namen der Bundesregierung bitte ich Sie
um Zustimmung.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Bartels
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
es hier mit einer ungewöhnlichen Situation zu tun: Es
wird ein neuer Staat gegründet - das kommt nicht alle
Tage vor -; es läuft ein UN-Mandat aus, weil dieser Staat
gegründet wird; und wir müssen ein neues Mandat beschließen, obwohl noch nichts von der UN vorliegt. Ich
kann für die SPD-Fraktion zusichern: Wir finden es richtig, dass der Südsudan unterstützt und in den nächsten
Tagen in die UNO aufgenommen wird. Wir finden es
richtig, dass Sie jetzt den Mandatstext in den Bundestag
einbringen. Die Alternative wäre eine Sondersitzung des
Deutschen Bundestages in der Sommerpause gewesen;
auch das hätte man machen können. Wenn man sich aber
auf das jetzige Verfahren einigen kann, finden wir es absolut richtig und vernünftig, so vorzugehen. Es steht in
der Tradition der Parlamentsbeteiligung in diesem
Hause, dass wir uns auch über das Verfahren einigen
können, also darüber, wie wir vorgehen wollen. Das eine
wie das andere ist konstitutiv und schafft Rechtssicherheit für die deutschen Soldaten, die eingesetzt werden.
({0})
Wir hoffen also, dass es keine neuen Diskussionen darüber gibt, wie Parlamentsbeteiligung möglicherweise
anders ausgestaltet werden müsste, damit der Bundestag
handlungsfähig ist. Wir sind handlungsfähig. Ich danke
Ihnen, Herr Minister, dass Sie seitens der Bundesregierung deutlich gemacht haben, dass die Bundesregierung
mit der Parlamentsbeteiligung verantwortungsvoll umgehen und immer die Beteiligung des Parlaments suchen
will. Was wir nicht wollen, ist eine Entparlamentarisierung von Militäreinsätzen im Ausland. Dies wäre der
deutschen Tradition und unserem Selbstverständnis
nicht angemessen.
Wenn wir über Bundeswehrmissionen diskutieren,
entsteht gelegentlich der Eindruck, die Bundeswehr sei
überall auf der Welt im Einsatz. Dann wird oft gefragt:
Warum stellt eigentlich Deutschland so viele Soldaten
für so viele Konflikte bereit? Ich habe vor dieser Debatte
noch einmal nachgeschaut. Es gibt im Moment 15 laufende UN-Peace-Operations. Wir sind an fünf dieser
Missionen beteiligt. Das heißt, ein Drittel der Operationen hat unsere Aufmerksamkeit und auch die der deutschen Öffentlichkeit. Die anderen zehn Missionen spielen, auch in der öffentlichen Diskussion, praktisch keine
Rolle. Ich glaube, der eine oder andere wird sich noch
erinnern, dass wir, als wir gebeten wurden, uns an der
UN-Mission an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon zu beteiligen, festgestellt haben, dass diese Mission mit 20 000 Soldaten aus vielen Ländern und mit
entsprechenden Opfern schon seit 20 Jahren läuft. Erst
als wir uns daran beteiligt haben, wurde diese Mission in
der deutschen Öffentlichkeit ein Thema. Wir sollten also
nicht glauben, dass die UN nur da, wo wir beteiligt sind,
aktiv ist. Wir können nicht überall beteiligt sein und
müssen sehen: Auch andere leisten Beiträge.
Nun geht es um den Sudan. Es wird eine dritte Mission mit 4 200 Soldaten geben, die in der Grenzregion
um die Stadt Abyei für Sicherheit sorgen soll, an der sich
Deutschland nicht beteiligt. Das steht hier also nicht zur
Debatte.
Wir bleiben in dem Bereich beteiligt, wo wir bisher
schon beteiligt waren, jetzt mit Fokus Südsudan und
übrigens auch der Möglichkeit, wie es im Mandat steht,
Truppen im Norden des Sudan mit Zustimmung der Regierung dort einzusetzen, also wie bisher diesseits und
jenseits der neuen Grenze. Aber wir sind nicht die
Haupttruppensteller. Wir leisten einen kleinen Beitrag
von Spezialisten für eine Mission, bei der Tausende Soldaten anderer Länder die Hauptlast zu tragen haben.
Ich glaube, es ist gut, dass wir uns beteiligen. Das ist
nicht der Hauptfokus der deutschen Sicherheitspolitik.
Aber es ist ein Hauptfokus deutscher Entwicklungs- und
sicher auch deutscher Afrika-Politik, dass wir im Sudan
in allen Dimensionen beteiligt sind: mit der Entwicklungszusammenarbeit, aber am Ende auch mit Polizeiausbildung und Militär. Es ist eher ein symbolischer Beitrag; aber es ist ein Beitrag, der zeigt, dass uns, dass
Deutschland diese Region wichtig ist. Deshalb beteiligen wir uns an UNAMID und auch an der neuen
UNMISS.
Wir helfen, weil wir helfen können, weil Deutschland
ein starkes Land ist, weil wir von der Globalisierung
profitieren, weil wir die viertgrößte Volkswirtschaft der
Welt sind, weil wir in aller Welt geachtet sind und Möglichkeiten haben, Beiträge zu leisten. In den letzten
20 Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges hat
Deutschland diese Rolle immer mehr angenommen. Ich
finde das gut.
Der Herr Außenminister hat darauf hingewiesen - das
will ich unterstreichen -: Auch die bisherige Mission,
die jetzt zu Ende geht, hat einen Beitrag zur Entwicklung
in dieser Region geleistet. Wir wären dort nicht so weit,
wie wir jetzt sind, wenn es nicht mit deutscher - kleiner Dr. Hans-Peter Bartels
Beteiligung diese relativ große UN-Mission gegeben
hätte, die die Konfliktparteien getrennt hat. Wir wären
froh, wenn zum heutigen Zeitpunkt in Darfur ein ähnlicher Erfolg absehbar wäre. Ich glaube, an der Grenze
zwischen Nord- und Südsudan ist mehr erreicht worden
als bei der anderen UN-Mission, an der wir uns beteiligen.
Wir stimmen nie über Polizeimissionen ab. Auch
Polizeibeamte sind an dieser Mission beteiligt. Wir stimmen hier nicht im Einzelnen über Entwicklungszusammenarbeit ab. Entwicklungszusammenarbeit wird von
entscheidender Wichtigkeit dafür sein, dass die Trennung der beiden Religionsgruppen, der beiden Ethnien
in Nord- und Südsudan in zwei selbstständige Staaten
gelingt. Da wird viel zu tun sein. Deutschland wird seinen Beitrag auch über die Europäische Union leisten.
Das findet die volle Unterstützung der Sozialdemokraten. Wir dürfen Afrika nicht als verlorenen Kontinent sehen. Wir müssen gerade da, wo Konflikte heute tödlich
sein können, helfen, auch deshalb, damit es keine neuen
Ursachen für Flucht und Vertreibung gibt.
Wir wollen Ihnen, Herr Außenminister, auch gern
gönnen, dass Sie auf der Bühne der UNO als Vorsitzender des UN-Sicherheitsrats einen guten Tag für Deutschland haben können, indem Sie sagen: Der Deutsche Bundestag stützt natürlich die Aufnahme des neuen Staates
Südsudan in die UN, und er stützt die Bemühungen der
UN, den Frieden dort durch eine UN-Mission zu stabilisieren, an der wir uns beteiligen wollen.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort erhält nun der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Außenminister Westerwelle hat bereits ausgeführt, vor welchem historischen Datum wir im Hinblick auf den
Südsudan und dessen Staatenwerdung stehen. Allerdings
ist diese Staatenwerdung - das wurde gerade dargestellt nicht ganz unstrittig, um es vornehm zu formulieren. Das
heißt, dass ein Gefahrenpotenzial, ein Eskalationspotenzial vorhanden ist, das es der internationalen Gemeinschaft angeraten erscheinen lässt, vor Ort zu bleiben, um
Eskalationen zu verhindern, die Zivilbevölkerung zu
schützen und, soweit es das Mandat vorsieht, auch an der
nicht bis auf den letzten Meter glattgezogenen Grenze
zwischen dem neuen Südsudan und dem bisherigen Sudan, zukünftig wohl „Nordsudan“, befriedend zu wirken.
Kollege Bartels hat auf die Mission in Abyei,
UNISFA genannt, hingewiesen, an der wir uns nicht beteiligen. Ob man die Missionen später zusammenführen
kann, wird sich zeigen. Gegenwärtig ist das jedenfalls
nicht auf der Tagesordnung. Die Unterstützung muss militärische Mittel umfassen.
Die Unterstützung muss eine militärische Komponente
umfassen, um die Sicherheit in der Region und in dem
neuen jungen Staat glaubhaft herzustellen und zu erhalten. Diese ist neben der Unterstützung beim Aufbau der
wirtschaftlichen, administrativen und sozialen Infrastruktur notwendig. Die Unterstützung muss militärische
Mittel umfassen. Militärische Präsenz umfasst auch eine
entsprechende Reaktionsfähigkeit.
Die Bundesregierung hat den entsprechenden Antrag
sehr zügig eingebracht; der Bundestag befasst sich heute
mit diesem Antrag. Wir können auf dem bisherigen
UNMIS-Mandat aufbauen und Potenziale heben. Bis
jetzt haben sich insgesamt über 440 Soldaten im Rahmen
der Militärbeobachterkomponente an dieser Mission beteiligt. Es waren jeweils bis zu 50 Soldaten beteiligt, gegenwärtig sind es 32.
Ich will unterstreichen, dass das neue UNMISS-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung auch verlangt
- Stichwort: Kapitel-VII-Mandat -, dass es sich um ein
robustes Mandat handelt. Die Anwendung von Gewalt
zum Schutz der eigenen Fähigkeiten und zum Schutz
von Zivilisten ist sicherlich nicht wünschenswert, aber
möglich. Wir hoffen, dass es dazu nicht kommen muss.
Das Hauptquartier der neuen Mission wird in
Dschuba sein. Wir rechnen mit circa 7 000 Soldaten,
aber das Mandat liegt, wie Sie wissen, noch nicht vor.
Infanteriekräfte werden bis auf Kompanieebene in den
Bereichen Bentiu, Bor, Malakal, Dschuba und Wau disloziert werden. Zusätzlich soll eine hochmobile Reserve
in Rumbek stationiert werden, um flexibel auf eventuelle
Krisen reagieren zu können.
Noch ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Der neue
Staat wird auch auf den Aufbau von effizienten und politisch kontrollierten Streitkräften angewiesen sein. Zu
diesem Zweck wird die Friedensmission eine Verbindungsorganisation einrichten, die als Team aus zivilen
Kräften, Polizei und Militär die Verbindung zur südsudanesischen Armee halten soll. Eine der wesentlichen Aufgaben wird dabei auch die Beratung der südsudanesischen Sicherheitskräfte mit Blick auf den Schutz der
Zivilbevölkerung sein.
Seit 2005 besteht das Mandat UNMIS. Seit dieser
Zeit waren sehr viele Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Khartoum und im Südsudan im Einsatz. Wir
waren wesentlicher Truppensteller für die Militärbeobachterkomponente und haben wichtige Positionen im
Stab besetzt. Die eingesetzten deutschen Soldatinnen
und Soldaten haben unter schwierigsten Umständen, übrigens überwiegend abseits der medialen Aufmerksamkeit, ihren Auftrag hochprofessionell erfüllt. Ich denke,
dass insbesondere die Kolleginnen und Kollegen, die
sich vor Ort über die Situation und den Einsatz unserer
Soldaten informiert haben, mit mir darin übereinstimmen, dass wir diesen Soldatinnen und Soldaten gerade
im Hinblick auf die schwierigen Einsatzumstände - da
gibt es keinen komfortablen Stab mit all den Fazilitäten,
die man sich vorstellen kann; man ist als Militärbe13794
obachter mehr oder weniger auf sich gestellt - ausdrücklich unseren besonderen Dank und unsere Hochachtung
für ihr bemerkenswertes Engagement aussprechen.
({0})
Wir können hinzufügen: Es war eine erfolgreiche Tätigkeit. Wir können jetzt mit UNMISS einen weiteren
Schritt der friedlichen Konsolidierung einleiten. Wir
werden bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen
der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft einsetzen. Sollte im unmittelbaren Anschluss an das
UNMIS-Mandat das UNMISS-Mandat folgen, was zu
erwarten ist, dann ist beabsichtigt, das bisherige Personal, das vor Ort ist, in der neuen Mission einzusetzen.
Dadurch entstünden keine Reisekosten. Voraussetzung
ist, dass der Bundestag dem Antrag der Bundesregierung
zustimmt.
Herzlichen Dank.
({1})
Jan van Aken ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In drei Tagen wird in Afrika ein neuer Staat entstehen, der Südsudan. Schon bevor es diesen Staat überhaupt gibt, wollen Sie hier entscheiden, dahin deutsche Soldaten zu
schicken; das muss man sich mal vorstellen.
({0})
Selbst der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat
noch keine Entscheidung über eine Militärmission getroffen. Er wird das allerfrühestens am Freitagabend entscheiden. Das heißt, Sie wollen deutsche Soldaten in einen Einsatz schicken, von dem weder klar ist, was das
Ziel ist, noch klar ist, wer der Gegner ist und was genau
in diesem Einsatz passieren soll.
({1})
Das hören wir hier die ganze Zeit heraus.
Herr Westerwelle, Sie haben eben etwas Schönes gesagt. Sie haben gesagt, das sei kein Vorratsbeschluss.
Den Beschluss habe man ordentlich beraten und darüber
abgestimmt. Das stimmt überhaupt nicht. Es ist ein unbestimmter Vorratsbeschluss, der hier unordentlich beraten und über den in aller Hektik unordentlich abgestimmt wird, und das nur, damit Sie in Ihren
Sommerurlaub fahren können.
({2})
Herr Westerwelle, Sie wissen genauso gut wie ich,
was sich bei den Vereinten Nationen in letzter Sekunde
noch ändern kann. Erinnern Sie sich an Libyen. Noch einen Tag vor dem Libyen-Entscheid hätten wir beide
Stein und Bein geschworen, dass es nicht zu einem
Kriegseinsatz in Libyen kommt, und schwuppdiwupp, in
24 Stunden hat sich alles geändert. Das kann Ihnen auch
hier beim Südsudan passieren. Deswegen ist es unerträglich, dass Sie einen Vorratsbeschluss fassen wollen, bei
dem noch nicht mal klar ist, wie viele Soldaten dorthin
geschickt werden sollen, ob der Nordsudan zustimmt, ob
es überhaupt eine Grenzmission geben wird oder nicht.
All das ist unklar, und Sie wollen deutsche Soldaten in
diese Unklarheit schicken. Da machen wir nicht mit.
({3})
Ich muss die ganze Zeit daran denken, was Herr
Mißfelder von der CDU hier letzte Woche gesagt hat. Er
hat nämlich gesagt: Wir debattieren hier jeden Einsatz
sehr gewissenhaft und mit großer Akribie.
({4})
Jetzt peitschen Sie das durch einen unordentlichen Beschluss durch und schicken Soldaten ins Ungewisse. Das
kann nicht wahr sein.
({5})
Die große Frage ist natürlich: Was soll dieser Einsatz
überhaupt? Es gibt viele Dinge, auch in dem Entwurf des
Sicherheitsrates, die ich sehr gut finde. Zum Beispiel
Minenräumen, Demilitarisierung, Demobilisierung finden wir sehr gut.
({6})
Einen Verfassungsprozess zu unterstützen, finden wir
sehr gut. Aber was sollen die Soldaten da?
Die SPD hat gerade gesagt: Die Zustimmung ist unser
Zeichen, dass wir den Sudan ernst und wichtig nehmen
und unterstützen. - Das ist doch wohl lachhaft. Wissen
Sie was, wir waren vor Ort und haben mit vielen Menschen im Norden wie im Süden gesprochen.
({7})
Viele der zum Teil gewalttätigen Konflikte sind lokaler
Art. Es gab sehr gute Projekte, auch der Bundesrepublik
Deutschland. Zivile Konfliktbearbeiter haben es in Südkordofan über Jahre geschafft, lokale Konflikte zu entschärfen, bevor sie zu Gewaltkonflikten wurden. Und
was macht der Außenminister? Er zieht sie ab. Das Geld
wird gestrichen. Dafür werden Soldaten geschickt. Wenn
Sie dem Sudan wirklich zeigen wollen, dass Sie ihn und
seine Probleme ernst nehmen, dann schicken Sie zivile
Konfliktbearbeiter dorthin und keine Soldaten.
({8})
Die ganz große Frage ist natürlich: Wie ist eigentlich
Ihr Verhältnis zur südsudanesischen Armee? Alle Menschen, mit denen wir im Südsudan gesprochen haben,
auch die bei der UNO für den Sudan zuständigen Experten, haben gesagt, die SPLA, die südsudanesische Armee, ist ein großer Teil des Problems. Sie plündert, sie
mordet, und das alles willkürlich und straffrei. Das ist
bekannt. Sogar im Entwurf für das Mandat des Sicherheitsrates steht wörtlich etwas über Menschenrechtsverletzungen durch südsudanesische Sicherheitskräfte.
Selbst in diesem Mandat steht es. Das Problem ist bekannt.
Gleichzeitig wollen Sie hier aber beschließen, dass
Bundeswehrsoldaten an der Seite der südsudanesischen
Armee kämpfen sollen. Wie, bitte sehr, sollen die Bundeswehrsoldaten Zivilisten schützen, wenn die Zivilisten
von den Südsudanesen selbst bedroht werden, sie aber
an deren Seite kämpfen? Diesen Widerspruch können
Sie nicht auflösen. Dort können Sie doch keine deutschen Soldaten hinschicken, die gar nicht wissen, ob sie
gegen die südsudanesische Armee oder an deren Seite
kämpfen sollten und wen sie da eigentlich schützen sollen. Das ist der große Webfehler dieses Mandats, und
deswegen sind wir absolut gegen jeden Einsatz von deutschen Bundeswehrsoldaten im Rahmen dieses Mandats.
({9})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte, nirgendwohin.
Jetzt hätten Sie im Südsudan doch die Chance, ein paar
von den Waffen, die Sie in den letzten Jahrzehnten verkauft haben, wieder einzusammeln. Konzentrieren Sie
sich auf Demobilisierung und Demilitarisierung! Das
wäre ein guter Start.
Ich danke Ihnen.
({10})
Kerstin Müller ist die nächste Rednerin für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr van Aken, nur zwei Sätze zu Ihrer Argumentation.
Sie behaupten, alles sei unklar und man wisse überhaupt
nicht, um was es eigentlich gehe. Nachdem Sie selbst
heute im Ausschuss klargemacht haben, dass Sie wenigstens einen Blick auf den Entwurf zur Sicherheitsratsresolution geworfen haben, finde ich das wirklich lächerlich. In diesem Entwurf steht sehr konkret - deshalb
stimme ich dem zu, dass das Mandat hinreichend bestimmt ist -, wie die neue UNMISS-Mission konzipiert
werden soll.
({0})
Ich sage Ihnen eines, Herr van Aken: Sie suchen nur
nach neuen Vorwänden, um diesem Mandat nicht zustimmen zu müssen. Es geht Ihnen hier nicht darum,
wirklich nach Lösungen für den Sudan zu suchen.
({1})
- Nein, die brauche ich nicht, Herr van Aken. Ich bearbeite das Thema Sudan seit zehn Jahren. Ich brauche von
Ihnen wirklich keine Gründe, um diesem Mandat zuzustimmen. Vielmehr habe ich dafür geworben, dass es ein
zweites UNMIS-Mandat gibt, und ich habe auch dafür
geworben, dass Deutschland sich daran beteiligt. Ich
würde mir sogar wünschen, dass wir uns stärker beteiligen. Denn die Lage im Südsudan ist prekär, und die
südsudanesische Regierung hat selber gefordert, dass die
Vereinten Nationen sich wieder mit einer UN-Mission an
der Stabilisierung und dem Aufbau des Landes beteiligen. Das können Sie doch nicht einfach beiseitewischen,
nur weil es Ihnen nicht in den Kram passt.
({2})
Zweitens fragen Sie: Warum Soldaten? Da bin ich
wirklich fassungslos. Die gute Nachricht ist zwar: Der
Südsudan steht vor der Unabhängigkeit. Die schlechte
Nachricht ist: Er steht vor einem neuen Flächenbrand. In
Abyei und Süd-Kordofan sind die Auseinandersetzungen so heftig, dass die Vereinten Nationen von 150 000
bis 180 000 Vertriebenen und bereits 1 800 Toten sprechen. Es hat auch in vielen Regionen des Südsudan
schwere Auseinandersetzungen gegeben.
Deshalb - das sage ich Ihnen hier auch ausdrücklich finde ich es richtig, dass dieser Entwurf sehr klar von einem Kap.-VII-Einsatz spricht. Wenn es hier kein robustes Mandat gäbe, auch um die Zivilbevölkerung zu
schützen, sondern nur einen Einsatz nach Kap. VI der
UN-Charta, würde ich diesem Mandat nicht zustimmen.
In diesem Fall fände ich eine Zustimmung unverantwortlich und fahrlässig.
({3})
Der Staat steht vor immensen Herausforderungen.
Deshalb ist es auch richtig, dass der zweite Auftrag
Peacebuilding ist, also der Aufbau von Institutionen, eines Rechtsstaats und der wirtschaftlichen Entwicklung.
Denn nur so kann man vielleicht verhindern, dass es jetzt
- das ist wirklich das Hauptproblem des Südsudan - zur
Geburtsstunde eines gescheiterten Staates, eines Failing
State, kommt.
Eine wichtige Frage ist: Wie werden die circa 80 000
Kämpfer demobilisiert? Wie macht man aus einer
Kriegsgesellschaft eine friedliche Gesellschaft? Das sind
immense Herausforderungen, und es ist sinnvoll und
notwendig, dass die internationale Gemeinschaft hier
Unterstützung leistet.
Der dritte Auftrag des Mandates ist die Sicherung der
Grenze. Ich habe die Grenzregion Süd-Kordofan und
Kerstin Müller ({4})
Abyei erwähnt. Das Problem ist: In dieser Region begann der schwere Krieg, der von 1995 bis 2005 andauerte, und jetzt sorgen wir uns, dass sich das wiederholt.
Die Grenzsicherung kann sinnvollerweise nicht nur vom
Süden her erfolgen, sondern müsste auch vom Norden
her erfolgen.
({5})
Herr Westerwelle, ich möchte Sie und auch die Partner
in der internationalen Gemeinschaft eindringlich bitten,
auf den Nordsudan einzuwirken, dass er zustimmt, dass
der Auftrag der UN-Mission ebenfalls die Sicherung der
Grenze von Norden her umfasst. Auch dabei geht es um
den Schutz der Zivilbevölkerung, die dort zum Teil in
Panik und Angst lebt. Der Norden hat einer Verlängerung des Mandats bisher nicht zugestimmt. Das bedeutet
zum Beispiel für Süd-Kordofan, das zum Norden gehört:
Die Menschen werden ohne Schutz sein. Davor haben
sie Angst. Es ist die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, dafür zu sorgen, dass hier nicht so etwas wie
ein zweites Darfur entsteht. Das darf nicht passieren.
Wir müssen auf den Norden einwirken, dass er dem
Schutz dieser Menschen, zum Beispiel durch ein entmilitarisiertes Gebiet in Süd-Kordofan, wie schon in Abyei,
zustimmt und dass vor allen Dingen in diesen Regionen
die Gewalt endlich beendet und ein Waffenstillstand herbeigeführt wird. In diesem Punkt kann ich Frau Ashton
nur unterstützen, die das dieser Tage gefordert hat.
({6})
Wir müssen den Menschen signalisieren: Wir wollen
und wir werden sie nicht im Stich lassen, sondern sie
weiter unterstützen - beim Aufbau, aber, wenn es irgendwie geht, auch im Hinblick auf den Schutz der Zivilbevölkerung. Ich kann Ihnen heute sagen: Nach dem
jetzigen Stand der Beratungen wird meine Fraktion dem
Mandat einstimmig zustimmen. Ich kann nur hoffen,
dass diese Mission ein Erfolg wird. Aber wir stehen erst
ganz am Anfang.
Vielen Dank.
({7})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr van Aken, ich hatte eigentlich gehofft,
dass Sie etwas mehr auf die Situation in Afrika insgesamt eingehen und sich auch etwas besser darüber informieren. Ich weiß, dass zur Lektüre eines Abgeordneten
der Linkspartei in erster Linie das Neue Deutschland gehört. Hätten Sie gestern die internationale Ausgabe der
Herald Tribune gelesen, dann hätten Sie das Bild der
verängstigten Kinder und Frauen, die sich in einer Höhle
in den Nubabergen verstecken, gesehen. Dieses Bild
zeigt eindringlich und plastisch, welch eklatante Menschenrechtsverletzungen dort passieren. Wenn Sie sich
das vergegenwärtigen würden, würden Sie im Deutschen
Bundestag nicht so reden, Herr van Aken.
({0})
Ich fordere Sie auf, Ihre Position noch einmal zu
überdenken. Wenn sich Menschen in Höhlen vor Luftangriffen verstecken, dann ist der internationale Handlungsbedarf offensichtlich. Deshalb ist es richtig, dass
wir im Rahmen von verschiedenen Initiativen, auch mit
den heutigen Beratungen im Ausschuss und im Plenum
des Deutschen Bundestages, deutlich machen, dass uns
diese Region der Welt nicht egal ist. Wir haben deshalb
mit großer Ernsthaftigkeit über die Frage diskutiert, wie
wir das Mandat formal behandeln wollen: ob in einer
Sondersitzung oder nicht. Wir haben nicht grundsätzlich
gesagt, wir würden keine Sondersitzung des Deutschen
Bundestages durchführen. Wir haben vielmehr gesagt,
dass wir mit einem konsolidierten Entwurf, der heute im
Auswärtigen Ausschuss beraten worden ist, arbeiten
können. Wenn sich große Abweichungen ergeben, dann
werden wir nicht zögern, eine Sondersitzung durchzuführen. Unser Vorschlag ist, das Mandat erst einmal auf
dieser Basis auf den Weg zu bringen. Das halte ich auch
politisch für das richtige Signal.
Bundesminister Westerwelle hat eine sehr erfolgreiche Reise in den Sudan unternommen. Die Weltgemeinschaft schaut, da wir im Moment den Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen innehaben, genau hin,
was Deutschland macht. Herr Minister, ich stimme Ihnen zu: Die Unabhängigkeit Südsudans, die ja von den
Menschen gewollt ist, darf auf den letzten Metern nicht
scheitern. Deshalb brauchen wir die erfolgreiche Fortsetzung von UNMIS. Es geht nicht darum, Soldaten dorthin
zu schicken; denn sie sind schon längst da. Dankenswerterweise leisten sie dort wichtige Beiträge zur Sicherung
der Interessen der Zivilbevölkerung. Damit stärken sie
unser Ansehen weltweit.
Die nordsudanesische Regierung hat erklärt, dass sie
die Mission nicht fortsetzen will. Aber schauen wir einmal auf die Opfer des Nord-Süd-Konflikts, beispielsweise auf die Frauen und Kinder, die in der eben von mir
genannten Höhle leben. Diese Menschen wollen, dass
sich die internationale Gemeinschaft weiter engagiert.
Das neue Staatengebilde ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht
in der Lage, sich selber zu helfen.
Unser ziviler Beitrag ist sehr ausgeprägt; es geht doch
nicht um einen rein militärischen Beitrag. Wir diskutieren über die Frage, wie in Zukunft die staatlichen Strukturen, zum Beispiel für Bildung, und die Infrastruktur
aussehen sollen. Voraussetzung für all dies ist Sicherheit.
Diese kann zum jetzigen Zeitpunkt eben nur die internationale Gemeinschaft garantieren. Ich appelliere deshalb
an alle, sich ihrer Verantwortung - diese hat die Weltgemeinschaft lange Zeit nicht gezeigt - bewusst zu sein
und dementsprechend zu handeln.
Es gibt darüber hinaus viele Aufgabenschwerpunkte,
die in Zukunft weit über UNMISS hinaus eine große
Rolle spielen werden. Da leistet die UNO sehr gute Arbeit. Auf Basis der Vorschläge des Generalsekretärs der
Vereinten Nationen vom Mai geht es darum, dass wir neben der multinationalen Mission, die durchgeführt wird
- Staatssekretär Schmidt hat es schon ausgeführt -, bei
folgenden Punkten aktiv sind und erfolgreich handeln:
bei Vermittlung und Mediation, beim Voranbringen des
Versöhnungsprozesses - das ist für uns ein wichtiges
politisches Projekt -, bei der Unterstützung der Reform
des Sicherheitssektors, die dringend notwendig ist, damit
selbsttragende Strukturen geschaffen werden können. Es
geht weiterhin um die Förderung der Rechtsstaatlichkeit,
die Etablierung eines Entwaffnungs-, Demobilisierungsund Reintegrationsprogramms. Sie können also sehen,
dass wir in allen Bereichen daran arbeiten, Instrumente
der zivilen Konfliktprävention und Konfliktlösung zu
nutzen.
Letztendlich geht es bei dieser Mission meiner Ansicht nach darum - ich habe vorhin schon gesagt, dass
sich die Weltgemeinschaft zu lange diesem Thema zu
wenig gewidmet hat -, ein modernes Konfliktmanagement zu etablieren. Deshalb glaube ich, dass diese Mission weiterhin notwendig ist.
Da es sich um die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause handelt, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, all denjenigen, die bei diesem wichtigen Mandat,
aber auch bei anderen Mandaten, mitgewirkt haben - den
Soldatinnen und Soldaten, unseren Entwicklungshelfern
sowie unseren Diplomaten und Polizisten, die im Ausland einen hervorragenden Dienst leisten -, unseren großen Dank auszusprechen. Während sich viele von uns in
einen erholsamen Sommerurlaub verabschieden werden,
leisten diese Menschen Großartiges im Auftrag unseres
Landes. Dafür gebührt ihnen der Dank dieses Hauses.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/6449 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/6386, 17/6438 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich die dringlichen
Fragen entsprechend der Nr. 10 der Richtlinien für die
Fragestunde auf. Sie finden Sie auf der Drucksache
17/6438.
Ich rufe zunächst die dringlichen Fragen auf, die im
Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie angesiedelt sind. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär HansJoachim Otto zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 des Kollegen
Volker Beck auf:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Genehmigung
der Lieferung von mehr als 200 Leopard-Kampfpanzern nach
Saudi-Arabien ({0}) vor dem Hintergrund von Saudi-Arabiens Intervention in Bahrain und der
Lage im Nahen Osten?
Darf ich - nur der Vollständigkeit halber - davon ausgehen, dass wir bei der Einminutenregel bleiben? Okay.
Herr Kollege Otto.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Kollege Beck, ich antworte Ihnen wie folgt: Die Bundesregierung entscheidet
nach wie vor einzelfallbezogen und jeweils im Lichte
der jeweiligen Situation auf der Grundlage der Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export
von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern - diese
Grundsätze stammen aus dem Jahr 2000 - sowie auf der
Grundlage des Gemeinsamen Standpunktes des Rates
der Europäischen Union vom 8. Dezember 2008.
Wie auch in der Vergangenheit wird bei Ausfuhrvorhaben, die im Hinblick auf das Empfängerland, das Rüstungsgut oder den Geschäftsumfang von besonderer Bedeutung - man könnte auch sagen: von besonderer
Brisanz - sind - ({0})
- Herr Präsident, darf ich für die Beantwortung dieser
Frage doch länger als eine Minute in Anspruch nehmen?
Das ist sonst sehr knapp. Vorhin hatte der Kollege
Kampeter wenigstens eingangs die Möglichkeit zur Darstellung der Situation. Ich mache es auch nicht lang.
Okay. Letzteres leuchtet mir ein, zumal es eine Serie
von Fragen zum gleichen Sachverhalt gibt. Da sollten
wir dem Kollegen Otto die Gelegenheit geben, das
Ganze zunächst im Zusammenhang darzustellen. Dann
gilt für die übrigen Fragen das vereinbarte Regime.
Vielen Dank. - Bei etwaigen Ausfuhrvorhaben, die
besonders brisant oder von besonderem Interesse sind,
entscheidet in der Regel der Bundessicherheitsrat. Ich
will für diejenigen, die es vielleicht nicht wissen, klarstellen: Der Bundessicherheitsrat ist ein Ausschuss des
Kabinetts unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin, an
dem ferner teilnehmen: die Bundesminister des Auswärtigen,
({0})
der Finanzen, des Innern, der Justiz,
({1})
der Verteidigung sowie die Bundesminister für Wirtschaft und Technologie sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Herr Kollege Beck, Sie wissen genauso gut wie ich,
dass der Bundessicherheitsrat seit jeher geheim tagt.
Auch die Tagesordnungen und die Ergebnisse sind als
Geheim eingestuft. Daher kann - dafür haben Sie sicherlich Verständnis - die Bundesregierung zu den Presseberichten über angebliche Entscheidungen des Bundessicherheitsrates keine Stellung nehmen. Ich möchte
hinzufügen: Das war noch nie anders.
Die Notwendigkeit zur Geheimhaltung - das will ich
noch erläutern - entsteht nicht aus irgendwelchen subjektiven Interessen oder Wünschen des Kabinetts oder
des Bundessicherheitsrates, sondern es geht vorrangig
um das Schutzbedürfnis der Beziehungen Deutschlands
zu den möglichen Empfängerländern. Ein weiterer
Grund ist der Schutz der Interessen des Empfängerlandes.
Zu den konkreten Presseberichten kann und darf ich
deshalb nicht Stellung nehmen. Ich will aber trotzdem
kurz zu Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien allgemein Stellung nehmen. Saudi-Arabien bezieht seit vielen
Jahren Rüstungsgüter aus Deutschland. Die Begründung
hierfür waren in all den Jahren immer - man kann das im
Rüstungsexportbericht nachlesen - „besondere außenoder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik
Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen“. Das entspricht den Politischen Grundsätzen aus
dem Jahre 2000, die ich Ihnen eben genannt habe. Die
spezifischen bündnispolitischen Interessen gelten nicht
nur für das Gebiet der NATO, sondern erstrecken sich
auch auf den Nahen und Mittleren Osten, weil wir hier
sehr konkrete, auch bündnispolitische Interessen verfolgen.
Ferner ist das Land - das war immer ein Grund für
Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien - ein wichtiger
Partner im Kampf gegen den Terrorismus.
({2})
- Saudi-Arabien. - Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Saudi-Arabien war immer - auch zu Zeiten der
rot-grünen Bundesregierung - ein Partner im Kampf gegen den Terrorismus. Punkt.
Der Beachtung von Menschenrechten wird bei den
Entscheidungen im Rahmen der Politischen Grundsätze
besonderes Gewicht beigemessen.
({3})
Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen ihrer bilateralen Beziehungen zu Saudi-Arabien für die Einhaltung
der Menschenrechte und von demokratischen Werten
insgesamt ein.
({4})
Die Bundesregierung und die EU thematisieren in SaudiArabien und gegenüber der saudischen Regierung regelmäßig Menschenrechtsfragen. Die EU - darauf möchte
ich hinweisen - hat bereits im März 2009 den Menschenrechtsdialog mit Saudi-Arabien aufgenommen.
({5})
So weit, Herr Präsident, meine einführenden Bemerkungen. Ich ahne, es gibt weitere Fragen.
Diese Vermutung ist zutreffend. Zunächst hat der
Kollege Beck jetzt zwei Zusatzfragen. Ich habe schon
eine Reihe von Kollegen für weitere Fragen notiert.
Vorneweg ein verfahrensleitender Hinweis: Die Sitzungen des Bundessicherheitsrats sind tatsächlich geheim; das sieht die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates vor. Dass die Ergebnisse geheim sind, ergibt
sich daraus nicht zwingend. Ich stelle Folgendes anheim:
Wenn jemand Strafanzeige wegen Vorbereitung illegaler
Waffenexporte gegen den Hersteller Krauss-Maffei
Wegmann stellen würde, würde die Bundesregierung sicher helfend zur Seite springen und sagen, dass es sich
bei den Waffenlieferungen, die vorgenommen werden
sollen, nicht um ungenehmigte Waffenlieferungen handelt. Allein daraus können Sie entnehmen, dass Sie hier
irgendwann zu den Ergebnissen dieser Sitzungen stehen
müssen.
Ich frage Sie: Ist es nach den Vorfällen in Bahrain
- Bundesaußenminister Westerwelle hat hier gesagt:
„Wir stehen auf der Seite der Opposition“; aber die
saudi-arabische Armee hat der dortigen Regierung mit
Panzerfahrzeugen bei der Niederschlagung des Aufstandes geholfen - angesichts der in den allgemeinen Prinzipien niedergelegten Bedeutung der Menschenrechtsfrage
klar, dass die Bundesrepublik Deutschland - unabhängig
davon, was Sie beschlossen haben - keine Panzer und
Panzerfahrzeuge an Saudi-Arabien liefern kann? Wenn
Sie finden, dass das nicht so klar ist, wie wir denken,
würde ich gerne Ihre Begründung dafür hören, warum
das nicht gegen die in den Politischen Grundsätzen niedergelegten allgemeinen Prinzipien verstößt.
Herr Kollege Beck, erstens liegen Sie falsch, wenn
Sie meinen, dass die Ergebnisse der Sitzungen des Bundessicherheitsrates in die Öffentlichkeit getragen werden
dürfen.
({0})
Es ist sogar so, dass man sich strafrechtlich zu verantworten hätte, wenn man der Öffentlichkeit Dienstgeheimnisse preisgäbe. Die Gründe für die Geheimhaltung
habe ich Ihnen genannt.
Weil das so ist - weil der Bundessicherheitsrat nicht
öffentlich, sondern geheim tagt und auch die Ergebnisse
geheim sind -, kann ich zum Thema Bahrain nicht im
Einzelnen Stellung nehmen.
({1})
Ich will allgemein sagen, dass in solchen Fällen, in denen es eine Menge sicherheitspolitischer und anderer Interessen gibt, eine Abwägung stattzufinden hat, bei der
die Menschenrechtslage und auch das Verhältnis zu den
Nachbarländern zu berücksichtigen ist.
({2})
Das war die allgemeine Bemerkung dazu.
Sie sprechen immer von einer „Entscheidung“. Ich
kann nur sagen: Es geht um eine angebliche Entscheidung. Ich kann weder bestätigen noch dementieren, dass
es überhaupt eine Entscheidung gegeben hat.
({3})
Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass einer solchen angeblichen Entscheidung in der Sache auf jeden
Fall entgegenstehen würde, dass in den Rüstungsexportrichtlinien formuliert ist:
Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht,
in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und
Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden.
Das ist meines Erachtens vollkommen eindeutig auf die
Situation in Saudi-Arabien und Bahrain zu beziehen.
Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass diese Formulierung rechtsklar festschreibt, dass zum gegenwärtigen
Zeitpunkt keine Panzer nach Saudi-Arabien geliefert
werden dürften?
Herr Kollege Beck, Sie haben eine hypothetische
Frage gestellt.
({0})
Ich kann Ihnen nur in allgemeiner Form antworten. Einer Lieferung in ein Land liegt eine Gesamtabwägung
zugrunde. Die allgemeine Situation in Saudi-Arabien,
die Sie eben beschrieben haben, ist keine ganz neue. Es
hat trotzdem auch zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien in einem Umfang von 260 Millionen Euro gegeben. Das deutet darauf
hin, dass auch frühere Bundesregierungen - an denen
auch Ihre Partei zeitweise beteiligt war -, offensichtlich
der Meinung waren, dass bei einer Gesamtabwägung die
bündnispolitischen Interessen überwiegen und rechtfertigen, Rüstungsexporte zu durchzuführen.
({1})
- Das ist die allgemeine Formulierung und bezieht sich
nicht auf einen konkreten Beschluss.
Ich will darauf hinweisen, dass ich bereits sieben Zusatzfragen notiert habe, die ich natürlich auch aufrufen
werde. Ich bitte bei weiteren Wortmeldungen zu berücksichtigen, dass es noch vier weitere dringliche Fragen
zum gleichen Themenkomplex gibt, sodass man vielleicht die Wortmeldungen unter der Berücksichtigung
des Schwerpunkts der Fragen verteilt.
Kollege Gehrcke.
Danke sehr, Herr Präsident. - Herr Otto - Entschuldigung! - Herr Parlamentarischer Staatssekretär Otto Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Ist schon gut.
- ein bisschen „Kleiderordnung“ kann nicht schaden -,
habe ich Sie richtig verstanden? In der Presse wurde mitgeteilt, dass offensichtlich über 200 Panzer für einen Gesamtpreis in Höhe von 1,2 Milliarden Euro nach SaudiArabien geliefert werden sollen. Nun sagen Sie, Sie dürfen mir nicht bestätigen, ob das stimmt, weil das geheim
wäre. Können Sie mir bestätigen, dass in Bezug auf
Saudi-Arabien der Begriff „Demokratie“ nicht zulässig
ist und dass Saudi-Arabien im Konflikt im Nahen Osten
keine besonders friedfertige Rolle spielt? Diese Fragen
müssten Sie mir zumindest politisch beantworten können.
Neben den Fragen der außenpolitischen Einschätzung
Saudi-Arabiens sind weitere Fragen an die dafür zuständige federführende Staatsministerin im Auswärtigen
Amt gestellt worden. Ich stelle lediglich fest, dass die Si13800
tuation im Mittleren und Nahen Osten eine Gesamtabwägung erfordert. Saudi-Arabien ist sicherlich nicht so
strukturiert wie unser Land. Es ist der Bundesregierung
auch nicht unbekannt, dass es mit Nachbarstaaten Konflikte gibt.
({0})
Dies alles ist abzuwägen. Mehr kann ich an dieser Stelle
aus Gründen, die Sie selber erwähnt haben - Stichwort
„Geheimhaltungsschutz“ - nicht sagen.
Kollege Mützenich.
Danke schön. - Sie hatten eben auf die Rüstungsexportrichtlinie aufmerksam gemacht, Herr Kollege
Beck hat daraus zitiert. Es scheint darin eindeutig niedergelegt zu sein, dass insbesondere das sicherheitspolitische Umfeld und auch die Spannungssituation in der
Region eine entscheidende Rolle für Exportgenehmigungen spielen müssen. Können Sie mir zustimmen, dass
sich gerade in den letzten Wochen in Bezug auf das, was
in Bahrain passiert ist, und durch die Grenzkonflikte, die
es mit dem Jemen gibt, ein sicherheitspolitisches Umfeld
entwickelt hat, durch das zumindest infrage gestellt werden muss - wenn es eine solche Entscheidung gegeben
haben soll -, ob die Gesamtabwägung, die Sie immer
wieder in den Vordergrund stellen, mit der aktuellen sicherheitspolitischen Situationen überhaupt noch in
Übereinstimmung zu bringen ist?
Es ist richtig, dass es in den vergangenen Monaten in
Nachbarländern von Saudi-Arabien zu Spannungen gekommen ist. Die Abwägung, die wir vorzunehmen haben, bezieht aber ein größeres Umfeld mit ein. Jedermann hier im Hause ist bekannt, dass Saudi-Arabien
auch eine regionale Schutzmacht, oder: eine regionale
Großmacht im Verhältnis zum Iran darstellt. Wir haben
die unterschiedlichen Sicherheitsinteressen, die in diesem Zusammenhang bestehen, abzuwägen. Das ist kein
Wunschkonzert, sondern das sind schwerwiegende
Gründe, die abgewogen werden müssen. Wie gesagt:
Das gilt ganz allgemein. Ich betone noch einmal: Das ist
keine Antwort auf die Frage, ob eine mögliche Entscheidung getroffen wurde oder nicht.
All die Fragen, die die geopolitische Situation in
Saudi-Arabien betreffen - das gilt auch für das Verhältnis zu den Nachbarländern -, sind federführend vom
Auswärtigen Amt zu beantworten. Dafür bitte ich um
Verständnis. Deswegen haben wir einen Bundessicherheitsrat, in dem unterschiedliche Ressorts mitwirken.
Das Ressort, das ich hier zu vertreten habe, ist nach den
Politischen Grundsätzen für den Export von Rüstungsgütern, die wir alle kennen, aufgrund seiner Interessenlage nur zu einem geringeren Teil betroffen, nämlich nur
hinsichtlich der Frage, inwieweit Arbeitsplätze eine
Rolle spielen, und das darf nur eine nachgeordnete Rolle
spielen.
Kollege Trittin.
({0})
- Der Hinweis, dass sich jemand in einer bestimmten
Reihenfolge im Verhältnis zu anderen gemeldet habe,
setzt die Geschäftsordnungsregel, dass das Präsidium
gehalten ist, in der Abfolge möglichst Redner verschiedener Fraktionen zu Wort kommen zu lassen, nicht außer
Kraft.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, dass Saudi-Arabien wie auch Katar, wohin Sie 2009 eine Panzerlieferung genehmigt haben, in Bahrain in eine bewaffnete
Auseinandersetzung verwickelt ist? Ist es zutreffend,
dass in Bahrain bewaffnete Auseinandersetzungen drohen und bestehende Spannungen und Konflikte dort angeheizt oder verschärft werden? Ist es zutreffend, dass es
in den Rüstungsexportrichtlinien, die ja angeblich noch
gelten - wir können uns auch irren -, heißt: „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder“, in
denen eine solche Situation herrscht. Da steht nichts von
Abwägung.
Herr Kollege Trittin, mir sind als Staatssekretär und
auch als Staatsbürger natürlich Presseberichte bekannt,
nach denen Saudi-Arabien sich an den Konflikten in
Bahrain beteiligt hat. Mir ist auch bekannt, dass es im
Jemen Konflikte gibt. Ob, wie Sie das eben intoniert haben, diese Auseinandersetzungen anhalten
({0})
und ob aufgrund dessen zum jetzigen Zeitpunkt, wenn
denn eine Entscheidung jetzt überhaupt fiele, eine Exportgenehmigung möglich wäre oder nicht, ist eine hypothetische Frage, auf die ich nicht eingehen kann. Ich
kann Ihnen nur in allgemeiner Form sagen, dass wir über
all die Jahre hinweg, auch in der Zeit, in der Sie Mitglied
des Bundeskabinetts waren, Rüstungsexporte in nicht
unbeträchtlichem Umfang genehmigt haben, obwohl es
in der Region schon immer Konflikte gegeben hat. Auch
damals, lieber Herr Trittin, ehemaliger Bundesminister,
hat der Bundessicherheitsrat keine Auskunft über Tatsachen, Motive und Gründe für eine etwaige Entscheidung
gegeben.
Herr Kollege Beck zur Geschäftsordnung.
Da der Herr Staatssekretär hier auf Basis seiner Zeitungslektüre und seiner Kenntnisse als Staatsbürger AusVolker Beck ({0})
kunft gibt, hätte ich gerne ein Mitglied des Bundessicherheitsrates hier, das uns Auskunft geben kann. Wir
zitieren deshalb den Bundeswirtschaftsminister, Herrn
Dr. Rösler.
Ich halte den Antrag für unzulässig, Herr Kollege
Beck. Da der Bundessicherheitsrat - das ist unabhängig
von der Beurteilung des Sachverhaltes - unstreitig geheim tagt, können wir nicht einen Bundesminister mit
dem Ziel zitieren, aus der Sitzung des Bundessicherheitsrates zu berichten.
({0})
- Das hörte sich aber sehr danach an.
({1})
- Das Interesse ist nachvollziehbar, aber es lässt sich
durch die ohnehin absehbare weitere Behandlung des
Themas mühelos berücksichtigen. Deswegen schlage ich
vor, dass wir jetzt in der Reihenfolge der gemeldeten
Fragesteller fortfahren. - Die nächste Frage hat der Kollege Movassat.
({2})
- Aber Sie haben einen Geschäftsordnungsantrag gestellt, den ich aus den genannten Gründen so für unzulässig halte. Sie können ja jetzt überlegen, ob Sie einen
anderen stellen wollen.
({3})
Diesen jedenfalls könnte ich so hier nicht zur Abstimmung stellen.
({4})
Jetzt hat Kollege Movassat zunächst einmal das Wort. Herr Kollege Beck, wir verhandeln jetzt nicht hier, wenn
ich einem Redner das Wort erteilt habe. - Bitte schön,
Herr Kollege Movassat.
Herr Präsident! Herr Staatssekretär, Sie stellen sich
hier hin und sagen, dass Menschenrechtsfragen eine
wichtige Grundlage bei der Entscheidung über Rüstungslieferungen sind. Wie beurteilen Sie vor diesem
Hintergrund den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, in dem deutlich gemacht wird, dass in SaudiArabien schwerste Menschenrechtsverletzungen stattfinden, dass auch schwerste Verletzungen von Frauenrechten in diesem Land stattfinden? Wie beurteilen Sie vor
diesem Hintergrund zum Beispiel die Äußerungen von
Herrn Bundesaußenminister Westerwelle, der immer
wieder von der westlichen Wertegemeinschaft spricht?
Sehen Sie in der Lieferung von Waffen an Saudi-Arabien einen Beitrag zur Verwirklichung von Menschenrechten? Ist es Ausdruck der westlichen Wertegemeinschaft, Waffen an dieses Land zu liefern?
Es ist sicherlich kein Geheimnis - darüber kann man
sprechen -, dass sich die Menschenrechtssituation in
Saudi-Arabien von der in Europa und insbesondere der
in der Bundesrepublik Deutschland grundlegend unterscheidet. Es ist auch kein Geheimnis, dass es ein stetiges
Bemühen der Europäischen Union und namentlich der
Bundesregierung durch Herrn Bundesaußenminister
Westerwelle gibt,
({0})
die Menschenrechtssituation dort zu verbessern. Es gibt
seit Jahren einen institutionalisierten Menschenrechtsdialog. Dieser Menschenrechtsdialog zielt darauf ab, die
Werteordnung dort zu stabilisieren. Deswegen antworte
ich auf Ihre Frage wie folgt: Wenn es in diesem Zusammenhang keine Sorgen und Probleme gäbe, würde es
diesen Dialog nicht geben. Wenn wir aber keine Hoffnung hätten, dass wir die Menschenrechtslage verbessern können, dann würden wir uns diesem Dialog nicht
aussetzen. Wir haben die Hoffnung, dass wir dazu beitragen können, die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien
zu verbessern.
({1})
Jetzt hat Kollege Beck noch einmal zu einem Geschäftsordnungsanliegen das Wort erbeten. Bitte schön.
Der Herr Präsident hat mich gerade missverstanden,
weil ich mich möglicherweise missverständlich ausgedrückt habe.
({0})
Ich rufe das Mitglied der Bundesregierung Bundeswirtschaftsminister Dr. Rösler herbei, damit er uns hier Auskunft geben kann, da die Antworten des Staatssekretärs
uns nicht genügen.
({1})
Gut. - Sie können ihn natürlich nicht herbeirufen,
aber den Antrag stellen, ihn herbeizurufen.
({0})
So ist es offenkundig auch gemeint. Ich werde nur gerade durch Zwischenruf darauf aufmerksam gemacht
- das kann ich jetzt nicht unmittelbar nachprüfen -, dass
Präsident Dr. Norbert Lammert
sich Bundesminister Rösler in Brüssel aufhält, was,
wenn es so ist, vermutlich auch durch Mehrheitsbeschluss nicht - ({1})
- Ja, ich habe mich doch gerade ausdrücklich auf einen
Zwischenruf bezogen, den Kollege Kolb, der diesen vorgetragen hat, vielleicht noch einmal erläutern kann, damit wir hier nicht Beschlüsse fassen, die sicher zulässig
sind, zweifellos auch gut gemeint sind, aber möglicherweise folgenlos blieben. - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident, für die Gelegenheit. Ich
habe gerade mit dem Büro der Fraktionsgeschäftsführung telefoniert und dort erfahren, dass gestern der Bundeswirtschaftsminister für heute als entschuldigt gemeldet worden ist, weil er sich in Brüssel befindet.
({0})
- Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich das aktuell vor einer
Minute erfahren habe.
Ganz offenkundig liegt hier zumindest ein unvollständiger Informationsstand vor,
({0})
der sich vielleicht auch dadurch erklärt, dass der Bundeswirtschaftsminister dem Deutschen Bundestag nicht
angehört und deswegen nicht in ähnlicher Weise die Verfahren stattfinden
({1})
- einen Augenblick -, die jedenfalls bei Mitgliedern des
Bundestages üblich und notwendig sind.
Ich halte es gleichwohl für richtig, dass wir - völlig
unabhängig von diesem formalen Aspekt - dann, wenn
wir nach einer guten Übung Entschuldigungen von Mitgliedern der Bundesregierung - schon gar zu einem Tagesordnungspunkt, der regelmäßig mittwochs nachmittags stattfindet - erhalten, auch eine Liste bekommen,
die vollständig ist. Insofern wäre das zu monieren, wenn
eine solche Mitteilung nicht erfolgt ist.
Unter Berücksichtigung dieses ausdrücklich vorgetragenen Monitums frage ich den Antragsteller, ob er es unter Würdigung der Gesamtumstände im Augenblick bei
diesem gemeinsam festgestellten Monitum bewenden
lässt oder ob er auf eine Abstimmung besteht. Die Mehrheitsverhältnisse erscheinen im Augenblick übersichtlich, das Ergebnis des Antrags allerdings auch.
Ich bin erstaunt, dass die FDP-Fraktion und nicht die
Bundesregierung uns erklärt, welche Minister anwesend
sind, obwohl der Minister nicht einmal dieser Fraktion
angehört. Wenn diese Information richtig ist, macht der
Antrag keinen Sinn. Sollte sie falsch sein, wäre das,
finde ich, ein erheblich unfairer Akt. Wir werden der Sache auf den Grund gehen, ob das so stimmt. Ansonsten
müssten Sie sich beim Parlament entschuldigen.
Ich schlage vor, Herr Kollege Beck, dass wir das morgen im Ältestenrat noch einmal aufgreifen. Denn ich
meine schon, dass wir auch für künftige Sitzungen eine
wechselseitige Verlässlichkeit brauchen, die uns nicht in
eine Situation führt, die wir jetzt gerade allgemein beklagen.
Wir fahren dann mit der Befragung fort. - Als nächster hat der Kollege Ströbele das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade auf die Fragen
des Kollegen geantwortet, die Menschenrechtslage in
Saudi-Arabien sei anders als die in Deutschland. Ich
frage Sie deshalb: Ist der Bundesregierung bekannt, dass
in Saudi-Arabien von Amts wegen - also von Staats wegen - Menschen ausgepeitscht, in entwürdigender Art
und Weise hingerichtet und unterdrückt werden, dass
keine Bürgerrechte gelten, dass insbesondere Frauen, die
nicht einmal Auto fahren dürfen, unterdrückt werden?
Gibt die Bundesregierung mir recht, dass es sich hierbei
um eine innere Repression sowie um eine fortdauernde
und systematische Menschenrechtsverletzung handelt?
Ist es, wenn solche Voraussetzungen vorliegen, nach den
Richtlinien für Rüstungsexporte in solche Länder so,
dass Genehmigungen nicht in Betracht kommen?
Herr Kollege Ströbele, sollte es zu einer Entscheidung
gekommen sein oder sollte es noch zu einer Entscheidung kommen, sind all diese Dinge zu berücksichtigen.
Es ist nicht meine Aufgabe, jetzt hier eine Menschenrechtslage im Detail zu beurteilen. Ich bin Staatssekretär
im Bundeswirtschaftsministerium. Im Übrigen gibt es in
Bezug auf diese Gesichtspunkte einen Abwägungsprozess. Auch die Menschenrechtslage ist im Rahmen eines
Abwägungsprozesses zu berücksichtigen. Ich habe Ihnen bzw. Kollegen von Ihnen schon gesagt, dass wir uns
- sonst würden wir den Menschenrechtsdialog nicht führen - Verbesserungen an dieser Front wünschen und
diese anstreben. Wie Sie wissen, macht die EU das. Das
gilt auch für die Bundesregierung. Detailfragen aber
- ob Auspeitschungen und ähnliche Dinge vorkommen sind nicht an den Bundeswirtschaftsminister zu richten.
({0})
- Ja, ich lese Zeitung.
Ich weise noch einmal - auch der guten Ordnung halber - darauf hin: Alle Fragen, die in der Fragestunde aus
dem Parlament heraus an die Regierung gerichtet werden, werden auch von der Regierung beantwortet. Sie
werden - unbeschadet der Aufteilung der Antworten auf
die Ressorts; das findet wiederum in der Verantwortung
der Bundesregierung statt - nicht an die Ressorts gerichtet.
({0})
Der Kollege van Aken hat die nächste Frage.
Herr Otto?
Ja.
In einem Punkt haben Sie unrecht: Die Ergebnisse
von Sitzungen des Bundessicherheitsrates, bei denen es
um Rüstungsexporte geht, sind nicht geheim. Das ist
keine Rechtsauffassung von mir, sondern eine Tatsache.
Vielleicht wissen Sie, dass Ihr Ministerium einmal im
Jahr einen Rüstungsexportbericht veröffentlicht. In diesem wird auch über Exporte berichtet, die im Bundessicherheitsrat beschlossen worden sind. Ich habe Ihnen
in diesem Jahr die eine oder andere schriftliche Frage gestellt. Zum Beispiel habe ich gefragt: Welche Exporte
nach Saudi-Arabien haben die Bundesregierung und der
Bundessicherheitsrat im letzten Jahr, 2010, genehmigt?
Die Antwort auf diese Frage haben Sie mir gegeben. Ich
habe Sie auch gefragt, ob Sie die Lizenz für den Bau einer Waffenfabrik in Saudi-Arabien erteilt haben. Auch
die Antwort auf diese Frage haben Sie mir gegeben. Sie
antworteten: Ja, diese Lizenz haben wir erteilt.
All diese Entscheidungen wurden im Bundessicherheitsrat gefällt. Nirgendwo steht geschrieben, dass ich
18 Monate, bis zur Vorlage des nächsten Rüstungsexportberichts, auf eine Antwort warten muss; Sie geben
sie mir teilweise auch schneller. Es ist völlig unglaubwürdig, wenn Sie behaupten, die Ergebnisse - nur die
Ergebnisse - der Beratungen des Bundessicherheitsrates
seien geheim. Sie sind praktisch und faktisch immer öffentlich.
Herr van Aken, es gibt zwischen dem, was Sie zuletzt
gesagt haben, und dem, was ich gesagt habe, keinen Widerspruch. Den Vorwurf, dass ich unrecht habe, halte ich
für nicht zutreffend.
Das Verfahren ist genau geregelt. Die Sitzungen und
die Ergebnisse der Beratungen des Bundessicherheitsrates sind als Geheim eingestuft. Die Bekanntgabe der Ergebnisse seiner Beratungen ist sogar strafbewehrt. Um
das Parlament in angemessener Weise beteiligen zu können, gibt es den jährlichen Rüstungsexportbericht.
({0})
In diesem jährlichen Rüstungsexportbericht wird in allgemeiner Form, ohne Hinweis auf einzelne Motive usw.,
mitgeteilt, in welchem Umfang Rüstungsgüter in welche
Länder exportiert wurden.
({1})
Ich könnte Ihnen, wenn meine Minute Redezeit nicht um
wäre, sogar die vorläufigen Zahlen für 2010 mitteilen;
aber danach haben Sie gar nicht gefragt.
({2})
Frau Kollegin Keul.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen die Rechtsgrundlagen dargelegt und die Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung zitiert. Danach sind Kriegswaffenexporte in
Drittstaaten grundsätzlich verboten. Von diesem Grundsatz darf nur ausnahmsweise, beim Vorliegen besonderer
sicherheitspolitischer Interessen der Bundesrepublik
Deutschland, abgewichen werden.
Korrekt.
Dort steht aber auch: Beschäftigungspolitische
Gründe dürfen keine Rolle spielen.
Keine ausschlaggebende.
Können Sie ausschließen, dass bei der Entscheidung
des Bundessicherheitsrates beschäftigungspolitische
oder gar industriepolitische Gründe eine Rolle gespielt
haben?
Frau Kollegin, zunächst einmal: Ich kann Ihnen aus
den bekannten Gründen gar keine Auskunft darüber geben, ob diese Entscheidung getroffen worden ist oder
nicht. Ich möchte aber, um das klarzustellen, die entsprechende Stelle der Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung zitieren. In den Politischen Grundsätzen heißt
es:
Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen.
Dies bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass sie
eine gewisse Rolle spielen dürfen, sozusagen als nachrangige Gründe. Ich kann mir vorstellen, dass dies auch
bei ähnlichen Entscheidungen in der Vergangenheit der
Fall war. Das wäre auch völlig legitim gewesen, weil die
Politischen Grundsätze wie erwähnt niedergelegt worden sind. Ausschlaggebend ist das sicherheits- und
bündnispolitische Interesse. Nachrangig können auch
beschäftigungspolitische Gründe eine Rolle spielen.
Nächste Fragestellerin ist Claudia Roth.
Danke, Herr Präsident. - Herr Otto, meine erste
Frage. In der heutigen Ausgabe der seriösen Süddeutschen Zeitung war zu lesen: Aus Regierungskreisen verlautete, dass im Vorfeld der Entscheidung im Bundessicherheitsrat am 27. Juni dieses Jahres die Zustimmung
von Israel und den USA eingeholt worden sei und dass
beide Staaten nicht nur konsultiert worden seien, sondern auch keine Bedenken angemeldet hätten. - Stimmen diese Verlautbarungen aus Regierungskreisen?
Meine zweite Frage. Sie haben vorhin gesagt, es gehe
darum, dass die deutsche Außenpolitik die Werteordnung in der Region, in Saudi-Arabien, stabilisieren will.
Von welcher Werteordnung sprechen Sie? Sind Menschenrechte Ihrer Meinung nach nicht universell gültig,
sondern ist ihre Geltung von der jeweiligen Region abhängig?
Ich möchte zunächst zu Ihrer zweiten Frage Stellung
nehmen. Selbstverständlich sind Menschenrechte - sie
sind in der UN-Menschenrechtscharta niedergelegt weltweit gültig. Wir stellen allerdings fest, dass die Verwirklichung der Menschenrechte, obwohl es die UNMenschenrechtscharta gibt, in den verschiedenen Teilen
und Ländern der Welt unterschiedlich weit fortgeschritten ist. Es ist unser ständiges Bemühen, auch das des
Parlaments - so gibt es zum Beispiel einen Menschenrechtsausschuss und ähnliche Einrichtungen -, die Menschenrechtssituation in allen Regionen der Welt zu stabilisieren und zu verbessern. Das gilt auch für SaudiArabien.
Insofern: Die Standards, an denen wir die Menschenrechtslage messen, sind in der UN-Menschenrechtscharta niedergelegt, und an dieser universell geltenden
Charta halten wir fest. Ich habe bereits geschildert, dass
es in Saudi-Arabien diesbezüglich Defizite gibt. Sonst
würden wir auch nicht in einem ständigen Dialog stehen.
Zu dem ersten Teil Ihrer Frage würde Herr Staatsminister von Klaeden gerne Stellung nehmen, wenn, Herr
Präsident, das erlaubt ist.
Ja, das erlaube ich.
Frau Kollegin Roth, es gilt das, was Kollege Staatssekretär Otto bereits gesagt hat, nämlich dass wir zu den
Sitzungen des Bundessicherheitsrates keine Auskunft
geben. Das gilt dann eben auch für die Frage, ob Pressemeldungen dementiert oder bestätigt werden.
Ich will aber gerne noch einmal die Gelegenheit nutzen, einige Sätze zu unseren Beziehungen zu Saudi-Arabien zu sagen, damit hier kein unausgewogenes Bild entsteht. Hinsichtlich der Menschenrechtslage in SaudiArabien besteht zwischen der Einschätzung der seriösen
Menschenrechts- und Außenpolitiker des Bundestages
und der Einschätzung der Bundesregierung keine Differenz. Warum Saudi-Arabien trotz seiner schwierigen
Menschenrechtssituation gleichwohl ein wichtiger Partner für uns ist, will ich an folgenden Punkten deutlich
machen:
Saudi-Arabien hat im Jahr 2002 eine Friedensinitiative ergriffen, die die Zwei-Staaten-Lösung zum Ziel hat.
Saudi-Arabien beteiligt sich an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Hinweise aus Saudi-Arabien
haben dazu geführt, dass auch Anschläge in Deutschland
verhindert werden konnten.
({0})
Die Möglichkeit eines geordneten Machtübergangs im
Jemen durch den Golfkooperationsrat wäre ohne die Unterstützung Saudi-Arabiens undenkbar. Ohne die Unterstützung Saudi-Arabiens wäre es auch nicht zur Befreiung deutscher Geiseln im Jemen gekommen.
Ich wollte nur sagen: Das ist keine Hintergrundmusik.
Wie bitte?
Dieser Gong ist keine Hintergrundmusik.
Gut. Die Frage ist, inwieweit das Parlament diese
Frage ernst nimmt und ob wir wirklich über diese Frage
sprechen wollen oder nicht. Ich finde jedenfalls, dass wir
mit Saudi-Arabien einen wichtigen strategischen Partner
haben. Wenn das Interesse daran aber nicht besteht, dann
will ich mich gerne an das Signal halten.
({0})
Ich schreibe Ihren Namen gerne noch einmal auf die
Liste, die relativ lang ist.
({0})
Herr Kekeritz, bitte.
Ich fühle mich etwas überfordert. Welche Frage sollen wir Ihnen denn eigentlich stellen, da Sie sich ständig
in eine Gesamtabwägung flüchten? Sie behaupten dann,
die Fragen seien hypothetisch oder sonstiges.
Ich habe trotzdem schon einiges aus Ihren Aussagen
herausgehört, das mich interessiert. Wie kommen Sie eigentlich zu der Aussage, dass Saudi-Arabien seit Jahren
ein wackerer Kämpfer gegen den Terrorismus ist? Sie lesen doch angeblich sehr viel Zeitung. Dann müssten Sie
inzwischen doch auch gelernt oder gelesen haben, dass
Saudi-Arabien al-Qaida zumindest jahrelang massiv
oder sogar als Hauptfinanzier unterstützt hat. Wie kommen Sie zu Ihrer von der allgemeinen Wahrnehmung
doch völlig abweichenden Einschätzung?
Herr Kollege, die Behauptung, dass Saudi-Arabien,
womit Sie wohl den Staat meinen
({0})
- das Herrscherhaus -, maßgeblich terroristische oder alQaida-Aktivitäten unterstützt hat - auch finanziell -,
kann ich nicht bestätigen.
({1})
Ich kann allerdings das bestätigen, was der Kollege von
Klaeden eben schon gesagt hat, dass es nämlich in der
Vergangenheit unter unterschiedlichen Regierungen - darauf möchte ich hinweisen - durchaus erfolgreiche Kooperationen gegen terroristische Aktivitäten gegeben hat.
Insofern ist Saudi-Arabien für uns in gewisser Hinsicht
ein Sicherheitspartner.
Diese Zusammenarbeit, die im Übrigen nicht nur mit
Deutschland besteht, sondern auch mit der EU und mit
anderen Ländern, ist ganz offensichtlich von zentraler
Bedeutung. Sonst hätte es auch nicht über so viele Jahre
hinweg größere Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien
geben können.
Frau Müller.
Herr Staatssekretär, da Sie zu den Entscheidungen des
Bundessicherheitsrates nichts sagen können, frage ich
Sie jetzt nach der allgemeinen politischen Bewertung der
Bundesregierung. Dazu können Sie sicherlich Auskunft
geben.
Ich frage Sie erstens, ob die Bundesregierung - ich
beziehe mich auf den Herrn Kollegen Lammert, unseren
Präsidenten - Zweifel daran hat, dass Saudi-Arabien den
Aufstand in Bahrain niedergeschlagen hat. Zweitens.
Bedeutet das, dass Sie Zweifel daran haben, dass SaudiArabien damit in eine bewaffnete Auseinandersetzung
verwickelt war? Diese politische Bewertung unterliegt
nicht der Geheimhaltung.
Frau Kollegin, ich habe vorhin schon gesagt, dass ich
aus Presseberichten und als Staatsbürger davon Kenntnis
habe, dass - ({0})
- Um Ihre Frage zu Bahrain zu beantworten: Es ist der
Bundesregierung bekannt, dass es in Bahrain eine Intervention mit saudi-arabischen gepanzerten Fahrzeugen
gegeben hat, die von der dortigen Regierung angefordert
wurden. Das ist bekannt. Dass diese Zusammenarbeit
oder diese Intervention anhält, kann ich nicht bestätigen.
Wenn es zu einer entsprechenden Entscheidung käme
oder gekommen ist, dann sind diese Gesichtspunkte natürlich zu berücksichtigen. Es ist aber nicht so, dass aufgrund mancher Vorgänge, die wir nicht positiv bewerten,
eine Entscheidung von vornherein versperrt ist, sondern
die Gesamtzahl der sicherheitspolitischen und bündnispolitischen Gesichtspunkte ist zu bewerten. Auf dieser
Basis ist dann zu einer Entscheidung zu kommen. Es ist
nicht so, dass ein einziger Punkt jetzt eine Lieferung ausschließt.
Jetzt ist der Kollege Hunko an der Reihe.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, nach einem Demokratieranking der britischen Zeitschrift The Economist wird Saudi-Arabien auf Platz 159 von 167 aufgeführten Staaten gelistet. Das heißt, Saudi-Arabien ist
einer der zehn undemokratischsten und autoritärsten
Staaten weltweit. Meine erste Frage: Teilen Sie diese
Einordnung?
Daran schließt sich meine zweite Frage an. Sie haben
eben Saudi-Arabien als regionale Schutzmacht bezeichnet. Würden Sie das militärische Eingreifen in Bahrain
als Schutzmaßnahme bezeichnen?
Zu Ihrer ersten Frage: Ich nehme nicht Stellung zu
Bewertungen von irgendwelchen Institutionen. Vielmehr
geht es darum, dass man die gesamte sicherheitspolitische Lage einschätzt.
Zu Ihrer zweiten Frage: Eine Intervention - das ist
ganz klar - zur Unterdrückung oder Niederschlagung eines Aufstandes oder einer Bewegung von Oppositionellen ist kein Engagement im Schutzinteresse. Aber, wie
gesagt, diese Maßnahme hat die Bundesregierung nie
gutgeheißen. Es hat dazu auch Stellungnahmen gegeben.
Die Maßnahme wird aber nicht mehr fortgesetzt.
({0})
Deswegen brauchen wir jetzt nicht darüber zu diskutieren.
Es gibt dort Dinge, die die Bundesregierung kritisiert
hat. Es wird auch in Zukunft möglicherweise Vorgänge
geben, die im Zusammenhang mit Saudi-Arabien
EU-weit und deutschlandweit einer Diskussion bedürfen. Ich spreche die Saudi-Araber nicht frei und sage:
Das ist nach unserem Maßstab eine mustergültige Demokratie. Das hat keiner gesagt.
({1})
Aber es gibt massive sicherheitspolitische Interessen
Deutschlands und der NATO in Saudi-Arabien, sonst
hätte es in den vergangenen Jahren nicht immer wieder
zu Rüstungsexporten kommen dürfen. Diese hat es aber
gegeben. Daraus schließe ich, dass auch in der Vergangenheit sicherheitspolitische Erwägungen eine große
Rolle gespielt haben. Das gilt auch fort.
({2})
Bevor der Kollege Schmidt seine Frage stellt, möchte
ich darauf hinweisen, dass die Kollegen van Aken, Roth
und Movassat zu dieser ersten Frage bereits eine Nachfrage gestellt haben. Es sind aber noch vier weitere Fragen zu beantworten. Vielleicht möchten Sie nach diesen
Fragen nachfragen. - Jetzt hat der Kollege Schmidt das
Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Geheimhaltung
verwiesen. Der Bundessicherheitsrat ist als Unterausschuss des Kabinetts gegründet worden. Insofern gilt dafür die Geschäftsordnung der Bundesregierung. Darin
heißt es, dass die Sitzungen vertraulich sind und dass
Mitteilungen darüber ohne besondere Ermächtigung des
Bundeskanzlers unzulässig sind. So heißt es darin wörtlich. In diesem Falle bezieht sich das auf die Bundeskanzlerin.
Stimmen Sie mir zu, dass die Bundeskanzlerin also
die Ermächtigung erteilen kann, darüber Auskunft zu geben, und können Sie eine politische Begründung nennen,
warum die Bundeskanzlerin das in diesem Fall nicht tut?
({0})
Ich nehme hier nicht die Rolle der Bundeskanzlerin
ein. Ich sitze nicht auf ihrem Platz, sondern daneben.
Aber ganz klar ist, dass es zumindest seit dem Jahr 2000
völlig unstreitig ist, Herr Kollege Trittin,
({0})
dass der Verlauf und die Ergebnisse der Sitzungen des
Bundessicherheitsrats als Geheim einzustufen sind, was
zur Folge hat, dass niemand, auch nicht die Bundeskanzlerin, das Recht hat, dies sozusagen durch freie Entscheidung zu öffnen. Das ist ganz einfach.
({1})
- Herr Kollege Trittin, wenn Sie schon dazwischenrufen:
Nennen Sie nur einen Fall, wo ein Bundeskanzler, wer
auch immer, aus den Sitzungen des Bundessicherheitsrates berichtet hat! Das hat es nie gegeben.
({2})
Das hat auch einen sehr guten Grund. Der Bundessicherheitsrat ist ein Organ - in der Koalitionsvereinbarung
aus 1998 von Rot-Grün ist der Bundessicherheitsrat übrigens ausdrücklich gestärkt worden -,
({3})
das aus der Überzeugung heraus geschaffen worden ist,
dass in diesem Gremium alle Kompetenzen gebündelt
werden müssen und dass dort verantwortungsbewusste
Entscheidungen im Sinne einer restriktiven Rüstungsexportpolitik getroffen werden können.
Herr Staatssekretär, es ist in der Fragestunde nicht
vorgesehen, dass auch auf Zwischenrufe geantwortet
wird.
Gut. Sie sehen, wie auskunftsfreudig die Bundesregierung ist.
Das ist großartig, aber wir würden lieber bei dem bleiben, was vorgesehen ist.
Wir kommen damit zur dringlichen Frage 2 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele:
Welche Angaben macht die Bundesregierung zum jetzt bekannt gewordenen Zustandekommen des Waffengeschäfts
über die Lieferung von 200 Leopard-Kampfpanzern von
Deutschland an Saudi-Arabien hinsichtlich der Zahlung
„nützlicher Aufwendungen“ sowie der Vermittler, Unterstützer in der Bundesregierung und Nutznießer dieses Waffengeschäfts?
Herr Kollege Ströbele, ein Teil Ihrer Frage bezieht
sich auf das, was wir eben schon ausgiebig diskutiert haben. Ich nehme Bezug auf das, was ich eben schon gesagt habe, und möchte das nicht verlängern.
Im Übrigen kann ich Ihnen mitteilen, dass der Bundesregierung keinerlei Erkenntnisse über geleistete gesetzeswidrige Zahlungen vorliegen, die irgendwie im
Zusammenhang mit dem in der Presseberichterstattung
genannten Geschäft stehen könnten. Wäre es anders,
würde die Bundesregierung von irgendeiner gesetzwidrigen Zahlung Erkenntnisse bekommen, dann wäre das
eine Sache der Strafverfolgungsbehörden. Auch insofern
verweise ich auf die Richtlinie der Bundesregierung zur
Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung vom
30. Juli 2004. Sie werden sie sicherlich noch gut kennen;
sie ist nämlich in der Zeit der rot-grünen Regierungskoalition verabschiedet worden. Auch sie, Herr Kollege
Ströbele, gilt unverändert fort.
Herr Ströbele, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Ihre Auffassung, dass Sie hier
jegliche Auskunft über das Geschäft verweigern dürfen,
ist nicht nur abenteuerlich, sondern verfassungswidrig.
Sie hebeln faktisch das Recht des Deutschen Bundestages, die Bundesregierung zu kontrollieren, in diesem
wichtigen Punkt, der mindestens die Hälfte der deutschen Bevölkerung beschäftigt, für ein Jahr aus.
({0})
Meine Frage an Sie lautet: Wie viel kosten die 200
Leopard-Kampfpanzer, wenn man sie in Deutschland
kauft bzw. verkauft, und wie viel soll die saudi-arabische
Regierung dafür bezahlen? Denn der Unterschiedsbetrag
zwischen dem Kaufpreis und dem, was tatsächlich gezahlt wird, gilt wie schon im Jahr 1991 als sogenannte
nützliche Aufwendungen, das heißt Bestechungsgelder.
Deshalb richte ich als Abgeordneter des Bundestages,
der die Bundesregierung auch bei diesem Geschäft kontrollieren muss, diese Frage an Sie.
Herr Kollege Ströbele, mit allem Respekt: Es ist sehr
mutig, was Sie hier machen. Zunächst einmal weise ich
den Vorwurf, ich würde mich verfassungswidrig verhalten, mit allem Nachdruck zurück.
Ich mache genau das, was alle Bundesregierungen
bisher aus gutem Grund gemacht haben. Nennen Sie mir
einen einzigen Fall aus den vergangenen Jahren, auch
unter rot-grüner Regierung, in dem sich ein Staatssekretär hier hingestellt hat und gesagt hat: Herr Ströbele, das
und das ist im Bundessicherheitsrat beschlossen worden. Das hat es nie gegeben, und dafür gibt es gute Gründe.
Das hat mit Verfassungswidrigkeit nichts zu tun.
Es war die rot-grüne Bundesregierung, die noch einmal festgestellt hat, dass die Berichterstattung über die
Beschlüsse des Bundessicherheitsrates und die Rüstungsexportpolitik in einem jährlichen Rüstungsexportbericht niedergelegt wird. Dadurch wird das Parlament
beteiligt.
({0})
- Der Rüstungsexportbericht für 2010 wird in Kürze veröffentlicht. Ich kann Ihnen die Zahlen für Saudi-Arabien
geben.
Im Übrigen, Herr Kollege Ströbele, zu dem, was Sie
da an Spekulationen geäußert haben - also zur Preisdifferenz; das, was in der Presse steht -, will ich in keiner
Weise Stellung nehmen. Ich halte Ihre Spekulationen
wirklich für abenteuerlich und weise sie zurück.
({1})
Die Annahme, dass ein in Saudi-Arabien gegenüber
Deutschland veränderter Preis automatisch mit nützlichen Aufwendungen, kriminellen Handlungen verbunden ist, ist wirklich - mit Verlaub - Ihre private Meinung. Das ist nicht die Meinung der Bundesregierung.
Herr Ströbele, eine zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, bis zum Jahre 1999 habe ich es
auch als abenteuerlich angesehen, dass ein ausgewachsener deutscher Bundeskanzler Barbeträge, gebündeltes
Bares von Spendern anonym entgegennimmt und in
seine Jackentasche steckt. Ich habe es auch als abenteuerlich angesehen, dass 220 Millionen Euro an sogenannten nützlichen Aufwendungen gezahlt wurden, von denen 1 Million an die CDU, an deren Schatzmeister,
geflossen sind. Das war alles abenteuerlich. Seit dem
Jahr 1999 weiß ich, dass so etwas in der Bundesrepublik
Deutschland möglich ist.
Deshalb stelle ich Ihnen nochmals die Frage: Sind Sie
bereit, über Einzelheiten dieses Geschäfts dem Deutschen Bundestag Auskunft zu geben, oder verweigern
Sie diese weiterhin in verfassungswidriger Weise?
Herr Kollege Ströbele, in aller Klarheit: Der Vorwurf
an ein Mitglied der Bundesregierung, sich verfassungswidrig zu verhalten, ist starker Tobak. Sie wissen genauso gut wie ich, weil Sie langjähriger Parlamentarier
sind: Niemand von denen, die hier Zwischenrufe machen, würde sich anders verhalten, wenn er in meiner Situation wäre, niemand.
({0})
Ich würde mich sogar strafbar machen, wenn ich irgendwelche Erkenntnisse, die ich als Mitglied der Bundesregierung erhalten habe, hier offenbarte. Das geht
nicht anders. Das war zu Ihrer Zeit auch nicht anders.
Dafür gibt es gute Gründe; das habe ich schon gesagt.
Das hat mit Verfassungswidrigkeit gar nichts zu tun,
Herr Kollege Ströbele, bei allem Respekt.
Zu dem, was Sie zu früheren Zeiten, zu 1999, gesagt
haben - auch ich war in dem Untersuchungsausschuss
Mitglied -: Das ist aufgeklärt worden. Das wird sich
auch nicht wiederholen. Ich hoffe nicht, dass durch Ihre
Frage intoniert werden sollte, die jetzige Bundesregierung hätte Ähnliches vor oder getan. Ich weise das in aller Klarheit zurück. Das ist aufgearbeitet worden. Es hat
auch Strafverfahren gegeben. Dass Sie das jetzt in einen
Zusammenhang mit diesen Presseberichten stellen, finde
ich schon sehr fragwürdig.
Die nächste Nachfrage kommt vom Kollegen
Mützenich.
Herr Staatssekretär, könnten Sie denn, weil Sie uns ja
eben die Auskunft gegeben haben, dass Sie keine Auskunft geben können, zur Kenntnis nehmen, dass die
saudi-arabische Regierung seit mehreren Jahren versucht, Panzer in Deutschland zu erwerben, dass diese
Anträge offensichtlich immer wieder gestellt worden
sind, bisher aber abgelehnt worden sind, und könnten Sie
uns angesichts dessen zumindest insoweit darüber informieren, dass Sie uns mitteilen, ob es jetzt wieder eine
Voranfrage in diesem Zusammenhang gegeben hat oder
ob möglicherweise eine endgültige Entscheidung zumindest beantragt worden ist?
Nein, Herr Kollege Mützenich. Der Versuch ist nett
gemeint. Aber ich gehe nicht darauf ein. Wenn ich Ihnen
über Voranfragen Mitteilung mache, dann könnte bzw.
müsste ich auch über anderes berichten. Nein, ich nehme
zur Kenntnis, dass es in der Vergangenheit Anfragen der
Saudi-Araber gegeben hat; das sagen Sie. Was momentan ist, dazu kann ich keine Auskunft geben.
Herr van Aken.
Jetzt wird es aber doch heikel. Ich habe ja verstanden,
dass Sie nichts über den Bundessicherheitsrat sagen.
Aber Sie sind zuständig für die Rüstungsexporte. Sie
sind zuständig für das Bundesausfuhramt und den Rüstungsexportbericht. Das heißt, Sie haben außerhalb des
Bundessicherheitsrates natürlich Informationen darüber,
ob und welche Anfragen es aus Saudi-Arabien nach Panzern gibt. Das unterliegt nicht der Geheimhaltung des
Bundessicherheitsrates. Verweigern Sie jetzt wieder die
Antwort, oder sind Sie bereit, zu sagen, wann in den
letzten Jahren es erstmalig eine Anfrage aus Saudi-Arabien betreffend die Lieferung von einem oder mehreren
Leopard-2-Panzern gegeben hat und, wenn ja, ob diese
Anfrage an Ihr Ministerium oder an ein anderes Ministerium - das wäre dann für die Beantwortung meiner
Frage zuständig - gerichtet war? Diese Antwort können
Sie nicht verweigern.
Diese Antwort habe ich genauso zu verweigern wie
jede andere. Auch solche Anfragen sind geheimschutzbedürftig. Ich bin nicht befugt, jede Frage nach Anfragen
nach Rüstungsgütern zu beantworten. Das ist sehr naheliegend; denn wenn die Bundesregierung verpflichtet
wäre, schon bei Eingang einer Anfrage die Öffentlichkeit zu informieren, dann würden viele - vielleicht sogar
nach Ihrer Meinung - notwendige Geschäfte vereitelt.
Das gilt übrigens auch für Anfragen jenseits von Rüstungsgütern, zum Beispiel nach Dual-use-Gütern. Die
Verwaltung ist nicht befugt, Auskünfte über Anfragen
nach Rüstungsgütern oder sonstige Exportgenehmigungen zu erteilen. Genauso wie bei jedem anderen Verwaltungshandeln ist das alles diskret zu behandeln. Darüber
werden in der Öffentlichkeit keine Auskünfte gegeben.
All das, was notwendig ist, um das Parlament zu unterrichten, enthält der Rüstungsexportbericht. Der Rüstungsexportbericht und die Stellung des Bundessicherheitsrates gehen nicht auf diese Regierung zurück. Es
handelt sich hier um eine jahrzehntelange Praxis.
Herr Kollege Beck, bitte.
Ich hatte der Bundesregierung schon angekündigt,
dass ich eine verbindliche Auskunft zur rechtlichen Bindung der Rüstungsexportrichtlinien haben will. Eigentlich wären das Innen- und das Justizministerium berufen, eine Antwort zu geben. Da aber beide Ministerien
durch Abwesenheit glänzen, muss ich die Frage leider an
Sie richten, Herr Kollege Otto.
In Ziffer III. 5 der Rüstungsexportrichtlinien heißt es
- das wurde schon mehrfach zitiert -:
Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehVolker Beck ({0})
migt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht,
in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und
Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden.
Da diese Bestimmung bei Saudi-Arabien eindeutig
zutrifft, will ich von Ihnen wissen: Ist die Auffassung der
Bundesregierung: „Das wird nicht genehmigt“, einer
Abwägungsentscheidung zugänglich, oder handelt es
sich um ein absolutes Verbot? Ich bitte, sich für eine der
beiden Rechtspositionen zu entscheiden.
Ich weise darauf hin, dass die Bundesregierung selber
entscheidet, wer antwortet. - Aber Sie haben vor, auf die
Frage zu antworten, Herr Staatssekretär Otto?
Ich habe vor, zu antworten. - Herr Kollege Beck, ich
kann Ihnen sagen, dass sich die Bundesregierung weiterhin an die Politischen Grundsätze hält. Diese Politischen
Grundsätze sind Leitlinien, aber kein Verbot, wie Sie gesagt haben. Es handelt sich vielmehr um Grundsätze des
Verwaltungshandelns der Bundesregierung.
Ob die Tatbestandsvoraussetzungen im Fall SaudiArabien vorliegen - mir liegen die Politischen Grundsätze vor; ich bedanke mich für das Zitat; ich kann bestätigen, dass das so dort steht; das ist auch öffentlich -,
kann ich nicht bestätigen. Das ist eine Entscheidung, die
die Bundesregierung zu treffen hat. Ob die Subsumtion
unter diese Voraussetzungen erfüllt ist oder nicht, ist
eine Entscheidung, die die Bundesregierung in jedem
Einzelfall verantwortungsbewusst und auch im Sinne einer restriktiven Rüstungsexportpolitik zu treffen hat. Es
handelt sich aber um keine Beurteilungen, die man hier
quasi zu Markte tragen kann. Das sind politische Grundsätze der Bundesregierung, die im Einzelfall angewendet
werden müssen. Aber das ist keine Sache, über die wir
hier zu diskutieren hätten.
Frau Dağdelen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da ich mitbekommen habe, wie Sie auf die Fragen meiner Kolleginnen
und Kollegen nach der Abwägung von Menschenrechten
und Rüstungsgeschäften hier Stellung bezogen haben,
will ich Sie Folgendes fragen. Ich würde gern wissen,
wie Sie dem Eindruck in der Bevölkerung und in den
Nichtregierungsorganisationen - sie haben heute für
16 Uhr neben dem Parlament, dem Reichstag, zu einer Protestaktion gegen dieses Rüstungsgeschäft aufgerufen -,
nämlich dass die Bundesregierung sich zum Erfüllungsgehilfen der deutschen Rüstungslobby gemacht hat und
macht, widersprechen wollen. Das würde mich interessieren angesichts dessen, dass Sie in ein Land, an eine
monarchistische Diktatur, Panzer und andere Waffen liefern und dort Militär- und Polizeihilfe leisten, wo von
Opposition keine Rede sein kann, wo es keine Meinungs-, Versammlungs- oder Koalitionsfreiheit gibt, wo
Tausende Menschen ohne Anklage in Haft sitzen, wo gefoltert wird. Zu den Frauenrechten wurde ja schon zur
Genüge gesagt, dass sie mit Füßen getreten werden. Wie
wollen Sie diesem Eindruck widersprechen?
Frau Kollegin, die Bundesregierung achtet die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sehr hoch und akzeptiert alle Meinungen, die zu dem Thema geäußert werden. Das ist das Recht der Demonstranten.
Die Bundesregierung ist aber nicht der Meinung, dass
sie Erfüllungsgehilfe der - was haben Sie gesagt? - Rüstungslobby sei; sie weist diesen Vorwurf mit Nachdruck
zurück. Wenn eine Entscheidung getroffen wird - das
galt auch für die Vergangenheit -, dann geht es primär
um die Sicherheits- und Bündnisinteressen der Bundesrepublik. Solche Interessen müssen gegeben sein. Es
geht nicht um Willfährigkeit gegenüber irgendeiner Industrie. Die beschäftigungspolitischen Aspekte dürfen
allenfalls nachrangig eine Rolle spielen, wie ich Ihnen
schon gesagt habe. Bei jeder Entscheidung - das galt für
die Vergangenheit, und das gilt auch in der Zukunft - ist
das zu beachten und wird das von der Bundesregierung
beachtet.
Herr Kolb.
Frau Präsidentin! Nachdem der Kollege Beck hier
Vermutungen oder Spekulationen darüber geäußert hat,
wie das Verfahren im Bundessicherheitsrat abläuft, wie
insbesondere Entscheidungen dort zustande kommen,
wie die Richtlinien berücksichtigt werden, die sich die
Bundesregierung gegeben hat, würde ich gern die Bundesregierung und insbesondere das Kanzleramt, das ja
den Vorsitz im Bundessicherheitsrat hat, fragen, ob wir
hier einmal eine Darstellung dazu bekommen, wie sich
das Verfahren tatsächlich darstellt und wie solche Entscheidungen tatsächlich getroffen werden, damit wir
nicht länger auf Spekulationen angewiesen sind.
({0})
Herr Kollege Kolb, ich kann Ihnen die Frage kurz beantworten. Der Bundessicherheitsrat tagt geheim.
({0})
Wenn Entscheidungen getroffen worden sind und Rüstungsexporte stattgefunden haben, werden sie im Rüstungsexportbericht veröffentlicht. Im Übrigen sind die
Richtlinien selbstverständlich verbindlich.
({1})
Frau Roth. Zur Klarstellung: Damit rufe ich übrigens
Ihre Meldung von vorhin auf.
Genau das wollte ich fragen! Das ist doch slightly different. Was heißt denn bitte schön: „Im Übrigen sind die
Richtlinien verbindlich“? Wird von Mal zu Mal abgewogen, ob sie verbindlich sind, oder sind sie verbindlich?
Sind die Rüstungsexportrichtlinien - ich kenne sie ziemlich
gut, weil ich sie mit Gernot Erler mitverhandelt habe - verbindlich, werden sie eingehalten oder nicht? Ist der EUStandpunkt - das ist deutlich mehr als der ehemalige
Rüstungsexportkodex der Europäischen Union -, den
Sie zitiert haben, auf den Sie sich bezogen haben, verbindlich oder nicht? Ist es so, dass der Bundessicherheitsrat Waffenlieferungen in Spannungsgebiete nicht
genehmigen kann oder nicht genehmigen darf, weil das
verbindlich ist, weil das in den Rüstungsexportrichtlinien ausgeschlossen ist? Welche Bedeutung hat das
Menschenrechtskriterium, das in der Weiterentwicklung
eine ganz andere Bedeutung hat als in früheren Zeiten,
weil nämlich die Menschenrechtslage eines Landes allgemein zu betrachten ist und daraufhin dann entschieden
wird, ob geliefert werden darf oder nicht? Verbindlich
oder interpretationsfähig?
Die Politischen Grundsätze, die sich die Bundesregierung gegeben hat, stellen eine Selbstbindung der Bundesregierung dar. Sie hält sich daran, und sie beachtet
sie. Punkt!
({0})
- Frau Kollegin Roth, wir haben eben über einzelne
Punkte diskutiert. Ich habe Sie schon darauf hingewiesen, dass es bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen gibt.
Bei einigen ist eine Abwägungsentscheidung zu treffen.
Bei anderen ist es so: Wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, gibt es keinen Abwägungsspielraum.
Das habe ich Ihnen gesagt, und das gilt. Es steht nirgends in den Richtlinien - so ganz lapidar -: In Spannungsgebiete darf in keiner Weise Rüstung geliefert werden. - Vielmehr ist es hier genau aufgelistet, wie übrigens in den Politischen Grundsätzen des Europäischen
Rates in noch detaillierterer Form.
({1})
Darin steht das sehr viel präziser; es ist nicht von
Spannungsgebieten die Rede. „Spannungsgebiete“ ist
ein Begriff, der der Präzisierung bedarf. Diese ist in diesen beiden Dokumenten vorgenommen worden, an die
sich die Bundesregierung hält.
({2})
Frau Roth, es ist kein Dialog vorgesehen.
Herr Beck zur Geschäftsordnung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
§ 106 unserer Geschäftsordnung in Verbindung mit Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b beantrage ich eine Aktuelle
Stunde zu der Lieferung von 200 Panzern nach SaudiArabien.
({0})
Die Linksfraktion hat mir gegenüber erklärt, dass sie
sich diesem Begehren nach einer Aktuellen Stunde anschließen wird. Wir können jetzt die Fragestunde fortsetzen und die Aktuelle Stunde anschließen.
Das entspricht der Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache wird im Anschluss an die
Fragestunde stattfinden. Die für heute von der CDU/
CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion verlangte Aktuelle
Stunde zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird
morgen aufgerufen.
Ich frage jetzt diejenigen Abgeordneten, die zu dem
Themenbereich, zu dem jetzt eine Aktuelle Stunde verlangt worden ist, dringliche Fragen stellen wollten, ob
sie diese aufrechterhalten wollen. Das betrifft die Kollegin Keul und den Kollegen Movassat. - Das ist der Fall.
Ich rufe die dringliche Frage 3 der Kollegin Keul auf:
Welche besonderen außen- und sicherheitspolitischen
Gründe führt die Bundesregierung für die Genehmigung der
am 4. Juli 2011 durch das Magazin Der Spiegel gemeldeten
Lieferung von 200 Leopard-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien an, und wie bewertet die Bundesregierung die Vereinbarkeit dieser Lieferung mit den einzelnen Kriterien des EU-Kodex für Waffenausfuhren?
Frau Kollegin Keul, nachdem ich schon recht ausführlich zu den dringlichen Fragen 1 und 2 Stellung genommen habe, kann ich in Ihrer Frage keinen zusätzlichen Gehalt erkennen, der über den der dringlichen
Frage 1 hinausgeht. Deswegen wiederhole ich das, was
ich auf die Frage des Kollegen Beck gesagt habe, auch
Ihnen gegenüber.
Frau Keul, Sie haben eine Nachfrage?
Ja.
Bitte schön.
Ich wüsste gerne, auf welche Weise die Bundesregierung ausschließt, dass die für Saudi-Arabien genehmigten Rüstungsexportgüter zu innerer Repression genutzt
werden.
Frau Kollegin Keul, wenn ich dazu Stellung nähme,
würde ich eine Auskunft geben, dass es eine Entscheidung gegeben hat oder dass es keine Entscheidung gegeben hat. Da ich diese Auskunft aus den bekannten Gründen nicht geben kann, kann ich Ihre Frage nicht
beantworten.
({0})
Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Grundsätze, sowohl die Politischen Grundsätze der Bundesregierung
als auch die des Europäischen Rates, in jedem Einzelfall
zu beachten sind und von der Bundesregierung in jedem
Fall auch peinlich beachtet werden. Das ist die klare
Aussage. Das ist eine Selbstbindung der Bundesregierung, die nach wie vor gilt. Da gibt es keine Veränderung. Es ist genau so wie in den Jahren vorher.
Frau Keul, Sie haben eine zweite Nachfrage?
Ja, habe ich.
Bitte schön.
Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge, Herr Staatssekretär. Sie haben gesagt, die Rüstungsexportrichtlinie
solle weiter verbindlich sein. In dieser Richtlinie steht,
dass die Menschenrechtskriterien eine besondere Bedeutung haben. Wenn ich mir den Menschenrechtsbericht
der Bundesregierung zu Saudi-Arabien ansehe und feststelle, dass trotzdem Waffenlieferungen erfolgen, dann
fällt mir kein anderes Land auf der Welt ein, auf das
diese Kriterien angewendet werden könnten. Konsequenterweise müsste man die Rüstungsexportrichtlinie
aufheben. Geben Sie mir recht?
Nein, Frau Kollegin Keul. Wenn ich Ihnen recht geben würde - in allgemeiner Form geantwortet -, dann
könnten Sie mir keine Antwort auf die Frage geben, warum mehrere Mitgliedsländer der Europäischen Union,
die dem gleichen Kodex unterworfen sind, nach den vorliegenden Zahlen ein Vielfaches von dem nach SaudiArabien exportieren, was wir dorthin exportieren. Wenn
es sich so verhalten würde, wie Sie sie eben geschildert
haben, dürften diese Länder das nicht tun. Sie würden es
dann auch nicht tun. Sie wollen doch wohl nicht sagen,
dass Großbritannien und Frankreich Gesetzesbrecher
sind, die sich über den EU-Kodex hinwegsetzen? Das
wollen Sie doch sicherlich nicht sagen. Diese Länder exportieren aber traditionell sehr viel mehr nach SaudiArabien als wir,
({0})
weil wir uns einer restriktiven Rüstungsexportpolitik
verpflichtet sehen. Wir machen das sehr verantwortungsbewusst und sehr zurückhaltend. Deswegen kann ich das
nicht bestätigen, was Sie sagen.
Ich habe natürlich auch eine andere Unterlage dabei.
Darin steht nicht, dass der, der nicht das gleiche Menschenrechtsniveau wie die Bundesrepublik Deutschland
hat,
({1})
in keinem Fall beliefert werden kann, sondern es wird
ausgeführt, was ich sage, dass nämlich die Menschenrechtsfrage, Herr Kollege Beck, eine wichtige Rolle
spielt. Das ist gar keine Frage. Diese wichtige Rolle wird
von der Bundesregierung beachtet.
({2})
Herr Mützenich.
Weil Sie sich ja bei den bisherigen Antworten darauf
berufen haben, dass Sie dem Deutschen Bundestag keine
Auskunft geben dürfen, würde ich Sie in diesem Zusammenhang - die Kollegin Keul hat ja auf den EU-Kodex
hingewiesen - fragen, ob es in den letzten Tagen Anfragen befreundeter Regierungen im Hinblick auf eine
mögliche Entscheidung der Bundesregierung gegeben
hat oder ob es tatsächlich der Fall gewesen ist, dass Sie
vorher andere Regierungen gefragt haben, ob Sie eine
bestimmte Rüstungslieferung genehmigen können.
Herr Kollege Mützenich, ich werde Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage: Dazu gebe ich Ihnen keine
Auskunft. Das muss ich auch nicht.
({0})
- Das betrifft nicht den Bundessicherheitsrat, aber dabei
handelt es sich um sicherheitspolitische Interessen, die
hier nicht auf dem Markt verhandelt werden können.
({1})
Das gilt unabhängig von Rüstungsexporten.
({2})
Das ist doch ganz klar: Sicherheitspolitische Absprachen
zwischen Bündnisländern können hier nicht im Einzelfall besprochen werden. Das kann nicht anders sein, und
das gilt unabhängig von Rüstungsexportfragen. Welche
Anfragen es von NATO-Bündnispartnern oder von anderen Ländern gegeben hat, kann hier doch nicht beantwortet werden. Das nächste Mal fragen Sie: Hat es eine
Anfrage von Frankreich bezüglich des Mandats Atalanta
oder zu sonst was gegeben?
({3})
Herr Mützenich, Sie sind im Auswärtigen Ausschuss.
Sie wissen, dass das Ganze nicht zulässig ist. Das sind
Rücksichtnahmen auch auf bilaterale Beziehungen. Deswegen kann ich Ihnen darauf keine Antwort geben.
({4})
Der Kollege Kekeritz, bitte.
Die Grundfrage wäre ganz einfach: Könnten Sie drei
Fragen nennen, die Sie beantworten würden? - Aber das
will ich gar nicht fragen. Sie beantworten ohnehin
nichts.
Ich stelle mir die Frage: Welche Funktion hat das Parlament? Hier sitzen hundert Jugendliche auf der Tribüne.
Welche Message geben Sie mit Ihrem Verhalten an die
Öffentlichkeit? Ihre Aussage ist immer: Ich beantworte
nicht. - Dafür bin ich aber nicht im Parlament.
({0})
Nun haben Sie richtigerweise darauf hingewiesen,
dass sich vielleicht auch andere Länder weniger um die
Richtlinien kümmern. Es kann sein, dass andere mehr
nach Saudi-Arabien geliefert haben. Tatsache ist aber
doch, dass es verbindliche Kriterien in dem Gemeinsamen Standpunkt der EU gibt, die auch von dieser Bundesregierung herangezogen werden müssten; ich formuliere es extra im Konjunktiv.
Wie bewerten Sie das Kriterium sechs, das das Verhalten des Käuferlandes mit Blick auf seine Haltung zum
Terrorismus unter Einhaltung des Völkerrechts zum
Maßstab macht? Das hat nichts mit der Lieferung zu tun,
sondern das ist eine ganz grundsätzliche Frage: Wie halten Sie diese Verpflichtung aufrecht, und wie fließen
diese Kriterien in Ihre Entscheidungen mit ein? Das will
ich konkret wissen.
Herr Kollege, ich will Ihnen ganz konkret mitteilen,
dass nach einem Bericht der EU vom Januar 2011 Großbritannien nach Saudi-Arabien Rüstungsgüter im Wert
von 1 909 Millionen Euro geliefert hat, Italien von
1 101 Millionen Euro, Frankreich von 1 064 Millionen
Euro usw., während Deutschland lediglich im Wert von
168 Millionen Euro Rüstungsgüter geliefert hat.
({0})
Dem, Herr Kollege, mögen Sie entnehmen, dass auch
andere europäische Partnerländer die gleiche Einschätzung haben wie die Bundesregierung, dass in jedem Einzelfall eine sorgfältige Abwägung stattfinden muss, ob
und in welchem Umfang Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien geliefert werden, dass aber die Einschätzung von
Ihnen, dass überhaupt keine Rüstungsgüterexporte nach
Saudi-Arabien zulässig seien - das ist ja Ihre Auffassung -,
von den meisten anderen europäischen Ländern ganz offensichtlich nicht geteilt wird.
({1})
Daraus ergibt sich auch, dass ich den Inhalt der Frage,
die Sie mir gestellt haben, in dieser Form nicht teile. Die
Bundesregierung ist der Meinung, dass in jedem Einzelfall eine Entscheidung möglich und notwendig ist.
({2})
Herr Kollege Gehrcke.
Herr Staatssekretär, meinen Sie, dass es ein gelungener Beitrag im Kampf gegen Politikverdrossenheit und
Parlamentsverdrossenheit ist, wenn Sie den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Sie hier befragen,
mit dem Argument begegnen, dass hier nicht der Markt
sei? Können Sie mir den Unterschied zwischen dem
Deutschen Bundestag und einem Marktplatz erklären?
({0})
Herr Kollege Gehrcke, sind Sie der Auffassung, dass
es für diejenigen, die diese Sitzung verfolgen - die Jugendlichen sind angesprochen worden -, von großem
Nutzen ist, wenn Sie mir dieselbe Frage 20-, 50- oder
80-mal stellen und sich dann wundern, wenn ich sie
beim 80. Mal genauso beantworte wie beim ersten Mal?
({0})
Auf dem Marktplatz, Herr Kollege Gehrcke, sind Fragen zu beantworten, die zulässig sind und keinem Geheimhaltungserfordernis unterworfen sind. Diese Bundesregierung ist außerordentlich auskunftsfreudig. Es
gibt aber ein paar Fragen, die nicht auf dem Markt besprochen werden dürfen, sondern erst im Rüstungsexportbericht behandelt werden. So verhält es sich bei
diesen sensiblen Fragen.
Lieber Herr Gehrcke, es wird hoffentlich nie passieren, dass ein Vertreter Ihrer Fraktion auf dieser Regierungsbank sitzt.
({1})
Aber ich sage Ihnen: Jeder, der hier Verantwortung trägt,
kann sich nicht anders verhalten, als ich mich verhalte.
Dafür bitte ich um Verständnis.
({2})
Wir kommen nun zur dringlichen Frage 4 des Kollegen Movassat:
Wie vereinbart die Bundesregierung die geplante Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien mit ihren Äußerungen, an
der Seite der Demokratiebewegung in den arabischen Ländern
zu stehen?
Die Frage wird die Staatsministerin Cornelia Pieper
beantworten. - Bitte schön.
Herr Abgeordneter Movassat, die Bundesregierung
hat - das wissen Sie - von Anfang an aktiv die Transformation in der arabischen Welt unterstützt, besonders in
Tunesien und Ägypten, wo der Bundesaußenminister
mehrmals war. Wir bereiten Transformationspartnerschaften mit Nordafrika vor. Wir wollen dabei helfen,
Wahlen vorzubereiten. Wir wollen den Menschenrechtsdialog fördern und die Zivilgesellschaft stärken. Wir
wollen insbesondere in Bildung und Ausbildung junger
Menschen in Nordafrika investieren, damit sie vor Ort
eine Perspektive haben.
Sie haben eine Nachfrage. - Bitte schön.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, leider haben Sie meine Frage nicht beantwortet.
({0})
- Ja, auch ich habe anscheinend keinen Anspruch darauf.
Wahrscheinlich ist auch das geheim. - Ich zitiere die
Frau Bundeskanzlerin. Sie hat gesagt:
Es ist … eine historische europäische Verpflichtung, den Menschen, die heute in … der arabischen
Welt für Freiheit und Selbstbestimmung auf die
Straße gehen, zur Seite zu stehen.
Wohl höre ich die Worte, doch sehe ich nicht die Taten; vielmehr sehe ich die Tat, dass Sie Panzer schicken.
Wenn das Ihr Beitrag zum Umbruch in der arabischen
Welt ist, dann gute Nacht für die Demokratiebewegung
dort!
Meine Frage war eigentlich: Welche Signalwirkung
und welche Auswirkungen durch die Panzerlieferung sehen Sie konkret für die Demokratiebewegung im arabischen Raum, insbesondere natürlich in Saudi-Arabien,
aber auch in den Nachbarstaaten wie Bahrain?
Herr Abgeordneter, ich nehme an, auch Sie stützen
sich auf Presseberichte, die sich auf den Bundessicherheitsrat beziehen. Ich kann nur sagen: Dazu werde ich
keine Ausführungen machen können. Ich will nur ausdrücklich betonen, was die Bundeskanzlerin gesagt hat,
und würde Sie bitten, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen: Wir werden dem Deutschen Bundestag bis Ende
des Jahres unsere Transformationspartnerschaften mit
Nordafrika vorstellen. Wir haben eine konkrete Projektplanung in Arbeit. Auch der Deutsche Bundestag wird
sich mit den Perspektiven gerade junger Menschen in
Nordafrika beschäftigen können. Das kann ich Ihnen zusichern.
Eine zweite Nachfrage. - Bitte schön.
Wir hätten uns diese Fragestunde eigentlich schenken
können, weil Sie anscheinend überhaupt nicht bereit
sind, auf irgendeine Frage zu antworten. Dass Sie den
Deutschen Bundestag als „Markt“ sehen - das war die
Äußerung Ihres Kollegen -, zeigt, welches Verständnis
Sie von diesem Parlament haben.
Nun frage ich Sie einmal abstrakt: Glauben Sie, dass
Rüstungslieferungen im Allgemeinen geeignet sind,
Menschenrechte zu verwirklichen? Sind Rüstungslieferungen in Diktaturen eine Hilfe für die Demokratiebewegung, oder sind sie eine Hilfe für die Diktatoren? Das ist
eine abstrakte Frage; bei Ihrer Antwort müssen Sie nicht
konkret auf die Beschlusslage des Bundessicherheitsrates eingehen und können somit antworten.
Auch angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Rüstungsexporte in Länder Nordafrikas gerade in der Zeit
der rot-grünen Regierung enorm gestiegen ist, weiß ich,
dass es immer ein schwieriger Abwägungsprozess ist.
({0})
Es ist wichtig, dass wir uns im Deutschen Bundestag mit
der Zukunft Nordafrikas und mit dem Demokratisierungsprozess dort beschäftigen. Ich finde, daran können
auch Sie mitarbeiten. Die Bundesregierung hat Vorschläge
für konkrete Projekte vorgelegt. Ich bitte Sie - dies sage ich
bei aller Wertschätzung für das Parlament -, diese zur
Kenntnis zu nehmen.
({1})
Frau Roth.
Herr Westerwelle hat in seinen ersten außenpolitischen Leitlinien dafür plädiert, dass jenen Staaten die
Entwicklungshilfe zu streichen sei, in denen Männer und
Frauen nur deshalb hingerichtet werden, weil sie homosexuell sind.
Unseres Wissens gibt es in Saudi-Arabien eine drakonische Verfolgung von Schwulen und von Lesben. Sie
müssen mit der Todesstrafe rechnen, wenn man ihnen
Homosexualität nachweisen kann. Muss ich Ihre Äußerungen jetzt so interpretieren, dass Saudi-Arabien keine
Entwicklungshilfe, wenn es welche beantragen würde
- Konjunktiv! -, bekommen würde, weil dort Homosexualität verfolgt wird, aber Panzer bekommen würde,
weil diese zur Stabilisierung der Region beitragen?
Frau Abgeordnete, was die Menschenrechtslage in
Saudi-Arabien anbelangt, will ich unterstreichen, was
Sie gesagt haben: Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist auf keinen Fall zu akzeptieren.
({0})
Sie ist sehr unbefriedigend, auch wenn sich die Regierung seit einigen Jahren für Menschenrechtsthemen öffnet.
2009 gab es 69 Hinrichtungen und 2010 immer noch
29. Schlimm sind auch die religiöse Intoleranz, Frauendiskriminierung und Rechtlosigkeit ausländischer Arbeitskräfte und vieles andere mehr. Bei realistischer Einschätzung muss man sagen, dass die Bemühungen der
Regierung und des Schura-Rates, also des rein beratenden und vom König ernannten Parlaments, die wichtigsten internationalen Menschenrechtsstandards in nationales Recht umzusetzen, sicher erst in Jahren erfolgreich
sein werden. Das ist sehr unbefriedigend; da gebe ich Ihnen recht.
Sehen Sie bitte auf der anderen Seite, dass wir an der
Stabilität in dieser Region und an einer entsprechenden
Sicherheitspolitik interessiert sind und deshalb auch
nach Strohhalmen greifen. Es ist wichtig, dass sich
Saudi-Arabien - Staatsminister von Klaeden hat es bereits gesagt - für Friedensinitiativen in der Region engagiert, wie es 2002 der Fall war.
Herr Mützenich, bitte.
Frau Staatsministerin, in der Frage des Kollegen geht
es insbesondere darum, dass die Demokratiebewegungen, die wir jetzt glücklicherweise in der arabischen
Welt sehen, immer wieder unterdrückt werden. Es kann
kein Zweifel daran bestehen, dass es auch in Saudi-Arabien den Versuch gegeben hat, zu demonstrieren. In
Bahrain wurde diese Demokratiebewegung vonseiten
Saudi-Arabiens mit gepanzerten Fahrzeugen unterdrückt. Wenn es möglicherweise zu Lieferungen deutscher Panzer nach Saudi-Arabien kommt, wie wollen Sie
dann ausschließen, dass diese Panzer unter Umständen
gegen demokratische Bewegungen in diesem Land oder
in den Nachbarländern eingesetzt werden?
Ich möchte Ihnen zunächst einmal danken, dass Sie
mir die Gelegenheit geben, klarzustellen, ob Saudi-Arabien mit Kampfpanzern in Bahrain vorgegangen ist. Ich
habe mich natürlich bei den Militärattachés in unseren
Auslandsvertretungen erkundigt, was vor Ort geschehen
ist; diese Ereignisse haben uns im Auswärtigen Amt sehr
beunruhigt.
Mir wurde von den Militärattachés vor Ort gesagt,
dass Saudi-Arabien in Bahrain keine Kampfpanzer eingesetzt hat, sondern insbesondere - was schlimm genug
ist - mit Polizeieinheiten vorgegangen ist. Um es konkret zu sagen: Es waren Spezialeinheiten aus Armee und
Sicherheitsdiensten, die am 13. März 2011 zum Einsatz
kamen.
({0})
Nach unseren Erkenntnissen sind alle fünf Golfkooperationsratspartner dort beteiligt gewesen: Mehr als 1 000
Mann der saudischen Nationalgarde, 500 Polizisten aus
den Vereinigten Arabischen Emiraten, 45 Offiziere aus
Katar sowie Marineeinheiten aus Kuwait waren dort im
Einsatz.
({1})
- Wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, würde ich das
gerne länger ausführen. - Wir haben natürlich insistiert.
Die saudische Regierung hat uns mitgeteilt, dass saudische Truppen sowie andere Golftruppen auf bahrainische
Bitte hin entsandt wurden - und zwar auf einer klaren vertraglichen Grundlage: dem Beistandspakt von 2000 -, mit
voller Unterstellung unter bahrainisches Kommando.
({2})
Uns wurde mitgeteilt -
Frau Kollegin.
Frau Präsidentin, ich sagte gerade: Ich glaube, es ist
für die Abgeordneten interessant, zu diesem Thema ausführlichere Informationen zu bekommen. Deswegen
würde ich meine Ausführungen gerne beenden.
Ich weiß nicht, wie lange Sie noch reden möchten. Es
geht aber weit über das hinaus, was wir verabredet haben.
Tut mir leid, Herr Abgeordneter, ich bin gerne bereit,
Ihnen die Informationen dann nach der Fragestunde zu
geben.
({0})
Frau Kollegin Hänsel.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, ich
möchte konkret nachhaken: Wir haben die Umstände des
Einmarsches von Saudi-Arabien nach Bahrain diskutiert.
Von Ihnen und vom Außenminister kam die klare Ansage, dass das nicht akzeptiert und der Einmarsch verurteilt wird. Deswegen meine konkrete Nachfrage: Halten
Sie in diesem Zusammenhang Rüstungsexporte nach
Saudi-Arabien für die adäquate Antwort auf den Einmarsch in Bahrain und die Unterstützung der blutigen
Niederschlagung der Demokratiebewegung dort?
Sie beziehen sich auf den ersten Teil der Fragen, die
hier gestellt wurden. Ich kann nur bekräftigen: Ich bin
nicht befugt - zudem ich selbst gar nicht Mitglied des
Bundessicherheitsrates bin -, Ihnen dazu Auskunft zu
geben.
({0})
Frau Dağdelen hat die nächste Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, ich möchte an die Frage meines Kollegen Movassat
anschließen und Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass seit
fast 20 Jahren ein Freihandelsabkommen zwischen den
Golfstaaten - insbesondere Saudi-Arabien - und der Europäischen Union an - ich zitiere - lästigen Menschenrechtsfragen immer wieder gescheitert ist? Ist Ihnen in
diesem Zusammenhang bekannt, dass Frau Merkel im
Mai 2010 bei ihrer Reise in die Monarchendiktatur
Saudi-Arabien der Familiendiktatur das Versprechen
gab, sich aktiv für den Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen Saudi-Arabien und der Europäischen Union einzusetzen? Inwiefern hat man diese Menschenrechtsfragen inzwischen gelöst, weil sich ja die
Bundeskanzlerin so aktiv für diese Familiendiktatur einsetzt, damit ein Freihandelsabkommen abgeschlossen
werden kann?
Frau Abgeordnete, ich sage Ihnen: Für die Bundesregierung sind Menschenrechte nicht verhandelbar. Sie
sind Prinzip deutscher Außenpolitik.
({0})
Wir betreiben eine werteorientierte Außenpolitik.
Ich will aber noch einmal deutlich machen, dass uns
auch die Stabilität in der Region sehr wichtig ist. SaudiArabien hat, was die Stabilität und die Sicherheit in der
Region anbelangt, eine gewichtige Rolle zu spielen.
Wir kommen zur dringlichen Frage 5 des Kollegen
Movassat:
Wie bewertet die Bundesregierung im Zusammenhang mit
der möglichen Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien die
Menschenrechtssituation in dem Land, vor allem vor dem
Hintergrund, dass im Zuge der Proteste in Nordafrika und im
Nahen Osten immer wieder Militär gegen Demonstranten
zum Einsatz kam und es bereits saudi-arabische Militäreinsätze gegen Demonstranten in Bahrain gegeben hat?
Herr Abgeordneter, bezüglich einer von Ihnen angeführten möglichen Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien möchte ich auf die vorhergehenden Antworten verweisen. Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen ihrer
bilateralen Beziehungen mit Saudi-Arabien für die Einhaltung der Menschenrechte ein; das hatte ich immer
wieder bekräftigt. In dieser Hinsicht bestehende Defizite
werden von der Bundesregierung und der EU gegenüber
der saudischen Regierung regelmäßig thematisiert. Die
EU führt seit 2009 einen Dialog zu Menschenrechtsthemen mit Saudi-Arabien; das wurde von meinem Kollegen, Staatssekretär Otto, schon erwähnt. Sie haben ja
auch den Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik zur Kenntnis genommen.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage. Bitte schön.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, Sie
haben gerade von der Stabilität in der Region gesprochen. Mich würde in diesem Zusammenhang schon interessieren: Welche Gefahren sehen Sie aus außenpolitischer Sicht für die Stabilität der Region, wenn hier ein
Staat militärisch aufgerüstet wird, möglicherweise - wir
wissen es nicht, bzw. Sie wollen es uns nicht sagen - mit
deutschen Kampfpanzern? Sehen Sie die Gefahr eines
Wettrüstens in dieser Region? Spielt das bei Ihren sicherheitspolitischen Erwägungen in Bezug auf Waffenlieferungen eine Rolle?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung orientiert
ihre Außenpolitik an Fakten und nicht an hypothetischen
Unterstellungen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Leider können wir hier nur Hypothesen aufstellen, da
Sie auf alle Fragen zu Fakten keine Antwort geben wollen.
Meine zweite Frage - auch hier geht es um eine Hypothese; aber da es bekannt ist, dass Sie in der Vergangenheit Rüstungsgüter geliefert haben, ist die Frage
durchaus konkret -: Wie schließen Sie aus, dass SaudiArabien Waffen, die aus Deutschland geliefert worden
sind, im Falle eines Aufstands möglicherweise gegen die
eigene Bevölkerung einsetzt? Sehen Sie in dem Falle,
dass die Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, eine Mitverantwortung? Sind Sie bereit,
dafür die politische Verantwortung zu tragen?
Wir haben gesehen, dass saudische Truppen und saudische Grenzpolizisten, die von der Bundespolizei ausgebildet worden sind, mit deutschen Sturmgewehren
ausgerüstet in das jemenitische Grenzgebiet einmarschiert sind. Das heißt, hier wurde die deutsche Ausstattungs- und Ausbildungshilfe konkret genutzt. Es ist nicht
auszuschließen, dass diese im ähnlichen Falle einer Demokratie- und Protestbewegung in Saudi-Arabien ebenfalls genutzt wird; dann könnten vielleicht Leopard-Panzer gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden.
Wie würden Sie sich dann verhalten?
Die Bundesregierung verurteilt den gewaltsamen Einsatz von Polizisten und Waffen gegenüber friedlichen
Demonstranten.
Die nächste Nachfrage kommt vom Kollegen
Mützenich.
Frau Staatsministerin, ich würde gerne auf die konkrete Situation in Saudi-Arabien zu sprechen kommen.
Wir haben erfahren, dass wir über mögliche Lieferungen
eben nichts erfahren. Wir haben aber zumindest aus der
Presse erfahren, dass es weitere Lieferungen von Rüstungsgütern im Umfang von - wenn ich das richtig weiß fast 75 Milliarden Euro geben wird, die zwischen SaudiArabien und den USA vereinbart sind. Auch Frankreich
liefert Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die saudi-arabische Regierung unbedingt weitere Rüstungsgüter im Land
braucht, um Stabilität herzustellen, oder ist sie mit mir
der Meinung, dass es vielleicht ein Zuviel an Rüstung
und ein Zuwenig an Kooperation und Dialog mit den
Nachbarstaaten gibt?
({0})
Der Hauptschwerpunkt unserer außenpolitischen Arbeit liegt natürlich auf dem Dialog und der Verteidigung
der Menschenrechte und auf unseren Werten, nicht auf
dem Rüstungsexport.
({0})
Frau Dağdelen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, Ihr Kollege, Herr Otto, hat gesagt, dass die Zusammenarbeit, insbesondere die sicherheitspolitische Zusammenarbeit, mit Saudi-Arabien mit dem Kampf gegen
den Terrorismus begründet ist; Saudi-Arabien leiste einen so großen Beitrag im Kampf gegen den Terrorismus.
In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Wie erklären
Sie es sich - das ist im Rahmen der WikiLeaks-Enthüllungen herausgekommen; diese Information wurde nirgendwo dementiert -, dass Saudi-Arabien - ich zitiere
aus einer Depesche - „die bedeutendste Quelle bei der
Finanzierung sunnitischer Terrorgruppen weltweit“ ist?
Wie können Sie es im Namen des Antiterrorismus begründen, mit Saudi-Arabien zusammenzuarbeiten, wenn
doch Saudi-Arabien nachweislich einer der größten
Finanziers von Terroristen weltweit ist?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung bezieht ihre
Informationen nicht aus WikiLeaks; das will ich als Erstes festhalten. Aufgrund solcher Informationen ist es
nicht möglich, die Außenpolitik strategisch aufzubauen.
Ich füge hinzu: Bei allen Bedenken, die wir haben, ist
uns die Stabilität in dieser Region sehr wichtig. Zu Recht
hat Herr Staatsminister von Klaeden darauf hingewiesen,
dass Saudi-Arabien nicht nur wirtschaftlich und politisch
ein wichtiger Partner ist, sondern auch, wenn es um die
Bewältigung von Krisen in der Region geht. Saudi-Arabien war zum Beispiel während der Jemen-Krise
({0})
eines jener Länder, die versucht haben, zu vermitteln.
Saudi-Arabien engagiert sich in Afghanistan, indem es
zivile Unterstützung anbietet.
({1})
Auch wenn das manchmal wenig erscheint, so trägt es
doch zur Stabilität in der Region bei, und darauf kommt
es in der Zukunft an.
Herr Stinner, bitte.
Frau Staatsministerin, sind Sie bereit, den verehrten
Kolleginnen und Kollegen mitzuteilen, in welch unglaublich großem Umfang die Bundesrepublik Deutschland zu Zeiten der rot-grünen Koalition Kleinwaffen
nach Saudi-Arabien geliefert hat?
({0})
Herr Abgeordneter, das Volumen der Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ist unter Rot-Grün enorm
gestiegen. Nach meinem Kenntnisstand sind Rüstungsexporte in einer Größenordnung von 40 bis 60 Millionen
Euro genehmigt worden.
({0})
Frau Hänsel.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, ich möchte noch einmal nachhaken, da es sich nicht
nur um Informationen von WikiLeaks handelt. Auch
Hillary Clinton wurde in der New York Times zitiert, dass
sie Saudi-Arabien als eine der Hauptquellen für die
Finanzierung des internationalen Terrorismus sieht und
dass es eine permanente Herausforderung ist, die Beamten davon zu überzeugen, dass diese Finanzierung nicht
fortgeführt werden darf. Deswegen möchte ich nachfragen: Inwieweit ist die Unterstützung Saudi-Arabiens mit
Rüstungsgütern ganz allgemein ein Beitrag zum Kampf
gegen den internationalen Terrorismus?
Der Bundesregierung liegen keine Beweise dafür vor,
dass die saudi-arabische Regierung Terroristen finanziert
und ausbildet.
({0})
Die dringliche Frage 6 der Kollegin Sabine Leidig
wird schriftlich beantwortet.
Nach den dringlichen Fragen kommen wir nun zu den
Mündlichen Fragen auf Drucksache 17/6386, und zwar
zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen. Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Klaus
Ernst, die Fragen 3 und 4 des Kollegen Manfred Nink
und die Frage 5 des Kollegen Klaus Hagemann werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 6 und 7 der
Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beantwortet. Die Frage 8 des Kollegen Kai Gehring wird
nach der Frage 19 aufgerufen. Die Frage 9 des Kollegen Kai Gehring wird schriftlich beantwortet, ebenso die
Fragen 10 und 11 der Kollegin Sabine Zimmermann.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Markus Kurth auf:
Wie möchte die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass
die Qualität bei Ausschreibungen von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung gemäß § 46 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch künftig stärker in der Phase der
Zuschlagserteilung Berücksichtigung findet, und wie bewertet
die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die in ihren
schriftlichen Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung im
Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages zu den Integrationsfachdiensten am 4. Juli 2011 geäußerten Vorschlag der Bundesagentur für Arbeit sowie der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA,
bei Ausschreibungen künftig die Qualität stärker zu gewichten, indem „Eignungsaspekte mit einem spezifischen Bezug
zur Auftragsausführung“ - zum Beispiel bisherige Eingliederungserfolge, spezifische Erfahrungen im entsprechenden Bereich, regionale Vernetzung eines Trägers - künftig in die
fachliche Wertung einfließen müssen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fuchtel zur Verfügung.
Herr Kollege Kurth, die Bundesregierung unterstützt
die Vorschläge der Bundesagentur für Arbeit und der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände,
bei Ausschreibungen künftig die Qualität stärker zu gewichten, indem man im Rahmen des rechtlich Möglichen Eignungsaspekte mit einem spezifischen Bezug zur
Auftragsausführung in die fachliche Bewertung einfließen lässt.
Herr Kurth, Sie haben eine Nachfrage?
Ja, ich habe eine Nachfrage. - Darf ich Ihre Antwort
so verstehen, dass die Bundesregierung eine weitere Initiative zur Veränderung der Vergabeverordnung unternehmen will, um es zu ermöglichen, dass Qualität nicht
nur als Eignungs-, sondern auch als Zuschlagskriterium
gewertet werden kann?
Herr Kollege, zunächst darf ich darauf hinweisen,
dass wir versuchen, gesetzliche Regelungen umzustellen, die in der Regierungszeit von Rot-Grün entstanden
sind, und wir bereits zwei Versuche unternommen haben, diese Bestimmungen zu verändern. Zum einen war
das im Jahr 2009. Damals hat der Deutsche Vergabeund Vertragsausschuss für Bauleistungen das Vorhaben
nicht mitgetragen. Der zweite Versuch war im Jahr 2010,
als die Verdingungsordnung für Leistungen aufgrund
europäischer Rechtsvorgaben verändert werden sollte.
Dieses Vorhaben wurde von den Ländern nicht unterstützt. Natürlich sind wir daran interessiert, dass man
weitere Bemühungen unternimmt.
Herr Kurth, haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ich verstehe Ihre Antwort so, dass Sie Interesse an
neuerlichen Bemühungen haben. Seit Ihren damaligen
Vorstößen hat sich die Zusammensetzung einiger Landesregierungen verändert. Sehe ich das richtig, dass Sie
die Stellungnahme der BDA in der Anhörung, die vorgestern durchgeführt wurde, dahin gehend deuten, dass
ein solcher Vorstoß auch vonseiten der deutschen Wirtschaft bzw. der Arbeitgeberverbände unterstützt würde?
Unternehmen Sie in näherer Zukunft einen solchen Vorstoß?
Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass die Bundesregierung hier nicht des Anstoßes von außen bedarf.
Wir haben uns bereits im Mai in unserer Stellungnahme
zum Grünbuch der EU-Kommission zur Modernisierung
des Vergaberechts für einen entsprechenden Vorschlag
eingesetzt, und wir bemühen uns zurzeit sehr darum,
dass die unterbreiteten Vorschläge auf die Zustimmung
der anderen Mitwirkenden stoßen.
Ich rufe nun die Frage 13 des Kollegen Kurth auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den vom Geschäftsführer des Integrationsfachdienstes gGmbH Köln, Hanspeter
Heinrichs, in seiner schriftlichen Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des
Deutschen Bundestages zu den Integrationsfachdiensten am
4. Juli 2011 geäußerten Umstand, wonach durch die Notwendigkeit der öffentlichen Ausschreibung der Vermittlungsunterstützung derzeit im Rheinland keine flächendeckende Regelleistung für arbeitslose schwerbehinderte Menschen nach
§ 109 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch existiert, und
welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der von der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in ihrer schriftlichen Stellungnahme zur genannten Ausschussanhörung geäußerten Forderung, zu überprüfen, ob im Sinne
stabiler Rahmenbedingungen „statt 36-monatiger Vergaben
besser noch länger laufende Rahmenverträge eingesetzt werden sollten, wie es derzeit bei den Ausschreibungen der Unterstützten Beschäftigung ({0}) nach § 38 a SGB IX geschieht“?
Herr Kollege, die Bundesregierung hält die Einschätzung des Herrn Heinrichs, den Sie zitieren, bezüglich der
Situation im Rheinland für nicht zutreffend. Auch im
Rheinland gibt es derzeit nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit - das ist mein derzeitiger Informationsstand - eine flächendeckende Betreuung arbeitsloser schwerbehinderter Menschen.
Herr Kurth, eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Gleichwohl ist in der Anhörung, die vorgestern
durchgeführt wurde, vonseiten der Bundesagentur für
Arbeit gesagt worden, dass nur 108 Dienststellen in
73 Agenturbezirken Ausschreibungen vorgenommen haben. Von der Bundesregierung habe ich erfahren, dass in
115 weiteren Dienststellen noch Verträge für die sogenannten Integrationsfachdienste laufen. Gleichwohl
muss man annehmen, dass eine Versorgungslücke besteht, dass in einer ganzen Reihe von Agenturbezirken
- die genaue Zahl konnte mir die Bundesregierung bis
jetzt noch nicht nennen - kein Integrationsfachdienst
bzw. kein entsprechendes Vermittlungsangebot vorgehalten wird. Der Vertreter der BA wiederum meinte, es
gäbe keine Versorgungslücke, es gäbe gleichwertige Angebote. Welche Alternativen bestehen denn für den Kreis
der von Arbeitslosigkeit besonders betroffenen schwerbehinderten Menschen, wenn es keinen Integrationsfachdienst gibt?
Wenn dies zutreffen würde, was wir derzeit überprüfen, wäre zu sagen: Es gibt laufende Verträge mit Integrationsfachdiensten; dann gibt es Maßnahmen, die im
Rahmen allgemeiner Maßnahmen durchgeführt werden,
an denen auch schwerbehinderte Arbeitslose teilnehmen;
und es gibt Maßnahmen von Trägern, die durch Ausschreibungen neu gewonnen wurden. Eine Betreuungslücke für diesen Personenkreis können wir daher im Augenblick nicht feststellen. Wir berufen uns dabei auf die
Informationen der Bundesagentur.
Herr Kurth, Sie haben noch eine Nachfrage?
Mir scheint dennoch, dass durch diese isolierte Ausschreibung der Vermittlung das, was der Gesetzgeber
mit §§ 109 bis 111 SGB IX beabsichtigt hat, nämlich
eine integrierte nahtlose Vermittlung und Betreuung und
ein Assessment von Menschen mit Behinderungen, nicht
sichergestellt ist. Inwieweit teilt die Bundesregierung die
in der Anhörung von allen Sachverständigen geäußerte
Befürchtung, dass eine als integrierte Leistung angelegte
Sozialleistung zersplittert und nicht einheitlich erbracht
wird?
Sie wissen, dass kürzlich im Kabinett der Nationale
Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung des
Übereinkommens der Vereinten Nationen über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen beschlossen
wurde. Sie können davon ausgehen, dass im Rahmen der
Umsetzung dieses Planes auch diese Fragestellung ganz
intensiv behandelt wird. Wir haben das Ziel, zum Wohle
der betroffenen Menschen zu arbeiten.
Vielen Dank. - Die Fragen 14 und 15 des Kollegen
Dr. Ilja Seifert werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Ich rufe Frage 18 der Kollegin Sevim Dağdelen auf:
Worin bestanden die „bi- und trilateralen Ausbildungshilfen für die irakischen Streitkräfte“, an denen sich nach Aussagen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung, Christian Schmidt, auf der jährlich in
Bahrain stattfindenden „IISS Manama Dialogue“-Konferenz
Deutschland beteiligte und die demnach im Jahr 2006 verlängert wurden - www.iiss.org/conferences/the-iiss-regionalsecurity-summit/manama-dialogue-archive/the-manama-dialogue-2006/plenary-sessions-and-speeches/day-two-plenary-sessions/ address-by-christian-schmidt -, im Detail, und wann
wurde der Deutsche Bundestag über diese Maßnahmen bzw.
deren Verlängerung informiert?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Kollegin, die trilateralen Ausbildungshilfen zwischen 2004 und 2008, die
ich bei meiner Rede in Bahrain im Jahr 2006 erwähnt
habe, bestanden aus drei Projekten. Die Beteiligten waren neben uns die Vereinigten Arabischen Emirate und
der Irak. Die Projekte waren die Ausstattung mit und die
Ausbildung an Lkw, die Unterstützung beim Aufbau eines Baupionierverbandes sowie die Ausstattung und
Ausbildung eines Nachschub- und Transportverbandes
inklusive einer Sanitätskomponente. Im gleichen Zeitraum wurde eine Vielzahl von bilateralen Projekten
durchgeführt. Diese bestanden aus der Teilnahme an
Lehrgängen an verschiedenen Ausbildungseinrichtungen
der Bundeswehr, zum Beispiel Sprachenausbildung
beim Bundessprachenamt und Ausbildung im Rahmen
des Nationalen Lehrgangs Generalstabs-/Admiralsstabsdienst mit internationaler Beteiligung sowie im Bereich
des Sanitätswesens aus einer Überlassung von 23 Krankenkraftwagen und Material.
Frau Dağdelen, Sie haben eine Nachfrage?
Ja, vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
2006 und 2009 haben Sie als Staatssekretär an dieser
Konferenz teilgenommen, 2007 und 2010 haben Sie als
Repräsentant der Bundesregierung teilgenommen und
sich dort zu Wort gemeldet. In diesem Zusammenhang
würde mich interessieren, womit die Bundesregierung
die Anwesenheit eines ihrer Repräsentanten auf dieser
Konferenz begründet, da es sich hier doch offensichtlich
um eine Verbesserung der Sicherheitskooperation mit
Diktaturen handelt; mit der Zusammenarbeit mit Diktaturen scheinen Sie als Bundesregierung besonders Erfahrung zu haben. Wird die militärische Kooperation im
Rahmen des Golfkooperationsrates auch nach den Ereignissen in Bahrain - über diese haben wir auch im Zusammenhang mit Saudi-Arabien gesprochen - und im
Jemen seitens der Bundesregierung per se als Fortschritt
angesehen?
Frau Kollegin, die Bundesregierung beabsichtigt
nicht, mit der Linkspartei einen Wettbewerb bezüglich
der Erfahrungen mit der Kreation von Diktaturen einzugehen. Diese Expertise ist in diesem Hause eindeutig
verteilt und liegt bei Ihrer Partei.
({0})
- Jeder Zwischenruf demaskiert nur den, der sich dazu
äußert.
Die Bundesregierung hat den Anspruch, sich in internationalen sicherheitspolitischen Dialogen einzubringen.
Dieser Dialog - er wird übrigens vom Internationalen Institut für Strategische Studien, das in London ansässig ist
und international höchstes Renommee genießt, veran13820
staltet - führt dazu, dass bei diesen ganz wichtigen Konferenzen ein Austausch über Sicherheitslagen stattfindet.
So waren im Jahr 2006 insbesondere die Weiterentwicklung eines friedlichen Irak und die Bedrohung durch die
iranische Nuklearrüstung ganz entscheidende Themen.
Wir halten es für außerordentlich notwendig, dass sich
unser Land an dieser Diskussion führend beteiligt.
Frau Dağdelen, Sie haben eine weitere Nachfrage? Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich bitte darum, dass wir in Sachen Iran bei den Fakten bleiben. - Zum Punkt „Sicherheitskooperationen mit Diktaturen“ möchte ich Sie gern
noch einmal explizit Folgendes fragen: Welche Staaten
des Golfkooperationsrates sieht die Bundesregierung als
Demokratien und welche als Diktaturen an?
Frau Kollegin, Sie stellten in Bezug auf einen ganz
spezifischen Punkt eine Frage. Ich bin der Ansicht, dass
wir - bei allem Respekt - bei dieser Frage bleiben sollten.
({0})
- Nein, Sie haben mich gefragt, was ich zum Thema der
trilateralen Kooperation mit dem Irak gesagt habe. Das
habe ich zitiert und bestätigt. Wenn Sie nun mittels einer
Zusatzfrage versuchen, Kategorisierungen zu erreichen,
will ich dazu sagen: Natürlich führt der Umgang mit den
Staaten in dieser Region zu der Erkenntnis, dass es da
nicht überall - um einen früher verwendeten Begriff zu
nehmen - „lupenreine Demokraten“ gibt, ganz und gar
nicht. Aber gerade die Diskussionen und die Sanktionen
beispielsweise in Bezug auf den Iran sind ganz wichtig.
Das heißt auch, dass man mit den regionalen politischen
Spielern bzw. den Ländern, die in dieser Region Verantwortung tragen, in einen Dialog eintreten muss.
Die Frage 19 der Kollegin Katja Keul wurde zurückgezogen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Hier steht der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Die Frage 8 des Kollegen Kai Gehring sowie die Fragen 20 und 21 der Kollegin Caren Marks sind zur
schriftlichen Beantwortung vorgesehen.
Ich rufe Frage 22 der Kollegin Heidrun Dittrich auf:
Wann wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf oder
Lösungsvorschläge zur Entschädigung der ehemaligen Heimkinder der 50er- und 60er-Jahre vorlegen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, die Bundesregierung plant, voraussichtlich im September Vorschläge zur Umsetzung der
Empfehlungen des Runden Tisches „Heimerziehung in
den 50er- und 60er-Jahren“ vorzulegen. Es sind bereits
Vorgespräche mit den Ländern und den Kirchen auf der
Basis des Beschlusses der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 27. Mai 2011 angelaufen. Allerdings
benötigt die Bundesregierung einen klaren Auftrag des
Bundestages als Initiator des Runden Tisches „Heimerziehung“, um den genauen Rahmen für die weiteren
Gespräche abstecken zu können. Davon hängt auch der
Zeitplan ab; er ist also an einen Auftrag des Bundestages
gebunden.
Frau Dittrich, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Danke. - Wenn ich Sie richtig verstanden habe, plant
die Bundesregierung keinen Gesetzentwurf zur Entschädigung der Heimkinder, die in den 50er- und 60er-Jahren
in den Kinderheimen der Bundesrepublik unter Gewalt
gelitten haben. Wenn Sie keinen Gesetzentwurf planen,
bedeutet dies, dass das Parlament an dem Verfahren
nicht mehr beteiligt ist. Es bedeutet weiter, dass Sie die
Lösung für eine Entschädigung von Heimkindern bzw.
die Erarbeitung von Kriterien dafür außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens bzw. des Bundestags angesiedelt
haben. Deshalb frage ich Sie: Wozu fand im Bundestag
eine öffentliche Anhörung mit zehn Sachverständigen
und den betroffenen Heimkindern statt, wenn Sie die gegebenen Empfehlungen nicht mehr im Parlament behandeln oder in ein Verfahren einfließen lassen wollen?
Ich sage noch einmal: Die Initiative zu dem Runden
Tisch „Heimerziehung“ ist vom Bundestag ausgegangen. Der Bundestag hat das Verfahren in seiner Hand,
und der Bundestag wird auch einen Vorschlag dazu unterbreiten; er liegt noch nicht vor. Dann wird die Bundesregierung handeln. Das heißt, im Grunde genommen
richtet sich Ihre Frage an den Bundestag und nicht an die
Bundesregierung. Der Bundestag hat dies so entschieden.
Sie haben eine zweite Nachfrage, Frau Dittrich. Bitte.
Sie wissen ebenso gut wie ich, dass dazu zwei Anträge vorliegen, einer von der Fraktion Die Linke, in
dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen, um für
Rechtssicherheit zu sorgen. Außerdem wird darin gefordert, die Anträge aller anderen Fraktionen zu einem gemeinsamen Antrag zusammenzufassen. Vom Bundestag,
also vom Gesetzgeber, sollen Lösungsvorschläge erarHeidrun Dittrich
beitet werden, die die Bundesregierung in Taten umwandeln möge.
Diese Taten - das haben Sie schon gesagt - werden
Sie nicht in Form der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes
ergreifen. Das bedeutet: Auch nach der morgigen Debatte, wenn wir über die Anträge diskutiert haben, wird
von der Bundesregierung kein Gesetzentwurf erarbeitet.
Das bedeutet auch - danach frage ich Sie -: Über die
Einbeziehung der betroffenen Heimkinder muss sozusagen zwischen den kirchlichen Trägern, den Bundesländern und den staatlichen Trägern bzw. den Heimträgern
verhandelt werden. Genau das sollte aber, wie die Expertenanhörung ergeben hat, eigentlich nicht geschehen.
Das war keine Frage. Das, was Sie gerade vorgelesen
haben, war ein Kommentar. Sie kommentierten das, was
der Bundestag entschieden hat. Damit hat die Bundesregierung zunächst einmal nichts zu tun.
({0})
Darüber müssen Sie, die Abgeordneten, untereinander
diskutieren.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen von Notz auf:
Welche konkreten Schritte plant die Bundesregierung im
Nachgang des Ehec-Ausbruchs, um im Sinne der Katastrophenvorsorge Verbesserungen des bestehenden Pandemiereaktionssystems zu gewährleisten, und wie bewertet sie die
Einlassung insbesondere von Universitätsprofessor Dr. Helge
Karch von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster,
wonach er bzw. sein Laboratorium erst nach 14 Tagen von der
Häufung von Fällen des HUS-Syndroms erfahren habe?
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Flach zur Verfügung. - Bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege von Notz, die Bundesregierung antwortet wie folgt: Sie wird kurzfristig die in
§ 11 des Infektionsschutzgesetzes geregelten Übermittlungsfristen und Verfahren überprüfen und sie im Rahmen einer entsprechenden Gesetzesinitiative an die Erfordernisse anpassen. Gemeinsam mit den Ländern wird
sie die Möglichkeiten zur Einführung einer neuen, einheitlichen Informationstechnologie, die eine rasche
Übermittlung der Meldungen durch den Arzt bzw. das
Krankenhaus erleichtert, prüfen.
Derzeit vergehen unterschiedlich lange Zeiträume
- von wenigen Tagen bis zu einigen Wochen - bei der
Übermittlung von meldepflichtigen Erkrankungen. Beim
Ehec-Geschehen sind zusätzlich die lange Inkubationszeit von 2 bis 15 Tagen und somit ein verzögertes Auftreten der HUS-Symptomatik sowie eine längere Dauer
der Labordiagnostik von mehreren Tagen zu berücksichtigen.
Die Gesundheitsministerkonferenz hat im Rahmen ihrer 84. Sitzung in Frankfurt unter anderem an die Ärzteschaft appelliert, den Meldeverpflichtungen im Interesse
der Patienten und Patientinnen und zur Unterstützung
des Öffentlichen Gesundheitsdienstes fristgerecht nachzukommen. Am 19. Mai wurde das Robert-Koch-Institut
über das Ausbruchsgeschehen in Hamburg informiert.
Es gab die Information an das Nationale Referenzzentrum für Salmonellen und andere Enteritiserreger am
RKI unmittelbar weiter. Das NRZ informierte am
20. Mai das Konsiliarlabor für HUS bzw. Herrn Professor Karch über die Vorfälle in Hamburg.
Herr von Notz, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte
schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin. Ich habe eine Nachfrage zu den Versor-
gungskapazitäten im Hinblick auf HUS-Erkrankte und
ähnlich schwer Erkrankte. Wie beurteilen Sie die Kapa-
zitäten deutscher Krankenhäuser zur Versorgung von
Schwersterkrankten, wie es sie im Rahmen der Ehec-
Epidemie gegeben hat?
Herr Kollege von Notz, wir konnten konstatieren,
dass die Krankenhäuser in den betroffenen Regionen,
wo immer es möglich war, auf entsprechende Ressour-
cen zurückgreifen konnten. Uns ist nicht bekannt, dass
es bei diesem Ehec-Ausbruch zu einer Ressourcenver-
knappung kam. Selbstverständlich werden parallel zu
den derzeitigen Prüfvorgängen auch Diskussionen da-
rüber geführt, wie wir die Sicherheit an dieser Stelle in
Zukunft noch weiter erhöhen können.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.1)
Ich rufe Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und DIE LINKE gemäß Anlage 5
Nummer 1 Buchstabe b GO-BT
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die dringlichen Fragen 1 und 2 auf Drucksa-
che 17/6438
Dabei geht es um die Panzerlieferungen an Saudi-Ara-
bien.
Als Erstem gebe ich Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
1) Die Antwort auf Frage 32 wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. Die Frage 51 wurde zurückgezogen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Jahr
2011 wird als das Jahr des arabischen Frühlings in die
Geschichte eingehen. In zahlreichen Ländern haben
Menschen unter Einsatz ihres Lebens für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gestritten. Sie haben despotische Regime gestürzt. Unser Außenminister wurde
nicht müde, zu betonen, dass Deutschland alles tun
würde, um diese Menschen zu unterstützen.
({0})
Schauen wir einmal nach Bahrain. Da wurde die Demokratiebewegung blutig unterdrückt. Das sunnitische
Herrscherhaus setzte der eigenen, mehrheitlich schiitischen Bevölkerung eine ganze Armada entgegen. SaudiArabien - tausend Soldaten - und Katar entsandten
Truppen und kartätschten die Demokratiebewegung blutig nieder - übrigens dasselbe Katar, das in Libyen an
der Seite westlicher Staaten gegen Gaddafi kämpft. Bleiben wir aber bei Bahrain. Wo steht Deutschland? Wo
steht Herr Westerwelle, wo steht Herr Rösler, und wo
steht Frau Merkel? Alle drei stehen nicht auf der Seite
der Bevölkerung von Bahrain. Sie stehen nicht auf der
Seite der Demokratie. Schwarz-Gelb steht an der Seite
der Despotie.
({1})
Bereits 2009 hat die Bundesregierung eine Voranfrage
für Leopard-Panzer an Katar positiv beschieden. Nun
will sie 200 Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien liefern.
Mit ist nach der Fragestunde auch klar, warum Sie solche Sachen auf Teufel komm raus geheim halten müssen. Ansonsten würde nämlich die ebenso ungeheuerliche wie peinliche Wahrheit über die Außenpolitik von
Schwarz-Gelb offenbart.
({2})
Sie liefern die modernsten Panzer der Welt an ein autoritäres Königreich, das die Menschenrechte mit Füßen
tritt, Menschen den Kopf und die Hände abhackt und
Frauen das Autofahren verbietet, ein Land, das anderen
Despoten hilft, an der Macht zu bleiben, und zwar mit
Panzern, mit massiver physischer Gewalt. Das ist nicht
zum Lachen.
({3})
Dieses Land hat noch eine andere Eigenschaft: Es ist
reich an Öl. Das scheint der Grund für die Leisetreterei
und die Waffenlieferungen zu sein.
({4})
Ihre Außenpolitik ist nicht wertegeleitet. Mir scheint es
fast so, als wenn die Außenpolitik von Schwarz-Gelb
dem gleichen Businessplan folgt wie Ihre Steuerpolitik.
Geld ist Ihnen offensichtlich wichtiger als demokratische Rechte.
({5})
Rüstungsexporte waren schon immer problematisch.
Das gilt übrigens auch für die rot-grüne Regierungszeit.
({6})
- Ja. - Das ist auch einer der Gründe dafür, warum wir
mit Frau Roth an der Spitze im Jahr 2000 die Rüstungsexportrichtlinien auf den Weg gebracht haben, gegen die
Sie jetzt zu verstoßen beabsichtigen.
({7})
Jetzt kommen wir einmal zu den Lehren aus dem arabischen Frühling. Vielleicht führen Sie sich noch einmal
die Rede, die die Kanzlerin in München auf der Sicherheitskonferenz gehalten hat, vor Augen. Dort können Sie
vieles nachlesen. Wenn man das zusammenfasst, dann
kann man als Lehre aus dem arabischen Frühling eines
sagen: Despotie schafft keine Gerechtigkeit und keine
Stabilität.
({8})
Niemals war klarer, dass das nicht nur eine moralische,
sondern eine höchst realpolitische Frage ist. Es war eben
falsch, die Mubaraks und Ben Alis zu unterstützen. Aber
genauso falsch ist es, heute Abdullah Al Saud Waffen für
den Kampf gegen die eigene Bevölkerung und die Bevölkerung in Bahrain zu liefern.
({9})
Die Responsibility to protect, die Verantwortung zum
Schutz, beginnt nicht erst, wenn die Panzer eingesetzt
werden, sondern sie beginnt schon, wenn die Panzer geliefert werden sollen. Werden Sie dieser Verantwortung
gerecht!
({10})
Es geht nicht nur um Werte; sondern auch um unsere
Interessen. Sie missachten beides. Sie behaupten hintenherum, Sie wollten ein Gegengewicht zum Iran schaffen.
Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist der Fall. Sie schaffen
für den Iran eine neue scheinheilige Rechtfertigung, weiter aufzurüsten. Sie stimulieren den Rüstungswettlauf im
Nahen Osten.
({11})
Sie destabilisieren den Nahen Osten, und damit gefährden Sie auch die Sicherheit Israels.
({12})
Es ist ein uralter Irrtum zu glauben, man könne sich
weiter auf den Spuren von Donald Rumsfeld bewegen.
Er hat einmal über Saddam Hussein gesagt - ich zitiere
ihn -: „Er ist ein Schweinehund, aber er ist unser
Schweinehund.“ Der Fehler ist, zu glauben: Unsere Despoten helfen gegen andere Despoten. Diese Politik hat
den Iran immer stärker gemacht. Es ist Zeit, mit diesem
Irrtum endlich aufzuräumen.
({13})
Deswegen sage ich Ihnen: Stellen Sie sich an die
Seite der Demokratie! Sorgen Sie für Stabilität im Nahen
Osten! Nehmen Sie die Sicherheit des Staates Israels
ernst! Dann müssen Sie den Beschluss, diese Panzer zu
liefern, zurücknehmen. Eine solche Lieferung kann nicht
im Interesse Deutschlands sein.
({14})
Das Wort hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Trittin,
lassen Sie den Leo im Dorf.
({0})
Dass Sie ein Empörungsgeheul anstimmen und die Moralkeule schwingen, ist scheinheilig und auch nicht im
deutschen Interesse.
({1})
Deutschland hat, wie wir alle wissen, wenn nicht die
restriktivsten, dann mit die restriktivsten Rüstungsexportrichtlinien in dieser Welt.
({2})
Der Export orientiert sich am Sicherheitsbedürfnis und
an den außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik
Deutschland.
({3})
Sollte der Bundessicherheitsrat in dieser Situation eine
solche Entscheidung getroffen haben, dann hat er sie mit
Sicherheit im Lichte der aktuellen Überlegungen und der
aktuellen Lage getroffen.
({4})
Er hat die Richtlinien restriktiv und verantwortungsbewusst gehandhabt, und zwar im deutschen Interesse.
Deshalb sind überhaupt keine Richtlinien gebrochen
worden, genauso wenig wie die Richtlinien gebrochen
wurden, als Rot-Grün seinerzeit dieselben deutschen Interessen festgestellt hat und Rüstungsgüter im Wert von
über 260 Millionen Euro nach Saudi-Arabien geliefert
hat.
({5})
Selbstverständlich ist das eine sensible Entscheidung.
({6})
Fakt ist auch, dass Saudi-Arabien im Mittleren Osten
eine stabilisierende Funktion einerseits Richtung Iran
und andererseits Richtung Israel und Palästina einnimmt.
({7})
Deshalb ist es im außenpolitischen und sicherheitspolitischen Interesse, dass dort Stabilität herrscht.
Fakt ist darüber hinaus, dass wir schlecht beraten wären, wenn wir als Deutschland vom Platz gingen, bevor
das Spiel angepfiffen ist, und uns nachher wunderten,
dass wir nicht mitspielen dürfen.
({8})
Deshalb halte ich es allemal für besser, im Spiel zu bleiben. Dann können wir auch Fragen zu Menschenrechten
in die Diskussion einbringen.
({9})
Fakt ist außerdem, dass es auch im deutschen sicherheits- und außenpolitischen Interesse ist, langfristig unsere technologischen Fähigkeiten im Wehrtechnikbereich
zu erhalten. Die Umgestaltung in Deutschland, etwa die
Verkleinerung der Bundeswehr, ist sehr positiv. Ich will
nicht, dass wir von anderen Technologien in dieser Welt
abhängig werden, dass Deutschland importieren muss.
({10})
Deshalb will ich, dass wir die Technologien in Deutschland erhalten. Ich glaube, dies ist im wohlverstandenen
sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands.
Fakt ist weiterhin, dass wir solche Entscheidungen
nicht allein, sondern gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten und den USA treffen sollten, damit
wir nicht im Abseits stehen. Ich glaube, wir sollten aus
manchen Entscheidungen der Vergangenheit lernen, dass
dies der falsche Weg war. Insofern ist es richtig, dass wir
im Verbund mit unseren Verbündeten unsere Verantwortung übernehmen, statt uns vom Acker zu machen und,
wie das manche hier tun, ein scheinheiliges Empörungsgeheul in der Etappe zu verlautbaren.
({11})
Aus meiner Sicht ist es in Abwägung der außenpolitischen, sicherheitspolitischen, technologischen und auch
volkswirtschaftlichen Interessen ganz klar im deutschen
Interesse, dass wir auch unseren Beschäftigten in der
Wehrindustrie dauerhaft eine Perspektive bieten und
diese Technologien nicht aus der Hand geben. Deshalb
halte ich dieses Vorgehen auch bei einer sensiblen Entscheidung wie dieser in der Abwägung für gerechtfertigt
und richtig.
({12})
Der Kollege Dr. Gregor Gysi hat das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Mißfelder, es ist interessant, dass Sie sich gleich aufregen. Vielleicht hätten Sie in der Union und in der FDP
kurz über die deutsche Geschichte nachdenken sollen.
({0})
Dann hätten Sie vielleicht begriffen, dass es nach dem
Zweiten Weltkrieg eine Schlussfolgerung hätte geben
müssen, nämlich dass wir nie wieder an Kriegen verdienen wollen. Sie aber praktizieren exakt das Gegenteil.
({1})
- Hören Sie zu! - Wir sind der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Mehr Waffen verkaufen nur die USA und
Russland. Wir liegen vor China, Frankreich und Großbritannien. Angesichts unserer Geschichte ist es nicht zu
fassen, dass ein solcher Weg beschritten wird und dass
die Rüstungslobby einen solchen Einfluss auf Ihre Parteien hat.
({2})
Es war schon ein Fehler - damit haben Sie recht -,
dass Rot-Grün zwischen 1999 und 2005 Waffenexporte
im Wert von 260 Millionen Euro nach Saudi-Arabien genehmigt hat. Unter Schwarz-Rot gab es zwischen 2006
und 2009 genehmigte Waffenexporte im Wert von
440 Millionen Euro. Damit lagen wir bei etwa 700 Millionen Euro. Wegen des arabischen Frühlings gab es
dann aber wenigstens einen Stopp.
Jetzt hat man gesagt, es sei dort ein neues Spannungsgebiet entstanden. Sie beenden nun den Stopp, indem Sie
gerade an das Regime von Saudi-Arabien 200 Panzer
liefern. Das ist unerhört, und das hat unsere Bevölkerung
nicht verdient.
({3})
Herr Trittin hat es schon angesprochen: In Bahrain
gibt es eine Minderheit von Sunniten, die die Mehrheit
der Schiiten unterdrückt. In Saudi-Arabien ist die Situation umgekehrt. Aus diesem Grund, abgesehen von seiner Bedeutung als amerikanischem Stützpunkt, unterstützt das dortige Königshaus Bahrain.
Aber was ist Saudi-Arabien für ein Land? Was herrschen dort für Zustände? Ich darf Ihnen ein paar Beispiele nennen - Jürgen Trittin hat es schon gesagt -:
Frauen dürfen nicht Auto fahren. Es gibt keine Wahlen.
Es gibt keine legale Opposition. Es gibt Todesurteile.
({4})
Es gibt Folter. Es gibt öffentliche Auspeitschungen und
das Abhacken von Händen. Und dahin liefern Sie Waffen und Panzer! Das ist doch nicht zu fassen. Das muss
man ganz klar sagen.
({5})
Bei der Begründung des Kriegs in Afghanistan heißt
es immer: Es geht um den Kampf gegen Terrorismus.
Das amerikanische Außenministerium hat bestätigt: Alles Geld für al-Qaida kommt aus Saudi-Arabien. Es
kommt nicht direkt vom König - damit haben Sie recht,
Frau Staatsministerin -, aber von reichen Familien in
Saudi-Arabien; sie bezahlen al-Qaida. Was haben Sie jemals dagegen gesagt oder getan? Wie glaubwürdig ist
ein Krieg gegen Terrorismus, wenn man gleichzeitig an
diejenigen, die den Terrorismus bezahlen, Panzer liefert?
Das ist nicht hinnehmbar.
({6})
Saudi-Arabien ist in Bahrain einmarschiert und hat
auf die Demokratie- und die Freiheitsbewegung geschossen.
({7})
Es gab viele Tote. Es gibt viele Inhaftierte. Menschen
sind im Krankenhaus und zittern um ihr Leben.
Sie aber entscheiden sich, dorthin Waffen zu liefern,
statt eine gegenteilige Politik zu betreiben. Herr
Westerwelle hat erklärt, dass das nicht gehe: Wir dürften
solche Regime nicht unterstützen. In Wirklichkeit passiert das Gegenteil.
Jetzt betreiben Sie damit auch noch Geheimniskrämerei. Das ist der Gipfel. Dann sollten Sie es wenigstens
öffentlich bekennen. Dann sollten Sie sich mit der BeDr. Gregor Gysi
völkerung auseinandersetzen, statt sich hinter einem
Schweigegebot zu verstecken.
Wir haben einen Antrag gestellt, dass an Saudi-Arabien keine Waffen geliefert werden dürfen. Wenn der
Bundestag ihn mit Mehrheit beschließen würde, dann
brauchten Sie den Bundestag, um doch Waffen dorthin
zu liefern. Dann bekämen wir endlich eine parlamentarische Kontrolle. Ich bin überhaupt dafür, dass wir das Gesetz ändern. Wenn es schon einen Waffenexport gibt,
dann soll das Parlament das wissen und darüber entscheiden. Anders geht es meines Erachtens nicht.
({8})
- Sie wollen weiterhin ein Geheimnis daraus machen.
Was haben wir davon? Erklären Sie mir doch einmal:
Was haben wir davon, außer dass die Rüstungslobby daran verdient?
Wissen Sie, was in den Richtlinien steht? In den
Richtlinien steht, dass Waffenlieferungen den Interessen
der Bundesrepublik Deutschland nicht schaden dürfen.
Jetzt frage ich Sie einmal: Liegt es also im Interesse der
Bundesrepublik Deutschland, dass Saudi-Arabien in
Bahrain einmarschiert? Liegt es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, dass Saudi-Arabien in Bahrain
auf Freiheitskämpfer und Demokratiekämpfer schießt?
Liegt es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland,
dass die Bevölkerung in Saudi-Arabien so behandelt
wird, wie ich es Ihnen geschildert habe? Was liegt eigentlich im Interesse der Bundesrepublik Deutschland,
außer die Demokratie- und Freiheitsbewegung zu unterstützen? Sie betreiben das Gegenteil. Damit verstoßen
Sie gegen die Richtlinien. Schade, dass es noch keinen
Gerichtsweg gibt, um das zu klären.
({9})
- Ja, das ist wirklich schade. Das kann aber so nicht bleiben. Sie haben jetzt den Grund dafür geschaffen, dass
auch bei SPD und Grünen die Überlegung entsteht, dass
wir das Gesetz ändern müssen und das Parlament zuständig werden muss.
({10})
- Ja, aber nicht, als ihr an der Regierung wart. Das ist
das Problem. So etwas geschieht immer nur, wenn ihr in
der Minderheit seid.
({11})
Jetzt werden wir das Ganze forcieren, damit wirklich
eine Parlamentszuständigkeit entsteht. Ich hoffe, dass es
dann kein Parlament in Deutschland gibt, das noch einmal zulässt, dass Waffen, dass Panzer an Saudi-Arabien
geliefert werden. Das ist wirklich das Letzte.
({12})
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Martin
Lindner.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren!
Herr Kollege Gysi, als Volljuristen ist Ihnen der Unterschied zwischen exekutivem Handeln und gesetzgeberischen Funktionen klar. Ihnen ist selbstverständlich auch
klar, dass Einzelfallentscheidungen durch die Verwaltung zu treffen sind. Rot-Grün hat damals eine besondere Zuständigkeit für den Bundessicherheitsrat geschaffen. Genau nach diesem Muster laufen die Dinge heute
ab. Wir kontrollieren die Richtlinien, und wir kontrollieren die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung.
Deswegen ist das hier wieder das übliche „Skandal,
Skandal“-Gerufe von Ihnen. Viel steckt nicht dahinter.
({0})
Meine Damen und Herren, niemand kann ernsthaft
abstreiten - wenn wir jetzt generell darüber reden; ich
bin ja kein Mitglied des Bundessicherheitsrates -, dass
eine sehr schwere Abwägungsentscheidung zu treffen
war, möglicherweise zu treffen ist.
({1})
Niemand kann die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ernsthaft schönreden oder irgendwie anders darstellen, als sie ist.
({2})
Das kann niemand machen. Das würde auch ich als Allerletzter tun.
({3})
Aber wenn Sie die Richtlinien, Kollege Beck, die damals von Rot-Grün verabschiedet wurden, lesen, dann
sehen Sie, dass zuvörderst die besonderen außen- und
sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik
Deutschland zu berücksichtigen sind.
({4})
Dabei müssen natürlich Dinge, auf die der Kollege
Stinner noch genauer eingehen wird, in die Abwägung
einbezogen werden. Saudi-Arabien ist Verbündeter im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
({5})
Deswegen hat die Vorgängerregierung von Schwarz-Rot
das Grenzsicherungsprojekt von EADS genehmigt.
Natürlich dürfen wir nicht auf eine Stabilisierung des
Regimes in Saudi-Arabien setzen, sondern wir müssen
auf eine Stabilisierung des Gleichgewichts der Kräfte in
dieser Region rekurrieren.
({6})
Dr. Martin Lindner ({7})
Wir müssen auch die Hegemoniebestrebungen, insbesondere des Iran, in dieser Region im Auge behalten.
Mir am wichtigsten - ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung dies besonders im Fokus hat - sind die Sicherheitsinteressen unseres Hauptverbündeten, des Staates Israel.
({8})
Das ist die zentrale Frage. Ohne Israel können solche
Entscheidungen nicht getroffen werden. Nachrangig und
subsidiär - ich sage das als Wirtschaftspolitiker ganz bewusst - sind wirtschaftspolitische Fragen heranzuziehen;
sie stehen also nicht an erster Stelle.
({9})
Ich möchte Ihnen zum Zwecke der Verhinderung von
Legendenbildung einfach einmal die Dimension des Exports von Rüstungsgütern darstellen. Sie sagen, Deutschland liege beim Export von Rüstungsgütern an dritter
Stelle. Absolut betrachtet, stimmt das. Aber wir sind
eine große Exportnation. Wie Sie wissen, finden auch
die Dual-use-Produkte Eingang in die Statistik.
({10})
- Sie wissen doch gar nicht, was ich sagen will. Dann
können Sie auch nicht beurteilen, ob das richtig oder
falsch ist, Frau Roth. Ich weiß, dass Sie sehr schnell
sind. Aber hören Sie sich erst einmal an, was ich zu sagen habe.
({11})
Erstens. In Relation zur gesamten Exportleistung liegt
Deutschland bei den Rüstungsexporten an sechster
Stelle. An erster Stelle liegt Russland, an zweiter liegen
die USA, an dritter Frankreich, an vierter Italien und an
fünfter das Vereinigte Königreich von Großbritannien
und Nordirland. Erst dann kommt Deutschland auf Platz
sechs.
Zweitens. Der Anteil von Kriegswaffenexporten in
die Dritte Welt ist mit 2,7 Prozent in keinem Land so gering wie in Deutschland. In den USA zum Beispiel beträgt dieser Anteil knapp 80 Prozent.
Erst wenn ich dies alles berücksichtige, komme ich zu
den mikroökonomischen Interessen des beteiligten Unternehmens. Lesen Sie, was der Betriebsrat von KraussMaffei dazu sagt: „Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation in unserer Branche werden Neuaufträge dringend benötigt.“
({12})
Das ist subsidiär genauso zu berücksichtigen. Nichts anderes steht auch in den von Ihnen beschlossenen Richtlinien.
Meine Damen und Herren von der Opposition - ich
meine nicht Sie von der linkspopulistischen Opposition,
sondern Sie, die Sie geraume Zeit in der Verantwortung
waren -, unter Rot-Grün ist der Wert der exportierten
Kriegswaffen von 300 Millionen Euro im Jahr 2002 auf
1,3 Milliarden Euro im Jahr 2003 gestiegen.
({13})
2005, als Frau Wieczorek-Zeul schon geraume Zeit Mitglied des Bundessicherheitsrates war - genauso wie Herr
Steinmeier -, wurde mit 1,6 Milliarden Euro der Gipfel
erreicht. Sie sitzen nicht nur im Glashaus und werfen mit
Steinen, sondern haben eine Steinschleuder in einer
Glasfabrik aufgebaut. Das will ich Ihnen an dieser Stelle
ganz deutlich sagen.
({14})
Zum Leopard 2. Auch hier sollte die Sozialdemokratie nicht an Amnesie leiden. Ich zitiere aus dem Artikel
„Deutsche Panzer nach Saudi-Arabien?“, der in der ersten Ausgabe des Spiegels im Jahr 1981 erschienen ist:
Helmut Schmidt will deutsche Waffen an SaudiArabien verkaufen. Am dringlichsten wünschen
sich die Araber den Kampfpanzer Leopard 2.
({15})
Das haben Sie damals nicht getan - genauso wenig
wie die Nachfolgeregierungen -, weil Israel interveniert
hat. Das war der einzige und ausschließliche Grund. Das
hat Sie gehindert.
Herr Kollege, Sie wären am Ende Ihrer Redezeit.
Ich komme zum Ende. - Wir müssen doch akzeptieren, dass Israel offenkundig einer anderen Bedrohungslage - mehr aus Osten kommend und weniger aus Süden ausgesetzt ist.
Herr Kollege!
Einen kleinen Moment!
({0})
Ich schließe mit der Feststellung: Man kann in dieser
Frage offensichtlich zu einer anderen Einschätzung
kommen als die Bundesregierung; das akzeptiere ich
ausdrücklich.
Dr. Martin Lindner ({1})
({2})
Halten Sie bitte die Redezeit ein, Herr Lindner. Wir
sind in der Aktuellen Stunde. Da hat jeder fünf Minuten.
Ich glaube, dass man auch die andere Auffassung gut
vertreten kann.
Herzlichen Dank für die geschätzte Aufmerksamkeit.
({0})
Der Kollege Sigmar Gabriel hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Lindner, es geht nicht um die Frage, ob man generell
Waffen exportieren darf oder nicht; darüber gibt es hier
unterschiedliche Auffassungen, und zwar aus guten
Gründen. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Bundesregierung die geltenden Exportrichtlinien für Rüstungsgüter eingehalten hat oder nicht. Das ist die entscheidende Frage.
({0})
Es ist übrigens nicht die Aufgabe der Exekutive, sich
selbst zu überprüfen; die Kontrolle der Exekutive ist
vielmehr Aufgabe des Parlaments.
Ich lese Ihnen die Richtlinien vor, weil Sie offensichtlich nur den Auszug kopiert haben, der Ihnen in den
Kram passt:
Genehmigung für Exporte von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich
nicht erteilt,
({1})
wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese
zur internen Repression … oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Für diese Frage
spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle.
Genau das steht in den Richtlinien.
({2})
Das sind die Exportrichtlinien, die SPD und Grüne in ihrer Regierungszeit verabschiedet haben und an die wir
uns gehalten haben. Heute steht fest: CDU/CSU und
FDP halten sich nicht an die geltenden Exportrichtlinien
für Rüstungsgüter. Sie betreiben Rechtsbruch in
Deutschland. Das ist das, was Sie derzeit tun.
({3})
Übrigens: Wir sollten wissen, wo die Panzer am Ende
stehen. Wir kennen doch die Bilder aus unserer eigenen
Geschichte, aus der europäischen Geschichte. Ob in Berlin, in Prag, in Ungarn, auf dem Platz des Himmlischen
Friedens oder auch in Kairo - am Ende stehen die Panzer
immer auf den Plätzen und Straßen, wenn es darum geht,
dass Unrechtsregime ihre Unterdrückung gegen die Demokratiebewegung fortsetzen wollen. Das wissen wir.
Trotzdem missachten Sie die Exportrichtlinien.
Aber es geht noch um etwas anderes, meine Damen
und Herren. Es geht auch um den mangelnden Mut der
Bundesregierung, diese Entscheidung zu vertreten. Sie
müssen hier nicht die Beratung des Bundessicherheitsrats öffentlich machen - es wäre richtig, deren Ergebnisse in Zukunft zu veröffentlichen, die Beratung selbst
sicher nicht -; aber was Sie tun müssen und was Sie
nicht stellvertretend Mitglieder Ihrer Koalitionsfraktionen ein bisschen schwadronierend tun lassen dürfen, ist:
({4})
Sie müssen die Grundlagen Ihrer Außenpolitik erklären,
insbesondere dann, wenn Sie die Grundlagen Ihrer Außenpolitik wechseln.
({5})
Es ist beschämend, dass Sie hier mit großem Pathos
Regierungserklärungen abgeben; aber dann, wenn sich
die Frage stellt, warum Sie eigentlich eine Politik machen, mit der Sie exakt einer Regierungserklärung, im
Mai 2011 abgegeben, widersprechen, sind die Mitglieder
Ihrer Regierung zu feige, sich dem Parlament zu stellen.
Warum? Das ist die Frage, die hier ansteht.
({6})
Ich erinnere mich nicht nur an die Neuerfindung des
Bundesaußenministers und damaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle auf dem Tahrir-Platz; ich erinnere mich auch an diese Regierungserklärung. Ich zitiere
einmal, was die Kanzlerin in dieser Regierungserklärung
sagte:
Es ist deshalb eine historische europäische Verpflichtung, den Menschen, die heute in Nordafrika
und in Teilen der arabischen Welt für Freiheit und
Selbstbestimmung auf die Straße gehen, zur Seite
zu stehen.
Gut gesprochen! Nur, heute stehen Sie mit Ihrer Politik und den Panzerlieferungen auf der Seite der feudalen
Herrscherhäuser, die genau diese Demokratiebewegung
unterdrückt.
({7})
30 Jahre lang hat jede Bundesregierung dem Ansinnen der Saudi-Arabier auf Lieferung von Panzern widersprochen. Sie müssen hier erklären, warum Sie das heute
anders sehen.
({8})
- Das müssen Ihr Bundesaußenminister und Ihre Kanzlerin tun. Die Kanzlerin bestimmt im Bundessicherheitsrat die Richtlinien der Politik. Sie hat das freigegeben,
sie persönlich, und sie muss auch erklären, warum sie zu
einer anderen Bewertung der Lage auf der Arabischen
Halbinsel und am Persischen Golf kommt. Sie müssen
erklären, warum die jahrzehntelange Verweigerung von
Panzerlieferungen jetzt aufgegeben wird. Sie müssen erklären, dass die Unterdrückung von Demokratiebewegungen in und durch Saudi-Arabien aus Ihrer Sicht
offensichtlich das kleinere Übel gegenüber einer Destabilisierung Saudi-Arabiens durch Schiiten und den Iran
ist. Es geht im Kern doch darum, dass Sie diese Güterabwägung getroffen haben.
Wenn Ihre Regierung den Mut hätte, ihre Außenpolitik zu erklären, dann könnten wir politisch darüber streiten. Dann wären wir, jedenfalls wir in der SPD, immer
noch nicht der Meinung, dass Sie die richtige Güterabwägung getroffen haben - wir wären immer noch gegen
die Panzerlieferung -; aber es wäre ein Beitrag zur politischen Kultur und zur Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit über die Grundlinien der Außenpolitik dieser
Regierung. Aber dazu haben Sie keinen Mut. Sie stellen
sich dieser Debatte nicht. Das ist das Problem Ihrer Regierung.
({9})
Sie scheuen die Debatte über die Grundlagen der Außenpolitik. Genauso mutlos waren Sie, als Sie sich in der
Libyen-Abstimmung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen enthielten. Mutlos sind Sie auch, wenn es darum
geht, den Deutschen die Euro-Rettung zu erklären. Sie
lieben das hohle Pathos, wenn es nichts kostet, und Sie
verstoßen dagegen. Sie haben keinen inneren Kompass,
weder in der Innenpolitik noch in der Außenpolitik. Ihre
Entscheidung zur Panzerlieferung nach Saudi-Arabien
hat einfach viel mit Ihrem Versagen in der Libyen-Auseinandersetzung zu tun. Das ist der Preis, den Ihre Regierung jetzt dafür zahlen muss, dass sie wenigstens von
den Vereinigten Staaten wieder ernst genommen wird.
Herr Kollege.
Das ist in Wahrheit die Begründung dafür, dass Sie
das mitmachen. Die deutsche Regierung trifft in der Außenpolitik keine souveräne Entscheidung mehr. Sie haben Deutschland und seine Interessen preisgegeben, zulasten der Menschenrechte in Saudi-Arabien.
({0})
Herr Kollege!
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Sie müssten schon zum Schluss gekommen sein.
Jawohl. - Ich hoffe, dass Sie den Mut haben, diese
Debatte im September, wenn der Papst im Deutschen
Bundestag spricht, zu führen.
({0})
- Das wollen Sie nicht hören. - Sie müssen sich die Aussagen der Katholischen Kirche anhören, um beurteilen
zu können, was Sie in der Außenpolitik gerade anrichten.
({1})
Der Kollege Dr. Johann Wadephul hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nachdem wir den Wettlauf zwischen den beiden
Möchtegernaußenministern Trittin und Gabriel zu der
Frage erlebt haben, wer der Frömmste unter den möglichen zukünftigen Außenministern Deutschlands ist,
möchte ich auf die Gesetzeslage, die der Kollege Gabriel
gerade angesprochen hat und die verschiedentlich Gegenstand von Erörterungen hier im Hause war, zurückkommen.
Wenn dem Bundeskabinett hier Heimlichtuerei unterstellt und gesagt wird, man verstecke sich und führe die
Erörterungen nicht öffentlich, dann muss ich sagen: Wir
alle miteinander müssen zur Kenntnis nehmen, auf welcher rechtlichen Grundlage der Bundessicherheitsrat
Entscheidungen trifft. Die Verhandlungen sind geheim.
Das entspricht Gesetzen und Vorschriften, die wir, der
Deutsche Bundestag, hier verabschiedet haben. Ich als
Bundestagsabgeordneter erwarte, dass sich die Bundesregierung an die Gesetze hält. Wenn sie das tut, kann ich
ihr keine Heimlichtuerei vorwerfen. Das wäre zwiespältig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.
Die Bundesregierung macht nicht mehr und nicht weniger, als sich an Recht und Gesetz zu halten, und das ist in
Ordnung so.
({0})
Die CDU/CSU-Fraktion hält die Gesetzeslage, sowohl was das Formale als auch was das Materielle angeht, für angemessen. Wir sind der Auffassung, dass die
Gesetze eingehalten werden. Ich kann jetzt nichts dazu
sagen - das wissen Sie alle -, ob Genehmigungen und,
wenn ja, in welchem Umfange erteilt worden sind. Insofern sind alle weiteren Ausführungen hypothetischen
Charakters. Sie verzeihen mir bitte, wenn ich nicht jedes
Mal den Konjunktiv gebrauche.
Ich schließe mich der Auffassung des FDP-Kollegen
an, dass die beschäftigungspolitischen Aspekte eines
möglichen Rüstungsexports völlig nachrangig sind. Nur,
Ihre Empörung verstehe ich an dieser Stelle nicht. Sie
rühmen sich der Exportrichtlinien aus dem Jahr 2000,
({1})
in die Sie folgende Formulierung aufgenommen haben
- ich darf zitieren -:
Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen.
({2})
Ich darf „ausschlaggebende“ betonen. Sie hätten auch
formulieren können, dass sie keine Rolle spielen dürfen.
Das haben Sie nicht getan. Tun Sie nicht so! Sie sitzen
im Glashaus. Sie haben ausdrücklich anerkannt, dass es
auch beschäftigungspolitische Gründe geben kann. Dazu
sollten Sie sich bekennen, meine sehr verehrten Damen
und Herren.
({3})
Man sollte sich anschauen - Herr Kollege Gabriel hat
darauf abgehoben -, warum in vergangenen Jahrzehnten
der Export von Rüstungsgütern, insbesondere von Panzern, nach Saudi-Arabien, auch unter der Regierung von
Bundeskanzler Helmut Kohl, abschlägig beschieden
wurde und warum man heute zu anderen Ergebnissen
kommen kann.
({4})
Dazu muss man sich in der Tat die geopolitische Situation in dieser Region anschauen. Bei allen Problemen,
die es zwischen den Palästinensern und Israel nach wie
vor gibt, hat sich der Konflikt deutlich - das weiß doch
jeder, der sich mit der Lage etwas beschäftigt hat - in
Richtung Iran verschoben.
({5})
Mittlerweile liegt es im Interesse des Staates Israel, vor
dem Iran geschützt zu werden. In dieser Situation kann
das Königreich Saudi-Arabien durchaus ein strategischer
Partner Europas und auch Deutschlands in dieser Region
sein.
({6})
Es stellt niemand in Abrede, dass die Situation in
Saudi-Arabien, was die Menschenrechte angeht, nicht
dem entspricht, was das deutsche Grundgesetz vorgibt.
Nur, wenn wir daran deutsche Außenpolitik ausrichten
wollten, dann wäre die Zahl unserer Gesprächspartner
sehr klein. Dann hätten wir sehr wenig Aktionsradius in
diesem Bereich.
({7})
Deswegen gab es zu jedem Zeitpunkt guten Anlass, auch
darüber nachzudenken, Waffen dann in diese Region zu
liefern, wenn es im außenpolitischen Interesse Deutschlands und Europas gelegen hat. Das war doch sicherlich,
Herr Kollege Gabriel und Herr Kollege Trittin, auch in
den Jahren 2001 bis 2004 der Anlass dafür, dass RotGrün Jahr für Jahr Waffenexporte in einem Wert von
40 bis 60 Millionen Euro nach Saudi-Arabien genehmigt
hat.
Bedauerlicherweise haben beide Kollegen nichts dazu
gesagt, dass man auch nach Katar geliefert hat. Man
kann ja über diese Regimes schimpfen, man kann sie
hier auch verurteilen, und man kann uns vorhalten, dass
das jetzt gegebenenfalls genehmigt wird, aber Sie haben
es in eigener Verantwortung selbst auch getan.
({8})
Dazu sollten Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
bekennen.
Deswegen ist mit Schwarzweißmalerei an der Stelle
wenig geholfen.
({9})
Es gibt in dieser Debatte jede Menge Grautöne, und die
Welt, liebe Frau Roth, ist nicht immer so einfach, wie
Sie sie sich malen; das gilt auch für den außenpolitischen
Umgang mit dieser Region.
({10})
Vielmehr hat es in der Vergangenheit Anlass zur Kooperation mit Saudi-Arabien gegeben, und es gibt auch
heute Anlass dazu, mit diesem Land gemeinsam eine
Zukunft für diese Region zu entwickeln, wenn auch im
Bereich der Menschenrechte sicherlich noch vieles, was
aus unserer Sicht wünschenswert ist, nachzuholen ist.
({11})
Aber die Welt ist nicht immer so einfach, wie Sie sie
an dieser Stelle bisher gezeichnet haben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Katja Keul hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Lindner, wer hätte das vor
zwei Wochen gedacht, dass wir so schnell hier schon
wieder über Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien debattieren. Ich darf Sie zitieren: „Und ewig grüßt das Murmeltier.“
({0})
Aber diesmal geht es nicht um den elektronischen
Grenzzaun in der Wüste, und es geht auch nicht mehr
um die Ausbildung saudischer Polizisten durch deutsche
Beamte. Sogar die Bundesregierung hat ja inzwischen
gemerkt, dass das unseren dem Rechtsstaat verpflichteten Beamten schlichtweg nicht mehr zumutbar ist.
Diesmal geht es um Kampfpanzer des 21. Jahrhunderts. Das, Herr Pfeiffer, ist kein Spielzeug.
({1})
Solche Kriegswaffen sind schon nach unserem Grundgesetz keine Waren, die frei gehandelt werden dürfen. Ich
zitiere hier nochmal die heute schon viel gepriesene Rüstungsexportrichtlinie:
Der Export von Kriegswaffen … wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung
der Bündnisinteressen für eine ausnahmsweise zu
erteilende Genehmigung sprechen. Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende
Rolle spielen.
({2})
Dabei betone ich: auch keine industriepolitischen
Gründe, Herr Pfeiffer, sondern nur sicherheitspolitische.
Es geht auch nicht darum, ob Interessen anderer Staaten - wie beispielsweise die von Israel oder die der USA dagegenstehen oder nicht, sondern Kriegswaffen dürfen,
wenn kein sicherheitspolitisches Interesse Deutschlands
es erfordert, eben nicht in Drittstaaten exportiert werden,
und schon gar nicht, wenn innere Repression und Menschenrechtsverletzungen drohen.
({3})
Auch das steht in der Rüstungsexportrichtlinie.
Wie es Saudi-Arabien mit den Menschenrechten hält,
kann man ja ausreichend dem Menschenrechtsbericht
der Bundesregierung entnehmen. Darüber hinaus ist die
Stimmung im Inneren höchst angespannt. Die Machtbalance zwischen den sunnitischen Religionsführern und
dem saudischen Königshaus ist äußerst labil. Als im
Nachbarstaat Bahrain die Menschen friedlich für mehr
Demokratie demonstrierten, half saudisches Militär,
diese Bewegung niederzuschlagen. Unter diesen Umständen ist die Genehmigung von Kriegswaffenexporten
nicht nur unverantwortlich, sondern eklatant rechtswidrig.
({4})
Was sagte der Außenminister gestern dazu? Grundsätzlich sei es so, dass Deutschland die Partnerschaft zu
vielen Staaten auch in der arabischen Welt suche und
ausbaue. Dazu gehörten auch Staaten, die - Zitat - „in
Fragen zum Beispiel der Justiz oder der Zivilgesellschaft
unterschiedliche Auffassungen zu uns haben.“
({5})
Sehr geehrter Herr Westerwelle,
({6})
systematische Folter und öffentliche Hinrichtungen sind
keine reine Meinungsverschiedenheit in Sachen Justiz
und Zivilgesellschaft.
({7})
Ich frage mich an dieser Stelle überhaupt, was aus der
angeblichen Abrüstungspartei FDP geworden ist.
({8})
Immerhin trifft der Bundessicherheitsrat seine Entscheidung per Mehrheitsbeschluss, und dazu sind die Stimmen der Liberalen erforderlich.
({9})
Mit Rösler, Niebel, Westerwelle und LeutheusserSchnarrenberger stehen vier FDP-Minister drei Ministern der Union und der Kanzlerin gegenüber. Ohne die
Zustimmung der FDP wäre eine solche Entscheidung zugunsten von Kampfpanzern also gar nicht möglich gewesen.
({10})
Ich fordere die Bundesregierung auf: Erklären Sie sich
dazu! Verstecken Sie sich nicht hinter der Geheimhaltung!
Eine deutlicheren Grund für unsere Forderung nach
mehr Transparenz bei der Genehmigung von Rüstungsexporten hätten Sie uns gar nicht liefern können. Hier
geht es nicht um den berechtigten Geheimnisschutz eines Privatunternehmens, sondern es geht um den Missbrauch von Geheimnisschutz für eine politische Entscheidung, die sich keiner noch so berechtigten
öffentlichen Kritik stellen will.
({11})
Ein Unternehmer, der sich bewusst entschieden hat, Waren herzustellen und zu vertreiben, für die schon im
Grundgesetz kein freier Handel vorgesehen ist, kann
sich eben nicht in gleichem Maße auf Betriebsgeheimnisse berufen wie Hersteller von Bonbons oder Luftballons. Transparenz und parlamentarische Kontrolle finden
hier bislang nicht statt. Das muss sich ändern.
({12})
Aus Industriekreisen soll außerdem bekannt geworden sein, dass auch Panzerlieferungen nach Algerien genehmigt worden sind. Auch in Algerien demonstrieren
Jugendliche trotz Versammlungsverbot in Algier seit
Monaten verzweifelt für mehr demokratische Freiheiten.
({13})
Angeblich sollen die Lieferungen von Panzern der Firma
Rheinmetall, Militärlastern von Daimler, Fregatten von
ThyssenKrupp und elektronischer Grenzsicherung von
Cassidian im Wert von insgesamt 10 Milliarden Euro in
Algerien Arbeitsplätze schaffen. Wenn das nicht zynisch
ist! Dabei bieten wir den algerischen Studenten nicht
einmal Studienaufenthalte in Deutschland an. Das würde
gegen die Jugendarbeitslosigkeit weit mehr helfen als
die Lieferung von Panzern.
({14})
Was jetzt per Zufall ans Tageslicht gekommen ist,
muss unbedingt gestoppt werden. Dank des unbekannten
Whistleblowers kann die Lieferung von Panzern unter
Verstoß gegen geltendes Recht noch verhindert werden.
Im Kriegswaffenkontrollgesetz heißt es nämlich nicht
nur in § 6: „Auf die Erteilung einer Genehmigung besteht kein Anspruch“, sondern es heißt auch in § 7: „Die
Genehmigung kann jederzeit widerrufen werden.“ Ich
fordere Sie daher auf: Machen Sie den Rechtsbruch
rückgängig! Widerrufen Sie die Genehmigung von Panzerlieferungen an Saudi-Arabien und Algerien, bevor
deutsche Panzer durch den arabischen Frühling rollen!
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das deutsche Sprichwort „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“
({0})
wird nirgends besser dokumentiert als durch das Verhalten von Rot-Grün in diesem Deutschen Bundestag, speziell der verehrten Partei SPD. Herr Gabriel, was Sie und
Ihre Kollegen und Genossen hier, seitdem Sie im Jahr
2009 die Regierungsgewalt verloren haben, veranstalten,
kann man nur mit dem medizinischen Terminus „retrograde Amnesie“ bezeichnen.
({1})
Sie haben alles vergessen, was Sie gemacht haben,
({2})
und zeichnen jetzt von der Bundesregierung das Bild eines Rüstungsexportmonsters, einer Rüstungsexportbestie, das völlig falsch und völlig daneben ist.
({3})
Erstens zum Verfahren. Im Jahre 2002 hat die damalige Fraktion der PDS der damaligen Bundesregierung
die Frage gestellt, ob nicht das Verfahren des Bundessicherheitsrates zu verändern sei. Die damalige Bundesregierung hat durch Staatssekretär Schwanitz hier im
Deutschen Bundestag erklärt, es gebe keinen Handlungsbedarf für eine Änderung. Das haben Sie selber gesagt. Heute stellen Sie das infrage.
Zweitens zum Inhalt. Der Anteil von Rüstungsgütern
am Gesamtexport Deutschlands bewegt sich bei ungefähr 0,15 Prozent pro Jahr. Es hat einen Ausreißer im
Jahr 2005 gegeben. Damals hat Rot-Grün regiert; da waren es 0,26 Prozent.
Frau Keul, Sie sagten, Panzer seien kein Spielzeug.
Da haben Sie natürlich völlig recht. Aber ich darf Ihnen
einmal vorlesen, was unter Ihrer Regierung an SaudiArabien geliefert worden ist: in 2001 Schießanlagen, Revolver, Pistolen, Karabiner, Maschinengewehre, in 2002
Munition für Haubitzen sowie Maschinenpistolen, in
2003 Ähnliches, in 2004 Gewehre und Maschinenpistolen usw. Auch das sind, verehrte Kollegin Keul, keine
Spielzeuge.
({4})
Von daher tun Sie doch nicht so, als gäbe es jetzt eine
neue Situation! Sie bauen hier ein Monster auf, das es so
nicht gibt.
({5})
Ich gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass sich die damalige rot-grüne Bundesregierung die
Entscheidung nicht leicht gemacht und sie unter Abwägung aller Pros und Kontras getroffen hat.
({6})
Davon gehe ich aus, Frau Roth, und ebenso gehe ich natürlich bei der jetzigen Bundesregierung davon aus, dass
sie einen möglichen Beschluss - ich komme gleich noch
auf das Thema - unter Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte - sicherheitspolitischer, außenpolitischer, bündnispolitischer Gesichtspunkte - getroffen hat. Davon
gehe ich, wie gesagt, aus. Sie sollten auf der anderen
Seite davon ausgehen, dass die Bundesregierung in ihrer
Sorgfalt, was diesen Fall betrifft, nicht nachgelassen hat.
Interessant ist übrigens, dass in der heutigen Ausgabe
der Bild-Zeitung das eingeschriebene SPD-Mitglied
Kujat diesen Export von Panzern nach Saudi-Arabien
ausdrücklich befürwortet.
({7})
Herr Kujat wird hier immer als Experte herangezogen.
Offensichtlich gibt es auch in Ihrer Partei unterschiedliche Meinungen.
Lassen Sie mich aber auch sehr kritisch das gegenwärtige Verfahren bewerten. Auch meine Fraktion - ich
gebe das ohne Weiteres zu - ist von dieser Meldung
überrascht worden.
({8})
Auch in meiner Fraktion gibt es natürlich viele Fragezeichen. Wer könnte das leugnen? Deshalb sage ich an die
Adresse der Bundesregierung - Sie, sehr geehrter Herr
von Klaeden, vertreten hier das Kanzleramt -: Angesichts der Tatsache, dass nun diese Information an die
Öffentlichkeit gelangt ist,
({9})
obwohl das alles geheim sein sollte, muss man sagen,
dass dieses Bekanntwerden eindeutig im Gefahrenbereich der Bundesregierung liegt. Niemand von Ihnen
- auch Sie hätten es gerne gewusst, aber Sie wussten es
nicht -, niemand von uns und niemand von den Journalisten hat es gewusst. Das Bekanntwerden der Rüstungslieferung liegt, wie gesagt, im Gefahrenbereich der Bundesregierung. Sie ist deshalb dafür verantwortlich.
({10})
Man kann es als Panne und als schlechtes Management bezeichnen. Wenn das aber so ist, dann sage ich Ihnen, Herr von Klaeden, dass es nach meinem Dafürhalten und dem vieler Kollegen meiner Fraktion auf Dauer
keine zumutbare Situation ist, dass sich die beteiligten
Minister - einer wie der andere, eine wie die andere ausschließlich hinter dem Schirm der Geheimhaltung
verstecken.
({11})
Da die Meldung öffentlich wurde, haben wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages und die deutsche
Öffentlichkeit natürlich das Recht und auch die Pflicht,
uns damit zu beschäftigen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, einen Weg zu suchen, unter Einhaltung
der bestehenden Regulierungen eine öffentliche Debatte
zu führen und sicherzustellen, dass der Deutsche Bundestag über die Informationen, die die Grundlage für
diese Entscheidung - falls sie denn getroffen wurde sind, in Kenntnis gesetzt wird. Das muss ich heute so
deutlich sagen, meine Damen und Herren.
({12})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege
Jan van Aken.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vier
Redner der Koalitionsfraktionen haben es jetzt tatsächlich geschafft, in 20 Minuten Redezeit nicht ein einziges
Mal das Wort „Menschenrechte“ in den Mund zu nehmen. Ich kann es nicht fassen. Sie liefern 200 Panzer an
Saudi-Arabien,
({0})
an die größten Menschenrechtsverletzter. Aber Sie, Herr
Pfeiffer, haben nicht ein einziges Mal das Wort „Menschenrechte“ benutzt.
({1})
Sie haben von Spielzeug geredet und von nichts sonst.
Das finde ich unglaublich.
({2})
Ihre Regierung hat vor kurzem einen Menschenrechtsbericht vorgelegt, in dem sie Saudi-Arabien als
den größten Menschenrechtsverletzter in der Region bezeichnet. Darin zählt sie alle Menschenrechtsverletzungen auf. Das wird jetzt aber völlig weggewischt, und Sie
reden nur noch über Sicherheitsinteressen. Ich finde das
unerträglich. Sie sind damit nicht nur moralisch am
Ende, Ihr Herr Westerwelle ist völlig am Ende. Ich sage
Ihnen einmal, was Herr Westerwelle vor drei Monaten
von dieser Stelle aus gesagt hat. Ich mochte es gar nicht
glauben, als ich es gestern wieder gelesen habe. Herr
Westerwelle hat am 8. April hier etwas sehr Wichtiges
und Richtiges gesagt - hören Sie genau zu! -:
In den Vereinten Nationen setzen wir uns für ein robustes Waffenhandelsabkommen ein, damit Regime, die Menschenrechte mit Füßen treten, …
nicht mehr legal mit Waffen beliefert werden können.
Richtig, Herr Westerwelle! Sind Sie aber noch ganz bei
Trost, zwei Monate später 200 Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden? Wer soll Ihnen überhaupt noch etwas glauben?
({3})
In Deutschland glaubt Herrn Westerwelle sowieso
kein Mensch mehr etwas. Wie will er aber bei den Vereinten Nationen glaubwürdig auftreten? Wie will er den
anderen Partnerländer sagen: „Bei den Vereinten Nationen wollen wir zwar keine Waffenexporte an Menschenrechtsverletzter, aber wir Deutschen machen das mal“?
Das ist doch überhaupt nicht zu glauben. Ich finde, Herr
Westerwelle ist wirklich am Ende.
Es sind nicht nur Panzer. Ich will daran erinnern, dass
auch Sturmgewehrfabriken nach Saudi-Arabien geliefert
werden. Saudische Grenzpolizisten werden von deutschen Polizisten ausgebildet.
({4})
Deutschland hat in den letzten Jahren für 675 Millionen
Euro Rüstungsgüter exportiert.
Herr Trittin, ehe Sie sich hier zu sehr aufspielen, will
ich Ihnen sagen: Unter Ihrer Regierung wurden 2004
zum Beispiel Maschenpistolen und -gewehre nach
Saudi-Arabien geliefert. Ich habe fürchterliche Fotos zu
Hause, auf denen zu sehen ist, wie die von Ihnen gelieferten Maschinenpistolen in den Händen von saudischen
Militärs an der Grenze zum Jemen im Einsatz sind.
Diese Waffen werden dort direkt in Kriegssituationen
eingesetzt. Sie haben da einen radikalen Fehler begangen. Das sollten Sie auch einmal zugestehen.
({5})
Wir haben hier beantragt, dass keine Rüstungsgüter
mehr nach Saudi-Arabien exportiert werden dürfen. Das
wurde in der letzten Woche von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Aber auch die Grünen und die SPD haben dem
Antrag im Auswärtigen Ausschuss in der letzten Woche
nicht zugestimmt. Sie haben sich enthalten. In der letzten
Woche waren Sie noch nicht bereit, einem Waffenexportstopp zuzustimmen. Ich hoffe, Sie werden Ihre Meinung
ändern. Im Oktober werden wir diese Frage zur namentlichen Abstimmung stellen. Dann bin ich einmal gespannt, ob Sie wirklich bereit sind, die Waffenexporte
nach Saudi-Arabien zu stoppen, oder nicht. Da müssen
Sie dann mit Ihrem Namen dafür stehen.
({6})
Eine Frage stelle ich mir die ganze Zeit: Warum machen Sie so etwas überhaupt? Ihnen muss doch klar sein,
dass es in Deutschland einen Riesenaufruhr gibt, wenn
Sie 200 Panzer nach Saudi-Arabien schicken. Jetzt gerade findet draußen vor den Toren parallel schon die
erste Demonstration statt. Wenn Sie eine Umfrage machen würden, wären, so glaube ich, mehr als 90 Prozent
der Menschen in Deutschland absolut gegen einen solchen Panzerexport.
({7})
Warum machen Sie das also? Ich glaube, eine ganz einfache Antwort ist, dass in Ihren Fraktionen zu viele
Lobbyisten der Rüstungsindustrie sitzen.
({8})
Nehmen wir einmal Herrn Kauder. Der weiß schon,
warum er heute nicht hier sitzt. Im Wahlkreis von Herrn
Kauder, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, ist beispielsweise die deutsche Waffenschmiede Heckler &
Koch angesiedelt.
({9})
Heckler & Koch verdient gerade sehr viel Geld damit,
eine Sturmgewehrfabrik in Saudi-Arabien zu bauen. Im
Wahlkreis von Herrn Kauder sitzt auch Rheinmetall, die
sehr viel Geld mit dem Leopard 2 verdienen.
({10})
Herr Kauder hat vor einiger Zeit auf seiner Internetseite
ganz offen geschrieben - ich zitiere -: „Bei der Abwicklung von Exportaufträgen helfe ich gerne.“ Das hat er
jetzt ja wohl gemacht.
({11})
Geholfen hat sicherlich auch die eine oder andere Parteispende. Ich habe nur einmal geschaut, was die beiden
Firmen, die den Leopard bauen - Rheinmetall und
Krauss-Maffei Wegmann -, den Parteien gespendet haben: im Jahre 2009 106 000 Euro an die Koalitionsfraktionen. Das Geld stinkt doch! Wie können Sie es wagen,
auch nur einen einzigen Cent anzunehmen und dann einen milliardenschweren Deal durchzuziehen!
({12})
Ich habe die Hoffnung, dass es bei Ihnen in der CDU,
in der CSU und in der FDP auch noch Anständige gibt.
Man hört ja, dass es auch bei Ihnen Proteste gegen diesen Panzerexport gibt. Was Sie in Ihren Fraktionen jetzt
aber brauchen, ist ein Aufstand der Anständigen. Lassen
Sie das nicht so einfach durchgehen!
({13})
Sie müssen sich jetzt durchsetzen. Ich verstehe ja, wenn
Sie einem Antrag der Linken nicht zustimmen. Sie haben es aber in der Hand, hier im Bundestag einen Antrag
einzubringen, mit dem beschlossen wird, dass keine
Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien exportiert werden.
Dann ist es nicht mehr eine Entscheidung der Bundeskanzlerin und des Herrn Westerwelle, sondern von Ihnen. Ich erwarte jetzt von Ihnen, dass Sie diese Exporte
stoppen.
({14})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
überhaupt keine Waffen mehr exportieren sollte - und
nach Saudi-Arabien schon gar nicht -: keine Panzer,
keine Waffenfabriken, keine Sturmgewehre - gar nichts!
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat: Der Panzerdeal ist eine falsche Entscheidung,
und das zum schlechtesten und ungeeignetsten Zeitpunkt.
({0})
Ich finde, dass jetzt eine Debatte darüber geführt werden muss, ob die Außenpolitik der Bundesregierung tatsächlich, wie Außenminister Westerwelle vor zwei Jahren angekündigt hat, eine wertegebundene Außenpolitik
ist oder ob es nur noch um das Geschäft geht.
({1})
Ich befürchte, es geht zurzeit nur noch um das Geschäft.
Wenn man sich zum Beispiel die deutsch-chinesischen
Regierungskonsultationen vergegenwärtigt, stellt man
fest, dass mehr über das Geschäft die Rede war als über
die Menschenrechte. Bei dem aktuellen Panzerdeal ist,
so glaube ich, das gleiche Leitmotiv zu erkennen.
Deswegen, Herr Kollege Stinner, danke ich Ihnen für
Ihre mutige Forderung, dass das öffentlich wird und sich
die Bundesregierung nicht länger hinter dem Verweis auf
„geheim getroffene Entscheidungen“ versteckt. Solche
Informationen gehören in den Deutschen Bundestag. Ich
hätte mich gefreut, wenn Sie in der letzten Sitzungswoche unserem Antrag zugestimmt hätten, in dem nämlich
genau das gefordert wurde. Deswegen biete ich Ihnen
heute an: Wir bringen den Antrag im September wieder
ein - Stimmen Sie dann zu! -,
({2})
und dann werden wir die Entscheidung, die die Bundesregierung getroffen hat, hier im Deutschen Bundestag
öffentlich diskutieren.
Ich dachte heute Morgen, ich sähe nicht richtig, als
ich in der Süddeutschen Zeitung las, dass ein nicht genannter Vertreter der schwarz-gelben Koalition diese
Entscheidung damit verteidigt hat, dass Saudi-Arabien
der „letzte und wichtigste Stützpfeiler“ in der NahostRegion ist. Ich muss Sie ganz offen fragen: Würden Sie
das dem tunesischen Außenminister, der gestern bei uns
zu Besuch war, wirklich ins Gesicht sagen? Würden Sie
das den jungen Menschen ins Gesicht sagen, die auf dem
Tahrir-Platz für eine andere Gesellschaft, für ein anderes
Regime gekämpft haben?
({3})
Das sind die möglichen Verbündeten von Demokratien
in Europa, denen wir uns zuwenden müssen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich habe
vom ungeeignetsten Zeitpunkt gesprochen: Dort, in der
arabischen Welt, versuchen Menschen trotz Unterdrückung immer noch, die Regime beiseitezuräumen. Das
Verhalten der Bundesregierung ist ein Symbol für ihr falsches Verständnis davon, wie man mit dem arabischen
Frühling umgehen sollte. Sie haben nicht begriffen, was
auf der anderen Seite des Mittelmeeres passiert, und unterstützen es nicht. Sie gehen Kaffeetrinken. Sie suchen
schöne Bilder für den Außenminister, aber machen in
diesem Zusammenhang keine konkrete Politik.
({4})
Herr Wadephul, Sie können doch nicht hier behaupten, dass sich Israel in einer Situation, in der es auch um
seine Existenz geht, tatsächlich auf Saudi-Arabien verlassen will. Sie können doch nicht ein so weit hergeholtes Argument dafür anführen, dass plötzlich 200 Panzer
nach Saudi-Arabien geliefert werden. Dieses Regime
- das wird sich die israelische Regierung sagen - ist
nicht so stabil, wie es hier der eine oder andere behauptet
hat. Das saudi-arabische Königshaus steht nicht nur vor
einem Machtwechsel, sondern auch vor einer innenpolitischen Herausforderung. Diejenigen, die zuletzt möglicherweise entschieden haben, dass 200 Panzer nach
Saudi-Arabien gehen, werden sich in 10 Jahren dafür
verantworten müssen, wenn diese Panzer in Saudi-Arabien in anderen Händen sein werden. Ich finde, das lastet
auf dieser Bundesregierung viel stärker als das eine oder
andere, was hier gesagt worden ist. Sie müssen sich dieser Verantwortung stellen. Das haben Sie bisher weder in
der Fragestunde noch in dieser Debatte hier im Deutschen Bundestag getan.
({5})
Wir wissen - Herr Gabriel hat darauf hingewiesen -,
was in den Richtlinien für den Waffenexport steht. Ich
glaube, Sie können Folgendes nicht in Abrede stellen:
Saudi-Arabien ist ein Spannungsgebiet, und das Land
befördert Spannungen. Es gab unmittelbare Auseinandersetzungen an der jemenitischen Grenze; darüber haben wir im Auswärtigen Ausschuss schon öfter gesprochen. Huthi-Rebellen sind auf die andere Seite, nach
Saudi-Arabien gekommen; dort ist es auch zu Schießereien gekommen. Möglicherweise werden dort demnächst Panzer eingesetzt. Dann werden Sie verantworten
müssen, dass diese Panzer dorthin geliefert worden sind,
obwohl es sich um ein Spannungsgebiet handelt.
Auch auf die Situation in Bahrain ist hingewiesen
worden. Dort sind gepanzerte Fahrzeuge aus Saudi-Arabien eingesetzt worden, um die Demonstranten niederzuknüppeln. Auch das muss hier gesagt werden; denn
die Entscheidung - Sie müssen sie verantworten - steht
auch in diesem Lichte.
({6})
Ich finde es dramatisch, dass der Bundesaußenminister vor zwei Jahren hier gesagt hat: „Ich bin der erste
deutsche Außenminister, der Abrüstung wirklich ernst
nimmt.“ Wo bleibt die Abrüstung, wenn wir 200 Panzer
nach Saudi-Arabien liefern, in eine Region, wo kein
Mangel an Rüstung besteht, aber ein Mangel an Kooperation, Diplomatie und gutem Willen? Sie haben die
Achse der deutschen Außenpolitik in eine ungute Richtung verschoben. Nehmen Sie diese Entscheidung wieder zurück!
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Spiegel Online berichtete in diesen Tagen:
In Saudi-Arabien wächst die Angst vor den iranischen Atomplänen.
Focus Online meldet:
Irans Revolutionsgarden demonstrieren militärische
Stärke …
Es wird von unterirdischen Raketensilos berichtet, in denen Langstreckenraketen stationiert sind. Mit den Raketen könnte man Israel oder US-Stützpunkte in Afghanistan erreichen. Ein iranischer General tönt:
Unsere Raketen wurden genau dafür entwickelt,
potenzielle Bedrohungen durch die USA und das
zionistische Regime zum Ziel zu nehmen.
Das ist die Lage, in der sich diese Region derzeit befindet, und über diese Lage müssen wir sprechen. Wir müssen uns die Frage stellen: Was ist aus Sicht der deutschen
Bundesregierung auf dem Gebiet der Rüstungsexporte
angezeigt?
({0})
Natürlich ist das Thema Menschenrechte in SaudiArabien anzusprechen, wie in allen anderen Ländern
auch, die wir bereisen und die übrigens auch Ihr früherer
Kanzler bereist hat. Ich denke zum Beispiel an China.
Dort war ich mit ihm zweimal unterwegs. Menschenrechtsverletzungen müssen immer angesprochen werden. Dennoch müssen wir uns der realpolitischen Situation stellen
({1})
und uns überlegen: Welche Verantwortung übernehmen
wir, und was tun wir, um in dieser gefährlichen Lage zu
helfen?
({2})
In diesem Zusammenhang sind Ägypten - vom arabischen Frühling war die Rede -, Syrien, Jemen und
Libyen zu nennen; alles hochproblematische Länder.
({3})
Keiner weiß, wie sich die Dinge dort entwickeln werden.
({4})
- Was heißt das? Das heißt, in der jetzigen Situation
müssen wir uns überlegen, wer ein potenzieller starker
Verbündeter ist, ein Stabilitätsfaktor, der helfen kann,
diese Region einigermaßen im Lot zu halten. Das ist die
Lage, in der wir uns befinden. Deswegen bin ich froh darüber, dass eine solche Entscheidung nicht in diesem
Parlament mit derartigen Redebeiträgen, wie wir sie
eben gehört haben, gefällt wird.
({5})
- Frau Roth, ich verstehe zwar, dass man als gelernte
Dramaturgin auf Knopfdruck hysterische Anfälle bekommen und sich furchtbar erregen kann,
({6})
aber das ist nicht die Art, wie man mit solchen Themen
umgeht.
Ich verstehe auch nicht, woher Herr Trittin die
Chuzpe zu solchen Auftritten nimmt, wie er ihn sich
eben geleistet hat. Wo waren Sie denn, Herr Trittin, als
von der rot-grünen Regierung die genannten Waffen an
Saudi-Arabien geliefert wurden, mit denen man typischerweise gegen Demonstranten vorgeht?
({7})
Sie haben Handfeuerwaffen, Zielfernrohre und Maschinenpistolen geliefert. Ich glaube nicht, dass ich alles
noch einmal aufzählen muss. Darüber ist bereits berichtet worden. Oder lesen Sie die Statistik der Rüstungsexporte unter Rot-Grün? Im Jahr 2000 haben Sie für
5,9 Milliarden D-Mark Rüstung exportiert, Herr Trittin.
Wissen Sie das nicht mehr?
({8})
Unter Helmut Kohl ein Jahr davor waren es 1,9 Milliarden D-Mark. Nehmen Sie das zur Kenntnis, und lassen
Sie solche Auftritte, wie Sie ihn sich hier geleistet haben; das ist nämlich Heuchelei.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass in den Parlamenten
in Frankreich oder in den USA - 300 französische Panzer und 300 amerikanische Panzer sind nach Saudi-Arabien geliefert worden - eine solche Diskussion geführt
wird, wie Sie sie hier anzetteln.
({9})
Es geht um etwas anderes - um etwas mehr Ehrlichkeit
in die Debatte zu bringen -: Meine Damen und Herren
von der SPD, ich kenne doch Ihre Gespräche über Rüstungsexporte mit Ihren Freunden von der IG Metall. Wir
wissen doch, wie Sie da herumeiern und um Antworten
ringen, wenn die Gewerkschafter sagen, dass wir unsere
Arbeitsplätze in den Bereichen sichern müssen, in denen
wir Deutsche Kernkompetenz haben. Es ist doch kein
Zufall, dass wir in Deutschland den zugegebenermaßen
technisch besten Panzer herstellen; denn hier gibt es die
beste Technologie. Es ist kein Zufall, dass von derselben
Firma auch der Dingo hergestellt wird - in diesem Fahrzeug kam in Afghanistan zum Glück noch keiner unserer
Soldaten zu Tode -; denn unsere gepanzerten Fahrzeuge
werden mit höchstmöglicher Perfektion hergestellt.
Diese technologische Kernkompetenz will die IG Metall
übrigens erhalten, meine Damen und Herren von der
SPD. Reden Sie also mit ihnen und geben Sie vernünftige Antworten.
({10})
- Nein, wir sollten ehrlich und nicht heuchlerisch sein.
Herr Gabriel, Sie haben bei diesem Thema ja sogar
den Papst bemüht.
({11})
Im Kürschner konnte ich nichts über Ihren Katholizismus finden. Vermutlich sind Sie konfessionslos.
({12})
Das ist ja auch egal; denn es ist Ihre Sache. Aber lassen
Sie doch den Papst beiseite, wenn es um solch schwierige Fragen geht.
({13})
Also Schluss mit der Heuchelei! Ich bitte um Ihr Bekenntnis zu einer vernünftigen, realitätsbezogenen Einstellung zu diesem in der Tat schwierigen Thema.
({14})
Die Menschenrechtslage ist schwierig - Stichwort „arabischer Frühling“ -, das ist uns allen vollkommen klar.
Es ist gut so, dass die Entscheidung nicht hier, sondern
im Sicherheitsrat getroffen wird.
({15})
Das Wort hat der Kollege Michael Groschek für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über den Kollegen Pfeiffer möchte ich hier jetzt nicht
mehr diskutieren. Ich glaube, er hat sich mit seiner Rede
selbst gerichtet.
({0})
Aber ich möchte reden über den Kollegen Dr. Lindner,
über den Kollegen Dr. Wadephul und über den Kollegen
Dr. Uhl, weil ich das, was sie gerade formuliert haben,
nicht einfach so stehen lassen kann. Wenn auch mit sehr
unterschiedlichen Worten, haben Sie alle gerade im Kern
gesagt: Um der Sicherheit der Region willen und aufgrund der Aggressivität des Irans müssen wir ein Gleichgewicht des Schreckens schaffen. Nein, die Lehre der
Geschichte ist nicht, aufzurüsten, um ein Gleichgewicht
des Schreckens hinzubekommen, sondern die Lehre ist,
dass Deutschland, dass der deutsche Außenminister den
Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen endlich
nutzen muss, um die UN-Konferenz 2012 vorzubereiten.
Auf dieser Konferenz wird man sich nämlich mit einer
massenvernichtungswaffenfreien Zone in Nahost befassen. Das muss das Ziel sein und nicht die Schaffung einer Hochrüstungsregion Nahost. Das ist der Unterschied
zwischen Ihnen und uns.
({1})
Ich finde, dass ein Blick in die Reihen der Union lehrreich ist: Herr Polenz fehlt, Herr Lammert fehlt, Frau
Steinbach fehlt, Herr Wellmann fehlt.
({2})
All diese Abgeordneten fehlen, weil sie allem Anschein
nach eine Position vertreten, die unserer sehr ähnlich ist.
Unsere Position entspricht der Position, die Sie selbst
noch vor zwei Monaten formuliert haben, meine Damen
und Herren von Union und FDP. Nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien dieser Bundesregierung
orientiert sich die Sicherheitspolitik in Deutschland unter anderem an der Entwicklung der Demokratie und der
internationalen Entwicklung der Menschenrechte. Wenn
man das ernst nimmt, wenn es wirklich um die Entwicklung und die Gültigkeit der Menschenrechte geht, dann
darf man bezüglich Saudi-Arabiens vieles, aber man darf
keine Panzer nach Saudi-Arabien schicken. Das sind
Ihre eigenen Maßstäbe.
({3})
Herr Dr. Stinner, Chapeau! Langsam wird deutlich,
dass Sigmar Gabriel mit seinem Vorhalt recht hatte, dass
in diesem Zusammenhang keine souveräne deutsche
Entscheidung getroffen wurde. Wir alle werden bei diesem für die deutsche Demokratie skandalösen Vorgang
zu Nickdackeln degradiert. Deshalb wäre es gut, wenn
sich die verantwortlichen Regierungsmitglieder hier und
heute der Diskussion stellen und nicht abtauchen würden.
({4})
Wir hatten doch längst ein Bündnis der Nachdenklichen, zu dem auch Abgeordnete der Union gehörten. Im
Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung“ war eine breite Mehrheit dafür, die
Aufgabe der demokratischen Kontrolle und Begleitung
durch das Parlament einem parlamentarischen Gremium
zu übertragen.
({5})
Die Außen- und Verteidigungspolitiker der Union waren
mehrheitlich dafür. Sie wurden aber zurückgepfiffen.
Mit Blick auf Algerien und Saudi-Arabien dämmert einem langsam, warum sie zurückgepfiffen wurden. Auch
das ist für dieses Haus ein parlamentarischer Skandal.
({6})
Eine letzte Anmerkung. Als Ruhrgebietspolitiker bin
ich der Letzte, der industriepolitische Interessen als gewichtiges politisches Argument nicht zählen lassen
würde. Deshalb sage ich Ihnen: Auch unter industriepolitischen Gesichtspunkten wird hier eine große Dummheit
begangen. Wer allen Ernstes glaubt, dass der Export von
Leopard-2-Panzern, die so nachgerüstet wurden, dass sie
bürgerkriegstauglich sind, nach Saudi-Arabien eine Exportförderung für die deutsche Industrie bedeutet, der
verkennt, dass die junge Leistungselite, und zwar nicht
nur die in der arabischen Welt, sich sehr genau merken
wird, mit welchen Gewehren und mit welchen Panzern
gegen die Freiheitsbewegung in Arabien vorgegangen
wurde.
({7})
Deshalb sage ich: Seien Sie einsichtig! Ziehen Sie
diese unkluge Entscheidung zurück; denn das ist in unser
aller Interesse.
({8})
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Davon, dass sich die Regierung dieser
Diskussion nicht stelle, kann hier nicht die Rede sein.
Wir diskutieren jetzt schon mehrere Stunden über diesen
wichtigen Vorgang. Wir als Parlamentarier bzw. Fraktionen sollten selbstbewusst genug sein, die Regierung, die
wir tragen, an dieser Stelle zu verteidigen. Wir können
dies im Übrigen besser als sie selbst; denn die Mitglieder
des Bundessicherheitsrates dürfen dazu gar nichts sagen.
Das macht die Situation in einer Mediengesellschaft natürlich kommunikativ sehr schwierig; das ist zweifelsfrei
der Fall.
Wir sprechen hier über klassisches Regierungshandeln. Nicht ohne Grund ist schon zu Adenauers Zeiten
- das war bei Brandt und Schmidt nicht anders, und das
soll auch zukünftig so bleiben - die Außenpolitik ein
Bereich gewesen, in dem die Bundesregierung weitreichende Kompetenzen hat. In diesem Bereich bewegen
wir uns gerade. Dass die Demokratie in Deutschland - es
wurden ja schon Zweifel am Parlamentarismus geäußert standhaft genug ist und hier so über dieses Thema diskutiert wird, ist ein gutes Zeichen. Das sollte man nicht
kleinreden.
({0})
Natürlich muss man über die Veröffentlichung solcher
Informationen und über das, was mit den Exporten von
Rüstungsgütern zusammenhängt, diskutieren. Ich frage
mich bei dieser Gelegenheit aber, warum Sie zu Ihrer
Zeit unter Gerhard Schröder nicht im Ansatz versucht
haben - auch früher unter Willy Brandt und Helmut
Schmidt wurde dies nicht getan -, dies zu verändern.
Wir bewegen uns hier in einer Kontinuität aller Regierungen. Vor diesem Hintergrund führen Sie hier ein
Schauspiel auf. Das hat mit einer sachlichen Diskussion
nichts zu tun; das möchte ich ganz deutlich sagen.
({1})
Lassen Sie uns einfach über die Fakten sprechen
- diese sind vorhin schon erwähnt worden -: 2001 sind
Schießanlagen, Schießsimulatoren und unterkalibrige
Übungsmunition im Wert von 31 Millionen DM an
Saudi-Arabien geliefert worden. An Saudi-Arabien wurden Rohteile und Halbzeuge für Handfeuerwaffen, Näpfe
und Ronden für die Munitionsfertigung, Revolver, Pistolen, Sportpistolen und -revolver, Teile für Gewehre und
Karabiner, Maschinenpistolen und Maschinengewehre,
Teile für Patrouillenboote, Herstellungsausrüstung für
Maschinenkanonen, Handfeuerwaffen und Munition, Testeinrichtungen für ECS-Komponenten usw., usf. geliefert.
Ich habe nachgeschaut: Das war im Jahr 2001. 2005 wurden sogar - das steht auf Seite 140 des Rüstungsexportberichtes - Scharfschützengewehre ausgeliefert.
In dieser Zeit waren folgende Personen - nur eine davon ist heute anwesend - Mitglied des Bundessicherheitsrates: Gerhard Schröder, Bodo Hombach, Frank-Walter
Steinmeier - auch er ist nicht anwesend -, Otto Schily,
Rudolf Scharping, Peter Struck, Joschka Fischer, der damalige Wirtschaftsminister Werner Müller, Wolfgang
Clement, Herta Däubler-Gmelin, Brigitte Zypries - auch
sie ist nicht anwesend -, Oskar Lafontaine - hört, hört -,
Hans Eichel und Heidemarie Wieczorek-Zeul. Ich bringe
Sie jetzt in eine missliche Situation, Frau WieczorekZeul, aber ich erwarte gar nicht, dass Sie jetzt etwas dazu
sagen können; denn Sie dürfen es schlichtweg nicht. Sie
können sich für das, was ich hier gesagt habe, gar nicht
rechtfertigen.
({2})
Deshalb ist es richtig, dass das Parlament der Regierung
in solchen Fragen sehr viel Vertrauen entgegenbringt.
Eines ist klar: Eine solch schwerwiegende Entscheidung - sollte sie getroffen worden sein - kann gar nicht
ohne Rücksprache mit den Verbündeten und auch nicht
ohne Rücksprache mit Israel getroffen worden sein.
({3})
Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: In den Debatten,
die wir hier in den vergangenen Wochen über Israel geführt haben, wurden von den Rednern Ihrer Fraktionen
viele Sonntagsreden gehalten: Sie und die Linkspartei
seien Freunde Israels, man habe die DDR vergessen und
überwunden. Aber wenn es darauf ankommt, das strategische Bedrohungspotenzial des Iran zu erkennen, zu
analysieren und ernst zu nehmen, sind Sie außenpolitisch ein absoluter Totalausfall. Sparen Sie sich vor diesem Hintergrund in Zukunft Ihre Sonntagsreden zur Sicherheit Israels und zu den Lehren aus der deutschen
Geschichte.
({4})
Sie sind diplomatisch erfahren genug, um einschätzen
zu können, was der Besuch der Delegation aus Israel
vergangene Woche zu bedeuten hatte. Ist da jemand gegen die anstehende Entscheidung Sturm gelaufen? Nein.
Sie können sich gerne mit den Leuten - Sie stehen ja in
Kontakt mit ihnen - darüber unterhalten. Ich akzeptiere
aber nicht, dass Sie nach Israel fahren und in Yad Vashem große Reden schwingen, in denen Sie sagen:
„Deutschland ist euer wichtigster Partner“, während Sie
hier die Bundesregierung, wenn diese eine strategische
Entscheidung trifft, bitterlich im Stich lassen. Das ist inakzeptabel.
({5})
Zu Saudi-Arabien ganz kurz. Saudi-Arabien hat die
Annapolis-Konferenz unterstützt. Es hat uns in der Terrorabwehr geholfen und dazu beigetragen, dass wir Informationen zu den Briefbombenattentätern bekommen
haben.
Im Nahen Osten ist nichts schwarz oder weiß. Es gibt
nur die leuchtende Flamme der Freiheit Israels. Ansonsten ist alles grau. Deshalb müssen Sie immer abwägende
Entscheidungen treffen.
Herzlichen Dank.
({6})
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 7. Juli 2011, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.