Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/30/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Elvira Drobinski-Weiß und dem Kollegen Michael Schlecht zum jeweils 60. Geburtstag gratulieren, den sie am vergangenen Wochenende gefeiert haben, und im Namen des ganzen Hauses gute Wünsche übermitteln. ({0}) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt anstelle des aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Alexander Bonde den Kollegen Dr. Gerhard Schick als neues Mitglied im Gremium gemäß § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Schick in das Gremium gewählt. ({1}) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nr. 1 b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 1 und 2 auf Drucksache 17/6273 ({2}) ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Die Energiewende zukunftsfähig gestalten - Drucksache 17/6292 ZP 4 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Volker Beck ({3}), Cornelia Behm, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({4}) - Drucksache 17/6302 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 5 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver- fahren a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Heinz-Joachim Barchmann, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 - Konzept zum „Greening“ der Direktzahlungen vorlegen - Drucksache 17/6299 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({6}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansChristian Ströbele, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortlichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf Eichmann - Drucksache 17/4586 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({7}) Auswärtiger Ausschuss ({8}) Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Stuttgart 21 - Ergebnis des Stresstests respektieren - Keine Blockadepolitik ZP 6 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 17/6290 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({9}) Rechtsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tarifvertragssystem stärken - Allgemeinverbindliche Tariflöhne und branchenspezifische Mindestlöhne erleichtern - Drucksache 17/4437 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({10}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Tourismus ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und eines … Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 17/6291 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({11}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts - Mehr Transparenz und Verantwortung für das Gemeinwohl - Drucksache 17/6305 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({12}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stuttgart 21 - Kein Weiterbau ohne Nachweis der Leistungsfähigkeit und ohne Klärung der Kosten und Risiken - Drucksache 17/6320 - ZP 11 a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Einführung eines Ordnungsgeldes - Drucksache 17/5471 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({13}) - Drucksache 17/6309 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christian Lange ({14}) Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({15}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Geschäftsordnungsausschusses Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Einführung eines Ordnungsgeldes ({16}) - Drucksache 17/6309 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christian Lange ({17}) Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({18}) ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Schmidt ({19}), Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Claudia Roth ({20}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes vorbereiten und unverzüglich umsetzen - Drucksache 17/6301 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({21}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Tourismus ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland, Volker Beck ({22}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gutachten über die geplanten EU-Fluggastdatenabkommen mit den USA und Australien Präsident Dr. Norbert Lammert beim Gerichtshof der Europäischen Union einholen - Drucksache 17/6331 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({23}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD „Kulturelles Erbe 2.0“ - Digitalisierung von Kulturgütern beschleunigen - Drucksache 17/6296 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({24}) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Personelle und institutionelle Kontinuitäten und Brüche in deutschen Ministerien und Behörden der frühen Nachkriegszeit hinsichtlich NS-Vorgängerinstitutionen systematisch untersuchen - Drucksache 17/6318 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({25}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Gloser, Dr. Rolf Mützenich, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Den Nahost-Friedensbemühungen neuen Schwung verleihen - Drucksache 17/6298 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({26}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Priska Hinz ({27}), Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Legislativvorschlägen der Europäischen Kommission „Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU“ ({28}) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Bundesregierung muss unverzüglich europäisch gestalten - Drucksache 17/6316 ZP 18 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({29}) zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu dem Vorschlag für eine Verordnung ({30}) Nr. …/… des Rates zur Änderung der Verordnung ({31}) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit - Ratsdok.-Nr. 14496/10 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten - Ratsdok.-Nr. 14497/10 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet - Ratsdok.-Nr. 14498/10 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung ({32}) Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken - Ratsdok.-Nr. 14520/10 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes - Drucksachen 17/5904, 17/6168 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({33}) Roland Claus Priska Hinz ({34}) ZP 19 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({35}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, Michael Schlecht, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu dem Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet ({36}) und Präsident Dr. Norbert Lammert zu dem Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte ({37}) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes - Drucksachen 17/5905, 17/6175 Berichterstattung: Abgeordneter Garrelt Duin ZP 20 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Einschränkung des Versammlungsrechts durch Massenfunkzellenabfrage Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 9, 10, 13, 17 a und 40 werden abgesetzt. Hierdurch kommt es zu den ebenfalls in der Zusatzpunktliste dargestellten Änderungen des Ablaufs. Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 10. Juni 2011 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({38}) zur Mitberatung überwiesen werden: Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts - Drucksache 17/6052 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({39}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Der am 27. Mai 2011 überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Innenausschuss ({40}) zur Mitberatung überwiesen werden: Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Katrin Kunert, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rekommunalisierung beschleunigen - Öffentlich-Private-Partnerschaften stoppen - Drucksachen 17/5776 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({41}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Können Sie sich auch damit anfreunden? - Das ist of- fensichtlich so. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis p sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: 4 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes - Drucksache 17/6070 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes - Drucksache 17/6246 - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für eine beschleunigte Stilllegung von Atomkraftwerken - Drucksache 17/5179 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dorothee Menzner, Eva BullingSchröter, Ralph Lenkert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes - Keine Übertragbarkeit von Reststrommengen - Drucksache 17/5472 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes und zur Wiederherstellung des Atomkonsenses - Drucksache 17/5035 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes - Abschalten der acht unsichersten Atomkraftwerke - Drucksache 17/5180 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes ({42}) - Drucksache 17/5931 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({43}) - Drucksache 17/6361

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein Marco Bülow Dorothee Menzner Sylvia Kotting-Uhl - Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/6362 - Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte Sören Bartol Heinz-Peter Haustein Sven-Christian Kindler Michael Leutert b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Menzner, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sofortige Stilllegung der sieben ältesten Atomkraftwerke und des Atomkraftwerks Krümmel - zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Menzner, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling- Schröter, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Atomausstieg bis 2014 - Für eine erneuer- bare und demokratische Energieversorgung - zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Nestle, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versorgungssicherheit transparent machen - Keine Experimente mit atomarer „Kaltre- serve“ - Drucksachen 17/5478, 17/6092, 17/6109, 17/6361 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein Marco Bülow Dorothee Menzner Sylvia Kotting-Uhl c) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien - Drucksache 17/6071 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien - Drucksache 17/6247 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) - Drucksache 17/6363 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Dirk Becker Dorothee Menzner d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) - zu dem Antrag der Fraktion der SPD Energiewende jetzt - zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Atomzeitalter beenden - Energiewende jetzt - Drucksachen 17/5182, 17/5202, 17/6363 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Dirk Becker Dorothee Menzner e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) - zu dem Antrag der Fraktion der SPD 10 Jahre EEG - Auf dem besten Weg zu ei- ner ökologischen und sozialen Energiewende - zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Erneuerbare Energie ausbauen statt Atom- kraft verlängern - Drucksachen 17/778, 17/799, 17/4953 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Dirk Becker Dorothee Menzner f) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 17/6072 13366 Präsident Dr. Norbert Lammert - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 17/6248 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5}) - Drucksache 17/6365 - Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Auf dem Weg zu einem nachhaltigen, effizienten, bezahlbaren und sicheren Energiesystem - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil ({8}), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD Programm für eine nachhaltige, bezahlbare und sichere Energieversorgung - zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schutzschirm für Stromkunden - Bezahl- bare Energiepreise gewährleisten - Drucksachen 17/5181, 17/5481, 17/5760, 17/6365 - Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann h) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze - Drucksache 17/6073 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze - Drucksache 17/6249 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({9}) - Drucksache 17/6366 Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Nestle - Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/6367 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Klaus Brandner Roland Claus Priska Hinz ({11}) i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12}) zu dem Antrag der Abge- ordneten Ingrid Nestle, Hans-Josef Fell, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Modernisierung der Stromnetze - Bürgernah, zügig, für erneuerbare Energien - Drucksachen 17/5762, 17/6366 - Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Nestle j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil ({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Energieeffizienz verbessern - Auf dem eu- ropäischen Sondergipfel zur Energiepolitik am 4. Februar 2011 verbindliche Maßnahmen vereinbaren - Drucksachen 17/4528, 17/4785 - Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Nestle k) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden - Drucksache 17/6074 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden - Drucksache 17/6251 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({15}) - Drucksache 17/6358 Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Präsident Dr. Norbert Lammert Lothar Binding ({16}) Dr. Birgit Reinemund - Bericht des Haushaltsausschusses ({17}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/6360 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({18}) Roland Claus Priska Hinz ({19}) l) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energieund Klimafonds“ ({20}) - Drucksache 17/6252 ({21}) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“({22}) - Drucksache 17/6075 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({23}) - Drucksache 17/6356 - Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Sören Bartol Roland Claus Sven-Christian Kindler m)- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden - Drucksache 17/6076 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden - Drucksache 17/6253 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({24}) - Drucksache 17/6357 - Berichterstattung: Abgeordneter Hans-Joachim Hacker n) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung schifffahrtsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 17/6077 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung schifffahrtsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 17/6254 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({25}) - Drucksache 17/6364 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Valerie Wilms o) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({26}) zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Oliver Krischer, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ungebundene EU-Mittel aus dem Konjunkturpaket ({27}) unverzüglich für mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien nutzen - Drucksachen 17/4017, 17/5225 Berichterstattung: Abgeordneter Volkmar Vogel ({28}) p) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Dorothee Menzner, Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({29}) - Drucksache 17/5474 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({30}) - Drucksache 17/6349 Berichterstattung: Abgeordnete Ingo Wellenreuther Michael Hartmann ({31}) Jan Korte Wolfgang Wieland ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Die Energiewende zukunftsfähig gestalten - Drucksache 17/6292 ZP 4 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Volker Beck ({32}), Cornelia Behm, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundge13368 Präsident Dr. Norbert Lammert setzes ({33}) - Drucksache 17/6302 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({34}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke vor. Über vier Vorlagen werden wir im Anschluss an die Debatte namentlich abstimmen. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat die Anträge der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Rückstellungen im Kernenergiebereich auf den Drucksachen 17/5901, 17/5480 und 17/6119 nicht in seine Beschlussempfehlung einbezogen. Diese Vorlagen sollen heute nicht behandelt werden. - Ich höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. Auch dazu darf ich Einvernehmen feststellen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Dr. Norbert Röttgen. ({35})

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Hohe Haus wird heute nach mindestens 30-jähriger kontroverser und zum Teil unversöhnlicher Debatte über die Energiepolitik in unserem Land einen energiepolitischen Konsens beschließen. Das ist ein Ereignis für sich. Ich glaube, dass das heute im Zentrum steht und auch als Signal an unser Land und an die Bevölkerung geht. Wir haben monatelang - beileibe nicht nur in den letzten drei Monaten - über Cent-Beträge, über halbe Prozentpunkte und über Jahreszahlen diskutiert. Diese Debatte hat das Land geprägt und geht heute über die Fraktionen und die Parteien hinweg in eine gemeinsame Entscheidung des Bundestages, des Parlaments, ein. Ich glaube, nach den Gesprächen kann man sagen, dass sie auch von allen Bundesländern akzeptiert wird und dass sie ihr in der nächsten Woche zustimmen werden. Ich glaube, dass das eine wirkliche Weichenstellung ist, mit der unser Land jetzt dieses gemeinsames Projekt beschließt. Es ist ein nationales Gemeinschaftsprojekt, das heute beschlossen wird. Das ist ein sehr guter Tag für Deutschland, für unser Land. ({0}) Es ist damit nichts beendet, sondern dieses nationale Gemeinschaftswerk geht jetzt los. Die Deutschen, unser Land, wollen dabei mitmachen. Es ist wirklich ein Gemeinschaftsprojekt, nicht nur der Politik, sondern des gesamten Landes. ({1}) Es sind die Unternehmen, die mitmachen wollen und die mitmachen werden. Es ist das Handwerk, das sich darauf freut, unser Land erneuerbar, innovativ und effizient zu machen. ({2}) Es ist die Elektroindustrie. Es ist die IT-Branche, die sich darauf freut und vorbereitet hat, mit intelligenten Netzen und intelligenten Leitungen ein ganz neues Industriefeld zu entwickeln. ({3}) Es ist die Chemieindustrie. Es ist die Automobilindustrie mit dem Projekt der Elektromobilität. Es ist der Maschinenbau. Es ist die Energiewirtschaft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick, bitte. Wir haben uns gerade darauf verständigt, zweieinhalb Stunden zu debattieren. Dabei besteht reichlich Gelegenheit, das, was jetzt in Zwischenrufen völlig unverständlich herüberkommt, in einer für die deutsche Öffentlichkeit nachvollziehbaren Weise vorzutragen. - Im Augenblick hat der Umweltminister das Wort. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass man über jedes Detail reden und dass man in dem einen oder anderen Punkt auch unterschiedlicher Auffassung sein kann. Aber man muss auch ein Gespür dafür haben, dass es jetzt nicht nur darum geht, recht zu haben und in einzelnen Punkten auf seiner Meinung zu bestehen, ({0}) sondern man muss auch begreifen, dass jetzt dieses nationale Werk in Deutschland losgeht. Wir laden Sie noch einmal dazu ein und begrüßen es, dass Sie bei diesem Projekt dabei sind. Es ist positiv für unser Land, dass es jetzt losgeht. Sie sollten jetzt endgültig über Ihren Schatten springen. Das tun andere auch. ({1}) Es ist doch ausgesprochen positiv, wenn etwa der Chef von Eon, der die Entscheidung über den Ausstieg aus der Kernenergie so nicht befürwortet, sondern der dagegen argumentiert hat, jetzt, nachdem mit dem heutigen Tag absehbar und klar ist, wie die Entscheidung ausgeht, öffentlich erklärt, diese Energiewende sei eine „riesige Chance“ für das Land. Es ist doch positiv, dass jetzt alle, auch die Energiewirtschaft, sagen: Wir stellen uns an die Spitze dieser Bewegung, die vorteilhaft sein wird und die große Chancen für unser Land beinhaltet. Wir alle hier im Haus wollen das gemeinsam. Es ist die Koalition, die diesen Prozess angeführt hat, ({2}) aber wir alle kommen in diesem Prozess zusammen. ({3}) Es ist der Koalitionsvertrag, der dieses Land in das Zeitalter der erneuerbaren Energien führt. ({4}) Es sind nicht nur die Unternehmen, die an diesem Gemeinschaftswerk mitwirken werden, sondern das sind die Wissenschaft und die Forschung. Das sind die 140 000 Ingenieure unseres Landes, die das als ihr Projekt ansehen. Es sind ganze Institute und Lehrstühle, Forscher und Forschernetzwerke - ich war in der letzten Woche in der TH Aachen -, die sich jetzt zu nationalen Zentren der Energieforschung zusammenschließen, weil sie wissen, dass es um die Zukunft unseres Landes geht. Diese Forscher, Ingenieure, Wissenschaftler machen dabei mit. Das macht unser Land stark. ({5}) Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die dieses Projekt der Energiewende wollen, die mitmachen wollen und werden. ({6}) Sie sind dabei. Sie wissen, dass dieser Prozess nicht umsonst ist. Natürlich ist das ein Investitionsvorhaben. Natürlich kostet das auch etwas. Aber es wird keinen überfordern. Die Leute wissen das. Die Leute wissen auch: Wenn man die neue Energieversorgung haben möchte, dann gehört auch eine neue Infrastruktur dazu. Wir brauchen die Leute gar nicht zu belehren und so tun, als würden sie sich immer nur die Rosinen herauspicken. Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen in diesem Lande bei diesem Projekt der Energiewende und der neuen Energiepolitik voll dabei sind. Es ist zuallererst ein Bürgerprojekt, das heute in Gang gesetzt wird. ({7}) Denn genau das ist der Punkt: dass mit dem heutigen Tag die Gesellschaft an den Start geht. Damit sind alle Streitigkeiten und Auseinandersetzungen in den Grundfragen beigelegt. Es mag zwar sein - so empfinde ich das bei Ihren Zwischenrufen -, dass der eine oder andere doch noch Schwierigkeiten hat, sozusagen ein parteipolitisches Thema zu verlieren, ({8}) aber dadurch, dass der eine oder andere von Ihnen ein parteitaktisches Thema verliert, gewinnt das Land umso mehr. Sie haben sich in Ihren Parteien richtig entschieden, meine Damen und Herren. ({9}) Vollziehen Sie diesen Schritt nun konsequent weiter! Aus solchen Streitigkeiten und Spaltungen der Gesellschaft mag man zwar parteipolitisches Kapital schlagen, ({10}) aber jetzt geht es darum, das Land voranzubringen. ({11}) Das haben Sie auch verstanden. Sie sollten sich in Ihren Zwischenrufen nicht weniger intelligent benehmen als gleich in Ihrem Abstimmungsverhalten. ({12}) Bekennen Sie sich dazu, dass Sie mitmachen! Es ist richtig, dass Sie mitmachen, weil es zu dem Konsens dazugehört. Sie müssen und dürfen auch dazu stehen. Was geschieht in der Sache? Wir haben beschlossen, die Kernenergie in Deutschland mit klaren Zeitpunkten versehen zu beenden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, gestatten Sie Zwischenfragen?

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Nein, ich würde gerne im Zusammenhang reden. ({0}) - Ja, ganz bestimmt. Wir werden die Kernenergie erstmalig bezogen auf konkrete Daten für jedes Kernkraftwerk in Deutschland beenden. Es sind jetzt acht Kernkraftwerke, die nicht mehr ans Netz gehen werden. Zwei davon sind seit Jahren nicht am Netz. Das heißt, es geht darum, dass 6,5 Gigawatt Leistung nicht mehr ans Netz gehen. Das sind 6,5 von 93 Gigawatt gesicherter Leistung bei 82 Gigawatt Spitzenlast, die auf uns zukommen. Das ist absolut verkraftbar. Das ist alles anspruchsvoll, aber das werden wir sicher, weil wir alle diese Themen im Blick haben, realisieren und schaffen können. Ab dann gibt es einen sukzessiven und klar gestalteten Prozess, der Sicherheit schafft. Alle können sich jetzt darauf einstellen und werden sich auch darauf einstellen. Wir werden den Umstieg schaffen. Denn der Konsens, den wir herbeiführen, ist weit mehr als ein Ausstiegskonsens: Es ist ein Umstiegskonsens. Es geht um den Umstieg auf erneuerbare Energien mit entsprechender Förderung, die aber immer weniger werden soll. Es ist vielleicht einer der Diskussionspunkte, über die wir noch reden müssen. Meine Vorstellung bzw. die Vorstellung der Koalition ist nicht, dass es umso besser ist, je länger und höher die Förderung gewährt wird. Der Ehrgeiz bei den erneuerbaren Energien liegt vielmehr darin, dass sie im Markt ankommen und eines Tages keine Förderung mehr bekommen. Wir wollen nämlich die neuen Technologien vorrangig mit marktwirtschaftlichen Mitteln in den Markt einführen. Dieses Ziel verfolgen wir mit dem EEG und der Novelle des EEG. ({1}) Wir machen darum das Erneuerbare-Energien-Gesetz so wirtschaftsfreundlich und industriefreundlich, wie es noch nie war, weil es alte Gegensätze sind, die neuen Technologien zu fördern und gleichzeitig Industrieland bleiben zu wollen. Um das klar zu sagen: Wir als Koalition wollen alle Beiträge leisten, dass wir Industrieland bleiben. Wir wollen wirtschaftlich erfolgreich sein. Wir wollen sogar an der Spitze stehen. Wir wollen Wachstum haben, aber wir wollen und werden es schaffen, Wachstum so zu organisieren, dass wir nicht die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen aufzehren. Das ist das große Projekt, das wir in der Energiepolitik realisieren. Weit darüber hinaus schaffen wir eine Perspektive für Natur und generationenverträgliches Wachstum, national und international. ({2}) Die Energieversorgung wird dezentraler werden. Photovoltaik, Windenergie an Land und Biomasse bedeuten dezentrale Energieversorgung. Es macht keinen Sinn, die eine Technologie gegen die andere auszuspielen. Windenergie an Land und Windenergie auf hoher See sind unterschiedliche Technologien in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Sie werden von uns spezifisch gefördert, weil wir die Technologien jetzt loslassen und sich bewähren lassen wollen. Dann werden sich die besseren durchsetzen. Die Versorgung mit erneuerbaren Energien wird mittelständischer sein. Wir werden als großes Industrieland weiterhin das Engagement großer Energieversorgungsunternehmen brauchen. Aber es werden sich viel mehr Mittelständler dort engagieren. Ob kleine oder mittelständische Unternehmen: Die Energieversorger werden dezentral Energie erzeugen. Die Energieversorgung in Deutschland wird technologisch anspruchsvoller werden, nicht nur die konventionellen Technologien, die fossile Energieversorgung und die nukleare Energieversorgung. Es wird vielmehr ein permanenter technologischer Lernprozess und Innovationsprozess in unserem Land starten. Die Energieversorgung wird sehr viel stärker vom Verbraucher her gesteuert, weil wir nicht mehr nur Leitungen haben, in die Elektronen hineingeschossen werden - dabei ist der Verbraucher ein passiver Abnehmer -, sondern weil der Verbraucher in Zukunft mit intelligenten Zählern und intelligenten Leitungen selber bestimmen kann, wann er welchen Strom zu welchem Preis beziehen will. Die Autonomie des Verbrauchers wird erheblich gestärkt werden. Wir werden eine heimischere Energieerzeugung bekommen. Wir werden die Abhängigkeiten vom Import, politische und geopolitische Abhängigkeiten, aber auch die Volatilität des Preises, also wirtschaftliche Abhängigkeiten, reduzieren. Wir werden den Import, also dass wir in Deutschland Geld verdienen und dafür Energiebrennstoff im Ausland kaufen müssen, deutlich reduzieren. Wir werden die Einkäufe aus dem Ausland ersetzen durch eine Wertschöpfung in Deutschland. Dadurch sind bereits bis heute 350 000 Arbeitsplätze in dieser Branche entstanden. Es werden mehr werden, weil wir die heimische Wertschöpfung mit der Energieversorgung fördern. ({3}) Sie wird auch wettbewerbsfähiger werden. ({4}) Natürlich ist das ein Lernprozess, bei dem es um ständige Anpassungen geht. ({5}) - Das ist klar. Manche mögen die Selbsteinschätzung haben, dass sie nicht mehr lernen müssen und schon immer alles wissen. Aber denjenigen, die von sich selber glauben und sich selber beklatschen, dass sie schon immer alles gewusst haben und die beste Politik für Deutschland machen, sage ich: Ein bisschen Demut täte allen gut. ({6}) Wir wollen das Land nach vorne führen. ({7}) Die erneuerbaren Energien werden durch diese Bundesregierung nach vorne gebracht. Es ist diese Koalition, die die erneuerbaren Energien nach vorne führt. Der Anteil der erneuerbaren Energien beträgt derzeit 19 Prozent. Es ist diese Koalition, die in den letzten Monaten den nun erzielten Konsens organisiert hat ({8}) und einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, dass unser Land nun das - so glaube ich - mit Abstand bedeutsamste Investitions-, Innovations- und Modernisierungsprojekt in Angriff nimmt. Wir legen dafür die entsprechenden Gesetze vor. Es handelt sich um acht Gesetzentwürfe, ein Gesetzgebungspaket, das den Rahmen dafür absteckt. Manche im Ausland fragen: Werden die Deutschen das schaffen? Kann man das überhaupt schaffen? Denn es ist erstmalig und deshalb bislang einmalig, dass sich ein großes Industrieland bereit erklärt, eine solche technologisch-wirtschaftliche Revolution durchzuführen. Wir tun das, weil wir glauben, dass das gut für unser Land ist. Aber selbst diejenigen im Ausland, die das beklagen, sagen: Wenn es ein Land schaffen kann, dann ist es Deutschland. Die Botschaft des heutigen Tages lautet: Die Deutschen machen sich ans Werk. Es wird gut für unser Land sein, weil wir alle zusammenstehen. Also machen wir uns ans Werk! Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion. ({0})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man eben die Augen bei der Rede von Herrn Röttgen geschlossen hat, hat man sich gefragt: Ist er es eigentlich selber oder sein Karikaturist, der da spricht? Das war nicht ganz klar. ({0}) Herr Röttgen, ich nehmen Ihnen Ihre Rede wirklich nicht übel. Wer zur Atomenergie seine Meinung so oft gewechselt hat wie Sie, immer im Zusammenhang mit der Frage „Welchen nächsten Job peile ich eigentlich an, den des BDI-Geschäftsführers, den im Kabinett oder vielleicht Schwarz-Grün?“, dem darf man nicht übel nehmen, dass er so laut und mit so viel Pathos spricht; denn so jemand muss sich eigentlich selber erst einmal vom Gegenteil dessen, was er vorher so alles erzählt hat, überzeugen. ({1}) Alle Achtung! In einem hat er allerdings recht: Die Bürgerinnen und Bürger sind die Trägerinnen und Träger der Energiewende. Nur sind sie das, Herr Röttgen, schon seit fast 30 Jahren. Die Wahrheit ist: Die Bürgerinnen und Bürger haben dies gegen Sie und Ihre Regierungskoalition durchgesetzt. Das ist es, was hier in Deutschland stattgefunden hat. ({2}) Natürlich wird der heutige Tag in die Geschichtsbücher eingehen; es ist wirklich ein historischer Tag. Die weit übergroße Mehrheit des Hauses entscheidet sich gegen die Atomenergie und für den Ausstieg. Die SPD tut das mit großem Selbstbewusstsein. Wir haben diesen Schritt vor fast 30 Jahren bereits als notwendig erachtet, vor der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. ({3}) - Ja, 1983, Hans-Jochen Vogel. - Wir haben das in einer Art und Weise getan, Herr Röttgen, an der Sie sich hätten ein Beispiel nehmen können. Willy Brandt hat vor 25 Jahren öffentlich erklärt, sinngemäß: Dass wir einmal an die Atomenergie geglaubt haben, das war ein Fehler. Wir haben uns getäuscht in unserem Glauben an die Unfehlbarkeit des Menschen und der Technik, und wir sind als Sozialdemokraten bereit, zu sagen: Diesen Fehler müssen wir rückgängig machen. Den Mut und die Größe, die Brandt und Vogel damals hatten, hätten Sie heute an den Tag legen müssen. Dann wäre das, was Sie da so erzählt haben, etwas glaubwürdiger geworden. ({4}) Millionen von Menschen brauchten keine EthikKommission in Deutschland, um zu wissen, dass es eine Hybris ist, den Menschen fast gottgleich zum unfehlbaren Herrscher der bislang größten Risikotechnologie zu erklären. Deshalb ist klar, der Unterschied zwischen Ihnen bei CDU/CSU und FDP einerseits und uns und auch den Grünen andererseits liegt auf der Hand: Wir beschließen das hier aus voller Überzeugung, Sie jedoch aus Gründen des schieren Machterhalts, der selbstverschuldeten Alternativlosigkeit und einer Haltung, die Sie stets gern anderen seit Jahr und Tag vorwerfen, nämlich blankem Opportunismus. ({5}) Herr Röttgen, ich weiß nicht, ob es Ihnen entgangen ist: Wir haben in diesem Haus bereits einmal einen Energiekonsens verabschiedet. 1998 hatten wir mit den Grünen endlich die Mehrheit und konnten nach einem langen Diskussionsprozess mit allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere mit der Energiewirtschaft und der Industrie, dann vor elf Jahren den Ausstieg aus der Atomenergie beschließen. Mehr als 20 Jahre Zeit wollten wir uns für diesen Ausstieg nehmen - wir sind damals auch von den Umweltverbänden kritisiert worden, dass wir es nicht schneller wollten -, 20 Jahre Zeit, Schritt für Schritt heraus aus der Atomenergie, Schritt für Schritt hinein in die erneuerbaren Energien. Das ist der große Unterschied zu dem politischen Handeln dieser Regierung. Noch vor einem halben Jahr wollten CDU/CSU und FDP, Frau Merkel und Herr Röttgen an der Spitze, die Laufzeiten der Atomkraftwerke um 14 Jahre verlängern. Sie wollten 14 Jahre längere Laufzeiten selbst für alte Atomkraftwerke. Aus einem verlässlich geplanten Ausstieg aus der Atomenergie machten sie eine für die Industrie scheinbar verlässliche Verlängerung der Nutzung der Atomenergie. Die Folgen waren klar: Die Investitionen in die erneuerbaren Energien gerieten ins Stocken. Die Modernisierung des Kraftwerksparks kam zum Erliegen. Entlassungen bei den Kraftwerksbauern waren die Folge. Sie, meine Damen und Herren, Frau Merkel, Herr Röttgen, Herr Westerwelle und alle, die dazugehören, haben eine der größten Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik Deutschland, die erneuerbaren Energien, im vollen Lauf gestoppt. Das ist es, was Sie hier vor einigen Monaten getan haben. ({6}) Ich finde es gut, Herr Röttgen, dass Sie sich hier hinstellen und sagen: 350 000 Arbeitsplätze haben wir geschaffen. - Ja, mit einem Erneuerbare-Energien-Gesetz, gegen das Sie, Frau Bundeskanzlerin, hier im Haus gestimmt haben! Das ist doch die Wahrheit, über die wir hier heute sprechen. ({7}) Vor einem halben Jahr haben Sie Millionen von Menschen verunsichert. Diejenigen, die längst zum Träger der Energiewende geworden waren, Herr Röttgen, brauchten Sie nicht zu überzeugen; denn das waren sie schon. Denjenigen haben Sie gesagt: April, April, marsch zurück ins Atomzeitalter! ({8}) Das alles nur, weil Sie vier großen Energiekonzernen im Hinterzimmer zwei- und dreistellige Milliardengewinne zuschustern wollten. ({9}) Nun, keine sechs Monate später, die komplette Kehrtwendung! Damit Sie mich nicht falsch verstehen, Frau Bundeskanzlerin: Wir freuen uns, dass Sie hier den Atomausstieg mit uns endlich gemeinsam beschließen. Wir tun dies auch gerne zum zweiten Mal. Für Deutschland und die Sicherheit in unserem Lande ist es ein guter Tag. Wir freuen uns auch, weil dies für uns - übrigens auch für die Antiatombewegung - ein Tag großer Genugtuung ist. 30 Jahre Häme, 30 Jahre Verleumdung, 30 Jahre Beleidigung und Diffamierung, das haben wir von Ihnen erfahren. Heute stimmen Sie endlich dem rot-grünen Ausstieg zu. Wir erleben heute einen Tag großer Genugtuung. ({10}) Bei aller Chuzpe und allen rhetorischen Tricks und Kniffen, mit denen Sie im Nachhinein Ihre energiepolitischen Wenden erklären wollen: Dieser Tag bedeutet nichts anderes als Ihr energiepolitisches Waterloo; denn dieser Ausstieg ist unser Ausstieg, und dabei wird es auch bleiben. ({11}) Aber klar ist auch: Die Art und Weise, wie Sie es machen, ist mit erheblichen Risiken verbunden. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft Europas und eine der größten der Welt. ({12}) Im Kern unseres Landes ist die Industrieproduktion Grundlage unseres Wohlstandes. Die Energieversorgung ist das Herz-Kreislauf-System der deutschen Volkswirtschaft. Sie, Frau Merkel, operieren alle sechs Monate am offenen Herzen, und zwar mit wechselnden Diagnosen. Das muss jetzt ein Ende haben. Wissen Sie, warum wir heute zustimmen? Nicht weil wir nicht glaubten, es ginge auch schneller, sondern weil wir glauben, dass endlich wieder Planbarkeit und Berechenbarkeit in die Energiepolitik zurückkommen müssen, damit Deutschland auch Industriestandort bleiben kann und nicht ständig durch Sie, durch Ihr Hin und Her, verunsichert wird. ({13}) - Herr Kauder, ich weiß ja nicht, ob Sie Zeitung lesen. Weil Sie immer so schön dazwischenrufen, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass gestern der Aufsichtsratsvorsitzende der BASF einen Artikel in der Bild geschrieben hat. Ich lese Ihnen daraus vor: Insbesondere die energiepolitische Diskussion der letzten Wochen zeigt aber, dass uns diese Erfolge zu Kopf gestiegen sind. Wir halten für selbstverständlich, was nicht selbstverständlich ist. Wir ignorieren die Industrie als Grundlage unseres Wohlstandes. Ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist: Er meint Sie. Er meint das, was Sie hier im Land treiben. Alle sechs Monate die Energiepolitik zu ändern, das kann nur ein Land überleben, das so kräftig wie Deutschland ist. Jedes andere Land wäre durch diese Form der Planlosigkeit der Energiepolitik, die Sie an den Tag gelegt haben, in den Bankrott geritten worden. ({14}) - Nein, nein, Herr Kauder. - Was Frau Merkel veranstaltet, ist das größte wirtschaftspolitische Experiment seit der deutschen Einheit. Mit einem Unterschied: Es war unnötig. Wir waren auf einem guten, berechenbaren Weg. Aber wer Energiepolitik in hektischen Wendungen betreibt, muss wissen, dass das einfach Milliarden Euro kostet. ({15}) Wer den Kraftwerksbau erst zum vollständigen Erliegen bringt, um ihn dann umso schneller anzufahren, der treibt die Preise in die Höhe. Wer alle Energieeinsparprogramme aus der Zeit der Großen Koalition verstümmelt oder ganz abschafft, der muss sich nicht wundern, dass gegen steigende Strompreise niemand mit Kostensparen ankommen kann. Sie ganz persönlich, Frau Bundeskanzlerin, haben mit Ihrer Laufzeitverlängerung für die Atomindustrie unserem Land wirtschaftlich enorm geschadet. Die Kosten gehen in die Milliarden. ({16}) Es ist Ihre Stop-and-go-Politik, die alles viel teurer macht. Mit dem berechenbaren und kontinuierlichen Ausstieg von Rot-Grün wäre es wesentlich klüger gewesen. Diese Kostensteigerungen haben weder die Bürger noch die Industrie zu verantworten. Ich bin froh, dass die SPD-Ministerpräsidenten in den Verhandlungen mit Ihnen dafür gesorgt haben, dass zum Beispiel der Teil der energieintensiven Industrie, der bisher von zu hohen Strompreisen entlastet wird, ausgeweitet wird. Aber ich sage Ihnen auch: Wir wollen dafür sorgen, dass es dabei bleibt, dass dieser Ausstieg konsequent ein Umstieg in eine sichere, bezahlbare und nachhaltige Energieversorgung wird, und zwar aus einem Guss. Wir werden aufpassen, dass die deutsche Industrie am Standort bleiben kann. Wieso verweigern Sie sich eigentlich dem klugen Vorschlag von Herrn Töpfer und von Herrn Hauff, ein nationales Forum Energiewende einzurichten? Es ist doch Unsinn, zu glauben, dass wir mit den Gesetzen hier das Problem bewältigt hätten. Der Prozess, der jetzt kommt, ist das Schwierige. Es ist doch keineswegs mit dem getan, was wir hier heute verabschieden werden. Sie reden ständig mit Überschriften; aber auf das Kleingedruckte kommt es an. Wir brauchen auch ein energiepolitisches Preismonitoring. Wir müssen nachsteuern, und das dürfen wir weder Ihnen noch Ihren Ministern überlassen, weil Sie es nicht können. Das haben Sie doch in der Vergangenheit gezeigt. ({17}) Das muss außerhalb Ihrer Regierung stattfinden, am besten gleich hier im Parlament. Sie werden auch nicht überrascht sein, dass wir nicht jedem Gesetz hier zustimmen. Normalerweise brauchen wir anderthalb Jahre für die Novellierung des EEG; das ist ein kompliziertes Gesetz. Sie machen das in acht Wochen. Ich weiß nicht, ob Sie gelesen haben, was der Bundespräsident zu seiner Jahresbilanz in einem Interview mit der Zeit gesagt hat. Er behauptet dort, dass mit den Entscheidungsmöglichkeiten im Parlament Schindluder getrieben wird und dass es so nicht geht. Wissen Sie, wen er meint? Er meinte Sie, Frau Bundeskanzlerin, und Ihre Regierung. Das ist das, was draußen gerade stattfindet. ({18}) Wir stimmen wirklich zu, weil wir Planbarkeit und Berechenbarkeit zurückbekommen wollen, und nicht, weil wir glauben, dass Ihre Politik unsere Zustimmung verdient. Es geht um das, was in unserer Gesellschaft bei aller Vielfalt und Verschiedenheit am Ende ebenfalls geschaffen werden muss: Vertrauen, Glaubwürdigkeit und eben Berechenbarkeit von politischem Handeln - Prinzipien, meine Damen und Herren, die diese Regierung und die Kanzlerin an der Spitze seit ihrem Amtsantritt vor mehr als anderthalb Jahren Tag für Tag mit beklemmender Konsequenz Stück für Stück aufzubrauchen scheinen. Ihre Stop-and-go-Politik, Ihre hektischen Wechsel in der Energiepolitik, die heute zur Abstimmung stehen, sind doch symptomatisch für die Politik, die Sie in Deutschland betreiben. Das gleiche Muster dieses Politikversagens trifft doch auf alle anderen Felder ebenfalls zu: auf die Bundeswehrreform, auf den Umgang mit Steuern und insbesondere auf den Umgang mit der EuroKrise. Ich frage Sie, Frau Kanzlerin: Warum kommen Sie eigentlich nicht auf die Idee, in Europa die Chance der erneuerbaren Energien jetzt einmal zu nutzen und zu sagen: „Lasst uns nicht noch 20 Jahre ergebnislos über Desertec und den Strom aus der Sahara für Europa reden“? Wir sollten in Andalusien, in Griechenland, in Portugal und auch in der Türkei anfangen. ({19}) Das wäre ein Wachstumsprogramm für Europa. Sie schüren Ängste in Europa. Sie treiben die Antieuropäer in die Parlamente und in die Regierungen. Europa braucht wieder Hoffnung, und erneuerbare Energien bringen Hoffnung und Arbeitsplätze in Deutschland und in ganz Europa. Das brauchen wir jetzt und nicht das, was Sie da derzeit treiben. ({20}) Beispiele für Ihre Stop-and-go-Politik habe ich genannt. Die Wählertäuschungen sind unglaublich groß geworden; sie sind der Markenkern der Regierung. Der Spiegel stellt in dieser Woche fest: „Es wird nicht regiert, sondern gedealt.“ Unter diesen Dealern scheint ein rauer Ton zu herrschen. Sie warten jetzt wieder auf den nächsten Knigge-Gipfel. Sie müssten mittlerweile gelernt haben, dass Sie von Freiherren keine Hilfe mehr bekommen. ({21}) Aber es geht nicht nur um den Stil, sondern auch um den Inhalt dessen, was Sie tun. Tatsache ist: Diese Koalition passte von Anfang an nicht in die Zeit, und sie hatte nur zwei große Projekte: die Laufzeitverlängerung und die Steuersenkung. Die Laufzeitverlängerung beerdigen wir heute und die Steuersenkung, wenn Sie nicht klüger werden, im Bundesrat, Frau Kanzlerin. Darauf können Sie sich verlassen. ({22}) Der Vorgänger der heutigen Kanzlerin hat einmal den Satz geprägt: „Erst das Land, dann die Partei.“ Bei Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, ist das immer umgekehrt. Sie sind immer zuerst CDU-Taktikerin und nur gelegentlich, wenn wir Glück haben, auch einmal Kanzlerin. ({23}) - Wissen Sie: Es wäre doch nicht schlimm, wenn nur ich das sagen würde. Aber lesen Sie einmal den Spiegel, die Welt, die Bild und andere in dieser Woche, also Ihre konservativen Blätter. Von denen schreiben wir doch inzwischen unsere Reden ab, weil uns schlimmere Darstellungen gar nicht mehr einfallen können als die, die in der Öffentlichkeit zu finden sind. ({24}) - Volker Kauder [CDU/CSU]: So weit sind Sie gekommen, dass Sie abschreiben! Sie schrei- ben ab!) - Nein, Herr Kauder. Aber ich habe Ihnen gegenüber einen Vorteil: Ich schaue in die Gesichter der Abgeordneten Ihrer Koalition, und diese Gesichter zeigen mir: Ganz viele wissen, dass das stimmt, was ich hier gerade sage, und Sie wissen es im Grunde natürlich auch. ({25}) Bei Ihnen ist Pfeifen im Walde. Es geht wirklich um das, was in Deutschland gemacht werden muss. Ihrer Regierung fehlt alles, was die politische Führung eines 80-Millionen-Volkes braucht: eine gemeinsame Grundausrichtung, ein vertrauensvoller Umgang, ein ordentliches Handwerk, eine konsequente und entschiedene Führung. Was Sie da treiben, das trifft aber leider nicht nur Sie, sondern das ist ein Turbo, ein Katalysator für Politikverachtung in Deutschland. Es trifft inzwischen alle Politikerinnen und Politiker in diesem Land, weil niemand mehr der Politik traut, weil die Leute jeden Tag merken, dass man Ihnen nicht mehr trauen kann, meine Damen und Herren. Sie sind verantwortlich für das, was hier in Deutschland passiert. ({26}) Welches Politikverständnis Sie haben, das offenbaren Sie ja freundlicherweise, sodass man wörtlich zitieren kann. Als die FAZ Sie am 22. Juni gefragt hat: „Warum wollen Sie sich eigentlich treffen beim Thema Steuersenkung, und was ist Ihr Ziel?“, ({27}) haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, geantwortet: Wann kommt was und wie kommt jeder dabei auf seine Kosten? Das ist das Ziel Ihres Treffens: Wie kommt jeder dabei auf seine Kosten? - Das ist kein Motto fürs Regieren; das ist das Motto eines Räuberhauptmanns, der auf der Waldlichtung seine Beute verteilen will. Das ist das, was Sie da machen. ({28}) Hier geht es nicht darum, wer in Ihrer Koalition auf welche Kosten kommt. Hier geht es nicht darum, der FDP eine Steuersenkung zu gönnen nach dem Motto „Jede Milliarde ein Punkt mehr bei der Wahl“. Hier geht es darum, dass Sie sich zum Beispiel an die Verfassung unseres Landes halten, und das heißt: keine dauerhaften Mehrausgaben, wenn man keine entsprechenden Mehreinnahmen dafür hat. Sie müssen Schulden senken in unserem Land und dürfen nicht der FDP Steuergeschenke versprechen. ({29}) Auf der Waldlichtung verteilen Sie Beute, die es in Deutschland nicht gibt, meine Damen und Herren. ({30}) Das ist die Politik eines ziemlich armseligen Räuberhauptmanns in dieser Regierung. Alles, was da passiert, führt dazu, dass die Mitglieder Ihrer Regierung Sie an bestimmte Dinge erinnern, was normalerweise unser Job ist. In der Vergangenheit war es nämlich immer so: Wenn etwas nicht funktionierte, hat die Opposition gesagt: Frau Kanzlerin, bestimmen Sie mal die Richtlinien der Politik! - Nun halte ich das inzwischen für eine Drohung. Aber mittlerweile fordert das Ihr eigener Koalitionspartner von Ihnen. Ich glaube, dass Sie in erheblichem Maße nicht nur der Industrie und der Wirtschaft schaden, sondern auch dem Vertrauen in die Verlässlichkeit der demokratischen Politikgestaltung. Ich sage Ihnen: Wenn Sie wirklich Mut haben, Frau Bundeskanzlerin, und wenn Sie etwas für Deutschland tun wollen, dann kommen Sie nach dem Herbst nicht mit dem soundsovielten Neustart zurück, sondern hören Sie einfach auf! Das wäre der beste Neustart für unsere Republik, den wir uns derzeit vorstellen können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({31})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler. ({0})

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Gabriel, waren Sie nicht mal Umweltminister? ({0}) Ich finde, dafür haben Sie heute herzlich wenig zum Thema geredet. ({1}) - Es war eher ein allgemeinpolitischer Teil. Es scheint ja hoch herzugehen bei der Frage: Wer wird eigentlich Kanzlerkandidat? ({2}) Zwei davon sitzen hier vorn, einer sitzt dahinter. Mir liegt, anders als Ihnen, Herr Gabriel, Polemik vollkommen fern, aber ich glaube, wir haben heute die Kaltreserve der sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten gesehen. ({3}) In einem hat Herr Gabriel recht - das wird die Grünen ärgern -: Die erste Partei, die das Thema Umweltpolitik aufgebracht hat, waren in der Tat die Sozialdemokraten. ({4}) - Ich wäre auch ganz dankbar, wenn Sie jetzt ruhiger wären. Ich wollte Sie zu Beginn einmal loben, ganz kurz; es wird danach nicht so schön für Sie. Herr Gabriel hat zu Recht einmal gesagt, dass die Sozialdemokraten die Umweltpolitik erfunden haben und nicht die Grünen; denn es war Willy Brandt, der vom blauen Himmel über der Ruhr gesprochen hat. Es waren übrigens ebenfalls die Sozialdemokraten, die vehement den Einstieg in die Kernenergie gefordert haben nach dem Motto „Billiger Strom für alle“. Sie haben Ihre Position geändert. Das haben Sie erklärt, und es wurde allgemein akzeptiert. Diese Regierungskoalition hat - ebenso wie Sie - die Ereignisse in Fukushima wahrgenommen. Diese Ereignisse haben uns nicht unbeeindruckt gelassen. Wir haben daraufhin gesagt: Das ist das erste Ereignis, die erste Katastrophe, die aufgrund technischen Versagens zustande gekommen ist. ({5}) Es wäre verantwortungslos, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn eine Regierung in einem solchen Fall nicht reagieren würde. Sie können sich winden, Sie können dazwischenrufen, aber am Ende dieses Tages werden Sie genau unserem Ausstiegsbeschluss zustimmen. Das zeigt: Sie unterstreichen die Richtigkeit unserer politischen Entscheidung. ({6}) Das können Sie guten Gewissens tun; denn Ihr Ausstiegsbeschluss war ausdrücklich ein anderer. Sie haben nämlich nur den Ausstieg beschlossen. Sie haben aber vergessen, zugleich als Alternative den Einstieg und den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland zu beschließen. ({7}) Sie haben sich damit zufriedengegeben, zu sagen: Wir steigen hier aus. - Die notwendige Entscheidung zu treffen, die gebraucht worden wäre, um zum Beispiel den Ausbau von Ersatzkapazitäten voranzutreiben, haben Sie aber nicht gewagt. ({8}) Auch heute verweigern Sie sich solchen sinnvollen Vorschlägen. Sie alle wissen: Wir brauchen bis zum Jahr 2013 10 Gigawatt und bis zum Jahr 2020 nochmals 10 Gigawatt Ersatzkapazitäten. Das bedeutet im Übrigen nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern auch den Zubau von konventionellen Kraftwerken. Ich bin sehr gespannt, ob die Grünen dann den Mut haben, auf unserer Seite zu stehen, wenn es darum geht, konventionelle Kraftwerke zu bauen. ({9}) Bisher sind Sie immer nur dabei, zu demonstrieren, wenn es darum geht, neue Kraftwerke - seien es Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke - oder die dazu notwendigen Hochspannungsleitungen zu bauen. ({10}) Solch ein Verhalten hat nichts mit Glaubwürdigkeit zu tun. Zur Ehrlichkeit hingegen gehört: Wer den Ausstieg und den Umstieg will, der braucht den Einstieg in erneuerbare Energien, aber auch den Ausbau von konventionellen Kraftwerken. ({11}) Dafür werden jetzt im Gesetzespaket - Energiewirtschaftsgesetz, Netzausbaubeschleunigungsgesetz - die Voraussetzungen geschaffen. Sie alle wissen: Wir müssen schneller vorankommen, wenn es darum geht, die notwendigen Netze auszubauen. Bisher haben wir Planungszeiten von zehn Jahren, hinzu kommen noch die Bauzeiten. Wir wollen diesen Zeitraum auf vier Jahre reduzieren. Die Bundesländer, die Sie bereits angesprochen haben, haben alle gemeinsam - sechzehn zu null - ausdrücklich gefordert, dass wir den Netzausbau nicht nur über die vorhandenen Gesetze beschleunigen, sondern dass wir uns weiterhin dafür einsetzen, auf europäischer Ebene das materielle Recht zu ändern, damit wir die Möglichkeit haben, beim Netzausbau und beim Kraftwerksausbau schneller voranzuschreiten. Lieber Herr Kollege Gabriel, das ist eine Ohrfeige für Sie; denn in Ihrer Zeit als Umweltminister haben Sie genau das nicht geschafft. Das war zum Schaden nicht nur der Umweltpolitik, sondern auch der deutschen Wirtschafts- und Industriepolitik. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Menzner?

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Nein. - Das wird nunmehr nachgeholt. Wir brauchen nicht nur den beschleunigten Ausbau der Netze und der konventionellen Kraftwerke, sondern auch ein besseres Erneuerbare-Energien-Gesetz. Erstmalig wird hier auf Markt und auf Effizienz gesetzt, weil wir davon überzeugt sind, dass es Quatsch ist, bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien nur auf Subventionen und Regulierungen zu setzen. Wir werden - auch wenn Ihnen das nicht gefällt - in diesem Bereich Marktprinzipien brauchen - wie beispielsweise die Marktprämie -, um beim Ausbau der erneuerbaren Energien schneller voranzukommen. Das zeichnet die schwarz-gelbe Regierungskoalition aus, im Unterschied zu Ihrem rot-grünen Ausstiegsbeschluss von 2002. ({0}) Gleichzeitig geht es in der Tat darum, die Wirtschaft nicht übermäßig zu belasten; denn sie steht in Bezug auf die Energiepreise nicht nur in einem europäischen, sondern auch weltweiten Wettbewerb. Deswegen ist es richtig, sich auf europäischer Ebene für die Strompreiskompensation einzusetzen, um energieintensive Industrien zu entlasten. Gleichzeitig kommt es zu einer Entlastung des Mittelstandes in Deutschland, weil durch das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz erstmalig kleine und mittelständische Unternehmen von der Energieumlage befreit werden können und dadurch eine Erleichterung erfahren. Das zeigt, dass wir nicht nur darauf achten, die Energieversorgung in Deutschland umzustellen, sondern dass wir gleichzeitig ein Augenmerk darauf haben, dass unsere deutsche Wirtschaft gerade im Hinblick auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen wettbewerbsfähig bleibt. Sie von der SPD schauen als ehemals große Volkspartei auf die großen Konzerne. Wir schauen auch auf den Mittelstand in Deutschland. ({1}) In der Tat sind gerade diese Unternehmen in Bezug auf die Energieumstellung sehr positiv gestimmt, aus einem ganz einfachen Grund. Die europäischen Nachbarn fragen uns: Was passiert eigentlich gerade bei euch in Deutschland, was macht ihr eigentlich im Bereich der Energieumstellung? Da steht ein Fragezeichen und kein Ausrufezeichen; denn man ist sehr gespannt, was gerade in Deutschland passiert. Unsere Nachbarn trauen uns zu, dass das, was wir uns vorgenommen haben, möglich wird; sie haben sogar Angst davor, dass das, was wir uns vornehmen, am Ende erreicht wird, weil sie wissen: Wenn wir neue Produkte, Dienstleistungen und Güter in den Bereichen der erneuerbaren Energien und der Effizienz produzieren bzw. bereitstellen, dann wird das ein Wettbewerbsvorteil für die deutsche Wirtschaft im europäischen, aber auch im weltweiten Rahmen sein. Die Energieumstellung ist deswegen auch für die Wirtschaft nicht negativ, sondern ausdrücklich positiv, weil sie uns neue Chancen bietet im Inland, im europäischen Markt, aber genauso im übrigen Ausland. ({2}) Wir sind davon überzeugt, dass das, was wir auf den Weg bringen, in der Tat ein großer Schritt auf dem Weg zur Energieumstellung ist. Die Arbeit ist mit der Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe nicht abgeschlossen; die Arbeit, die mit der Energieumstellung verbunden ist, beginnt jetzt erst. Denn das, was vor uns liegt, ist ein ähnlich großes Projekt wie die Wiedervereinigung - es ist fast schon gleichbedeutend -: ({3}) Gerade im Bereich der Infrastrukturprojekte haben wir damals gesehen, dass es sehr wohl möglich ist, in der Sache Großes zu leisten, wenn sich ein ganzes Land anstrengt und alle gemeinsam an einem Ziel arbeiten. Das geht im Bereich der Infrastruktur; das geht im Bereich der Energieumstellung. ({4}) - Auch wenn Sie dazwischenrufen: Sie werden dem Ausstiegsbeschluss zustimmen ({5}) und sich einmal mehr dem Einstieg in den Ausbau der erneuerbaren Energie verweigern. ({6}) Das ist am Ende nicht glaubwürdig. Es geht hier nicht um Ihre Politik, die Sie damals unter Rot-Grün begonnen haben; es geht hier um eine andere Politik, nämlich eine vernünftige und realistische Umstellung der Energieversorgung in Deutschland. ({7}) Das ist der Unterschied zwischen einer Koalition, die regiert, und einer Opposition, die am Ende doch gegen die wesentlichen Neuerungen der vorliegenden Gesetzentwürfe ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Röttgen, Sie müssen mir eine Sache erklären. Sie haben heute gesagt, dass der Ausstieg aus der Atomenergie eine Revolution ist. Im Dezember 2010 haben Sie uns erklärt, dass die Verlängerung der Nutzung der Atomenergie eine Revolution ist. ({0}) Ich finde, Sie sollten innerhalb der Union einmal klären, was eigentlich eine Revolution und was eine Konterrevolution ist, damit man sich darüber verständigen kann. ({1}) - Herr Kauder, selbstverständlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gysi, für die Klärung dieses Unterschieds stellen Sie doch sicher Ihre sachverständige Beratung zur Verfügung. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber selbstverständlich, Herr Präsident. Ich wollte das gerade Herrn Kauder anbieten. Da er davon keine Ahnung hat, werde ich ihm das gerne erklären. Aber es kostet Sie ein teures Essen - damit das klar ist! ({0}) Davon abgesehen wird der Bundestag heute mit den Stimmen von Union, FDP, SPD und Grünen einen halbherzigen Atomausstieg beschließen. Es liegt nur an der Atomkatastrophe von Fukushima, dass er angesichts dieser Mehrheitsverhältnisse im Bundestag überhaupt zustande kommt. Einige Dinge, die Sie hier regeln, entsetzen und enttäuschen mich wirklich; denn ich glaube, dass man konsequenter aus einer solchen Katastrophe Schlussfolgerungen ziehen muss. ({1}) Auch die Grünen werden zustimmen; sie haben dafür einen Parteitag gemacht. Ich muss den Grünen ehrlicherweise sagen: Das ist schon ein wenig wichtigtuerisch, deshalb einen Parteitag zu veranstalten. Sie wussten doch, dass es auf Ihre Stimmen gar nicht ankommt, weil die Koalition eh die Mehrheit hat. Ich muss Ihnen aber eines lassen: Sie haben eine fantastische Medienöffentlichkeit erreicht. ({2}) Ich muss über solche Tricks neu nachdenken. Im Kern ging es Ihnen doch darum, der Union zu zeigen, dass Sie zu einer Koalition mit der Union fähig sind. Sie wollen doch gerne die frühere Rolle der FDP übernehmen und bei der Frage, ob nun die SPD oder die Union regiert, zum Schalter werden. ({3}) Das ist ein bisschen schlicht. ({4}) - Das gilt aber für Sie, Herr Trittin. Drei Parteien hätten wirklich einen Parteitag durchführen müssen: die CDU, die CSU und die FDP. ({5}) Wissen Sie auch, warum? Ihre Parteitage haben doch die Verlängerung der Nutzung der Atomenergie beschlossen; Sie haben das katastrophalerweise im Dezember umgesetzt. Bevor Sie jetzt einen Wechsel vornehmen, hätten Sie Ihre Parteien eigentlich fragen müssen, ob sie damit einverstanden sind. ({6}) Um Ihr Demokratieverständnis will ich mich aber nicht weiter kümmern. Ich wollte nur auf die Begrenztheit hinweisen. ({7}) Jetzt nehme ich zu den Zielen Stellung, die Sie aufgeben, die wir aber für wichtig halten. SPD und Grüne sagen, dass im Kern jetzt das beschlossen wird, was sie schon 2002 beschlossen hatten. Wenn Sie diese Auffassung ernsthaft vertreten, dann sagen Sie damit, Fukushima hätte an Ihren Entscheidungen von 2002, wenn Sie jetzt regieren würden, nichts geändert. Finden Sie nicht, dass das deutlich zu wenig ist? Hätten Sie nicht sagen müssen: „Auch wir ziehen daraus Schlussfolgerungen und machen das eine oder andere wesentlich konsequenter“? ({8}) Das Zweite ist, meine Damen und Herren von SPD und Grünen: Was Sie sagen, stimmt nicht ganz. Die Regierungskoalition legt jetzt immerhin konkrete Termine für die Abschaltung einzelner AKW fest. Solche gab es bei Ihnen gar nicht. ({9}) Das Hauptproblem ist aber ein anderes: Die Regierung bestimmt die Fristen nach den Amortisationszeiten für die AKW und nicht nach der Machbarkeit. Auch dabei machen Sie mit. ({10}) Ich komme darauf noch zurück. Die Regierungskoalition weigert sich, das Ganze unumkehrbar zu machen. Auch das nehmen Sie letztlich in Kauf. Sie weigert sich auch, die großen Energieriesen zu zerlegen und zu rekommunalisieren, um das Ganze wesentlich demokratischer zu gestalten. ({11}) Was in Ihren Gesetzentwürfen überhaupt nicht enthalten ist, ist die Antwort auf die Frage, wer eigentlich die Kosten der Energiewende zu bezahlen hat. Wo bleibt die soziale Abfederung? Dazu ist nichts geregelt. ({12}) Jetzt komme ich zu den einzelnen Punkten. Wissenschaftlich nachgewiesen ist nach unserer Auffassung, dass der Ausstieg bis Ende 2014 machbar ist. Die Grünen haben gesagt: bis Ende 2017. Ich nehme das einmal so hin. Trotzdem stimmen Sie jetzt dem Jahr 2022 zu. Womit begründen die Bundesregierung und die Koalition in den Gesetzentwürfen, dass sie das Jahr 2022 nehmen? Sie sagen, dass die Atomkraftwerke sich andern13378 falls nicht amortisierten und die Atomkraftwerke nur dann mit Gewinn bewirtschaftet werden könnten, wenn man sie erst 2022 schließen würde. Das heißt, auf Wunsch von Eon, EnBW, RWE und Vattenfall sind die Fristen so gesetzt worden. Ich sage Ihnen Folgendes: Es geht um die Frage der Machbarkeit und nicht um die Frage, was sich für die vier Energiekonzerne rechnet. Man kann die Bevölkerung nicht vier oder sieben Jahre länger dem FukushimaRisiko aussetzen, nur damit sich die AKW für diese vier Konzerne rechnen. Genau das wird gemacht. Genau das beschließen Sie mit. ({13}) Alle Parteien im Bundestag sagen: Der Ausstieg aus der Atomenergie soll unumkehrbar sein. Das ist eine wichtige industriepolitische Wende. Darauf ist hier schon hingewiesen worden. Warum, Herr Kauder und Herr Brüderle, weigern Sie sich, das Grundgesetz zu ändern? In Österreich steht in der Verfassung: Atomwaffen und die Nutzung der Atomenergie sind verboten. - Warum nehmen wir das nicht in das Grundgesetz auf? ({14}) Wir haben doch eine Zweidrittelmehrheit dafür. Das ist doch keine Schwierigkeit. Es gibt große Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat dafür. Wenn wir das aufnehmen würden, wäre es unumkehrbar - das garantiere ich Ihnen -, weil sich nie wieder eine Zweitdrittelmehrheit im Bundestag oder im Bundesrat fände, die bereit wäre, den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig zu machen. ({15}) Wenn Sie das nicht machen, dann machen Sie einen Atomausstieg mit Rückfahrkarte. Herr Röttgen hat erklärt, ein solches Vorgehen würde künftige Mehrheiten binden. Ja genau, das soll künftige Mehrheiten binden. Deshalb nimmt man doch etwas in das Grundgesetz auf. ({16}) Er will sie eben nicht binden. Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, wie das laufen wird: 2013 werden Sie sich einen Wiedereinstieg nicht trauen. Ich glaube zwar nicht, dass Sie dann noch die Mehrheit haben werden; aber selbst wenn Sie sie hätten, würden Sie sich das, wie gesagt, nicht trauen. 2017 wird der Atomausstieg aber schon so lange zurückliegen, dass Sie vielleicht sagen werden: Jetzt könnte man doch wieder einsteigen. - Das möchte ich nicht. Wir möchten der Bevölkerung diese Sorge nehmen. Deshalb muss der Ausstieg ins Grundgesetz geschrieben werden. ({17}) Nun haben die Grünen schnell auch noch einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht. Darüber stimmen wir heute aber noch nicht abschließend ab. Für unseren Gesetzentwurf beantragen wir übrigens eine namentliche Abstimmung. In Ihrem Gesetzentwurf, lieber Herr Trittin und liebe Frau Künast, nennen Sie das Jahr 2022 als Ausstiegsdatum. Damit sagen Sie der Bevölkerung: Selbst wenn wir ab 2013 regieren, werden wir nichts beschleunigen. Durch die Festschreibung des Jahres 2022 im Grundgesetz nehmen Sie sich jeden Spielraum. Sie müssen dann auch offen und ehrlich sagen, ({18}) dass Sie sich von dem Ausstiegsdatum 2017 völlig verabschiedet haben. Selbst wenn Sie die absolute Mehrheit hätten, würden Sie beim Jahr 2022 bleiben. Ich finde, das spricht gegen Sie. ({19}) Jetzt kommen wir zum dritten Punkt, zur Demokratisierung der Energieversorgung. Die Konzerne sind und bleiben zu mächtig. Wie mächtig die vier Konzerne sind, haben SPD und Grüne festgestellt, als sie versucht haben, den Atomausstieg zu organisieren. Wir haben gesehen, wie schwierig das war, wie weit sie den Konzernen entgegengekommen sind. Meines Erachtens sind sie ihnen viel zu weit entgegengekommen; das ist aber eine andere Frage. Die jetzige Regierungskoalition, die ja auf Wunsch dieser vier Konzerne und natürlich auch anderer die Verlängerung der Laufzeiten beschlossen hat, schreibt jetzt wieder in den Gesetzentwurf, dass man das auf diese Weise macht, damit sich das rechnet und damit die Konzerne nicht einen halben Euro Verlust machen, nachdem sie auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger und der anderen Unternehmen schon 100 Milliarden Euro Gewinne gemacht haben. Deshalb werden so lange Fristen gewählt und deshalb wird die Bevölkerung länger diesem Risiko ausgesetzt. Ich sagen Ihnen: Wenn wir die Macht der vier Konzerne nicht auflösen, wird die Politik ohnmächtig; das ist das Problem. Deshalb schlagen wir eine Zerlegung und, soweit es geht, eine Rekommunalisierung vor, damit die Politik wieder zuständig wird für die Energieversorgung der Bevölkerung genauso wie für die Wasserversorgung, für Gesundheit und Bildung. Öffentliche Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand und nicht in den Privatbesitz zur Profitmaximierung. ({20}) Ich verstehe die Energiekonzerne. Sie sagen: Wer mehr Strom verbraucht, bekommt ihn billiger, und wer weniger Strom verbraucht, bekommt ihn teurer. Marktwirtschaftlich ist das ja nicht unvernünftig gedacht, aber wir wollen doch Energieeinsparung, wir wollen doch Energieeffizienz. Erklären Sie beispielsweise einmal einer alleinerziehenden Mutter mit einem Kind, die relativ wenig Strom verbraucht, wieso sie pro Kilowattstunde mehr zahlen muss als ein Millionär mit einer Villa und einem Swimmingpool. Das ist abstrus! Das kann man nur politisch regulieren, aber Sie verweigern die politische Regulierung dieser Preise. ({21}) Uns ist das ein wichtiges Anliegen. Zu dem, was Sie machen, kommt jetzt noch ein Zuckerbrot hinzu. ({22}) Sie fördern riesige Windparks in der Nord- und Ostsee. Wer verdient daran? Die vier Konzerne, weil es die einzigen sind, die sich das Ganze leisten können. Sie bekommen also noch mehr geschenkt. Mein Gott, hören Sie doch einmal auf, jeden Tag die Versicherungen, die Banken und die Riesenkonzerne zu beschenken! Angeblich wollen Sie etwas für die kleinen und mittleren Unternehmen tun, aber Sie vergessen sie täglich. Deshalb sage ich immer: Wir sind die einzige Mittelstandpartei. ({23}) Sie von der FDP bestreiten das noch, aber es ist wahr. Bei der Solarenergie werden Produkte genutzt, die von kleinen und mittleren Unternehmen hergestellt werden. Da fördern Sie nicht. Nur die großen Windparks werden unterstützt. Das entlarvt alles. ({24}) Nun kommen wir zum nächsten Punkt: die erneuerbaren Energien. Ich frage: Wo ist Ihre angekündigte Offensive für erneuerbare Energien geblieben? Alles, was Sie hier beschließen wollen, hatten wir schon. Da gibt es nichts Neues. Glauben Sie nicht, dass man deren Ausbau viel stärker fördern muss, um die Energiewende so schnell und zuverlässig wie möglich herbeizuführen, und zwar - da hat Herr Gabriel recht - europaweit? Genau das wäre die Aufgabe; aber da versagen Sie. Kommen wir zur sozialen Gestaltung. Das Ganze kostet Geld. Ihre einzige Sorge betraf die energieintensiven Unternehmen. Diesen haben Sie schon zugesichert, dass sie um bis zu 1,2 Milliarden Euro entlastet werden. Das haben Sie sofort geregelt. Aber was arme Haushalte machen, was kleine Unternehmen mit geringen Umsätzen machen, das kümmert Sie alles nicht. Genau das können wir nicht akzeptieren. ({25}) Ich nenne noch einmal die Zahlen. Im Durchschnitt verbraucht eine Bezieherin von Hartz IV Strom für 44 Euro im Monat. Im Hartz-IV-Satz sind aber nur 30,42 Euro für Storm vorgesehen. Woher soll sie die Differenz nehmen? Sie zahlen ihr die ja nicht aus. Es gibt jährlich 800 000 Sperren der Strom- und Gasversorgung. Gehen Sie einmal in einen solchen Haushalt, und schauen Sie sich einmal an, wie Kinder ohne Gas und Strom leben müssen. Ich halte das für grundgesetzwidrig. Deshalb fordern wir als Erstes: Strom- und Gassperren sind zu verbieten. ({26}) Das Zweite, das wir fordern, sind Stromsozialtarife. Wir müssen jedes Energieunternehmen - ob öffentlich oder privat: das spielt gar keine Rolle - verpflichten, in einem bestimmten Umfang finanziell schwachen Haushalten Sozialtarife anzubieten. Dazu müssen sie verpflichtet werden. Sonst organisieren wir, bedingt durch die Verteuerung des Stroms, eine Katastrophe. Wir brauchen auch ganz dringend eine staatliche Strompreiskontrolle. Da geht es nicht, wie Sie immer rufen, um Planwirtschaft. Das ist völliger Quatsch. Dann hätten wir in der Bundesrepublik Deutschland bis zur ersten Hälfte der Großen Koalition Planwirtschaft gehabt. Da gab es nämlich eine staatliche Strompreiskontrolle. Da geht es um eine ganz andere Frage: Es geht um die Frage der Zuständigkeit der Politik für eine Lebensfrage der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen. Da können Sie nicht immer sagen: Das geht uns gar nichts an, das machen die vier Konzerne. SPD und Union haben uns erzählt, es gebe da so viel Wettbewerb, dass wir keine staatliche Preiskontrolle bräuchten. Da kann ich bloß lachen. Diese vier Konzerne sind doch in der Lage, mittwochs miteinander zu telefonieren, und dann verabreden sie sich, wie sie uns zwei Wochen später abzocken. So läuft das. Deshalb möchte ich Ihre Zuständigkeit haben, damit die Wählerinnen und Wähler auch wissen, an wen sie sich wenden müssen. ({27}) Dann brauchen wir einen Energiesparfonds. Ich will Ihnen das auch erklären: In den ärmeren Haushalten und bei den kleinen Unternehmen mit geringen Umsätzen sind lauter technische Geräte im Einsatz, die einen hohen Stromverbrauch haben. Die können es sich nicht leisten, neue Technik zu erwerben. Deshalb haben wir die Schaffung eines Fonds vorgeschlagen, der jährlich mit 2,5 Milliarden Euro zu bestücken ist. Damit muss geholfen werden, dass neue Technik erworben wird; denn wir alle brauchen die Energieeinsparung. Deshalb müssen wir hier politisch handeln und aktiv werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin gleich fertig, Herr Bundestagspräsident. Ich sage Ihnen: Alle Mehrkosten, die Sie verursachen, werden allein die Bürgerinnen und Bürger sowie die kleinen und mittleren Unternehmen zu tragen haben. Das ist falsch. Wir können dem Ganzen nicht zustimmen. Von unserer Fraktion gibt es ein Nein, auch wenn endlich der Ausstieg aus der Atomenergie beginnt. Das begrüßen wir trotzdem. ({0}) - Nein, passen Sie auf: Ganz umgekehrt, Herr Kauder. Stimmen Sie doch erst einmal der Grundgesetzänderung zu. ({1}) Ich verspreche Ihnen: Wenn wir das Grundgesetz heute ändern, lassen wir uns auch auf einen Kompromiss ein. Mal sehen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist der Zeitpunkt, an dem man Dank aussprechen muss Dank an all die vielen Menschen, die weit über 30 Jahre in diesem Land den Mut hatten, zu kämpfen, die sich weit über 30 Jahre in diesem Land eingemischt und friedlich demonstriert haben und auch nicht aufgehört haben, zu kämpfen, als einige von ihnen kriminalisiert wurden, als Wasserwerfer selbst an kältesten Tagen Wasser auf sie spritzten, als richtig Druck im Dorf und in der Stadt war. Das will ich hier ausdrücken. Herzlichen Dank an all diese; denn sie haben sich um die Zukunft Deutschlands verdient gemacht. ({0}) Klaus Traube als einer, der mal in einem AKW mitgearbeitet hat, wurde kriminalisiert und unter Druck gesetzt. Marianne Fritzen in Gorleben ist eine, die wirklich ihr ganzes Leben einem beharrlichen Kampf gewidmet und Bewegungen immer wieder zusammengeführt hat. Diesen gehört unser Dank. ({1}) Ich erwähne auch die Winzerinnen und Winzer, die Bäuerinnen und Bauern in Wyhl, den Bauern Maas aus Kalkar oder Walter Mossmann, der uns bei so mancher Demo oder auch an manchen Tagen in der Republik Freies Wendland mit seinen Liedern zusammengeschweißt hat, wenn der Druck von außen sehr groß war. Er hatte damals den Mut, zu sagen: Es steht überm Rhein eine Burg aus Beton, weh denen, die drum herum wohnen. - Er drückte die Sorge aus: Wenn es nur nicht zu spät ist. - All jenen gehört Dank. ({2}) Das gilt auch für Holger Strohm, der das Buch Friedlich in die Katastrophe geschrieben hat, für die Mütterinitiativen und für die „Ärzte gegen den Atomkrieg“. All denen gehört der heutige Tag. Sie haben sich im Sommer 2001 über den ersten Atomausstieg gefreut. Auch wenn viele von ihnen, was ich verstehe, jetzt nicht zufrieden sind, ist das ein großer Schritt, den Deutschland mit seinen Bürgerinnen und Bürgern gemacht hat, die Demokratie gewagt haben, als man sie anfeindete. Dieser Schritt gehört diesen Menschen, und das gehört in dieses Protokoll. ({3}) Der Atomkonsens des Jahres 2001 war ein Zwischenschritt. Ich habe nie geglaubt, dass sich das Oligopol der vier Atomkonzerne nicht dagegen wehren würde. Einen Augenblick lang haben wir gedacht: Pacta sunt servanda. Sie unterschreiben etwas und halten sich daran. Wir haben aber schnell gemerkt, dass dem nicht so ist. Wir haben immer gewusst: Erst dann, wenn das letzte Atomkraftwerk in diesem Land abgeschaltet ist, ist diese Bewegung erfolgreich gewesen, und dann wird sie sich neu ausrichten. Deshalb, meine Damen und Herren, sage ich Ihnen: Sie können gerne von einem großen Konsens sprechen. Auch die heutige Entscheidung, die deutschen Kernkraftwerke stufenweise bis spätestens 2022 abzuschalten und die sieben ältesten Meiler plus Krümmel sofort stillzulegen, ist nur ein Zwischenschritt der AntiAKW-, der Umwelt- und der Grünen-Bewegung. Wir sind noch lange nicht fertig. Wir fangen jetzt erst richtig an. ({4}) Was hat die Bewegung erreicht? Sie hat den Konsens über den Ausstieg im Jahr 2001 erreicht. Außerdem hat sie dafür gesorgt, dass Sie jetzt gezwungen sind, sich zu bewegen. Gegen den erbitterten Widerstand des Energieoligopols und gegen den erbitterten ideologischen Widerstand der Pro-AKW-Parteien hat diese Bewegung erreicht, dass heute 17 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Auch das ist nur ein Zwischenschritt. ({5}) - Wenn es noch mehr ist, ist das schöngerechnet. Immerhin hat dies auch der Bundeswirtschaftsminister erkannt, der hier gerade ein Erstsemesterseminar zum Thema Wirtschaftspolitik abgehalten hat. ({6}) Aber immerhin, der Mann ist ja neu im Amt. Ich sage Ihnen: Mit all Ihrem Gerede von einer Brückentechnologie, von einer Energierevolution und von Energiewenden - nach dem Motto „Jetzt geht es erst richtig los“ - haben Sie sich selbst widerlegt. Die Brücke, die noch im letzten Jahr angeblich notwendig war, mussten Sie jetzt selbst ein Stück weit einreißen. Wer wollte, konnte immer wissen. Carl Friedrich von Weizsäcker zum Beispiel hat vor 25 Jahren, und zwar vor der Katastrophe von Tschernobyl, klar gesagt: Die Technik der Solarenergie hat Fortschritte gemacht, die sie als hauptsächliche Energiequelle des kommenden Jahrhunderts möglich erscheinen lässt. - Man konnte also wissen, wenn man wissen wollte und nicht auf dem Schoß der vier Stromkonzerne saß. Eines ist klar: Jetzt können auch Sie von den Entscheidungen des heutigen Tages nicht mehr abrücken. Jetzt hat die Bewegung einen Zustand der Stärke erreicht. Das wird heißen: Jetzt geht es mit voller Kraft in eine zukunftsfähige, nachhaltige, dezentrale, effiziente Energieerzeugung, die Sie jahrelang blockiert haben. Jetzt ist Schluss mit den Milliardensubventionen für die Atomenergie. ({7}) Ich muss an dieser Stelle auf eines hinweisen: Viele sagen immer, die neuen Technologien seien so teuer. Meine Damen und Herren, wovon reden wir hier? Für die Atomenergie wurden ungefähr 200 Milliarden Euro an Subventionen und Forschungsgeldern zur Verfügung gestellt. Das ist noch nicht einmal alles. Hinzu kommt, dass uns die Atomenergie hochradioaktiven Müll hinterlässt. Die Summen, die notwendig wären, um eine halbwegs sichere Lagerung des Atommülls zu gewährleisten - wenn wir denn einen Ort dafür fänden -, sind noch gar nicht bezifferbar. Insofern sage ich insbesondere in Richtung der Abgeordneten der Koalitionsfraktionen: Solche Zwischenrufe, wie Sie sie vorhin gemacht haben, verbieten sich. Hören Sie auf, ideologisch zu sein! ({8}) Arbeiten Sie endlich mit daran, dass Deutschland ein Land der erneuerbaren Energien wird, in dem der Müll nicht jahrtausendelang von Generation an Generation übergeben wird! Ich stelle fest: Heute ist ein guter Tag. Allerdings hätten Sie, Frau Bundeskanzlerin, all dies schon im letzten Jahr wissen können. Mir ist egal, ob Sie aus Wahlkampfsorge oder aus Überzeugung dazugelernt haben. Mir reicht die Ironie der Geschichte, dass Sie sich jetzt faktisch dem annähern müssen, was Sie jahrzehntelang bekämpft haben. ({9}) Jetzt kann niemand mehr infrage stellen, dass Deutschland die Energiewende will. Die Menschen in Deutschland wollen nicht auf Kosten anderer Generationen leben, indem sie ihnen strahlenden Atommüll überlassen. Ich sage Ihnen: Die Menschen in Deutschland wollen auch nicht durch Kohleverstromung und CO2Ausstoß auf Kosten nachfolgender Generationen leben. Jetzt geht es in Richtung Nachhaltigkeit. ({10}) Von der Entscheidung, die Laufzeit zu verkürzen, wird Schwarz-Gelb nicht abrücken können. Die heutige Entscheidung zur erneuten Laufzeitverkürzung und zur Abschaltung der acht ältesten Kernkraftwerke ist ein Wegweiser für die weitere Entwicklung des Industriestandorts Deutschland. Ich sage ganz klar: Das ist auch für die Industrie - und das wollten Sie immer - ein Zeichen der Klarheit. Rückwärts wird es nicht mehr gehen. Es geht nur noch vorwärts, in das Zeitalter der Erneuerbaren. Heute ist ein Tag, von dem etwas ausgehen kann, gerade weil die Pro-Atom-Parteien jetzt anders abstimmen müssen. Von heute an werden wir anders leben, anders transportieren und anders produzieren. Wir sind noch nicht fertig. Dieser Umbau der Gesellschaft fängt jetzt erst an. ({11}) Jetzt schaut die Welt auf uns. Wir werden dem gerecht werden müssen. Die Größe der Aufgabe ist, zu zeigen, dass das viertgrößte Industrieland der Welt diese Aufgabe meistert. Wir haben die Verantwortung, zu zeigen, dass der Umbau funktioniert. Wir haben heute aber auch die Verantwortung, nicht hierzulande etwas abzuschalten, was wir in anderen Ländern noch finanzieren. Auch die Nichterteilung von Hermesbürgschaften, zum Beispiel für Brasilien, gehört zu einem eindeutigen Kurs. Wir sind weder hier noch anderswo für die Atomenergie. ({12}) Zu diesem eindeutigen Kurs wird auch gehören, dass wir in Zukunft neue Technologien, Effizienz und Wissen mit anderen Gesellschaften und anderen Staaten teilen, damit sich die derzeitigen Entwicklungs- und Schwellenländer wirtschaftlich entwickeln können und eine gute Energieversorgung haben. Wenn wir heute Ja sagen, dann handelt es sich definitiv um ein „Ja, aber“. Die Grünen stimmen zu, die von Ihnen bis 2040 verlängerte Laufzeit auf 2022 zurückzusetzen - mit einem Stufenplan und einem festen Enddatum. Wir stimmen zu, dass die sieben ältesten Kernkraftwerke und Krümmel vom Netz genommen werden, auch wenn wir wissen, dass es schneller gehen könnte und man aus heutiger Sicht schon 2017 aus der Atomenergie aussteigen könnte. ({13}) Deshalb sagen wir: Ja, aber. Für all das zu sorgen, wird die Aufgabe der Grünen nach der nächsten Bundestagswahl sein. Die Sicherheit der verbleibenden AKW haben Sie nach Fukushima nicht ehrlich geregelt. ({14}) Das kerntechnische Regelwerk gehört in den Bundesanzeiger. Das wäre eine der Lehren, die wir aus den Ereignissen in Fukushima ziehen müssten angesichts des Wissens, dass auch hochtechnologische Länder solche Unfälle erleben können. Ein weiterer Punkt. Sie haben nicht den Mut, die Endlagerfrage offen anzupacken. Wir sagen: Wir brauchen eine ergebnisoffene, bundesweite Suche nach einem Endlager. Wir wollen den Stopp des illegalen Weiterbaus von Gorleben, und zwar sofort. ({15}) Wer es mit der Energiewende ernst meint, sagt Ja dazu, im Grundgesetz zu verankern, dass der Betrieb von Atomkraftwerken untersagt wird. Auch diesen Antrag haben wir eingebracht. Wir sagen Ja zur Verkürzung der Laufzeiten. Wir sagen aber auch „aber“. „Aber“ sagen wir zu Ihrem ehrgeizlosen Erneuerbare-Energien-Gesetz; ich weiß, dass die Bundesländer noch hier und dort mit Ihnen darüber diskutieren werden. Das fängt schon bei den Zielen an. Dass bis 2020 nur 35 Prozent des Strombedarfs durch Ökostrom gedeckt werden sollen, ist zu wenig. Wir müssen uns ein Ziel von deutlich über 40 Prozent setzen. ({16}) Wir müssen den Schwerpunkt auf dezentrale, kleine Anlagen setzen. Wir müssen den Schwerpunkt außerdem auf einen Netzausbau setzen, der nicht neue Konflikte produziert. Gerade im 21. Jahrhundert müssen wir insbesondere bei diesem Thema den Bürgern unseren Respekt ausdrücken, indem wir sagen: Jede Planung und jede Beschleunigung beginnt mit einer ehrlichen Bürgerbeteiligung. Heute stellen wir eines fest: Deutschland steht an der Schwelle, im 21. Jahrhundert Vorreiter für die Green Economy zu sein. Wir Grüne werden diese Rolle annehmen und nicht nur heute dafür sorgen, dass beschlossen wird, wie ausgestiegen wird. Wir wollen darüber hinaus zeigen: Wir sind auch in Deutschland ein Garant für internationalen Klimaschutz und für eine internationale Klimawende. Ich bin heute stolz darauf - und auch ein bisschen gerührt -, was eine Bewegung, die früher diskriminiert und kriminalisiert wurde, alles geschafft hat. Wir alle - ich habe es am Anfang gesagt - haben unser Land verändert. Ich sage Ihnen: Heute ist ein guter Tag für Deutschland. Wir sind sehr stark, und wir werden weiterhin für Veränderungen sorgen, hin zu einer nachhaltigen, verantwortungsvollen Wirtschaft, die nicht auf Kosten anderer lebt. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Rüdiger Kruse für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Künast, über Ihre Rede habe ich mich gefreut, weil Sie, die Sie die Einzigen sind, die tatsächlich in aller epischen Breite die Frage „Wer hat es erfunden?“ stellen dürften, es nicht getan haben. Das spricht für Souveränität. Sie haben die Frage aufgeworfen - natürlich rhetorisch gemeint -, ob die Grünen noch ein Thema haben werden, wenn sie dieses Ziel erreicht haben. Ich gebe Ihnen auch in diesem Punkt recht: Selbstverständlich werden Sie wieder Themen finden; das kann ich aus der Erfahrung der Union belegen. ({0}) Die Union war es, die - in einem Alleingang, wenn man so will - die soziale Marktwirtschaft eingeführt hat. Dies ist ein Projekt, das heute weltweit Anerkennung findet und von den Sozialdemokraten schon seit langem nicht mehr kritisiert wird. Heute wird sie höchstens von einer Partei kritisiert. Aber damit war die Geschichte der Union noch nicht beendet. Das Thema „Integration in das westliche Bündnis“ war anfangs auch keine Konsenspolitik. ({1}) - Lassen Sie mir doch die Chance, im Laufe meiner Rede auch bei der SPD etwas Gutes zu finden. Anders als Ihre Redner bin ich nicht der Meinung, dass jeweils die eigene Partei allein selig machend ist. Bevor ich auf die Ostpolitik zu sprechen komme - die einen Verdienst hat; darüber bestand ebenfalls kein Konsens in diesem Hause -, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass uns die Integration in das westliche Bündnis gelungen ist. Es trägt noch heute. Lassen Sie mich auf das Thema Wiedervereinigung zu sprechen kommen, das zumindest geschichtlich nicht so weit zurückliegt, als dass sich die meisten Menschen nicht mehr daran erinnern könnten und als dass wir uns nicht mehr daran erinnern könnten, dass maßgebliche Vertreter, nämlich die, die hier das operative Geschäft geleitet haben, gesagt haben: Das geht nicht, das wollen wir nicht. Das war übrigens Oskar Lafontaine. Auch nach der Wiedervereinigung, die sicherlich ein großes Kernthema der Union war, war es nicht so, dass wir keine Themen mehr hatten. Das heißt, Ihnen wird es genauso gehen wie uns, die wir in der Lage sind, unsere Positionen neu zu überdenken. Als Sie sich gegründet haben, lag es wohl eher nicht in Ihrer Gründungsabsicht, dass Sie die ersten Einsätze der Bundeswehr mit verantworten. Sie haben sich damals richtig entschieden, aber es war in Ihrer Gründungsgeschichte nicht vorgesehen. ({2}) Herr Gabriel sieht das anders. Herr Gabriel ist weit in die Geschichte zurückgegangen, um jemanden zu finden, der schon vor Tschernobyl etwas Kritisches über die Atomenergie gesagt hat, wobei man sagen muss, dass Willy Brandt zu jenem Zeitpunkt nicht mehr in der operativen Verantwortung war. ({3}) - Ja, das hat er auf einem Parteitag gesagt. Wissen Sie, das wäre in etwa so, als wenn ich jetzt das Buch Ein Planet wird geplündert hochhalten würde, das Herbert Grühl als CDU-Abgeordneter geschrieben hat. ({4}) Wenn man will, dann kann man sich immer auf seine Standpunkte zurückziehen. ({5}) - Sehen Sie, deswegen sind die Grünen gegründet worden. Helmut Kohl hat einmal gesagt - er konnte nämlich reflektieren -: Es war ein Fehler, zu wenig auf Herbert Gruhl zu hören. Das heißt, die uns sehr bekannte Debatte aus dem Werbefernsehen - Stichwort: „Wer hat es erfunRüdiger Kruse den?“ - hat noch einen anderen Teil. Es geht nicht immer nur darum, wer es erfunden hat, sondern es geht auch darum, wer an der Umsetzung beteiligt ist. An dieser Umsetzung wollen und werden wir uns beteiligen. Man darf hier auch einmal daran erinnern, wer die Katalysatortechnik eingeführt hat, wer das erste Windrad gebaut hat und wer das erste Umweltministerium eingerichtet hat. ({6}) - SPD Hessen 1970. Vorher war die Umweltpolitik beim Innenministerium angesiedelt, und wir haben die ersten Einspeiseregelungen eingeführt. Ich glaube aber, das ist nicht der wesentliche Punkt, sondern der wesentliche Punkt ist, zu erkennen, dass man eine Neubewertung von Sachverhalten vornehmen kann. Es ist richtig: In den 60er-Jahren ist ein kollektiver Fehler begangen worden - übrigens im Einvernehmen der großen Parteien -, nämlich die Entscheidung, maßgeblich auf Atomenergie zu setzen. ({7}) Solche Irrtürmer muss man dann auch mal wieder korrigieren. Herr Gysi, Sie und Ihr System hatten mit kollektiven Irrtümern ja viel zu tun; denn Sie haben immerhin 40 Jahre lang versucht, darauf eine Republik zu gründen. ({8}) Insofern war es sehr beeindruckend, wie Sie sich hier hingestellt haben. Weil Sie Jurist sind, hatte ich von Ihnen eigentlich erwartet, dass Sie eine rückwirkende Abschaltung der Atomkraftwerke verlangen. Das Einzige, was Sie hier tun, um sich zu legitimieren, ist, zu sagen: Ich bin der brutalstmögliche Abschalter. ({9}) - Das müssen Sie erst einmal erreichen. Es war ein wenig überraschend - das schaffen Sie sonst ja eigentlich immer -, dass Sie heute die Bonizahlungen für die Banker ausgelassen haben. Ansonsten landen Sie immer beim gleichen Thema. ({10}) Das mag etwas mit Ihrer Marke zu tun haben. Sie haben hier den Energieverbrauch angesprochen und uns vorgeworfen, dass wir jene begünstigen, die besonders viel Energie verbrauchen. Entschuldigung, aber die größten Energieverbraucher sind eben nicht die Millionäre mit ihren Schwimmbecken. ({11}) Das mag zwar nach Ihrer Vorstellung so sein. Aber die größten Energieverbraucher sind Unternehmen: zum einen die Deutsche Bahn, mit der wir alle gerne fahren, und zum anderen die sogenannte energieintensive Industrie. Nur weil der deutsche Arbeiter mit Ihrer Partei keine Solidarität mehr hat, müssen Sie ihn jetzt nicht verraten. Wenn Sie die energieintensive Industrie in diesem Land ihrer Basis berauben - das scheinen Sie ja zu wollen, weil Sie sagen, dass sie mehr zahlen sollen als der normale Einzelverbraucher -, dann vernichten Sie Arbeitsplätze. ({12}) Wenn Sie diese Arbeitsplätze vernichten, dann vernichten Sie auch die Hoffnung, dass wir das, was wir uns vorgenommen haben, auch umsetzen können. Das, was wir uns umzusetzen vorgenommen haben, mag im Augenblick wie ein nationaler Alleingang aussehen. Es gibt immer wieder Kritiker, die sagen: Wenn man das schon macht, dann bitte nicht alleine. Es ist aber nun einmal so: Irgendjemand muss sich zuerst bewegen. In diesem Fall sind wir das. Das ist der einzige Punkt, bei dem ich mit Herrn Gabriel auf einer Linie liege. Allerdings sage ich das und brülle es nicht. Das ist ein Thema, das eine solche Dynamik hat, dass dadurch ein Impuls für Europa gegeben werden kann. Das ist das, was wir brauchen; denn die Impulse für Europa, die es früher gegeben hat - das Erreichen von Frieden, Freizügigkeit usw. -, sind Wirklichkeit geworden. Das heißt, wir brauchen einen neuen Impuls. Wir wollen, wenn wir über Europa diskutieren, nicht mehr nur über Kostenfaktoren oder anonyme Bürokratie reden, sondern wir brauchen für Europa eine Idee, die sinnstiftend ist. ({13}) - Frau Sager, ich danke Ihnen, dass Sie mich angesichts einer verbleibenden Redezeit von null Sekunden retten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das geht zwar eigentlich nicht durch bilaterale Absprachen. ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Sager und ich sind uns aus Hamburg vertraut.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber ich stelle jetzt einmal ein Interesse an einer Zwischenfrage und die Genehmigung des Redners, eine solche Frage zu stellen, fest. - Bitte schön, Frau Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Hamburger schaffen das auch ohne den Präsidenten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, das schon mal gar nicht. ({0})

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kruse, Sie heben in Ihrer Rede sehr stark darauf ab, dass jede Partei an den Punkt kommen kann, an dem sie sagt: Wir müssen Positionen der Vergangenheit revidieren und uns gründlich damit auseinandersetzen, dass unsere Position vielleicht nicht richtig gewesen ist. Ich habe großes Verständnis dafür, dass Sie gegenüber Ihrer eigenen Fraktion jetzt nicht mit der Haltung auftreten: Seht, ihr Leute, ich habe euch ja schon immer gesagt, dass das der falsche Weg war. Als die Grünen ihre Position zum Beispiel in der Außenpolitik verändert haben, haben wir in der Partei, auf Parteitagen und in der Öffentlichkeit eine sehr intensive und sehr offene demokratische Auseinandersetzung darüber geführt. In einem demokratischen Verfahren haben wir dann gesagt: Wir nehmen eine Richtungsänderung vor; wir korrigieren uns. Ich frage Sie - da denke ich ähnlich wie der Bundespräsident -: Glauben Sie nicht, dass es für die großen Aufgaben, die jetzt vor unserem Land liegen, was diese Energiewende angeht, besser gewesen wäre, wenn Ihre Partei in einem ähnlich demokratischen, öffentlichen, vielleicht auch von harten Auseinandersetzungen begleiteten Verfahren zu dieser Kurskorrektur gekommen wäre? ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal darf ich sagen, dass ich, auch wenn wir als Hamburger sehr vertraut sind, die Koordinierung und Unterstützung des Präsidenten selbstverständlich sehr begrüße. Ich hatte den Eindruck, Frau Sager, dass die Debatte in der Union doch sehr öffentlich gewesen ist und die verschiedenen Standpunkte deutlich geworden sind. Diese Debatte begann vor etwa einem Jahr, als es um dieses Thema ging. Das war übrigens nicht mein Wunsch, sondern ein Wählerauftrag; denn all diejenigen, die die christlich-liberale Koalition gewählt haben, wussten, dass es diese im Zusammenhang mit der Finanzierbarkeit des Klimaschutzes für wichtig erachtete, die Laufzeit zu verlängern. Es gab einen Grundkonsens in der Bevölkerung, wonach das okay war. Damals gab es auch den Grundkonsens: Wir wollen keine großen Strompreiserhöhungen. Das hat sich jetzt nach Fukushima geändert. Die Bereitschaft der Menschen, mehr zu zahlen, ist in allen Teilen der Bevölkerung gewachsen. Auch dort folgen die CDU/CSU und die FDP dem Souverän, was in einer Republik richtig ist. Wir haben eine Debatte geführt. Wir haben sicherlich trotz vieler bürgerlicher Aspekte, die uns verbinden, eine unterschiedliche Kultur. Aber Sie können nicht sagen, dass diese Debatte nicht öffentlich gewesen wäre. Sie ist sogar sehr öffentlich gewesen; denn wir haben auch in den Medien sehr intensiv diskutiert. Norbert Röttgen hat für seine Position intensiv geworben. Ich bin in meinem Wahlkreis durch Kreisverbände und Ortsverbände gelaufen und habe über Energiepolitik diskutiert, und zwar schon seit letztem Juni. Insofern sind wir hier sehr breit aufgestellt. Anders ist nicht zu verstehen, dass wir im Herbst letzten Jahres die Laufzeitverlängerung - der Text dazu bestand aus sechs Seiten - beschlossen haben. Die restlichen 60 Seiten waren sehr gut. Wir haben die Energiewende auf einer breiten Basis beschlossen. - Ich danke für Ihre Frage. ({0}) Jetzt wird mir der Präsident gleich sagen, dass meine Redezeit zu Ende ist. Ich glaube, dass wir, anders als meine Redezeit, erst am Anfang einer sehr guten Entwicklung stehen. Ich freue mich sehr, dass es am Ende einen breiten Konsens für diese herausragende Aufgabe gibt. Das, worin wir unsere Vielfalt einbringen können, ist die Umsetzung des Ganzen. Dafür haben wir bewährte Instrumente, sodass die Umsetzung sicher gelingen wird. Ein Wert ist auch, dass Union und FDP bei diesem Thema, das sehr wirtschaftsnah ist, die Kompetenz dafür haben, ({1}) diesen Beschluss konsensuell umzusetzen. Das ist unser Vorteil gegenüber Ihnen, Herr Gabriel. Ich danke Ihnen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Minister für Finanzen und Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg, Herrn Nils Schmid. ({0}) Dr. Nils Schmid, Minister ({1}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Gerhard Schröder das Lukas-Evangelium zitiert, dann muss etwas Wichtiges geschehen sein. Er hat nämlich angesichts des Kurswechsels der Regierungsmehrheit in diesem Haus gesagt, dass im Himmel mehr Freude über einen einzigen reuigen Sünder ist als über 99 Gerechte. Diesem Zitat kann ich mich nur anschließen. Ich freue mich über viele Hundert reuige Sünder in diesem Haus. ({2}) Doch kommt man angesichts der aktuellen Diskussion schon ein bisschen ins Grübeln. Wenn Parteien 25 Jahre brauchen, nämlich von dem Unglück in Tschernobyl bis zur Katastrophe in Fukushima, um zu erkennen, dass die Atomkraft eine nicht beherrschbare Technologie ist, dann frage ich mich: Wie lange brauchen dann dieselben Parteien, um einzusehen, dass Steuersenkungen auf Pump ein Riesenfehler sind? Minister Dr. Nils Schmid ({3}) ({4}) In beiden Fällen gibt es keine sachlichen Gründe für diesen plötzlichen U-Turn. Man kann leicht nachvollziehen, dass hier taktische Erwägungen eine Rolle gespielt haben. So wie jetzt die Pläne für Steuersenkungen der Rettungsring für den neuen FDP-Vorsitzenden sein sollen, so war der U-Turn bei der Kernenergiepolitik vor allem dem Ziel geschuldet, kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg mit ganzer Kraft auf die Bremse zu treten, um eine marode Landesregierung vor der Abwahl zu retten. Wie Sie sehen, ist dieser Versuch mächtig in die Hose gegangen. Deshalb redet jetzt der Vertreter einer neuen Landesregierung in Baden-Württemberg in diesem Hohen Hause. ({5}) Das zeigt: Verlässlichkeit, Planbarkeit und Prinzipientreue in der Politik werden von vielen Menschen in diesem Land eingefordert. ({6}) Sie müssen sich darauf verlassen können, dass nicht Klientelinteressen, sondern Vernunft und Sachverstand Entscheidungen leiten. ({7}) Nur dann kann das Vertrauen, das zerstört worden ist, wieder zurückgewonnen werden. Gerade die Unternehmen in Baden-Württemberg brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Die Stadtwerke, die Mittelständler, die großen Industriekonzerne und auch das Autoland Baden-Württemberg sind mehr, als es in anderen Bundesländern der Fall ist, darauf angewiesen, dass gerade in der Energie- und Wirtschaftspolitik Verlässlichkeit, Planbarkeit und Investitionssicherheit gewährleistet sind. ({8}) Deshalb begrüßt die baden-württembergische Landesregierung, dass die neue Bundesregierung, wenn auch handwerklich schlechter, zu dem alten Atomkonsens zurückkehren will, den Gerhard Schröder, Jürgen Trittin, Frank-Walter Steinmeier, Werner Müller und viele andere ausgehandelt haben und der vor wenigen Monaten ohne Not aufgekündigt worden ist. Aber auch da gilt der Spruch vom reuigen Sünder. Wenn die Lernkurve der CDU/CSU auch bei anderen Themen so steil ist, dann kann man hoffen, dass bei den Steuersenkungen nicht derselbe Fehler wiederholt wird. ({9}) Eines ist aber auch klar: Die Geschwindigkeit der Energiewende in Deutschland entscheidet sich in BadenWürttemberg, nicht nur weil die neue Landesregierung vier AKW und eine riesige Schuldenlast von der alten Landesregierung geerbt hat - es ist eine schwere Hypothek, dass wir die Übernahme des Anteils an EnBW rein durch Schulden finanziert haben -, sondern auch, weil es ein Paradebeispiel dafür ist, was die schwarz-gelbe Energiepolitik in der Vergangenheit an Versäumnissen angerichtet hat. Ich denke nur an den wichtigen Bereich der Windenergie. Wo ist denn das böse Wort von der „Verspargelung der Landschaft“ entstanden? Das war in BadenWürttemberg. ({10}) Die Herren Teufel, Kauder und Mappus haben dieses Wort bis zum Gehtnichtmehr gebraucht und den Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg verhindert. Jetzt wollen sie plötzlich die Frontmänner der erneuerbaren Energien sein. ({11}) Bevor wir von Verspargelung reden, würde ich lieber darüber reden, dass jedes Windrad, das an einem geeigneten Ort aufgestellt ist, ein Ausweis baden-württembergischer Ingenieurskunst ist, auf den wir stolz sein sollten. Das ist technischer Fortschritt, der nicht verhindert werden darf. ({12}) Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet die CDU/CSUBundestagsfraktion bei der Förderung der Onshorewindenergie Verschlechterungen plant. ({13}) Bezeichnend ist auch, dass die baden-württembergische Riege der CDU/CSU-Bundestagsfraktion um Herrn Kauder und Herrn Pfeiffer nichts Besseres zu tun wissen, als den Bereich, der für Baden-Württemberg in den nächsten Jahren besonders wichtig ist, weiter zu vernachlässigen und zu verschlechtern. Sie tun damit dem Industriestandort Baden-Württemberg einen schweren Tort an. Sie haben sich zu Recht in die hintere Reihe verzogen, Herr Kauder. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht? Dr. Nils Schmid, Minister ({0}): Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Kollege Schlecht. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, in Baden-Württemberg gibt es insoweit eine günstige Voraussetzung für die Energiewende, als das Energieversorgungsunternehmen in Baden-Württemberg in öffentlichem Eigentum ist und damit öffentlicher Kontrolle untersteht. Was mich allerdings verwundert, ist erstens, dass Sie zur Geschäftspolitik der EnBW - Ziel sollte es sein, den Energieumbau voranzubringen bekundet haben, auf diese keinen Einfluss nehmen zu wollen, sondern die EnBW weiterhin als ganz normales marktwirtschaftliches kapitalistisches Unternehmen arbeiten lassen wollen. ({0}) Zweitens wundert mich folgender Punkt: Selbst als der Geschäftsführer der EnBW erklärt hat, er sei zwar ein Atommann, aber wenn sich die poltischen Verhältnisse gewandelt hätten, sei er durchaus bereit, sich den alternativen Energien zuzuwenden, aber das würde 8 Milliarden Euro kosten, hat sich die neue Landesregierung nicht einmal ansatzweise damit befasst, in ihr eigenes Unternehmen zu investieren, um den Umbau der Energieversorgung voranzubringen. Das habe ich vermisst.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie müssen sich jetzt aber zeitlich ein bisschen disziplinieren.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Noch einen Satz. - Warum haben Sie das nicht ganz anders gehandhabt? Ist das nicht wirklich schon ein erstes großes Versagen Ihrer Politik im Hinblick auf den Energieumbau? ({0}) Dr. Nils Schmid, Minister ({1}): Darauf soll ich antworten? Herr Kollege, ein großes Versagen Ihrerseits ist, zu verkennen, dass EnBW eine AG ist. Deshalb gibt es keine Geschäftsführer, sondern Vorstandsvorsitzende. Es gilt das Aktienrecht für das Verhältnis zwischen Eigentümer und Vorstand. Deshalb ist es selbstverständlich, dass die Landesregierung im Rahmen des Aktienrechts Einfluss auf die Strategie, aber nicht auf Einzelheiten der Geschäftspolitik nehmen wird. Alles andere wäre rechtswidrig. Sie wollen mich doch wohl nicht zu rechtswidrigem Verhalten auffordern? ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, da Sie jetzt so schön damit angefangen haben: Würden Sie noch eine Bemerkung der Kollegin Flachsbarth einbeziehen wollen? ({0}) Dr. Nils Schmid, Minister ({1}): Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Frau Dr. Flachsbarth.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich habe lediglich eine Nachfrage in der Sache. Sie haben eben gesagt, dass die Unionsfraktion an der Verschlechterung der Bedingungen für den Ausbau der Windenergie onshore maßgeblich beteiligt gewesen sei. Könnten Sie mir bitte freundicherweise im Detail nachweisen, wo das der Fall ist, ({0}) insbesondere in Bezug auf den SDL-Bonus oder das Repowering? Ich möchte das Gegenteil behaupten: Die Unionsfraktion hat gemeinsam mit dem Koalitionspartner für eine maßgebliche Verbesserung der Bedingungen im Vergleich zum Status quo gesorgt. ({1}) Dr. Nils Schmid, Minister ({2}): Es geht zuerst um die Ausgestaltung der Degression bei der Förderung der Windenergie. Ich bin der Auffassung, dass der jetzige Vorschlag nicht ausreichend ist. Sie wissen ganz genau, dass in Baden-Württemberg ein riesiger Nachholbedarf besteht. ({3}) Stellen Sie sich einmal vor: Weniger als 1 Prozent unseres Stroms wird aus Windenergie erzeugt. Vergleichbare Länder wie Rheinland-Pfalz mit ähnlicher Topografie und ähnlicher Windhöffigkeit haben bereits einen Anteil von 10 Prozent erreicht. Jetzt haben die Südländer - übrigens auch Herr Seehofer für Bayern - erklärt, dass sie sich langsam an diesen Schnitt heranrobben wollen. Dafür brauchen wir Unterstützung; denn eine dezentrale Energieversorgung funktioniert nur, wenn wir die Gewinnung von Energie aus Wind, Wasser, Biomasse und Sonne in den jeweiligen Regionen des Landes fördern. Deshalb sage ich: Aus baden-württembergischer Sicht ist die jetzige Ausgestaltung der Förderung von Windenergie im EEG nicht ausreichend. Darüber werden wir noch diskutieren müssen. ({4}) Vor allem brauchen wir eine mentale Veränderung. Ich höre ständig, wie die Chancen der erneuerbaren Energien beschworen werden. Ich bin in den letzten Jahren und Monaten durch das Industrie- und Mittelstandsland Baden-Württemberg gereist und habe viele Unternehmen besichtigt. Darunter war kein einziges, das mit großer Begeisterung neue AKW bauen wollte. Es gibt aber ganz viele Unternehmen, die hochleistungsfähige Windkraftanlagen oder Photovoltaikanlagen fertigen und diese in die ganze Welt exportieren. Das ist die Zukunftschance des Industriestandorts Baden-WürttemMinister Dr. Nils Schmid ({5}) berg. Sie haben über Jahre hinweg zum Beispiel den Ausbau der Windenergie als „Verspargelung der Landschaft“ verteufelt. Da sehen Sie einmal, wie rückständig Sie waren! ({6}) Gerade weil wir das wichtigste Industrieland in Deutschland sind, entscheidet sich die Energiewende in Baden-Württemberg, auch wenn es um den Ausbau der erneuerbaren Energien geht. Gerade in einem Industrieland wie Baden-Württemberg haben wir aufgrund unserer gesunden Struktur aus Mittelständlern und Großindustrie sowie unserer Maschinen-, Anlagenbau- und Elektroindustrie, die für die notwendigen technologischen Inputs für Anlagen zur Erzeugung erneuerbaren Stroms sorgt, für den Ausbau der Speichertechnologie und für die Verknüpfung von E-Mobilität und dezentraler Energieerzeugung, die Chance, Modellregion dafür zu sein, wie die Energiewende funktionieren kann. Ich sage Ihnen eines: Wir warten nur darauf, dass die Bundesregierung und die Mehrheit in diesem Haus uns endlich die Instrumente dafür in die Hand gibt. Alleine schaffen wir das in Baden-Württemberg eben nicht. Dazu gehört, dass Sie eine ordentliche Förderung der erneuerbaren Energien hinbekommen; ich bin auf das Beispiel Onshorewindenergie eingegangen. Dazu gehört, dass Sie Kapazitätsmärkte für Neubauten von Kraftwerken schaffen. Wir sind uns einig, dass insbesondere hocheffiziente Gaskraftwerke dabei eine große Rolle spielen. Dazu gehört auch, damit der Industriestandort gesichert wird, dass wir Rücksicht auf die energieintensiven Branchen nehmen. Das ist das Paket, das Baden-Württemberg braucht; das ist das Paket, das Deutschland braucht. Dieses Paket lag vor zehn Jahren auf dem Tisch. Es lag mit beiden Facetten auf dem Tisch. Ich glaube, Herr Rösler war damals noch nicht dabei. Es gab den Ausstiegsfahrplan; daran mögen sich manche vielleicht noch erinnern. Man erinnert sich vielleicht auch noch daran, dass es ein EEG gab, das damals eingeführt worden ist, vor allen Dingen dank des Engagements von Hermann Scheer aus BadenWürttemberg. ({7}) Damals, als es um das EEG und die Frage ging, ob die große Wasserkraft dabei berücksichtigt werden soll - Stichwort Rheinfelden -, war die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dagegen. Anschließend rühmen Sie sich, wie toll Sie die erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg ausbauen wollen. Ich glaube, die Realität spricht eine andere Sprache. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, dass wir endlich für die Industrie, für die Wirtschaft, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg und in Deutschland diese Sicherheit schaffen. Wirtschaftliche Vernunft, soziale Balance und Nachhaltigkeit gehören zusammen. Baden-Württemberg als starkes Industrieland wird seiner Verantwortung gerecht werden. Werden auch Sie Ihrer Verantwortung gerecht. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Michael Kauch das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn das, was Herr Schmid hier gerade vorgetragen hat, von der Kompetenz der neuen Wirtschaftspolitik in BadenWürttemberg zeugen soll, dann ist mir um das industrielle Kernland Deutschlands angst und bange. ({0}) Nicht Steuersenkungen werden auf Pump finanziert, sondern die Ausgaben des Staates, die des Bundes und auch diejenigen des Landes Baden-Württemberg. Nicht die Beglückung von Philipp Rösler ist der Grund für Steuersenkungen, sondern es sind die Interessen der hart arbeitenden Normalverdiener, denen die Lohnerhöhungen vom Staat weggenommen werden. Das ist der Grund für die Steuersenkungen. ({1}) Wir kehren auch nicht zu dem rot-grünen Atomdeal mit den Konzernen zurück. Sie haben den Deal über Reststrommengen gemacht. Dadurch konnten die Konzerne das Ausstiegsdatum immer weiter nach hinten schieben. Wir legen ein neues Konzept vor. In diesem Konzept gibt es klare Enddaten. Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen können sich darauf verlassen: Es gibt einen klaren Fahrplan. Das gab es bei Rot-Grün nicht. ({2}) Deshalb tun Sie nicht so, als ob Sie immer schon alles gewusst hätten, meine Damen und Herren. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kauch, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung? - Nein.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Künast hat die Frage der demokratischen Debatte angesprochen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Die FDP hat es sich nicht leicht gemacht, hierbei einen neuen Kurs einzuschlagen. Wir haben einen Parteitag einberufen. Auf diesem Parteitag wurde kontrovers diskutiert. Am Schluss sind wir gemeinsam zu einem Er13388 gebnis gekommen. Das ist die demokratische Legitimation dafür, was wir heute hier im Deutschen Bundestag beschließen werden. ({0}) Wir wollen uns vor allem damit beschäftigen, was die Zukunft dieses Landes ist, während die Opposition hier die Geschichte bis in die 50er-Jahre hinein bemüht hat. Deswegen haben wir hier ein neues Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgelegt. Dieses neue Erneuerbare-Energien-Gesetz hat zum einen das Ziel, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, und zum anderen, mehr Marktwirtschaft in dieses System zu bringen. Wir werden mit diesem Gesetz die Produzenten von Ökostrom dazu bringen, sich stärker an den Bedürfnissen ihrer Kunden zu orientieren; denn unser Ziel ist nicht die Beglückung von Unternehmen. Vielmehr wollen wir, dass Verbraucherinnen und Verbraucher für das Geld, das sie für ihren Strom zahlen, so viel Ökostrom wie möglich bekommen, und zwar dann, wenn sie ihn brauchen, und nicht nur dann, wenn die Erzeuger ihn ins Netz speisen wollen. ({1}) Deshalb haben wir die Instrumente zur Direktvermarktung von Ökostrom verbessert. Wir haben die Markt- und Netzintegration gestärkt. Dazu haben insbesondere die Koalitionsfraktionen das Instrument des sogenannten Grünstromprivilegs, also der Direktvermarktung über Ökostromhändler, gegenüber dem Regierungsentwurf verbessert. Wir haben es geschafft, dass auch wieder kleinere Händler eine Chance haben, dieses Instrument wirtschaftlich zu nutzen, und wir haben die Marktprämie für stetige erneuerbare Energien erhöht. Wir haben jetzt auch bei Bestandsanlagen für Biomasse dafür gesorgt, dass sie eine Prämie bekommen, wenn sie sich flexibel an den Bedürfnissen des Marktes ausrichten. Dies zeigt ganz klar: Wir wollen dahin, dass die erneuerbaren Energien die Hauptfunktion im Energiesystem übernehmen können. Die rot-grüne Politik bestand immer nur darin, ein paar Anlagen zu bauen; aber wie diese Anlagen in die Energieversorgung integriert werden, war nie ihr Thema. Aber das ist unser Thema. ({2}) Wenn Herr Schmid das Gesetz offensichtlich nicht richtig gelesen hat, über das er hier spricht, dann tut es mir leid. Aber ich glaube, es ist weniger ein Informationsdefizit als vielmehr der Versuch der baden-württembergischen Landesregierung, irgendwie darum herumzukommen, den Plänen der Bundesregierung zuzustimmen. Sie suchen das Haar in der Suppe, und mag es auch noch so klein sein. ({3}) Wenn Sie das Gesetz, das wir heute als Koalition einbringen, und die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen mit dem vergleichen, was Ihr Ministerpräsident am Donnerstag im Kanzleramt vereinbart hat, dann stellen Sie fest: Das Ergebnis, das die Koalitionsfraktionen erreicht haben, ist eine höhere Vergütung für die nächsten drei Jahre für die Onshorewindkraft als die, die Herr Kretschmann im Kanzleramt zugestanden hat. ({4}) Wir erhöhen zwar im Vergleich zu diesem Ergebnis die Degression um 0,5 Prozent, was einen Betrag von 0,045 Cent pro Jahr bedeutet; ich sage dies, um Ihnen die Größenordnung darzustellen. Dafür erhöhen wir den Systemdienstleistungsbonus im Verhältnis zu der Vereinbarung mit Herrn Kretschmann in der letzten Woche um 0,21 Cent, also um das Fünffache der Summe, die wir bei der Degression darauflegen. Das machen wir deshalb, weil wir nicht wollen, dass man mit dem Bau von Windkraftanlagen wartet. Wir wollen, dass sie jetzt gebaut werden; in den nächsten drei Jahren brauchen wir den Aufwuchs. Deshalb verbessern wir die Bedingungen für die nächsten drei Jahre. Das ist für die Windkraft an Land sachgerecht, gerade in Bayern und BadenWürttemberg. Es ist unerträglich, zu sehen, wie Sie, meine Damen und Herren, und insbesondere Sie, Herr Schmid, Ihr parteipolitisches Süppchen kochen und den Bürgern hier Halbwahrheiten erzählen. ({5}) Wir haben in der Tat auch den industriellen Mittelstand bei der Umlage für die erneuerbaren Energien entlastet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der muss allerdings jetzt mit dieser knappen Erwähnung zufrieden sein.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das tun wir nicht deswegen, weil wir den Unternehmen etwas Gutes tun wollen, sondern wir tun das wegen der Arbeitsplätze in diesem Lande. Gleichzeitig haben wir aber den weiter gehenden Wünschen der Industrie nicht entsprochen; denn eine Entlastung der Unternehmen bedeutet für andere eine Erhöhung der Umlage. Das hat diese Koalition berücksichtigt. Wir haben den Mittelstand entlastet, aber die Großindustriewünsche eben nicht erfüllt. Das ist sachgerecht. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort für zwei Kurzinterventionen, zunächst dem Kollegen Fell und dann der Kollegin Menzner. Bitte schön.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kauch, Ihre Aussage, es sei unerträglich, zu sehen, wie parteipolitische Süppchen gekocht würden, fällt voll auf Sie zurück. ({0}) Wenn Sie sich an das Rednerpult des Deutschen Bundestages stellen und sinngemäß behaupten, unter RotGrün seien die erneuerbaren Energien nicht eingeführt bzw. nicht genügend unterstützt worden, dann frage ich Sie, warum in der Welt außerhalb Deutschlands staunend zur Kenntnis genommen wird, dass Deutschland die Technologieführerschaft in den erneuerbaren Energien besitzt und seit zehn Jahren eine Industrie aufgebaut hat, die inzwischen 370 000 Arbeitsplätze hat? Unter Ihrer, der damaligen schwarz-gelben Regierung Kohl waren es nur 30 000 Arbeitsplätze. Dies ist eine Erfolgsgeschichte, die Sie nicht wegreden können. Sie kochen Ihr parteipolitisches Süppchen und wollen nicht wahrhaben, was wirklich ist. Es ist auch nicht so, dass Ihre Partei längst Ihren - vielleicht persönlichen - Aussagen gefolgt ist. Wie wollen Sie in der Öffentlichkeit klarmachen, dass der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten im nordrhein-westfälischen Landtag, Herr Papke, bezüglich Windenergieanlagen nur von Industriemonstern spricht und bei jeder Bürgerinitiative gegen Windenergie auftritt. Wie wollen Sie begründen, dass die Nachholbedarfe in den südlichen Bundesländern erst mit Ihrer Regierungsbeteiligung notwendig werden? Sie tragen doch die Verantwortung für die Blockade der Windenergie in der Vergangenheit? Wie wollen Sie eigentlich jetzt die Marktintegration, von der Sie so viel gesprochen haben, begründen, wenn selbst der BDEW, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, die Verschlechterungen im Zusammenhang mit dem sogenannten Grünstromprivileg, die Sie jetzt im Erneuerbare-Energien-Gesetz vornehmen, mit den Worten „Damit ist es tot“ kommentiert? Damit machen Sie dem entscheidenden Instrument der Marktintegration den Garaus, und Sie bringen eben nicht die von Ihnen als Zielvorstellung bezeichnete Marktintegration voran. Es ist schlicht nicht wahr, was Sie sagen. Ich bitte Sie, das hier in der Öffentlichkeit zuzugeben. Wir haben von Ihnen keinen Einstieg in erneuerbare Energien zu erwarten. Wir erwarten allerhöchstens einen beschleunigten Ausbau. Genau den nehmen Sie aber nicht in Angriff. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Kollege Kauch, in der Begründung der 13. Novelle des Atomgesetzes finden wir relativ wenig. Wir haben in den letzten Wochen miteinander vernommen, dass die vier Stromkonzerne überlegen und teilweise schon konkret angekündigt haben, auf Entschädigungen zu klagen, und Sie legen an dieser Stelle nicht nach. Die Begründung im Gesetzentwurf, wieso Laufzeiten begrenzt werden, ist sehr dürftig, obwohl diese Begrenzung natürlich einen Eingriff in das Eigentums- und Verfügungsrecht dieser Konzerne darstellt. Ich möchte Sie an eine Entscheidung zum Bundesberggesetz von 1991 erinnern. Da hat das Bundesverfassungsgericht entschieden - das möchte ich zitieren -: Die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprechen, müssen so schwerwiegend sein, daß sie Vorrang haben vor dem Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand seines Rechts, das durch die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gesichert wird. Ich frage Sie, wieso die Koalition gerade vor dem Hintergrund der Ankündigungen dieser Konzerne nicht darauf hingewirkt hat, dass die 13. Novelle des ATG verfassungs- und entschädigungssicher wird. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Herr Kollege Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Menzner, ich danke Ihnen für die ausgesprochen sachliche Intervention zu dem Thema, das Sie auch schon im Umweltausschuss angesprochen haben. Ich sage ausdrücklich: Wir teilen das Ziel, dass die Verkürzung der Laufzeiten der Kernkraftwerke keine milliardenschweren Entschädigungszahlungen an die Konzerne nach sich zieht. Vielleicht könnten Sie Ihrem Fraktionsvorsitzenden eine gewisse Nachhilfe geben. Er hat uns gerade vorgeworfen, dass wir in der Begründung auf die Amortisationsfristen von Kernkraftwerken eingehen. Das ist genau die Begründung, die es an dieser Stelle braucht, Frau Menzner. Es ist nämlich so, dass wir nicht in die Eigentumsrechte der Unternehmen eingreifen, sondern durch die festen Abschaltdaten in Kombination mit den Übertragungsmöglichkeiten innerhalb des Zeitraums bis zur Abschaltung aus unserer Sicht eine verfassungsfeste Lösung gefunden haben. Wir teilen das Ziel. Wir teilen nicht Ihre Skepsis. Auf jeden Fall teilen wir nicht die polemische Kritik Ihres Fraktionsvorsitzenden. ({0}) Dann zu den Äußerungen von Herrn Fell. Herr Fell, ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, dass das EEG in der von Rot-Grün beschlossenen Fassung den Anlagenbau nicht angereizt hat. Insofern war es effektiv. Man kann darüber streiten, ob es effizient war; aber es war effektiv. Wir sind nur jetzt in der Situation, dass der Anteil der erneuerbaren Energien im Netz schon deutlich über 16 Prozent liegt. Wir wollen spätestens 2020 auf einen Anteil von 35 Prozent kommen. Wir wollen bis 2050 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 80 Prozent. Wenn es so ist, dass die erneuerbaren Energien den Hauptanteil der Energieversorgung übernehmen müssen, dann muss man sich heute andere Fragen stellen, als Sie sich damals stellen mussten, als sozusagen das Rad ans Laufen gebracht wurde. ({1}) Jetzt geht es um folgende Fragen: Wie bekommen wir die erneuerbaren Energien in den Markt? Wie bekommen wir sie ins Netz? Wie beenden wir die Dauersub13390 ventionierung und damit eine schleichende Verstaatlichung des Energiemarkts über staatlich festgesetzte Preise? All das sind Aufgaben, denen wir uns jetzt stellen müssen. Darauf geben wir mit den von uns vorgeschlagenen Änderungen zum EEG die Antworten. Ich weise im Übrigen auf Folgendes hin: Die erneuerbaren Energien hängen nicht nur von der Vergütung ab. Sie hängen auch davon ab, ob beispielsweise die Länder und Kommunen ausreichend Flächen bereitstellen und ob der Netzausbau beschleunigt wird. Deshalb machen wir als Koalition die Erdverkabelung jetzt zum Regelfall. Bis zu einer Kostenhöhe von fast dem Dreifachen einer Freileitung ist die Leitung als Erdkabel auszuführen. ({2}) Damit werden Bürgerproteste deutlich abgebaut. Wir sorgen als Koalition gleichzeitig dafür, dass die Erdverkabelung nicht vorgenommen wird, wenn naturschutzfachliche Gründe dagegenstehen. Das war von den Ländern nicht gefordert worden. Das haben die Koalitionsfraktionen eingeführt, weil naturschutzfachlich die Erdkabel eben nicht immer besser sind als Freileitungen. Das gehört zur Wahrheit dazu. Auch die Leistungsbegrenzung beim Repowering, die unter dem früheren Umweltminister Gabriel ins Gesetz geschrieben worden ist, hebt diese Koalition auf; Stichwort „Verringerung von Höhenbegrenzungen“. Sie sollten uns nicht an Worten Einzelner messen, sondern an den Taten der Mehrheit unserer Fraktion und unserer Partei. Die steht ganz klar zu dem Kurs, den wir hier heute beschließen werden. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauch, Ihre Antwort zeigt: Sie sind die Getriebenen. Genau deshalb muss dieser Atomausstieg anders als der im Jahr 2000 unumkehrbar werden. Wir brauchen einen unumkehrbaren Ausstieg - und das nicht erst in drei Legislaturperioden, sondern wesentlich eher. ({0}) Der Atomausstieg, das ist das eine; zukunftsfähige Energieversorgung zu organisieren, das ist das andere. Für die Linke ist ganz klar: Die Energiewende muss einen Anteil der regenerativen Energien von 100 Prozent zum Ziel haben, und sie muss sozial gestaltet werden. ({1}) Wenn ich mir die Gesetzentwürfe anschaue, komme ich zu dem Schluss: Da droht schon eine gewisse Energiearmut für einkommensschwache Haushalte. Darum einige Worte zur Novelle des Gesetzes über den Energieund Klimafonds. Der Fonds soll Verlässlichkeit bei der Energiewende garantieren. Da geht es um soziale Absicherung, um regenerative Energien, um den Ausbau. Ich frage mich: Ist das so? Ab 2013 gibt es nur noch eine Säule, nämlich die Versteigerungserlöse aus dem Emissionshandel. Das heißt, wenn die Preise für CO2Zertifikate sinken, ist weniger Geld in dem Fonds. Das ist eine Gefahr, auf die ich hinweisen möchte. Alternativ hätte man die Kernbrennstoffsteuer erhöhen können. Ich denke aber, die Koalition wollte es sich nicht weiter mit den AKW-Betreibern verscherzen. Schade! Wir brauchen mehr Geld in diesem Fonds. Denn wir alle wissen: Die Energiewende kostet viel Geld. Was enthält dieser Fonds? Forschung für Elektromobilität. Die Sachverständigen haben gesagt, sie gehöre nicht hinein. Elektromobilität wird die Probleme des Individualverkehrs nicht lösen - das wissen wir alle -, und wenn sie mit Atomkraftstrom betrieben wird, dann sowieso nicht. ({2}) Eine der größten Sünden sind die Zuschüsse für energieintensive Unternehmen in Höhe von 500 Millionen Euro. Das ist der vierte Mechanismus zur Subventionierung der energieintensiven Unternehmen. Die Zuschüsse sind gedacht als Ausgleich für emissionshandelsbedingte Strompreiserhöhungen. Um eines klarzustellen, damit Sie uns das nicht wieder vorwerfen: Natürlich sind wir für eine angemessene Unterstützung der Unternehmen, wenn ein relevanter Teil der Produkte im internationalen Wettbewerb steht. Schließlich gibt es jenseits der EU vielfach keine vergleichbare Umweltgesetzgebung. Doch man muss berücksichtigen, dass Firmen bereits seit Jahren entlastet werden: Erstens. Der Spitzenausgleich und andere Nachlässe bei der Stromsteuer bringen den Unternehmen 4,2 Milliarden Euro jährlich. Zweitens die Ausgleichsregelungen im EEG. Und das ist der Hammer: Während die Bürgerinnen und Bürger über die EEG-Umlage die Energiewende finanzieren müssen, wird bei der Industrie Geld damit verdient; denn die erneuerbaren Energien führen an der Börse zu strompreissenkenden Effekten in Höhe von 0,6 Cent pro Kilowattstunde. Das heißt, es gibt einen Einspeisevorrang für erneuerbare Energien, wodurch der jeweils teuerste Strom aus fossilen Rohstoffen überflüssig wird. Die EEG-Umlage für große energieintensive Unternehmen aber wird auf 0,05 Cent pro Kilowattstunde begrenzt. Das heißt, das Ganze ist eine Gelddruckmaschine; das wird auch von der Bundesregierung zugegeben. Drittens die kostenlose Vergabe der CO2-Zertifikate an die Industrie im Rahmen des Emissionshandels ab 2013. Hier hat sich die Lobby schamlos durchgesetzt. Deutlich mehr Unternehmen als die Zahl derjenigen, die tatsächlich mit energieintensiven Produkten im internationalen Wettbewerb stehen, profitieren davon. Viertens - ich habe es schon genannt - die zusätzliche Kompensation von Strompreiserhöhungen für die Industrie in Höhe von 500 Millionen Euro. Und noch etwas: Die Bundesregierung hat letzten Monat bei der EU-Kommission Zuschüsse von über 1 Milliarde Euro angemeldet; das haben wir zufällig erfahren. Wir fragen uns: Wer bezuschusst eigentlich die Bürgerinnen und Bürger mit kleinem Einkommen? ({3}) Sollen die alles allein tragen? Im Bereich der energetischen Gebäudesanierung gibt es Steuererleichterungen und Förderungen. Das ist ja gut - aber vor allem für die Menschen, die ohnehin nicht arm sind und Steuern zahlen. Fazit: Das Gesetzespaket führt zu einer extremen sozialen Schieflage. Das halten wir für ungerecht. Wir wollen, dass der sozialökologische Umbau von der breiten Bevölkerung akzeptiert wird. Dabei geht es nicht nur um Ökologie, sondern auch um soziale Aspekte. Das muss gewährleistet sein. Sonst bekommen wir die Akzeptanz nicht hin, die wir dringend brauchen für 100 Prozent regenerative Energien. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns und für mich ist heute ein wichtiger Tag. Die unsinnigen Laufzeitverlängerungen vom letzten Herbst werden heute zurückgenommen. Das ist gut; denn wir wollen den Ausstieg aus der Atomkraft. ({0}) Deshalb habe ich mich gefreut, dass ein Redner der Koalition, Herr Kruse, aus meiner Sicht eine gute Rede gehalten hat, weil sie nachdenklich war. ({1}) Ich habe noch die großen Worte im Ohr, die vor einem halben Jahr gefallen sind: Es war von einem „Jahrhundertkonzept“ die Rede; die Kanzlerin sprach von einer „Revolution“, die bis zum Jahr 2050 trage; Herr Westerwelle hat die „epochale Bedeutung“ hervorgehoben. Sie haben sich mit diesen großen Worten überboten. Wer angesichts dieser großen Worte heute hier noch versucht, die Opposition mit frischen und nassforschen Reden anzugreifen, wie es Herr Röttgen und Herr Rösler hier getan haben, der muss noch viel lernen, wenn er in die Energiewende einsteigen will. ({2}) Was hat Herr Röttgen, der es offensichtlich nicht mehr nötig hat, hier noch zu sitzen, im letzten Herbst gesagt? Die Grünen seien „energiepolitische Blindgänger“. Ich kann nur sagen: Willkommen im Club, Herr Röttgen! Wir wollen raus aus der Atomkraft, wir wollten es im letzten Herbst. Das ist nicht besserwisserisch. Wir wollten das schon im Herbst, weil wir wissen, dass die Nutzung der Atomkraft falsch ist, und wir nicht Fukushima brauchen, um das zu lernen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Höhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage von einer Kollegin aus der Linksfraktion?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Höhn, ich möchte Sie fragen, ob ein Zitat, was sich heute in der Rheinischen Post findet und Ihnen zugeschrieben wird, richtig ist. Hier das Zitat: Wenn wir 2013 mitregieren sollten, werden die Grünen an dem Zeitraum festhalten, dass bis 2022 der letzte Meiler abgeschaltet werden soll. Das heißt, wir werden den vorzeitigen Ausstieg 2017 auch nicht mehr als Zielsetzung im nächsten Wahlkampf haben.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sagen: Wir wollen raus aus der Atomkraft. Anders als Sie von den Linken haben wir ein Konzept, wie wir aus der Atomkraft herauskommen wollen. ({0}) Wir sind nicht diejenigen, die immer nur Forderungen erheben und nicht deutlich machen, wie es geht. ({1}) Wir wollen mit der Mehrheit der Menschen in diesem Land und der Mehrheit der Parteien raus aus der Atomkraft. Es ist gut für die Sache, wenn man nicht nur laut schreit, sondern auch ein Konzept hat, wie man es umsetzen kann; das haben wir. ({2}) Die Koalition hat uns vorgeworfen, wir würden parteitaktisch agieren, das sei Klein-Klein. Herr Rösler, ich habe mitbekommen, wie der Vizekanzler sozusagen zum Vizekanzler der Kaltreserve wurde; denn man brauchte die Kaltreserve - die unsinnige Idee, ein Atomkraftwerk in der Kaltreserve zu halten -, um die FDP zu retten. Dazu muss ich sagen: Das ist parteitaktisch motiviert, das ist Klein-Klein. Da hätte ich von Ihnen etwas anderes erwartet, nämlich dass Sie dann vollständig aussteigen und nicht immer noch an der Kaltreserve festhalten. Das wäre die richtige Politik gewesen. ({3}) Herr Rösler, ich habe gar kein Problem damit, dass Sie als Wirtschaftsminister neu im Amt sind. Aber vielleicht muss man aufpassen, dass man da nicht große Worte spuckt. Wenn Sie sagen, dass die Energiewende erst jetzt angepackt werde, dann muss ich sagen: Zur Energiewende gehört auch die Energieeffizienz. Sie waren letzte Woche in Brüssel. Da ging es um die Energieeffizienz. Genauso schlecht wie Ihr Vorgänger Brüderle versuchen Sie alles zu tun, um die Beschlüsse zur Energieeffizienz in Brüssel zu blockieren. Hören Sie auf, diese Beschlüsse zu blockieren! ({4}) Das schafft Arbeitsplätze. Es wäre Ihre Aufgabe als Wirtschaftsminister, die 250 000 Arbeitsplätze zu schaffen, die in diesem Bereich möglich sind. Dasselbe gilt für die erneuerbaren Energien. Sie streiten sich über die Windkraft auf dem Land. Herr Kauch hat es richtig auf den Punkt gebracht - ansonsten war die Rede furchtbar -: Sie streiten sich bei der Windkraft auf dem Land um 0,05 Cent pro Kilowattstunde. Jeder weiß: Wer wirklich raus aus der Atomkraft will, muss rein in die erneuerbaren Energien und insbesondere die Windkraft auf dem Land fördern; denn sie hat Potenzial und ist kostengünstig. Da wollen Länder einsteigen: Nordrhein-Westfalen - das Land hat fünf Jahre Blockade der FDP hinter sich -, Baden-Württemberg und Bayern. Wer wegen 0,05 Cent pro Kilowattstunde fightet, der hat die Bedeutung der Energiewende noch nicht verstanden. Wir müssen das Potenzial der Windkraft auf dem Land besser nutzen. Wir müssen endlich die Blockade brechen, die die schwarz-gelbe Koalition in den Ländern verursacht. ({5}) Zum Atomausstieg gehört auch die Frage der Endlagerung. Ich fand es interessant, dass Ministerpräsident McAllister in seiner gestrigen Regierungserklärung eine vollkommen neue Debatte angestoßen hat. Er sagte, in Gorleben solle der Atommüll oberirdisch gelagert werden und er wolle die Senkung der Radioaktivität, sprich das Transmutationsverfahren. Das hat übrigens auch die Bundesforschungsministerin vor. Jeder, der sich etwas auskennt, weiß: Transmutation heißt, wieder eine enorme Atomwirtschaft aufzubauen, die mit enormen Risiken verbunden ist. Das heißt: Wiederaufarbeitungsanlage. Das heißt: Atomwirtschaft. Wer aus der Atomkraft raus will, muss wirklich raus aus der Atomkraft und darf keine Riesenprojekte im Bereich der Atomwirtschaft aufbauen. ({6}) Die Kanzlerin hat die Energiewende hier vorgegeben. Dazu wurde sie durch die Katastrophe in Fukushima gezwungen. Wir werden darauf achten, dass da nicht nur Energiewende draufsteht, sondern auch Energiewende drin ist. Ich sehe ganz viele Abgeordnete der Koalition, die diese Energiewende überhaupt noch nicht verinnerlicht haben und momentan bei jedem Punkt und Komma dafür fighten, dass diese Energiewende nicht kommt. Das ist ein schwerer Fehler. Wer aussteigt aus der Atomkraft, muss einsteigen in die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz erhöhen. Das werden wir tun, darauf werden wir achten, und dabei werden wir Sie treiben. Wir haben noch viel Arbeit zu erledigen. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich stelle fest: Dies ist weniger eine historische als eine Historikerdebatte. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass wir uns stärker dem Ausblick als dem Rückblick widmen. ({0}) Jetzt bin aber auch ich gezwungen, zu reagieren und zurückzublicken. Ich möchte erst einmal festhalten, dass die Kernenergie früher unseren Wohlstand aufgebaut und die Industrialisierung gesichert hat, insbesondere von Süddeutschland. Das muss man an dieser Stelle einleitend positiv bemerken dürfen. ({1}) Zweitens. Nachdem hier heute Morgen schon allen Möglichen gedankt wurde - mit viel Pathos von Frau Künast zum Beispiel -, möchte ich mich bei den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kernkraftwerken bedanken, die täglich unsere Sicherheit sicherstellen. Sie sind in beruflicher Hinsicht am stärksten von dem betroffen, was wir heute hier beschließen. Vielen Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kernkraftwerken. ({2}) Lassen Sie mich rückblickend etwas zu unserem Beschluss vom letzten Herbst sagen: Der Opposition ist es damals gelungen, durch eine Medienkampagne zu suggerieren, dass es bei diesem Energiekonzept nur um die Laufzeitverlängerung ging. ({3}) Sie wissen sehr genau, dass das nicht der Fall war. Durch die Laufzeitverlängerungen wollten wir ein Mittel zum Zweck schaffen. Wir wollten Zeit und Geld für den Umstieg generieren. ({4}) - Sie wissen doch, dass wir diese Zeit brauchen, weil wir mit dem EEG damals zwar Kapazitäten geschaffen haben, ({5}) dass wir aber keine Versorgungssicherung hinbekommen haben. Sie wissen, dass das die eigentliche Herausforderung ist. Sie wissen, dass wir Zeit brauchen, weil wir im Bereich von Forschung und Entwicklung noch viel tun müssen. Sie haben zum Beispiel die Photovoltaik zu früh auf den Markt gebracht. Deshalb müssen wir jetzt über die finanziellen Konsequenzen dieses falschen Entschlusses diskutieren. ({6}) Sie wissen alle, dass das, was wir heute hier entscheiden, Geld kosten wird - das muss man so klar ansprechen -, und Sie wissen, Frau Bulling-Schröter, dass es auch um Verteilungsfragen geht. Es geht um die Frage: Wer zahlt was? Dass Industrie und Wirtschaft, sofern keine Potenziale zur Effizienzsteigerung vorhanden sind, von der EEG-Umlage entlastet werden müssen, ist ein zentraler Bestandteil dessen, was wir heute hier beschließen. Nach Fukushima und nach der Revidierung unseres letztjährigen Beschlusses haben wir weniger Zeit und weniger Geld zur Verfügung. Daher stehen wir vor einer anspruchsvollen Aufgabe. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Ausstieg der leichtere Teil dieser Aufgabe ist. Ich glaube aber trotzdem, dass es entscheidend ist, dass wir hier einen Konsens zustande bringen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Grünen, dass sie jetzt kein Haar in der Suppe gesucht und auch keines hineingeschmuggelt haben. ({7}) Die Zustimmung der Grünen ist natürlich nur konsequent; denn der heutige Beschluss - das hat auch Ihre Vorsitzende, Frau Roth, bei der Bundesdelegiertenkonferenz festgestellt - stellt eine Verbesserung gegenüber dem Beschluss von Rot-Grün dar. ({8}) Das, was wir hier heute im Rahmen des Atomausstiegs beschließen, bringt Planungssicherheit für alle Beteiligten, für die, die in die Alternativen investieren wollen, aber auch für die Versorger. Ich meine, dass das, was wir hier heute beschließen, aufgrund dieses breiten Konsenses nicht ins Grundgesetz aufgenommen werden muss. In unserem Grundgesetz steht nicht einmal, welches Wirtschaftssystem die Bundesrepublik Deutschland verfolgt. ({9}) Ich weiß, dass die Linke ein Problem damit hätte, die immens erfolgreiche soziale Marktwirtschaft ins Grundgesetz zu schreiben. Daher ist es absolut unsinnig, einzelne technologische Entscheidungen dieses Hauses ins Grundgesetz zu übernehmen. Das ist absolut falsch und ein Schritt, den wir sicher nicht gehen wollen. Ich hoffe im Übrigen, dass der Konsens gerichtsfest ist. Auch ich habe an der einen oder anderen Stelle mit Blick auf die Themen Gleichbehandlung und Eigentumsschutz meine Zweifel; das gebe ich offen zu. Frau Künast, Sie als Juristin wissen, dass man das so oder so sehen kann und dass es an dieser Stelle vor allem darauf ankommt, an die Versorger zu appellieren. Sie sollten aus meiner Sicht ganz genau überlegen, ob es angesichts dieses politischen, vor allem aber auch gesellschaftlichen Konsenses Sinn macht, den Rechtsweg zu beschreiten. Ich sage aber auch - ich habe mir das jetzt in der Debatte lange genug angehört -, dass sich der Konsens aus meiner Sicht nicht mit Besserwisserei verträgt. Die Grünen treten jetzt besserwisserisch auf und sagen, sie hätten das schon immer gewusst, die unvorstellbaren Risiken der Kernenergie seien lange bekannt gewesen. ({10}) Für mich ist dies eine der letzten Gelegenheiten - das gebe ich gerne zu -, mein ceterum censeo zu sagen und Ihnen noch einmal die Fragen zu stellen, die Sie noch nie beantwortet haben: Wenn das alles so ist, warum sind Sie dann im Jahr 2000 nicht sofort ausgestiegen? Warum haben Sie stattdessen ein hohes internationales Sicherheitsniveau attestiert? ({11}) Jenseits dieser Fragen, die Sie wahrscheinlich nie beantworten werden, freue ich mich, dass dieses ideologische Kampfthema heute beendet wird. Ich weiß, dass sich bei den Grünen noch der Phantomschmerz einstellen wird. ({12}) Ich erlebe momentan in etlichen Veranstaltungen, dass sie geneigt sind, die alten Debatten noch einmal zu führen. Ich gebe für mich offen zu: Auch ich habe manchmal das Bedürfnis, da noch einmal draufzuhauen. Es stellt sich auch die Frage, was die AKW-Folklore in Zukunft machen wird, wenn sie nicht mehr sitzend, singend, tanzend oder sonst irgendwie demonstrieren dürfen. ({13}) Ich glaube, dass wir uns nicht der Vergangenheit widmen sollten, sondern ernsthaft der Frage, wie wir jetzt beim Ausbau der erneuerbaren Energien weitermachen. Wir müssen in beiden Reihen viel um Akzeptanz werben. Die Themen Vermaisung, Verbauung der Flüsse, Verschandelung mit Leitungen usw. spielen immer noch eine Rolle, und zwar nicht nur auf der rechten Seite, sondern ganz genauso auf der linken Seite dieses Hauses.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich glaube, dass wir jetzt auch bei dem Thema Endlagerung einen Konsens brauchen. Für mich steht klipp und klar fest, dass das eine Aufgabe der Generation ist, die die Kernenergie genutzt hat. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen und spüren, dass Glaubwürdigkeit in Bezug auf demokratische Politik eine knappe Ressource ist. In diesem Land ist das Ansehen demokratischer Politik nicht gerade ausgeprägt. Umso mehr muss ich feststellen, dass die Art und Weise, wie heute hier von schwarz-gelber Seite argumentiert wird, nicht gerade mithilft, die Glaubwürdigkeit demokratischer Politik insgesamt zu stärken. Oder, um es anders zu sagen: Herr Bundeswirtschaftsminister und auch Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie sich jetzt mit Herrn Seehofer hinstellen und die Ökohippies mimen, dann glaubt Ihnen das - um es klar zu sagen keine Sau in Deutschland. ({0}) Ich sage das, Herr Bundeswirtschaftsminister, deshalb ganz im Ernst, weil wir jetzt mit einem Mythos, den Sie hier zu stricken versuchen, sofort aufräumen können. Sie haben behauptet, Rot-Grün hätte vor zehn Jahren zwar den Ausstieg auf den Weg gebracht, aber nicht den Einstieg in erneuerbare Energien. Ich frage Sie als Niedersachse, die wir beide sind, Herr Kollege Rösler: Sind denn all die Windräder, die in Niedersachsen stehen, aus Pappmaschee? Es ist reale Wirtschaft bzw. reale Wertschöpfung, die da stattfindet. Sie produzieren auch Strom, Herr Rösler. Sie haben die Energiewende nicht erfunden, wir haben sie vor zehn Jahren eingeleitet. Das ist der Unterschied. ({1}) Ich sage Ihnen noch etwas zu Niedersachsen. Wir beide kommen aus Niedersachsen. Unsere Heimat hat nach wie vor etwas Gutes: eine industrielle Wertschöpfungskette von der Grundstoffindustrie bis hin zu Hightechschmieden. Aber wir alle aus unserer Generation haben erlebt, dass die Wirtschaft bzw. die Industrie einem Strukturwandel unterlag und dass Arbeitsplätze - beispielsweise im Südosten Niedersachsens in der Stahlindustrie - verloren gingen. Es war die rot-grüne, SPD-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz mitgeholfen hat, dass wir zum ersten Mal, bedingt durch die Förderung der erneuerbaren Energien, einen Aufwuchs an industriellen Arbeitsplätzen - beim Maschinenbau, in der Stahlindustrie, im Handwerk und beim Schiffbau - in unserer Heimat erlebten. Das können Sie nicht ignorieren. Das glaubt Ihnen auch kein Mensch, Herr Rösler. ({2}) Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei einigen bedanken, die nicht mehr im Deutschen Bundestag sind. Einer davon lebt auch nicht mehr. Ich erinnere an Hermann Scheer, aber auch an den früheren Kollegen Dietmar Schütz und den aktuellen Kollegen Rolf Hempelmann. Sie haben aus unserer Sicht damals im Deutschen Bundestag mitgeholfen, das ErneuerbareEnergien-Gesetz zu einer Erfolgsstory zu machen. ({3}) - Euch lobe ich sowieso den ganzen Tag. Seid nicht so nervös. ({4}) - Wir haben das gemeinsam gemacht. Ich kann Renate Künast nur sagen: Wenn sie einmal das Wort „RotGrün“ sagen würde, wäre ich ganz happy. Denn es war Rot-Grün. Wir können gemeinsam stolz darauf sein. ({5}) Es war aber auch das rot-grüne Bündnis, das damals vor 10 Jahren einen gesellschaftlichen Großkonflikt, der unser Land 30, 40 Jahre lang polarisiert und gespalten hat, befriedet hat. Es waren Sie, die das damals bekämpft und mit Häme überzogen haben. Wenn ich mir einzelne Textbausteine aus der gerade von Herrn Nüßlein gehaltenen Rede noch einmal ins Gedächtnis rufe - er sprach von „AKW-Folklore“; damit meinte er die Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen die Atomkraft gewehrt haben -, kann ich nur sagen: Sie haben nichts gelernt, und das, was Sie hier machen, ist wenig glaubwürdig. ({6}) Wenn Sie sich jetzt in Sachen Atomausstieg mit zehn Jahren Verzögerung an den rot-grünen Kurs anpassen, ist das nichts, was wir ablehnen oder kritisieren würden. Vorhin wurde von Nils Schmid schon aus der Bibel zitiert. Es ging da um „reuige Sünder“ und „Gerechte“. Sie müssen aber eines zur Kenntnis nehmen: Das, was Sie im Herbst letzten Jahres produziert haben, wirkt fort. Sie haben einen Konflikt aufgerissen, aber Sie haben vor allen Dingen zu Rechts- und Planungsunsicherheiten beigetragen. Das Ergebnis war, dass wir einen Stopp bzw. einen Stau und einen Attentismus bei den Investitionen erlebt haben. Das gilt beispielsweise für die milliardenHubertus Heil ({7}) schweren Investitionen, die die Stadtwerke geplant hatten. Die wurden durch Ihre Laufzeitverlängerung erst einmal auf Eis gelegt. All das wirkt leider Gottes fort. Zu den Rechtsunsicherheiten. Der rot-grüne Ausstiegsbeschluss bzw. der Konsens mit der Energiewirtschaft war rechtssicher und unbeklagt. Das diesbezügliche Risiko schätzen wir beim Atomgesetz als nicht besonders hoch ein. Wir wollen es auch nicht herbeireden, weil wir glauben, dass es heilbar ist. Beispielsweise in Bezug auf Art. 3 Grundgesetz muss es eine plausible Erklärung dafür geben, warum Gleiches ungleich behandelt werden kann. Die gibt es. Sie haben sie auf unsere Nachfrage hin in den Ausschüssen nachgeliefert. Das erkennen wir an. Aber es gibt ein Restrisiko, das Sie im Zweifelsfall auch politisch zu verantworten haben. Das will ich an dieser Stelle klar zu Protokoll geben. Mir ist wichtig, dass die erfolgreiche Energiewende in Deutschland, die im Herbst letzten Jahres unterbrochen wurde, jetzt konsequent fortgesetzt werden kann. Aber ich muss sagen: In Ihren vorliegenden Gesetzentwürfen, abgesehen vom Atomgesetz, ist eine Fülle von Vorschlägen enthalten, die aus meiner Sicht nicht angetan ist, die Erreichung des Ziels einer bezahlbaren, einer sauberen und einer nachhaltigen Energieversorgung dauerhaft zu sichern. Im Einzelnen. Wir werden erstens dem Atomgesetz aus voller Überzeugung zustimmen, weil es ein Zurück zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss ist. ({8}) Wir werden zweitens Ihren Gesetzentwurf zum Erneuerbare-Energien-Gesetz ablehnen müssen - ich bin mir noch nicht sicher, wie das im Bundesrat vor sich geht; ich hoffe, dass noch die Chance besteht, den Vermittlungsausschuss anzurufen -, weil wir erleben werden, dass er eine Verschlechterung darstellt und den Ausbau erneuerbarer Energien, vor allen Dingen der inländischen Windkraft, behindert. Wir werden drittens klarmachen - das tun wir auch in unserem Antrag -, dass das Energiewirtschaftsgesetz verbesserungswürdig ist. Was meine ich damit? Der Teil, der lediglich die Umsetzung einer EU-Richtlinie beinhaltet, ist vollkommen unstrittig; dem kann man ohne Weiteres zustimmen. Aber ich will ganz deutlich sagen, dass Ihre Vorschläge weder Ansätze zur Kommunalisierung noch, Herr Bundesumweltminister und Herr Bundeswirtschaftsminister, ausreichende Regelungen im Hinblick auf die Bedenken energieintensiver Unternehmen enthalten. In den Verhandlungen hat sich auf Druck der Länder eine ganze Menge zum Positiven bewegt. Aber ich glaube, wir müssen weiterhin aufpassen, dass die energieintensiven Unternehmen in Deutschland, die im internationalen Wettbewerb stehen und eine Steigerung der Kosten befürchten, nicht unter die Räder kommen. Hier geht es uns nicht in erster Linie um die Konzerne, sondern um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen energieintensiven Unternehmen. Wir wissen: Wir brauchen auch die energieintensive Wirtschaft, damit die Energiewende gelingt, weil sie Teil der Wertschöpfung im Rahmen des Ausbaus erneuerbarer Energien ist, von der chemischen Industrie bis zum Stahlbau. Wir werden deutlich machen, dass das, was Sie bei der energetischen Gebäudesanierung vorhaben, nicht ausreichend ist. Sie erreichen damit noch nicht einmal das Niveau, das die Große Koalition in diesem Bereich erreicht hat. Sie haben die Mittel im letzten Jahr gekürzt. Jetzt erhöhen Sie sie ein wenig. Aber das reicht nicht aus. Sie haben vor allen Dingen keine Antworten auf die Fragen der Mieter in Deutschland, die sich Sorgen machen, gegeben. Das müssen Sie sich deutlich ins Stammbuch schreiben lassen. ({9}) Der heutige Tag ist ein besonderer Tag. Er ist ein guter Tag für Deutschland, weil endgültig, ein für alle Mal, mit der Nutzung der Atomkraft in diesem Land Schluss gemacht wird. Aber das bedeutet nicht das Ende von Energiepolitik. Wir müssen die Energiepolitik fortsetzen. 2013 muss das, was Sie jetzt unzureichend auf den Weg gebracht haben, von einer anderen Mehrheit weiterentwickelt werden. Das ist nicht einfach, weil uns jetzt Jahre verloren gehen. Aber ich sage an dieser Stelle: Wir werden diesen Weg gehen, weil Deutschland im Bereich der erneuerbaren Energien Ausrüster der Welt sein kann, weil Deutschland Vorbild bei der Energieeffizienz sein kann, weil das Vorbild der größten europäischen Volkswirtschaft in Europa und für Europa wirken wird und weil andere Länder, wenn wir die Energiewende erfolgreich fortsetzen, unserem Beispiel folgen werden; da bin ich mir sicher. Ich will zum Schluss sagen: Das, was vor zehn Jahren von den damals Verantwortlichen, von Bundeskanzler Gerhard Schröder, von Frank-Walter Steinmeier und von Jürgen Trittin, verhandelt und auf den Weg gebracht wurde, haben Sie kritisiert. Wenn Sie Ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen wollen, Herr Rösler - ich nehme Ihnen ab, dass Sie jemand sind, der sich persönlich darum bemühen will -, dann wäre es an der Zeit, denjenigen, die damals die richtigen Entscheidungen getroffen haben - die Sie im Herbst letzten Jahres rückgängig gemacht haben und die Sie jetzt unterstützen -, mit Respekt zu begegnen und ihnen Anerkennung zu zollen. Das würde Ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Sie würden sich keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn Sie die Entscheidungen von damals als richtig anerkennen würden. Herr Nüßlein, ich sage das nicht, um Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, sondern weil das im Hinblick auf den Konsens, den wir für die künftige Energiewirtschaftspolitik in Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas, brauchen, wichtig wäre, um eine saubere, sichere und nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen klaren Kurs. Wenn Sie sich diesem Kurs jetzt in Teilen anschließen, werden wir uns nicht beschweren. Allerdings müssen wir die Energiewende gestalten. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hermann Otto Solms für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine Vorbemerkung machen. Gerade kommt über den Ticker die Meldung, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland in diesem Monat wiederum gesunken ist, und zwar um etwa 70 000, und dass wir jetzt bei einer Arbeitslosenquote von weniger als 7 Prozent, nämlich bei 6,9 Prozent, angekommen sind. ({0}) Das ist die beste Zahl seit 1991. Die von den Forschungsinstituten veröffentlichten laufend erhöhten Wachstumszahlen zeigen, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer sehr stabilen und robusten Situation befindet. Deshalb können wir uns den zugegeben riskanten Weg dieser Energiewende auch leisten. Wir müssen dabei aber natürlich die Probleme angehen. Wir dürfen nicht - so wie es Rot-Grün seinerzeit gemacht hat - nur den Atomausstieg beschließen und über die Konsequenzen, die das Erreichen einer vernünftigen Energieversorgung nach sich zieht, hinweggehen. ({1}) Es ist allmählich müßig, sich gegenseitig vorzuhalten, wer was wann früher gemacht hat. Das ist absolut lächerlich. Natürlich hat Rot-Grün mit dem EEG einen guten Aufschlag gemacht. Aber das Gesetz hatte einen Vorläufer, nämlich das Stromeinspeisungsgesetz. Das wurde unter dem liberalen Wirtschaftsminister Helmut Haussmann im Jahre 1990 im Bundestag verabschiedet. Mit diesem Gesetz wurde erstmals die Einspeisung bevorzugt. Es wurde dann mit dem EEG fortgesetzt. Das war eine konsequente Maßnahme. Ehre, wem Ehre gebührt. Man muss aber auch auf die Lücken hinweisen. ({2}) Jetzt passiert Folgendes: Jetzt überholt die Koalition wieder Rot-Grün. Deswegen sind Sie gezwungen, beim Atomausstieg mitzumachen. Ich bedaure allerdings sehr, dass Sie nicht bereit sind, die Konsequenzen im Hinblick auf die alternativen Energien zu ziehen. ({3}) Herr Heil, weil Sie mir eine Frage stellen wollen, möchte ich Ihnen sagen: Ich habe von Ihrer Seite kein Wort zum Netzausbaubeschleunigungsgesetz gehört. Jeder in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und in der Politik weiß, dass es ohne ein solches Gesetz nicht gehen wird, da wir den Zeitplan sonst nicht einhalten können. ({4}) - Ich spreche zu Herrn Heil, Frau Höhn. Er hat dazu nämlich nichts gesagt. - Wir werden Ihnen die Gelegenheit geben, in einer namentlichen Abstimmung zu zeigen, wie Sie sich dazu positionieren. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Solms, ich werde Ihnen eine Zwischenfrage stellen und sie mit Erlaubnis des amtierenden Präsidenten so einkleiden, dass ich Ihre Frage gleich mit beantworte. Das ist ein heikler parlamentarischer Vorgang. Wir sind ganz klar für den Netzausbau in Deutschland. Wir wissen, dass er für die Systemintegration der erneuerbaren Energien unabdingbar ist. Die Frage, die wir uns stellen, ist aber, ob Ihr NABEG, Ihr Netzausbaubeschleunigungsgesetz, das Ziel erreicht. Daran haben wir Zweifel. Sie sehen nämlich nichts vor, um die Akzeptanz des Netzausbaus nachhaltig zu stärken. Die Länder werden das, was Sie vorhaben, im Übrigen nicht mittragen. ({0}) Zu meiner Frage. Herr Solms, ich habe ein Zitat mitgebracht. Es stammt von Ihrem Kollegen Michael Fuchs, der wie andere aus der Koalition heute erstaunlicherweise nicht zu diesem Thema redet. Das wäre wahrscheinlich auch ein wenig schwierig. Herr Fuchs sagte am 7. März 2010 für die Koalition in der FAZ: Volkswirtschaftlich bedeutet es einen enormen Schaden, gut funktionierende Kernkraftwerke abzuschalten, ({1}) die weder durch Vogelschredderanlagen, also Windkraft, noch durch Subventionsgräber, also Solarzellen, ersetzbar sind. Sie tun jetzt so, als sei Schwarz-Gelb der größte Befürworter der erneuerbaren Energien. Herr Solms, ich frage Sie deshalb allen Ernstes: Wie kommen dann solche Zitate zustande? Das ist doch eigentlich die Ideologie, der Sie nachgehangen sind. Sie mussten sich nach Fukushima anpassen. Sie sollten sich dazu einmal bekennen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will die Aussagen von Herrn Fuchs nicht kommentieren. Ihre Frage müssten Sie ihm stellen. ({0}) Es ist doch angesichts einer solch radikalen Veränderung völlig selbstverständlich, dass es verschiedene Meinungen gibt. Das ist doch auch in Ihrer Fraktion so. ({1}) Es gibt auch unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Details. Natürlich gibt es die auch bei uns. Ich sage für die FDP doch auch, dass wir uns schwergetan haben, diesen Weg mitzugehen. Denn wir haben die Sorge, dass es auf dem Weg Einbrüche bei der Versorgungssicherheit geben wird. Außerdem sorgen wir uns, dass die Bezahlbarkeit nicht gewährleistet werden kann und es dadurch zu einem Nachteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland kommt. Es ist die besondere Verantwortung des Wirtschaftsministers Philipp Rösler, darauf zu achten, dass dies nicht passieren wird. Das waren unsere Einwände bei der Diskussion innerhalb der Koalition. Im Ergebnis sind diese Sorgen berücksichtigt worden. Natürlich ist heute die Diskussion nicht zu Ende. Wir werden die Vorgänge jedes Jahr prüfen. Es wird ein Monitoring durch den Umweltminister und durch den Wirtschaftsminister geben. Dann werden wir die Ergebnisse im Bundestag debattieren und möglicherweise Änderungsvorschläge beraten und verabschieden müssen. Das ist doch selbstverständlich. Ich bin auf Ihr Abstimmungsverhalten bei der anschließenden Abstimmung über das NABEG gespannt. Es ist völlig unzweifelhaft, dass der Netzausbau beschleunigt werden muss. Wenn die Bundesländer Probleme damit haben, dann sollen sie im Bundesrat darüber beraten. Jetzt ist es Sache der gesetzgebenden Körperschaft des Deutschen Bundestages, der die wirkliche Legitimation dafür hat - der Bundesrat hat sie nur abgeleitet -, die Beschlüsse zu fassen. Danach können sich die Bundesländer damit befassen. Ich will betonen: Das ist ein sehr mutiger Schritt. Man darf sich diesbezüglich keinen Illusionen hingeben. Man darf nicht nur an die eigenen Träume glauben, sondern muss auch zur Kenntnis nehmen, dass das Ganze mit erheblichen Risiken verbunden ist. Deswegen ist der Forderung von Philipp Rösler Rechnung getragen worden, indem wir erforderlichenfalls ein Atomkraftwerk für die nächsten zwei Winter in Kaltreserve bereithalten. Es wäre gut, wenn wir sie nicht bräuchten, aber es kann sein, dass wir sie brauchen. Eines ist klar: Wir können es uns als Industriestandort Deutschland nicht leisten, dass die Stromversorgung zusammenbricht. ({2}) Der Ausfall der Stromversorgung an einem Tag würde Experten zufolge einen geschätzten Schaden von 6 Milliarden Euro zur Folge haben. Stellen Sie sich vor, was das für sensible Bereiche von Unternehmen und Verwaltungen bedeutet, in denen es beispielsweise hohe Rechnerkapazitäten gibt. Auch in Krankenhäusern könnte ein Stromausfall gesundheitliche Folgen für die Patienten haben. Das dürfen wir nicht riskieren. Deswegen treten wir dafür ein, dass die Versorgungssicherheit absolute Priorität hat. Der Wirtschaftsminister trägt dafür Sorge, dass die notwendigen Entscheidungen herbeigeführt werden, auch wenn es Kontroversen gibt und manche dagegen stimmen. Lassen Sie mich ein paar Worte zum Anlass sagen. Es ist im demokratischen Sinne völlig selbstverständlich, dass, wenn aufgrund eines Unglücks wie in Fukushima die Sorgen in der Bevölkerung so stark wachsen, dass circa 80 Prozent der Menschen den Ausstieg aus der Atomwirtschaft wollen, die demokratischen Parteien darauf Rücksicht nehmen müssen und dem Willen der Bevölkerung folgen. Aber sie müssen es auf eine verantwortungsvolle Weise machen. Die Mehrheit der Deutschen, die den Ausstieg aus der Atomkraft wünscht, will gleichzeitig, dass die Energieversorgung ohne Gefahr eines Blackouts und zu bezahlbaren Preisen erhalten bleibt. Das ist kein Widerspruch in sich, sondern es ist die Aufgabe verantwortungsvoller Politik, die Entscheidungen so zu treffen, dass wir beides miteinander verbinden können. Ich bin der absoluten Überzeugung: Wenn uns das gelingt, dann wird es einen richtigen Schub für die deutsche Wirtschaft geben, und dann werden wir, so wie Philipp Rösler das vorhin gesagt hat, im europäischen wie im weltweiten Wettbewerb einen großen Vorsprung erzielen. Allerdings kommen zunächst harte Jahre auf uns zu, in denen die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Peter Götz für die CDU/CSU-Fraktion.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich nach dieser von der Opposition primär rückwärts geführten Atomdebatte zur Sachlichkeit zurückkommen ({0}) und auf einige Gesetze eingehen, die heute zur Abstimmung stehen. Um zu erreichen, dass die Energiewende schneller als zunächst geplant eintritt, brauchen wir - das ist unstrittig - auf vielen Gebieten gesetzliche Änderungen. Dazu gehört unter anderem der gesamte Baubereich. Bereits im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass wir die klima13398 gerechte Entwicklung der Städte und Gemeinden stärken wollen. Das ist mit den im Baugesetzbuch vorgesehenen klimapolitischen Anpassungen gut gelungen. Wir geben den Gemeinden einen zusätzlichen Gestaltungsrahmen und schaffen im Bau- und Planungsrecht mehr Rechtssicherheit für die Erzeugung erneuerbarer Energien. Mit dem Instrument des besonderen Städtebaurechts muss allerdings sehr behutsam umgegangen werden. Deshalb haben wir einen Regierungsvorschlag zu diesem Bereich nicht übernommen. Der Vorschlag bleibt aber auf der Agenda, und wir wollen ihn nochmals sorgfältig überprüfen und auch weiter diskutieren, wenn wir über den zweiten Teil des Baugesetzbuches reden. Mit dem neuen Förderprogramm „Energetische Stadtsanierung“ wollen wir die Städte und Gemeinden unterstützen, einem klimagerechten Stadtumbau besser Rechnung zu tragen. Dreh- und Angelpunkt für die Erreichung der Klimaschutzziele und für die Einsparung von Energie ist jedoch der gesamte Gebäudebereich. 40 Prozent der in Deutschland verbrauchten Endenergie und etwa ein Drittel der CO2-Emissionen entfallen allein auf diesen Sektor. Dort liegen mit großem Abstand die größten Einsparpotenziale für Energie. Um diese zu erschließen, müssen wir engagiert vorgehen. Wir setzen dabei nicht auf Zwang, sondern auf Anreize und Verbraucherinformationen. Wir wollen die Menschen überzeugen, viel für die Energieeffizienz zu tun. Andere hier im Haus wollen sie dazu nötigen. Das ist ein feiner, für den gesellschaftlichen Konsens aber wichtiger Unterschied. ({1}) Ab dem kommenden Jahr werden wir die Mittel im CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf jährlich 1,5 Milliarden Euro erhöhen. ({2}) Darin sind auch 150 Millionen Euro für direkte Zuschüsse enthalten. Durch steuerliche Anreize wollen wir weitere Eigentümergruppen für die energetische Sanierung ihrer Gebäude gewinnen. Dabei dürfen wir weder die Hauseigentümer noch die Mieter überfordern; wir dürfen sie aber auch nicht „überfördern“. Das ist Unionspolitik. Durch die drei Angebote - zinsgünstige Kredite der KfW aus dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm oder direkte Zuschüsse der KfW oder eine verbesserte steuerliche Abschreibung - bringen wir die energetische Sanierung von Wohngebäuden voran wie nie zuvor. So stark wurde die energetische Sanierung in Deutschland noch nie gefördert. ({3}) Lassen Sie mich noch einige wenige grundsätzliche Bemerkungen aus kommunaler Sicht machen. Ohne die Städte und Gemeinden wird die Energiewende nicht gelingen. Die Kommunen spielen auf dem Weg zu mehr Energieeffizienz und mehr Klimaschutz eine Schlüsselrolle. Bereits heute haben sich viele Kommunen dem Klimaschutz verschrieben. So hat die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche in der Region Beeskow in Brandenburg erst vor wenigen Wochen das tausendste kommunale Klimaschutzprojekt der Nationalen Klimaschutzinitiative ausgezeichnet. Die Kommunen haben darüber hinaus - das gilt auch für den Bund und die Länder - bei der energetischen Sanierung ihres eigenen Gebäudebestandes eine große Verantwortung, der sie gerecht werden müssen. Auch in anderen Bereichen haben die Kommunen eine Schlüsselfunktion. ({4}) So werden erneuerbare Energien vor allem im ländlichen Raum erzeugt. Vorhandene Stromtrassen müssen ertüchtigt und neue gebaut werden. Infra- und Speicherstruktur sind unbestritten dringend notwendig. Dafür brauchen wir die Städte, Gemeinden und Landkreise als Partner. Für uns ist es wichtig, dass die Menschen vor Ort und die Entscheider in den Gemeinderäten und Kreistagen bei allen Vorhaben sehr frühzeitig eingebunden werden. Hinzu kommt: Städte und Gemeinden übernehmen mit ihren Stadtwerken bei einer dezentralen Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien wichtige Aufgaben, auf die wir in Zukunft verstärkt angewiesen sein werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch diese wenigen Bemerkungen wird deutlich: Unsere höchst ambitionierten und anspruchsvollen Ziele bedürfen großer Anstrengungen vieler. Dazu gehören auch die Kommunen. Die Energiewende in Deutschland wird nur mit den Städten, Gemeinden und Landkreisen gelingen. Wenn wir durch ein lernendes System die Energieerzeugung umbauen und gleichzeitig die Klimaschutzziele erreichen wollen, dann müssen wir die Kommunen als wichtige Begleiter rechtzeitig beteiligen. Sie können viel zum Erfolg beitragen, sie wollen aber zu Recht auch mitgestalten, wenn es um ihre Belange geht; denn sie stehen ebenso in der Verantwortung gegenüber ihren Bürgern wie wir. Ich bin fest davon überzeugt: Mit Optimismus und Zuversicht werden wir die großen Herausforderungen, die vor uns liegen, verantwortungsvoll meistern. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Patrick Döring für die FDP-Fraktion.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nahtlos an das anschließen, was der Kollege Götz und der Kollege Solms erwähnt haben. In der Tat haben wir in dieser Debatte neben den zweifellos wichtigen und schwierigen Debatten über die Entwicklung des Atomgesetzes und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes weitere Komponenten vorgelegt und Antworten auf das gegeben, was die Menschen genauso bewegt wie die Fragen nach dem genauen Ende der Nutzung der Kernenergie, Antworten, die der rot-grüne Kompromiss nie gegeben hat. ({0}) Deshalb musste er verbessert werden. ({1}) Die Widerstände zum Netzausbau, die wir überall spüren, sind genau der Grund dafür, dass Sie sich geweigert haben, darüber nachzudenken, wie man Netze schneller ausbauen kann. ({2}) Wir wollten und wollen weiterhin mehr intensive Bürgerbeteiligung. Wir schaffen mit diesem Gesetz gemeinsam mit den Ländern bundeseinheitliche Netzplanung. Wir schaffen mit diesem Gesetz gemeinsam mit der Bundesnetzagentur klare und transparente bundeseinheitliche Entscheidungsregeln, wann, wo und nach welchen Maßgaben eine 380-kV-Leitung gebaut wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ingrid Nestle von den Grünen?

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, nein. - Es wird geregelt, nach welchen Maßstäben eine Erdverkabelung im 110- und 220-kV-Bereich sinnvoll ist. Diese Antworten, die wir brauchen, waren Sie nie bereit zu geben. ({0}) Es wurde hier immer wieder über Offshoreanlagen gesprochen. Die schönsten Programme zur Offshorewindenergie nützen gar nichts, wenn es in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein einen organisierten Bürgerprotest gegen einen Netzausbau gibt und der Bund gesetzgeberisch keine Maßgaben und keine Vorschläge macht, wie Bürgerbeteiligung und Planungsbeschleunigung zusammengebracht werden können. Es ist das Verdienst des Bundeswirtschaftsministers, dass dies jetzt mit dem NABEG gelingt. ({1}) Ich will ausdrücklich sagen: Die Bundesländer, und zwar alle 16, egal wie sie geführt sind, haben in der Beratung zum NABEG anerkannt, dass wir weitere Veränderungen im materiellen Recht brauchen, um zu einer Planungsbeschleunigung zu kommen. Ich sage mit allem Ernst: Wir werden auf diesem Weg der Energieversorgung nur vorankommen, wenn wir uns auch bei bestimmten Absurditäten in der Raumordnung und der Planfeststellung neu aufstellen. Es ist für die Betroffenen nachgerade nicht verstehbar, dass man zwar ein Naturschutzgebiet unterhalb einer bestehenden 380-kV-Leitung ausweisen kann, aber über einem bestehenden Naturschutzgebiet keine 380-kV-Leitung errichten darf. Das macht keinen Sinn. Das ist nicht konsistent. Es ist vor allen Dingen eine Verhinderung der Integration erneuerbarer Energien in unsere Elektrizitätsversorgung. ({2}) Lassen Sie mich auch zum Baurecht das Nötige sagen. Mit der Erleichterung des Repowering von Windenergieanlagen an Land, mit der verbesserten baurechtlichen Anerkennung der Errichtung von Photovoltaikanlagen, mit der Klimaschutzklausel in dem Gesetz zur Stärkung der klimagerechten Stadtentwicklung und mit den nötigen neuen Regeln zur erleichterten Einsetzung von KWK-Anlagen schaffen wir im Baurecht die nötigen Voraussetzungen, in der Stadt, im Ort, an den Gebäuden und im Bestand den Einsatz der Erneuerbaren zu verbessern. Diese nötigen Maßnahmen in der Novelle zum Baurecht, die wir heute vornehmen, wurden in den letzten Jahren von den heute nicht mitmachenden Fraktionen nicht einmal vorgeschlagen. ({3}) Sie werden sicherlich dagegen stimmen. Stattdessen haben die Grünen in ihrem Änderungsantrag zu diesem Gesetzentwurf den schönen bau- und städteplanerischen Instrumentenkasten Ihrer Vorstellungen vorgetragen und wollen tatsächlich über die städtische Bauleitplanung und darüber hinaus die Besitzer von Gebäudebeständen in den Stadtteilen zu energetischen Sanierungen zwingen. Das ist eben der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik: Wir wollen die Energiewende mit den Bürgern gestalten, nicht gegen die Immobilienbesitzerinnen und -besitzer in Deutschland. ({4}) Es ist bemerkenswert, dass es auch nach Rot-Grün nicht dazu gekommen ist, die Privilegierung der Errichtung von kerntechnischen Anlagen im Außenbereich aus dem Baugesetzbuch zu streichen. Bis zum heutigen Tage ist die Errichtung von Kernenergieanlagen im Außenbereich nach § 35 des Baugesetzbuches privilegiert. Wir sind es, die das in logischer Konsequenz unserer Entscheidungen aus dem Baugesetzbuch herausnehmen und deutlich sagen: Wenn wir aus der Kernenergie aussteigen, dann müssen wir auch die Privilegierung aus dem Baurecht nehmen. Darauf sind Sie noch nie gekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Wir schaffen außerdem vereinfachte und verbesserte steuerliche Absetzungsmöglichkeiten für diejenigen, die in ihrem Immobilienbestand die energetische Sanierung vorantreiben. Mit der 10-prozentigen Sonderabschreibung sichern wir zusätzliche Konjunktur in Handwerk und Baugewerbe und schaffen mit diesem zusätzlichen Instrument den Anreiz, schnell und ohne unnötige Belas13400 tung der KfW-Förderprogramme, die ebenfalls notwendig sind, weitere Investitionen in diesem Bereich für die Immobilienbesitzerinnen und -besitzer auszulösen. Denn wir wollen schneller und intensiver sanieren als in der Vergangenheit. Sie haben zweifellos das KfW-Gebäudesanierungsprogramm seinerzeit erfunden, aber es wäre nach Ihren Vorstellungen in diesem Jahr ausgelaufen. ({6}) Wir sorgen dafür, dass es auf hohem Niveau verstetigt und fortgesetzt wird. Das ist die Rechtslage, und es ist das, was diese Koalition verantwortet. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort Ingrid Nestle.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Döring, Sie haben gesagt, wir würden uns nicht trauen, über den Netzausbau zu reden; deshalb würde unserem Konzept etwas fehlen. Ist Ihnen bewusst, dass wir schon vor Ihrer Partei ein Konzept nicht gegen, sondern für den Netzausbau vorgelegt haben? Ist Ihnen bewusst, dass zum Beispiel in meiner Heimatregion die Energieleitung Breklum-Flensburg seit Jahren fertig sein könnte, wenn sie, wie von den Grünen gefordert, als Erdkabel geplant worden wäre? Dann wäre sie Ende 2007 fertig geworden. Sie ist aber bis heute nicht fertig. Wir verlieren Millionen über Millionen an Kilowattstunden Strom und viel Geld, weil der Wind nicht mehr abgeführt werden kann. Das liegt nicht daran, dass wir bei den Erdkabeln blockiert haben, sondern Sie. Wenn es Ihnen so wichtig ist, dass der Ausbau der Energienetze jetzt vorangeht und die Stromleitungen gebaut werden, und wenn Ihnen die Bürgerbeteiligung so wichtig ist, dann frage ich Sie, warum Ihr FDP-geführtes Wirtschaftsministerium auf die Frage, was mehr Bürgerbeteiligung bedeutet, geantwortet hat: Wir machen eine Infokampagne; wir werden besser informieren. Ist das Ihre Form der Bürgerbeteiligung, besser zu informieren? Warum haben Sie nicht unsere Vorschläge im Entwurf des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes berücksichtigt, auch neue Formen der Bürgerbeteiligung aufzunehmen und mit den Bürgern gemeinsam die Netze zu planen? Ich war oft in den verschiedensten Teilen Deutschlands unterwegs und habe vor Ort um Akzeptanz für den Netzausbau geworben. Haben auch Sie um Akzeptanz für den Netzausbau geworben? Ein letzter Punkt: Sie haben gesagt, dass Sie es nicht gut finden, wenn die Leitungen über Häuser hinweg gebaut werden. Warum haben Sie dann keine Abstandsregelung mit aufgenommen? Sie hätten zum Beispiel vorsehen können, dass Leitungen, die weniger als 300 Meter von einer Ortschaft entfernt verlaufen, unter die Erde verlegt werden müssen. Warum haben Sie diesen Schutz der Bürger nicht mit aufgenommen? Damit könnten Sie den Netzausbau entscheidend weiter beschleunigen. Das ist schon lange unsere grüne Position: Wir sind für den Netzausbau, und zwar für einen menschenfreundlichen Netzausbau. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Döring, bitte.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Nestle, vielleicht wollen Sie es bewusst missverstehen. Es macht doch keinen Sinn, in Deutschland eine Abstandsregelung ins Gesetz zu schreiben, solange wir im materiellen Recht keine Klarheit haben, wie wir zum Beispiel die Naturschutzbelange Europas mit den Herausforderungen unseres Netzausbaus zusammenbringen. Indem man so viele Abstandsregelungen und andere Hürden aufbaut, dass man weder bei der Wohnbebauung noch in Naturschutzgebieten eine Leitung verlegen kann, kann man einem Land alle Gestaltungsmöglichkeiten nehmen. Damit erreicht man leider nicht das, was wir erreichen wollen, nämlich Beschleunigung. Wenn Ihre Antwort auf die Beschleunigung lautet, überall dort, wo dies gewünscht ist, Erdverkabelung vorzunehmen, dann weise ich darauf hin, dass das, was wir jetzt mit dem Energiewirtschaftsgesetz lösen, indem wir die Umlage der erhöhten Kosten für Erdverkabelung bei 110- und 220-kV-Leitungen im EnWG vorsehen, notwendig ist, um das Vorhaben überhaupt durchzusetzen. Sie kennen doch selbst die technischen Probleme bei der Erdverkabelung von 380-kV-Leitungen und insbesondere die Kostenherausforderung. Wenn Ihre Antwort auf die Energiewende ist, dass die Netzentgelte um das Fünf- bis Zehnfache steigen, dann kann ich nur sagen: Nicht mit uns, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ein weiterer Punkt. Die Bürgerbeteiligung ist im NABEG verankert. Aber Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass der Bundesinnenminister ein Mediationsgesetz und ein Planungsvereinfachungsgesetz in Vorbereitung hat. Diese Gesetze fassen das zusammen, was mit den Ländern zusätzlich vereinbart wird. Wir haben vorgeschlagen, bereits im Rahmen des Raumordnungsverfahrens die Träger öffentlicher Belange sowie die Bürgerinnen und Bürger über die Trassenführung, die Ziele und Pläne zu informieren und ihnen Mitsprachemöglichkeiten zu geben. Das ist schon realisiert und wird durch das Mediationsgesetz rechtlich abgesichert. Dahin entwickelt sich unser Netzausbaubeschleunigungsgesetz, also nicht in Ihre simple Richtung nach dem Motto „Wir tun alles unter die Erde, und die Kosten sind uns egal“. So einfach darf man es sich nicht machen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Thomas Bareiß für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich muss gestehen, dass ich angesichts der in den letzten Wochen emotional geführten Debatte über den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie sehr skeptisch war. Ich habe das mehrfach gesagt, auch hier im Parlament. Aber bei allem Für und Wider sehe ich in dem, was jetzt vorliegt, die große Chance - das ist der Grund, warum ich heute zustimme -, nach einer sehr langen Debatte endlich einen wirklichen Konsens in unserer Gesellschaft hinzubekommen. Herr Heil, Frau Höhn und Herr Gabriel, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass Rot-Grün bereits vor zehn Jahren einen Konsens hinbekommen hat. Wenn Sie damals tatsächlich einen Konsens hinbekommen haben sollten, dann nur den über den Ausstieg. Es gab aber in den letzten zehn Jahren keinen Konsens in unserer Gesellschaft über den Einstieg: ({0}) Wo und wie steigen wir ein? Was müssen wir tun? - Sie haben keinen Konsens über den Bau von Leitungen und Pumpspeicherkraftwerken sowie über eine effiziente Gestaltung des EEG erzielt. ({1}) Deshalb finde ich es mehr als schade, dass Sie den großen Schritt, den wir nun machen, nicht mitgehen und den Einstieg nicht unterstützen. Das wird uns in den Debatten der nächsten Jahre nichts nutzen. ({2}) Es geht in den nächsten Jahren - das ist ein wichtiger Punkt, der bislang bei all dem strategischen Geplänkel ein Stück weit zu kurz gekommen ist - um enorm viel. Wir stehen vor einer enormen Herausforderung. Diese möchte ich kurz beschreiben. Wir werden in den nächsten zehn Jahren den Anteil der erneuerbaren Energien verdoppeln. Wir müssen unsere Ausbaurate in den nächsten zehn Jahren verdoppeln. ({3}) Wir müssen noch schneller vorangehen als bisher.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie gleich zwei Zwischenfragen? Ja oder Nein?

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Wir müssen in den nächsten zehn Jahren nicht nur den Anteil der erneuerbaren Energien, sondern auch die Energieeffizienz verdoppeln. Dazu legen wir ein entsprechendes Konzept vor. Wir werden aber auch - man hat den Eindruck, dass das gar keine Rolle mehr spielt die Klimaschutzziele im Auge behalten. Das Ziel, die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, steht nach wie vor auf der Agenda. Dieses Ziel haben Sie sich nie gesteckt. Wir werden an diesem Ziel festhalten, egal was andere Länder in Europa oder anderswo auf der Welt machen. Wir sind in diesem Bereich Vorbild. Es gibt keine andere Industrienation auf der Welt, die so ambitionierte Zielsetzungen hat wie Deutschland. Wir steigen zudem aus der Kernenergie aus, wodurch wir 25 Prozent unserer Stromerzeugung in den nächsten zehn Jahren verlieren werden. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist kein Selbstzweck. Wir steigen aus der Kernenergie aus, weil wir wissen, dass der Energiehunger auf der Welt in den nächsten 20 Jahren um 50 Prozent steigen wird. Deutschland muss und soll der Technologieführer auf der Welt sein, der diesen Energiehunger nachhaltig, wirtschaftlich und ressourcenschonend stillt. ({0}) Das ist fester Bestandteil unserer Wachstums- und Wohlstandsstrategie für die nächsten zwei, drei Jahrzehnte. Das ist das große Projekt, um das es heute geht. Das müssen wir gemeinsam gestalten. In den Ausschussdebatten und Anhörungen in dieser Woche ging es meistens ganz konkret um die Sache. Die Grünen behaupten nun, wir förderten die Windenergie offshore zu stark und vernachlässigten die Windenergie onshore und förderten nur die Großen und nicht die Kleinen. Das sind alte Spielchen. Das alles bringt doch nichts. Wir brauchen doch alle: Wir brauchen sowohl Offshore als auch Onshore, wir brauchen Biomasse, sowohl die kleinen als auch die großen Unternehmen, wir brauchen Photovoltaik. Wir brauchen alle Ressourcen, die wir in Deutschland nur heben können. ({1}) Wir brauchen ebenfalls die Wasserkraft. All diese Projekte verhindern Sie vor Ort immer wieder mit solchen Scheindebatten, wie ich sie gerade beschrieben habe. Das halte ich nicht für den richtigen Weg. Wir müssen auch auf die Akzeptanz achten. Hierzu möchte ich Herrn Gabriel direkt ansprechen, weil er heute die Kosten noch einmal in besonderer Weise hervorgehoben hat. Ich mache mir Sorgen um die Akzeptanz, gerade vor dem Hintergrund der Kosten, und zwar meine ich nicht nur die Industrie. Sie haben wir in diesem Gesetz in vielen Bereichen entlastet. Vielmehr mache ich mir Sorgen um den normalen Verbraucher, um die Familien, die diese ganze Veranstaltung letztendlich ebenfalls bezahlen werden. Wenn Sie hier sagen: „Wir müssen die Kosten eindämmen“, dann möchte ich Sie daran erinnern, dass Sie vor drei, vier Jahren ein EEG gebastelt haben, das auf Teufel komm raus eine Technologie fördert, die Solarenergie, was dazu geführt hat, dass wir jetzt 7 Milliarden Euro jährlich für die Solarenergie ausgeben. Die Hälfte des gesamten EEG-Topfes geht in die Solarbranche; dabei wird nur 2,3 Prozent des Stromes tatsächlich von dieser Branche erzeugt. Ein Großteil des Geldes, das wir für diese Branche ausgeben, fließt direkt nach Asien und in andere Länder - diese Länder kaufen natürlich auch Maschinen bei uns -; meines Erachtens ist dieses Geld daher sehr ineffizient angelegt. Deshalb müssen wir auch dort umsteuern, was wir getan haben. Die christlich-liberale Koalition hat in den letzten zwölf Monaten die Mittel für die Solarenergieförderung um 33 Prozent reduziert. Dies hat mit dazu beigetragen, dass die Kostensituation besser dargestellt werden kann und somit die Akzeptanz bei den Bürgern wieder in stärkerem Maße gegeben ist und für die Zukunft gesichert werden kann. ({2}) Wir müssen aber auch offen sagen, dass wir die erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren stärker in den Markt bringen müssen. Wenn wir einen Anteil von 35 Prozent erneuerbarer Energien wollen, dann brauchen wir mehr Markt- und Systemintegration. Auch die Erzeuger von erneuerbaren Energien werden Verantwortung in unserem Strom- und Energiekonzept übernehmen müssen. Das wird wehtun und Diskussionen auslösen. Wir sind der Überzeugung, dass wir mit den Instrumenten Marktprämie, Grünstromprivileg und anderen, die wir im EnWG und im EEG implementiert haben, den Weg zu mehr Markt, zu mehr Wettbewerb gehen. Auch das ist ein wichtiger Baustein in unserem Energiekonzept für die Zukunft. Trotz allem, auch mit Marktelementen und der Umsteuerung beim EEG, müssen wir darauf hinweisen, dass das Ganze, wie schon gesagt, mehr kosten wird. Das Projekt, das wir jetzt vorhaben, wird Arbeitsplätze in einem ganz wichtigen Sektor, einem Zukunftssektor, schaffen. Wir müssen aber darauf achten, dass wir in anderen Sektoren keine Arbeitsplätze vernichten. Deshalb haben wir in der Gesetzgebung einen großen Schwerpunkt darauf gelegt, dass die energieintensiven Industrien auch weiterhin - sogar mehr als bisher - geschont werden. Wir haben einen Schwerpunkt gerade auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen gelegt und diejenigen mit einem Verbrauch zwischen 1 Gigawattstunde und 10 Gigawattstunden noch einmal in besonderer Weise entlastet. Das trägt dazu bei, dass der Industriestandort Deutschland auch hinsichtlich der Grundstoff- und Rohstoffsektoren wettbewerbsfähig und zukunftssicher gestaltet werden kann. Meine Damen und Herren, das Projekt der Energiewende - auf der einen Seite Ausstieg aus der Kernenergie, auf der anderen Seite Einstieg in die neuen Technologien - müssen wir gemeinsam angehen. Wie gesagt, ich finde es schade, dass Sie nur die Hälfte des Weges mitgehen. Ich fordere Sie noch einmal auf: Gehen Sie gemeinsam mit! ({3}) Denn wir machen die Energiewende richtig, aus einem Guss. ({4}) In diesem Sinne: Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Maria Flachsbarth für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den großen Gedanken und grundsätzlichen Erwägungen dieser Debatte erlaube ich mir, Sie auf den letzten Metern noch einmal zurück in die Mühen der Ebene und der gesetzgeberischen Details mitzunehmen, die wir auf die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verwendet haben. Diese Arbeit war grundlegend wichtig dafür, dass all das, was wir heute debattiert haben, in die Realität umgesetzt werden kann. Das EEG ist ein bewährtes Gesetz, das jetzt aber erwachsen werden muss. Wir brauchen es, um das Ziel zu erreichen, innerhalb der nächsten Jahre den Anteil der Erneuerbaren auf bis zu 35 Prozent des Strombedarfs zu verdoppeln. Dazu haben wir auf der einen Seite die bewährten Instrumente erhalten: den Einspeisevorrang und die für 20 Jahre gesicherte Vergütung. Auf der anderen Seite müssen wir sehen, dass die Erneuerbaren jetzt wirklich ein vollwertiger Marktteilnehmer werden, dass sie sich als Wettbewerber einfügen, dass sie nachfrageorientierter werden. All dies ist bisher überhaupt nicht der Fall. Deshalb haben wir das EEG qualitativ weiterentwickelt: mit der Einführung der Marktprämie, mit der Öffnung der Flexibilitätsprämie auch für Bestandsanlagen und mit dem Grünstromprivileg. Wir haben das Grünstromprivileg über die Novelle von vor einem halben Jahr hinaus weiterentwickelt und einen bestimmten Anteil von fluktuierendem Strom eingeführt, damit wir der großen Herausforderung gerecht werden können, dass fluktuierender Strom seinen Markt erobert. Ganz wichtig war uns - das haben schon viele Redner aus der Koalition vor mir gesagt -, dass wir den Industriestandort Deutschland nicht überfordern, insbesondere nicht die energieintensiven Betriebe, auch nicht die kleinen und mittelständischen energieintensiven Betriebe. Es ist richtig, dass wir da Erleichterungen geschaffen haben. Aber wir müssen natürlich vorsichtig sein, damit wir diejenigen Verbraucherinnen und Verbraucher, die eben nicht privilegiert sind, nicht mit diesem Instrument überfordern. Wir müssen wissen, dass die Privilegierungen insgesamt ein Kostenvolumen von 2 Milliarden Euro ausmachen und dass die Umlage für Erneuerbare deshalb nicht mehr 3 Cent pro Kilowattstunde, sondern 3,5 Cent pro Kilowattstunde beträgt. Es ist ein richtiges Instrument, das aber sparsam und vorsichtig anzuwenden ist. Wenn wir darauf schauen, wie denn nun die Instrumente bezüglich der Förderung der einzelnen erneuerbaren Energien im Detail neu justiert worden sind, so werden wir sehen: Es ist ohne Zweifel die Windenergie, die weiterhin der große Lastesel für den Ausbau der Erneuerbaren bleibt. Auf der einen Seite ist es Wind offshore, das heißt die großen Windparks im Meer, die viel Zuwachs in der Leistung, letztendlich aber auch viele Volllaststunden versprechen. Das Ganze ist und bleibt eine technologische Herausforderung erster Güte, was die Gründung und die Materialanforderungen in aggressiver Seeluft und rauem Klima angeht. Deswegen ist neben dem besonderen KfW-Förderprogramm von 5 Milliarden Euro und der Erleichterung des Netzanschlusses auch an der Vergütung etwas gemacht worden: Im Rahmen des Stauchungsmodells wird die Anfangsvergütung erhöht, die Degression verschoben und der Sprinterbonus in die Grundvergütung integriert, sodass wir wirklich einen Anreiz bieten können, in diese moderne, neue Technologie zu investieren. Es erfordert einen großen Kapitalbedarf. Doch wir sind sicher, dass sich auch Zusammenschlüsse, Konsortien von Stadtwerken, noch mehr als bislang in dieser Technologie engagieren werden. Aber wir haben auch im Bereich Onshore abweichend vom Regierungsentwurf etwas getan, und zwar durch die Fortführung des Systemdienstleistungsbonus bis zum 31. Dezember 2014 und durch wirkliche Erleichterungen im Bereich des Repowerings; es wurden nämlich die Altersgrenzen der Anlagen und die Leistungserhöhungsobergrenze gestrichen. In Richtung des baden-württembergischen Wirtschaftsministers kann ich nur sagen: Die Baden-Württemberger sollen ja alles außer Hochdeutsch können; aber ich würde es auch einmal mit Rechnen probieren. Auch in Bezug auf die Biomasse haben wir versucht, einen Ausgleich zu finden. Biomasse ist eine regelbare Erneuerbare, steht aber nicht unbegrenzt zur Verfügung. Wir haben Flächenkonkurrenzen, wir haben möglicherweise strukturelle Verwerfungen durch zu große Marktmacht beim Einkauf von Substraten, durch Konkurrenzen gegenüber der Viehwirtschaft, wir haben Akzeptanzprobleme bezüglich Vermaisung und unzureichender Effizienz. Wir mussten den Boni-Dschungel lichten. Auch die problematische Kopplung von Gülle und NaWaRoBonus musste abgeschafft werden. All das ist im Rahmen unserer Novelle erfolgt. Wir haben nur noch zwei Rohstoffklassen. Wir haben degressive Elemente im Bereich der Grundvergütung und der Rohstoffklasse I in Bezug auf die Größen unserer Anlagen. Wir geben Anreize zum Einspeisen von Biomethan. Wir helfen, sowohl bei kleinen als auch bei größeren Anlagen Gülle zu verwenden. Wir erreichen mehr Effizienz durch vorgeschriebene Wärmenutzung von 60 Prozent, durch die Deckelung beim Einsatz von Mais und dadurch, dass für Biogasanlagen ab 750 Kilowatt ab 2014 die Pflicht zur Nutzung der Marktprämie eingeführt wird. Auch die Nutzung von Bioabfällen - dort gibt es keine Konkurrenzen hinsichtlich der Nutzung - haben wir maßgeblich gefördert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alles in allem: Ein ausgewogenes Konzept. Das EEG hat sich wieder als ein lernendes System erwiesen. Es ist fit für die nächste Etappe. Wir sind einen guten Schritt weiter auf dem Weg ins regenerative Zeitalter. An die Opposition gerichtet: Das EEG ist und war ein Parlamentsgesetz. Geben Sie deshalb Ihrem Herzen einen Stoß, und stimmen Sie diesem unserem guten Gesetz zu. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will hier sagen: Ich bin stolz auf diese Koalition; ({0}) denn wir haben es in einem Kraftakt und in einem breiten Konsens geschafft, den andauernden Konflikt um die Kernenergie in diesem Land zu befrieden. ({1}) Heute beschließen wir nicht nur den Ausstieg aus der Kernenergie - das könnte ja jeder -, sondern auch den Einstieg in die Energiewende, den Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Im Gegensatz zu früheren Versuchen auf diesem Feld haben wir es geschafft, dabei Ökologie und Ökonomie zu verbinden; wir spielen Ökologie und Ökonomie nicht wie in der Vergangenheit gegeneinander aus. ({2}) Die Koalition hat dafür gesorgt, dass es jetzt eine Balance zwischen den für die Energiewende notwendigen Investitionsanreizen auf der einen Seite und der Erzeugung des notwendigen Innovationsdrucks zur Steigerung der Effizienz auf der anderen Seite gibt. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass es zum Beispiel bei der Einspeisevergütung bei einem für Unternehmen und Investoren verlässlichen, planbaren Kurs bleibt. Planbarkeit ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass Kapitalmarkt und technische Entwicklungen miteinander verknüpft werden können. Diese Planbarkeit, zum Beispiel bei der Photovoltaik, gewährleistet die Transformation einer von der Vorgängerregierung teilweise überförderten Branche in eine unabhängige, hochprofitable Form der Energieerzeugung, die ein Exportschlager für unsere Industrie werden kann. Neben der Förderung der erneuerbaren Energien setzen wir zusätzliche Impulse. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent und bis zum Jahr 2050 um mindestens 80 Prozent zu senken. Das ist ein ambitioniertes Ziel, bei dem wir gerade beim Gebäudebestand ein ganz erhebliches Potenzial an Einsparungen erkennen. Wir haben uns deshalb entschlossen, bei energetischen Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden neben den bereits vorhandenen KfW-Programmen eine steuerliche Förderung zu etablieren. Dabei ist klarzustellen, dass es sich hierbei um eine zusätzliche Förderung zu den bereits bestehenden Programmen der KfW-Bankengruppe handelt. Gefördert werden, begrenzt auf die nächsten zehn Jahre, Sanierungen beginnend ab dem 5. Juni dieses Jahres, also rückwirkend. Die Befristung bis zum Ende des Jahres 2021 halten wir für wichtig; denn wir wollen nicht wieder eine endlose Steuersubvention, sondern wir wollen bewusst einen zielgerichteten zusätzlichen Impuls zur Energieeinsparung setzen. Diese Förderung ist auch deswegen zielgerichtet, weil sie auf das Ergebnis der durchgeführten Sanierungsmaßnahmen abzielt. Die Vorgabe ist nämlich, dass nach der Sanierung der KfW-Effizienzhaus-85-Standard erreicht werden muss. Dieser Standard ist hoch. Es ist also ein ambitioniertes Ziel. Aber wenn wir die Energieeinsparungen erreichen wollen, die wir uns vorgenommen haben, dann müssen wir dieses hohe Ziel setzen. Diese steuerliche Förderung gibt es nur beim großen Paket. Für die Einzelmaßnahmen, die auch immer wieder diskutiert wurden, bleibt es bei den KfW-Förderprogrammen. Festzuhalten ist dabei, dass wir die KfW-Mittel für energetische Sanierungen gerade noch einmal erhöht haben, nämlich auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro, sodass wir jetzt zusammen mit der steuerlichen Förderung bei der energetischen Sanierung ein Gesamtpaket von über 3 Milliarden Euro haben. Dieses ansehnliche Paket wird seine Wirkung entfalten, ({3}) auch und gerade beim Handwerk und in der Bauindustrie. Durch die Hebelwirkung - das wissen wir - wird das 16-Fache an Investitionen ausgelöst. Die Branche vor Ort darf eine spürbare Auftragsbelebung erwarten mit allen Konsequenzen: Es wird zusätzliche Arbeitsplätze geben, zusätzliche Steuereinnahmen und - das sage ich gerade in Richtung der Kommunen - zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass wir mit dem heute zu beschließenden Gesetzespaket einen weiteren konsequenten Schritt hin zur Energiewende gehen. Wir machen den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land mit diesen Maßnahmen zusätzlich zum KfW-Programm ein weiteres attraktives Angebot. Wir haben nunmehr einen breit gefächerten Instrumentenkasten, und mit diesem Instrumentenkasten werden wir unserem anspruchsvollen Ziel einer nachhaltigen Verringerung der Treibhausgasemissionen und eines zügigen Umstiegs in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ein ganzes Stück näher kommen. Deswegen: Stimmen Sie zu! Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir mit den Abstimmungen beginnen, weise ich darauf hin, dass wir neben einer Vielzahl von einfa- chen Abstimmungen auch insgesamt vier namentliche Abstimmungen durchführen werden. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6361, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/6070 anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der vier Fraktionen CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne gegen die Stimmen der Linken angenommen. Vor unserer ersten namentlichen Abstimmung will ich darauf hinweisen, dass es zahlreiche - wirklich zahlrei- che - schriftliche Erklärungen nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung gibt.1) Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Dazu ist namentliche Abstim- mung vorgesehen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die obligate Frage: Ist noch jemand im Saale, der seine Stimme nicht abge- geben hat? - Dann müssen wir noch einen Moment war- ten. Ich glaube, jetzt haben alle ihre Stimme abgegeben. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Bevor wir zu den einfachen Abstimmungen kommen, hat Kollegin Kathrin Vogler Gelegenheit zu einer münd- lichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung. 1) Anlagen 2 bis 12 2) Ergebnis Seite 13412 D Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Bis zur nächsten namentlichen Abstimmung dauert es noch eine Weile, weil wir ungefähr 20 einfache Abstimmungen absolvieren müssen. - Bitte schön, Kollegin Vogler. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie noch einmal bitten, Platz zu nehmen. Es gibt jetzt eine mündliche Erklärung, und dann gibt es eine ganze Reihe einfacher Abstimmungen, für die eine gewisse Übersicht im Hause notwendig ist. ({1}) Darf ich die Bitte noch einmal namentlich an die Regierungsbank richten? ({2}) Ich bitte Sie herzlich, Platz zu nehmen - Kollege Burgbacher, Kollege Otto -, damit wir fortfahren können.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ist es wichtig, ganz kurz Ihre Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich gegen dieses Gesetz gestimmt habe, weil der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke bis 2022 konkret bedeutet, dass durch meinen Wahlkreis Steinfurt weiterhin gefährliche Atomtransporte fahren: zum AKW in Lingen, zur Urananreicherungsanlage in Gronau und zum Zwischenlager in Ahaus, und dies länger als notwendig. In den Wochen nach dem Reaktorunglück von Fukushima haben in meinem Heimatort Emsdetten Montag für Montag 300 oder mehr Menschen für ein schnellstmögliches Abschalten der Atomkraftwerke demonstriert. Sie haben mich dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass das Wirklichkeit wird. Wenn wir hier heute das verabschieden, was Sie vorgelegt haben, reicht das mir und auch diesen Menschen nicht. ({0}) Die Urananreicherungsanlagen in Gronau und im benachbarten niederländischen Almelo werden sogar noch ausgebaut. Die Menschen in Ahaus befürchten völlig zu Recht, dass das dortige Zwischenlager schleichend zum Endlager gemacht wird. Die AKW in Deutschland werden nach dem, was hier heute beschlossen wird, noch 25 000 Tonnen strahlenden Atommüll produzieren. Ich kann nicht verantworten, dem zuzustimmen. ({1}) Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes nicht zu. Ich werde am Sonntag beim 300. Sonntagsspaziergang in Gronau mit vielen Atomkraftgegnerinnen und -gegnern an der Urananreicherungsanlage für eine schnellstmögliche Abschaltung der Atomkraftwerke demonstrieren. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6368. Wer stimmt für diesen Ent- schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Grünen bei Enthaltung von SPD und Lin- ken abgelehnt. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 17/6361, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Atomgesetzes auf Drucksache 17/6246 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für eine beschleunigte Stilllegung von Atom- kraftwerken. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe c sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6361, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5179 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Damit ent- fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- tung. Wir kommen zur Abstimmung über Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Atomgesetzes - Keine Übertragbarkeit von Reststrommengen. Der Ausschuss für Umwelt empfiehlt unter Buchstabe d sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6361, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5472 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hau- ses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge- lehnt. Damit entfällt auch bei diesem Gesetzentwurf die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Atomgesetzes und zur Wiederherstellung des Atom- konsenses. Der zuständige Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/6361, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5035 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen der Grünen und bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung dieses Gesetzentwurfs. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Atomgesetzes - Abschalten der acht unsichersten Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Atomkraftwerke. Der zuständige Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6361, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5180 abzu- lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da- gegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Regie- rungsfraktionen gegen die Stimmen von Grünen und Linken bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Auch hier entfällt die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Atomgeset- zes - Beendigung der Nutzung von Atomkraftwerken zur kommerziellen Energieerzeugung in Deutschland. Der zuständige Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6361, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5931 abzulehnen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der beiden Ko- alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei Stimmenthaltung von SPD und Linken abgelehnt. Auch hier entfällt die weitere Beratung. Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussemp- fehlungen des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/6361 fort. Unter Buchstabe h empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5478 mit dem Titel „Sofortige Stilllegung der sieben ältesten Atomkraftwerke und des Atomkraftwerks Krümmel“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfrak- tionen gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Stimmenthaltung der SPD angenommen. Unter Buchstabe i empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6092 mit dem Titel „Atomausstieg bis 2014 - Für eine erneuerbare und demokratische Energie- versorgung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe j seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6109 mit dem Titel „Versorgungssicher- heit transparent machen - Keine Experimente mit ato- marer ‚Kaltreserve‘“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der bei- den Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo- sitionsfraktionen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6363, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/6071 in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6369. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen der übrigen vier Fraktionen abgelehnt. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 17/6363, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf Drucksache 17/6247 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/6363 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der SPD auf Drucksache 17/5182 mit dem Titel „Energiewende jetzt“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der bei- den Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/5202 mit dem Titel „Atomzeital- ter beenden - Energiewende jetzt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken ange- nommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/4953. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/778 mit dem Titel „10 Jahre EEG - Auf dem besten Weg zu einer ökologischen und sozialen Energiewende“. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen der beiden Regierungsfrak- tionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktio- nen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/799 mit dem Titel „Erneuerbare Energie ausbauen statt Atomkraft verlängern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen ge- gen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von SPD und Linken angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung energiewirt- schaftlicher Vorschriften. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 17/6365, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/6072 in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und Grünen bei Stimmenthaltung der SPD angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6365, den Gesetzentwurf der Bundes- regierung zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften auf Drucksache 17/6248 für erledigt zu er- klären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist einstimmig angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/6365 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck- sache 17/5181 mit dem Titel „Auf dem Weg zu einem nachhaltigen, effizienten, bezahlbaren und sicheren Energiesystem“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Ko- alitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck- sache 17/5481 mit dem Titel „Programm für eine nach- haltige, bezahlbare und sichere Energieversorgung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen, der Linken und der Grünen gegen die Stimmen der SPD an- genommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ableh- nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 17/5760 mit dem Titel „Schutzschirm für Strom- kunden - Bezahlbare Energiepreise gewährleisten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 17/6366, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/6073 in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grü- nen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Über diesen Gesetzentwurf stimmen wir nun namentlich ab. Ich bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein- zunehmen. - Ist alles für die Abstimmung vorbereitet? - Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstimmung. Die obligate Frage: Haben alle anwesenden Kollegen an der namentlichen Abstimmung teilgenommen? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstim- mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis auch die- ser namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.1) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen, damit wir die Abstimmungen fortset- zen können. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- che 17/6370. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6366, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netz- 1) Ergebnis Seite 13415 B Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ausbaus Elektrizitätsnetze auf Drucksache 17/6249 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Modernisierung der Stromnetze - Bürgernah, zügig, für erneuerbare Energien“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6366, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5762 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Die Energieeffizienz verbessern - Auf dem europäischen Sondergipfel zur Energiepolitik am 4. Februar 2011 verbindliche Maßnahmen vereinbaren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4785, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4528 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6358, die genannten Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/6074 sowie der Bundesregierung auf Drucksache 17/6251 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie in der zweiten Abstimmung angenommen. Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energieund Klimafonds“. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6356, die genannten Gesetzentwürfe der Bundesregierung auf Drucksache 17/6252 ({0}) sowie der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/6075 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6357, die genannten Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/6076 sowie der Bundesregierung auf Drucksache 17/6253 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen, der SPD und der Linken bei Ablehnung der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen, der SPD und der Linken gegen die Stimmen der Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Ersten Gesetzes zur Änderung schifffahrtsrechtlicher Vorschriften. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6364, die genannten Gesetzentwürfe der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/6077 sowie der Bundesregierung auf Drucksache 17/6254 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen, der SPD und der Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Ungebundene EU-Mittel aus dem Konjunkturpaket ({1}) unverzüglich für mehr Energieeffizienz und er- neuerbare Energien nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5225, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4017 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men von CDU/CSU, FDP und SPD gegen die Stimmen der Grünen und Linken angenommen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes - Gesetz zur grundgesetzlichen Verankerung des Ausstiegs aus der Atomenergie. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6349, den Ge- setzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5474 abzulehnen. Wir stimmen nun über diesen Ge- setzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. - Wir können mit der Abstimmung beginnen. Ich eröffne die dritte namentliche Abstimmung. Haben sich alle Mitglieder des Hauses an der Abstim- mung beteiligt? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Auch dieses Ergebnis wird später bekannt gege- ben1). Wir kommen zur nächsten Abstimmung, und zwar über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6292 mit dem Titel „Die Energiewende zukunftsfähig gestalten“. Wir stimmen über diesen Antrag namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer wiederum, ihre Plätze einzunehmen. - Da sie sie gar nicht verlassen haben, sind wir bereit für die vierte und letzte namentliche Abstimmung, die hiermit eröffnet ist. Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis auch dieser Abstimmung wird später bekannt gegeben2). Zusatzpunkt 4. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/6302 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit sind der Tagesordnungspunkt 4 und die Zusatzpunkte 3 und 4 absolviert. 1) Ergebnis Seite 13418 A 2) Ergebnis Seite 13420 B Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, Dr. Axel Troost, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verursacher der Krise zur Kasse bitten - Neue Bankenabgabe einführen - Drucksache 17/6303 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke das Wort. ({3})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“: Das war für Walter Eucken, den bekannten Ökonomen und Vater der sozialen Marktwirtschaft, eine der Grundlagen einer funktionierenden Wirtschaftsordnung. Dieses Prinzip wird heute komplett ignoriert. Die heutigen Finanzmärkte sind ein Feld organisierter Haftungsfreiheit und kollektiver Verantwortungslosigkeit. Das ist auch das Ergebnis der Politik Ihrer Regierung und der Politik der Vorgängerregierungen. Um über 300 Milliarden Euro ist die deutsche Staatsverschuldung allein infolge der Bankenrettung angestiegen. 300 Milliarden Euro: Das ist im Vergleich so viel wie fast ein ganzer Bundeshaushalt. Und überhaupt: Die Staatsverschuldung in Deutschland ist seltsamerweise noch nie in so kurzer Zeit derart angestiegen wie in den letzten Jahren, also just in der Zeit, in der dieses Land von Politikern regiert wurde, die in ihren Sonntagsreden gern von Schuldenbremsen und von Konsolidierung reden. Offenbar fällt Ihnen der öffentliche Schuldenstand aber immer nur dann ein, wenn es um Ausgaben für Bildung oder um die Lebensgrundlage von Hartz-IV-Beziehern geht. ({0}) Für die Banken haben Sie dagegen eine Freibieranlage installiert, die Sie mit immer neuen Milliarden auffüllen, damit sich die Herren Ackermann und Co nach Belieben bedienen können; denn auch die als EuroRettung getarnten Milliardenpakete sind im Kern ja nichts anderes als eine neue Runde der Bankenrettung. Natürlich kann man dieses zynische Spiel immer weiterspielen. Theoretisch kann man es so lange weiterspielen, bis Deutschland genauso pleite ist wie Griechenland. Besser und eine wirkliche Bremse für die eskalierende Staatsverschuldung wäre es aber vielleicht, sich das Geld von dort zurückzuholen, wo es hingeflos13410 sen ist, nämlich von den Verantwortlichen für die Finanzmarktkrise, von denen, die von den Rettungsmilliarden profitiert haben. ({1}) Eine ordentliche Bankenabgabe wäre ein wichtiger Hebel dafür. Die Einführung einer Millionärsteuer wäre ein anderer wichtiger Hebel. Die Bankenabgabe, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, ist aber, ich bitte Sie, doch nichts anderes als eine Farce und Wählertäuschung. Angeblich sollen so 70 Milliarden Euro zusammenkommen, damit die Steuerzahler beim nächsten Crash geschont werden können. 70 Milliarden Euro! Dabei haben Sie die jährlichen Einnahmen noch nie höher als mit 1,2 Milliarden Euro angesetzt. Zurzeit sieht es eher so aus, als würde es etwa die Hälfte sein. Selbst wenn 1 Milliarde Euro hereinkommen würde, wäre dies viel zu wenig. Es gab einmal einen deutschen Staat, der viel Spott dadurch auf sich gezogen hat, dass er Fünfjahrespläne aufgestellt hat. Ich muss sagen: Hier ist die Bundesregierung wirklich weiter. Sie stellt jetzt offensichtlich Siebzigjahrespläne auf; denn wenn man mit der Bankenabgabe 1 Milliarde Euro pro Jahr hereinholt, dann heißt das: In genau 70 Jahren hat man die 70 Milliarden Euro, mit denen man dann für die nächste Finanzkrise gewappnet sein will. ({2}) Das heißt, nach den Planungen der Bundesregierung darf die nächste Finanzkrise in frühestens 70 Jahren stattfinden. Da fragt man sich schon, ob man Ihnen zu so viel Zukunftsoptimismus gratulieren soll oder ob man Sie nicht besser für einen derartigen Realitätsverlust von Herzen bedauern muss. ({3}) Es spricht zumindest wirklich verdammt wenig dafür, dass sich die Realität an Ihre Pläne halten wird. Der nächste Crash hat längst begonnen. Das liegt auch daran, dass die letzte Finanzkrise im Grunde nie wirklich aufgearbeitet wurde. Es läuft doch alles weiter, als hätte es diese Krise überhaupt nie gegeben. Es laufen weiter die gleichen absurden Geschäftsstrategien. Es laufen weiter die gleichen halsbrecherischen Hebelfinanzierungen. Es laufen weiter die gleichen giftigen Finanzprodukte. Allein die Deutsche Bank hat von den internationalen Rettungspaketen in der Größenordnung von gut 20 Milliarden Euro profitiert. Die Deutsche Bank hat von diesen über 20 Milliarden Euro keinen Cent zurückgezahlt. ({4}) Natürlich ist es dann für die Deutsche Bank umso leichter, jetzt wieder üppige Dividenden auszuschütten und ihre Manager mit Boni zu verwöhnen, während in Deutschland Krankenhäuser chronisch unterfinanziert sind und bei Niedrigverdienern aus angeblichen Sparzwängen der Heizkostenzuschuss gestrichen wurde. Sie finden das offenbar völlig normal. Ich muss sagen: Ich finde das skandalös und unerträglich. ({5}) Sehen Sie sich doch bitte einmal das Geschäftsmodell der privaten Großbanken an. Wenn die Aufgabe einer Bank darin besteht, Ersparnisse in volkswirtschaftliche Investitionen zu lenken, dann ist die Deutsche Bank längst keine Bank mehr, sondern sie ist eher eine gigantische Wettbude, die ihre sagenhaften Gewinne zum großen Teil damit macht, auf nahezu alles, was die Welt so bietet, Lebensmittel, Rohstoffe, Staatsanleihen, waghalsige Wetten zu verkaufen oder selber einzugehen. Dabei haben von der Deutschen Bank konstruierte Giftpapiere bekanntlich schon in der letzten Finanzkrise eine üble Rolle gespielt, denn die Deutsche Bank war einer der ganz großen Player in diesem Geschäft, amerikanische Hypothekenkredite zu verbriefen. Da man relativ genau wusste, dass diese Hypothekenkredite irgendwann faul werden, hat man gleich noch die Wette gegen diese Hypothekenkredite mitverkauft und sich daran eine goldene Nase verdient. Diese Geschäftspraktiken haben stattgefunden. Sie haben sich am Ende darin niedergeschlagen, dass der deutsche Steuerzahler die IKB, die Landesbanken, die WestLB und andere, retten musste, weil dieser Finanzmüll nämlich genau dort angekommen ist. Gestern hat sich in den USA die Bank of America zur Zahlung von 8,5 Milliarden Dollar Schadensersatz verpflichten müssen, weil sie Schrottpapiere im Volumen von 16,5 Milliarden Dollar verkauft hat, weil sie also genau das Gleiche gemacht hat, was die Deutsche Bank in noch ganz anderer Größenordnung getan hat. Ich frage die Bundesregierung: Wann werden Sie endlich die Deutsche Bank dazu zwingen, Schadensersatz für die zig Milliarden an Finanzmüll zu zahlen, der bei der IKB und bei den Landesbanken und damit letztlich beim Steuerzahler abgeladen wurden? Machen Sie doch einmal etwas in dieser Frage, wenn Sie die Staatsverschuldung wirklich bremsen wollen. ({6}) - Das ist für Sie ein Rechtsstaat, dass die Banken abzocken, dass sie abstruse Geschäftsmodelle machen und dass der Steuerzahler dann die Verluste trägt. Ich muss sagen, ich habe vom Rechtsstaat eine andere Vorstellung. ({7}) Deswegen frage ich Sie auch: Wie lange noch wollen Sie das Geld der Steuerzahler in diesem schwarzen Loch verbrennen, statt die Ackermänner und Co endlich daran zu hindern, finanzielle Massenvernichtungswaffen zu basteln, die uns allen irgendwann um die Ohren fliegen werden? Sie wissen doch genauso gut wie wir, dass uns das um die Ohren fliegen wird. Dass sich die Staatsschuldenkrise so zuspitzt, hat auch etwas mit diesen Kreditausfallversicherungen zu tun, die nicht zuletzt die Deutsche Bank kreiert, verkauft, mit denen sie handelt und sich so eine goldene Nase verdient. ({8}) Deswegen fordert die Linke: Legen Sie die Finanzmafia endlich an die Kette, statt sich von ihr in immer neuen Runden am Nasenring durch die Manege ziehen zu lassen. Ich danke Ihnen. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU Kollege Klaus-Peter Flosbach. Bitte schön, Kollege Flosbach. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier gibt es einen Vorschlag der Linken, die Verursacher der Finanzkrise zur Verantwortung zu ziehen. Wenn wir uns diesen Antrag ansehen, so sehen wir mehr als deutlich, dass dies ein sehr untauglicher, durchsichtiger und sehr plumper Versuch ist, im Grunde das private Bankensystem und sogar das öffentlichrechtliche Bankensystem in Deutschland zu zerschlagen. ({0}) Sie haben gar nicht über die Verursacher der Finanzkrise gesprochen. Sie haben alle Ihre Pauschalurteile, die Sie regelmäßig hier vortragen, wiederholt und uns Ihre ideologischen sozialistischen Ergebnisse vorgestellt, wie man die Banken im Grunde zerschlagen kann. Wenn Sie sich mit den Ursachen der Finanzkrise beschäftigt hätten, dann müssten Sie heute die Frage stellen, wer die Verursacher der Finanzkrise waren. Waren es die USA selbst, die niedrige Zinsen in den Markt gegeben haben? Waren es die Banken in den USA, die Kredite an Personen vergeben haben, die nicht kreditfähig waren? Waren es diejenigen, die diese Kredite mit der sogenannten Verbriefung gebündelt und beispielsweise nach Deutschland verkauft haben? Waren es die Banken in Deutschland, die sie gekauft haben, wie die IKB, die Hypo Real Estate und andere Banken oder die Landesbanken, die kein eigenes Risikomanagement mehr wahrnahmen und diese Papiere einfach übernommen haben? Waren es die Ratingagenturen, die einen Stempel aufgedrückt haben? Waren es die Aufsichtssysteme, die nicht funktioniert haben, oder waren es wirklich auch politische Rahmenbedingungen? All das müssen wir selbstverständlich fragen. Aber so einfach, wie Sie es dargestellt haben, ist die Welt nun einmal nicht. Sie müssen die Zusammenhänge beachten. Dann kämen Sie nicht auf solche Ideen wie die, das Bankensystem zu zerschlagen. ({1}) Sie haben als Lösung vorgeschlagen, dass die Banken in Deutschland, und zwar die privaten Banken und auch beispielsweise die Landesbanken, neben der normalen Besteuerung eine zusätzliche Bankenabgabe in Höhe von 0,15 bis 0,30 Prozent der Bilanzsumme zahlen sollen. Ich weiß nicht, ob Sie sich schon einmal mit einer Bilanzsumme einer deutschen Bank beschäftigt haben. Sie haben sicherlich die der Deutschen Bank im Blick gehabt. Denn Ihr Vorschlag zielt genau darauf ab, bei der Deutschen Bank über die übliche Besteuerung hinaus den gesamten Gewinn zu kassieren. 100 Prozent Versteuerung: Das ist Ihr Vorschlag. Er gilt aber nicht nur für die Deutsche Bank, sondern auch für die Commerzbank, die Landesbanken und alle privaten Banken. Das ist der Ansatz, den wir betrachten müssen. Hier wird im Grunde versucht, 100 Prozent der Gewinne der Banken abzugreifen. Sie haben auch von sozialer Marktwirtschaft gesprochen und Walter Eucken erwähnt. Jede Gesellschaft braucht ein funktionierendes Bankensystem. Wer ist eigentlich der größte Mittelstandsfinanzierer in Deutschland? Wer begleitet unsere deutschen Unternehmen ins Ausland, um am Weltmarkt aktiv zu sein? Wie kommt es dazu, dass wir 40 Prozent unseres Wachstums dem Export verdanken? Die große Zahl an qualifizierten Arbeitsplätzen in Deutschland hängt von einer funktionierenden Wirtschaft und einem funktionierenden Bankensystem ab. ({2}) - Das ist so. Die Linken haben noch nie mit der Wirtschaft umgehen können. Sie wissen immer noch nicht, dass erfolgreiche Sozialpolitik nur dann machbar ist, wenn wir auch ein starkes Wirtschaftssystem haben, um entsprechende Erträge zu erwirtschaften. ({3}) Sie müssen Ihren Horizont erweitern. Er wird immer noch von einer Mauer begrenzt. Die Deutschen in Ost und West haben in 20 Jahren Deutschland wieder nach vorne gebracht. Was Sie vorschlagen, ist aber weit von der Wirklichkeit entfernt. Wir haben in den letzten Jahren erfolgreiche Politik gemacht, um die Finanzmärkte zu stabilisieren. Frau Wagenknecht, Sie haben von den Auswirkungen der Krise gesprochen. Sie müssen mit den richtigen Zahlen und mit den Zahlen operieren, die auch für die Bevölkerung wichtig sind. Ich möchte aus der Zwischenbilanz der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung vom 28. Januar 2011 zitieren. Die Bundesanstalt ist für uns das entscheidende Gremium in Deutschland. Sie hat die Finanzkrise bewertet: Im internationalen Vergleich ist der Aufwand für die Bankenstabilisierung in Deutschland moderat … In Deutschland gelang die Stabilisierung, anders in anderen Staaten, ohne einen Bank-Run, ohne eine Überlastung des Staates und ohne soziale Verwerfungen. ({4}) Auch Zusammenbrüche von Kreditinstituten konnten vermieden werden. Nach dem Rezessionsjahr 2009 erholte sich die deutsche Wirtschaft in beeindruckender Schnelligkeit. Das sollten Sie in dieser Zwischenbilanz vom 28. Januar nachlesen. Sie haben von der Staatsverschuldung gesprochen. Wie ist denn die Erhöhung der Staatsverschuldung entstanden? In der Tat bürgen wir als Staat immer noch für über 200 Milliarden Euro an ausgesonderten Papieren oder auch Krediten, die in den Bad Banks der Hypo Real Estate oder der Westdeutschen Landesbank lagern. Aber in jedem Monat werden diese Papiere Zug um Zug verkauft. Dadurch wird sich unsere Verschuldung reduzieren. Der Verschuldung in Höhe von 200 Milliarden Euro stehen - so hoffen wir jedenfalls - Vermögenswerte in gleicher Höhe gegenüber, die dazu führen, dass unsere Verschuldung Zug um Zug abgebaut wird. Das dürfen Sie nicht verheimlichen. ({5}) - Herr Schick, wenn ich zum Ende gekommen bin, können Sie eine Kurzintervention machen. Dann werde ich Ihnen erwidern. Entscheidend ist, dass die Verschuldung Zug um Zug abgebaut wird. Das ist einer unserer Erfolge. Dadurch haben wir unsere Wirtschaft stabilisiert. Wir haben aber auch auf die Krise reagiert, und zwar in zwei großen Bereichen, nämlich durch Regulierung und eine Bankenabgabe, die ich gleich noch darlegen möchte. Das Wichtigste ist, dass wir die Banken durch höhere Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen stabilisiert haben. Hier geht es darum, Verluste aufzufangen und vor allen Dingen die Widerstandsfähigkeit der Banken zu stärken. So kann sich die Krise nicht auf gleiche Weise wiederholen. Wir haben die europäische Aufsicht im Banken-, Versicherungs- und Wertpapierbereich gestärkt, aber auch im Ausschuss für Systemrisiken oder im Finanzstabilitätsrat, der gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds als globales Frühwarnsystem funktioniert. Das sind wichtige Maßnahmen, die es bisher nicht gab. Wir haben zudem die Vergütungssysteme in Banken und Versicherungen verändert und sie auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Wir haben die Eigenbeteiligung bei Verbriefungen erweitert und federführend das Verbot ungedeckter Leerverkäufe nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa durchgesetzt. Es sind sicherlich noch einige Dinge zu regeln - das hat gestern der Finanzmarktkongress der Unionsfraktion gezeigt -, wenn es um Schattenbanken, Ratingagenturen und Derivate geht. Aber das Entscheidende ist: Wir haben mit den oben beschriebenen Maßnahmen die Märkte deutlich stabilisiert. Wir sind auch bei der Bankenabgabe Vorreiter. Alle Europäer schauen auf Deutschland, um herauszufinden, wie wir die Bankenabgabe gestaltet haben. Die meisten europäischen Länder wollen unser System übernehmen. Auch die Europäische Kommission prüft eine entsprechende Gesetzesvorlage. Was ist unter einer Bankenabgabe zu verstehen? Die Banken müssen entsprechend der Höhe ihrer Risiken in den Bilanzen Beiträge an einen Restrukturierungsfonds zahlen. Hier geht es nicht um die Kosten der bisherigen Krise, sondern darum, in Zukunft Krisen anders abzuwickeln. In Zukunft werden wir Geld haben, um systemrelevante Banken abzuwickeln oder über Brückenbanken zu restrukturieren. Das sorgt für Stabilität und schont den Geldbeutel des Steuerzahlers. Das ist das Entscheidende für uns in Deutschland. ({6}) Die G 20 haben in Pittsburgh eine faire und nachhaltige Beteiligung des Finanzsektors verlangt. Ich sehe das genauso. Herr Schäuble hat auf der gestrigen Tagung deutlich gemacht: Wir brauchen eine gerechte Lastenverteilung, wenn wir die Legitimität nicht verlieren wollen. Wir können nicht verlangen, dass alle Regeln global sind. Wir müssen unter Umständen Regeln auch nur in Europa oder in der Euro-Zone durchsetzen. Ich bin sehr froh, dass sich auch das Europäische Parlament für die Einführung einer Finanzmarktsteuer ausgesprochen hat. Herr Barroso hat deutlich gemacht, dass er es für richtig hält, eine solche Steuer in Europa gemeinsam einzuführen. Wer die Länder um uns herum und die großen Märkte USA, Japan oder Russland betrachtet, sieht, dass dort keine Finanzmarktsteuer existiert. Aber nahezu alle Länder der G 20 - dazu gehören auch die Schweiz, Singapur und Hongkong - haben bereits eine Finanzmarktsteuer eingeführt. Wir wissen sicherlich, dass wir mit einer Finanzmarktsteuer die Krise nicht verhindert hätten, weil sie ganz anders entstanden ist. Frau Wagenknecht, lesen Sie das einfach einmal nach! Aber eine solche Steuer ist wichtig für eine gerechte Lastenverteilung und sorgt für einen finanziellen Beitrag der Finanzbranche. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bevor ich dem nächsten Redner in unserer Debatte das Wort erteile, darf ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der vier namentlichen Abstimmungen bekannt geben. Zum Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen von CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes: abgegebene Stimmen 600. Mit Ja haben gestimmt 513, mit Nein haben gestimmt 79, Enthaltungen 8. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 600; davon ja: 513 nein: 79 enthalten: 8 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({2}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({7}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Siegfried Kauder ({8}) Volker Kauder Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({10}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({11}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({12}) Michaela Noll Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({13}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({14}) Anita Schäfer ({15}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({16}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({17}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({18}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Volkmar Vogel ({20}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({21}) Peter Weiß ({22}) Sabine Weiss ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Lothar Binding ({24}) Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({25}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Vizepräsident Eduard Oswald Petra Ernstberger Elke Ferner Dr. Edgar Franke Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({26}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Hubertus Heil ({28}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({29}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({30}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({32}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({33}) Michael Roth ({34}) Marlene Rupprecht ({35}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({36}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({37}) Werner Schieder ({38}) Ulla Schmidt ({39}) Silvia Schmidt ({40}) Carsten Schneider ({41}) Swen Schulz ({42}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff ({43}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({44}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({45}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({46}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({47}) Michael Link ({48}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({49}) Burkhardt Müller-Sönksen ({50}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({51}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören ({52}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({53}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({54}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({55}) Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({56}) Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({57}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({58}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Harald Terpe Vizepräsident Eduard Oswald Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Dr. Rolf Koschorrek Franz Obermeier Arnold Vaatz SPD Marco Bülow Frank Hofmann ({59}) FDP Dr. Rainer Stinner DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Ulla Jelpke Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({60}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Enthalten CDU/CSU Manfred Kolbe Dieter Stier BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Memet Kilic Monika Lazar Dr. Hermann Ott Till Seiler Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Zweite namentliche Abstimmung, Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze, Drucksache 17/6073, Fraktionen CDU/CSU und FDP: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 316, mit Nein haben gestimmt 214, Enthaltungen 71. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 601; davon ja: 316 nein: 214 enthalten: 71 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({61}) Manfred Behrens ({62}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({63}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({64}) Dirk Fischer ({65}) Axel E. Fischer ({66}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({67}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({68}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Siegfried Kauder ({69}) Volker Kauder Roderich Kiesewetter Vizepräsident Eduard Oswald Eckart von Klaeden Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({70}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({71}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({72}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({73}) Michaela Noll Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({74}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({75}) Anita Schäfer ({76}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({77}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({78}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({79}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({80}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({81}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({82}) Peter Weiß ({83}) Sabine Weiss ({84}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({85}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({86}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({87}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({88}) Michael Link ({89}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({90}) Burkhardt Müller-Sönksen ({91}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({92}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören ({93}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({94}) Nein CDU/CSU Franz Obermeier SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Lothar Binding ({95}) Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({96}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Elke Ferner Vizepräsident Eduard Oswald Dr. Edgar Franke Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({97}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({98}) Hubertus Heil ({99}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({100}) Frank Hofmann ({101}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({102}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({103}) Dr. Karl Lauterbach Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({104}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({105}) Michael Roth ({106}) Marlene Rupprecht ({107}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({108}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({109}) Werner Schieder ({110}) Ulla Schmidt ({111}) Silvia Schmidt ({112}) Carsten Schneider ({113}) Swen Schulz ({114}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff ({115}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries FDP Dr. Rainer Stinner DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({116}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Enthalten CDU/CSU Manfred Kolbe SPD Hans-Ulrich Klose Peer Steinbrück FDP BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({117}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({118}) Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({119}) Monika Lazar Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({120}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({121}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Till Seiler Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Vizepräsident Eduard Oswald Dritte namentliche Abstimmung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Gesetz zur grundgesetzlichen Verankerung des Ausstiegs aus der Atomenergie -, Fraktion Die Linke: abgegebene Stimmen 599. Mit Ja haben gestimmt 71, mit Nein haben gestimmt 461, Enthaltungen 67. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 599; davon ja: 71 nein: 461 enthalten: 67 Ja DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({122}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({123}) Manfred Behrens ({124}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({125}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({126}) Dirk Fischer ({127}) Axel E. Fischer ({128}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({129}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({130}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Volker Kauder Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({131}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({132}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({133}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({134}) Michaela Noll Franz Obermeier Vizepräsident Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({135}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({136}) Anita Schäfer ({137}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({138}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({139}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({140}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({141}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({142}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({143}) Peter Weiß ({144}) Sabine Weiss ({145}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Lothar Binding ({146}) Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({147}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Elke Ferner Dr. Edgar Franke Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({148}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({149}) Hubertus Heil ({150}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({151}) Frank Hofmann ({152}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({153}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({154}) Dr. Karl Lauterbach Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({155}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({156}) Michael Roth ({157}) Marlene Rupprecht ({158}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({159}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({160}) Werner Schieder ({161}) Ulla Schmidt ({162}) Silvia Schmidt ({163}) Carsten Schneider ({164}) Swen Schulz ({165}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff ({166}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({167}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({168}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Vizepräsident Eduard Oswald Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({169}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({170}) Michael Link ({171}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({172}) Burkhardt Müller-Sönksen ({173}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({174}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören ({175}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({176}) Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({177}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({178}) Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({179}) Monika Lazar Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({180}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({181}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Till Seiler Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Vierte namentliche Abstimmung, Antrag der Fraktion der Sozialdemokraten, „Die Energiewende zukunftsfähig gestalten“: abgegebene Stimmen 596. Mit Ja haben gestimmt 140, mit Nein haben gestimmt 320, Enthaltungen 136. Der Antrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 595; davon ja: 139 nein: 320 enthalten: 136 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Lothar Binding ({182}) Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({183}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Elke Ferner Dr. Edgar Franke Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({184}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({185}) Hubertus Heil ({186}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({187}) Frank Hofmann ({188}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({189}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({190}) Dr. Karl Lauterbach Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({191}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Vizepräsident Eduard Oswald Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({192}) Michael Roth ({193}) Marlene Rupprecht ({194}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({195}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({196}) Werner Schieder ({197}) Ulla Schmidt ({198}) Silvia Schmidt ({199}) Carsten Schneider ({200}) Swen Schulz ({201}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff ({202}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({203}) Manfred Behrens ({204}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({205}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({206}) Dirk Fischer ({207}) Axel E. Fischer ({208}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({209}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({210}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Volker Kauder Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({211}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({212}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({213}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({214}) Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({215}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({216}) Anita Schäfer ({217}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({218}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({219}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({220}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Vizepräsident Eduard Oswald Thomas Strobl ({221}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({222}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({223}) Peter Weiß ({224}) Sabine Weiss ({225}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({226}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({227}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({228}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({229}) Michael Link ({230}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({231}) Burkhardt Müller-Sönksen ({232}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({233}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören ({234}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({235}) Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({236}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({237}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({238}) Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({239}) Monika Lazar Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({240}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({241}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Till Seiler Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Vizepräsident Eduard Oswald - So weit die Bekanntgabe der Ergebnisse der vier namentlichen Abstimmungen. Wir fahren in unserer Debatte fort. Für die sozialdemokratische Fraktion spricht unser Kollege Manfred Zöllmer. ({242}) - Bitte schön, Kollege Zöllmer.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Forderung, die Verursacher der Krise zur Kasse zu bitten, hatte während der Finanzmarktkrise bei allen hier im Bundestag vertretenen Parteien Hochkonjunktur. Seit den Ereignissen von 2007 haben wir hier im Bundestag vielfach über die Aufarbeitung der Finanzkrise diskutiert. Eine Vielzahl von Gesetzen wurde beschlossen, in Deutschland und ebenso in Europa und in den USA. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, aber diese Debatte gibt eine gute Möglichkeit, ein paar Aspekte näher zu beleuchten, zum Beispiel eine Antwort auf folgende Frage zu geben: Ist es gelungen, in Deutschland die Verursacher der Krise für die Kosten der Krise zur Kasse zu bitten? Die Antwort ist einfach; sie lautet Nein. ({0}) Das Versprechen der Kanzlerin, dies zu tun, hat sich als Falschaussage erwiesen. Nun kann man fragen: Warum soll man jemandem glauben, der permanent seine Meinung wechselt und heute dies und morgen das verkündet, wie wir es eben erlebt haben? Aus „Die Verursacher sollen für die Krise zahlen“ - so wörtlich Frau Merkel - wurde „Die Verursacher sollen für mögliche zukünftige Finanzmarktkrisen zahlen“. Dann ging es um die Bankenabgabe; sie sollte dies leisten. Doch wir haben sie immer noch nicht, und in der ursprünglich von der Bundesregierung intendierten Form ist es noch nicht einmal eine Versicherungslösung. Das, was die Bundesregierung bisher vorgelegt hat, ist ein Armutszeugnis. ({1}) Wie lange sollen wir eigentlich noch warten, bis zumindest eine Minimalbeteiligung des Bankensektors an zukünftigen Krisen wirklich auf den Weg gebracht wird? ({2}) Verstecken Sie sich doch nicht hinter dem Bundesrat! Wer alle Änderungsanträge von Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss zu diesem Thema ablehnt - es handelt sich um Änderungsanträge, die dafür sorgen sollten, dass die Banken substanziell, also wirklich Geld in den Rettungsfonds einzahlen -, der darf sich nicht beschweren, wenn der Bundesrat nun tätig wird, um wenigstens die größten Ungerechtigkeiten der Verordnung zu beseitigen. Der Bundesrat hat mit 16 : 0 Stimmen solche Kompromissvorschläge auf der Basis der genannten Änderungsanträge gemacht. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, alle Versuche, die Großbanken zu schonen, endlich aufzugeben und dafür zu sorgen, dass die Bankenabgabe Realität wird. ({3}) Wir wissen, dass die Summe, die da in jedem Jahr zusammenkommt, nur dann ausreichen wird, wenn die nächste Finanzmarktkrise erst in 100 Jahren kommt. ({4}) - Okay, dann nehmen wir das entsprechend zu Protokoll. ({5}) - Ja, es war ein sehr kompetenter Zwischenruf; das kann ich nur bestätigen. Nachdem die Beratungen im Finanzausschuss und im Bundestag beendet sind und der ganze Vorgang beim Bundesrat liegt, entdecken nun die Linken dieses Thema und fordern, wie wir eben gehört haben, eine neue Bankenabgabe einzuführen. Ich kann mich im Übrigen nicht an Änderungsanträge der Fraktion Die Linke im Finanzausschuss erinnern. Dort haben sie die Bankenabgabe nur abgelehnt. Nun kann man ja sagen, besser zu spät als nie; aber im Bundesrat haben alle Länder den Kompromissvorschlägen zur Bankenabgabe zugestimmt, auch die Länder mit Regierungsbeteiligung der Linken. ({6}) Nun kann man fragen: Was soll dieser Antrag? Wollen Sie von dieser Zustimmung ablenken, wollen Sie von der Antisemitismusdebatte ablenken, haben Sie auf der fraktionsinternen Resterampe für Anträge noch einmal nachgeschaut und etwas gefunden, was Sie schon einmal beiseite gelegt haben, was aber für diese Zwecke immer noch geht? ({7}) - Ja, das weiß ich. - Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, seriöse Politik geht nun wirklich anders. Es gibt ein Instrument, das eine Beteiligung des Finanzsektors insgesamt, nicht nur der Banken, an den Kosten der Krisen sicherstellte. Das ist die Finanztransaktionsteuer, die Sie auch in Ihrem Antrag fordern. Wer sich anschaut, wie die Bundesregierung bisher mit diesem Thema umgegangen ist, der kommt ins Staunen. Es ging nach dem Motto: Rin in die Kartoffeln, raus aus denselben. In der Regierung ging das dann so, dass sich der Finanzminister gegen den Wirtschaftsminister positionierte und Teile der CDU gegen die FDP agierten; dann wurde es in die Haushaltsplanung übernommen und anschließend wieder aus der Haushaltsplanung herausgeschmissen. Vor kurzem hatten wir noch eine Debatte im Bundestag zu diesem Thema. Dies alles ist wirklich der Beleg dafür, dass wir es hier nicht mit einer seriösen Regierung, sondern mit einer Chaostruppe zu tun haben. ({8}) Es gab und gibt viel Widerstand. Aber es ist Bewegung in diesem Thema. Dieses Thema ist ein sehr gutes Beispiel für die Aussage, dass Politik das hartnäckige Bohren dicker Bretter ist; das ist wirklich ein ganz dickes Brett. Viele Bürgerinnen und Bürger, viele Abgeordnete auf unterschiedlichen Ebenen, viele zivilgesellschaftliche Gruppen arbeiten an diesem Thema und fordern die tatsächliche Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Dieser Druck zeigt Wirkung. Wir haben eben gehört, dass es Bewegung in Europa gibt. Wir hoffen, dass diese Bewegung auch in die richtige Richtung geht; dann werden wir es nachdrücklich unterstützen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Versuche, die Finanztransaktionsteuer zu diskreditieren, in sich zusammenbrechen. Die Riester-Renten-Lüge, also die Behauptung, mit dieser Steuer würden die kleinen RiesterSparer getroffen, ist in sich zusammengefallen. Dann gibt es immer die Warnung vor der Abwanderung der Finanzmärkte nach Asien. Herr Kollege Flosbach hat es eben schon angesprochen: In Singapur und in Hongkong gibt es eine Stamp Tax, in Hongkong ist sie sogar so ausgestaltet, dass sie der Finanztransaktionsteuer sehr nahe kommt. Bei den Gesprächen, die wir als Finanzausschussmitglieder dort geführt haben, ist deutlich geworden, dass der Chef der Börse die Wirkung der Finanztransaktionsteuer ausdrücklich begrüßt hat. Er hat gesagt, sie habe ein dämpfende Wirkung auf die Finanzmärkte, auch gebe es keine Probleme mit dem High Frequency Trading. Wir fordern deshalb, dass sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ohne Wenn und Aber für die Implementierung der Finanztransaktionsteuer einsetzen. Dann hätten wir wirklich eine Beteiligung der Verursacher an den Kosten der Krise. Unsere Unterstützung in dieser Frage haben Sie. Vielen Dank. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Volker Wissing. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wirbt bekanntlich mit dem Slogan: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. In der fünften Zeile Ihres Antrages zitieren Sie die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Trotzdem steckt hinter Ihrem Antrag kein kluger Kopf. ({0}) Sie fordern, dass wir die Verursacher der Krise zur Verantwortung ziehen. Das tun wir auch. Es laufen vor den Gerichten in aller Welt zahllose Verfahren mit dem Ziel, Verantwortlichkeiten zu klären und Schuldfragen zu beantworten. Wo Schuld festzustellen ist, werden die Verantwortlichen auch verurteilt. Das hat in Ihrem Antrag keine Berücksichtigung gefunden, weil Sie sich mit der Gewaltenteilung schwertun. Sie tun sich auch mit dem Rechtsstaat schwer. Das haben Sie, Frau Wagenknecht, anschaulich demonstriert: Sie haben hier die Meinung vertreten, dass man, wenn eine Bank riskante Papiere an eine andere Bank verkauft und sich bei der Bank, die sie gekauft hat, ein Risiko ereignet, den Verkäufer staatlich bestrafen müsse; das war Ihre Vorstellung. ({1}) Das ist in einer mitteleuropäischen Rechtskultur nicht möglich. Wir haben gewachsene rechtsstaatliche Strukturen. Damit mögen Sie wenig Erfahrung haben. Vielleicht haben Sie auch wenig Verständnis dafür. Vielleicht haben Sie auch keine Zuneigung zu unserem Rechtsstaat. Ich sage Ihnen: Wir haben diesen Rechtsstaat, und wir werden ihn gegen all Ihre Angriffe verteidigen. ({2}) Schuldfragen zu klären, ist nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages, sondern der Justiz. Das wollen wir in Deutschland so belassen, und deswegen bekämpfen wir Ihre Politik. ({3}) Schuld lässt sich auch nicht beliebig kollektivieren, sondern sie muss im Einzelfall nachgewiesen werden. Wenn Sie schreiben, dass weitere milliardenschwere Risiken der Banken auf die Bürgerinnen und Bürger abgewälzt worden sind, dann sollten Sie in der Lage sein, das konkret zu benennen, oder Sie sollten schweigen. Das ist eben der Unterschied zwischen Ideologie und Sachpolitik. Die eine Seite will polemisieren, die andere will Lösungen erarbeiten. ({4}) Ihr Antrag polemisiert. Sie kritisieren den Gewinn der Deutschen Bank und führen ihn als Beleg für einen Verstoß gegen die Anwendung des Verursacherprinzips bei der Bewältigung der Finanzkrise an. Was für ein Unsinn! Wenn Sie das Verursacherprinzip einfordern, dann müssen Sie konkret sagen, was die Deutsche Bank verursacht hat. Ein hoher Gewinn einer Bank ist noch kein Verstoß gegen die gesetzlichen Regeln. Ihren Umkehrschluss, dass die Krisenbewältigung der Bundesregierung falsch sei, weil die Deutsche Bank Geld verdiene, halte ich für sehr gewagt. Ich glaube, es ist eine Zumutung, wenn man sich so etwas hier im Hohen Hause anhören muss. Es ist in Deutschland so, dass wegen der Finanzmarktkrise höhere Lasten zu tragen sind; aber das ist nicht die Schuld der privaten Banken, sondern dafür trägt der öffentliche Bankensektor die Verantwortung. Dass Sie das immer wieder ignorieren, weil es in Ihre Ideologie nicht hineinpasst, macht Ihre Anträge leider nicht klüger. Es ist bedenklich, dass Sie bis zum Abwinken auf dem Verursacherprinzip herumreiten. Wenn Sie dieses Prinzip auf die Deutsche Bank anwenden wollen, dann müssen Sie zuerst einmal sagen, was diese Bank verursacht hat. Wenn Sie nicht nachweisen können, dass diese Bank etwas verursacht hat, dann müssen Sie sie von den Bankenabgaben konsequenterweise ausnehmen. Das wollen Sie vielleicht; wir wollen das nicht. Wir sind gemeinsam mit der Bundesregierung einen anderen Weg gegangen. Wir stellen keine wie auch immer geartete Schuldfrage in den Vordergrund, und wir machen die Zahlung der Bankenabgabe nicht von einer Verantwortung für die Krise abhängig, sondern wir wollen, dass sich der gesamte Bankensektor an künftigen Bankenrestrukturierungen beteiligt; denn nach unserer Auffassung ist es nicht die Aufgabe des Steuerzahlers, Bankenrestrukturierungen zu finanzieren. Festzustellen ist eine gefahrgeneigte Tätigkeit der Finanzbranche, und deswegen soll die Finanzbranche auch künftige Restrukturierungen finanzieren und einen entsprechenden Fonds speisen. ({5}) Dafür sorgen wir, und das ist auch vernünftig. Deswegen unterstützen wir diesen Weg der Bundesregierung ausdrücklich.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Dr. Wissing, gestatten Sie eine Zwischenfrage unserer Kollegin Sahra Wagenknecht?

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Frau Kollegin Wagenknecht.

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben gerade so eifrig den Rechtsstaat verteidigt. Ich frage Sie einfach einmal etwas zu einer konkreten Praxis der Deutschen Bank; Sie wollten ja Beispiele hören. Es gibt das sehr interessante und lesenswerte Buch des amerikanischen Finanzjournalisten Michael Lewis. Er schildert darin unter anderem ein Treffen von einem führenden Investmentbanker der Deutschen Bank mit einer Gruppe von Hedgefonds-Managern. Bei diesem Treffen hat der deutsche Banker die Hedgefonds-Manager überzeugt, gegen die von der Deutschen Bank selbst konstruierten Papiere zu wetten. Dabei fragte einer der Hedgefonds-Manager den Investmentbanker der Deutschen Bank relativ ungläubig: Wer ist denn eigentlich der Idiot auf der anderen Seite? Wer ist eigentlich so verrückt und kauft den Finanzmüll, den Sie dort konstruiert haben? Darauf sagte dieser Banker der Deutschen Bank relativ kurz und kühl: Düsseldorf, stupid Germans. Düsseldorf, dumme Deutsche. Finden Sie solche Geschäftspraktiken rechtsstaatlich? Finden Sie, dass das einfach so laufen gelassen werden kann? Wir alle wissen: In Düsseldorf saß die IKB, sitzt die WestLB. Das waren die Käufer. Die Lasten trägt der Steuerzahler. Ist es Ihr Rechtsstaatsverständnis, dass wir alle jetzt diese Last mittragen und bezahlen, während die Deutsche Bank - mit ähnlichen Praktiken übrigens wieder fleißig Geld scheffelt?

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe mir schon gedacht, dass Sie in Ihrer Frage die Dinge genauso durcheinanderbringen wie vorher in Ihrem Redebeitrag. Deshalb wiederhole ich, was ich vorhin gesagt habe: Es ist nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages, festzustellen, ob eine Bank gegen bestehende Gesetze verstoßen hat; ({0}) das ist Sache der Justiz. Das haben Sie offenbar immer noch nicht verstanden; aber es ist so. Dann haben Sie angesprochen, dass die Deutsche Bank gesagt haben soll, dass die Landesbanken, also öffentliche Banken - das sind die Banken, die Sie für klüger halten -, so dumm gewesen seien, Papiere zu kaufen, die private Banken nicht haben wollten. Daraus ziehen Sie merkwürdigerweise den Rückschluss, dass man in Deutschland mehr von diesen öffentlichen Banken schaffen sollte, bis man nur noch öffentliche Banken hat. Bei Ihnen geht einfach alles durcheinander. Sie versuchen, die Realität in Ihre Ideologie zu pressen, bringen uns idiotische Anträge, die alles andere als logisch sind, ({1}) und haben außer irgendwelchen Parolen gegen Banken keine einzige Lösung für die Bewältigung der Finanzmarktkrise zu bieten. Weil Sie keine schlüssigen Konzepte haben und weil das alles jeglicher Logik entbehrt, schaffen Sie es auch nicht, Ihre Vorstellungen mit einem modernen Rechtsstaat in Einklang zu bringen. Deswegen sage ich Ihnen: Sie sind auf dem Holzweg. Wenn das eine Antwort auf Ihre Frage ist, dann habe ich sie Ihnen gern gegeben. ({2}) Wir können weiterhin feststellen, dass Ihre These, man solle die Deutsche Bank verstaatlichen, nun wirklich alles andere als eine gute Idee ist. Es war die ungute Verquickung von staatlicher Sicherheit mit einer höheren Risikobereitschaft und mangelnder Professionalität des öffentlichen Bankensektors - das haben Sie mit Ihrer Frage gerade noch einmal angesprochen -, die dazu geführt hat, dass Landesbanken massiv in die Krise gerutscht sind. Deswegen hat der deutsche Steuerzahler heute ein Problem. Daraus kann man nicht den Rückschluss ziehen - ich sage es Ihnen noch einmal -, dass man mehr Banken verstaatlichen müsse; denn dann würden Sie das Risiko für den Steuerzahler noch weiter erhöhen. Ich weiß nicht, ob die Linke das irgendwann versteht: Es ist der öffentliche, nicht der private Bankensektor, der dem deutschen Steuerzahler die Probleme bereitet. ({3}) Sagen Sie doch bitte nicht immer wieder: Der Weg ist die Bankenverstaatlichung. - Ich weiß nicht, welche Lehren die Linke aus der Finanzmarktkrise gezogen hat; mehr Staatsbanken benötigt Deutschland jedenfalls nicht. ({4}) Sie sollten sich einmal die Mühe machen, Ihre Politik zu Ende zu denken. Ich finde auch das, was Sie über den Beschluss der französischen Nationalversammlung zur Finanztransaktionsteuer schreiben, nicht besonders logisch. Sie heben den Beschluss des französischen Parlaments hervor und sagen: Weil Frankreich eine Finanztransaktionsteuer vorschlägt, muss man sie jetzt flächendeckend einführen. - Sie sollten der Entscheidung des französischen Parlaments einmal die Entscheidungen all der anderen Parlamente gegenüberstellen, die nämlich keine Beschlüsse hinsichtlich der Finanztransaktionsteuer gefasst haben. Wenn Sie das tun, dann ergibt sich weltweit ein eindeutiges Meinungsbild. Wir haben die Diskussion auf der Ebene der G 20 und auf anderen Ebenen immer wieder geführt. Es ist im Übrigen, Herr Kollege Zöllmer, ein Märchen - das erzählen Sie hier immer wieder, aber es bleibt ein Märchen -, dass sich die Bundesregierung international nicht für eine Finanztransaktionsteuer einsetzt. Das Gegenteil ist richtig. ({5}) Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesfinanzminister, setzt sich auf europäischer Ebene für eine Finanztransaktionsteuer ein. Wir als Koalitionsfraktionen haben dem Bundesfinanzminister dafür auch grünes Licht gegeben. Aber wir haben eines immer klar gesagt: Wir wollen keine Finanztransaktionsteuer, die den Finanzplatz Deutschland schwächt und andere Finanzplätze stärkt. Wir machen im Deutschen Bundestag keine Finanzpolitik für den Finanzstandort Großbritannien, sondern wir machen Finanzpolitik für unseren Standort. Wenn Großbritannien nicht bereit ist, in Europa gemeinsam eine Finanztransaktionsteuer einzuführen, dann halten wir es aus deutschem Interesse nicht für vertretbar, eine solche Steuer hier einzuführen. Sie können dieses Märchen bei der nächsten Debatte wieder erzählen und sagen, in Deutschland werde das alles blockiert; dadurch wird es immer noch nicht wahr. ({6}) - „Wir“, das ist die Koalition, Frau Kollegin Kressl. ({7}) Wenn Sie die Beschlüsse, die wir hier gemeinsam gefasst haben, nachgelesen hätten, dann wüssten Sie, dass dem so ist. Wir haben eine klare Haltung in dieser Frage. Die FDP jedenfalls macht eine Finanztransaktionsteuer ohne UK nicht mit, weil wir nicht bereit sind, unsere Finanzstandorte zu opfern und andere zu fördern. Wir machen im Deutschen Bundestag immer noch Politik fürs deutsche Volk. Vielen Dank. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unser Kollege Dr. Gerhard Schick. Bitte schön, Kollege Dr. Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte zeigt sehr gut, welche Einschätzungen es bezüglich der Finanzkrise gibt. Da hören wir als Erstes von Herrn Flosbach, dass in Deutschland eigentlich alles ganz toll gelaufen ist. Dabei werden die Lasten für die Bürgerinnen und Bürger völlig verharmlost. Die Fakten zeigen da leider etwas anderes. Der Fiscal Monitor des Internationalen Währungsfonds vom April 2011 zeigt auf, dass Deutschland nach Irland und noch vor den USA das Land ist, welches - im Verhältnis zur Größenordnung der Wirtschaftsleistung und auch in absoluten Größen - am stärksten von dieser Finanzkrise betroffen ist. Ich finde, es geht einfach nicht, das zu verharmlosen und so zu tun, als gebe es hier keine Last. ({0}) - Die Zahlen: Für Deutschland 10,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, so sagt der IWF, und in den USA sind es 3,4 Prozent. Die genauen Zahlen für die anderen Länder können wir im Ausschuss im Detail gerne durchgehen. Weiterhin geht es nicht an, die durch die Finanzkrise offengelegten Geschäftspraktiken von Großbanken, die bis zu Betrug, Untreue und anderen strafrechtlich relevanten Delikten reichen, zu übersehen. ({1}) Da kann man doch nicht sagen, das sei nur ein Justizproblem. Vielmehr braucht eine soziale Marktwirtschaft immer auch ein ethisches Fundament. ({2}) Wenn sich die Politik einer Bewertung dessen enthält, was auf den Märkten passiert, dann können wir als Gesetzgeber doch einpacken. In den USA ist es nicht so, dass nur die Justiz darauf eingehen würde. Es gibt auch einen Bericht des USSenats, der die Rolle der Großbanken sehr genau betrachtet. Ich finde, auch in Deutschland sollte man entsprechend reagieren und untersuchen, was wir zu einer Verbesserung unseres Finanzsystems beitragen können. Die CDU/CSU-Fraktion hat gestern eine Jubelrunde in Form einer Finanzmarktkonferenz veranstaltet. ({3}) Ich halte es für notwendiger, kritisch an die Sache heranzugehen, anstatt sie zu verharmlosen. Ganz konkret: Weil wir davon ausgehen müssen, dass es gerade in Deutschland aufgrund der Finanzkrise sehr hohe Kosten gibt, muss die Frage beantwortet werden: Wer trägt die Kosten dieser Krise? Ich kenne aus der Koalition keine Antwort auf diese Frage. Deswegen befürchten wir - gemeinsam mit vielen Menschen in diesem Lande -, dass das wieder am unteren Ende der Einkommensskala in Deutschland passiert, und zwar so, wie Sie schon die Kosten für die Wiedervereinigung finanziert haben, nämlich über höhere Staatsverschuldung und durch steigende Sozialversicherungsabgaben. ({4}) Das würde die kleinen Leute treffen. Deshalb soll es das nicht geben. ({5}) Es gibt einen Vorschlag, wer die Kosten dieser Krise tragen soll. Er kommt von der Linkspartei. Leider müssen wir sagen: Dieser Vorschlag funktioniert nicht. Es geht verfassungsrechtlich nicht, den Haushalt mit einer Sonderabgabe aufzufüllen. In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vom März 2010 steht, dass die Abgabe nicht dem allgemeinen Haushalt zur Gesamtdeckung zur Verfügung stehen kann. Das gilt genauso für die Verluste des Haushalts bei vergangenen Unterstützungsleistungen. In der juristischen Literatur wird das Thema auf diese Weise bewertet. Der Vorschlag der Linken wird also nicht funktionieren. Deshalb sollten wir uns mit den Vorschlägen beschäftigen, die funktionieren. Ich kann mich der Kritik des Kollegen Zöllmer nur anschließen: Bei den Beratungen zur Bankenabgabe hätte die Linkspartei Änderungsvorschläge einbringen können, um das Ganze anders auszugestalten. ({6}) Wie lautet unsere Antwort auf die Frage, wie die Kosten der Krise bewältigt werden können? Sie lautet: Vermögensabgabe. Wir sagen: Die Kosten dieser Finanzkrise sollen mit einer einmaligen Abgabe auf große Vermögen - netto über 1 Million Euro pro Person - abgetragen werden. Denn die Schuldenlast ist zu hoch und gefährdet die Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens. Wir wollen nicht, dass die kleinen Leute, die am wenigsten von dem Boom vor der Finanzkrise profitiert haben, diese Last tragen sollen. Wir geben eine ehrliche Antwort auf die Frage, wer die Kosten dieser Krise tragen soll. Geben auch Sie endlich diese Antwort! ({7}) Der zweite Teil des Antrags, über den wir heute diskutieren, bezieht sich auf die Finanztransaktionsteuer. Die Entwicklung bei diesem Thema ist spannend: Selten haben Initiativen aus der Bevölkerung, aus der Zivilgesellschaft so schnell den Weg in die Parlamente und die Gesetzgebung gefunden. Es ist teilweise atemberaubend, wie die schlechten Argumente gegen die Steuer nach und nach wegkippen. Zuletzt ist auf der Reise einer Delegation des Finanzausschusses nach China deutlich geworden: Man kann nicht einfach sagen, dass diese Steuer aufgrund des Wettbewerbs mit den asiatischen Börsenplätzen für uns gefährlich sein könnte. Nein, dort gibt es bereits Steuern, die dem ähneln, was wir hier vorschlagen. Jetzt ist eine neue Situation eingetreten: Die EUKommission hat im Rahmen der Planungen für die nächsten Jahre vorgeschlagen, zur Finanzierung des europäischen Haushaltes eine solche Steuer zu realisieren. Jetzt kommt es darauf an, wie sich die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag zu diesem Vorschlag verhalten. Wer für eine Finanztransaktionsteuer ist, muss jetzt die Europäische Kommission unterstützen und dafür sorgen, dass dieser Vorschlag ein Erfolg wird. ({8}) Dann geht es eben nicht mehr, darauf zu verweisen, dass London vielleicht nicht mitmacht; es ist ein Vorschlag der Europäischen Kommission für die gesamte Europäische Union. Deswegen wollen wir von Bundesaußenminister Westerwelle keine Absage zu diesem Vorschlag mehr hören; wir wollen hier auch nicht hören, man sei irgendwie doch für eine Finanztransaktionsteuer. Es braucht jetzt ein klares Ja aus Deutschland zu diesem Vorschlag der Europäischen Kommission. ({9}) Daneben müssen wir die Frage stellen: Was ist jetzt für die Finanzmärkte das Wichtigste? Da wurde vom Kollegen Flosbach lange darüber diskutiert, wer alles schuld gewesen sein könnte. Da wird häufig Nebel verbreitet, indem gesagt wird, alles sei superkomplex. Ich finde, es ist notwendig, dass wir uns der Prioritäten bewusst sind und schauen, was die wichtigsten Aspekte sind, die wir angehen müssen, um unsere Banken stabiler zu machen, damit eine solche Krise nicht mehr eintritt. Es gibt viele Punkte; aber ein wichtiger Punkt ist - das zeigt auch die Wissenschaft immer deutlicher -: Wir müssen unsere Banken mit mehr Eigenkapital ausstatten, ({10}) und zwar nicht nur risikogewichtet. Vielmehr brauchen wir eine Schuldenbremse für Banken. Man muss sich das einmal vorstellen: Bevor eine Bank einem Unternehmen Geld leiht, will sie eine entsprechende Eigenkapitalquote sehen; sie will, dass dieses Unternehmen stabil wirtschaftet. Wenn es aber um die Bank selber geht, meint man, man könne auch weniger als 3,3 Prozent eigenes Kapital haben, um seine Geschäfte zu finanzieren. Ich halte es für keine seriöse Geschäftspolitik, wenn Banken eine so geringe Eigenkapitalquote aufweisen. Ich glaube, wir müssen hier verstärkt einen Schwerpunkt setzen: Unsere Banken müssen gut mit Eigenkapital ausgestattet sein. Ich fordere die Bundesregierung auf, an dieser Stelle endlich von der Bremse zu gehen und sich in Brüssel nicht für eine Verwässerung, sondern für eine Verschärfung der Bankenregulierung einzusetzen und das zentrale Instrument einer Schuldenbremse für Banken endlich aktiv voranzutreiben, damit eine solche Krise nicht noch einmal eintritt. Tun Sie etwas in diese Richtung! Vielen Dank. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Schick. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Hans Michelbach. Bitte schön, Kollege Michelbach. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Finanzmarktkrise im Herbst 2008 haben wir alle Anstrengungen unternommen, um unsere Finanzmärkte besser und sicherer zu gestalten. Deutschland hat diese globale Krise schneller und erfolgreicher überwunden als erwartet. Wir erhalten für unsere Krisenbewältigung international hohe Anerkennung und Zustimmung. Das ist ein Fakt. In diesem Sinne war gestern ein guter Tag für die Finanzmärkte, einerseits, weil das griechische Parlament Verantwortung gezeigt und das Sparpaket beschlossen hat, andererseits, weil unsere Fraktion alle für den Finanzmarkt wesentlich Verantwortlichen in unserem Saal versammeln konnte, um dort über die Schwerpunkte der Finanzmarktregulierung zu debattieren. Das war ein guter Tag für unsere Finanzmärkte. Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Vorstände unserer großen systemischen Banken auf dieser Veranstaltung erstmals deutlich erklärt haben, dass sie bereit sind, hinsichtlich der Staatsanleihen Verantwortung zu übernehmen, und eine Gläubigerbeteiligung in Aussicht gestellt haben. Es ist wichtig, dass Verantwortung übernommen wird; denn das Wichtigste ist, dass neues Vertrauen geschaffen wird. ({0}) Es muss klar sein, dass sich diese Koalition bei der Krisenbewältigung von niemandem übertreffen lässt, schon gar nicht von der Opposition. Der wirtschaftliche Aufschwung ist gelungen. Natürlich braucht man für einen wirtschaftlichen Aufschwung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze private Banken, die bereit sind, Risiken zu übernehmen. Dies ist die Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft. ({1}) Dieser wirtschaftliche Aufschwung ist unser Aufschwung. Ich weiß, dass dies der Opposition nicht gefällt. Deshalb stellen Sie wöchentlich neue Schaufensteranträge, die viel Populismus enthalten und in denen Sie den Teufel an die Wand malen und Verunsicherung verbreiten. Sie erfinden neue Abkassiermodelle und propagieren - das hat heute insbesondere Frau Wagenknecht getan - Ihre Feindbilder. Wir brauchen aber keine Feindbilder. Wir brauchen zusätzliche Investitionen und neue Arbeitsplätze. Wir haben uns vorgenommen: über 1 Million weniger Arbeitslose in Deutschland. Das ist, was letzten Endes zählt. ({2}) Wir wollen den Finanzmarkt solider und widerstandsfähiger machen und alle Produkte und Marktteilnehmer strikt regulieren. Das muss das Hauptziel sein. Wir verharmlosen nichts. Wir setzen vielmehr ethische Maßstäbe. Bei der Finanzmarktregulierung haben wir es natürlich - das muss man sehen - mit einer wichtigen und auch schwierigen Abwägung zu tun. Es geht um erfolgversprechende Regeln zwischen Staat und Markt. Diese Aufgabe gehen wir sehr verantwortungsbewusst an. Es geht aber auch um Wohlstand und Zukunftschancen. Das gehört zusammen; das kann man in einer freien sozialen Marktwirtschaft nicht voneinander trennen. Von den Grünen wird mit der Vermögensabgabe ein Abkassiermodell als Patentrezept in den Raum gestellt. Man muss sich doch einmal fragen, ob das international Konsens ist. Es ist doch völlig falsch, sich auf nationaler Ebene ständig neue Steuern einfallen zu lassen, die international umgangen werden können. Letzten Endes haben Sie dann nur Ihre Feindbilder propagiert. Das ist doch der Punkt. Das dient der Allgemeinheit nicht. Das bringt keine neuen Investitionen und schafft keine neuen Arbeitsplätze. Deswegen sage ich: Lassen Sie diese Spielchen. Lassen Sie diese Abkassiermodelle auf nationaler Ebene. ({3}) Schlimm ist, dass die Opposition die deutschen Banken dafür geißelt, dass sie wieder Gewinne erwirtschaften. Diese Gewinne sollen, so die Opposition, möglichst schnell wegbesteuert werden. Das ist Ihre Philosophie. Das ist aber nicht unsere Philosophie, weil es hinsichtlich Investitionen und Arbeitsplätzen absolut kontraproduktiv ist. Das dient unserer Wirtschaft und dem Standort Deutschland nicht. Das würde der Gesundung des Finanzmarktes und der Umsetzung einer höheren Eigenkapitalquote, die Basel III vorsieht, entgegenstehen. Das ist der Punkt: Wir müssen den Banken gönnen, dass sie Gewinne erwirtschaften. Dann können sie eine hohe Sicherheit durch eine angemessene Eigenkapitalquote gewährleisten. Die zentrale Lehre aus der Finanzmarktkrise muss sein, dass wir vor allem eine stärkere und effizientere Regulierung der Finanzmärkte brauchen. Wir brauchen klare Restrukturierungsverfahren in Europa, mehr Rechte der BaFin, eine klare Finanzaufsicht in der EU sowie Transparenz und Sicherheit. In diesem Zusammenhang muss natürlich auch neues Vertrauen entstehen. Es zerstört sicher die gesellschaftliche Akzeptanz unserer Marktwirtschaft, wenn die Gewinne privatisiert werden und die Verluste auf Dauer der Steuerzahler tragen soll. Aber dem haben wir einen Riegel vorgeschoben. Bei unseren Entscheidungen geht es nicht um kosmetische Reparaturen, sondern wir haben ganz konkrete Maßnahmen getroffen. Das Restrukturierungsgesetz, die Eigenkapitalunterlegung im Rahmen von Basel III, die Regelungen zu den Leerverkäufen und die Regelung zum Rating - all das sind wesentliche Schritte in die richtige Richtung. Wir müssen deutlich machen, dass wir bei der Bankenabgabe eine gute Abwägung getroffen haben. Wir haben sie hier im Deutschen Bundestag beschlossen. In der nächsten Woche werden wir zusammen mit dem Bundesrat eine Lösung finden, damit sie auch dort beschlossen wird. Dann haben wir auch auf diesem Gebiet einen wesentlichen Schritt getan. Ich glaube, wir müssen uns auch mit der möglichen Einführung einer Finanztransaktionsteuer offensiv auseinandersetzen. Zuerst muss man sich aber fragen, welche Lenkungswirkung solch eine Steuer haben kann. Ohne zu wissen, wie sich diese neue Steuer auswirken würde, kann man sie nicht verantwortungsbewusst beschließen. Wir dürfen zum Schluss nicht die Situation haben, dass nur der Bankkunde oder der Verbraucher auf nationaler Ebene sie zahlt. Das muss international abgestimmt sein; hier muss eine internationale Lösung gefunden werden. Denn es kann nicht so sein, dass der Bankkunde vor Ort, der nicht die Möglichkeit hat, internationale Bankgeschäfte zu tätigen, am Ende der Dumme ist. Es ist ganz wichtig, dass wir dem Kommissar, der im Finanzausschuss war, Glauben schenken. Er hat deutlich gesagt: Es ist unverantwortlich, eine Bewertung vorzunehmen, wenn keine unvoreingenommene Prüfung hinsichtlich einer positiven Lenkungsfunktion durch die EU-Kommission vorliegt. Warten wir ab, bis es konkrete Ergebnisse gibt. ({4}) Dann können wir eine klare Entscheidung treffen. Es geht um sachliche Bewertungen, um Lenkungswirkungen, ({5}) um eine seriöse Entscheidung und um verantwortliche Politik. ({6}) Es geht aber nicht um ideologische Feindbilder und Entschließungen, die Sie immer wieder mit diesen Abkassiermodellen hier vortragen. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger haben verstanden, dass wir die Dinge gut abwägen und vernünftig voranbringen. Es geht darum, auch den wirtschaftlichen Erfolg, den Erfolg für unseren Wirtschaftsstandort, den Erfolg für die Arbeitsplätze, den Erfolg für die Investitionen in Verbindung mit der privaten Finanzwirtschaft sicherzustellen. Das gelingt immer besser. Darauf können wir gemeinsam stolz sein. Herzlichen Dank. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt spricht für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Carsten Sieling. Bitte schön, Kollege Sieling. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist heute wieder eine ganz „große“ Debatte über Bankenregulierung, Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise usw. Ab und zu wird man von Bürgerinnen und Bürgern darauf angesprochen, dass der Deutsche Bundestag manchmal wie ein Raumschiff wirkt. Leider bestätigen Debatten wie diese das deutlich. Ich muss das auch in Richtung der Koalition sagen. Sie haben gestern angefangen, das Raumschiff mit Captain Kirk, Mr. Spock und allen möglichen anderen zu besetzen. Mit Ihrer großartig inszenierten Konferenz haben Sie versucht, das alles, was Sie bisher nicht geleistet haben, als Erfolg darzustellen. Das war schon gestern lächerlich. Man lädt einen Herrn Ackermann ein. Von dem lässt man sich ein bisschen kritisieren, um seine eigenen Maßnahmen gut darstellen zu können. So macht man das. Die Debatte heute zeigt, dass Sie völlig abgehoben sind. Sie haben bisher nichts richtig Wirksames auf den Weg gebracht. Die Verursacher werden nicht herangezogen. ({0}) Dabei haben wir doch die Gefahren der Krise noch lange, lange nicht abgewehrt. Das ist eine Tatsache. Darum entgleist diese Debatte hier und heute auch. ({1}) - Ich sage es Ihnen auch konkret. Sie reden hier schön und machen woanders die Dinge schlecht. Darf ich Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen? In schwierigen Beratungen - immerhin unter tätiger Mithilfe der Bundesregierung - wurde erreicht, eine Lösung für die WestLB zu finden. Was machen die Vertreter von FDP und CDU heute im Landtag von Nordrhein-Westfalen? Sie stimmen dagegen. ({2}) - Wenn Sie sich in dieser Frage mit der Linken in ein Boot setzen, ist das eher Ihr als unser Problem. ({3}) Ich finde es unverantwortlich, was Sie an dieser Stelle machen. ({4}) - Die Aufregung in Ihren Reihen spricht Bände. Dazu muss ich gar nichts mehr sagen. ({5}) Sie sind in der Verantwortung, jetzt zu zeigen, wie Sie das vom Eis bekommen wollen. ({6}) Genauso verhält es sich mit Ihrer sogenannten Bankenabgabe. Herr Michelbach bläst hier einen Ballon auf, indem er sagt, es gebe Leute, die den Banken ihre Gewinne neiden. Nein, nein, ganz und gar nicht. Nur ist es so: Die Gewinne der Banken von heute sind die Folge der Bankenrettung von 2008, die im Übrigen unter der Regie von Peer Steinbrück stattfand. Darum machen die Banken heute wieder Gewinne. Wir sagen: Auch sie müssen wirksam zur Finanzierung der Lasten herangezogen werden. Das darf nicht weiter dem Steuerzahler aufgebürdet werden. Auch darum geht es an dieser Stelle. ({7}) - Ich bin konkret, Herr Kollege. Ich bin deshalb konkret, weil die Bankenabgabe, die Sie vorschlagen, in keiner Weise diesem Ziel entspricht. Sie entspricht nicht Ihrem selbstgesetzten Ziel; denn Sie sagen, das sei eine Versicherungslösung für die Zukunft. Wahrscheinlich gilt sie - das wissen Sie auch - im Hinblick auf das Jahr 2098. Sie brauchen für diesen Fonds 70 Milliarden Euro. In diesem Jahr werden Sie, wenn Sie es überhaupt noch auf die Reihe bekommen, vielleicht 600 Millionen Euro erreichen. Ihr selbst gesetztes Ziel erreichen Sie nicht. Das, was Sie an dieser Stelle vorschlagen, ist keine Beteiligung des Finanzsektors an den Lasten der Krise. ({8}) - Wir haben Gott sei Dank über den Bundesrat zumindest einige Initiativen zur Verbesserung angeregt. Diese Initiativen haben wir als sozialdemokratische Fraktion - das gilt auch für die anderen Oppositionsfraktionen; die Grünen gehen auf jeden Fall in die gleiche Richtung - auch in den Deutschen Bundestag eingebracht. Das haben wir getan, um die geplante Bankenabgabe wenigstens ein wenig wirksamer zu machen und zu verhindern, dass sie angesichts der unzureichenden Heranziehung der Gewinne eine Großbankenverschonungsregelung wird. ({9}) Deshalb haben wir einen Satz von 25 Prozent vorgeschlagen. ({10}) Der Bundesrat bzw. die Finanzminister haben sich zumindest schon auf 18 Prozent hochbewegt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir haben Vorschläge gemacht. Auch diese haben die Finanzminister im Bundesrat einstimmig beschlossen. Dabei ging es darum, im Bereich der Sparkassen und Genossenschaftsbanken eine Entlastung zu erreichen. Derivate und anderes sollten stärker herangezogen werden. Das ist - besonders weil die FDP da Gott sei Dank nicht viel mitzureden hat, in Hessen aber schon - ein Problem insbesondere der CDU. Denn Herr Fahrenschon von der CSU und Carsten Kühl, der Finanzminister von Rheinland-Pfalz, haben diesen Kompromiss ausgehandelt. Ihre Leute im Bundesrat haben da wieder blockiert. Das führte dazu, dass selbst diese lächerlich kleine Bankenabgabe bislang nicht eingeführt werden konnte. Sie müssen sich bewegen, meine Damen und Herren. Wir helfen Ihnen selbst bei dieser kleinen Nummer. ({11}) Erstens machen Sie also bei der WestLB das kaputt, was Sie vorher aufgebaut haben. Zweitens machen Sie aus der Bankenabgabe nichts Ordentliches. Drittens lassen Sie - wir haben dazu gerade schon den Chefblockierer Wissing von der FDP gehört - auch bei der Finanztransaktionsteuer alle im Regen stehen. Merken Sie eigentlich nicht, dass Sie in dieser Frage in Europa die letzten Mohikaner sind? ({12}) - Natürlich sind Sie die letzten Mohikaner. - Herr Wissing hat die Bundesregierung bzw. Herrn Schäuble scheinheilig gelobt. Gleichzeitig hat man aber gesagt: Wir stimmen nicht zu. - Vor einigen Tagen haben wir über einen Antrag zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer diskutiert. Sie, Herr Michelbach, haben ihn einen Schaufensterantrag genannt. Ihre Leute im französischen Parlament, die UMP, haben dem Inhalt dieses Antrags mittlerweile zugestimmt. Die Fraktion von Herrn Sarkozy unterstützt dieses Anliegen, weil sie weiß, dass dies keine Schaufensterangelegenheit ist. ({13}) Wie weit sind wir bis jetzt? Selbst Berlusconi in Italien - mit dem Sie sehr viel zu tun haben, wir überhaupt nichts - spricht sich inzwischen für eine Finanztransaktionsteuer aus. ({14}) Barroso und die EU-Kommission sind schon genannt worden. ({15}) Der Zug fährt, und alle marschieren voran. Aber CDU und CSU lassen sich von der FDP am Nasenring durch den Deutschen Bundestag ziehen und bekommen es nicht hin, dieses wirklich wirkungsvolle Mittel auf den Weg zu bringen. ({16}) Zum Schluss möchte ich die nachfolgenden Redner bitten, nicht wieder das Märchen zu erzählen, wir seien der Auffassung, dass man damit alle Finanzkrisen dieser Welt, so auch die letzte, hätte verhindern können. Natürlich nicht! ({17}) Das sagt niemand. Die Finanztransaktionsteuer ist ein Element, das dazu beitragen kann, dass die Blase an den Märkten ein bisschen schrumpft. Außerdem kann sie dafür sorgen, dass Geld, das wir dringend benötigen, um Steuergelder zu schonen, in die öffentlichen Haushalte fließt und dass die Schuldigen an der Finanzierung der Folgen dieser Krise beteiligt werden. Darum geht es. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Björn Sänger. Bitte schön, Kollege Björn Sänger. ({0})

Björn Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004141, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag zeigt eines ganz deutlich: dass es sehr schwierig ist, aus einem guten Tee mit einem zweiten Aufguss noch ein schmackhaftes Getränk zu machen. ({0}) Bei schlechtem Tee und mehrfachem Aufguss wird es schier unerträglich. Nichts anderes ist Ihr Antrag. Er wurde aus - gefühlt - mindestens fünf Anträgen, die uns bisher von den Linken zu diesem Thema und ähnlichen Themen vorgelegt wurden, schnell zusammengeschustert. Dies zeigt eines ganz deutlich: dass Copy and Paste nichts bringt, wenn man von der Sache nichts versteht. ({1}) - Ich weiß, Herr Kollege Troost, Sie kommen nach mir. Dann können Sie darauf eingehen. Ich freue mich schon darauf. Frau Kollegin Wagenknecht, die Tatsache, dass Sie die drei Seiten Ihres Antrags in einen Zusammenhang mit der sozialen Marktwirtschaft gestellt haben, zeigt auch ganz deutlich, dass Sie von der sozialen Marktwirtschaft nichts verstehen. ({2}) Wie denn auch? Soziale Marktwirtschaft gedeiht in einem Klima der gesellschaftlichen Freiheit. Von Freiheit haben Sie und Ihre Partei nun wirklich keine Ahnung. ({3}) Das ist in etwa so, als würde der Papst im kommenden September, wenn er von diesem Pult zu uns sprechen wird, eine Grundsatzrede über das Kinderkriegen halten. ({4}) Sie möchten die Verursacher der Krise zur Rechenschaft ziehen. Dabei beschäftigen Sie sich mit der Deutschen Bank. Das ist legitim. Auch ich bin kein ausgewiesener Freund der Deutschen Bank. Aber ich stelle fest, dass die Deutsche Bank während der gesamten Krise keine Staatshilfe in Anspruch genommen hat. Ich stelle allerdings auch fest, dass es sicherlich fragwürdige Praktiken, die juristisch aufgearbeitet werden, gegeben hat und gibt. Ich sage Ihnen: Es gehören immer zwei dazu. Es gehört jemand dazu, der jemand anderen über den Tisch ziehen und ein unsauberes Geschäft abschließen will. Aber es gehören auch Leute dazu, die sich über den Tisch ziehen lassen. Damit sind wir bei den Landesbanken und den Sparkassen, die laut Ihrem Antrag mit der Krise nichts zu tun haben. Die Landesbanken gehören aber mehrheitlich den Sparkassen, und die Sparkassenvorstände sitzen in den jeweiligen Verwaltungs- und Aufsichtsräten; auch dies gehört zur sozialen Marktwirtschaft. Wenn man in einem Aufsichtsgremium sitzt, kann man sich auf zweierlei Weise verhalten: Man kann das tun, was man tun soll, nämlich die Aufsicht führen, oder man kann sich bei Schnittchen Anekdoten über die Kommunalpolitiker, die im Aufsichtsgremium der eigenen Sparkasse sitzen, erzählen. Möglicherweise ist an der einen oder anderen Stelle die Priorität ein bisschen verschoben worden. Deswegen sind die Landesbanken auch in die jetzige Situation geraten. Sie schimpfen des Weiteren auf die Großbanken; auch das ist nichts Neues. Lehman und die IKB waren aber keine wirklich großen Banken. Sie möchten mithilfe einer neuen Bankenabgabe, der dann durch zukünftige Anträge eine Bankenabgabe 2.0 bzw. eine Bankenab13432 gabe reloaded folgen werden, eine Prävention für künftige Krisen schaffen. Ich weiß nicht, wie das, was Sie jetzt planen - mit der Frage der Verfassungsrechtlichkeit will ich mich schon gar nicht beschäftigen -, funktionieren soll. Sie wollen eine Abgabe auf die Bilanzsumme, und zwar unabhängig davon, ob das Institut Gewinn macht oder nicht. Das kann man machen. Es ist aber nicht sinnvoll, wenn man zukünftigen Krisen vorbeugen will. Ein verantwortlicher Bankmanager muss den Gewinn verwenden, um Eigenkapital aufzubauen. Eine vernünftige Eigenkapitalbasis ist der richtige Ansatz. Eine Substanzbesteuerung - nichts anderes wäre das - führt mit Sicherheit dazu, dass die Banken nicht gut für eine nächste Krise gerüstet sind. Deshalb ist die Bankenabgabe in der Form, wie sie die schwarz-gelbe Bundesregierung bzw. die schwarz-gelbe Koalition beschlossen hat, der richtige Ansatz. Denn es wird ein Fonds geschaffen, der im Bedarfsfall bei der Restrukturierung hilft. Es hilft nichts, die Gewinnerzielungsabsicht der Branche zu geißeln. Wer soll denn den Industriestandort Deutschland finanzieren, wenn wir keine großen Banken und keine Privatbanken mehr haben? Bei allem Respekt vor der Leistungsfähigkeit unserer Sparkassen und Genossenschaftsbanken: Diese Banken allein werden diese große Aufgabe in unserem Land nicht schultern können. Dafür sind die zu bewegenden Volumina schlichtweg viel zu groß. Diesen Bankensektor zu zerschlagen, bedeutet, die Axt an die Industriearbeitsplätze zu legen, die uns gut durch die Krise geführt haben. Das werden wir Ihnen als Regierungskoalition nicht durchgehen lassen. ({5}) Ich fasse zusammen: Was Sie hier vorhaben, ist nichts anderes als ein Karnevalsumzug durch den Wald, insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Kapital bzw. die Banken relativ scheue Rehe sind. Sie haben schlichtweg - das hat sich sehr deutlich gezeigt eine vollkommen andere Vorstellung davon, wie die Wirtschaftsordnung in diesem Land gestaltet werden sollte. Ihre Vorstellung von einer Bankenabgabe ist, unsere Banken ans Ausland abzugeben. Das wollen wir ausdrücklich nicht. Deswegen werden wir dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Dr. Axel Troost. ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegin Wagenknecht hat darauf hingewiesen, dass die Staatsverschuldung durch die Bankenkrise, statistisch gesehen, um 300 Milliarden Euro angestiegen ist. Daraufhin wurde gesagt: Ja, das ist, statistisch gesehen, richtig. In dieser Summe sind aber auch viele Bürgschaften enthalten. - Herr Kollege Schick hat gesagt, dass die Bankenabgabe nicht rückwirkend, sondern nach vorne ausgerichtet werden muss. Reden wir doch einmal konkret nach vorne ausgerichtet darüber, was jetzt passiert. Reden wir doch einmal über die ehemalige private Hypo Real Estate. Das war ein privates Unternehmen, das unter großem Druck verstaatlicht werden musste. An dieser Bank hängt bzw. schlummert eine Bad Bank in einer Größenordnung von 173 Milliarden Euro. ({0}) Das betrifft die Zukunft, wohlgemerkt. Seien wir einmal optimistisch - ich bin von Natur aus Optimist - und gehen davon aus, dass noch 90 Prozent der faulen und schwierigen Papiere - sonst wäre es keine Bad Bank realisiert werden können. Es bleiben also nur 10 Prozent übrig. 10 Prozent sind 17,3 Milliarden Euro. Diese Summe wird anschließend in vollem Umfang als Staatsverschuldung auf den Bund zukommen. Das ist eine Größenordnung, mit der man die Kinderversorgungseinrichtungen in der gesamten Bundesrepublik auf einem hohen Niveau finanzieren könnte. Das gilt sowohl für Investitionen als auch für die Betreuung. Da stellt sich in der Tat die Frage: Wer soll das bezahlen? Fließt das stillschweigend Jahr für Jahr in 2-, 3oder 5-Milliarden-Schritten in den öffentlichen Haushalt hinein, oder wollen wir die Verursacher der Krise heranziehen? Ich war gestern auf dem Kongress der CDU/CSUBundestagsfraktion, den ich übrigens besser fand, als manche hier behauptet haben. Herr Ackermann hat in der Tat darauf hingewiesen, dass die Deutsche Bank, wenn es sehr schlecht läuft, im Rahmen der jetzt geplanten Bankenabgabe mit bis zu 800 Millionen Euro betroffen wäre. Er hat darauf hingewiesen, dass das vor Steuern 1,5 Milliarden Euro wären. Bei einer solchen Summe bekommt man erst einmal einen Schreck. Wenn man aber weiß, dass die Deutsche Bank in diesem Jahr einen Gewinn von 10 Milliarden Euro vor Steuern machen will, dann stellt man fest: Das sind gerade einmal 15 Prozent. ({1}) - Nein, wohlgemerkt, aus den 800 Millionen Euro werden 1,5 Milliarden Euro vor Steuern. Ich bin nicht nur Optimist, sondern auch kompromissbereit und schlage vor: Stellen wir doch durch eine andere Form einer Bankenabgabe sicher, dass die Deutsche Bank Jahr für Jahr mindestens 3 Milliarden Euro in einen Fonds einbezahlt. Vor Steuern sind das rund 5 Milliarden Euro. Das sind dann 50 Prozent ihres Gewinns, 50 Prozent sozusagen für die Allgemeinheit, damit die Kosten, die durch die Bankenkrise verursacht wurden, abgedeckt werden können, und 50 Prozent, die man dann, neben der Körperschaftsteuer, an die Aktionäre ausschütten kann. ({2}) Das ist die politische Frage, um die es letztlich geht. ({3}) Es geht nicht um eine, wie Herr Kollege Wissing gesagt hat, juristische Verurteilung. Das Juristische wird unter anderem in den USA geprüft. Vielmehr geht es darum, politisch und ökonomisch die Verantwortung der Banken für diese Krise und die dadurch entstandenen Kosten deutlich zu machen. Die Deutsche Bank gehört nun einmal zu denen, die von der gesamten Deregulierung der letzten Jahrzehnte mit Abstand am meisten - es sind Dutzende Milliarden - profitiert hat. Deswegen sind wir der Meinung, dass hier Veränderungen stattfinden müssen. Mit einer anderen Form einer Bankenabgabe könnte endlich realisiert werden, dass die privaten Banken - und in erheblichem Maße die Deutsche Bank - in die Finanzierung eingebunden werden. ({4}) Lassen Sie mich zum Schluss auf die Finanztransaktionsteuer eingehen. In der Tat ist zwischen gestern und heute einiges passiert, sowohl was Italien - man will angeblich sofort, noch für 2012 wirksam, eine Börsenumsatzsteuer oder eine Finanztransaktionsteuer einführen als auch was den Vorschlag von Barroso angeht. Ich finde, wir müssen dieses Thema verfolgen und von dieser Stelle aus unterstützen. Danke schön. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist der Kollege Dr. Frank Steffel. ({0})

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Sänger, auch wenn ich Ihren Vergleich zwischen dem Papst und dem Kinderkriegen und Frau Wagenknecht und der Marktwirtschaft nicht ganz verstanden habe, ist meine Präferenz klar: Mir ist lieber, der Papst sagt etwas zum Kinderkriegen als Frau Wagenknecht zur Marktwirtschaft. ({0}) Ich interpretiere das einmal in diese Richtung. Der Kollege Zöllmer von der SPD hat sich sehr zutreffend zum Thema „Motive der Linken für diesen Antrag“ geäußert. Insofern muss ich das nicht noch einmal wiederholen. Zur Sache selbst haben meine Kollegen Flosbach und Michelbach viel Richtiges und auch das Notwendige gesagt. Weil die Debatte immer etwas verkürzt geführt wird und daher in die falsche Richtung läuft, möchte ich aus Sicht von CDU/CSU klar sagen: Wir setzen uns für eine Bankenabgabe ein. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir in der nächsten Woche im Bundesrat eine Bankenabgabe beschließen werden. Aber es gibt offensichtlich einen Grunddissens. Wir wollen eine Bankenabgabe als Schutzschirm für die Zukunft und nicht als primäre Strafe für Geschehnisse in der Vergangenheit, deren Ursprung wir ohnehin nicht verlässlich zuordnen können. Dazu ist in der Debatte eine Menge gesagt worden. Uns geht es bei der Bankenabgabe nicht um Abkassieren oder gar um eine Verstaatlichung der großen Banken - auch das wurde schon beantragt -, sondern uns geht es darum, in der Zukunft Risiken von den deutschen Banken und vom deutschen Steuerzahler fernzuhalten. Das muss das wesentliche Motiv sein; denn in einem sind wir uns doch einig: Was wir in den letzten zwei, drei Jahren auf dieser Welt, in Europa und in Deutschland erlebt haben, darf und soll sich nicht wiederholen. Die Politik muss aus den Geschehnissen der Vergangenheit alle notwendigen Konsequenzen ziehen: zum Schutze der Bankkunden, zum Schutze der Bankanteilseigner, nämlich vieler Millionen Kleinaktionäre, zum Schutze des deutschen Mittelstandes, zum Schutze der Bundesrepublik Deutschland, des Steuerzahlers und aller, die dazu gehören, und nicht zum Schutze der Banken, wie immer behauptet wird. Die Banken erfüllen in einer sozialen Marktwirtschaft eine wesentliche, existenzielle Funktion. Das kann doch niemand ernsthaft bestreiten. Deswegen ist natürlich der Eindruck verheerend, der hier von Ihnen erweckt wird, wonach es in diesem Prozess in den letzten Jahren dazu gekommen ist, dass die Banken gar nichts bezahlen, während die kleinen Leute die Zeche begleichen. Dieser Eindruck ist übrigens aus zwei Gründen verheerend: Zum einen - das werden Sie verstehen - ärgert mich das politisch. Es nutzt Ihnen natürlich, wenn Sie den Eindruck erwecken: Die Großen lässt man laufen, und die Kleinen hängt man. Dieser Eindruck hilft Ihnen natürlich politisch, während er allen anderen Fraktionen in diesem Parlament schadet. Zum anderen ärgert mich das aber auch gesellschaftspolitisch; denn es ist verheerend, wenn die Menschen in Deutschland das Gefühl haben, hier könnten irgendwelche Menschen in den Konzernen machen, was sie wollen, während sich die Politik überhaupt nicht darum kümmert. ({1}) Deswegen will ich Ihre Frage, wer die Zeche bezahlt, klar beantworten. Zur Wahrheit gehört: Die Zeche dieser Finanzkrise zahlen alle Menschen in Deutschland. Das ist übrigens genauso wie bei der Atompolitik. Den Preis für den Ausstieg aus der Atomenergie zahlen auch alle Menschen in Deutschland. So wie wir es in unserer sozialen Marktwirtschaft immer halten, tragen die starken Schultern wesentlich mehr als die schwächeren. Darauf legen wir als eine - ich sage jetzt nicht: als die letzte 13434 verbliebene Volkspartei in diesem Parlament auch ausdrücklich großen Wert. ({2}) Liebe Frau Paus, ich kann Ihnen dazu zwei Zahlen nennen: ({3}) 5 Prozent der deutschen Steuerzahler zahlen 42 Prozent des Lohn- und Einkommensteueraufkommens. 50 Prozent der deutschen Steuerzahler zahlen 95 Prozent. Die unteren 50 Prozent der Einkommen all derer, die fleißig arbeiten, sind von Steuern so gut wie überhaupt nicht betroffen. Sozialer geht es nicht. ({4}) Deswegen ist es auch richtig, dass dem Eindruck widersprochen wird, die Kleinen zahlten die Zeche. Nein, in Deutschland tragen starke Schultern mehr als schwache. Das ist auch richtig, und das braucht diese soziale Marktwirtschaft auch. ({5}) Ich will Ihnen im Übrigen noch einen Hinweis geben: Ich kann es schon gar nicht mehr wiederholen, weil es immer wieder gesagt wird, aber Sie erwecken den Eindruck, als ob die Finanzmärkte der Welt in Deutschland zu regeln wären. Lieber Herr Troost, Sie haben viel zu viel Ahnung von diesem Thema, um nicht zu wissen, dass es unter den Top-100-Banken dieser Erde nur noch eine deutsche Bank gibt. 99 von 100 Banken, die auf dieser Erde wirklich eine große Rolle spielen, haben ihren Sitz überhaupt nicht in Deutschland. Wir führen also Phantomdiskussionen, wenn wir glauben, mit dieser Debatte könnten wir das Monster Finanzmarkt zähmen. Das werden wir damit nicht zähmen können. Wir unterstützen Bundesfinanzminister Schäuble und die Bundeskanzlerin ausdrücklich bei ihrem Bestreben, auf internationaler Ebene im Rahmen der G 20 oder auf europäischer Ebene die Finanztransaktionsteuer einzuführen. Ich will es noch einmal sehr klar sagen - wir haben das vor drei Wochen hier diskutiert -: Wir sind dafür, auf internationaler Ebene diejenigen für die Kosten der Krise aufkommen zu lassen, die zumindest eine große Mitverantwortung tragen. Kollege Flosbach hat darauf hingewiesen: Es gibt nun wirklich sehr viele Facetten und damit auch sehr viele Verantwortliche, durch die diese katastrophale Situation in den letzten Jahren verursacht wurde. Ich will noch ein Wort zur Deregulierung sagen. Wir müssen heute gemeinsam attestieren, dass in den letzten 20 Jahren Deregulierung im Vordergrund der Politik stand. Wir alle glaubten, wir täten unseren Bürgern, der Gesellschaft, dem deutschen Mittelstand, den deutschen Banken, den deutschen Konzernen und der europäischen Wirtschaft insgesamt einen Gefallen, wenn wir in einen Deregulierungswettlauf mit Amerika, mit Asien insgesamt, mit Russland, Indien und vielen anderen eintreten würden. Wir müssen heute gemeinsam attestieren: Dieser Weg war falsch. Es ist an der Zeit, mehr über Regulierung als Primat der Politik zu reden und auf internationaler Ebene insbesondere im Finanzbereich den Pegel zwischen Deregulierung und Regulierung möglichst wieder ein Stückchen mehr in Richtung Regulierung, staatliche Aufsicht, zu schieben. ({6}) Das war im Übrigen - Herr Troost, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Hinweis - eine der wesentlichen Erkenntnisse - ich möchte fast von unisono sprechen gestern auf der, wie ich fand, außerordentlich interessanten Veranstaltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ({7}) Wenn es eine Gesellschaftsordnung gibt, die in der Lage ist, das zu tun, dann ist dies unsere soziale Marktwirtschaft. Sie hat sich als anpassungsfähig und lernfähig erwiesen, und zwar im Gegensatz zu Staatsdoktrinen, ob Kommunismus, Neoliberalismus, Sozialismus, wie immer sie auch heißen. Eine Erkenntnis der Krise ist zumindest für mich: Die Zeit der Ideologien ist vorbei. Das mag mancher bedauern; bei Ihnen, Frau Wagenknecht, habe ich diesen Eindruck. Die Menschen erwarten von uns zu Recht, dass wir das richtige Maß zwischen Allmacht des Staates und Allmacht des Marktes finden. Ich sage für die CDU/ CSU: Wir wollen beides nicht. ({8}) Im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft muss man in vielen Einzelbereichen abwägen: Wo ist die Allmacht des Staates möglicherweise schädlich, und wo ist die Allmacht des Marktes alles andere als hilfreich? Die soziale Marktwirtschaft setzt auf einen starken Staat, aber trotzdem auf Freiheit, um Wohlstand zu schaffen. Sie verbindet soziale Sicherheit mit Freiheit. Deswegen wollen wir einen starken Staat als Hüter unserer Ordnung. Wir haben in dieser Legislaturperiode - ich habe das einmal nachsehen lassen - das 46. Mal hier im Deutschen Bundestag über eine Bankenabgabe und die Finanztransaktionsteuer gesprochen. Das ging zumeist auf Ihre Anträge zurück, im Finanzausschuss unzählige Male. Auch heute habe ich den Eindruck: Wir haben uns zwar alle bemüht, aber etwas richtig Neues, mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat zu diesem Thema keiner mehr zu sagen. Es gilt der alte Satz - deswegen schöpfe ich meine Redezeit auch nicht aus -: Es ist alles gesagt, nur nicht von jedem. Ich wünsche einen schönen Nachmittag. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Dr. Steffel, jetzt geben wir aber schon noch der Frau Kollegin Nicolette Kressl das Wort. - Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich gehe davon aus, dass Herr Steffel seine restliche Redezeit nicht mir übertragen hat. ({0}) - Dann kann man ja vielleicht darüber verhandeln. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute kann schon ein Anlass sein, eine Analyse darüber zu machen, inwieweit die Bankenabgabe, wie sie von der Bundesregierung vorgeschlagen worden ist, tatsächlich die richtige Antwort auf die Fragen ist, die die Finanzmarktkrise uns aufgegeben hat. Ich rekapituliere, dass die Bundeskanzlerin von dieser Stelle aus zum Thema Bankenabgabe gesagt hat - sie hat dies noch nicht widerrufen -, die Bankenabgabe sorge dafür, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Zukunft nicht mehr durch die Kosten einer solchen Krise belastet werden. Hier müssen wir konstatieren: Das war nicht richtig, und das ist nicht richtig. Ich finde, es wäre Zeit, diese Aussage zu widerrufen, weil sie einfach nicht den Tatsachen und der Wahrheit entspricht. ({1}) Wir wissen inzwischen alle, dass die Einzahlungen in den Fonds viel zu niedrig sind, um eine in näherer und mittlerer Zukunft ähnliche Krise, wie wir sie hatten, allein durch die Mittel aus dem Fonds auszugleichen. Es geht nicht um so zynische Bemerkungen in der Art: Das kommt nächste Woche. Vielmehr wissen wir aus der Historie, dass die Phasen, in denen Krisen entstehen, in der letzten Zeit durchaus kürzer geworden sind ({2}) und dass wir uns darauf einstellen müssen, dass es in diesem Bereich deutlich volatiler wird und wir uns nicht darauf ausruhen können nach dem Motto: Wir sorgen mit einem kleinen Topf dafür, dass in 70 Jahren genügend Geld vorhanden ist. - Ich finde, das ist nicht mehr die richtige Aussage, mit der wir Finanzmarktpolitik für die Zukunft machen können. ({3}) Die zweite Analyse, die sich daraus ergibt, ist - auch das muss deutlich gesagt werden -, dass durch die geplante Bankenabgabe keiner der Finanzmarktakteure an den durch die Krise entstandenen Kosten beteiligt wird. Ich finde, das darf hier auch niemand behaupten. Das Geld, das in diesen Fonds eingezahlt werden soll, ist für die Zukunft viel zu wenig, auch wenn ich es im Zusammenhang mit den entstandenen Kosten müßig finde, über 1 Milliarde Euro mehr oder weniger zu diskutieren, wie das vorhin von der Koalition versucht wurde. Wir wissen: Die Krise hat unsere Wirtschaft belastet. Sie hat unseren Etat belastet. Wir müssen uns daher überlegen: Wie beteiligen wir die Finanzmarktakteure an den entstandenen Kosten? Wir sind der Überzeugung, dass es ein guter Weg ist, eine Finanzmarkttransaktionsteuer einzuführen. Es wäre gut, wenn sich die Koalition bei der Unterstützung der Finanztransaktionsteuer nicht immer wieder selbst dementieren würde, was wir auch heute wieder erleben konnten. Ich will das an einem Punkt deutlich machen. Herr Wissing hat vorhin deutlich gesagt: Die Finanzmarkttransaktionsteuer gibt es für uns - deshalb habe ich nachgefragt, wer mit „uns“ gemeint ist - nur dann, wenn sich Großbritannien beteiligt. Gott sei Dank kann man so etwas inzwischen schnell googeln, und ich darf Ihnen ein Zitat des Bundesfinanzministers vom 23. Juni vorlesen. Herr Schäuble hat gesagt: „Die niedrigste Regelungsebene wäre die EuroZone.“ Das bedeutet, Herr Wissing und der Finanzminister treten auch heute noch mit unterschiedlichen Aussagen zur Finanzmarkttransaktionsteuer auf. Sie behaupten aber tatsächlich, Sie würden in Europa mit einer Stimme auftreten. Das ist völlig absurd und hiermit widerlegt. ({4}) - Könnten Sie das noch einmal wiederholen, Herr Steffel? ({5}) Der entscheidende Punkt ist - ich will an dieser Stelle etwas stärker ins Detail gehen -, dass in der Frage der Restrukturierungsverordnung zur Bankenabgabe ein sehr ungewöhnlicher Vorgang stattfindet. Es gab eine 16 : 0-Entscheidung der Länder für die Verschärfung der Verordnung in diesem Bereich, um die deutschen Banken dazu zu bringen, sich stärker zu beteiligen, als bisher vorgesehen war. Was passiert? Es wird, wenn ich mich nicht täusche, mit dem Land Hessen über Bande gespielt - man denke nur an die Regierungsbeteiligung -, und es bewegt sich nichts. Ich finde, es ist ein unerträglicher Vorgang, dass bei dem, was ohnehin schlecht genug ist und was wir nicht für ausreichend halten, jetzt noch so lange gezockt wird, nur um die privaten Großbanken zu schonen. Das kann nicht der richtige Weg sein. Ich fordere alle auf, endlich dafür zu sorgen, dass zumindest die verbesserte Fassung so schnell wie möglich durch die Länder auf den Weg gebracht werden kann. ({6}) - Das habe ich gesagt. Es ist immer noch unzureichend, aber besser als nichts. Im Übrigen, Herr Troost, schließe ich mich allen Fraktionen an. Es wäre besser gewesen, Sie hätten statt eines eigenen Antrags Änderungsanträge vorgelegt. Bei der Rede von Frau Wagenknecht fand ich es besonders waghalsig, dass sie ernsthaft behauptet hat, mit diesem Antrag würde es gelingen, die bestehenden Defizite in der Finanzmarktstruktur zu verändern. Entschuldigung, das ist absurd. Sie sollten Ihre eigenen Anträge lesen. ({7}) Darin geht es um die Höhe der Bankenabgabe, mit einer deutlichen Abschöpfung verbunden, und um eine Finanztransaktionsteuer. Wenn Sie ernsthaft behaupten, damit seien die Probleme gelöst, die Sie beschrieben haben und die wir zumindest zum Teil ebenfalls sehen, dann muss ich sagen: Ein bisschen mehr Niveau wäre im Parlament angebracht. ({8}) - Doch, ich habe genau zugehört. ({9}) Ich will noch auf zwei einzelne Punkte in diesem Antrag eingehen und darauf hinweisen, dass bei der Bankenabgabe auch bestimmte verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten sind. Das müssen wir bei Sonderabgaben in Deutschland immer im Blick behalten. Deshalb fand ich es, ehrlich gesagt, ein bisschen populistisch, dass Sie in Ihrem Antrag die Sparkassen und Volksbanken von der Abgabe ausnehmen wollen. Man kann eine risikoorientierte Bewertung vorziehen, um sie weniger zu belasten, statt sie einfach auszunehmen. Man sollte auch nicht vergessen, dass es zwar richtig ist, dass die allermeisten Sparkassen und Volksbanken nicht die Verantwortung tragen, dass aber auch sie von den Stabilisierungsmaßnahmen profitiert haben. Auch das gehört zur Wahrheit. Man sollte damit sehr ernsthaft umgehen. Gestatten Sie mir noch eine kurze Anmerkung zum Thema Abgabe. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die wir bei der Bankenabgabe berücksichtigen müssen, gelten im Übrigen auch bei der Vermögensabgabe, Herr Schick. Insofern glaube ich: Je weiter wir uns von der Finanzmarktkrise entfernen, umso genauer muss man die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten beachten. Wir sollten gemeinsam darüber reden, ob eine gruppenorientierte Vermögensabgabe wirklich ein besserer Weg wäre als eine entsprechende Vermögensbesteuerung. Ich fasse zusammen: Die Bankenabgabe ist nicht die richtige Lösung. Sie reicht nicht aus. Wir glauben, dass der Antrag der Linken nicht die richtigen Antworten gibt. Ich fordere alle gemeinsam auf, beim Thema Finanzmarkttransaktionsteuer in Europa gemeinsam voranzugehen. Damit können wir mehr durchsetzen als mit der Debatte, die wir heute führen. Vielen Dank. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Bettina Kudla. ({0})

Bettina Kudla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004084, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine wirklich strukturierte Politik ist - ich denke, das hat die Debatte gezeigt - in dem Antrag der Linken nicht erkennbar. Sie bringen zwei Dinge durcheinander: Beiträge zur Risikovorsorge für die Zukunft und zusätzliche Beiträge zum Steueraufkommen und damit zum Ausgleich der Kosten der Krise. Es ist absolut richtig, mit der von der Bundesregierung in diesem Jahr eingeführten Bankenabgabe auf eine Risikovorsorge zu setzen. Der langfristig - ich betone: langfristig - angepeilte Betrag von bis zu 70 Milliarden Euro wird zukünftig einen stabilen Beitrag zur Bewältigung von Krisensituationen leisten. Die Zuführung zum Restrukturierungsfonds erfolgt sukzessive. Einerseits muss Risikogesichtspunkten Rechnung getragen werden; andererseits darf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen nicht eingeschränkt werden. Heutzutage wird viel von nachhaltiger Politik gesprochen. Die Bankenabgabe ist eine langfristige und damit den Finanzmarkt nachhaltig stabilisierende Weichenstellung. Nun zur Finanzmarkttransaktionsteuer. Hier haben die Vorredner bereits die möglichen Facetten ausführlich beleuchtet. Die Bundesregierung hat sich klar zur Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer bekannt und hat auf internationaler Ebene intensiv um diese Steuer geworben. Ich zitiere die Zeitung Die Welt vom gestrigen Tage: Die EU-Kommission will bis Donnerstag die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer beschließen … Der Vorschlag greift Forderungen aus Deutschland, Frankreich und Österreich auf. Die jeweiligen Regierungen hatten im vergangenen Jahr eine Steuer auf sämtliche Finanztransaktionen gefordert. Dass ebendiese Forderungen keine hohlen Phrasen gewesen sind, können Sie in zahlreichen Pressestatements von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel nachlesen. Vielleicht täte Ihnen das einmal gut. Am Beschluss der Europäischen Kommission ist zu begrüßen, dass eine Finanzmarkttransaktionsteuer eingeführt werden soll. Eine neue Steuer in Form einer EUSteuer ist jedoch abzulehnen. ({0}) Die nationalen Staaten müssen die Möglichkeit haben, eine Finanzmarkttransaktionsteuer selbst zu erheben und innerhalb der nationalen Haushalte zu vereinnahmen. ({1}) Die Einführung einer EU-Steuer - der EU-Haushalt finanziert sich nun einmal aus den nationalen Eigenmitteln - würde bedeuten, dass die Eigenmittelobergrenze überschritten wird, ({2}) also der Betrag, der den Beitrag der EU-Länder zum EUHaushalt auf 1,04 Prozent des Bruttonationaleinkommens deckelt. Es würde jeglichen Konsolidierungsbemühungen der nationalen Haushalte widersprechen, falls der Beitrag zum EU-Haushalt erhöht würde. Schließlich haben wir zurzeit keine Krise des Euro. Wir haben ein Problem der zu hohen Verschuldung der nationalen Staaten. Eine pauschale Verurteilung von Finanzinstituten lehnen wir ab. Die Banken haben nun einmal eine zentrale Rolle - das wurde bereits mehrfach betont - bei der Kreditvergabe. Die Möglichkeit, einen Kredit in Anspruch zu nehmen, ist für den mittelständischen Unternehmer genauso wichtig wie für den Privatmann. Wir wollen gute Rahmenbedingungen für eine soziale Marktwirtschaft. Unternehmen brauchen die Chance, Gewinne zu machen; denn dies schafft Arbeitsplätze und sichert die Einnahmen des Staates. Ich bin sehr froh, dass große Bankinstitute wie die Deutsche Bank und die Commerzbank nach den schwierigen Jahren der Finanzkrise weiterhin bzw. wieder Gewinne machen; denn über diese Gewinne zahlt zum Beispiel die Commerzbank die Staatshilfen wieder zurück. Unternehmen dürfen nicht durch eine verantwortungslose Politik zur Abwanderung ins Ausland veranlasst werden. Gerade im Zeitalter der Globalisierung ist es für Unternehmen und ganz besonders für Finanzinstitute sehr einfach, ihren Sitz und ihre Geschäftstätigkeit ins Ausland zu verlegen. Damit wäre niemandem geholfen, im Gegenteil: Die Volkswirtschaft würde geschwächt. Die Finanzmarktpolitik muss ausgewogen sein. Dieser Ausgewogenheit kommt man in großen Schritten näher, wenn man folgende drei Themen betrachtet: Eigenkapitalbildung durch Basel III, Bildung eines Restrukturierungsfonds durch die Bankenabgabe und Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer. Ich bin der Meinung, dass eigentlich eine klare Strukturierung dieser drei Maßnahmen vorliegt. Das Wichtigste ist, dass die Unternehmen erst einmal selbst Vorsorge betreiben. Durch Basel III sollen sie selbst Reserven bilden, damit etwaige Verluste nicht gleich existenzgefährdend werden. Durch die Bankenabgabe wird ein Krisenfonds eingerichtet, der für die Fälle gedacht ist, in denen Banken trotz des erhöhten Eigenkapitals in eine Existenzkrise geraten. Ich halte es für ganz entscheidend, dass man dieses Thema jetzt erst einmal angegangen ist, auch wenn das Volumen des Bankenfonds noch nicht befriedigend ist. Aber wichtig ist die Entscheidung, dass man ihn einrichtet und dass die Unternehmen in diesen Topf einzahlen. ({3}) Die Finanzkrise hat viele Ursachen. Unter anderem haben Sie in Ihrem Antrag auf die Probleme der Landesbanken hingewiesen. ({4}) Diese Probleme sind nicht einfach durch irgendwelche anonymen Banken oder anonymen Verursacher entstanden. ({5}) Diese Probleme sind durch eine verfehlte Geschäftspolitik entstanden. ({6}) Gerade die Landesbanken haben es versäumt, sich mit dem Thema „Sinnvolles Geschäftsmodell“ auseinanderzusetzen. Hinzu kam Verantwortungslosigkeit, gepaart mit Missmanagement, und Gremien wie Vorstand und Aufsichtsrat sowie Eigentümer waren an all diesem beteiligt. Umso wichtiger ist es, dass die Politik ihr Augenmerk darauf richtet, dass aus der jüngeren Generation gut ausgebildete Unternehmer und Vorstände nachwachsen. Wir brauchen einen entsprechenden Nachwuchs in Führungspositionen. Gleich zu Beginn der Legislaturperiode hat die Bundesregierung dazu ein Stipendienprogramm mit dem Ziel aufgelegt, Hochbegabte unter der Bedingung zu fördern, dass sie sich gleichzeitig gesellschaftlich engagieren. Ich betone das deswegen, da wir die Folgen der Finanzkrise nicht allein durch ein gesetzliches Regelwerk des Finanzmarktes lösen können, sondern nur durch eine Politik, die einerseits gute Ausbildung und Verantwortungsbereitschaft fördert und andererseits Unternehmern wie Arbeitnehmern entsprechende Chancen bietet. Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Antrag der Fraktion Die Linke geht an der Realität vorbei. Die Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg. Auf dem Gebiet der Regulierung der Finanzmärkte tut sich eine ganze Menge. Lassen Sie uns daran weiter gemeinsam arbeiten. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kudla. - Nun schließe ich die Aus- sprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6303 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a bis 41 h sowie die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf: Vizepräsident Eduard Oswald 41 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie im Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht ({0}) - Drucksache 17/6208 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 27. Oktober 2010 zur Änderung des Abkommens vom 11. August 1971 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 17/6257 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 17/6258 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Rechtsausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 17/6259 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Rechtsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiebetriebene-Produkte-Gesetzes - Drucksache 17/6278 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Marieluise Beck ({5}), Volker Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pressefreiheit europaweit umsetzen - Medien als wichtigen Grundpfeiler der Demokratie stärken - Drucksache 17/6126 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({7}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria KleinSchmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zugang zu medizinischem Cannabis für alle betroffenen Patientinnen und Patienten ermöglichen - Drucksache 17/6127 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen - Drucksache 17/6130 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({9}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Heinz-Joachim Barchmann, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 - Konzept zum „Greening“ der Direktzahlungen vorlegen - Drucksache 17/6299 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({10}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansChristian Ströbele, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortlichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf Eichmann - Drucksache 17/4586

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Innenausschuss ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 17/4586 - das betrifft den Zusatzpunkt 5 b - soll federführend beim Innenausschuss beraten werden. Sie sind damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 j auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 42 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bericht zum Risikomanagement bei Lebensmittelkrisen vorlegen - Drucksachen 17/6107, 17/6337 Berichterstattung: Abgeordnete Mechthild Heil Kerstin Tack Dr. Christel Happach-Kasan Karin Binder Nicole Maisch Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6337, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6107 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die Fraktionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Die Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Die Tagesordnungspunkte 42 b bis 42 j betreffen die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 42 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 278 zu Petitionen - Drucksache 17/6110 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen dieses Hauses. - Gegenprobe! - Niemand. Enthaltungen? Niemand. Die Sammelübersicht 278 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 42 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 279 zu Petitionen - Drucksache 17/6111 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Die Sammelübersicht 279 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 42 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 280 zu Petitionen - Drucksache 17/6112 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die sozialdemokratische Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Die Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Sammelübersicht 280 ist mit dem von mir erwähnten Stimmverhalten angenommen. Tagesordnungspunkt 42 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 281 zu Petitionen - Drucksache 17/6113 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist die Sammelübersicht 281 einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 42 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 282 zu Petitionen - Drucksache 17/6114 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist mit dem von mir erwähnten Stimmverhalten die Sammelübersicht 282 angenommen. Tagesordnungspunkt 42 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 283 zu Petitionen - Drucksache 17/6115 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist die Sammelübersicht 283 mit dem Stimmverhalten, wie ich es erwähnt habe, angenommen.

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Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 284 zu Petitionen - Drucksache 17/6116 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand. Somit ist die Sammelübersicht 284 angenommen. Tagesordnungspunkt 42 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 285 zu Petitionen - Drucksache 17/6117 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Die Linksfraktion. Die Sammelübersicht 285 ist somit angenommen. Tagesordnungspunkt 42 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 286 zu Petitionen - Drucksache 17/6118 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Stimmenthaltungen? - Keine. Somit ist die Sammelübersicht 286 mit dem Stimmverhalten, das ich erwähnt habe, angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Stuttgart 21 - Ergebnis des Stresstests respektieren - Keine Blockadepolitik Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der Aktuellen Stunde ist unser Kollege Dr. Stefan Kaufmann für die Fraktion der CDU/ CSU. ({3})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Legislaturperiode bereits viermal über das Bahnprojekt Stuttgart 21 debattiert. Die aktuelle Entwicklung macht es nötig, dass wir uns heute in dieser Aktuellen Stunde mit dem sogenannten Stresstest für dieses Infrastrukturprojekt und vor allem dem nicht akzeptablen Verhalten der Grünen in diesem Zusammenhang befassen müssen. Nur zur Erinnerung: Im Herbst letzten Jahres wurde im Rahmen einer Schlichtung zwischen Projektbefürwortern und Projektgegnern unter anderem ein Stresstest vereinbart. Dabei handelt es sich um eine Simulation des zukünftigen Zugverkehrsaufkommens in der badenwürttembergischen Landeshauptstadt. Dieser Test soll klären, ob der geplante Tiefbahnhof tatsächlich bis zu 30 Prozent mehr Zugverkehr bewältigen kann als der jetzt bestehende Kopfbahnhof zu Spitzenzeiten. Die Projektträger haben sich verpflichtet, die Infrastruktur entsprechend nachzubessern, falls sich dies im Zuge des Stresstests als notwendig erweisen sollte. Das Ergebnis des Stresstests wird von einem unabhängigen und renommierten Verkehrsberatungsinstitut in der Schweiz geprüft, am 11. Juli den fünf Projektpartnern zur Verfügung gestellt und hernach am 14. Juli der Öffentlichkeit präsentiert. Genau so und nicht anders wurde das Vorgehen in der von Heiner Geißler moderierten Schlichtung von allen Seiten, Gegnern und Befürwortern von Stuttgart 21, anerkannt. ({0}) Mit am Tisch saßen damals die heutigen Mitglieder der baden-württembergischen Regierung Winfried Hermann und Winfried Kretschmann. Auch sie haben diesem Verfahren damals zugestimmt. ({1}) Im vergangenen Landtagswahlkampf haben die Grünen den Mund sehr voll genommen und den Bürgerinnen und Bürgern gerade in Stuttgart durchaus mit Erfolg weisgemacht, dass sie bei einer Regierungsübernahme das Projekt stoppen würden. ({2}) Jetzt müssen die neuen Regierungsparteien seriöserweise ihren Wählerinnen und Wählern erklären, dass wir in Deutschland in einem Rechtsstaat leben, in dem Gesetze und geschlossene Verträge unabhängig von Ministersesseln Bestand haben; denn nach allem, was man weiß, wurde der Stresstest bestanden. ({3}) Offiziell ist dies nicht, weil die Bahn der Prüfung der Ergebnisse durch das Schweizer Institut zu Recht nicht vorgreifen wollte. Unterdessen ist der Verkehrsminister Hermann außer Rand und Band geraten. Er wirft der Bahn Foulspiel vor, weil aus Bahnkreisen das Ergebnis des Stresstests durchgesickert sei und er selbst bis auf ein paar Präsentationsfolien rein gar nichts über diesen Stresstest wisse. Der Frankfurter Rundschau gab er aber schon vergangenen Donnerstag zu verstehen, dass die Bahn den Stresstest wohl irgendwie bestanden habe. Da frage ich mich schon, von welcher Seite aus irgendetwas durchgesickert ist. ({4}) Bis vergangene Woche hatte man den Eindruck: Der neue baden-württembergische Verkehrsminister ist noch nicht aus seiner Oppositionsrolle herausgekommen und braucht etwas länger, um zu begreifen, was es heißt, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das wurde zum Beispiel deutlich, als er die Zuständigkeit für die Realisierung von Stuttgart 21 einem anderen Ressort übertragen wollte. Wer, wenn nicht der Verkehrsminister, soll sich denn bitte um dieses Infrastrukturprojekt kümmern? Offensichtlich verheddert sich Winfried Hermann immer mehr in seinem Bemühen, es der Partei und den Stuttgart-21-Gegnern recht zu machen, und scheut dabei auch vor der Unwahrheit nicht zurück. Auf dem Stuttgarter Marktplatz hat er bei einer Bürgerversammlung die Öffentlichkeit - ich muss es in dieser Deutlichkeit sagen - hinters Licht geführt, und zwar Befürworter und Gegner gleichermaßen. Er sagte: Die Informationen zum Stresstest für den neuen unterirdischen Bahnhof muss die Bahn frühzeitig herausrücken. Es ist ein Ärgernis, dass die Bahn ihre Ergebnisse erst drei Tage vor dem 14. Juli mitteilen und einen Tag später mit der Vergabe von Bauleistungen beginnen will. So hat die Landesregierung nicht wirklich Zeit, zu prüfen und zu diskutieren. - Ende des Zitats. Auf ausdrückliche Nachfrage von Versammlungsteilnehmern hin wiederholte er seine angebliche Unkenntnis der Stresstestergebnisse. Richtig ist aber: Verkehrsminister Hermann hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seit Tagen Kenntnis über den Stand und die Ergebnisse des Stresstests. Es gibt ausreichend Belege dafür, dass der Minister in die von der Bahn durchgeführte Computersimulation für den geplanten Tiefbahnhof stets eingeweiht gewesen ist. Es wurden sogar noch Forderungen der Grünen in die Simulation eingearbeitet. Bei der Präsentation des 31-seitigen Abschlussberichts zum Test im sogenannten Lenkungskreis am 16. Juni war ein hochrangiger Vertreter des Verkehrsministeriums persönlich zugegen. Winfried Hermann sagt also in der Öffentlichkeit bewusst die Unwahrheit und wirft mediale Nebelkerzen, um zu verbergen, dass er kaum noch rationale Argumente gegen eine zügige Fortführung dieses bedeutenden Infrastrukturprojekts hat. Dies entspricht so gar nicht dem Anspruch, mit dem die neue Landesregierung angetreten ist. „Neue Transparenz und Offenheit“ scheint nur dann zu gelten, wenn es der grünen Ideologie entspricht. Schade, dass Ministerpräsident Kretschmann seinem zwischenzeitlich beim Koalitionspartner SPD und in der Öffentlichkeit in Ungnade gefallenen Minister am Dienstag auch noch treuherzig den Rücken gestärkt hat. ({5}) Deutlichere Worte wären hier angebracht gewesen - im Übrigen auch zur Gewalteskalation bei der sogenannten Montagsdemo vergangene Woche durch die sogenannten Parkschützer. Mittlerweile werden selbst innerhalb der grün-roten Koalition erhebliche Zweifel nicht nur am Verhalten des Ministers, sondern auch an seiner Eignung laut. Diese Zweifel konnte Minister Hermann gestern im Landtag trotz Zurückruderns nicht ausräumen. Deshalb sollte sich Winfried Hermann ernsthaft überlegen, selbst die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, zumindest aber zur Wahrheit zurückzukehren. ({6}) Es kann jedenfalls nicht sein, dass eine Minderheit die Zukunft des Landes Baden-Württemberg blockiert, und es darf nicht sein, dass Süddeutschland vom europäischen Schnellbahnnetz abgehängt wird. Deshalb fordern wir die Landesregierung in Stuttgart auf: Halten Sie rechtsverbindliche Verträge und den Schlichterspruch ein! Akzeptieren Sie das Ergebnis des Stresstests ohne weitere Bedingungen! Verteidigen Sie Stuttgart 21 und den Rechtsstaat gegen gewalttätige Aktionen von Teilen der Projektgegner! Setzen Sie sich dafür ein, dass Stuttgart 21 und die Neubaustrecke gebaut werden und sichern Sie damit die Zukunft unseres Landes! Helfen Sie mit, dass der Bau in einer Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und Vertrauens erfolgen kann.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stuttgart 21 ist ein Infrastrukturprojekt von nationaler Bedeutung und darf nicht grüner Parteitaktik oder linker Technologiefeindlichkeit zum Opfer fallen. Danke sehr. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist der Kollege Uwe Beckmeyer für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Kollege Uwe Beckmeyer. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, das Thema bedarf zumindest in diesem Hause als Erstes einer gewissen Entemotionalisierung; ({0}) das hat es verdient. Was wir eben gehört haben, war, glaube ich, nicht in diesem Sinne. Was uns hier vorliegt, ist der Antrag auf eine Aktuelle Stunde - ich zitiere -: „Stuttgart 21 - Ergebnis des Stresstests respektieren - Keine Blockadepolitik“. ({1}) Sie haben eben den Eindruck erweckt, als sei der Stresstest erfolgt, habe schon einen Stempel, sei schon in der Welt. ({2}) Weil ich seriös arbeite, habe ich vor zwei Tagen Herrn Dr. Grube eine Mail geschickt, in der ich ihm geschrieben habe, dass Sie eine Aktuelle Stunde mit diesem Titel beantragt hätten und dass ich als Sprecher der Arbeitsgruppe Verkehr der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion wünschte, dass mir zur Vorbereitung dieser Aktuellen Stunde die Ergebnisse, vielleicht auch die vorläufigen Ergebnisse, des Stresstests übermittelt würden. ({3}) Ich bekam die Antwort nicht von Herrn Dr. Grube, sondern von dem dafür zuständigen Konzernvorstand Technik, Herrn Dr. Kefer. ({4}) - Ja. - Darin heißt es: Bezug nehmend auf unser heutiges Telefonat. Wir haben unsere Ausarbeitung zum obigen Thema plangemäß am 21. Juni in elektronischer Form an SMA - das sind die Schweizer - zur Begutachtung überspielt. Die Fachdokumentation wird dazu in Papierform am 30. Juni - das ist heute - an das Land Baden-Württemberg übergeben. Die SMA-Begutachtung wird bis zum 11. Juli fertiggestellt und im Anschluss allen Beteiligten zur Verfügung gestellt. Die öffentliche Diskussion der Ergebnisse des Stresstests und der Zertifizierung durch die SMA erfolgt in einer gemeinsamen Sitzung am 14. Juli. - Das ist die Sitzung mit Herrn Geißler, dem eingesetzten Mediator, Vermittler, wie auch immer. In Ihrer Rede heute haben Sie erklärt, es sei schon alles mehr oder weniger im grünen Bereich, alles fertig. Die Bahn selbst ist vorsichtig genug, dies noch nicht zu erklären, weil die SMA noch ihren Stempel daruntersetzen muss. Sie muss noch erklären, dass das Ganze plausibel ist. Diese Plausibilitätserklärung des verabredeten, von allen im Grunde akzeptierten und damit auch von Winfried Hermann akzeptierten Gutachters, diese Zertifizierung, wie auch immer das heißen mag, muss gegeben werden. Erst dann liegt ein akzeptierter Stresstest vor. Dann erst wird der Vermittler, Herr Geißler, feststellen können, in welchen Bereichen der Stresstest im Hinblick auf unsere Vorgaben - mit allem, was in den letzten Tagen in der Presse stand: 30 Prozent Zuwachs, Zugänglichkeit für Familien und Behinderte usw. -, Bestand hat und inwieweit eine Realisierung möglich ist. Kommen wir nun zu einem weiteren wichtigen Punkt; und darüber haben nicht wir zu entscheiden, sondern der DB-Vorstand: Kann der DB-Vorstand die vorgegebenen Baumaßnahmen mit dem vorhandenen Geld - 4,5 Milliarden Euro, inklusive der restlichen 420 Millionen Euro der Risikomarge - durchführen? Diese Entscheidung hat der Bahnvorstand zu treffen. Herr Präsident, das Licht leuchtet hier immer noch auf. Das leuchtet schon die ganze Zeit. Haben Sie die Uhr noch einmal zurückgestellt, oder was ist los?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Es ist das Wesen der Aktuellen Stunde, Herr Kollege Beckmeyer, dass man immer fünf Minuten Redezeit hat.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gut, aber das leuchtet schon die ganze Zeit.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nein, nein. Fünf Minuten sind untrüglich fünf Minuten. Wenn man aber ganz unsicher ist, kann man auch noch dort oben auf die Uhr im Saal schauen. Wir haben extra wegen Ihnen diese Uhr dort installieren lassen, Herr Kollege. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese jetzt verbrauchte Zeit wird mir hoffentlich noch zugestanden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir sind bei der Übergabe immer sehr genau.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Entscheidung, über die ich gerade gesprochen habe, wird die Bahn treffen müssen. Sie wird sie auch treffen, und zwar im Sinne ihres eigenen Verständnisses von Wirtschaftlichkeit. Insofern gilt: Wenn Heiner Geißler sagt, der Ausgang des Stresstestes sei offen, so ist ihm beizupflichten. Aber - und da widerspreche ich dem einen oder anderen in Stuttgart - diesem Stresstest liegt eine Verabredung zugrunde, und zwar darüber, wie er durchgeführt und bewertet wird. Das geschieht nämlich zunächst durch die Bahn, dann durch die SMA, und schließlich erfolgt die Bewertung durch den Sachverständigenkreis um Herrn Geißler. Das ist - so denke ich - der richtige Weg. Darum habe ich im Hinblick auf die ganze Aufregung der letzten Tage die Bitte: Tragen wir nicht dazu bei, dass sich das fortsetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich rate zu Gelassenheit und dazu, dass dem Gremium um Heiner Geißler am 14. Juli der Raum gegeben wird, die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen. Am Ende des Tages werden alle die, die sagen: „Dieser Stresstest war erfolgreich“, zufrieden sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann hat er aber auch ein entsprechendes Testat bekommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Auch das Einpacken verlängert nicht die Redezeit.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann hat er auch alles, was wir nötigerweise brauchen. Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich bedanke mich für die Zeit, die Sie mir gewährt haben. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Habe ich doch gar nicht; würde ich auch niemals. Hartfrid Wolff hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was Grüne und SPD in Stuttgart inszenieren, ist schlicht Volksverdummung. Das beweist auch die Rede des Kollegen eben. Die SPD hat sich vor der Landtagswahl klar zu Stuttgart 21 bekannt. Jetzt lässt sie den grünen Koalitionspartner Angriffe gegen die Bahn und gegen S 21 führen - und schweigt. Sie berät, aber sie schweigt. Auch zu den gewaltsamen Übergriffen von fanatisierten S-21-Gegnern hat sie wenig gesagt. Die SPD muss sich aber durchsetzen und der Bahn zu ihrem Recht verhelfen. Von ihr erwarten wir ein klares Bekenntnis zu Stuttgart 21 und zu entschlossenem Handeln. ({0}) Die SPD ist aber offensichtlich auch von ihrem Selbstwertgefühl her in der Landesregierung nur Juniorpartner. Sie wirkt wie der Bettvorleger des grünen Ministerpräsidenten und nicht wie eine aktive Partei, die die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler wahrnehmen möchte. ({1}) Der Wechsel zu einer grün-geführten Regierung hat offenbar nicht - wie der eine oder andere gehofft hat zu einer Befriedung der Situation in Stuttgart geführt. Im Gegenteil: Das Chaos in der Landesregierung hat in den letzten Tagen massiv zugenommen. Offenbar wird Zauberlehrling Kretschmann die Geister, die er im Wahlkampf rief, nicht wieder los. Zum Erreichen der Macht war dem Zauberlehrling die machtpolitische Instrumentalisierung dieses Themas gut; zum verantwortungsvollen Umgang mit der Macht reicht das aber nicht aus. Wenn Demonstranten Sachbeschädigungen oder Angriffe auf Polizisten begehen, ist das nicht nur rechtswidrig; ({2}) es ist auch nicht vom Demonstrationsrecht des Grundgesetzes gedeckt. Es stellt auch im Hinblick auf das vertretene Ziel ein Armutszeugnis dar: Offensichtlich geht es den Leuten im Wesentlichen um Krawalle und nicht mehr um Sachargumente. Die Landesregierung unter Kretschmann muss endlich die Rechtslage akzeptieren, dies auch in den eigenen Stellungnahmen deutlich machen und deeskalierend wirken. Das Kabinett Kretschmann wirkt aber nicht deeskalierend. ({3}) Wir fordern die Landesregierung von BadenWürttemberg ebenso wie die Grünen und die SPD im Bund auf, sich nicht nur deutlich von den gewalttätigen Auseinandersetzungen vom 21. Juni zu distanzieren, sondern sich auch klar zum Rechtsstaat zu bekennen. Das schließt das Bekenntnis zu geschlossenen Verträgen und rechtsverbindlichen Entscheidungen mit ein. ({4}) Die Gegner des Projekts argumentieren, das Projekt Stuttgart 21 sei illegitim. Was ist das für eine Selbstherrlichkeit einer in absoluten Kategorien denkenden Meinungsclique mit einer vermeintlich übergeordneten Moral! ({5}) Eine von den Grünen geförderte Empörungskultur ersetzt keinen nachhaltigen politischen und demokratischen Prozess. ({6}) Es birgt eine Gefahr für unsere Demokratie, wenn wir gemeinsame Regeln und Gesetze der Laune eines Augenblicks unterwerfen. ({7}) Die FDP setzt sich seit Jahren dafür ein, dass das Quorum für Volksentscheide in Baden-Württemberg deutlich gesenkt wird. Dahinter steht auch eine liberale Grundüberzeugung. Es kann aber nicht darum gehen, eine aktuelle Stimmung auszunutzen und deshalb im Parforceritt die Landesverfassung zu ändern. Wenn dann aber noch ein Volksentscheid nur dazu dienen soll, die von den Grünen selbst geschaffene Regierungskrise zu beenden, zeugt das eindeutig von Hilflosigkeit. ({8}) Meine Damen und Herren, der Umgang des Verkehrsministers mit dem Projektpartner Bahn ist schlicht unverschämt. Obwohl sein Ministerium im gemeinsamen Lenkungskreis mit am Tisch sitzt, gibt sich Herr Hermann unwissend; er behauptet, widerspricht, be13444 Hartfrid Wolff ({9}) hauptet, widerspricht. Ich frage mich: Was ist das für ein Persönlichkeitsprofil? Der Stuttgarter Verkehrsminister ist eben nicht nur der Minister für die Stuttgart-21-Gegner, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger in BadenWürttemberg; sie schätzen Ehrlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Verkehrsminister Hermann hat vielleicht ein Parteibuch, aber sonst nichts, was ihn für sein politisches Führungsamt qualifiziert. ({10}) Stuttgart 21 stärkt den Wirtschaftsstandort BadenWürttemberg, schafft neuen Wohnraum und Arbeitsplätze. ({11}) Anders als mit den Grünen und ihren allergischen Reaktionen auf Großvorhaben aller Art ist die Umsetzung wichtiger Infrastrukturprojekte mit uns weiterhin möglich; ({12}) wir bleiben bei unserer klaren Linie. Die FDP steht im Bund wie in Baden-Württemberg zu Stuttgart 21; sie steht zu Rechtsstaatlichkeit, Offenheit und für eine Zukunft für Baden-Württemberg. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Schlecht hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu den Merkwürdigkeiten der Überschrift dieser Aktuellen Stunde hat der Kollege Beckmeyer schon alles gesagt; das erspart mir ein bisschen Redezeit. ({0}) Man muss eines sehr deutlich sagen: Der sogenannte Stresstest, um den es hier geht, war von Anfang an eine Farce. ({1}) Bei der sogenannten Schlichtung wurde Ende November letzten Jahres vereinbart, dass der Stresstest transparent und unter Beteiligung der Gegner von Stuttgart 21 durchgeführt wird. Vereinbart war, dass die Inputvariablen und die Rechenmethoden gemeinsam entwickelt und abgestimmt werden. Nichts davon ist eingehalten worden. Von daher ist alles, was unter der Überschrift „Stresstest“ läuft, von vornherein eine Farce und im Grunde nichts wert. Das ist der erste Skandal, den man deutlich benennen muss. ({2}) Jetzt hat die Bahn im stillen Kämmerlein alleine vor sich hin gerechnet, genauer: Sie hat manipuliert. Sie hat so lange gerechnet - das kann man den Gerüchten in der Presse entnehmen -, bis etwas herauskam, das ihr in den Kram passte. ({3}) Das ist schlichtweg eine Manipulation. ({4}) - Sie haben eine Aktuelle Stunde zu Gerüchten beantragt. ({5}) Dazu muss man sich doch irgendwie verhalten. ({6}) Dass die Bahn die Ergebnisse ihres Manipulationstests - so muss man ihn im Grunde genommen nennen zwei Wochen vor der vereinbarten Veröffentlichung an die Presse weitergegeben hat, ist schlichtweg eine Unverschämtheit. Dahinter steckt Folgendes: Der RamboKurs der Bahn soll legitimiert werden, damit schnell weitergebaut werden kann. Das Entscheidende ist - das ist der eigentliche Skandal -, dass die Regierung hier in Berlin der eigentliche Motor des Rambo-Kurses der Bahn in Stuttgart ist. Dieses Projekt soll mit Gewalt schnell durchgezogen werden. ({7}) In den Ergebnissen dieses Manipulationstests wird stolz darauf verwiesen, dass die Vorgabe einer 30-prozentigen Leistungssteigerung erfüllt wird - zumindest liest man das in den Zeitungen -, und das, ohne jemals geprüft zu haben, ob mit dem jetzigen Bahnhof eine 30-prozentige oder noch höhere Leistungssteigerung möglich wäre. Nach unseren Berechnungen, nach unseren Einschätzungen, nach dem, was uns das Bündnis sagt, ist das in jedem Fall möglich. Insofern ist die Erfüllung der Bedingungen dieses sogenannten Stresstests von vornherein fraglich. Hinzu kommt, dass ein moderner Taktfahrplan mit Stuttgart 21 nicht möglich ist. Es gibt mittlerweile Aussagen des angenehmen Herrn Kefer, denen man entnehmen muss, dass er dem zustimmt. Das sind die wirklichen Skandale, die sich schon jetzt abzeichnen. Hinzu kommt, dass dieser Stresstest anders geplant war. Der Stresstest war - im Gegensatz zu dem, was hier erzählt wird - als Grundlage für die weitere Diskussion gedacht. Hinzu kommt, dass neben dem erfolgreichen Stresstest die von Herrn Geißler formulierten fünf oder sechs weiteren Konditionen erfüllt sein müssen, damit man aus Geißlers Sicht überhaupt über den Weiterbau von Stuttgart 21 nachdenken kann. ({8}) All diese Punkte sind nach dem, was man bisher hört, nicht abgearbeitet. Daher kann man nicht sagen, dass mit der Präsentation der Ergebnisse dieses Manipulationstestes irgendein Tor aufgestoßen oder eine Entscheidung für Stuttgart 21 getroffen wird. ({9}) Selbst wenn diese Tests alle positiv verlaufen würden: Die Menschen in Stuttgart haben einen viel umfassenderen Blick. Viele Menschen in Stuttgart lehnen Stuttgart 21 nicht deshalb ab, weil der Bahnsteig einen zu starken Winkel und vieles andere mehr hat, sondern weil es selbst in der reichen Schwabenmetropole viele soziale Missstände gibt. Die Kinderarmut ist zu hoch, Kitaplätze fehlen usw. ({10}) All das passt nicht damit zusammen, dass bei diesem Wahnsinnsprojekt Milliarden und Abermilliarden verpulvert werden. Das ist eine ganz entscheidende Motivation für viele Menschen in Stuttgart, gegen dieses Projekt zu sein. Diese Motivation, gegen das Projekt anzutreten, wird bestehen bleiben. Ich finde, deswegen sollten diese Menschen unterstützt werden. ({11}) Zum Schluss: Man muss schon einmal fragen, was hinter dieser Rambo-Methode der Bahn und der Bundesregierung steckt. Worum es im Kern geht, ist vollkommen klar: ({12}) Das Projekt Stuttgart 21 ist kein Eisenbahnprojekt. Im Kern ist das ein Immobilienprojekt. ({13}) Mit der Querlegung des Bahnhofs werden Grundstücke frei. Es ist vollkommen klar, dass Union und FDP, leider aber auch die SPD, im Zweifelsfall für Immobilienspekulanten viel mehr Verständnis haben als für die Menschen in einer Stadt. ({14}) Das Projekt ist noch nicht durch. Es kann noch zu Fall gebracht werden, wenn die Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit vielfältigen Protesten dagegen antreten und sich dagegen auflehnen, wie das im letzten Sommer und Herbst der Fall war.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kollege Schlecht.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin gleich fertig. - Wir haben es in unserer Hand. Wir haben die Chance, dieses Projekt zu Fall zu bringen. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Dr. Anton Hofreiter. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es entbehrt nicht eines gewissen Amüsements, wenn sich ein Vertreter dieser Regierungskoalition über eine Landesregierung aufregt. ({0}) Laut Beobachtungen aller politisch Interessierten und übereinstimmender Kommentare in allen Zeitungen ist die momentane schwarz-gelbe Bundesregierung mit Abstand die schlechteste Bundesregierung, die dieses Land je hatte. Daher wären etwas mehr Bescheidenheit und Demut angemessen. ({1}) Es gab allerdings Zeiten, in denen die CDU/CSU durchaus in der Lage war, Regierungen vernünftig zu führen. Aus diesen Zeiten stammt ein ehrenwerter Politiker namens Heiner Geißler. Auf die massiven Anwürfe gegen den Verkehrsminister in Baden-Württemberg, Herrn Hermann, ({2}) möchte ich Ihnen mit einem Zitat dieses seriösen Kollegen von Ihnen, der aus Zeiten stammt, als Sie noch zu vernünftiger Politik in der Lage waren, antworten. Auf die Frage, ob er Herrn Hermann für einen guten oder schlechten Minister hält, antwortet Herr Geißler, CDUPolitiker: Er ist vor allem ein Überzeugungstäter und mir lieber als alle angepassten Politik-Yuppies. ({3}) Herr Hermann ist Herrn Geißler also lieber als alle angepassten Politik-Yuppies. ({4}) Jeder kann jetzt selber entscheiden, wer zu dieser Kategorie gehört. Mir würde der eine oder andere einfallen. ({5}) Vollkommen amüsant ist, dass ausgerechnet am heutigen Tag betont wird, dass einmal getroffene Entscheidungen nicht revidiert werden können. ({6}) Das entbehrt nicht unfreiwilliger Komik. ({7}) Was haben wir heute hier im Bundestag gemacht? Wir haben mit großer Einigkeit den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Für uns war dies eine konsequente Fortsetzung unserer Politik, für Sie eine 180-Grad-Wende. ({8}) Die Vertreter dieser Koalition, die heute bei einem ganz entscheidenden Thema, der Energieversorgung für das bedeutendste Industrieland Europas, diese 180-GradWende ihrer Politik und ihre komplette Kapitulation unterschrieben haben, sagen: Bei einem Bahnhof - der Bahnhof ist, glaube ich, nicht ganz so bedeutend wie das, was wir hier heute beschlossen haben ({9}) darf eine neu gewählte Regierung, ein neu gewähltes Parlament keine anderen Entscheidungen treffen. Entschuldigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist lächerlich! ({10}) Geben Sie es ruhig ehrlich zu; denn an dem heutigen Tag haben Sie sich komplett der Lächerlichkeit preisgegeben. Jetzt schauen wir uns das Ganze an; man kann sich hier eigentlich nur wiederholen. Herr Beckmeyer hat wunderbar vorgelesen, wie der Stresstest vonstatten geht und wann die Ergebnisse veröffentlich werden sollen. Sie haben heute eine Aktuelle Stunde dazu beantragt. Wie wäre es, einfach auf die Ergebnisse des Stresstests zu warten und sich heute nicht groß darüber aufzuregen? Dass die Bahn falsch spielt, das kennen wir zu Genüge. Wer in der letzten Legislaturperiode im Verkehrsausschuss war, weiß - das wird jeder zugeben, wenn er ehrlich ist -, wie wir alle gemeinsam, auch die damaligen Vertreter der Regierungsfraktionen, mehr oder weniger gegen die Privatisierung der Bahn - dieses Vorhaben ist schiefgegangen - gekämpft haben. ({11}) - In der letzten Legislaturperiode war Herr Lippold Ausschussvorsitzender, und auch er war auf unsere Seite. ({12}) Aufgrund dieser Erfahrung wissen wir, dass die Bahn, wenn ihr etwas wichtig ist, durchaus nicht immer ganz seriös spielt. ({13}) Ihnen von der FDP empfehle ich, Ihren ehemaligen verkehrspolitischen Sprecher Horst Friedrich zu fragen. Sie von der CDU/CSU sollten einmal bei Norbert Königshofen nachfragen. Beide können Ihnen erzählen, dass die Bahn in für sie entscheidenden Fragen nicht immer hundertprozentig seriös spielt. Also sollte man sich überhaupt nicht darüber aufregen, dass eine Landesregierung Zweifel an den Zahlen der Bahn hat. ({14}) Fassen wir zusammen: Sie wollen uns hier erzählen, dass in einer Demokratie gefallene Entscheidungen nicht revidiert werden können; das ist am heutigen Tag völlig unglaubwürdig. Sie wollen uns hier erzählen, dass die Bahn immer alle Zahlen seriös präsentiert. ({15}) Das ist völlig unglaubwürdig; das glauben Ihre eigenen Vertreter nicht. Entspannen Sie sich, seien Sie gelassen, und wir schauen, wie das Ganze weitergeht. Vielen Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Steffen Bilger hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Hofreiter, ich weiß nicht, ob die Aussagen über die Bahn, die Sie gerade getroffen haben, für den Vorsitzenden des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages angemessen sind. ({0}) Die Süddeutsche Zeitung schrieb Montag: Stresstest bestanden, Stuttgart 21 kann wohl mehr, als die Gegner dachten. Und weiter. Von Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann kann man das noch nicht sagen. Dem ist wenig hinzuzufügen. Ob der Stresstest tatsächlich bestanden wurde, wird die Untersuchung der Schweizer Firma SMA zeigen. Da diese aber in die aufwendigen Simulationen der DB AG eingebunden war, gehe ich davon aus, dass von den Schweizern tatsächlich das Okay kommen wird: Stresstest bestanden. Wie wir mittlerweile wissen, ist das voraussichtliche Ergebnis auch der grün-roten Landesregierung schon lange bekannt. Sie wurde stets auf dem Laufenden gehalten. Das geschah teilweise in mehrstündigen Sitzungen, an denen auch der Verkehrsminister oder seine engsten Mitarbeiter teilgenommen haben. Für Winfried Hermann hätte ich einige Ideen, wie er in seiner neuen Aufgabe an Kontur gewinnen könnte: Wie wäre es beispielsweise mit einem sachlichen Umgang mit Stuttgart 21? Wie wäre es mit einem unideologischen Blick auf dieses demokratisch legitimierte Großprojekt? Wie wäre es mit einem verantwortungsvollen Verhalten, das einem Mitglied der Exekutive angemessen ist? ({1}) Und wie wäre es vor allem mit mehr durchdachten Äußerungen? Denn dieses ständige „Ich dementiere“ wird jedenfalls nicht lange gut gehen. Verantwortung übernehmen ist jetzt angesagt - und nicht, den Verschwörungstheoretikern unter den S-21Gegnern ständig neue Nahrung zu geben. Dass er sich gestern im baden-württembergischen Landtag noch nicht einmal dazu durchringen konnte, klar zu sagen, dass er das Ergebnis des Stresstests akzeptieren werde - wie es alle Parteien in der Schlichtung vereinbart hatten -, ist bezeichnend. Deshalb frage ich: Ist das der neue Politikstil der Grünen, sobald man an der Macht ist? Winfried Hermann hat über die Bahn gesagt: „Bahn spielt foul“. Aber wenn hier einer foul spielt, dann ja wohl Winfried Hermann selbst. Mit allen Tricks - teilweise auch entgegen den Vereinbarungen in der Schlichtung - versucht er, von seinem Infrastrukturverhinderungsministerium aus Stuttgart 21 zu verteuern, damit es über die vertraglich maximal vorgesehenen 4,5 Milliarden Euro kommt. So weit wir es aber nun überblicken, werden weder ein neuntes oder zehntes Gleis notwendig sein noch sonst sehr teure Nachbesserungen. Im Gegenteil: Nach jetzigem Stand wird es 40 Millionen Euro kosten, die Verbesserungsvorschläge umzusetzen. Übrigens sind das tatsächlich sinnvolle Neuerungen, die wir der Schlichtung durch Heiner Geißler zu verdanken haben. Die von den Projektgegnern - bis hin zu Ministerpräsident Kretschmann - prophezeiten und herbeigesehnten Unsummen im hohen dreistelligen Millionenbereich haben sich klar als das entpuppt, was sie sind: falsche Prophezeiungen. Der Kostenrahmen wird durch die mit dem Stresstest verbundenen Verbesserungen nicht im Ansatz gesprengt. ({2}) Noch einmal zu Hermann und dem Foulspiel: Die Grünen werden die Geister nicht mehr los, die sie gerufen haben. Vor der Landtagswahl haben sie den Protest auf die Straße geholt, um das demokratisch legitimierte Projekt Stuttgart 21 zu verhindern. ({3}) Jetzt sind sie an der Macht, und der Protest ist immer noch da. Mit falschen Versprechungen wurden Wähler gelockt. ({4}) - Ich sage zu Ihnen von der Linken nur: 2,8 Prozent bei der Landtagswahl - mit dem Spruch: „Wählt uns, und wir verhindern Stuttgart 21.“ - Aber die klare Mehrheit der Wähler hat Parteien gewählt, die für Stuttgart 21 sind. ({5}) Fast 70 Prozent haben CDU, SPD und FDP gewählt. Und jetzt? Letzte Woche wurden neun Polizisten verletzt, und es entstand Sachschaden in Millionenhöhe. ({6}) Dazu, dass sich Winfried Hermann darüber aufregt, dass von der Bahn das Stresstestergebnis durchgesickert ist, kann ich nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Wie wir jetzt wissen - das wurde schon gesagt -, hat er selbst sich zuerst der Presse gegenüber zum Stresstest geäußert. Erst danach sickerten auch von der Bahn Erkenntnisse zum Stresstest durch. Dass aber der baden-württembergische Verkehrsminister dann auch noch der Bahn, die Baurecht hat, eine Mitschuld an den Ausschreitungen der vergangenen Woche - nach dem Motto „Ihr hättet ja nicht weiterbauen müssen“ - gegeben hat, ist schlichtweg völlig daneben. ({7}) Meine Damen und Herren, angemessen wäre nicht nur eine klare Distanzierung von der Gewalt gewesen, sondern auch eine Distanzierung von denen, die diese Gewalt geschürt und sie anschließend sogar noch als friedliche Feierabendstimmung verharmlost haben. Wer aber bei den selbst ernannten Parkschützern, die für die Eskalation mitverantwortlich waren - die die Gewalt erst leugneten und dann der Polizei die Schuld gaben, wie vor einigen Wochen geschehen -, als neuer Minister einen Antrittsbesuch am Bauzaun macht, der diskreditiert sich selbst. Diese Unterwerfungsgeste von Winfried Hermann war völlig unangebracht. ({8}) Was bleibt den Grünen jetzt noch? Vielleicht eine kleine Resthoffnung auf die Volksabstimmung zu Stuttgart 21, die im Herbst stattfinden soll? Wie man hört, macht sich nun plötzlich auch die neue Landesregierung Sorgen, ob ein Volksentscheid in dieser Frage überhaupt verfassungsgemäß ist. Wie auch immer: Angesichts der stetig wachsenden Zustimmung für Stuttgart 21 freue ich mich auf die Volksabstimmung, wenn sie denn stattfindet. Besonders freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit der SPD bei dieser Volksabstimmung, gemeinsam für Stuttgart 21.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Grünen in Bund und Land und konkret Ministerpräsident Kretschmann fordere ich auf: Stellen Sie sich der Realität! Sie müssen endlich Ihrer Verantwortung in der Landesregierung nachkommen. Die Menschen in Baden-Württemberg verdienen es. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ute Kumpf hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Ute Kumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003166, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Damen und Herren auf den Rängen! Wir sind nicht im Landtag von BadenWürttemberg, wir sind in Berlin. ({0}) Es geht auch nur um einen Bahnhof. Es geht nicht um Leben und Tod. Wie Sie feststellen, beschäftigt das Projekt Stuttgart 21 aber auch uns in Berlin. Vor allem in Richtung von CDU/CSU und FDP muss ich sagen: Mir ist nicht ganz erklärlich, warum Sie dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. ({1}) Sind das Nachwehen, weil Sie die Wahl in BadenWürttemberg verloren haben? Warum wird hier über jemanden gerichtet, und warum wird hier jemand verurteilt, der nicht präsent ist? ({2}) Oder wollen Sie vielleicht alte Geschichten aufrollen? Fakt ist doch, dass Ihr Vertreter, Herr Heiner Geißler, einen Schlichterspruch gesprochen hat. Dieser Schlichterspruch wurde sowohl von den Gegnern als auch von den Befürwortern getragen. In diesem Schlichterspruch wurde ein Verfahren ausgehandelt. Es wurde festgelegt, wie der Stresstest bzw. Faktencheck durchgeführt wird, wie er zeitlich ablaufen wird, wann was überreicht wird und welche Fakten einfließen werden; manche Fakten wurden vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg nachgereicht. Der Zeitplan stand. Auch Sie haben in Gesprächen mit Herrn Grube erfahren, dass das Datum 14. Juli eingehalten werden muss. Weil sonst alles neu hätte ausgeschrieben werden müssen, stand der 14. Juli als Schlichtungstag fest. Warum also diese Aktuelle Stunde? Klären Sie das doch bitte im Landtag von Baden-Württemberg, aber nicht im Deutschen Bundestag. Der Deutsche Bundestag hat sich mit diesem Thema eigentlich gar nicht mehr zu befassen; das ist das Erste. ({3}) - Nein. Hier ist schlichtweg der falsche Ort. ({4}) Ihnen, Kollege Hofreiter, muss ich sagen: Es ist wenig hilfreich, wenn einem die Argumente ausgehen, ein Bahn-Bashing zu inszenieren und die Bahn als unseriös darzustellen. Auch das hilft uns nicht weiter. ({5}) Vielleicht - Sie sind ja neuer Vorsitzender des Verkehrsausschusses - hat Ihr Verhalten auch damit zu tun, dass manche Grüne, wenn sie in Führungspositionen kommen, Schwierigkeiten haben, Verantwortung zu übernehmen. ({6}) Vielleicht gilt das nur für männliche Grüne; das weiß ich nicht. Ich lasse die Frauen aber einmal außen vor. Sie müssen sich der Verantwortung stellen und so agieren, wie es sich für einen Ausschussvorsitzenden gehört. Das gilt natürlich auch für einen Minister. ({7}) Man darf nicht in Rollenkonflikte geraten. ({8}) Das Gleiche gilt für den Kollegen Schlecht; ich glaube, er war schon lange nicht mehr in Stuttgart. Ich finde es übrigens sehr schön, dass sich so viele NichtStuttgarter Gedanken über Stuttgart machen und uns immer wieder furchtbar gute Ratschläge geben. ({9}) Die Leute in Stuttgart wollen endlich Klarheit, egal in welche Richtung. Sie wollen ein Ergebnis. Sie wollen, dass durch den Schlichterspruch eine Entscheidung gefällt wird. Wahrscheinlich werden auch Sie in den letzten Wochen Besuch von Schulklassen aus Ihren Wahlkreisen bekommen haben. Die Schulklassen aus meinem Wahlkreis Stuttgart haben die Faxen inzwischen dicke. ({10}) Sie wollen nicht mehr demonstrieren. Sie haben auch die Belastungen dicke, die durch die Demonstrationen entstanden sind. ({11}) Die Jugend will also Klarheit, egal wie das Verfahren ausgeht. Auch die Stadt ist am Rand der Erschöpfung. ({12}) Es demonstrieren auch Leute von außerhalb. Es sind doch nicht nur die Einheimischen, die in Stuttgart vor dem Bahnhof stehen. Es sind auch Menschen aus anderen Regionen, aus ganz Baden-Württemberg und aus ganz Deutschland. Die Stuttgarter machen bei den Demonstrationen also nicht die Mehrheit aus. Bleiben Sie bei den Fakten. Sie sollten zur Kenntnis nehmen - das tut mir persönlich sehr leid -, dass wir bei den Wahlen die Mehrheit nicht erreicht haben. Die CDU kommt in BadenWürttemberg noch immer auf 39 Prozent. Wir haben mit einer hauchdünnen Mehrheit die grün-rote Regierung stellen können. ({13}) Wir müssen bei den Fakten bleiben, wenn es um Demokratie geht. Sie als Bundestagsabgeordnete müssen akzeptieren, dass die Linke in Stuttgart nicht die Mehrheit hat. Sie hat auch in Baden-Württemberg oder hier im Deutschen Bundestag nicht die Mehrheit. ({14}) Am 14. Juli 2011 werden uns die Ergebnisse des Faktenchecks vorliegen. Herr Geißler hat uns und den Verantwortlichen im Schlichterspruch Folgendes aufgetragen: Es muss um ein neuntes und zehntes Gleis erweitert werden. Der zweigleisige Ausbau zum Flughafen muss erfolgen. Die Wendlinger Kurve muss kreuzungsfrei angebunden werden. Die Ferngleise von Zuffenhausen müssen angeschlossen werden. Alle Strecken von Stuttgart 21 müssen zusätzlich mit konventioneller Technik ausgestattet werden. Die Deutsche Bahn muss sich verpflichten, für den Bahnknoten Stuttgart eine Simulation durchzuführen. Der Bahnhof muss behindertengerecht sein. Maßnahmen für den Katastrophenalarm müssen vorgesehen werden. All dies wird am 14. Juli 2011 auf den Tisch kommen. Herr Geißler hat sich bereit erklärt, den Faktencheck durchzuführen. Lassen Sie uns das Ergebnis abwarten. Wenn zwischen den beiden Koalitionspartnern Dissens besteht - das wissen Sie; Sie haben den Koalitionsvertrag gelesen -, dann wird es einen Volksentscheid geben. Der Volksentscheid wird für den Fall, dass er notwendig wird, bereits vom Justizministerium vorbereit. Vielleicht brauchen wir ihn aber gar nicht. Denn vielleicht kommt es aufgrund des Ergebnisses des Gutachtens dazu, dass Stuttgart 21 gebaut werden kann. Wir waren immer im Dissens; das wissen Sie. Warten Sie also den 14. Juli 2011 ab. Ich glaube, an diesem Datum hat in Frankreich irgendetwas Revolutionäres stattgefunden. Vielleicht werden auch wir eine Revolution starten. Danke schön. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Werner Simmling hat jetzt das Wort für die FDPFraktion. ({0})

Werner Simmling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Verantwortung, die Grün-Rot in Sachen Stuttgart 21 zu übernehmen hat, lastet schwer. Man hat den Eindruck, dass sie sogar zu schwer auf ihren Schultern lastet. Das Chaos, das im Moment dort herrscht, liebe Frau Kumpf, ist der Grund, weshalb wir das Thema Stuttgart 21 hier heute zum x-ten Mal debattieren. Das Regieren hat sich die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg sicher nicht so vorgestellt. ({0}) Bereits unmittelbar vor seiner Vereidigung kündigte Winfried Hermann an - ich darf das einmal wiederholen -, dass er den Bau nicht mehr betreuen und die Verantwortung an ein anderes Ministerium abgeben würde, wenn es bei dem geplanten Volksentscheid eine Mehrheit für den neuen Bahnhof gibt. ({1}) Bei dieser Haltung kann man doch nur mit dem Kopf schütteln. Das geht nicht. Das zeigt einmal mehr, welches Demokratieverständnis und welches Verantwor13450 tungsbewusstsein die Grünen und in diesem Fall insbesondere Winfried Hermann an den Tag legen. ({2}) Die euphorische Erwartungshaltung, die Bündnis 90/ Die Grünen vor der Wahl in Bezug auf eine Verhinderung von Stuttgart 21 bei ihrer Klientel geschürt hat, scheint nun in eine tiefe Enttäuschung und Resignation umzuschlagen. Um dies zu verhindern, versucht die grün-rote Landesregierung nun alles, um Stuttgart 21 zu torpedieren. Man versucht, den Stresstest, dem Ende November 2010 alle Beteiligten - ich wiederhole: alle Beteiligten - in der Schlichtung mit Heiner Geißler zugestimmt haben, zu diskreditieren, und zwar noch bevor die Ergebnisse offiziell vorgestellt wurden. Minister Hermann, der noch nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegen Stuttgart 21 machte, beklagt sich in der Öffentlichkeit darüber, dass er bzw. die Landesregierung angeblich keinerlei Informationen über den Stand der Untersuchungen habe. Wie kann das denn sein? Der Minister ist doch Mitglied im Lenkungskreis Stuttgart 21. Er war informiert. So aber macht man Stimmung. So sorgt man für böses Blut. Die Folge waren schwere Ausschreitungen bei den Demonstrationen der vergangenen Tage mit acht leichtverletzten und einem schwerverletzten Polizisten. Das ist ein übler Beweis für die verantwortungslose Politik der neuen Regierung. Anstatt zu deeskalieren, wird eine Blockadepolitik vorbereitet, und die Bürger werden weiter verunsichert. Ich appelliere an dieser Stelle an die baden-württembergische Landesregierung und fordere sie auf, ihrer Verantwortung endlich gerecht zu werden und die Spielregeln, die alle Beteiligten - Bund, Land, die Stadt Stuttgart, die Region Stuttgart, der Flughafen Stuttgart und die Bahn gemeinsam aufgestellt haben, auch einzuhalten und sich an unsere rechtsstaatlichen Grundsätze zu halten. Wie muss es jetzt weitergehen? Jetzt müssen schnellstens die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, den politischen und gesellschaftlichen Konflikt um Stuttgart 21 zu lösen, das heißt Rückgewinnung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Es gilt jetzt, das offizielle Ergebnis des Stresstests abzuwarten, welches nach der Überprüfung durch die Züricher SMA am 14. Juli vorgelegt wird. Auch das ist ein Teil aus der Vereinbarung vom November 2010, dem alle Beteiligten zugestimmt haben. Um es klar zu sagen, Herr Beckmeyer: Es war Herr Hermann, der aus dem Nähkästchen plauderte und damit ein Informationschaos anrichtete. Wenn der geplante Bahnhof die vorausgesetzten 30 Prozent mehr Verkehr abfertigen kann, dann wird Grün-Rot bauen müssen. Ich sage Ihnen: Die Mehrheit der Stuttgarter wird sich sehr darauf freuen; denn es ist eine große städtebauliche Chance für Stuttgart, um alte Bausünden wiedergutzumachen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ulrich Lange hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es droht den Grünen in Baden-Württemberg ein Ergebnis, das nicht ins parteipolitische Kalkül passt. Lieber Toni Hofreiter, ich habe bisher Ihre Reden als Fachpolitiker zum Thema Bahn inhaltlich durchaus immer wieder geschätzt. Aber das, was Sie hier an inhaltsloser Polemik und Unverschämtheit gegenüber der Deutschen Bahn und ihren Mitarbeitern, die diesen Test nach bestem Wissen und Gewissen nach fachlichen Regeln durchgeführt haben, ({0}) vorgebracht haben, geht einfach zu weit. Wie wollen Sie, lieber Toni Hofreiter, bei der nächsten Ausschusssitzung, die Sie leiten, so viel Vertrauen aufbauen, dass wir mit der Deutschen Bahn im Ausschuss weiterhin vernünftig zusammenarbeiten können? Ich fand Ihre Rede gelinde gesagt einen Skandal, ({1}) und Sie täten gut daran, sich bei der DB AG, bei den Mitarbeitern und beim Vorstand, dafür zu entschuldigen. ({2}) Ich will auf die Fakten selbst nicht mehr eingehen. Ich stelle aber fest: Ihr Verkehrsminister war eingebunden. Ihr Verkehrsminister könnte hier sein, wenn er wollte. Liebe Kollegin Kumpf, insofern stimmt Ihr Einwand nicht: Er könnte hier auf der Bundesratsbank sitzen, so wie heute Vormittag Ihr Finanzminister, aber Sie haben Angst, Ihren Verkehrsminister hierher zu bringen, weil er sich dann äußern müsste. ({3}) Das will er aber nicht; denn das hätte unter Umständen die nächste Blamage und das übernächste Dementi zur Folge. So kann man keine glaubwürdige Politik gestalten; dabei legen Sie doch immer so viel Wert darauf. ({4}) Seien Sie mir nicht böse, aber wenn Winfried Hermann einen Stresstest als Minister hätte machen müssen, dann hätte er ihn nicht bestanden; denn er dementiert permanent und behauptet, er wisse etwas nicht oder er kenne das alles nicht. Ich fragen Sie ganz offen: Was hat er die ersten Tage und Wochen in seinem Ministerium gemacht? Das war doch sein Thema! Lieber Toni Hofreiter, sagen Sie Winfried Hermann: Wir glauben ihm nicht! ({5}) Auch die Äußerungen im Rahmen der Randale - wir erinnern uns an die letzten Bilder, als es Randale gab wirkten alles andere als deeskalierend. Ich habe die Demonstranten gehört. Das Ganze wurde dann auch noch als Freudenfest bezeichnet. Ich frage mich schon, ob wir angesichts von Schneisen der Verwüstung und verletzten Polizisten „Freudenfeste“ feiern können. Meine Damen und Herren der SPD, hier sind auch Sie gefordert - auch Sie tragen Regierungsverantwortung in Stuttgart, wenn auch nur als Juniorpartner -, auf Ihren Koalitionspartner einzuwirken. Tun Sie das endlich, ({6}) damit Ihr Wunsch, Stuttgart 21 realisieren zu können, Wirklichkeit werden kann. ({7}) Kollege Schlecht, Ihre Rede war eine Rede im Sinne eines besten Krawallbürgers. ({8}) Sie enthielt leider nur Unterstellungen und war ohne jede Substanz. Die Süddeutsche Zeitung - Kollege Steffen Bilger hat sie schon zitiert -, die bisher kein großer Freund von Stuttgart 21 war, hat vor kurzem schön geschrieben: „Den Grünen gehen die Hürden aus“. Ja, den Grünen gehen die Hürden aus, und aus purer Panik und Verzweiflung zweifelt man jetzt das Baurecht an. Das kann ja wohl nicht sein. Lieber Kollege Beckmeyer, statt hier hinsichtlich irgendeines Stresstests herumzueiern, der vielleicht vorliegt oder auch nicht vorliegt, sollten Sie lieber Ihrem Fraktionsvorsitzenden der SPD in Stuttgart folgen und die Grünen auffordern, das Baurecht der Bahn zu akzeptieren. Machen Sie es so wie Ihr Parteikollege, der Koalitionspartner in Stuttgart, und eiern Sie nicht rum. Das war wirklich peinlich. Wir freuen uns über einen zukunftsorientierten und technisch hervorragend geplanten Tiefbahnhof.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin mir sicher: Zusammen mit unserem Verkehrsminister und der DB werden wir die Eröffnung von Stuttgart 21 als Freudenfest feiern - für Stuttgart, für seine Bürger und für alle Bahnreisenden. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Martin Burkert spricht für die SPD-Fraktion. ({0})

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Egal wie man zu Stuttgart 21 steht, eines ist für alle, denke ich, klar: Wir wollen in Deutschland ein effizientes und modernes Schienennetz. Die Eisenbahn ist das umweltfreundlichste und effektivste Verkehrsmittel, das wir in Deutschland haben. Darin sind sich hier alle einig, zumindest diejenigen, die eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Verkehrspolitik machen. Der Grund, warum wir uns heute hier versammelt haben, ist der noch nicht vorgelegte Stresstest. In der Tat wird viel davon abhängen, wie dieser Stresstest ausfallen wird. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der rechten Seite dieses Hauses, ich habe viel Verständnis für Ihren Schockzustand, in dem Sie sich nach der Wahl in Baden-Württemberg anscheinend noch befinden, aber warum man heute eine Aktuelle Stunde durchführt, obwohl das Ergebnis dieses Tests erst am 14. Juli 2011 präsentiert wird, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Normalerweise greift man in ein laufendes Verfahren nicht ein, aber das hängt wohl wirklich noch mit der Wahl in Baden-Württemberg zusammen. Nach der ganzen Diskussion um Stuttgart 21 steht fest: Wir brauchen in der Tat eine öffentliche Darstellung, um diese dann ausführlich und in einer breiten Öffentlichkeit erörtern zu können. Deswegen wird am 11. Juli 2011 den Projektpartnern das Ergebnis vorgelegt, und am 14. Juli 2011 wird Heiner Geißler das Ergebnis dann auch öffentlich erörtern. All das wurde festgelegt. Ich plädiere eindringlich dafür, das Ergebnis in Ruhe zu diskutieren und nicht wieder vorschnell Schlüsse zu ziehen, wie das heute schon wieder der Fall war. Das gilt für alle Beteiligten: Bahn, Bundesregierung, Landesregierung, Kommune und auch Stuttgart-21-Kritiker. Eines darf nicht mehr passieren - das muss man der Vorgängerregierung vorwerfen -, nämlich dass man die Bevölkerung am Schluss wieder vor vollendete Tatsachen stellt. Herr Minister Ramsauer, in einer Sache bin ich mit Ihnen einig: Sie sagten gestern im Handelsblatt: Besonnenheit ist das oberste Gebot. In der Tat gilt es jetzt, in dieser Frage Besonnenheit zu bewahren. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Großprojekte einen arbeitsmarkt- und verkehrspolitischen Sinn ergeben müssen. Ein Projekt wie Stuttgart 21 - das wissen Sie aus den Medien - verschlingt immense Investitionsmittel von Bund, Ländern und Kommunen und damit natürlich unsere Steuergelder. Klar muss für uns auch sein, dass der demokratische Prozess eingehalten werden muss. Entscheidungen müssen transparent getroffen werden. Wenn ein offizielles Ergebnis vorliegt und aufgrund der Faktenlage eine Entscheidung getroffen wird, dann muss diese umgesetzt werden. Wir müssen zur Sachlichkeit zurückkehren. Das betrifft alle Beteiligten. Auch der neue Ministerpräsident ist aufgerufen, zu deeskalieren. Keiner von uns will mehr Straßenschlachten sehen. Diffamierungen und pauschale Anschuldigungen über mangelnde Fachkompetenz sind ebenso fehl am Platz wie Beschimpfungen und Verunglimpfungen. Gerade in diesem Zusammenhang möchte ich diejenigen erwähnen, die am Stuttgarter Hauptbahnhof ihrer Arbeit nachgehen, und auch diejenigen, die auf der Baustelle am Bahnhof arbeiten. Egal welche Lösung am Schluss zum Tragen kommt: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG oder einer der Baufirmen dürfen auf keinen Fall Opfer von Angriffen und Beschimpfungen werden. Das haben wir leider alles gesehen. Es darf keine Bilder mehr geben, auf denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeitsstelle - das muss man sich in Deutschland einmal vorstellen - nur noch unter Polizeischutz erreichen können. Aus meiner Sicht müssen wir sofort zur Sachlichkeit zurückkehren und dann ab dem 14. Juli die Ergebnisse in aller Ruhe bewerten. Unterschiedliche Aspekte wird es geben. Ich bin davon überzeugt, Heiner Geißler wird sie in seine Überlegungen einbeziehen. Das ist eine seiner großen Lebensaufgaben, die er mit Bravour meistert. Eine Frage ist auch: Was wäre denn bei einem Baustopp? Lieber Toni Hofreiter, liebe Fraktion der Grünen, wie sähen denn die Auswirkungen auf das System Schiene aus? Was würde denn mit der Realisierung der transeuropäischen Netzkorridore passieren? Was würde ein Baustopp für die Deutsche Bahn AG bedeuten, was für die Region? Frau Kumpf ist darauf eingegangen. Wie würden Alternativen aussehen? Welche Kosten würden bei einem Baustopp entstehen? Dazu habe ich von Ihnen heute keinen Ton gehört. Es gilt: Für Sachlichkeit und Transparenz müssen die Signale auf Hp 1 gestellt sein. Für alle Nichteisenbahner: Hp 1 bedeutet, das Signal auf Grün zu stellen. Nach 15 Jahren Planung und Diskussion gilt jetzt: Volle Fahrt für die beste Lösung dieses Projekts. Ich prophezeie, es wird wohl gebaut. Herr Minister, eine Frage bleibt zum Schluss noch offen: Welche Lehren ziehen wir denn für die zukünftigen Infrastrukturprojekte in Deutschland aus Stuttgart 21? ({0}) Hier, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sind alle aufgerufen, Lösungen zu suchen und umzusetzen. Ich kann Ihnen sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion arbeitet daran. Herzlichen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Karin Maag hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karin Maag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004104, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe jetzt gelernt, dass dieser Stresstest zu einem Stressfaktor für die Landesregierung in BadenWürttemberg geworden ist. Dass wir das Ganze hier im Bundestag diskutieren, Frau Kumpf, hat natürlich einen tieferen Sinn: Wir sind in diesem Projekt nämlich Vertragspartner. Mir ist es nicht egal, wenn die Landesregierung alles versucht, um das Projekt zu torpedieren. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir hier darüber reden. ({0}) Herr Kollege Hofreiter, was Sie über ein Bundesunternehmen, die Deutsche Bahn AG, gesagt haben, war einem Vorsitzenden des Ausschusses nicht angemessen. ({1}) Ich fände es angebracht, dass Sie sich hier oder direkt bei der Bahn dafür entschuldigen. ({2}) Ich will aber jetzt kurz auf die Schlichtung zurückblicken, die mir wichtig ist. Die Schlichtung zu Stuttgart 21 war ein Erfolg. Gräben, die sich durch Stuttgart gezogen haben, sind wieder zugeschüttet worden. Darauf hat auch die Kollegin Kumpf hingewiesen. Die Argumente werden wieder als Argumente wahrgenommen. Wir haben ein Modell geschaffen, Herr Kollege, das vorbildhaft dafür stehen kann, wie künftig Großprojekte vernünftig und in einem guten Rahmen der Bevölkerung vermittelt werden können. Egal, auf welcher Seite wir in Stuttgart stehen: Dieses Handeln im Geiste der Schlichtung dürfen die Bürger von uns Politikern aller Parteien und selbstverständlich auch von der Bahn als Bundesunternehmen erwarten. Jetzt komme ich zu dem ehemaligen Kollegen im Bundestag und jetzigen grünen Verkehrsminister, Herrn Hermann. Er trägt derzeit viel dazu bei, dass diese Annäherung und das Einvernehmen wieder torpediert wird. Das Notwendige zum Stresstest haben wir mehrfach gehört. Die Landesregierung ist selbstverständlich Mitglied im Lenkungskreis, und die Deutsche Bahn hat den Lenkungskreis regelmäßig über die Arbeiten informiert. Selbstverständlich werden die Ergebnisse erst am 14. Juli veröffentlicht. Weil es ein Bundesprojekt ist - der Stresstest gehört zu Stuttgart 21 -, will ich jetzt noch einmal das Verhalten und sehr einseitige Amtsverständnis des Ministers beleuchten. Jeder Minister leistet einen Amtseid. Er schwört unter anderem, dass er die Rechte wahren und seine Pflichten gewissenhaft erfüllen wird. Zu diesen Pflichten gehören Aufrichtigkeit und Wahrheit. Seine Pflichten erfüllt ein Minister sicherlich nicht gewissenhaft, wenn er, ob autorisiert oder nicht, einem Journalisten der Frankfurter Rundschau Auskunft erteilt und anschließend offensichtlich wider besseres Wissen erklärt, der Landesregierung liegen noch keine Materialien zum Stresstest vor. Wenn der Ministerpräsident die Diskrepanz nun mehr oder weniger gequält so erklärt, dass dem Land keine Originalunterlagen, sondern nur Zwischenberichte vorliegen, dann ist das sicherlich richtig. Aber ob das etwas an der Sache ändert, wage ich zu bezweifeln. Dass er doch informiert war, hat der Minister nun auch verklausuliert, um es so auszudrücken, eingeräumt. Der Vorgang verdeutlicht aber vor allem, dass der Minister bestenfalls noch nicht im Amt angekommen ist und offensichtlich in seiner Rolle in der Opposition im Bundestag, also im Dagegensein, verharrt, ohne sich über die Verantwortung, die er mittlerweile zu tragen hat, auch nur ansatzweise Gedanken zu machen. Schlimmstenfalls will er das gar nicht. Schlimmstenfalls will er - so verstehe ich die Äußerungen - mit der Macht des Amtes, aber ohne die Verantwortung des Amtes zu übernehmen, das Bahnhofsprojekt verhindern. Zu dieser Linie passt, dass er bereits kurz nach den Koalitionsverhandlungen gesagt hat, wenn Stuttgart 21 gebaut werde, dann fühle er sich als Minister nicht mehr zuständig. Er hat eines nicht erkannt. Es geht darum, dass er das Recht wahren muss. Bahn, Bund und die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg sind jetzt Partner. Es geht um Vertragstreue. Es geht darum, wie man mit Vertragspartnern umgeht. Man muss einen Vertragspartner nicht mögen, aber man muss ihn respektieren und fair behandeln. Das ergibt sich aus dem Recht in diesem Land. Dazu gehört auch, ein gemeinsames Projekt zu fördern. Man macht sich sonst schadensersatzpflichtig. Es geht auch um die Souveränität eines Mitglieds der Landesregierung. Ein Minister kann und darf nach meinem Verständnis nicht mehr oberster Projektgegner sein. Es ist sicherlich nicht angenehm, meine Damen und Herren von den Grünen, der eigenen Klientel Wahrheiten beizubringen. ({3}) - Nein, ich debattiere es hier, weil Ihr Minister dieses Projekt torpediert. Es ist ein Bundesprojekt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie können es gerne hier debattieren, aber nicht mehr innerhalb Ihrer jetzigen Redezeit. Sie ist nämlich längst um.

Karin Maag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004104, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich bin schließlich und endlich der Auffassung: Wer Baurecht ignoriert, wer seiner Projektförderungspflicht nicht nachkommt,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Karin Maag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004104, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- der ist nicht geeignet für ein Ministeramt, der ist eine Belastung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Karin Maag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004104, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich halte den Ministerpräsidenten meines Landes allerdings für so klug, dass er, wenn er schon den obersten Gegner des Projekts in die Regierung einbezogen hat, dies erkennt und die Konsequenzen zieht. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Strobl hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nur um es noch einmal klar zu sagen: Die Art und Weise, wie der Kollege Dr. Hofreiter hier über ein für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland und in Europa bedeutendes Unternehmen gesprochen hat - im Übrigen handelt es sich um ein Unternehmen, dessen Eigentümer der Bund ist und für das wir alle hier eine besondere Verantwortung tragen -, und insbesondere seine Behauptung, dass es in diesem Unternehmen an der Tagesordnung sei, die Unwahrheit zu sagen und zu täuschen ({0}) - das hat er wohl gesagt; zumindest hat er sinngemäß gesagt, dass dort die Unwahrheit gesagt und getäuscht wird und dass das eigentlich immer so ist; das kann man im Protokoll nachlesen -, werden der Verantwortung, die wir als Bundestagsabgeordnete für dieses Bundesunternehmen haben, nicht gerecht, genauso wenig wie seiner Verantwortung als Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Herr Kollege Lange, das geht nicht zu weit, sondern das geht überhaupt nicht. Herr Hofreiter, nehmen Sie das unverzüglich zurück, und entschuldigen Sie sich dafür. Anderenfalls sollten Sie die Konsequenzen in Ihrem Amt als Vorsitzender des Verkehrsausschusses ziehen. Das geht so nicht. ({1}) - Frau Kollegin, wir führen hier eine Debatte, und ich bin auf einen Vorredner eingegangen, der einen Redebeitrag geleistet hat, der nach meiner Meinung so nicht im Raum stehen bleiben kann. Auf diesen Redebeitrag bin ich - das ist der Sinn einer Debatte - soeben eingegangen. ({2}) Zu den Inhalten ist Folgendes zu sagen: Niemand anderes als Ihr Parteikollege Winfried Hermann, der grüne Verkehrsminister in Baden-Württemberg, hat das Thema Thomas Strobl ({3}) Stresstest in die Welt gesetzt und auch, dass die Bahn vermutlich diesen Test bestanden hat. Daraufhin hat die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg sogar eingeräumt, dass Stuttgart 21 offenbar nicht vor überdimensionierten Kostensteigerungen steht. Wenn das richtig ist, was in die Welt gesetzt worden ist, dann steht dem Weiterbau technisch und rechtlich nichts mehr entgegen. Besprechen Sie das doch mit Ihrem Parteikollegen, dem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann in Baden-Württemberg! Ich habe ihn nicht gebeten, diese Debatte anzuzetteln. Das hat er aus freien Stücken getan. Fragen Sie ihn nach seiner Motivation! Möglicherweise wird er Sie aufklären. ({4}) Mein Rat wäre, dass die Grünen langsam aufhören, dieses Projekt ständig zu blockieren, zu diskreditieren und neue Hürden aufzubauen. Auch Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, sollten darauf hinwirken, dass die Landesregierung in Baden-Württemberg dem nachkommt, wozu sie vertraglich verpflichtet ist, nämlich dieses Projekt zu befördern. Dazu passt nicht, Hürden aufzubauen und zu blockieren. Ich möchte noch einen Vorschlag machen. In BadenWürttemberg regiert eine Bürgerregierung. Warum gibt es nicht - das fände ich ganz vernünftig - ein Dialogforum, in dem Befürworter, Gegner und Sachverständige das Projekt Stuttgart 21 öffentlich und transparent begleiten, mit einer Persönlichkeit - ähnlich wie Heiner Geißler - als Moderator? In einem solchen Dialogforum könnten Gegner und Befürworter ihre Argumente austauschen und das Projekt öffentlich begleiten. Ein solches Forum hätte die neue Landesregierung längst einrichten können. Statt Hürden aufzubauen und zu blockieren, könnte sie als Bürgerregierung so einen konstruktiven und sinnvollen Beitrag zur Begleitung dieses Projektes leisten. Es ist aber bemerkenswert, dass schon die Ergebnisse der Schlichtung unter dem Moderator Heiner Geißler, den die Grünen vorgeschlagen haben, immer nur dann mit Applaus bedacht wurden, wenn sie ins Konzept passten. Das erinnert an die Geschichte von dem Dogmatiker, der immer sagt: Die Ergebnisse und der Kompromiss sind mir dann recht, wenn sie sich zu 100 Prozent mit meinen Positionen decken. - Eine solche Denkweise ist in einer Demokratie nicht konstruktiv; sie ist auch nicht verantwortlich. Der wahre Hintergrund ist klar: Die Grünen haben Angst, bei ihren Wählerinnen und Wählern das Gesicht zu verlieren und eingestehen zu müssen, dass sie ein zentrales Wahlkampfversprechen, nämlich Stuttgart 21 zu verhindern, nicht einhalten können. ({5}) Daher kommen auch die nervösen Aktivitäten des grünen Verkehrsministers, den Ministerpräsident Kretschmann zwar noch einen ehrenwerten Mann nennt; dies tut er aber durchaus mit der notwendigen Ironie. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn Winfried Hermann von der Sprachverwirrung redet, die über ihn gekommen sei, hängt das mit dieser Nervosität zusammen. Wir sind nicht in Babylon, sondern in der Bundesrepublik Deutschland, und es ist schon zu klären, allerdings nicht hier - das wird im baden-württembergischen Landtag geschehen -, wie genau es der grüne Verkehrsminister mit der Wahrheit nimmt. Sein Verhalten zeigt zumindest eines, dass er nämlich ein Dogmatiker in der Politik ist, der nach der Pippi-Langstrumpf-Methode verfährt: Er macht sich die Welt, widdewidde wie sie ihm gefällt. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist dann auch abgelaufen.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist wohl wahr. ({0}) Deswegen ist meine Schlussbemerkung: Warten wir alle - beruhigen Sie auch den grünen Verkehrsminister in Baden-Württemberg - die Ergebnisse des Stresstests ab. Warten wir ab, was SMA dazu sagt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warten wir ab, was der Kollege Heiner Geißler dazu sagt, und dann führen wir die Debatte

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- in aller Sachlichkeit weiter. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen - Drucksache 17/5712 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Hierzu ist verabredet worden, eine Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Für die Bundesregierung hat die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger das Wort. ({1})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Insolvenzrecht ist ein unerlässlicher Bestandteil einer sozialen Marktwirtschaft in einer freien und offenen Gesellschaft. Ziel eines jeden Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Die strikte Orientierung am Gläubigerinteresse kann aber dazu führen, dass das für den Einzelfall angemessene und zugleich im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegende Ergebnis nicht in der Zerschlagung des Unternehmens, sondern darin liegt, das Unternehmen fortzuführen und zu sanieren. Eine Sanierung ist immer dann volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn der Fortführungswert des Unternehmens den Liquidationswert übersteigt. Das Insolvenzverfahren gibt nicht vor, ob ein Unternehmen zu retten oder zu liquidieren ist. Es setzt einen neutralen Rechtsrahmen, in dem die Beteiligten unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung die für sie vorteilhafteste Lösung finden und umsetzen können. Wir brauchen in Deutschland eine Kultur der zweiten Chance. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass dieser Ansatz zu wenig beherzigt wurde. Zudem legt das geltende Recht den Beteiligten vermeidbare Hindernisse in den Weg zu der für sie bestmöglichen Lösung. Mit dem heute zur Debatte stehenden Regierungsentwurf wollen wir den Rechtsrahmen für Insolvenzen in Deutschland verbessern. Ich hoffe, dass wir mit dieser Novelle einen Schritt in Richtung einer sanierungsfreundlicheren Wirkung des Verfahrens tun können und ihm noch mehr als schon bislang das Stigma des Scheiterns nehmen. Die Gründe für Insolvenzen sind vielfältig. Die vorherrschende Meinung, ein Unternehmen gerate stets aufgrund persönlichen wirtschaftlichen Versagens in eine Schieflage, ist falsch, hat aber unmittelbar nachteilige Konsequenzen. Die Unternehmer scheuen den Gang zum Insolvenzgericht. In der Folge werden Insolvenzverfahren in der Regel erst beantragt, wenn die letzte Masse verbraucht, die Chance auf Sanierung vertan und die Quote für die Gläubiger gering ist. Genau hier setzt der Gesetzentwurf an: Wir beseitigen gezielt Hindernisse, die einer frühzeitigen Einleitung des Insolvenzverfahrens im Wege stehen. Das Verfahren wird vorhersehbarer, das Störpotenzial Einzelner wird beseitigt. Wie erreichen wir das? Wir stärken im Gesetzentwurf den Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters. Die jetzige Möglichkeit der Abwahl durch die Gläubiger einige Monate nach Verfahrenseröffnung kommt regelmäßig zu spät. ({0}) Deshalb soll künftig ein vorläufiger Gläubigerausschuss schon an der Bestellung des vorläufigen Verwalters mitwirken. Das Insolvenzplanverfahren wird weiter ausgebaut, indem wir die Anteilsinhaber des insolventen Unternehmens einbeziehen und damit einen Geburtsfehler der Insolvenzordnung beheben. ({1}) Gleichzeitig beschleunigen wir das Planverfahren und beseitigen Obstruktionspotenzial und Verfahrenshindernisse. Dies erleichtert Sanierungen. Die Eigenverwaltung wird vereinfacht und den Unternehmern so ein Stück die Angst vor dem Kontrollverlust genommen. Wir führen zum Beispiel mit dem sogenannten Schutzschirmverfahren eine besondere Spielart des Eröffnungsverfahrens ein und greifen damit Vorschläge aus dem parlamentarischen Raum auf. Diese Möglichkeit soll dem Schuldner aber nur eröffnet werden, wenn noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Damit werden einerseits die Gläubigerrechte gewahrt und andererseits Anreize für einen früheren Insolvenzantrag gesetzt. Der Gesetzentwurf sieht vor, die fachliche Kompetenz bei den Gerichten durch eine stärkere Konzentration und durch zusätzliche Anforderungen an die Qualifikation der Insolvenzrichter und der Rechtspfleger zu steigern. ({2}) Der Vorschlag, die Konzentration bei den Gerichten vorzunehmen, was dann natürlich jeweils in der Verantwortung der Landesjustizminister zu erfolgen hat, hat den Bundesrat in seiner Gegenäußerung besonders beschäftigt. Nach meinem Dafürhalten müssen wir uns im weiteren Verfahren bei unseren Beratungen noch einmal genau ansehen, wie es gekommen ist, dass in manchen Ländern diese Konzentration erfolgt ist, auch ohne dass wir es schon ausdrücklich im Gesetz vorsehen. Da hat man genau dies bereits vorgenommen, sodass dann natürlich der Sachverstand aufgrund der Durchführung mehrerer Verfahren an jeweils einem Gericht schon deutlich ausgeprägter ist. In anderen Ländern ist dies nicht der Fall; es hält sich mit ungefähr acht zu acht, wie wir es bewerten, wohl die Waage. Hier gibt es Beratungsbedarf im Hinblick darauf, dass von Teilen der Landesjustizminister Probleme bei den Umsetzungsmöglichkeiten gesehen werden. Der Regierungsentwurf will aber nicht nur die Insolvenzordnung verbessern, sondern er enthält auch ein vollständig neues Insolvenzstatistikgesetz. Das mag sich ein wenig spröde anhören. Wir werden dadurch in Zukunft für die praktische Arbeit sehr viel genauere Angaben über Insolvenzen und die finanziellen Ergebnisse von Insolvenzverfahren erhalten, indem wir detaillier13456 tere Informationen auch von den Insolvenzverwaltern und nicht nur den Gerichten einholen. Das vorliegende Sanierungsgesetz enthält die richtigen Leitlinien zur Erleichterung der Fortführung und Restrukturierung von Unternehmen im Interesse aller Gläubiger, vom Lieferanten bis zum Arbeitnehmer. Die immer wieder vorgenommene Anpassung der Insolvenzordnung an die Erfahrungen, die in der Praxis mit der Anwendung der einzelnen Instrumente gemacht werden, prägt die Gesetzgebung, auch die der vergangenen Legislaturperioden. Immer wieder hat man sich Reformen und Änderungen der Insolvenzordnung vorgenommen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt. Ich denke dabei an die Konzentration auf das Planverfahren, an die Steigerung der Eigenverwaltung und andere Punkte. Wir werden uns noch mit weiteren Vorschlägen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, zu befassen haben. Ich meine hier die Verbraucherinsolvenzen. Ferner stellt sich die Frage der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen und anderem. Es handelt sich um Themen, die den Bundestag und insbesondere den Rechtsausschuss schon früher intensiv beschäftigt haben. Wir sollten diesen Gesetzentwurf, natürlich mit Zustimmung des Bundesrates, bezüglich Wirkung und Anreizen so gestalten, dass es in der Praxis zu den Verbesserungen kommt, die ich genannt habe. Dann sind wir auf einem guten und richtigen Weg. Wir müssen in der Bilanz des geltenden Rechts leider feststellen, dass die Erwartungen, die wir hier im Bundestag, meistens über Koalitionsfraktionsgrenzen hinweg, formuliert haben - dass es stärker zu Eigenverwaltung, zu früheren Insolvenzanträgen, zu mehr Perspektive auf Sanierung kommt -, im erhofften Umfang nicht erfüllt worden sind. Deshalb setzen wir mit den in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Stellschrauben an diesen Punkten an. Ich freue mich auf die Beratungen. Intensive Debatten finden schon statt; es gibt Anhörungen. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung bei der Durchführung dieses Gesetzgebungsverfahrens. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Burkhard Lischka spricht für die SPD-Fraktion. ({0})

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns hier heute eine Stunde Zeit nehmen, um über das Insolvenzrecht und einen möglichen Reformbedarf zu debattieren, dann hat das einen guten Grund: Das Insolvenzrecht ist kein Randthema für einige wenige Fachleute wie Insolvenzrichter oder Insolvenzverwalter. Auf Grundlage dieses Rechts wird Jahr für Jahr über die Zukunft oder das Aus von etwa 32 000 Unternehmen und Hunderttausenden von Arbeitsplätzen entschieden. Beim Insolvenzrecht geht es deshalb nicht nur um 359 Paragrafen im Bundesgesetzblatt, sondern im konkreten Einzelfall immer auch um Gefühle und Emotionen: um Wut, Sorge, Trauer über den Verlust der beruflichen Existenz oder des Arbeitsplatzes genauso wie um Hoffnung oder vielleicht die Freude, wenn die Sanierung eines Unternehmens gelingt. Sie haben recht, Frau Ministerin: Das Ziel eines modernen Insolvenzrechts muss es sein, Unternehmen, die sich in einer Schieflage befinden, frühzeitig unter die Arme zu greifen, sie zu sanieren, Arbeitsplätze zu erhalten, anstatt sie plattzumachen und abzuwickeln. Die Kernfrage, mit der wir uns jetzt anhand des vorgelegten Gesetzentwurfs zu beschäftigen haben, ist ganz einfach: Dienen die Vorschläge, die Sie jetzt auf den Tisch gelegt haben, tatsächlich dazu, die Sanierung, das heißt die Fortführung von Unternehmen, zu erleichtern ja oder nein? Das ist die simple Frage. Das ist aber auch der Prüfmaßstab, mit dem wir Sozialdemokraten Ihren Gesetzentwurf beurteilen werden. Frau Ministerin, da gibt es Ansätze, die in die richtige Richtung weisen. Zu Recht beklagen Sie - Sie haben das auch eben getan -, dass viele Unternehmer häufig viel zu spät einen Insolvenzantrag stellen, quasi dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und es in dem Unternehmen nichts mehr zu retten gibt. Insofern teile ich Ihre Einschätzung, dass wir Anreize setzen müssen, dass Unternehmer frühzeitig einen Antrag stellen. Das erhöht die Chancen auf die Rettung eines Unternehmens und den Erhalt der Arbeitsplätze. Aber, Frau Ministerin, ich habe Zweifel, ob Sie diesen guten und richtigen Ansatz in Ihrem Gesetzentwurf immer konsequent zu Ende gedacht haben. So schlagen Sie beispielsweise vor, dass ein Unternehmer nicht, wie bisher, erst dann einen Antrag stellen kann, wenn er tatsächlich zahlungsunfähig, das heißt pleite, ist. Künftig soll das ein Unternehmer schon tun können, wenn Zahlungsunfähigkeit lediglich droht. Sie wollen dann - Sie haben das eben erläutert - einen Schutzschirm aufspannen, unter dem der Unternehmer frei von Vollstreckungsmaßnahmen drei Monate lang an der Sanierung seines Unternehmens arbeiten kann. So weit, so gut. Der Pferdefuß liegt allerdings darin, dass dieser Schutzschirm in der Praxis höchst löchrig sein wird. Was wird nämlich in der Praxis passieren? Der Unternehmer stellt, wie von Ihnen gewünscht, einen Antrag. Davon bekommen seine Banken Wind, und sie werden ihm zunächst einmal sämtliche Kredite kündigen. Das heißt, der Unternehmer ist dann wirklich pleite. Was machen Sie? Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass damit das Schutzschirmverfahren automatisch beendet ist und sich der Unternehmer in der ganz normalen Insolvenz befindet. Das heißt, erst locken Sie den Unternehmer unter Ihren Schutzschirm, und dann, wenn das Gewitter beginnt, ziehen Sie den Schirm weg und lassen den Unternehmer im Regen stehen. Das ist doch grotesk, Frau Ministerin. Das ist kein Schutzschirm, den Sie da aufspannen, sondern das ist die Aufforderung, schlicht und einfach in eine Sackgasse zu laufen. ({0}) Lassen Sie uns das weitere Gesetzgebungsverfahren wirklich dafür nutzen, hier zu Regelungen zu kommen, nach denen derjenige, der frühzeitig einen Antrag stellt, auch tatsächlich die faire Chance bekommt, an der Sanierung seines Unternehmens zu arbeiten, selbst dann, wenn aus der drohenden eine tatsächliche Zahlungsunfähigkeit wird. Anreize für die Praxis sollten wir hier setzen, anstatt irgendwelche Scheinlösungen zu präsentieren, Frau Ministerin. Ich will noch einen zweiten Punkt herausgreifen, bei dem ich wirklich ernsthafte Zweifel an der Praxistauglichkeit Ihres Gesetzentwurfes habe. Sie wollen - Sie haben das eben angesprochen - die Zahl der Insolvenzgerichte weiter reduzieren. Künftig soll es nur noch ein Insolvenzgericht pro Landgerichtsbezirk geben. Zur Begründung führen Sie an, dass das zu einer Qualitätsverbesserung der Rechtsprechung führt. Weil große Gerichte sich besser spezialisieren könnten als kleine, so sagen Sie, würde das dazu dienen, die Rechtsprechung zu verbessern. Frau Ministerin, welches Problem wollen Sie da eigentlich lösen? Ist Ihnen während Ihrer Amtszeit irgendwann zu Ohren gekommen, dass unsere Gerichte nicht vernünftig arbeiten würden, dass unsere Richter bei der Anwendung des Insolvenzrechts irgendwie Probleme hätten? Das Gegenteil ist der Fall. Um die Qualität unserer Rechtsprechung und Gerichte beneiden uns andere Staaten. Das ist einer der glänzendsten Standortvorteile, die dieses Land weltweit hat. Hören Sie doch bitte damit auf, Probleme lösen zu wollen, wo gar keine Probleme sind! ({1}) Es gibt nichts, aber auch rein gar nichts, was Ihre Annahme rechtfertigen würde, dass große Gerichte besser arbeiten als kleine. Der Deutsche Richterbund hat Ihnen erst vor wenigen Wochen eine Statistik vorgelegt, aus der eindeutig hervorgeht, dass die Rechtsmittel- und Beschwerdequote bei kleinen Insolvenzgerichten keinen Deut höher ist als bei großen Insolvenzgerichten. In Ihrer Rede sind Sie darauf nicht eingegangen, sondern haben eigentlich stereotyp Ihr Credo von der Schließung zahlreicher Insolvenzgerichte wiederholt. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass in Zukunft beispielsweise die Menschen, die sich in einem Privatinsolvenzverfahren befinden, die also ohnehin nichts haben, 150 Kilometer und mehr bis zum nächsten Insolvenzgericht fahren müssen. Das hat mit der Bürgerfreundlichkeit der Justiz - das Wort führen Sie, Frau Ministerin, ja sehr gern im Mund - gar nichts zu tun. Das ist ein Akt der Bürgerunfreundlichkeit, und zwar zulasten der Schwächsten in dieser Gesellschaft, derjenigen, die ohnehin am Rande des Existenzminimums leben. Das Ganze ist im Übrigen kein Randproblem. Wir haben im letzten Jahr 109 000 Privatinsolvenzverfahren gehabt. Diesen Personen plus 32 000 Unternehmern wollen Sie jetzt die Wege verlängern. Hören Sie in dem Zusammenhang doch einmal auf Ihre Länderkollegen! Die Landesjustizminister lehnen diesen Vorschlag fast unisono ab. Sie wissen, wovon sie reden, Frau Ministerin. Es kommt noch etwas anderes dazu. Unsere Insolvenzgerichte arbeiten vor allen Dingen deshalb besonders gut - das ist meine Erfahrung -, weil sie eingebettet sind, eingebettet in ein kleinteiliges Netzwerk aus Schuldnerberatungsstellen, Verbraucherzentralen und Wohlfahrtsverbänden, in dem gerade die Menschen im Privatinsolvenzverfahren über Jahre hinweg intensiv beraten und betreut werden. Wenn Sie die Länder dazu zwingen, Insolvenzgerichte zu schließen, zerstören Sie auch diese gut funktionierenden Netzwerke, ohne zu wissen, ob sich über die Entfernungen, die Ihnen vorschweben, ähnliche Netzwerke überhaupt etablieren lassen. ({2}) Frau Ministerin, das ist keine Weiterentwicklung des Insolvenzrechts, sondern schlicht und einfach ein Abbruch in der Fläche. Deshalb werden wir Sozialdemokraten Ihren Gesetzentwurf kritisch begleiten. Es gibt richtige Ansätze, jawohl, aber es gibt auch Regelungen, die aus unserer Sicht weder praxistauglich noch sachgerecht noch durchdacht sind. In den kommenden Wochen haben Sie die Möglichkeit, an diesen Regelungen zu arbeiten und Veränderungen vorzunehmen. Tun Sie das, korrigieren Sie einzelne Regelungen! Das dient den Betroffenen, es dient der Justiz und dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Danke. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth WinkelmeierBecker für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es hat lange genug gedauert bis zur heutigen ersten Lesung des Gesetzentwurfs zur Vereinfachung der weiteren Sanierung von Unternehmen. Ich bin froh darüber, dass es jetzt so weit ist. Denn zwölf Jahre nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung müssen wir konstatieren, dass nicht alle Erwartungen erfüllt worden sind, mit denen wir damals den Wechsel von der Konkursordnung zur Insolvenzordnung vorgenommen haben. Etliche Punkte sind zu ändern, einige davon jetzt in einem ersten Schritt. Weitere Schritte werden folgen, zum Beispiel in Bezug auf die Verbraucherinsolvenz, die Konzerninsolvenz und dergleichen. Der Entwurf hat sehr viel Zustimmung gefunden, auch in der Fachwelt. Wir hören aber auch viele Verbesserungsvorschläge. Ich sage ausdrücklich unsere Bereitschaft zu, wirklich zuzuhören, wenn Anregungen aus der Praxis kommen. Wir wollen ein Gesetz erlassen, das in der Praxis funktioniert. Es ist ein Gesetz, bei dem nicht Ideologie im Vordergrund steht. Vielmehr wollen wir gute Regelungen finden, um Sanierungen zu ermöglichen. Die Bilanz der Insolvenzen in Deutschland ist immer noch zu schlecht. Sanierungsfähige Unternehmen werden liquidiert; Arbeitsplätze gehen verloren. Das Leid der Betroffenen ist auch etwas, was uns dabei umtreibt. Wir wollen nicht, dass Menschen ihr Lebenswerk verlieren, dass sie ihre Löhne nicht bekommen oder dass sie selber in Insolvenz geraten, weil eine Forderung, die sie gegen andere haben, ausfällt. Diese Ziele sind nicht neu; sie lagen bereits der damaligen Insolvenzreform zugrunde. Wir müssen darüber nachdenken, warum diese Reform nicht geklappt hat. Aus meiner Sicht ist in diesem Zusammenhang nicht unwesentlich, dass wir an den Interessen der handelnden Personen - an ihren irrationalen und rationalen Beweggründen - ein Stück weit vorbeigeregelt haben. Das muss auch eine vermeintlich trockene Materie wie das Insolvenzrecht noch besser berücksichtigen. Deswegen müssen wir uns die vier Player, die wir auf dem Spielfeld haben, noch einmal im Hinblick darauf, was sie vom Verfahren erwarten, genau anschauen und uns überlegen, wie wir besser an sie herankommen. Im Mittelpunkt stehen die Gläubiger. Es geht im Insolvenzverfahren darum, dass ihre Forderungen durchgesetzt werden. Sie sind zwar die Hauptbetroffenen, waren bislang aber immer nur in der Zuschauerrolle. Nach der Antragstellung sind bis zum ersten Zusammentreffen des Gläubigerausschusses drei bis fünf Monate vergangen, dann ist die Messe gelesen. Alle wesentlichen Entscheidungen sind bis dahin längst getroffen. Dementsprechend haben die Gläubiger dann kein Interesse mehr; Gläubigerversammlungen finden ohne Gläubiger statt. Wir wollen, dass die Fachkunde der Gläubiger deutlich stärker einbezogen wird. Deshalb bieten wir das Instrument des vorläufigen Gläubigerausschusses an, der viel früher in das Verfahren einbezogen werden soll, nach Möglichkeit direkt bei Verfahrensbeginn. Wir verkennen dabei nicht, dass es hier einen Zielkonflikt gibt: einerseits die möglichst frühe Gläubigerbeteiligung, andererseits ein schnelles Verfahren. Wenn der Antrag einmal gestellt ist, dann muss der Verwalter schnell bestellt werden und schnell agieren, gerade dann, wenn es sich um ein noch lebendes Unternehmen handelt, das saniert werden soll. Wir haben das Problem, mitwirkungsbereite Gläubiger zu finden, die die Gesamtheit der Gläubiger repräsentieren. Es soll nicht nur ein Bankenvertreter gefunden werden, der dann für alle Gläubiger spricht, sondern die Gläubigerbeteiligung muss repräsentativ sein. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Schuldner den Antrag gut vorbereiten. Demnächst müssen sie direkt zu Beginn eine Liste der Gläubiger einreichen. Das soll ausdrücklich eine Anregung sein, sich bereits in diesem frühen Stadium darum zu kümmern, welcher Gläubiger mitwirkungsbereit ist oder in welche Richtung eine Sanierung gehen kann. All diese Punkte werden die Vorbereitung eines Insolvenzverfahrens verbessern. Unabhängig davon hat ein vorläufiger Gläubigerausschuss aber auch dann noch seinen Sinn, wenn der Verwalter die Arbeit bereits aufgenommen hat. In den ersten Wochen werden viele wichtige Entscheidungen getroffen, die über Wohl und Wehe, über Sanierung oder Zerschlagung des Unternehmens entscheiden können. Deshalb ist die Einbeziehung der Gläubiger auch an der Stelle wichtig. Wir gehen mit dem Gesetzentwurf auch darauf ein, dass die Gläubiger natürlich nicht in eine Sanierung investieren, also neues Geld hineinstecken wollen, wenn der Wertzuwachs hinterher gar nicht ihnen, sondern den Anteilseignern zukommt. Deshalb führen wir den DebtEquity-Swap als neues Instrument ein. Ferner erhöhen wir die Durchsetzbarkeit des Plans gegen einzelne Gläubiger, die obstruieren und eine vernünftig agierende Mehrheit erpressen wollen. Wir sind optimistisch, dass wir damit die Möglichkeiten der Gläubiger, konstruktiv an einem Plan mitzuwirken, insgesamt erhöhen, sodass die Gläubiger merken, dass es sich lohnt, die Zeit zu investieren, und dass wir bessere Ergebnisse erzielen können. ({0}) Ich möchte auf eine Gläubigergruppe kurz besonders eingehen; wir wissen, dass die Gläubiger keine homogene Gruppe bilden, sondern ganz unterschiedliche Interessen haben. Mir läge es sehr am Herzen, dass wir uns mit der Interessenlage der Arbeitnehmer beschäftigen. Vor zwei Jahren haben wir eine große Diskussion über die Anfechtung von Lohnnachzahlungen geführt. Dabei ging es um Fälle, in denen erarbeitete Löhne zurückgezahlt werden mussten. Ich würde mir wünschen, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diesem Missstand vor allem bei kleineren Einkommen, jedenfalls bei Einkommen bis zu einer bestimmten Höchstgrenze, begegnen können. ({1}) Der zweite wichtige Player ist der Schuldner. Dass der Schuldner so lange zögert, ist häufig einer der Gründe dafür, dass Sanierungen schwierig werden; denn er verpulvert die letzten Ressourcen. Das, was vielleicht noch für eine Sanierung gebraucht werden könnte, ist dann weg, weil der Schuldner einfach nicht rechtzeitig den Weg zum Insolvenzrichter gefunden hat. Da braucht man sich nicht zu wundern: Der Schuldner scheut natürlich das Stigma der Insolvenz; er scheut den Kontrollverlust, der droht, wenn ihm ein Verwalter vor die Nase gesetzt wird, auf dessen Auswahl und Vorgehen er keinen Einfluss hat. Viele haben schon selbst oder in ihrem Umfeld erlebt, dass Familienunternehmen mit großer Tradition schnell zerschlagen worden sind. Es hätte sicherlich nicht immer andere Lösungen gegeben; das ist klar. Ich halte es aber auch für sehr verständlich, dass der Gang zum Insolvenzrichter Ängste auslöst. Wir müssen auch sehen: Es liegt nicht immer am Schuldner, dass er sich in der Krisensituation befindet. Da kann etwa ein Geschäftspartner ausgefallen sein. Es kann auch sein, dass der Schuldner ein Einsehen hat und den nötigen Sachverstand schon eingekauft hat, weil er lieber mit einem selbst ausgewählten Sanierer als mit einem ihm vorgesetzten Verwalter in das Verfahren geht. Für diese Fälle wollen wir die Möglichkeiten erweitern, mit eigenem Personal, mit eigenem Berater oder unter eigener Wahrnehmung der Funktion in das Verfahren zu gehen, um mehr Planbarkeit und Kontrolle zu ermöglichen und damit den Anreiz zu geben, frühzeitig das Verfahren zu beantragen, anstatt es mit aller Macht und letztlich ohne Erfolg nach hinten zu verschieben. Wir eröffnen diese Chance mit dem neuen Schutzschirmverfahren bei drohender Zahlungsunfähigkeit und dem leichteren Zugang zur Eigenverwaltung. Damit soll der Schuldner auch in der Krise die Kontrolle behalten. Das gibt es aber nicht zum Nulltarif; wir müssen uns die Schwierigkeiten, die Sie genannt haben, genau anschauen. Dreh- und Angelpunkt wird letztendlich sein, dass der Schuldner das Verfahren mit den Gläubigern gut vorbereitet, dass er die Gläubiger mit einem Plan davon überzeugt, dass Sanierungschancen bestehen, sodass sie bereit sind, Kreditlinien weiter offenzuhalten und vielleicht auch neues Geld hineinzustecken; damit steht und fällt das Schutzschirmverfahren. Wir hoffen, mit dem Zusammenspiel des Anreizes zu früherer Antragstellung und der besseren Beteiligung der Gläubiger, die frühzeitig einbezogen werden, zu einer größeren Zahl von Sanierungen zu kommen, sodass die Forderung nach einem eigenständigen Sanierungsverfahren zunächst zurückgestellt wird. Der dritte Player sind die Gerichte. Bei den Gerichten führt das Insolvenzrecht häufig ein Schattendasein; es steht im Schatten anderer Fachgebiete. Wenngleich wir auf unsere Gerichte sicherlich sehr stolz sind und sie für Deutschland ein guter Standortfaktor sind, trifft das für das Insolvenzrecht eher nicht zu: Da werden teilweise Unternehmenssitze verlegt, damit man nicht nach deutschem Insolvenzrecht und mit deutschen Gerichten agieren muss; ({2}) da geht man teilweise ganz bewusst in den angelsächsischen Raum. Dort werden hoch gestellte Richter in diesem Fachbereich tätig, zum Teil sogar Bundesrichter. Bei uns ist es der Richter am Amtsgericht im Zusammenspiel mit dem Rechtspfleger. Außerdem haben sie zum Teil nur ein kleines Pensum solcher Fälle, was dazu führt, dass sie die Routine, die man braucht, nicht entwickeln können. Deshalb halten wir daran fest - ich unterstütze das nachdrücklich -, dass wir zu einer weiteren Konzentration der Insolvenzgerichte kommen und nur eines pro Landgerichtsbezirk haben. So oft muss man nicht zum Insolvenzrichter, dass die Entfernung eine so große Bedeutung hätte, dass das nicht zumutbar wäre. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie kommen bitte zum Ende, Frau Kollegin.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zuletzt ein Blick auf die Verwalter: Für sie ändert sich in diesem Stadium der Reform noch nicht so viel. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass die Gläubiger ihnen in Zukunft noch stärker auf die Finger schauen und Vorschläge machen werden. Für die Verwalter wird die Arbeit also nicht bequemer. Gute Verwalter werden sich darüber aber keine Sorgen machen müssen. Wir müssen uns jetzt alle zusammen an die Detailarbeit machen. Ich glaube, dass wir zu einer guten Regelung kommen können, und freue mich auf die Beratungen. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Richard Pitterle hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen zehn Jahren gab es 340 000 Unternehmensinsolvenzen. 5 Millionen Männer und Frauen haben dabei ihre Arbeit verloren. Mit diesem Gesetzentwurf soll erreicht werden, dass Unternehmen, die in Schieflage geraten sind, saniert werden können und somit die Abwicklung verhindert wird. Das finden wir gut, weil so die Möglichkeit eröffnet wird, Arbeitsplätze zu erhalten, statt sie den Bach runtergehen zu lassen. ({0}) Allein das kann Grundlage dafür sein, dass die Unternehmen wieder auf die Füße kommen und später neue Arbeitskräfte einstellen. Auch der vorgesehenen Stärkung der Gläubigerrechte stimmen wir zu. Für größere Insolvenzverfahren soll ein vorläufiger Gläubigerausschuss schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingesetzt werden. Neu ist, dass ihm ein Vertreter oder eine Vertreterin der Arbeitnehmer angehören muss, und zwar unabhängig von der Höhe ihrer Forderungen im Insolvenzverfahren. Zudem hat der vorläufige Gläubigerausschuss das Recht, den Insolvenzverwalter mitzubestimmen. Die Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren ist trotzdem unbefriedigend. Sie wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht wesentlich verbessert. Gerade im Vorfeld von Insolvenzen rackern sich Arbeitnehmer ab, machen Überstunden, tolerieren das Ausbleiben von Gehältern, verzichten sogar auf Urlaubsgeld. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist vielfach die Chance vorbei, diese Vorleistung jemals vergütet zu bekommen. Daran ändert dieser Gesetzentwurf nichts. Außerdem ist durch das Insolvenzgeld die Lohnzahlung nur für die letzten drei Monate vor der Insolvenz gesichert. Nach wie vor müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befürchten, dass vor der Insolvenz gezahlte Gehälter vom Insolvenzverwalter zurückverlangt werden. Wie oft habe ich als Fachanwalt für Arbeitsrecht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern diese Regelung des Gesetzes erklären müssen. Diese Menschen haben durch die Insolvenz ihren Arbeitsplatz verloren und wurden plötzlich mit Rückzahlungsforderungen konfrontiert, obwohl sie das Geld längst für Miete und sonstigen Lebensaufwand ausgegeben hatten. Von den Betroffenen versteht das keiner. Dass die Bundesregierung dieses Unrecht duldet und die Insolvenzanfechtung gegenüber der vor der Insolvenz erfolgten Lohnzahlung nicht beseitigt hat, ist ein Schwachpunkt dieses Gesetzentwurfs. ({1}) In der gestrigen Anhörung gab es Einigkeit darüber, dass man diese Ungerechtigkeit durch Nachbesserung im Gesetz abstellen kann. Tun Sie es also, Frau Justizministerin. Wir finden es auch völlig ungenügend, dass Ihre Vorschläge nicht vorsehen, die Ansprüche aus Sozialplänen und Aufhebungsverträgen gegen Ausfall zu schützen. Für einen Arbeitnehmer, der sich nach 30 Jahren Schufterei bereit erklärt hat, sich den Arbeitsplatz durch eine Abfindung abkaufen zu lassen, um eine Kündigung zu vermeiden, ist es eine Ungerechtigkeit, wenn er mit leeren Händen dasteht. Das sollte geändert werden. ({2}) Wenn es die Intention des Gesetzentwurfs ist, die Abwicklung von Unternehmen zu vermeiden, so sind die hier vorgesehenen Änderungen bisher unzureichend. Es wäre unberechtigt, alle Insolvenzverwalter unter Generalverdacht zu stellen. Aber jeder, der mit Insolvenzen zu tun hat, weiß, dass es für unseriöse Insolvenzverwalter zahlreiche Möglichkeiten der Bereicherung, Vorteilsnahme und Korruption gibt. Die Erfahrung zeigt, dass manche Insolvenzverwalter nicht zuallererst das Allgemeinwohl, das Unternehmen, die Gläubiger und die Arbeitsplätze im Blick haben, sondern vor allem die eigenen Interessen. Ich frage mich auch: Warum gibt es keine formalen Anforderungen an die Qualifikation der Insolvenzverwalter? Allein der gesunde Menschenverstand sagt, dass die Kenntnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen Voraussetzung sein muss, um die Chance der Sanierung eines Unternehmens zu erkennen und die Sanierung erfolgreich zu betreiben. In Ihrem Gesetzentwurf steht jedenfalls an keiner Stelle, dass Insolvenzverwalter über diese konkreten Erfahrungen und Qualifikationen verfügen müssen. Nicht nur bei den Gerichten, die die Tätigkeit der Verwalter kontrollieren sollen, sondern auch bei den Verwaltern selbst muss mehr Qualifikation verlangt und nachgewiesen werden. ({3}) Die Fälle, in denen die Gläubiger leer ausgehen, während die Insolvenzverwalter von der Insolvenz passabel leben können, sind leider nicht selten. Professor Haarmeyer von der Gläubigerschutzvereinigung bestätigte, dass 70 Prozent der Verfahren ohne Quote enden, das heißt ohne Geld für die Gläubiger. Bei einem solchen Sachverhalt sagt der Volksmund: außer Spesen nichts gewesen. Auch hier wäre eine Steuerung über die Vergütungsstruktur der Insolvenzverwalter möglich. Vorschläge von Fachleuten gibt es genügend. Zum Beispiel könnte man über eine Deckelung der Vergütung einerseits und eine Erfolgsprämie beim Erreichen einer Quote von 30 Prozent andererseits nachdenken. Damit eine größere Masse und somit die Chance für eine Sanierung erhalten bleibt, muss gesetzlich klargestellt werden, dass die Umsatzsteueransprüche, die vor dem Eintritt des Insolvenzfalls entstanden sind, nicht als Masseverbindlichkeiten anzusehen sind. Schließlich: Insolvenzgerichte sollten das letzte Wort über die Bestellung von Insolvenzverwaltern behalten. Nur durch ein unabhängiges Gericht ist gewährleistet, dass ein unabhängiger Insolvenzverwalter bestellt wird. Nur so ist gewährleistet, dass die Verfahren nicht nur von den Interessen der Großgläubiger geleitet werden. Ich habe meine Zweifel daran, dass die Konzentration der Gerichte sinnvoll ist. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, den Ländern weiterhin freizustellen, ob sie von der Möglichkeit der Konzentration Gebrauch machen wollen oder nicht. ({4}) Ich bin auf alle Fälle gespannt, welche Schlussfolgerungen die Koalition aus der gestrigen Anhörung ziehen wird und ob der Entwurf in dem von mir vorgeschlagenen Sinne noch verbessert wird. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Ingrid Hönlinger das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Ingrid Hönlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004058, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wir alle erinnern uns: Vor circa zwei Jahren haben der Warenhauskonzern Arcandor und seine Tochtergesellschaften Quelle und Karstadt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor dem Essener Amtsgericht beantragt. Das Kaufhaus Quelle war endgültig am Ende, Karstadt konnte gerade noch durch einen Privatinvestor gerettet werden. Von dieser Insolvenz waren 43 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen. Sie und ihre Familien mussten oft wochen- und monatelang um ihre Zukunft bangen. Mit Blick auf die volkswirtschaftlichen Auswirkungen, aber auch mit Blick auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen wir uns das Thema Unternehmensinsolvenzen genau anschauen. Die zentrale Frage lautet: Sind die Mittel der geltenden Insolvenzordnung ausreichend, um angemessen auf die Situation von bedrohten Unternehmen zu reagieren? Die Antwort lautet Nein. Die erfolgreiche Sanierung von Unternehmen im Insolvenzverfahren stellt noch immer die Ausnahme dar. Ein Blick auf die Zahlen reicht aus, um uns den dringenden Handlungsbedarf vor Augen zu führen. Im letzten Jahr haben rund 32 000 Unternehmen bei deutschen Amtsgerichten das Insolvenzverfahren beantragt. Damit ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Vorjahr um 2,1 Prozent zurückgegangen. Das Jahr 2009 war aber auch das Jahr der Krisen und ist daher nicht die richtige Bezugsgröße. Die Zahlen zeigen: Wirtschaftskrisen führen auch dazu, dass wir uns die Insolvenzordnung genau anschauen müssen. Wir Grünen haben uns schon vor einem Jahr mit diesem Thema auseinandergesetzt. Über unsere Verbesserungsvorschläge wurde hier im Bundestag diskutiert. Es freut uns, dass die Bundesregierung, wenn auch ein Jahr später, jetzt diesen Gesetzentwurf vorlegt, in dem einige unserer Forderungen aufgegriffen werden; aber es fehlen doch noch entscheidende Komponenten. Das Hauptziel der Insolvenzreform muss die frühzeitige Rettung und Restrukturierung von Unternehmen sein. Unternehmen sollten möglichst erst gar nicht insolvent werden. Es sollten schon vorher Sanierungsmöglichkeiten greifen. Momentan fehlt eine institutionelle Verankerung, um grundsätzlich lebensfähige Unternehmen noch vor der Stigmatisierung durch ein eröffnetes Insolvenzverfahren zu sanieren. Wir sollten deshalb überlegen, wie wir es auch gestern in der Anhörung diskutiert haben, sanierungsbedürftigen Unternehmen ein Reorganisationsverfahren bzw. ein Sanierungsverfahren - eventuell vor einer spezialisierten Kammer für Handelssachen - zu ermöglichen, um so das Stigma der Insolvenz zu vermeiden. Österreich erzielt damit schon sehr gute Erfolge. Kommt es dann doch zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, sind natürlich die fachliche Kompetenz und auch die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters oder der Insolvenzverwalterin Voraussetzungen für ein erfolgreiches Verfahren. Ich stimme Ihnen zu: Richterinnen und Richter an Insolvenzgerichten müssen fachlich in der Lage sein, darüber zu entscheiden, welchen Verwalter oder welche Verwalterin sie bestellen. Hier könnte man ebenfalls daran denken, den Sachverstand, der an den Kammern für Handelssachen besteht, zu nutzen. Kontraproduktiv ist es aber, dem vorläufigen Gläubigerausschuss - so ist es im Gesetzentwurf vorgesehen - so weitgehend die Befugnis der Bestellung der Insolvenzverwaltung einzuräumen. Dieses Verfahren birgt nämlich die Gefahr, dass sich die Insolvenzverwaltung auf wenige Spezialistinnen und Spezialisten beschränkt im schlimmsten Fall auf die, die großen Gläubigern wie Banken oder Versicherungen nahestehen. Wir meinen, die Insolvenzverwaltung muss auch neuen Verwalterinnen und Verwaltern offenstehen. Konkurrenz ermöglicht auch im Bereich der Insolvenzverwaltung eine qualitative Steigerung. ({0}) - Danke. ({1}) Wichtig ist uns bei der Neuregelung der Insolvenzordnung auch, dass nicht nur große Unternehmen ins Blickfeld geraten, sondern auch die Interessenlage kleinerer Unternehmen berücksichtigt wird. Eine Überlegung wäre, die Bestimmung einzuführen, dass Gläubigerforderungen, die in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldnerunternehmen umgewandelt werden sollen, nur dann umgewandelt werden können, wenn die Alteigner zustimmen. Das könnte es insbesondere Familienunternehmen erleichtern, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn es erforderlich ist. Außerdem könnten wir so für Betriebe und Beschäftigte eventuell die Gefahr abwenden, dass sich Schnäppchenjäger an Insolvenzen bereichern. Steuerliche Flankierungsmaßnahmen sucht man im Gesetzentwurf vergeblich. Dazu ist in ihm leider gar nichts enthalten. Wir wünschen uns, dass auch steuerliche Komponenten bei einer Neuregelung des Insolvenzrechts berücksichtigt werden. Wir sehen also: Der Regierungsentwurf enthält einige brauchbare Vorschläge. Weitere Verbesserungen sind dringend erforderlich, um das Insolvenzrecht zu aktualisieren, die Chancen auf Sanierung zu erhöhen und präventive Maßnahmen zur Unternehmensrettung zu etablieren. Wir Grünen werden uns weiter konstruktiv beteiligen, wenn es um diese Thematik geht. Wir wollen mit unseren Verbesserungsvorschlägen erreichen, dass Arbeitsplätze, wo immer möglich, erhalten werden, dass wir Unternehmen in schwierigen Zeiten eine Brücke bauen, dass unnötige Investitionen vermieden werden und dass damit der Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt gestärkt wird. Jeder gerettete Arbeitsplatz, jedes Unternehmen, das einen schwierigen Anpassungsprozess übersteht, und jede Firma, die eine zweite Chance erhält, sind ein Gewinn für die Menschen und für die Wirtschaft. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen trägt seinen Namen zu Recht. Im Wesentlichen geht es um drei Punkte: Erstens. Es stärkt den Einfluss der Gläubiger insbesondere in Bezug auf die Auswahl des Insolvenzverwalters. Zweitens. Das Insolvenzplanverfahren wird ausgebaut und gestrafft. Drittens. Der Zugang zur Eigenverwaltung wird erleichtert. Darüber hinaus bietet das Gesetz eine Chance zur Etablierung bzw. Erneuerung einer Sanierungskultur. Wie wichtig ein Umdenken, ein Mentalitätswechsel im Insolvenzbereich ist, zeigt folgendes Beispiel - ich nenne Ihnen bewusst kein Beispiel aus aktuellen Insolvenzverfahren, sondern eines, das Sie alle möglicher13462 weise kennen -: In den Buddenbrooks beschreibt Thomas Mann den Bankrott als den bürgerlichen Tod des Kaufmanns, als etwas Grässlicheres als das Ende des Lebens, als Tumult, Zusammenbruch, Ruin, Schande, Verzweiflung und Elend - für ihn, für seine Familie, aber auch für viele seiner Beschäftigten. Diese Vorstellungen haben sich bis heute nicht geändert. Auch heute, 134 Jahre nach Einführung der allgemeinen deutschen Konkursordnung von 1877 - ungefähr der Zeit, in der die Buddenbrooks spielen - und zwölf Jahre nach dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung, wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Deutschland oftmals als das katastrophale Ende unternehmerischen Handelns angesehen. Dies kann sich durch die erste Stufe der Insolvenzreform ändern. Der Konkurs ist das Risiko unternehmerischen Handelns. Er gehört zu den Sanktionen kaufmännischer Fehler. Diese können vielfältiger Natur sein: Investitionen in falsche Produkte - „am Markt vorbei“ nennt man das -, fehlendes Risikomanagement, mangelnde Kostenkontrolle, Kapitalbindung durch zu hohe Lagerbestände, explodierende Rohstoffkosten, Missmanagement im Unternehmen bis hin zu dolosem Verhalten. Der Antrag auf Insolvenz soll für den redlichen Gläubiger die Chance auf eine erfolgreiche Unternehmenssanierung sein. Die geltende Insolvenzordnung stellt - die Bundesministerin der Justiz hat es einleitend gesagt den Verfahrenszweck der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung vornan. Hieran wird sich auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes nichts ändern. Demgegenüber sind Liquidation und Unternehmenserhaltung durch einen Insolvenzplan sekundäre Verfahrenszwecke, die dem übergeordneten Zweck der Gläubigerbefriedigung dienen. Die Insolvenzordnung und ihr Zweck sind Ausdruck der freien Marktwirtschaft und ihrer Regeln; das soll auch so bleiben. Ziel der Gesetzesnovellierung ist, die Sanierung von Unternehmen attraktiver zu gestalten und Anreize für den Schuldner zu schaffen, bei drohender Zahlungsunfähigkeit frühzeitig den Antrag zu stellen; denn allein dies hilft, die Gläubiger nach Möglichkeit zu befriedigen, Arbeitsplätze zu erhalten und einen mit der Insolvenz einhergehenden volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden. Im vergangenen Jahr sind 8 500 der 32 000 Insolvenzen, die Sie, Frau Hönlinger, gerade genannt haben, mangels Masse abgewiesen worden; das sind mehr als 25 Prozent aller angemeldeten Insolvenzverfahren. „Mangels Masse abgewiesen“ heißt, dass das Vermögen des Schuldners nicht ausreicht, um die Verfahrenskosten zu decken. Auch diesen Unternehmen wollen wir klarmachen, dass die frühzeitige Antragstellung - bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit - der richtige Weg ist, um eine Sanierung erfolgreich abzuschließen, statt abzuwarten, bis es zu spät ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhaltet hier den richtigen Weg. Das Insolvenzplanverfahren wird entschlackt, die Eigenverwaltung wird gestärkt, und das Sanierungsvorbereitungsverfahren - Stichwort: Schutzschirm - wird neu eingeführt. Der Erfolg der Sanierung erfordert jedoch eine rechtzeitige Kommunikation und eine Konsenssuche zwischen den Beteiligten: zwischen den Gläubigern und den Schuldnern, aber auch zwischen den Insolvenzgerichten und den Verwaltern. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, weil ich hier Handlungsbedarf sehe. Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses bereits bei Eingang des Schuldnerantrages ist grundsätzlich ein geeignetes Mittel, eine frühzeitige Kommunikation zwischen Gläubigern und Insolvenzgericht zu fördern. Darüber hinaus ist es zentrales Anliegen des Gesetzentwurfes, die Gläubiger frühzeitig in das Verfahren einzubinden. Vertreter der Praxis haben uns in der Anhörung darauf hingewiesen, dass die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses oft sehr aufwendig und schwerfällig ist. In dringenden Fällen kann dadurch der Erfolg, die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes und damit die Sanierung, gefährdet werden. Die verpflichtende Einberufung eines solchen Gläubigerausschusses bei einem Unternehmen mit einer Bilanzsumme und einem Umsatz von nur 2 Millionen Euro und einer Anzahl von zehn Arbeitnehmern im Jahresdurchschnitt erscheint daher im Hinblick auf unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht sachgerecht. Ich würde mir hier eine moderate Anhebung der Schwellenwerte auf etwa die Größenordnung für mittlere Kapitalunternehmen wünschen. Ergänzend könnte eine Sollvorschrift bestimmen, dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss auch dann einzurichten ist, wenn mit dem Eröffnungsantrag vom Schuldner alle erforderlichen Daten eingereicht werden. Hierzu sollten namentlich Vorschläge nebst Gruppenzuordnung sowie Einverständniserklärungen der beteiligten Personen gehören. Das würde sogar noch über die Beschleunigung im Verfahren hinausgehen und eine Mitarbeit des Schuldners vor dem Verfahren erfordern. Auch wenn angesichts des breiten und nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwungs die Folgen der Finanzund Wirtschaftskrise mehr und mehr aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten - wir haben aktuell nur noch rund 2,8 Millionen Arbeitslose -, besteht auf diesem Feld nach wie vor Handlungsbedarf. Die Wirtschaft und die Betroffenen erwarten von uns zu Recht, dass wir in diesem Parlament einen praktikablen Vorschlag machen. Darauf sollten wir in der anstehenden Beratung gemeinsam hinwirken. Chancen zur Sanierung der betroffenen Unternehmen braucht es in guten wie in schlechten Zeiten. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Ingo Egloff für die SPDFraktion. ({0})

Ingo Egloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden aus den Erfahrungen, die wir in zehnjähriger Praxis mit der novellierten Insolvenzordnung gemacht haben, Konsequenzen gezogen. Die Sachverständigenanhörung am gestrigen Tage hat deutlich gemacht, dass der Regierungsentwurf an etlichen Stellen nachgebessert werden muss. Ich denke, das muss das Ziel unserer gesetzgeberischen Tätigkeit im Rechtsausschuss und auch hier im Bundestag sein. Ziel ist, ein Insolvenzrecht zu schaffen, das zuallererst darauf setzt, Unternehmen zu erhalten und zu sanieren, deren Prognose darauf hindeutet, dass sie nach erfolgter Entschuldung oder Umschuldung weiter am Markt bestehen können. Darüber hinaus müssen wir angesichts der mittelständischen Struktur unserer Wirtschaft dafür sorgen, dass die Durchführung eines Insolvenzverfahrens von den eigentümergeführten Unternehmen nicht mehr als Makel angesehen wird. Einige meiner Vorredner haben bereits darauf hingewiesen: Die Unternehmen müssen das Insolvenzverfahren als Chance wahrnehmen, in einer schwierigen Situation durch professionelle Hilfe gegebenenfalls die Weiterexistenz des Unternehmens zu organisieren. ({0}) Es gilt - das zeichnet den Entwurf aus - den Gläubigereinfluss bei der Auswahl des Insolvenzverwalters zu stärken; das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite müssen wir verhindern - auch darauf ist von meinen Vorrednern schon hingewiesen worden -, dass bestimmte Gläubigergruppen wie Banken und Versicherungen dafür sorgen, dass Insolvenzverwalter nach ihrem Gusto bestellt werden. Wir müssen uns daher die Regelung des § 56 Abs. 3 des Entwurfes genau ansehen. Ich bin der Auffassung, dass dieser Paragraf so nicht bleiben kann, weil hier das Recht des Insolvenzrichters, einen Insolvenzverwalter abzulehnen, in einer Art und Weise eingeschränkt wird, wie es meines Erachtens nicht sachgerecht ist. ({1}) Vonseiten des Bundesrates gibt es an der Regelung im vorgesehenen § 22 a in Bezug auf die Schwellenwerte Kritik. Man kann in der Tat darüber nachdenken, ob die dort angesetzten Werte nicht zu niedrig sind. Ob allerdings, wie in der Sachverständigenanhörung gestern dargestellt, die Werte des § 267 Abs. 2 HGB der richtige Ansatzpunkt sind oder ob man nicht Werte suchen muss, die dazwischen liegen, wird Gegenstand der Beratungen im Ausschuss sein. Wir sollten darauf achten, dass wir eine sachgerechte Lösung finden. Die im Gesetzentwurf vorgesehene grundlegendste Änderung betrifft § 225 a. Hier findet in der Tat ein Paradigmenwechsel statt. Lassen Sie mich einmal in der Geschichte des Insolvenzrechts zurückgehen: Schon in den 70er-Jahren wurde unter Bundesjustizminister HansJochen Vogel eine Kommission eingesetzt, die in diese Richtung gearbeitet hat; aber bei jeder Insolvenzrechtsreform ist eine derartige Regelung abgelehnt worden. Wir müssen allerdings verhindern, dass Unternehmen in andere europäische Länder ausweichen, um die Möglichkeiten des dortigen Insolvenzverfahrens in Anspruch zu nehmen. Deswegen ist es zunächst positiv zu bewerten, dass wir diese Regelung in § 225 a vorsehen. Die Umwandlung von Forderungen in Gesellschaftsanteile kann in der Tat Vorteile haben. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird das deutlich: Durch den Wegfall von Verbindlichkeiten kann eine Überschuldung des Unternehmens beseitigt werden; gleichzeitig kann das Erlöschen von Zins- und Tilgungspflichten die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens wiederherstellen. Das kann man im Gesetzentwurf nachlesen. Die Anwendung der vorgesehenen Regelung ist dann richtig, wenn die Forderungsumwandlung mit dem Ziel verbunden ist, das Unternehmen fortzuführen und frisches Kapital einzubringen. Die Frage ist aber, ob das immer so funktioniert. Angesichts der Aspekte, die gestern in der Anhörung angesprochen worden sind, sollten wir uns im Gesetzgebungsverfahren darüber verstärkt Gedanken machen. Es gibt Beispiele aus dem angelsächsischen Raum. Als Beispiel ist die Deutsche Nickel AG genannt worden - das ist die Firma, die bei der Einführung des Euro die 1-Euro-Münzen geprägt hat -, die 2004 in die Insolvenz gegangen ist. Sie hat durch Ausweichen in den angelsächsischen Rechtsbereich versucht, die Vorteile des dortigen Verfahrens in Anspruch zu nehmen. Am Ende ist sie trotzdem in Konkurs gegangen, weil die Gläubiger, diejenigen, die die Forderungen aufgekauft haben, das Unternehmen haben hängen lassen. Das waren Fondsgesellschaften aus Amerika und England, die darauf spekuliert haben, die lukrativen Teile zu verwerten und den Rest in die Insolvenz gehen zu lassen. Dieses Verhalten kennen wir aus der Vergangenheit durch Beteiligung von Fondsgesellschaften, insbesondere amerikanischen Fondsgesellschaften, an deutschen mittelständischen Unternehmen. Deswegen lohnt es sich im Interesse der Arbeitsplätze und im Interesse der Unternehmen, darüber nachzudenken, ob wir in diesem Bereich nicht Sicherungsmechanismen einführen können und wie wir das systematisch so ausgestalten können, dass wir auf der einen Seite den Vorteil haben, dass die Unternehmen in Deutschland bleiben, und auf der anderen Seite Nachteile ausschließen können. Die gestrige Anhörung war ein guter Ansatz. Es war eine ausgesprochen sachliche Diskussion mit vielen Anregungen. Wir nehmen die Anregung der Bundesjustizministerin gerne auf, in den Ausschussberatungen weiter gemeinsam am vorliegenden Gesetzentwurf zu arbeiten, um am Ende das zu erreichen, was wir alle erreichen wollen: ein Insolvenzrecht auf der Höhe der Zeit, das seinen Zweck für die deutschen Unternehmen, für die deutsche Wirtschaft erfüllt. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Stephan Mayer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir können zunächst feststellen, dass sich unser Insolvenzrecht bewährt hat; aber wir müssen aufgrund der Erfahrungen der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise zur Kenntnis nehmen, dass unsere Insolvenzordnung in der praktischen Anwendung durchaus Defizite und Schwächen aufweist. Die Insolvenz kann, muss aber nicht das Ende eines Unternehmens bedeuten. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass viele Unternehmer bedauerlicherweise zu lange warten, bis sie mit Sanierungsmaßnahmen in ihren Unternehmen beginnen oder - wenn es ansteht - einen Insolvenzantrag stellen, und das deutsche Insolvenzverfahren teilweise zu unflexibel und zu wenig kalkulierbar ist. Dies hat - es wurde bereits angesprochen - in der Vergangenheit dazu geführt, dass Unternehmen ihren Sitz ins Ausland verlegt haben, insbesondere nach Großbritannien, um dem deutschen Insolvenzrecht bzw. dem deutschen Insolvenzverfahren zu entgehen. Dies zeigt uns, dass ein zeitgemäßes Insolvenzrecht ein wichtiger Aspekt und ein wichtiger Bestandteil eines modernen Wirtschaftsstandortes ist. Deswegen ist es richtig, dass unser Insolvenzrecht novelliert wird. Der vorliegende Gesetzentwurf beweist, dass die christlich-liberale Koalition nach wie vor - allen Unkenrufen zum Trotz - handlungsfähig ist, insbesondere im Bereich der Innen- und Rechtspolitik. Wichtig ist - das ist der entscheidende Punkt dieses Gesetzgebungsvorhabens -, dass Sanierungsmaßnahmen früher einsetzen. Insbesondere müssen die Gläubigerinteressen stärker berücksichtigt werden. Es geht auch darum, die Gläubiger zu beteiligen, wenn ansteht, den Insolvenzverwalter festzulegen. Das Ziel muss immer die Neustrukturierung bzw. Neuausrichtung des Unternehmens sein, ebenso - das sage ich ganz deutlich - die Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze. Zwei wichtige Aspekte des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfes sind, dass das Insolvenzplanverfahren ausgebaut und gestrafft wird und dass die Eigenverwaltung attraktiver gestaltet wird. Gerade von der Eigenverwaltung ist in der Vergangenheit bedauerlicherweise zu wenig Gebrauch gemacht worden. Selbst wenn die Zahlungsunfähigkeit drohte, die Gläubiger aber durchaus Vertrauen in den Unternehmer hatten und dies auch deutlich zum Ausdruck gebracht haben, haben die Insolvenzgerichte bisher zu wenig von dieser Möglichkeit der Eigenverwaltung Gebrauch gemacht. Deswegen ist es richtig, die Eigenverwaltung insgesamt attraktiver zu gestalten, in der Hoffnung, dass dann in der Praxis häufiger davon Gebrauch gemacht wird. Ich finde es sehr erfreulich, dass jetzt verpflichtend festgelegt wird, dass in jedem Gläubigerausschuss ein Arbeitnehmervertreter Sitz und Stimme hat. Das war bisher nicht der Fall. Ich glaube, man kann wirklich festhalten: Der Gesetzentwurf ist ein gelungener und ausgewogener Spagat, mit dem einerseits das berechtigte Interesse des Schuldners berücksichtigt wird, sein Unternehmen nach Möglichkeit fortzuführen, mit dem andererseits aber auch in Betracht gezogen wird, dass es berechtigte Gläubigerinteressen zu wahren gilt und dass natürlich auch jegliche Missbrauchsmöglichkeiten ausgeschlossen werden müssen. Es ist auch festzuhalten, dass der Gesetzentwurf von allen Seiten - insbesondere vonseiten der betroffenen Verbände - sehr positiv begleitet wurde. Ich bin auch sehr dankbar dafür, dass schon im Vorfeld, vor der Vorlage des Gesetzentwurfs, sehr intensiv darauf geachtet wurde, den Interessen der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltsvereins und auch des Deutschen Richterbundes Rechnung zu tragen. Dies hat auch die gestrige Sachverständigenanhörung gezeigt. Wir müssen uns jetzt im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren mit Sicherheit die Möglichkeit geben und auch die Zeit nehmen, entsprechende Änderungen vorzunehmen. Ich möchte hier zwei Dinge explizit ansprechen. Zum einen bin ich persönlich der Überzeugung, dass es richtig ist, die Schwellenwerte für die verpflichtende Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens zu erhöhen. Ich bin der Auffassung, dass dieses Insolvenzplanverfahren vor allem für größere Unternehmen Anwendung finden sollte. Wenn man die Schwellenwerte weiterhin auf dem niedrigen Niveau belässt, dann sehe ich die Gefahr, dass es in der Praxis zu zeitlichen Verzögerungen kommt, weil viele kleinere Unternehmen aus meiner Sicht für dieses verpflichtende Insolvenzplanverfahren nicht geeignet sind. Wohlgemerkt: Wenn das Insolvenzplanverfahren auf freiwilliger Basis durchgeführt wird, dann kann es natürlich durchaus auch für kleinere Unternehmen Anwendung finden. Ein zweiter wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht die Konzentration der Insolvenzgerichte. Ich möchte uns hier schon auch dazu aufrufen, uns wirklich noch einmal sehr intensiv mit der Notwendigkeit auseinanderzusetzen. ({0}) Ich sage das ganz offen: Es ist ein berechtigter Grundsatz und auch ein berechtigter Wunsch, dass die Verfahren sachdienlich gefördert und auch schneller erledigt werden. Ich persönlich bin aber auch der Überzeugung, dass es nicht unbedingt zu einer stärkeren Konzentration der Insolvenzgerichte kommen muss. Ich möchte hier auch auf die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes Bezug nehmen, der sehr deutlich zum Ausdruck bringt, dass die Erfahrung genau das Gegenteil gezeigt hat. Die Bundesländer, die von dieser Konzentrationsmöglichkeit schon bisher Gebrauch gemacht haben - Berlin, Hamburg, Sachsen -, weisen beileibe keine schnelleren Verfahrenszeiten als die BundesStephan Mayer ({1}) länder auf, die von der Konzentrationsmöglichkeit bisher noch nicht Gebrauch gemacht haben. Gerade Flächenländer wie Niedersachsen und Bayern haben, glaube ich, schon auch berechtigte Interessen, wenn es darum geht, ob die dezentrale Struktur unserer Insolvenzgerichte weiterhin aufrechterhalten werden soll. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch der Aspekt der Bürgernähe hier mit zu berücksichtigen ist. Gerade bei Verbraucherinsolvenzen geht es um Personen, die nicht vermögend sind und die größtenteils über keinen privaten PKW verfügen. Denen aufzuoktroyieren und zuzumuten, dass sie 100 bis 150 Kilometer bis zum nächsten Landgericht fahren müssen, halte ich persönlich für überzogen. Ich glaube, deswegen sollten wir uns dieses Themas noch einmal sehr intensiv annehmen. Das gilt auch für die Konzentrationswirkung bei Unternehmensinsolvenzen, weil ich der Meinung bin, dass es durchaus einen Mehrwert bieten kann, wenn der Insolvenzrichter das Unternehmen, das ins Schlingern und in Kalamitäten gerät, schon zu einem Zeitpunkt kannte, als es noch prosperierend war. Ich glaube, die Sachkunde des Insolvenzrichters ist hier ganz wichtig. Ich persönlich bin auch nicht der Auffassung, dass unsere Insolvenzgerichte und die dabei tätigen Insolvenzrichter bisher eine schlechte Arbeit geleistet haben ganz im Gegenteil. Auch wenn ein Insolvenzrichter von der Anzahl her vielleicht noch nicht so viele Insolvenzverfahren bearbeitet hat, heißt dies beileibe nicht, dass er qualitativ schlecht ist. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, wir sind bisher gut damit gefahren, dass die Insolvenzgerichte eine dezentrale Struktur haben. Dieser Punkt wäre es meines Erachtens wert, im weiteren parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung zu finden. In diesem Sinne freue ich mich auf eine intensive und konstruktive Diskussion dieses Gesetzentwurfes. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/5712 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Vereinbarte Debatte 70. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie alle kennen Vergils Aeneis, die Geschichte, nach der Aeneas mit seinen Gefährten aus dem zerstörten Troja flieht und am Ende die Küste Italiens erreicht. Der Karlsruher Kulturwissenschaftler und Philosoph Sloterdijk nimmt dieses Bild auf und sagt, Europa sei der Kontinent, auf dem die Menschen eine zweite Chance hätten. Ich finde dieses Bild wunderbar. Es trifft auch zu: nach den Katastrophen des letzten Jahrhunderts, nach all den Schreckensszenarien, nach dem Grauen, nach der Brutalität, nach der Kaltblütigkeit des Mordens, des noch nie dagewesenen Deportierens und auch Ausrottens ganzer Völkerschaften. In dieser Debatte anlässlich des 70. Jahrestages des Überfalls Hitler-Deutschlands auf die damalige Sowjetunion steht am Anfang, nicht nur weil es unvermeidlich ist, sondern weil es der Wahrheit entspricht, die Tatsache, dass der Auslöser dieses ganzen Schreckens das Naziregime war. Darum kommt kein vernünftig denkender Mensch herum. Es hat im Übrigen nicht mit dem Angriff auf die Sowjetunion begonnen, sondern schon vorher mit dem Angriff auf Polen, mit den ganzen Vorläufen des Regimes und mit dem zu späten Erkennen, auch von intellektuell anspruchsvollen Menschen, der totalitären Potenziale. Wer angefangen hat, wer das ganze Elend ausgelöst hat, ist unbestritten. Alle Versuche, aufzurechnen, was wir in vielen Diskussionen erleben, helfen dabei im Grunde genommen nicht weiter. Es ist wahr, dass uns das Leid, das über Millionen von Menschen der damaligen Sowjetunion gebracht worden ist und das hinterher in der Folge zur Vertreibung von Millionen von Menschen geführt hat, bewegt und erschüttert. Aber es kann die Verantwortung für den Beginn nicht ungeschehen machen. Es ist nicht schwer - es ist auch kein Fehler -, wenn man sich das eingesteht. Ich würde sogar sagen: Den Schrecken der eigenen Vergangenheit erkennen und das, was es anderen angetan hat, bereuen, zeigt die Reife einer Gesellschaft. Wenn wir uns weltweit umsehen, stellen wir fest: Es gibt keine Gesellschaft und kein Land, das so die eigenen Tabus aufgegriffen hätte, Gräben zugeschüttet hätte und sich selbst über seine eigene Katastrophengeschichte klar geworden ist wie Deutschland. Manche meinen vielleicht, wir hätten es bitter nötig gehabt. Wenn ich heute in den anderen Ländern die geringe Bereitschaft sehe, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen und der eigenen Gesellschaft die eigenen Fehler vorzuhalten, dann würde ich sagen, dass wir eine sehr gute Leistung vollbracht haben und zu Recht die zweite Chance in Europa verdient haben. Wir haben, so gut es geht, die Trümmer unserer eigenen Geschichte beiseitegeräumt, was auch die heutige Diskussion zeigt, die wir zum 70. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion auf die Tagesordnung gesetzt haben. Man fragt sich bei solchen Gelegenheiten, wie es eigentlich möglich gewesen ist - man wird es nie richtig begreifen -, dass im vergangenen Jahrhundert Europas Verfassungs- und Kulturgeschichte mit Renaissance und Aufklärung beiseitegewischt worden sind und die Bindung an Werte und unveräußerliche Menschenrechte geradezu ausgeschaltet wurde. Dass totalitäre Versuchungen und Potenziale nicht rechtzeitig erkannt wurden, bleibt unbegreiflich. Nach jedem Buch, das man dazu liest, und jedem Dokumentarfilm, den man sich ansieht, stellt man sich wieder die Frage, wie es nur dazu kommen konnte, und steht immer wieder vor dem Unfassbaren. Die Schreckensspur begann und endete nicht mit dem Angriff auf die damalige Sowjetunion. Es war insgesamt das totalitäre System sowohl der Nazis als auch - das füge ich hinzu - später des Stalinismus, die das Gesicht der Epoche so übel zugerichtet haben, wie es Joachim Fest treffend beschrieben hat. Es hat lange gedauert, bis der Terror dieser Ideen, Beglückungsbanner und politischen Lügen beseitigt worden ist und die Befreiung zur Realität wurde. Vaclav Havel hat das wie kein anderer für die erschöpften Menschen beider Regime und der Kriege zum Ausdruck gebracht. Er beschreibt den Versuch, in einem bescheidenen ideologiefreien Raum zu leben, der es den Menschen - so drückt er sich wörtlich aus - erlaube, auf einfache Art würdig zu leben, mit der Unvermeidbarkeit von Widersprüchen, mit der Unvollkommenheit der Welt, aber auch - so füge ich hinzu - ohne Gier nach Größe oder anderen Verheißungen als Verrechnungen für die Mühen des Alltags. Das sollte man als politisches Programm übernehmen. Wenn heute für uns in Europa die Menschenwürde als Quellcode unseres politischen Umgangs und unserer Verfassung insgesamt - nicht nur der geschriebenen gilt und wenn wir uns tagtäglich bewusst werden, dass wir in Erinnerung an die Katastrophengeschichte uns bemühen müssen, in Partnerschaft mit Russland und allen unseren europäischen Nachbarn zu leben, dann kann sich das nicht nur auf Regierungsgeschäfte konzentrieren. Wir müssen täglich ein Stück menschliches Zusammenleben organisieren. Wir müssen in einem menschlichen Miteinander leben, weil man nur dann Einflüsterungen begegnen kann, die in anderen Uniformen immer wieder auftreten werden. ({0}) Deshalb will ich zu dem Jahrestag sagen: Er sollte uns heute nicht nur veranlassen, über den Angriff nachzudenken; er sollte uns vielmehr veranlassen, auch mit Blick auf die Zukunft darüber glücklich zu sein, dass die Gefahr eines Krieges zwischen den Staaten Europas nach meiner Überzeugung heute gebannt ist. Damit wird aber noch unfassbarer, was vor 70 Jahren geschehen ist. Sich daran zu erinnern, auch wenn es nur eine Dreiviertelstunde im deutschen Parlament ist, bleibt notwendig. Wir müssen uns jeden Tag vergewissern, was zu tun ist, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der 22. Juni wäre prädestiniert als ein trauriger Gedenktag für eines der düstersten Kapitel der deutschen Geschichte. Dieser Tag erinnert uns daran, dass von ihm vor genau 70 Jahren unendliches Leid ausging, begleitet von schwer begreifbaren Verbrechen. Der Krieg gegen die Sowjetunion war ein rassistischer Vernichtungskrieg. Er sollte für die Deutschen Lebensraum im Osten erobern, die angebliche Judenherrschaft in Russland brechen und die minderwertige slawische Rasse dezimieren und hinter den Ural verdrängen. Die Verbrechen verteilen sich auf die vier Jahre zwischen 1941 und 1945, vom Anfang bis zum Ende. Ihr Ausmaß wird in Zahlen festgehalten, die unsere Vorstellungskraft überfordern: 27 Millionen getötete Menschen in dem überfallenen Land, davon 14 Millionen Zivilisten. Das bedeutete mindestens einen Trauerfall in praktisch jeder Familie. Hinter diesen Zahlen verbergen sich unauslöschliche Erinnerungsbilder von traumatischen Erlebnissen. Dazu gehören die sofortige Erschießung aller gefangen genommenen Politoffiziere der Sowjetarmee nach dem sogenannten Kommissarbefehl, der mindestens 7 000 Opfer forderte, die grausame, auf Vernichtung zielende Behandlung von 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen fast 60 Prozent ihre Gefangenschaft nicht überlebten, und die systematische Liquidierung von 2,5 Millionen Juden in den eroberten Gebieten. Im Zuge dieser rassenideologischen Vernichtungspolitik wurden schon ab August 1941 ganze Gemeinden ausgelöscht. Die Schlucht von Babi Jar bei Kiew, in der allein am 29. und 30. September 1941 33 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder erschossen wurden, steht als ein Erinnerungsort für Hunderte anderer. Dazu gehören auch der Versuch, im Winter 1941/42 das eingeschlossene Leningrad, die zweitgrößte Stadt der Sowjetunion, schlicht verhungern zu lassen, mit mindestens 800 000 Toten in den 900 Tagen der Belagerung, die Verschleppung von 2,8 Millionen Sowjetbürgern als Zwangsarbeiter und ihre rücksichtslose und erniedrigende Behandlung und dann, während des Rückzugs, die Politik der verbrannten Erde, der ganze Dörfer, Städte, Kulturlandschaften und wiederum Millionen von Zivilisten zum Opfer fielen. Wenn wir heute hier im Deutschen Bundestag an den 22. Juni 1941 erinnern, von dem all dies grausame Geschehen ausging, dann bewegen wir uns auf dem Boden gesicherter Erkenntnisse der Wissenschaft mit vielen Beiträgen auch von deutschen und russischen Historikern. Das war nicht immer so. Nach 1945 ist alles, was mit dem Unternehmen Barbarossa zusammenhing, lange Zeit verdrängt oder verfälscht worden. Es hat lange Zeit gedauert, bis die sogenannte Präventivkriegsthese als Lüge entlarvt und widerlegt wurde. Es hat auch lange gedauert, bis die Legende von der sauberen Wehrmacht korrigiert werden konnte. Das geschah in der breiten Öffentlichkeit erst mit der berühmten Wehrmachtsausstellung nach 1995. Über mehrere Jahrzehnte hinweg schuf der Kalte Krieg für viele ehemalige Täter und Mittäter eine willkommene Legimitation, die alten Feindbilder zu konservieren und dabei von der eigenen Mitverantwortung für die Verbrechen des Krieges gegen die Sowjetunion abzulenken. Eine überzeugende Aufarbeitung der Geschichte schafft die Voraussetzungen für eine angemessene Erinnerungskultur. Diese Voraussetzungen bestehen heute. Die Erinnerung aber mit Leben zu füllen, das ist eine Herausforderung, der sich jede Generation von neuem stellen muss. ({0}) Wenn wir das heute versuchen, müssen wir eigentlich zunächst über ein Wunder sprechen, das Wunder nämlich, dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland nach all diesen Traumata der Jahre 1941 bis 1945 über die Jahrzehnte hinweg so positiv entwickelt haben. Wir bezeichnen uns heute wechselseitig als strategische Partner. Umfragen zeigen, dass die übergroße Mehrheit der russischen Bevölkerung ein positives Deutschlandbild pflegt. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren beiden Ländern entwickeln sich gut. Große Erwartungen knüpfen sich an das Projekt der Modernisierungspartnerschaft. Es bestehen über hundert deutsch-russische Städtepartnerschaften. Seit 2001 bemüht sich der Petersburger Dialog, die Zivilgesellschaften beider Länder näherzubringen. Auch in den Kulturbeziehungen haben wir viele Aktivitäten, vom Jugendaustausch über das gerade angelaufene deutschrussische Wirtschaftsjahr bis zu dem für 2012 vorgesehenen Deutschlandjahr in Russland und dem Russlandjahr in Deutschland. Wenn man sich überlegt, dass es tatsächlich in praktisch jeder russischen Familie ein Kriegsopfer gab, dass noch immer am 9. Mai, dem eigentlichen russischen Nationalfeiertag, der Sieg über Hitler-Deutschland gefeiert wird und an diesem Tag die Veteranen mit ihren Ordensbrüsten das Stadtbild bestimmen und dass all diese schrecklichen Ereignisse, die niemand vergessen kann, von Deutschland ausgingen, dann kann man das real existierende dynamische und positive deutsch-russische Verhältnis von heute nur als Wunder bezeichnen und Dankbarkeit dafür empfinden. ({1}) Aber es gibt zum 70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion auch von Schattenseiten zu berichten. Sie betreffen die Aufarbeitung des Unrechts, die Entschädigung der Opfer und die Vollständigkeit der Erinnerungsarbeit. Ich spreche hierbei von Opfergruppen, die bisher zu wenig gewürdigt wurden. Hier stößt man an erster Stelle auf das Schicksal der 5,7 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener, die in doppelter Weise einem grausamen Schicksal unterworfen waren. Ihre Behandlung im deutschen Gewahrsam führte zu der entsetzlich hohen, von mir schon genannten Verlustquote von annähernd 60 Prozent, während die Quote zum Beispiel für Kriegsgefangene aus westlichen Ländern 3,5 Prozent an Opfern nicht überstieg. Die Russen, die ihre Kriegsgefangenschaft überlebten, fanden zu Hause zunächst einmal für lange Zeit Ächtung, Ausgrenzung, ja, in vielen Fällen sogar eine Fortsetzung von Lagerhaft in dem System des stalinistischen Gulag vor. Es dauerte bis zum 24. Januar 1995, bis Präsident Jelzin ein Dekret zur Wiederherstellung der gesetzmäßigen Rechte der russischen Kriegsgefangenen unterzeichnete, wodurch sie wenigstens den Status von Kriegsteilnehmern erhielten und ihre negative Sonderstellung in der Gesellschaft beendet wurde. Aber die ehemaligen Kriegsgefangenen erhielten weder Zugang zu den 1991 und 1993 eingerichteten Stiftungen in Moskau, Kiew, Minsk und Warschau, in die Deutschland 766 Millionen Euro zur Weitergabe an Opfer des Nationalsozialismus einzahlte, noch zu der im Jahr 2000 gegründeten Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die zwischen 2001 und 2007 Auszahlungen in Höhe von 4,4 Milliarden Euro an 1,6 Millionen Opfer in 100 verschiedenen Ländern vornahm, hauptsächlich an Menschen, die als Zwangsarbeiter für Deutschland gelitten hatten, ausdrücklich aber nicht an die Kriegsgefangenen, deren Leistungsberechtigung in § 11 der Stiftungssatzung ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Immer wieder wird völkerrechtlich darauf verwiesen, dass Kriegsgefangene eben Opfer des sogenannten allgemeinen Kriegsschicksals seien und dass ihre Entschädigung insofern Sache ihrer Herkunftsländer sei, die dafür Mittel aus Reparationszahlungen nutzen müssten. Aber trifft diese Einordnung ins allgemeine Kriegsschicksal tatsächlich auf die sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand zu, auf Menschen, die in Güter- und Viehwaggons transportiert wurden, die häufig und auch zu Winterzeiten im Freien untergebracht wurden und die in den berüchtigten Mannschaftslagern, in den Stalags, von völlig unzureichender Ernährung, von Hunger, schwerster Zwangsarbeit sowie Krankheiten und Seuchen in so erschreckend großer Zahl dezimiert wurden? Längst ist erwiesen, dass sich die Unterscheidung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen auf der einen Seite und Kriegsgefangenen auf der anderen Seite so nicht aufrechterhalten lässt. Das wird auch durch drei neuere Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages aus den Jahren 2010 und 2011 bestätigt, die im Zusammenhang mit einer Petition in Sachen Entschädigung der Kriegsgefangenen erstellt worden sind. Diese Petition liegt dem Deutschen Bundestag seit September 2006, also seit jetzt annähernd fünf Jahren, vor und wurde bis heute nicht abgeschlossen. Eingereicht hat sie die Organisation KONTAKTE-KOHTAKTbl, die sich in bewunderungs- und unterstützungswürdiger Weise der noch lebenden ehemaligen Kriegsgefangenen annimmt. Ich finde, das ist ein Grund, auch einmal von diesem Haus aus einen herzlichen Dank an diese engagierten Zeitgenossen zu sagen. ({2}) Die Leute von KONTAKTE zahlen aus privaten Stiftungsgeldern Einmalsummen von 300 Euro an die Betroffenen aus und übersenden dieses Geld verbunden mit einem persönlichen Anschreiben. Es ist berührend, wenn man sieht, wie häufig auf diese eher symbolische Anerkennung des Leidens ausführliche Dankschreiben zurückkommen. Es ist wirklich Zeit, zu versuchen, hier zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Wir können dieses Thema nicht allein engagierten Privatpersonen überlassen oder gar auf die bevorstehende biologische Erledigung setzen. Wir sollten einen gemeinsamen Weg finden und uns gerade durch den 70. Jahrestag des 22. Juni 1941 dazu mahnen lassen, zumindest einen Weg für eine Geste des Bedauerns und der Anerkennung des Leids der vergessenen Opfer des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion zu finden. Dass zu diesen die 14 Millionen Zivilopfer, aber eben auch die über 3 Millionen umgekommenen Kriegsgefangenen gehören, daran hat uns gerade wieder ein Appell von Aktion Sühnezeichen zusammen mit vier weiteren Organisationen eindringlich gemahnt; das Memorandum trägt den Titel „Aus dem Schatten der Erinnerung“. Es wäre gut - damit möchte ich schließen -, wenn unsere heutige Debatte uns alle motivierte, es nicht weiter zuzulassen, dass wir auch 70 Jahre nach dem 22. Juni 1941 noch von vergessenen Opfern in diesem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion sprechen müssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Michael Glos das Wort. ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich habe sehr viele Debatten in diesem Hohen Hause erlebt. Aber dies ist eine der berührendsten Debatten, der ich jemals beiwohnte und in der ich das Wort ergreifen durfte. Es ist vor allen Dingen spürbar, wie sich alle Seiten dieses Hauses einig sind. Wir gedenken heute des 22. Juni 1941. An jenem Tag vor 70 Jahren überschritten die deutschen Truppen die Grenze der damaligen Sowjetunion und lösten mit diesem Überfall eine beispiellose Serie von Gewalt aus, die dann auch zu Gegengewalt führen musste. Kollege Wolfgang Gerhardt hat die Vorgeschichte geschildert und deutlich gemacht, dass wir an der Geisteshaltung festhalten müssen, zu sagen, nie mehr dürften Krieg, Unrecht, Faschismus usw. die Oberhand gewinnen. Es war auch sehr berührend, was der Herr Kollege Erler an Schrecken geschildert hat. Ich zitiere Helmut Kohl, den Kanzler der deutschen Einheit, der bereits 1995 in Moskau erklärt hat: Die historische Verantwortung bleibt: Das nationalsozialistische Regime in Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg entfesselt. Es hat den Vernichtungsfeldzug … geplant und begangen. Der heutige Tag ist ein Tag der Erinnerung an Schrecken, Leid und Vernichtung. Voller Schmerz und Trauer gedenken wir all der Opfer dieses furchtbaren Krieges und vor allen Dingen des Rassenwahns des Naziregimes. Es ist dann aber auch ein Grund, da wir das alles nicht wiedergutmachen können, nach vorne zu blicken. Vor dem Hintergrund menschenverachtender Ideologien wurde dieser grausame Vernichtungskrieg ausgelöst, dessen Schrecken hier zu beschreiben mir nicht möglich ist. Herr Kollege Erler hat einen Versuch gemacht. Aber ich glaube, die ganzen Schrecken und Leiden können wir, die Generation danach, uns nicht vorstellen. Erfreulich ist, dass Russland und Deutschland, aber auch die Länder, die zur ehemaligen Sowjetunion gehört haben, zusammen einen langen Weg der Versöhnung zurückgelegt haben. Im vergangenen Jahr feierten wir gemeinsam den 20. Jahrestag der Überwindung der deutschen Teilung, die ebenfalls eine direkte Folge des schrecklichen Zweiten Weltkriegs gewesen ist. Unsere russischen Freunde - ich war letzte Woche in Moskau - sprechen vom Großen Vaterländischen Krieg und sind stolz darauf, dass sie diesen Vaterländischen Krieg überstanden und gewonnen haben. Auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel war schon bei Siegesparaden in Moskau. Das ist etwas, was nicht vom ganzen deutschen Volk sofort verstanden worden ist. Ich halte diese Geste der Bundeskanzlerin für sehr berechtigt. Trotz der schmerzhaften Erinnerungen an die Leiden der Kriegsjahre begegnen sich Russen und Deutsche inzwischen - das haben, glaube ich, die allermeisten von uns schon gespürt - sehr offen und in aufrichtiger Freundschaft und Zuneigung. Die wirtschaftlichen Beziehungen, die Verflechtungen wachsen stetig. Ich halte das für ungeheuer wichtig. Russland ist heute unser wichtigster Energielieferant, ich kann sagen: unser wichtigster Energiepartner. Wir müssen alles dafür tun, dass nicht nur Russland und Deutschland, sondern auch Russland und Europa noch stärker als in der Vergangenheit zusammenwachsen. Ich habe vor einer stärkeren Abhängigkeit von Russland - davor wird immer wieder gewarnt - überhaupt keine Angst. Im Gegenteil: Ich möchte, dass die Zusammenarbeit in Zukunft noch stärker wird. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Russland eines Tages Mitglied der Europäischen Union wird. Ich glaube, das wäre zum Vorteil beider Seiten. Wir müssen Schritt für Schritt an dieser Aufgabe arbeiten. Ziel unserer Politik muss auch sein, dass zwischen den Menschen, vor allen Dingen in Russland und in Deutschland, dauerhaft Friede und Freundschaft gewährt sind. Und Freundschaft schafft Frieden. Nichtsdestotrotz ist dieser Tag eine stete Mahnung. Der 70. Jahrestag des Überfalls Hitlerdeutschlands gibt Anlass zu Trauer, Erinnerung, aber auch zu hoffnungsvollen Ausblicken auf die Zukunft. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh darüber, dass es in diesem Hause möglich geworden ist, dass sich alle Fraktionen auf diese Debatte geeinigt haben. Ich finde, es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass man auch in diesen Fragen gemeinsam nachdenkt, gemeinsame Verantwortung hat und gemeinsame Botschaften abgeben kann. Ich würde mich freuen, wenn diese Botschaften auch in Russland - in Moskau, in der Duma und bei den Menschen - aufgenommen werden. Das ist der Gestus, mit dem wir hier diskutieren und der uns über die Fraktionsgrenzen hinweg verbindet. Die Dramatik dieses Verbrechens, dieses rassistischen Vernichtungskrieges, der Vernichtung von Millionen Menschen - Leid, Dreck, Elend, Blut, Not: all das ist von Deutschland ausgegangen -, kann man sich heute nur mit dem Versprechen in Erinnerung rufen: So etwas darf nie wieder eintreten. Die Botschaft nach 1945 - auch aus Deutschland, mit Blick auf Buchenwald und auf die befreiten Konzentrationslager - war: Nie wieder Faschismus und nie wieder Krieg. Diese Botschaft verbindet, und diese Botschaft gilt weiterhin. Ich glaube, sie muss von uns immer wieder vorgetragen werden. ({0}) Ich möchte ein paar Zeilen aus einem Gedicht von Jewgenij Jewtuschenko, das ich mit einer großen inneren Bewegung gelesen habe, zitieren - er hat es 1961, also vor 50 Jahren, geschrieben; es behandelt die nächste Etappe, die Etappe des Kalten Krieges; dieses Gedicht hat folgende prägende Zeilen -: Meinst du, die Russen wollen Krieg? … Dort, wo er liegt in seinem Grab, den russischen Soldaten frag! Sein Sohn dir drauf Antwort gibt: Meinst du, die Russen woll’n … Krieg? Ich glaube, dass sich viele diese Frage gestellt haben, auch in unserem Lande. Diese Frage ist Gott sei Dank in einer völligen Klarheit der Erkenntnisse beantwortet worden: Weder die Russen wollen Krieg, noch die Deutschen wollen Krieg, noch Europa will Krieg. Krieg muss aus der Geschichte der Völker verbannt werden. ({1}) Ich finde, dieses Gedicht ist gewaltig. Es bewegt mich sehr. Ich möchte diesen Gedanken aufnehmen und fortführen mit einer Überlegung zu dem, was für mich der nächste Einschnitt in der Geschichte der Republik West gewesen ist, ein sehr bedeutsamer Einschnitt: die Rede, die der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages gehalten hat. Das war ein großer Einschnitt. Das war eine große Rede. Sie lässt sich in einem Grundgedanken zusammenführen - ich zitiere von Weizsäcker -: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. … Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg. Diese Rede von Weizsäckers - der 8. Mai als Tag der Befreiung und nicht als Tag der Niederlage - hat in Deutschland West, in Gesamtdeutschland eine Wende des Denkens eingeleitet. Es war eine sehr wichtige Rede, eine wichtige Feststellung, die quer durch alle Fraktionen getragen werden kann. Ich will Ihnen eine zweite Überlegung vortragen, und zwar aus einem Buch, das mich sehr bewegt. Es ist von Arno Lustiger, einem jüdischen Überlebenden der KZ Auschwitz und Buchenwald. Er hat ein bewegendes Buch über die Verbrechen Stalins an den Jüdinnen und Juden geschrieben. Er kommt darin zu dem Urteil: … ist es unerlässlich, der Millionen sowjetischer Soldaten zu gedenken, die im Kampf gegen Hitlerdeutschland gefallen sind oder in der Gefangenschaft ermordet wurden. Ohne ihr Opfer wäre die Welt verloren; sie haben uns vor der Herrschaft des mörderischen Nazismus gerettet. Das schreibt Arno Lustiger in seinem Buch. Dieser Botschaft eines unmittelbar Betroffenen kann man sich als Parlament, als Deutscher Bundestag, nur anschließen. ({2}) Wir haben uns zu bedanken. Wir haben das zu achten, was hier passiert ist und was geleistet worden ist. Ich möchte sehr gern, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, wie man in Europa ein gesichertes System des Friedens immer weiter ausbauen kann - das geht nicht ohne Russland - und wie wir in Europa bessere persönliche Beziehungen schaffen. Ich würde mir wünschen, dass wir die Frage der Visafreiheit gegenüber Russland endlich klären, und zwar hier im Parlament gemeinsam klären. ({3}) Ich möchte mir wünschen, dass wir eine Art und Weise der wirtschaftlichen Beziehungen und der sozialen Sicherheit entwickeln, bei der man bereit ist, voneinander zu lernen. Ich möchte mir wünschen, dass Kultur, Kunst und Literatur uns verbinden. Da können wir unendlich viel lernen. Wenn wir in diesem Sinne, bei allem Streit und allen Widersprüchen hier im Parlament, wieder ein Stück weit Gemeinsamkeiten finden, wäre ich dafür dankbar. Der Kalte Krieg ist zu Ende, und wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass er endgültig überwunden wird. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass die Initiative unserer Fraktion für diese Debatte zu einer so einmütigen Atmosphäre führt. Für uns alle - das haben Sie richtig beschrieben, Herr Gehrcke ist im Rückblick der 8. Mai der Tag der Befreiung. Wir verdanken das den Soldaten aus den Völkern der Sowjetunion genauso wie unseren amerikanischen, britischen und französischen Freunden, die uns befreit haben von der Hitler-Diktatur, welche - das sollte man auch immer dazusagen - das deutsche Volk zu verantworten hatte. Die dafür Verantwortlichen waren keine Fremden, die zu uns gekommen sind; sie kamen aus der Mitte des Volkes, und sie hatten leider auch große Unterstützung in unserem Volk. Am 22. Juni 1941 begann mit dem Überfall auf die Sowjetunion das schlimmste Kapitel in dem schrecklichen Kapitel des Zweiten Weltkrieges: ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, der nicht nur darauf abzielte, einen Krieg zu gewinnen, Territorium zu gewinnen, sondern auch darauf, die Menschen, die in diesem Land lebten, zu vernichten, zu dezimieren, zu liquidieren. Das sieht man ganz deutlich an den Worten, die Hitler schon im Frühjahr 1941 sprach: „Die jüdisch-bolschewistische Intelligenz als bisheriger Unterdrücker muss beseitigt werden“. Das sieht man auch, wenn man die Worte des Reichslandwirtschaftsministeriums zur Belagerung von Leningrad liest, wo es darum ging, 5 Millionen Menschen auszuhungern, damit die gewonnenen Lebensmittel dem deutschen Volk zur Verfügung stehen sollten. Es ging darum, die Völker der Sowjetunion - die Russen, die Ukrainer, die Weißrussen - zu vernichten. Wir sollten uns an diesem Tag vor den Opfern verneigen und vielleicht auch darüber nachdenken, ob wir den Opfern nicht eine würdigere Form des Gedenkens an diesen Tag und an diese schlimmen Verbrechen schuldig sind. In Berlin gibt es das Sowjetische Ehrenmal für die Krieger, für die Befreier. Es gibt aber keinen Ort und auch keine feste Stunde für das Gedenken an alle sowjetischen Kriegsopfer. An einem solchen Tag sollte man über die offenen Fragen des Gedenkens reden. Dazu gehört für mich ganz entscheidend die Frage der überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen. Denn in der Tat - Herr Erler hat das völlig richtig beschrieben -: Sie fielen aus allen Rastern heraus. Nach ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft wurden sie in der Sowjetunion diskriminiert, als potenzielle Vaterlandsverräter verachtet und von den Entschädigungen ausgeschlossen. Von uns wurden sie nicht als Zwangsarbeiter - weil Soldaten - betrachtet. Sie wurden auch von den Entschädigungswerken, die wir nach 1990 mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag und den entsprechenden Versöhnungsstiftungen - wie mit der Zwangsarbeiterstiftung - ins Werk gesetzt haben, am Ende nicht berücksichtigt. Es gibt noch 7 000 bis 8 000 Überlebende aus dieser Gruppe. Manche von ihnen kamen in die Konzentrationslager. Andere kamen ins sogenannte Russenlager. Die Sterblichkeitsrate in beiden Lagern war die gleiche. Deshalb sollten wir uns bei aller Einigkeit fragen - da spreche ich Sie an, Herr Glos; denn Sie haben in der Debatte diese Einigkeit ja festgestellt -, ob wir nicht über die Fraktions- und Parteigrenzen hinaus eine Geste ins Werk setzen, um diesen Menschen zu helfen. Damit können wir zugleich deutlich machen, dass wir das Unrecht als Unrecht der Deutschen sehen und uns dazu verpflichtet fühlen, für diese Menschen etwas zu tun. Es geht nicht darum, mit ihnen über Reparationsrecht und dergleichen Fragen zu reden, sondern ihnen im Angesicht der Geschichte konkret zu helfen. ({0}) Meine Damen und Herren, Patrick Desbois hat in seinem Buch über den vergessenen Holocaust - die Ermordung der ukrainischen Juden - gesagt: Ein Krieg ist erst vorbei, wenn die letzten Opfer beerdigt sind. - Ich bin froh, dass die Bundesregierung eine Initiative von dem Kollegen Jerzy Montag und mir zur Unterstützung eines Gedankens des American Jewish Committee aufgegriffen hat, wonach man damit beginnt, die Massengräber der ermordeten Juden in der ehemaligen Sowjetunion - also in der Ukraine, in Russland und in Weißrussland als würdige Gedächtnis- und Begräbnisstätten herzurichten. Wenn die Täter - die Mitglieder des SD und der SS -, die die Morde begangen haben, im Krieg gefallen sind, wurden sie nach Deutschland zurückgebracht, bekamen dort Ehrengräber oder sind auf den Soldatenfriedhöfen beerdigt worden. Aber die Opfer der ersten Massenerschießungen, die den Beginn der systematischen Ermordung der Juden Europas bedeuten, sind oftmals an Orten verscharrt worden, die man nicht als Begräbnisstätten erkennen kann und die der Vergessenheit anheimfallen. Ich finde, wir sollten eine solche Initiative verstärken, damit diese Taten nicht in Vergessenheit geraten. Das ist unsere Aufgabe, die Aufgabe der Deutschen, und nicht Volker Beck ({1}) die Aufgabe der Völker, auf deren Territorium diese Verbrechen verübt wurden. Das ist meines Erachtens eine weitere Konsequenz aus dieser Gedenkdebatte. Ich wünsche mir, dass wir uns zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion in einem angemesseneren, protokollarisch würdigeren Rahmen daran erinnern. Ich glaube, das sind wir den Russen, den Ukrainern und den Weißrussen sowie den Menschen aus den zentralasiatischen Staaten, die an diesem Krieg ebenfalls als Soldaten beteiligt waren, einfach schuldig. Deshalb sollten wir uns nach dieser Debatte interfraktionell über dieses Thema noch weiter austauschen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 22. Juni 1941 eröffnete das Deutsche Reich auf breitester Front zwischen der Ostsee und den Karpaten den Krieg gegen eine offensichtlich überraschte Sowjetunion. Damals zog Hitler in seiner Wehrmacht eine unvorstellbar große Militärmacht für den sogenannten Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus zusammen: 153 Divisionen mit knapp über 3 Millionen Soldaten, 3 600 Panzern und 600 000 Motorradfahrzeugen standen zur Verfügung. Hinzu kamen weitere 600 000 Mann aus damals verbündeten Staaten. Es war ein von langer Hand geplanter Überfall auf die Sowjetunion mit dem Hintergedanken, einen ideologischen Weltanschauungskrieg und rassenbiologischen Vernichtungskrieg zu führen. Im Vordergrund standen die Eroberung von Lebensraum im Osten sowie - es wurde eben schon gesagt - die Vernichtung der Sowjetunion. Es ist unbestritten - da ist die Geschichtsschreibung heute Gott sei Dank eindeutig -, dass mit dem Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 die sofortige Liquidierung von gefangenen kommunistischen Kommissaren der Roten Armee angeordnet worden ist. Damit ist klar, dass dies keine normale militärische Auseinandersetzung war, sondern damit weitere Ziele Hitlers von Anfang an verbunden waren. Kein Land in Europa hat im Zweiten Weltkrieg einen so hohen Preis gezahlt: Offizielle russische Angaben gehen von 27 Millionen Opfern aus. Die Gegenreaktion, die schrecklichen Verbrechen der Roten Armee an Deutschen, sind nicht mit der Ursache zu verwechseln, nämlich mit dem Vernichtungszug der Wehrmacht, der von Anfang an zu erheblichen Opfern in der russischen Zivilbevölkerung geführt hat. Der 22. Juni 1941 markiert den Tiefpunkt der fast tausendjährigen gemeinsamen Geschichte beider Völker. Ich bin froh, dass in der heutigen Debatte in jeder Rede auch die positiven Seiten zum Ausdruck gekommen sind. Wir haben eine positive Grundstimmung gegenüber Russland. Die gemeinsame Geschichte umfasst ein großartiges Fundament der Kultur; hier haben wir viele Dinge gemeinsam erreicht. Beispielsweise wurde die WolgaSteppe schon früh von schwäbischen und pfälzischen Bauern beackert. Deutsche Handwerker, Hoflieferanten, Kaufleute zogen nach Russland. Zwischen 1692 und 1695 waren es sogar deutsche Diplomaten, die Russland auf einer wichtigen und erstmaligen Mission in China vertraten - der Reisebericht ist sehr empfehlenswert und damit diese neue Welt erschlossen haben. Wenn man sich die gemeinsame Geschichte anschaut - angefangen bei von Clausewitz, der gemeinsam mit Russen gekämpft hat, bis zu Katharina der Großen -, dann ist dieser Zivilisationsbruch im Zweiten Weltkrieg, der sich insbesondere gegen Russland gerichtet hat, umso unverständlicher; er stellt einen Bruch in der langen gemeinsamen Geschichte dar. Heute blicken wir auf eine Zeit zurück, die von Frieden und gemeinsamen Anstrengungen, um diesen Frieden zu erhalten und die Partnerschaft und Freundschaft zu stärken, geprägt ist. In einem Jubiläumsmarathon im vergangenen Jahr - 65 Jahre Kriegsende, 40 Jahre Ostverträge, 35 Jahre OSZE-Akte, 25 Jahre Perestroika und 20 Jahre deutsche Wiedervereinigung - richtet sich der Blick weniger in die Vergangenheit, selbst wenn die heutige Debatte auch genutzt worden ist, um noch offene Fragen anzusprechen, deren Klärung wir uns annehmen wollen; ich stimme zu, dass wir die Klärung der Fragen gemeinsam angehen sollten. Der Blick richtet sich vielmehr auch in die Zukunft. Herr Gehrcke, Sie haben gesagt, wir müssten versuchen, den Kalten Krieg endgültig zu überwinden. Gerade was viele Vorurteile gegenüber Russland angeht, haben wir tatsächlich noch einige Arbeit vor uns. Wir sollten mit dieser Debatte beginnen, diese Arbeit anzugehen. Dafür sollten wir alles tun. ({0}) Unsere politischen Initiativen mit Russland sind fortzuführen. Sie sind nicht auf den wirtschaftlichen Bereich zu begrenzen. Michael Glos hat die Energiepartnerschaft angesprochen; das ist ein weites Feld. Wir sollten versuchen, aus den wirtschaftlichen Initiativen - ich denke beispielsweise daran, dass Ministerpräsident Putin im vergangenen November in Deutschland die Einrichtung einer Freihandelszone von Lissanon bis Wladiwostok angesprochen hat - auch in politischer Hinsicht etwas zu machen. Wir sollten es nicht bei der wirtschaftlichen Kooperation belassen, sondern versuchen, auf Basis unserer gemeinsamen kulturellen und politischen Geschichte mehr zu erreichen. Auf Basis der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit können wir jedoch gemeinsam auch außenpolitisch viel schaffen. ({1}) Russland ist heute einer unserer wichtigsten Partner. Viele Konflikte, die zum außenpolitischen Alltag gehören - ich denke an den Iran-Konflikt, an den Konflikt im Nahen Osten, an Konflikte in Zentralasien oder an Frozen Conflicts -, sind nur zu lösen, wenn wir gemeinsam mit Russland aktiv sind und eine gemeinsame außenpolitische Konzeption erarbeiten. Deshalb richte ich den Blick auch heute optimistisch in die Zukunft. Trotz der schrecklichen Verbrechen, die im deutschen Namen von Deutschen am russischen Volk begangen wurden, treffen wir auf eine junge Generation in Russland, die uns vorurteilsfrei als privilegierten Partner ansieht und über die wirtschaftliche Kooperation mit uns gemeinsam viel erreichen will. Darum werbe ich auch im Namen meiner Generation dafür, dass wir diese Chance nutzen. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Peter Beyer hat nun für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“. - Jeden Tag laufen wir Parlamentarier an dieser mahnenden Inschrift in der Wandelhalle des Reichstagsgebäudes vorbei. Das kyrillische Graffiti gehörte zu den Kraftausdrücken der sowjetischen Besatzer, die 1945 ihr rotes Siegesbanner auf diesem Gebäude hissten. Zorn und Hass sind es, die uns aus den wenigen noch verbliebenen Lebenszeichen an den Wänden entgegenschlagen. Man entschied sich bei den Renovierungsarbeiten nach Rücksprache mit dem damaligen russischen Botschafter, eine Vielzahl der Inschriften und Lebenszeichen der Besatzer zu entfernen. Die Argumentation lautete damals: Die Sprüche könnten die deutsch-russische Freundschaft stören. Mit dem Wissen um das Leid, das Nazideutschland säte, sind diese Graffiti nur zu verständlich. „Aus dem Kessel bis nach Berlin“, steht an einer Stelle im Umgang des Plenarbereichs. Generalfeldmarschall von Reichenau befahl 1941 die totale Vernichtung des Sowjetstaates. Das war die Losung des „Unternehmens Barbarossa“. Am 22. Juni 2011 jährte sich zum 70. Mal der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion - der Anlass für unsere heutige Debatte. Zwar hatte HitlerDeutschland die Apokalypse des Zweiten Weltkrieges längst begonnen, dennoch markiert der 22. Juni 1941 eine neuerliche Zäsur mit dem Beginn unvorstellbaren Leids. Das Unheil, die Verbrechen und die Opferzahlen sind auch heute nur schwer zu begreifen. An diesem Tag wurden Grenzen überschritten - in jeder Hinsicht. Es folgte ein rassenideologischer Vernichtungs-, Versklavungs- und Eroberungskrieg mit Massenerschießungen, Deportationen und Hungerpolitik - eine Volkskatastrophe. Hitler säte Leid und Qualen. Seine Ernte: verbrannte Erde, Hunger und Tod, kurzum: ein Weltbrand. Über die Bedeutung und Einordung des 8. Mai 1945, des Kriegsendes, ist viel gesagt und geschrieben worden. Dem totalen Krieg folgte die totale Niederlage, und danach erst, wie es Richard von Weizsäcker 1985 kritisierte, die Einordnung der Niederlage als Bedingung für Befreiung und Freiheit. Es bleibt mithin unsere Aufgabe, für uns und künftige Generationen das Gedenken an dieses Datum wachzuhalten und die Lehren aus diesem dunklen Kapitel zu ziehen, wohl wissend, dass das Leid selbst mit dem Kriegsende 1945 nicht aufhörte, weder für die Balten, für die Menschen in weiten Teilen Osteuropas, für die aus ihrer Heimat Vertriebenen noch für die Russen selbst, die unter den Verbrechen Stalins, den Gulags, wahrscheinlich am meisten gelitten haben. Die Kriegserinnerungen verbinden Deutschland und Russland bis zum heutigen Tag. „Wer Erinnerung sät, wird Zukunft ernten.“ Ein Zeugnis des Gedenkens sind die zahllosen Kriegsgräber. Die Pflege der Kriegsgräber ist eine wichtige Aufgabe. Sie halten die Mahnung des 22. Juni 1941 ebenso lebendig wie zum Beispiel Ausstellungen über die Schicksale der Zwangsarbeiter, die es heute in Deutschland und Russland in Gedenkstätten sowie Museen gibt. Vor eineinhalb Jahren rief eine internationale Initiative, die übrigens auch vonseiten der Union tatkräftig unterstützt wurde, dazu auf, Tausende vergessene Holocaust-Massengräber in Osteuropa als würdige Gedenkstätten zu schützen. Dieser Aufruf, der mehr als 1,5 Millionen osteuropäischen Juden, die zwischen 1941 und 1943 von NS-Einsatztruppen, Wehrmachts- und Polizeieinheiten erschossen und in Gruben verscharrt wurden, zu gedenken und ihnen ihre Würde zurückzugeben, zeigt Wirkung. Die Initiative wird federführend vom Berliner Büro des American Jewish Committee koordiniert und auch von der Bundesregierung unterstützt. Heute muss es uns besonders um die weitere Förderung und Intensivierung des zivilgesellschaftlichen Dialogs gehen. Erst kürzlich hatte ich die Gelegenheit, an der XI. Deutsch-Russischen Städtepartnerkonferenz teilzunehmen. Bundespräsident Christian Wulff würdigte die Kooperationen zwischen deutschen und russischen Kommunen ausdrücklich, als er die Repräsentanten aus rund 70 deutschen und 50 russischen Städten im Schloss Bellevue begrüßte. „Ernten, was man sät.“ 70 Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion sprechen beide Seiten von einer verlässlichen Partnerschaft mit dichten wirtschaftlichen Verflechtungen, Investitionen und bilateralem Handel. Die Erinnerung an das Bild einer umfassenden Katastrophe, wie es Bundespräsident Roman Herzog zeichnete, lässt denPeter Beyer noch keinen Zweifel an der Verantwortung der Deutschen für begangenes Unrecht, aber ebenso wenig an ihrer festen Entschlossenheit, als wichtigste Lehre aus der Geschichte eine neue politische Kultur des Zusammenlebens in Europa zu fördern. Es gibt in den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland keine erkennbaren großen Konflikte. Dennoch muss es uns stets Pflicht und Anliegen zugleich sein, die Bemühungen der russischen Partner hinsichtlich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten unterstützend zu begleiten. Die Qualität der künftigen deutsch-russischen Beziehungen wird ganz entscheidend davon abhängen, ob Deutschland und Russland verantwortungsvoll miteinander umgehen und ob in Russland künftig diejenigen Kräfte tonangebend sein werden, die einen besonderen russischen Weg befürworten, oder diejenigen, die für eine weitere Annäherung an Europa eintreten. Beide Staaten befinden sich in einem als evolutionär zu bezeichnenden Prozess der Annäherung. Es ist eine Beziehung, die reift, die wächst, die erwachsen wird, die sich weiter normalisiert. Die Inschriften der russischen Besatzer sind nicht allein Bestandteil dieses Baudenkmals, des Reichstagsgebäudes. Sie stehen symbolisch für die Mahnung auch an uns als politisch verantwortlich Handelnde, die Existenz der Völker in Europa und in der Welt niemals mehr zu gefährden. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss dieser vereinbarten Debatte. Ich gestehe, es fällt mir schwer, diese Debatte mit der üblichen Formel zu beenden. Deshalb möchte ich den Wunsch, den alle Redner hier vorgetragen haben, noch einmal verstärken, dass die Botschaft dieser Debatte tatsächlich nach draußen dringt und wir gemeinsam an der Umsetzung der Dinge arbeiten, die heute hier von allen in den Mittelpunkt gestellt wurden. ({0}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikel-115-Gesetzes - Drucksache 17/4666 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) - Drucksache 17/6241 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({3}) Dr. Gesine Lötzsch Sven-Christian Kindler Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Norbert Barthle für die Unionsfraktion.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Einführung einer strikten Begrenzung der Neuverschuldung im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist eine historisch-politische Leistung der Großen Koalition während der letzten Legislaturperiode. Sie bedeutet nicht mehr und nicht weniger als das unwiderrufliche Bekenntnis zu dauerhaft soliden und tragfähigen öffentlichen Finanzen in Deutschland. Darin, lieber Kollege Carsten Schneider, waren und, denke ich, sind wir uns einig: Es muss endlich Schluss sein in Deutschland mit der Finanzierung der Wünsche von heute zulasten der Generationen von morgen. ({0}) Ich erinnere mich allerdings auch, dass die Gewerkschaften bei der Einführung der Schuldenbremse im Grundgesetz öffentlich dagegen eingetreten sind. Auch in Teilen der SPD-Fraktion gab es da nur gebremste Begeisterung. Die glaubwürdige Umsetzung der Vorgaben der Schuldenbremse ist daher eines der zentralen finanzpolitischen Ziele der Koalition. Die aktuelle Haushaltsentwicklung des Bundes zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir werden im laufenden und in den kommenden Jahren deutlich unter der im Rahmen der Schuldenbremse maximal erlaubten Nettokreditaufnahme liegen. Das ist solide Finanzpolitik und zeigt, dass der SPD-Entwurf politisch eigentlich ins Leere läuft. ({1}) Denn der Haushalt 2011 ist der erste, der im Rahmen der neuen Schuldenbremse aufgestellt wurde. Gerade in den ersten Jahren ihrer Anwendung ist deren Einhaltung für die Glaubwürdigkeit der Schuldenbremse von besonderer Bedeutung. Lassen Sie mich daher noch einmal auf den Punkt bringen, warum wir den SPD-Gesetzentwurf gerade auch vor diesem Hintergrund entschieden ablehnen. Ziel der Regelungen zum Abbaupfad ist es, für die Jahre 2011 bis 2015 einen geordneten, unumkehrbaren Weg hin zu der ab 2016 regulär geltenden Schuldenregel des Art. 115 Grundgesetz festzulegen. Die jährlichen Haushalte sind dann mit der Maßgabe aufzustellen, dass die Einnahmen aus Krediten 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten. Diesem Ziel müssen die Haushaltsaufstellung und die mittelfristige Finanzplanung entsprechen. Der Bund erfüllt diese Forderung vollständig. Es gilt, bis dahin den Übergangspfad verlässlich und verbindlich auszugestalten. Klar ist: Nicht jede neue Erkenntnis, nicht jede neue Entwicklung kann zu einer nachträglichen Anpassung vorgegebener Obergrenzen führen, zumal diese bereits einmal verbindlich festgelegt und auch öffentlich klar kommuniziert worden sind. Ein mehr oder weniger laufendes Nachjustieren des Abbaupfades würde zu einem hektischen Anpassungsmarathon führen, der am Ende niemandem hilft. Die Bevölkerung verlöre jeglichen Bezugspunkt und jegliche Kontrollmöglichkeit, um zu beurteilen, ob das, was wir Haushaltspolitiker machen, auch entsprechend der Schuldenregel geschieht. Im Ergebnis würde damit die Glaubwürdigkeit der Schuldenbremse in den ersten Jahren nicht gestärkt, sondern erheblich geschwächt. Wir wollen aber einen festen, sozusagen in Stein gemeißelten Abbaupfad und keine Gummirutsche. Darum geht es letztendlich. Daher ist unser Weg ein anderer. Die Berücksichtigung veränderter Umstände geschieht immer ganz konkret im Rahmen des jeweiligen Haushaltsaufstellungsverfahrens. Die Erfahrung zeigt: Der Umgang mit entsprechenden Ermessensspielräumen muss auch praktisch umsetzbar sein. Die SPD - das erschließt sich aus ihrem Gesetzentwurf - denkt etwas anders. Ihr Ziel scheint es zu sein, sich dem, wie Sie es nennen, „Geist der Schuldenbremse“ durch abstrakt-technokratische Vorgaben anzunähern. Ich will es einfach einmal auf den Punkt bringen und dabei ein Bild benutzen: Man hat den Eindruck, Sie beschwören einen Flaschengeist. Denn mit dem Aufbauschen theoretischer Möglichkeiten gehen Sie eigentlich an der Wirklichkeit vorbei. Sie arbeiten sich an Nebenkriegsschauplätzen ab. Diese Nebenkriegsschauplätze erinnern an Sandkastenspiele. Das geht komplett an den wirklich wahren und großen Herausforderungen unseres Landes vorbei. ({2}) Einen Vorwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, kann ich Ihnen nicht ersparen. Sie reden auch in Ihrem Gesetzentwurf von Konsolidierung und vom „Geist der Schuldenbremse“; aber dort, wo die SPD regiert, zum Beispiel in NRW, geschieht genau das Gegenteil. Dort werden zunächst einmal die Schulden erhöht, und zwar exorbitant und sogar verfassungswidrig. Dort, wo Grün-Rot regiert, in Baden-Württemberg, könnte man, wenn man wollte, schon im kommenden Jahr wieder bei einer Nettokreditaufnahme von null sein, was die Vorgängerregierung bereits erreicht hat. ({3}) Aber was sagt die dortige grün-rote Regierung? Sie sagt: Wir wollen die Nullverschuldung erst im Jahre 2020 erreichen. - Das ist der letztmögliche Zeitpunkt. ({4}) Bis dahin will man Schulden machen. Nichts anderes geschieht in Baden-Württemberg. ({5}) Mir sei eine weitere Anmerkung erlaubt. Wenn die SPD jetzt vehement für eine Nachjustierung eintritt, so frage ich mich, ob sie dies auch in der umgekehrten Situation getan hätte. Wären Sie auch für eine Anpassung des Abbaupfades eingetreten, wenn sich daraus ein größerer Verschuldungsspielraum ergeben hätte? Das wäre im Sinne Ihres Gesetzentwurfes zumindest konsequent. Aber das hätten Sie, so vermute ich, natürlich nicht gewollt. Auch dieses Gedankenkonstrukt entlarvt Ihre Willkür bei der Handhabung Ihrer Form der Schuldenbremse. Das - ich wiederhole es - ist der Grund, weshalb wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Ich möchte betonen: Die Menschen in BadenWürttemberg und in ganz Deutschland erwarten von uns eine solide, verlässliche Finanzpolitik im Geist der Schuldenbremse. Das ist genau das, was wir machen. ({6}) Wir haben im Rahmen unseres Zukunftspaketes eine ganze Reihe konkreter Sparmaßnahmen beschlossen und auf den Weg gebracht; weitere setzen wir um. ({7}) Unser Konzept fußt auf der Idee wachstumsorientierter Konsolidierung. ({8}) Die Entwicklung, die wir bisher zu gewärtigen haben, gibt uns in dieser Beziehung vollkommen recht. Erst vor wenigen Tagen hat das Ifo-Institut die Wachstumsprognose für dieses Jahr erneut angehoben, auf 3,3 Prozent - von solchen Wachstumszahlen haben wir in früheren Zeiten nur geträumt -, ({9}) und das nach einem Jahr, das sogar noch höhere Wachstumsraten aufwies. Wir befinden uns in einer ausgesprochen positiven Entwicklung. Das macht sich auch an der Situation der öffentlichen Haushalte bemerkbar. Die Steuereinnahmen entwickeln sich konjunkturbedingt sehr positiv. Die Ausgaben in den sozialen Sicherungssystemen gehen aufgrund der historisch niedrigen Arbeitslosenquote zurück. Die Zahl der Arbeitslosen liegt bei unter 3 Millionen. Demnächst sind vielleicht, um es salopp auszudrücken, die Mitarbeiter der Jobcenter arbeitslos. ({10}) Gerade in dieser Situation, in der konjunkturell bedingte Mehreinnahmen zu gewärtigen sind, muss man immer wieder darauf hinweisen, dass sich strukturelle, dauerhafte Verbesserungen des Haushalts am strukturellen Defizit orientieren. Auf das strukturelle Defizit hebt die Schuldenbremse ab. Das ist uns in diesem Hause zu jeder Stunde bewusst. ({11}) Uns geht es darum, das strukturelle Defizit im Sinne der Schuldenregel abzubauen. Selbstverständlich wollen wir die Bürgerinnen und Bürger an den Früchten der positiven Wirtschaftsentwicklung teilhaben lassen - das ist unser Ziel -, ({12}) aber immer unter der Prämisse, dass die Schuldenregel eingehalten wird. Noch haben wir eine riesige Schuldenlast zu tragen. Der Weg hin zu dem von der Schuldenregel vorgegebenen ausgeglichenen Haushalt des Jahres 2016 hat gerade erst begonnen. Diesen Weg müssen wir konsequent weitergehen, auch wenn er anstrengend ist. ({13}) Die christlich-liberale Koalition traut sich zu, dieses Ziel zu erreichen. Auch die Menschen trauen es uns zu. ({14}) Deshalb machen wir das. Herzlichen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Carsten Schneider hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal etwas Verbindendes. Herr Kollege Barthle, es ist richtig: Wir haben im Bundestag im Jahr 2009 unter Federführung eines SPD-Finanzministers gemeinsam die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Der Hintergrund war, dass es uns seit 1969 unter verschiedenen Koalitionen nicht mehr gelungen ist, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Deswegen kam es zu der Übereinkunft - sie ist vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise, die Europa seitdem erreicht hat, wie ich glaube, noch verbindlicher -, uns konstitutionell, also in der Verfassung, einen engeren Rahmen zu setzen. Dieser Beschluss gilt. Nun befinden wir uns in der ersten Phase der Anwendung der Schuldenbremse. Es ist teilweise kompliziert, sie zu verstehen; denn sie hat sehr viel mit makroökonomischen Daten, die der Bevölkerung und manchmal auch dem Kollegenkreis nur schwer zu erklären sind, zu tun. In der Analyse des ersten Jahres kommen wir als SPD-Fraktion in Anbetracht dessen, was Sie und Ihr Bundesfinanzminister vorgelegt haben, zu dem Ergebnis, dass die jetzige Regelung Lücken aufweist. Die Lücken bestehen insbesondere darin, dass man den Abbaupfad von seinem Startpunkt bis zu seinem Endpunkt manipulativ handhaben kann. Ich mache diesen Vorwurf ungern, aber genau das tun Sie. Entgegen dem gesamten finanzwissenschaftlichen Sachverstand vom Bundesrechnungshof, von der Bundesbank und dem Sachverständigenrat halten Sie an veralteten Zahlen fest. Diese veralteten Zahlen vom Juni 2010 führen dazu, dass Sie im Rahmen der Anwendung der Schuldenbremse, so wie Sie sie planen, zusätzliche Kredite in Höhe von 50 Milliarden Euro aufnehmen können. ({0}) - Können. ({1}) Wir als SPD-Fraktion sind folgender Auffassung: Der Geist der Schuldenbremse sieht vor, dass man sich die derzeitige Situation ansieht. Das heißt, dass man die Zahlen vom Ende des Jahres 2010 heranziehen muss. Da war das Defizit viel geringer, weil wir eine exzellente wirtschaftliche Lage hatten. Von da an muss man den Pfad nach unten gehen. Dies tun Sie aber nicht. Sie hätten heute die Gelegenheit, das, was Sie eben hier behauptet haben, umzusetzen und gesetzlich bzw. rechtlich verbindlich zu machen. Bei uns besteht Argwohn darüber, dass Sie diese zusätzlichen Kreditermächtigungen von 50 Milliarden Euro - das sind Zahlen der Deutschen Bundesbank, nicht der SPD-Fraktion - nutzen werden und wollen. ({2}) - Lieber Kollege Fricke, ich habe den Bundeswirtschaftsminister so vernommen. Ich werde ihn gleich noch zitieren. - Sie wollen diese 50 Milliarden Euro nutzen, um der FDP und der Koalition wahrscheinlich im Jahr 2013 - das ist naheliegend; das ist ein Wahljahr mit zusätzlichen Steuersenkungen zu helfen. Dem Land werden sie aber zusätzliche Schulden hinterlassen. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Jede Steuersenkung auf Pump - wir werden 2013 ohnehin neue Kredite aufnehmen müssen - ist eine Steuerentlastung, die wieder zurückkommen wird; denn Sie werden noch mehr Zinsen zahlen und die Steuern letztendlich erhöhen müssen. Das wollen wir nicht mitmachen. Wir als SPD-Fraktion stehen für eine klare, transparente und solide Finanzpolitik. Aus diesem Grund wollen wir dem Entscheidungsspielraum, den sich der Bun13476 Carsten Schneider ({3}) desfinanzminister gesichert hat - denn er kennt seine Koalition und seine Kombattanten -, um 2013 - das ist meine Vermutung - Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren, einen Riegel vorschieben. Wenn Sie Ihre Sonntagsreden tatsächlich ernst meinen, dann könnten Sie heute unserem Vorschlag zustimmen. Das wäre ganz einfach. ({4}) Das tun Sie aber nicht, weil Sie diesen Spielraum bewusst bestehen lassen wollen, obwohl eine breite Mehrheit im Bundestag die Schuldenbremse, die eine Neuordnung der finanzpolitischen Situation und Einlassungen mit sich bringen sollte, beschlossen hat. Sie verspielen auf diese Weise Glaubwürdigkeit und politische Unterstützung; dies werfe ich Ihnen vor. Sie verspielen sie langfristig, nicht nur in der Bevölkerung, sondern wahrscheinlich auch im Parlament. Denn wenn man schon bei der ersten Anwendung des Ernstfalls schummelt, wenn man Spielräume nutzt, die einem durch eine gute Konjunktur in den Schoß fallen, und wenn man die Neuverschuldung nicht konsequent abbaut, damit wir aus der Abhängigkeit von den Finanzmärkten herauskommen und das Primat der Politik endlich wieder etwas gilt, dann ist das ein Armutszeugnis für diese Regierung und letztendlich - das mache ich Ihnen zum Vorwurf - für das Parlament. Denn das Budgetrecht des Parlaments ist unser Kernrecht. Es ist in vielen Fragen über den europäischen Bereich bereits ausgehöhlt. Sie aber billigen dem Bundesfinanzminister einen Spielraum zu und nehmen ihn sich selbst. Es ist schon atemberaubend, wie schnell Sie sich von finanzpolitischer Solidität verabschiedet haben. ({5}) Um das zu unterstreichen, habe ich hier ein Zitat von Herrn Vizekanzler Rösler aus der Welt vom 24. Juni 2011. Er sagt: Eine konkrete Steuersenkungsperspektive ist ein wichtiges Mittel, um weitere Ausgabenwünsche abzuwehren, und kann so helfen, den Haushalt tatsächlich nachhaltig zu konsolidieren. Das ist schon Dialektik. Man will die Steuern senken, also die Einnahmen reduzieren, um den Haushalt zu konsolidieren. Das verstehe ich nicht ganz; das muss ich aber auch nicht. Ich will nur sagen: Wenn ich mir Ihre mittelfristige Finanzplanung, Stand 2010, und die Eckpunkte für 2012 anschaue - nächste Woche wird ja im Kabinett der Beschluss gefasst -, dann muss ich feststellen: Sie haben allein auf der Ausgabenseite 18 Milliarden Euro Mehrausgaben, weil Ihr Sparpaket, das Herr Kollege Barthle hier gerade so schön dargestellt hat, nur in einem Punkt gegriffen hat, nämlich da, wo es die sozial Schwächsten trifft. ({6}) Das haben Sie konsequent umgesetzt. Der Rest sind Luftbuchungen. Die Finanztransaktionsteuer kommt nicht vor; sie ist mittlerweile herausgebucht. ({7}) Das Gleiche gilt für die Brennelementesteuer etc. All dies kommt nicht. Ich will jetzt nicht auf die Bundeswehrreform eingehen, Herr Kollege Barthle. Ich schätze ja Herrn de Maizière sehr. Aber das Stückwerk, das er von Herrn zu Guttenberg übergeben bekommen hat, führt dazu, dass von den Einsparungen in Höhe von 8 Milliarden Euro 5 Milliarden nicht verwirklicht werden können, was sich jetzt hier niederschlägt. Dass die FDP darüber sauer ist, kann ich verstehen; denn ihre Entlastungsperspektive ist dadurch vollkommen weg. Dass jetzt aber Geschäfte zulasten des Staates gemacht werden - der eine bekommt mehr Geld zum Ausgeben, der andere bekommt es im Wege von Steuersenkungen -, wodurch im Endeffekt die Schulden steigen und die Kredite in einer historischen Situation, in der wir Wachstum haben, das wir hoffentlich behalten werden - ich bin allerdings sehr skeptisch, ob sich das langfristig in Deutschland halten wird -, nicht abgebaut werden, zeigt, dass Sie an dieser Stelle versagen. Es wäre Ihre verdammte Pflicht, die exzellenten Zahlen zu nutzen, um das Defizit deutlich weiter herunterzufahren. Sie hätten heute hier die Chance, Glaubwürdigkeit, auch im Hinblick auf den Kabinettsbeschluss in der nächsten Woche, zu zeigen und als Parlament der Regierung etwas Maßgebliches mit auf den Weg zu geben. Ich kann Sie dazu nur auffordern. Im Interesse der Unabhängigkeit der Bundesrepublik in der Finanzierung und zur Vermeidung der Abhängigkeit von Investoren, davon, ob sie uns Geld geben oder nicht, wäre das notwendig. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Otto Fricke für die FDPFraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Konjunktiv ist wohl Ihr liebster Freund, Herr Kollege Schneider: „Ich habe die Vermutung,“ „ich denke“, „ich glaube“, „Sie haben den Plan“, „Sie werden das tun“. Es ist nicht nur so, dass der Konjunktiv Ihr Freund ist, sondern Sie können sogar in die Zukunft sehen. Das ist, finde ich, für einen Politiker in der Opposition toll, und das ist auch in Ordnung. Beim Haushalt - das ist vielleicht wichtig für die Zuhörer - geht es am Ende doch nur um eines: um Zahlen, um Fakten, um das, was passiert. Um das für die Zuhörer zu verdeutlichen, die nicht ständig mit dem Haushalt zu tun haben und meinen, der Haushalt sei wie in der Schule Mathematik, etwas, was man nicht gerne mag, will ich einfach einmal erklären, worum es geht. Die Politik hat immer Schulden gemacht. Da ist - ich glaube, Kollege Schneider, da sind wir uns einig - keine Partei in der Vergangenheit ohne Fehler gewesen. Man hat - sogar in vordemokratischen Zeiten - immer wieder versucht, das irgendwie zu vermeiden. Es ist fast nie gelungen. Warum? Weil es immer einfacher ist, sich zu verschulden, als zu erklären, warum etwas nicht geht, warum man für etwas kein Geld hat; denn es ist immer derjenige beliebter, der sagt: „Das machen wir; Bürger, wenn du das willst, dann geben wir es dir“, und der sich das Geld vermeintlich irgendwo anders holt. Das ist so, obwohl wir alle Steuerzahler sind. Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wenn man mit Schülern redet und sie als Steuerzahler begrüßt. Sie erkennen dann, dass sie wirklich Steuerzahler sind. Auch alle Zuhörer haben heute schon Steuern gezahlt, nämlich zum Beispiel immer dann, wenn sie etwas eingekauft haben und Mehrwertsteuer zahlen. Sie zahlen damit nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder, die Kommunen und sogar für Europa. Angesichts dessen hat sich die Politik immer wieder entschieden, Schuldenbremsen einzuführen, und hat dabei alle möglichen Argumentationen bemüht: Wir müssen uns verhalten wie ein Kaufmann. Man darf Schulden nur dann machen, wenn man dafür investiert, nach dem Motto: Wenn du dir ein Haus kaufst und dafür Schulden machst, hast du ja das Haus als Gegenwert. All diese Dinge, die man versucht hat, haben am Ende nicht funktioniert. Ich bleibe dabei: Verschuldung funktioniert nur - da, glaube ich, gehen wir noch konform -, wenn wir in der Verfassung möglichst konkret die Grenzen dessen darlegen, was an Verschuldung geht. ({0}) Ich persönlich würde sogar noch hinzufügen: und wenn wir klare Regeln dafür aufstellen, was im Falle der Verletzung passiert, nach dem Motto: Wer die Verschuldung über einen bestimmten Grad erhöht, der muss automatisch diese oder jene Steuer erhöhen, also im Sinne einer automatischen Bestrafung. Jetzt geht der Streit bei der neuen Schuldenbremse um Folgendes: Man hat gesagt: 2016 wollen wir bei der Verschuldung irgendwo hier unten sein, bei 0,35 Prozent, ungefähr bei 11 Milliarden Euro. ({1}) Daran kommt keiner vorbei. Das will keiner bestreiten. Sie bestreiten auch nicht, dass wir das wollen und dass das nach den Regeln gilt. Jetzt ist die Frage: Von welchem Wert im Jahre 2010 geht man aus? Die einen haben gesagt: Wir gehen von einem Wert aus, den wir am Anfang des Jahres 2010 messen bzw. der grob zu peilen ist. Bei Herrn Steinbrück war das im Jahre 2010 einmal eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro. ({2}) Das wäre eine steile Kurve gewesen. Der Bundestag hat dann eine Neuverschuldung von 80 Milliarden Euro beschlossen. Wir haben gesagt: Aha, dann bauen wir von 80 Milliarden Euro ab. ({3}) - Vom Bundestag, nicht von Herrn Steinbrück; denn wir hatten ja schon gespart. ({4}) Im faktischen Verlauf des Jahres - das ist das, worauf ich hinaus will; es geht um konkrete Zahlen - ist die Neuverschuldung im Haushalt dann ja, wie wir alle wissen, weit heruntergegangen, nämlich auf Mitte 40 Milliarden Euro. Jetzt kommt die Frage: Gehe ich von den Mitte 40 Milliarden Euro am Ende des Jahres aus? Gehe ich davon aus, was am Anfang beschlossen wurde, gehe ich von Steinbrücks 86 Milliarden Euro aus? Hier müssen wir feststellen: Die Verfassungsgesetzgeber waren hier nicht präzise genug; das stimmt. Deswegen wollt ihr korrigieren, und deswegen haben wir gesagt: Das Fairste ist, wenn wir als Basis die Zahlen vom Mai, wenn wir alle Meldungen nach draußen geben, die Finanzplanung machen und wissen, wie hoch die Verschuldung im Jahre 2010 voraussichtlich sein wird, nehmen. Somit kamen wir auf einen Betrag von 65 Milliarden Euro. Das war weit unter dem, was Steinbrück vorgeschlagen hat, und auch weit unter dem, was Sie vermutet haben. Weil wir all das gemacht haben, sind die Abbauschritte in den nächsten Jahren so, wie sie sind. Jetzt könnte man ja sagen: Das ist uns nicht genug, wir wollen mehr sparen. - Herr Kollege Schneider, jetzt habe ich eine einfache Frage zu diesem Abbaupfad: Würden Sie mir zustimmen, dass wir, gingen wir nach Ihrer Rechnung von 44 Milliarden Euro aus, um auf ungefähr 11 Milliarden Euro zu kommen, im Jahre 2011 bei einer Neuverschuldung von ungefähr 38 Milliarden Euro liegen müssten, während wir nach unserem Modell bei ungefähr 56 Milliarden Euro liegen könnten? Ich betone: nicht können, sondern könnten. Würden Sie mir auch zustimmen, dass wir, wenn wir am Ende des Jahres 2011 unter Ihrer Zahl von 38 Milliarden Euro sind, sogar mehr erreicht haben, als Sie wollen, dass wir aber trotzdem noch weit weg von dem sind, was wir könnten? Ich glaube schon. Daran, welche Zahlen nachher tatsächlich herauskommen, müssen Sie die Sparpolitik messen. Erst dann können Sie beurteilen, ob sie erfolgreich ist. Sie werden wie ein begossener Pudel dastehen, wenn am Ende des Jahres in der Gesamtrechnung herauskommt, dass wir selbst unter Ihrer Sparlinie sind. Jetzt kommt die Frage: Warum sind Sie sich nicht sicher, ob wir nicht vielleicht doch unter Ihrer Sparlinie sein werden? Wenn Sie sich sicher sind, dann stellen Sie sich hier hin und sagen Sie, dass wir die Neuverschuldung, die nach Ihrer Modellrechnung möglich ist, nicht erreichen werden. Warum erreichen wir die? Hier liegt der Unterschied: Sparen heißt immer, die Ausgaben zu senken. ({5}) Wenn Sie das nämlich nicht tun, dann bekommen Sie im Zweifel immer wieder dasselbe Problem, nämlich dass Sie selbst in guten Zeiten nicht auf eine positive Seite kommen. Für den Privatbürger heißt das ganz einfach: In dem Moment, in dem er seine Ausgaben an die Einnahmen anpasst - das kann sich jeder sagen, der aus der Schule in die Lehre gekommen ist oder der nach dem Studium einem Beruf nachgeht und auf einmal mehr Einnahmen hat -, hat er verloren. Das funktioniert nicht. Für die Politik gilt erst recht: Man muss die Ausgaben stabil halten. Das ist auch ein Grund, warum wir bei der Schuldenbremse besser dastehen. Es stimmt: Es geht nicht nur um die Ausgaben, aber es ist wichtig, sie stabil zu halten. Hier besteht ein großer Unterschied zwischen Ihrem und unserem Anspruch. Ich will Ihnen und auch den Haushältern der SPD - jedenfalls den meisten - ausdrücklich zugutehalten: ({6}) Sie wollen auch sparen. Das ist aber nicht die Meinung der Sozialdemokratischen Partei und auch nicht die Ihrer Fraktion; denn überall da, wo Sie an der Regierung sind und Macht haben - das kann der Bürger anhand der tatsächlichen Zahlen erkennen -, steigen die Ausgaben. ({7}) Ich empfehle jedem, einfach einmal zu schauen, wie sich in den Ländern, in denen die SPD an der Regierung ist, die Ausgaben nach oben bewegen, während die Ausgaben in den anderen Ländern und auch im Bund stabil bleiben. Wenn Sie sich mein Heimatland und das Heimatland des Kollegen Kampeter, Nordrhein-Westfalen, anschauen, dann erkennen Sie, dass sie dort hochgehen. Die Begründung dafür lautet zum Beispiel: Wir verzichten auf Studiengebühren. - Das ist nämlich leichter. Deswegen sind aber mehr Mittel aus dem Haushalt für die Universitäten notwendig. Genau daran merken Sie, wie es zu solchen Dingen kommt, die Sie eigentlich gar nicht wollen. Jetzt könnte man immer noch sagen: Vielleicht setzen Sie sich in Ihrer Fraktion noch durch. Daran glaube ich aber nicht angesichts der anderen Debatten, in denen die Haushaltspolitiker, die ja in allen Fraktionen unbeliebt sind, ({8}) nicht vertreten sind. Dann wird genau das Gegenteil gefordert und gesagt: Ich hätte noch gerne dafür Geld, ich hätte noch gerne hierfür Geld; es wäre doch schön, wenn man da noch etwas machen könnte, und es wäre nur gerecht, wenn man hier und da noch etwas tun würde. Dann muss man diese klaren Grenzen einhalten. Ich komme zur Quintessenz Ihres Gesetzentwurfs, in dem es heißt, dass das Budgetrecht des Parlamentes in seinen Entscheidungsspielräumen durch all die Maßnahmen, die diese Koalition beschließe, sehr stark eingeschränkt werden würde. Maßgeblich für das Budgetrecht ist eine zentrale Frage, nämlich auf welcher Basis die Neuverschuldung angesetzt wird und wie die Neuverschuldung nachher unterm Strich aussieht. Beim Ansatz der Neuverschuldung werden wir sehen - das wird nächste Woche der Fall sein, wenn der Minister den Haushaltsentwurf 2012 vorlegt -, wie die Vorgabe der Regierung ist. Wenn wir das als Koalition so gut wie in den letzten Jahren machen und als Haushälter in der Koalition weiter so vertrauensvoll zusammenarbeiten, dann werden die Zahlen noch besser werden. Weil Sie mir immer erklärt haben, die SPD sehe das anders, will ich Ihnen zum Abschluss noch etwas sagen. Ich habe mir angesehen, wie die Meinung der SPD war. Es stimmt, die Mehrheit von Ihnen hat damals zugestimmt. Schauen wir uns aber einmal an, wie sich Frau Nahles zur Schuldenbremse geäußert hat. ({9}) Frau Nahles, immerhin in einer der wesentlichsten Positionen Ihrer Partei auf Bundesebene, hat erklärt, die SPD sollte die Schuldenbremse ablehnen, mit der Begründung: Ich finde es fragwürdig, wenn die jetzige Politikergeneration Regeln ins Grundgesetz aufnehmen will, die ab 2020 die Handlungsspielräume zukünftiger Generationen in einer Weise einschränken, ({10}) die die heutige Generation nie akzeptiert hätte. ({11}) - Schauen Sie genau, wer klatscht. ({12}) Wer sich weiter verschuldet und im Kern keine Schuldenbremse haben will, der schränkt Handlungsspielräume ein, die wir uns gerade erarbeiten, auch für Steuersenkungen, die wir vereinbart haben und zu denen die FDP steht, genauso wie ihr Koalitionspartner. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Roland Claus das Wort. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir aus der vergangenen bewegenden Debatte zum 70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion etwas hinübernehmen können, dann meines Erachtens dies, immer und überall für gesellschaftliche Zustände einzutreten, in denen Demokratie gestärkt und nicht untergraben wird. Das hat auch etwas mit diesem Thema zu tun. Seit Mitte 2009 ist die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Der Begriff ist eine geniale Erfindung. Ich vermute, dass er aus der Abteilung „Überschriften“ der SPD kommt. Dort sitzt ein sehr leistungsfähiges Team. Wer kann sich schon einem solchen Begriff widersetzen und nicht für die Begrenzung von Schulden sein? Schaut man näher hin, auch was die Wirkung betrifft, ist es in Wahrheit aber eine Bildungsbremse, eine Wirtschaftsförderungsbremse, eine Sicherheitsbremse, eine Bremse für den Osten und eine Demokratiebremse. Deshalb gibt es gute Gründe, warum die Linke gegen dieses Konstrukt der Schuldenbremse ist. Dabei bleibt es. ({0}) Ich will das an ein paar Beispielen belegen. Die Schuldenbremse ist in Wirklichkeit eine Bildungsbremse. In meinem Wahlkreis wird gerade ein Gymnasium verschenkt, das bisher dem Land gehört. Der Grund ist, dass das Land nicht in der Lage ist, weiterhin die anstehenden Sanierungs- und Investitionskosten zu zahlen, obwohl das Land schon etliche Millionen in diese Schule hineingesteckt hat. In seiner Not verschenkt das Land das Gymnasium, in der Hoffnung, dass das Gymnasium weiterbetrieben wird. So sieht die Realität der Wirkung Ihrer Schuldenbremse aus. Wichtiger wäre doch, in diesem Land endlich Geld in die Hand zu nehmen und das überkommene Bildungssystem zu reformieren. ({1}) Die Schuldenbremse ist in Wirklichkeit eine Bremse für Investitionen und Wirtschaftsförderung. Ein Mittelständler in meinem Wahlkreis will eine größere Investition tätigen und hat auch die Zusage für entsprechende Fördermittel des Bundes. ({2}) - Dafür gibt es doch Fördermittel. Das ist doch keine Erfindung von mir, Herr Kollege. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bitte! ({3}) Warum kann er die Investition nicht machen? Weil das Land nicht in der Lage ist, die Fördermittel zu kofinanzieren. Die Schuldenbremse ist in Wirklichkeit eine Bremse für die öffentliche Sicherheit. Da kommen Polizeirevierchefs aller Couleur zu den Abgeordneten und suchen händeringend Unterstützung, weil unserem neuen Landesfinanzminister in seiner Sparwut nichts anderes einfällt, als öffentlich anzukündigen, jede dritte Polizistinnen- und Polizistenstelle zu streichen. Deshalb ist Ihre Schuldenbremse in Wirklichkeit eine Sicherheitsbremse. Die Bremse hat auch zur Folge, dass sich die Abstände zwischen den armen und reichen Bundesländern nicht verringern, sondern vergrößern. Das schadet dem Osten, weil vor dem Hintergrund eines verfestigten Niedriglohnsektors im Osten die reicheren Bundesländer im Süden und Westen die besseren Fachkräfte mit besseren Lohn- und Gehaltsmöglichkeiten einfach wegkaufen können. ({4}) So zementieren Sie weiter die Ungleichheit, statt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse hinzuwirken. ({5}) Die Schuldenbremse ist auch eine Demokratiebremse; denn Länder und noch mehr die Kommunen können immer weniger selbst entscheiden. Deshalb gab es gute Gründe, dass das vernünftig und gut regierte Land Berlin, ({6}) aber auch Mecklenburg-Vorpommern und SchleswigHolstein dieser Initiative im Bundesrat nicht zugestimmt haben. ({7}) Wie wir gesehen haben, kann sich der Bund immer noch selber helfen. Hier befassen wir uns mit der reinen Lehre. Sie aber haben zeitgleich mit der Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz im Zuge der Bankenrettung die bisher höchste Verschuldung in Kauf genommen. Diese Bundesregierung und diese Koalition machen in der laufenden Legislaturperiode neue Schulden in Höhe von etwa 120 Milliarden Euro, ({8}) so viel wie nie zuvor. Das ist etwa so viel, wie dem Land Sachsen in der gesamten Legislaturperiode, also in vier Jahren, zur Verfügung stehen. ({9}) Das ist die Wahrheit, über die man hier reden muss und die Sie mit so wunderbaren Begriffen wie Schuldenbremse wegreden wollen. ({10}) Beim Haushalt geht es immer um eine Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die Schuldenbremse thematisiert lediglich die Ausgabenseite. Sie ist ein Spardiktat. Ein Nachdenken über andere Einkommensmöglichkeiten und Steuergerechtigkeit ist Ihnen fern. Es ist in diesem Land aber bitter nötig. ({11}) Nun hat die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt, den man auf die Formel „Schulden besser bremsen“ bringen könnte. Das ist die Botschaft, die Sie verkünden. Sie wollen die Berechnungsgrundlage ändern, damit der Finanzminister weniger tricksen kann. Ich stelle fest: Das ist ein Rückfall in die Agenda-2010Logik. Liebe SPD-Kollegen, wir schreiten mancherorts Seit’ an Seit’. ({12}) Wir kritisieren gemeinsam und zutiefst berechtigt diese Bundesregierung. Aber unter dem Motto „Schulden besser bremsen“ in Wahrheit Bildung, Wirtschaftsförderung, öffentliche Sicherheit, sozialen Ausgleich und letztendlich die Demokratie zu bremsen, ist mit der Linken nicht zu machen. Vielen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Hinz das Wort. ({0})

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Claus, es kann doch nicht angehen, dass wir als Parlamentarier glauben, nur durch zusätzliche Verschuldung politische Schwerpunkte im Haushalt setzen zu können. ({0}) Es geht vielmehr darum, durch eine gerechte Steuerbeteiligung und Steuerverteilung, aber auch durch eine gute Ausgabenpolitik und teilweise auch durch Ausgabenkürzungen und Umschichtungen Spielräume zu eröffnen. ({1}) Dann sind auch politische Schwerpunktsetzungen möglich. Es geht aber nicht an, dass die Verschuldung in Deutschland bei 80 Prozent des BIP liegt - die Maastricht-Kriterien sehen höchstens 60 Prozent vor -, und Sie so tun, als wäre keine Schuldenbremse notwendig. ({2}) Das heißt, Sie wollen die Nettokreditaufnahme weiter steigern. Dazu sagen wir Grünen ganz klar: Das hat nichts mit nachhaltiger Haushaltspolitik zu tun. Auch wir wollen, dass die Schuldenbremse eingehalten wird. ({3}) Ich komme zu Ihnen, Herr Kollege Fricke. Sie haben gesagt, man müsse sich an Zahlen und Fakten orientieren. Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen. Schon heute betragen die Zinszahlungen 38 Milliarden Euro jährlich. Sie sollen laut Finanzplanung bis 2014 auf fast 50 Milliarden Euro anwachsen. ({4}) - Sie können auf fast 50 Milliarden Euro anwachsen. Das ist trotzdem nicht witzig. ({5}) Wenn die Zinszahlungen auf „nur“ 45 Milliarden Euro anwachsen, ist das auch nicht schön. Daher ist es notwendig, die Nettokreditaufnahme so schnell und so effektiv wie möglich zu senken. ({6}) Deswegen sind wir der Meinung, dass die Schuldenbremse nicht durch Buchungstricks ausgehebelt werden darf. Es kann doch nicht wahr sein, dass man aufgrund der konjunkturellen Entwicklung, die im letzten Jahr glücklicherweise gut war, mehr Schulden aufnimmt. Jeder Euro, der die Verschuldung erhöht, bedeutet eine höhere Zinsbelastung für die nächsten Jahre. Wir unterstützen den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, ({7}) weil wir der Meinung sind, dass solche Buchungstricks nicht in Ordnung sind. Auch sonst ist die Koalition durchaus findig, wenn es darum geht, die Schuldenbremse auszuhebeln. Nehmen wir als Beispiel das im Vermittlungsausschuss erzielte Ergebnis zum ALG II. Es ist vereinbart worden, dass der Bund die Finanzierung der Grundsicherung im Alter übernimmt. ({8}) - Das unterstützen wir. - Aber das muss sauber finanziert werden. ({9}) Es ist doch falsch, für die Finanzierung die Bundesagentur für Arbeit bluten zu lassen und bis 2015 den Sozialversicherungen 10 Milliarden Euro mehr aufzubürden. ({10}) Priska Hinz ({11}) Dieser Verschiebebahnhof trägt nicht zu Haushaltsklarheit und -wahrheit bei. Vielmehr wird damit die Schuldenbremse manipuliert. ({12}) Auszubaden haben das die Versicherten. Hier wird auf dem Rücken derjenigen, die arbeitslos sind, gespart. Vor allen Dingen gibt es blinde Kürzungen bei erfolgreichen Programmen wie dem Gründerzuschuss. Dieser Missbrauch der Schuldenbremse schwächt zusätzlich die Finanzausstattung der Arbeitslosenversicherung und lässt keinen Puffer mehr zu. Was hätten wir ohne Puffer in den Hochzeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise gemacht? Damals haben wir einen Puffer in der Sozialversicherung gebraucht. Wir können doch jetzt nicht davon ausgehen, dass die Konjunktur weiterhin so gut bleibt. Deswegen ist es falsch, dass Sie die Haushalte der Sozialversicherungen durch Haushaltstricks überfordern. Hier sind wir auf keinen Fall auf Ihrer Seite, obwohl wir für die Übernahme der Finanzierung der Grundsicherung durch den Bund sind. ({13}) Ein noch heftigerer Verstoß gegen die Schuldenbremse würden die Steuersenkungen bedeuten, die die FDP gefordert hat und von denen die CDU/CSU noch nicht so recht weiß, ob sie sie zulassen soll oder nicht. Ich darf an dieser Stelle Lars Feld zitieren, der in diesem Jahr in den Sachverständigenrat aufgenommen wurde. Er hat laut Handelsblatt vom 27. Juni gesagt: Die Konsolidierung der Staatsfinanzen muss Vorrang vor Steuersenkungen haben. Konjunkturell bedingte Steuermehreinnahmen dürfen nicht zuletzt wegen der Schuldenbremse nicht für dauerhafte Steuersenkungen verwendet werden. Genau so ist es. Steuersenkungen belasten die Haushalte strukturell und sorgen für dauerhafte Einnahmeausfälle. ({14}) Ich erinnere nur an die Mövenpick-Steuer, die die FDP durchgesetzt hat. Auch diese hat zu dauerhaften Steuerausfällen und damit zu Defiziten geführt. Liebe Damen und Herren von der Koalition, es trägt nicht zu guter und seriöser Haushaltspolitik bei, wenn Sie wieder mit solchen Vorschlägen kommen, nur weil zurzeit konjunkturell bedingt ein bisschen Mehreinnahmen zu verbuchen sind. ({15}) - Es gibt noch viele Haushaltsrisiken, die Sie noch gar nicht abgedeckt haben. ({16}) Erstens sind diese Mehreinnahmen schon im Eckwertebeschluss der Bundesregierung eingepreist. ({17}) Zweitens gibt es Finanz- und Haushaltsrisiken, die noch gar nicht abgedeckt sind, ob es die Bundeswehrreform, die Brennelementesteuer oder die Finanztransaktionsteuer ist. Das alles muss doch finanziert werden. Deswegen ist es falsch, wieder strukturelle Steuerausfälle durch Steuersenkungen zuzulassen. Stattdessen wäre es notwendig, mehr für den Abbau umweltschädlicher Subventionen zu tun. ({18}) Auch da sind Sie bislang überhaupt nicht gut, im Gegenteil. Sie wollen jetzt schon wieder energieintensive Betriebe mit Zuschüssen bedenken. Das ist in der Anhörung des Haushaltsausschusses von fast allen Sachverständigen gegeißelt worden, weil es überhaupt keinen Sinn macht, sie zusätzlich zu entlasten. Stattdessen könnten Sie 10 Milliarden Euro steuerschädliche Subventionen streichen. ({19}) Auch das könnte dazu beitragen, dass man die Nettokreditaufnahme senkt. ({20}) Meine Damen und Herren, es bleibt mir am Schluss, noch einmal zu sagen, dass es falsch ist, über Steuersenkungen zu philosophieren und sich über Buchungstricks Ausgabenpuffer zu erwirtschaften, die schlicht zu mehr Zinsen führen. Es wäre sinnvoller, Sie würden zu seriöser Haushaltspolitik zurückkehren, die die Grünen immer vorschlagen, ({21}) nämlich konsolidieren und Subventionen kürzen, um dann in die Zukunft zu investieren. Dabei muss man richtige Schwerpunkte setzen: Ökologie, soziale Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit. Danke schön. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Aumer hat nun für die Unionsfraktion das Wort.

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich nehme an, der Großteil dieses Hauses hat dieselbe Meinung, was die Konsolidierung unseres Staatshaushaltes betrifft. ({0}) - Zumindest auf dieser Seite ist die Meinung wohl sehr gefestigt. ({1}) Frau Hinz, Sie haben „Sie haben Haushaltsprobleme“ gesagt und dabei uns angeschaut. Meines Erachtens haben nicht wir als Koalition diese Probleme. Vielmehr haben wir als Staat eine gemeinsame Verantwortung, nachhaltige Haushaltspolitik zu betreiben. Es muss das Ziel des ganzen Hauses sein, eine verlässliche Haushaltspolitik zu betreiben. Mit der Einführung der Schuldenbremse haben wir als Deutscher Bundestag eine wesentliche Entscheidung für die Zukunft unseres Landes und für die Nachhaltigkeit der Haushaltspolitik getroffen. Unsere Bundeskanzlerin hat vor einiger Zeit in ihrer Regierungserklärung gesagt, dass unser Staat über Jahrzehnte über seine Verhältnisse gelebt hat. Damit hatte sie vollkommen recht. Gerade ich als Junger darf die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam mit Ihnen allen annehmen, um unseren Staat in eine andere Zukunft zu führen, in der Nachhaltigkeit in allen Politikbereichen gefragt ist. Dazu gehört, dass man nicht im Klein-Klein verharrt und über Details streitet, sondern die großen Linien zieht. ({2}) Das große Ziel ist das, was wir im Grundgesetz festgelegt haben, nämlich dass wir ab 2016 nicht mehr Geld ausgeben, als wir einnehmen. Es ist zuvor schon gesagt worden, dass alle Regierungen in den letzten Jahrzehnten nicht mehr das Ziel der Haushaltskonsolidierung im Blick hatten. Deswegen sind wir alle gefragt, die Schuldenbremse einzuhalten, auch die PDS. ({3}) Herr Kollege Claus, wenn Sie sagen, die Schuldenbremse sei eine Bildungsbremse, dann haben Sie das Prinzip der Schuldenbremse nicht verstanden. ({4}) Das ist traurig und wenig nachhaltig. ({5}) Das ist nicht die Realität. Schauen Sie sich an, was die Bundesregierung gemacht hat: Sie hat überall gespart, nur nicht im Bildungs- und im Forschungsbereich. ({6}) - Ja, von den Ländern; das ist egal. ({7}) Aber die Tatsache, dass man ganz bewusst Spielräume gelassen hat, muss man ebenfalls zur Kenntnis nehmen. Es muss unser gemeinsames Ziel sein, diese Spielräume konsequent zu nutzen. Wir als christlich-liberale Koalition machen dies und haben in allen Bereichen Konsolidierungsmaßnahmen getroffen. Beispielsweise haben wir Regelungen auf den Weg gebracht, um die Finanzmärkte zu regulieren, gleichzeitig haben wir darauf geachtet, unsere Wirtschaft nicht abzuwürgen. Ich halte es für die Aufgabe der nächsten Jahre, dass wir gemeinsam sparen, dass wir eine glaubwürdige Politik machen. Das, was Sie mit Ihrem hier eingebrachten Antrag verfolgen, ist unglaubwürdig. ({8}) Aus meiner Sicht verlieren Sie vielmehr den Sinn und Zweck der Schuldenbremse aus den Augen. Sie betreiben hier reinen Populismus. Ihnen geht es darum, sich auf Kosten derjenigen zu profilieren, die versuchen, trotz der großen Zwänge der Schuldenbremse eine realistische Politik umzusetzen. Gab es denn von der SPD Vorschläge, wie man die Schuldenbremse einhalten kann, gab es Vorschläge, wie man eine realistische Politik gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern umsetzen kann? ({9}) Das ist die Aufgabe der Regierung. Sie können polemisch sein und in den Tag hineinleben. Aber Sie verlieren das aus den Augen, was uns allen wichtig ist: verantwortungsvolle und ehrliche Politik für die nächsten Jahrzehnte und für die kommende Generation zu machen. Wir haben heute mit den weitreichenden Beschlüssen im Energiebereich einen wichtigen, nachhaltigen Beitrag geleistet, was die Zukunft der kommenden Generationen angeht. Dafür ist die große Kraftanstrengung des gesamten Hauses notwendig. Die Aufgabe auch der Linken ist es, einen realistischen Weg zu gehen. Den beschreiten Sie nicht nur nicht in der Energiepolitik, sondern diesen Weg verlieren Sie auch bei der Konsolidierung unserer Haushalte aus den Augen. ({10}) Es muss uns allen und vor allem der Bundesregierung ein großes Anliegen sein, dass wir unseren Haushalt ausgleichen, aber zugleich auch die richtigen Entscheidungen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit treffen. Wenn es die Haushaltsspielräume zulassen, sollten wir aber auch steuerliche Maßnahmen ergreifen und Bezieher von mittleren und niedrigen Einkommen entlasten, um ihnen die Teilhabe am Aufschwung zu ermöglichen. Allerdings ist auch da die Zusammenarbeit mit Ihnen schwierig, meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition. Sie nehmen zwar für sich in Anspruch, gerade diese Klientel zu vertreten, tun aber wenig, um entsprechende konkrete Gesetzentwürfe vorzulegen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Wir halten uns an das, was im Grundgesetz verankert ist, und führen die Politik fort, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Die SPD verliert oft das Ziel aus den Augen, etwa bei der Rente mit 67 oder bei Hartz IV. ({11}) Sie wissen nicht mehr, was Sie alles beschlossen haben, was wir gemeinsam Großes in der Großen Koalition auf den Weg gebracht haben, um unser Land in eine gute Zukunft zu führen. Deswegen fordere ich Sie auf: Nehmen Sie diese Herausforderung mit uns an, gehen Sie den Weg der Nachhaltigkeit und der Verlässlichkeit auch in der Haushaltspolitik. Wichtig ist, dass die Menschen das Gefühl haben, dass in der Politik Kontinuität herrscht. Dazu gehört auch die Kontinuität der Haushalte, die Verlässlichkeit der Planungen der Regierung. Wir lehnen Ihren Antrag ab und arbeiten weiter daran, das Ziel der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse einzuhalten. ({12}) Leisten auch Sie hierzu Ihren Beitrag! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Hagedorn das Wort. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Am Anfang möchte ich noch ganz kurz etwas zu Ihnen, Kollege Claus, sagen, weil man es Ihnen nicht durchgehen lassen kann, dass Sie so tun, als sei es die Schuldenbremse, die für all das verantwortlich ist, was Sie hier teilweise zu Recht angeprangert haben, etwa fehlende Investitionen im Osten und fehlende Investitionen in Bildung. ({0}) Das alles hat mit der Schuldenbremse nichts zu tun, sondern das ist die verfehlte Politik der jetzigen Koalition. Da stimme ich Ihnen zu. ({1}) Es sind die Auswirkungen dieses sogenannten Sparpaketes, das eindeutig - die Kollegin Hinz hat schon darauf hingewiesen - eine massive soziale Schieflage in diesem Land verursacht, zulasten gerade der östlichen Bundesländer und strukturschwacher Regionen, zulasten auch der Stadtstaaten wie Berlin und vor allen Dingen zulasten der Menschen, die dringend auf Investitionen in Bildung, in Ausbildung, in lebenslanges Lernen und auf eine Chance, aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszukommen, warten. Aber all das, Kollege Claus, hat mit der Schuldenbremse an sich nichts zu tun, sondern das ist das Ergebnis dieser verfehlten Politik. ({2}) Den Rest meiner Redezeit möchte ich jetzt lieber den vier Fraktionen widmen, die eigentlich für die Schuldenbremse sind. Ich sage „eigentlich“, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb; denn wer wirklich für den Geist der Schuldenbremse ist - wir haben sie vor zwei Jahren gemeinsam eingeführt -, der müsste eigentlich diesem Antrag der SPD zustimmen. ({3}) Es ist schon eine große Enttäuschung, dass Sie das nicht tun. Natürlich entlarven Sie damit ein Stück weit, wie wenig ernst es Ihnen mit dem Sparen tatsächlich ist. Das, was mein Kollege schon ausgeführt hat, brauche ich hier nicht zu wiederholen. Ich will noch einmal deutlich machen - es sollte Sie stutzig machen, dass dass nicht nur die SPD-Fraktion und die Grünen sagen, sondern auch die Bundesbank, der Sachverständigenrat und der Bundesrechnungshof, etwa in einer Sachverständigenanhörung des Haushaltsausschusses im Herbst letzten Jahres, und das seitdem kontinuierlich -, dass Sie mit Ihrer frei gewählten Interpretation der Schuldenbremse auf dem Holzweg sind und dass Sie sich damit selbstverständlich einen zusätzlichen Kreditrahmen von 50 Milliarden Euro - ich beziehe mich auf Zahlen der Bundesbank - schaffen wollen. Natürlich müssen wir vermuten, dass dieses Geld eine Art Kriegskasse für das Jahr 2013 ist; das ist doch wohl logisch. ({4}) Wir werden es zusammen erleben. Das Schlimme daran ist, dass Sie mit diesem Ansinnen erneut auf einem wichtigen Politikfeld, dem der Einführung der Schuldenbremse - darüber hat es in diesem Haus vor gar nicht langer Zeit einen breiten parteiübergreifenden Konsens gegeben -, das gewonnene politische Renommee aufs Spiel setzen. Wir alle haben den Menschen das Versprechen gegeben, stärker zu konsolidieren, nicht um des Sparens willen, sondern um in Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen Gestaltungsspielräume zu schaffen für Bildung, Mobilität, Infrastruktur und Investitionen in die Energiewende, die wir gemeinsam zu bewältigen haben; wie wir alle wissen, ist das, was Sie vorhaben, komplett unterfinanziert. ({5}) Um diese Zukunftsinvestitionen nicht auf Pump tätigen zu müssen, brauchen wir die Schuldenbremse, allerdings in der verschärften Form, wie sie unisono von Bundesbank, Sachverständigenrat und Bundesrechnungshof verlangt worden ist, das heißt auf der Basis der 2010 zugrundegelegten 44 Milliarden Euro und nicht auf Basis der von Ihnen zugrunde gelegten über 65 Milliarden Euro. ({6}) Wenn Sie hier immer so tun, als wenn Sie durch Sparen in der letzten Zeit das ursprünglich in der Großen Koalition festgelegte Ziel einer bestimmten Nettokreditaufnahme erreicht hätten, dann ist das wirklich Volksverdummung. ({7}) Sie profitieren nämlich von konjunkturellen Effekten - das wissen Sie auch -, und konjunkturelle Effekte dürfen entsprechend den Regelungen zur Schuldenbremse eben nicht für langfristige, nachhaltige strukturelle Ausgaben und schon gar nicht für Steuersenkungen, lieber Kollege Fricke, verfrühstückt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hagedorn, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Fricke?

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich, gern.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Kollegin Hagedorn, ich sage an Stellen wie dieser immer: Okay, in jedem Gedanken, den man sich macht, kommt zum Ausdruck, dass man etwas Positives erreichen will. Ich gehe davon aus, dass hinter Ihrer Schuldenbremse etwas Vernünftiges steckt.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hinter meiner?

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Hinter der Schuldenbremse, so wie die SPD sie sich vorstellt und wie sie von den Grünen unterstützt wird. Man behauptet, diese Form sei besser, transparenter, klarer und gerechter. Der Kollege Barthle und ich möchten einfach gerne wissen, wie viele Milliarden Euro Schulden wir, diese Koalition, nach Ihrer Vorstellung am Ende dieses Jahres gemacht haben dürfen. Können Sie eine Zahl nennen? Können Sie „circa soundso viel Milliarden Euro“ sagen? Wenn Sie das könnten, dann könnten wir uns am Anfang des nächsten Jahres wieder treffen und sagen: „Wir haben die Schuldenbremse eingehalten“, oder Sie können sagen: Seht, ihr habt sie nicht eingehalten. - Das wäre eine schöne Sache. Bringen Sie es zustande, uns eine grobe Zahl - plus/minus 1 Milliarde Euro - zu nennen?

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Schulmeister, ({0}) ich will gerne auf Ihre Frage eingehen, ({1}) aber nicht in der Form, die Sie intendieren. Zunächst einmal: Es ist nicht meine Schuldenbremse oder die der SPD oder die der Grünen, sondern unsere gemeinsame; darauf habe ich ausdrücklich hingewiesen. ({2}) Es geht darum, die Auslegung des Schuldenabbaupfades zu konkretisieren, und zwar deshalb - das hat der Kollege Schneider hier gesagt -, weil wir in der Sachverständigenanhörung zu unserer gemeinsamen Schuldenbremse mit Bundesrechnungshof, Bundesbank und Sachverständigenrat festgestellt haben, dass es diese Interpretationslücke gibt. ({3}) Diese Lücke - Sie interpretieren so, wir interpretieren anders - wollen wir schließen. Wir wollen eine gesetzliche Festlegung, um ein für alle Mal Klarheit zu schaffen. ({4}) - Mein lieber Kollege Fricke - wir reden hier im Plenum und nicht im Haushaltsausschuss -, ({5}) ich spreche in erster Linie, weil ich von den Menschen außerhalb dieses Saales, für die „Schuldenbremse“ ein schwer zu verstehender Begriff ist, verstanden werden möchte. Es geht darum - das verstehen die Menschen -, dass Sie durch Ihre freie Interpretation, die von den Sachverständigen nicht geteilt wird, die Chance haben, zusätzlich 50 Milliarden Euro an Krediten aufzunehmen. ({6}) - Das sagen Sie jetzt. Wenn Sie es nicht tun, dann stimmen Sie doch unserem Entwurf zu! Das wäre doch der Beweis für Glaubwürdigkeit. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss zum Schluss kommen. Ich möchte aber noch einen Aspekt aufgreifen, den die Kollegin Prinz ({8}) Hinz - Entschuldigung, Priska - hier schon angesprochen hat. ({9}) Es geht um das, was die Koalition sonst noch alles macht, um die Schuldenbremse auszutricksen. Dabei ist die Belastung der sozialen Sicherungssysteme eines der schwerwiegendsten Probleme. Das gilt insbesondere für die Bundesagentur für Arbeit. Der Kollege Schneider hat es schon angesprochen. Um die Regelungen der Schuldenbremse einzuhalten, haben Sie vor einem Jahr ein sogenanntes Sparpaket aufgelegt. Mit diesem Sparpaket wollten Sie den Unternehmen und den Verursachern der Wirtschaftskrise BelasBettina Hagedorn tungen zumuten. Diese Belastungen kommen nicht; die haben sich in Luft aufgelöst. Das Einzige, was Sie wirklich umsetzen, ist Ihr völlig unsoziales Sparpaket zulasten des Etats von Frau von der Leyen im Bereich Arbeit und Soziales. Das sind ungefähr 40 Prozent des gesamten Sparpakets. Das führt dazu, dass das, was Sie bei der Bundesagentur für Arbeit, bei Arbeitslosengeld-II-Empfängern jetzt sparen, nur ein Bruchteil dessen ist, was noch folgt. In Wahrheit kommt die große Welle an Einsparungen und Kürzungen erst noch auf die Länder zu. Ich war vor kurzem bei einer Veranstaltung in Berlin. Da musste ich den Leuten mitteilen: Wenn Sie glauben, dass das, was durch dieses Sparpaket in diesem Jahr bei der Bundesagentur für Arbeit hier eingespart wird, nämlich 136 Millionen Euro, schon viel ist, dann irren Sie sich; Sie müssen realisieren, dass sich das in den nächsten Jahren nach den Beschlüssen der Koalition allein für Berlin bis 2015 auf über 500 Millionen Euro pro Jahr steigern wird. Dieses Geld fehlt der Generation, der wir mit der Schuldenbremse eigentlich Chancen für die Zukunft erhalten wollen. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Brackmann für die Unionsfraktion. ({0})

Norbert Brackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004017, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemeinhin sagt man: Mens agitat molem. Zu Deutsch: Der Geist bewegt die Materie. - Aber der Geist Ihres Entwurfs hat offenbar nicht einmal Ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen erreicht; denn wir müssen feststellen: Bei dieser trockenen Materie konnte offenbar nicht erreicht werden, dass Ihnen allen klar ist, worum es bei der Berechnung der Schuldenbremse eigentlich geht. Jedenfalls war die inhaltliche Debatte offenbar anders angelegt. Deshalb ist das hier eine Diskussion, die viele Bürger nicht verstehen, die mit dem Geist der Schuldenbremse wenig zu tun hat und vor allen Dingen mit dem Ergebnis überhaupt nichts zu tun hat. Die Schuldenbremse schreibt den Endpunkt auf 2016 fest. Mit Ihrem Entwurf sagen Sie, dass Sie für das, was wir im Grundgesetz in Bezug auf den Abbaupfad festgeschrieben haben - der Abbau hat im Übrigen linear zu erfolgen und endet 2016 bei einem Fixpunkt -, eine flachere Entwicklung haben wollten. Wir sprechen in dieser Situation über eine sehr trockene Materie und vergessen dabei, dass wir eine extrem gute wirtschaftliche Lage haben. Die Nettokreditaufnahme ist weitaus geringer, als wir geplant haben. Wir werden bei unter 40 Milliarden Euro landen. Die Arbeitslosenzahlen sinken. Gerade heute wurde verkündet, dass wir 228 000 Arbeitslose weniger haben als vor exakt einem Jahr. Die Wirtschaft boomt - 3,3 Prozent mehr Wachstum -, und die Steuereinnahmen sprudeln. Einmal weg von dieser trockenen Materie Ihres Entwurfs: Eine Schuldenbremse muss man nicht nur dem Geist nach, sondern auch dem Inhalt nach leben. ({0}) - Das wäre doch gut, wenn wir das täten. ({1}) Das setzt aber auch voraus, dass wir das Geld dafür aufbringen. Denn man muss die Schuldenbremse nicht nur wollen, man muss sie auch leben. Das Einhalten der Schuldenbremse erreicht man nämlich nicht über Ausgaben, sondern darüber, dass man Ausgaben eben nicht tätigt. ({2}) Wir alle wissen, was eine zu hohe Staatsverschuldung bedeutet. In diesen Tagen können wir im Mittelmeerraum sehr genau beobachten, welche Bedeutung das hat. Getreu dem Motto „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Die jährliche Neuverschuldung ist nach wie vor viel zu hoch. Das wissen wir. ({3}) Im Jahre 2011 kann sie nach dem beschlossenen Haushalt 48 Milliarden Euro betragen. Wir werden die Nettoneuverschuldung in diesem Jahr so weit reduzieren können, dass wir auf unter 40 Milliarden kommen werden. Hier fängt es an, blümerant zu werden. Der Behauptung von Herrn Schneider, wir könnten 50 Milliarden mehr Schulden machen, als das nach Ihrem Antrag möglich sei, liegen offenbar Zahlen zugrunde, die aus der Zeit stammen, als wir den Haushalt 2011 beschlossen haben. Wir müssen aber linear abbauen; schon deshalb stimmen diese 50 Milliarden nicht. Das ist eine schlichte Irreleitung der öffentlichen Diskussion. ({4}) - Die Bundesbank hat das zu Beginn dieser Diskussion gesagt; sie sagt es eben nicht heute. Sie meinen jetzt, dass wir uns auf einen anderen Wert kaprizieren müssen. Wo aber sind wir dann, wenn Sie uns schon Trickserei und - wie Sie es nannten, Herr Schneider - Schummelei vorwerfen? Wo sind denn die konkreten Zahlen, die Frau Hagedorn nicht nennen konnte? Wir hätten die Möglichkeit, 53 Milliarden Nettoneuverschuldung zu machen. Die Regierung hat diesen Wert doch gar nicht ausgeschöpft, und wir als Bundestag auch nicht. ({5}) Wir haben bereits zusammengekürzt, und zwar anders, als Finanzminister Steinbrück das seinerzeit noch begründet hatte. Weil er wusste, dass man nur mit Zahlen operieren kann, die vorliegen, ist er davon ausgegangen, dass wir mit Soll-Zahlen operieren. Damit hätten wir diese 53 Milliarden ausschöpfen können. Im Laufe des Jahres 2010 zeichnete sich aber eine Verbesserung ab. Da haben wir bereits gesagt: Wir gehen auf die 44 Milliarden herunter. - Wenn wir jetzt Ihren Gesetzentwurf zugrunde legen, müssten wir retrospektiv völlig neue Berechnungen durchführen und unser ganzes Zahlenwerk neu aufdröseln. Inhaltlich - und das ist das eigentlich Dramatische - würde das noch nicht einmal etwas bringen. Wie sehen denn die Zahlen aus? Wenn wir die 44 Milliarden zugrunde legen, dann müssten wir bei dem linearen Abbau jedes Jahr knapp 6 Milliarden weniger ausgeben. Das wären dann für 2011 38 Milliarden. Wir haben aber gerade vernommen, dass wir unter 40 Milliarden gehen. Das heißt, wir erreichen bei der Nettoneuverschuldung ohnehin genau diesen Wert, sodass Ihr Gesetzentwurf auch dort ins Leere laufen würde. Wenn wir das für 2012 weiterrechnen, müsste die Nettoneuverschuldung um weitere 6 Milliarden sinken. Das hieße, die Nettoneuverschuldung dürfte nur noch 32 Milliarden betragen. Warten Sie die nächste Woche einmal ab. Ich bin ganz gespannt. ({6}) Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung uns einen Haushaltsentwurf vorlegt, bei dem die Nettoneuverschuldung unter diesen 32 Milliarden liegen wird. Das wird dann der schlagende Beweis dafür sein, dass wir konsequent eine solide Haushaltspolitik betreiben, deren Ansätze noch unter denen liegen, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf wollen. Das ist außerdem der schlagende Beweis für einen supersoliden Haushalt der Regierungskoalition, der den Menschen in Deutschland eine vernünftige Zukunft sichern wird. ({7}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Konsequenz dessen, worüber wir seit anderthalb Jahren diskutieren: intelligent zu sparen, um Wachstum zu produzieren. ({8}) Die Folgen dieser Politik ernten wir heute. Mit unserem Wachstum erreichen wir über natürliche Einnahmeerhöhungen, dass wir die Schuldenbremse locker einhalten. Wenn heute in diesem Hause von Frau Hinz unter Hinweis auf die ALG-II-Verhandlungen vorgetragen wird, dass wir die Bundesagentur für Arbeit geschröpft hätten, kann ich nur sagen: Das gesamte Vermittlungsverfahren war weder von uns initiiert noch war es darauf angelegt, dass wir in den Vermittlungsverfahren mehr Geld ausgeben oder dass es für den Bund teurer und damit die Einhaltung der Schuldenbremse auch noch zusätzlich erschwert wird. Insofern sollten Sie bei den Leisten bleiben. ({9}) Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Schuldenbremse zum Erfolg geführt wird. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Artikel115-Gesetzes. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6241, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4666 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Danach entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und diese jetzt als Zusatzpunkt 21 aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Somit rufe ich jetzt den Zusatzpunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/6384 Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6384, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 6 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 17/6290

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Innenausschuss ({0}) Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Günter Krings von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({1})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben den Deutschen Bundestag, also auch die Opposition, im Zusammenhang mit unserem heute auch förmlich einzubringenden Gesetzentwurf zum Bundestagswahlrecht - das gebe ich unumwunden zu - auf eine lange Geduldsprobe gestellt. Aber diese Geduldsprobe ist zu Ende: Wir, die Koalition, haben in dieser Sitzungswoche unseren Gesetzentwurf vorgelegt. Ich freue mich besonders, dass wir zumindest mit der ersten Lesung die heute ablaufende Frist einhalten; es ist schade, dass wir sie nur mit der ersten Lesung und nicht, wie es sich eigentlich gehört - auch das habe ich schon beim letzten Mal gesagt -, mit der dritten Lesung einhalten. ({0}) Aber - wir haben das schon in den letzten Debatten erklärt - es ist auch eine komplizierte, komplexe Materie. Es wäre sicherlich noch schöner gewesen, vielleicht schon fraktionsübergreifende Konsenspunkte zu haben; aber alle anderen Fraktionen - ich nehme das gar nicht übel; denn das gebot die Zeit - haben ihre Anträge bereits vorgelegt. Wir nutzen die Regelungen, die uns das Grundgesetz und die Geschäftsordnung vorgeben, um im Bundestag über die vier verschiedenen Anträge zu debattieren und uns in Anhörungen und Ausschusssitzungen zu beraten. Das ist das gesetzlich vorgesehene Verfahren. Ganz überraschend dürfte das, was wir in dieser Woche vorgeschlagen haben, nicht sein. Wir haben uns schon mehrfach öffentlich zu den Grundstrukturen unserer Vorschläge geäußert; das haben der Kollege Ruppert, der Kollege Uhl, ich und andere getan. Ich habe an dieser Stelle seit zweieinhalb Jahren erklärt: Wir wollen das Wahlrecht nicht komplett umkrempeln; wir wollen einen minimalinvasiven Eingriff, weil sich das Wahlrecht - die Verbindung aus Erst- und Zweitstimme und das System des personalisierten Verhältniswahlrechts - im Kern bewährt hat. Wir wollen nur so viel reformieren, wie notwendig ist, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen. ({1}) Deswegen schlagen wir dem Haus eine Lösung vor, die sich eng an den Ursachen des Problems orientiert. Es ist in der Politik ohnehin ratsam, Lösungen zu finden, die mit den Ursachen des Problems etwas zu tun haben. ({2}) Das Bundesverfassungsgericht hat uns ausdrücklich nicht den Auftrag gegeben, die Überhangmandate abzuschaffen. Wir gehen die entscheidende Ursache des negativen Stimmgewichts an. Das sind nicht zentral die Überhangmandate, sondern das ist die Verknüpfung der Landeslisten in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Landeslisten müssen getrennt werden. Das ist eine verblüffend einfache Erkenntnis. Wenn das Problem die Verknüpfung der Landeslisten ist, ist die Lösung die Trennung der Landeslisten. Der Kern unseres Vorschlags - so simpel ist das - ist die Streichung eines einzigen Paragrafen, des § 7 Bundeswahlgesetz, der diese Verbindung bislang möglich gemacht hat. Zu dem Vorschlag konkret: Wir schlagen ein einfaches Verfahren mit zwei Rechenschritten und einem dritten, ergänzenden Schritt vor. Im ersten Schritt werden die 598 Mandate des Deutschen Bundestages auf die 16 Bundesländer aufgeteilt. Nach welchem Kriterium? Auch darüber gibt es Diskussionen. Wir haben gesagt: Das beste Kriterium ist die Wahlbeteiligung. Wir können nicht immer die mangelnde Wahlbeteiligung beklagen und sagen, dass es für die Aufteilung egal ist, wie hoch die Wahlbeteiligung ist. Wir werden dem Prinzip der Erfolgswertgleichheit dann gerecht, wenn wir die Aufteilung nach der Wahlbeteiligung und nicht nach der Bevölkerungszahl vornehmen. Der zweite Rechenschritt ist ebenfalls ganz einfach. In jedem Bundesland werden die einzelnen Mandate entsprechend dem Wahlergebnis auf die Parteien aufgeteilt. Wir haben uns entschlossen, einen dritten, ergänzenden Schritt vorzunehmen - eine Modifikation -; denn wir müssen einräumen, dass durch die Kappung der Landeslisten relativ viele Reststimmen übrigbleiben. Das kann zu Verwerfungen zwischen den Parteien führen. Das betrifft übrigens große wie kleine Parteien; das will ich hier einmal ganz deutlich sagen. Eine Partei hat Pech, wenn sie aufgrund dieser Trennung in 16 Ländern knapp vor dem nächsten Mandat hängenbleibt. Ich finde es nur fair, dafür einen gewissen Ausgleich vorzusehen, diese Reststimmen einzusammeln und zusätzlich auf die Landeslisten, die die meisten Reststimmen haben, zu verteilen. Das ist ein sinnvoller Schritt, auch wenn der Bundestag dadurch um einige wenige Mandate erweitert werden könnte. Wir gehen nach sehr klaren Rechnungen davon aus, dass wir dabei im einstelligen Bereich bleiben. Wir würden deutlich weniger stark zulegen, als das bei den Ausgleichsmandaten der Fall wäre, die die SPD vorgeschlagen hat. Das könnte 30 bis - im ungünstigsten Fall - 100 Ausgleichsmandate bedeuten. Unser Vorschlag bedeutet eine vertretbare, ganz geringfügige Ausweitung des Bundestages. Ist das ein perfekter Vorschlag? Nein, natürlich ist das kein perfekter Vorschlag. Es ist aber mit Abstand der beste Vorschlag von denen, über die in diesem Haus und in der Wissenschaft diskutiert wurde; ({3}) denn wir beseitigen das negative Stimmgewicht nach den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. In dem entsprechenden Urteil wurde festgestellt, akzeptabel sei ein negatives Stimmgewicht allenfalls in seltenen, unvermeidbaren Ausnahmefällen. In diesem Sinne beseitigen und verhindern wir das negative Stimmgewicht ausnahmslos im Regelfall. ({4}) Nur bei nicht lebensnaher, unrealistischer Betrachtung kann dieser Effekt eintreten. ({5}) Wir halten uns sehr eng an den Wortlaut des Bundesverfassungsgerichts. Mit diesem Ansatz wird das Problem gelöst. Vor allem aber - und das ist viel wichtiger - werden damit keine neuen großen Probleme geschaffen, was Folge der Oppositionsvorschläge wäre. Wem unser Vorschlag nicht hundertprozentig zusagt, wer das Haar in der Suppe sucht - das kann man immer finden -, der müsste eigentlich spätestens dann überzeugt sein, wenn er sich einmal kurz die Vorlagen der Opposition anschaut. Die Grünen, inzwischen auch die Linken, fordern die Verrechnung der Überhangmandate mit Listenmandaten auf anderen Landeslisten; das ist bekannt. Dann müssten die Überhangmandate, die zum Beispiel in Baden-Württemberg und Sachsen entstehen könnten, dadurch kompensiert werden, dass man bereits gewonnene Listenmandate in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg oder anderswo abzieht. Das ist keine gerechte Lösung. ({6}) Das ist eine grob ungerechte Lösung, gerade für die Länder, die in der Regel keine Überhangmandate erhalten. Ich komme aus einem solchen Bundesland. Das ist eine föderalismusfeindliche Lösung. Die Länder werden doppelt bestraft: Sie erhalten keine Überhangmandate, und beim Ausgleich müssen sie für die anderen auch noch sozusagen die Kompensation leisten. Das ist föderalismusfeindlich. ({7}) Zugleich ist der Vorschlag bürgerfeindlich; denn er führt auch zu einer schlechteren Repräsentanz der Einwohner dieser Länder. Einige ganz konkrete Beispiele: Wäre bei der letzten Bundestagswahl Ihr Modell angewandt worden, hätte das dazu geführt, dass die CDU in Brandenburg trotz 327 000 Wählern nur ein einziges Bundestagsmandat erhalten hätte. In Brandenburg hatten die Grünen 77 000 Wähler und hätten auch ein Bundestagsmandat bekommen. ({8}) In Bremen hatte die CDU 81 000 Wähler und hätte kein einziges Bundestagsmandat bekommen. Ich kann durchaus verstehen, dass die Grünen diesen Vorschlag gut finden, wenn sie dadurch in Brandenburg mit 77 000 Stimmen genauso viele Mandate bekommen wie die CDU mit 327 000 Stimmen. Aber dies ist nicht fair. Deswegen können wir diesen Vorschlag nicht umsetzen. ({9}) Noch absurder ist natürlich, wenn man, wie auch vorgeschlagen, direkt gewählten Abgeordneten das Mandat zur weiteren Kompensation von Überhangmandaten abnehmen will. Auch das ist Teil des grünen Vorschlags. ({10}) Das wäre wirklich Gift für die Akzeptanz des Wahlrechts in Deutschland. Wir haben oft über mögliche Sargnägel für die Demokratie gesprochen. Das wäre ein solcher Sargnagel. Das, was Grüne und Linke hier vorgeschlagen haben, erinnert - das müssen wir in aller Sachlichkeit sagen - ein bisschen an den Arzt, der stolz verkündet: Die Operation - nämlich die Beseitigung des negativen Stimmgewichts - ist geglückt, nur leider ist der Patient Demokratie dabei verstorben. - Das wollen wir nicht. ({11}) Eine brauchbare Alternative stellt im Ergebnis auch der Vorschlag der SPD nicht dar, einen Ausgleich von Überhangmandaten vorzunehmen. Er löst das selbstgestellte Problem nicht. Was ist negatives Stimmgewicht? Negatives Stimmgewicht heißt: Wenn x Stimmen für eine Partei A weniger abgegeben werden, bekommt sie dadurch einen Sitz mehr. Das ist zugegebenermaßen ein widersinniges Ergebnis. Genau das Problem lösen Sie nicht. Bei Ihrem Vorschlag besteht es weiter: Es werden x Stimmen weniger abgegeben, und die Partei bekommt trotzdem einen Sitz mehr. Genau dieses Phänomen gehen Sie nicht an. ({12}) Das Verfassungsgericht hat aber nicht gesagt, dass das negative Stimmgewicht ausgeglichen werden soll, es hat gesagt, dass es beseitigt werden soll. ({13}) Der zweite Nachteil dieser Lösung ist, dass sie zu einer drastischen Vergrößerung des Bundestages, durchaus auch im dreistelligen Bereich, führen würde. Der Vorschlag, dafür die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren, ist vielleicht gut gemeint, Herr Oppermann, wäre aber eine Verschlimmbesserung. Denn die Direktwahlkreise in unserem Land sind ein ganz entscheidendes Bindeglied zwischen Bürger und Bundestag. Die Direktwahlkreise sind das Fundament für die Akzeptanz und Bürgernähe unserer Politik. Eine Verringerung der Zahl der Direktwahlkreise würde zu weniger Bürgernähe führen. ({14}) Der Hauptunterschied zwischen den Vorschlägen der Opposition und unserem Gesetzentwurf als Regierungskoalition ist: Wir wollen zentral das negative Stimmgewicht beseitigen. ({15}) Sie wollen die Überhangmandate beseitigen. Man kann sich - das sage ich ganz ausdrücklich - darüber unterhalten, wie man mit Überhangmandaten umgeht, ob man vielleicht einen Teilausgleich vornimmt. Das alles sind Überlegungen, die man politisch anstellen kann. Aber - das sage ich noch einmal - das reicht nicht aus, um das Problem des negativen Stimmgewichts, so wie das Bundesverfassungsgericht es versteht, zu lösen. Eines ist nicht in Ordnung: hier so zu tun, als ob der einzige Weg, das Problem des negativen Stimmgewichts zu lösen, ein Angriff auf die Überhangmandate ist. Wir sollten uns gemeinsam davor hüten, die Gerichtsentscheidung dafür zu missbrauchen, ein politisches Ziel, über das man politisch streiten kann, mit verfassungsrechtlichen Weihen zu versehen. Das ist nicht fair und angemessen gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, das eine verfassungsrechtliche Entscheidung und keine politische Grundentscheidung getroffen hat. ({16}) Im Deutschen Bundestag - das sage ich mit Blick auf die Überhangmandate sehr deutlich - gibt es keine Abgeordneten erster und zweiter Klasse. Auch die Abgeordneten, die ihr Mandat einem Überhangmandat zu verdanken haben, sind vollwertige Mitglieder unseres Hauses. Das wird durch die Vorschläge der Opposition ein wenig infrage gestellt. Unser Wahlrecht basiert auf Erst- und Zweitstimmen. Ein integraler Bestandteil dieses Systems sind die Überhangmandate. Das hat auch einmal in weiten Teilen die Opposition so gesehen, die SPD und auch die Grünen. Ich darf daran erinnern, dass fast jahrzehntelang der Hauptprofiteur der Überhangmandate die SPD war. Ich darf daran erinnern, dass ein gewisser Gerhard Schröder als Bundeskanzler 2001 hier in diesem Hause nur deshalb die Vertrauensfrage gewonnen hat, weil er Überhangmandate hatte. Die Mehrheit war so knapp, dass er ohne diese Überhangmandate nach den Wahlen 1998 und 2002 nicht Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewesen wäre. ({17}) Wir hätten das nicht bedauert; ich möchte das nur einmal so feststellen. Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Es gibt immer Alternativen in der Politik. Wir werden schauen, ob es Brücken zwischen den Vorschlägen gibt. Dazu wird es Gespräche und ein Anhörungsverfahren geben; das ist selbstverständlich. Ich möchte noch kurz ein gemeinsames Anliegen erwähnen, das wir in diese Gespräche einbringen wollen. Wir wollen den subjektiven Rechtsschutz im Wahlverfahren einführen; diesen gibt es zurzeit in Deutschland nicht. Das ist ein weißer Fleck auf der Rechtsschutzkarte Deutschlands. Darüber sollten wir uns in allen Fraktionen einig sein. Wir hatten überlegt, das in diesen Gesetzentwurf aufzunehmen; das ist übrigens eine der Ursachen, warum wir diesen Vorschlag relativ spät vorlegen. Uns ist dann klar geworden, dass dies zu komplex und schwierig wäre; es erfordert vielleicht sogar eine Grundgesetzänderung. Von daher freue ich mich auf die Gespräche zur Frage eines negativen Stimmgewichts, aber auch zur Einführung eines Rechtsschutzes in Bezug auf Wahlsachen in Deutschland. Ganz herzlichen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Thomas Oppermann von der SPD-Fraktion.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist der 30. Juni. Heute läuft die vom Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren gesetzte Frist zur Reparatur des Wahlrechts ergebnislos ab. ({0}) Das hat schwerwiegende Konsequenzen. Wir haben im Augenblick in Deutschland kein Wahlrecht, das angewendet werden kann. ({1}) Auf der Basis dieses Wahlrechts kann keine Bundestagswahl mehr durchgeführt werden. Eine Wahl, die durchgeführt werden würde, wäre ungültig. Der Bundestag müsste aufgelöst werden, und es gäbe dann nicht einmal mehr ein Parlament, das ein verfassungsgemäßes Wahlrecht verabschieden könnte. In diese groteske Situation haben Sie den deutschen Parlamentarismus gebracht. ({2}) Früher haben die Politiker von Union und FDP immer die rechtsfreien Räume in der Gesellschaft kritisiert. Wenn Hausbesetzer sich anmaßten, ein Haus zu besetzen, hat Herr Uhl gesagt: Das ist ein rechtsfreier Raum, den dürfen wir nicht dulden. ({3}) Heute schaffen Sie - nicht in der Gesellschaft, aber mitten im Staat, im Bereich des für die Demokratie konstitutiven Wahlrechts - einen rechtsfreien Raum in unserer Demokratie. Das ist ein unerträglicher Zustand, den Sie da geschaffen haben. ({4}) Wer eine dreijährige Frist des Bundesverfassungsgerichts nicht respektiert, der missachtet unsere Demokratie und unsere Verfassung. Und er zeigt eine beispiellose Respektlosigkeit gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. ({5}) Ich komme nun zu dem Gesetzentwurf, den Sie eingebracht haben. Das ist kein Gesetzentwurf zur Reform unseres Wahlrechts, sondern ein Gesetzentwurf zur Absicherung eines machtpolitischen Sondervorteils in Gestalt von Überhangmandaten. Das ist das einzige Ziel, das Sie verfolgen. ({6}) Wir hatten bisher in Deutschland ein einheitliches Wahlgebiet: Das deutsche Volk wählte den Deutschen Bundestag. Sie spalten jetzt das einheitliche Wahlgebiet in 16 verschiedene Wahlgebiete auf. Mal werden diese Wahlgebiete getrennt, dann werden sie an anderer Stelle bemerkenswerterweise wieder miteinander verbunden. ({7}) Das ist ein dürftiges Notkonstrukt, das den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in keiner Weise Rechnung trägt. ({8}) Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen. Sie erfinden jetzt sogar ein ganz neues negatives Stimmgewicht. Bisher gab es das nur im Zusammenhang mit Überhangmandaten. ({9}) Jetzt aber beziehen Sie in die Verteilung der Mandate auf die Länder - mit weitreichenden Folgen - auch die Stimmen ein, die nach dem geltenden Wahlrecht unter den Tisch fallen würden, weil die entsprechenden Parteien keine 5 Prozent erreicht haben. Die 58 000 Wählerinnen und Wähler, die 2009 in Berlin die Piratenpartei gewählt haben, wollten die Piratenpartei wählen. Jetzt würden diese Stimmen aber mitzählen - mit der Konsequenz, dass das Land Berlin ein Mandat mehr als bei der letzten Wahl bekäme. ({10}) Innerhalb von Berlin entfiele dieses Mandat auf die Grünen. Ich unterschätze die Wähler der Piratenpartei nicht; aber sie wollen ganz sicher eines nicht: Sie wollen nicht, dass ihre Stimme dazu führt, dass die Grünen ein Mandat mehr bekommen. ({11}) Das ist die Konsequenz Ihres Wahlrechts bzw. des negativen Stimmgewichts, das Sie ganz neu in unser Wahlrecht einbringen wollen. ({12}) Damit werden Sie vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg haben. Sie trennen die Wahlgebiete, um die Wanderung von Mandaten zwischen Landeslisten zu unterbinden. Dann aber müssen Sie die 16 Wahlgebiete wieder verbinden, weil Sie eine bundeseinheitliche 5-Prozent-Klausel beibehalten wollen. ({13}) Sie müssen das auch verbinden, weil die FDP unbedingt die Verwertung der Reststimmen haben möchte. ({14}) Die CDU trennt, damit sie die Überhangmandate behalten kann. Die FDP verbindet, damit die Reststimmen verwertet werden können. ({15}) Jeder von Ihnen will bei der Gestaltung des Wahlrechts auf seine Kosten kommen. ({16}) Ich sage Ihnen: Das Wahlrecht ist nicht dazu da, dass die Parlamentsmehrheit auf ihre Kosten kommt, sondern das Wahlrecht ist Ausdruck des großen Versprechens der Demokratie. Das große Versprechen der Demokratie ist die Gewährleistung des gleichen Wahlrechts für alle Wahlbürgerinnen und Wahlbürger. Das bedeutet, ihre Stimme muss das gleiche Gewicht haben. ({17}) Es darf kein doppeltes Stimmgewicht geben. Überhangmandate bedeuten aber im Ergebnis ein doppeltes Stimmgewicht, nämlich für Wählerinnen und Wähler von Abgeordneten, die ein Überhangmandat gewinnen. Ich sage Ihnen: Wir wollen die Überhangmandate abschaffen und dieses Problem in der politischen Auseinandersetzung lösen. ({18}) Wenn Sie Überhangmandate im Wahlrecht verankern und absichern wollen, wird der politischen Debatte eine juristische Auseinandersetzung vor dem Bundesverfassungsgericht folgen. ({19}) Jetzt ist der Zeitpunkt, zu handeln. Am Ende könnte es allerdings darauf hinauslaufen, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten abschließend klären muss. Ich sage Ihnen ganz kurz, warum wir Überhangmandate für verfassungswidrig halten. Das hat vier Gründe: Der erste Grund ist das doppelte Stimmgewicht, das ich schon erwähnt habe. Zweitens führen Überhangmandate zu einer massiven regionalen Umverteilung bzw. Ungleichverteilung der Mandate. So hat Baden-Württemberg bei der letzten Bundestagswahl zehn Überhangmandate erhalten, für die man dort aber überhaupt keine Zweitstimmen bekommen hat. Drittens beeinträchtigen Überhangmandate die Chancengleichheit der Parteien. Die SPD musste bei der letzten Bundestagswahl im Durchschnitt 68 500 Stimmen erhalten, um ein Mandat zu gewinnen. Die Union bekam ein Mandat schon bei 61 000 Stimmen. Das ist ein Sondervorteil, der nicht legitimiert ist. ({20}) Viertens können Überhangmandate schlimmstenfalls sogar die Zweitstimmenmehrheit umdrehen. Das wäre in der Tat eine Situation, in der die Menschen das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie verlieren würden. Wir werden ein Wahlgesetz, das Überhangmandate weiter absichert, dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorlegen; das sage ich Ihnen schon jetzt. ({21}) Von Ihnen erwarten wir, dass Sie diesen Gesetzentwurf schnell mit Ihrer Mehrheit verabschieden, damit wir genügend Zeit für die gerichtliche Überprüfung haben. ({22}) Das Wahlrecht muss klar, einfach und manipulationsfrei ausgestaltet werden. Wenn die Koalition die Machtpolitik über das Verfassungsrecht stellt, dann werden wir die Hilfe des Bundesverfassungsgerichts suchen und ein demokratisches, gleiches Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erwirken. Vielen Dank. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein relativ bekannter Verfassungsrechtler hat gesagt, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt, die uns in die Lage versetzt, das bestehende Wahlrecht abschaffen zu müssen. Damit wollten wir uns nicht zufriedengeben. Wir waren der Meinung, das Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland hat sich bewährt. Es ist in seinen Grundzügen zu erhalten. Ich glaube, es ist lohnend, darüber nachzudenken, wie man es erhalten kann. Wir haben das zugegebenermaßen lange getan. ({0}) Aber die Aufgabe war sehr kompliziert. ({1}) Wir haben inzwischen eine Lösung gefunden - das muss man Herrn Oppermann entgegnen -, die vielerlei Vorteile hat. Sie hat ein unitarisches Element, weil sie die Fünfprozenthürde auf Bundesebene erhält. Sie hat ein föderales Element, weil sie, das Prinzip des negativen Stimmgewichts beseitigend, 16 Wahlgebiete kennt. Allerdings berücksichtigt sie - das ist der dritte Aspekt den gleichen Erfolgswert der Stimmen, weil sie in den kleiner werdenden Wahlgebieten auch die unter den Tisch fallenden Stimmen im Rahmen einer Reststimmenverwertung zu Mandaten werden lässt. ({2}) Es wäre ein echtes verfassungsrechtliches Problem, wenn wir 16 Wahlgebiete und damit 16-mal Rundungsungenauigkeiten bei der Mandatsverteilung schaffen würden, ohne die dann unter den Tisch fallenden Stimmen einer Reststimmenverwertung zuzuführen. ({3}) Insofern ist die bestehende Lösung mit einem unitarischen, einem föderalen Element und einem Element des gleichen Erfolgswerts jeder Stimme eine sachgerechte Lösung. Ich höre, wir hätten eine Staatskrise oder kein verfassungsgemäßes Wahlrecht. ({4}) Ich will Sie jetzt nicht mit den Einzelheiten juristischer Präzision behelligen. Aber erstens haben wir ein Wahlrecht, ({5}) zweitens sind wir zu diesem Zeitpunkt bei der ersten Lesung, und drittens haben wir die Möglichkeit, innerhalb der Fristen der Auflösung für den Bundestag jederzeit ein verfassungsgemäßes Wahlrecht abschließend herzustellen. Sie sollten das Wort „Staatskrise“ für wirklich ernsthaftere Problemlagen verwenden, anstatt es so inflationär zu benutzen und somit zu entwerten. ({6}) Leider erliegen Sie dem politischen Reflex, die Wahlrechtsfrage nach der bestehenden politischen Wetterlage und den politischen Umfragewerten anzugehen. Sie haben nicht das Selbstbewusstsein, zu glauben, dass Sie irgendwann einmal wieder erstarken. ({7}) Sie haben auch nicht das Selbstbewusstsein, zu sehen, dass Sie in der Vergangenheit durchaus zahlreiche Überhangmandate gewonnen haben. In 60 Jahren haben Sie sich nie über Überhangmandate beschwert. Sie haben über 60 Jahre lang davon profitiert. In schweren Phasen Ihrer Partei hat sich Rot-Grün auf diese Mandate verlassen; Herr Krings hat das schon gesagt. Herr Schröder ist nur deswegen im Amt geblieben, weil Sie diese Mandate hatten. Jetzt spielen Sie sich aufgrund der aktuellen Wetterlage plötzlich zum Bekämpfer dieser Mandate auf. ({8}) Man muss einmal sagen: Die SPD hat in drei Jahren keine Lösung des Problems vorgelegt. ({9}) Sie haben vielmehr ihre gesamte Kraft darauf verwendet, zu behaupten, das Problem sei nicht das negative Stimmgewicht, sondern das Problem seien die Überhangmandate. Sie versuchen der geneigten Öffentlichkeit vorzuführen, dass wir ein Problem A und ein Problem B haben. ({10}) Das Bundesverfassungsgericht hat uns zwar die Lösung des Problems A aufgegeben. Sie aber wollen sich lieber dem Problem B - den Überhangmandaten - widmen. ({11}) Wenn wir die Wahl 2005, die Nachwahl in Dresden, nicht unter dem damaligen Wahlrecht, sondern unter dem Wahlrecht, das die SPD jetzt vorschlägt, durchgeführt hätten, dann hätte die Union trotz weniger Stimmen noch immer ein Mandat mehr bekommen. ({12}) Da muss man sich doch folgende Kontrollfrage stellen: Entfällt dann nicht der Klagegrund für die Klage beim Bundesverfassungsgericht? ({13}) Die Antwort ist Nein. ({14}) Wer auf eine solche Weise mit den uns gestellten Aufgaben umgeht, der ist, was diese Frage angeht, meiner Meinung nach nicht in der Position, zu kritisieren. ({15}) Es fällt mir schwer, dies zu sagen: Den einzigen diskutablen Entwurf aus Oppositionskreisen hat die Linke eingebracht. ({16}) Dass in Ihrem Entwurf direkt gewählte Mandate, ({17}) also Mandate mit einer sozusagen größtmöglichen Legitimation, schlicht entfallen - so haben es die Grünen vorgeschlagen - und ganze Wahlkreise in Deutschland überhaupt keinen Abgeordneten haben, zeigt, dass es sich hierbei nicht um einen verfassungsrechtlich satisfaktionsfähigen Vorschlag handelt. Es erübrigt sich daher von selbst, darüber zu diskutieren. Die Linken lösen das Problem, dass ein ganzer Wahlkreis kein Mandat hat, indem sie sagen: Wir gleichen es aus. Dieses Vorgehen - das ist es, was aus unserer Sicht dagegen spricht zieht aber einen enormen Hebel für die Vergrößerung des Bundestages nach sich. ({18}) Sie würden einen enorm vergrößerten Bundestag schaffen. In gewissen Konstellationen wären es gegebenenfalls 100 bis 120 zusätzliche Mandate. Stellen Sie sich vor, eine Partei erreicht beim ersten Mal 8 Prozent und beim zweiten Mal 10 Prozent. Weil es aber keine Ausgleichsmandate mehr gibt, hat sie beim zweiten Mal 2 Prozent mehr und trotzdem weniger Mandate. ({19}) Das sind alles Ungenauigkeiten, die man Ihnen nicht durchgehen lassen kann. Am Ende bleibt zu sagen: Das Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland hat sich in allen Grundzügen bewährt. Anders, als Sie es glauben, sind Überhangmandate bis zu einer Größenordnung von 5 Prozent vom Verfassungsgericht nicht beanstandet worden. In der aktuellen Entscheidung, die wir heute diskutieren, wurde sogar gesagt, dass sie explizit zulässig sind. Insofern ist mein Petitum: Lasst es uns um ein weiteres Element des subjektiven Wahlrechtsschutzes ergänzen. Wir haben in der Tat lange gebraucht. Aber dafür hat die Koalition auch ein gutes Ergebnis erzielt, nicht nur, was den Stil der Zusammenarbeit angeht. Wir haben trotz zum Teil unterschiedlicher Interessenlage - das liegt bei kleinen und großen Parteien in der Natur der Sache - mit der CDU/CSU gut zusammengearbeitet. Wir haben einen tollen Vorschlag, mit dem wir stolz in die Öffentlichkeit treten können. Ich glaube, die Bundesrepublik Deutschland hat ein gutes Wahlrecht, wenn wir diesen Gesetzentwurf beschließen. Vielen Dank. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak von der Fraktion Die Linke.

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor wir in die Einzelheiten des Koalitionsentwurfs einsteigen, möchte ich noch einmal sehr deutlich auf etwas hinweisen, was der Kollege Oppermann schon gesagt hat: Wir haben mit dem Ablauf des heutigen Tages kein verfassungsgemäßes Wahlrecht mehr. Ich finde, das ist für eine Demokratie, das ist für unser Land ein Skandal. Es ist eine Missachtung des Verfassungsgerichts und des Parlaments. Da hilft es Ihnen auch nicht, dass wir heute die erste Lesung haben; ({0}) denn erstens beschließen wir heute nichts, sondern wenn wir etwas beschließen, dann tun wir das nach der Sommerpause. Zweitens wirft der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf erhebliche Zweifel an der Verfassungsgemäßheit auf. Sie selbst schreiben auf Seite 11 in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf, dass das negative Stimmgewicht nicht abgeschafft wird, sondern nur erheblich reduziert wird. Im Laufe der 35-seitigen Drucksache gibt es noch verschiedene andere Formulierungen. Fakt bleibt aber, das negative Stimmgewicht wird gerade nicht ausgeschlossen. Drittens ist in Bezug auf Ihren Gesetzentwurf, zumindest was den berühmten § 6 Abs. 2 a - das ist die sogenannte Reststimmenverwertung - angeht, völlig unklar, ob er dem Gebot der Normenklarheit genügt. Das wage ich ernsthaft zu bezweifeln. Im Übrigen wird auch auf der Seite wahlrecht.de heftig darüber gestritten. Das könnte man hier einmal vorlesen. Ich glaube, dann hätten wir sehr viele Fragezeichen hier im Raum. Fakt ist: Bei Ihrem Gesetzentwurf ist völlig unklar, was der Wähler und die Wählerin mit seiner oder ihrer Stimme erreicht. Richtig ist: Ihr Gesetzentwurf ist ein Lösungsvorschlag. Dankenswerterweise haben Sie geschrieben, dass es einer von vielen möglichen Lösungsvorschlägen ist. Sie setzen darauf, dass wir - ich mache es jetzt einmal sehr einfach - 16 getrennte Wahlgebiete haben, die Landeslisten nicht als verbunden gelten. Entsprechend der Wählerbeteiligung werden die Sitze auf die Länder umgelegt. Dann werden die Zweitstimmen, die eine Partei erreicht hat, auf die Länder umgerechnet. Dann erhält man eine bestimmte Zahl von Mandaten, von der die Direktmandate abgezogen werden. ({1}) Dann gibt es noch den Reststimmenausgleich. Wenn ich den jetzt erklären würde, wäre meine Redezeit zu Ende. Der ist nämlich so kompliziert, dass ihn tatsächlich keiner wirklich versteht. ({2}) Ich will aber noch etwas zur Berliner Zweitstimme sagen. Das Problem, das Sie lösen wollen, besteht darin, dass Direktmandate errungen werden, die Partei, deren Kandidaten diese Direktmandate gewinnen, danach aber nicht ins Parlament kommt. Ich kann Ihnen versprechen: Es handelt sich um einen einmaligen Vorfall aus dem Jahre 2002, jedenfalls was unsere Partei angeht. Sie könnten das Problem auch dadurch lösen, dass Sie die Fünfprozenthürde abschaffen. ({3}) Generell kann ich Ihnen sagen: Ihr Gesetzentwurf greift zu kurz. Sie haben dankenswerterweise angesprochen, dass in Ihrem Gesetzentwurf kein Wort zum Rechtsschutz bei Nichtzulassung einer Partei auftaucht. Das ist völlig inakzeptabel. Ich verweise darauf, dass meine Fraktion die einzige Fraktion ist, die einen konkreten Vorschlag dazu unterbreitet hat, wie man Rechtsschutz suchen kann, wenn man nicht zur Wahl zugelassen wird. ({4}) Ich will an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für den Vorschlag der Linken werben. Ich bedanke mich auch für das Lob der FDP und empfehle sowohl Union als auch FDP, noch einmal genauer nachzulesen. Unsere Ausgleichsmandatsregelung bezieht sich auf die Bundesebene. Wie Sie da auf 100 Mandate kommen, würde ich gerne einmal wissen. ({5}) Wir fordern das aktive Wahlrecht ab 16. Wir fordern das aktive Wahlrecht für Menschen, die seit fünf Jahren hier legal in Deutschland leben. ({6}) Ferner fordern wir das Verbot von Wahlcomputern. ({7}) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich war heute Morgen gemeinsam mit dem Kollegen Oppermann bei der Übergabe von 4 100 Unterschriften, die Mehr Demokratie e. V. unter der Überschrift „Wählen ohne Überhang!“ gesammelt hat. Mein konkreter Vorschlag an Sie von Union und FDP ist: Wenn Sie zu Gesprächen über das Wahlrecht einladen, dann laden Sie doch auch Mehr Demokratie ein, damit deren Vertreter mit am Tisch sitzen. Da ich von Mehr Demokratie e. V. Unterschriftenlisten bekommen habe und Sie heute Mor13494 gen nicht da waren, übergebe ich sie Ihnen jetzt und sage: Machen Sie was draus! ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsredner versuchen hier, die aktuelle schwierige Situation wegzureden. Lesen Sie doch einmal die Worte des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Papier, zur Situation nach, die wir ab null Uhr morgen früh haben. ({0}) Die Bundesrepublik Deutschland steht dann ohne ein Wahlrecht dar. Herr Papier hat Ihnen die Konsequenzen ausgemalt. Er hat gesagt: Wenn ein Bundestag nach diesem verfassungswidrigen Wahlrecht gewählt werden würde, könnte die Wahl aufgrund einer Wahlprüfungsbeschwerde womöglich für ungültig erklärt werden. ({1}) Eine Heilung des verfassungswidrigen Wahlgesetzes durch den Bundestag selbst wäre dann eben nicht mehr möglich. ({2}) Das sind nicht meine Worte, sondern die des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Ab morgen früh um null Uhr droht eine Staatskrise, wenn die Kanzlerin hier die Nerven verliert ({3}) - bei dieser Koalition könnte ich es total verstehen, wenn ihr das passieren würde - und die Vertrauensfrage stellt, die sie mit irgendeiner Vorlage verbindet - womöglich mit der Griechenlandhilfe - und dann verliert. Was ist dann los? ({4}) Das kann in der nächsten Woche passieren, das kann auch in der ersten Sitzungswoche im September passieren. Deshalb ist die jetzige Situation keine Kleinigkeit. ({5}) Dass Sie drei Jahre für diesen Gesetzentwurf gebraucht haben, erklärt sich mir allerdings nicht. ({6}) - Wir haben gar keinen? Unser Gesetzentwurf war der erste, der vorlag. ({7}) Mit ihm würden das negative Stimmgewicht und die Problematik der Überhangmandate eindeutig beseitigt. Das Bundesverfassungsgericht hat unseren Vorschlag in seinem Urteil zum negativen Stimmgewicht ausdrücklich als einen möglichen Lösungsweg erwähnt. Herr Ruppert, plustern Sie sich hier also nicht auf, sondern lesen Sie das Urteil noch einmal nach. ({8}) Wenn man Ihren Gesetzentwurf liest, wird einem übel. Das geht schon beim Wortlaut los. Es wird davon gesprochen, dass sich die Anzahl der Sitze, die sich den einzelnen Ländern zuordnen lassen, in Zukunft nach der Zahl der Wähler in jedem Land richtet. Was meinen Sie denn jetzt? Meinen Sie die Wahlberechtigten in diesem Land oder die Leute, die die Stimme abgegeben haben? Wenn man schon drei Jahre lang über einen Gesetzentwurf brütet, wäre ein bisschen mehr Normenklarheit schon angemessen. ({9}) Wenn Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachlesen, dann sehen Sie, dass es uns mit Blick darauf, dass das Bundeswahlgesetz ziemlich unverständlich geschrieben ist und dass der Gesetzgeber die Aufgabe annehmen sollte, das klarer und verständlicher zu formulieren, mit drei Jahren eine relativ lange Frist gegeben hat. ({10}) Ein Beispiel aus Ihrem Gesetzgebungslabor ist § 6 Abs. 2 a in Ihrem Gesetzentwurf. Der ist an Normenklarheit und Verständlichkeit wirklich nur schwer zu toppen. Ich lese ihn deshalb auch vor ({11}) - Sie haben das ja nicht getan, deshalb bleibt das mir überlassen -: Ist der Quotient aus der Summe der positiven Abweichungen der auf die Landeslisten einer Partei entfallenen Zweitstimmen von den nach Absatz 2 Satz 6 für die errungenen Sitze erforderlichen Zweitstimmen geteilt durch die im Wahlgebiet für einen der zu vergebenden Sitze erforderliche Stimmenzahl größer als 0,5, werden den Landeslisten dieser Partei mit der höchsten positiven Abweichung weitere Sitze nach Maßgabe des Absatzes 2 Sätze 3 und 4 zweiter Halbsatz zugeteilt. Volker Beck ({12}) ({13}) In einem solchen Falle erhöht sich die Gesamtzahl der Sitze ({14}) um die Unterschiedszahl. ({15}) Das ist eine super Regelung und total verständlich. Mit dieser Regelung in Abs. 2 a lösen Sie ein Problem, das Sie durch die Aufteilung des Wahlgebietes in 16 Länder zum Wohle der FDP selbst erst geschaffen haben. Ich finde, wenn man einen solchen Vorschlag macht, dann muss man auch für einen Ausgleich sorgen. Ansonsten würde das in der Tat bedeuten, dass die FDP 7 oder 8 Prozent erreichen müsste, um überhaupt auf 5 Prozent der Sitze zu kommen. Das wäre Ihnen gegenüber nicht fair. Sie sollen gegebenenfalls nach fairen Regeln verlieren, nicht nach unfairen. Das konzediere ich. Das ist das Demokratieprinzip. Aber warum wir neben den Überhangmandaten jetzt nach dieser Regelung noch Überlaufmandate schaffen sollen, mit denen der Bundestag vergrößert wird, statt uns an den Ausgleich der Überhangmandate zu machen oder die Überhangmandate, wie wir das vorschlagen, zu beseitigen, das verstehe wer will. Das Entscheidende beim Wahlrecht ist doch, dass die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stimme entscheiden, welche Parteien gemeinsam oder alleine im Deutschen Bundestag über eine Mehrheit verfügen. Es darf nicht sein, dass die Mehrheit der Bürger eine Partei gewählt hat und nachher eine andere Partei die Mehrheit der Sitze hat. Dann bewirken wir Demokratiemüdigkeit, und die Menschen sagen: Meine Wahl bewirkt gar nichts. ({16}) Irgendein wundersames Instrument im Wahlrecht führt zur Umkehrung der Ergebnisse. Das ist demokratiefeindlich und zerstört die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie. ({17}) Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen doch zweimal gesagt, dass beim negativen Stimmgewicht die Überhangmandate das Problem sind. Ich zitiere aus dem Urteil selbst: Der von den Beschwerdeführern angegriffene Effekt des negativen Stimmgewichts tritt im Zusammenhang mit Überhangmandaten bei der Verteilung von Mandaten auf verschiedene verbundene Landeslisten auf und beruht auf einem Zusammenspiel der Normen … Es folgen verschiedene Paragrafen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Beck, kommen Sie bitte zum Schluss.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Bundesverfassungsgericht hat am 25. Februar 2009 eine Wahlprüfungsbeschwerde zurückgewiesen, die die Überhangmandate betraf.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Beck, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist der letzte Satz, den ich zitiere - das ist die Begründung -: Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage der Verfassungswidrigkeit von Überhangmandaten wird sich nach einer Neuregelung der Problematik des negativen Stimmgewichts nicht mehr in der gleichen Weise stellen. Bei Ihnen stellt es sich in der gleichen Weise. Es wird lediglich noch durch die Problematik der Überlaufmandate getoppt. Deshalb ist Ihr Gesetzentwurf keine Lösung des Problems. Er ist verfassungswidrig, und er ist schlecht gemacht. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich erspare es mir, den Entwurf zu erklären, den ich für die CSU genauso miterarbeitet habe wie der Kollege Ruppert und der Kollege Krings, die diesen Gesetzentwurf auf hervorragende Weise erläutert haben. Ich will mich ganz kurz mit einigen Themen befassen. Erster Punkt. Wir bedauern, dass sich unser Gesetzentwurf aufgrund der Verweigerungshaltung der Grünen und der SPD nicht auf eine breite Mehrheit stützen kann. ({0}) Wir wollten einen breit aufgestellten Gesetzentwurf haben, bei dem möglichst viele Fraktionen mitmachen. Herr Kollege Krings hat erläutert, warum es nicht möglich war, sich mit Ihnen zu einigen. Herr Kollege Oppermann, die SPD will nicht das negative Stimmgewicht, sondern die Überhangmandate abschaffen. Ich komme damit zu meinem Hauptthema. Sie haben hier in Ihrer Rede so getan, als sei das Überhangmandat als solches Teufelszeug. ({1}) Ich rechne Ihnen jetzt vor, was die SPD in 60 Jahren an Überhangmandaten bekommen hat. In dieser Zeit hat sie 34 Überhangmandate kassiert und vom Wähler dankend entgegengenommen. Da waren die Überhangmandate gut. Jetzt auf einmal sollen sie Teufelszeug sein. ({2}) Wir haben in dieser Zeit - das gebe ich zu - 38 Überhangmandate bekommen, also 4 mehr. Wir erinnern uns alle an die Wahl im Jahre 2002. Bei der Wahl 2002 hat die SPD ganze 6 027 Zweitstimmen mehr als die Union gehabt. Wozu hat das bei den Mandaten geführt? Die 0,01 Prozent Vorsprung haben dank der Überhangmandate zu drei Sitzen Vorsprung geführt, die Sie dankend angenommen haben. Jetzt sollen genau diese Überhangmandate Teufelszeug und verfassungswidrig sein und sofort abgeschafft werden müssen. Ich komme zu dem zweiten Punkt, um den es mir heute geht: Haben wir eine Staatskrise?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oppermann?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Ich muss um 20 Uhr meine Frau abholen. Das ist mir wichtiger, als Ihre Fragen zu beantworten. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das ist jedenfalls eine gute Begründung.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie reden ja immer von Familienpolitik. Mir ist das wichtiger, als Ihre Fragen zu beantworten. Lassen Sie mich zum nächsten Punkt kommen. Haben wir eine Staatskrise? Der Pensionär Jürgen Papier hat sich in der Bild-Zeitung dazu verstiegen, diese Dinge auf hysterische Weise zu dramatisieren. ({0}) Wir haben in der Tat ab heute Nacht kein Wahlrecht mehr. Herr Beck spinnt das weiter und glaubt, es könnten jemandem die Nerven durchgehen, und wir würden den Bundestag auflösen und die Wahl vorziehen. ({1}) Ich rate Ihnen, Herr Oppermann: Sparen Sie sich das Fraktionsgeld und geben Sie kein Gutachten bei Herrn Papier in Auftrag. Ich kann das gleich jetzt in meiner Rede erledigen. In Art. 39 Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes heißt es sinngemäß: Wenn der Bundestag aufgelöst wird, hat man 60 Tage Zeit bis zur Neuwahl. ({2}) Sollten wir in der Sommerpause auf den abenteuerlichen Gedanken kommen, den Bundestag aufzulösen, dann treffen wir uns am 5. September zur Anhörung wieder. Heute ist die erste Beratung. Am 5. September findet die Anhörung statt. Wenn wir tatsächlich an die Auflösung des Bundestags denken sollten, könnten wir dann im Laufe des Septembers oder Oktobers in aller Ruhe zur Tat schreiten. Vorher führen wir die zweite und dritte Beratung durch. Dann schreiten wir zur Wahl. ({3}) Ich sehe nirgends den Hauch einer Krise, die Sie gerne hätten. Sie wollen nämlich dramatisieren. ({4}) Ich meine ganz ernsthaft, wir sollten das Wahlrecht, das in der Tat kompliziert ist - nicht nur der Paragraf, den Herr Beck vorgelesen hat, ist kompliziert; das gilt auch für viele andere Paragrafen im geltenden Recht -, beibehalten. Es verbindet Elemente des Verhältniswahlrechts mit dem Mehrheitswahlrecht. Das betrifft den direkt gewählten Abgeordneten. Wir Bayern sind stolz darauf, in Bayern alle Wahlkreise gewonnen zu haben. Von den Grünen nickt mir nur einer zu, und zwar Herr Ströbele. Auch ihm ist es gelungen, einen Wahlkreis direkt zu gewinnen. Wir wissen, was das heißt, und sind stolz darauf. Das muss so bleiben. Wir haben aber auch ein Verhältniswahlrecht. ({5}) Das Verhältniswahlrecht führt dazu, dass in allen Ländern nach dem Proporz ein Ausgleich zu den direkt gewählten Abgeordneten stattfindet. Das ist gut so. Wir sollten dieses System beibehalten und nur minimalinvasiv das bizarre Ergebnis des negativen Stimmgewichts beseitigen und ansonsten bei unserem bewährten Wahlrecht mit Überhangmandaten bleiben, Herr Oppermann. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort der Kollegin Gabriele Fograscher von der SPD-Fraktion, die auch schon am Rednerpult steht.

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Uhl muss Termine einhalten. Das ist auch gut so. Es wäre aber auch gut gewesen, wenn diese Koalition den Termin des Bundesverfassungsgerichts eingehalten hätte. ({0}) Tatsache ist, dass wir uns ab morgen in einem rechtsfreien Raum befinden. Wir haben dann kein verfassungsmäßiges Wahlrecht mehr. Wer geglaubt hat, dass Sie aufgrund der langen Zeit für Beratungen einen besonders guten, die Probleme des Wahlrechts lösenden und die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts erfüllenden Vorschlag vorgelegt haben, ({1}) der ist enttäuscht. Sie täuschen auch. ({2}) Der von Ihnen vorgelegte Vorschlag zielt nämlich nicht darauf ab, das Wahlrecht transparenter und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbarer zu machen. Ihr Vorschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, dient der Absicherung Ihrer Überhangmandate und beinhaltet einen kleinen, aber merkwürdigen Kompromiss zur Befriedung Ihres kleinen Koalitionspartners. Jetzt, fast genau drei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, erklärten Sie sich in der letzten Ausschusssitzung bereit, unserem Antrag zu folgen und eine Anhörung zum Wahlrecht im Innenausschuss durchzuführen. Diese findet in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause statt. Das alles hätten wir schon viel früher haben können bzw. viel früher haben müssen. ({3}) All Ihren verbalen Beteuerungen in der letzten Debatte zum Trotz haben Sie keinen breiten Konsens im Hause gesucht, obwohl dies beim Wahlrecht immer gute Tradition war. Sie haben keine Berichterstattergespräche unter Hinzuziehung von Sachverständigen organisiert. Unsere Gesprächsangebote haben Sie abgelehnt. Was passiert jetzt? Sie wollen mit Ihrer Mehrheit eine Wahlrechtsänderung zu Ihrem eigenen Vorteil durchsetzen. Dazu werfen Sie in Ihrem Vorschlag neue verfassungsrechtliche Fragen auf. Bei der Bundestagwahl wählt das unitarische Bundesvolk. Dieses Prinzip brechen Sie auf, da Sie Länder zu getrennten Wahlgebieten machen wollen. Die Verrechnung der Reststimmen erfolgt wiederum bundesweit über Zusatzmandate. Wir bestreiten, dass Ihr Vorschlag das negative Stimmgewicht restlos beseitigt. Ihr Vorschlag fördert weiterhin das Entstehen von Überhangmandaten und das Stimmensplitting. Dies widerspricht der Gleichheit des Erfolgswerts jeder Stimme. In dieser Wahlperiode machen Ihre 24 Überhangmandate 4 Prozent der Mitglieder des Bundestages aus; das ist fast Fraktionsstärke. Damit entspricht Ihr Anteil an Zweitstimmen nicht Ihrem Anteil an Mandaten. Die Mehrheitsverhältnisse werden verzerrt. Die Überhangmandate führen auch zu einer regionalen Ungleichverteilung der Mandate. Die CDU in Baden-Württemberg hat zehn Überhangmandate und damit mehr Gewicht im Bundestag, als ihr nach Zweitstimmen zusteht. Zudem brauchte die CDU 6 500 Stimmen weniger als die SPD, um ein Mandat bei der letzten Bundestagswahl zu erringen. Das widerspricht dem Prinzip der Gleichheit der Stimme. Bei einem anzunehmenden Anwachsen der Überhangmandate wird sich dieses Problem noch verschärfen. Diese Fragen werden wir in der Sachverständigenanhörung erörtern müssen. Dann werden auch Sie feststellen, dass Ihr Gesetzentwurf nicht taugt, um den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden und den Geboten von Transparenz und Gleichheit der Stimme nachzukommen. Die Anhörung wird zeigen, dass Ihr Vorschlag ein misslungener Versuch ist, die Probleme unseres Wahlrechts zu lösen. Ihr Vorschlag macht das Wahlrecht nicht transparenter und nicht nachvollziehbarer für die Bürgerinnen und Bürger. Er verletzt den Grundsatz der Gleichheit der Stimme. Er konterkariert das Prinzip der unitarischen Bundestagswahl. Er schafft das Problem des negativen Stimmgewichts nicht ab. Er löst nicht die Frage der Überhangmandate. ({4}) Die Süddeutsche Zeitung vom 27. Juni nennt Ihren Vorschlag „selbstsüchtige Wahlrechtsreform“. Ich fordere Sie auf: Geben Sie diesen Vorschlag auf, und bemühen Sie sich endlich ernsthaft um eine breite Akzeptanz der Wahlrechtsreform. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/6290 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tarifvertragssystem stärken - Allgemeinverbindliche Tariflöhne und branchenspezifische Mindestlöhne erleichtern - Drucksache 17/4437 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzlerin Merkel hat kürzlich bei der ILO-Konferenz in Genf die deutsche Sozialpartnerschaft gelobt, und auch Sie, die Regierungsfraktionen, verweisen bei vielen Debatten immer auf die Tarifautonomie. Auch wir Grünen stehen zur Tarifautonomie, und gerade deswegen schauen wir genau hin: Realität ist, dass die Tarifautonomie immer weniger funktioniert. Arbeitgeber wechseln in OT-Mitgliedschaften oder begehen gleich ganz Tarifflucht. In der Folge nimmt die Tarifbindung kontinuierlich ab. Heute sind nur noch circa 62 Prozent der Beschäftigten durch tarifliche Vereinbarungen geschützt. Das schwächt die Tarifpartner und auch die Tarifautonomie; das ist nicht akzeptabel. ({0}) Natürlich hat dies auch Auswirkungen auf die Lohnentwicklung. Der neue Global Wage Report der ILO zeigt: Im weltweiten Vergleich von 26 entwickelten Ländern liegt Deutschland bei der Reallohnentwicklung in den letzten zehn Jahren mit minus 4,5 Prozent an letzter Stelle. ({1}) Die Löhne orientieren sich nicht mehr angemessen an der Produktivitätsentwicklung. Der Trend hin zu den Niedriglöhnen ist ungebrochen. Durch die sinkende Tarifbindung fehlt zudem in manchen Branchen zuungunsten der kleinen und mittleren tariftreuen Betriebe ein einheitlicher Wettbewerbsrahmen. Diese Entwicklung sehen wir mit großer Sorge; wir meinen, dass sie endlich gestoppt werden muss. ({2}) Andere europäische Länder stützen die Tarifautonomie politisch mit einem System aus Mindestlöhnen und vor allem mit für allgemeinverbindlich erklärten Tariflöhnen. In Deutschland hingegen gibt es kaum Mindestlöhne, und vor allem sind gerade einmal 1,5 Prozent der Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt. ({3}) Damit bewegt sich Deutschland auf Augenhöhe mit den osteuropäischen Ländern, ({4}) und das kann ich nur als peinlich bezeichnen. ({5}) Beim DGB-Kongress im letzten Jahr hat Frau Merkel die weißen Flächen bei der Tarifautonomie kritisiert, aber seither ist wenig passiert. Wir wollen aber die Sozialpartner stärken. Im Tarifvertragsgesetz wollen wir das Verfahren der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtern und die zu hohen Hürden abbauen. Der Tarifausschuss soll beispielsweise temporär um die Tarifparteien derjenigen Branchen erweitert werden, ({6}) in denen ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden soll. Einseitige Blockaden der Spitzenverbände sind damit nicht mehr möglich; die antragstellenden Tarifparteien hingegen werden gestärkt. Die Tarifflucht der Arbeitgeber führt auch dazu, dass immer weniger Branchen Anträge stellen können. Deshalb wollen wir auch die geforderte Tarifbindung von 50 auf 40 Prozent senken. Schlussendlich bleiben wir bei unserer alten Forderung, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen geöffnet wird. Die Tarifpartner sollen ganz im Sinne der Tarifautonomie selber entscheiden, ob in ihren Branchen Mindestlöhne notwendig sind oder eben nicht. ({7}) Mittlerweile höre ich auch aus der Regierungskoalition eine gewisse Bereitschaft zum Umdenken. Arbeitsministerin von der Leyen oder auch Peter Weiß sprechen sich für Branchenmindestlöhne aus. Selbst aus der FDP waren Stimmen zu hören, die sich positiv zu Mindestlöhnen geäußert haben. Das freut mich natürlich. Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen: Wenn es Ihnen mit der Tarifautonomie ernst ist, dann verfallen Sie bitte nicht in den üblichen Reflex, unsere Forderungen kategorisch abzulehnen. ({8}) Führen Sie mit uns, Herr Lehrieder, konstruktive Diskussionen in den Gremien. Unser Ziel ist, dass die tariftreuen Arbeitgeber und die Gewerkschaften weiter die Löhne und die Arbeitsbedingungen aushandeln. Notwendig aber sind politische Rahmenbedingungen, um die Tarifpartner zu stärken, damit die Tarifautonomie wieder funktioniert und möglichst alle Beschäftigten davon profitieren. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kollegin Müller-Gemmeke, heute debattieren wir über Ihren Antrag „Tarifvertragssystem stärken - Allgemeinverbindliche Tariflöhne und branchenspezifische Mindestlöhne erleichtern“. Wir haben zu diesem Thema - alle Arbeitsmarktpolitiker hier wissen das - in der letzten Zeit bereits zahlreiche Diskussionen geführt; eigentlich ist dazu schon sehr viel gesagt worden. Gleichwohl verdient es Ihr Antrag, dass man einmal genauer hinschaut. ({0}) Sie haben gerade mit Krokodilstränen in den Augen ausgeführt, Frau Müller-Gemmeke, dass der Trend zu Niedriglöhnen nach Ihrer Ansicht ungebrochen sei. In Ihrem Antrag schreiben Sie: Deutschlandweit arbeiteten im Jahr 2008 bereits 21,5 Prozent … der Beschäftigten im Niedriglohnbereich … Wenn man jetzt aber tatsächlich einmal die statistischen Zahlen hinterfragt und schaut, woher die 21,5 Prozent kommen, dann stellt man fest, dass dies keine drastische Steigerung beispielsweise im Verhältnis zu 1999 ist. Im Jahr 1999 waren 19,0 Prozent der Menschen im Geringverdienerbereich. Das heißt also, den freien Fall nach unten in den Niedriglohnbereich hat es nicht gegeben. Natürlich ist es richtig, dass in Branchen, in denen eine bestimmte Tarifbindung vorhanden ist und in denen Verwerfungen da sind, ({1}) branchenspezifische Mindestlöhne eingeführt werden können. Wenn Sie das Beispiel der letzten Wochen einfach sine ira et studio, also gelassen, auf sich wirken lassen, ({2}) dann werden Sie merken, dass wir es sogar geschafft haben, in der Zeitarbeit einen Mindestlohn einzuführen. Das hätten uns vor wenigen Jahren die Grünen am allerwenigsten zugetraut. Das heißt, bei dieser christlich-liberalen Koalition sind die Sorgen der Arbeitnehmer um die Tarifvertragsfreiheit besser als bei mancher anderen Gruppierung in diesem Hause aufgehoben. ({3}) Sie haben des Weiteren ausgeführt, die Grünen stehen zur Tarifautonomie. Richtig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Festsetzung von Mindestlöhnen für weitere Branchen auf Basis des Tarifvertragsgesetzes, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungengesetzes Sinn macht und die Tarifautonomie stärkt. Sie haben ja bereits selbst ausgeführt: 62 Prozent der Arbeitnehmer sind von Tarifverträgen umfasst. Gleichzeitig führen Sie aus, dass wir im Vergleich mit allen EU-Staaten im Bereich des Tarifbindungsgrades lediglich im Mittelfeld und im Vergleich mit den ursprünglichen EU-Staaten sogar ganz unten sind. Als Beispiele für Länder, die noch schlechter als wir sind, nennen Sie Großbritannien und Luxemburg. Das sind genau die Länder, die einen relativ hohen gesetzlichen Mindestlohn bereits haben. Das heißt, ein Zusammenhang zwischen geringer Entlohnung und Mindestlöhnen, den Sie immer wieder herstellen wollen, ist gerade durch Ihre eigene Argumentation nicht gegeben, sondern längst widerlegt. Meine Damen und Herren, was wollen Sie eigentlich? ({4}) Sie wollen die erforderliche Mindesttarifbindung auf unter 50 Prozent ansetzen. Da müssten doch eigentlich alle Glocken läuten: Eine Minderheit bestimmt über eine Mehrheit, wenn hier weniger als 50 Prozent mit Tarifbindung über die Vertragsbedingungen für die Mehrheit der Arbeitnehmer entscheiden können. Das werden Sie doch nicht ernsthaft mit dem Demokratieprinzip in Verbindung bringen wollen. ({5}) - Lassen Sie es; ich muss nachher meine Frau abholen. Das passt mir gerade nicht. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lehrieder, Frau Müller-Gemmeke würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mir vorgenommen, keine Zwischenfragen zuzulassen. Aber weil Frau Müller-Gemmeke so nett ist und es vielleicht ihrer Wissensmehrung dienen könnte, lasse ich die Frage natürlich zu.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Lehrieder, vielen Dank, dass ich Sie etwas fragen darf. Sie haben gerade gesagt, dass es nicht geht, dass eine Mehrheit von einer Minderheit bestimmt wird usw. Demokratie hat ja auch etwas mit Fairness zu tun. Von daher frage ich Sie, ob Sie finden, dass es fair ist, dass die Arbeitgeber, die Tarifflucht begehen, im Endeffekt dafür verantwortlich sind, dass es für diejenigen, die die Tarifautonomie hochhalten und Tariftreue zeigen, keine allgemeinverbindlich erklärten Tariflöhne mehr gibt. Halten Sie es für fair, dass gerade diejenigen, die die Tarifautonomie unterlaufen, im Endeffekt dafür sorgen, dass die Quote der Tarifbindung, die notwendig ist, um den Antrag zu stellen, nicht mehr erreicht werden kann? Meine zweite Frage ist: Was wollen Sie dafür tun, dass genau dies nicht mehr der Fall ist und dass die Verordnung, die möglich ist, wirklich angewandt werden kann?

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schauen Sie, Frau Müller-Gemmeke, wir haben im Grundgesetz einen Grundrechtekatalog. Da steht unter anderem als ein hohes Gut die Vereinigungsfreiheit, also die Freiheit, eine Vereinigung zu gründen, aber auch die Freiheit, einer Vereinigung fernzubleiben. ({0}) Das gilt für Sie, das gilt für Parteien, das gilt für Vereine, und das gilt genauso für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das heißt, wir können niemanden zwingen, einer bestimmten Vereinigung beizutreten oder ihr nicht beizutreten. Mit dirigistischen Maßnahmen haben wir eigentlich wenig am Hut. Das ist nicht unser Stil. ({1}) - Ja, wir halten uns selbstverständlich ans Grundgesetz, und wir halten eine entsprechende wirtschaftliche Entwicklung und eine Steigerung des Marktwertes der Arbeitnehmer für das probatere Mittel. Letztendlich müssen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände etc. bessere und faire Konditionen für das Arbeitsverhältnis aushandeln. Das ist besser, als wenn wir es par ordre du mufti über den Bundestag regeln. ({2}) Wir werden im Endeffekt niemanden zwingen. Wir werden schauen, wo Verwerfungen sind. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das, was wir vor wenigen Wochen bei der Zeitarbeit gemacht haben; ich könnte das entsprechende Beispiel erneut anführen. Da, wo wir Handlungsbedarf sehen, werden wir handeln. Sie selbst outen sich hier ein Stück weit, wenn Sie auf Seite 2 Ihres Antrages ausführen; ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren. Frau Müller-Gemmeke, bleiben Sie bitte stehen; ich bin noch bei der Antwort; das verlängert meine Redezeit; Sie wollen doch wissen, was wir machen. ({3}) - Doch, ich antworte noch. Ich schaue Sie doch an. Ich habe nur einmal einen Blick auf meinen Zettel geworfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lehrieder, die Fragen und die Antworten sollen kurz und präzise sein. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber es ist manchmal erforderlich, dass diese Antworten etwas länger dauern. Frau Müller-Gemmeke, Sie führen in Ihrem Antrag aus: „Arbeit muss sich lohnen“ - dieser zentrale Leitsatz der Bundesregierung bestimmte die Sozialstaatsdiskussion der vergangenen Monate. … Nicht durch Steuersenkungen wird sich Arbeit wieder lohnen, sondern durch verbindliche Lohnuntergrenzen. Neben der Stärkung des Tarifvertragssystems bleiben ein gesetzlicher Mindestlohn und ebenso Mindestlöhne nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz für Branchen ohne funktionierende Tarifautonomie nach wie vor absolut notwendig. Das heißt, Sie outen sich. Sie sagen: Wir wollen eigentlich nicht die Tarifautonomie stärken, wir wollen den gesetzlichen Mindestlohn. Das ist eine Forderung, die wir von Ihnen seit Jahr und Tag kennen. Sie ist also nicht völlig neu. Jetzt wird es lustig: Das BMAS kann somit Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären, wenn 40 Prozent der Beschäftigten der Branche unter den Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrages fallen und eine Allgemeinverbindlichkeit von öffentlichem Interesse ist. Dann wird es noch lustiger: Ein öffentliches Interesse liegt vor, wenn die Einführung gleichartiger, dauerhafter und angemessener sozialer Arbeitsbedingungen in einer Branche als notwendig erachtet wird, - wer erachtet es als notwendig: die Grünen, der Bundestag, die Arbeitnehmer, die Gewerkschaften? unlauterer Wettbewerb verhindert werden muss oder das Tarifgefüge einer Branche erheblich erschüttert ist, weil die Tarifbindung auf ein - wieder ein unbestimmter Rechtsbegriff sozial unverträgliches Niveau abgesunken ist. Bei den verschiedenen Komponenten ist es natürlich schwierig, zu begreifen, was Sie wann wo wollen. Wir halten unseren Weg für richtig. Wir passen auf, dass es keine Verwerfungen gibt. Wir werden auf Antrag von über 50 Prozent der Tarifvertragsparteien Mindestarbeitsbedingungen festlegen bzw. über die Aufnahme ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz Mindestlöhne in den einzelnen Branchen individuell festsetzen. Damit hatten wir Erfolg. Denken Sie an die Pflegebranche, an das Wachgewerbe oder an die Zeitarbeit. Wir werden in dieser Sache weiterhin die richtigen Anwälte der Arbeitnehmer in Deutschland sein. Arbeiten Sie daran mit! Wir bleiben in einem konstruktiven Dialog, Frau MüllerGemmeke. Dieser Antrag ist natürlich ablehnungsreif. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ottmar Schreiner von der SPD-Fraktion. ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was ist los? Er ruft schon dazwischen, bevor man hier überhaupt begonnen hat. ({0}) - Sie bekommen das ganz bestimmt. Sie können eine Verlängerung Ihrer Redezeit beantragen. Das würde sich wahrscheinlich lohnen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst einmal an den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen anknüpfen, den wir ohne Einschränkung unterstützen. ({1}) Ich habe bisher kein einziges ernsthaftes Argument gehört - auch nicht vom Vorredner, von Herrn Kollegen Lehrieder -, das wirklich gegen diesen Antrag spricht. Frau Müller-Gemmeke hat zu Beginn aus dem jüngsten Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation zitiert. Vor wenigen Tagen war eine Delegation des Deutschen Bundestages in Genf. Übrigens war auch Frau Merkel in Genf, wenn ich es richtig gelesen habe. Die Internationale Arbeitsorganisation kritisiert in diesem Bericht - er ist erst einige Tage alt; er ist noch druckfrisch - massiv die Arbeitsmarktsituation in Deutschland, mit dem Hinweis - die Zahlen sind genannt worden -, dass wir in den Jahren 2000 bis 2009 ein reales Minus beim Durchschnittseinkommen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von 4,5 Prozent zu verzeichnen hatten. Kein anderes Land in der Europäischen Union hat eine auch nur annähernd vergleichbare negative Entwicklung bezüglich der Arbeitnehmereinkommen. ({2}) Diese Situation ist schon deshalb nicht hinnehmbar, weil sie dazu führt, dass die Politikverdrossenheit bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern steigt, weil sie das Gefühl bekommen, sie nähmen am Zuwachs des gesellschaftlichen Wohlstands nicht mehr teil. ({3}) Genau das geht nicht. Das ist der Kern der ganzen Auseinandersetzung. Lesen Sie Ludwig Erhard, lesen Sie andere aus Ihren Reihen - leider Gottes lesen Sie nur Personen aus Ihren Reihen; das ist das Problem -: Man hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmereinkommen entlang der steigenden Arbeitsproduktivität steigen sollen. ({4}) Wenn das so gewesen wäre, hätten wir in den letzten zehn, zwölf Jahren einen erheblich größeren Zuwachs der Arbeitnehmereinkommen haben müssen, als wir ihn tatsächlich gehabt haben. Die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind systematisch von der Entwicklung des gesellschaftlichen Wohlstands abgekoppelt worden. Nochmals: Das ist der zentrale Punkt. Das führt zu Lohnarmut. Das führt dazu, dass der Staat und damit der Steuerzahler inzwischen jedes Jahr 10 Milliarden Euro bereitstellen muss, um die Einkommen auf Hartz-IV-Niveau aufzustocken, damit die Leute überhaupt leben können. Wo lohnt sich Arbeit für diese Menschen? Wenn Sie sagen: „Arbeit muss sich wieder lohnen“, dann frage ich Sie: Wo lohnt sich die Arbeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, ihren Job ordentlich machen ({5}) und anschließend bei den Sozialämtern vorstellig werden müssen, damit ihnen noch etwas draufgepackt wird, damit sie überhaupt über die Runden kommen? Deren Arbeit lohnt sich nicht! Das ist das zentrale Problem. Deshalb brauchen wir hierfür vernünftige Lösungen. ({6}) Im Übrigen: Diese Entwicklung ist natürlich die Vorstufe zur kommenden Altersarmut. Je weniger die Leute an Einkommen mit nach Hause bringen, umso stärker werden sie später von Altersarmut betroffen werden. Das heißt, wenn Sie nichts tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dann werden Sie systematisch das Auseinanderbrechen dieser Gesellschaft befördern. Das ist der Kern des Vorhalts: Die Gesellschaft zerfällt immer weiter in diejenigen, die gar nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Wohlstand, und die wachsende Zahl derjenigen, die nicht mehr wissen, wie sie die Butter für das Brot ihrer Kinder bezahlen sollen. Das ist eine nicht mehr hinnehmbare Spaltung der Gesellschaft. Sie sollten mit dazu beitragen, dass wir diese enorme Kluft wieder kleiner machen, als sie gegenwärtig ist. Das ist eine ganz zentrale Politikaufgabe. ({7}) Im Übrigen kritisiert die Internationale Arbeitsorganisation diese Situation in Deutschland ausdrücklich. Sie sagt: Die Kehrseite der guten Beschäftigungsentwicklung ist genau diese wachsende Spaltung, was die Einkommenssituation im Lande anbelangt. Sie nennt auch die Gründe. Zum einen ist das die Ausweitung des Niedriglohnsektors; ich zitiere die Internationale Arbeitsorganisation in Genf. Sie benennt als zweiten Grund die wachsende Anzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse, zeitlich befristeter Arbeit, von 400-Euro-Jobs. Es gibt jede Menge Leute, die einen 400-Euro-Job haben mit einem Stundenlohn von 2 Euro, 2,50 Euro, 3 Euro. Das ist eine bodenlose Sauerei, die abgeschafft werden muss. Das kann man nicht mehr weiter hinnehmen. ({8}) Die ILO weist ausdrücklich darauf hin, dass die prekär Beschäftigten in Deutschland im Durchschnitt mindestens ein Drittel weniger Einkommen erzielen als sogenannte normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist ebenfalls eine Entwicklung, die nicht mehr akzeptabel ist. Ein dritter Grund für diese Entwicklung ist die sogenannte negative Lohndrift; so nennen das die Fachleute. Das heißt nichts anderes, als dass die Bruttoverdienste hinter den Tariflöhnen zurückbleiben. Wenn immer weniger Beschäftigte Tariflöhne erhalten, wird sich das natürlich in Form sinkender Durchschnittseinkommen auswirken, weil die Bruttolöhne derjenigen, die nicht in tarifgebundener Beschäftigung sind, deutlich hinter den Tariflöhnen hinterherhinken und den Gesamtdurchschnitt nach unten ziehen. Das wird wiederum Auswirkungen negativer Art auf die Situation der tariflich Beschäftigten haben. ({9}) Die Frau Kollegin Müller-Gemmeke hat auf die Zahlen hingewiesen, darauf, dass wir noch vor etlichen Jahren über 80 Prozent Tarifbindung hatten; heute sind es gerade mal noch 60 Prozent. Die Tendenz geht weiter nach unten. Deshalb ist auch die Politik gefordert. Das ist nicht nur eine Angelegenheit der Tarifparteien. Wir haben den Rahmen dafür zu schaffen, dass die Tarifbindung wieder stabilisiert wird und mehr Menschen in den Genuss tariflich abgesicherter geschützter Beschäftigung kommen. ({10}) Das ist eine Kernaufgabe der Politik. Die Instrumente dazu sind von Frau Müller-Gemmeke benannt worden. Das sind Instrumente, die wir auch in anderen Zusammenhängen im Deutschen Bundestag mehrfach vorgetragen haben. Das gilt für die Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen im Bereich des Tarifvertragsgesetzes. Wenn die Zahlen richtig sind - es gibt keinen Zweifel, dass sie richtig sind -, wonach gerade noch 1,5 Prozent der Tarifverträge - ich glaube, es gibt über 70 000 Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden, dann ist das ein Hohn. Das hat nichts mehr mit einem verantwortungsbewussten Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu tun. Sie wissen, dass im wachsenden Maße Arbeitgeber, gerade auch die großen, ihre Organisationen verlassen und dadurch mit die Ursache dafür liefern, dass die tarifgeschützte Beschäftigung insgesamt sinkt. Die Instrumente liegen auf der Hand; sie sind vorgeschlagen worden. Deshalb glaube ich, dass Sie sich diesen Überlegungen anschließen sollten. - Herr Präsident, da bemüht sich der Kollege Weiß verzweifelt, eine Zwischenfrage anzubringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich will Ihnen natürlich die Gelegenheit geben, Herr Kollege Weiß. - Sie erlauben die Zwischenfrage? - Bitte schön, Herr Kollege Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schreiner, nachdem Sie die Verantwortung der Politik - sprich: auch der Bundesregierung einklagen, möchte ich von Ihnen eine kurze Information bekommen. Es hat ja nicht immer nur christdemokratische Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler gegeben, ({0}) sondern es hat sieben Jahre lang eine Bundesregierung unter Führung des Sozialdemokraten Gerhard Schröder gegeben. Könnten Sie mir sagen, wie viele Tarifverträge während der Amtszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder durch die Bundesregierung für allgemeinverbindlich nach dem Tarifvertragsgesetz erklärt worden sind?

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nach meiner Kenntnis nicht allzu viele. ({0}) Die Zahl bewegt sich in äußerst bescheidenen Größenordnungen. ({1}) Das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen: Wir können uns gelegentlich auch sehr kritisch zu dem äußern, was wir selbst gemacht haben. Da, wo wir etwas falsch gemacht haben, sind wir gerne bereit, das zu korrigieren. ({2}) Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zu Ihnen. Herr Kollege Weiß, Sie sind doch ein aufrechter Christdemokrat. ({3}) - Nein, ich bin jetzt noch nicht fertig. Wenn Sie schon eine Frage stellen, sollen Sie auch eine Antwort bekommen. - Sie sind doch ein aufrechter Christdemokrat. Die Betonung liegt auf „Christ“, sie liegt aber auch auf „Demokrat“. Sie kennen doch den berühmten Satz - jetzt weiß ich die Fundstelle in der Bibel nicht -, dass derjenige, der zum wahren Bekenntnis findet, dem Herrn wichtiger ist als 99 Gerechte. Die Formulierung lautet etwas anders. ({4}) - Ich sehe, dass die FDP sogar die Fundstelle kennt. Das ist der verlorene Sohn. - Insoweit ist es durchaus christlich, sich zu Fehlentwicklungen zu bekennen, sie zu korrigieren und für die Zukunft daraus zu lernen. ({5}) Das ist eine durchaus christliche Tugend; das sollten Sie sich aneignen. Zum Schluss will ich Ihnen sagen: Das Tarifsystem in Deutschland hat sich über viele Jahre und Jahrzehnte bewährt. Es ist ein Instrument des fairen Interessenausgleichs zwischen den Interessen der Arbeitnehmerschaft und denen der Arbeitgeberschaft. Dieses Instrument des fairen Interessenausgleichs ist in etlichen Bereichen notleidend geworden. Deshalb müssen wir dazu beitragen - das ist die originäre Aufgabe der Politik -, dass das Tarifsystem wieder zu einem echten Instrument des Interessenausgleichs wird, dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der einen Seite und Arbeitgeber auf der anderen Seite im Tarifsystem wieder auf Augenhöhe begegnen und für ihre jeweiligen Interessen streiten können. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schreiner, meine Aufgabe ist es, Sie immer an Ihre Vergangenheit zu erinnern. Wenn Sie sich mit der Lohnhöhe und der Lohnentwicklung in Deutschland beschäftigen, muss ich nochmals darauf hinweisen: Die Idee, in Deutschland einen Niedriglohnsektor zu schaffen, kam von der SPD im Zusammenhang mit der Agenda 2010. Jetzt weiß ich, dass Sie damals zwar in der Regierung, aber trotzdem in der Opposition waren, das heißt, dass Sie Bundeskanzler Schröder bekämpft haben und nicht alles richtig fanden, was er wollte. Aber dieser Sachverhalt bleibt mit der SPD verbunden. Wenn Sie sich Statistiken anschauen, die Durchschnittswerte abbilden, dann sehen Sie: Die Schaffung eines Niedriglohnsektors in Deutschland führt genau zu diesem statistischen Phänomen, das ich Ihnen gerade vorgehalten habe. - Natürlich dürfen Sie eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie erlauben es. - Herr Schreiner, bitte schön. Die Zwischenfrage ist erlaubt.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kolb, da Sie darauf hinweisen oder jedenfalls behaupten - sagen wir einmal so -, der Niedriglohnsektor sei eine Erfindung von Rot-Grün, würde ich Sie darum bitten - die Frage kommt anschließend -, zur Kenntnis zu nehmen, dass in dem von mir mehrfach zitierten Bericht der ILO darauf hingewiesen wird - ich sage Ihnen jetzt die Zahlen -, dass der Bereich der prekär Beschäftigten in der Regel im Niedriglohnsektor angesiedelt ist; ganz gleich, ob es sich um Zeitbefristungen, 400-Euro-Jobs oder Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer handelt. Nach den Daten der ILO von vor wenigen Wochen waren im Jahre 1998 5,2 Millionen Beschäftigte in Deutschland in prekärer Beschäftigung, und heute sind es 7,2 Millionen. Das heißt, wir haben einen Zuwachs von 2 Millionen; er ist konzediert. Übrigens waren zwischenzeitlich andere Regierungen am Werk. Sie können nicht bestreiten, dass es schon vor Rot-Grün einen enormen Block an prekärer Beschäftigung in Deutschland gab, nämlich - ich sage es noch einmal - über 5 Millionen prekär Beschäftigte. Deshalb macht es überhaupt keinen Sinn, was Sie schon seit Monaten systematisch betreiben: Sie führen eine nach hinten gerichtete Schuldzuweisungsdebatte, anstatt die Situation zu analysieren und zu sagen: Das läuft gut in Deutschland, das weniger gut. - Sie sollten nicht ständig nach hinten blicken, sondern Antworten auf die Frage finden: Wie können wir etwas besser machen? ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Schreiner, ich will natürlich gern Ihre Frage beantworten; aber ich muss vorausschicken: Es wird mit dem, was Sie jetzt gefragt haben, nicht besser für Sie. ({0}) Auch die von Ihnen genannten Voraussetzungen für prekäre Beschäftigung - Zeitarbeit, Teilzeit, befristete Beschäftigungsverhältnisse - sind im Rahmen der Agenda 2010, mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, verändert worden. ({1}) Wenn Sie sich darüber beklagen, dass es bis heute - das muss man sagen - einen deutlichen Zuwachs an Zeitarbeit gegeben hat, muss man entgegnen: Das ist der Effekt Ihrer Reformen in Ihrer Regierungszeit. Wir haben den Bereich bisher überhaupt nicht angepackt. Sie be13504 schweren sich darüber, dass es mehr Teilzeit und Befristung gebe; aber Ihre Beschwerde berücksichtigt nicht, dass die Änderungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes von Ihnen stammen. ({2}) Da kommen Sie definitiv nicht raus. ({3}) Ich habe Ihnen deswegen am Mittwoch gesagt - ich sage es Ihnen heute wieder -: Man muss immer wissen, woher man kommt, damit man weiß, wohin man in Zukunft will; das vermisse ich bei Ihnen immer. Sie sind seit 30 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages und tun immer so, als hätten Sie mit all dem, was hier in den letzten 30 Jahren passiert ist, überhaupt nichts zu tun, insbesondere auch nicht mit dem, was in Zeiten der SPD-Regierung passiert ist. ({4}) Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schreiner, der zweite Punkt, auf den ich hinweisen will: Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme, und zwar aus gutem Grund - er ist hier schon genannt worden -: wegen der negativen Koalitionsfreiheit. Man hat das Recht, einem Tarifvertrag nicht beizutreten. Ich muss sagen: Trotzdem ist mir nicht bekannt, dass es zu massiven Problemen gekommen wäre. Frau Müller-Gemmeke, weil Sie den Antrag vorgelegt haben, sage ich an Ihre Adresse: Ich wüsste nicht, dass in großer Zahl Anträge nach TVG gestellt worden wären, die nicht zum Zuge gekommen sind. ({5}) Sie wollen hier ein Scheinproblem lösen, auch weil Sie sich teilweise nicht richtig informiert haben. So heißt es in Ihrem Antrag: Es soll künftig auf „die im Koalitionsvertrag … vereinbarte Zustimmung des Kabinetts“ zur Allgemeinverbindlicherklärung nach Tarifvertragsgesetz verzichtet werden. Eine solche Vereinbarung haben wir nicht; da gibt es keine Absprache. Wir haben eine Absprache zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz, die aber den kompletten Bereich des TVG nicht berührt und folglich in dem Bereich nicht restriktiv wirken kann. Ich bin strikt gegen Ihre Forderung, den Prozentsatz der Beschäftigten, die in den Geltungsbereich eines Tarifvertrages fallen müssen, damit die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags nach TVG erfolgen kann - das ist eine Voraussetzung -, von 50 auf 40 Prozent zu reduzieren. Das ist undemokratisch. Ich glaube, dass eine Mindestbindung gegeben sein muss. Ihre Logik ist: Je geringer die Tarifbindung, desto größer ist das Interesse, eine AVE zu erhalten. ({6}) Wenn man sich das sozusagen in der Grenzbildung vor Augen führt, erkennt man doch: Das ist absolut unsinnig. Im Übrigen wird es auch nicht dazu führen, dass die Tarifautonomie gestärkt wird. Stellen Sie sich das vor: Wenn ich als Arbeitgeber das Ergebnis des Tarifvertrages durch die AVE sozusagen kostenlos bekommen kann, warum soll ich dann überhaupt noch Mitglied eines Arbeitgeberverbandes werden? ({7}) - Nein, so ist die Logik doch. Im Ergebnis würde es jedenfalls auf der Arbeitgeberseite einen sinkenden Organisationsgrad geben. Deswegen geht das, was Sie hier vorlegen, in die vollkommen falsche Richtung, sowohl in Bezug auf den Regelungsbereich des Tarifvertragsgesetzes, TVG, als auch in Bezug auf den Regelungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Herr Schreiner, weil es notwendig ist, kein Gesetz zu machen, wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu machen - das gilt analog für Anträge -, ist Ihr Antrag, Frau Müller-Gemmeke, konsequenterweise abzulehnen. Genau das werden wir tun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann von der Fraktion Die Linke. ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! „Tarifvertragssystem stärken - Allgemeinverbindliche Tariflöhne und branchenspezifische Mindestlöhne erleichtern“; wieso müssen wir eigentlich darüber reden? ({0}) Was für eine Situation haben wir mittlerweile in unserem Land, dass ein solcher Antrag notwendig ist? Wir sind als Beste aus der Krise herausgekommen. ({1}) - Frau Connemann, Sie können gleich reden. ({2}) Die Bundesregierung, mit Frau Merkel an der Spitze, ist voller Lob für die Sozialpartnerschaft. Hand in Hand mit den Gewerkschaften haben wir die Krise überwunden - das hat Frau Merkel zuletzt auf der Konferenz der ILO in Genf gesagt; das ist schon erwähnt worden. Toll, oder? ({3}) Vielleicht stimmt daran irgendetwas nicht. Meine Kollegen von CDU/CSU und FDP singen ständig LobeshymJutta Krellmann nen auf die Tarifautonomie, aber wehren sich mit Händen und Füßen gegen Regeln für alle, die zu schaffen wären. Jede Aufforderung, die Erosionsprozesse bei den Entgelten zu stoppen, wird ignoriert. Deutschland ist nicht nur Weltmeister im Export, Deutschland ist auch Weltmeister bei Dumpinglöhnen in Europa geworden. ({4}) Ein paar Eckpunkte: Über 20 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnbereich. Sie verdienen weniger als 9,85 Euro pro Stunde. Tätigkeiten im Niedriglohnbereich werden überwiegend von weiblichen Beschäftigten ausgeübt. Die Tarifbindung in deutschen Unternehmen liegt im Westen bei 63 Prozent und - man höre und staune - im Osten bei 50 Prozent, in beiden Fällen mit sinkender Tendenz. Als Linke muss ich überhaupt nicht sagen, worauf ich das zurückführe. Im Grunde genommen macht das immer Herr Kolb. Er ist da eine Bank. Echt klasse! ({5}) Rot-Grün hat das eingeführt; aber Sie tun nichts, um das zu ändern, obwohl Sie die Zahlen kennen. ({6}) Deutschland ist das einzige Land in ganz Europa, in dem die Löhne real gesunken sind - auch das ist schon mehrfach gesagt worden -, in den letzten zehn Jahren um 4,5 Prozent. In der Industrie sind die Löhne durchschnittlich um 7,8 Prozent gestiegen, im Baubereich um 5,2 Prozent gesunken. Die größten Verluste entstanden für Arbeitnehmer, für die keine Tarifverträge gelten, und deswegen brauchen wir welche. ({7}) Das hat System. Die Tarifbindung wird nicht von Arbeitnehmern gekündigt, sondern von Arbeitgebern. Jeder Arbeitgeberverband hat heute die Möglichkeit eröffnet, dass Betriebe ohne Tarifbindung Mitglied werden können. Nicht die Beschäftigten betreiben Outsourcing, um die Löhne zu drücken, sondern die Arbeitgeber. ({8}) Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat im Jahr 2000 die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ins Leben gerufen. Die machen seit zehn Jahren nichts anderes, als die Bürgerinnen und Bürger von der Notwendigkeit marktwirtschaftlicher Reformen zu überzeugen und marktliberale Gedanken in der Gesellschaft zu verankern. Gesamtmetall zahlt dafür 10 Millionen Euro pro Jahr, und das schon seit zehn Jahren. Das ist Lobbyarbeit im Arbeitgeberinteresse: 100 Millionen Euro gegen Mindestlöhne und gegen verbindliche Regeln in Form von Tarifverträgen und Gesetzen. Wer das weiß, kann sich denken, wie schwer es für Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter ist, gegen diesen Lobbymainstream anzukämpfen. Der Antrag der Grünen ist gut und durchdacht. Die Linke wird ihm zustimmen. ({9}) Als Linke sind wir dafür, den Abschluss allgemeinverbindlicher Tarifverträge zu erleichtern. Wir sind der Meinung, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet wird, und wir wollen, dass die Einführung von Mindestlöhnen in allen Branchen erleichtert wird. An die Adresse der Regierungsfraktionen sage ich: Denken Sie doch einmal darüber nach, und machen Sie einfach einen Schritt nach vorn. Stimmen Sie dem Antrag zu, damit sich die Bedingungen für die Arbeitnehmer endlich verbessern. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer von Ihnen erinnert sich eigentlich noch an seinen Politikoder Geschichtsunterricht? - Ein paar melden sich, wunderbar. - Art. 9 Grundgesetz: Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit. Von Ihnen hat sich niemand gemeldet. Das ist auch sehr offensichtlich, meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen; denn die darin verankerte Tarifautonomie wird bei Ihnen nur in Sonntagsreden und -anträgen bemüht - mit dem vorliegenden Antrag einmal mehr -, aber nur in den Überschriften. In der Überschrift Ihres jetzt vorliegenden Antrages heißt es: „Tarifvertragssystem stärken“; aber Ihre Forderungen zielen im Ergebnis auf das genaue Gegenteil, auf staatliche Lohnfestsetzung. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Tarifautonomie und staatliche Lohnfestsetzung stehen in einem absoluten Gegensatz zueinander. Sie wollen diese staatliche Lohnfestsetzung von oben herab, diese Tarifbindung, im Wege - das zitiere ich; ich finde diese Formulierung bemerkenswert - „einer bewussten politischen Unterstützung“ erhöhen. Das ist eine schöne Formulierung. Die Voraussetzungen dafür, dass Tarifverträge auch auf Tarifungebundene erstreckt werden können, sollen erleichtert werden. Meine Damen und Herren von den Grünen, damit zeigen Sie uns erstens, dass Ihnen staatliches Diktat lieber ist als Tarifhoheit. ({0}) Übrigens verkennen Sie damit, dass gerade die Tarifautonomie entscheidend zum sozialen Frieden und zum Wohlstand in diesem Land beigetragen hat, und zwar seit seiner Gründung und insbesondere in Krisen wie der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ohne diese Tarifautonomie wären wir nicht in dieser Form aus der Krise gekommen; ({1}) denn die Tarifparteien haben die notwendige Sachkenntnis und Problemnähe, sie kennen die branchen- und unternehmensspezifischen Besonderheiten viel besser, als die Politik es je könnte. ({2}) Zweitens betreiben Sie eine Politik, bei der Sie die Daten und Fakten nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Fakt ist, liebe Frau Müller-Gemmeke und auch liebe Frau Krellmann, dass - dies zeigen die aktuellen Zahlen des IAB - 2010 insgesamt 60 Prozent aller Betriebe - diese Zahl von Ihnen stimmt - mit 80 Prozent aller Beschäftigten direkt oder indirekt durch Tarifverträge erfasst wurden. Das ist die Wahrheit. Es ist sicherlich richtig, dass die Tarifbindung nach der Wiedervereinigung abgenommen hat; aber seit 2006 hat sich das Niveau stabilisiert. Die Wirtschaftskrise hat übrigens nach Angaben des IAB nicht zu einer Welle des Austritts der Betriebe aus der Tarifbindung geführt. Also: Erosion? Weit gefehlt. ({3}) Für die Austritte gilt eines: Die gesetzlichen Regelungen zur Nachwirkung von Tarifverträgen im Tarifvertragsgesetz und übrigens auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Beispiel zum Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung stellen für eine sogenannte Tarifflucht extrem hohe Hürden auf. Tarifgebundenen Unternehmen ist es regelmäßig eben nicht möglich, sich mittelfristig von tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen zu verabschieden. Sie haben in Ihrer Rede genau das Gegenteil behauptet. Sie haben sich wieder als unbefleckt von jeder Rechtskenntnis dargestellt; das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich. Das zeigt auch Ihr Antrag. ({4}) Ich muss sagen: Es ermüdet mich inzwischen, Ihre Anträge zu lesen, in denen es von Behauptungen nur so wimmelt, die aber nicht mit Rechtskenntnis unterlegt sind. Ich will gar nicht mit dem Grundgesetz anfangen. Kollege Lehrieder hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz die negative Koalitionsfreiheit schützt, dass also niemand Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes sein muss und dass jeder, der austritt und damit die Freiheit von einer Tarifbindung wählt, grundgesetzlich geschützt wird. Allgemeinverbindliche Tarifverträge müssen schon aus Achtung vor der Verfassung die Ausnahme bleiben - das ist das Prinzip -; denn sie gelten gerade gegenüber denjenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - tarifungebunden sind. Deshalb hat der Gesetzgeber in den letzten Jahrzehnten gut daran getan, zu sagen: Die Erstreckung eines Tarifvertrages auf sogenannte Außenseiter bedarf immer einer besonderen Rechtfertigung. Das kann nur in engen Grenzen stattfinden, die im Arbeitnehmer-Entsendegesetz und übrigens auch im Tarifvertragsgesetz formuliert werden. Diese wollen Sie jetzt ausweiten. Ein besonderer Dorn im Auge ist Ihnen der Tarifausschuss. Ich frage mich, weshalb. Mit zwei Ausnahmen gab es dort bislang nur Zustimmung. Einmal lehnten die Arbeitgebervertreter ab; das war im Fall der Weiterbildung. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Tarifregelungen für das Wach- und Sicherheitsgewerbe scheiterte demgegenüber zunächst an den DGB-Gewerkschaften. Das Prinzip hat sich also absolut bewährt. Dennoch wünschen Sie Änderungen. Sie fordern - ich finde das hanebüchen -, dass der Tarifausschuss im Einzelfall um Vertreter aus der jeweils antragstellenden Branche ergänzt wird. ({5}) Damit würde die Beteiligung des Gremiums zur Farce. Sie machen damit doch den Bock zum Gärtner. ({6}) Denn mit dem Antrag haben die Antragsteller bereits ihr Votum für den Antrag abgegeben, nämlich Zustimmung. Damit wäre die Zustimmung quasi immer sicher. Das hat mit der Rolle eines Tarifausschusses tatsächlich nichts mehr zu tun. ({7}) Sie fordern auch, das Einvernehmen im Tarifausschuss durch das Mehrheitsprinzip zu ersetzen. Liebe Frau Müller-Gemmeke, wenn das Ihr Antrag ist: Informieren Sie sich einfach besser! Wie wäre es mit einem Blick ins Gesetz oder in die Rechtsprechung gewesen? Für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages nach § 5 Tarifvertragsgesetz genügt, um Einvernehmen zu erreichen, schon nach geltender Rechtslage die einfache Mehrheit im Tarifausschuss. Das Mehrheitsprinzip gilt also bereits für Entscheidungen des Tarifausschusses. Einfach mal wieder daneben! ({8}) Nach Ihrem Antrag, meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen, soll das Mehrheitsprinzip, das Sie gerade eingefordert haben, für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung aber nicht mehr gelten. Da wollen Sie das 50-Prozent-Quorum durch ein 40-ProzentQuorum ersetzen. Das finde ich wirklich kurios. Ich finde es auch unverständlich; denn eine Allgemeinverbindlichkeit als starkes Schwert kann doch nur in Betracht kommen, wenn sich die Regelungen des Tarifvertrages in der jeweiligen Branche mehrheitlich durchgesetzt haben. Andernfalls könnte eine Minderheit die Bedingungen für die Mehrheit diktieren. Das ist mit uns sicherlich nicht zu machen. ({9}) Wenn Sie schon vom Mehrheitsprinzip abweichen wollen: Weshalb gerade 40 Prozent? Das bleibt Ihr Geheimnis. Ihre letzte Forderung ermüdet mich einfach nur noch. Sie sagen, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - liebe Frau Müller-Gemmeke, hören Sie doch bitte weGitta Connemann nigstens zu, wenn Sie sich schon nicht mit der Rechtsprechung auseinandersetzen - in den Katalog der Arbeitsbedingungen einzubeziehen sei. Sie hätten sich einfach besser informieren sollen. Hätten Sie dies getan, würden Sie die Entscheidung des EFTA-Gerichtshofes, die gerade zwei Tage alt ist - sie datiert vom 28. Juni 2011 -, kennen. Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine im isländischen Recht enthaltene vergleichbare Regelung - danach wird die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in die nationale Entsendegesetzgebung einbezogen -, die Sie für uns einfordern, mit dem EWRAbkommen absolut unvereinbar ist. Das gilt dann auch für uns. Ich bitte Sie einfach: Ermüden Sie uns zukünftig nicht. Bereiten Sie sich besser vor. Überprüfen Sie die Rechtslage. Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Weniger wäre da tatsächlich mehr. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Johannes Vogel von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon froh, liebe Frau Kollegin Müller-Gemmeke, dass in der diesmonatlichen Mindestlohndebatte ein Antrag die Diskussionsgrundlage ist, der sich zumindest nicht mit dem Staatslohn, also dem gesetzlichen Mindestlohn, auseinandersetzt. ({0}) - Zumindest nicht im Kern. Als Erwähnung steht er natürlich schon drin. Frau Müller-Gemmeke, ich glaube, die beeindruckende Rede der Kollegin Connemann - sie hat nicht nur wegen ihres Schuhwerks beeindruckt - hat gezeigt, dass wir sehr gerne machen, was Sie wollen. Wir setzen uns nämlich konstruktiv mit Ihrem Antrag auseinander. Aber da bleiben eben Fragen offen. Ich will nur einmal zwei nennen. Natürlich bleibt die Frage offen, ob es vernünftig sein kann, dass die Minderheit der Mehrheit etwas diktiert; denn die Tarifbindungsgrenze von 50 Prozent ist nicht zufällig gesetzt worden. Man kann auch skeptisch sein, ob es eine gute Idee ist, den Tarifausschuss, der in dem Verfahren gerade fürs große Ganze, für die volkswirtschaftliche Gesamtsicht und nicht für die eigene Betroffenheit zuständig ist, mit Vertretern aus der Branche zu besetzen, um die es konkret geht. Ich glaube aber - das sage ich ernsthaft -, dass Sie grundsätzlich einen Fehler machen. Der Kollege Kolb hat eben darauf hingewiesen. Wenn Sie die Tarifbindung wirklich erhöhen wollen - ich glaube, dieses Ziel teilen wir alle -, dann ist es ein Fehler, die Anreize zu senken. Das wird nicht funktionieren. Deshalb sollten Sie auf diesem Weg nicht weitergehen. ({1}) Da wir gerade über eine konstruktive Auseinandersetzung reden, will ich einen weiteren Punkt ansprechen. Ich finde, zum Niveau einer konstruktiven Auseinandersetzung gehört, dass die Fakten stimmen. Mich ärgert - das erleben wir nicht nur in Anträgen von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sondern auch bei der SPD immer wieder -, wenn die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt falsch dargestellt wird. Ich will jetzt gar nicht darauf eingehen, dass der Kollege Schreiner eben wieder einmal alle atypischen Beschäftigungsverhältnisse mit prekären Beschäftigungsverhältnissen gleichgesetzt hat. Abgesehen davon, dass Sie von der SPD diese Beschäftigungsverhältnisse erst geschaffen haben - Sie hatten auch einen Grund dafür -, ist nicht jede flexible Beschäftigungsform prekär. Sonst wären die Mitarbeiter aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages prekär beschäftigt. Meine sind es nicht. Ich hoffe, Ihre sind es auch nicht. Insofern: So einfach kann man es sich nicht machen. ({2}) Was mich vor allem ärgert, sind Ihre Aussagen zur Gruppe der Aufstocker. Sie, Frau Müller-Gemmeke, schreiben in Ihrem Antrag wieder einmal, knapp 11 Milliarden Euro würden ausgegeben, um Billiglöhne zu subventionieren. Sie wissen, dass das nicht stimmt. Sie wissen das genau. ({3}) Es ärgert mich, dass Sie immer wieder den Eindruck erwecken, als sei es so, wie Sie schreiben. Sie kennen die Zahlen so gut wie wir. Sie wissen, dass drei Viertel der Aufstocker nur Teilzeit arbeiten und dass nicht die Lohnhöhe das Problem ist. ({4}) Sie wissen auch, dass es beim restlichen Viertel an der Größe der Familie liegt, ({5}) dass ihnen die Solidargemeinschaft richtigerweise Geld zukommen lässt, ({6}) und dass die Zahl derjenigen, die nur aufgrund der Höhe ihres Lohnes aufstockt, gering ist; es sind einige Zehntausend und nicht mehr. ({7}) - Ich lasse die Zwischenfrage der Kollegin gerne zu.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie erlauben die Zwischenfrage?

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, fünf Sekunden vor Ende meiner Redezeit sehr gern. ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Vogel, Sie haben in Ihrer Rede darauf hingewiesen, dass die Lohnhöhe nicht das Problem darstellt. Ist Ihnen bekannt, dass in Deutschland fast 2 Millionen Beschäftigte für Löhne unter 5 Euro pro Stunde arbeiten und dass es unter den Aufstockern eine besonders hohe Zahl von Niedriglöhnern gibt? ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mir sind diese Zahlen sehr wohl bekannt. Ich habe Ihnen gerade die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vorgetragen. Man muss sich die Aufstockerstatistik genau anschauen. ({0}) Ich meine, keine andere Statistik macht so sehr deutlich, ob Menschen in Deutschland unterhalb des Existenzminimums leben müssen oder nicht; dafür gibt es Hartz IV, dafür gibt es die Existenzsicherung, Frau Kollegin. An der Aufstockerstatistik wird deutlich, dass nur einige Zehntausend Menschen alleinstehende Vollzeitaufstocker sind, die wirklich wegen der Höhe ihres Lohnes aufstocken und nicht, weil sie nur Teilzeit arbeiten oder in einer großen Bedarfsgemeinschaft leben und deshalb unterstützt werden. ({1}) Es stimmt einfach nicht, wenn Sie den Eindruck erwecken, Millionen Menschen in diesem Land würden Vollzeit arbeiten, könnten von ihrem Lohn aber nicht leben. Es stimmt auch nicht, dass jedes Jahr 11 Milliarden Euro für die Subventionierung von Billiglöhnen ausgegeben werden. Diese Aussagen stören mich, weil sie sich in eine Melodie einreihen, die Sie von der Opposition in den letzten Monaten immer wieder spielen. Sie behaupten, dass das deutsche Jobwunder nur auf Billiglöhnen basiert. Damit machen Sie den Menschen in diesem Land die gute Lage am deutschen Arbeitsmarkt, die sie sich hart erarbeitet haben - wenngleich wir noch einiges verbessern müssen; da sind wir uns einig -, madig. ({2}) Sie machen auch politische Erfolge madig, sogar Ihre eigenen aus der vorvergangenen Legislaturperiode. Das sollten Sie beenden. ({3}) Wenn Sie das tun, befinden wir uns auf einem Diskussionsniveau, auf dem wir dann über alle weiteren Details konstruktiv streiten können. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/4437 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 b auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({0}) auf Grundlage der Resolution 1769 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen - Drucksache 17/6322 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, das Wort. ({3})

Not found (Gast)

Danke, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es, dass wir heute über die weitere deutsche Beteiligung an einer der wohl wichtigsten, zahlenmäßig größten, aber manchmal auch vergessenen Friedensmission der Vereinten Nationen in Afrika diskutieren: UNAMID in Darfur. Die Bilder und Nachrichten, die wir seit Jahren aus Darfur erhalten, sind immer noch erschreckend. Wir müssen unser Engagement für den Schutz der Zivilisten, gerade auch der Frauen und Kinder, fortsetzen. Deshalb hat die Bundesregierung gestern beschlossen, sich weiterhin an der von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gemeinsam geführten Friedensmission in Darfur, UNAMID, zu beteiligen. Das gegenwärtige Bundestagsmandat für die militärische Beteiligung endet, wie Sie wissen, am 15. August dieses Jahres. Es soll bis zum 15. November 2012 verlängert werden. Weiterhin soll die Obergrenze bei 50 Soldatinnen und Soldaten liegen. Durch die Fortführung der deutschen Beteiligung an UNAMID setzt Deutschland ein klares Signal für den Einsatz für Menschenrechte, den Schutz von Zivilisten und die humanitäre Unterstützung der Zivilbevölkerung in Darfur. ({0}) Wir wissen, dass UNAMID vor großen und wichtigen Herausforderungen steht; Bundesaußenminister Westerwelle hat sich auf seiner Reise in den Sudan letzte Woche persönlich davon überzeugt. Leider ist in den letzten Monaten die Lage in Darfur angespannt geblieben. Immer wieder aufflammende Kämpfe zwischen Regierungstruppen, Rebellen und Milizen sowie eine ständige Bedrohung durch bewaffnete Banditen belasten die ohnehin prekäre humanitäre Lage der Zivilbevölkerung in Darfur. Eine dauerhafte politische Lösung des Darfur-Konflikts steht weiter aus. Die Friedensverhandlungen zu Darfur in Doha haben mit der Versammlung der betroffenen Parteien und der Zivilgesellschaft vom 27. bis 31. Mai 2011 einen vorläufigen Abschluss gefunden. Es wurde zwar kein Friedensvertrag unterzeichnet, da sich die Rebellengruppen letztendlich verweigert haben. Verhandlungen unter Vermittlung der internationalen Gemeinschaft werden aber fortgesetzt. Katar, die Afrikanische Union, Mitvermittler Thabo Mbeki sowie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben alle Konfliktparteien aufgerufen, sich ernsthaft und konstruktiv an Friedensgesprächen zu beteiligen. Die sudanesische Regierung hat gegenüber Bundesaußenminister Westerwelle bei seinem Besuch im Sudan ihre Bereitschaft zu weiteren Verhandlungen bekräftigt. Bundesaußenminister Westerwelle hat auch die Verbesserung der Menschenrechtslage in Khartoum angemahnt zu Recht, wie ich meine. Die Bundesregierung hält es für dringend notwendig, dass bei einem Friedensschluss in Darfur der Ausnahmezustand aufgehoben wird, die Allmacht der sudanesischen Geheimpolizei beschnitten wird und die Menschen- und Bürgerrechte, insbesondere die Presse- und Versammlungsfreiheit, in Darfur und im ganzen Sudan hergestellt werden. ({1}) Wir werden uns weiter mit Nachdruck für eine friedliche und nachhaltige Lösung des Darfur-Konflikts und für eine Verbesserung der Menschenrechtslage einsetzen. UNAMID bleibt bis auf Weiteres als stabilisierendes Element zur Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur und zur Begleitung der politischen Bemühungen um ein Ende der dortigen Krise unverzichtbar. Gestern habe ich mich im Auswärtigen Amt noch einmal mit in Darfur und im Tschad tätigen Vertretern der NGOs unterhalten. Auch sie bestätigen die Notwendigkeit von UNAMID für ihre Arbeit und die Stabilisierung der Lage in Darfur. Die Vertreter der Organisationen berichteten mir aber auch über fortgesetzte Behinderungen ihrer Arbeit durch Bürokratie, Zugangsverweigerung und Schikanen. Die Unterstützung von UNAMID durch die sudanesische Regierung sowie den freien Zugang für die humanitären Helfer wird die Bundesregierung auch deshalb weiter mit Nachdruck anmahnen. Die deutsche Beteiligung an UNAMID ist ein wichtiges Zeichen, insbesondere an die Vereinten Nationen und an die Afrikanische Union, dass Deutschland das internationale Engagement in Darfur unterstützt. Art und Umfang des deutschen Engagements wurden dabei eng mit unseren internationalen Partnern abgestimmt. Wir sehen unser Bestreben in Darfur als Teil unseres Einsatzes für den gesamten Sudan. ({2}) Neben der Beteiligung mit sechs Offizieren verrichten auch deutsche Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte ihren Dienst bei der Mission. Derzeit sind es fünf. Das Mandat für die Beteiligung mit Polizeibeamtinnen und -beamten wurde gestern ebenfalls durch einen Kabinettsbeschluss unbefristet verlängert. An dieser Stelle möchte ich den Soldatinnen und Soldaten sowie den Polizistinnen und Polizisten, die dort unter extrem schwierigen Bedingungen ihre Aufgaben erfüllen - ich denke, auch in Ihrem Namen -, Dank und Anerkennung aussprechen. ({3}) Ich will auch noch einmal erwähnen, dass die Hilfe für die vom Darfur-Konflikt betroffene Bevölkerung nicht nur in Darfur, sondern auch im benachbarten Tschad zu den Schwerpunkten der humanitären Hilfe der Bundesregierung zählt. Die Leistungen der Bundesregierung beliefen sich in ganz Sudan und im benachbarten Tschad für die Zeit von 2009 bis 2011 auf rund 613 Millionen Euro. Ich glaube, dieser Beitrag kann sich sehen lassen. ({4}) Wie Sie wissen, wird Deutschland im Juli 2011 die Präsidentschaft des Sicherheitsrates übernehmen. Dort haben wir zwei Schwerpunktthemen: Sudan und Kinder in bewaffneten Konflikten. Für den Sudan gilt es den Friedensprozess voranzutreiben und zu einem guten Ende zu bringen. So haben die Konfliktparteien, die Regierung in Khartoum und die südsudanesische Befreiungsbewegung, die die neue Regierung des Südsudan stellen wird, gerade Abkommen über die Einstellung der Feindseligkeiten in Kordofan und über gemeinsame Überwachungsmechanismen an der Grenze zwischen Nord- und Südsudan getroffen. Die Vereinten Nationen sollen diese durch Beobachter überwachen. Minister Westerwelle hat dies in Khartoum bei seinem Besuch zu einem seiner zentralen Themen gemacht und Khartoum wieder davon überzeugt, VN-Präsenz zuzulassen. Zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten werden wir eine Resolution einbringen, die Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser zusätzlich ächtet und die Demobilisierung von Kindersoldaten, wie es sie im Sudan immer noch gibt, vorantreiben soll. ({5}) Ich bitte Sie daher alle um Ihre Zustimmung zur weiteren deutschen militärischen Beteiligung an UNAMID und damit einem wichtigen Teil unseres Engagements für den Sudan sowie den Schutz von Flüchtlingen und Zivilisten, Kindern und Frauen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Karin Evers-Meyer von der SPD-Fraktion. ({0})

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es wie ein Ritual erscheint, das man reflexartig ableistet, möchte auch ich im Namen meiner Fraktion den Soldatinnen und Soldaten, die bei UNAMID in Darfur eingesetzt sind, für ihre Arbeit danken. ({0}) Ich finde, gerade bei einem Einsatz wie dem in Darfur, der nicht das größte Interesse bei den Medien weckt, ist es richtig, jede Gelegenheit zu nutzen, um daran zu erinnern, dass auch dort deutsche Soldaten im Einsatz sind und ihren Dienst tun, in einem Land, in das wohl keiner von uns derzeit gerne fahren möchte und das viele, die dort leben, am liebsten verlassen würden. Die Mitglieder des Deutschen Bundestages haben ihren Einsatz im Blick. Wir stehen abseits der Schlagzeilen aus Afghanistan auch an ihrer Seite und an der Seite ihrer Familien. In den vergangenen zwölf Jahren waren es in der Spitze acht deutsche Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst in Darfur getan haben. Das ist angesichts einer Zielgröße von insgesamt 26 000 Mann bei UNAMID ein sehr kleiner Anteil an der immerhin größten Friedensmission der Vereinten Nationen überhaupt. Dieser geringe Umfang der deutschen Beteiligung wurde kritisiert. Kritisiert wurde insbesondere die noch einmal verringerte Obergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten. Es hat sich aber in den letzten zwölf Monaten gezeigt, dass diese maximale Stärke von 50 Soldatinnen und Soldaten wirklich ausreicht. Der Bundeswehr ist nicht geholfen, wenn sie mit zu viel Personal für ihre Einsätze planen muss. Gerade in den unsicheren Zeiten der Bundeswehrreform ist eine realistische und vernünftige Einschätzung der Mandatsstärke wichtig - für die Bundeswehr selbst und für den Erfolg der Missionen, die sie unterstützen soll. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Forderung nach größerer materieller Unterstützung, vor allem nach dem Einsatz von Hubschraubern. Ich wünschte mir ja auch, dass die Bundeswehr mehr davon hätte, aber die Realität sieht leider anders aus, ({1}) und die Hubschrauber, die wir haben, benötigen wir für andere Einsätze, allen voran für den Einsatz in Afghanistan, wo wir derzeit zu wenige eigene Hubschrauber haben und daher auf die Unterstützung unserer Bündnispartner angewiesen sind. Ich kann hier deshalb nur davor warnen, den Eindruck entstehen zu lassen, dass die Bundesregierung keine Hubschrauber für UNAMID bereitstellen möchte. Die Bundeswehr hat sie schlicht und ergreifend nicht. Das kann man zwar zu Recht bedauern, aber man kann der Regierung in diesem Fall zumindest keinen mangelnden Willen vorwerfen. So ehrlich sollten wir bleiben. ({2}) In Darfur, wo während des Bürgerkriegs von 2003 bis 2006 furchtbare Verbrechen und Vertreibungen stattgefunden haben, ist UNAMID der wesentliche Anker für Stabilität. Ohne das Engagement der internationalen Gemeinschaft wird es dort auf absehbare Zeit keinen stabilen Frieden geben, und ohne einen stabilen Frieden wird es auch keine Chancen auf eine menschenwürdige Entwicklung geben. Die Ausgangssituation in Darfur ist denkbar ungünstig. Der Krieg hat dort mindestens 300 000 Todesopfer gefordert. Weit über 2 Millionen Menschen wurden dazu noch vertrieben. Auch heute, vier Jahre nach dem Waffenstillstand, leben noch immer mehrere Hunderttausend Menschen in Flüchtlingslagern. Diese Situation kann uns nicht egal sein, und deswegen ist die Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten richtig - übrigens nicht zuletzt auch deshalb, um die Arbeit der humanitären Helfer vor Ort zu sichern; denn auch der Schutz der humanitären Helfer ist eine der Kernaufgaben von UNAMID. Der Frieden in Darfur bleibt brüchig. Trotz vieler Anstrengungen in den vergangenen Monaten und trotz der Verhandlungen in Doha zu Jahresanfang gibt es bis heute kein Friedensabkommen, das von allen Parteien anerkannt wird. Deswegen bleibt das bei aller berechtigten Kritik an den Vereinten Nationen in Darfur und der Kritik am UNAMID-Einsatz unser einziges richtiges Mittel zur Lösung des Konfliktes, das wir in der Hand haben. UNAMID bindet mit der Afrikanische Union endlich auch die regionalen Akteure ein. Das ist wichtig. Nur mit dieser gemeinsamen Anstrengung der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gibt es in Darfur die Chance auf einen stabilen Frieden und damit auch die Chance auf eine solide politische und wirtschaftliche Entwicklung, und das ist doch unser gemeinsames Ziel. UNAMID ist auch noch aus einem anderen Grund wichtig. Darfur ist nicht der einzige Krisenherd im Sudan. Anfang des Jahres hat der Süden für seine Unabhängigkeit gestimmt, und am 9. Juli 2011, also in einer guten Woche, wird sich der Süden zum unabhängigen Staat ausrufen. Wir haben diese Entwicklung unterstützt, aber in den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass mit der Unabhängigkeit des Südens erst einmal wohl keine Ruhe im Sudan einkehren wird. Deswegen ist es auch richtig, dass wir in der nächsten Woche über das zweite SudanMandat der Bundeswehr abstimmen. Es ist dringend nötig, dass wir jetzt ein eindeutiges Zeichen setzen und unsere Bereitschaft demonstrieren, dass wir auch im Süden die Arbeit der Vereinten Nationen weiter unterstützen. Gerade weil sich die Aufmerksamkeit in den kommenden Wochen auf den Süden richten wird, ist die Beteiligung an UNAMID so wichtig. Alles, was den Nordsudan in den schwierigen Wochen und Monaten, die vor uns liegen, in Unruhe bringen könnte, muss verhindert werden. Hier kommt UNAMID wieder ganz eindeutig ins Spiel. Wir haben die beiden Sudan-Missionen der Bundeswehr hier immer gemeinsam betrachtet und auch gemeinsam darüber abgestimmt. Das hat seinen guten Grund. In diesem Jahr ist das leider etwas anders. Über UNMIS, die andere Mission, werden wir erst in der kommenden Woche debattieren können. Das sollte uns aber nicht daran hindern, auf den Zusammenhang der beiden Missionen hinzuweisen. Es geht um die Stabilität des ganzen Sudan, des Nordens und des Südens, und es geht darum, den Regionen, die von langen Bürgerkriegen gezeichnet sind, eine friedliche Entwicklung zu ermöglichen. Mit dieser Zustimmung verbinden wir aber auch eine Aufforderung an die Bundesregierung. Afrika hat mehr Engagement verdient. Mit dem neuen Afrika-Konzept der Bundesregierung ist in Deutschland ein Zeichen gesetzt worden, und Schlagzeilen sind produziert worden. Jetzt kommt es aber darauf an, dass Sie das, was Sie hier ausgebreitet haben, vor Ort auch umsetzen. Einsätze wie der von UNAMID müssen auch politisch flankiert werden, sonst sind sie auf Dauer sinnlos. Deswegen fordern wir Sie auf: Tun Sie etwas! Meine Fraktion steht hinter dem UNAMID-Einsatz der Bundeswehr. Sudan und insbesondere Darfur braucht weiterhin die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Deutschland kann und sollte sich daran beteiligen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Philipp Mißfelder hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 25. März 2010 haben wir uns im Rahmen eines interfraktionellen Antrags mit großer Geschlossenheit dem Gesamtkomplex Sudan gewidmet. Die Regierungsfraktionen, CDU/CSU und FDP, sowie die SPD und die Grünen waren sich einig: Wir wollen den Menschen im Sudan helfen. Gleichzeitig haben wir immer gefordert - das ist in der Debatte deutlich geworden -, die komplexe Situation insgesamt zu betrachten. Im Sudan gibt es einerseits den Darfur-Konflikt. Es gibt den Abyei-Konflikt. Am 27. Juni 2011 hat der Sicherheitsrat für sechs Monate einen Peacekeeping-Einsatz beschlossen, um die Situation insgesamt zu stabilisieren. Es gibt den Südkordofan-Konflikt. Dort ist die Situation Anfang Juni eskaliert und zurzeit immer noch instabil. Das zeigt uns allen, dass die Arbeit der Bundeswehr im Rahmen von UNAMID und auch bei UNMIS - die beiden Mandate sind von Frau Evers-Meyer schon genannt worden - wichtig ist. Deshalb freue ich mich, dass so viele Kolleginnen und Kollegen auch um diese Uhrzeit dieser Debatte aufmerksam folgen. Der Sudan ist mit einer der größten Herausforderungen für den Frieden auf dem afrikanischen Kontinent. Leider - das muss man sagen - hat er viel zu lange ohne internationale Beteiligung stattgefunden. Im Rückblick ist das, was dort passiert ist, für die Weltgemeinschaft eher bestürzend, als dass man beruhigt von einem funktionierenden Eingreifen sprechen könnte. Insofern ist es richtig, dass wir heute unserer Verantwortung gerecht werden, weiterhin stabilisierend in der Region zu wirken. Nach der Unabhängigkeitserklärung stellen sich drei große Problemfelder: Erstens. Das Comprehensive Peace Agreement ist noch nicht voll umgesetzt. Nordund Südsudan müssen sich über die Grenzziehung einigen. Sie müssen das Abyei-Problem friedlich lösen. Kämpfer des SPLA, die noch im Nordsudan sind, müssen sich zurückziehen. Zweitens. Wie gehen der Norden und der Süden mit den Folgen der Unabhängigkeit selbst um? Es gibt viele offene Fragen zu Rohstoffen und zum Grenzregime. Hier darf sich kein neues Pulverfass auftun. Drittens. Der Südsudan muss erst staatliche Strukturen schaffen. Es gibt überhaupt kein funktionierendes Staatsgebilde. Offen ist, wie sich Bildung, Infrastruktur und Sicherheit auf Dauer ohne internationale Maßnahmen garantieren lassen. Das Gesamtbild im Sudan bleibt also eine große Herausforderung. Gott sei Dank - ich habe es gerade schon angesprochen - ist nach Jahren der Ignoranz die Weltgemeinschaft aufmerksam geworden. So hat sich zum Beispiel Präsident Obama dieser Frage im Januar dieses Jahres in einem bemerkenswerten Artikel im Tagesspiegel gewidmet. Ich bin froh, dass wir uns auch im Deutschen Bundestag ausführlich mit diesem Problem beschäftigen. Das ist auch dem persönlichen Engagement einiger Abgeordneter zu verdanken. Ich möchte für meine Fraktion Hartwig Fischer nennen, der bei uns nicht müde wird, auf dieses Thema hinzuweisen. ({0}) Ich komme zum Mandat, um dessen Unterstützung ich Sie bitte. Die Mission UNAMID soll sicherstellen, dass die Gräueltaten und Vertreibungen in Darfur ein Ende haben und die Menschen wieder sicher leben können. Diesen Auftrag hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegeben. Darüber sind wir uns in diesem Hause einig. Es gibt nur eine Fraktion, die zu diesem Einsatz Nein sagt, die Linke. Ich möchte die Gelegenheit in dieser ersten Lesung nutzen, Sie zu bitten, Ihr Nein zu überdenken, und hier für einen wirklichen Friedenseinsatz zu werben. Es ist tatsächlich so, dass man viele grundsätzliche Fragen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr stellen kann. Deshalb debattieren wir hier unter dem Parlamentsvorbehalt jeden Einsatz sehr gewissenhaft und mit großer Akribie. Aber bei diesem Einsatz können Sie nun wirklich nicht unterstellen, dass es sich nicht um einen Friedenseinsatz handelt. Deshalb fordere ich Sie auf, Ihr Nein zu überdenken. Die Menschen in Darfur rufen uns zu: Helft uns! Die Vereinten Nationen sagen: Bitte helft, ihr werdet gebraucht! - Wir geben die Antwort und machen verantwortungsbewusste Außenpolitik. Die Linke sagt aus ideologischen Gründen Nein. Vor dem Hintergrund sollte man, glaube ich, in dieser Debatte zwar die Einigkeit des Hauses betonen, aber nicht vergessen, unter welcher Maßgabe sich eine Fraktion außerhalb unseres Konsenses stellt. ({1}) Die Herausforderungen für Afrika bleiben groß. Die Reise unseres Bundesaußenministers begrüße ich ausdrücklich. Auch die anstehende Reise der Bundeskanzlerin nach Afrika halte ich für wichtig. Ich glaube, dass insgesamt viele Kolleginnen und Kollegen ihren persönlichen Fokus viel stärker auf Afrika legen sollten. Wir werden damit auch unserem Koalitionsvertrag gerecht, in dem wir vereinbart haben: Wir bekennen uns zur Unterstützung der afrikanischen Sicherheitsbemühungen und beteiligen uns … Für eine dauerhafte Stabilisierung des Kontinents setzen wir auf eine starke Afrikanische Union als wichtiger Baustein afrikanischer Eigenverantwortung. Das versuchen wir zu unterstützen. Darum sind die beiden Mandate, die wir in diesen beiden Sitzungswochen beraten, wichtig. Ich möchte zuletzt unseren Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Polizisten, die dort ihren Beitrag leisten, herzlich danken, dass sie dort auch unter schwierigen Bedingungen einen wichtigen Beitrag zum Ansehen unseres Landes leisten. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Buchholz hat für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Mißfelder, wenn Sie uns für ein Ja zu diesem Einsatz gewinnen wollen, dann hätten Sie zumindest ein Argument nennen und sich auch mit den Problemen dieses Einsatzes auseinandersetzen müssen. ({0}) Es besteht bei uns allen in diesem Hause kein Zweifel darüber, dass die Lage in Darfur katastrophal ist. Das Mandat, das heute zur Debatte steht - es stehen schließlich nicht die Allgemeinplätze und das Afrika-Konzept der Regierung zur Diskussion, sondern das UNAMIDMandat -, ist allerdings völlig ungeeignet, die Lage zu verbessern. ({1}) UNAMID ist der größte und teuerste UN-Einsatz in der Geschichte. Er kostet jährlich 1,8 Milliarden Dollar. Mittlerweile sind 23 000 Polizisten und Soldaten in Darfur stationiert. Bei meinem Besuch im Sudan im letzten November hat mir der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation gesagt, was er von der Darfur-Mission UNAMID hält. Ich zitiere: „UNAMID ist eine große Geldfressmaschine ohne Auswirkung.“ ({2}) Der Einsatz wird den Problemen in Darfur nicht gerecht. Das will ich begründen. Erstens. Dorthin, wo die Gefährdung von Zivilisten stattfindet, kommt UNAMID gar nicht: weder ins Grenzgebiet zum Tschad noch ins Grenzgebiet zum Südsudan und nirgendwohin, wo Gefechte stattfinden. Von der Bevölkerung wird UNAMID deswegen auch zunehmend als verlängerter Arm der Zentralregierung wahrgenommen. ({3}) Zweitens. Weil UNAMID nicht als neutral angesehen wird, empfinden viele Hilfsorganisationen die Präsenz nicht als Schutz, sondern als Hindernis für ihre Arbeit. ({4}) Das sind Realitäten, die Sie zur Kenntnis nehmen müssen, wenn Sie mit den Menschen reden, die dort in den Hilfsorganisationen arbeiten. ({5}) Ich habe das gemacht, Sie vielleicht nicht. Neben der bitteren Armut ist der Klimawandel eine der wesentlichen Ursachen der Probleme der Menschen in Darfur. Die Ausbreitung der Wüste zerstört die Lebensbedingungen, schafft neue und verschärft alte Konflikte. Letztes Jahr sind 40 Prozent der Ernte in Darfur wegen Dürre ausgefallen. Die 16 trockensten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen 1910 fielen in die letzten 30 Jahre. Wenn die Entwicklung so weitergeht, erwartet die UNO bis 2050 Ernteausfälle von 70 Prozent. ({6}) Solange die Menschen dort keine wirtschaftliche und soziale Perspektive haben, wird es keinen Frieden geben. Dazu enthält Ihr Antrag gar nichts; Sie schreiben nur, dass Sie mit dem Nordsudan keine Entwicklungszusammenarbeit machen wollen. Das ist angesichts der Probleme ein Armutszeugnis. ({7}) Ich hatte im November letzten Jahres die Gelegenheit, in Darfur mit allen drei zu dem Zeitpunkt dort stationierten Bundeswehrsoldaten zu sprechen. Einer von ihnen sagte: „Wenn wir unser Mandat, den Schutz der Zivilbevölkerung, nicht wahrnehmen können, sind wir hier überflüssig.“ Recht hat er: Beenden Sie den Militär- und Polizeieinsatz, der ohnehin ein symbolischer ist, und beginnen Sie endlich, sich ernsthaft über wirkliche Hilfe für die Menschen in Darfur Gedanken zu machen! ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Nouripour das Wort.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spätestens seit es einen Haftbefehl gegen al-Baschir, den Präsidenten des Sudan, gibt, verbindet man die Situation in Darfur mit einem Namen. Die Tatsache, dass dieser Präsident dieser Tage mit einem roten Teppich in Peking empfangen wurde, ist deshalb nicht nur eine moralische Bankrotterklärung, sondern auch eine Niederlage für die internationale Gerichtsbarkeit. ({0}) Ich möchte die Bundesregierung aufrichtig bitten - sie übernimmt in knapp neun Stunden den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat -, auf unsere Partnerstaaten, gerade auf die USA, einzuwirken, keine Double Standards und Einfallstore mehr zuzulassen und dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs beizutreten. Das wäre ein richtiges Signal Richtung China und eine große Hilfe zur Verbesserung der Situation im Sudan, speziell in Darfur. ({1}) Die Situation in Darfur ist gravierend. Präzise Zahlen sind zwar nicht bekannt, aber Schätzungen gehen von 300 000 bis 400 000 Getöteten in den letzten acht Jahren und von bis zu 3 Millionen Vertriebenen aus. Diese Schätzungen sind nicht ganz präzise, weil wir kein genaues Bild haben. Aber selbst die vorsichtigsten Schätzungen zeichnen ein Bild des Grauens. Die aktuelle Lage ist zwar besser als die in der Zeit vor dem Waffenstillstand. Aber es gibt weiterhin viele Gewaltausbrüche. Die Friedensverhandlungen in Doha sind gescheitert. Es gibt weiterhin Kämpfe zwischen dem Justice and Equality Movement, Regierungstruppen und den Dschandschawid-Milizen. Sie verhindern, dass internationale Hilfslieferungen ankommen, behindern den Zugang zu Flüchtlingslagern und greifen UN-Personal an. Natürlich ist die Zivilbevölkerung die erste Leidtragende. Wir erleben dort eine fürchterliche humanitäre Katastrophe. Die politische Situation ist verfahren. Die Doha-Friedensverhandlungen sind, wie gesagt, gescheitert. Die politische Situation wird nicht unbedingt dadurch einfacher, dass Khartoum nun mit der Unabhängigkeit des Südens konfrontiert ist. Gerade in dieser Situation ist UNAMID wichtig. Gerade in dieser Situation ist es wichtig, dass es eine UN-Mission gibt, die zumindest den Versuch unternimmt, das Land zu stabilisieren. Deshalb ist die Fortsetzung des Mandates - auch unter Beteiligung der Bundeswehr - aus meiner Sicht völlig richtig. Die entscheidende Frage ist nur, welches Engagement dafür gebraucht wird. In der letzten UNAMID-Debatte hat Herr Außerminister Westerwelle den Satz gesagt: Der Sudan braucht von der internationalen Gemeinschaft mehr Engagement und nicht weniger. - Zudem gab es damals einen von einer breiten Mehrheit getragenen interfraktionellen Antrag, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, mehr Engagement im Sudan zu zeigen. Nun steht aber im vorliegenden Mandatstext: Der Einsatz wird im Übrigen fortgesetzt ohne inhaltliche Änderungen … . Die Bundesregierung nimmt an dieser Stelle leider noch nicht einmal die Forderungen der Koalitionsfraktionen für voll und erfüllt sie nicht. Das ist extrem wenig und sehr bedauerlich. Es fehlt an Ausrüstung. Es ist sicherlich richtig, dass die Hubschrauberfrage gelöst werden muss. Aber das ist bei weitem nicht das einzige ungelöste Problem. Das betrifft nicht nur UNAMID. Es wird auch nicht versucht, den EU-Sonderbeauftragten für den Sudan zu stärken. Die Liste der Mängel ist lang. Man muss feststellen: Die Bundesregierung macht an dieser Stelle leider viel zu wenig. Diese Passivität ist sehr bedauerlich. ({2}) Das heißt aber nicht, dass die Mission falsch ist. Ich plädiere dafür, der Fortsetzung des Mandats zuzustimmen. Die Bevölkerung in Darfur braucht unsere Hilfe, insbesondere im zivilen Bereich. Wenn ich eine letzte Zahl nennen darf: Es sind gerade einmal sechs Polizisten aus Deutschland dort eingesetzt. Das entspricht 0,1 Prozent der gesamten Polizeimission vor Ort. Die Polizistinnen und Polizisten sowie die Soldatinnen und Soldaten, die dorthin entsandt werden, leisten einen hervorragenden und dankenswerten Einsatz unter schwierigsten Bedingungen. Aber sie brauchen mehr Unterstützung, Engagement und Rückendeckung seitens der Bundesregierung. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Götzer das Wort.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Noch immer ist die Lage in Darfur von Gewalt geprägt. Der Waffenstillstand von Doha zwischen der Regierung und den Rebellengruppen wird immer wieder gebrochen. So haben erst kürzlich Soldaten der VN-Mission in Darfur über Bombardierungen durch Regierungstruppen sowie von der Geiselnahme mehrerer Angehöriger von Hilfsorganisationen berichtet. Auch die jüngsten Darfur-Friedensgespräche in Doha sind am 31. Mai dieses Jahres ohne konkretes Ergebnis zu Ende gegangen. Die Lage im Westen des Sudan bleibt somit angespannt, und eine dauerhafte politische Lösung des Darfur-Konflikts steht nach wie vor aus. Dies zeigt die Notwendigkeit der Verlängerung des UNAMID-Mandats eindeutig auf. Die UNAMID-Mission der Vereinten Nationen, innerhalb derer unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten unter schwierigsten Bedingungen einen wichtigen Beitrag leisten, dient der Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur und begleitet die politischen Bemühungen um ein Ende der dortigen Krise. Auch ich möchte deshalb - dies ist kein Ritual, sondern es kommt aus tiefstem Herzen unseren Soldatinnen und Soldaten im Sudan für die verschiedenen Einsätze, die sie dort leisten - wie gesagt, unter extremen Bedingungen -, unser aller Dank aussprechen. ({0}) Die Mission ist daher unbedingt unverändert zunächst bis zum 15. November 2012 fortzusetzen. Darin ist sich wohl die ganz große Mehrheit dieses Hauses einig. Auch UNMIS ist als stabilisierendes Element zur Wahrung der Sicherheit der Zivilbevölkerung im Sudan unverzichtbar. Eine der Hauptaufgaben von UNMIS war die Sicherung des Referendums über den Südsudan vom 9. bis 15. Januar dieses Jahres. Das Referendum war Teil eines Friedensabkommens von 2005 und sollte den mehr als 20 Jahre andauernden Bürgerkrieg im Sudan beenden. Die Tatsache, dass das Referendum, bei dem sich eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung dafür ausgesprochen hat, einen unabhängigen Staat Südsudan zu errichten, relativ friedlich und korrekt durchgeführt wurde, ist auch ein Zeichen für den Erfolg der UNMISMission. Auf Grundlage dieses Referendums geht es nun darum, eine dauerhaft stabile politische Lösung für die Zukunft von Nord- und Südsudan zu finden. Der Südsudan braucht jetzt zur Stabilisierung dringend stärkere, bessere staatliche Strukturen. Das ist entscheidend für die Stabilität der gesamten Region, wenn man bedenkt, dass der Sudan das derzeit größte afrikanische Flächenland ist. Darüber hinaus muss auch die Menschenrechtslage im Südsudan langfristig verbessert werden. Hierbei werden wir nur Fortschritte sehen, wenn sich insbesondere die Sicherheitskräfte an rechtsstaatlichen Kriterien orientieren. Irreguläre Milizen müssen deshalb entwaffnet und wieder in die Zivilgesellschaft eingegliedert werden, wo dies möglich ist. Eine bessere Ausbildung und Unterstützung im Rahmen dieser Demobilisierungsprogramme ist unverzichtbar. Daher muss sich an UNMIS eine Folgemission anschließen, die all dies leisten kann. Deutschland will und wird dazu auch weiterhin seinen Beitrag erbringen. Da mit der Unabhängigkeit des Südsudan in wenigen Tagen, am 9. Juli dieses Jahres, allerdings das bestehende UNMIS-Mandat endet, ist ein neues Mandat und damit eine erneute Befassung des Bundestages erforderlich. Mit der Erteilung eines neuen Mandats durch den VN-Sicherheitsrat ist Ende nächster Woche zu rechnen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, am Tag der südsudanesischen Unabhängigkeitserklärung wird Deutschland bereits den Vorsitz im VN-Sicherheitsrat haben und offiziell für die Begrüßung des neuen Staates in der Organisation zuständig sein. Wir sollten auch aus diesem Grund dafür Sorge tragen, dass unsere Zustimmung zur Beteiligung an dem Mandat bis zu diesem Tag erfolgt ist. Deutschland hat bislang im Sudan einen außerordentlich guten Namen und wird als ehrlicher Mittler zwischen Nord und Süd betrachtet. Im Interesse der Menschen im Sudan, aber auch nicht zuletzt, um unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren schwierigen Einsatz den Rücken zu stärken, bitte ich Sie um Unterstützung dieser Mandate. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6322 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 17/254 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Cornelia Möhring, Matthias W. Birkwald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Vizepräsidentin Petra Pau Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - Drucksache 17/472 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({2}), Jerzy Montag, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({3}) - Drucksache 17/88 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4}) - Drucksache 17/4775 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth Dr. Jan-Marco Luczak Christine Lambrecht Marco Buschmann Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.1) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Jan-Marco Luczak und Norbert Geis für die Unionsfraktion, Sonja Steffen für die SPD-Fraktion, Marco Buschmann für die FDP, Dr. Barbara Höll für die Linken und Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes der Fraktion der SPD zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 3 Abs. 3 Satz 1. Der Rechtsaus- schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 17/4775, den Gesetzent- wurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/254 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt laut unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 3 Abs. 3 Satz 1: Der Rechtsausschuss empfiehlt un- ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/4775, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/472 abzulehnen. Ich bitte die- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge- lehnt. Damit entfällt laut unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 3 Abs. 3 Satz 1. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 17/4775, den Ge- 1) Anlage 16 setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/88 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt laut unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe die Zusatzpunkte 8 und 9 auf: ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und eines … Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 17/6291 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts - Mehr Transparenz und Verantwortung für das Gemeinwohl - Drucksache 17/6305 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({6}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Peter Altmaier für die Unionsfraktion. ({7})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine funktionierende Demokratie braucht funktionsfähige politische Institutionen. Dies gilt für Parteien und Parlamente gleichermaßen. Auch wenn wir die Debatten, die wir heute führen, oftmals vor dem Hintergrund öffentlicher Befindlichkeiten führen, selbst wenn sie nicht immer frei von der einen oder anderen parteipolitischen Erwägung sind, glaube ich, dass es gut ist, daran zu erinnern, dass ein kardinales Problem der Weimarer Republik in der enormen Schwäche der demokratischen Parteien bestand. Diese Schwäche geht darauf zurück, dass die demokratischen Parteien von Weimar weder eine ausreichende Mitgliederbasis noch eine ausreichende Finanzausstattung besaßen und deshalb von Spenden, von Geldern, von privaten Interessen abhängig wurden. Infolgedessen ist im Grundgesetz ausdrücklich die Rolle der Parteien verankert. Auf der Grundlage dieser Vorschrift haben wir uns schon vor vielen Jahren für eine staatliche Teilfinanzierung politischer Parteien entschieden. Nur wenn die Parteien tatsächlich zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben befähigt sind, können sie an der Willensbildung verantwortlich mitwirken. Die letzte Anpassung der staatlichen Parteienfinanzierung liegt neun Jahre zurück. Vor neun Jahren wurde die absolute Obergrenze zum letzten Mal angepasst. Obwohl eine Anpassung an die Preisentwicklung von Anfang an intendiert war, ist sie in der Praxis zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Das bedeutet, dass sich die Rahmenbedingungen für die politische Arbeit von Parteien gemessen an der Situation vor rund zehn Jahren in der Zwischenzeit erheblich verschlechtert haben. Dies müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir haben uns nach langen Überlegungen dazu entschlossen, in zwei verantwortlichen, maßvollen Schritten die staatliche Teilfinanzierung an die zwischenzeitlich eingetretenen preislichen Veränderungen anzupassen, wohlgemerkt nicht rückwirkend, sondern lediglich für die Zukunft. Wir haben uns entschieden, eine automatische Anpassung an die Preisentwicklung für die Zukunft vorzuschlagen, weil wir glauben, dass Verlässlichkeit und Berechenbarkeit wichtig sind. Es geht um nicht mehr und nicht weniger. Ähnlich wichtig wie die Funktionsfähigkeit der politischen Parteien ist die Funktionsfähigkeit unserer demokratisch gewählten Parlamente. Es gab im Kaiserreich, in der Bismarck-Zeit und vor dem Ersten Weltkrieg heftige Debatten darüber, ob es überhaupt angebracht ist, Abgeordnete mit Entschädigungen auszustatten. Eine solche Ausstattung ist von denjenigen abgelehnt worden, die das Parlament schwächen wollten und die ein Interesse daran hatten, dass das Parlament als gleichberechtigter Gegenpart zu einer starken Exekutive seine Rolle nicht spielen konnte. Auch das war der Grund, warum sich die Gründungsväter der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz dazu entschieden haben, die Arbeitsfähigkeit der Parlamente durch eine angemessene Entschädigung der Abgeordneten sicherzustellen. Wir haben in der Vergangenheit oftmals - häufig durch eigene Fehler und durch eigene Ungeschicklichkeiten - Debatten geführt, die dem Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit nicht zuträglich waren. Wir müssen zugeben, dass die Schuld daran nicht immer nur andere trifft, sondern es lag oft auch an eigener Uneinigkeit und an der Unfähigkeit, uns auf angemessene und nachvollziehbare Maßstäbe zu einigen. Vor einigen Jahren haben wir entschieden, dass sich die Entschädigung der Abgeordneten an den Einkünften von Bürgermeistern kleinerer und mittlerer Städte und von Richtern an obersten Bundesgerichten orientieren soll. Dies ist eine Einordnung, die man in der politischen Diskussion begründen und vertreten kann. Abgeordnete vertreten Wahlkreise von bis zu 300 000 Einwohnern. Sie haben eine Verantwortung für die Gesetzgebung des Bundes, aber auch für die Akzeptanz parlamentarischer Demokratie vor Ort in ihren Wahlkreisen. Deshalb ist es eine Frage des Selbstverständnisses des Parlaments und der parlamentarischen Demokratie, wie man mit den eigenen Repräsentanten umgeht. Wir haben die Zielmarge, die wir selbst im Gesetz verankert haben, in der Vergangenheit nie erreicht. Das hatte viele Gründe. Ein Grund war auch die Wirtschaftskrise als Folge der internationalen Bankenkrise, die dazu führte, dass für viele Bürgerinnen und Bürger nicht nur keine Einkommenssteigerungen realisiert werden konnten, sondern dass durch Kurzarbeit und anderes Einbußen hingenommen werden mussten. Es war für uns selbstverständlich - ich rede an dieser Stelle im Namen aller Fraktionen in diesem Hause -, dass wir im Jahre 2009 nach der Bundestagswahl und im Jahre 2010, als die große Wirtschaftskrise gerade erst hinter uns lag und in ihren Folgen noch nicht überwunden war, eine solche Anpassung der Diäten nicht vorgenommen haben. Aber wir haben auch eine Verantwortung, die Frage zu beantworten, wie die Entwicklung der Diäten vor dem Hintergrund der Entwicklung der nächsten Jahre weitergehen soll. Was wir vorgeschlagen haben, sind zwei Anpassungsschritte für das nächste und das übernächste Jahr in der Größenordnung von 3,8 und 3,7 Prozent, was, wenn man das auf die Wahlperiode insgesamt umrechnet, durchaus mit der allgemeinen Lohn- und Einkommensentwicklung übereinstimmt. Wir machen damit einen Schritt, der vertretbar ist, der nachvollziehbar ist und der dazu beiträgt, dass wir die gesetzlich angepeilte Größenordnung wenn nicht erreichen, so ihr doch einen Schritt näher kommen. Wir haben uns aber auch entschieden, eine unabhängige Kommission einzuberufen, die sich mit der Frage der Altersversorgung von Abgeordneten und mit der Frage der künftigen Anpassung der Bezüge beschäftigen soll. Wir werden diese Kommission so organisieren, dass der Sachverstand, den es in unserer Gesellschaft gibt, mit einbezogen wird. Wir werden am Ende der Wahlperiode darüber zu diskutieren haben, welche Veränderungen wir vor dem Hintergrund von Entwicklungen in der Gesellschaft vornehmen müssen. Wir führen diese Diskussion offen. Wir führen diese Diskussion transparent. Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag bedanken, die dazu beigetragen haben, dass wir gemeinsam einen vernünftigen und vertretbaren Vorschlag vorgelegt haben. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Oppermann für die SPDFraktion. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach Art. 48 des Grundgesetzes haben die Abgeordneten Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, die ihre Unabhängigkeit sichert. Diese Vorschrift ist eine demokratische Errungenschaft; der Kollege Altmaier hat schon darauf hingewiesen. Es ist sicher nicht richtig, wenn jemand nur deshalb in die Politik geht, um dort Geld zu verdienen; aber es kann auch nicht richtig sein, wenn nur diejenigen in die Politik gehen, die es sich finanziell leisten können. Deshalb brauchen wir eine Abgeordnetenentschädigung, die es allen ermöglicht, im Parlament Aufgaben zu übernehmen und den Beruf des Abgeordneten auszufüllen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, dafür Maßstäbe zu finden, und sind im Jahr 1995 zu dem Ergebnis gekommen, dass sich eine angemessene Entschädigung in der Besoldungsgruppe R 6 oder B 6 ausdrückt. Das ist die Besoldungsgruppe, die Bundesrichter und Bürgermeister in mittleren Städten erhalten. Ich glaube, das ist ein angemessener Maßstab. Die Abgeordneten haben schwierige Entscheidungen zu treffen. Sie tragen große Verantwortung. Sie müssen entscheiden über Bundeswehreinsätze im Ausland. Sie müssen entscheiden, ob der Haushalt konsolidiert wird oder ob Steuersenkungen gemacht werden sollen, wenn Steuermehreinnahmen vorhanden sind. Sie müssen entscheiden, ob wir in Deutschland zukünftig eine Energieversorgung ohne Atomkraft und nur mit erneuerbaren Energien haben wollen. Sie müssen entscheiden, ob wir Griechenland unterstützen, damit der Euro stabilisiert wird. Das sind schwierige Entscheidungen, komplexe Entscheidungen; wir alle wissen, dass es keine einfachen Entscheidungen sind. Die Arbeit, die hier gemacht wird, ist anspruchsvoll, und sie bedeutet eine hohe Verantwortung. Also halte ich die Besoldungsgruppe R 6 für einen vernünftigen Maßstab. Die Abgeordneten müssen - so hat es das Bundesverfassungsgericht im Diätenurteil 1975 festgelegt - die Entscheidung selber treffen; sie können sie nicht delegieren. Das muss ein offener, transparenter Prozess sein. Das ist in Ordnung. Aber wir hatten nicht immer den Mut und vielleicht auch nicht immer das Geschick, Diätenerhöhungen oder -anpassungen durchzusetzen. In den letzten zehn Jahren hatten wir fünf Nullrunden. Am Ende des Jahres werden wir schon rund 8 Prozent hinter der Besoldungsgruppe R 6 liegen. Deshalb ist die jetzt vorgesehene Anpassung notwendig. Sie bringt uns 2013 bei der Besoldungsgruppe R 6 auf den Stand von 2010. Wir haben also keine vollständige Anpassung; wir haben eine nachholende Anpassung. Die ist vernünftig. Das Ganze hat Augenmaß. Wenn ich sehe, wie unaufgeregt unsere Vorschläge bisher kommentiert worden sind und dass es in ansonsten in dieser Frage außerordentlich kritischen Medien sogar zustimmende Kommentare gab, dann zeigt das für mich, dass dieser Vorschlag für die Anpassung akzeptiert wird. Wir sollten ihn ebenfalls akzeptieren und das Ganze dann nächste Woche in der zweiten und dritten Lesung beschließen. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt und dass die Abgeordnetenentschädigung das Vertrauen der Menschen in das Parlament nicht infrage stellt oder beeinträchtigt, den Abgeordneten aber eine vernünftige Arbeit ermöglicht. Zum Bereich der Parteienfinanzierung wird mein Kollege Wiefelspütz noch eine Anmerkung machen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege van Essen für die FDPFraktion.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Ausführungen mit einer Beobachtung beginnen. Als ich in meinem alten Beruf in der Justiz tätig war, wurde ich von meinen Studienkollegen ständig gefragt: Wie konntest du so unklug sein - sie haben es etwas drastischer ausgedrückt -, in die Justiz zu gehen? Mit deinem Examen hättest du doch große Chancen, als Rechtsanwalt viel mehr Geld zu verdienen. - Das habe ich immer an mir abperlen lassen, weil ich in meinem Beruf sehr viel Befriedigung gefunden habe, weil ich die Arbeit interessant fand und weil ich gerne Angehöriger der Justiz war. Dann wurde ich in den Bundestag gewählt und hatte fast das gleiche Gehalt, aber mindestens die dreifache Arbeitszeit. Früher, als ich noch Oberstaatsanwalt war, hätte ich mich um diese Zeit auf das Anschauen des heute journals vorbereitet. Jetzt stehe ich hier und arbeite noch. ({0}) Früher, als ich Oberstaatsanwalt war, hatte ich jedes Wochenende frei. Mein letztes freies Wochenende hatte ich Anfang Februar. Von daher hat sich eine Menge getan und verändert, insbesondere was die Betrachtung meines Gehaltes anbelangt. Seitdem ich Abgeordneter bin, muss ich mich wegen meines üppigen Gehalts verteidigen. Vorher hat man sich über mein geringes Gehalt lustig gemacht; jetzt - mit dreifacher Arbeitszeit und viel größerer Verantwortung - muss ich mich, wie gesagt, wegen meines Gehalts verteidigen. So unterschiedlich sind offensichtlich die Betrachtungsweisen. Deshalb bin ich dankbar, dass die Kollegen, die bisher geredet haben, darauf hingewiesen haben, dass wir keinerlei Grund haben, uns zu verstecken. Das gilt auch für den Vorschlag, der jetzt zur Debatte steht. Wenn Sie sich einmal vergegenwärtigen: Es gibt die drei obersten Bundesorgane - den Bundestag, die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht. Alle Organe sind gleichberechtigt. Dabei ist die Verantwortung sehr ähnlich gelagert, ebenso die Arbeitszeit. Das Ministergehalt liegt jenseits der Besoldungsstufe B 11. Das Gehalt der Verfassungsrichter liegt ebenfalls in dieser Größenordnung. Von daher bedeutet es überhaupt keine Überschätzung der eigenen Position - sondern ganz im Gegenteil ein Stück Bescheidenheit -, wenn wir sagen: Wir wollen uns an B 6 orientieren. In den letzten Jahren sind wir - weil wir zum Teil sogar auf Anpassungen der Abgeordnetenentschädigung verzichtet haben - gegenüber B 6 ganz erheblich zurückgefallen. Wenn man sich einmal anschaut, wer in unserem Umfeld - beispielsweise in der Bundestagsverwaltung oder wer von unseren Mitarbeitern in den Fraktionen in der Gehaltsstufe B 6 und höher ist, dann wird man zu dem Schluss kommen, dass es wahrscheinlich nur ganz wenige Institutionen gibt, wo diejenigen, die die eigentliche Verantwortung tragen, weniger Geld verdienen als die Mitarbeiter, die ihnen zuarbeiten. Auch das ist ein Grund, warum wir uns mit unserem Vorschlag nicht verstecken müssen. Ich halte es daher für richtig, dass wir diese Anpassung vornehmen, und zwar in zwei Schritten. Der Kollege Oppermann hat schon darauf hingewiesen, dass wir auch dann im Jahr 2013 die Besoldungsstufe B 6 nicht erreichen, sondern dass wir nur auf den Stand des Jahres 2010 kommen. In der Zwischenzeit wird es sicherlich noch Erhöhungen der Beamtenbesoldung geben, sodass sich der Abstand im Jahre 2013 nochmals vergrößern wird. Von daher denke ich, dass wir hier einen maßvollen Vorschlag vorlegen. Ich möchte an etwas erinnern, das häufig untergeht. Die meisten glauben, insbesondere die Altersversorgung der Abgeordneten sei besonders üppig. Wer sich einmal damit beschäftigt hat, weiß, dass es viele Witwen gibt, die von einer sehr geringen Rente leben. Es ist auch kein Geheimnis, dass der Bundestag da und dort helfen muss. Auch wir mussten in bestimmten Fällen über eine Sozialkasse, die wir in der Fraktion haben, helfen, damit jemand überhaupt existieren konnte. Auch das gehört zur Wirklichkeit; auch das muss bei einer so deutschen Debatte wie der heutigen angesprochen werden. Wir von der FDP haben uns immer dagegen gewehrt, dass wir mit Beamten verglichen werden. Wir haben das Gefühl - daran hat sich nichts geändert -, dass wir eher zu den freien Berufen gehören. Trotzdem kann und darf die Beamtenbesoldung als Orientierungsmaßstab dienen. Wir möchten aber, dass auch die Erfahrungen, die in der letzten Zeit mit einigen neuen Modellen gemacht worden sind, in die Diskussionen einfließen. Der nordrheinwestfälische Landtag hat beispielsweise eine neue Form der Altersversorgung eingeführt, übrigens mit Ergebnissen, die einen nicht zufriedenstellen können: Ein Kollege von mir, der nicht wieder in den Landtag gewählt worden ist, ist im Augenblick ohne Gehalt, und zwar schon seit etwa anderthalb Jahren. Das ist etwas, das nicht eintreten darf. Wer für dieses Land gearbeitet hat, kann, wenn er aus dem Parlament ausscheiden muss, weil er nicht wiedergewählt worden ist, nicht plötzlich auf der Straße stehen. Wir haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das nicht eintritt. Ich freue mich deshalb sehr, dass wir zwischen den Fraktionen insgesamt vereinbart haben, eine Kommission einzurichten, die sich genau das anschaut: das System, nach dem die Höhe der Abgeordnetenentschädigung bestimmt wird, und das System der Altersversorgung. Sachsen hat beispielsweise ein interessantes Modell, bei dem mit Erfolgsfaktoren gearbeitet wird, beispielsweise mit der Höhe des Bruttoinlandsprodukts; auch das sollte man sich anschauen. Meine beiden Vorredner haben schon deutlich gemacht, dass die Parteienfinanzierung der allgemeinen Entwicklung ganz erheblich hinterherhinkt. Auch da wird angepasst, und zwar angemessen. Deswegen wird meine Fraktion beides unterstützen: sowohl die Anpassung der Parteienfinanzierung als auch die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Enkelmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt ist es an mir, Wasser in den Wein zu kippen; ich vermute einmal, Sie haben mit nichts anderem gerechnet. Herr van Essen, angesichts der Höhe der Diäten und der sonstigen Versorgung, die wir bekommen, ist Mitleid nicht angebracht. ({0}) Seit Juni bekommen Rentnerinnen und Rentner in diesem Land 0,99 Prozent mehr Rente; ({1}) das sind im Schnitt 10 Euro mehr. Das hat nun wahrlich nicht zu La-Ola-Wellen der Seniorinnen und Senioren geführt, zumal in Anbetracht einer Inflationsrate, die über 2 Prozent liegt; die Rentenerhöhung hat also noch nicht einmal die Inflation ausgeglichen. ({2}) Es wird ein Riesenbuhei um Steuerentlastungen gemacht, aber es kommt wohl nur ein Mäuschen heraus: eine Entlastung um 20 Euro, kaum der Rede wert. In diesem Haus und im Vermittlungsausschuss ist monatelang über 5 Euro mehr für Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger diskutiert worden. ({3}) Das war eine unwürdige Debatte. ({4}) Jetzt feiern Sie sich schon dafür, dass Langzeitarbeitslose ab dem nächsten Jahr, ab 2012, möglicherweise 10 Euro mehr erhalten sollen. Herr Altmaier, Herr van Essen, Herr Oppermann, machen wir es doch einmal konkret - warum haben Sie eigentlich die Zahlen nicht genannt? -: Ab 2012 soll jeder Abgeordnete monatlich 292 Euro mehr erhalten, ab 2013 noch einmal 292 Euro mehr; das ist eine Steigerung um fast 600 Euro innerhalb von zwei Jahren. Das ist unverschämt. Ich frage mich: Warum schämen Sie sich nicht dafür? ({5}) Angesichts der mageren Zuwachsraten, die es bei Beschäftigten, Rentnerinnen und Rentnern und Langzeitarbeitslosen gibt, ist dieser Zuwachs bei Abgeordneten absolut unangemessen. Um die Erhöhung durchzusetzen, reicht Ihnen nun eine Beratungszeit von gerade einmal einer Woche; ({6}) innerhalb einer Woche wollen Sie das hier durchziehen. Um uns das Ganze schmackhaft zu machen, haben Sie nun angekündigt, eine Kommission zur Neuregelung der Altersversorgung einzurichten. Eine solche Neuregelung für den Bundestag ist längst überfällig, denn es ist nicht hinnehmbar, dass Abgeordnete des Bundestages - im Übrigen auch des Europaparlaments und eines Teils der Landtage - nichts für ihre Altersversorgung einzahlen. Die Linke legt Ihnen heute einen Antrag vor. Es geht uns um die Neuregelung der Altersversorgung. Wir wollen, dass Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Das ist unser Vorschlag. Uns reicht das aber nicht aus. Wir sagen: Wenn wir an das Abgeordnetengesetz herangehen, dann geht es um mehr Fragen. Dann geht es auch um die Frage, ob die Kostenpauschale auf den Prüfstand gehört und ob Abgeordnete in Sozialversicherungssysteme einzahlen sollen. Sie haben einen Kollegen aus Ihrer Partei als Beispiel genannt. ({7}) Es gibt auch bei uns Kollegen, die zum Beispiel 2002 aus dem Bundestag ausgeschieden sind und die, weil wir nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, kein Arbeitslosengeld bekommen und keinen Anspruch auf Qualifizierung etc. haben. Insofern schlagen wir Ihnen vor, dass auch Abgeordnete in die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Warum nicht? ({8}) Wir wollen auch mehr Transparenz bei den Nebentätigkeiten und den Nebeneinkünften. Diesbezüglich führen wir zwar eine Diskussion in der Rechtsstellungskommission, aber wir kommen auch an dieser Stelle nicht weiter. Sie beschränken sich auf einen kräftigen Schluck aus der Diätenpulle und eine vage Ankündigung in Sachen Pension. Das ist der Linken zu wenig. Danke. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin schon erstaunt, dass es nach den Vorstellungen der Linken mehr geben soll als die von uns vorgeschlagene Anpassung an R 6, also an das, was die obersten Bundesrichter bekommen. ({0}) Frau Kollegin Enkelmann, ich finde, Sie haben recht: Wir brauchen kein Mitleid. ({1}) Das hat auch niemand in der Debatte für uns eingefordert. Ich glaube, wir haben ein sehr gutes Einkommen, um das uns viele in der Bevölkerung beneiden, auch diejenigen, die schwer arbeiten müssen und teilweise erbärmliche Gehälter bekommen. Wir können im Rahmen der Diskussion über die Angemessenheit der Abgeordnetenentschädigung nicht die Debatte über unsere Sozialversicherungssysteme, Mindestlöhne und alles mögliche andere führen. Diesbezüglich haben wir ganz andere Auffassungen als die Damen und Herren von der Koalition, und wir finden, auch da muss etwas geschehen. Das entbindet uns aber nicht von der Aufgabe, zu entscheiden, was die angemessene Entschädigung und Versorgung von Abgeordneten ist. ({2}) Natürlich kann man die anderen beschimpfen. Sprüche wie „Ein gehöriger Schluck aus der Pulle!“ kommen in bestimmten Medien immer gut an. Das wird von vielen Menschen falsch verstanden, auch deswegen, weil es ihnen schlecht geht und sie unsere Situation aus einer anderen Perspektive betrachten. Das nehme ich ernst und verstehe das. Sie schreiben in Ihrem Antrag lapidar: Der Orientierungsmaßstab der monatlichen Abgeordnetenentschädigung ist kritisch zu überprüfen. Ihrem Antrag entnehme ich aber keine Kriterien für die kritische Überprüfung. Ich finde, wer die anderen für einen konkreten Vorschlag kritisiert, der auf Heller und Pfennig genau durchgerechnet ist, muss selber Flagge zeigen und seinen Vorschlag konkretisieren. ({3}) Volker Beck ({4}) Unsere Partei hat früher einmal gesagt: Facharbeitergehalt. Das kann man vertreten. Was man vorschlagen will, hängt von der politischen Kultur ab. Ich finde, man sollte das aufschreiben und sich nicht um die entscheidende Frage, die in dieser Debatte beantwortet werden soll, herumdrücken. Das Bundesverfassungsgericht - das wird auch in der Begründung des Gesetzentwurfs deutlich - hat die Bedeutung der angemessenen Entschädigung für die Unabhängigkeit des Mandats betont. Mir geht es weniger um das Geld, um Heller und Pfennig, sondern um unsere verfassungsrechtliche Position als Abgeordnete. Das Gericht hat gesagt, „die reguläre Entschädigung von Zeit zu Zeit den steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen“ sei notwendig, um das zu erreichen; „auch dadurch, dass die Entschädigung im Gefolge der wirtschaftlichen Entwicklung allmählich die Grenze der Angemessenheit unterschreitet, wird die Freiheit des Mandats gefährdet.“ Das ist ein wichtiger Rechtsgrundsatz. Dann ist die Frage: Was ist die angemessene Vergleichsgröße? Darüber kann man streiten, aber man muss konkrete Vorschläge machen. Das Abgeordnetengesetz nennt eine konkrete Bemessungsgrenze. Es besagt, dass sich die Entschädigung von Bundestagsabgeordneten an den Bezügen oberster Bundesrichter oder von Bürgermeistern mittlerer und kleinerer Gemeinden orientiert. Daran orientiert sich der vorliegende Vorschlag. Ich finde das angemessen und vertretbar. Ich bin aber gerne bereit, auch über andere Vorschläge zur Angemessenheit zu reden; sie müssen nur so konkret sein, dass ich sie beurteilen kann. Das ist bei diesem Antrag nicht der Fall. Sie als Linke müssten ein Interesse an der historischen Entwicklung der Entschädigung der Abgeordneten haben. Es war auch für die Arbeiterbewegung eine große soziale Emanzipation, dass wir - anders als 1871 - nicht mehr die Situation hatten, dass man für sein Mandat nichts bekommt. Zuvor musste man sozusagen Geld mitbringen und hat sich dann durch die Art seiner politischen Tätigkeit wirtschaftliche Vorteile zulasten der Allgemeinheit organisiert, statt dafür bezahlt zu werden, dass man für das Allgemeinwohl politisch tätig ist. Max Weber hat es in seiner Schrift Politik als Beruf sehr treffend - ich glaube, treffender kann man es nicht beschreiben - zusammengefasst: Die Leitung eines Staates oder einer Partei durch Leute, welche ({5}) ausschließlich für die Politik und nicht von der Politik leben, bedeutet notwendig eine „plutokratische“ Rekrutierung der politisch führenden Schichten. Damit ist freilich nicht auch das Umgekehrte gesagt: dass eine solche plutokratische Leitung auch zugleich bedeutete, dass die politisch herrschende Schicht nicht auch „von“ der Politik zu Leben trachtete, also ihre politische Herrschaft nicht auch für ihre privaten ökonomischen Interessen auszunutzen pflegte. Diese Art von politischer Rekrutierung und politischer Führung wollen wir ausdrücklich nicht. Deshalb haben wir gesagt, dass wir uns dem Gesetzentwurf der anderen Fraktionen anschließen, der sich an einem Bemessungsrahmen orientiert, der nachvollziehbar ist. Dies ist übrigens auch beim Parteiengesetz so, an dem Sie seltsamerweise wenig Kritik üben, obwohl sie daraus die Gehälter Ihrer Parteivorsitzenden, Herrn Ernst und Frau Lötzsch, finanzieren. Ich finde, in beiden Fällen ist es richtig, dass wir uns an Urteile des Bundesverfassungsgerichtes und an gesetzliche Vorgaben halten. Das ist vertretbar. Ich finde, wir sollten - bei aller Zurückhaltung und bei allem Respekt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die wesentlich weniger haben als wir - den Mut haben, das nach außen zu vertreten und zu erklären. Für mich als Abgeordneter ist das auch ein Aufruf, mich im Bereich der sozialen Sicherung und der Mindestlöhne für die Menschen, die arm sind, die von Hartz IV leben müssen oder einen geringen Lohn haben, zu engagieren. ({6}) Aber das bleibt anderen Debattenpunkten hier im Deutschen Bundestag vorbehalten. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stefan Müller für die Unionsfraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine starke Demokratie braucht aktive Parteien. Das haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes seinerzeit zu Recht erkannt; sie haben ja auch die besondere Aufgabe der politischen Parteien im Grundgesetz festgeschrieben. Dem folgt auch die Tatsache, dass wir in Deutschland eine staatliche Parteienfinanzierung haben, dass wir uns als politische Parteien in Deutschland eben nicht ausschließlich über Spenden finanzieren, wie es in vielen anderen Ländern der Fall ist. Es ist wichtig, festzuhalten, dass der Staat die Parteienfinanzierung nicht einfach nach Gutdünken organisiert, sondern dass die Parteienfinanzierung klaren Regeln folgt. Letztlich unterstützt der Staat die Parteien in dem Maße, wie die Bürger sie wählen und unterstützen, also nach Maßgabe von Stimmen bei Wahlen, von Spenden und von Mitgliedsbeiträgen, die politische Parteien erhalten. Das Parteiengesetz schreibt seit 2002 eine Obergrenze vor. Das Parteiengesetz sieht auch vor, dass diese Obergrenze jährlich angepasst wird und sich an parteitypischen Ausgaben orientiert. Heute bleibt festzustellen - das ist schon angedeutet worden -, dass diese Obergrenze seitdem zwar jährlich immer wieder neu ermittelt Stefan Müller ({0}) worden ist, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen zu keinem Zeitpunkt angepasst wurde. Deswegen haben wir bei der Parteienfinanzierung heute einen erheblichen Rückstand gegenüber dem, was der Gesetzgeber 2002 für angemessen gehalten hat. Daraus wollen wir die Konsequenz ziehen. Die Obergrenze soll nun schrittweise erhöht werden, und in den Folgejahren sorgen wir dann für eine regelmäßige Anpassung im Rahmen eines geregelten Verfahrens. Ich sage noch einmal: Eine starke Demokratie braucht, um dem grundgesetzlichen Auftrag nachzukommen, aktive und starke Parteien. Deswegen brauchen Parteien auch eine angemessene Finanzierung. Was die Entschädigung der Abgeordneten angeht, haben wir natürlich ein ähnliches Problem. Der Richtwert für die Entschädigung ist zu einem bestimmten Zeitpunkt festgelegt worden. Es ist immer eine subjektive Entscheidung, wie dieser Richtwert aussieht. Das ist vor allem deswegen so, weil man nun einmal die Tätigkeit eines Abgeordneten nur wenig mit vielen anderen Tätigkeiten vergleichen kann. Man kann sie zugegebenermaßen nicht wirklich mit der Tätigkeit eines Kommunalbeamten vergleichen. Genauso wenig ist sie mit der Tätigkeit eines Bundesrichters zu vergleichen - und erst recht nicht mit der von freiberuflich Tätigen, Arbeitnehmern und vielen anderen. Deswegen ist die Entscheidung, die getroffen worden ist, eine subjektive und politische Entscheidung gewesen, indem man festgelegt hat: Die Entschädigung der Bundestagsabgeordneten orientiert sich an der Vergütung von Bundesrichtern oder an der von Oberbürgermeistern mittelgroßer Städte. Das Grundgesetz hat uns ausdrücklich den Auftrag mitgegeben, dafür zu sorgen, dass Abgeordnete eine angemessene Vergütung bekommen, die ihre Unabhängigkeit sichert. Das Bundesverfassungsgericht hat dies noch einmal in dem Sinne konkretisiert, dass es gesagt hat: Die Entschädigung bzw. die Vergütung der Abgeordneten muss der Bedeutung des Amtes im Verfassungsgefüge gerecht werden. Sie muss auch die Verantwortung und die Belastung der Abgeordneten entsprechend und ausreichend berücksichtigen. ({1}) - Vor allem soll es öffentlich diskutiert werden. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht seinerzeit klargestellt. Ich gehe einmal davon aus, dass sich der Tatbestand einer öffentlichen Diskussion, Herr Ströbele, nicht danach richtet, wie viele Zuhörerinnen und Zuhörer wir haben. Es stellt vielmehr schon eine öffentliche Diskussion dar, wenn wir hier in einer öffentlichen Sitzung darüber diskutieren. Letztlich ist die Öffentlichkeit auch schon dadurch hergestellt, dass selbstverständlich auch die Medien, wie es in dieser Woche bereits geschehen ist, Kenntnis davon erhalten und darüber berichten. Schon 1990 hat ein Rat von unabhängigen Persönlichkeiten in einem Bericht an die damalige Präsidentin des Deutschen Bundestages festgestellt - ich darf hier zitieren -: Legt man diesen Maßstab zugrunde, so weist schon die Tatsache, dass Abgeordnete als Vertreter des ganzen Volkes das einzig unmittelbar demokratisch legitimierte Verfassungsorgan darstellen, auf den hohen Rang dieses Amtes und seine fundamentale Bedeutung für die Demokratie hin. Nimmt man neben der gesteigerten „politischen“ Verantwortung noch die starken Belastungen hinzu, denen Abgeordnete ausgesetzt sind, dann müssen alle Vergleiche mit ähnlichen Berufen in Staat und Wirtschaft bei Spitzenpositionen ansetzen. Ich glaube, in diesem Sinne sollten wir mit dem nötigen Selbstbewusstsein die Entscheidungen, die wir selbst zu treffen haben, auch in der Öffentlichkeit vertreten. Deswegen bitte ich alle um eine entsprechend konstruktive Begleitung des weiteren Verfahrens. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist für die sozialdemokratische Fraktion unser Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Paket aus Änderung des Abgeordnetengesetzes und der Parteienfinanzierung ist von den Parlamentarischen Geschäftsführern Altmaier, Beck, Oppermann und van Essen erarbeitet worden. Frau Enkelmann war, denke ich, informiert, ist aber anderer Auffassung. Ich denke, das Paket, das die Parlamentarischen Geschäftsführer erarbeitet haben, ist - auch in den Details - klug, grundsolide und überzeugend. ({0}) Weil das so ist, ist die öffentliche Reaktion auch entsprechend. Wir als Abgeordnete werden ordentlich bezahlt. Es gibt überhaupt keinen Grund, uns zu beklagen. Wir werden in unserem Amt nicht reich - das muss auch nicht sein -, aber wir haben ein ordentliches Gehalt, das sicherlich höher ist als das der weitaus meisten Menschen in den Wahlkreisen, die uns wählen. ({1}) Die uns den Auftrag geben, Herr Ströbele, völlig richtig. Ich denke, dass die gesetzliche Regelung, die jetzt vorgeschlagen wird - pro Jahr in dieser Wahlperiode knapp 2 Prozent Zuwachs beim Gehalt der Abgeordneten -, in Ordnung ist. Sie ist überzeugend und eignet sich nicht ansatzweise für irgendeine Art von Skandalisierung. Deswegen sage ich: Das passt; das ist in Ordnung. Dieses Konzept wird in der zweiten und dritten Lesung eine breite Zustimmung bekommen. Auch Sie, Herr Ströbele, werden dann zustimmen, weil Sie finden, dass das in Ordnung ist. Ich will noch zwei, drei Sätze zur Parteienfinanzierung sagen. Wir haben den Fehler gemacht, die Parteienfinanzierung, die eine große Errungenschaft des Verfassungsstaates Deutschland ist, neun Jahre lang zu deckeln und nicht zu verändern. Die Kostensteigerungen, die vor allen Dingen bei den Gehältern unserer Mitarbeiter zu verzeichnen waren, nicht aufzufangen und einfach einen Deckel darauf zu machen, ist nichts anderes als eine - Herr Altmaier hat darauf hingewiesen - strukturelle Verschlechterung der Arbeit der politischen Parteien. Es ist richtig, dass wir die Kostensteigerungen, nachholend in zwei Schritten, einbauen und das Ganze dann indexieren, damit solche Fehler nicht noch einmal gemacht werden. Parteien sind in unserer Demokratie nicht alles, aber sie sind doch ein wichtiger Teil einer parlamentarischen Demokratie. In Deutschland gibt es keine totale Staatsfinanzierung, sondern nur eine auf das Notwendigste beschränkte Teilfinanzierung der politischen Parteien. Das ist ein Vorzug unseres Landes, weil es die politischen Parteien nicht abhängig macht, beispielsweise von der großen Kapitalkraft privater Spender. Das ist ein sehr ausgewogenes Konzept. Wir sollten jetzt damit Schluss machen, einen Deckel darauf zu machen, was zu einer strukturellen Verschlechterung der Arbeit der politischen Parteien führt. Die Kostensteigerungen, die auch durch die Inflationsrate und die Tarifsteigerungen begründet sind, in einen Index einzubauen, ist klug. Das hätte uns schon früher einfallen sollen. ({2}) Das wird jetzt gemacht. Dies verschafft uns eine kluge und zukunftsweisende Regelung. Ein letzter Wunsch. Es gibt den Satz: Wenn man nicht mehr weiterweiß, gründet man einen Arbeitskreis. Viele sagen, das würde nichts bringen. Ich habe einen kleinen Hinweis zu geben: Die beste und klügste Diätenregelung, die es in Deutschland gibt, ist die des Landes Bayern. Von Bayern kann man an der einen oder anderen Stelle durchaus lernen. ({3}) In Bayern wird am Anfang einer jeden Wahlperiode ein Index erstellt, Norbert Geis, in den die gesamte Bevölkerung einbezogen wird: Rentner, Landwirte, Freiberufler und Arbeitnehmer. Dann rechnet das Landesamt für Statistik aus, wie hoch die Einkommenssteigerungen sind. Daraufhin leitet es einen Vorschlag an den Landtag weiter, und der Landtag entscheidet. Das ist gerecht. Die Abgeordneten haben dann an der allgemeinen Einkommensentwicklung teil. Wir wollen, was die Einkommensentwicklung angeht, schließlich nicht mehr als das Volk. An die Adresse der Parlamentarischen Geschäftsführer sage ich: Diese Regelung sollte man sich noch einmal genauer anschauen. Sie ist zukunftsweisend. ({4}) Das Paket, das Sie erarbeitet haben, ist eine runde Sache. Das ist uns in der Vergangenheit nicht immer so gut gelungen. Es verdient wirklich eine breite Zustimmung dieses Parlaments. Schönen Dank. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/6291 und 17/6305 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 14 aufrufe, darf ich Ihnen bekannt geben - ich glaube, das ist eines nationalen Parlamentes würdig -, dass unsere Frauenfußballnationalmannschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt 1 : 0 führt. ({0}) Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen - Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung - Drucksache 17/6295 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.1) - Sie alle sind damit einverstanden. Die Namen der Kolle- ginnen und Kollegen liegen uns vor, sodass ich sie nicht einzeln verlesen muss. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6295 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit ein- verstanden. Somit ist diese Überweisung beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, dass wir jetzt zum Zusatzpunkt 11 kommen. Dadurch gibt es zwei Änderun- gen im Ablauf. Der Tagesordnungspunkt 11 wird nach Tagesordnungspunkt 16 aufgerufen, und der Tagesor- dnungspunkt 15 wird nach Tagesordnungspunkt 18 auf- gerufen. - Ich sehe, Sie sind mit dieser Vereinbarung ein- verstanden. Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. 1) Anlage 17 Vizepräsident Eduard Oswald Ich rufe die Zusatzpunkte 11 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Einführung eines Ordnungsgeldes - Drucksache 17/5471 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) - Drucksache 17/6309 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christian Lange ({3}) Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({4}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Geschäftsordnungsausschusses Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Einführung eines Ordnungsgeldes ({5}) - Drucksache 17/6309 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christian Lange ({6}) Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({7}) Zum Gesetzentwurf und zur Beschlussempfehlung liegen je zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es widerspricht niemand. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner dieser Debatte ist unser Kollege Bernhard Kaster. Ich darf Ihnen das Wort geben. Bitte schön, Kollege Bernhard Kaster. ({8})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte hätten wir uns eigentlich gern erspart. Über Jahrzehnte ist dieses Haus ohne ein Ordnungsgeld in der Geschäftsordnung vorzusehen ausgekommen. Noch in der letzten Legislaturperiode haben wir uns dagegen gesträubt, eine solche Regelung einzuführen, obwohl es auch da schon eine Reihe von Vorkommnissen vonseiten einer einzigen Fraktion gegeben hat. Aber die neuen Eskalationen in dieser Legislaturperiode haben auch bei uns zu dem Entschluss geführt, einem Ordnungsgeld letztlich zuzustimmen. Es bleibt inakzeptabel, dass eine einzige Fraktion, und zwar die Nachfolgerpartei der kommunistischen SED ({0}) - das stimmt doch; oder ist das nur die Sprachregelung Ihrer Schatzmeister? -, ({1}) immer und immer wieder die Geschäftsordnung, das heißt die Spielregeln der Demokratie, missachtet. Das ist ein Beleg dafür, dass Sie in der Demokratie noch nicht angekommen sind. ({2}) Der Deutsche Bundestag ist der Ort der parlamentarischen Auseinandersetzung. Er ist der Ort der Debatte, auch der hitzigen und emotionalen Debatte. Er ist aber kein Ort für Klamauk, Störung und Demonstrationen. Spruchbänder oder Masken haben hier schlichtweg nichts zu suchen. ({3}) Die Linksfraktion spricht dabei immer gern verharmlosend von „angeblichen Störaktionen“. Nein, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das sind keine „angeblichen Störaktionen“. Es sind schwerwiegende Verletzungen der parlamentarischen Ordnung. ({4}) Es sind schwerwiegende Störungen, wie sie im Übrigen in dieser und ähnlicher Form immer und immer wieder von Extremisten jeglicher Couleur in demokratischen Parlamenten praktiziert wurden und werden. ({5}) Da sogar die Führung der Fraktion Die Linke solche Aktionen, wie Sie es nennen, öffentlich gutheißt, stimmen wir nun der zusätzlichen Einführung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 1 000 Euro, im Wiederholungsfalle von 2 000 Euro, zu. Das ist eine Regelung, die ihren Niederschlag im Abgeordnetengesetz und in der Geschäftsordnung finden muss. Der Geschäftsordnungsausschuss hat sich ausgesprochen intensiv mit der Frage befasst, wie die neue Regelung im Einzelnen auszugestalten ist. Die aus Art. 40 Grundgesetz hervorgehende Parlamentsautonomie berechtigt zur Verhängung von Ordnungsmaßnahmen auf der Grundlage der Geschäftsordnung; das war auch bisher der Fall. Mit der Einführung eines Ordnungsgeldes werden aber auch Statusrechte berührt, sodass auch eine Verankerung im Abgeordnetengesetz notwendig wird. ({6}) In den Beratungen haben wir eine sehr übersichtliche und für die Handhabung klare Regelung getroffen. Im Wortlaut und in der Systematik haben wir nun für Ordnungsmaßnahmen klare Eskalationsstufen definiert. In den §§ 36 bis 38 der Geschäftsordnung finden wir nunmehr den Ruf zur Sache, den Ordnungsruf, die Wortentziehung und - jetzt neu - das Ordnungsgeld sowie den schon immer geregelten Sitzungsausschluss. Diese klare Gliederung mit den unterschiedlich definierten Störungen ist auch der Grund dafür, als Ordnungsgeld einen Festbetrag vorzusehen. Das Ordnungsgeld muss im direkten Zusammenhang mit anderen Ordnungsmaßnahmen gesehen werden. ({7}) Was wir in keinem Falle wollen, ist, Unsinn, Klamauk und Störungen auch noch zu katalogisieren. Das wollten wir nicht. Es ist bedauerlich, dass sich die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen von ihrer anfänglich signalisierten Zustimmung zur Einführung eines Ordnungsgeldes wieder verabschiedet hat. Bei allen Beratungen war förmlich spürbar, wie Sie fast krampfhaft versucht haben, ein Vehikel zu finden, um beim Ordnungsgeld die Gemeinsamkeit zu verlassen und damit letztlich - das ist der wahre Grund - für einige wenige in Ihrer Fraktion noch ein Hintertürchen für Klamauk im Plenum offenzuhalten. ({8}) - Ein Hintertürchen wollen Sie offenhalten. Sonst wären Sie ja von dem Weg nicht abgegangen. Dafür kommen Sie nun mit juristischen Spitzfindigkeiten und stoßen sich am Begriff der Würde des Deutschen Bundestages. Was Sie an diesem Begriff und vor allem an der Einhaltung dieser Würde zu kritisieren haben, wird in Deutschland ein Normalbürger überhaupt nicht nachvollziehen können. So wie wir auch in der Gerichtsverfassung den Begriff der Würde des Gerichtes kennen, wird auch jeder amtierende Bundestagspräsident hiermit überhaupt keine Probleme haben. Im Gegenteil, gerade bei Ordnungsmaßnahmen wird das eine zusätzliche Hilfe sein. ({9}) Im Übrigen hat sich das Landesverfassungsgericht in Mecklenburg-Vorpommern sehr ausführlich mit diesem Begriff auseinandergesetzt und noch einmal klargestellt, dass ein Parlament selbstverständlich die Einhaltung der Würde einfordern und dafür auch Sanktionen vorsehen kann. Mit den heutigen Änderungsanträgen gehen Sie aber noch einen Schritt weiter. Sie wollen nunmehr, wie auch die Fraktion Die Linke, den schon jahrzehntelang einvernehmlich bestehenden Sitzungsausschluss infrage stellen. Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass wir bei unseren Beratungen unterschiedlichste politische Konstellationen mit einbezogen haben, die wir bedauerlicherweise auch für die Bundesversammlung - hier gilt ebenso die Geschäftsordnung - befürchten müssen oder die wir in Landtagen schon haben. In den Landtagen gab es da von Ihnen, von der Linksfraktion, keinen Widerspruch dazu. Ich betone heute nochmals: Es geht ausschließlich um die Neueinführung eines Ordnungsgeldes. Alle anderen Ordnungsmaßnahmen bleiben bestehen, wie sie sind. Es bleibt dabei: Beim Sitzungsausschluss sehen wir keinen Änderungsbedarf. Im Übrigen beraten wir auch nicht auf der Grundlage von Briefen, die uns noch nicht einmal zugegangen sind. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die notwendige Einführung eines Ordnungsgeldes ist wirklich kein Ruhmesblatt für unser Parlament. Wir hätten uns das gerne erspart. Aber ich appelliere an Sie, vor allem an die Linksfraktion: Ersparen Sie uns dann zumindest die Anwendung. Vielen Dank. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege Christian Lange für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, lieber Kollege Lange. ({0})

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat, wir leben in einer Mediendemokratie, in der Bilder häufig mehr zählen als Worte. Alles drängt ins Fernsehen, ({0}) und das prägt die Art und Weise unseres Miteinanders. Politik wird zu Unterhaltungszwecken gebraucht und manchmal auch missbraucht. Inhalte bleiben dabei häufig auf der Strecke. Dabei haben sich unsere gesamte Kultur und unsere politische Kommunikation verändert, auch hier bei uns im Deutschen Bundestag, in diesem Hohen Hause. Wir haben auch schon einige Auswüchse davon erleiden dürfen, zum Beispiel die protestierenden Abgeordneten der Fraktion Die Linke mit Transparenten oder gar mit Masken. Letztlich zerstören wir aber mit einer solchen Form der Auseinandersetzung die ernsthafte politische Auseinandersetzung, den ernsthaften politischen Diskurs. Das dürfen wir nicht tolerieren. Wir müssen die Würde des Hauses schützen. Die Würde des Hauses zu schützen, das ist in der Tat eine Aufgabe, die unsere Geschäftsordnung und am Ende auch das Abgeordnetengesetz zu tragen haben. Der Kollege Kaster hat bereits darauf hingewiesen: Das Christian Lange ({1}) Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern hat dies entsprechend bestätigt. Deshalb möchte ich es an dieser Stelle - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - einmal zitieren. ({2}) Dort heißt es: Der Begriff der parlamentarischen Ordnung kann dabei nicht allein auf den äußeren Ablauf der Plenarsitzung und unmittelbare Störungen der Beratungen und der politischen Diskussion im Parlament begrenzt werden. Vielmehr sind weitergehend auch die Werte und Verhaltensweisen zu berücksichtigen, die sich in der demokratischen und vom Repräsentationsgedanken getragenen parlamentarischen Praxis entwickelt haben und die durch die historische und politische Entwicklung geformt worden sind. Das Parlament ist berechtigt, seine Mitglieder durch Verhaltensregeln auch auf die Wahrung der Würde des Landtages - Mecklenburg-Vorpommern im Sinne eines von gegenseitigem Respekt getragenen Diskurses zu verpflichten. ({3}) Es darf deshalb Verstöße sanktionieren, wo es diese Würde gefährdet oder verletzt sieht, etwa weil das Verhalten eines Abgeordneten erkennen lässt, dass er den für eine sachbezogene Arbeit notwendigen Respekt gegenüber den übrigen Parlamentariern oder der Sitzungsleitung vermissen lässt und damit zwangsläufig auch das Ansehen des Hauses nach außen beschädigt. Ich meine, es ist in einer wunderbaren Form dargestellt, ({4}) warum die Würde des Hauses schützenswert ist. Der Deutsche Bundestag sollte deshalb nicht davor zurückschrecken. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt deshalb auch die Änderungsanträge der Grünen ab, die den Begriff „Würde des Bundestages“ gestrichen haben wollen. Obwohl Bündnis 90/Die Grünen zu Beginn der Beratungen für die Einführung eines Ordnungsgeldes war, versuchen Sie nun leider, über die Kritik an diesem Begriff Sand ins Getriebe zu streuen. ({5}) Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen und hier im Plenum des Deutschen Bundestages eine neue Ernsthaftigkeit praktizieren und dürfen nicht versuchen, den Talkshows Konkurrenz zu machen. ({6}) Wir wollen hier Argumente austauschen und nicht nur politische Debatten simulieren. So ein Verhalten lehne ich ab, weil dadurch letztlich die Glaubwürdigkeit von uns allen untergraben wird. ({7}) Ich bin überzeugt davon, dass es in der Bevölkerung eine tiefe Sehnsucht nach Ernsthaftigkeit gibt, und von den Volksvertretern darf dies zu Recht auch erwartet werden. Deshalb brauchen wir diese Änderungen. Wir haben die Einführung eines Ordnungsgeldes schon lange verlangt. Leider konnten wir uns damit in der Großen Koalition noch nicht durchsetzen, heute ist es aber in der Tat so weit. Wer in Zukunft anstatt mit ernsthaft geführten Debatten durch despektierliches Auftreten und Verhalten in Erscheinung tritt, muss mit einer Ordnungsstrafe in Höhe von 1 000 Euro und im Wiederholungsfall von 2 000 Euro rechnen. Damit sorgen wir übrigens auch dafür, dass sogenannte Wiederholungstäter angemessen und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit mit einer Ordnungsstrafe belegt werden können. ({8}) Mit diesem Sanktionsinstrument schaffen wir ein Mittel, durch das die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, wenn es darum geht, ungebührliches und unwürdiges Verhalten im Parlament zu ahnden. Die bisherigen Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, waren entweder zu lax eine Rüge wurde häufig nicht einmal zur Kenntnis genommen, ({9}) andere haben sie auch gerne gesammelt -, oder der Ausschluss von Mitgliedern des Bundestages von Beratungen durch den Bundestagspräsidenten war ein zu schweres Geschütz. Durch die Einführung eines Ordnungsgeldes für ungebührliches und ein der Würde des Hauses unangemessenes Verhalten wollen wir sicherstellen, dass es hier im Bundestag ausschließlich zum sachlichen Austausch von Argumenten kommen kann. Wir dulden also keinen Krawall um des Krawalls willen und keine Provokation um der Provokation willen. Hochgehaltene Transparente entsprechen nicht dem Diskussionsstil eines Parlamentes. Dies wollen wir auch in Zukunft so halten. ({10}) Die Möglichkeit des Sitzungsausschlusses wird hier zwar zum ersten Mal gesetzlich geregelt, ist aber in der Tat nicht neu, sondern war zuvor nur in der Geschäftsordnung geregelt. Sie bestand seit Konstituierung des Deutschen Bundestages. Wir haben keinen Anlass, daran etwas zu ändern - im Gegenteil. Durch das Ordnungsgeld wird für eine bessere und verhältnismäßigere Hand13526 Christian Lange ({11}) habung der Ordnungsmaßnahmen gesorgt; denn zwischen Rüge und Sitzungsausschluss wird es in Zukunft ein milderes Mittel, das Ordnungsgeld, geben. An die Grünen gerichtet: ({12}) Vergessen Sie bitte nicht: Manche von Ihnen haben ihre politische Karriere erst mit einem Sitzungsausschluss begonnen. ({13}) Meine Damen und Herren, der Bundestag ist der Ort des Argumentes, nicht der Ort der Aktion. So soll es auch bleiben. Deshalb bitte ich um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist unser Kollege Jörg van Essen für die Fraktion der FDP. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich staune schon sehr: Ich höre von den Grünen, „Würde“ sei ein unbestimmter Rechtsbegriff und deshalb nicht tauglich, in die Bestimmung aufgenommen zu werden. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, sagt Art. 1 des Grundgesetzes. Auch hier haben wir einen unbestimmten Rechtsbegriff. Ich kenne aber niemanden, der eine entsprechende Änderung des Art. 1 des Grundgesetzes verlangen würde. Schon daran zeigt sich, wie schwach die Argumente der Grünen sind. ({0}) Wie wichtig es ist, dass wir uns mit dem Thema Würde befassen - auch mit der Würde des Parlaments -, hat sich, glaube ich, in der ersten deutschen Demokratie gezeigt. In der Weimarer Republik wurde von Extremisten von links und rechts ständig versucht, genau diese Würde des Parlaments, der parlamentarischen Vertretung, mit Füßen zu treten. Daran ist dann auch die Demokratie gescheitert. ({1}) Deshalb haben wir eine ganz besondere Verantwortung dafür, dass so etwas in unserem Land nicht wieder geschieht. Dass Anlass zur Sorge besteht, sehen wir in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Der Kollege Lange hat ein entsprechendes Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern gerade zitiert. Auch das, was wir hier im Deutschen Bundestag von der Linksfraktion erlebt haben, ({2}) ist nicht erträglich. ({3}) Jeder Abgeordnete hat jedes Recht der Welt, sich zu jedem Thema zu Wort zu melden. Deshalb bedarf es all dieser Aktionen natürlich nicht. Das Parlament ist ein Ort des Wortes und kein Ort für Kasperleaktionen, die dann natürlich den Weg ins Fernsehen finden und unter anderem deshalb veranstaltet werden. Ich weiß nicht, wie es den Kollegen gegangen ist, die zum Teil an den Entscheidungen über Ordnungsmaßnahmen beteiligt waren. Ich hatte immer ein schlechtes Gefühl, wenn ein Sitzungsausschluss entschieden wurde. Aber dies war notwendig, weil das Instrumentarium nicht breit genug war. Zu einem Rechtsstaat - die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat - gehört immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ich bin dem Kollegen Lange, der gerade vor mir geredet hat, ganz außerordentlich - das will ich hier ausdrücklich sagen - dankbar. Er war es nämlich, der die Initiative ergriffen hat. Am Anfang hat er Widerspruch bekommen. Ich habe ihn unterstützt, weil mir das von Anfang an ein richtiger Weg zu sein schien. Er hat sich nicht beirren lassen und weiter für seine Idee geworben. Ich bin ihm dafür ganz außerordentlich dankbar, weil ich denke, dass wir hier einen richtigen Schritt machen. Der amtierende Präsident hat nun die Möglichkeit, angemessen zu reagieren. Das Ordnungsgeld, das wir vorsehen, ist wie alle anderen Ordnungsgelder, die es in anderen Bestimmungen gibt, auf einen bestimmten Betrag festgesetzt. So wie man weiß, dass dann, wenn man im Auto 20 Stundenkilometer schneller als erlaubt gefahren ist, eine bestimmte Geldbuße, die im Bußgeldkatalog festgelegt ist, zu zahlen ist, so gibt es das jetzt auch bei entsprechenden Verstößen. Auch bei der Wiederholung ist klar, welches Bußgeld jeweils fällig wird. Auch da haben wir uns an die allgemeinen Regeln gehalten. Es war gut und richtig, das so zu tun. Ich verstehe die Bedenken, die jetzt plötzlich von den Grünen hinsichtlich des Ausschlusses vorgetragen werden, nicht. ({4}) Der Ausschluss als Disziplinarmaßnahme, die dem Präsidenten zur Verfügung steht, hat eine unglaublich lange Tradition in allen deutschen Parlamenten. Das haben wir nicht jetzt erfunden, sondern diese Möglichkeit hat es schon immer gegeben, nicht nur im Bundestag, sondern auch in allen Landtagen. Ich sehe deshalb überhaupt keinen Anlass, davon abzusehen. Aber ich bin sehr froh, dass jetzt deutlich wird, dass das in Zukunft nur bei ganz schweren Verstößen ein Mittel der Wahl ist, weil ein anderes, weniger schwer eingreifendes Mittel, nämlich das Ordnungsgeld, zur Verfügung steht. Ich will nicht verschweigen, dass ich das Gefühl habe, dass dann, wenn jemand „blechen“ muss, vielleicht die Entscheidung, ob man zu all den Mitteln greift, zu denen hier insbesondere die Linksfraktion gegriffen hat, ein Stück schwerer wird. Wenn es ans Portemonnaie geht, dann überlegt man noch ein zweites oder drittes Mal, ob man das dann tatsächlich tut. ({5}) Das Ganze kommt dann der Würde dieses Parlaments zugute. Dieses Ergebnis wünsche ich mir. Am meisten wünsche ich mir - das haben auch schon die Vorredner gesagt -, dass diese neue Bestimmung nie zur Anwendung kommt. Diese Verantwortung haben wir alle. Jeder hat dazu beizutragen. Ich hoffe, dass diejenigen, die in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern unangenehm auffallen, was immer wieder zu Reaktionen führt, hier bei uns gar nicht auftauchen. Ich hoffe, dass sich die Fraktion, die in der Vergangenheit zu solchen Mitteln gegriffen hat, in Zukunft darauf beschränkt, ihre Argumente vorzutragen. Je besser sie sind, desto mehr hören zu. ({6}) Das ist der Weg, den wir alle gehen sollten. Unsere Fraktion unterstützt jedenfalls den Vorschlag. Nochmals herzlichen Dank an den Kollegen Lange für seine Initiative. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle fest: Eine Mehrheit des Hauses sieht die Würde des Bundestages bedroht. Nun stellt sich die Frage, wodurch Sie sich bedroht fühlen. Sie fühlen sich zum Beispiel durch Abgeordnete bedroht, die sich mit einem T-Shirt zum Protest gegen Stuttgart 21 bekennen. Es war von schwerwiegender Störung und Eskalation die Rede. ({0}) Herr Kaster, machen Sie sich nicht lächerlich. ({1}) Eine Mehrheit fühlt sich auch dadurch bedroht, dass Abgeordnete der Linksfraktion im Plenum Bilder von Kunduz-Opfern gezeigt haben und Sie alle an die deutsche Verantwortung erinnert haben, und zwar nachdem ein Gedenken an die Opfer von Kunduz im Bundestag von den anderen Fraktionen abgelehnt worden ist. Das war unsere Form des Gedenkens an diese Opfer. ({2}) Ist das eine Verletzung der Ordnung und Würde des Bundestages? Ich kann das nicht erkennen, und ich verteidige das ausdrücklich, Herr Kollege van Essen. ({3}) Wissen Sie, wodurch ich die Würde des Bundestages verletzt sehe? Ich sehe sie verletzt, wenn in diesem Haus politische Entscheidungen getroffen werden, die auch etwas mit Art. 1 Grundgesetz zu tun haben, nämlich mit der Würde des Menschen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Menschen in ihrer Würde verletzt werden, die arbeitslos sind. Die ganze Hartz-IV-Gesetzgebung in diesem Hause war ein würdeloses Verfahren. ({4}) Regelungen, die Flüchtlinge betreffen, oder wenn die Lebensleistung von Menschen im Osten ignoriert wird all das ist würdelos in diesem Parlament. ({5}) Wie oft haben wir hier Debatten erlebt, die mit der Würde des Bundestages herzlich wenig zu tun hatten. Werfen Sie einen Blick in die Protokolle und lesen Sie die Zwischenrufe: Das hat mit der Würde des Hauses überhaupt nichts zu tun. Nein, Sie wollen die Linke disziplinieren. Das haben wir schon gemerkt. Dass Sie dabei verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Wege gehen, beeindruckt Sie wenig. Sie wollen jetzt unter anderem den Sitzungsausschluss bis zu 30 Tagen gesetzlich regeln. ({6}) Das beschränkt das Rede- und Stimmrecht frei gewählter Abgeordneter. Das heißt, das Rede- und Stimmrecht von Abgeordneten wird sozusagen zur Verfügungsmasse einer Mehrheit in diesem Haus. Das ist wahrlich eine verfassungsrechtlich genehme Regelung. Es ist ein Verstoß gegen das im Grundgesetz ausdrücklich verankerte freie Mandat der Abgeordneten. Das trifft auch auf das Ordnungsgeld zu. Unter welchen Voraussetzungen, aus welchen Gründen und in welcher Höhe Ordnungsgeld verhängt wird, bleibt offen, und es ist damit ein willkürliches Instrument. Es besteht kein angemessener Rechtsschutz. Sie schließen zum Beispiel die Möglichkeit der Anhörung des Betroffenen aus. Sie findet in keiner Weise statt. ({7}) In einem Rechtsstaat ist ein solches Verfahren eigentlich undenkbar. Im Bundestag ist es möglich. Der Berichterstatter des Verfassungsgerichts, Herr Professor Broß, teilt unsere rechtlichen Bedenken an dieser Stelle. Aber einer Klärung im Ausschuss, wie von uns vorgeschlagen, zum Beispiel mit einer Anhörung, an der auch Professor Broß teilnehmen würde, haben Sie sich verweigert. Wer nicht hören will, muss fühlen: Dann klären wir das eben vor dem Verfassungsgericht. Danke. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in dieser Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Volker Beck. Bitte schön, Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ich fand es richtig, dass wir nach den Aktionen die Diskussion über das Ordnungsgeld begonnen haben; denn ich finde, wir brauchen ein milderes Mittel als den Sitzungsausschluss, um auf grobe Störungen der Ordnung des Hauses zu reagieren, die ein Verhandeln im Sinne eines Parlamentes - parlare bedeutet sprechen; es heißt nicht: Aktionen machen - unmöglich machen. Wenn andere Kolleginnen und Kollegen einen diskursiven Austausch der Argumente verhindern, indem sie mit Aktionen den Ablauf stören, dann muss das nicht hingenommen werden. Da bin ich ganz bei der Koalition und der SPD gewesen. Deshalb haben wir uns am Anfang an den Beratungen beteiligt. Ich finde aber, dass man auf die Verletzung der Ordnung und nicht auf die Verletzung der Würde des Hauses abheben sollte. Auf die Verletzung der Würde des Hauses wurde in dieser Wahlperiode in unserem Parlament schon bei allen möglichen Angelegenheiten verwiesen. ({0}) Wir haben verordnet, dass die Schriftführer und der Präsident Krawatten tragen müssen, soweit sie Männer sind. Ansonsten würde dies die Würde des Hauses verletzten. ({1}) So kann man es im Protokoll des Ältestenrates nachlesen. Kollegen, die nicht bereit waren, eine Krawatte zu tragen, wurden vom Sitzungsdienst ausgeschlossen. Das ist eine Albernheit und zeigt, auf welches Glatteis Sie sich unnötigerweise mit dieser Formulierung begeben. Der Hitler-Gruß eines NPD-Mitglieds der Bundesversammlung - dieses von Ihnen im Ausschuss genannte Beispiel ist durchaus ernst zu nehmen - ist eine Straftat. Jede Straftat stellt selbstverständlich eine Verletzung der Ordnung des Hauses dar und kann deshalb zu Recht geahndet werden, ({2}) ohne dass man auf die Würde des Hauses abheben muss. Wir sind dafür, die Verletzung der Würde des Hauses als Tatbestand zu streichen. Ein anderer Punkt, der uns zu denken gibt, ist etwas, das schon länger in der Geschäftsordnung steht - darüber hatte ich zuvor noch nie nachgedacht -, nämlich der pönalisierende Sitzungsausschluss von bis zu 30 Tagen. Dieser kann nicht gerechtfertigt werden wie der einmalige Ausschluss in einer laufenden Sitzung, in der sich der Präsident nicht anders zu helfen weiß, als die Betreffenden hinauszuwerfen, um den parlamentarischen Ablauf zu sichern. Der pönalisierende Sitzungsausschluss von bis zu 30 Tagen ist nicht als Sicherung des parlamentarischen Ablaufs zu rechtfertigen. ({3}) Er stellt vielmehr eine reine Strafe dar. Als solche wird er vom Bundesverfassungsgericht kritisch gesehen. Ich hätte gerne mit Verfassungsrechtlern erörtert, ob diese Art des Sitzungsausschlusses gar nicht möglich ist oder ob ein anderes Verfahren notwendig ist. ({4}) Aber so wie dieser Tatbestand in der Geschäftsordnung formuliert ist und so wie wir ihn vorbehaltlos im Abgeordnetengesetz verankern, geht es nicht. ({5}) Der Berichterstatter Broß, der den Fall der Stuttgart-21Aktionisten von der Linksfraktion, gegen die ein pönalisierender Sitzungsausschluss verhängt wurde, zu beurteilen hatte, hat den Verfahrensbevollmächtigten beider Seiten geschrieben - Sie können gerne beim Präsidium nachfragen und sich den Schriftsatz genauso besorgen wie ich -: Im Extremfall könnte der Ausschluss von Abgeordneten erheblichen Einfluss auf die Willensbildung im Parlament entfalten, und Stimmverhältnisse wären durch Fehlgebrauch des Instruments Sitzungsausschluss gar gezielt manipulierbar. - Weiter heißt es in dem Schreiben des Bundesverfassungsgerichts: Der bisherige Verlauf dieses Verfahrens seit dem Sitzungsausschluss erscheint mir vor dem Hintergrund des § 38 Abs. 1 und Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einer eingehenden verfassungsrechtlichen Klärung bedürftig - das haben wir im Ausschuss verlangt -, weil ein Ausschluss auch die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag in rechtserheblicher Weise beeinflussen kann. Im Hinblick darauf rege ich an, dass der Antragsgegner noch einmal seine jetzt bestehende Auffassung zur Verfahrenslage überdenkt und auch die hier umstrittene Handhabung der Geschäftsordnung in Bezug auf effektive Rechtsschutzmöglichkeiten überprüft. Allerdings könnte sich bei näherer Betrachtung auch ergeben, dass der Ausschluss Volker Beck ({6}) von Abgeordneten des Deutschen Bundestages von zukünftigen Sitzungstagen - also pönalisierend -, sich unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Sachgerechtheit nicht von vornherein erschließt. Es ist doch das Mindeste, dass wir uns, wenn wir einen solchen Hinweis bekommen und uns mit der gleichen Rechtsmaterie hier im Haus befassen, im Ausschuss damit seriös befassen und eine Auseinandersetzung mit Verfassungsrechtlern führen, bevor wir das Präsidium, den Präsidenten und die Vizepräsidenten, in die Lage bringen, von einer Sanktion Gebrauch zu machen, über die das Bundesverfassungsgericht zuvor gesagt hat, dass sie nicht verfassungskonform ist. Wir geben dem Präsidium nicht die Möglichkeit, auf einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Grundlage zu handeln. Ich finde es eine Zumutung, was wir mit dem Präsidium des Deutschen Bundestages machen. Deshalb beantrage ich am Ende dieser Debatte die Rücküberweisung der Vorlagen zu diesem Tagesordnungspunkt an den Geschäftsordnungsausschuss mit dem Auftrag, eine Anhörung mit Verfassungsrechtlern zu dieser entscheidenden Frage durchzuführen. ({7}) Meines Erachtens können wir uns eine Blamage vor dem Bundesverfassungsgericht ersparen. Ich empfinde es als komisch, wie wir hier in der Diskussion mit diesem Tatbestand umgehen; denn wir haben so deutliche Hinweise und kümmern uns nicht um Karlsruhe. Aber das haben wir beim Wahlrecht auch schon nicht getan. Insofern ist das Handeln dieser Koalition konsequent. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Thomas Strobl. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD haben sich in breiter Einmütigkeit auf dieses Ordnungsgeld geeinigt, weil es einerseits eine spürbare Sanktion darstellt, andererseits aber in parlamentarische Rechte von Abgeordneten nicht eingreift und öffentlichkeitswirksame Konfrontationen, wie zum Beispiel bei einer zwangsweisen Entfernung aus dem Plenarsaal, vermeiden kann. ({0}) Im Übrigen muss ich darauf hinweisen, dass wir das bestehende und bewährte Instrumentarium der Ordnungsmittel und damit übrigens auch den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Sitzungsausschluss unverändert gelassen haben. Der Sitzungsausschluss war nicht Thema der Beratungen gewesen, wir haben daran nichts geändert. Herr Kollege Beck, es gibt ihn seit über 60 Jahren. ({1}) Es ist schon mit Interesse zu beobachten, dass Sie diese Verfassungswidrigkeit von der einen Sekunde auf die andere entdeckt haben. ({2}) Leider hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die bei der Frage der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Verschärfung der Ordnungsmittel durchaus unserer Mei- nung ist, die Neuregelung nicht mitgetragen. Die Frak- tion Die Linke wird im Übrigen wissen, warum sie Ord- nungsstörungen im Hause nicht ahnden will. Neu ist weiter die Einbeziehung der Würde des Bun- destages in den Kreis der geschützten Rechtsgüter. Dies lag uns bei der Neuregelung besonders am Herzen. Es ist mir völlig unverständlich, warum es im Hause Kollegin- nen und Kollegen gibt, die diesen Schutz nicht wollen. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es 60 Jahre ohne ging!) Herr Kollege Beck, in § 7 der Geschäftsordnung heißt es in Abs. 1: Der Präsident vertritt den Bundestag und regelt seine Geschäfte. Er wahrt die Würde und die Rechte des Bundestages, fördert seine Arbeiten, leitet die Verhandlungen … „Er wahrt die Würde und die Rechte des Bundestages …“. Wenn das ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, mit dem man nichts anfangen kann, dürfte das so nicht darin stehen. Wenn aber die Geschäftsordnung von dem Präsidenten verlangt, dass er die Würde des Hauses wahrt und die Aufrechterhaltung der Würde des Hauses sicherstellt, dann ist es doch nur logisch, dass wir das auch bei den Sanktionsmitteln sozusagen spiegelbildlich einbeziehen. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Thomas Strobl, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Volker Beck?

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne, selbstverständlich.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, würden Sie konzedieren, dass es in dieser Bestimmung, in der in der Tat der Begriff der Würde Volker Beck ({0}) vorkommt, im Wesentlichen darum geht, dass der Präsident des Deutschen Bundestages sich vor den Bundestag und seine Abgeordneten stellt und ihre Rechte verteidigt, und zwar gegen Angriffe von außen und nicht gegen die Mitglieder des Bundestages selbst? Das ist die bisherige Auslegung der Norm. Wenn Sie sich die Kommentierung der Geschäftsordnung zu diesem Punkt anschauen - das habe ich zur Vorbereitung bereits unserer Diskussion im Ausschuss gemacht und es Ihnen auch vorgetragen -, dann stellen Sie eindeutig fest, dass es bei dieser Bestimmung um einen Schutz der Bundestagsabgeordneten vor unberechtigtem Angriff von außen geht, egal ob er sich auf ein Mitglied bezieht oder auf die Gesamtheit der Mitglieder des Hauses, nicht aber darum, dass der Bundestag vor seinen Abgeordneten selbst geschützt werden soll. ({1})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, mit Verlaub, Sie liegen falsch. ({0}) Sie liegen falsch. ({1}) Ich lese die Vorschrift gerne komplett vor. § 7 Abs. 1 Satz 2 lautet: Er wahrt die Würde und die Rechte des Bundestages, fördert seine Arbeiten, leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch und wahrt die Ordnung im Hause. ({2}) Die Worte „… leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch und wahrt die Ordnung im Hause.“ beziehen sich in diesem Zusammenhang genau auf den Ablauf der Bundestagssitzungen. Deswegen liegen Sie mit Ihrer Interpretation falsch. Wenn wir dem Präsidenten einen solchen Auftrag geben, dann ist es auch nur richtig, das spiegelbildlich mit einer entsprechenden Sanktion zu versehen. Ich weise noch einmal darauf hin - auch das lässt Ihre Argumentation wirklich zusammenbrechen -, dass erst im Januar dieses Jahres ein Landesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt hat, dass es eine schützenswerte Würde des Parlamentes gibt. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere ich dies nochmals: Das Parlament ist berechtigt, seine Mitglieder durch Verhaltensregeln auch auf die Wahrung der Würde des Landtages im Sinne eines von gegenseitigem Respekt getragenen Diskurses zu verpflichten. Es darf deshalb Verstöße sanktionieren, wo es diese Würde gefährdet oder verletzt sieht, etwa weil das Verhalten eines Abgeordneten erkennen lässt, dass er den für eine sachbezogene Arbeit notwendigen Respekt gegenüber den übrigen Parlamentariern oder der Sitzungsleitung vermissen lässt und damit zwangsläufig auch das Ansehen des Hauses nach außen beschädigt … Die genannte Gerichtsentscheidung basiert auf der Sanktionierung einer Würdeverletzung durch einen NPD-Abgeordneten im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Was die Linksfraktion jedenfalls angeht, bin ich mir sicher, dass sie am lautesten nach Ordnungsmaßnahmen schreien würde, wenn sich die NPD einmal, was Gott verhüten möge, in das Hohe Haus verirren sollte. ({3}) Aber auch die Bedenken der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben etwa, Herr Kollege Beck, mehrfach ausdrücklich - das ist in den Beratungsprotokollen auch vermerkt - klargemacht, dass bloße Fragen einer Kleiderordnung nicht als Verletzung der Würde des Hauses angesehen werden können. Ich habe eine lange Zeit eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den Ordnungsmaßnahmen geübt, weil es mir innerlich widerstrebt, dass Abgeordnete über Abgeordnete ein Ordnungsgeld verhängen. ({4}) Es war in der Tat einer gewissen Hartnäckigkeit des Kollegen Lange, wie Kollege van Essen ausgeführt hat, zu verdanken, dass wir an diesem Thema immer wieder drangeblieben sind und es jedenfalls mit großer Gründlichkeit beraten haben. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es unter Demokraten eigentlich möglich sein sollte, die Argumente der politisch Andersdenkenden zu ertragen, ohne zu Mitteln der Störung und des Klamauks zu greifen und damit nicht nur die Arbeit der anderen Abgeordneten zu stören, sondern auch das Ansehen des Bundestages in den Augen der Öffentlichkeit zu schädigen. Bei manchen aus dem links- und rechtsextremistischen Bereich habe ich indessen den Eindruck, dass es genau darum geht: um die Verächtlichmachung des Parlaments. ({5}) Hier müssen wir deutlich machen, dass unsere Demokratie eine wehrhafte Demokratie darstellt, und das Ordnungsgeld soll ein Beitrag dazu sein, dass diese Demokratie nicht verächtlich gemacht werden kann, sondern sich im Zweifel auch wehrt. Besten Dank fürs Zuhören. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Vizepräsident Eduard Oswald Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt eine persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung unseres Kol- legen Wolfgang Nešković vor.1) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, den Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetenge- setzes sowie die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundes- tages zur weiteren Beratung an den Ausschuss zurückzu- überweisen. Es ist vereinbart, über diesen Antrag jetzt abzustimmen. Wer stimmt für den Antrag auf Rücküber- weisung? - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der So- zialdemokraten. Enthaltungen? - Keine. Somit ist der Antrag abgelehnt worden. Wir kommen zur Abstimmung - Zusatzpunkt 11 a - über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung des Abgeordnetengesetzes - Einführung eines Ord- nungsgeldes. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immuni- tät und Geschäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6309, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 17/5471 anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim- men. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/6352? - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der So- zialdemokraten. Stimmenhaltungen? - Keine. Der Ände- rungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 17/6353? - Das sind die Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die sozialdemokrati- sche Fraktion. Enthaltungen? - Keine. Der Änderungs- antrag ist abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und Links- fraktion. Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemo- kraten. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Keine. Der Gesetz- entwurf ist somit angenommen. Zusatzpunkt 11 b. Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- 1) Anlage 14 nung zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, hier: Einführung eines Ordnungsgeldes, §§ 36 bis 39 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, auf Drucksache 17/6309. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Änderung der §§ 36 bis 39 der Geschäftsordnung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/6354? - Das sind die Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Keine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/6355? - Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Keine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zusatzpunkt 10 aufrufe, darf ich bekannt geben, dass die Frauenfußballnationalmannschaft ihr Spiel gegen Nigeria 1 : 0 gewonnen hat. ({0}) Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zusatzpunkt 10 auf: 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Schlecht, Sabine Leidig, Dr. Barbara Höll, wei- tere Abgeordnete und der Fraktion DIE LINKE Keine zusätzlichen finanziellen Mittel des Bundes oder der Bahn AG für Stuttgart 21 - Drucksache 17/6129 - ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stuttgart 21 - Kein Weiterbau ohne Nachweis der Leistungsfähigkeit und ohne Klärung der Kosten und Risiken - Drucksache 17/6320 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich muss dennoch darauf hinweisen, dass der einzige bei mir gemeldete Redner der Kollege Michael Schlecht von der Fraktion Die Linke ist, da alle anderen Kollegin- nen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll geben.2) 2) Anlage 19 Vizepräsident Eduard Oswald Somit rufe ich jetzt den Kollegen Michael Schlecht von der Fraktion Die Linke ans Rednerpult. Bitte schön, Herr Kollege Michael Schlecht. ({1})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 steht eine große Zahl im Raum: 4,5 Milliarden Euro. Das soll die Obergrenze für dieses Bahnprojekt sein. Wir halten diesen Betrag für viel zu hoch, zumal alternativ der Kopfbahnhof eine sehr gute und ausbaufähige Leistungsfähigkeit hat. Die Abfertigung von mehr als 50, ja zum Teil 60 Zügen in der Stunde ist dort möglich. Entscheidend ist unserer Auffassung nach vor allen Dingen, dass mit dem Kopfbahnhof ein moderner Taktverkehr problemlos realisierbar ist. Bei S 21 mit nur acht Gleisen ist das alles - das wird am Ende auch noch der Stresstest ergeben - nicht gesichert. Unter dem Strich ist für uns vor diesem Hintergrund vollkommen klar: Der Kopfbahnhof ist das zukunftsfähigere Modell. Das gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass man in dieses Projekt natürlich Modernisierungsmittel hineinstecken müsste. ({0}) - Wenn Sie mir einen Vogel zeigen, dann finde ich das nicht der Würde des Hauses entsprechend, Herr Kollege; aber das nur nebenbei. Die Kosten bei diesem ganzen Projekt sind schon sehr wichtig. Man hat manchmal das Gefühl, dass diejenigen, die sonst immer für große Sparsamkeit sind, bei Stuttgart 21, wenn es ums Geld geht, ziemlich in die Vollen gehen. Die Kosten sind deshalb wichtig, weil es auch in einer Stadt wie Stuttgart natürlich viele soziale Mängel gibt und all das Geld, das für dieses Projekt ausgegeben werden soll, für andere Dinge viel dringender gebraucht würde: Beseitigung von Kinderarmut, Kitaplätze usw. Es besteht zudem die Gefahr, dass das Projekt S 21 viel teurer wird, dass es nicht bei der Summe von 4,5 Milliarden Euro bleibt, die immer im Raum steht. Es gibt Schätzungen, dass sich die Kosten des ganzen Projekts zwischen 5 und 6 Milliarden Euro bewegen dürften, ganz unabhängig davon, dass bei solchen Projekten natürlich immer noch Preissteigerungen, Kostensteigerungen zu erwarten sind. Vor dem Hintergrund ist es aus unserer Sicht ein eindeutiger Fortschritt, dass in der Koalitionsvereinbarung der neuen baden-württembergischen Koalition zumindest festgelegt ist, dass die neue Landesregierung keine weiteren Landesmittel in dieses Projekt stecken wird, wenn die Grenze von 4,5 Milliarden Euro überschritten werden sollte, was eine reale Gefahr ist. Die spannende Frage ist nur, ob dann, wenn diese Grenze von 4,5 Milliarden Euro überschritten wird - das ist durchaus möglich -, nicht die Gefahr besteht, dass andere, zum Beispiel Bund und/oder Bahn, auf Teufel komm raus Mehrkosten übernehmen, weil sie aus ganz bestimmten Gründen an diesem Projekt festhalten. Aus meiner Sicht wäre es vollkommener Wahnsinn, wenn man dies machen würde. Das Misstrauen, nämlich dass dort etwas Derartiges im Busch sein könnte, dass noch durch andere Stellen, durch Bund oder Bahn, eine zusätzliche Finanzierung erfolgen könnte, ist gewachsen, als ich erfahren habe, dass im Rahmen der Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg die Grünen ursprünglich durchsetzen wollten, dass bei Kosten von über 4,5 Milliarden Euro das Projekt beerdigt wird. Diese Regelung ist in den Koalitionsverhandlungen von der SPD abgelehnt worden. Die SPD hat gesagt: Da machen wir nicht mit. - Also ist der jetzt mehrfach benannte Kompromiss dabei herausgekommen. Was uns umtreibt, ist, jetzt abzusichern oder zumindest abzuklären, ob mein Misstrauen berechtigt oder unberechtigt ist. Mit dem Antrag, den wir eingebracht haben, wäre das möglich. Mit diesem Antrag wäre möglich, klarzustellen, dass weder Bund noch Bahn bei entsprechender Kostenüberschreitung für dieses Projekt zusätzliche Mittel geben. Deswegen dieser Antrag! Wenn Sie meinem Misstrauen entgegentreten wollen, müsste das gesamte Hohe Haus, müssten alle Fraktionen diesem Antrag problemlos zustimmen können. Ich freue mich schon darauf. Guten Abend! ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle anderen gemeldeten Rednerinnen und Redner haben ihre Rede zu Protokoll gegeben. ({0}) Somit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6129 mit dem Titel „Keine zusätzlichen finanziellen Mittel des Bundes oder der Deutschen Bahn AG für Stuttgart 21“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? Keine. Der Antrag ist abgelehnt. Zusatzpunkt 10. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6320 mit dem Titel „Stuttgart 21 - Kein Weiterbau ohne Nachweis der Leistungsfähigkeit und ohne Klärung der Kosten und Risiken“. Wer stimmt für diesen Antrag? Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Keine. Der Antrag ist abgelehnt. Vizepräsident Eduard Oswald Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften - Drucksache 17/3972 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({1}), Dr. Konstantin von Notz, Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe im Bundesbeamtengesetz und in weiteren Gesetzen - Drucksache 17/906 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 17/6359 Berichterstattung: Abgeordnte Armin Schuster ({3}) Michael Hartmann ({4}) Frank Tempel Dr. Konstantin von Notz Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.1) - Sie sind alle damit einverstanden. Ich brauche auch die Namen der Kolleginnen und Kollegen nicht zu verlesen. Sie liegen bei uns vor. Somit kommen wir gleich zur Abstimmung. Der In- nenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 17/6359, den Gesetz- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/3972 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten. Stimmenthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf bei gleichem Stimmverhalten entspre- chend angenommen worden. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6359, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/906 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Wer stimmt da- gegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltun- 1) Anlage 15 gen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Moratorium jetzt - Dringliche Klärung von Fragen zu Mehrkosten des ITER-Projekts - Drucksache 17/6321 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sie sind sicher alle damit einverstanden.2) - Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6321 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Effektive Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise Drucksache 17/6313 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({6}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben3). Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6313 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie den Zusatzpunkt 12 auf: 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({7}), Christoph Poland, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Reiner 2) Anlage 20 3) Anlage 18 Vizepräsident Eduard Oswald Deutschmann, Patrick Kurth ({8}), Sebastian Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ratifizierung der UNESCO-Konvention zum immateriellen Kulturerbe vorantreiben - Drucksache 17/6314 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({9}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Schmidt ({10}), Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Claudia Roth ({11}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes vorbereiten und unverzüglich umsetzen - Drucksache 17/6301 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({12}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Tourismus Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier vor. Insofern sind alle damit einverstanden, dass wir so verfahren.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deutschland kann seit wenigen Tagen auf die Anerkennung von insgesamt 35 Weltkulturerbestätten verweisen. Der deutsche Buchenwald und das Fagus-Werk sowie das Hamburger Wattenmeer wurden in dieser Woche von der UNESCO auch zum Weltkulturerbe erklärt. Damit stellt die Bundesrepublik die fünftmeisten Welterbestätten weltweit. Das ist gut für das Kulturland Deutschland und für den Kulturtourismus. Gut 70 Millionen Menschen besuchen jährlich diese Kulturdenkmäler. Der Status dieser materiellen Kulturstätten ist ein großer Erfolg für die Kultur wie für den Tourismus in unserem Land und als solcher auch anerkannt. Über das immaterielle Kulturerbe hingegen gibt es bisher nur eine Expertendiskussion, obwohl bereits 134 der UNESCO-Konvention zum immateriellen Kulturerbe beigetreten sind. Die immateriellen Kulturgüter sind nicht in Stein gemeißelte Bauten wie Paläste oder Kathedralen, sondern Praktiken, Bräuche und Handwerkstechniken. Auch die damit verbundenen Instrumente, Objekte und Artefakte gehören dazu. Ziel des UNESCO-Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes ist es, diese Kulturformen zu erhalten und zu bewahren. Denn sie sind zunehmend durch Vergessen bedroht. Ein wichtiger Anlass für die Entstehung dieser Konvention ist, dass die materiellen Welterbestätten zu einer geografischen Dominanz von Europa geführt haben. Hier gibt es aus historischen Gründen zahlreiche bedeutende Bauten wie Kirchen und Museen. Afrikanische und asiatische Länder hingegen können, was diese materiellen Kulturstätten betrifft, nicht im gleichen Maße mithalten. Es ist also eine Gerechtigkeitsfrage gegenüber außereuropäischen Ländern, dass auch immaterielle Kulturgüter zum Weltkulturerbe werden können. Das immaterielle Kulturerbe ist somit die logische Ergänzung zu den Welterbestätten. Beide sind auf Augenhöhe miteinander. Zur „Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ gehören unter anderem die ugandische Rindentuchherstellung, die chinesische Akupunktur, die französische Kochkunst oder der argentinische Tango. Voraussetzung dafür, dass auch deutsche Kulturgüter zum UNESCO-Kulturerbe werden, ist, dass die Bundesrepublik das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des immateriellen Kulturerbes ratifiziert. Warum ist ein Beitritt Deutschlands zu dieser Konvention nach Auffassung der Union, die diese Initiative auf den Weg gebracht hat, angemessen und sinnvoll? Wir sollten ein fundamentales Interesse daran haben, dass unsere über Generationen überlieferten Kenntnisse, unsere kulturellen Besonderheiten, unsere Ausdrucksweisen, Bräuche und Praktiken bewahrt und weiterentwickelt werden, weil auch sie ein Teil unserer kulturellen Identität ausmachen. Gerade „körperlose“ Kulturgüter bedürfen eines besonderen Schutzes, da sie vergänglicher sind als stoffliche Monumente. Es steht zu befürchten, dass traditionelle Fertigkeiten, Bräuche und Riten aussterben, wenn sie nicht ausreichend geschützt werden. Ein Beispiel dafür bietet der „Sprachentod“. Pro Woche sterben auf der Erde zwei Sprachen, gehen unwiederbringlich verloren. In zwei bis drei Jahrzehnten wird es nicht mehr circa 7 000 Sprachen in der Welt geben, sondern nur noch 3 000, befürchten die Experten der UNESCO. Bereits jetzt stehen die niederdeutsche Sprache, Friesisch und Sorbisch auf der „roten Liste“. Durch einen Beitritt Deutschlands zu diesem internationalen Übereinkommen können wir helfen, das immaterielle Kulturerbe zu bewahren und das Bewusstsein für die Bedeutung des immateriellen Kulturerbes zu fördern. Zahlreiche große Verbände und gesellschaftliche Gruppen wie der Bund Heimat und Umwelt, BHU, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks und der Deutsche Schaustellerbund, um nur einige zu nennen, haben sich für eine Ratifizierung der UNESCO-Konvention ausgesprochen. Auch die Enquete-Kommission „Kultur Wolfgang Börnsen ({0}) in Deutschland“ hatte empfohlen, dem Abkommen beizutreten. Ironie und Spott, wie sie einige gegenüber diesen Institutionen äußern, sind völlig fehl am Platze. Da die Zahl der Interessierten groß ist, schlagen wir die Prüfung einer öffentlichen Anhörung zum Thema „UNESCO-Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes“ vor. Die Verbände und gesellschaftlichen Gruppen sollten an der Umsetzung der Konvention beteiligt werden. Zur Diskussion in unserem Land: Zunächst wollten die Bundesregierung und besonders die für die Kultur zuständigen Länder verständlicherweise erst eine genaue juristische Prüfung vornehmen, bevor die Konvention ratifiziert werden sollte. Man hat zuerst abgewartet, wie sich das Instrument in der Praxis bewährt. Erst einmal musste klar werden, nach welchen Kriterien immaterielle Kulturgüter ausgewählt werden sollten. Auch über mögliche zusätzliche Kosten musste Einverständnis mit den Ländern hergestellt werden. In Deutschland leistet man bereits so viel wie kaum in einem anderen Land für den Schutz seines kulturellen Erbes. Deshalb war es vertretbar, mit der Ratifizierung der Konvention erst einmal zu warten. Inzwischen sind die juristische Prüfung und die Diskussion mit den Ländern vorangeschritten. Auch haben unsere europäischen Nachbarstaaten wie Österreich und die Schweiz praktikable Wege zur nationalen Umsetzung der Konvention aufgezeigt, an denen man sich orientieren kann. Die 16 Länder haben eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die praktikable Vorschläge für die institutionelle Ausgestaltung und administrative Umsetzung der Vorgaben der Konvention gemacht hat. Aufgezeigt wird darin auch, wie die finanziellen und bürokratischen Kosten für Bund und Länder gering gehalten werden können: Bei der Umsetzung kann auf bestehende Institutionen der UNESCO-Kommission in Deutschland zurückgegriffen werden, die auch für die materiellen Welterbestätten verantwortlich sind. Es ist daher begrüßenswert, dass die Bundesregierung nun Gespräche mit den Ländern aufgenommen hat, um den Ratifizierungsprozess einzuleiten. Diese Bereitschaft der Bundesregierung sowie der Länder wollen wir mit unserem Antrag unterstützen und damit das Signal senden, dass für uns die Bewahrung kultureller Traditionen wie zum Beispiel deutscher Märchen, Trachten oder Volkslieder oder auch der Vorschläge aus den Reihen der Verbände als „Rohstoffe“ unserer kulturellen Identität unverzichtbar ist. Wir haben ein fundamentales Interesse daran, dass unser über die Generationen überliefertes Wissen, unsere Sprache einschließlich der Regionalsprachen oder die Vielfalt traditioneller Kunstformen gesichert werden. Die Konvention sollte deshalb zügig umgesetzt werden. Zu diesem Zweck wäre es hilfreich, wenn Bund und Länder die Einrichtung einer nationalen Datenbank zur Inventarisierung des immateriellen Kulturerbes prüfen sowie interessierte und betroffene Verbände wie Organisationen zügig zu einem Forum „Immaterielles Kulturerbe“ gemeinsam mit den Ländern einladen. Vor allem der Bund Heimat und Umwelt, der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, das Deutsche Institut für Reines Bier und der Deutsche Schaustellerbund sollten dabei berücksichtigt werden. Unser Land ist eine Kulturnation. Eine aktive Beteiligung Deutschlands an der europäischen und internationalen Zusammenarbeit zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes sollte das Gebot der Stunde sein; das heißt für die UNESCO-Konvention, noch in diesem Jahr die Ampel auf Grün zu stellen.

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nunmehr 134 Länder - beinahe alle Nachbarn in Europa - haben das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes der UNESCO ratifiziert. Sie schützen damit nicht nur die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen wie Sprachen, Bräuche, Feste und Handwerkstechniken in besonderem Maße, sondern rücken damit über Jahrhunderte überlieferte Traditionen in den weltweiten Blickpunkt. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beitritt zu dem Abkommen bisher verweigert, und zwar zum einen wegen grundsätzlicher Bedenken aufgrund der Möglichkeit extremistischen Missbrauchs, zum anderen wegen konkreter juristischer Bedenken. Ich bin froh, dass diese nun aus dem Weg geräumt werden konnten und eine erneute Initiative zur Ratifizierung ergriffen wird. Zudem hoffe ich und bin mir sicher, dass nun auch die Bundesländer diese Initiative konstruktiv unterstützen werden. Weit über 200 kulturelle Ausdrucksformen aus allen Weltregionen wurden inzwischen in die „Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes“ der UNESCO aufgenommen. Dies ist ein beindruckendes Zeichen weltweiter kultureller Vielfalt, dem sich Deutschland bisher entzieht. Mir persönlich ist es ein Anliegen, für ein besonderes, weltweit einmaliges Kulturgut zu werben: das Reinheitsgebot für deutsches Bier. Auch wenn die Aufnahme in die UNESCO-Liste in den Händen einer zwischenstaatlichen Kommission liegt - und nicht einfach von diesem Hohen Haus beschlossen werden kann -, steht das deutsche Reinheitsgebot beispielhaft für eine über Jahrhunderte überlieferte Handwerkstradition und eben noch für viel mehr: Das deutsche Reinheitsgebot ist als direkte Nachfolgeregelung des Bayerischen Reinheitsgebotes von 1516 die älteste noch geltende landesweite lebensmittelrechtliche Vorschrift der Welt und garantiert seit Jahrhunderten die hohe Qualität des deutschen Bieres. Bier ist in Deutschland ein anerkanntes Kulturgut, dessen internationaler Stellenwert sich im hohen Ansehen des deutschen Reinheitsgebotes weltweit manifestiert. An diesem Beispiel wird ganz deutlich: Die Bewahrung immaterieller Kulturgüter ist viel mehr, als etwas Zu Protokoll gegebene Reden Altes oder Vergangenes museal zu konservieren. Es zeigt vielmehr, dass Altes, Überliefertes nach wie vor einen lebendigen Bezug zum Hier und Jetzt haben kann. Eben gelebte Tradition! Wie auch schon die Kollegen aus der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ im Jahre 2007 spreche ich mich nachdrücklich dafür aus, dass Deutschland möglichst zügig das Abkommen zur UNESCO-Konvention zum immateriellen Kulturerbe ratifiziert.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Warum ist es wichtig und wirklich an der Zeit, dass Deutschland das UNESCO-Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe ratifiziert? Was bedeutet das Übereinkommen für Deutschland? Was bedeutet es international? In den Debatten der letzten Legislaturperiode gab es Stimmen, dass das Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe zu konservativ ausgerichtet sei oder dass die Erstellung einer Liste einen bürokratischen Akt darstelle. Dies ist gerade nicht so. Dies ist ein Missverständnis. Es geht beim Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe darum, lebendige Alltagskultur in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um Anerkennung und Förderung aktiver kultureller Betätigung wie in der Laienkultur, um regionale und überregionale Identitäten, um die nationale Identität und den Austausch darüber und um die Vielfalt der gelebten Kulturen in den Ländern, in Deutschland und international. Sie sollen nicht eingefroren, sondern erhalten bleiben. Wir wissen mittlerweile aus den Erfahrungen zum Beispiel in Österreich, dass die Auseinandersetzung mit gelebter Alltagskultur dazu führen kann, aktuellen Themen neue Facetten zu geben, wenn zum Beispiel lokales Erfahrungswissen aufgewertet wird. Dem Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe liegt ein weiter Kulturbegriff zugrunde: mündliche Traditionen wie Sprache, darstellende Künste, Bräuche, Rituale und Feste, aber auch Wissen um traditionelle Handwerkstechniken oder Wissen im Umgang mit Natur und Universum gehören dazu. Ich finde, dieser weite Begriff eignet sich gut, sich der komplexen Alltagskultur anzunähern und auch Kulturgüter zu entdecken, die vielleicht lokal verborgen oder allgemein nicht so bekannt sind. Ich denke da an Heilpraktiken, die man ergänzend zur Schulmedizin anwenden kann. Eine bekannte Variante davon sind die deutschen Kneippkuren. Oder: Die gute mediterrane Küche steht auf der Liste des UNESCO-Erbes, warum nicht auch gute regionale deutsche Kochkunst? Die Aufnahme des Kulturerbes in die UNESCO-Liste ist kein bürokratischer Akt, sondern vielmehr eine Bestandsaufnahme im Sinne von Wissensorganisation. Wir wollen uns selbst vergewissern, welche immateriellen Schätze unser Land oder auch andere Länder zu bieten haben. Die Ratifizierung des Übereinkommens zum immateriellen Kulturerbe hat auch eine internationale, eine außenpolitische Bedeutung, wiederum im Sinne nationaler Identitäten und des Kulturaustausches, aber auch als Unterstützung für Länder mit einem reichen immateriellen Kulturerbe, das zum Beispiel durch die UNESCOWelterbekonvention keine Berücksichtigung findet. 136 Staaten haben das Übereinkommen mittlerweile ratifiziert, darunter mehrere unserer Nachbarländer. Ich sehe nicht, warum Deutschland länger warten sollte. Ich begrüße den Antrag der Union und der FDP. Aber er muss schon konkreter werden. Der Antrag der SPD und der Grünen weist im Gegensatz dazu konkrete Schritte und einen Zeitrahmen auf, um eine möglichst schnelle Ratifikation des Übereinkommens voranzutreiben und unverzüglich umzusetzen. Wir fordern die Bundesregierung auf, so rasch wie möglich die notwendige Abstimmung gemeinsam mit Ländern und Kommunen durchzuführen, bis Ende 2011 einen Bericht vorzulegen und das Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe bis Ende 2012 zu ratifizieren. Wir brauchen dazu eine qualitätssichernde Methodik zur Erstellung von Bestandsaufnahmen, die Einrichtung eines gemeinsamen Forums mit fachlicher Legitimität, ein bundesweit einheitliches Verfahren und klare Kriterien für eine nationale Liste und ein Konzept für einen angemessenen Schutz der ausgewählten immateriellen Kulturgüter. Wir fordern die Bundesregierung auf, zivilgesellschaftliche Akteure in den Abstimmungsprozess einzubeziehen, die notwendigen jährlichen Kosten für die Ratifizierung und die Umsetzung des Übereinkommens zu ermitteln und zu überprüfen, ob ein Vertragsgesetz und ein Umsetzungsgesetz erforderlich sind. Dies alles sind ganz konkrete und sinnvolle Forderungen, wenn man wirklich vorankommen möchte. Ich meine, wir sind uns einig, dass das UNESCOÜbereinkommen für das immaterielle Kulturerbe für Deutschland und auch international einen hohen Wert hat. Ich bitte Sie, dass wir gemeinsam dafür sorgen, dass das Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe ratifiziert wird.

Reiner Deutschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004027, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit dem heute von Union und FDP vorgelegten Antrag betritt Deutschland Neuland im Bereich des Schutzes und der Förderung von Kunst und Kultur. Mit der Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes, das 2003 beschlossen wurde und 2006 in Kraft trat, wird eine Lücke im Schutzgeflecht der UNESCO-Konventionen geschlossen. Dem UNESCO-Welterbe-Übereinkommen von 1972, das Kultur- und Naturstätten von außergewöhnlicher Bedeutung für die Weltgemeinschaft schützt, wird der „vergeistigte“ Bruder zur Seite gestellt. Damit trägt die Regierungskoalition dem Faktum Rechnung, dass es mehr gibt als die verstofflichte Kultur in Form von Bauwerken, Gebäudeensembles oder Naturräumen. Kultur findet sich auch in Tänzen, darstellender Kunst, mündlichen Überlieferungen und Traditionen. Sie ist Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens. Darum ist es nur folgerichtig, auch besondere Zu Protokoll gegebene Reden „Leuchttürme“ des immateriellen Kulturgutes im Rahmen eines UNESCO-Übereinkommens einem besonderen Schutz zuzuführen. Für Deutschland bedeutet dies, dass fortan die Wertschätzung für nationales immaterielles Kulturerbe eine neue Qualität erhalten kann. Dem im Alltag oft verkannten identitätsstiftenden Wert von Traditionen und Überlieferungen werden so eine besondere Aufmerksamkeit und damit auch die Verpflichtung zu einem besonderen Schutz dieser Kulturleistungen zuteil. Um es mit anderen Worten zu sagen: Deutschland ist mehr als die Summe seiner Schlösser, Burgen und Parkanlagen. Mit dem Eintrag in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes schützen wir diese Kulturleistung nicht nur, sondern wecken auch die Neugier der anderen Länder, sich mit unseren Kulturleistungen auseinanderzusetzen bzw. diese selbst zu erleben und zu genießen. Was die Wirkung dieses Übereinkommens angeht, ist es wichtig, auch über den nationalen Tellerrand bzw. den der industrialisierten Welt hinwegzusehen. Das UNESCO-Übereinkommen bietet gerade denjenigen Ländern, die nicht über eine Vielzahl von herausragenden Kulturstätten und gestalteten Naturräumen verfügen, die Möglichkeit, ihrerseits einen Teil der identitätsstiftenden Kulturtraditionen zu schützen. In vielen Ländern wird die nationale Kultur oder die einer Volksgruppe gerade durch die Überlieferung von Gebräuchen, Handwerkstechniken und Wissensüberlieferungen gesichert. Diese gilt es ebenso zu schützen wie eine Kathedrale oder ein Gebäudeensemble. Schließlich muss es unser Ziel sein, in einer gemeinsamen Welt eine Vielzahl von Kulturen vorfinden und erleben zu können. „In Vielfalt geeint“, dieses Motto der Europäischen Union sollte auch für die UNESCO-Mitgliedstaaten Anwendung finden dürfen. Das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des immateriellen Kulturerbes ist ein notwendiger und richtiger Schritt zum Erreichen dieses Ziels. Deutschland hat sich zunächst etwas schwer getan mit dem UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des immateriellen Kulturguts. Es wurde nach den Konsequenzen einer Ratifizierung gefragt. Finanzielle Auswirkungen wurden als unkalkulierbare Risiken beschrieben. Da wenig bis gar keine Erfahrungen mit solchen Welterbelisten und dem in der Konsequenz zuzubilligenden Schutz für diese kulturellen Errungenschaften bekannt waren, mussten zunächst unterschiedlichste Bedenken ausgeräumt werden. Diese Befürchtungen konnten aber durch die positiven Erfahrungen, die unsere Nachbarländer Österreich und Schweiz mit dem Schutz des immateriellen Kulturgutes machen konnten, ausgeräumt werden. Unsere Nachbarn haben ein kluges und würdiges Verfahren gefunden, die herausragenden Leuchttürme kultureller Überlieferungen oder Tradition im Antragsverfahren herauszufiltern, um diese nach Aufnahme in eine nationale Liste später auch der UNESCO vorschlagen zu können. Folgt Deutschland dem positiven Beispiel der beiden Alpenländer, dann sehe ich keine Schwierigkeiten, warum der Schutz immateriellen Kulturgutes nicht auch in Deutschland gelingen sollte. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist das gute Zusammenwirken mit den Bundesländern in dieser Frage. Wenn ich den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis90/Die Grünen betrachte, stelle ich fest, dass wir in der grundsätzlichen Entscheidung, die Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens weiter voranzutreiben, einig sind. Der Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages ist daher genau das richtige Gremium, um mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen zu beraten, wie wir die Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz des immateriellen Kulturerbes am besten begleiten können. Ich freue mich auf die konstruktiven Gespräche der nächsten Wochen.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Was ist eigentlich Kultur? Was sind schützenswerte Kulturgüter? Sind es nur materielle Güter, sind es Schlösser, historische Stadtensembles, Gärten, Landschaften? Oder sollten wir auch die immaterielle Kultur, überkommene Bräuche und lebendige Ausdrucksformen in der Lebensweise verschiedener Gruppen und Gemeinschaften dazuzählen und als bewahrenswert begreifen? Die UNESCO hat in den letzten Jahrzehnten viel dazu beigetragen, unser Verständnis von Kultur zu erweitern und für die dynamischen Kulturprozesse der Gegenwart zu öffnen. Erinnert sei nur an die UNESCO-Kulturkonferenz von Mexiko 1982, seit der international eine an anthropologischen und ethnologischen Begrifflichkeiten angelehnte Definition von Kultur benutzt wird, in der die Kultur als Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften angesehen wird, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen, und die über Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen umfasst. Dieser weite Ansatz wurde 2005 in der Definition des Begriffs der kulturellen Vielfalt im „Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ bekräftigt. Im Sinne dieses Kulturverständnisses war es nur konsequent, dass die UNESCO über das Natur- und Kulturerbe hinaus - siehe Welterbekonvention von 1972 - mit ihrem Übereinkommen von 2003 auch das immaterielle Kulturerbe unter Schutz gestellt sehen wollte und damit das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes schuf. Wir als Linke teilen dieses Kulturverständnis und sehen die Notwendigkeit, überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, so auch die Sprachen, die verschiedenen Formen der Künste, gesellschaftliche Praktiken, Rituale und Feste, Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur oder auch traditionelle Handwerkstechniken, zu schützen. Viele dieser Kulturformen gehen weltweit durch die Globalisierung verloren, und zwar in einer unheilvollen Geschwindigkeit. Insofern halten wir es für notwendig, dass Deutschland das UNESCO-Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes baldmöglichst ratifiziert. Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat sich Zu Protokoll gegebene Reden 2007 mit einer Handlungsempfehlung dafür ausgesprochen. Seitdem hat sich nicht viel getan. Daher ist es zu begrüßen, wenn jetzt hier im Bundestag zwei Anträge zu diesem Thema vorliegen. Allerdings sind diese unterschiedlich weitgehend und konkret. Der Antrag der Koalition verbleibt, was den zeitlichen Horizont, die konkrete Zielstellung und die inhaltlichen Punkte der Gespräche und notwendigen Vereinbarungen mit den Ländern betrifft, im Unverbindlichen. Anders der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ziel ist, das Übereinkommen bis Ende 2012 zu ratifizieren, sich mit den Ländern über eine qualitätssichernde Methode zur Erstellung von Bestandsaufnahmen und über die Einrichtung eines gemeinsamen Forums mit fachlicher Legitimität - ähnlich wie in der Schweiz bzw. Österreich - zu verständigen und ein bundesweit einheitliches Verfahren und klare Entscheidungskriterien für eine Anmeldung und Auswahl für eine nationale Inventarliste zu erreichen. Das ist weitaus konkreter und zielführender. Diese wie auch die folgenden Punkte des Antrags von SPD und Grünen sollten in einen überarbeiteten Antrag eingehen, der nach unserer Vorstellung ein gemeinsamer Antrag aller Parteien sein sollte. Wir als Linke stehen jedenfalls für eine Zusammenarbeit bereit. Das Anliegen ist es wert, dem Bundestag einen gemeinsamen Antrag vorzulegen. Die Empfehlung der Enquete-Kommission war eine aller Parteien, auch mit unseren Stimmen. Es gibt keinen überzeugenden Grund, warum eine parteiübergreifende Zusammenarbeit in dieser Angelegenheit nicht auch jetzt möglich sein sollte. Die Bundesregierung hat als Grund für ihre bisher abwartende Haltung vor allem die Unklarheit darüber angeführt, nach welchen Kriterien immaterielle Kulturgüter ausgewählt werden sollten. Zudem sei durch Experten auf die Gefahr hingewiesen worden, dass es aufgrund der fehlenden Kriterien zu Missbrauch für ökonomische oder ideologische Interessen kommen könne. Nun wird aber im Koalitionsantrag selbst festgestellt, dass diese Bedenken durch die Umsetzungspraxis anderer Länder, zum Beispiel Österreichs und der Schweiz, ausgeräumt werden konnten. Das internationale Fachgespräch zur Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens am 25. März 2009 im Kulturausschuss kam zu dem gleichen Ergebnis und bestärkte auch uns, dieses Thema nachdrücklich weiterzuverfolgen. Allerdings ist zwingend, die Kriterien zur Auswahl klar zu definieren und dazu ein gemeinsames Forum mit fachlicher Kompetenz einzurichten, um den Prozess der Ratifizierung vorzubereiten und die Umsetzungspraxis zu begleiten. In diesen Abstimmungsprozess sollten zivilgesellschaftliche Akteure einbezogen werden. Das Wichtigste ist, im Prozess der Vorbereitung und Umsetzung der Konvention eine breite innergesellschaftliche Debatte darüber zu führen, was auf Basis der schon im Übereinkommen formulierten Begriffsbestimmungen zum immateriellen Kulturerbe zu zählen ist und was wir von deutscher Seite für die Aufnahme in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit vorschlagen. Da Deutschland bisher nicht ratifiziert hat, sind ja noch keine deutschen Titel in die Liste aufgenommen worden. Diese grundsätzliche Debatte steht uns noch bevor. So wird auch in Deutschland über die kulinarische Kultur diskutiert. Diese Diskussion über eine regional geprägte Küche mit ihren typischen Gerichten und ihrer Praxis entwickelt sich derzeit zu einer Art Gegenbewegung und Gegenkultur zum globalisierten Fastfood. So gibt es in Thüringen eine Initiative zur Rettung der Thüringer Klöße. „Der Kloß soll für Deutschland stehen, die UNESCO soll ihn als immaterielles Kulturerbe absegnen“ - so die Vorstellung von Sylk Schneider, Chef des Thüringer Kloßmusems in Heichelheim bei Weimar, der sich seit 2007 dafür einsetzt, die Thüringer Leibspeise zu bewahren. Über diese Idee wurde viel gelacht, aber eine Unterschriftenliste von Tausenden Bürgerinnen und Bürgern aus Politik und Gesellschaft, auch aus den Reihen des Bundestages, zeigt, wie viel Unterstützung es für diese Idee gibt. Nun möchte ich nicht, dass der Bundestag darüber abstimmt, dass Thüringer Klöße zum Welterbe erklärt werden. Aber ich möchte schon, dass wir dieses Ansinnen nicht als lächerlich abtun, sondern uns auch hier im Hause ernsthaft damit beschäftigen, was denn die Kriterien für immaterielles Weltkulturerbe sein könnten. Wir sollten die Ratifizierung des Abkommens zügig auf den Weg bringen.

Agnes Krumwiede (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004082, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Jahr 2003 hat die UNESCO das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes verabschiedet. In Kombination mit der UNESCO-Konvention zu Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen sowie zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt ist das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes die logische Ergänzung. Seit 2006 haben weltweit 134 Staaten das Übereinkommen ratifiziert. Die Aktivitäten zur Umsetzung sind in vollem Gange. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung dem Vorbild Asiens und zahlreicher europäischer Länder folgt und nun endlich den Ratifizierungsprozess in Deutschland in Gang bringen möchte. Die Nominierung immaterieller Kulturgüter ist weitaus komplizierter als jene substanzieller Güter wie beispielsweise von Gebäuden, der Artenvielfalt oder einzigartigen Naturlandschaften. Denn immaterielle Kulturgüter sind nicht nur haptisch, sondern insbesondere auch definitorisch schwer greifbar. Stetige Veränderung und kulturelle Interaktion gehören ebenso zu ihren Merkmalen wie die Verwurzelung ihrer Tradition unter gesellschaftlichen Gruppen oder in der gesamten Gesellschaft. Immaterielle Kulturgüter wie Märchen, alte deutsche Volkslieder oder Traditionsfeste - um einige exemplarische Beispiele zu nennen - sind untrennbar mit unserer Identität verknüpft. Als Fundament unserer kulturellen Vielfalt benötigen immaterielle Kulturgüter Wertschätzung und Schutz durch Anerkennung im Rahmen des UNESCO-Übereinkommens. Zu Protokoll gegebene Reden Deutschtümelei und Ausgrenzungstendenzen bei der Suche nach schützenswerten immateriellen Kulturgütern in Deutschland sind unbedingt zu vermeiden: Es entspricht dem Wesen von Kunst und Kultur, von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt zu sein und sich unablässig weiterzuentwickeln. Immaterielle Kulturgüter symbolisieren die Transformationsprozesse unserer Kultur und Gesellschaft. Bei der Auswahl schützenswerter immaterieller Kulturgüter muss einem ökonomischen, ideologischen und politischer Missbrauch vorgebeugt werden. Dies betont auch die Koalition im Feststellungsteil Ihres Antrags, entwickelt jedoch aus dieser Erkenntnis keine entsprechenden Schlussfolgerungen, wozu auch die Erstellung eines nationalen Kriterienkatalogs gehört. Wir fordern in unserem gemeinsamen Antrag mit der SPD ein bundesweit einheitliches Verfahren und klare Entscheidungskriterien, auf deren Grundlage die Anmeldung und Auswahl für die nationale Inventarliste erfolgen sollte. Kontraproduktiv wäre es, immaterielle Kulturgüter unter dem Schutz des UNESCO-Übereinkommens zu kommerzialisieren. Vielmehr sollte es darum gehen, diese Kulturgüter und Traditionen qualitativ zu erhalten, weiterzuentwickeln und die Zugangsmöglichkeiten zu verbessern. Angesichts der Komplexität des Themas ist es notwendig, konkrete politische Rahmenbedingungen festzulegen, sowohl für die Methodik der Nominierung als auch für den weiteren Umgang zur Bewahrung der ausgewählten immateriellen Kulturgüter. Wie kann beispielsweise der theoretische Schutz alter Volkslieder im Rahmen des UNESCO-Übereinkommens gewährleistet werden, wenn an vielen Schulen musische Fächer gekürzt und somit auch das Singen immer weniger gefördert wird zugunsten der sogenannten MINT-Fächer? In unserem Antrag mit der SPD fordern wir ein Konzept zur Methodik der Nominierung und zum Schutz der ausgewählten immateriellen Kulturgüter. Diese Aspekte bleiben im vorliegenden Antrag der Koalition völlig unberücksichtigt. Als Vorbild kann uns das Auswahlverfahren der Schweiz dienen. Dort wurde ein allen Bürgerinnen und Bürgern offenstehendes Forum für das immaterielle Kulturerbe eingerichtet, um den Prozess der Ratifikation und die Umsetzungspraxis der Konvention zu begleiten. Wir brauchen in Deutschland ein adäquat basisdemokratisches Auswahlverfahren, um die Sichtweisen und Interessen unterschiedlicher kultureller und gesellschaftlicher Gruppen umfassend zu berücksichtigen. Das gesamte Spektrum unseres Reichtums an immateriellen Kulturgütern muss zur Disposition stehen: Die deutsche Theater- und Operntraditionen und das Puppenspiel ebenso wie jüngere Kunstformen, beispielsweise die Phänomene der Jugendkultur - Rap, Hip-Hop oder Poetry-Slam. Die Techniken der Pigmentmischungen in der Malerei ebenso wie das Kunsthandwerk mit unterschiedlichen Materialien der Bildhauerei, der Töpferei oder des Holzschnitts. Qualitative Unterteilungen in „Hoch“- und „Subkultur“ dürfen genauso wenig eine Rolle spielen wie Präferenzen einzelner Kunst- und Kultursparten. Im Bereich des Brauchtums sollten nicht nur Trachtenfeste zur Auswahl stehen, sondern beispielsweise auch der Christopher-Street-Day, welcher mittlerweile in Deutschland zur Tradition geworden ist. Das traditionsreiche Kulturgut der deutschen Minderheiten - zum Beispiel der Sorben oder der deutschen Sinti und Roma - muss gleichermaßen in die Überlegungen zur Schutzbedürftigkeit miteinfließen wie die kulturelle Dimension des Internets. Die Palette immaterieller Kulturgüter in Deutschland ist facettenreich und bunt. Wenn Bürgerinnen und Bürger die Chance erhalten, mitzubestimmen, welche immateriellen Kulturgüter ihnen am Herzen liegen, kann dadurch auch das Bewusstsein für den Wert unserer kulturellen immateriellen Güter gestärkt werden. Diese neue Wertschätzung wäre eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Deshalb müssen wir Konzepte finden, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger, Organisationen und Interessenverbände bei der Erstellung von Inventarlisten zur Unterschutzstellung durch das UNESCO-Übereinkommen zu beteiligen. Nicht die Politik, sondern Bürgerinnen und Bürger müssen darüber entscheiden, welche immateriellen Kulturgüter Deutschland für das UNESCO-Übereinkommen nominieren wird.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6314 und 17/6301 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Das ist der Fall. Somit ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 sowie Zusatzpunkt 13 auf: 21 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gunkel, Heinz-Joachim Barchmann, Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Übermittlung von Fluggastdaten nur nach europäischen Grundrechts- und Datenschutzmaßstäben hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 EUZBBG zum Richtlinienvorschlag KOM({0}) 32 endg. - Drucksache 17/6293 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland, Volker Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gutachten über die geplanten EU-Fluggastdatenabkommen mit den USA und Australien Vizepräsident Eduard Oswald beim Gerichtshof der Europäischen Union einholen - Drucksache 17/6331 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.1) Es sind alle Kolleginnen und Kollegen damit einverstanden. Die Namen liegen uns hier vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 17/6293 und 17/6331 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden. Somit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Neuordnung des Geräte- und Produktsicherungsrechts - Drucksache 17/6276 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier vor. Sie sind einverstanden, dass wir so verfahren.

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dass die Frage nach der Sicherheit von technischen Geräten in einem europäischen Kontext beantwortet wird, war in den letzten Dekaden mitnichten eine tra- dierte Selbstverständlichkeit. Sie stellte sich erst mit dem freien Warenverkehr in der Europäischen Gemein- schaft. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde sie - wenn über- haupt - nationalstaatlich beantwortet. Dies führte in der Tendenz eher dazu, dass aufgrund unterschiedlicher technischer Anforderungen an die Produktsicherheit Handelshemmnisse aufgebaut wurden, anstatt sie abzu- bauen. Das ist alles nicht neu. Mein geschätzter Kollege Mierscheid als eine der großen Koryphäen auf dem Ge- biet der Produktsicherheit hat darauf hingewiesen. Ich erinnere nur daran, dass er sich erst kürzlich mit den Ei- genschaften des Ruder-Achters befasst hat, auch und ge- rade unter dem Gesichtspunkt der Produkt- und Geräte- sicherheit. Gerätesicherheit wird mittlerweile nicht mehr isoliert nationalstaatlich definiert, sondern innerhalb der Euro- päischen Union miteinander abgestimmt. Mit dem Ge- räte- und Produktsicherheitsgesetz wurde ab 1. Mai 1) Anlage 21 2004 die europäische Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit in Deutschland in nationales Recht umgesetzt. Es regelt unter anderem das Inverkehrbringen von technischen Arbeitsmitteln, aber auch von komplexen Anlagen und stellt somit auch eine Grundlage für einen funktionierenden Arbeitsschutz dar. Kurzum bietet es eine Rechtsgrundlage, um unsichere Produkte vom Warenverkehr auszuschließen. Es trägt damit zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen bei, weshalb ihm eine umfassende wirtschafts- und damit auch arbeitsmarktpolitische Bedeutung zukommt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf über die Neuordnung des Geräte- und Produktsicherheitsrechts wird unter anderem die Geräte- und Produktsicherheit europarechtlich harmonisiert. Diese Harmonisierung erleichtert den Warenaustausch auf dem europäischen Markt, soll aber in erster Linie den Verbraucher- und Arbeitsschutz EU-weit auf hohem Niveau sichern. Mit dem Produktsicherheitsgesetz wird auch die Zusammenarbeit von Marktüberwachung und Zoll gestärkt werden, um die „Einreise“ unsicherer Produkte möglichst frühzeitig erkennen und verhindern zu können. Mit dem Gesetzentwurf verweisen wir ausdrücklich auf die Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen Zoll- und Marktüberwachungsbehörden. Dabei sollen die Zollbehörden insbesondere berechtigt und verpflichtet werden, alle für weitere Maßnahmen erforderlichen Informationen an die zuständige Marktüberwachungsbehörde weiterzugeben. Hierzu zählen zum Beispiel Informationen wie Name und Anschrift des Empfängers und des Absenders, Versendungsland, Ursprungsland etc. Dies ermöglicht ein Eingreifen der Marktüberwachungsbehörden zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, aber auch die Informationsgewinnung über Produkte aus Drittländern, die sich bereits auf dem Gemeinschaftsmarkt befinden. Dadurch wird eine Erhöhung der Effektivität der Marktüberwachungsbehörden erreicht. Ebenso wollen wir das GS-Zeichen für „geprüfte Sicherheit“ nachhaltig stärken, um Missbrauch zu erschweren; denn mit einem gefälschtem GS-Zeichen wird nicht nur der betroffenen GS-Stelle ein wirtschaftlicher Schaden zugefügt, sondern die Zuverlässigkeit der mit dem GS-Zeichen verbundenen Aussage insgesamt in Zweifel gezogen. Daher werden die GS-Stellen künftig verpflichtet, gegen Hersteller, die ihr GS-Zeichen unerlaubterweise verwenden, vorzugehen. Die GS-Stelle wird geeignete Maßnahmen zu treffen haben, wie zum Beispiel die Abmahnung eines widerrechtlichen Verwenders, die Aufforderung zur Abgabe von Unterlassungserklärungen, das Einschalten der Wettbewerbszentrale oder die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im Klagewege vor den örtlichen Gerichten. Die anderen GS-Stellen sind in diesen Fällen zu unterrichten, da nicht auszuschließen ist, dass auch andere GS-Zeichen von diesem Hersteller unerlaubterweise verwendet werden. Die Hersteller werden verpflichtet, Informationen zu Fälschungen ihres GS-Zeichens zu veröffentlichen. Damit wird die Grundlage für eine „Liste schwarzer Schafe“ gelegt, die letztlich potenzielle Fälscher abschrecken soll. All das klingt sehr technisch. In der Quintessenz aber geht es darum, den Konsumenten- und Arbeitsschutz über die Geräte- und Produktsicherheit auf einem hohen Niveau sicherzustellen und einen fairen Wettbewerb um qualitativ hochwertige Produkte zu wahren.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Neuordnung des Geräte- und Produktsicherheitsrechts, über den wir heute in erster Lesung beraten, stellt eine Anpassung an die seit dem 1. Januar 2010 geltende EGVerordnung zur Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten dar. Insgesamt sieht der Gesetzentwurf umfangreiche sprachliche und systematische Verbesserungen vor. Darüber hinaus berücksichtigt der Entwurf Vorschläge des Bundesrates sowie der Ad-hoc-Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Verbesserung und Stärkung der Marktüberwachung und setzt weitere EG-Richtlinien um. Gerade im Hinblick auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Exports für Deutschland ist es wichtig, einheitliche europäische Rahmenbedingungen zu schaffen. Erst einheitliche Standards sorgen für einen fairen Wettbewerb und stärken weiterhin das Vertrauen in unsere Produkte. Das Produktsicherheitsgesetz gilt gemäß § 1 dann, wenn im Rahmen einer Geschäftstätigkeit Produkte auf dem Markt bereitgestellt, ausgestellt oder erstmals verwendet werden und darüber hinaus für die Errichtung und den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen, die gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienen oder durch die Beschäftigte gefährdet werden können. Aus diesem breiten Anwendungsspektrum geht hervor, dass der Gesetzentwurf umfangreiche Änderungen in verschiedensten Gesetzen, wie beispielsweise dem Produktsicherheitsgesetz, der Betriebssicherheitsverordnung, dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, dem Medizinproduktegesetz, dem Atomgesetz und der Fahrzeugverordnung vorsieht. Hervorzuheben ist hier die besondere Bedeutung der im Gesetzentwurf vorgenommenen Verbesserungen für die Maschinenrichtlinie und die Niederspannungsrichtlinie. Da diese insbesondere unsere wichtigen Branchen Maschinenbau und Elektrotechnik betreffen, sind sie für den Wirtschaftsstandort Deutschland von herausragender Bedeutung. Ziel des Gesetzes ist es, zu gewährleisten, dass alle auf dem Markt angebotenen Produkte nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie so beschaffen sind, dass bei bestimmungsgemäßer Verwendung oder vorhersehbarer Fehlanwendung Sicherheit und Gesundheit von Verwendern oder Dritten nicht gefährdet werden. Rückrufaktionen sind heute nicht selten geworden. Da viele Produktmängel häufig erst nach der Auslieferung zutage treten, ist es wichtig, wirkungsvolle Regelungen zur frühzeitigen Identifizierung von Mängeln aufzustellen. Gerade in der heutigen Zeit, in der technisch hochentwickelte Produkte auf dem Markt sind, deren Funktionsweise der Konsument nicht ohne Weiteres nachvollziehen kann, ist es wichtig, auf einen wirkungsvollen Marktregulierungsmechanismus vertrauen zu können. Dies unterstreicht auch eine aktuelle Statistik des Kraftfahrt-Bundesamtes. Daraus geht hervor, dass sich beispielsweise die Anzahl der Rückrufaktionen aus der Automobilbranche in Deutschland von 2009 auf 2010 von 140 auf 185 erhöhte. Das Gesetz sorgt nun für besseren Schutz der Verbraucher und für klare Regeln für Rückrufaktionen. Ferner schreibt das Gesetz umfassende Informationsund Identifikationspflichten für Hersteller und Händler vor. So muss eine eindeutige Zuordnung aller Produkte zu ihrem Hersteller möglich sein. Der Verbraucher muss über alle möglichen Gefahren aus dem Gebrauch eines Produkts oder auch über vorhersehbare Fehlanwendungen hinreichend aufgeklärt werden. Gefährdet ein Produkt Sicherheit und Gesundheit der Konsument, müssen Hersteller, Bevollmächtigte und auch Importeure unverzüglich die zuständigen Behörden unterrichten und mit ihnen kooperieren. Sollte die Sicherheit eines Produkts nicht gewährleistet sein und Mängel festgestellt werden, so müssen Produkte vom Markt genommen werden. Hierzu ist es notwendig, dass Unternehmen Rückruf-Managementsysteme installieren. Zudem sind im Gesetz Sanktionen verankert, die die Einhaltung der Regelungen gewährleisten sollen. Diese liegen je nach Einstufung der Vorhersehbarkeit des Mangels durch den Hersteller bei bis zu 10 000 Euro oder in gravierenden Fällen auch bei einem Bußgeld von maximal 50 000 Euro. Der Gesetzentwurf sieht folgende weitere konkrete Anpassungen vor: So soll die Marktüberwachung durch eine bessere Zusammenarbeit mit dem Zoll verbessert werden. Dadurch sollen möglichst frühzeitig gefährliche Produkte identifiziert und vom Markt genommen werden können. Nach Abschluss der Beratungen im Ausschuss für Arbeit und Soziales ist vorgesehen, über den Gesetzentwurf im September dieses Jahres abzustimmen. Hier hoffe ich auf die Unterstützung der Fraktionen, um durch den vorliegenden Gesetzentwurf eine wichtige Verbesserung der Marktüberwachung und der Produktsicherheit erreichen zu können.

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Arbeits- und Gesundheitsschutz ist ein Thema, das viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält. Dabei müssen wir uns alle fragen: Wie gestalten wir unsere Arbeitswelt so, dass wir nicht durch unsere Arbeit krank werden? Lebensbedrohliche Unfälle an Arbeitsplätzen werden zum Glück immer weniger. Dafür gibt es neue Berufskrankheiten. Vor allem psychische Erkrankungen und MuskelSkelett-Erkrankungen, insbesondere im Rückenbereich, nehmen stetig zu. Den psychischen Belastungen am Arbeitsplatz müssen wir uns politisch und gesellschaftlich deutlich stärZu Protokoll gegebene Reden ker widmen. Von vielen Arbeitnehmern werden psychische Erkrankungen noch als persönliche Schwäche wahrgenommen. Hier müssen wir handeln; denn die Zunahme von psychischen Erkrankungen ist meistens den veränderten Arbeitsbedingungen geschuldet. Ich kenne dies aus der Arbeitswelt am Fließband, wo ein knallharter Wettbewerb besteht und die Arbeitnehmer zu dauernder Leistungsoptimierung verpflichtet sind. Wir können noch gar nicht vorhersehen, wie sich die psychischen Erkrankungen in Zukunft entwickeln werden; denn unsere Arbeitswelt wird sich immer mehr beschleunigen. Daher müssen wir heute handeln, um für die Zukunft Lösungen zu haben. Wir brauchen betriebliche Maßnahmen zur Vermeidung von psychischen Belastungen wie eine Verringerung der Arbeitsintensität, mehr Pausen und eine abwechslungsreiche Arbeitsplatzgestaltung. Hier müssen wir die Gewerkschaften vor Ort unterstützen. Eine zweite große Aufgabe des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind die Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmer. Wenn wir hier im Bundestag über die Erhöhung des Renteneintrittsalters debattieren, spielt der Arbeits- und Gesundheitsschutz dabei eine zu geringe Rolle. Dabei ist dies so entscheidend dafür, dass die Menschen eine Chance bekommen, erstens tatsächlich bis 67 arbeiten zu können und zweitens gesund in Rente gehen zu können, damit sie diese dann auch genießen können. Dazu müssen in den Betrieben angemessene Arbeitsplätze eingerichtet werden, um die sinkende Körperkraft auszugleichen und die steigende Sozialkompetenz und Erfahrung älterer Arbeitnehmer zu nutzen. Dazu brauchen wir eine verstärkte Prävention, Schonarbeitsplätze, einen Belastungsmix, ergonomische Lösungen und flexible Arbeits- und Pausenzeiten. In Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen finden altersgerechte Arbeitsbedingungen bisher noch zu wenig Widerhall - auch hier müssen wir mit Gewerkschaften und Betrieben vor Ort zusammenarbeiten und sie politisch unterstützen. Deshalb müssen wir hier über Förder- und Zuschussregelungen für betriebliches Gesundheitsmanagement diskutieren. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie und ob wir altersgerechte Arbeitsplätze fördern können, in Form eines Bonus für die Unternehmen oder in Form von Lohnzuschüssen. Ein wichtiger Punkt, der mich auch zum Gesetzentwurf bringt, den wir heute diskutieren, ist die Kontrollmöglichkeit der staatlichen Gewerbeaufsicht und der Betriebsräte. In den allermeisten Ländern wurden die Gewerbeaufsicht und andere Aufsichtsämter jedoch in den letzten Jahren deutlich personell ausgedünnt. Vielfach ist vor Ort keine ausreichende Kontrolle mehr möglich. Auch die Überprüfung der neuen Aufgaben aus der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie kann derzeit kaum geleistet werden. Wir alle wissen aber: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Gerade in einem sensiblen und hoch spezialisierten und technisierten Bereich wie der Geräte- und Produktsicherheit ist eine solide Kontrolle notwendig. Arbeitsmittel und Anlagen müssen auch weiterhin geprüft werden. Daher appelliere ich, dass wir im Bereich der Gewerbeaufsicht ausreichend Personal für die gewachsenen Aufgaben zur Verfügung stellen. Eine weitere Frage, die sich mir bei der Anpassung unserer Gesetzeslage an die Verordnung sowie bei der Umsetzung der zahlreichen Richtlinien stellt, ist die Höhe der Sanktionen. Wir haben diese Frage bereits bei der Umsetzung der Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten diskutiert. Bei den Europäischen Betriebsräten hatte die EU-Richtlinie wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Verstöße gefordert. Die Höhe der Verstöße muss national festgelegt werden. Das Gesetz zu den Euro-Betriebsräten sieht dafür 15 000 Euro vor - und nicht nur ich, sondern auch viele betriebliche und gesellschaftliche Akteure haben gesagt, dass davon kein Unternehmen abgeschreckt wird. Wenn ein Unternehmen am Europäischen Betriebsrat vorbei agieren will, zahlt es diese 15 000 Euro zur Not aus der Portokasse. Die gleiche Diskussion können wir nun hier bei der Geräte- und Produktsicherheit führen. Art. 41 der Verordnung ({0}) 765/2008 fordert Sanktionen, die „spürbar, verhältnismäßig und abschreckend“ sind. Auch hier halte ich 50 000 Euro, wie von der Regierung vorgeschlagen, nicht für ausreichend. Ich unterstütze daher ausdrücklich die Empfehlungen der Bundesratsausschüsse, die die Sanktionen in einem Änderungsantrag deutlich erhöhen wollen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich fordere Sie dazu auf, diese Vorschläge der Bundesländer in Ihren Gesetzentwurf aufzunehmen. Auch die anderen Änderungsvorschläge der Bundesländer müssen wohlwollend geprüft werden. Darunter ist auch der Hinweis, dass die im Gesetz angesprochene „Fehlanwendung“ in der EU-Rechtsetzung nicht bekannt sei. Hier ist - wenn das Gesetz schon rechtssystematisch geordnet wird - eine Klarstellung wichtig. Auch halte ich eine Klarstellung der Kompetenzen im Bereich des Zolls für notwendig. Zudem halte ich es beim Arbeits- und Gesundheitsschutz für wichtig, dass drittschützende Regelungen im Bereich des Arbeitsschutzes und damit in der Zuständigkeit des BMAS verbleiben. Lassen Sie mich dazu ein einfaches Beispiel anführen: Der Schutz für den Monteur, der eine Rolltreppe wartet, liegt in der Zuständigkeit des BMAS. Sollte der Drittschutz ausgegliedert werden, wären Frau und Kind, die diese Rolltreppe nutzen, in der Zuständigkeit eines anderen Ministeriums. Das wäre absurd. Der Drittschutz muss daher im Arbeitsschutzrecht verbleiben. Ich freue mich auf die weitere Beratung des Gesetzentwurfs. Wir müssen hierbei bei jedem Schritt überdenken: Was bringen die Umsetzung der Richtlinien und die Anpassung des Gesetzes an die angesprochene Verordnung für die Arbeitnehmer? Wie können wir dafür sorgen, dass der Arbeitsschutz auch auf der technischen Ebene, über die wir heute sprechen, verbessert wird? Und die weiteren Aufgaben im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz, die ich angesprochen habe, dürfen wir dabei nicht aus den Augen verlieren: Wir müssen unsere Arbeitswelt so gestalten, dass berufsbedingte, insbesondere psychische Erkrankungen nicht immer weiter zuZu Protokoll gegebene Reden nehmen und dass die Menschen eine realistische Chance darauf haben, länger zu arbeiten und dann gesund in Rente zu gehen.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kernelement des Entwurfs ist die Anpassung des Geräte- und Produktsicherheitsrechts an die seit 1. Januar 2010 geltende Verordnung ({0}) Nr. 765/2008 zur Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten. Außerdem greift der Entwurf Vorschläge des Bundesrates zur Verbesserung der Marktüberwachung sowie der Ad-hoc-BundLänder-Arbeitsgruppe zur Stärkung der Marktüberwachung auf. Zudem setzt das Gesetz die Richtlinie über Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden sowie Teile der Richtlinie über die Sicherung von Spielzeug um. Das vorliegende Gesetz wird zukünftig die zentrale Rechtsvorschrift für die Vermarktung von Produkten in Deutschland sein. Aufgrund des erheblichen Änderungsumfangs wurde das Gesetz komplett neu gefasst, wodurch auch an einigen Stellen überfällige Rechtsklarheit geschaffen wurde. Durch die Zusammenfassung sind keine umständlichen neuen Gesetzesnormen geschaffen worden, vielmehr wurden die bestehenden Regelungen erheblich verschlankt. Gerade in der Marktüberwachung haben wir den zuständigen Behörden den Handlungsspielraum gegeben, der notwendig ist, ein hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten und einen fairen Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmen zu sichern. Dies wird unter anderem durch die intensivierte Zusammenarbeit zwischen Marktüberwachung und Zoll erreicht. Dadurch können gefährliche Produkte möglichst frühzeitig aufgespürt und aus dem Verkehr gezogen werden. Durch die Erstreckung der Marktüberwachungsbestimmungen auf alle dem Gesetz unterfallenden Produkte wird die bestehende Einheitlichkeit der Marktüberwachung gewahrt. Gerade für Liberale ist der beste Weg im Verbraucherschutz, Transparenz zu schaffen und somit den Verbraucher durch Informationen in seiner freien Konsumentscheidung unterstützen. Dies schafft ein Zeichen in Deutschland besser als alles andere: Das GS-Zeichen, „geprüfte Sicherheit“, steht für Sicherheit und Verlässlichkeit bei Produkten und Geräten. Es ist neben dem CE-Zeichen das einzige gesetzlich geregelte Prüfzeichen für Produktsicherheit in Europa. Verbraucher erhalten über das GS-Zeichen die Information, dass ein Produkt, das sie erworben haben, sicher ist. Und durch neue, noch strengere Regelungen wird das Vertrauen der Verbraucher in das GS-Zeichen bestätigt und vertieft. So kann noch besser als bisher Missbrauch bekämpft werden. Durch die Zusammenführung der Bestimmungen zum GS-Zeichen wird auch dem Verbraucher der Überblick über die entsprechenden Regelungen erleichtert. Dieser vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt, um die Europäische Union sicherer und für den Verbraucher transparenter zu machen. Daher würde ich mich freuen, wenn auch in diesem Hohen Hause über die Parteigrenzen hinweg diese Regelungen Zustimmung finden würden.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das Gesetz ist überwiegend eine Umsetzung von EUVerordnungen in deutsches Recht. Deshalb sind die Spielräume, gestalterisch tätig zu werden, durchaus begrenzt. Aber: Besser geht immer! Wichtig ist das Gesetz, da wir in weiten Teilen unseres Privat- und Arbeitslebens mit Geräten und Produkten zu tun haben. Wer will nicht, dass diese sicher sind! Viel zu oft sind schädliche Produkte und veraltete Maschinen in Umlauf und Gebrauch. Hier muss konsequent zum Schutze der Menschen gehandelt werden. Mit dem vorliegenden Gesetz lässt die Bundesregierung ohne Not große Lücken im Arbeits- und Verbraucherschutz. Die Linke sieht deutlichen Verbesserungsbedarf: Erstens wurde im Gesetzentwurf beim Verbraucherschutz geschludert. Mehr als 2 200 gefährliche Produkte sind im vergangenen Jahr dem Schnellwarnsystem der EU, RAPEX, gemeldet worden; das ist eine Steigerung um 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2009. Nach Kleidung belegte Kinderspielzeug den zweiten Platz der am meisten gefährlichen Produktgruppen. 25 Prozent der Warnungen betreffen Kinderspielzeug. Stiftung Warentest deckte in ihren letzten Berichten auf, dass die meisten Produkte für Kinder, zum Beispiel Fahrradanhänger oder Kinderspielzeug, extrem schadstoffbelastet sind; das betrifft auch teure deutsche Markenprodukte. Am Schlimmsten ist deshalb: Der Gesetzentwurf enthält keine Aussage zu den Grenzwerten bei sogenannten PAK-Stoffen und sonstigen krebserzeugenden Stoffen in Kinderspielzeug. Die Linke kritisiert des Weiteren: Die CE-Kennzeichnung bleibt weiterhin eine große Verbrauchertäuschung: Sie wird von den Herstellern der Produkte vergeben, als Nachweis dafür, dass die gesetzlichen Bestimmungen bei diesem Produkt eingehalten wurden. Sie erfolgt ohne Prüfung durch eine unabhängige Einrichtung wie zum Beispiel den TÜV. Eine Prüfung erfolgt nur per Stichprobe und größtenteils durch die unterbesetzten Marktüberwachungsbehörden oder wenn bereits etwas passiert ist. Die Linke fordert: Verbraucher brauchen eine zentrale Anlaufstelle, bei der sie gefährliche Produkte melden können. Je nach Herstellungsort und Produktgruppe sind unterschiedliche Behörden zuständig. Das ist nicht hinnehmbar! Kinderspielzeug darf nicht ungeprüft auf den Markt kommen. Die Schadstoffgrenzwerte für Kinderspielzeug und sonstige kindernahe Produkte müssen nach dem Prinzip „so gering wie möglich“ festgelegt werden. Zweitens droht im Arbeitsschutz sogar eine Verschlechterung. Im neuen Gesetz entfällt für ein Unternehmen die Prüfung, ob ein gebraucht gekauftes technisches Gerät bereits einmal im europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebracht wurde. Es müssen stattdessen nur noch Zu Protokoll gegebene Reden allgemeine Anforderungen erfüllt sein; die Betriebssicherheitsverordnung ist nun allein entscheidend. Die Betriebssicherheitsverordnung, die die Bedingungen der Betriebssicherheit von Geräten letztlich festschreibt, ist aber ebenfalls in der Überarbeitung. Es ist ein Skandal, dass hier ein Gesetz zur Diskussion steht, dessen letztendliche Haltelinie für den Arbeitsschutz in einer Verordnung liegt, die noch überarbeitet wird. Dass veraltete Geräte nicht durch Geräte mit einem höheren Standard ersetzt werden müssen, wenn diese auf den Markt kommen, wird im Gesetz ausdrücklich nicht als Gefährdung der Sicherheit bezeichnet. Hier muss nachgebessert werden! Die Linke fordert: Bei jedem alten Gerät muss gekennzeichnet sein, wo und in welchem Maße sie nicht mehr den neuesten Standards entspricht. Nur so kann sichergestellt sein, dass Achtsamkeit und Gefahrenbewusstsein zumindest geschärft werden. Des Weiteren fordern wir, dass festgestellte Mängel an Geräten und Produkten konsequent öffentlich gemacht werden. Es kann nicht sein, dass der Schutz des Unternehmens vor negativer Presse wichtiger sein soll als der Arbeits- und Verbraucherschutz. Ein Gesetz, das die Einwilligung des betroffenen Unternehmens vorsieht, ist ein zahnloser Tiger. Drittens ist die Frage der Kontrolle ungeklärt: Die Bundesregierung erlässt ein Gesetz, welches die Länder in ihren Kontrollbehörden umsetzen müssen. Diese sind finanziell und personell schlecht ausgestattet, und ihnen werden hier keine zusätzlichen Mittel in Aussicht gestellt. Nach dem Willen der Bundesregierung werden die Prüfungen also weiterhin von unterbesetzten Marktüberwachungsbehörden und nur per Stichprobe erfolgen. Das ist zu wenig! Die Linke fordert: Die CE-Kennzeichnung muss Vertrauen geben, deshalb darf sie nur mit Prüfung vergeben werden. Die verpflichtende Kontrolle bedarf der Kostenübernahme durch die Unternehmen. Auch hier steht die Linke konsequent für den Grundsatz: Menschen vor Profite! Dieses Gesetz entspricht diesem strengen Kriterium jedenfalls nur in Ansätzen.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir begrüßen, dass das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz ({0}) klarer strukturiert sowie verständlicher gefasst und die Marktüberwachung im europäischen Verbund besser abgestimmt wird. Durch die Anpassung deutscher Gesetze an europäische Richtlinien wird auch ein wichtiger Beitrag zum Schutz der Beschäftigten und der Verbraucher geleistet. Der Sachverhalt, der mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geregelt werden soll, betrifft dabei in besonderem Maße den Arbeitsschutz. Bei den Produkten im Sinne des bisherigen GPSG handelt es sich neben Verbraucherprodukten um technische Arbeitsmittel. Es liegt im Interesse der Arbeitnehmenden wie auch der Betriebe, dass eine Gefährdung von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch Arbeitsmittel verhindert wird. Dazu bedarf es geeigneter Prüf- und Kontrollmethoden. Die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Marktüberwachung und Zoll, damit gefährliche Produkte früher aufgespürt werden können, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dadurch könnte ein höheres Sicherheitsniveau der Produkte erreicht und zu einem faireren Wettbewerb zwischen den Herstellern beigetragen werden. Bessere gesetzliche Bestimmungen sind allerdings nur dann wirksam, wenn sie mit Nachdruck durchgesetzt und Verstöße angemessen und zeitnah sanktioniert werden. Deswegen muss sich erst noch zeigen, ob die jetzige Gesetzesnovelle zu besseren und sichereren Produkten führt. Letztlich wird sich dies in den Bundesländern entscheiden, die für die Marktaufsichtsbehörden und deren Mittelausstattung zuständig sind. Genau hier liegt das Problem, da die zuständigen Behörden in den meisten Bundesländern schon heute über zu wenig Mittel verfügen. Sie sind in der Regel weder personell noch materiell in der Lage, die zunehmenden Aufgaben zu bewältigen. Zersplitterung und Unterdeckung der Marktaufsicht wirken auch beim zeitnahen Entfernen unsicherer Produkte aus den Verkaufsregalen oder bei Warnhinweisen in der Information der Öffentlichkeit hemmend. Für neue Aufgaben, wie die Ermittlung von Mängelschwerpunkten oder von Warenströmen, wäre zusätzliches Personal erforderlich. Es bleibt zu hoffen, dass die Länder dem von der Bundesregierung erkannten „erhöhten Vollzugsaufwand“ für die Marktüberwachung Taten folgen lassen und zudem die Bereitschaft zum weiteren Ausbau zeigen. Sie müssen regelmäßig die Funktionsweise ihrer Überwachungstätigkeiten überprüfen, bewerten und Mängel beseitigen. Wir hätten uns zudem auch gewünscht, dass die Evaluation nicht nur intern im Arbeitsausschuss Marktüberwachung, AAMÜ, erfolgt, sondern auch der Ausschuss für technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte, ATAV, also der neue Ausschuss für Produktsicherheit, beteiligt wird. Für die Transparenz ist positiv, dass der Öffentlichkeit Informationen über die von Produkten ausgehenden Risiken für Sicherheit und Gesundheit der Verwender zur Verfügung gestellt werden sollen. Für diese Rechtsgrundlage haben wir Grüne schon im Jahr 2004 gesorgt. Das ist positiv für die Beschäftigten und für die Verbraucher. Problematisch sind allerdings die im Gesetz in § 31 stehenden Ausnahmen. So dürfen Informationen nicht zugänglich gemacht werden, wenn der Schutz des geistigen Eigentums dem Informationsanspruch entgegensteht oder die Informationen als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis gekennzeichnet sind. Dies könnte dazu führen, dass der Informationsanspruch der Öffentlichkeit ausgehöhlt oder zumindest deutlich erschwert wird. Aus Verbrauchersicht wäre zudem ein verlässliches Siegel sinnvoll, das eine unabhängige Drittprüfung vorschreibt. Für die Produktsicherheit wäre zudem eine Zuständigkeit aus einer Hand von Vorteil. Die Aufteilung auf drei Bundesministerien ist weder angemessen noch Zu Protokoll gegebene Reden effizient. Das sollte in der parlamentarischen Beratung überprüft werden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/6276 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden. Somit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Besonderheiten der nationalen Finanzmärkte bei Umsetzung von Basel III berücksichtigen - Drucksache 17/6294 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.1) Alle sind damit einverstanden. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier im Präsidium vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6294 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Widerspruch erhebt sich nicht. Somit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems - Drucksache 17/6255 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier bei uns vor.

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit der heutigen Lesung des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Fi- nanzaufsichtssystems, der sogenannten Omnibus-I- Richtlinie, setzen wir weitere Eckpunkte für bessere und sicherere Finanzmärkte. Nach Umsetzung dieser Richt- linie wird die Finanzaufsicht auf nationaler und euro- päischer Ebene wesentlich enger miteinander verzahnt sein. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit eine si- gnifikante Verbesserung der Qualität der Aufsicht errei- chen werden. 1) Anlage 22 Im Zuge der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass auch die Aufsicht über die Finanzinstitute, insbesondere die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Koordination zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und mit den europäischen Instanzen, erhebliches Verbesserungspotenzial hat. Als Folge dessen wurde das europäische Finanzaufsichtssystem grundlegend reformiert. Es wurden drei europäische Aufsichtsbehörden - die Europäische Bankaufsichtsbehörde, EBA, die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde, ESMA, und die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, EIOPA, - sowie der Europäische Ausschuss für Systemrisiken und der behördenübergreifende Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden mittels fünf EU-Verordnungen zu Beginn dieses Jahres gegründet. Insgesamt bilden diese neu gegründeten Behörden und Ausschüsse das reformierte europäische Finanzaufsichtssystem. Mit der Omnibus-I-Richtlinie wurden die EU-Finanzrichtlinien an dieses neue Aufsichtssystem angepasst. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt diese Anpassungen nunmehr in nationales Recht um. Was bedeutet das? Zum einen bedeutet es, dass unsere nationale Aufsichtsbehörde, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz: BaFin, stärker in das europäische Aufsichtssystem eingebunden wird. Das heißt, dass die BaFin mit den europäischen Instanzen intensiver und verpflichtender zusammenarbeiten wird. Es wird die Grundlage dafür geschaffen, dass die BaFin alle Informationen zur Verfügung stellen wird, die die jeweilige europäische Behörde zur Ausübung ihrer Tätigkeit benötigt. Aus diesem Grund bestehen für die BaFin zukünftig verschiedene Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten gegenüber den europäischen Aufsichtsinstanzen, die es einzuhalten gilt. Dazu zählt zum Beispiel die Information der jeweiligen zuständigen europäischen Finanzaufsichtsbehörde, welchem Unternehmen die Betriebserlaubnis erteilt oder entzogen wurde. Darüber hinaus ist es in einem europäischen System natürlich nicht auszuschließen, dass es Meinungsverschiedenheiten zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden gibt - insbesondere in den Fällen, in denen Finanzinstitute europaweit arbeiten und verschiedenen nationalen Aufsichten unterliegen. Für diese Fälle wurden Verfahren zur Einbeziehung der europäischen Finanzaufsichtsbehörden definiert - Verfahren, in denen die europäischen Behörden, soweit sich die nationalen Aufseher nicht einigen können, streitschlichtend eigene Entscheidungen treffen und die nationale Aufsicht überstimmen können. Diese Schlichtungsbefugnis können die europäischen Aufsichtsbehörden allerdings nur in Bereichen wahrnehmen, die in den Finanzsektorrichtlinien im Einzelnen definiert sind, im Bankenbereich zum Beispiel die Risikobewertung auf Gruppenebene. Nun könnte man - nicht ganz zu unrecht - meinen: Das vorliegende Gesetz ist lediglich ein europäisches Umsetzungsgesetz ohne großen Spielraum für die nationalen Parlamente. Ich möchte Ihnen dieses Gesetz aber trotzdem ans Herz legen: Es ist unbestritten, dass es mehr als notwendig war, neue europäische Finanzaufsichtsstrukturen zu schaffen. Dagegen kann man angesichts der immer weiter fortschreitenden Internationalisierung der Finanzmarktaktivitäten keine ernsthaften Gegenargumente vorbringen. Wir wissen mittlerweile sehr gut, dass viele Finanzinstitute einen unglaublichen Vernetztheitsgrad aufweisen. Wir wissen, dass sie verstärkt länderübergreifend tätig sind und im Ausland mit Niederlassungen, Tochterbanken und Zweckgesellschaften zum Teil sehr komplexe Rechtsstrukturen aufgebaut haben. Das erhöht die Vielschichtigkeit der Anforderungen an die Aufsicht ungemein. Dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Gerade aus diesem Grund ist es enorm wichtig, dass die Kommunikation und der Austausch zwischen den Aufsichtsinstanzen gestärkt werden. Daher sind Bestrebungen, die einen schnelleren und effizienteren Informationsaustausch ermöglichen, Kompetenzen klarer regeln und bestehende Lücken schließen, schon lange überfällig. Nun mag der eine oder andere möglicherweise Kritik an der damit einhergehenden fortschreitenden Europäisierung üben und zu bedenken geben, dass unsere nationalen Behörden durch die neuen europäischen Aufsichtsinstanzen vielleicht zu viel Verantwortung abgeben dass wir insgesamt wieder einmal einen Teil unserer nationalen Souveränität an Europa abgeben. Ja, das ist richtig - und aus den oben genannten Gründen auch notwendig. Es geht aber eben nicht darum, die nationalen Aufsichten komplett zu ersetzen oder zu schwächen. Das ist nicht gewollt, und darüber sprechen wir hier auch nicht. Die nationalen Aufsichtsbehörden bleiben zentral, und keine europäische Instanz kann und soll die Arbeit der BaFin und der Bundesbank ersetzen. Aber es ist unerlässlich, dass die grenzüberschreitenden Aktivitäten von Finanzinstituten, die zunehmend an Komplexität gewinnen, von europäischen Aufsichtsinstanzen koordiniert und der Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden verbessert werden. Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, die nationalen Aufsichtsbehörden weiter zu stärken und zu verbessern. Die Bundesregierung ist auf dem Weg, das Eckpunktepapier zur Reform der nationalen Aufsicht, welches von uns, den Koalitionsfraktionen, verabschiedet wurde, umzusetzen. Wir werden damit die Qualität der nationalen Aufsichtsstrukturen signifikant erhöhen. Ich würde mir allerdings wünschen, dass Aufsicht - auch europäische Aufsicht - grundsätzlich mehr unterscheidet. Damit meine ich, dass sie mehr differenziert zwischen mittelständischen regionalen Banken und den großen grenzüberschreitend tätigen Banken. Ich beobachte mit großer Sorge, wie kleine und mittelgroße Privatbanken, wie Sparkassen und Volksbanken mit der Regulierungsdichte insgesamt und mit der Art und Weise, mit der diese Regulierung überwacht wird, zu kämpfen haben. Wir sollten daher dringend hinterfragen, inwieweit speziell bei kleineren Instituten Regulierung und Aufsicht vor dem Hintergrund des jeweiligen Risikoprofils angemessen sind. Dies ist die erste Lesung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Wir werden nun in den Fachausschüssen unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Verbände und Experten am Gesetzentwurf arbeiten. Wir freuen uns auf die fachliche Diskussion und den konstruktiven Austausch mit den Ministerien und den Oppositionsfraktionen und werden das Gesetz dann im vierten Quartal zu einem erfolgreichen Abschluss bringen.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Bundesfinanzministerium hat das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems vorgelegt. Damit sollen die nationalen Finanzaufsichtsgesetze an die neue europäische Finanzaufsichtsstruktur angepasst werden, wie sie seit Januar dieses Jahres besteht. Das Gesetz ermöglicht und konkretisiert dabei insbesondere die Zusammenarbeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, mit dem neugestalteten europäischen Aufsichtssystem. Dies ist notwendig, und so werden eine Reihe von nationalen Gesetzen zum Banken- und Finanzaufsichtsrecht geändert, so unter anderem das Kreditwesengesetz, KWG, das Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG, das Wertpapierhandelsgesetz, WpHG, das Wertpapierprospektgesetz, WpPG, und die Gewerbeordnung, GewO. Die Änderungen dieser Gesetze resultieren letztlich aus der Umsetzung der entsprechenden Omnibusrichtlinie. Im Hinblick auf die EU-Verordnungen zur Errichtung der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, der European Securities and Markets Authority, ESMA, sollen in den deutschen Aufsichtsgesetzen Änderungen vorgenommen werden, die der Klarstellung dienen oder deren Regelungen den EU-Verordnungen bisher entgegenstehen. Dazu wird in den deutschen Aufsichtsgesetzen Folgendes neu geregelt: die Einbindung der BaFin in das Europäische Finanzaufsichtssystem, die Mitteilungsund Unterrichtungspflichten der BaFin gegenüber den europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Anpassungen der Verschwiegenheitspflichten der Beschäftigten der BaFin und vergleichbaren Personengruppen sowie die Einbeziehung der europäischen Finanzaufsichtsbehörden bei Meinungsverschiedenheiten oder mangelnder Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden. Die Finanzkrise, die bis heute nachwirkt, hat erhebliche Schwachstellen bei der Aufsicht auf Makroebene offengelegt. Im Rahmen des neuen Aufsichtssystems müssen wir die Risiken für die Systemstabilität besser ermitteln und mit einem effizienten Warnsystem verhindern, dass eine vergleichbare Krise sich wiederholt. Die bestehende Aufsicht auf Makroebene war und ist zu stark fragmentiert und muss daher dringend reformiert werden. Die Omnibusrichtlinie I hilft mit, die Aufsichtsstruktur europaweit zu verbessern. Die nationalen Aufsichtsbehörden werden mit den europäischen Finanzaufsichtsbehörden besser zusammenarbeiten und diesen nach Zu Protokoll gegebene Reden Maßgabe der EU-Verordnungen zur Errichtung der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden alle für die Ausführung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen müssen. Hierzu werden die genannten nationalen Gesetze geändert, damit die Verpflichtung der BaFin zur Zusammenarbeit mit den europäischen Finanzaufsichtsbehörden und zur Weitergabe von Informationen gesetzlich festgelegt ist. Die Konkretisierung der Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten der nationalen Aufsichtsbehörden gegenüber den europäischen Finanzaufsichtsbehörden ist eines der Kernelemente der Umsetzung zur Verbesserung einer Finanzaufsichtsstruktur in Europa. Mitteilungsund Unterrichtungspflichten, die bisher gegenüber der Europäischen Kommission bestanden, werden nunmehr auf die europäischen Finanzaufsichtsbehörden ausgeweitet bzw. werden durch Mitteilungspflichten gegenüber den europäischen Finanzaufsichtsbehörden ersetzt. Beispielsweise muss die BaFin melden, wenn einem Institut oder Unternehmen die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb erteilt wurde oder diese aufgehoben wurde. Korrespondierend zu diesen Verpflichtungen der nationalen Aufsichtsbehörden wurden in Art. 35 der EUVerordnungen zur Errichtung der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden und in Art. 15 der EU-Verordnung zur Errichtung des ESRB den europäischen Finanzaufsichtsbehörden und dem ESRB Informationsansprüche auch gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden eingeräumt. Damit die BaFin diese Informationsansprüche nach Maßgabe der EU-Verordnungen erfüllen kann, müssen ihre Beschäftigten und vergleichbare Personengruppen in den deutschen Aufsichtsgesetzen von ihrer Verschwiegenheitspflicht befreit werden. Aus diesem Grund sollen der ESRB und die europäischen Finanzaufsichtsbehörden in den deutschen Aufsichtsgesetzen in den Katalog der Stellen aufgenommen werden, an die auch geheimhaltungsbedürftige Informationen weitergegeben werden dürfen, soweit diese Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt werden. Daran knüpft auch die Kritik des Bundesrates im Beschluss vom 17. Juni 2011 an. Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, inwieweit in § 11 a Abs. 7 Satz 2 GewO-E klargestellt werden kann, welche Aufgaben der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung die Übermittlung von Informationen, vor allem von personenbezogenen Daten, durch die nationalen Behörden bedingen. § 11 a Abs. 7 GewO regelt in seiner bisherigen Fassung, dass bestimmte zuständige, nationale Behörden einander Informationen einschließlich personenbezogener Daten übermitteln dürfen, soweit dies zur Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben bezogen auf Versicherungsvermittler und Versicherungsberater erforderlich ist. Im neuen Satz 2 des Abs. 11 a wird nun eine Pflicht zur Informationsübermittlung auf Verlangen an eine europäische Stelle festgeschrieben. Nicht alle diese Aufgaben erfordern jedoch eine Abfrage zum Beispiel personenbezogener Daten bei nationalen Stellen. Daher erscheint es dem Bundesrat sinnvoll, zur Erleichterung der Rechtsanwendung und des zügigen Vollzugs durch die betroffenen Stellen, direkt in § 11 a GewO konkrete Aufgaben, etwa durch eine nicht abschließende „Insbesondere“-Aufzählung, zu benennen. Dieser Vorschlag erscheint durchaus sinnvoll und sollte im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens geprüft werden. Die Zusammenarbeit von nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden muss reibungslos funktionieren. Wir begrüßen deshalb, dass zur Gewährleistung einer effizienten und wirksamen Aufsicht und einer ausgewogenen Berücksichtigung der Positionen der nationalen Aufsichtsbehörden die europäischen Finanzaufsichtsbehörden Differenzen zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden, auch in den Aufsichtskollegien, verbindlich - in definierten Bereichen - schlichten können, wenn die nationalen Aufseher keine Einigung finden. Der europäische Gesetzgeber hat dabei Bereiche im Blick, in denen die Richtlinien Kooperation, Koordination oder gemeinsame Entscheidungen der nationalen Aufsichtsbehörden vorsehen. Eine erste Festlegung der Bereiche ist in der Omnibusrichtlinie I erfolgt. Danach sind Maßnahmen, die Gegenstand von Entscheidungen zur Streitbeilegung sein können, im Bankenbereich zum Beispiel die Einstufung von Zweigniederlassungen, die Anerkennung interner Modelle und die Risikobewertung auf Gruppenebene. Des Weiteren würden die in der Omnibusrichtlinie I vorgeschriebenen Verfahren in die deutschen Aufsichtsgesetze umgesetzt, nach denen die BaFin handeln muss, wenn sie als konsolidierende Aufsichtsbehörde an einem solchen Streit beteiligt ist. Im Übrigen werden eine Reihe redaktioneller Anpassungen in den deutschen Aufsichtsgesetzen vorgenommen. Die Finanzkrise vom Oktober 2008 hat eine Reihe von Schwachstellen bei der Einzel- und Systemaufsicht offengelegt. Diese wurde insbesondere mithilfe des Larosière-Berichts analysiert, und Handlungsoptionen und Verbesserungen wurden empfohlen. Insgesamt wird die Aufsicht auf europäischer Ebene gestärkt. Wir sind damit auf einem guten Weg, die notwendigen aufsichtsrechtlichen Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise zu ziehen.

Holger Krestel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004205, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise wurde viel für die Regulierung der Finanzbranche auf europäischer Ebene getan. Zahlreiche neue Institutionen wurden ins Leben gerufen, um die Aufsicht besser zu verzahnen und effektiver zu gestalten. Es wurden klare Konsequenzen aus der Krise gezogen. Nun gilt es, dass wir diese Fortschritte auch auf nationaler Ebene im Gesetz verankern. Bereits zum 1. Januar 2011 wurde das Europäische Finanzaufsichtssystem ESFS, European System of Financial Supervision, etabliert. Dieses sorgt mit den drei Zu Protokoll gegebene Reden zuständigen Aufsichtsbehörden im Banken-, Versicherungs- und Wertpapiersektor in Form von EBA, European Banking Authority, EIOPA, European Insurance and Occupational Pensions Authority, und ESMA, European Securities and Markets Authority, gemeinsam mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken ESRB, European Systematic Risk Board, sowie einem behördenübergreifenden Gemeinsamen Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden, Joint Committee, für eine flächendeckende Aufsicht mit Kooperationen und Kommunikation über nationale Grenzen hinweg. Es reicht aber nicht, nur neue Zuständigkeiten und Institutionen zu schaffen. Viel wichtiger ist, dass sich nun auch die nationalen Aufsichtsbehörden unter klaren Regeln untereinander austauschen und so flächendeckende oder aus einem Land ausgelagerte Probleme schon früher und zielgenauer identifizieren können. Eine gute und koordinierte Zusammenarbeit bietet zudem die Chance, mehrfach ausgeführte Vorgänge zu eliminieren und so effizienter zu arbeiten. Der Datenschutz darf bei diesem Austausch allerdings keinesfalls vernachlässigt werden. Ich halte es für immens wichtig, dass wir und unsere Kollegen in den Parlamenten der EU ein stetes Auge auf das Hantieren mit diesen Daten haben und in den entsprechenden Behörden strikte Regeln für einen verantwortungsvollen Umgang damit durchgesetzt werden. Das Zusammenführen und Koordinieren so vieler verschiedener Institutionen und Datensätze birgt immer das Risiko eines Missbrauchs, der erheblichen Schaden anrichten und zu großen Vertrauensverlusten führen kann. Gerade deshalb müssen hohe datenschutzrechtliche Standards und eine ständige Überprüfung von deren Einhaltung etabliert werden. Ich begrüße es auch sehr, dass in der Haushaltspolitik die nationale Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten ausdrücklich unangetastet bleibt. Für ein respektvolles Miteinander in einer so eng verknüpften Gemeinschaft wie der Europäischen Union sind klare Zuständigkeitsschranken ein hohes Gut, welches gewahrt werden muss. Alles andere käme einer Bevormundung von Mitgliedstaaten gleich, und eine Union wie die EU kann nur auf Augenhöhe funktionieren, wie sie dies in ihrer Geschichte schon oft erfolgreich gezeigt hat. Die EU hat hier ein eng strukturiertes Regelwerk vorgelegt. Ich wünsche mir nun, dass sich unsere deutsche Bundesregierung dafür einsetzt, dass die Vorschriften nicht in solcher Form überhandnehmen, dass sie Bestandteil der sprichwörtlichen EU-Bürokratie werden. Das Sprichwort soll hier Sprichwort bleiben und nicht Realität werden. Das würde Europa lähmen. Zuletzt erwarte ich, dass grundlegende Entscheidungen auch weiter in den von der Bevölkerung gewählten Parlamenten gefällt werden und die Aufsichts- und Verwaltungsorgane sich primär auf die technischen Vorgänge konzentrieren, wofür sie schließlich geschaffen wurden.

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da es sich bei diesem Gesetzentwurf nur um die Umsetzung einer Verordnung handelt, die politische Verantwortung somit in Brüssel liegt, nehme ich direkt zur europäischen Finanzaufsicht Stellung. In Deutschland soll die Finanzaufsicht zwischen BaFin und Bundesbank ohnehin neu geregelt werden. Vor diesem Hintergrund wird die europäische Ebene mitzudenken sein. Die Finanzaufsicht hat vor und während der Finanzkrise an entscheidenden Stellen versagt. Die nationalen Finanzaufsichtsbehörden waren vollkommen überfordert, da die Finanzinstitute in vollem Umfang die Freiheiten des europäischen Binnenmarkts ausnutzten - und zusätzlich in Schattenfinanzplätzen agierten. Entsprechend ist die Einrichtung dreier europäischer Aufsichtsbehörden für Banken, Wertpapierhandel und Versicherungen und des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, ESRB, zu begrüßen. Bereits jetzt zeichnen sich dabei aber große Probleme ab: Zunächst sind die Kompetenzen nach wie vor zwischen den Aufsichtsbehörden in Europa unzureichend geregelt. Dadurch drohen zum einen Friktionen, welche die Effizienz der Behörden beschneiden. Zum anderen fehlen den europäischen Aufsichtsbehörden aber auch schlicht die Durchgriffsrechte, um im Problemfall schnell und entschieden einschreiten zu können. Die Kompetenzen hierfür sind viel zu restriktiv angelegt. In der Praxis werden die neuen europäischen Behörden den nationalen Behörden erst Vorschriften machen können, wenn der Notfall unmittelbar bevorsteht oder schon eingetreten ist. Die Vorschriften können selbst dann wieder durch die nationalen Parlamente gekippt werden, sollten sie eine unerwünschte Bürde für die nationalen Haushalte darstellen. Die innereuropäische Regulierungsarbitrage, von der etwa Irland lange profitierte, lässt sich auf diese Weise jedenfalls nicht unterbinden. Was auch fehlt, sind zusätzliche Fachabteilungen oder Einrichtungen für bestimmte Spezialbereiche. Ich denke dabei etwa an eine eigene Aufsicht für Warentermingeschäfte, die mit eigenen Instrumenten ausgestattet gegen Preiskapriolen und -blasen an den Rohstoffmärkten vorgehen kann. Ähnliche Kompetenzprobleme wie bei den drei Aufsichtsbehörden gelten für das ESRB: Das Gremium will im Problemfall warnen, wird aber nicht in der Lage sein, zu handeln - etwa wenn sich spekulative Blasen bilden. Im nationalen Hickhack droht somit ein Eingreifen verzögert oder komplett verschlafen zu werden. Von den Zentralbanken ist wenig Hilfestellung zu erwarten, solange sich diese allein dem Dogma der Preisstabilität verpflichtet und bei Spekulationsorgien nicht zuständig fühlen. Umso mehr besteht ein erkennbares Defizit bei der Überwachung der Stabilität des Finanzsystems. Hier fehlt nach wie vor eine verantwortliche europäische staatliche Institution. Weiterhin ist zu bezweifeln, dass die Aufsichtsbehörden personell und materiell mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet sind, um im Zweifelsfall kompetent Zu Protokoll gegebene Reden und selbstbewusst gegenüber der schlagkräftigen Finanzlobby und auch gegenüber den nationalen Aufsehern und Regierungen auftreten zu können. Vier zahnlose Tiger sind vielleicht besser als gar kein Tiger. Doch niemand sollte sich von den neuen Institutionen vor einer neuen Finanzkrise geschützt wähnen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das neue Europäische Finanzaufsichtssystem ist ein erster wichtiger Schritt hin zu einer echten europäischen Finanzaufsicht, die angesichts eines bereits sehr hohen Maßes an integrierten - also europaweit agierenden Finanzmärkten und -instituten auch dringend erforderlich ist. Insbesondere das Mandat der neuen Bankenaufsichtsbehörde EBA, für eine einheitliche Entwicklung und Anwendung des EU-Aufsichtsrechts zu sorgen und dies auch durchzusetzen, wird hoffentlich dazu beitragen, dass künftig kurzsichtige „Race-to-the-Bottom“Strategien in der Finanzmarktregulierung nicht mehr möglich sind: In Irland haben wir gesehen, wie unglaublich teuer und riskant solche Strategien letztlich sind, um den eigenen Finanzplatz zu fördern - und zwar teuer und riskant nicht nur für die Iren, sondern für die Gesamtheit der europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Dass die EBA diese neuen Kompetenzen überhaupt hat, sich im Zweifel also auch gegen nationale Aufsichten durchsetzen und Regulierungsarbitrage künftig verhindern kann, ist unseren Kolleginnen und Kollegen im Europaparlament zu verdanken. Die EUParlamentarier haben sich hier in zähen Verhandlungen auch gegen die lange und hartnäckige Blockade der schwarz-gelben Bundesregierung durchgesetzt, die echte Durchgriffsrechte der neuen EU-Aufsichtsbehörden aller Lehren aus der Krise zum Trotz lange verhindern wollte. Auch, dass die neue Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA weitreichende Befugnisse hat, um den Handel mit gefährlichen Finanzprodukten auszusetzen, etwa bei ungedeckten Leerverkäufen, ist eine gute Nachricht und ein echter Fortschritt. Allerdings weist die neue europäische Finanzaufsichtsarchitektur auch viele Schwächen auf, die es gilt, in nächster Zeit zu beheben. Dazu gehört: Erstens. Im Fall von ernsten Bankenschieflagen ist die EBA nicht wirklich handlungsfähig. Zwar darf sie im Krisenfall - den jedoch nicht sie selbst, sondern der Rat feststellt - nationale Aufsichten und Institute zu bestimmten Krisenmaßnahmen verpflichten und das Krisenmanagement koordinieren - allerdings nur, wenn hierbei nicht in die haushaltspolitische Kompetenz der Mitgliedstaaten eingegriffen wird. Im Zweifel wird damit also doch alles beim Alten bleiben: Statt einer kostenminimierenden Koordination des Krisenmanagements über Ländergrenzen hinweg, wird es im Ernstfall weiter wie bisher - wie zum Beispiel im Fall Fortis zu beobachten war - ein unkoordiniertes, an nationalen Grenzen aufgehängtes und so potenziell krisenverschärfendes und damit teurer als nötiges Eingreifen geben. Was wir hier dringend brauchen, ist eine europäische Bankenabgabe und ein europäischer Bankenrettungsfonds, um die EBA zu einem echten und schlagkräftigen Krisenmanager weiterentwickeln zu können. Das EUVorhaben zur Entwicklung eines Bankenabwicklungsregimes bietet hier Gelegenheit zur institutionellen und rechtlichen Fortentwicklung. Diese Gelegenheit müssen wir nutzen. Zweitens. Die Krise hat gezeigt, dass der Analyse und Beobachtung sogenannter makroprudentieller Risiken bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Gründung des European Systemic Risk Boards, ESRB, das solche Risiken künftig im Auge behalten soll, ist vor diesem Hintergrund eine richtige Entscheidung und wichtige aufsichtliche Ergänzung. Allerdings wirft Fragen auf, dass sich Europa derzeit in einer sehr ernsten, ja existenziellen Staatsschuldenkrise befindet, das ESRB allerdings noch kein einziges Mal zu diesem Systemrisiko erheblicher Relevanz vernehmbar Stellung bezogen hat. Das zeigt: Ein wesentlicher Teil des neuen Europäischen Aufsichtssystems ist ein halbes Jahr nach dem Startschuss entweder noch nicht arbeitsfähig, oder die Governance-Strukturen dieses Gremiums verhindern eine klare Positionierung in dieser Frage. Beides wäre äußerst bedenklich und gibt Anlass zur Sorge. Drittens. Die ressourcenmäßige Ausstattung der neuen EU-Aufsichtsbehörden ist ausbaufähig, um es sehr freundlich auszudrücken. Wie soll es der ESMA mit einem Personalkörper von gerade einmal 60 Personen schaffen können, all ihren Aufgaben gerecht zu werden? Allein für eine echte Aufsicht über die Ratingagenturen - und das ist nur eine kleine Teilaufgabe der ESMA wäre nahezu der gesamte Personalbestand nötig. Die EBA soll sogar mit nur 45 Mitarbeitern auskommen bei einem Aufgabenkatalog, der nicht kleiner als jener der ESMA ist. Hinsichtlich der Personalausstattungen muss also noch deutlich nachgelegt werden, wenn die neuen Behörden nicht schnell den zweifelhaften Ruf eines zahnlosen Tigers erhalten sollen und die nächste Krise verhindert werden soll. Viertens. Die Zersplitterung der drei neuen Aufsichtsbehörden ESMA, EBA und EIOPA über die drei Standorte Paris, London und Frankfurt am Main ist unlogisch, kurzsichtig und nationalen Eitelkeiten geschuldet. Effizienz- und Reibungsverluste sind hier bereits vorprogrammiert. Mittelfristig wird es darum gehen müssen, die drei Institutionen an einem Standort zusammenzuführen, um eine optimale Zusammenarbeit zu ermöglichen. Insgesamt muss es nach meiner Überzeugung in der mittleren Perspektive bei dem EU-Aufsichtssystem darum gehen, die komplette laufende Bankenaufsicht über grenzüberschreitend aktive Institute auf EU-Ebene zu verlagern. Dafür sollten die nationalen Aufsichtsbehörden für national und regional agierende Banken zuständig sein. Denn es gibt ja zu Recht Klagen, dass die EBA sich wenig um die Besonderheiten regionaler Institute in Deutschland kümmert. Lassen Sie uns gemeinsam in diesem Sinne das europäische Aufsichtssystem weiterentwickeln. Zu Protokoll gegebene Reden

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/6255 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind mit dieser Form einverstanden. Somit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine gerechte und entwicklungsförderliche internationale Rohstoffpolitik - Drucksache 17/6153 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier vor.

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Fraktion Die Linke fordert in ihrem Antrag bereits im Titel eine gerechte und entwicklungsförderliche Rohstoffpolitik. Schaut man sich diesen Antrag jedoch näher an, liest er sich vor allem als ein Manifest gegen die Rohstoffstrategie der Bundesregierung und den vermeintlichen Einfluss der Industrie auf diese Strategie. So fordert die Linke zum Beispiel, die Bundesregierung solle die Rohstoffstrategie zurückziehen und sich gegen die Einflussnahme von Lobbyverbänden der Industrie auf die europäische Handels- und Rohstoffpolitik verwahren. Diese Beispiele mögen genügen, die eigentliche Intention des Antrags zu zeigen: Es geht nicht um Gerechtigkeit für die Entwicklungsländer, es geht darum, die bösen Konzerne und die noch böseren Lobbyisten anzuprangern, die vermeintlich die gesamte Politik Deutschlands und der EU nach Gutdünken diktieren. Insofern passt dieser Antrag hervorragend in das politische Gesamtportfolio der Linken, das von der Zerschlagung von Großkonzernen bis zur Reichensteuer und zum Aufblasen der sozialen Wohltaten reicht. Die deutsche Industrie hat ein berechtigtes Interesse an der sicheren und kostengünstigen Versorgung mit Rohstoffen. Es ist legitim, wenn der BDI diese Interessen nachdrücklich vertritt. Es ist auch legitim, wenn die Bundesregierung einen Teil dieser Interessen für ihre Rohstoffstrategie aufgreift: Wir beziehen schließlich einen Großteil unseres Wohlstandes aus unserer wettbewerbsfähigen Industrie und können deshalb nicht wollen, wenn durch Marktregulierungen oder politisch motivierte Maßnahmen Deutschland als rohstoffarmes Land Wettbewerbsnachteile erleidet. Rohstoffpolitik heißt eben auf nationaler Ebene vor allem Sicherung der Rohstoffbelieferung unserer heimischen Wirtschaft. Das ist auch Ausgangspunkt der Rohstoffstrategie der Bundesregierung, und das sollte es auch sein. Vor diesem Hintergrund ist es absurd, wenn Sie eine andere Rohstoffstrategie fordern, die - ich zitiere - „nicht den Zugriff der deutschen und europäischen Industrie auf noch mehr Rohstoffe … zum Ziel hat.“ Ich würde mich freuen, zu erfahren, wie Sie diesen Gutmenschenansatz den Arbeitern in der Metall-, Chemie- oder Elektroindustrie erklären wollen. Denn Sie gefährden mit Ihren Ideen die Grundlagen unserer Industrieproduktion und damit Arbeitsplätze. Das ist unverantwortlich. Ich halte die Versorgungssicherheit unseres Landes mit Rohstoffen für durchaus vereinbar mit unseren entwicklungspolitischen Zielen. Rohstoffsicherheit und Entwicklungspolitik gehen Hand in Hand. Es geht uns eben nicht um die Ausbeutung von Entwicklungsländern, sondern darum, den Reichtum dieser Länder auch für diese Länder zu nutzen. Der Rohstoffreichtum von Entwicklungsländern kann - richtig genutzt - zum Aufbau eigener Wertschöpfungsketten und zu wachsendem Wohlstand in der Bevölkerung führen. Leider passiert das bei weitem nicht überall. Über 50 Prozent der wichtigen Rohstoffvorkommen liegen in Ländern mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 10 US-Dollar pro Tag. Dieses zunächst erstaunliche Paradoxon der Armut trotz reicher Rohstoffvorkommen lässt sich durch makroökonomische und politisch-institutionelle Defizite erklären. Im politischen Sektor ist das Stichwort „Bad Governance“, das Versagen der politischen Institutionen, Fehlen von sozialen und ökologischen Mindeststandards, kennzeichnend. Ökonomisch beschreibt der Begriff „Dutch Disease“, warum es für eine Wirtschaft mit hohen Handelsbilanzüberschüssen aus Rohstoffexporten schwierig ist, andere Wirtschaftszweige zu entwickeln. Ein weiteres Problem besteht in der Unsicherheit dieser Länder. Mehr als die Hälfte der weltweiten Rohstoffproduktion erfolgt in Ländern, die nach Auffassung der Weltbank politisch instabil oder sehr instabil sind. Im Antrag der Linken wird ja auch auf die sozialen Verwerfungen und Konflikte in rohstoffreichen Staaten hingewiesen. Auf die wesentlichen Ursachen dafür, wie zum Beispiel schlechte Regierungsführung, Korruption, unzureichende staatliche Strukturen, geht der Antrag jedoch nicht weiter ein. Diese Ausführungen zeigen deutlich, dass man eine gerechte und entwicklungsfördernde Rohstoffpolitik, wie es in Ihrem Antrag heißt, nicht dadurch erreicht, dass man Interessen der Rohstoffversorgung zurückstellt, den Einfluss der Wirtschaft ausbremst und auf Manipulationen der Rohstoffmärkte durch die Förderländer setzt. Der Ansatz muss zuerst entwicklungspolitisch sein und sich vor allem in der Unterstützung der Förderländer zeigen. Es geht darum, Good Governance zu stärken, Korruption zu bekämpfen, illegalen Abbau von Rohstoffen zu verhindern. Das kann durch internationale Initiativen wie die Extractive Industries TransJürgen Klimke parency Initiative, EITI, durch konkrete Entwicklungsprojekte vor Ort aber selbstverständlich auch durch Initiativen der Unternehmen geschehen. Lassen Sie mich zunächst auf den ersten Aspekt eingehen. EITI ist eine beispielhafte Transparenzinitiative, die Zahlungsströme von rohstofffördernden Unternehmen als Abgaben an den Staat sowie deren Verwendung transparent macht und veröffentlicht. Das wirkt Korruption entgegen und stärkt Good Governance. Bei aller Kritik, dass dieses Instrument bei weitem nicht ausreicht, ist EITI doch ein richtiger und vielversprechender Ansatz, ähnlich wie der sogenannte mineralische Fingerabdruck dem illegalen Abbau Vorschub leisten kann. An diese internationalen Ansätze gilt es anzuknüpfen. Da die akuten Probleme aber gerade in den Förderländern und auch in deren Verantwortung liegen, setzen wir auch hier ganz konkret mit unserer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit an. Unser Ziel ist es, soweit als möglich einen stabilen und leistungsfähigen Rohstoffsektor aufzubauen, der nachhaltige lokale Wertschöpfung ermöglicht. Das ist leider bisher häufig noch nicht gelungen. Dieser Punkt sollte daher im Fokus unserer zukünftigen Entwicklungszusammenarbeit stehen. Gleichwohl gibt es bereits hervorragende Projekte. Zu erwähnen sind besonders die Beiträge gegen illegale Ressourcenausbeutung in der Region Große Seen in Afrika. Hier sind wir unter anderem im Bereich der Zertifizierung von Handelsketten mineralischer Rohstoffe in Ruanda sowie bei der Entwicklung und Anwendung eines staatlichen Finanzierungssystems für mineralische Rohstoffe in der Demokratischen Republik Kongo aktiv. In Kongo unterstützen wir zudem die transparente, effiziente und entwicklungsorientierte Verwendung von Rohstoffeinnahmen. Gerade diese beiden Projekte sind vorbildlich, weil sie an mehreren neuralgischen Punkten ansetzen und insbesondere den Aspekt der Good Governance einbeziehen. Grundsätzlich ist natürlich im Bereich der Nutzung von Rohstoffen für die eigene Bevölkerung ganz besonders Bildung wichtig, gerade auch über die Grundbildung hinaus. Sie ist Voraussetzung und Basis für den Aufbau von lokalen Wertschöpfungsketten sowohl im Dienstleistungsbereich um den Bergbau als auch bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen. Hier kann und wird Deutschland gute Beiträge leisten, zum Beispiel auch durch das duale System der Berufsausbildung, das ein Alleinstellungsmerkmal deutscher Bildungspolitik darstellt. In diesem Zusammenhang begrüße ich die Ankündigung des BMZ, die Investitionen im Bildungsbereich gerade in Afrika, wo es sowohl viele rohstoffreiche als auch unzureichend entwickelte Staaten gibt, von 68,5 Millionen Euro im Jahr 2009 bis 2013 auf 137 Millionen Euro zu verdoppeln. Sie sehen also, dass wir durchaus im Rohstoffbereich entwicklungspolitisch aktiv sind; nur besteht unsere Strategie zuallererst darin, Verbesserungen in den Abbauländern herbeizuführen. Das zeigen auch die von Ihnen kritisierten Rohstoffpartnerschaften, die sowohl die Entwicklung des Landes durch die Modernisierung des Rohstoffsektors als auch mehr Transparenz bei den Handelsketten und Finanzströmen zum Ziel haben. Zudem beinhalten sie die Unterstützung von Umwelt- und Sozialstandards. Insofern wäre ein Fallenlassen des Konzepts der Rohstoffpartnerschaften, wie die Linke es fordert, ein klarer Rückschritt. Wenn wir unsere Rohstoffpolitik in ihrer Gesamtheit bewerten, dann sollten wir auch den Vergleich mit China in unsere Aktivitäten einbeziehen: China investiert unendlich viel Geld in die Umsetzung seiner strategischen Ziele und die Sicherung seiner Rohstoffversorgung. Bei Chinas Erschließungs- und Infrastrukturprojekten vor Ort bleibt dann jedoch jeder Nachhaltigkeitsgedanke außen vor: Es wird weder auf die Bedürfnisse und Sensibilitäten in den Förderländern Rücksicht genommen, noch wird dort Wertschöpfung oder gar eine Entwicklung des Landes angestrebt. Im Gegenteil: Die Chinesen rücken sogar mit eigenen Arbeitern an, die auch von A bis Z aus China versorgt werden. Eine solche Politik hat die Interessen der rohstoffreichen Länder, ganz zu schweigen von den rohstoffarmen Länder, überhaupt nicht im Blick. Natürlich darf man in einem ganzheitlichen Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit auch die Förderunternehmen sowie die verarbeitenden Unternehmen nicht außen vor lassen. Hier haben wir ja neben den bereits erwähnten Transparenzinitiativen durchaus auch Erfolge auf internationaler Ebene vorzuweisen. Ich möchte hier nur an die Leitlinien der Vereinten Nationen für menschenrechtlich verantwortliches unternehmerisches Handeln sowie an die ebenfalls jüngst überarbeiteten OECD-Leitlinien erinnern. Es ist aber keineswegs so, dass die Unternehmen kein Interesse an sozial und ökologisch nachhaltigem Rohstoffabbau haben, wie es die Linke offenbar immer noch glaubt. Je wichtiger den Konsumenten nachhaltig erzeugte Produkte sind, je langfristiger Unternehmen auch mit ihren Niederlassungen in Entwicklungsländern planen, desto stärker wird verantwortliches Handeln Teil der Firmenphilosophie. Das zeigt sich zum Beispiel in der Stärkung der Corporate Social Responsibility, CSR, vieler Unternehmen. Handelte es sich früher häufig nur um ein Feigenblatt, so sind inzwischen viele Unternehmen ernsthaft darum bemüht, bei ihrer Produktion, aber auch bei Zulieferern ökologische und soziale Nachhaltigkeit sicherzustellen. Lassen Sie mich ein positives Beispiel hervorheben, weil es ganz aktuell ist. Ich habe es dem vergangene Woche erschienenen Corporate-Responsibility-Bericht 2010 der Evonik Industries AG entnommen. Hier hat Evonik unter der Überschrift „Verantwortung in der Lieferkette“ Umwelt- und Sozialstandards in seine konzernweite Beschaffungsrichtlinie aufgenommen und in den Allgemeinen Einkaufsbedingungen verbindlich festgeschrieben. Evonik legt fest, dass Lieferanten die Grundsätze des UN Global Compact und die Standards Zu Protokoll gegebene Reden der ILO zu achten haben. In einem weiteren Feld verankert Evonik Corporate Responsibility bereits in der Ausbildung - das nenne ich wahrhaft nachhaltig. Dieses wahllos herausgegriffene positive Beispiel zeigt, dass auch im Bereich der Unternehmensverantwortung marktwirtschaftliche Mechanismen wirksam sein können, auch wenn dies die Politik nicht von ihrer Aufgabe entbindet, internationale Normen für Unternehmen zu erreichen und deren Durchsetzung zu überwachen. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf ein anderes Thema kommen: auf das Verständnis, das die Linkspartei Marktabschottungen und Exportzöllen der Exporteure auf dem Rohstoffsektor entgegenbringt. Bei allem Verständnis für den Finanzierungsbedarf der Entwicklungsländer - unser Ideal darf keine Welt mit Handelshemmnissen sein, wir sehen einen umgekehrten Weg hin zu mehr Freihandel und natürlich auch zur Öffnung der Europäischen Union für die Produkte der Entwicklungsländer. Davon würden wir alle ungleich mehr profitieren. Deshalb sehen wir Handelsbeschränkungen und dauerhafte Exportzölle als problematisch an. Es muss vielmehr um die Integration der Entwicklungsländer in die soziale Marktwirtschaft gehen. Weiterhin besteht aus meiner Sicht das vorrangige Problem nicht in einer Unterbezahlung der Rohstoffexporte, es besteht vielmehr in Schwierigkeiten, aus dem Rohstoffreichtum höheren gesamtgesellschaftlichen Nutzen zu erzielen und den Aufbau einer Industrieproduktion sowie eines Dienstleistungssektors zu befördern. Hier benötigen die Staaten unsere Unterstützung, und hier leistet die deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen wichtigen Beitrag.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Extraktive Rohstoffe sind ein knappes und endliches Gut. Sind Staaten wie die Bundesrepublik, die wenig bis gar keine extraktiven Rohstoffvorkommen aufweisen, auf die externe Versorgung mit solchen Gütern angewiesen, dienen ausgewogene Rohstoffabkommen für die notwendige und kontinuierliche Lieferung der angeforderten Rohstoffe, um die heimische Industrie am Laufen zu halten. Das ist für den Standort Deutschland gut. Was aber nicht gut ist, ist die Art und Weise, wie die Bundesregierung und die Europäischen Union ihre Rohstoffpolitik verstehen. Hier sollen deutsche Rohstoffinteressen auch zulasten der ärmsten Menschen durchgeboxt werden - selbst von militärischer Absicherung der Rohstoffversorgung war die Rede. Für mich ein unglaublicher und inakzeptabler Vorgang. Rohstoffpolitik ist ein sensibles Feld. Die Verfügbarkeit über knappe Ressourcen birgt starke Interessenskonflikte und weckt Begehrlichkeiten auf vielen Stationen einer langen Rohstofflieferkette. Ob Kupfer aus Chile, Zink aus Peru oder Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo. Bis der Rohstoff von der Gewinnung aus Minen zur endgültigen Veredelung seinen Platz in einem deutschen Volkswagen oder Opel findet, wandert er entlang einer teils intransparenten Interessenkette, bei der viele Beteiligte auch ein großes Stück vom Rohstoffkuchen naschen wollen. Doch wer zu viel nascht, der bekommt nicht nur einen unübersehbaren Wohlstandsbauch, sondern der futtert anderen das eigentlich zugesprochene Stück Kuchen auch noch weg. Das Ergebnis ist frappierend. Für die meisten Menschen in den Entwicklungsländern bereitet der eigentlich vorhandene Rohstoffreichtum den Weg in die nicht enden wollende Armutsspirale. Denn anstatt von dem kostbaren Gut, das in der Erde schlummert, zu profitieren, sind die vorhandenen Rohstoffe für viele dieser Länder eher Fluch als Segen. Das ist so paradox wie es traurige Gewissheit ist. Zwangsvertreibungen und unzureichende Entschädigungen ignorieren beispielsweise bestehende Landrechte indigener Völker und treten das Recht auf Nahrung mit Füßen. Skrupellose international agierende Unternehmen, Korruption, Vetternwirtschaft und ungenügende Rechtsgrundlagen im Bereich von Menschrechten und Umwelt- und Sozialstandards sind dafür verantwortlich, dass die Einnahmen aus dem Rohstoffhandel oftmals auf undurchsichtigen Wegen versickern, die Arbeiter in den Rohstoffminen keine fairen Löhne erhalten, zu menschenverachtenden Konditionen ihre Arbeit leisten, die Umwelt bei der Förderung bestimmter Rohstoffe extremen Schaden nimmt und nicht selten schlimme Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen vor Ort haben. Natürlich werden viele sagen, dann müssen die jeweiligen Staaten eigenständig dafür sorgen, dass Steuereinnahmen generiert werden, die Gelder in den öffentlichen Haushalt fließen und wichtige Umwelt- und Sozialstandards rechtlich verankert werden. Diese Einschätzung teile ich nur eingeschränkt. Sicherlich müssen die jeweiligen Regierungen in den Entwicklungsländern dafür Sorge tragen, dass die Einnahmen aus dem Rohstoffreichtum ihres Landes auch gerecht verteilt bzw. zum Wohl der Gesellschaft verwendet werden. In diesen Staaten Good Governance zu fördern ist daher richtig aber nicht ausreichend. Es ist auch unsere Aufgabe als Industrienation dafür zu sorgen, dass der Rohstoffhandel zu transparenten und fairen Bedingungen abläuft. Sowohl die am Handel beteiligten Unternehmen als auch die Regierungen der importorientierten Länder müssen hier ihrer Verantwortung gerecht werden. Dabei darf die Rohstoffsicherung nicht auf Kosten von Armutsbekämpfung durchgesetzt werden. Beides gilt es miteinander in Einklang zu bringen. Notfalls auch um den Verzicht auf Rohstoffe aus fragilen Ländern. Es kann jedenfalls nicht sein, dass einerseits der Mangel an vorhandenen Schutzregelungen für Mensch und Umwelt und transparenten und fairen Steuerregelungen moniert wird, aber gleichzeitig nicht davor zurückschreckt wird, diesen Mangel zum eignen Vorteil zu nutzen, indem in der Förderregion ansässige Bergbaugesellschaften - die meist Tochterunternehmen westlicher Unternehmen sind - viel zu niedrige oder teils gar keine Steuern zahlen. Daher lautet mein Appell an die deutsche Wirtschaft hier mit unternehmerischer VerantZu Protokoll gegebene Reden wortung vorbildhaft voranzugehen und selbst einen fairen Rohstoffhandel einzufordern. Fairer Handel bedeutet für die SPD-Bundestagsfraktion, dass alle an der Handelskette Partizipierenden auch vom Handel profitieren. Das setzt die Einhaltung sozialer, wie beispielswiese den ILO-Kernarbeitsnormen, und ökologischer Mindeststandards sowie der Menschenrechte voraus. Eine durch Transparenz und klare Regelungen geschaffene Kontrollmöglichkeit ist unabdingbar. Im Gegensatz zur Bundesregierung sind wir der Meinung, dass der Rohstoffhandel nicht alleine der Privatwirtschaft überlassen werden kann. Darum brauchen wir zukunftsorientierte Strategien, die allen Beteiligten gerecht werden und international verankert werden. Ziel ist ein weltweites Rohstoffregime mit transparenten Regeln und fairen Bedingungen für Anbieter und Abnehmer. Das haben wir in unserem Antrag „Fairen Rohstoffhandel sichern - Handel mit Seltenen Erden offen halten“ ({0}) eindringlich gefordert. Uns ist dabei besonders wichtig, dass Rohstoffpartnerschaftsabkommen mit Entwicklungsländern der Entwicklung des Landes und der dort lebenden Bevölkerung dienen. Bei der Förderung von Rohstoffen in Entwicklungsländern muss deshalb darauf geachtet werden, dass die lokal betroffene Bevölkerung frühzeitig in den Prozess eines solchen Abkommens eingebunden wird und Transparenz bei der Verteilung der Gewinne im Sinne der Extractive Industries Transparency Initiative, EITI, aus der Rohstoffpartnerschaft hergestellt wird. Über Transparenz hinaus muss eine gerechte Verteilung der Gewinne durchgesetzt werden. Eine Zertifizierung der Handelsketten flankiert diese Forderung. Dabei muss klar sein, dass Rohstoffpartnerschaftsabkommen keinen Einfluss auf die Auswahl unserer Länder haben, mit denen wir Entwicklungszusammenarbeit betreiben. Wir werden der Bundesregerung bei der zukünftigen Auswahl der Partnerländer ganz genau auf die Finger schauen. Beim Thema fairen Rohstoffhandel, sind uns die Amerikaner einen Schritt voraus. Dort trat im Sommer 2010 die Cardin-Lugar Novelle als Teil der Dodd-Frank Wall Street Reform in Kraft. Die Novelle verlangt von allen Rohstoffunternehmen, die an der US-Börse Rohstoffe handeln wollen, sämtliche Zahlungen an die U.S. und andere Regierungen in Verbindung mit der Extraktion von Öl, Gas und Mineralien offenzulegen. Alle bei der Wertpapieraufsichtsbehörde SEC, U.S. Securities & Exchange Commission, geführten Unternehmen sind von dem Gesetz betroffen, egal in welchem Land sie ihren Sitz haben. Die Zahlungsströme müssen im jährlichen Bericht an die SEC offengelegt werden und zur Information online zur Verfügung gestellt werden. Sukzessive werden jetzt 16 Hauptartikel und mehr als 500 Einzelartikel umgesetzt. Mit diesem Gesetz wird mehr Transparenz hergestellt und Korruption verringert. Nichtregierungsorganisationen wie ONE sehen dieses Gesetz und die damit verbundenen Entwicklungen sehr positiv. Wir unterstützen das und werden diesen Prozess aktiv begleiten. Die Bundesregierung muss sich auf europäischer Ebene für die Einführung eines solchen adäquaten Gesetzes einsetzen.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In der Rohstoffstrategie der Bundesregierung heißt es: „Rohstoffsicherung kann keine Einbahnstraße sein. Es geht darum, die Interessen sowohl der rohstofffördernden als auch der rohstoffimportierenden Länder wie Deutschland zu berücksichtigen, sinnvoll in Ausgleich zu bringen und im Sinne gemeinsamer Vorteile fortzuentwickeln.“ Wenn man die Anträge der Linken liest, und ganz besonders auch den uns jetzt vorliegenden, könnte man meinen, es wäre regelrecht unanständig, wenn Deutschland eigene Interessen hat und diese auch nach außen vertritt. Dabei ist das völlig legitim und genau das, was der Wähler vom Abgeordneten erwarten kann und muss. Er will, dass seine Steuergelder gut angelegt werden. Für die Entwicklungshilfe bedeutet das: in sinnvollen, nachhaltigen Projekten, die dem betroffenen Land helfen und gleichzeitig Deutschland nutzen. Es ist dem Steuerzahler weder zu vermitteln noch zuzumuten, dass Deutschland Milliarden für Entwicklungshilfe ausgibt, ohne davon in irgendeiner Weise auch zu profitieren. Zu den Besonderheiten von Rohstoffen gehört, dass Interessen der Entwicklungsländer und der Industrieländer zusammenkommen. Der Rohstoffsektor ist mit den wesentlichen entwicklungspolitisch relevanten Themen wie Armutsbekämpfung, Förderung von guter Regierungsführung, Umwelt- und Ressourcenschutz, Krisenprävention, ländliche Entwicklung und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung unmittelbar verknüpft. Er kann finanzielle Stütze der in diesem Bereich formulierten Ziele der Entwicklungsländer sein. Dabei sind Industrie- wie Entwicklungsländer auf die sichere und auf die auf den Grundsätzen des freien und fairen Marktes basierende Lieferung von Rohstoffen angewiesen. Das deutsche Entwicklungszusammenarbeit-Engagement im Rohstoffsektor verfolgt in den Partnerländern ein ganzheitliches Konzept, das im „Entwicklungspolitischen Strategiepapier Extraktive Rohstoffe“ niedergelegt ist. Die wichtigsten Ziele sind, den Rohstoffsektor für Aufbau und Stärkung der Wirtschaft in den Partnerländern zu nutzen, leistungsfähige Strukturen im Rohstoffsektor aufzubauen, Transparenz zu verwirklichen, ökologische und soziale Mindeststandards zu verwirklichen, Rohstoffkonflikte einzudämmen und Ressourcennutzung zu verbessern. Rohstoffeinnahmen bieten rohstoffreichen Ländern ein erhebliches Potenzial für deren nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Diese Einnahmen müssen in Steuern, in ein eigenes Finanzsystem der Entwicklungsländer fließen und dürfen nicht außer Landes geschafft werden. Hierfür ist eine gute Regierungsführung unerlässlich. Transparenz bei Waren- und Zahlungsströmen ist eine Voraussetzung, um Korruption und einer ungerechten Einnahmenverteilung entgegenzuwirken. Die deutsche Entwicklungspolitik unterstützt dies unter anderem über die Extractive Industries Transparency Initiative, EITI. Zu Protokoll gegebene Reden Joachim Günther ({0}) Hinsichtlich der sich verändernden Situation auf den Rohstoffmärkten beabsichtigt die Bundesregierung, auch Maßnahmen der Wirtschaft zur Diversifizierung von Rohstoffbezugsquellen durch Rohstoffpartnerschaften zu unterstützen. Darin soll auch die Entwicklungszusammenarbeit zum Tragen kommen. In ausgewählten rohstoffreichen Entwicklungs- und Schwellenländern sollen Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und die Außenwirtschaftsinstrumente des BMWi die Bemühungen der Wirtschaft zur Rohstoffsicherung flankieren. Dabei bleibt die EZ der Bundesregierung dem Ziel einer Welt ohne Armut, gewaltsame Konflikte und ökologische Zerstörung verpflichtet. Auch bei den Rohstoffpartnerschaften liegt der Akzent auf der Gegenseitigkeit. Es geht nicht einseitig darum, sich Bezugsquellen zu sichern, sondern es werden auf der anderen Seite zum Beispiel durch die verarbeitende Industrie Arbeitsplätze geschaffen und damit die Armut bekämpft. Armut schafft man nicht durch reine Transferleistungen aus der Welt! Das hat die rote Entwicklungspolitik vergangener Jahrzehnte deutlich gezeigt. Und vor allem die Linken meinen, sich auch in der Entwicklungshilfepolitik als Gutmenschen profilieren zu müssen. Schade nur, dass sie sich überall da, wo sie selbst in der Regierungsverantwortung stehen, als das glatte Gegenteil davon erweisen. Ob im kommunistischen China, in Nordkorea oder in Kuba, von der Wahrung der Menschenrechte, die in dem Antrag angemahnt wird, keine Spur! Vielleicht sollten die Linken erst mal bei ihren Gesinnungsgenossen dafür sorgen, dass Menschenrechtsstandards eingehalten werden, bevor sie anfangen, der Bundesregierung in dieser Frage wegweisende Hinweise zu geben. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt diesen Antrag ab.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In der Rohstoffanhörung des Entwicklungsausschusses vor vier Wochen haben wir gehört, wie in den Ländern des Südens die europäischen Rohstoffinteressen gegen die Lebensinteressen der lokalen Bevölkerung durchgesetzt werden. Der Sachverständige Nouhoum Keita hat uns eindrucksvoll vom Kampf der Bewohnerinnen und Bewohner von Falea in Mali gegen europäische Rohstoffunternehmen berichtet, die ihre Gemeinde umpflügen wollen, um Uran zu fördern. Die Arbeitsbedingungen in den Uranminen sind für viele Tausend Menschen tödlich durch das Einatmen hochgiftigen Uranstaubs. Solche Beispiele gibt es überall auf der Welt. Und auch das wurde in der Anhörung deutlich: Diese Beispiele werden nicht seltener werden. Die Europäische Union und die Bundesregierung haben zur globalen Jagd nach Rohstoffen geblasen, überwiegend nach solchen, die in Entwicklungs- und Schwellenländern lagern. Sie folgen damit den „Empfehlungen“ der Großindustrie. Zwischen der Veröffentlichung der Rohstoffstrategie des BDI und der der Bundesregierung lagen gerade einmal vier Monate. Die Bundesregierung folgt den BDI-Vorgaben fast aufs Wort. Auch bei der Entwicklung der EU-Rohstoffinitiative nahmen die Lobbyverbände erheblichen Einfluss. Entsprechend sind die Strategien ausgerichtet, nämlich auf den uneingeschränkten Zugriff auf die Rohstoffe in Drittländern. Investitionsbeschränkungen in den Rohstoffländern sollen beseitigt werden. Exportzölle bei der Ausfuhr von Rohstoffen sollen fallen, Quoten sollen verboten werden. Dabei legt die Bundesregierung eine erstaunliche Kaltschnäuzigkeit an den Tag. In Brüssel setzt sie sich bei der Reform der EU-Handelspräferenzen dafür ein, dass nur noch solche Entwicklungsländer in das Präferenzsystem aufgenommen werden, die bereit sind, den Rohstoffhandel zu liberalisieren. Das Schlimme ist: Im Moment sieht es so aus, als ob sich die Bundesregierung mit diesem Standpunkt durchsetzt. Der Vorschlag der Kommission zur Reform geht leider in diese Richtung. Wir werden uns damit nicht abfinden und viele Regierungen, Aktivistinnen und Aktivisten im Süden auch nicht. Sie werden sich zunehmend Gehör verschaffen: weil sich Bürgerinnen und Bürger betroffener Regionen wehren, wie in Falea, und weil Regierungen, die mit der EU über Handels- und Investitionsschutzabkommen verhandeln, zunehmend selbstbewusster werden. Genau das will die Bundesregierung trotz anderslautender Aussagen verhindern; deshalb versucht sie es nun mit Erpressung über ihre Handelspolitik. Wenn nötig, wird der Zugriff auf Ressourcen mit Krieg erzwungen. Wir erleben das gerade in Libyen. Die NATO will dort kriegerisch einen Regime-Change herbeiführen. Wir haben die Bundesregierung dabei unterstützt, dass sie sich bisher nicht am Krieg beteiligt hat. Noch besser wäre, sich aktiv für ein Ende der Bombardierungen einzusetzen, anstatt nun doch Bombenteile für den Krieg zu liefern. Doch auch wenn die Bundesregierung in diesem Fall nicht direkt Krieg führt, der Bundesverteidigungsminister hat es im Mai mit der Präsentation der Verteidigungspolitischen Richtlinien ganz deutlich gemacht: Die Sicherung des Zugriffs, des Handels und Transports von Rohstoffen soll künftig ganz selbstverständlich zu den Aufgaben der Bundeswehr gehören. Der Rohstoffansatz der Bundesregierung ist in imperialer Manier eine einzige Drohung an die Länder des Südens: Gebt eure Rohstoffe freiwillig her oder wir drücken euch wirtschaftlich die Luft ab. Oder: Es gibt Krieg. - Wir müssen uns aber an den Gedanken gewöhnen: Es sind nicht „unsere“ Rohstoffe, die einfach in den falschen Ländern lagern. Wir brauchen deshalb einen ganz anderen Ansatz: Rohstoffhandel nur zu gerechten Preisen und sozialökologischen Bedingungen, die nicht zulasten der Bevölkerung gehen. Zuallererst sind aber die westlichen Industriestaaten aufgefordert, insgesamt eine Verringerung des Rohstoffumsatzes zu erzielen, anstatt den Zugriff auf immer mehr Rohstoffe militärisch abzusichern.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist doch paradox: Gegenwärtig leben drei Viertel der armen Bevölkerung in rohstoffreichen Entwicklungsländern. Dabei verfügen diese Länder mit ihren Rohstoffvorkommen eigentlich über viel Entwicklungspotenzial. Zu Protokoll gegebene Reden Die Frage, die uns umtreibt, ist: Warum gelingt es so selten, dieses Potenzial auch zu nutzen und den Rohstoffreichtum in politische und sozioökonomische Entwicklungsprozesse für alle zu überführen? Um dieses Parodox zu überwinden, muss sehr viel mehr geschehen. Vor allem aber wird eine gerechte und entwicklungsförderliche internationale Rohstoffpolitik gebraucht. Ziel: Rohstoffreiche Länder müssen ihr Potenzial nutzen. Und sie müssen es auch nutzen können. Wir stellen fest, dass die aktuelle Rohstoffpolitik der Bundesregierung den Handlungs- und Gestaltungsspielraum der Förderländer einschränkt. Im Vordergrund stehen Forderungen nach dem Abbau von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen. Doch wir wissen aus der Erfahrung, dass eine solche Liberalisierung Entwicklungsländer auch der Möglichkeit beraubt, Rohstoffexporte und Investitionen im Rohstoffsektor im Sinne der Entwicklung ihres Landes zu steuern. Dieses fundamentale Problem wird auch durch die begleitenden entwicklungspolitischen Maßnahmen, welche in der Rohstoffstrategie ja ebenfalls genannt werden, nicht abgemildert. Schwarz-Gelb setzt in der Rohstoffpolitik einseitig auf Rohstoffsicherung, Wirtschaftsinteressen werden gegen nachhaltige Entwicklung ausgespielt. Damit steht der Ansatz der Bundesregierung in fundamentalem Widerspruch zu den Leitlinien unserer Rohstoffpolitik: Wir setzen auf Gerechtigkeit und Entwicklungschancen für die Förderländer. Das heißt für uns einerseits: Wir müssen unseren Rohstoffverbrauch drastisch reduzieren und auf eine nachhaltige, effiziente und innovative Grundlage stellen. Andererseits zielt unser Ansatz auf eine nachhaltige Rohstoffgovernance. Wir wollen Länder dabei unterstützen, ihr Potenzial zu nutzen. Der Aufbau von Kapazitäten ist hierfür entscheidend: Rohstoffreiche Länder müssen in die Lage versetzt werden, transparente Verträge im Interesse des Landes auszuhandeln. Verbindliche und substanzielle Standards für Abbau, Weiterverarbeitung und Export müssen implementiert und ihre Einhaltung überwacht werden. Der Aufbau von Wertschöpfungsketten birgt außerdem die Chance, dass zunehmend Wertschöpfung in den Abbauländern stattfindet. Zum Antrag der Linken: Viele dieser Punkte finden sich auch in Ihrem Antrag wieder. So zeigen Sie die hochproblematischen Auswirkungen des aktuellen Ansatzes von Schwarz-Gelb und der EU auf rohstoffreiche Entwicklungsländer auf. Hier teilen wir Ihre Analyse in weiten Teilen. Denn im Hinblick auf die berechtigten Interessen der Entwicklungsländer gilt sowohl für die Strategie der Bundesregierung als auch der EU: Fehlanzeige! Die Perspektive der Menschen vor Ort bleibt außen vor. Auch wir setzen auf die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und auf eine dezentrale und verbrauchernahe Gewinnung regenerativer Energien. Auch wir setzen in der Rohstoffpolitik auf einen inklusiven Prozess, auf die Einbeziehung der Partnerinnen und Partner in den Entwicklungsländern sowie der Zivilgesellschaft vor Ort und hier bei uns in Deutschland. Das steht außer Frage. Nach konkreten Lösungsvorschlägen oder Alternativen sucht man in Ihrem Antrag allerdings vergebens. So plädieren Sie dafür, das Konzept der Rohstoffpartnerschaften fallen zu lassen und die Rohstoffstrategie zurückzuziehen. Da machen Sie es sich aber zu einfach. Solche Forderungen lassen sich leicht aufstellen, aber ohne ein Alternativkonzept ist das nicht hilfreich. Denn richtig gehandhabt, also als gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe, ließen sich Rohstoffpartnerschaften beispielsweise zur Unterstützung für den Aufbau eines funktionierenden Staatswesens, einer nachhaltigen Infrastruktur und eines guten Sozial- und Bildungssystems nutzen. Außerdem ignorieren Sie den aktuellen Stand der Rohstoffdebatte: Weder der Dodd-Frank-Act aus den USA für mehr Transparenz und Kontrolle noch Forderungen nach Vertragstransparenz finden sich in Ihrem Antrag wieder. Auch auf die wichtige Rolle der Rohstoffunternehmen und deren Verantwortung gehen Sie mit keinem Wort ein. Weit auseinander liegen wir im Hinblick auf Ihre Analyse zu den Kriegen im Irak, in Afghanistan und in Libyen. Diese als reine Rohstoffkriege zu deklarieren, ist zu kurz gedacht und schlichtweg falsch. Aus all diesen Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab. Wir wollen eine substanzielle Diskussion, und wir wollen machbare Ansätze diskutieren. Leider greifen ihre Vorschläge hier zu kurz.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6153 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden; Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache 17/6263 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier bei uns vor. Damit ist es so vereinbart.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute in erster Lesung das Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll zuallererst die EU-Richtlinie über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen in unser nationales Recht transformiert werden. Die Neuerungen durch die Beitreibungsrichtlinie hebt die bisherigen Begrenzungen im Anwendungsbereich der Amtshilfeersuchen auf und erweitert diese. Um das System der Amtshilfe effektiver zu gestalten, wird der Geltungsbereich der Amtshilfe erweitert. Neben einer Verbesserung des Informationsaustauschs wird das Zustellungsverfahren vereinfacht und ein wirksameres Beitreibungs- und Sicherungsverfahrens geschaffen. Neben der europarechtlich vorgeschriebenen Umsetzungspflicht der Beitreibungsrichtlinie soll mit dem vorliegenden Gesetz gleichzeitig auch notwendiger und unaufschiebbarer steuerlicher Änderungsbedarf in einigen Bereichen des Steuerrechts umgesetzt werden. Die steuerrechtlich notwendigen Änderungsmaßnahmen betreffen neben der bedeutsamen Ablösung der einführenden Vorschriften zur Bildung und Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale, ELStAM, eine Vielzahl von steuerlichen Regelungsbereichen, sodass man bereits von einem abgespeckten Jahressteuergesetz sprechen kann. Bedeutsam ist, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz eine Steuerfreiheit für Sozialversicherungsrenten für Verfolgte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft einführen wollen. Mit dieser Regelung schaffen wir eine Kompensation für entstandene Nachteile für die Verfolgten in der Alterssicherung. Auch bei der Riester-Förderung gibt es Nachbesserungsbedarf. Wir wollen künftig ungewollte Rückerstattungsfälle - wie in der jüngsten Vergangenheit aufgrund eines Wechsels des Zulagestatus geschehen - vermeiden. Um zukünftig wenigstens mittelbar zulagenberechtigt zu sein, muss der mittelbar Zulagenberechtigte einen eigenen jährlichen Mindestbeitrags von 60 Euro zahlen. Besonders hervorzuheben ist ebenfalls, dass wir ein automatisiertes Verfahren für den Kirchensteuerabzug bei abgeltend besteuerten Kapitalerträgen einführen wollen. Bisher gab es ein Wahlrecht, ob die Kirchensteuerbeträge durch die Kreditinstitute einbehalten oder im Veranlagungsverfahren festgesetzt werden. Nunmehr sollen die Kreditinstitute den Kirchensteuereinbehalt stets selbst vornehmen und somit die Kirchensteuer zeitnah erfassen und sichern. Anschließend werden diese direkt monatlich an das zuständige Finanzamt abgeführt, welches die Kirchensteuer an die betreffende Religionsgemeinschaften zuweist. Ein wesentliches Element des vorliegenden Gesetzes ist die ab dem Jahr 2012 flächendeckende Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Wir stellen damit endgültig die Weichen für eine umfassende Modernisierung des Lohsteuerabzugsverfahrens. Jeder Bürger hat es Anfang 2011 gemerkt: Seit diesem Jahr stellen die Gemeinden keine Lohnsteuerkarten mehr aus. Die Einführung der elektronischen Lohnsteuermerkmale und der damit verbundene Wegfall von circa 40 Millionen Papierlohnsteuerkarten führt nicht nur zu einer bürokratischen Entlastung beim Bürger, sondern auch in der Finanzverwaltung. Ab diesem Jahr ist alleine die Finanzverwaltung mit der Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale und die Bereitstellung für den Abruf durch den Arbeitgeber zuständig. Zukünftig können entweder der Arbeitnehmer oder im Regelfall der Arbeitgeber die erstmalige Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale durch Anfrage beim Finanzamt veranlassen. Dem Arbeitgeber steht dabei ein elektronisches Verfahren zur Verfügung. Die Neufassung der Regelungen zu den elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen vermeidet unnötige Schnittstellen und somit Fehlerquellen zwischen den Übertragungsmedien und trägt bedeutend zur Entbürokratisierung bei. Während die längst bei Arbeitgebern und Finanzämtern elektronisch gespeicherten lohnsteuerlichen Daten auf die Papierlohnsteuerkarte eingetragen werden mussten, können diese nunmehr maschinell verwertbar zum Lohnsteuerabzug zur Verfügung gestellt werden. Allerdings wurden hinsichtlich der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale bereits bei den Beratungen zum Jahressteuergesetz 2008 vielfach datenschutzrechtliche Bedenken geäußert. Wir sollten daher das Authentifizierungsverfahren der Arbeitgeber bei den zukünftigen Beratungen nochmals einer Prüfung unterziehen. Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass ihre Daten nur berechtigten Personen zur Verfügung gestellt werden. Dies werden wir sicherstellen. Ich freue mich auf gute Beratungen.

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da es in diesem Jahr kein Jahressteuergesetz geben wird, nutzen wir das Umsetzungsgesetz zur Beitreibungsrichtlinie, um notwendig gewordene Änderungen des Steuerrechts vorzunehmen und an der einen oder anderen Stelle neu zu justieren. Erstes Beispiel: ELStAM. Das Steuervereinfachungsgesetz wurde in der vergangenen Sitzungswoche beschlossen. Wir hatten angekündigt, mit der Steuervereinfachung nahtlos weiterzumachen. Mit dem Umsetzungsgesetz zur Beitreibungsrichtlinie folgt nun der zweite Schritt. Ein Beispiel ist das Verfahren der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale, ELStAM. Die letzten Lohnsteuerkarten aus Pappe tragen das Jahr 2010. Bereits mit dem Jahressteuergesetz 2008 wurde beschlossen, die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale einzuführen und damit die Erhebung der Lohnsteuer künftig nur noch im Rahmen eines automationsgestützten Steuerabzugsverfahrens durchzuführen. Damit haben wir einen nicht unerheblichen Umstellungsprozess in Gang gesetzt. Seit diesem Jahr beispielsweise sind nicht mehr die Kommunen, sondern die Wohnsitzfinanzämter der Arbeitnehmer für die lohnsteuerlichen Abzugsmerkmale zuständig. Wir gehen damit einen entscheidenden Schritt weiter auf dem Pfad des Bürokratieabbaus. Mit dem heutigen Gesetzgebungsverfahren wird das Lohnsteuerabzugsverfahren künftig bedeutend einfacher sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite und für die Finanzverwaltung. Medienbrüche bei der Übertragung elektronisch gespeicherter Daten auf die LohnsteuerZu Protokoll gegebene Reden karte wird es nicht mehr geben, Lohnsteuerabzugsmerkmale und deren Änderungen wird die Verwaltung Arbeitgebern elektronisch übermitteln. Für den Arbeitnehmer wird es einfacher, weil in steuerlichen Fragen künftig ausschließlich das zuständige Finanzamt sein Ansprechpartner sein wird. Zu einer Steuervereinfachung gehört für uns aber auch, dass der Steuerberater oder Lohnsteuerhilfeverein auf die in der ELStAM-Datenbank gespeicherten Daten seines Mandanten zugreifen kann. Es geht darum, den Beratern, die den Arbeitnehmer in vielen Fällen ganzjährig nicht nur bei der Einkommensteuererklärung begleiten, den gleichen Zugang zu den Arbeitnehmerdaten zu gewähren wie dem Arbeitgeber. Zu einer qualifizierten Beratung in Steuerfragen gehört auch die Kontrolle der für die Beratung erheblichen Daten des Steuerpflichtigen. Dies sollte dann aber nicht an der technischen Umsetzbarkeit scheitern. Wie hier noch Verbesserungen möglich sind, werden wir in der kommenden Anhörung beraten. Zweites Beispiel: Kirchensteuerabzug. Wir vereinfachen das Verfahren des Kirchensteuerabzugs bei Kapitalerträgen. Hierdurch verbessert sich für die Kirchen die Situation enorm. Das Kreditinstitut fragt künftig beim Bundeszentralamt für Steuern den Kirchensteuersatz des Steuerpflichtigen ab und führt die Kirchensteuer zusammen mit der Abgeltungsteuer an das Finanzamt ab. Das Steueraufkommen der Kirchen wird durch dieses automatische Verfahren zeitnah erfasst und gesichert. Je nach Bundesland zahlen die Kirchen für die zügige Bearbeitung und Weitergabe der Kirchensteuer und die damit genutzte staatliche Infrastruktur seit jeher Gebühren in Höhe von 2 bis 4 Prozent ihres Steueraufkommens an den Fiskus. Für den Steuerbürger hat das Verfahren den Vorteil, dass das Kreditinstitut zur Abführung der Kirchensteuer die Religionszugehörigkeit nicht mehr abfragen muss. Dadurch entfällt in vielen Fällen der Ärger, mangels Angabe der Religionszugehörigkeit oder wegen nicht rechtzeitiger Angabe vor Beginn des Veranlagungszeitraums abgeltend besteuerte Kapitaleinkünfte später unter erheblichem Zeitaufwand doch in der Steuererklärung angeben zu müssen. Darüber hinaus besteht auch keine Veranlassung für das Kreditinstitut, die konkrete Religionszugehörigkeit des Steuerpflichtigen zu erfahren. Drittes Beispiel: Kindergeld beim Bundesfreiwilligendienst. Im Rahmen von Kinderfreibeträgen und Kindergeld wird im Gesetzentwurf der Katalog der Freiwilligendienste um den in diesem Jahr gestarteten Internationalen Freiwilligendienst erweitert. Rückwirkend ab Januar können Teilnehmer an diesen Freiwilligendiensten bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen wie während des Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahres Kindergeld erhalten. Eine entsprechende Regelung für Teilnehmer des neuen, ab morgen geltenden Bundesfreiwilligendienstes ist im Regierungsentwurf bislang noch nicht vorgesehen, von den Koalitionsfraktionen aber gewünscht. Deshalb werden wir einen Änderungsantrag einbringen, der die Zahlung von Kindergeld ab Juli ermöglichen wird. Die Finanzverwaltung hat bereits klargestellt, dass Teilnehmern des Bundesfreiwilligendienstes unter 25 Jahren bis zur Schaffung einer endgültigen rechtlichen Grundlage auf unbürokratischem Weg vorläufig Kindergeld ausgezahlt wird. Viertes Beispiel: Verlängerung der Ist-Besteuerung. Am 31. Dezember dieses Jahres droht eine Erleichterung auszulaufen, die als Folge der weltweiten Finanzund Wirtschaftskrise mittelständischen Unternehmen bundesweit gewährt worden ist und einen signifikanten Beitrag zur Liquiditätssicherung leistet: Die Möglichkeit der Ist-Besteuerung würde ab 2012 vielen mittelständischen Unternehmen nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit der Ist-Besteuerung haben Unternehmen die Möglichkeit, die Umsatzsteuer erst nach Begleichung der Rechnung durch den Leistungsempfänger ans Finanzamt abzuführen. Liefe die jetzige Regelung aus, würde die Grenze bundesweit von 500 000 Euro auf 250 000 Euro zurückfallen. Bei der dann geltenden SollBesteuerung erhält das Finanzamt die Steuer bereits bei Leistungserbringung. Der Unternehmer muss also in Vorleistung treten und riskiert dabei seine gerade bei kleinen Unternehmen oft lebenswichtige Liquidität. Es ist sehr erfreulich, dass sich die Bundesregierung entsprechend dem Hinweis des Bundesrats positioniert hat und die dauerhafte Verlängerung der geltenden Umsatzgrenze über das Jahr 2011 hinaus befürwortet. Andernfalls wäre die 2007 erfolgte Anhebung der Grenze der Buchführungspflicht auf einen Umsatz von mehr als 500 000 Euro Makulatur. Die dadurch erreichten Einsparungen an Bürokratiekosten in den Unternehmen würden in ihr Gegenteil verkehrt, wenn die Unternehmen wegen einer Absenkung der Ist-Besteuerungsgrenze bei der Umsatzsteuer doch gezwungen wären, eine Buchführung zu installieren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird in ihrer ersten Sitzung nach der Sommerpause einen entsprechenden Vorstoß erarbeiten, sodass sichergestellt ist, dass das Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig vor Ende 2011 abgeschlossen sein wird. Fünftes Beispiel: Insolvenzordnung/Aufrechnung. Zu begrüßen ist die Stellungnahme des Bundesrats zum Insolvenzrecht, mit der eine Klarstellung im Gesetz angeregt wird. Bislang war eine Aufrechnung zwischen Vorsteuerforderungen und Umsatzsteuerzahllasten eines insolventen Unternehmens möglich. Durch eine aktuelle Rechtsprechungsänderung wird dies nun infrage gestellt. Das hätte zum Ergebnis, dass ein Insolvenzverwalter mit dem Vorteil, Vorsteuer geltend machen zu können, Umsatzsteuer aber nicht abführen zu müssen, Waren und Dienstleistungen 19 Prozent billiger als ein gesundes Konkurrenzunternehmen anbieten könnte. Eine Gesundung auf dem Rücken von Wettbewerbern kann aber nicht gewollt sein und würde schlimmstenfalls zu einer wirtschaftlichen Bedrängnis des gesunden Unternehmens führen. Auch die Sanierung von Unternehmen muss unter fairen Wettbewerbsbedingungen geschehen. Zu Protokoll gegebene Reden Neben diesen näher beschriebenen Veränderungen wird es auch beim Bewertungsverfahren, bei der Arbeitnehmersparzulage und bei der steuerlich geförderten Altersvorsorge Diskussionen geben. Die noch zu beschließende Anhörung wird sicherlich noch zu Veränderungen des jetzigen Gesetzentwurfs führen.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir beraten heute in erster Lesung einen Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie und zur Änderung steuerlicher Vorschriften. Der Titel des Regierungsentwurfs verschleiert, dass wir genau genommen eigentlich zwei Gesetze debattieren, die inhaltlich auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben - auf den zweiten übrigens auch nicht. Das Umsetzungsgesetz zur Anpassung der bestehenden Regelungen zur Amtshilfe zwischen Finanzverwaltungsbehörden innerhalb der EU bei Fragen der Beitreibung von Steuern und Abgaben umfasst Art. 1 des Gesetzentwurfs; der Rest von Art. 2 bis Art. 22 ist quasi ein Jahressteuergesetz 2011 in Verkleidung, das zahlreiche Änderungen in unterschiedlichen Bereichen des Steuerrechts zusammenfasst und dabei auf europarechtliche und innerstaatliche Entwicklungen, Entscheidungen der Finanzgerichtsbarkeit oder Anregungen aus der Finanzverwaltung eingeht und Anpassungen an sich ändernde Rechtslagen vornimmt. Angesichts des frühen Stadiums unserer Auseinandersetzung mit der Vielzahl der steuerrechtlichen und verwaltungsbezogenen Änderungen weise ich zunächst auf einige Sachverhalte und Fragen hin, die wir im Zusammenwirken mit Sachverständigen und den Fachbeamten aus den Bundes- und Landesministerien genau prüfen werden. Art. 1 des vorliegenden Gesetzes setzt die Richtlinie über Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen, RL 2010/24/EU, in nationales Recht um. Die Richtlinie schafft auf mitgliedstaatlicher Ebene die Rechtsgrundlage für „alle für die Geltendmachung und Eintreibung einer Forderung notwendigen Maßnahmen, insbesondere die Auskunftserteilung durch die ersuchte Behörde, die Zustellung aller relevanten Dokumente an den Forderungsschuldner, die Beitreibung der Forderung und das Ergreifen von Sicherungsmaßnahmen.“ Die neuen gesetzlichen Vorschriften sollen sicherstellen, dass Amtshilfeverfahren zwischen Steuerverwaltungen aus unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten nicht an mangelnder Koordinierung zwischen Behörden und unterschiedlichen Beitreibungsverfahren scheitern. Damit soll es einfacher und schneller gehen, ausstehende Schulden aus Steuern und Abgaben von Steuerpflichtigen einzutreiben, die im Ausland wohnen. Oder anders ausgedrückt: Die Frage, wo jemand in der Europäischen Union wohnt bzw. wo sein Einkommen entsteht, darf nicht darüber entscheiden, ob er seine Steuerschuld in Deutschland pünktlich und vollständig begleicht. Lücken im Steuervollzug, von denen einige profitieren, gehen zulasten aller anderen Steuerzahler - ein wichtiger Bewertungsmaßstab, wenn es um die Gerechtigkeit und Akzeptanz unseres Steuersystems geht. Die Regelungen gehen dabei über die bisherige Rechtslage des EG-Beitreibungsgesetzes hinaus und sollen den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden verbessern, das Zustellungsverfahren vereinfachen und ein wirksameres Beitreibungs- und Sicherungsverfahren einrichten. Der bislang eingeschränkte Anwendungsbereich der Amtshilfe wird erweitert. Künftig soll bei allen Steuern und Abgaben sowie bei Nebenforderungen, das heißt Zinsforderungen, Gebühren, Geldbußen und Kosten, die damit verbunden sind, Amtshilfe geleistet werden. Ebenso werden alle juristischen und natürlichen Personen erfasst. Ausgenommen bleiben lediglich Sozialversicherungsbeiträge und vertragliche Gebühren. Das Umsetzungsgesetz schafft die Rechtsgrundlage für den Auskunftsaustausch zu Steuererstattungen ohne Ersuchen; wir denken an dieser Stelle an die Weiterentwicklung der europäischen Zinsbesteuerungsrichtlinie, die Erweiterung des sachlichen und personenbezogenen Anwendungsbereichs und insbesondere an den Übergang zum automatischen Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden - wichtige Forderungen, die dabei helfen, die Besteuerungsgrundlagen zu sichern und weitere Steuerschlupflöcher in grenzüberschreitenden Zusammenhängen zu schließen, und die ohne die Arbeiten der ehemaligen Finanzminister Steinbrück und Eichel nicht denkbar wären. In diese Richtung wirken auch weitere Regelungen des neuen Umsetzungsgesetzes, etwa die Möglichkeit zur Teilnahme ausländischer Finanzverwaltungen an behördlichen Ermittlungen und die Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften, die für die Beitreibung voraussichtlich erforderlich sind. Mit der Umsetzung der entsprechenden Regelung des Art. 26 des OECD-Musterabkommens zum Informationsaustausch in Besteuerungsverfahren wird es für unsere Finanzverwaltung wesentlich einfacher, ihre Auskunftsersuchen gegenüber anderen Behörden im Ausland zu begründen und rechtssicher auszugestalten. Ein Amtshilfeersuchen darf künftig schon dann gestellt werden, wenn das inländische Beitreibungsverfahren noch nicht ausgeschöpft ist, das heißt nicht erst als Ultima Ratio am Ende einer zeitaufwendigen Kette von Beitreibungsversuchen. Die technische und administrative Ausgestaltung der zwischenstaatlichen Amtshilfe wirft einige Fragen auf. Dazu gehört etwa die Übertragung der zentralen Zuständigkeit für die Verteilung auswärtiger Amtshilfeersuchen auf die jeweiligen Länderfinanzverwaltungen, auf das Bundesfinanzministerium ebenso wie für Auskunftsersuchen inländischer Behörden gegenüber anderen Mitgliedstaaten. Dazu gehören die Einrichtung und Einhaltung europaweit einheitlicher Rechtsschutzregelungen für die betroffenen Steuerpflichtigen. Außerdem gehören dazu die Praktikabilität der angestrebten Vereinfachung der Datenkommunikation zwischen den Behörden durch die elektronische Übermittlung von standardisierten Formblättern und die Einführung eines Zu Protokoll gegebene Reden Lothar Binding ({0}) einheitlichen Vollstreckungstitels im Zusammenhang mit offenen Forderungen. Der zweite, umfangreichere Teil des Gesetzes enthält steuerrechtliche Regelungen aus unterschiedlichen Bereichen. Ich will mich in meinen Betrachtungen auf drei Aspekte konzentrieren. Die Regelungen des elektronischen Lohnsteuerabzugsverfahrens werden überarbeitet; an die Stelle der einführenden Vorschriften zur Bildung und Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale treten die Regelungen für das dauerhafte Verfahren. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen haben wir hoffentlich die Gelegenheit, datenschutzrechtliche Aspekte des Aufbaus und der Nutzung der Datenbank, der Ausgestaltung des Verfahrens beim Datenabruf und Arbeitsplatzwechsel sowie Fragen nach den Auswirkungen des Übergangs der Zuständigkeit von der Wohnortgemeinde auf das Finanzamt zu erörtern. Insbesondere der letztgenannte Aspekt bereitet vielen Steuerberatern und Lohnsteuerhelfern Kopfzerbrechen, da die Einsichtnahme in persönliche Daten künftig nur noch dem Steuerpflichtigen selbst auf elektronischem Weg möglich sein soll, nicht allerdings den steuerberatenden Berufen - eine Regelung, die ihnen die Arbeit erschwert und sich für den Steuerpflichtigen als Nachteil herausstellen kann. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht im Bereich der staatlichen geförderten privaten Altersvorsorge vor, dass bisher mittelbar zulageberechtigte Personen, die etwa wegen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten unmittelbar zulageberechtigt werden, künftig für jedes Beitragsjahr den Mindestbeitrag leisten, der für den Erhalt der ungekürzten Zulage erforderlich ist. Diese Regelung soll ab dem Beitragsjahr 2012 gelten. Damit soll sichergestellt werden, dass künftig Rückforderungen zu Unrecht erhaltener Altersvorsorgezulagen, die aufgrund eines Wechsel des Zulagenstatus ausbezahlt worden waren und im Zuge einer Überprüfung der Erfüllung der Fördervoraussetzungen aufgedeckt werden, vermieden werden können. Die Regierung greift dabei Fälle auf, in denen Personen, die während Kindererziehungszeiten der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegen, in den ersten drei Lebensjahren des Kindes unmittelbar zulageberechtigt wurden und aus Unkenntnis über die Auswirkungen in ihrem Zulagenstatus keine eigenen Beiträge entrichtet haben. Wir werden in den Ausschussberatungen im Finanzausschuss die Konstruktion der einzurichtenden vorübergehenden, auf zwei Jahre begrenzten, Nachentrichtungsmöglichkeit genauer prüfen; insbesondere, ob durch die rückwirkende Leistung von Altersvorsorgebeiträgen zur Sicherung bereits erhaltener Zulagen starke finanzielle Belastungen des Anlegers induziert werden, die aus der Kumulation von Nachentrichtungsbeiträgen für mehrere Jahre entstehen können. Schließlich führt der Gesetzentwurf der Bundesregierung - in Reaktion auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs - im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht ein Antragsrecht für Personen ein, die im Ausland leben und daher nur der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Wenn sie eine Erbschaft oder Schenkung in Deutschland erhalten, etwa ein Grundstück oder Anteile an einem Unternehmen, können sie den Antrag stellen, dass der Vermögensanfall nach den Regeln der unbeschränkten Steuerpflicht erfasst wird. Ihr Vorteil: Der Freibetrag auf die Steuerbemessungsgrundlage erhöht sich deutlich von 2 000 Euro - für beschränkt Steuerpflichtige - auf zwischen 20 000 Euro - Steuerklasse II und III - und 500 000 Euro - Ehegatten und Lebenspartner -, und zwar in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad zwischen Erblasser und Erbe bzw. Schenker und Beschenktem. Um steuergestalterische „Rosinenpickerei“ zu unterbinden, gilt das Antragsrecht nicht allein für den Freibetrag. Vielmehr unterliegt dann der gesamte in- und ausländische Erwerb nach dem Welteinkommensprinzip der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland, und nicht nur der begrenzte Teil mit qualifiziertem Inlandsbezug - das übertragene Grundstück, das vererbte Betriebsvermögen, die Anteile an Kapitalgesellschaften -, wie es das Erbschaftsteuerrecht eigentlich für beschränkt Steuerpflichtige vorsieht. Künftig gehen dann beispielsweise auch Bankguthaben, Wertgegenstände oder nicht grundpfandrechtlich besicherte Forderungen in die Bemessungsgrundlage ein. Die Gewährung höherer Freibeträge soll also durch eine Erweiterung der Bemessungsgrundlage und des Anwendungsbereichs kompensiert werden, um eine Schlechterstellung unbeschränkt Steuerpflichtiger gegenüber beschränkt Steuerpflichtigen zu verhindern. Ohne diese Regelung käme es in den meisten Fällen beschränkter Steuerpflicht dazu, dass der erheblich höhere Freibetrag angesichts des deutlich geringeren Vermögensumfangs den gesamten Erwerb steuerfrei stellen würde. Zur Vermeidung von Gestaltungen - Stückelung der Schenkung - soll eine Zusammenrechnung von Erwerben innerhalb von zehn Jahren vor und nach dem Vermögensanfall erfolgen. Angesichts des nachlässigen Umgangs der Bundesregierung mit Problemen im Bereich der Steuergestaltungen, etwa der Abgrenzung von Betriebs- und Verwaltungsvermögen, und angesichts der Tatsache, dass die Bundesländer zur Haushaltskonsolidierung eigentlich auf die Einnahmen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer dringend angewiesen sind, können die Ausschussberatungen hoffentlich Aufschluss über die Zahl der zu erwartenden Fälle, die fiskalischen Auswirkungen und insbesondere die Angemessenheit der Schutzvorkehrungen gegen missbräuchliche Gestaltungsmöglichkeiten geben. Wir vertrauen auf die Expertise von Sachverständigen und Ministerialbürokratie und die Kooperationsbereitschaft der Koalitionsfraktionen, um zu guten steuerrechtlichen Regelungen zu kommen.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das Bundesfinanzministerium hat den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie vorgelegt. Dabei handelt es sich um ein Artikelgesetz, das im Wesentlichen drei Regelungsbereiche umfasst. Zu Protokoll gegebene Reden Zum einen wird die europäische Richtlinie 2010/24/ EU über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern und Abgaben durch ein nationales Gesetz umgesetzt. Die Richtlinie ist gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie vor dem 31. Dezember 2011 umzusetzen. Sie verbessert die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf Steuern und Abgaben zu erlangen. Zum anderen will das Finanzministerium ein „völlig unbürokratisches“ Verfahren schaffen, mit dem Riester-Anlegern geholfen wird, die ohne böse Absicht staatliche Zulagen erhalten haben, ohne die Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen. Schließlich wird das Lohnsteuerabzugsverfahren neu geregelt, um den Anforderungen an die Erhebung der Lohnsteuer mithilfe der elektronischen Lohnsteuerkarte nachzukommen. Schon aus Gründen der Entlastung der Bürger von unnötiger Bürokratie ist die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale zu begrüßen. Unnötige Fehlerquellen zwischen den Übertragungsmedien werden so vermieden. Nachzubessern ist jedoch beim Datenschutz. Die vorangegangene Einführung der Steueridentifikationsnummer ermöglicht einen automatischen Datenaustausch zwischen den Arbeitgebern und dem Bundeszentralamt für Steuern. Der Steuerzahler erhält weder Informationen darüber, wer welche Daten über ihn abruft oder übermittelt, noch ist bisher konkret geregelt, wie sichergestellt werden soll, dass keine Unbefugten die Daten erhalten. Eine Überarbeitung des Authentifizierungsverfahrens der Arbeitgeber zum Abruf der elektronischen Lohnsteuermerkmale hält der Bund der Steuerzahler für unvermeidlich. Ebenso wie der Finanzausschuss des Bundesrates in seiner Stellungnahme zum Jahressteuergesetz 2008 erachtet der Bund der Steuerzahler die Wirtschaftsidentifikationsnummer des Arbeitgebers und die Steueridentifikationsnummer sowie das Geburtsdatum des Arbeitnehmers zur Authentifizierung des Datentransfers für unzureichend. Nachzubessern ist auch beim Entwurf des § 39 c Abs. 1 EStG. Solange keine elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale vorliegen, soll längstens für die Zeit von drei Monaten trotzdem eine Besteuerung nach den voraussichtlichen Lohnsteuerabzugsmerkmalen und nicht pauschal nach der Lohnsteuerklasse VI erfolgen. Sollte es Probleme bei der Einführung geben, so träfe dies die Arbeitnehmer, die wegen einer falschen Steuerklasse zu viel Steuern bezahlen müssten. Das würde korrigiert werden müssen, sobald die richtige Einstufung vorliegt. Die kurze Frist produziert nur übermäßige Bürokratie. Eine Verlängerung der Frist würde diese beseitigen und nicht einmal zu Steuerausfällen führen. Richtig ist der Wunsch des Bundesfinanzministeriums, bei der Problematik von ungerechtfertigt ausgezahlten Zulagen zur Riester-Rente eine unbürokratische Lösung zu suchen. Das Ministerium erklärt, betroffene Riester-Sparer müssten lediglich die für die Vergangenheit fälligen Beiträge nachzahlen und ihrem Anbieter Bescheid geben, für welche Jahre diese Zahlungen bestimmt seien. Um alles andere kümmere sich der Anbieter und die Zulagenstelle. Die Zulagenstelle werde dann automatisch eine zwischenzeitlich zurückgeforderte Zulage auf den Riester-Vertrag des Betroffenen zurückzahlen. Der Wunsch des Ministeriums nach einer unbürokratischen Lösung ist richtig. Der Koalitionsvertrag sieht nichts anderes vor. Die Koalition hat dort vereinbart, die steuerliche Förderung der Altersvorsorge zu entbürokratisieren und zu flexibilisieren. Alles andere als eine unbürokratische Lösung widerspräche dem. Für die betroffenen Riester-Sparer wird dieses Ziel einer unbürokratischen Lösung auch wunderbar erreicht. Jedoch muss noch einmal geprüft werden, ob das auch auf der Anbieterseite der Fall ist. Auf den ersten Blick erscheint es fraglich, ob die Versicherungsbranche tatsächlich dafür ausgestattet ist, für mehrere Jahre rückwirkende Nachzahlungen von Altersvorsorgebeiträgen zu erheben. Die Anbieter müssten geänderte Meldungen an die Zulagenstelle schicken. Erforderlich wäre wohl zudem eine Änderung der Datenverarbeitungssoftware. Die Problematik verschärft sich, da es bislang nur um fehlende Eigenbeiträge in den Jahren von 2005 bis 2007 geht. Wie sich das Problem in Bezug auf die Jahre 2008 bis 2010 darstellt, ist noch offen. Die jetzige Ausgestaltung bringt zwar eine unbürokratische Lösung aufseiten der Riester-Sparer, doch verschiebt sie die Bürokratielasten auf die Anbieterseite. Der bürokratische Aufwand ist kostenträchtig. Es ist sicher möglich, einen Weg für eine nicht nur einseitig, sondern insgesamt unbürokratische Lösung zu finden. Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel einer Flexibilisierung und Entbürokratisierung der Riester-Rente sollten wir im Hinblick auf das hier angegangene spezifische Problem nicht aus den Augen verlieren. Es gilt, den anspruchsberechtigten Personenkreis und die förderbare Produktpalette zu erweitern. Deswegen ist es weiterhin unser Ziel, die Riester-Rente für Selbstständige zu öffnen. Auf Produktseite sollten Berufsunfähigkeitsversicherungen zulagefähig werden. Die Zulage sollte auch fürs Bildungssparen eingesetzt werden dürfen. Wir können nicht wissen, welche Absicherungswünsche in den jeweiligen Haushalten im Vordergrund stehen. Wir wissen aber, dass niemand besser darüber entscheiden kann als die Betroffenen. Diese sollten eigenverantwortlich tätig werden und das jeweils optimale Produkt auswählen dürfen. Das müssen wir ermöglichen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die EU-Richtlinie 2010/24/EU vom 16. März 2010 bis spätestens Ende 2012 in nationales Recht umgesetzt werden und das EGBeitreibungsgesetz vom 13. Dezember 2007 ablösen. Der Gesetzentwurf sieht zahlreiche Änderungen in vielen Bereichen wie dem Einkommensteuergesetz, dem Körperschaftsteuergesetz, dem Bewertungsgesetz und auch im Erbschaftsteuer- und Schenkungsgesetz vor, jedoch hat eine Vielzahl der Regelungen mit der Beitreibung nichts zu tun. Ein Ziel ist die gegenseitige Eintreibung von Steuern zwischen den EU-Mitgliedstaaten. In dem GesetzentZu Protokoll gegebene Reden wurf sind auch einige interessante Passagen eingearbeitet worden, beispielsweise die der Aufhebung der Sanierungsklausel. Der Bundesrat hat sich ebenfalls umfassend zu diesem Gesetzentwurf geäußert und etlichen Korrekturbedarf angemeldet. Im Rahmen der laufenden Beratungen, abschließende Beratung ist am 30. September 2011, werden wir uns noch auf zahlreiche Änderungen einstellen müssen. Nun komme ich kurz zu einigen Punkten des Gesetzentwurfes: Ein erster Punkt, die Abschaffung der Sanierungsklausel. Diese wurde im Rahmen des Bürgerentlastungsgesetzes eingeführt und im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes entfristet. Sie führte dazu, dass der Mantelkauf - Unternehmen kaufen andere Unternehmen auf, um mit deren Verlust sofort die eigene Steuerlast für künftige Jahre zu reduzieren wieder genutzt wurde. Die Kriterien zum Mantelkauf hielten wir aber schon damals nicht für streng genug, denn viele der aufgekauften Unternehmen wurden nicht weitergeführt. Obendrein, und das kritisierte letztendlich die EU-Kommission, wurde die Regelung entfristet. Sie leitete daraufhin ein Verfahren gegen Deutschland ein, mit der Konsequenz, das die Sanierungsklausel ab Mai 2010 nicht mehr angewendet wurde. Im Januar 2011 entschied die EU-Kommission, dass die Sanierungsklausel nicht im Einklang mit den Regeln für staatliche Beihilfen stehe. Nun soll sie im Rahmen dieses Gesetzes wieder abgeschafft werden. Allerdings plant die Bundesregierung parallel eine Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss der EU-Kommission zu erheben. Im Falle eines Stattgebens der Klage würde das bedeuten, das die Sanierungsklausel für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 wieder Anwendung finden würde, eine Steuervereinfachungsmaßnahme wäre das übrigens nicht. Des Weiteren forderte die EU-Kommission von der Bundesregierung eine Liste der Begünstigten, die sie über den Gesamtbetrag an zurückfordernder Beihilfe informiert. Nachdem uns die Bundesregierung sehr zögerlich Informationen gab, ist es mehr als fraglich, ob die Sanierungsklausel ihr eigentliches Ziel erfüllt, denn sie wurde kaum genutzt. Ein zweiter Punkt, die Riester-Rente. Sie wollen mit der Regelung in Art. 2 Nr. 3 des Gesetzentwurfes verhindern, dass, wenn etwaige Statusveränderungen auftreten, die Zulageberechtigung für die Riester-Rente nicht wegfällt, indem Sie in § 10 a Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes einen Mindestbetrag von 60 Euro einfügen wollen. Praxisprobleme bestehen aber weiterhin bei Sparern, die nicht rechtzeitig ihre Beitragsleistung anpassen können. Der Bundesrat weist darauf in seiner Stellungnahme hin und schlägt eine konkrete Änderung vor. Hier müssen Sie noch korrigieren. Ein dritter Punkt, das in Art. 11 des Gesetzentwurfes vorgesehene Wahlrecht bei der Erbschaftsteuer. Demnach will die Bundesregierung ein Antragsrecht einführen, wodurch beschränkt steuerpflichtige Erwerber, also diejenigen, die weder ihren Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, aber dennoch Einkünfte aus dem Katalog der inländischen Einkünfte vorweisen können, sich durch Antrag wie ein unbeschränkt Steuerpflichtiger behandeln lassen können. Dadurch wären dann auch die deutlich höheren Freibeträge anwendbar, was bei einem Erbe oder einer Schenkung zu geringeren Steuern führen würde. Diesen Vorschlag lehnen wir ab, denn er birgt Ungerechtigkeiten in sich. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass sich die Erben die für sie günstigste Variante zurecht rechnen können, bei der sie am wenigsten Steuern zahlen. Auch zeigt dieser Vorschlag wieder einmal, dass die Bundesregierung, wie der EuGH die Kapitalverkehrsfreiheit überbetonen, welche als Begründung vorgeschoben wird. Neben diesen Punkten ließen sich weitere aufzählen. Im laufenden Beratungsverfahren wird sich noch einiges an Änderungen geben. Meine Damen und Herren, viele Regelungen hätten Sie auch in das Jahressteuergesetz packen können, aber dies, so scheint mir, wollen Sie durch künftige Steuervereinfachungsgesetze ersetzen. Dieses Gesetz ist ein Riesen-Omnibusgesetz, viele Regelungen haben mit dem Thema Beitreibung rein gar nichts zu tun. Sie nutzen das Gesetz einfach, um Ihre Dinge unterzubringen, die eigentlich in ein Jahressteuergesetz gehören. Und das kann wohl kaum Sinn und Zweck sein.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir Grüne begrüßen vom Grundsatz her die Umset- zung der Beitreibungsrichtlinie. Die Erweiterung der Amtshilfe innerhalb der EU auf alle Steuern und Abga- ben ist sinnvoll und notwendig. Auch die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den Steuerbe- diensteten in den einzelnen Mitgliedstaaten, die Vereinfa- chung des Zustellungsverfahrens und die Schaffung eines wirksameren Beitreibungs- und Sicherungsverfahrens ist für die Sicherung der Steuereinnahmen in Deutschland wie auch bei den europäischen Partnern wichtig. Wir sehen jedoch Verbesserungsbedarf in der prakti- schen Umsetzung in der Bundesrepublik im Bereich der Zusammenarbeit europäischer Steuerbehörden. So wurde 2010 ein Drittel aller Amtshilfeersuchen im Be- reich der Umsatzsteuer von den deutschen Behörden au- ßerhalb der vorgegebenen Dreimonatsfrist beantwortet. Die Bundesregierung ist also aufgefordert, auch ohne Anstoß der EU für weitere Verbesserungen im Bereich der gemeinschaftlichen Steuerbeitreibung zu sorgen und mit gutem Beispiel voranzugehen. Das Gesetz enthält neben der Umsetzung der Beitrei- bungsrichtlinie eine Reihe weiterer steuerlicher Ände- rungen: So nimmt die Bundesregierung die sogenannte Sanie- rungsklausel mit diesem Gesetz zurück. Anfang des Jah- res hatte die EU-Kommission die Sanierungsklausel für unvereinbar mit den EU-Beihilferegeln erklärt. Die Sa- nierungsklausel besagt, dass eine Körperschaft trotz Be- teiligungserwerb zum Verlustvortrag berechtigt sein kann, wenn sie zum Zweck einer Sanierung erfolgt. Mit Zu Protokoll gegebene Reden dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Ende 2009 hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung diese für die Krise konzipierte Maßnahme entfristet und die Kommissions- entscheidung provoziert. Wir Grüne hatten schon bei der Einführung der Sa- nierungsklausel im Juli 2009 kritisiert, dass die Beibe- haltung von Arbeitsplätzen nicht als zwingende Voraus- setzung für die Inanspruchnahme der Klausel enthalten ist. Dies muss jedoch ein wichtiges Motiv sein, um in Sa- nierungsfällen eine staatliche Unterstützung zu geben. Denn wenn im Wettbewerb Unternehmen scheitern, kann und darf der Staat im Prinzip nicht eingreifen. Deutschland hat im Übrigen hervorragende Instru- mente, vor allem die Regelungen zur Kurzarbeit, die es Unternehmen erlauben, Schwächephasen zu überstehen. Laut Angaben der Bundesregierung wurde die Sanie- rungsklausel bisher auch eher in geringem Maße in An- spruch genommen: Für den Geltungszeitraum 2007 bis 2009 gab es 40 Begünstigte mit einem Gesamtvolumen von 1,78 Millionen Euro, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken. Das spricht für eine eher begrenzte Wirkung der Sanierungsklausel. Gleich- zeitig verspricht sich die Bundesregierung durch die Ab- schaffung der Sanierungsklausel steuerliche Mehrein- nahmen von 445 Millionen Euro pro Jahr. Bei dieser Diskrepanz der Zahlen muss das Bundesfinanzministe- rium dringend Aufklärungsarbeit leisten. Es ist richtig, dass die Sanierungsklausel aus dem Unternehmensteuerrecht gestrichen wird. Wir Grünen teilen die Bedenken der EU-Kommission, dass diese Re- gelung eine ungerechtfertigte Subvention ist. Die schwarz-gelbe Bundesregierung trägt die Verantwor- tung dafür, dass die betroffenen Unternehmen jetzt kurz- fristig Steuern zurückzahlen müssen. Lassen Sie mich aber einen bedeutenden Gesichtspunkt hinzufügen: Wichtig für die Zukunft bei der Frage des Ver- lustübertrages im Sanierungsfall ist es - auch im Hinblick auf die Regelungen zum Mantelkauf -, eine angemessene Regelung für die Übernahme von Technologie- unternehmen zu finden. Typischerweise haben technolo- gieorientierte Unternehmen eine lange Entwicklungszeit, in der erhebliche Verluste kumuliert werden. Dies führt dann häufig zu einem Wechsel der Eigentümer, die mit fri- schem Geld und neuen Unternehmenskonzepten einer Ge- schäftsidee zum Durchbruch verhelfen. In diesen Fällen muss ein Untergehen der in der Entwicklungsphase aufge- laufenen Verluste vermieden werden. Ich denke, dass wir uns mit diesem Thema noch einmal intensiver befassen müssen. Die Bundesregierung könnte jedoch bereits in diesem Gesetz aktiv etwas für die kleinen und mittleren Unter- nehmen tun. Es wäre eine gute Gelegenheit, um endlich die Grenze der Ist-Besteuerung bei der Umsatzsteuer von 500 000 Euro zu entfristen. Nach geltender Geset- zeslage würde die Grenze ab nächstem Jahr auf 250 000 Euro sinken. Auch der Bundesrat hat sich be- reits für eine Verlängerung im Rahmen dieses Gesetzes ausgesprochen. Diese Maßnahme wäre aus drei Grün- den eine erhebliche Entlastung für die mittelständische Wirtschaft: Erstens werden dadurch gerade kleine Unternehmen vor Liquiditätsengpässen bewahrt. Sie sind so weniger durch eine schlechte Zahlungsmoral ihrer Kunden be- einträchtigt. Bei der Soll-Besteuerung müssen Unter- nehmen bei Zahlungsverzug durch den Kunden neben dem finanziellen Nachteil durch die verzögerte Zahlung auch die nicht durch eine Kundenzahlung gedeckte Um- satzsteuer an den Fiskus vorschießen. Zweitens könnten der Bürokratieabbau und die Har- monisierung gefördert werden. Nach dem Bilanzrechts- modernisierungsgesetz besteht für Unternehmen mit ei- nem Umsatz bis zu 500 000 Euro keine zwingende Buchführungspflicht. So wäre die Beibehaltung der be- fristeten Grenze im Umsatzsteuergesetz für die Harmo- nisierung von Vorschriften sinnvoll. Außerdem müssten betroffene Unternehmen und Finanzämter ihre derzei- tige Praxis nicht wieder verändern. Drittens würde die Betrugsbekämpfung verbessert. Mit einer Kopplung des Zeitpunktes der Möglichkeit zum Vorsteuerabzug an die Zahlung der Rechnung könnte auch der Umsatzsteuerbetrug eingeschränkt werden. Es ist wichtig, dass für die Unternehmen und die Ver- waltung zeitnah Planungssicherheit geschaffen wird. Wir Grünen haben die Beibehaltung der 500 000-Euro- Grenze schon im Steuervereinfachungsgesetz im Früh- ling dieses Jahres gefordert. Dies hat Schwarz-Gelb da- mals leider abgelehnt. Nun wird es allerhöchste Zeit, diese sinnvolle steuerliche Maßnahme auch für die Zu- kunft zu bewahren. Zu guter Letzt führt diese steuerliche Maßnahme auch nicht zu dauerhaften Steuerausfällen, da sich nur der Zeitpunkt der Umsatzsteuerzahlung verschiebt. Das zeigt: Die Bundesregierung könnte durchaus mit intelli- genten Maßnahmen die Rahmenbedingungen für die kleinen und mittleren Unternehmen verbessern, ohne den Haushalt zu belasten. Da braucht es keine riesen Steuergeschenke auf Pump à la FDP.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- fes auf Drucksache 17/6263 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind ein- verstanden. Somit ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Transparenz und Kontrolle bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas in Deutschland - Drucksache 17/5573 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johanna Voß, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter, Vizepräsident Eduard Oswald weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Erdgasförderung auf Kosten des Trinkwassers - Fracking bei der Erdgasförderung verbieten - Drucksache 17/6097 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier im Präsidium vor.

Dr. Michael Paul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Förderung von sogenanntem nichtkonventionellem Erdgas kann auch für die deutsche Energieversorgung eine Chance sein, von Importen unabhängiger zu werden. Die Diversifizierung unserer Erdgasquellen könnte einen großen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, gerade in einer Zeit, in der der Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland forciert werden soll. Allerdings bestehen auch Risiken, die wir berücksichtigen müssen. Zu den nichtkonventionellen Erdgasvorkommen zählen solche Vorkommen, bei denen das Gas einer Förderbohrung nicht ohne weitere technische Maßnahmen in ausreichender Menge dem Bohrloch zuströmt, weil es entweder nicht in freier Gasphase im Gestein vorkommt oder das Speichergestein nicht ausreichend durchlässig ist. Neben Schiefergas ({0}) zählen Kohleflözgas ({1}) und Erdgas aus dichtem Sand- oder Kalkstein, Tight Gas, zum unkonventionellen Erdgas. Die Förderung von nichtkonventionellem Erdgas ist immer mit umfangreichen technischen Maßnahmen verbunden. Bei Erdgas in dichten Gesteinen ({2}) ist die Durchlässigkeit der Speichergesteine sehr gering. Daher müssen für die Gewinnung zusätzlich bessere Wegsamkeiten für den Austritt des Gases geschaffen werden. Dazu wird das Gestein über zunächst vertikale und dann in der Tiefe horizontale Bohrungen mit hohem hydraulischem Druck aufgebrochen ({3}). Das gezielte Aufbrechen des Gesteins durch hohen Druck wird bereits seit den 1950er-Jahren angewendet. Beim Fracking wird eine Flüssigkeit ({4}) unter hohem Druck ({5}) in das Gestein gepresst. Dieses besteht aus einem Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Additiven. In der Folge des hohen hydraulischen Drucks werden Klüfte im Gestein aufgebrochen und die gewünschten Wegsamkeiten für einen besseren Gasfluss geschaffen. Nach dem Fracking wird das eingepresste Frack-Fluid fast vollständig zurückgepumpt, wobei ein großer Teil des Quarzsandes in den Rissen verbleibt, um diese offenzuhalten. Danach strömt das in der Lagerstätte vorhandene Gas dem Bohrloch zu und kann - oft über Jahrzehnte - gefördert werden. In Deutschland ist das gasführende Schiefergestein meist in einem Tiefenbereich von 1 000 Metern und tiefer zu finden. Seit 1977 werden in Niedersachsen solche Bohrungen durchgeführt. Insgesamt wurden über 160 Frack-Behandlungen durchgeführt. In NordrheinWestfalen hat die zuständige Bergbehörde 19 Erlaubnisse zu gewerblichen Zwecken erteilt, die auf die Aufsuchung - das heißt Erkundung, jedoch noch nicht Gewinnung - von Erdgas in unkonventionellen Lagerstätten gerichtet sind. Bereits nach geltendem Recht muss bei allen Erdgaserkundungen zu jeder Zeit gewährleistet sein, dass bei den technischen Prozessen keine Substanzen oder Verfahren zum Einsatz kommen, die negative Auswirkungen auf die Grundwasserbeschaffenheit befürchten lassen oder die die Trinkwassergewinnung beeinträchtigen können. Deutschland hat durch die verschiedenen Genehmigungsverfahren auf Bundes- und auf Länderebene ein hohes Schutzniveau sowohl für das Grundwasser als auch für den Boden. Dies muss auch in Zukunft uneingeschränkt so erhalten bleiben. Für die Aufsuchung der unkonventionellen Erdgasreserven, das heißt für Maßnahmen zur Erkundung und zur Feststellung der Ausdehnung der vermuteten Lagerstätte, bedarf es nach dem Bundesberggesetz einer Erlaubnis und für die Gewinnung einer Bewilligung oder des Bergwerkseigentums. Zuständig sind die Bergbehörden der Länder. Soweit es sich um ein Vorhaben in der Explorationsphase oder um Erdgasförderungen von weniger als 500 000 Kubikmetern täglich handelt, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfungs-Verordnung Bergbau nicht zwingend. Trotzdem wird immer auch geprüft, ob das Vorhaben dem Grundwasser schaden könnte. Bei jeder Bohrung prüfen die zuständigen Ländergenehmigungsbehörden, ob eine Benutzung des Grundwassers im Sinne von § 9 Wasserhaushaltsgesetz, WHG, vorliegt. Wird diese Frage bejaht, so schließt sich ein wasserrechtliches Genehmigungsverfahren für die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis an. Das Wasserhaushaltsgesetz verlangt mit § 48, dass eine Erlaubnis für eine Grundwasserbenutzung nur dann erteilt werden darf, wenn keine nachteilige Veränderung der Grundwasserbeschaffenheit zu besorgen ist. Diese wasserrechtlichen und bergrechtlichen Prüfungen werden von den Ländern eigenverantwortlich vollzogen, weil auch nur die Behörden vor Ort über die notwendigen Detailkenntnisse verfügen und eine ausreichende Sachverhaltsermittlung und fundierte Bewertung durchführen können. Auch der Schutz der Schichten, die die Barrieren über und unter den grundwasserführenden Schichten bilden, sind bei der „Hydraulic Fracturing“-Technologie zu beachten. Weiterhin sind das bei der Bohrung an die Tagesoberfläche gespülte Bohrgut und die dabei eingesetzten Zusatzstoffe im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz von Boden und Gewässer zu beseitigen bzw. zu lagern. Auch hierfür bietet das geltende Wasserhaushaltsgesetz in § 48 die entsprechenden Rechtsgrundlagen. Beim Fracking wird das Gestein der Lagerstätte aufgebrochen. Das ist erwünscht. Nicht auszuschließen ist jedoch die Erzeugung weiterführender Klüfte über die Zielformation hinaus sowie die Verbindung mit natürlichen Kluft- und Risssystemen. Hierdurch können unkontrollierte Wege für Gase und eingepresste Flüssigkeiten in die darüberliegenden Grundwasserschichten entstehen. Folgen treten meist erst mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen und teilweise mit räumlichen Verschiebungen auf. Wenn erst Schadstoffeinträge im Grundwasser festgestellt werden, besteht kaum noch die Möglichkeit, eine Reinigung herbeizuführen. Es ist deshalb zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen, dass im Bereich der Trinkwassergewinnung und insbesondere in Wasserschutzgebieten keine bergrechtlichen Erkundungs- und Gewinnungsmaßnahmen erfolgen, die das Grundwasser gefährden könnten. Auch sollte die Fracking-Technik nur dort zugelassen werden, wo nachweislich geologische Schutzbarrieren vorhanden sind. Die Einführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für alle Erdgaserkundungs- und -fördervorhaben, die sich des Fracking-Verfahrens bedienen, halte ich für richtig. Zurzeit ist eine UVP nur bei Erdgasfördervorhaben mit einem Volumen von über 500 000 Kubikmetern täglich vorgeschrieben. Bei einer vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfung wird die Öffentlichkeit umfassend beteiligt, und auch die betroffenen Gemeinden und Kommunen werden zu jedem Zeitpunkt des Bewilligungsverfahrens über auf ihrem Gebiet stattfindende Fracking-Bohrungen Bescheid wissen. Dies wäre für die Transparenz der vor Ort durchgeführten Maßnahmen und somit auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung hilfreich. Abschließend möchte ich noch einmal zusammenfassen: Eine Erschließung der unkonventionellen Erdgasquellen in Deutschland darf aus energiewirtschaftlicher Sicht nicht verhindert werden. Entscheidend ist, dass sowohl die Erkundung als auch die spätere Förderung umweltfreundlich und nachhaltig erfolgen und dass insbesondere die Langzeitwirkungen geklärt sind. Die Information der Öffentlichkeit und der örtlichen Kommunen über die vor Ort geplanten Fracking-Bohrungen ist notwendig, um Transparenz zu schaffen, Sorgen zu nehmen und offene Fragen mit der Bevölkerung zu klären. Nur so kann Akzeptanz erreicht werden.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die aktuell vorliegenden Gesetzentwürfe von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken greifen eine Problematik auf, die in den letzten Monaten speziell in meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen thematisiert wurde. Hintergrund ist, dass das höchst umstrittene Verfahren des sogenannten Frackings bereits eingesetzt wird, ohne dass Behörden und Bevölkerung hinreichend über die Risiken und Probleme informiert werden, geschweige denn ein Mitspracherecht eingeräumt bekommen hätten. Beim Fracking handelt es sich um eine Methode zur Förderung von unkonventionellem Erdgas. Das ist Erdgas, das nicht mit herkömmlichen Methoden aus normalen Gasfeldern gefördert werden kann. Hierbei handelt es sich um Erdgas, das in den unterschiedlichsten Schichten dieser Erde eingelagert ist und erst durch Aufsprengen dieser Bodenstrukturen zu Tage gebracht werden kann. Hierfür wird ein bis dato undefiniertes Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden verpresst, um durch Druck Risse im Untergrund herbeizuführen und die Risse auch vor baldigem Verschluss wieder zu schützen. Was das für Chemikalien sind, welche Risiken genau sie bergen und ob sie gar wassergefährdend sind, wissen wir nicht. Womit wir bereits beim ersten und meines Erachtens nach größten Problem des Frackings wären: der potenziellen Gefährdung von Grund- und Trinkwasser. Aktuell wird für Genehmigungen ausschließlich das schwächere Bergrecht, nicht aber das wesentlich schärfere Wasserrecht angewendet. Da mit den Erkundungs- und gegebenenfalls auch Fördermethoden eine Gewässerbenutzung verbunden ist, bedarf es aber zusätzlich einer entsprechenden Prüfung und wasserrechtlichen Erlaubnis durch die Landeswasserbehörden. Selbst dem Bundesumweltministerium ist bisher nicht bekannt, welche Chemikalien in den Boden gelangen. Mit dieser Unwissenheit wäre es aber endgültig vorbei, würde das Wasserrecht angewandt. Bis in den Promillebereich müssten die bohrenden Firmen alles offenlegen. Das Einbringen wassergefährdender Flüssigkeiten wäre somit unmöglich. Die Tatsache, dass - wie die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen - Stoffe mit toxischer, karzinogener und mutagener Wirkung eingesetzt werden könnten, ist ziemlich beruhigend, wie ich finde. Weil bisher ausschließlich das besagte Bergrecht greift und niemand so recht zu wissen scheint, was wirklich in den Boden gepumpt wird, hat NRW ein Moratorium erlassen, das so lange gilt, bis eine wissenschaftliche Studie die Risiken der Fracking-Technologie erforscht hat. Erst wenn diese Studie zu dem Ergebnis der Gewässerunbedenklichkeit und noch einigen anderen positiven Ergebnissen kommt, können wieder Genehmigungen erteilt werden. Das macht NRW so, das fordern die lieben Kollegen von den Grünen, und das fordern wir als SPD. Eine ähnliche Problematik liegt bei der Abwasserentsorgung vor, denn der Wasserverbrauch pro Bohrung ist unglaublich hoch. Firmen würden das Wasser gerne in den Bohrungen verpressen, aber wir fordern eine ordnungsgemäße Entsorgung. Traurig, dass das keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Ein anderer Aspekt, der mir in der Debatte deutlich zu kurz zu kommen scheint, ist die Frage, ob wir unkonventionelles Erdgas wirklich fördern müssen, um unseren Energiehunger zu befriedigen. Aktuell ist dem sicherlich nicht so, die Gasversorgung ist gesichert. Und selbst, wenn sich eines fernen Tages eine Schere zwischen Bedarf und Vorräten abzeichnet, ist es nicht zu spät, mit der Förderung unkonventionellen Erdgases zu beginnen. Von daher besteht nicht der geringste Anlass, Dinge zu überstürzen und das Land in Claims zu unterteilen. Ich gehe davon aus, dass wir die Energiewende vollzogen haben werden, bevor der Bedarf nach unkonvenZu Protokoll gegebene Reden tionellem Erdgas kommt. Dennoch wollen wir die Suche und mögliche Förderung nicht vollständig unterbinden. Aber, wie gesagt, wir haben Zeit: Zeit für gründliche, wissenschaftliche Untersuchungen. Außer den Erdgasfirmen drängt ohnehin keiner, und denen sollten wir nicht so einfach nachgeben. Wenn denn aber diese Studie eine vollkommene Unbedenklichkeit bescheinigt, dann ist es an der Zeit, einen geeigneten Rechtsrahmen für die Erkundung und Förderung unkonventionellen Erdgases zu schaffen. Dieser sollte unter anderem die Haftungsfrage so regeln, dass das Risiko von Schäden, die entgegen aller wissenschaftlichen Gutachten vielleicht doch auftreten, zu 100 Prozent durch die Firmen getragen wird, die auch im Erfolgsfall die Gewinne einfahren. Die üblichen Forderungen, Gewinne bleiben bei den Firmen, Verluste und andere Risiken werden sozialisiert, sind mit uns nicht zu machen. Denkbar ist hier zum Beispiel die Bildung von Rücklagen. Das müsste zu gegebener Zeit diskutiert werden. Um nicht dieselben Fehler zu wiederholen, die Öffentlichkeit angemessen zu beteiligen und Transparenz zu gewährleisten, bedarf es einer Reform des Bundesbergrechts und der Umweltverträglichkeitsprüfung. Schon bei der Antragstellung auf die Vergabe von Aufsuchungslizenzen sind die Öffentlichkeit, Wasserbehörden, Städte und Kommunen umfassend zu informieren.

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Anträge der Linken und der Grünen wollen die Förderung der heimischen Energiereserve Schiefergas in Deutschland verbieten. Für mich ist das keine wirkliche Überraschung. Aber erst heute Vormittag hat die breite Mehrheit dieses Hohen Hauses über einen schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie abgestimmt. Gleichzeitig sind wir aber so rational, dass wir wissen, dass wir nicht aussteigen können, ohne in etwas anderes einzusteigen. Wer A sagt, muss auch B sagen. Erneuerbare Energien sollen perspektivisch diese Lücke schließen. Aber sie können es derzeit noch nicht alleine schaffen. Wir brauchen Leistung, die flexibel auf die Einspeisung von Wind und Sonne reagieren kann. Dafür kommen nur hocheffiziente Kohle- und Gaskraftwerke nach dem neusten Stand der Technik infrage. Und da gerade die antragstellenden Parteien den Neubau von Kohlekraftwerken nach Kräften behindern und verhindern, ist das wieder einmal die bekannte rot-grüne Doppelzüngigkeit. Bleiben uns also noch die Gaskraftwerke. 10 Gigawatt, hocheffizient und flexibel, benötigen wir bis 2013. Wie diese finanziert werden sollen und wer diese bauen wird, steht auf einem anderen Blatt; es ist jedenfalls derzeit noch nicht geklärt. Der Bedarf an Stabilisierung unserer Stromversorgung durch fossile Kapazitäten steigt, solange wir keine effizienten Speicher zur Marktreife bringen. Wenn es nach Ihnen geht, soll das Gas für die Gaskraftwerke über Jahrzehnte zementiert aus russischen Quellen und russischen Handelshäusern kommen. Im Jahr 2010 waren es schon 32 Prozent, und es sollen noch mehr werden. Dafür ist der erste Strang von Nord Stream fertig zusammengeschweißt. Für uns wichtige und verlässliche Lieferanten sind und bleiben Norwegen und die Niederlande. Das Anlanden von Flüssiggas ist in Deutschland leider großtechnisch noch nicht möglich. Aber wir hegen weiterhin die Hoffnung, dass im Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven ein vollwertiges LNG-Terminal entstehen wird. Damit könnten wir unsere Gasbezugsquellen diversifizieren, beispielsweise aus Katar, und damit die Versorgungslage unabhängiger als bisher sichern. Als eine realistische Alternative sehen wir insbesondere den Ausbau der heimischen Förderung von Gas. Diese trägt derzeit circa 15 Prozent zur heimischen Gasversorgung bei. Durch die Exploration von Schiefergas könnte dieser Anteil unter Bedingungen ausgebaut werden. Dass die von Ihnen angeklagte Technologie zur Förderung des Shale- oder Schiefergases möglich ist, beweist die Industrie weltweit schon seit 60 Jahren. Fracking oder Hydraulic Fracturing ist die angewandte Technologie, und das ist keine Zauberei. Es ist Ingenieurskunst, die unsere Anerkennung verdient. Mehr als 1 Million Mal sind damit schon Explorationen stimuliert worden. Ich selbst bin bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe gewesen. Vor Ort in Hannover habe ich mich von dieser nun wirklich unbefangenen Behörde von der Verlässlichkeit und den Voraussetzungen für den Einsatz dieser Technologie auch in Deutschland überzeugen können. Die trinkwasserführenden Schichten, deren Gefährdung in den Anträgen immer angesprochen wird, werden sehr wohl vor der Frack-Flüssigkeit geschützt. Spezielle Bohrungen, das heißt ein einzementiertes Verbundsystem aus Stahlrohren, verhindern Leckagen. Außerdem verhindert ein Deckgebirge aus Tonoder Salzschichten, die mehrere Hundert Meter mächtig sind, dass aus den gasführenden Schichten Gas oder toxische Flüssigkeiten in Wasserreservoire eindringen können. Dass eine solche geologische Barriere eine abdichtende Wirkung gewährleistet, wurde schon über geologische Zeiträume unter Beweis gestellt. Im Übrigen hat auch unsere Fraktion einen Antrag zu diesem Thema in Vorbereitung. Diesen werden wir nach der Sommerpause mit Ihnen diskutieren.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Grüne und Linke wollen mit ihren Anträgen die Förderung von Schiefergas unmöglich machen bzw. verbieten. Beide Anträge vermitteln dabei den Eindruck, eine andere Entscheidung wäre unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes nicht vertretbar. Einige Bedenken, die in dem Antrag der Grünen artikuliert werden, teile ich. Fracking ist eine Fördertechnologie, bei der unter Einpressen eines Wasser-SandChemikalien-Gemisches unter hohem Druck Risse im Gestein erzeugt werden. Dies erfolgt zwar regelmäßig in Tiefen, in denen sich kein für die Trinkwassergewinnung benötigtes Grundwasser befindet, aber dennoch: Durch Zu Protokoll gegebene Reden die Festschreibung einer geologischen Barriere wollen wir hier die bereits bestehende Sicherheit für die Umwelt und das Grundwasser noch einmal deutlich erhöhen. Wir sehen hier durchaus Verbesserungspotenzial. Die Grünen unterstellen in ihrem Antrag der Bundesregierung, sich dieses Themas zu verweigern. Dies ist schlichtweg falsch. In den letzten Monaten haben sich sowohl die Fraktionen intern als auch zusammen mit den Ministerien beraten und das weitere Vorgehen abgesprochen. Nach Einschätzung der Situation ist vonseiten des Bundes allerdings keine Hektik erforderlich, sondern in allererster Linie ein sauberer und solider Rechtsrahmen, der auch aufgrund der Versäumnisse in der Vergangenheit so nicht besteht. Man sollte an dieser Stelle nicht vergessen, dass die Förderung von unkonventionellem Erdgas auch in Deutschland auf eine jahrzehntelange Historie zurückblickt, insbesondere bei sogenannten Tight-Gas-Lagerstätten. Überdies - und das sollte man nicht vergessen - gibt die Bundespolitik zwar einen rechtlichen Rahmen vor. Allerdings haben die Länder und deren Behörden bereits jetzt eine Vielzahl an Instrumenten, um Genehmigungen vor Ort durch strenge Auflagen an tatsächliche Gefahren anzupassen oder auch im Einzelfall zu versagen. Es ist mir zu einfach, hier eine Totalablehnung der Gasförderung bei unkonventionellem Erdgas zu fordern, und auf nichts anderes zielen hier die beiden vorliegenden Anträge. Die Importabhängigkeit von russischem Erdgas ist offenkundig. Wir haben mit der jetzt beschlossenen Energiewende einen hohen Bedarf an Ersatzkapazitäten, der kurzfristig zu decken ist, und gleichzeitig Klimaschutzziele, die erreicht werden sollen. Die Grünen haben ambitionierte Ziele, aber bei jeder Einzelfrage klingt uns aus ihren Reihen ein dumpfes Nein entgegen. Die Grünen wollen Fracking nicht zulassen, solange keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Risiken und Folgen in den USA vorliegen und jede sonstige Gefahr sicher ausgeschlossen werden kann. Die Schiefergasförderung in den USA ist mit der Förderung in Deutschland nicht zu vergleichen. In den USA befinden sich gigantische Förderfelder, die mit den Vorhaben hierzulande weder hinsichtlich der angewandten Techniken noch hinsichtlich der Menge an verwendeten Chemikalien noch hinsichtlich der Größe und Folgewirkungen etwas gemein haben. Sie stellen doch auch nicht die Anforderung, dass die Umweltfolgen in Russland oder Aserbaidschan erst zu evaluieren sind, bevor in Deutschland Fördermaßnahmen gestattet werden sollen. Es geht einzig und allein darum, in Deutschland zu gewährleisten, dass keine Gefahren bestehen. Über die bestehenden niedrigeren Umweltstandards in anderen Ländern holen Sie sich die Rechtfertigung hier, einen Ausschluss herbeizuführen. Haben die amerikanischen Behörden und Gesetze versagt, dürfen wir auch hierzulande nicht fördern. Das ist keine sachgerechte Argumentation, sondern Polemik. Auch die Forderungen zum Bergrecht und zur Umweltverträglichkeitsprüfung sind zu weitgehend. Nach ihren Änderungswünschen müsste zukünftig jede einfache Erkundungsbohrung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen. Bei einer Erkundungsbohrung kommen regelmäßig aber überhaupt keine Chemikalien zum Einsatz. Hier werden Proben genommen, nicht mehr und nicht weniger. Das Kernproblem ist Fracking und der Einsatz von potenziell wassergefährdenden Chemikalien. Sie holen mit Ihrer Keule zu weit aus und gefährden dadurch energie- und umweltpolitisch sinnvolle Vorhaben. Wir streben sachgerechte und zielführende Lösungen an: einen höheren Umweltstandard beim Fracking und der Schiefergasförderung. In Wasserschutzgebieten ist Fracking generell auszuschließen. Über eine geologische Barriere ist sicherzustellen, dass Chemikalien nicht in das Grundwasser gelangen können. Die Transparenz vor Ort ist herzustellen. All dies sind Maßnahmen, die wir aufgreifen werden. Wir wollen die Schiefergasförderung verantwortlich ermöglichen. Sie wollen die Schiefergasförderung verhindern. Das ist unverantwortlich! Wir können unter strengsten ökologischen Bedingungen Energie in Deutschland erzeugen. Gerade jetzt ist es wichtig, wirklich alle Potenziale auszuschöpfen. Wir wissen um mögliche Engpässe in den kommenden Monaten und Jahren. Ich appelliere an die Vernunft, neue Technologien zu unterstützen. Wir setzen massiv auf neue Speichertechnologien. Wir setzen auf Netzausbau. Wir setzen auf CCS. Wir setzen auf Schiefergas. Wir setzen auch auf strengste Umweltmaßstäbe. Wenn Sie ein anderes Konzept haben, nennen Sie es. Belassen Sie es nicht bei bloßer Verhinderungspolitik. Seien sie kritisch, aber positiv. Ich habe derartiges von Ihnen bisher nicht gehört. Sie machen sich einen schlanken Fuß, wenn Sie sich um jedes Problem drücken.

Johanna Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004212, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

CDU/CSU und die FDP brauchten die Katastrophe von Fukushima, um zu verstehen, dass ihre Atompolitik und ihr Gerede von der „Brückentechnologie“ falsch war. Jetzt gibt es - scheinbar - eine neue „Brückentechnologie“: Erdgas. Besondere Hoffnung liegt auf der Förderung von heimischem unkonventionellen Erdgas. Hier spielen die großen Energiekonzerne schon wieder mit dem Feuer und werden dabei von der Regierung unterstützt. Brauchen wir erst wieder einen Unfall, um auch hier zur Einsicht zu kommen? Die Förderung von Erdgas mithilfe von Fracking ist keine Brückentechnologie, sondern eine Hochrisikotechnologie. Wir reden über die Förderung von unkonventionellem Erdgas mit der Methode des Hydraulic Fracturing, kurz: Fracking. Mit dieser - zumindest in der derzeitigen Form - noch recht jungen Fördermethode sollen künftig auch in Deutschland neue Erdgasquellen erschlossen werden. Uns wird versprochen, dass wir durch die Förderung von einheimischem Erdgas unabhängiger Zu Protokoll gegebene Reden von Gasimporten werden. Aber die Sache hat einen Haken - und zwar einen gewaltigen. Fracking ist mit hohen Risiken für die Bevölkerung und die Umwelt verbunden. Vor allem das Trinkwasser ist gefährdet. Beim Fracking werden mit hohem Druck riesige Mengen Flüssigkeit in den Boden gepresst. Die Frac-Flüssigkeit ist mit hochgiftigen Chemikalien versetzt. Die Gaskonzerne sagen, dass das Verfahren sicher ist und dass kein Frac-Wasser austreten kann. Die Bundesregierung verlässt sich in ihrer Bewertung auf die Werbebroschüren der Gaslobby und kommt damit - welch Überraschung! - auch zum Ergebnis, dass Fracking sicher ist. Aber woher wissen die das so genau? Die Bundesregierung musste im April im Umweltausschuss einräumen, dass es noch keine wissenschaftlichen Studien zu den Umweltauswirkungen von Fracking in Deutschland gibt. Das Umweltministerium hat - mit Berufung auf das Umweltbundesamt - erst vor kurzem einen Bericht auf seine Webseite gestellt. Dort ist nachzulesen, was beim Fracking alles passieren kann: Nicht nur die Bohrungen durch die trinkwasserführenden Schichten sind gefährlich. Auch durch die unterirdischen Sprengungen können Risse entstehen, durch die das Giftgemisch austreten kann. Und auch die Lagerung der zurückgewonnenen Flüssigkeit aus der Erdgasbohrung ist hoch gefährlich. Denn im Untergrund hat sich die giftige Flüssigkeit häufig auch noch mit radioaktiven Substanzen vermischt. Das klingt nach einem Horrorszenario - aber genau so steht es auf der Webseite vom Umweltministerium. Was brauchen wir noch? Wir können doch nicht warten, bis unser Trinkwasser großflächig vergiftet und radioaktiv verseucht ist, um die Gefahren von Fracking anzuerkennen! Schließlich belegen die vielen Vorfälle in den USA, dass Fracking gefährlich ist. In den USA wird Fracking schon jetzt großflächig eingesetzt. Dort gab es schon etlicheTrinkwasservergiftungen, Explosionen und Erdbeben. Der letzte Unfall ist noch nicht lange her: Im Bundesstaat Pennsylvania flossen am 20. April nach einem Fracking-Unfall tausende Liter giftige Flüssigkeit in einen nahegelegenen Fluss. Es dauerte mehrere Tage, bis das Austreten des Giftgemischs gestoppt werden konnte. Die Anwohner befürchten nun eine unumkehrbare Vergiftung des Wassers. Auch in Deutschland gab es schon Unfälle bei der Erdgasförderung. Wenn Fracking nun auch hier vermehrt eingesetzt werden soll, steigen die Gefahren. Das dürfen wir nicht zulassen! Nun heißt es immer, dass Erdgas ja umweltfreundlich ist. Aber: Erdgas ist ein fossiler Energieträger, bei dessen Verbrennung das klimaschädliche CO2 entsteht. Zwar weniger als bei Kohle, aber doch genug, um den Klimawandel zu beschleunigen. Auch Erdgas ist also ein Klimakiller. Und ganz besonders das unkonventionelle Erdgas, das nur mit einem riesigen energetischen Aufwand überhaupt erschlossen werden kann. Eine Energiepolitik, die den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ebnet, erfordert deswegen zu allererst drastische Einsparungen im Verbrauch von Erdgas! Erdgas muss so schnell wie möglich durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Jetzt auf den massiven Ausbau der Erdgasförderung zu setzen, ist damit schlicht der falsche Weg! Nehmen wir die Sorgen der betroffenen Menschen ernst: Dort, wo jetzt die ersten Probebohrungen beantragt sind, gibt es große Proteste. Die Menschen wollen kein Fracking, weil sie Angst um ihr Trinkwasser haben. Auch in anderen Ländern gibt es Proteste. In den USA und in Kanada wurden daraufhin Moratorien beschlossen, um die Umweltauswirkungen genauer zu untersuchen. In Frankreich ist die Regierung noch weiter gegangen. Sie hat am 9. Juni diesen Jahres ein Verbot von Fracking beschlossen. Das sollte auch hier möglich sein. Was brauchen wir noch, damit auch die Regierungsparteien einsehen, dass Fracking eine gefährliche Risikotechnologie ist? Reichen hier die vielen Unfälle in den USA nicht schon aus? Trinkwasserverschmutzungen für Generationen sind dort schon Realität. Nehmen wir uns Frankreich zum Vorbild und verbieten wir auch in Deutschland die hochriskanten neuen Fracking-Methoden in der Erdgasförderung!

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Weltweit befinden sich Energieunternehmen auf der Suche nach sogenanntem unkonventionelle Erdgas. „Hydraulic Frackturing“ oder „Fracking“ wird die Methode genannt, mit welcher durch Horizontalbohrungen und dem Einsatz diverser Chemikalien die Erdgasvorkommen erschlossen werden. Auch in Deutschland, hier vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, sowie in unseren Nachbarländern Frankreich und Polen wird inzwischen nach unkonventionellem Erdgas gesucht. Vor allem shalegas, das ist Erdgas aus Schiefergestein, steht im Fokus der Unternehmen. Da wir in Deutschland auf Erdgas in den kommenden Jahrzehnten als Energieträger nicht verzichten können, klingt die Aussicht auf die Erschließung neuer heimischer Erdgasvorkommen nicht zuletzt unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit erst einmal verlockend. Betrachtet man jedoch die Situation in den USA, wo die Förderung von unkonventionellem Erdgas mittlerweile über die Hälfte der Gesamtproduktion ausmacht, wird schnell deutlich, dass es sich hier jedoch um einen Goldrausch mit massiven Nebenwirkungen handelt: Trinkwasser wird durch Chemikalien und unkontrolliert entweichendes Methan vergiftet. Hinzu kommt ein enormer Flächenverbrauch sowie riesige Mengen an Wasser und Chemikalien, die angeliefert werden müssen. Je nach Tiefe der niedergebrachten Bohrung sind das bis zu 500 Lkw-Ladungen und mehr, was zu einer erheblichen Lärmbelästigung von Anwohnern führt, die Anfahrtsstraßen ruiniert und die CO2-Bilanz von unkonventionellem Erdgas deutlich verschlechtert. Auch die Entsorgung der in großen Mengen anfallenden Abwässer, die häufig durch Schwermetalle wie Quecksilber und auch radioaktive Stoffe belastet sind, stellt ein bisher auch in den USA ungelöstes Problem dar. In Deutschland werden Abwässer häufig einfach in sogenannten Disposalbohrungen versenkt. Zu Protokoll gegebene Reden Wir müssen diese Risiken und Probleme ernst nehmen, und die zuständigen Behörden sowie unabhängige Wissenschaftler müssen sie untersuchen. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, unter Einbeziehung der Fachbehörden, wie zum Beispiel das Umweltbundesamt und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Studien in Auftrag zu geben, mit dem Ziel, ein Monitoring für die Umweltauswirkungen zu installieren, um eine Bewertung vornehmen zu können. Dabei sollten zum Beispiel auch die Bohrstellen in Deutschland untersucht werden, an denen das Fracking-Verfahren in der Vergangenheit bereits angewendet wurde. Dazu gehört auch die Erstellung einer nachvollziehbaren Klimabilanz von unkonventionellem Erdgas, denn diese fällt aufgrund des hohen Energieaufwandes sicherlich schlechter aus als bei konventionell gefördertem Gas. Das Vorgehen der Energieunternehmen hat auch mal wieder gezeigt, wie intransparent das deutsche Bergrecht ist. Unbemerkt von Politik und Öffentlichkeit wurden schon vor längerer Zeit von den Bergbehörden der Länder großflächige Claims zur Exploration der vermuteten großen Gasvorkommen an die Unternehmen verteilt. Dies kam erst durch ein gezieltes Nachfragen der grünen Landtagsfraktion in NRW ans Licht. Es ist doch kein Wunder, dass sich angesichts einer solchen Praxis die Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel im Münsterland nicht mitgenommen fühlen. Wer befürwortet schon die Anwendung einer Technologie vor seiner Haustür, wenn das gesamte Internet voller Horrormeldungen darüber ist? Es gehört zu den dringenden Aufgaben staatlicher Behörden, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Eine Informationspolitik an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei zugunsten von Energiekonzernen ist falsch und nicht mehr zeitgemäß. Wir fordern daher die Bundesregierung weiter auf, eine grundlegende Reform des antiquierten deutschen Bergrechts einzuleiten, in deren Rahmen auch Elemente von Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung im Bergrecht verankert werden. Weiter brauchen wir einen Raumordnungsplan, der die unterschiedlichen Interessen an dem Untergrund berücksichtigt, um Interessenskollisionen zu vermeiden. Abschließend noch eine Bemerkungen zum Verhalten der Bundesregierung in den vergangenen Monaten: Seit einem Jahr stellen wir Anfrage um Anfrage zum Thema unkonventionelles Erdgas und erhalten regelmäßig von der Bundesregierung die gleichen nichtssagenden Antworten: Die Förderung von unkonventionellem Erdgas sei harmlos, und es sei keine Gefährdung des Trinkwassers zu erwarten. Im Übrigen liege die Zuständigkeit bei den Bundesländern. - Noch im Februar bekamen wir die gleichen Antworten von der Bundesregierung in einem schriftlichen Bericht an den Umweltausschuss präsentiert, inklusive einem Verweis auf eindeutig interessengeleitetes Informationsmaterial der Erdgasindustrie. Ein solches Vorgehen ist für einen Bericht einer Bundesregierung an das Parlament schlicht unwürdig und Zeugnis der beim Minister zu der Zeit offensichtlich herrschenden Ahnungslosigkeit. Die Bezirksregierung Arnsberg hat den gleichen Newsletter an die Kommunen in NRW versandt und ist dafür aufs Schärfste von der NRW-CDU in einem Antrag gescholten worden. Das waren Herrn Röttgens Parteifreunde! Und nur ein paar Wochen später macht er hier in Berlin genau dasselbe, und versucht uns Parlamentarier mit derselben hübschen Werbebroschüren für dumm zu verkaufen. Das ist nicht nur peinlich, das ist geradezu dreist. Doch inzwischen scheinen Herrn Röttgens Parteifreunde aus Nordrhein-Westfalen, die übrigens ein flächendeckendes Verbot für Fracking in NRW fordern, ihren Landesvorsitzenden darüber informiert zu haben, was in seinem Bundesland eigentlich los ist. Anders kann man sich die Äußerungen in einer Pressemitteilung aus dem BMU im Mai nicht erklären, denn auf einmal ist dort von potenziellen Gefahren für das Grund- und Oberflächenwasser durch Chemikalien die Rede. Das ist immerhin ein kleiner Lichtblick. Es bleibt aber die Frage offen, welche Konsequenzen Herr Röttgen aus diesem Wissen denn nun ziehen wird, denn wieder ist darin von der Zuständigkeit der Bundesländer die Rede. Ich fordere Sie hiermit auf, endlich Ihrer Pflicht nachzukommen und gemeinsam mit den Bundesländern klare Regeln für die Förderung von unkonventionellem Erdgas zu entwickeln! Hören Sie endlich auf, sich so aus der Verantwortung zu ziehen! Eine windige Pressemitteilung alleine reicht nicht aus, es bedarf konkreter Maßnahmen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/5573 und 17/6097 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Ulla Burchardt, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD 20 Jahre Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag - Ein gelungenes Beispiel und internationales Modell für den Austausch von Wissenschaft und Politik - zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Krista Sager, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Technikfolgenabschätzung im Bundestag und in der Gesellschaft stärken - Drucksachen 17/3414, 17/3063, 17/6287 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Thomas Feist Dr. Martin Neumann ({1}) Vizepräsident Eduard Oswald Hans-Josef Fell Die Reden werden, wie vereinbart und in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen sind bei uns bekannt. Sie sind damit einverstanden.

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch wenn wir uns in diesem Hause bereits im letzten Jahr mit der wissenschaftlichen Politikberatung „Technikfolgenabschätzung“ beschäftigt haben, soll es noch Menschen in unserem Land geben, die mit dem Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, TAB, nichts anfangen können. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, kurz das TAB vorzustellen, bevor ich Ihnen näher darlege, warum die hier zur Beratung vorliegenden Anträge der SPD und Bündnis 90/Die Grünen aus der Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion abzulehnen sind. Im November 1989 traf der Bundestag die Entscheidung, die Technikfolgenabschätzung im Parlamentsbetrieb zu institutionalisieren. Dazu wurde im Jahre 1990 mit dem heutigen Karlsruher Institut für Technologie, KIT, die Einrichtung eines Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags vertraglich vereinbart. Damit wurde das TAB ganz bewusst nicht in die Verwaltung des Deutschen Bundestages integriert, sondern es wird von einer externen Forschungseinrichtung eingerichtet und betrieben. Hierzu schließt der Deutsche Bundestag einen - bislang jeweils auf fünf Jahre befristeten - Vertrag mit dem Betreiber. Der Betreiber ist seit 1991 das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, ITAS, im Karlsruher Institut für Technologie, KIT, seit 2003 in Kooperation mit dem Fraunhofer, Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Der aktuelle, auf fünf Jahre befristete Vertrag, endet 2013. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ist das politische Steuerungsgremium für Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a GOBT. Er hat vor allem die Aufgabe, Anfragen zur Durchführung von „Technikfolgenanalysen“ aus den Fraktionen und Ausschüssen zu sichten, zu prüfen sowie zu entscheiden, welche der gewünschten Analysen durch das TAB durchgeführt werden sollen. Die Themenfestlegung erfolgt für einen längeren Zeitraum im überfraktionellen Konsens. Im letzten Jahr haben wir im Deutschen Bundestag anlässlich des 20. Geburtstages über das TAB debattiert und Bilanz gezogen. Ich möchte drei Punkte aus meiner damaligen Rede wiederholen, weil sie immer noch Gültigkeit haben: Zum Ersten möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei den Mitarbeitern des TAB für ihre geleistete Arbeit bedanken. Zum Zweiten möchte ich betonen, dass Technikfolgenabschätzung eben nicht nur das Erkennen von Gefahren bestimmter Technologien bedeutet, sondern auch die Chancen und Möglichkeiten, unsere neuen Technologien zu erkennen und deutlich zu machen. Drittens: Die Förderung des kontinuierlichen Dialogs zwischen Politik und Wissenschaft ist der Mehrwert der Institutionalisierung wissenschaftlicher Politikberatung. Das Büro ist unabhängig. Dennoch ist es trotzdem bemüht, alle Interessen auszugleichen. Dieser Dialog verläuft nicht immer reibungslos, aber - ich denke, so kann ich für uns alle sprechen - immer erkenntnisfördernd für beide Seiten. Erkenntnisfördernd waren die beiden hier vorliegenden Anträge allerdings nicht. Lediglich dem Lob für das TAB kann ich mich anschließen. Ganz deutlich widersprechen muss ich dem Vorwurf im Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, dass das TAB vorwiegend kostengünstig zugängliche, wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Mainstream referiere. Dies stimmt nicht mit der fraktionsübergreifenden Auffassung überein, dass die wissenschaftliche Qualität der TAB-Berichte über diesen Zweifel erhaben ist. Die interne Evaluation des TAB ({0}) kommt zu dem Schluss, dass mit den vorhandenen Strukturen und Mitteln eine qualitativ gute Arbeit geleistet werden kann. Der Antrag der Grünen widerspricht sich geradezu, wenn zu Beginn das TAB gelobt und ihm eine gute Qualität bescheinigt wird und eine Seite weiter doch die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit angezweifelt wird. Dem ist ausdrücklich zu widersprechen, die Bilanz bescheinigt das Gegenteil. Die in den Anträgen gestellte Forderung nach einer kontinuierlich festgeschriebenen Mittelerhöhung und eine damit verbundende Steigerung von Berichten könnte das TAB vor Probleme stellen; eine Überfrachtung des Parlaments und der Abgeordneten ist dabei nicht auszuschließen. Die interne Evaluation hat es bereits festgehalten: Das Berichterstatterprinzip läuft Gefahr, an seine Grenzen zu stoßen, wenn der Arbeitsaufwand der Berichterstatter zu groß wird. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass es zu Überschneidungen mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages oder externen Politikberatungseinrichtungen kommt. Die Erfahrung zeigt, dass ein Teil der Anträge durch das TAB aufgrund der unklaren Zielsetzungen der Antragsteller grundsätzlich schwer zu bearbeiten ist. Hier bietet sich die themengeleitete Zusammenführung von Untersuchungswünschen an, um Ziele systemisch und damit auch im Sinne der Nachhaltigkeit besser zu beschreiben. Dafür spricht auch, dass das Herausarbeiten von thematischen Gemeinsamkeiten verschiedener Anträge und das Überführen in zielorientierte fraktionsübergreifende Untersuchungsaufträge ein Kernmerkmal der parlamentarischen Technikfolgenabschätzung, TA, ist. Eine rein quantitative Erhöhung von Untersuchungsaufträgen steht dem entgegen. Allein bei der letzten Entscheidungsrunde wurde zum Teil aus Untersuchungswünschen mehrerer Fraktionen ein gemeinsamer und bearbeitbarer Antrag formuliert. Das Wissen über begrenzte finanzielle Ressourcen fördert sinnvolle thematische Antragstellung zusätzlich. Vor diesem Hintergrund ist die geforderte Mittelerhöhung mit einer Festlegung der Struktur des TAB über die Vertragslaufzeit 2013 hinaus nicht zu akzeptieren. Damit würde die Flexibilität des TAB wegfallen. Wenn wir uns überfraktionell über den Stellenwert wissenschaftlicher Politikberatung einig sind, werden wir in besonderen Fällen auch flexible Lösungen zur Unterstützung dieser Arbeit finden. Wir werden uns also immer wieder die Frage stellen müssen, welche Veränderungen nötig sind, um sich aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Darüber hinaus darf auch nicht vergessen werden, dass die Mittel des TAB im laufenden Haushalt maßvoll erhöht worden sind, um sicherzustellen, dass das TAB seine Aufgaben bis 2013 verlässlich erfüllen kann. Das ist in Zeiten knapper Haushaltskassen ein wichtiges Signal. Bezüglich der Forderungen der Anträge, mehr Anstrengungen zu unternehmen, um das TAB öffentlich noch sichtbarer zu machen, möchte ich aus der Bilanz des TAB folgendes zitieren: Die Rezeption der Ergebnisse parlamentarischer TA geht also weit über den Bundestag hinaus: Verbände, Nichtregierungsorganisationen, wissenschaftliche und Bildungseinrichtungen, die Ministerien des Bundes und der Länder, Schüler sowie Studenten verfolgen interessiert die Arbeit des TAB und fragen deren Ergebnisse nach. Insgesamt ist das Interesse an den TAB-Aktivitäten in zahlreichen Fachöffentlichkeiten, aber auch in der breiteren Öffentlichkeit, über die Jahre auf hohem Niveau stabil geblieben. Obwohl das TAB keine intensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betreibt, ist auch die Medien- und Presseresonanz erfreulich, und die Mitarbeiter des TAB werden häufig um Interviews oder Stellungnahmen gebeten. Ein Indiz für die öffentliche Aufmerksamkeit, die TA beim Deutschen Bundestag genießt, sind nicht zuletzt auch die regelmäßigen Anfragen von wissenschaftlichen, politischen und Bildungseinrichtungen an das TAB, über Ergebnisse aus den TAB-Projekten auf Tagungen und Kongressen zu berichten. Erhebliches Interesse gilt auch der Organisation und der Rolle von Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag generell. Dies zeigen an das TAB gerichtete Anfragen, über Arbeitsweise und Erfahrungen mit TA beim Deutschen Bundestag zu berichten. Auch als Adresse für interessierte Besucher erfährt das TAB Wertschätzung im In- und Ausland, wie zahlreiche Besucher aus Politik und Wissenschaft, aber auch Studenten- und Schülergruppen belegen. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Gerade auch die Beispiele der letzen Zeit, etwa die Vorstellung des Berichtes „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften - am Beispiel eines großräumigen Ausfalls der Stromversorgung“, haben das große Interesse an Berichten des TAB gezeigt. Ich finde, wir können damit sehr zufrieden sein. Man wird mit wissenschaftlichen Themen selbstverständlich nie die Leserzahl einer Boulevardzeitung erreichen; man darf aber auch nicht vergessen, dass es sich bei den TAB-Berichten um hochkomplexe und umfangreiche Dokumente handelt, die nicht beliebig komprimiert und damit medientauglich gemacht werden können. Schlussendlich: Der Antrag der Grünen stellt aus meiner Sicht eher eine generelle Abrechnung mit der Regierungspolitik dar, als das er sich auf das TAB bezieht. Die Äußerungen, dass Technikfolgenabschätzung Kernkraftwerke verhindert hätte, und die Kritik an der Erforschung der Kernfusion sind so nicht mitzutragen. Es ist sicherlich das gute Recht der Opposition, die Koalition zu kritisieren. Der wissenschaftlichen Arbeit des TAB ist dies allerdings nicht angemessen.

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das TAB haben wir vor über 20 Jahren gegründet. Ziel war es, eine Institution zu schaffen, die uns in den weitreichenden Themenstellungen unserer Zeit mit wissenschaftlichem Sachverstand zur Seite steht. Dieser Thinktank des Parlaments hat sich in den letzten 20 Jahren national wie international einen guten Ruf erarbeitet. Mit der Arbeit des TAB haben wir als Parlamentarier einen sehr aktiven und kreativen Partner, der uns bei unserer Mitverantwortung für den gesellschaftlichen Wandel unterstützt. Im Zeitalter digitaler Medien und Kommunikation erleben wir die Potenzierung von Informationsfluten. Daher werden insbesondere auch von uns Politikern schnelle, kompetente und lösungsorientierte Entscheidungen erwartet. Genau deshalb müssen wir uns auch immer wieder kritisch fragen, inwieweit das TAB seinen Aufgaben noch gerecht wird. Das TAB beschäftigt derzeit acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen. Im Haushaltsplan ist dafür ein Etat von bislang jährlich 2 Millionen Euro enthalten. Für die institutionelle Förderung stehen derzeit 1,4 Millionen Euro und für die Vergabe von Gutachten an externe Experten 613 000 Euro zur Verfügung. Das ist, wie ich finde, eine ordentliche Summe, mit der bisher gute Ergebnisse erzielt werden konnten. Die SPD fordert in ihrem Antrag eine Erhöhung der Gelder für das TAB. Bereits im laufenden Haushalt 2011 hat es jedoch eine solche Erhöhung gegeben. Daher stellt sich die Frage, ob die derzeit zur Verfügung stehenden Gelder für das Büro für Technikfolgenabschätzung nicht doch ausreichend sind. Eine solide Haushaltskonsolidierung darf bei der derzeitigen Lage nicht aus den Augen gelassen werden. Aus meiner Sicht ist es daher ratsam, mithilfe einer externen Evaluierung genauestens zu untersuchen, ob an dieser oder jener Stelle Justierungsbedarf oder Nachsteuerungsbedarf bei der Arbeit des TAB notwendig geworden ist. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, fordern in Ihrem Antrag unter anderem mehr Gelder für die Öffentlichkeitsarbeit des TAB. Aber brauchen wir das? Ich meine, wir brauchen das nicht. Das TAB erfüllt keinen öffentlichen Auftrag und ist eigens zur Unterstützung unserer Parlamentsarbeit geschaffen worden. Es ist weder eine Art nationale Akademie noch ein Ethikrat. Es ersetzt auch nicht die zahlreichen ExpertenanhörunZu Protokoll gegebene Reden gen, die in den letzten Jahren die Arbeit der Parlamentarier bei Gesetzgebungsverfahren unterstützten. Das TAB betreibt auch keine sozialethische Begleitforschung, keine explizite Risikoforschung und ist ebenso nicht Teil eines Forschungsprogramms. Dafür greifen wir auf andere Instrumente zurück. Daher ist es eine berechtigte Frage, wie oft wir Parlamentarier oder auch die Bundesregierung die Dienste des TAB tatsächlich in Anspruch nehmen und wie es um die Zufriedenheit und Umsetzung bei den Auftraggebern hinsichtlich der einzelnen Berichte steht. Zusätzlich gilt es zu untersuchen, ob das TAB den bevorstehenden großen Zukunftsthemen in ausreichendem Maße gewachsen ist. Nehmen wir beispielsweise die derzeitige Energiewende und den Atomausstieg - ein Thema, das unser Land und die Gesellschaft in den letzten Wochen maßgeblich geprägt und auch verändert hat. Hier sind wir mit zahlreichen Fragestellungen technischer, gesellschaftlicher oder auch ethischer Natur konfrontiert. Wir als Politiker müssen diese jederzeit zufriedenstellend und vor allem schnell beantworten können. Daher muss auch das TAB in Bezug auf seinen In- und Output evaluiert und kritisch betrachtet werden. Wie Sie sich sicherlich erinnern können, gaben hin und wieder TAB-Berichte auch unserer Seite Anlass zu Kritik. Es kam vor, dass Vertreter einzelner Fraktionen die methodischen Grundlagen, die empirische Basis oder bestimmte Schlussfolgerungen, die im Bericht gezogen wurden, bemängelten. Zudem wird immer wieder kritisiert, dass die Berichte zu lange auf sich warten lassen. Hier gilt es aus meiner Sicht, wie bei jeder Institution, die schon so lange etabliert ist, die Frage zu stellen, ob die nötigen ursprünglichen Anforderungsprofile noch erfüllt werden oder ob nicht doch bestimmte Nachjustierungen notwendig sind. Wir werden Ihrem Antrag daher nicht zustimmen.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Anfang der Woche publizierte die „Süddeutsche Zeitung“ einen Aufsatz des Mediziners Dietrich Grönemeyer. Er schreibt darin über den menschlichen Forschungsdrang und den Begeisterungswillen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihr Fach, der viele Ergebnisse, Technologien und Produkte erst ermöglich hat. Gleichzeitig weist Professor Grönemeyer aber darauf hin, dass sich diese Wissenschaftler zu selten mit den möglichen negativen Auswirken dieser neuen Technologien auseinandersetzen. „Die nötigen Sicherheitskonzepte werden immer erst in der Not, kaum aber vorausschauend entwickelt“, so schreibt Grönemeyer. Leider hat Professor Grönemeyer mit dieser Aussage Recht. Die schlimmen Vorfälle in Fukushima haben uns dies leider wieder schmerzlich vor Augen geführt. Vor einer realistischen Abschätzung der möglichen Folgen der Atomkrafttechnik wurden dort, wie leider auch hier in Deutschland, viel zu lange die Augen verschlossen. Das war und ist verantwortungslos. Aber zum Glück gibt es viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich über die möglichen negativen wie positiven Auswirkungen von Technologie Gedanken machen. Diesen eigenen Wissenschaftszweig nennt man Technikfolgenabschätzung. Ich bin sehr stolz darauf, dass das deutsche Parlament vor über 20 Jahren ein eigenes Büro zu diesem Thema eingerichtet hat, das sogenannte TAB. Dort werden genau diese wichtigen Fragen behandelt. Es freut mich auch sehr, dass die Notwendigkeit dieses Büros mittlerweile fraktionsübergreifend bestätigt wird. Ich weiß, dass einige Abgeordnete dafür in ihrer Fraktionen ziemlich viel Überzeugungsarbeit verrichten mussten. Aber spätestens seit Fukushima wächst auch in den konservativen Reihen die umfassende Erkenntnis, dass durch eine ernsthafte und frühzeitige Beschäftigung mit Chancen und eben auch den Risiken allen Beteiligten viel Leid und Ausgaben erspart werden kann. Denn nur wer die Risiken realistisch einschätzen kann, kann sich gegen diese wappnen und damit die Chancen der Technologie adäquat nutzen. Stark beeindruckt hat mich zum Beispiel einer der letzten TAB-Berichte mit dem Thema „Auswirkungen eines großflächigen Stromausfalls“. Hierbei untersuchen die Verfasser im Auftrag des Bundestages, wie gut bzw. schlecht Bereiche des täglichen Lebens wie zum Beispiel die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung auf einen Stromausfall vorbereitet sind. Und das Ergebnis ist niederschmetternd. So schreiben die Autoren: Die Folgeanalysen haben […] gezeigt, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit ({0})notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist. Hier zeigt sich, wie verletzlich und abhängig wir in unser heutigen modernen Welt doch sind. Die vielen Teilnehmer bei der öffentlichen Vorstellung des Berichts Mitte Mai zeigen uns, wie groß das Interesse dafür ist. Die Erkenntnisse des Berichts stellen nicht nur Informationen für Politik und Gesellschaft zur Verfügung, sondern können sich auch zu einem Auftrag an die Politik entwickeln: zum Beispiel dafür Sorge zu tragen und die Voraussetzungen zu schaffen, dass beschriebene Szenarien möglichst nicht oder wenigstens abgemildert eintreten. Übersetzt für diesen Bereich wären das zum Beispiel politische Initiativen zur Umgestaltung der Energieversorgung hin zu mehr Autarkie und Dezentralität. TAB-Berichte nehmen oft gesellschaftliche Diskussionen vorweg. Dies haben wir bei den Berichten zur Nanotechnologie, der Fusionsforschung oder dem CERN gesehen. Das Parlament beschäftigt sich vorab also durchaus mit möglichen Risiken von Technologien. Am Ende liegt es aber natürlich an uns Abgeordneten, wie wir mit den Informationen umgehen. Im Fall des Berichts Stromausfall, den ich Ihnen wirklich allen zur Lektüre empfehlen kann, hoffe ich, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in den entsprechenden Ausschüssen daraus die nötigen Konsequenzen ziehen. Technikfolgenabschätzung ist ein wichtiger Bestandteil der Wissenschaft. Wir im Deutschen Bundestag sind dabei bereits gut aufgestellt. Deshalb sollte es uns eigentlich leichtfallen, unsere europäischen Partner davon zu überzeugen, zum Beispiel für das europäische Zu Protokoll gegebene Reden 8. Forschungsrahmenprogramm mehr Geld für den Bereich der Technikfolgenabschätzung zur Verfügung zu stellen. Hier ist jetzt besonders die Bundesregierung gefragt auf europäischer Ebene tätig zu werden. In unserem Antrag fordern wir unter anderem mehr Geld für das TAB. Denn die Anzahl der vom Parlament eingeforderten Berichte steigt ständig. In den nächsten Monaten erwarten wir zum Beispiel Berichte zu so spannenden Themen wie Elektromobilität, Synthetische Biologie, Geoengineering oder ökologischem Landbau. Um diese so unterschiedlichen Themen in der nötigen Tiefe und Breite bearbeiten, braucht es aber auch die entsprechende Anzahl an Mitarbeitern. Insofern ist es nur konsequent, dass nach langen Jahren der Stagnation auch die Mittel für das TAB steigen. Die diesjährige Erhöhung war ein erster Anfang. Es müssen aber, abhängig vom Arbeitspensum, weitere folgen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird an diesem Thema dranbleiben.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vor jetzt mehr als 20 Jahren wurde das Büro für Technikfolgenabschätzung ({0}) beim Deutschen Bundestag gegründet und leistet seitdem einen hervorragenden Beitrag für die Arbeit des Parlaments. Besonders anzuerkennen sind aus meiner Sicht die Qualität und die hohe Zahl der bearbeiteten TA-Untersuchungen. Dass in 2010 ein neuer Höchststand von Projektvorschlägen erreicht wurde, zeigt die Bedeutung des Beratungsbedarfs. Die Arbeit des TAB fördert sowohl das Verständnis für potenzielle Auswirkungen und Folgen als auch die Entwicklungsmöglichkeiten von Technik und Wissenschaft. Über die Jahre hinweg haben die Berichte des TAB die Abgeordneten des Deutschen Bundestags insbesondere dabei unterstützt, wichtige Entscheidungen auf aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis zu treffen. Darüber hinaus fanden die Berichte auch außerhalb der Politik im öffentlichen Raum einen bemerkenswerten Anklang und Nutzen, welcher an dieser Stelle in seiner Tragweite nur schwer abzuschätzen ist. Insofern ist es bedauerlich, dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nur in Teilen die Qualität der Arbeit des TAB würdigt. Die Beurteilung der Grünen, dass der TAB vorwiegend den kostengünstigen zugänglichen wissenschaftlichen Mainstream wiedergebe, ist aus meiner Sicht ebenso nicht nachvollziehbar, genausowenig wie die Kritik, dass überwiegend Hauptforschungsrichtungen in die Arbeit einbezogen werden. Ebenso zu kritisieren ist am Antrag von Bündnis 90/Die Grünen die Forderung nach einem automatischen Aufwuchs der finanziellen Ausstattung nach Umfang der Anforderungen. Dies führt nach meiner Auffassung zwangsläufig zu einer Untersuchungsflut und damit zu einem deutlichen Schwund der Qualität. Vielmehr müssen die Haushaltsmittel die Begrenzung beibehalten, um das sehr wirkungsvolle Instrument der Politikberatung vor Beliebigkeit und temporären Interessen zu schützen. Aus diesem Grund ist auch der von der SPD geforderte Aufwuchs der zu bearbeitenden TA-Untersuchungen abzulehnen. Die FDP legt einen höheren Wert auf Qualität als auf Quantität und lehnt eine reine Erhöhung der Zahl der TA-Untersuchungen ab. Inhaltliche Prioritäten sind nach meiner Auffassung entscheidend. Der in den Anträgen von SPD und Grünen geforderten Aufstockung der Haushaltsmittel für das TA-Büro wurde nun, nach Jahren der Stagnation, für das Haushaltsjahr 2011 entsprochen. Mit Blick auf die Forderung von Grünen und SPD, die Bundesregierung möge sich für die Sichtbarkeit des TA auf internationaler Ebene einsetzen, weise ich darauf hin, dass das TAB nicht nur ein aktives Mitglied des „European Parliamentary Technology Assessment“Netzwerks ist, sondern auf der letzten EPTA-Konferenz in Kopenhagen die deutsche Präsenz und Rolle überaus positiv wahrgenommen wurde. Da beide Anträge weder dem aktuellen Stand noch unserer grundlegenden Haltung entsprechen, stimmen wir den Anträgen nicht zu.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Radiologe Dietrich Grönemeyer hat jüngst in der „Süddeutschen Zeitung“ zum notwendigen Umdenken in der Wissenschaft nach Fukushima gesagt, dass es dabei nicht um neue Bescheidenheit im Sinne der Begrenzung wissenschaftlicher Neugier gehen könne. Der Forschung Maulkörbe aufzuerlegen, sei nicht wirksam und gehe vor allem am Kern des Problems vorbei. Was also ist das Problem, auf das uns menschliche und ökologische Tragödien wie in Fukushima oder auf der Tiefseebohrinsel „Deepwater Horizon“ stoßen? Das Problem ist die einseitige Beantwortung von gesellschaftlichen Herausforderungen durch technologische Großprojekte. Deren Lösungskompetenz wird alleine an der Ingenieursleistung gemessen. Zudem ist damit aus meiner Sicht oft ein anderes Problem eng verwoben: das häufig durchschaubare, aber nicht sichtbar gemachte ökonomische Interesse einflussreicher Lobbygruppen. Technikbegeisterung und ökonomische Profite für partikulare Gruppen sind seit Beginn des bürgerlichen Zeitalters mächtige Verbündete gewesen. Den Nimbus der Aufklärung haben sie aber längst verloren und werden nicht erst seit heute mit Forderungen nach ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit konfrontiert. Trotzdem fördert diese Bundesregierung Projekte wie aus einer anderen Zeit. Sie unterschlägt dabei gefährlich oft, dass Großprojekte ja große Probleme lösen wollen, weshalb eine technische Lösungsmatrix nicht ohne ein entsprechendes Gegenüber in der sozialen und politischen Wirklichkeit auskommt. Aus diesem Grunde hat die Linke immer das totale Schadensrisiko und die ungelöste Endlagerfrage der Kernkraft kritisiert, das Milliarden-Euro-Grab ITER abgelehnt und ausreichende öffentliche Erforschung der Risiken der Nanotechnologien eingefordert. Aktuelle beunruhigende Ergebnisse zur Umweltgiftigkeit von Nanosilber zeigen beispielsweise, dass auch hier eine Zeitbombe tickt. Was also leider zu häufig in der Politik fehlt, ist eine umfassende Technikfolgenabschätzung des Einsatzes von unbekannten oder mit einem bekannten gewissen Risiko ausgestatteten Materialien, Technologien oder Instrumenten. Zu Protokoll gegebene Reden Ehrgeizige Projekte wie Kernkraftwerke am Meeresufer in Fukushima, die alles an Hochtechnologie und Hightechmaterial aufbietenden Tiefseebohrinseln, aber auch die finanzmathematisch komplexen und sich auf die Wirtschaft ganzer Staaten katastrophal auswirkenden Finanzderivate, sie alle lehren uns, dass hier wenig über soziale und ökologische Folgeprobleme oder Krisenvorsorge nachgedacht worden ist. Sie lehren uns schließlich auch, dass Technologieförderung von Glaubenssätzen getragen wird und nicht primär vom wissenschaftlichen Fortschritt. Wenn die Technologien zu Störfällen werden, dann im Kern häufig nicht aufgrund von Technikversagen, sondern da sie ohne ausreichende Vorsorge angelegt und überhaupt nur eingesetzt werden, weil die politisch Verantwortlichen die Welt einseitig betrachten und sich der rationalen Begutachtung von sozioökologischen Risiken verweigern. Nun ist wissenschaftliche Politikberatung in letzter Zeit begehrt wie nie, wie die von der Regierung eingesetzte Ethik-Kommission zur Zukunft der Energie in Deutschland zeigt. Sie wird zugleich heftig angegangen. An der Stellungnahme der Akademie der Naturforscher Leopoldina zum zukunftsfähigen Energiemix in Deutschland und den Empfehlungen des Ethikrats für eine begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik entzündete sich eine öffentliche Debatte, ob Wissenschaft überhaupt Politik beraten sollte. Von Entmachtung der Politik durch ihre Verwissenschaftlichung war die Rede. Umgekehrt beklagten Forscherinnen und Forscher, die andere Auffassungen als die aufgezeigten Studien vertreten, eine Politisierung des Wissenschaftsbetriebs. Was beide Seiten übersehen ist, dass die genannten Tendenzen zwar etwas über die - ja gerade gewollte - Bedeutung des einen Bereichs für den jeweils anderen sagen, deswegen aber noch lange nichts über dessen Arbeitsweise. Wissenschaft soll unterschiedliche Blickwinkel, Deutungsmöglichkeiten jenseits von tradierten Pfaden und Verantwortung für Folgekosten aufzeigen, die alle die Meinungsbildung von Politikerinnen und Politikern unterstützen. Sie soll aber natürlich nicht politische Entscheidungen ersetzen: Politisch kann man entscheiden, ein Risiko einzugehen, wenn die Gefahren beherrschbar und die erwarteten gesellschaftlichen Gewinne groß erscheinen. Nur soll kein Abgeordneter und keine Abgeordnete sagen können, er oder sie hätte es nicht anders gewusst. Das Büro für Technikfolgenabschätzung, das im Mittelpunkt der heute debattierten Anträge steht, kann einer Diskussion um wissenschaftliche Unabhängigkeit hervorragend standhalten. Das liegt an seiner besonderen Anlage. Denn es wird von einem außeruniversitären Forschungsinstitut betrieben, das alleine über Personalfragen entscheidet. Weder Regierung noch Bundestag können sich da einmischen. Den Ruf der Unabhängigkeit hat sich das TAB in den letzten 20 Jahren erarbeiten und halten können. Entsprechend sind viele seiner Stellungnahmen in die parlamentarische Bearbeitung geflossen und auch für die Fachöffentlichkeit eine begehrte Referenz. Es hatte sichtbare Anstöße gegeben dafür, Energiespeichermedien als Vorbedingung für erneuerbare Energien zusätzlich zu fördern, das Potenzial transgener Pflanzen nicht zu überschätzen und Risikoforschung zu Nanotechnologien ernsthaft anzugehen. Zudem macht das große Interesse an öffentlichen Fachgesprächen wie zuletzt zu Perspektiven eines großflächigen Stromausfalls den Bundestag verstärkt zum Ort für vorausschauende gesellschaftliche Debatten. Vor diesem Hintergrund ist es mir völlig unverständlich, weshalb sich die Christdemokraten seit Jahren weigern, das Budget des TAB aufzustocken. Es erhält seit seiner Gründung erstmals eine kleine Erhöhung. Dennoch wird sich nicht grundsätzlich an der Tatsache etwas ändern, dass zwei Drittel der von Ausschüssen und Fraktionen eingereichten Anträge vom TAB nicht bearbeitet werden können. Gerade in Zeiten multipler Krisen müsste es über alle Fraktionsgrenzen hinweg einen Konsens darüber geben, dass Technikfolgenabschätzung unsere Zukunft sichert! Wenn Politik, gerade christlichkonservative Politik, seriös sein will, sollte sie beiden Anträgen zustimmen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Büro für Technikfolgenabschätzung existiert nunmehr seit über 20 Jahren. Nach langer Debatte, die schon in den 1970er-Jahren begann, konnte das TAB 1990 endlich seine Arbeit aufnehmen. Seitdem bietet es meist qualitativ hochstehende und insbesondere interessensunabhängige Beratungsgrundlagen für dieses Haus. Damit erhalten wir oft eine wertvolle Unterstützung für unseren Meinungsbildungsprozess, gerade auf Gebieten, die sehr komplex sind und vor allem neuartige technologische und sozioökonomische Sachverhalte betreffen. Zu den zentralen Aufgaben des TAB gehört es, die Potenziale neuer Technologien zu skizzieren und gleichzeitig deren gesellschaftliche und ökologische Auswirkungen abzuschätzen. In dieser Aufgabe hat das TAB in den letzen Jahren viele Entscheidungsfindungen maßgeblich beeinflusst. Als Beispiele möchte ich hier die Fälle des Raumgleiters Sänger II und die Bioethik nennen. Das Sänger-II-Projekt illustriert sehr gut, wie die Untersuchungen des TAB dazu beitragen können, unsinnige Entwicklungen zu verhindern. Erst durch den TAB-Bericht wurden grundlegende Fragen nach der Wirtschaftlichkeit der Entwicklung eines neuen Raumgleiters aufgeworfen. So konnten unnötige öffentliche Forschungsausgaben vermieden werden. Bei der Debatte um die Bioethik haben die Berichte des TAB wichtige Hilfestellungen für eine differenzierte Meinungsbildung gegeben. Die Arbeit des Parlaments deckt eine immer größere Bandbreite an Themenfeldern ab. Gleichzeitig wird aus fast allen Gebieten der Fachpolitik ein erhöhter Bedarf an umfangreicher Technikfolgenabschätzung angemeldet. Leider bekommt das TAB seit nunmehr 15 Jahren einen unveränderten Finanzrahmen. Das Budget lag jahrelang bei 2,045 Millionen Euro jährlich. Real sorgte die Inflation sogar für eine sinkende finanzielle Ausstattung. Deshalb musste das TAB aus Kapazitätsmangel allein in dieser Legislaturperiode zwei Drittel der AnfraZu Protokoll gegebene Reden gen abweisen. Immerhin gab es im Haushalt 2011 einen Inflationsausgleich. Die mangelnde finanzielle Ausstattung führt dazu, dass das TAB vorwiegend auf den wissenschaftlichen Mainstream zurückgreifen kann. Wozu dies führt, konnten wir 2006 bei der Einschätzung des TABs zur Elektromobilität erleben. Der wissenschaftliche Mainstream tat die Chancen der Elektromobilität mit Batterien als bedeutungslose Nischenanwendung ab. Das TAB kam zur gleichen Auffassung, da ihm die Mittel für alternative Untersuchungen fehlten. Kaum sechs Monate später wurde die Elektromobilität zum politischen Mainstreamthema. Hätte das TAB damals die Kapazitäten gehabt, auch alternative Quellen zu sichten und zu bewerten, wäre womöglich eine andere Sichtweise herausgekommen. Wer nun moniert, dass der Bundestag gerne die Gelder für eigene Institutionen aufbläht, dem sei vor Augen geführt, dass das TAB eine erfolgreiche und wichtige Institution zur Vermeidung von Mittelverschwendung ist. Das von mir bereits angesprochene Sänger-II-Projekt hätte den Steuerzahler Milliarden gekostet. Wären die Einwände des TAB zum ITER-Projekt gehört worden, dann hätten wir auch dort Milliarden einsparen können für eine Technik, die uns auf absehbare Zeit keinen energiepolitischen Nutzen bringen wird. Wenn es das TAB schon in den 1950er-Jahren gegeben hätte, wäre vielleicht auch die Atomkraft nie zu diesem Milliardenprojekt geworden, von deren finanzieller Belastung noch Generationen betroffen sein werden und von dem wir uns erst heute, viele Jahrzehnte später, gemeinsam verabschieden. Konkret wollen wir eine kontinuierliche Erhöhung der finanziellen Ausstattung des TAB, um den steigenden Anforderungen an eine erkenntnisgestützte Entscheidungsfindung gerecht zu werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, die unabhängige Begleitforschung als festen Bestandteil in die Forschungsprogramme aufzunehmen und in besonders kritischen Bereichen sowie in der Projekt- und Ressortforschung grundsätzlich fünf Prozent der Mittel für die Technikfolgenabschätzung zu reservieren. Die Abschätzung von Technikfolgen kann damit zum selbstverständlichen Bestandteil der Forschung werden. Auf der internationalen Ebene soll sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Technikfolgenabschätzung institutionalisiert wird, besonders auf der Ebene der Europäischen Union, der OECD und der Vereinten Nationen. Das TAB bietet eine Fülle wertvoller Politikberatungen. Wir sollten in allen Fraktionen mehr noch als bisher die Empfehlungen des TAB in den politischen Entscheidungen berücksichtigen und dem TAB die nötige finanzielle Ausstattung geben, uns kompetent und umfassend beraten zu können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6287, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3414 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3063. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Polarregionen schützen - Polarforschung stärken - Drucksache 17/5228 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen bei uns vor. Sie sind auch damit einverstanden.

Ewa Klamt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004203, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Erforschung der Polarregionen übt seit über 200 Jahren eine ungebrochene Faszination auf die Menschheit aus. Bereits Mitte des 18. Jahrhundert zog es Forscher in die Arktis und Antarktis. Damals waren die Motive für die waghalsigen Expeditionen im Norden die Entdeckung neuer Landgebiete oder Wasserwege, im Süden die Erforschung des neu entdeckten Kontinents Antarktika. Später kamen die Bezwingung der geografischen Pole sowie neue Erkenntnisse für Geophysik, Ozeanografie, Glaziologie, Biologie und weitere Wissenschaften hinzu. Inzwischen ist die Bedeutung der Polarforschung eine Umfassendere und für die gesamte Weltgemeinschaft Bedeutendere. Heute wissen wir, dass den Polarregionen eine maßgebliche Bedeutung in der Entwicklung des Weltklimas zukommt. Für das europäische Klima spielt die Arktis eine entscheidende Rolle. Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Temperaturen steigen weiterhin an. Welche Folgen beispielsweise ein Auftauen des Permafrosts und die voraussichtlich damit einhergehende Freisetzung großer CO2Mengen haben wird, muss erst noch erforscht werden. Auch die schonende und nachhaltige Nutzung der arktischen Ressourcen muss Gegenstand künftiger Forschung sein. Untersuchungen betreibt die deutsche Polarforschung sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis. Seit 1980 wird sie mit großem Erfolg durch das AlfredWegener-Institut für Polar- und Meeresforschung koordiniert. Als zentrales Institut für die Polarforschung leistet es heute in der Helmholtz-Gemeinschaft im Rahmen der programmorientierten Forschung interdisziplinäre Arbeiten von hohem internationalen Stellenwert in den Polarregionen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Polarforschung hat sich seit ihrem Bestehen um dieses bedeutende Forschungsfeld - insbesondere im Hinblick auf die Nachwuchsförderung - verdient gemacht. In ihr finden sich aktive Forscher aller Disziplinen vereinigt. Damit ist sie ein wichtiges Instrument interdisziplinärer Koordination und Zusammenarbeit. Kapazität und Expertise deutscher Polarforschung finden heute internationale Anerkennung. Im heute zur Debatte stehenden Antrag fordert die SPD die Bundesregierung auf, sowohl in der Bundesrepublik als auch im Rahmen des 8. Forschungsrahmenprogramms der EU ein eigenes Polarforschungsprogramm aufzunehmen. Die Bundesregierung trägt der herausragenden Bedeutung der Polarforschung bereits heute mit einer Vielzahl von Projekten und Programmen und Initiativen Rechnung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die Polarforschung durch das Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklung“ mit circa 10 Millionen Euro je Projektförderung an außeruniversitären Institutionen und Universitäten. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung wird durch das Ministerium im Jahr 2011 mit rund 94 Millionen Euro gefördert. Dazu gehört unter anderem der Betrieb der Neumayer-Station III in der Antarktis und des Forschungsschiffes Polarstern. Außerdem fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Polarforschung zusätzlich mit einem eigenen Schwerpunktprogramm „Antaktisforschung mit vergleichenden Untersuchungen in arktischen Eisgebieten“. Insgesamt ist seit der vergangenen Legislaturperiode die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch Maßnahmen erheblich ausgebaut worden: Mit dem Pakt für Forschung und Innovation steigen die Zuschüsse für die gemeinsam mit den Bundesländern geförderten Forschungseinrichtungen ({0}) sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft in den Jahren 2011 bis 2015 jährlich um 5 Prozent - hiervon profitieren indirekt auch die DFG-Programme zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Vergangenes Jahr ging die Exzellenzinitiative in die dritte Runde. Das Fördervolumen wurde um 30 Prozent auf rund 2,7 Milliarden Euro mit einer Laufzeit bis 2017 gesteigert. Die Bundesregierung will mit der Fortsetzung der Exzellenzinitiative den Wissenschaftsort Deutschland nachhaltig stärken, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern und Spitzenforschung an deutschen Hochschulen sichtbar machen. Die Promotionsstipendien der zwölf durch das Ministerium für Bildung und Forschung unterstützten Begabtenförderungswerke wurden qualitativ wie quantitativ ausgebaut. Die Bedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs insgesamt sind in Deutschland daher so gut wie nie. Davon profitiert auch die Polarforschung. Eine weitergehende Verlagerung von Kapazitäten und Mitteln zugunsten der Polarforschung könnte nur zulasten anderer wichtiger Forschungsbereiche vollzogen werden. Dies erscheint uns in Anbetracht der Vielzahl bereits bestehender sowie in Planung befindlicher Programme nicht angemessen. Auch das Bundeswirtschaftsministerium fördert im Bereich des Referates „Maritime Wirtschaft“ Verbundvorhaben zur Entwicklung von Verfahren für eine wirtschaftliche Nutzung des nördlichen Seeweges. Grundlage hierfür bildet eine verlässliche Eisvorhersage sowie die Modellierung der meteorologischen und ozeanografischen Daten. Die Daten sollen anhand eines Datenassimilationssystems ausgewertet und für die Schiffroutenoptimierung zugänglich gemacht werden. Für dieses Verbundprojekt, an welchem neben Unternehmen auch das Alfred-Wegener-Institut sowie die Universitäten Bremen und Hamburg beteiligt sind, stellt das Ministerium 2,3 Millionen Euro zur Verfügung. Innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland Mitglied des European Polar Board. Im Rahmen des ERA-NET EUROPOLAR werden zahlreiche Projekte finanziell unterstützt. Viele von ihnen finden unter deutscher Beteiligung statt. Im Zuge der Entwicklung der EU-Meerespolitik hat die Europäische Kommission 2008 einen Aktionsplan für die Arktis vorgelegt, der Vorschläge für detaillierte Entwicklungen in der arktischen Forschung enthält. Diese Entwicklung soll in eine EU-Arktispolitik münden. Auch der Ausbau der Infrastruktur für die Polarforschung wurde in den zurückliegenden Jahren durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziell unterstützt. Dazu gehören die Anschaffung polartauglicher Flugzeuge und die Ausstattung der Neumayer-Station III für den Pilotbetrieb. Das durch das Ministerium geförderte modulare multidisziplinare Meeresboden-Observatorium ({1}) zur Erfassung physikalischer und biogeochemischer Prozesse im Bereich des Meeresbodens und der bodennahen Wasserschicht an Kontinentalrändern schließt eine entscheidende Lücke zwischen den geplanten, räumlich gebundenen verkabelten regionalen Observatoren und schiffsgestützten Momentaufnahmen. Das System ist in allen Meeresgebieten einsetzbar. Mit Blick auf die Forschungsschiffe hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung zugesagt, dem Deutschen Bundestag eine Gesamtschiffstrategie vorzulegen. Ich bin davon überzeugt, dass die Erkenntnisse des von der Bundesregierung selbst beim WissenschaftsZu Protokoll gegebene Reden rat in Auftrag gegebenen Gutachtens „Empfehlungen zur zukünftigen Entwicklung der deutschen marinen Forschungsflotte“ hier nach Möglichkeit Eingang finden werden.

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir debattieren heute einen Antrag der SPD-Fraktion unter dem Titel „Polarregionen schützen - Polarforschung stärken“. Primär fordert die SPD darin ein fokussierendes Programm für Polarforschung - sowohl in Deutschland als auch auf der Ebene der Europäischen Union im 8. Forschungsrahmenprogramm. Die Erforschung der Polargebiete steht heute noch am Anfang, die zentrale Arktis gehört zu den am wenigsten erforschten Regionen der Welt. Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sind sich aber der Bedeutung der Gebiete für die Erforschung der Ursachen des Klimawandels und anderer geopolitischer Entwicklungen durchaus bewusst. Die Forderung der SPD, die Polarforschung zu stärken, ist daher grundlegend zu begrüßen. Jedoch teile ich nicht die Meinung der SPD-Fraktion, dass wir hierfür neue Strukturen benötigen. Deutschland ist im internationalen Vergleich eines der Länder, das der Polarforschung die stärkste Aufmerksamkeit zukommen lässt und aufgrund der äußerst erfolgreichen Forschung in diesem Bereich einen international führenden Ruf genießt. Auch in dem Antrag der SPD wird dies festgestellt. Der Erfolg der deutschen Polarforschung ist nach der Analyse des Alfred-WegenerInstituts für Polar- und Meeresforschung ({0}) zum einen auf die langjährigen Forschungserfahrungen, zum anderen aber auch auf die gute Ausstattung mit wissenschaftlichen Infrastrukturen und Großgeräten - beispielsweise der Forschungseisbrecher Polarstern, die Neumeyer Station III oder das Polarflugzeug 5 - zurückzuführen. Noch 2011 soll das Polarflugzeug Polar 6 in Betrieb gehen, über einen Nachfolger für den Forschungseisbrecher Polarstern wird momentan intensiv diskutiert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Alfred-Wegener-Institut 2011 mit rund 94 Millionen Euro. Darüber hinaus unterstützt das Ministerium im Jahr 2011 die nationale Polarforschung an außeruniversitären Institutionen und Universitäten mit circa 10 Millionen Euro aus dem Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklung“ ({1}). Im Zuge der Verhandlungen zum 8. Forschungsrahmenprogramm hat die Bundesregierung das Ziel verfolgt, die bisher erfolgreiche Förderung der Polarforschung im Umweltteil des Rahmenprogramms fortzusetzen. Des Weiteren werden auch in Zukunft diverse europäische Förderinstrumente und Verfahren genutzt werden, um die deutsche mit der europäischen Polarforschung zu koordinieren. Eine enge Vernetzung der nationalen Forschung mit den Bemühungen der internationalen Partner ist eine Voraussetzung für deren Erfolg. Im Moment werden durch die deutsche Polarforschung Untersuchungen sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis durchgeführt. Ein Schwerpunkt liegt derzeit aber auf der Arktisforschung, da dort jetzt und auch in Zukunft die größten Veränderungen zu erwarten sind. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Meinung von Frau Professor Karin Lochte, Direktorin des AWI, die diese Schwerpunktsetzung als durchaus gerechtfertigt ansieht. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung wird nun diesen Entwicklungen und Prognosen Rechnung tragen und veröffentlicht voraussichtlich noch in diesem Jahr eine Programmschrift „Arktisforschung“. Aber auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt der Fokus auf der Arktis liegt, wird die Antarktisforschung nicht in Vergessenheit geraten. Im Rahmen der Arktisforschung soll insbesondere zwei zentralen Fragen nachgegangen werden. Für die Entwicklung des globalen Klimas sind zum einen die Ursachen und Folgen der Erwärmung der Arktis und der Rückgang des Land- und Meereises von großer Bedeutung. Zum anderen trägt die Forschung über die Chancen und Risiken der Nutzung der in der Arktis vorhandenen unerschlossenen natürlichen Ressourcen zur nachhaltigen Entwicklung bei. Neben dem Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert auch das Bundeswirtschaftsministerium die deutsche Polarforschung. Das Auswärtige Amt hat im März dieses Jahres eine Konferenz unter dem Titel „Klimawandel, Völkerrecht und Arktisforschung Rechtliche Aspekte der Meeresforschung im Arktischen Ozean“ veranstaltet. Im Zuge der Konferenz wurde gemeinsam mit den Partnernationen erörtert, unter welchen Bedingungen die Arktisforschung heute und in Zukunft betrieben werden kann. Die Bemühungen der Bundesressorts zeigen, welche Bedeutung der Polarforschung bereits heute beigemessen wird. Dieses Niveau gilt es zu halten bzw. soweit es möglich ist, zu erhöhen. Meines Erachtens benötigt die deutsche Polarforschung hierfür aber keine neuen Strukturen.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Am 15. Juni ist das deutsche Forschungsschiff, „Polarstern“ in Richtung arktischer Ozean in See gestochen. Während der fast viermonatigen Reise werden über 130 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs Ländern an drei Fahrtabschnitten teilnehmen. Dabei untersuchen sie zum Beispiel wie sich über die Jahre die Meeresströmungen und die Tier- und Pflanzenwelt zwischen Spitzbergen und Grönland verändern. Hierbei sollen zum Beispiel Rückschlüsse auf den Einfluss der polaren Meere auf den globalen Ozean gezogen werden. In einem zweiten Fahrtabschnitt soll untersucht werden, wie Organismengemeinschaften auf die fortschreitende Ozeanerwärmung reagieren. Im letzten Fahrtabschnitt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler physikalische, biologische und chemische Untersuchungen zur abnehmenden Meereisbedeckung unternehmen. All diese Experimente fallen unter die Polarforschung. Wie man an diesen Beispielen exemplarisch sehr gut sieht, ist dieser Forschungszweig sehr vielfältig. Er ist grundsätzlich multidisziplinär und international aufgestellt. An ihm beteiligt sind unter anderem WissenschaftZu Protokoll gegebene Reden lerinnen und Wissenschaftler der Geografie, Kartografie, Geologie, Mineralogie, Geophysik, Geodäsie, Ozeanografie, Meteorologie, Biologie, Geoökologie, Anthropologie, Ethnologie, Medizin, Physik und zahlreicher Technikwissenschaften. Deutschland ist seit langem ein wichtiger Akteur im Bereich der Polarforschung. Die erste deutsche Nordpolarexpedition fand bereits 1868 statt. Viele Expeditionen scheiterten damals an der ungeeigneten Ausrüstung. So fehlten insbesondere polartaugliche Schiffe. Für die erste deutsche Südpolarexpedition von 1901 bis 1903 wurde extra ein für die polaren und eisbedeckten Meeresgebiete spezialisiertes Forschungsschiff gebaut. Es war damals eines der modernsten Forschungsschiffe der Welt. Bei den ersten Polarreisen war der Drang zur Entdeckung bis dahin unbekannter Regionen der Hauptbeweggrund. Das änderte sich mit der Zeit. Mehr und mehr wurde den Beteiligten klar, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse bezüglich der Polarregionen wichtige Rückschlüsse auch für den Rest der Erde zulasen konnten. So hatte zum Beispiel die letzte Expedition des deutschen Polarforschers Alfred Wegener Anfang des 20. Jahrhunderts das Ziel, aus Messungen des grönländischen Inlandeises Rückschlüsse auf das Klima in Mitteleuropa zu ziehen. Die Polargebiete spielen bei der Klimasteuerung der Erde eine wichtige Rolle. Schon deshalb ist es richtig, dass Deutschland die Polarforschung substanziell unterstützt. Zur Koordinierung und Bereitstellung eines großen Teils der benötigten Infrastruktur ist in Deutschland das Alfred-Wegener-Institut ({0}) in Bremerhaven zuständig. Es unterhält zum Beispiel Polarforschungsstationen, Polarforschungsflugzeuge und die bereits genannte „Polarstern“. Darüber hinaus arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am IFM Geomar in Kiel sowie an Max-Planck-Instituten bzw. Universitäten an diesem so wichtigen Forschungsthema. Im Ganzen ist Deutschland in diesem Bereich sehr gut aufgestellt. Dennoch braucht dieser Forschungszweig weiterhin eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung. Insbesondere die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erscheint mir hierbei ausbaufähig. Um in den Polargebieten zu forschen, wird besondere Infrastruktur benötigt. Die Schiffe, Flugzeuge, Unterwassergeräte und Bodenstationen müssen extremen Temperaturen trotzen und gleichzeitig höchste Ansprüche des wissenschaftlichen Arbeitens ermöglichen. Keine einfache Aufgabe. Aber das deutsche Know-how und die über hundertjährigen Erfahrungen zahlen sich hierbei aus. So ist zum Beispiel die „Polarstern“, trotz dieses 30-jährigen Einsatzes immer noch der einzige Forschungseisbrecher weltweit, der beide Pole befährt und ganzjährig einsetzbar ist. Für dieses „wissenschaftliche Arbeitstier“ muss nun bald Ersatz gefunden werden. Anfang des Jahres konnte man in „Nature“ lesen, dass das „Polar Research Board“ der amerikanischen „National Academy of Science“ in ihrem neuen Bericht dazu auffordert, die Forschung an den beiden Polen stärker zu verzahnen. Durch mehr „bipolare“ Forschung erhoffen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schnellere Ergebnisse über die Auswirkungen des Klimawandels. Auch der deutsche Wissenschaftsrat hat in seiner aktuellen Stellungnahme zu den deutschen Forschungsschiffen darauf hingewiesen, dass wir zeitweise zwei eisbrechende Forschungsschiffe brauchen, um beide Polegebiete ganzjährig zu beforschen. Meine Damen und Herren, sie sehen, unsere Forderung im hier vorliegenden Antrag nach mehr bipolar einsetzbarer Forschungsinfrastruktur kommt direkt aus der Wissenschaft. In Zeiten, in denen wir uns sowieso über einen Neubau Gedanken machen müssen, sollten wir uns diesen Überlegungen deshalb nicht verschließen. Insofern hat es mich gefreut, dass Bundesministerin Schavan für die nächsten Jahre 650 Millionen Euro für die Erneuerung der Forschungsflotte angekündigt hat. Leider stammt dieser Satz aus dem Jahre 2008. Deshalb die konkrete Frage, Frau Schavan: Wann genau gibt es denn nun einen Nachfolger für die „Polarstern“? Logisch ist, dass Deutschland die Polarforschung nicht alleine stemmen kann. Hier ist ein Mehr an europäischer Förderung notwendig. Leider zeigt das scheinbare Scheitern des europäischen Forschungseisbrechers „Aurora Borealis“, dass auf diesem Gebiet noch einiger Verbesserungsbedarf besteht. Immerhin hat die Bundesrepublik bereits über 5 Millionen Euro in eine Machbarkeitsstudie zur „Aurora Borealis“ gesteckt. Die Bundesregierung muss deshalb auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass es in Zukunft verlässliche Zusagen von unseren europäischen Partnern in diesem Bereich gibt. Und noch eine dringende Aufgabe habe ich für die Bundesregierung. Sie muss sich verstärkt dafür einsetzen, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Arktis Bewegungs- und Arbeitsfreiheiten behalten. Denn es besteht die ernsthafte Befürchtung, dass durch die Erderwärmung bei den Anrainerstaaten wirtschaftliche Interessen in den bisher eisbedeckten Gebieten geweckt werden, die wir sehr kritisch sehen. Als Konsequenz erleben bereits heute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass ihnen der Zugang zu Teilen der Polargebiete verwehrt wird. Hier muss unbedingt eine internationale Lösung gefunden werden. Die Polarforschung ist nicht nur ein sehr spannendes Thema, sondern berührt elementare Fragen unseres Wissens über das Klima. Eine breite Unterstützung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von uns, den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, wäre deshalb sehr wünschenswert. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Deutschland nimmt in der Polarforschung einen führenden Platz ein, für dessen Erhalt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den unterschiedlichsten Einrichtungen exzellente Forschung leisten. Neben dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meereswissenschaften, AWI, dem Leibniz-Institut für Meeresforschung an der Universität Kiel, IFM-GEOMAR, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Zu Protokoll gegebene Reden Dr. Martin Neumann ({0}) BGR, basiert die deutsche Polarforschung auf den zahlreichen Universitätsinstituten und den Kooperationen untereinander. Die deutsche Polarforschung konnte dabei stets auf eine gute Infrastrukturausstattung zurückgreifen und sowohl in der Arktis als auch der Antarktis umfassende Untersuchungen betreiben. In Ergänzung zu den eigenen Forschungsstationen und For-schungsschiffen stützt sich die deutsche Polarforschung auf Kooperationen und die Koordination mit internationalen Partnern. Für eine stetige Verbesserung der Polarforschung hatte die FDP bereits vor vier Jahren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zum Internationalen Polarjahr 2007/2008, einen Antrag eingereicht. Wir forderten damals als zentrale Anliegen die Gewinnung und Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs, ein Forschungsprogramm sowie eine Verstärkung der europäischen und internationalen Koordination. Unseren Antrag haben Sie damals abgelehnt. Ein Teil unserer Forderungen hat sich dennoch in den letzten vier Jahren durchgesetzt. Mit Ihrem Antrag wagen Sie nun eine eigene Schwerpunktsetzung. Grundsätzlich kann ich der Zielsetzung Ihres Antrags nur zustimmen. Denn auch für die FDP bleibt es nach den erreichten Verbesserungen ein Anliegen, die Polarforschung auf hohem Niveau zu halten und weiter zu stärken. Jedoch verirrt sich, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihr Antrag bereits mit der ersten Forderung in das 8. Forschungsrahmenprogramm der EU, wo sie meines Erachtens keinen Platz finden darf. An dieser Stelle bewirkt die Etablierung eines eigenständigen Polarforschungsprogramms eine Auflösung des europäischen Rahmenprogramms. Dabei ist die Förderung der Polarforschung auch innerhalb dieses europäischen Förderinstruments möglich. So werden europäische Projekte im 7. Forschungsrahmenprogramm der EU bereits innerhalb des Schwerpunktes Umwelt nach ihrem Nutzen und der Qualität gefördert. An anderer Stelle fordern Sie dann, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die Bundesregierung dazu auf, sich für internationale Vereinbarungen einzusetzen, die die Freiheit der Forschung verbriefen. Dabei scheint Ihnen entgangen zu sein, dass die Bundesregierung in der Internationalen Arktiskonferenz von 2011 den ersten Schritt in diese Richtung bereits längst getan hat. Auch in der von Ihnen geforderten internationalen Vernetzung, insbesondere auf europäischer Ebene, sind wir bereits sehr gut aufgestellt. Die Kooperation und Koordination funktionieren. Grundlegend aber möchte ich einen für mich zentralen Punkt anfügen, der in Ihren Forderungen nur eine beiläufige Erwähnung findet. Denn der Herausforderung der Nachwuchsgewinnung und der Nachwuchsförderung kann nicht mit einem Polarforschungspreis für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie Sie ihn fordern, begegnet werden. Dieses Thema verdient mehr Aufmerksamkeit, denn ohne die große Anzahl an Forschenden ist die Unterhaltung zweier Forschungsschiffe ebenso wie die Stärkung der deutschen Polarforschung nicht möglich. In Ihrem Antrag sind einige richtige Ansätze zu finden, die mir zeigen, dass wir zu Fragen der Polarforschung dicht beieinanderliegen. Dennoch bleiben Ihre Forderungen aus meiner Sicht hinter dem aktuellen Stand zurück.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vom Namensgeber des großen deutschen Polarforschungsinstitut stammt das Zitat: „Wie gleichgültig geht die Natur über unsere Leistungen hinweg.“ Schaut man sich die Veränderungen in den Polarregionen an, dann kann man das Zitat getrost umdrehen: „Gleichgültig gehen wir mit unseren Leistungen über die Natur hinweg.“ Das ewige Eis ist nicht mehr ewig. Der Mensch, und das ist unzweifelhaft, hat das sensible Gleichgewicht des polaren Klimas beeinflusst. Die Polarforschung erkundet die Auswirkungen dieser klimatischen Veränderungen auf die Polarregionen und kann dadurch Rückschlüsse auf das Verhalten der übrigen Teile der Erde ziehen. Die lange Tradition der deutschen Polarforschung begründete sich zu Alfred Wegeners Zeiten auch mit der Lust, an Orte zu gelangen, die kein Mensch vorher betreten hatte, und die dortigen Umweltbedingungen zu erforschen. Heute fahren jedoch selbst Kreuzfahrtschiffe in die arktischen Regionen, und Touristengruppen besichtigen jahrzehntealte Forschungsstationen. Die heutige Polarforschung ist weniger von Entdeckerdrang getrieben als vielmehr von der Notwendigkeit, über die Abläufe des menschengemachten Klimawandels und deren Folgen möglichst genau Bescheid zu wissen. Diese Forschungsziele sind im Antrag der Kolleginnen und Kollegen gut beschrieben. Ebenso wird ausführlich dargestellt, welche Forschungsausstattung die hiesigen Institute zur Verfügung haben und dass diese durchaus globales Spitzenniveau beanspruchen kann. Wir erinnern uns nicht nur an die Begleitung einer Forschungsreise mit der „Polarstern“ durch Mitglieder des Forschungsausschusses, sondern auch an die hitzigen Debatten um das Lohafex-Experiment mit Eisendüngung im Südatlantik. Wir unterstützen die Forderung des Wissenschaftsrates und der SPD-Kolleginnen und -kollegen, diese herausragenden Infrastrukturen zu erhalten und mit einer abgespeckten Variante eines Forschungseisbrechers ein zweites Polarforschungsschiff im europäischen Rahmen zu bauen und zu betreiben. Uns erstaunt jedoch, dass der Antrag die großen Probleme, die etwa die Präsidentin des AWI, Frau Professor Lochte, immer wieder anspricht, vollkommen außen vor lässt: Mit dem zunehmenden Wegschmelzen der Eisdecken wird insbesondere die Arktis immer attraktiver für die wirtschaftliche Erschließung. Hier wird mehr als ein Fünftel der unerschlossenen Öl- und Gasvorkommen vermutet. Und auch die Wege über die Nordost- und die Nordwestpassage werden mit der Eisfreiheit seit 2007 für Handelsschiffe attraktiv. Dies ist der Grund, warum die Anrainerstaaten der Arktis ihre Claims abstecken, warum sie eine restriktive Genehmigungspraxis für Forschungsanliegen aus Drittstaaten pflegen. Dies ist auch der Grund, warum die Europäische Union bisher keine gemeinsame Linie, geschweige denn eine gemeinsame Forschungsstrategie für die Arktis gefunden hat. Ähnlich wie für die Antarktis sollten der Forschung Vorrang Zu Protokoll gegebene Reden eingeräumt und die wirtschaftliche Nutzung beschränkt werden. Hier ist jedoch der blinde Fleck der Debatte: Einerseits strebt Deutschland explizit aus wirtschaftlichen Gründen nach mehr Einfluss in der Region. Es reicht ein Blick in die einschlägigen Formulierungen des Auswärtigen Amts bzw. des Verteidigungsministeriums. Man sei auf Rohstoffe aus der Region dringend angewiesen. Andererseits sei die Bundesregierung, wie Außenminister Westerwelle auf der letzten Arktiskonferenz seines Hauses darstellte, an nichts außer Forschungsfreiheit und dem Schutz der polaren Umwelt interessiert. Diese Positionen passen nicht zusammen und widersprechen sich sogar. Sie passen noch weniger, wenn man bedenkt, dass es um die Ausbeutung von fossilen Brennstoffreserven geht, deren Nutzung den von Forschern festgestellten und beklagten Klimawandel weiter beschleunigen würde. Die Bundesregierung sollte zu einer nationalen und europäischen Strategie zur Erforschung und zum Schutz der kostbaren Umwelt der Polarregionen beitragen. Wenn sie in dieser Hinsicht Zielkonflikte zwischen Forschung, Umweltschutz und Rohstoffhunger abgewogen hat, dann lassen sich auch Investitionsentscheidungen wie die für ein neues europäisches Forschungsschiff auf einer besseren Grundlage treffen. Bisher fehlt eine solche Strategie nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der SPD-Fraktion. Ihr Antrag ist überschrieben: „Polarregionen schützen - Polarforschung stärken“. Im Antrag ist von Schutz leider keine Rede. Die Bemühungen um die Forschung können wir unterstützen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir begrüßen die Initiative der SPD-Kolleginnen und -Kollegen, die Polarforschung auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen. Arktis und Antarktis sind für die Forschung faszinierend und von großer Bedeutung; gleichzeitig sind diese Regionen hochsensibel und gefährdet. Angesichts der globalen Ressourcenverknappung wächst das wirtschaftliche Interesse an den Polarregionen, insbesondere an der Arktis. Mit steigenden Rohstoffpreisen und durch das dramatische Abschmelzen der Eisdecke erscheint die Exploration schwer zugänglicher Reserven an Öl, Gas, Gold, Zink oder seltenen Erden zunehmend rentabel. Der Wettlauf der Anrainerstaaten, ihre Ansprüche geltend zu machen, hat längst begonnen. Für diese sensible Region müssen Schutzmechanismen gegen eine zerstörerische Ressourcenausbeutung etabliert werden, am besten durch einen Arktis-Vertrag in Anlehnung an den Antarktis-Vertrag aus dem Jahre 1959. Meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, wird in Kürze dazu einen entsprechenden Antrag einbringen. Die Möglichkeiten, Grundlagenforschung in der Arktis zu betreiben, müssen uneingeschränkt erhalten bleiben; denn den Polarregionen kommt für die Klima- und Erdsystemforschung eine Schlüsselrolle zu. Von allen Regionen der Erde reagieren die Polargebiete am schnellsten auf die globalen Veränderungen. Arktis und Antarktis sind die empfindlichsten Seismografen des Klimawandels, und nach Ansicht der Wissenschaft werden die Entwicklungen der kommenden fünf bis zehn Jahre besonders relevant werden. Die interdisziplinäre Erforschung der Polargebiete, der Polarmeere, der Landmassen und der Atmosphäre, ihr heutiger Zustand und ihre Geschichte liefern entscheidende Daten und Informationen, um zuverlässige Klimamodelle zu erarbeiten und in der Biodiversitätsforschung voranzukommen. Deutschland ist mit dem Engagement des AlfredWegener-Instituts in Bremerhaven, des IfM-GEOMAR in Kiel und etlichen weiteren außeruniversitären und universitären Forschungsinstituten in der Polarforschung bislang hervorragend positioniert und hat dadurch ein beachtliches internationales Renommee. Aufgrund der Globalität der Herausforderung Klimawandel, der gemeinsamen Verantwortung für die Polarregionen, aber auch wegen der hohen Kosten ist die internationale Kooperation in der Polarforschung besonders wichtig und richtig. Auch hier kann konstatiert werden, dass die deutsche Polarforschung gut in internationale Kooperationen eingebunden ist. Neben den internationalen Forschungsteams auf der „Polarstern“ möchte ich hier beispielsweise die Koldewey-Station in Ny-Ålesund auf Spitzbergen erwähnen, die Bestandteil der deutsch-französischen Forschungsbasis ist, oder die deutsch-russische Zusammenarbeit in der Laptewsee, aus dem das deutsch-russische Otto-Schmidt-Labor für Polar- und Meeresforschung und ein gemeinsamer deutsch-russischer Masterstudiengang „Angewandte Polar- und Meereswissenschaften“ entstanden ist. Diese internationalen Kooperationen sollten gestärkt und systematisch weiterentwickelt werden. Wer will, dass Deutschland bei der Erforschung des Klimawandels eine Vorreiterrolle übernimmt, muss dafür heute die richtigen forschungspolitischen Weichen stellen. Das betrifft in erster Linie die Forschungsinfrastruktur. Denn um Polarforschung auf hohem Niveau zu betreiben, ist eine leistungsstarke Infrastruktur unabdingbar. Dazu gehören Forschungsstationen, Beobachtungssysteme, vor allem aber eisgängige Forschungsschiffe, ohne die weder die Forschungsstationen versorgt noch die automatischen Beobachtungssysteme eingerichtet und gewartet werden können. Aufgrund der kritischen Masse an Infrastrukturen, die für hervorragende Forschung notwendig sind, sollten wo immer möglich internationale Kooperationen angestrebt werden. Mit dem Forschungseisbrecher „Polarstern“ verfügt die deutsche Polarforschung über eines der leistungsfähigsten Polarforschungsschiffe der Welt. Die „Polarstern“ wird für die gesamte Bandbreite der Meeresforschung in der Arktis und Antarktis eingesetzt und dient für die vor zwei Jahren eingeweihte Antarktisstation Neumayer III und die Koldewey-Station auf Spitzbergen als Versorgungsschiff. Die „Polarstern“ ist bereits seit 1982 in Betrieb und nähert sich allmählich der Grenze für ihre schiffbaulich und wirtschaftlich sinnvolle Nutzung. Obwohl die „Polarstern“ nach der Generalüberholung 1998 bis 2002 gut in Schuss ist, steigen die Reparaturanfälligkeit und die Betriebskosten mit jedem Betriebsjahr. Zu Protokoll gegebene Reden Es ist dringend notwendig, den Neubau einer zeitgemäßen Variante der „Polarstern“ auf den Weg zu bringen. Forschungsschiffe kann man nicht aus dem Hut zaubern; das hat lange Vorlaufzeiten. Auch die Finanzierung ist langfristig sicherzustellen. Damit gilt es auch sich von der Illusion zu verabschieden, die „Aurora Borealis“ könne die „Polarstern“ ersetzen. Die „Aurora Borealis“ als gemeinsames europäisches Großprojekt wird kurz- und mittelfristig nicht zu verwirklichen sein. Ihre Realisierung steht mehr denn je in den Sternen, nachdem die Kostenschätzungen explodiert sind und entscheidende mögliche Partner wie zum Beispiel Norwegen sich nicht beteiligen wollen. Wenn bis 2016 das Nachfolgeschiff für die „Polarstern“ fertiggestellt wäre und die Betriebszeit der „Polarstern“ für drei bis fünf Jahre verlängert würde, könnten für eine begrenzte Zeit zwei eisbrechende Forschungsschiffe parallel zur Verfügung stehen und zeitraubende und kostenintensive Transferfahrten vermieden werden. So könnte an beiden Polen gleichzeitig geforscht werden. Die Möglichkeit ganzjähriger Forschung stellt eine einmalige Chance für die Polarforschung dar, gerade in den Jahren, die in den Polarregionen für die Erforschung des Klimawandels von entscheidender Bedeutung sind. Diese Chance sollten wir im Interesse der Polarforschung und aus Verantwortung für die globale Herausforderung Klimawandel ergreifen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5228 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Herbert Behrens, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schutz vor militärischem Fluglärm - Drucksachen 17/5206, 17/5918 Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer ({1}) Joachim Spatz Inge Höger Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen bei uns vor. Sie sind folglich damit einverstanden.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In Ihrem Antrag zur Verbesserung des Schutzes vor militärischem Fluglärm verweist die Linke auf das im Koalitionsvertrag von Union und FDP vereinbarte gleichlautende Ziel. Dort haben wir auf Seite 32 festgelegt: Das Fluglärmgesetz werden wir so ändern, dass Anwohner von Militärflughäfen bei den gleichen Grenzwerten Anspruch auf Erstattung von Lärmschutzkosten haben wie an Verkehrsflughäfen. Dieses Ziel verfolgen wir weiter, und wir werden es auch umsetzen. Die Vorbereitungen für die Gesetzesänderung laufen. Da die Lärmschutzbereiche um Flughäfen nach der letzten Novelle von 2007 nicht mehr durch den Bund, sondern durch die Länder festgesetzt werden, ist dafür aber einiges an Abstimmung erforderlich. Wann dies im Parlament behandelt wird, ist daher noch nicht absehbar. Da ich selber aus der Westpfalz komme, die im Antrag als eine der besonders lärmbelasteten Regionen genannt wird, habe ich noch einige weitere Anmerkungen. Zunächst: Ja, die Belastung durch militärischen Fluglärm ist ein Problem, mit dem auch ich mich ständig befassen muss. Denn in meinem Wahlkreis liegen Ramstein mit der dortigen NATO-Airbase und Landstuhl mit dem US-Militärkrankenhaus und der dazugehörigen Hubschrauberbasis. Ich finde es aber bemerkenswert, dass sich die Antragsteller ausschließlich auf amerikanische Militärstützpunkte beziehen. Natürlich sind die US-Streitkräfte aber nicht die einzigen Verursacher von Fluglärm in Deutschland. Der scheint hier also nur Mittel zum Zweck zu sein, antiamerikanische Stimmungen zu bedienen und die Bündnispolitik anzugreifen, die seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ein Grundstein ihrer Sicherheit gewesen ist. Es ist zwar richtig, dass etwa die Airbase Ramstein in den vergangenen Jahren ausgebaut worden ist - übrigens nach gerichtlicher Prüfung von Klagen durch Anwohner und Nachbargemeinden bis hinauf zum Oberverwaltungsgericht Koblenz. Insofern besteht hier kein Rechtsdefizit, wie es der Antrag suggeriert. Zudem entsprechen die Lärmschutzvorgaben für den erweiterten Stützpunkt bereits denen für zivile Flughäfen nach dem 2007 novellierten Fluglärmgesetz. Als Beispiel für eine Ungleichbehandlung eignet sich Ramstein also schon einmal überhaupt nicht, zumal auch bei den hauptsächlich dort eingesetzten Flugzeugen vom Typ C-5 und C-130 zunehmend neuere Varianten mit leiseren Triebwerken zum Einsatz kommen. Erst vor wenigen Wochen ist bei einer Expertenanhörung im Kreistag Kaiserslautern noch einmal festgestellt worden, dass die Messwerte in den umliegenden Gemeinden unterhalb der Lärmprognose liegen, die Grundlage für die Genehmigung des Ausbaus war. Die Zahl der Nachtflüge liegt ungefähr bei einem Zwanzigstel dessen, was beispielsweise die Anwohner des zivilen Flughafens Köln-Bonn aushalten müssen. Demnächst wird auch der Bodenlärm in unmittelbarer Nähe des Stützpunktes gemessen werden, der bei Testläufen von Triebwerken entsteht. Abhängig vom Ergebnis wird vielleicht noch einmal mit dem Kommando der Airbase über weitere Lärmschutzmaßnahmen zu reden sein - in gutnachbarschaftlicher Atmosphäre, wie dies seit Jahrzehnten der Fall ist. Anita Schäfer ({0}) Gerade die Amerikaner haben sich immer sehr um das gegenseitige Verhältnis bemüht. Sie sind gern gesehene Gäste in der Westpfalz, zumal sie einen erheblichen Beitrag zur regionalen Wirtschaft in dieser strukturschwachen Region leisten. Dem Ausbau einiger Stützpunkte steht zudem eine Reduzierung der US-Streitkräfte in Deutschland insgesamt gegenüber. Allein in meinem Wahlkreis sind seit dem Kalten Krieg die Flugplätze Sembach und Zweibrücken geschlossen bzw. in zivile Nutzung überführt worden, und während weiter nördlich Spangdahlem erweitert wurde, wurde Bitburg aufgegeben. Auch der Übungsbetrieb im Luftraum TRA Lauter - nicht nur durch die Amerikaner, sondern auch die deutsche Luftwaffe und andere NATO-Partner - nimmt ab. Insgesamt hat sich die Zahl der in Deutschland stationierten Kampfflugzeuge allein in den letzten beiden Jahren um 15 Prozent reduziert, und diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Im gleichen Maße hat auch die Zahl der Beschwerden über militärischen Fluglärm abgenommen. Allerdings beschweren sich diejenigen, die es noch tun, mittlerweile häufiger. In einigen Regionen sind einzelne Bürgerinnen und Bürger für bis zu 70 Prozent des Aufkommens verantwortlich. Denn selbst wenn eine Flugroute aus Lärmschutzgründen von einer Ortschaft wegverlegt wird, gibt es meist anderswo Menschen, die stärker belastet werden als vorher. Auch deswegen halten wir an unserer Absicht fest, das Fluglärmgesetz nochmals anzupassen, damit mehr Anwohner Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen haben. Eine zunehmende Verschlechterung der Situation, wie sie der Antrag behauptet, gibt es aber einfach nicht. Er berücksichtigt zudem in keiner Weise, dass Übungsflüge notwendig sind, um die Flugzeugbesatzungen umfassend auf die Erfüllung ihres Auftrags vorzubereiten, eines Auftrags, der unser aller Sicherheit dient. Das gilt nicht nur für die im Antrag herausgepickten amerikanischen Streitkräfte, sondern auch für die deutschen und die aller anderen bei uns stationierten Bündnispartner. Aber wenn man schon unbedingt über die Amerikaner reden will: Dieselben US-Hubschrauberpiloten, die bei uns üben, haben in Afghanistan mehrfach das Leben deutscher Soldaten durch riskante Flüge gerettet - was ohne intensives Training nicht möglich gewesen wäre. Das zeigt einmal einen sehr direkten Zusammenhang zwischen Übung und Einsatz. Es bleibt dabei: Die Koalition wird den Schutz vor militärischem Fluglärm den zivilen Vorgaben angleichen, so rasch dies möglich ist. Für einseitige Attacken auf unsere Bündnispartner, um aus Stimmungen politisches Kapital zu schlagen, stehen wir aber nicht zur Verfügung. Wir lehnen diesen Antrag daher ab.

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich nehmen wir die Sorgen von Bürgern, die sich durch Fluglärm gestört fühlen, sehr ernst. Aus diesem Grund haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart, das Fluglärmgesetz zu überarbeiten. Wir wollen das Gesetz dahin gehend ändern, dass Anwohner von Militärflughäfen bei den gleichen Grenzwerten Anspruch auf Erstattung von Lärmschutzkosten haben wie Anwohner von zivilen Verkehrsflughäfen. Gerade wird geprüft, wie wir das konkret umsetzen können. Selbstverständlich versuchen wir dies so schnell wie möglich zum Abschluss zu bringen, doch dieser Prozess gestaltet sich mit Hinblick auf die Zuständigkeiten der Länder momentan sehr komplex. Wer allerdings den Antrag der Linksfraktion liest, muss nicht lange suchen, um zu erkennen, worauf er eigentlich abzielt. In diesem Antrag wird ausschließlich auf den Fluglärm durch US-Streitkräfte Bezug genommen. Andere Bündnispartner oder die Bundeswehr werden überhaupt nicht erwähnt. Das Nachtflugverbot, das Sie fordern, soll ausschließlich für US-Militärflugplätze gelten. Den Kollegen von der Linkspartei scheint es offenbar nicht um Fluglärm zu gehen, sondern um eine ideologisch begründete Ablehnung der Militärpräsenz der Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik. Das ist doch der wahre Hintergrund Ihres Antrags. Indessen scheint den Linken dann auch entgangen zu sein, dass sowohl die Zahl der in Deutschland stationierten Truppen als auch die Zahl der Übungsflüge in den vergangenen Jahren signifikant zurückgegangen ist. Die Anzahl der hier stationierten strahlgetriebenen Kampfflugzeuge hat sich allein in den vergangenen zwei Jahren um rund 15 Prozent reduziert. Diese Fakten ignorierend, sprechen Sie in Ihrem Antrag von einer „unzumutbaren Zunahme von Fluglärm“. Diese behauptete Zunahme lässt sich jedoch sachlich in keinster Weise nachvollziehen. Ganz im Gegenteil: Durch die anstehende Bundeswehrreform ist mit einem weiteren Rückgang der Belastung durch Fluglärm zu rechnen. Man kann nicht ernsthaft in eine Debatte um militärischen Fluglärm einsteigen und dabei konsequent außenund sicherheitspolitische Aspekte ausblenden. Doch genau das tun Sie hier. Die Bundesrepublik hat im Rahmen der NATO wechselseitige Verpflichtungen für die Schaffung von Ausbildungsmöglichkeiten mit ihren Bündnispartnern vereinbart. Die gegenseitige Bereitstellung von Ausbildungskapazitäten für unsere Partnerstaaten ist ein wichtiger Bestandteil unseres Engagements in internationalen Verteidigungsbündnissen. Diese Einsicht sucht man in Ihrem Antrag vergeblich. Es ist unser erklärtes Ziel, unseren Soldaten die bestmögliche Vorbereitung auf ihren Dienst am Vaterland zu garantieren. Militärische Übungen und Manöver sind im Sinne nationaler Sicherheit und internationaler Bündnisse zwingend notwendig. Es ist unsere Pflicht, Piloten, die in Auslandseinsätzen ihr Leben riskieren, so gut wie möglich auf ihre Aufgaben vorzubereiten. An einem Flugsimulator lässt sich dieser Anspruch nun einmal nicht verwirklichen. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Zu Protokoll gegebene Reden Bei allen negativen Auswirkungen, die Fluglärm zweifelsfrei mit sich bringt, dürfen wir eines nicht vergessen: Wir haben eine gesamtstaatliche Verantwortung gegenüber unseren Bündnispartnern, gegenüber unseren Soldaten und gegenüber dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger. Ich bin mir darüber im Klaren, dass diese nationalen Interessen zum Teil in einem starken Spannungsfeld zu dem berechtigten Interesse von Teilen der Bevölkerung nach Reduzierung der Lärmbelastung stehen. Hier muss ein Konsens gefunden werden. Diesem Konsens muss aber die sachliche Abwägung von Argumenten und darf kein ideologischer Antiamerikanismus zugrunde liegen. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Militärflugplätze, die sich in der Vergangenheit bewährt hat, halten wir für ausreichend und angemessen. Der einseitige und engstirnige Antrag der Linken stürzt sich in seinem Abschluss noch in wilde Spekulationen um angeblich unter der Hand vereinbarte Absprachen zwischen Kommandanten der Flugplätze und den kommunalen Verwaltungen. Einen Beleg dafür bleibt der Antrag jedoch schuldig. Das ist in höchstem Maße unseriös. Meine Fraktion kann und wird diesem Antrag daher unter keinen Umständen zustimmen.

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Durch das Militär hervorgerufener Fluglärm ist Teil der sicherheitspolitischen Realität. Wir setzen auf eine gut ausgebildete Truppe, wir wollen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausgerüstet und bestens vorbereitet in den Einsatz gehen. Dies gilt auch für unsere Partner, mit welchen wir in viele Einsätze gemeinsam gehen. Die USA ist einer unserer wichtigsten sicherheitspolitischen Partner. Zu der militärischen Ausbildung gehört auch eine extensive Flugausbildung der Piloten. Sie ist für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte notwendig und unerlässlich. Eine unzureichende Ausbildung und Weiterbildung hätte Folgen für jeden Soldaten und viele Familien. Nicht nur die Bundeswehr muss die Möglichkeit haben, militärische Übungsflüge durchzuführen, sondern ebenso unsere Partner. Jedoch muss die Politik dafür Sorge tragen, dass es beim Thema „Fluglärm“ einen möglichst großen Konsens zwischen Gesellschaft und Militär gibt. Die Anzahl der Beschwerden zeigt, dass die Problematik Bürgerinnen und Bürger deutschlandweit betrifft. Die Bundesregierung muss sich daher regelmäßig die Frage stellen, was sie den Betroffenen zumuten kann und wie hoch die Belastung tatsächlich sein muss. Folgeschäden für die Betroffenen müssen unter allen Umständen verhindert werden. Es ist wichtig, dass nach Möglichkeit das gesellschaftlich Zumutbare mit dem militärisch Notwendigen übereinstimmt. Die Zusammenarbeit mit dem US-Militär ist historisch gewachsen. Die USA ist nicht nur unser Partner in der NATO, sondern die USA hat sich auch um unser Land verdient gemacht. Dies bedeutet nicht, dass USamerikanisches Handeln in Deutschland nicht hinterfragt und kritisiert werden darf. Aber wenn wir uns Gedanken machen zur Problematik des durch das Militär hervorgrufenen Fluglärms, dann müssen wir dies generell tun und nicht, wie im Antrag der Linken, einseitig auf unsere amerikanischen Partner abzielen. Aus diesen Gründen können wir dem Antrag der Linken nicht zustimmen. Er ist nicht durchdacht, er ist einseitig und nicht hilfreich. Auch wenn wir diesem Antrag nicht zustimmen können, sehen wir als SPD jedoch dringenden Handlungsbedarf bei der Bundesregierung. Wenn sich Bürger mit Petitionen und Beschwerden an das Parlament wenden, darf das hier nicht ignoriert werden. Die Bundesregierung macht es sich zu einfach, wenn sie im Verteidigungsausschuss mitteilt, dass die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die sich mit einer Beschwerde über militärischen Flugbetrieb an das Luftwaffenamt gewandt haben, generell zurückgegangen ist, und den regionalen Anstieg mit diesem Hinweis auf „ein paar Engagierte“ wegwischt. Gerade wenn sich Bürgerinnen und Bürger immer wieder, immer lauter und immer intensiver melden, muss die Bundesregierung doch handeln! Es ist die Aufgabe des Verteidigungsministeriums, über die Begrenzungen beim durch das Militär hervorgerufenen Fluglärm zu entscheiden. Ich erwarte daher, dass sich der Minister den erhöhten regionalen Protesten annimmt, diese genauestens analysiert und vor Ort tätig wird. Das Bundesverteidigungsministerium muss die Rolle des Vermittlers annehmen und auf beide Parteien zu gehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass mit einer vermittelnden Position vor Ort eine Lösung gefunden werden kann.

Joachim Spatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Um es vorweg zu sagen: Wir sind uns der im Zusammenhang mit militärischen Flugbewegungen entstehenden Lärmbelastung bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern sehr bewusst. Daher haben wir als FDP uns gemeinsam mit der CDU/CSU in der Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, das Fluglärmgesetz dahin gehend zu ändern, dass die Erstattungsfähigkeit von Lärmschutzkosten an Militärflughäfen bei den gleichen Lärmgrenzwerten einsetzt wie bei zivilen Verkehrsflughäfen. Zu diesem Zweck soll das Fluglärmgesetz von 2007 novelliert werden. Derzeit läuft eine intensive Prüfung, wie das von uns formulierte Ziel erreicht werden kann. Wir werden uns dafür einsetzen, den im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch zeitnah umzusetzen. Grundsätzlich obliegt dem Bundesministerium der Verteidigung die Überwachung des Luftraums über Deutschland als Maßnahme zur Erhaltung der äußeren Sicherheit. Dies umfasst auch die Flugverkehrskontrolle militärischer Flüge. Das Recht zum militärischen Flugbetrieb alliierter Streitkräfte im Luftraum über Deutschland basiert auf völkerrechtlichen Vereinbarungen wie zum Beispiel dem NATO-Truppenstatut und den hierzu ergangenen Ausführungsgesetzen. Diese völkerrechtlichen Verträge und gesetzlichen Vorgaben bilden die rechtlichen Rahmenbedingungen für den militärischen Zu Protokoll gegebene Reden Flugbetrieb in Deutschland für alle militärischen Nutzer. Ungeachtet der berechtigten Anliegen von Anwohnern an Militärflughäfen muss an dieser Stelle schon darauf hingewiesen werden, dass die Antragsteller an keiner Stelle ihres Antrags auf die Notwendigkeit von Übungsflügen zur Erfüllung des Auftrags der Piloten verweisen, egal ob als Angehörige der Bundeswehr oder der Streitkräfte einer alliierten Partnernation. Diese Übungsflüge sind allerdings zwingend erforderlich und gehören genauso zur Wahrheit wie das Verständnis für die Betroffenheit von Anwohnern in der Nähe von militärischen Flugplätzen. Nun wissen wir ja alle, dass die Linke sowohl die Einsätze der Bundeswehr sowie der NATO grundsätzlich ablehnt und sich damit schon von vornherein einer ernsthaften Diskussion über verantwortliche Sicherheitspolitik verweigert. Sie sind einfach nicht dazu bereit, legitime Interessen anzuerkennen, die letztlich dem Schutz unser aller Freiheit und Sicherheit dienen. Wer allerdings im Gegensatz dazu verantwortliche Sicherheitspolitik betreiben will, ist darauf angewiesen, sich an gegebenen Realitäten und Bedrohungsszenarien zu orientieren. Wer sich dieser schwierigen Herausforderung stellt, der wird schnell zu dem Ergebnis kommen, dass der Einsatz von Soldatinnen und Soldaten - so schwer es uns als mandatserteilendem Verfassungsorgan auch fallen mag - in gewissen Situationen unumgänglich und zwingend notwendig ist. Vor dem Hintergrund dieser gesamtstaatlichen Verantwortung darf die Diskussion um militärischen Fluglärm in meinen Augen nicht alleine auf Anflugrouten, Landeverfahren und Flughöhen reduziert werden. Der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten ist oftmals mit einer hohen Gefahr für Leib und Leben verbunden und bedarf deshalb ohne Wenn und Aber einer optimalen Vorbereitung. Dafür sind unter Umständen und im Einzelfall auch taktische Flugmanöver in der Nähe inländischer Stützpunkte notwendig. Sowohl die Bundeswehr als auch unsere alliierten Partner sind auf diese Übungsmöglichkeiten dringend angewiesen. Würden wir sie ihnen und uns verweigern, würden wir nicht nur den Erhalt unserer äußeren Sicherheit aufs Spiel setzen, sondern letztlich auch auf Kosten der Gesundheit und der Sicherheit der Pilotinnen und Piloten handeln. In Ihrem Antrag fordern Sie, anstatt auf die freiwillige Selbstbeschränkung für die allgemeine Nutzung der Übungslufträume im Saarland, in Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern zu vertrauen, konkrete Lärmschutzregelungen und Grenzwerte festzulegen. Bereits heute erfolgt für jede Flugübung, die über die freiwillige Selbstbeschränkung hinausgeht, eine umfangreiche Einzelfallprüfung. Diese Übungen werden letztlich nur in dem unbedingt notwendigen Umfang genehmigt, wenn dies zum Erhalt der Einsatzbereitschaft der Luftwaffe unbedingt erforderlich ist. Im Übrigen ist das Aufkommen militärischer Luftraumbewegungen im Bereich der Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahr 2003 insgesamt rückläufig. Deshalb ist es auch nicht zutreffend, dass es keinerlei Selbstbeschränkung gebe oder dass diese keine Wirkung entfalten würde. Insofern halten wir eine über die Selbstbeschränkung hinausgehende Regelung für unverhältnismäßig. Zuletzt sollte nicht unerwähnt bleiben, dass verschiedene Maßnahmen der Bundesregierung, wie die Flexibilisierung der Luftraumnutzung oder die stetige Optimierung von An- und Abflugverfahren, in den vergangenen anderthalb Jahren bereits signifikant zur Verbesserung des Schutzes vor militärischem Fluglärm beigetragen haben. Dennoch sind wir uns auch weiterhin der Belastungen bewusst und bestrebt, weitere Verbesserungen zu erzielen - ohne dabei die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr oder unserer Partner zu gefährden.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

„Power Run“ in der Nacht - das ist kein nächtlicher Orientierungslauf, das ist ein Probelauf nach einer Triebwerkswartung am Flugzeug. Anwohner an Militärflughäfen wissen das. Und sie hören das, genauso wie das Dröhnen der Hubschrauber am Tage und in der Nacht, alltags und sonntags, zum Beispiel in AnsbachKatterbach, wo jeder fünfte Übungsflug über Wohngebieten in der Nacht stattfindet. 1 345 Menschen haben sich im Jahr 2008 darüber beschwert, und man hat sie alleingelassen. Bewohner in der Westpfalz und im Saarland erhielten einen Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen erst dann, als der Dauerschallpegel 60 Dezibel überstieg. Wir müssen wissen: Laut Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2007 leiden Menschen, die einen Dauerschallpegel von mehr als 39 Dezibel ertragen müssen, eher an Herz- und Kreislauferkrankungen als andere. Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen mit mehr als 17 Prozent zu den häufigsten Todesursachen. Das Problem militärischen Fluglärms nimmt zu. Neben Afghanistan und dem Irak befinden sich in der Bundesrepublik Deutschland die meisten US-Militärstützpunkte. Die globalen Kriegseinsätze ziehen den Ausbau der Militärbasen nach sich. Das ist in Kaiserslautern so, das ist bei den Luftstützpunkten Ramstein und Spangdahlem so, und das gibt es auch in bayrischen Standorten. Die Anwohner stehen ohnmächtig vor der Zunahme von Fluglärm und anderen Belastungen an Militärstandorten. Jetzt erwarten sie von ihren Parlamentariern, dass sie sich der Sache annehmen. Mit großem Verständnis hatten sich die Koalitionsparteien zu Beginn der Wahlperiode den Klagen der Anwohner von Militärbasen zugewendet. Sie sollten den Anwohnern an Zivilflughäfen gleichgestellt werden; militärische Übungsflüge sollten unter luftrechtliche Bestimmungen fallen. Was ist passiert? Nichts. Viel Lärm und nichts passiert. Das wollen die Betroffenen nicht mehr ertragen. Auf kommunaler Ebene engagieren sie sich in Bürgerinitiativen. In Ansbach fordert der Stadtrat einstimmig, dass der militärische Hubschrauberbetrieb endlich geregelt wird. Zu Protokoll gegebene Reden Wir müssen auf der Bundesebene endlich Nägel mit Köpfen machen. Wir haben die gesetzlichen Instrumente in der Hand, wir müssen sie nur anwenden. Die Linke fordert einen effektiven Lärmschutz und Grenzwerte für Übungslufträume. Die Selbstbeschränkungen der US-Streitkräfte für das Saarland, RheinlandPfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern taugen nicht. Taktische Übungsflüge über Wohngebieten unterhalb von 3 000 Metern müssen verboten werden. Anwohner von Militärflughäfen müssen einen rechtlichen Anspruch auf aktiven und passiven Lärmschutz haben. Die Unterscheidung zwischen militärischem und zivilem Fluglärm bei der Erfassung des Lärms muss beendet werden. Die von uns ins Parlament getragenen Forderungen der Betroffenen lehnen die Parteien der Regierungskoalition ab. Auch die SPD will die Forderungen zum Schutz der Anwohner an Militärbasen nicht mittragen; Bündnis 90/Die Grünen haben sich im Ausschuss enthalten. Hier im Parlament ist unsere Fraktion offenbar die einzige, die nicht nur Militäreinsätze ablehnt, sondern auch das Üben für Militäreinsätze begrenzen will. Da überrascht es nicht, dass sich die Anwohner von Militärbasen an uns wenden. Aber: Hier geht es nicht um uns. Hier geht es um die Gesundheit und um vernünftige Lebensbedingungen von Menschen, die an Militärflughäfen leben müssen, weil sie keine Chance haben, einfach die Zelte abzubrechen, um woanders zu leben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, ich erinnere Sie noch einmal daran: Sie haben vor knapp zwei Jahren im Koalitionsvertrag zugesagt, das Problem zu lösen. Wenn wir jetzt hören, die Koordination zwischen den einzelnen Ländern sei kompliziert, der Lärm habe angeblich eher abgenommen, und man könne nur konstatieren, dass die Empfindlichkeit der Bewohner zugenommen haben müsse, dann klingt das alles nicht nach dem Willen zur Lösung des Problems. In den Ohren der Betroffenen dagegen klingt es wie Hohn. Erinnern Sie sich an Ihre Zusagen an die Betroffenen, nehmen Sie unseren Antrag zum Schutz vor militärischen Fluglärm auf - handeln Sie!

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Flugzeuge verursachen erheblichen Lärm, und das gilt insbesondere für die leistungsstärkeren Maschinen von militärischen Flugzeugen. Für die Menschen, die in der Nähe von Flughäfen oder Flugplätzen wohnen, bedeutet dieser Lärm oft eine große Belastung. Das gilt wiederum für die Anwohnerinnen und Anwohner militärischer Flugplätze in besonderem Maße. Die Folgen einer derartigen Lärmbelastung sind alles andere als unerheblich. Maßnahmen zum Schallschutz mindern zwar den Lärm in den Wohnhäusern, doch auf Null reduzieren können sie ihn nicht. Auch ist es den Betroffenen nicht möglich, sich in der warmen Jahreszeit bei geöffnetem Fenster in ihrer Wohnung oder im Garten aufzuhalten, ohne sich dem ungehemmten Lärm auszusetzen. Die Möglichkeiten zur Erholung in den eigenen vier Wänden und im eigenen Garten sind grundlegend eingeschränkt. Wer dauerhaft derartigem Lärm ausgesetzt ist, kann daher krank werden - psychisch und physisch. Für die Menschen, die in der Nähe eines Militärflugplatzes leben, bedeutet der Lärm eine erhebliche Einschränkung ihrer Lebensqualität. Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, um den Schutz der Menschen vor Fluglärm zu verbessern. Wenn die Betroffenen zudem noch Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer sind, verliert auch ihr Grund und Boden massiv an Wert. Die schwarz-gelbe Bundesregierung handelt in diesem Punkt aber alles andere als entschlossen. Seit bald zwei Jahren steht im Koalitionsvertrag die Ankündigung, das Fluglärmgesetz zu verbessern. Anwohnerinnen und Anwohner militärischer Flugplätze sollen bei den gleichen Grenzwerten Anspruch auf Erstattung von Lärmschutzkosten erhalten wie Anwohnerinnen und Anwohner ziviler Flugplätze. Bis heute liegen aber keine konkreten Vorschläge vor, sondern nur diese wolkigen Ankündigungen. Unbefriedigend für die Betroffenen ist im Übrigen, dass die Bundesregierung sich von vornherein auf den sogenannten passiven Schallschutz beschränkt hat. Nach Lösungen zur Verbesserung beim aktiven Schallschutz, insbesondere hinsichtlich der Nachtruhe, will Schwarz-Gelb gar nicht erst suchen. Das ist definitiv zu wenig. Aber wie soll die Bundesregierung auch sinnvolle Maßnahmen vorschlagen, wenn sie nicht einmal ausreichend Kenntnisse über die Auswirkungen einer derartigen Lärmbelastung besitzt? Über das Ausmaß der Lärmbelastung weiß die Bundesregierung wenig. Die Höhe der durch den Lärm verursachten volkswirtschaftlichen und individuellen Schäden ist ihr unbekannt. Das macht die Bundesregierung unter der Drucksachennummer 17/3933 mit ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion zum militärischen Fluglärm in Teilen des Saarlandes und Rheinland-Pfalz deutlich. Das bedeutet, von der Situation der Anwohnerinnen und Anwohner von militärischen Flugplätzen haben Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nur eine vage Vorstellung. Trotzdem lehnen Sie Maßnahmen zum Schutz als unnötig ab. Ein solches Handeln aus Unkenntnis hat aber absolut nichts mit gutem Regierungshandeln zu tun. Wir fordern die Bundesregierung eindringlich auf, sich endlich ehrlich, empirisch und wissenschaftlich mit den Auswirkungen einer derartigen Lärmbelastung auseinanderzusetzen. In der Ausschussdebatte über diesen Antrag haben wir von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, zu hören bekommen, man müsse bei der Thematik berücksichtigen, dass Piloten nur dann zur Sicherheit beitragen können, wenn sie auch Übungsflüge durchführen. Das ist ja grundsätzlich richtig, aber Sie rechtfertigen damit Ihre Politik der Unkenntnis und der leeren Versprechungen. Darum ist diese Argumentation unsägZu Protokoll gegebene Reden lich, und es bleibt dabei: In puncto Schutz vor Fluglärm tut die Regierung zu wenig und sie tut es zu langsam. Der hier vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke zeigt unseres Erachtens allerdings auch nicht den richtigen Lösungsweg auf. Insbesondere fällt auf, dass dieser Antrag einen grundlegenden logischen Fehler aufweist. Auf der einen Seite plädiert er für eine Gleichbehandlung von militärischem und zivilem Fluglärm. Dann aber fordert der Antrag ein Verbot von Nachtflügen und Flügen an Wochenenden und Feiertagen ausschließlich für US-Militärflugplätze. Das ist keine Gleichbehandlung. Auch die meisten anderen Forderungen beziehen sich lediglich auf Flugplätze, die vom US-amerikanischen Militär genutzt werden. Diese Einschränkung erschließt sich mir einfach nicht. Dem Antrag können wir daher nicht zustimmen, obwohl wir das Ansinnen, die Rechte der Betroffenen zu verbessern, ausdrücklich begrüßen. Darum werden wir uns enthalten. Seit Jahren setzt sich die grüne Bundestagsfraktion intensiv mit der Problematik von Fluglärm auseinander, und zwar sowohl von militärischem als auch von zivilem Fluglärm. Noch zu rot-grünen Zeiten haben wir mit der SPD über eine Überarbeitung des Fluglärmgesetzes gestritten. In den vergangenen Jahren haben wir mit aller Deutlichkeit die 2007 unter Schwarz-Rot in Kraft getretene Novelle des Fluglärmgesetzes und ihre ausgesprochen langsame Umsetzung kritisiert. Bisher hat auch die schwarz-gelbe Bundesregierung in Sachen Schutz vor Fluglärm keine bessere Figur abgegeben. Daher wiederhole ich noch einmal: Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie endlich beginnt, an diesem Problem zu arbeiten, und zwar hinausgehend über das, was in den Koalitionsvereinbarungen steht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5918, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5206 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Das ist die Fraktion der Linken. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Claudia Roth ({1}), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frauen- und Mädchenfußball stärken - Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 gesellschaftspolitisch nutzen - Drucksachen 17/5907, 17/6281 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Martin Gerster Dr. Lutz Knopek Katrin Kunert Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen, die reden wollten, sind bei uns angekommen.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Am letzten Sonntag wurde die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011 im ausverkauften Berliner Olympiastadion feierlich eröffnet. Das Eröffnungsspiel haben über 73 000 Zuschauer unter Hochspannung live verfolgt und die wirklich tolle Atmosphäre genießen können. Zudem werden die Spiele auf allen fünf Kontinenten in etwa 60 Ländern übertragen, und dies in neuer medialer Dimension und auf dem Stand der Technik. Nicht nur die spielerische und sportliche Leistung unserer Nationalmannschaft, die mediale Berichterstattung und die Begeisterung der Zuschauer für das Großsportereignis zeigen, dass der Frauenfußball in Deutschland angekommen ist und ihm im internationalen Vergleich eine herausragende Bedeutung zukommt. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und der FDP werden auch weiterhin den Frauenfußball kraftvoll unterstützen und fördern! Wir beschränken uns allerdings nicht nur auf den Frauenund Mädchenfußball, sondern begreifen die Förderung in einem übergeordneten Sinne - sportartübergreifend bezogen auf den Frauen- und Mädchensport im Allgemeinen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Frauen- und Mädchenfußball stärken - Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011 gesellschaftspolitisch nutzen“ ist zwar anlassbezogen aktuell, verkennt aber die bereits bestehenden Förderungsstrukturen des Mädchen- und Frauenfußballs. Leider scheinen die Anträge der Opposition sich vom Zeitpunkt her immer wieder nur an Großsportereignissen zu orientieren. Anstatt auf eine kontinuierliche Arbeit zu setzen, versucht man im Zuge eines Großsportereignisses, Forderungen in einem Antrag unterzubringen, die zum Teil nur im entferntesten Sinne etwas mit der Realität und den eigentlichen Herausforderungen der Zeit zu tun haben. Bei allem Verständnis für die Verbindung zwischen Sport und gesellschaftspolitischen Zielen und Interessenslagen sollte eine Instrumentalisierung des Sports tunlichst vermieden werden. Der fraktions- bzw. parteienübergreifende Besuch von ranghohen Politikern von einem Großsportereignis, wie zur Eröffnung der FußballWeltmeisterschaft der Frauen 2011, unterstreicht die Wertschätzung und gesellschaftspolitische Bedeutung dieses Events für unser Land. Ein Großsportereignis, begleitet von mehreren Clips, Trailern und Originaltönen mit parteipolitischen Statements im Stadion, gleicht dann aber wiederum stärker der Werbung in eigener Sache und der Instrumentalisierung des Sports. Die Grenzen des Vertretbaren sind bisweilen fließend. Ob eine solche Symbiose zwischen Politik und Sport angemessen und wünschenswert ist, sollte kritisch hinterfragt werden. Im parlamentarischen Diskurs sollte auf solchen Opportunismus und - in diesem Fall - auf entsprechende „Scheinanträge“ verzichtet werden. Auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips fördern die Bundesregierung und der Deutsche Fußball-Bund ({0}) seit langem den Frauen- und Mädchenfußball, im Breiten- wie im Spitzensport. Im 12. Sportbericht der Bundesregierung sind die über den Fußball weit hinausgehenden Maßnahmen und Programme in diesem Bereich umfassend geschildert. Die Aufwendungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bereich „Frauen und Mädchen im Sport“ betrugen im Berichtszeitraum insgesamt 290 000 Euro. Dabei folgen die Maßnahmen des Ministeriums dem Ziel, den Anteil der Frauen und Mädchen im Sport in allen Bereichen dem Anteil von Männern anzugleichen und dies auch unabhängig von verschiedenen Altersgruppen. Die Mitgliederentwicklung von Frauen und Mädchen in Sportvereinen ist in den letzten Jahren mehr als erfreulich. So lässt sich konstatieren, dass den größten Zuwachs mit über 160 000 weiblichen Mitgliedern der Deutsche Fußball Bund verzeichnen konnte, aber auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung, der Deutsche Leichtathletik-Verband und der Deutsche Schützenbund sind hier besonders positiv hervorgetreten. Die meisten weiblichen Mitglieder - mit circa 3,5 Millionen Mädchen und Frauen - sind jedoch weiterhin unter dem Dach des Deutschen Turnerbundes organisiert. Der Frauenanteil bei den Mitgliedschaften in Sportvereinen in Deutschland liegt derzeit bei etwa 40 Prozent. Unabhängig von sportspezifischen Unterschieden reicht die Förderung der Bundesregierung im Bereich „Frauen und Mädchen im Sport“ über die im Antrag der Grünen genannten Forderungspunkte weit hinaus. Beispielhaft seien an dieser Stelle nur folgende Ziele genannt: den Anteil von Frauen in Gremien des Sports zu erhöhen - zum Beispiel durch Verbandswettbewerbe „Frauen an die Spitze“, Trainerinnen im Sport zu unterstützen und zu qualifizieren - zum Beispiel Führungstalente-Camp des DOSB, bundesweite Frauenaktionstage mit Bezug zum Sport zu fördern oder das Programm „Migrantinnen in den Sport“ weiter zu unterstützen. Der Grünen-Antrag missachtet nicht nur die bereits bestehenden Maßnahmen der Bundesregierung zur Förderung des Sports von Mädchen und Frauen. Er weist zudem zahlreiche formale Mängel auf, missachtet konsequent die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sowie zuwendungsrechtliche Bestimmungen. Dies zeigt sich am deutlichsten bezüglich der Forderungen zur Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder bezüglich des Schulsports. Aber auch aufgrund inhaltlicher Mängel werden wir diesem Antrag nicht zustimmen: Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements im Sport, beispielsweise durch den neuen Bundesfreiwilligendienst, wurde offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Unverständlich bleibt auch, wie konkret die „Integration von Migranten durch die Sportpolitik“ einen höheren Stellenwert erfahren soll. Das vom Bundesministerium des Innern ({1}) geförderte Programm „Integration durch Sport“ kommt dieser Forderung seit langem mit großem Erfolg nach und wird auf unterschiedlichen Ebenen entsprechend evaluiert. Mit Blick auf den Spitzensport und die Talentförderung zeigt sich gerade, dass im Sport Menschen mit Migrationshintergrund sehr erfolgreich sind. Die Fußballnationalmannschaft der Männer und Frauen ist mit einer „gelebten Vielfalt“ auch hier ein besonders positives Beispiel. Der Aspekt des „Klima- und Umweltschutzes im und durch den Sport“ wurde im Antrag der Koalitionsfraktionen in wesentlich weitreichender und detaillierter Form erst kürzlich ausgeführt. Das Umweltkonzept „Green Goal“ der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011 geht über die Forderungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits weit hinaus. Auch vor dem Hintergrund der Ablehnung der Bewerbung „München 2018“ durch die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen ist dieser Forderungspunkt nur schwer nachzuvollziehen - zumal das Umweltkonzept der Bewerbung anfänglich sogar von den Grünen begleitet wurde. Am Beispiel der sportpolitischen Kontakte zu Nordkorea - wie auch zu vielen anderen Ländern - im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011 zeigt sich nicht zuletzt, wie der Forderung nach dem Ausbau internationaler Beziehungen bereits mehr als beispielhaft nachgekommen wird. Die CDU/CSU-Fraktion wird den Frauenfußball, wie auch den Sport von Frauen und Mädchen insgesamt, weiter kontinuierlich und kraftvoll unterstützen - und dies nicht nur zu dem Großsportereignis der FußballWeltmeisterschaft der Frauen 2011. Dabei ist es wichtig, auf die Ziele, Perspektiven und Erwartungen zu hören, die vonseiten der Frauen und Mädchen im Sport selbst aufgestellt werden. Eine politische Instrumentalisierung wie auch eine gesellschaftspolitisch-moralische Überfrachtung lehnen wir ab, da dies die aus sich selbst heraus kommende Entwicklung hemmt. Wie stark das Interesse, die Ausstrahlungskraft, die Aufmerksamkeit und die Faszination für den Sport von Frauen und Mädchen bereits jetzt schon sind, zeigt sich mehr als positiv am Beispiel der FußbaIl-Weltmeisterschaft der Frauen 2011. Der Sport von Frauen und Mädchen in Deutschland kann auch künftig auf die Unterstützung der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP bauen! Hierbei stehen für uns die Beachtung der Autonomie des Sports und vor allem der Interessenslagen der Sportlerinnen weiterhin im Vordergrund!

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich über Frauenfußball spreche, denke ich natürlich zuerst an die gerade in Deutschland stattfindende FIFA-Fußballweltmeisterschaft der Frauen, deren Euphorie wir nutzen sollten. Aber ich denke auch an die Torfrau Desirée Schumann aus meinem Wahlkreis Reinickendorf. Die ersten neun Jahre ihrer jungen Fußballerkarriere spielte sie in Berlin in meinem Heimatbezirk beim VfB Hermsdorf. Heute spielt sie beim 1. FFC Turbine Potsdam und ist eine der hoffnungsreichsten deutschen Nachwuchsfußballerinnen der U-20-Nationalmannschaft. Zu Protokoll gegebene Reden Mein Kollege Klaus Riegert ist bereits intensiv auf den Antrag der Grünen eingegangen, weshalb ich als Berliner Bundestagsabgeordneter mich gern näher auf die Situation in der Hauptstadt beziehen werde. Nur 10 Prozent, also 11 599, aller Fußballspieler in Berliner Vereinen sind Frauen. Das ist ausbaufähig, denn auch wir wollen den Anteil fußballspielender Frauen erhöhen. Doch die Lösung dafür kann nicht ein 20 Punkte umfassender Antrag sein, der sich leider nur sehr entfernt mit der wirklichen Problematik beschäftigt. Lösungen können auch nicht von oben diktiert oder übergestülpt werden. Wenn man mehr Mädchen und Frauen in die Fußballvereine holen will, dann muss das von unten direkt im Verein wachsen. Alles, was wir tun können, ist, möglichst optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. In vielen Bereichen ist das bereits gelungen. Zum Beispiel über Vereinskooperationen, wie es der Deutsche Fußball-Bund beim 1. FC Lübars und bei Hertha BSC initiiert hat. Auch gibt es auf Initiative des Landessportbund Berlins zunehmend Partnerschaften zwischen Schulen und Sportvereinen. Sportbegeisterte Kinder können unkompliziert auf Sportangebote in ihrer Nähe aufmerksam gemacht werden. Mit Erfolg: Fast die Hälfte der weiblichen Fußballer in Berlin ist inzwischen unter 18 Jahre alt. Der steigende Mädchenanteil im Fußball hat auch damit zu tun, dass mehr und mehr auf Migrantinnen zugegangen wird. In Berlin werden sie gezielt geworben, und es wurden Bedingungen geschaffen, die auch ihren speziellen Bedürfnissen entsprechen. Hier ist noch ein großes Potenzial zur Gewinnung fußballbegeisterter Mädchen und Frauen. Denn die gemischten Mannschaften waren für viele eine Barriere zum Vereinsfußball. Inzwischen gibt es zahlreiche reine Mädchen- und Frauenmannschaften. Auch Turniere und Meisterschaften werden verstärkt mit nur weiblichen Teilnehmern angeboten. Das senkt vorhandene Berührungsängste enorm. Die Mitgliederzahlen in den Frauenfußballmannschaften steigen. Die Begeisterung und der Besucherrekord beim WM-Eröffnungsspiel im Berliner Olympiastadion am vergangenen Sonntag zeigten uns, welche Potenziale es hier gibt. Das größte Problem ist momentan also nicht die Begeisterung der Mädchen und Frauen für Fußball. Begeisterung ist vorhanden und dürfte auch nach der Fußballweltmeisterschaft der Frauen anhalten. Die Herausforderungen liegen woanders. In vier Punkten sehe ich noch Verbesserungsmöglichkeiten für die Stärkung des Frauenfußballs: Erstens: der Mangel an Trainerinnen. Mädchen- und Frauenfußballmannschaften müssen verstärkt von Frauen trainiert werden. Weibliche Trainerinnen gibt es zu wenig. Wir brauchen mehr Fußballtrainerinnen. Fußballbegeisterten Frauen müssen wir die Möglichkeit geben, sich in diesem Bereich ehrenamtlich zu engagieren. Vielleicht brauchen wir dafür noch besondere Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder? Auch setzt sich beispielsweise der Landessportbund Berlin verstärkt dafür ein, bei Frauen mit Migrationshintergrund dafür zu werben, dass sie Trainerin werden. Zweitens: fehlende Trainingsplätze. Nahezu jeder Berliner Fußballverein hat volle Mannschaften, aber überfüllte Trainingsplätze und zu wenig Hallenzeiten im Winter. Es gibt viele Vereine, die aktuell auf der Suche nach neuen Trainingsmöglichkeiten sind. In den meisten Großstädten sind die Kapazitäten nahezu ausgeschöpft. Aber zumindest in der deutschen Hauptstadt gäbe es zwei große Freiflächen, die dafür wie gemacht zu sein scheinen. Seit drei Jahren liegt das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof brach. Doch alle Bestrebungen, diesen Platz sinnvoll zu nutzen und zumindest teilweise in Sportanlagen umzuwandeln, wurden vom Berliner Senat abgelehnt. Nicht zuletzt die Grünen sperrten sich gegen die Einrichtung von dringend benötigten Sportanlagen auf dieser Fläche. Ab Mitte nächsten Jahres wird es auf dem Flughafen Tegel eine weitere freie Fläche geben. Als Präsident des Breitensportvereins Reinickendorfer Füchse unterstütze ich die Bestrebungen vieler Vereine, hier Sportanlagen einzurichten. Leider gibt es auch hier keine Anzeichen, dass der rot-rote Senat den Vereinen entgegenkommen möchte. Drittens. Auch wenn in diesem Bereich schon viel passiert ist, möchte ich alle Sportvereine ermuntern, sich weiter - insbesondere für Mädchen und Frauen - zu öffnen. Es ist in der Gesellschaft angekommen, dass Frauenfußball nicht mehr länger nur eine vorurteilsbeladene, belächelte Randsportart ist. Lasst uns das nutzen, indem wir neue Mädchen- und Frauenmannschaften gründen und den Fußballspielerinnen ein sportliches Zuhause in den etablierten Vereinen bieten! Viertens. Etliche Werbekampagnen zeigen den Fußball in diesen Wochen als Frauensportart. Viele Frauen reagieren und melden sich in Vereinen an, um nicht nur zuzusehen, sondern selbst zu spielen. Das muss mit der Frauenfußballweltmeisterschaft nicht vorbei sein. Vorbilder wie die WM-Organisatorin Steffi Jones, unsere hervorragende Bundestrainerin Silvia Neid oder der Shooting-Star der WM Celia Okoyino da Mbabi müssen auch nach der WM weiter präsent bleiben und Frauen motivieren, Fußball zu spielen. Die Euphorie der WM müssen wir unbedingt nutzen. Bei den Reinickendorfer Füchsen, deren Präsident ich bin, kommt die Euphoriewelle bereits an. Bis vor drei Jahren hatten wir keine Mädchenfußballmannschaft. Um dem Ansturm gerecht zu werden, haben wir jüngst schon die zweite Mannschaft gegründet. Das Vorurteil, Fußball sei ein Männersport, ist auch in der breiten Wahrnehmung überholt. Die Begeisterung für Frauenfußball steigt gerade jetzt, da die FußballWM der Frauen in Deutschland stattfindet. Die Vereine erwarten im Nachgang der Weltmeisterschaft einen Ansturm von Frauen und Mädchen auf die Fußballvereine. Wir müssen die Vereine ermutigen, diese einmalige Chance zu nutzen. Lassen Sie uns das Ehrenamt stärken und verfügbare freie Flächen den Sportvereinen zur Verfügung stellen. Lassen Sie uns die Euphorie nutzen. Zu Protokoll gegebene Reden Oder, um mit dem offiziellen Fußball-WM-Lied „Happiness“ zu sprechen: I gotta be out of my mind not to try this!

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Am Sonntag wurde die FIFA-Frauen-Weltmeisterschaft in Berlin eröffnet - eine weitere Sportgroßveranstaltung, die wir in Deutschland nach den großartigen Ereignissen der letzten Jahre ausrichten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Fußball-WM der Männer 2006, die Handball-WM der Männer 2007, die Basketball-EM der Gehörlosen 2008 und die LeichtathletikWM 2009, um nur einige Beispiele zu nennen. Drei Wochen steht der Frauenfußball im Fokus der Öffentlichkeit; er wird medial und in den Stadien so präsent sein wie nie in unserem Land zuvor. Bereits im Vorfeld der WM kann der Deutsche Fußball-Bund Rekordzahlen verbuchen: Mit einem Zuwachs von 10 000 Frauen und Mädchen ist die Marke von 1 Million Vereinsspielerinnen deutlich übertroffen worden. Damit ist klar: Die Zukunft des Verbandes liegt auch in der Hand der Frauen. Wer hätte das vor 35 Jahren gedacht? „Die Anatomie der Frauen ist für Trikotwerbung nicht geeignet. Die Reklame verzerrt.“ So lautete damals eine Mitteilung aus dem Hause DFB. Ich denke, diese Sorge sind die Herren mittlerweile los; andere noch nicht. Trotz des großen Engagements von Präsident Dr. Zwanziger macht sich die Entwicklung des Frauenfußballs noch nicht in den Verbandsstrukturen bemerkbar. 47 Mitglieder bilden das Präsidium und den Vorstand des Deutschen FußballBundes; darunter befindet sich gerade einmal eine einzige Frau. Damit steht auch der DFB in der unrühmlichen Tradition der meisten deutschen Sportverbände, in denen nach wie vor fast nur Männer das Sagen haben. Es gibt nicht nur diesen, sondern auch noch andere gute Gründe, auch diese Weltmeisterschaft zum Anlass zu nehmen, sport- und gesellschaftspolitische Forderungen zu diskutieren. Daher vorab ein Dank an die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen für die Einbringung des Antrags. Im vergangenen Jahr hatte dies meine Fraktion anlässlich der FIFA-WM in Südafrika übernommen. Sport mit all seinen unterschiedlichen Facetten ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft geworden und sollte für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger selbstverständlicher Teil der aktiven Lebensführung sein. Denn: Sport ist Gesundheitsförderung und körperliche Rehabilitation, ist Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe und Integration, Sport ist Teil des Bildungssystems, Sport baut Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und Religion, zwischen Menschen mit Behinderung und ohne, über Landesgrenzen hinweg. Der Sport stellt sich den sozialen und kulturellen Herausforderungen einer sich ständig wandelnden Gesellschaft. All dies sollte die Politik im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. Mit dem vorliegenden Antrag fordern die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, die derzeitige öffentliche Aufmerksamkeit für den Frauenfußball zu nutzen, um gesellschaftspolitische Impulse zu setzen. Dieses Grundanliegen unterstützen wir ausdrücklich. Jedoch weist dieser Antrag eine Reihe von Defiziten auf, die uns eine Zustimmung nicht ermöglicht. Insbesondere der Forderungskatalog liest sich wie ein eher schlecht sortierter Wunschzettel; er listet einfach nur alles auf, was in den letzten Jahren sportpolitisch zu den unterschiedlichsten Anlässen diskutiert wurde. Nicht nur das; es finden sich geradezu skurrile Forderungen. Sind Sie ernsthaft der Auffassung, dass es, wie unter Punkt 5 gefordert, tatsächlich Aufgabe der Bundesregierung ist, den Zugang zu Spiel- und Trainingsmöglichkeiten auch für Mädchen und Frauen zu gewährleisten? Da ist der Griff in die Wünsch-dir-wasSchublade doch wohl ziemlich danebengegangen. Auch wenn wir uns in der sportpolitischen Diskussion durchaus mit Themen auseinandersetzen, die nicht originäre Bundesaufgabe sind, wirkt es verfehlt, konkrete Forderungen an die Bundesregierung in Bezug auf Aufgaben zu richten, die explizit Aufgabe von Ländern und Kommunen sind. Und wenn weiter gefordert wird, eine stärkere Präsenz von Frauenfußball im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu unterstützen, ist das deutlich zu kurz gesprungen. Schließlich werden Erhebungen zufolge nicht nur Fußballerinnen, sondern Sportlerinnen insgesamt in der Berichterstattung benachteiligt. Eine ausgewogene Berichterstattung über möglichst viele Sportarten, und dabei natürlich gleichermaßen über Sportlerinnen und Sportler, muss also das Ziel sein, zumal der Antragstitel ausdrücklich die gesellschaftspolitische Komponente erwähnt. Aus den genannten Gründen ist der Antrag für meine Fraktion nicht zustimmungsfähig; wir werden uns bei der Abstimmung daher enthalten. Der vorliegende Antrag gibt uns aber durchaus die Möglichkeit, weitere grundsätzliche Anmerkungen zu machen. Der Deutsche Fußball-Bund ist der mitgliederstärkste Verband innerhalb der FIFA, die nicht erst in den letzten Wochen für mehr als unrühmliche Schlagzeilen gesorgt hat. Auch wenn in den kommenden Wochen die sportlichen Ergebnisse im Vordergrund stehen werden, sind die Vorkommnisse und ungeklärten Bestechungsvorwürfe in der FIFA nach wie vor im Raum. Auch der europäische Fußballverband UEFA mahnt nicht grundlos konkrete Maßnahmen zur Aufklärung an. Die Integrität des Sports ist ein hohes Gut, aber auf vielen Ebenen offenkundig dem Verfall preisgegeben. Das allerdings zerstört die Werte des Sports und in der Konsequenz zwangsläufig seine gesellschaftliche Akzeptanz. Aus unserer Sicht bietet sich für den Deutschen FußballBund und seinen Präsidenten als Mitglied des FIFAExekutivkomitees die Chance und Herausforderung zugleich, sich in der FIFA an die Spitze einer Bewegung zu setzen, die für Transparenz und echte demokratische Strukturen eintritt. Frauenfußball wird mittlerweile in vielen Ländern der Welt gespielt - aber längst nicht überall mit derselben Selbstverständlichkeit wie bei uns. Die FIFA hat eine eigene Beauftragte für Frauenfußball, die erst kürzlich in einem Interview die Hürden und Barrieren geschildert hat, die Frauen in vielen Ländern überwinden müssen, wenn sie einfach nur Fußball spielen wollen. Hier kann Unterstützung von unserer Seite kommen: Im Zu Protokoll gegebene Reden Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik finanziert Deutschland Sportprojekte, die vor Ort große Erfolge aufweisen. Leider werden diese bislang viel zu wenig beachtet. Ich kann die Kolleginnen und Kollegen nur ermuntern, sich bei Auslandsreisen auch über diese Projekte zu informieren. Gleichzeitig fordere ich die schwarz-gelbe Koalition in diesem Zusammenhang auf, die Haushaltsmittel für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wieder auf den Stand zu bringen, den es zu Zeiten der Großen Koalition gab. Die Frauen-Weltmeisterschaft läuft, und eine Frau hat allen Grund, mit Zufriedenheit auf das bisher Geleistete zurückzublicken: ich denke an Steffi Jones, die mit der ihr eigenen Bescheidenheit vieles nicht für sich reklamieren wird, was sie aber nachweislich maßgeblich vorangetrieben hat. Ein perfekt organisiertes Turnier hat natürlich Signalwirkung auch gegenüber den Ländern, in denen der Frauenfußball noch am Anfang seiner Entwicklung steht. Daher geht ein ausdrücklicher Dank an Steffi Jones und natürlich auch an ihr Team; gemeinsam haben sie viel dazu beigetragen, dass diese Weltmeisterschaft bislang unter einem guten Stern steht. Persönlich freue ich mich, dass sie dem Fußball in anderer Funktion nach der WM erhalten bleiben wird - es gibt schließlich noch viel zu tun!

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Effiziente Ressourcennutzung sieht anders aus. Der hier vorliegende Antrag zeigt die Grünen, wie sie sind: mit wenig Sachkenntnis, viel heißer Luft und dem wahnhaften Zwang, alles anzugleichen. Um uns das zu vermitteln, hätten Sie keine fünf Seiten schreiben müssen. Sie versuchen hier, alle Ihre Themen unterzubringen, und das wohlgemerkt wenig sachbezogen und nicht immer widerspruchsfrei. Ich will trotzdem versuchen, zu diesem nichtssagenden Antrag ein paar inhaltliche Anmerkungen zu machen. Ich will es gleich vorwegschicken: Die Fußball-WM der Frauen 2011 im eigenen Land ist eine tolle Sache. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Fußballfan bin. Deswegen werde ich mir auch keines der Spiele der Damen entgehen lassen. Sie kritisieren in Ihrem Antrag, dass die Bedeutung des Frauenfußballs noch weit hinter der des Männerfußballs zurückliegt. Das mag sein, allerdings ist das weniger gravierend, als Sie es darstellen, und auch nicht in Stein gemeißelt. Sie führen diese ungleich verteilte Bedeutung auf die mangelnde mediale Präsenz von Frauenfußball zurück. Nun muss ich Ihnen da widersprechen: Wir erleben gerade eine professionelle Medienoffensive, bei der zahlreiche TV-Sendungen, Anzeigen- und Werbekampagnen sowie Zeitungsartikel das Sommermärchen von 2011 pushen. Unsere WM-Spielerinnen werden für die verschiedensten Produkte als Werbeträger eingesetzt. Männliche Nationalspieler wie Lukas Podolski und Thomas Müller outen sich in TV-Spots für eine Supermarktkette als begeisterte Frauenfußball-WM-Fans. Es gibt sogar erstmals ein Panini-Album zur Frauen-WM. Und da das alles noch nicht reicht, rühren im gebührenfinanzierten Tatort auch noch Steffi Jones, Theo Zwanziger, Jogi Löw, Oliver Bierhoff, Nationaltrainerin Silvia Neid und andere Fußballprominenz die Werbetrommel. Ja, was wollen Sie denn noch? Dass wir ein Gesetz erlassen, das jeden Bürger zwingt, sich die Spiele anzusehen? Vonseiten des DFB, der Öffentlichkeit und auch der Bundesregierung wurde alles getan, damit unseren Damen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zukommt. Außerdem sollte eines nicht unerwähnt bleiben: Das WM-Halbfinale 1995, in dem die deutschen Damen leider China unterlagen, sahen in Deutschland 5 Millionen Zuschauer. Beim WM-Sieg 2007 gegen Brasilien sahen sich fast 12 Millionen Zuschauer die Partie an. Vergangenen Sonntag schalteten 15,37 Millionen Zuschauer den Fernseher ein, um die erste WM-Begegnung unserer Damen vor ausverkauftem Stadion zu sehen; das entspricht einem Marktanteil von 60 Prozent. Die Frauen haben sich diese Anerkennung und dieses Plus an Aufmerksamkeit durch ihre eigene Leistung selbst erspielt und das ist auch gut so. Ihrer Meinung nach wird der Frauen- und Mädchenfußball noch viel zu wenig gefördert. Doch in dem gleichen Antrag stellen Sie die Erfolge der deutschen Fußballdamen selbst heraus: sieben Europa- und zwei Weltmeistertitel. Ich frage mich, wie solche sportlichen Erfolge bei den Ihrer Meinung nach steinzeitlichen Förderbedingungen möglich sein konnten. Ich will es Ihnen sagen: Sie haben unrecht. In Ihrem Antrag verkennen, ja negieren Sie völlig die vorbildlichen Anstrengungen und massiven Förderungen des DFB in Sachen Frauenfußball. Auch seitens der Bundesregierung wird mit dem Programm „Jugend im Sport“ den Entwicklungen im Frauen- und Mädchenfußball Rechnung getragen. Natürlich sind es nach wie vor mehr Jungen als Mädchen, die diesen Sport betreiben, aber wir befinden uns in einer Entwicklung, die auf noch mehr Mädchen in unseren Fußballvereinen hinsteuert. Das geht nicht von heute auf morgen. Und schließlich ist es auch ganz natürlich, dass nicht immer genauso viele Jungen wie Mädchen eine bestimmte Sportart betreiben. Ich sehe darin allerdings keinen Nachteil. In Ihrem Antrag bemühen Sie auch einmal mehr das schöne Schlagwort „Integration“ und verpassen natürlich nicht die Gelegenheit, der Bundesregierung und der Welt diesbezügliche Versäumnisse vorzuwerfen. Dazu habe ich dann doch einmal eine Frage: Waren Sie schon einmal auf einem Fußballplatz? Bei einem Verein? Ich vermute nicht, und ich erkläre Ihnen auch gern, warum: Sie können hier in Berlin an einem beliebigen Abend mit ein paar Freunden oder allein auf einen Fußballplatz gehen. Dort werden Sie dann noch andere Spielwillige treffen, die allein vermutlich auch keine ganze Mannschaft zusammenbekommen. Und wissen Sie, was erstaunlich ist? Keiner wird Sie fragen, woher Sie kommen oder welcher Nationalität Ihre Eltern angehören. Viel wichtiger sind Fragen wie: „Außen oder innen?“ oder „Mittelfeld oder Stürmer?“ Zu Protokoll gegebene Reden Joachim Günther ({0}) Sport ist Integration, Fußball ist Integration! Dabei geht es nicht um Herkunft, sondern nur um Leistung. Vor diesem Hintergrund finde ich es sehr befremdlich, dass Sie eine zusätzliche Förderung von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund fordern. Das widerspricht in elementarer Weise den Grundsätzen des Sports. Darüber hinaus sind gerade im Sport Menschen mit Migrationshintergrund überproportional vertreten, was Ihre Forderung sogar gegenstandslos macht. Unter anderem fordern Sie weiter eine verstärkte Förderung des Fußballs auch als Schulsport für Mädchen. Liebe Kollegen bei den Grünen, ein kleiner Kurs in Staatskunde: Das ist Ländersache! Wenn Ihnen das so wichtig ist, dann wenden Sie sich doch vertrauensvoll an Ihre Länderkollegen in Regierungsverantwortung. Außerdem habe ich mich einmal umgehört und erfahren: Mädchen haben in unseren Schulen bei Sportkursen Wahlmöglichkeiten. So bleibt es ihnen überlassen, ob sie Turnen, Leichtathletik, Gymnastik oder Ballsportarten wählen. Sollten unsere Töchter sich also nicht für Fußball entscheiden, so haben auch Sie das zu akzeptieren. Aus all den hier genannten Gründen ist der Antrag aus unserer Sicht abzulehnen. Zusammenfassend möchte ich noch sagen, dass die Fußball-WM der Frauen 2011 natürlich Chancen bietet. Ich persönlich freue mich auf die Begegnungen und auch darauf, dass sich danach noch mehr Mädchen in den Vereinen anmelden werden. Frauenfußball ist längst kein Nischensport mehr, und wenn wir unseren Weg fortsetzen, werden wir von der Dynamik, mit der sich die Entwicklung in dieser Sportart vollzieht, überrascht sein. Frauen und Mädchen sind auch hier auf Augenhöhe mit Männern und Jungen.

Jens Petermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004128, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Fraktion bedauert es sehr, dass ein an sich sinnvoller Antrag der Bündnisgrünen zum Frauenfußball nicht öffentlich debattiert und nur zu Protokoll gegeben werden soll. Das ist besonders unverständlich, weil derzeit die Frauenfußball-WM in Deutschland stattfindet. Ein öffentliches Plenum wie der Bundestag wäre ein angemessenes Forum gewesen, die Fortschritte und Defizite im Frauen- und Mädchenfußball zu debattieren. Die antragstellende Fraktion gibt sich leider mit einer Protokolldebatte zufrieden. Gerade weil die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung parallel zur WM die Veranstaltungsreihe „Gender Kicks 2011“ organisiert, wäre eine öffentliche Debatte sehr hilfreich. So gibt sich die Fraktion mit dem Effekt eines Schaufensterantrages zufrieden. Das ist wirklich bedauerlich. Trotz dieses Mangels lohnt es sich, diesen Antrag zu diskutieren. Er hat im Sportausschuss unsere Zustimmung erhalten: Der Antrag geht auf eine ganze Reihe von aktuellen Problemen ein und signalisiert unstreitig Handlungsbedarf, auch wenn die Probleme an der einen oder anderen Stelle sicherlich noch zu konkretisieren sind. Zudem lässt der Antrag hier und da auch mögliche Lösungswege vermissen. Die derzeitige Frauenfußballeuphorie ist mit Sicherheit gesellschaftspolitisch nützlich. Es wäre fahrlässig, die WM im eigenen Lande nicht als Basis für eine stetige Entwicklung zu betrachten und die vorhandenen Potenziale nicht besser auszuschöpfen. Vor acht Jahren, als die deutschen Frauen zum ersten Mal den WM-Titel holten, wurde ihr Spiel weder besonders ernst noch besonders wahrgenommen. Hier hat sich einiges verändert, wobei die Potenziale längst nicht ausgeschöpft sind. Frauen- und Mädchenfußball ist in den Sportsendungen der öffentlich-rechtlichen Medien, von der aktuellen WM abgesehen, nicht mehr als eine Randnotiz. Es besteht allerdings Hoffnung, dass sich die hohen Zuschauerzahlen der ersten WM-Spiele in den Köpfen der Programmdirektoren bei ARD und ZDF festsetzen und die Herren - meistens sind es Männer - ihre Lernfähigkeit unter Beweis stellen. Dennoch gibt es eine plausible Begründung für die Ungleichbehandlung: Die Frauen-Bundesliga ist derzeit nicht sonderlich attraktiv, weil es noch zu wenige gleichwertige Mannschaften gibt. Denn der Frauenfußball hat längst nicht die sportliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung wie der Männersport. Fußballerinnen erhalten nur einen Bruchteil des Gehalts ihrer männlichen Kollegen. Ähnliches gilt für die Prämien der Nationalmannschaften. Es ist für junge Frauen derzeit unmöglich, den Berufswunsch „Fußballerin“ als Ganztagsjob zu verfolgen, zumal die „duale Karriere“ im Frauenfußball praktisch keine Bedeutung hat. Nur wenige Fußballerinnen können von ihrem Sport leben. Beim Frauen- und Mädchenfußball geht es schließlich besonders um die Förderung des Breitensports. Hier zieht sich der Bund weiterhin so weit wie möglich aus der Verantwortung und überlässt die Finanzierung des Sports den chronisch klammen Ländern und Kommunen. Auch deshalb fordert die Linke im Bundestag seit langem ein Sportfördergesetz des Bundes, das sich des Breiten- und Freizeitsports genauso annimmt wie des Schulsports. Gerade im Schulsport müssen in allen Bundesländern die gleichen Mindeststandards gelten. Von Verantwortlichen im Bund wird gerne darauf verwiesen, dass diese Frage in den Kompetenzbereich der Länder fällt. Damit sich die Bunderegierung nicht weiter aus der Verantwortung herausreden kann, fordert die Linke, Sport als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Solche konkreten politischen Forderungen fehlen leider im Antrag der Grünen. Dabei ließen sich viele der 20 im Antrag aufgestellten Einzelforderungen auf einer solchen Grundlage schneller und effizienter umsetzen. Es steht außer Frage, dass Sport einen wichtigen Beitrag zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund leisten kann. Es steht auch außer Frage, dass derzeit nur wenige Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund zum Fußball finden. Das Programm des Bundesinnenministeriums „Integration durch Sport“ böte eine gute Ausgangsposition, Mädchen mit Migrationshintergrund neue Freiräume auch im Fußball zu eröffnen und die kulturelle Integration voranzubringen. Es besteht aber leider ständig die Zu Protokoll gegebene Reden Gefahr, dass die finanzielle Ausstattung eines solchen Programms gekürzt oder ganz gestrichen wird. Stünde der Sport als Staatsziel im Grundgesetz, ließen sich solche Einschnitte viel schwerer durchsetzen. Dann wäre es übrigens für den Haushaltsausschuss auch nicht so leicht gewesen, den Goldenen Plan zur Sportstättensanierung still und heimlich zu beerdigen. Was erst einmal aus den Haushaltsaufstellungen der Bundesregierung verschwunden ist, wird so schnell nicht wieder auftauchen. Dabei gibt es großen Sanierungsbedarf. Diesen Aspekt spricht der vorliegende Antrag nicht an, obwohl er ein Kernproblem aufgreift: Für die Stärkung des Frauen- und Mädchensports, nicht nur des Fußballs, ist es unbedingt erforderlich, auch die Sportanlagen baulich entsprechend anzupassen. Es geht dabei um mehr als die energetische Sanierung, die der Antrag als Beitrag zum Klimaschutz zu Recht einfordert. Wenn Mädchen und Frauen Sport treiben wollen, müssen ihnen auch Umkleideräume und Duschen zur Verfügung stehen. Aufgrund der oft veralteten Sportanlagen in Deutschland gibt es da große Defizite. Um einen solchen Umbau realisieren zu können, muss ein bundesweites Sportstättensanierungsprogramm neu aufgelegt werden, denn die kaputtgesparten Kommunen können dies in aller Regel nicht leisten. Die gesellschaftliche Bedeutung des Sports reicht in viele Bereiche hinein und über die deutschen Grenzen hinaus. Deshalb ist es wichtig, dass sich der Antrag nicht auf den Fußball beschränkt. Sport ist eben auch Bestandteil der Umwelt-, der Entwicklungs- und der Kulturpolitik. Wenn die Frauenfußball-WM als Türöffner für eine größere Akzeptanz und für stärkeren Einfluss des Mädchen- und Frauensports in Deutschland wirken soll, müssen die sich daraus ergebenden Chancen unmittelbar aufgegriffen werden. Bloße Sonntagsreden und Absichtserklärungen reichen hier nicht aus.

Viola Cramon-Taubadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004025, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Begeisterung für Fußball ist an sich nicht Neues aber Begeisterung für Frauenfußball ist nach wie vor noch nicht überall verbreitet. Derzeit kann man die Spuren dieser Begeisterung an vielen Plätzen in Deutschland erleben. Dafür, wie sich diese Begeisterung auch nachhaltig auf den Sport und die Gesellschaft übertragen lässt, machen wir mit diesem Antrag für den Frauenfußball Vorschläge. Der von unserer Fraktion vorgelegte Antrag zeigt wesentliche Chancen für eine bessere Politik auf, die durch den Sport generiert werden: für eine Integrationspolitik ohne erhobenen Zeigefinger, für eine Stärkung der Frauen im Sport, für den Mut zu einer Einführung verbindlicher ökologischer Standards in der Durchführung von Sportgroßveranstaltungen. Die gesellschafts- und integrationspolitische Bedeutung des Sports wird vor allem dort deutlich, wo es jungen Migrantinnen ermöglicht wird, in der Freizeit oder im Verein Sport zu treiben. Dafür sind die Kapazitäten, die momentan von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden, schlicht nicht ausreichend. Das betrifft nicht nur die Sportstätten, bei denen der Innenminister jährlich drei Millionen Euro einsparen möchte. Das betrifft vor allem die Unterstützung durch die Politik, wenn es um die personelle Infrastruktur des Sports geht. Zwar ist durch das bereits seit 1989 laufende Programm „Integration durch Sport“ ein Pool geschaffen worden, in dem der Förderung von Migrantinnen im Sport eine wichtige Rolle zukommt. Aber es bedarf bei solch einer Vielzahl von einzelnen Initiativen einer ständigen programmbegleitenden Evaluierung. Um Menschen mit Migrationshintergrund an den Sport heranzuführen, ist es daher nötig, die Entwicklungen auch auf Verbandsebene in Deutschland aktiv zu begleiten. Doch was heißt eigentlich Integration im Sport? Die Bundesregierung hat bisher jedenfalls noch keine ausreichende Antwort gegeben - die Vorstellung des Innenministers im Sportausschuss ließ an dieser Stelle doch Einiges vermissen. Unser Antrag macht deswegen deutlich, wo integrative Maßnahmen im Sport zu verstärken sind. Gerade durch das bürgerschaftliche Engagement, bei dem überhaupt erst gewährleistet wird, dass organisierter Sport stattfinden kann, ist ein ungeheures gesellschaftspolitisches Potenzial vorhanden. Doch es fehlt den Vereinen an interkulturell sensibilisierten Übungsleiterinnen und Übungsleitern, an qualifiziertem Personal auch auf der Ebene der Entscheidungsträger, die viel zu selten weiblich sind. Migrantinnen sind dort so gut wie gar nicht vertreten. Zudem muss es mehr Multiplikatorinnen geben, die eine Brücke zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen herstellen und die Idee des Sports zu den Menschen bringen. Denn wir Grüne begreifen Integration nicht als Einbahnstraße. Die Teilhabe von Migrantinnen und Migranten an gesellschaftlichen Prozessen kann nur dann gewährleistet werden, wenn die strukturellen Rahmenbedingungen dafür gegeben sind. Die demografische Entwicklung in Deutschland läuft neben der Erhöhung des Durchschnittsalters auch auf eine zunehmende kulturelle Vielfalt hinaus: schon jetzt findet etwa die Hälfte der Menschen, die nach Deutschland kommt, langfristig ihr Zuhause in Deutschland. Der Sport bietet ein hervorragendes Feld dafür, um auch frühzeitig Menschen mit Migrationshintergrund einzubeziehen. Die stärkere Vernetzung von Sportinitiativen und Schulen ist daher eine der zentralen Forderungen unseres Antrags. Der Sport ist gesellschaftspolitisch nicht nur Sinnbild für Interaktion, sondern eine gesellschaftliche Stütze, die aufrechterhalten werden muss. Bei aller Euphorie im Rahmen der diesjährigen Fußball-WM dürfen wir die noch immer vorhandenen Probleme des professionellen Frauenfußballs nicht vergessen: Frauenfußball findet im Ligaalltag fast nicht statt. Die Übertragung aller WM-Spiele im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist eine absolute Ausnahme, wenn es um die Sportberichterstattung beim Frauenfußball geht. In kaum einer Sportsendung taucht bisher ein Bundesligaspiel der Frauen auf, höchstens die entscheidenden Finale finden die Beachtung der Medien. So bleibt der Zu Protokoll gegebene Reden Frauenfußball medial in den Kinderschuhen. Zu einer Etablierung und einer weiteren Verbesserung dieses Sports - der im Übrigen derselbe ist wie der Fußball der Männer, meine Herren - ist die Präsenz im öffentlichrechtlichen Rundfunk unerlässlich. Ein Wort auch zu den jüngsten Entwicklungen bei der FIFA: Wir dürfen nicht zulassen, dass die skandalösen Ereignisse der letzten Zeit und die peinliche Außendarstellung des Weltverbandes in eine Sackgasse führen. Die FIFA muss sich - zugunsten der beliebtesten Sportart weltweit - ab sofort von Grund auf erneuern. Finanzielle Transparenz und demokratische Legitimität müssen dort endlich Einzug halten. Die Chancen, welche durch den Fußball noch immer eröffnet werden, dürfen aber nicht von Meldungen über korrupte Verbände überschattet werden. Der Fußball schafft die ersten Kontakte auch zu Ländern, mit denen die diplomatischen Beziehungen sich als schwierig erweisen. Die Fußball-WM der Frauen ist ein klimaneutrales Sportgroßereignis. Das insgesamt zum dritten Mal nach 2006 und 2010 implementierte Nachhaltigkeitskonzept „Green Goal“ darf aber keine Ausnahme bleiben. Nachhaltigkeitskriterien, wie sie auch für diese WM wieder nur freiwillig zustande gekommen sind, müssen für alle Großereignisse in Deutschland verbindlich gemacht werden. Es ist darüber hinaus zu überlegen, ob ähnliche Konzepte nicht auch dauerhaft im Ligabetrieb etabliert werden sollen. Vielleicht verändert die Regierung ja auch hier ihre Einschätzungen und steht endlich für eine kohärente Klimapolitik ein. Lassen Sie uns diese Chance nutzen, mit dem Sport etwas zu bewegen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Sportausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6281, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5907 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stefan Schwartze, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ erhalten - Drucksache 17/6103 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen sind bei uns bekannt.

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ hat das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seine bereits bestehenden Programme für benachteiligte junge Menschen und Jugendliche mit Migrationshintergrund erheblich gebündelt und geschärft. Gleichzeitig ist es gelungen, die bestehenden Programme besser aufeinander abzustimmen und sie zum Teil erheblich auszubauen. Die Initiative „JUGEND STÄRKEN“ bündelt dabei die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“, die „Kompetenzagenturen“, das Programm „STÄRKEN vor Ort“ sowie die Jugendmigrationsdienste. Bundesweit bilden mehr als 1 000 Standorte der Initiative ein flächendeckendes Netzwerk an Angeboten und Strukturen. Mit den Programmen ist die Bundesregierung neue Wege gegangen. Benachteiligte junge Menschen, die bei ihrer Lebensplanung zu scheitern drohen, erhalten mithilfe der Programme kompetent und einfühlsam die Hilfe, die sie brauchen, um in ihrem Alltag künftig besser zu bestehen. Einer der Schwerpunkte liegt dabei unter anderem auf den Jugendmigrationsdiensten. Wir wollen damit junge Migrantinnen und Migranten begleiten und sie bei der Integration in die Gesellschaft unterstützen. Es hat sich dabei ein beachtliches Netzwerk gebildet, das jungen Migranten wirksam und unbürokratisch weiterhilft. Dies ist ein voller Erfolg. Mit den Programmen werden junge Menschen dort abgeholt, wo sie sind. Gerade die unbürokratische und behutsame Herangehensweise stellt sicher, dass junge Menschen die Angebote als ehrlich und auf Augenhöhe empfinden. Dies ist der Schlüssel zur Akzeptanz bei den Betroffenen und damit auch zum konkreten Erfolg der Programme. Einer der Schwerpunkte der Initiative ist dabei die Aktivierung der Stärken junger Menschen. Nicht selten geht es darum, bestehende Stärken zu wecken, sie förmlich „wiederzubeleben“ und den Jugendlichen den Glauben an sich selbst zurückzugeben. Dies gelingt nicht selten in beachtlicher Art und Weise. Gleichzeitig wird das Umfeld der Betroffenen angeregt und unterstützt, sich für die Perspektiven junger Menschen aktiv einzusetzen. Und erfreulicherweise bedarf es dazu oft keiner großen Überredungskunst. Der Punkt ist viel häufiger, dass es einfach jemanden geben muss, der sein Umfeld mitzieht und neue Impulse gibt. Besonders erfreulich ist die geschickte Abstimmung der Programme auf die tatsächlichen Bedürfnisse benachteiligter Jugendlicher. Das Programm „Aktiv in der Region“ zielt auf ein möglichst lückenloses Fördersystem, um den Übergang von der Schule in das Berufsleben, wo es leider häufiger Probleme gibt, zu vereinfachen und gleichzeitig wichtige Starthilfe zu geben. Dies geschieht auch in wohlverstandenem Interesse des SteuDr. Peter Tauber erzahlers. Denn ein geglückter Einstieg in das Berufsleben kann helfen, hohe Kosten für den Sozialstaat zu sparen. Das Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ soll erreichen, dass junge Menschen, die den Besuch der Schule verweigern, eine neue Perspektive erhalten, mit dem Ziel, sie wieder in die Schulen eingliedern zu können, damit sie einen Abschluss machen können und ihre Chance auf ein beruflich erfolgreiches Leben nicht frühzeitig aufgeben. Dies passiert nicht im luftleeren Raum, sondern in enger Abstimmung mit Eltern und Lehrkräften. Damit wird erreicht, dass die Fördermaßnahmen auch tatsächlich auf den Bedarf jedes einzelnen abgestimmt sind. Die Kompetenzagenturen hingegen unterstützen besonders benachteiligte Jugendliche. Hierbei geht es häufiger über die Frage hinaus, einen Beruf zu finden. Häufig geht es darum, den Jugendlichen dabei zu helfen, einen Weg in die Gesellschaft zurück zu finden. Gerade diejenigen, die vom bestehenden System der Hilfeangebote für den Übergang von der Schule in den Beruf nicht mehr erreicht werden, erhalten hier engagierte und persönliche Hilfe. Für den Einsatz möchte ich mich im Namen meiner Fraktion bei Ministerin Schröder herzlich bedanken. Meine sehr geehrten Damen und Herren bei der SPD, mit Ihrem Antrag malen sie - wie in letzter Zeit leider zu häufig - in fatalistischer Weise den Teufel an die Wand. Es lohnt sich daher, einmal genau auf die Faktenlage zu schauen: Im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens der Programme „Kompetenzagenturen“ und „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ hat das Familienministerium Ende Mai entschieden, die bisher zur Verfügung stehenden ESF-Mittel von 50 auf 80 Millionen Euro für den Förderzeitraum September 2011 bis Ende 2013 zu erhöhen und sämtliche 409 förderfähigen Träger, die sich am Interessenbekundungsverfahren beteiligt haben, zur Antragstellung zuzulassen. Damit erhalten von insgesamt 430 Antragstellern nur 21 aus fachlichen, nicht aus finanziellen Gründen eine Absage. Die Antragsaufforderung erfolgte am 31. Mai 2011 durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Bis 1. Juli haben die Träger noch Zeit, ihren Antrag einzureichen. Danach erfolgt das Bewilligungsverfahren, sodass ab September mit einer nahtlosen Weiterförderung zu rechnen ist. Niemand wird dabei im Regen stehen gelassen. Die zur Verfügung stehenden ESF-Mittel von 80 Millionen werden in einem gerechten Verfahren auf Grundlage der ESF-Anforderungen auf die Länder verteilt. Da die zur Verfügung stehenden Fördermittel nicht ausreichen, um die 409 förderfähigen Träger mit der im Interessenbekundungsverfahren angegebenen Fördersumme zu fördern - durch die Träger wurden Mittel von mehr als 100 Millionen Euro beantragt -, mussten die beantragten Mittel teilweise gedeckelt werden, sofern die Mittel für das Zielgebiet und das entsprechende Bundesland erschöpft waren. Dies ist nichts Unübliches - im Gegenteil, es ist Bestandteil eines üblichen Antragsverfahrens. Sämtliche Interessenbekundungen für die ESF-Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ wurden nach einem einheitlichen Bewertungsverfahren geprüft. Die fachlich-inhaltliche Bewertung erfolgte durch ein objektives Bewertungsraster und wurde unabhängig von zwei Prüfern durchgeführt. Die beiden Einzelbewertungen waren Grundlage für die Gesamtbewertung. Die Deckelung einzelner Träger ist nach der im Bewertungsverfahren erreichten Punktzahl und somit nach der Qualität der Interessenbekundungen erfolgt. Voraussetzung für eine Förderung und somit Aufforderung zur Antragstellung war das Erreichen einer Mindestpunktzahl. Förderwürdig waren insofern nur Interessenbekundungen, die mindestens 50 Prozent der möglichen Punkte erreicht haben. Da es sich dabei um Fördersummen im sechsstelligen Bereich handelt, ist es ein Gebot der Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern, eine maßvolle Vergabe von Steuermitteln zu praktizieren, die sich auf Qualitätsstandards gründet und nicht einfach wahllos Gelder mit der Gießkanne verteilt. Meine sehr geehrten Damen und Herren bei der SPD, das von Ihnen gemachte Rechenspiel greift eindeutig zu kurz. Es bildet nicht den tatsächlichen Bedarf ab, sondern rechnet nur eine bis August 2011 bestehende Förderung hoch. Sie verkennen, dass es nicht um eine Einszu-eins-Weiterförderung bestehender Standorte geht, sondern die Programme mit neuer Akzentsetzung ausgeschrieben wurden und eine Bewerbung der Träger erforderlich ist, die bestimmten Qualitätskriterien unterliegt. Wie gesagt: Erst wenn die Qualität stimmt, wird ein Bescheid erteilt. Auch Ihre pauschale Forderung nach Erhalt aller Standorte der Kompetenzagenturen und des Programms „2. Chance“ geht an der Sachlage vorbei. Noch einmal zur Klarstellung: Aktuell werden die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ an 192 Standorten durch 173 Träger und das Programm „Kompetenzagenturen“ an 204 Standorten durch 200 Träger ({0}) umgesetzt. Im Rahmen der neuen Ausschreibung wurden alle 409 förderfähigen Träger zur Antragstellung aufgefordert, die insgesamt 408 Standorte, also 208 „Kompetenzagenturen“ und 200 Koordinierungsstellen der „2. Chance“ bedienen. Damit werden ab September 2011 sowohl auf Trägerebene als auch nach Standorten mehr Aktivitäten als in der aktuellen Förderphase gefördert. Die Differenz von Träger und Standorten kommt dadurch zustande, dass es Träger gibt, die sich zu einem Trägerverbund zusammengeschlossen haben, aber aus finanztechnischer Sicht jeweils getrennte Anträge stellen müssen. Auch Ihre Forderung, eine Kofinanzierung aus dem SGB II/III über den 1. Januar 2012 hinaus zu ermöglichen, liegt neben der tatsächlichen Situation. Die Kofinanzierung des Programms „Kompetenzagenturen“ aus SGB-II/III-Mitteln ist ab dem 1. Januar 2012 nicht mehr möglich. Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII obliegt - wie Sie wissen - den Kommunen, die für die Zu Protokoll gegebene Reden Umsetzung des SGB VIII zuständig sind. Im Hinblick auf die gewünschte Verstetigung des Angebots und zur Stärkung der kommunalen Verantwortung sollen daher die erforderlichen Kofinanzierungen in erster Linie aus kommunalen Mitteln erbracht werden. Die nach einer Übergangszeit bis Ende 2011 auslaufende Möglichkeit der 20-prozentigen Kofinanzierung aus Mitteln des Zweiten und Dritten Buches Sozialgesetzbuch trägt diesem Anliegen Rechnung. Zudem kann künftig ergänzend auch eine Kofinanzierung aus dem Bundesprogramm der Jugendmigrationsdienste erbracht werden. Jugendmigrationsdienste und Kompetenzagenturen weisen sowohl hinsichtlich der Zielgruppe als auch bei den angewendeten Instrumenten und Arbeitsmethoden eine große Schnittmenge auf. Daher ist beabsichtigt, mit beiden Einrichtungen näher zusammenzurücken. Ein erster Schritt zur Synergie ist die mit der neuen Ausschreibung zugelassene Möglichkeit der nationalen Kofinanzierung aus der Bundeszuwendung der Jugendmigrationsdienste, mit der die Zusammenarbeit vor Ort positiv befördert werden soll. Wichtig für die Arbeit vor Ort ist daher in meinen Augen ganz besonders die Botschaft, dass beide Programme, also sowohl das Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ als auch das Programm „Kompetenzagenturen“ in Zukunft weitergeführt werden. Dies ist nicht zuletzt dem Erfolg und der Qualität der Programme geschuldet, wofür der Bundesregierung noch einmal ein herzlicher Dank gebührt. Ein wichtiges Signal ist zudem, dass alle förderfähigen Antragsteller bereits ihre Anträge erhalten haben. Ich bin sicher, dass es gelingen wird, das flächendeckend aufgebaute Hilfesystem der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ zu erhalten - und dies auf hohem Niveau. Diese Bundesregierung hat sich die Förderung benachteiligter Kinder in enger Partnerschaft mit den Kommunen zum Ziel gemacht und wird diesen Weg konsequent weiter beschreiten. Ihr Antrag hingegen läuft den Entwicklungen hinterher, ihre spekulativen Forderungen sind für die Antragstellung zudem irrelevant und keinerlei Hilfe für die Arbeit vor Ort. Ihren Antrag werden wir daher auch ablehnen. Die christlich-liberale Regierung kümmert sich stattdessen mit Hochdruck darum, dass alle Förderbescheide in den kommenden Wochen erteilt werden, damit die Arbeit im September nahtlos fortgeführt werden kann.

Stefan Schwartze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Insgesamt fünf Modellprogramme sind unter dem Dach der Initiative „Jugend stärken“ beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ, zusammengefasst. Ende 2010 gab das BMFSFJ das Aus für das Programm „Stärken vor Ort“ bekannt. Für zwei weitere Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ verkündete es, dass diese im Jahr 2011 neu ausgeschrieben werden sollen, obwohl die Förderphase ursprünglich bis ins Jahr 2013 geplant war. Im Februar 2011 rückte das BMFSFJ dann mit der ganzen Wahrheit raus: Im Zuge der Neuausschreibung sollten die Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds, ESF, für die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ um die Hälfte gekürzt werden. Zusätzlich soll für das Programm „Kompetenzagenturen“ die bis zu 20-prozentige Kofinanzierung über den SGB-II- und SGB-III-Bereich ab Januar 2012 entfallen. In der letzten Maiwoche setzte die zuständige Ministerin Schröder die ESF-Mittel nach vehementen Protesten der Trägerorganisationen kurzerhand für die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ von 50 Millionen auf 80 Millionen Euro hoch. Die SPD-Bundestagsfraktion hat das aus einer Pressemitteilung des Ministeriums erfahren. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich das Heraufsetzen der Fördersumme. Dennoch liegt der jahresdurchschnittliche Fördermittelbetrag in der neuen Programmphase ({0}) nur noch bei 34,29 Millionen Euro. Das ist eine Kürzung der Förderung um über 13 Millionen Euro pro Jahr bzw. um 28 Prozent. Die SPD-Bundestagsfraktion will, dass die Fördersumme auf die bisherige Höhe von 112 Millionen Euro aufgestockt wird. Für uns ist nicht nachvollziehbar, warum das BMFSFJ an dieser Stelle die ESF-Mittel um fast ein Drittel kürzt. Aktuell werden rund 40 000 junge Menschen bundesweit in 192 Anlauf- und Beratungsstellen für das Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ sowie 204 Kompetenzagenturen unterstützt. Es zeichnet sich ab, dass Länder und Kommunen alleine die drohende Finanzierungslücke nicht auffangen können. In der Konsequenz bedeutet dies, dass durch die Kürzung der Mittel entweder die Anzahl der Standorte oder die Qualität der Arbeit vor Ort gefährdet ist. Logisch zu begründen ist die Kürzung nicht. Beide Programme werden vom BMFSFJ hoch gelobt und haben eine außergewöhnlich hohe Erfolgsquote, weil es sich um Programme der aufsuchenden Sozialarbeit handelt. 60 Prozent der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher erreichen mit dem Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ einen Schulabschluss. Die „Kompetenzagenturen“ bringen rund 70 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Job oder Ausbildung. Auch eine Änderung der Förderschwerpunkte in der Europäischen Union betrifft diese Programme nicht. Den Trägerorganisationen ist ganz besonders die SGB-II- und SGB-III-Kofinanzierung ein wichtiges Anliegen, die die Bundesregierung per 1. Januar 2012 bei dem Programm „Kompetenzagenturen“ abschaffen will. Auch hier wäre es durchaus logischer, die Kofinanzierung durch das SGB II oder SGB III zuzulassen. Die jungen Menschen sind oft seit langem arbeitslos, sodass sie ohnehin Leistungen aus dem SGB II oder SGB III beziehen. Die Zuständigkeit auf längere Sicht nun alleine auf die Kommunen und die Länder zu verlagern, ist der falsche Weg. Hier wird wieder einmal der Verschiebebahnhof hin zu den Kommunen eröffnet. Auffällig ist, dass die Bundesregierung nach den Kürzungen im Programm „Soziale Stadt“ nun weitere ProZu Protokoll gegebene Reden gramme kürzt, die ebenfalls in sozialen Brennpunkten wirken. Im Blick haben muss man dabei auch die Kürzungen, die mit dem „Gesetzentwurf zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ drohen. Mit diesem Gesetz will die Bundesregierung eine Arbeitsmarktpolitik nach Kassenlage einführen. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Einstiegsqualifizierung als ein erfolgreiches Instrument des Übergangssystems künftig nur noch bis 2014 laufen zu lassen. Ein unbürokratischer Zugang zu den Leistungen zur Vorbereitung auf einen Hauptschulabschluss ist mit diesem Gesetzentwurf weiterhin nicht gewährleistet. In diesen Bereichen zu kürzen bedeutet echten Brennstoff für die Kommunen. Es bedeutet im Klartext, dass die Bundesregierung bereit ist, Menschen zurückzulassen, ohne Schulabschluss, ohne Arbeit. Das ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen. Wir lassen keinen Menschen zurück, sondern wir fordern neben dem Recht auf Nachholen eines Schulabschlusses das Recht auf einen Ausbildungsplatz. In Zeiten eines drohenden Fachkräftemangels müssen die Programme, die jungen Menschen einen Schulabschluss oder einen Ausbildungsplatz ermöglichen, ausgebaut werden. Denn jetzt bekommen wir die Menschen raus aus der Arbeitslosigkeit und raus aus der Perspektivlosigkeit. Die Bundesregierung redet ständig vom drohenden Fachkräftemangel und sucht nach einfachen und schnellen Lösungen. Die insgesamt 1,5 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren ohne Berufsabschluss kommen dabei in den Planungen der Bundesregierung schlichtweg nicht vor. 17 Prozent der jungen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren blendet die Bundesregierung einfach aus. Ja, sie geht noch weiter und kürzt bewusst in diesem Segment. Das bedeutet, 1,5 Millionen junge Menschen haben weiterhin sehr schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Sie leben in der ständigen Gefahr, das eigene Leben nicht selbst bestreiten zu können und damit immer wieder auf staatliche Leistungen angewiesen zu sei. Und das, obwohl wir das Potenzial aller Jugendlichen angesichts des drohenden Fachkräftemangels dringend benötigen. Ohne einen sicheren und fair bezahlten Arbeitsplatz zögern viele, eine Familie zu gründen und sich eine eigene Existenz aufzubauen. Unser Ziel muss es sein, wieder mehr jungen Menschen den Weg in ein Normalerwerbsverhältnis zu ebnen. Die Regulierung der Leiharbeit, die Abschaffung sachgrundloser Befristungen und ein gesetzlicher Mindestlohn sind dabei wichtige Schritte. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt die Kürzung für die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ ab. Sie fordert, ESF-Mittel in Höhe von mindestens 112 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Außerdem fordert die SPD-Bundestagsfraktion, die 20-prozentige Kofinanzierung beim Programm „Kompetenzagenturen“ auch über den 1. Januar 2012 hinaus zu ermöglichen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat für ihren Antrag die volle Rückendeckung der Länder. Die entsprechende Landesministerkonferenz hat einen einstimmigen Beschluss gefasst. Sie wollen die Forderungen der SPDBundestagsfraktion mit einem eigenen Antrag im Deutschen Bundesrat unterstützen. Dieser wird insbesondere die Weiterführung der Kofinanzierung im SGB II nach dem 1. Januar 2012 fordern. Daher mein dringender Apell an das BMFSFJ: Setzen Sie die Mittel für diese wichtigen Programme herauf! Daher mein dringender Apell an das Ministerium für Arbeit und Soziales: Ermöglichen Sie die Kofinanzierung im SGB II und SGB III für diese wichtigen Programme und unterzeichnen Sie die entsprechende Verwaltungsvereinbarung.

Florian Bernschneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004009, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Rahmen der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ bündelt das Bundesjugendministerium seit 2009 Programme, die gezielt die Förderung von benachteiligten junge Menschen und Jugendlichen in Angriff nehmen, die von regulären Hilfsangeboten nur unzureichend erreicht werden. Zu den mittlerweile fünf Programmen der Initiative zählen auch die Programme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“, auf die sich der vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion kapriziert. Die beiden angesprochenen Programme richten sich zum einen an Schulverweigerer und setzen zum anderen an der Hürde an, an der immer noch zu viele junge Menschen nach einem Schulabschluss Probleme bekommen: der ersten Schwelle, dem Übergang von der Schule in die Berufsausbildung. Diesen Programmen wurde zuletzt große Aufmerksamkeit zu teil. Ich wünschte, ich könnte heute sagen, dass diese Aufmerksamkeit sich auf den außerordentlichen Erfolg der Projekte gründete. Denn erfolgreich waren und sind sie beide. Das war anfangs aber nicht der Fall. Größere öffentliche Aufmerksamkeit erfuhren die Programme erst, als sie planmäßig auslaufen sollten. Und das muss, zu meiner großen Verwunderung, einige Vertreter der Opposition völlig unerwartet getroffen haben, wie ein kalter Waschlappen morgens um fünf im Bett. Zumindest vermittelten Sie in Ihren Pressemitteilung genau diesen Eindruck. Von Kürzungen war die Rede. Ich frage Sie: Wie kann das sein? Ich möchte Ihrer Erinnerung gerne auf die Sprünge helfen: Die ESF-geförderten Programme sollten von Anfang an zum Sommer 2011 auslaufen. Das war allen Beteiligten, auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die diese Programme zu Ihrer eigenen Regierungszeit teilweise noch aufgelegt haben, lange bekannt. Sie hatten das selbst so beschlossen. Es hat keine Mittelkürzungen im Bereich der Programme der Initiative, JUGEND STÄRKEN, gegeben, zu keinem Zeitpunkt. Entsprechende Behauptungen wurden wider besseres Wissen in Umlauf gebracht. Meine Damen und Herren, das zeugt nicht nur von schlechtem Stil, das war scheinheilig. Zu Protokoll gegebene Reden Während die Opposition noch fleißig mit dem Schreiben von Pressemitteilungen beschäftigt war, hat sich meine Fraktion hingegen von Anfang für eine Anschlussfinanzierung, für die Weiterführung der genannten Programme eingesetzt. Entsprechende Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen und den beteiligten Ministerien fanden über Wochen hinweg statt. Das mögen jetzt einige kaum glauben, weil darüber nicht in der Presse berichtet wurde. Aber auch das sollten Sie sich eine Lehre sein lassen: Nicht alles wird an die große Glocke gehängt. Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, kommt ihr Antrag etwas spät, eigentlich zu spät. Es verfestigt sich der Eindruck, dass es Ihnen weniger um die Programme und eher um Effekthascherei geht; vor allem, weil Sie fordern, dass für die Fortführung der Programme mindestens 112 Millionen Euro aus ESF-Mitteln bereitgestellt werden sollen. Es dürfte Ihnen bekannt sein, dass die ESF-Fördersummen für mehrere Jahre fest vereinbart worden sind. Damit ist auch klar, dass es kein zusätzliches Geld gibt. Der Topf ist leer. Die beiden Programme können mit 80 Millionen Euro fortgeführt werden, weil ursprünglich nicht vorgesehene Rückflüsse von ESF-Mitteln hierfür aufgewendet werden. Ihr Vorschlag, den Mittelansatz für die Programme auf 112 Millionen Euro zu erhöhen, hätte zur Folge, dass die von Ihnen geforderten Mittel in einem anderen Haushaltstitel gekürzt und umgeschichtet werden müssten. Da es aber, Ihrem Antrag folgend, Ihr Wunsch und Wille ist, zusätzliche Mittel aus dem Haushalt des Bundesfamilienministeriums zugunsten der beiden Programme umzuschichten, hoffe ich, dass Sie sich im Rahmen der Ausschussberatung die Zeit nehmen werden, Ihre Kürzungsvorschläge zur Gegenfinanzierung Ihrer Forderungen ausführlich zu präsentieren. Bisher hat sich Ihre Fraktion mit Sparvorschlägen vornehm zurückgehalten. Allein deshalb sehe ich der Ausschussberatung mit Spannung entgegen.

Yvonne Ploetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gleich zu Anfang möchte ich vorwegschicken, von welcher Wichtigkeit unsere heutige Debatte ist. Wir diskutieren an dieser Stelle die Initiative „JUGEND STÄRKEN“. Mit ihr fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Unterstützungsangebote der Jugendhilfe zur sozialen, schulischen und beruflichen Integration benachteiligter Jugendlicher. Es ist ein unglaublich wertvolles Programm, das den jungen Betroffenen zielgenaue Unterstützung zukommen lässt. Die Ergebnisse fasste der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit wie folgt zusammen: Derzeit werden allein durch die Teilprogramme „Schulverweigerung Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ der Initiative 40 000 junge Menschen an etwa 200 Standorten auf ihrem Weg zu ihrem Schulabschluss und bei ihrem Übergang in den Beruf unterstützt. Mittels Fördermittel des Bundes und der EU, im Rahmen des Europäischen Sozialfonds, sollte bis 2013 ein Netzwerk aus insgesamt 1 000 Standorten entstehen. Programmevaluationen haben die grundsätzliche Qualität der Initiative unterstrichen. Allein „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ bewirkte über eine gezielte und intensive individuelle Förderung junger Menschen, dass 60 Prozent von ihnen wieder in die Schule reintegriert werden konnten. Die „Kompetenzagenturen“ haben nachweislich vielen benachteiligten jungen Menschen das Erreichen einer Ausbildung ermöglicht und/oder sie bei ihrem Eintritt ins Arbeitsleben unterstützt. An dieser Stelle sei von ganzem Herzen all denen gedankt, die zum Erfolg dieses Programms auf vielen verschiedenen Wegen beigetragen haben. Geplant war nun ab September diesen Jahres seitens der EU und des Bundes, nur noch einen Teil der bisherigen Fördergelder bereitzustellen. Dagegen haben sich unzählige Sozialverbände, Teile der Opposition und natürlich auch meine Fraktion energisch zur Wehr gesetzt. Mit Erfolg! Die Initiative „JUGEND STÄRKEN“ bleibt zum großen Teil bis 2013 bestehen, so zumindest im Falle der beiden wichtigen Teilbereiche „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“. Dies kann man der aktuellen Erklärung des BMFSFJ entnehmen. Es ist ein erfreulicher Schritt, dass die Bundesregierung sich nun der Wichtigkeit ihres eigenen Programmes bewusst wird. An dieser Stelle darf man die Regierung auch einmal loben. Jedoch gibt es trotz allem einige Wehrmutstropfen: Das Teilprogramm „STÄRKEN vor Ort“, das mit Mikroprojekten vor Ort den Jugendlichen zur Seite steht, soll in diesem Jahr komplett gestrichen werden. Die Linke aber sagt: Hände weg von der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ - und zwar ohne Wenn und Aber! Jede Kürzung stellt eine massive Gefährdung einer sehr erfolgreichen Initiative dar, die als Gesamtpaket dringend weitergeführt und verstetigt werden muss. Wir als Linke fordern vier Punkte und gehen damit über den - durchaus korrekten - Antrag der SPD mit einigen Forderungen hinaus. Diese Forderungen werden auch in einem eigenen Antrag meiner Fraktion in Kürze im Bundestag zur Abstimmung stehen. Ich denke, unsere Fraktionen werden sich im Ausschuss dazu einigen können. Uns geht es also um Folgendes: Erstens. Die Finanzierung der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ und insbesondere ihrer Teilprogramme „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ und „STÄRKEN vor Ort“ muss sichergestellt werden. Und zwar in gleichbleibender Höhe wie in der letzten Förderperiode. Leider vergisst die SPD an dieser Stelle das zuletzt genannte Teilprogramm. Gerade im Saarland wurde mir sehr leidenschaftlich die enorme Notwendigkeit auch dieses Aspektes geschildert. Zweitens. Die Förderleitlinien „Weiterentwicklung der Initiative ‚JUGEND STÄRKEN‘ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend müssen auf der Grundlage der Umsetzungsergebnisse aus den Programmen „Schulverweigerung - Die 2. Chance“, „Kompetenzagenturen“ und „Jugendmigrationsdienste“ vom 11. März 2011 so gestaltet werden, dass eine Kofinanzierung durch Jobcenter und Agenturen für Zu Protokoll gegebene Reden Arbeit für den Förderzeitraum bis 31. Dezember 2013 weiterhin möglich ist. Und damit bin ich bei zwei Punkten, die weit über die Forderungen des SPD-Antrages hinausgehen: Drittens. Perspektivisch muss die Finanzierung der Programme verstetigt werden. Das ist über einen entsprechenden Titel im Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, insbesondere im Kinder- und Jugendplan des Bundes, möglich. Durch das Ministerium ist ein entsprechender Gesetzentwurf vorzulegen. Nur auf diesem Weg kann es gelingen, solch verheerende Kürzungsversuche nachhaltig zu verhindern. Die Möglichkeit der Kofinanzierung durch Jobcenter und Agenturen für Arbeit ist auf Dauer anzulegen. Die benötigte personelle Ausstattung ist sicherzustellen. Viertens. Die Programme der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ sind künftig so zu gestalten, dass für die kleinen Träger der Initiative und für die breite Öffentlichkeit eine Transparenz bezüglich der Mittelherkunft, der Mittelhöhe, der Vergabekriterien und der Mittelverwendung der Initiative entsteht. Eine allgemeine Transparenz ist insbesondere auch für die Betroffenen herzustellen, sodass diese ohne größeren Aufwand einen Überblick über mögliche Unterstützungsangebote erhalten können. Wir erleben gegenwärtig eine Situation grassierender Jugendarmut, von Bildungsarmut, Jugendarbeitslosigkeit und massiver ungleicher Teilhabemöglichkeiten junger Menschen. Jugendliche drohen an den Rand der Gesellschaft gedrängt und sogar exkludiert zu werden. Ich will nur eine Zahl nennen: In Deutschland ist jeder fünfte Jugendliche von Armut bedroht. Und Armut trifft die jungen Menschen in einer höchst sensiblen Phase ihres Lebens, in einer Phase, in der sie eigentlich Selbstvertrauen, Optimismus und Resilienz erlernen sollten, in der sie ihre eigene Identität entwickeln und ihren Standpunkt innerhalb der Gesellschaft suchen. Dass es dabei zu Brüchen im Lebenslauf kommt, zu Verunsicherung, Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst, das kann niemand wollen. Wenn aber die Finanzierung von Initiativen wie „JUGEND STÄRKEN“ gefährdet wird, wird die sozialpolitisch zentrale Idee preisgegeben, die Chancen benachteiligter junger Menschen planvoll zu verbessern. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat selbst die Relevanz einer eigenständigen Jugendpolitik betont - nicht zuletzt im Koalitionsvertrag. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dieses Ziel wird schon im Ansatz konterkariert, wenn das Ende eines derart notwendigen Unterstützungsangebots für junge Menschen eingeleitet wird. Es muss auch Ihnen als Bundesregierung ein massives Anliegen sein, auch und insbesondere benachteiligten jungen Menschen soziale und berufliche Integration zu ermöglichen und sie nicht aufzugeben. Deutschland darf Jugendliche nicht nur mit halber Kraft stärken wollen! Wir, die Linke, stellen uns ausdrücklich gegen jede Form der Jugendverdrossenheit sämtlicher neoliberaler Parteien im Deutschen Bundestag.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die von der Bundesregierung geplanten Kürzun- gen bei den Programmen „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ sind verant- wortungslos und absolut kontraproduktiv. Bewährte Projekte für benachteiligte Jugendliche werden gefährdet, und die chaotischen Umstrukturie- rungen sorgen für Verunsicherung bei allen Beteiligten. Dies ist gerade für die betroffenen jungen Menschen absolut unzumutbar. Die Jugendlichen, die in den Kom- petenz- und Koordinierungszentren um Hilfe nachfra- gen, brauchen stabile Beziehungen und verlässliche Unterstützungsprozesse. Die nun bestehenden Verun- sicherungen sind Gift für die Nachhaltigkeit der vor Ort so wichtigen Jugendsozialarbeit. Soll so die von Ihnen angekündigte „Eigenständige Jugendpolitik“ aussehen? Die Regierung muss sich an ihren Aussagen im Koali- tionsvertrag messen lassen, wonach vor Ort Bildungs- bündnisse aller relevanten Akteure gefördert werden sollen. Die Koalitionspartner hatten weiter erklärt, sie stünden für eine starke Jugendhilfe und eine starke Ju- gendarbeit, die junge Menschen teilhaben lässt und ihre Potenziale fördert und ausbaut. Auch im zentralen Be- reich der Jugendarbeit scheint das Gegenteil der Fall zu sein! Wir teilen die wesentlichen Feststellungen des vorlie- genden Antrags der SPD und werden ihm deswegen zu- stimmen. Auch halten wir es für richtig, verstärkt und präventiv in die frühe Bildung und den Elementarbereich zu inves- tieren. Dies darf jedoch nicht zulasten der aktuell unter- stützungsbedürftigen Jugendlichen sowie deren Zu- kunftschancen geschehen. Ziel muss es sein, jeden Jugendlichen dabei zu unter- stützen, einen Schulabschluss zu erreichen und eine Aus- bildungsstätte zu finden. Dass in Deutschland allein im Jahr 2009 knapp 60 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen haben, ist ein großer gesellschafts- und bildungspolitischer Skandal und ist in Zeiten stei- genden Fachkräftemangels erst recht unverantwortlich. Deshalb ist eines der wichtigsten Ziele der „Nationalen Qualifizierungsinitiative“ die Verringerung der Zahl der Schulabgänger ohne Schulabschluss von 8 auf 4 Pro- zent. Davon sind wir mit rund 7 Prozent nach wie vor meilenweit entfernt. Dies ist ein eklatanter Gerechtig- keitsverstoß, der soziale Teilhabe blockiert. Das Pro- gramm, das Sie jetzt kürzen wollen, setzt genau hier er- folgreich an und begleitet die Reintegration in das Schulsystem. Die Informationspolitik der Bundesregierung über die Zukunft der Programme war und ist desaströs. Wir haben Sie mehrfach um Aufklärung über die Zukunft der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ gebeten, zu denen die beiden Programme gegen Schulverweigerung und für benachteiligte Jugendliche gehören. Zunächst hatte die Regierung mitgeteilt, sie plane keine Reduzierung, son- dern setze die Programme mit neuen Akzenten bis Ende Zu Protokoll gegebene Reden 2013 fort. Angeblich sollten auch alle rund 400 Stand- orte erhalten bleiben. Nun kürzen Sie jedoch die Mittel für die Programme um mehr als ein Viertel. Viele Träger sprechen von der „Zerschlagung bewährter Systeme sozialer Hilfe“ und „völlig kontraproduktiven Entwick- lungen“. Die ohnehin komplizierte Kofinanzierung der Maßnahmen wird weiter erschwert. Wie sich die Kürzungen auf das Leistungsspektrum der Programme und damit auf die Schicksale vieler jun- ger Menschen auswirken, bleibt weiterhin nebulös. Ei- gentlich gibt es dafür nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder handelt die Regierung völlig planlos, oder sie versucht, durch eine Salamitaktik größere Widerstände zu vermeiden. So kann man mit den Zukunftschancen Jugendlicher nicht umgehen! Wir fordern die Regierung auf, bewährte Strukturen zu erhalten und die Programme zu stärken, anstatt bei benachteiligten Jugendlichen zu kürzen!

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6103 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit ein- verstanden? - Somit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und b sowie den Zusatzpunkt 14 auf: 32 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Digitalisierung des kulturellen Erbes als gesamtstaatliche Aufgabe umsetzen - Drucksache 17/6096 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({0}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ansgar Heveling, Wolfgang Börnsen ({1}), Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Reiner Deutschmann, Burkhardt Müller-Sönksen, Jimmy Schulz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe beginnen - Drucksache 17/6315 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD „Kulturelles Erbe 2.0“ - Digitalisierung von Kulturgütern beschleunigen - Drucksache 17/6296 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen sind bei uns bekannt.

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir befinden uns derzeit in einem medialen Umbruch, dessen Ausmaß noch kaum zu erfassen ist. Das Internet ist im Begriff, unsere wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereiche immer mehr zu durchdringen. Die Omnipräsenz des World Wide Web ermöglicht es uns, Informationen, Bilder oder Videos jederzeit und überall online abzurufen. Eine immer und überall verfügbare Webseite ist zugänglicher als eine Bibliothek mit eingeschränkten Öffnungszeiten und einem begrenzten Bücherbestand. Die Digitalisierung von Büchern, Kunstwerken und weiteren Exponaten ermöglicht die Verbreitung kultureller und wissenschaftlicher Inhalte über das Internet und stellt gleichzeitig sicher, dass unser kulturelles Erbe auch für nachfolgende Generationen bewahrt wird. Und das ist wichtiger denn je: Uns allen in Erinnerung geblieben sind der schreckliche Einsturz des Kölner Stadtarchivs oder der Brand der Anna-Amalia-Bibliothek und der damit verbundene unwiederbringliche Verlust der hochwertigen Exponate und bibliophilen Kostbarkeiten. Unsere Bibliotheken, Archive und Museen sind das Gedächtnis unserer Kultur; sie sind die Hüter einzigartiger und unwiederbringlicher Originale. Die christlichdemokratische Union hat sich zum Ziel gesetzt, eine Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe anzustoßen. Wir sehen die Digitalisierung von Kulturgütern als eine der Kernaufgaben unserer Kulturpolitik. Die Deutsche Digitale Bibliothek ({0}), die sich seit 2009 im Aufbau befindet, ist mit der Digitalisierung von Büchern, Kunstwerken, Archivalien, Filmen und anderen Exponaten betraut. Die Aufgabe des Kompetenzzentrums DDB wird es sein, in den nächsten Jahren rund 30 000 Digitalisate verschiedener Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen aus ganz Deutschland der Öffentlichkeit sukzessive und vor allen Dingen - auch das ist uns wichtig - unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Durch die Überführung der digitalen Wissensplattform DDB in die Europäische Digitale Bibliothek „Europeana“ wird es uns gelingen, künftig mehr Menschen für Kunst und Kultur zu begeistern - vielleicht auch diejenigen, die noch nie ein Museum besucht haben, sich nun aber per Mausklick schnell und unkompliziert in virtuelle Kunsträume begeben können. Im europäischen Rahmen stellt Deutschland schon heute nach Frankreich den zweitgrößten Anteil der in der „Europeana“ enthaltenen Digitalisate, und zwar 17,9 Prozent. Der deutsche Anteil in der „Europeana“ wird sich mit Inbetriebnahme der DDB weiter ausbauen. Das Digitalisierungsprojekt DDB ist ein Erfolgsprojekt, das rasch weiter ausgebaut und vorangetrieben werden muss. In diesem Punkt sind wir uns alle einig, denke ich. Eine Finanzierungsgrundlage schaffen vor allem Fördermittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft ({1}). Doch um das groß angelegte Projekt der Digitalisierungsoffensive weiter auszubauen, sind wir auf zusätzliche Finanzierungsquellen angewiesen. Allein die öffentliche Hand ist nicht in der Lage, dieses Projekt zu stemmen. Wir begrüßen daher eine Kooperation mit privaten Unternehmen, um die Entwicklung der DDB zu beschleunigen. Ihnen, Kolleginnen und Kollegen der Linken, geht das alles wieder nicht schnell genug. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf ein essenzielles Problem hinweisen, das mit der Digitalisierung einhergeht, das Ihnen auch bekannt ist: Bei einem Großteil des zu digitalisierenden Kulturerbes sind Rechteinhaber zuweilen nicht mehr auffindbar, oder die Werke sind vergriffen. Wir brauchen daher vernünftige Regelungen zum Umgang mit diesen Werken. Die Regelungen dazu sollen im sogenannten dritten Korb, der anstehenden Reform des Urheberrechts, gefunden werden. Wie wichtig diese Rechtsgrundlage ist, zeigt uns der Fall Google, auf den Sie in Ihrem Antrag hinweisen. Selbstverständlich ist das groß angelegte Digitalisierungsprojekt des Unternehmens begrüßenswert. Allerdings weist der Gesetzgeber im Falle der vergriffenen und verwaisten Werke zu Recht auf Schranken und Grenzen hin. Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass Google nicht völlig ohne kommerzielle Interessen handeln kann. Umso wichtiger ist es, ausgewogene und wohlbedachte Vereinbarungen zu treffen, um die Produzentenseite und auch die Nutzer bei einer uneingeschränkten Bereitstellung kulturellen Erbes in digitaler Form zu berücksichtigen. Unser durch die DDB geplantes Digitalisierungskonzept wird allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Kulturgütern und wissenschaftlichen Informationen erleichtern, was eine Demokratisierung von Kulturwissen zur Folge haben wird. Dafür stehen wir mit unserer Kulturpolitik.

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Zeitalter der Digitalisierung hat die Vermittlung von Kultur und Wissen stark verändert. Die Chancen der Digitalisierung für die Bewahrung und Vermittlung unseres kulturellen Erbes sind enorm. Bislang nur schwer zugängliche Quellen werden durch ihre Digitalisierung nicht nur gesichert, sondern für jedermann erschlossen und erheblich leichter zugänglich. Auch können über den multimedialen Zugang neue Zielgruppen für Kultur und wissenschaftliche Informationen gewonnen werden. Mit dem Beschluss der Bundesregierung im Dezember 2009, die Deutsche Digitale Bibliothek aufzubauen, ist ein wichtiger Schritt zur Bewahrung und Vermittlung unseres nationalen Kulturgutes getan worden. Ziel der Bibliothek ist, über ein zentrales nationales Portal allen Bürgern dauerhaft und frei von kommerziellen Zwängen den Zugang zu dem seit Jahrhunderten öffentlich gesammelten und bewahrten Kulturgut zu ermöglichen. Bislang wurden bereits von vielen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen Digitalisierungen in erheblichem Umfang vorgenommen. Jedoch sind die digitalisierten Bücher, Archivalien, Kunstwerke, Fotos, Filme etc. auf eine Vielzahl von Portalen und Webseiten verteilt, was die Benutzbarkeit stark einschränkt. Mit dem Aufbau der Deutschen Digitalen Bibliothek werden auch diese Wissens- und Kulturportale über ein zentrales Portal vernetzt und durch eine moderne Such- und Präsentationstechnik zugänglich gemacht. Ein Quantensprung! Geplant ist ein erster Pilotbetrieb bereits ab Dezember 2011. Der Aufbau der Bibliothek wird allein vom Bund finanziert. Hierfür stehen im Haushalt des Kulturstaatsministers, dem dies ein besonderes Anliegen ist, 8 Millionen Euro aus dem Konjunkturprogramm II zur Verfügung. Den Betrieb der Bibliothek finanzieren Bund und Länder dann je zur Hälfte gemeinsam. Die Verwaltung des jährlichen Budgets in Höhe von 2,6 Millionen Euro erfolgt durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Auftrag des Kompetenznetzwerks Deutsche Digitale Bibliothek. Das Vorhaben Deutsche Digitale Bibliothek ist eine gewaltige Herausforderung. Rund 30 000 deutsche Wissenschafts- und Kultureinrichtungen werden künftig in der Deutschen Digitalen Bibliothek zu finden sein. Bis 2016 sollen darüber hinaus die Bestände der Bibliothek auch an die Europäische Digitale Bibliothek „Europeana“ eingegliedert werden. Während die Deutsche Digitale Bibliothek den zentralen nationalen Zugangspunkt zu unserem Kulturgut in digitaler Form bildet, bündelt die „Europeana“ die nationalen Portale der EU-Staaten. Deutschland ist dabei gemeinsam mit Frankreich Vorreiter. Beide Länder stellen derzeit rund 17 Prozent der Digitalisate in der „Europeana“. Die Digitalisierung von Kulturgut und wissenschaftlichen Informationen bleibt jedoch Aufgabe der jeweiligen Kultur- und Wissenschaftseinrichtung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft stellt dafür Fördermittel bereit; diese allein reichen jedoch für die großangelegte Digitalisierungsoffensive nicht aus. Der Finanzbedarf für die Digitalisierung von Kulturgut in den nächsten Jahren ist enorm. Bund, Länder und Kommunen können das nicht leisten. Hier sind Kooperationen mit privaten Unternehmen angeboten und gefragt - mit Augenmaß bei den Bedingungen. Von zentraler Bedeutung ist für mich auch hier der Schutz der Urheber. Wollen wir den Wert der geistigen Werte erhalten und insbesondere weiterhin neue schaffen, müssen wir die Urheberrechte konsequent schützen. Im Hinblick auf die sogenannten verwaisten Werke, bei denen der Urheber nicht mehr zu ermitteln ist, muss eine gesetzliche Regelung gefunden werden. Diese Regelung soll im Rahmen des dritten Korbes der Urheberrechtsreform erfolgen. Zu Protokoll gegebene Reden

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Möglicherweise verwundert es Sie, aber ich freue mich über diese Debatte zu diesem Thema, auch wenn die Reden nur zu Protokoll gegeben werden. Ich betone das deshalb so ausdrücklich, weil deutlich wird, dass inzwischen auch die Regierungskoalition verstanden hat, welche Bedeutung die Digitalisierung hat. Auch wenn sich die Anträge und die darin dargestellten Forderungen unterscheiden - darauf komme ich im Folgenden zu sprechen -, so zeigt doch die Tatsache, dass immerhin vier Fraktionen - die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bisher keinen Antrag vorgelegt - Positionen zu diesem Thema in den Deutschen Bundestag einbringen und dass sich in Bezug auf die Frage, welche Verantwortung dem Bund bei der Digitalisierung zugeschrieben wird, einiges bewegt. Das freut mich auch deshalb, weil die Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage - siehe Bundestagsdrucksache 17/5880 - nicht überzeugt haben. Mittlerweile scheint es zumindest bei den Regierungsfraktionen ein Umdenken zu geben, und es böte sich an, im Verlauf der parlamentarischen Beratungen eine gemeinsame, fraktionsübergreifende Position zu diesem Thema zu entwickeln. Denn in der Sache - da bin ich mir sicher - sind wir uns weitgehend einig: Die Digitalisierung verändert den Umgang mit Kulturgütern von Grund auf. Das bedeutet, dass sich nicht nur bei Fragen des Erhalts, der Archivierung, des Zugangs und der Nutzung von Kulturgütern in der digitalen Welt neue Herausforderungen und Fragen stellen, sondern auch im Hinblick darauf, welche Verantwortung der Bund im Rahmen seiner Zuständigkeit auf einem Gebiet wahrnimmt. Die vorliegenden Anträge versuchen auf folgende Entwicklungen unterschiedliche kulturpolitische Antworten zu finden: Die Digitalisierung ermöglicht es, das in Kultur- und Wissenseinrichtungen wie Bibliotheken, Archiven, Museen und anderen vorhandene Wissen und kulturelle Erbe zu sichern und auf neue Weise zugänglich und verfügbar zu machen. Völlig neue Möglichkeiten tun sich auf, wie Kulturgüter genutzt, von jedem Einzelnen auf seine individuelle Weise erkundet und entdeckt, wie der Zugang zu ihnen entwickelt und wie sie zu Bildungs-, Informations- und vielen anderen Zwecken genutzt werden können. Das alles passiert nicht von allein. In Deutschland besteht im Kulturbereich glücklicherweise eine überwiegend öffentliche Verantwortung. Ich sage „glücklicherweise“, weil die Bestrebungen von vielen kommerziellen, marktmächtigen Anbietern wie Google von ihrem grundsätzlichen Ansatz her sicherlich nicht darauf aus sind, aus völlig selbstlosen Zwecken heraus die Digitalisierung von Kulturgütern zu befördern, ohne einen Gewinn dabei erzielen zu wollen. Diese Motive sind legitim, nachvollziehbar und in gewisser Weise auch hilfreich, wenn es darum geht, neue Technologien schnell und effizient zu nutzen. Doch muss es dabei Regeln geben, die eine Zusammenarbeit zwischen solchen kommerziellen Anbietern und der staatlichen Seite so ausgestalten, dass die Kulturgüter im Besitz der Allgemeinheit bleiben. Sie müssen auch in Zukunft jedermann und kostenfrei zugänglich sein. Auf diese Notwendigkeit verweist unser Antrag im Unterschied zu den beiden anderen vorliegenden Anträgen sehr deutlich. Sehr unterschiedlich bewerten die vorliegenden Anträge zudem, was bisher in Deutschland bei der Digitalisierung von Kulturgütern erreicht wurde. Die Deutsche Digitale Bibliothek, DDB, hat als nationales Pendant zur Europäischen Digitalen Bibliothek „Europeana“ erst nach dem Beschluss über gemeinsame Eckpunkte von Bund, Ländern und Kommunen im Jahr 2009 ihre Arbeit richtig aufnehmen können. Sicherlich gab es eine Reihe wichtiger Vorarbeiten, insbesondere durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG; doch erst mit der DDB ist es möglich, einen umfassenden Ansatz zur Digitalisierung von Kulturgütern in Deutschland zu entwickeln. Die von uns geforderte nationale Digitalisierungsstrategie muss im Grunde drei wesentliche Erwartungen erfüllen: Erstens. Sie muss Strukturen, Prioritäten und Standards für die Digitalisierung entwickeln. Das heißt, der Bund ist gemeinsam mit den Ländern aufgerufen, ein Konzept zu entwickeln, in welcher Reihenfolge und auf der Grundlage welcher einheitlichen Standards die Digitalisierung der Kulturgüter erfolgen soll. Dieses umfassende Konzept halten wir für notwendig, weil - und das begrüßen wir als SPD ausdrücklich - bereits eine ganze Reihe von Initiativen stattfinden. Die großen Bibliotheken in Deutschland sind sehr engagiert. Unter dem Dach des Deutschen Bibliotheksverbandes gibt es Aktivitäten auch vieler kleiner Bibliotheken. Auch bei den Museen und den Archiven ist die Tatsache, dass durch das Zuverfügungstellen der Digitalisate einem viel größeren Kreis an Nutzern und Interessierten in neuen Formen Wissen und Bildung zugänglich gemacht werden kann, längst angekommen. Umso wichtiger ist es deshalb, die knappen finanziellen Ressourcen der öffentlichen Hand gezielt, konzentriert und vor allem nicht mehrfach einzusetzen. Zweitens. Das bringt mich zu einem zweiten Bestandteil der von der SPD geforderten nationalen Digitalisierungsstrategie. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, eine Übersicht über den Stand der Digitalisierung in Deutschland in Abstimmung mit den Ländern vorzulegen. Zudem soll die Bundesregierung die bisher insbesondere vom aus Bundesmitteln mitfinanzierten „Kompetenznetzwerk DDB“ erbrachten Koordinierungsleistungen darstellen. Diese Übersicht halten wir für erforderlich, um darauf aufbauend die zukünftige Rolle und Funktion des Bundes im Geflecht der bereits engagierten Akteure zu klären. Dazu gehört auch, die bereits vorhandenen Ressourcen für die Digitalisierungsarbeit darzustellen und aufzuzeigen, welche Ressourcen darüber hinaus benötigt werden. Drittens. Das bringt mich zum dritten Punkt der nationalen Digitalisierungsstrategie: Eine solche umfassende Anstrengung zum dauerhaften Erhalt und dem Zurverfügungstellen von Kulturgütern wird eine Menge Geld kosten. Der Antrag der Fraktion Die Linke hat fast allein die Kosten für diese Herausforderung zum Inhalt, die, wie ich glaube, im Moment noch niemand realistisch abschätzen kann. Uns ist es deshalb nicht nur Zu Protokoll gegebene Reden wichtig, den Finanzbedarf darzustellen und die Mittel bereitzustellen, sondern auch, nach alternativen Finanzierungsstrategien zu suchen. Deshalb fordern wir, dass die staatlichen Akteure, wenn sie, wie die Bayerische Staatsbibliothek mit Google, eine öffentlich-private Partnerschaft zum beiderseitigen Nutzen eingehen, klare Regeln für diese Kooperation formulieren, die sicherstellen, dass die digitalisierten Kulturgüter der Allgemeinheit dauerhaft und kostenfrei zur Verfügung stehen. Neben einer solchen nationalen Digitalisierungsstrategie bedarf es der Anpassung einiger Rahmenbedingungen. Dazu gehört ganz zwingend eine urheberrechtliche Lösung für die sogenannten verwaisten und vergriffenen Werke. Die SPD hat dazu bereits einen entsprechenden gesetzlichen Vorschlag für dieses dringend zu lösende Problem vorgelegt. Umso mehr erstaunt es, dass die Regierungskoalitionen in ihrem Antrag völlig treffend wiedergeben, dass Handlungsbedarf besteht, es bislang allerdings nicht vermocht haben, ihre eigene Bundesregierung zu überzeugen, einen entsprechenden gesetzlichen Vorschlag zu unterbreiten. Hier offenbart sich eine deutliche Lücke zwischen Willensbekundungen und dem tatsächlichen Handeln. Zu den Rahmenbedingungen zählen wir als SPD in unserem Antrag im Unterschied zu den Anträgen der anderen Fraktionen auch die Befähigung der Kultur- und Wissenseinrichtungen, den vor allem technologisch determinierten Umgang mit den digitalisierten Kulturgütern zu gestalten. Nicht nur, dass die Einrichtungen über die technischen Fähigkeiten verfügen müssen, ihre digitalisierten Bestände und Angebote entsprechend verfügbar zu machen; es bedarf auch eines ausreichenden Know-hows bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die vielen Möglichkeiten der digitalen Welt zielgerichtet, das heißt an den Bedürfnissen der Nutzer orientiert, anzuwenden. Wir fordern daher entsprechende Weiterbildungen für Mitarbeiter von Kultur- und Wissenseinrichtungen, aber auch einen kostenlosen BreitbandInternetzugang über WLAN in allen Kultur- und Wissenseinrichtungen des Bundes. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Bundestag mit unterschiedlichen Anträgen ein Thema aufgreift, bei dem es zwingenden Handlungsbedarf auf nationaler Ebene gibt. Wie dieser genau auszugestalten ist, darüber werden wir in den nun anstehenden Ausschussberatungen diskutieren. Ich würde mich sehr freuen - und damit komme ich zum Ausgangspunkt meiner Rede -, wenn eine gemeinsame Position entwickelt werden könnte, die das Thema Digitalisierung von Kulturgütern in der Sache entscheidend voranbringt.

Reiner Deutschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004027, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

„Wissen ist Macht“, dieses, auf den englischen Philosophen Francis Bacon zurückgehende, geflügelte Wort trifft den Nagel auf den Kopf. In einer modernen Gesellschaft ist der Zugang zu Wissen unerlässlich. Für eine Wissensgesellschaft wie die unsere, ist Wissen nicht nur Macht. Es ist die Basis unserer Kulturnation, der Standortvorteil in Form von gut ausgebildeten Menschen oder der Dreh- und Angelpunkt von Wissenschaft und Forschung. Wissen ist schlichtweg der Rohstoff und die Basis des Wohlstandes in Deutschland und darüber hinaus in Europa. Nun prognostizieren Experten, dass innerhalb nur einer Generation nur noch das Wissen von einem Großteil der Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen werden wird, das im Internet auffindbar ist. Der Aufbau der Deutsche Digitalen Bibliothek, DDB, ist ein wichtiger Baustein zur Bewältigung der Aufgabe, Wissen und Kultur in so verschiedener Formen wie Schriftstücken, Werken der bildenden Kunst oder Filmen für zukünftige Generationen zu erhalten und allen Menschen zugänglich zu machen. Deshalb ist es von enormer Bedeutung, dass wir uns, zusammen mit unseren Kultur- und Wissenseinrichtungen, dieser Herausforderung stellen. 30 000 deutsche Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen stellen über die DDB-Digitalisate ihrer Bestände zur Verfügung. Damit entsteht eine Plattform, die die angeschlossenen Institutionen auf bisher nie gekannte Weise vernetzt und zugleich das in den Einrichtungen verfügbare Kultur- und Wissensgut einer umfassenden Öffentlichkeit zugänglich machen soll. Damit trägt die DDB nicht nur dem Zeitgeist der modernen Wissensgesellschaft Rechnung. Sie sichert darüber hinaus das kulturelle und wissenschaftliche Werk unserer Nation vor Katastrophen, so wie wir sie mit dem Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar und dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs erlebt haben. Natürlich ersetzt die Digitalisierung nicht die pflegliche Bewahrung unserer Schätze in den Museen, Bibliotheken und Archiven. Aber für den Fall, dass die Katastrophe tatsächlich eintritt, gibt es wenigstens noch einen digitalen Nachweis des Werkes, der unter anderem auch zur Rekonstruktion des Kulturgutes herangezogen werden kann, so wie es schon bei der Rekonstruktion des Bernsteinzimmers aufgrundlage von schwarz-weiß Fotos gelungen ist. Natürlich können Bund, Länder und Gemeinden diese Mammut-Aufgabe nicht alleine stemmen. Deswegen begrüßen wir jede bestehende Möglichkeit, zum Beispiel in Form einer Öffentlich-Privaten-Zusammenarbeit, die zu einer signifikanten Steigerung der Digitalisierungsrate der für die DDB vorgesehenen Werke führt. Allerdings sollte die Öffentlich-Private-Partnerschaft nur dort eingesetzt werden, wo, so unser Antrag, ausgewogene Vereinbarungen das Interesse der Allgemeinheit an einer uneingeschränkten Bereitstellung und Nutzung des kulturellen Erbes und der wissenschaftlichen Inhalte in digitaler Form berücksichtigen. Dies ist der Bayerischen Staatsbibliothek gelungen. Durch eine solche Partnerschaft hat sie ihre Digitalisierungsrate bedeutend erhöht, so dass der allergrößte Teil der in der DDB derzeit zugänglichen digitalisierten Werke aus dieser Bibliothek stammen. Unser Ziel ist es, die DDB zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Davon profitieren nicht nur die Menschen in Deutschland. Auch der Aufbau der europäischen digitaZu Protokoll gegebene Reden len Bibliothek EuroOPEANA wird durch die DDB gespeist. Derzeit stammen 17 Prozent der Digitalisate der EuroOPEANA aus Deutschland. Damit führen wir zusammen mit Frankreich die Liste der erfolgreichsten Länder an. Darauf kann man sich nicht ausruhen, aber es zeigt, dass wir auch auf europäischer Ebene ganz Vorne dabei sind. Um diesen Stand zu halten, beziehungsweise auszubauen, werden gerade die bereits genannten Öffentlich-Privaten-Partnerschaften immer bedeutsamer. Wichtige urheberrechtliche Fragen sind noch zu klären. Dem Umgang mit verwaisten Werken wird sich die Bundesregierung im Rahmen des Dritten Korbs zur Reform des Urheberrechts annehmen. Mit der Opposition sind wir uns, so glaube ich, in dem Ziel einig, dass es keine Alternative zum Aufbau von DDB und EuroOPEANA gibt. Während sich der Koalitions-Antrag aber auf das Machbare konzentriert und auch die Kultur- und Wissensinstitutionen sowie den Privaten Sektor mit in die Pflicht nimmt, gleicht der SPD Antrag einer „Wünsch-Dir-Was-Liste“, die in ihrer Konsequenz weder die Haushaltsplanung des Bundes im Besonderen, noch die derzeitige angespannte Finanzlage dieses Landes im Allgemeinen beachtet. Dies ist in meinen Augen nicht angebracht, erweckt der SPD-Antrag doch den Anschein, der Bund könne alles richten. Damit werden gerade auch vielen Einrichtungen Hoffnungen gemacht, die der Bund so nicht erfüllen kann. Bestimmte Prozesse und Entscheidungen kann der Bund den Kultur- und Wissensinstitutionen nicht abnehmen. Über WLan und Internetangebote in den Kultur- und Wissenseinrichtungen des Bundes entscheiden eben die genannten Institutionen selber im Rahmen ihrer Haushaltsmittel. Desgleichen gilt für Weiterbildungsmaßnahmen von Mitarbeitern in den genannten Einrichtungen. Auch ein jährlicher schriftlicher Sachstandsbericht zum Stand der Digitalisierung und zum Stand der Umsetzung der Digitalisierungsstrategie bindet Kräfte, die anderswo dringender gebraucht werden. Hier sollte man den Einrichtungen auch einfach mal vertrauen, dass sie den Ernst und die Wichtigkeit der Aufgabe der Digitalisierung erkannt haben. Das Thesenpapier des Deutschen Bibliothekenverbandes und die Erklärungen der Verantwortlichen des „Kompetenznetzwerks DDB“ zeigen, dass es wohl einer staatlichen Begleitung bedarf, nicht aber einer jährlichen staatlichen Kontrolle. Der Vorschlag der Fraktion Die Linke nach einem Gesetzentwurf zur Förderung der DDB ist ebenso abzulehnen. Durch das oft starre Korsett eines Gesetzes engen wir die Digitalisierungsbemühungen wichtiger Kultur- und Wissenseinrichtungen ein und verhindern so den wichtigen Spielraum, den Bibliotheken und andere Einrichtungen benötigen, um erfolgreich digitalisieren zu können. Auch können wir, gerade mit Blick auf zukünftige Öffentlich-Private-Partnerschaften, nicht ausschließen, dass eine neue kreative Idee der Zusammenarbeit, so wie sie die Bayerische Staatsbibliothek beschritten hat, durch ein Gesetz verhindert werden könnte. Dies passt auch nicht zum erklärten Ziel der Koalitionsfraktionen, die Digitalisierung gemeinsam mit anderen Partnern zu bewältigen. Der Staat allein wird eine solche Aufgabe wie die Digitalisierung des kulturellen und wissenschaftlichen Erbes Deutschlands nicht stemmen können. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss für Kultur und Medien.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

„Man fühlt sich wie in der Gegenwart eines großen Capitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.“ Mit diesem spannungsreichen Satz beschrieb Goethe im Jahre 1801 seine Empfindungen beim Besuch der Göttinger Bibliothek. Etwa 100 000 Bände umfasste die für damalige Verhältnisse große Sammlung, die gar eine Kirchenetage mit in Beschlag nahm. Goethe wusste, welches gesellschaftliche Potenzial, welchen Schatz, der unablässig gesellschaftlichen Nutzen produziert, das gesammelte Wissen der Zeit darstellte. Er ahnte jedoch noch nichts von den Milliarden Druckwerken, geschweige denn Filmen, Tondokumenten, Fotos und Kunstwerken, die heute auf Besucherinnen und Besuchern von Bibliotheken, Museen und Archiven warten. Die Moderne mit ihrer explodierenden Produktion von Wissen und Kulturgütern begann gerade, der industrielle Buchdruck hatte auch die Kommunikationsströme der damaligen Gesellschaft revolutioniert. Die von Goethe bestaunte Göttinger Bibliothek hält heute, 210 Jahre nach seinem Besuch, den 40-fachen Bestand, etwa 4 Millionen Bücher vor; dazu kommen Zeitschriften, Nachlässe, Archive und Mikrofilme. Ein Blick auf die Internetseite dieser Bibliothek zeigt: Wir befinden uns mitten in der nächsten technische Revolution der Wissens- und Kulturgesellschaften. Die Digitale Bibliothek kann man dort anklicken und einige Bücher, aber vor allem Dissertationen und weitere Onlinepublikationen von zu Hause ansehen, kostenlos und äußerst benutzerfreundlich. Man kann sie Freunden weiterempfehlen, durchsuchen, verknüpfen und ja - auch ausdrucken. Jeder kommt an dieses Wissen heran, es kostet nichts und das Prädikat „leider ausgeliehen“ entfällt. Bibliotheken sind keine Dinosaurier des letzten Jahrtausends, sondern der Vorreiter einer neuen Allmendekultur. „Die Demokratisierung des Wissens“ nennt der Vorsitzende der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Professor Hermann Parzinger, den Digitalisierungsprozess. Er kann Schranken abbauen - soziale, geografische und kulturelle. Die Digitalisierung des kulturellen Erbes hat begonnen und vor allem durch die Initiative des Konzerns Google einen riesigen Schub erfahren. 15 Millionen Bände hat Google gescannt, unter anderem in Kooperation mit der Münchner Staatsbibliothek und ganz aktuell der British Library. Doch dieser kapitalstarke Vorstoß brachte auch Probleme mit sich: Das Urheberrecht ist bisher nicht auf die Massendigitalisierung eingestellt. Ebenso bleibt unklar, welche Konsequenzen die Verfügung eines einzigen Konzerns über die Bestände unserer Wissens- und Kultureinrichtungen hat. Die Frage ist etwa, was im Falle einer Aufgabe des Projektes durch Zu Protokoll gegebene Reden Google mit den Datenbeständen geschieht oder welche Partner die Rohdaten nach welcher Frist unter welchen Bedingungen selbst benutzen dürfen. Trotz bisher guter Erfahrungen etwa der Münchner Staatsbibliothek mit Google als Kooperationspartner finden wir es daher sinnvoll, dass das öffentliche Bibliothekswesen in Europa eine gemeinnützige Alternative anstrebt, die unter dem Namen „Europeana“ die diversen Bestände bündeln soll. Der deutsche Ableger, die Deutsche Digitale Bibliothek, DDB, wurde 2008 ins Leben gerufen und soll noch in diesem Jahr online gehen. Doch auch die DDB wird nur das Dach sein, während das Gebäude darunter bisher bruchstückhaft bleibt. Die Bundesregierung hat 8 Millionen Euro für den Aufbau der zentralen Infrastruktur bereitgestellt, das eigentliche Problem, nämlich den teuren Prozess des Scannens und Aufbereitens, aber weitgehend den Bibliotheken und Archiven bzw. deren Trägern überlassen. Jeder in diesem Lande weiß jedoch, wie es um die finanzielle Situation der Länder und Kommunen bestellt ist - nicht zuletzt wegen der Steuerpolitik der vergangenen Jahre. Sie werden die Herkulesaufgabe nicht stemmen können. Im Gegenteil: Die knappen Mittel zwingen Kommunen immer noch zu Bibliotheksschließungen; selbst neuerbaute Unibibliotheken haben oft keine Mittel für die notwendigen Ankäufe. Angesichts der nationalen und globalen Bedeutung, die die Digitalisierung für Bildung und Wissenschaft hat, muss der Bund hier handeln. Die Bibliothekenverbände haben auf dem Bibliothekarstag vor zwei Wochen eine solche konzertierte Initiative des Bundes gefordert. Bisher fördert der Bund lediglich über die DFG und auch nur im Bereich besonders alter Bestände zu Forschungszwecken. In Frankreich wurden hingegen 750 Millionen Euro für die Digitalisierung in Aussicht gestellt, Teile davon werden bereits ausgezahlt - hieran sollten wir uns orientieren! Der Bund muss, so fordert es unser Antrag, konkrete Summen in Aussicht stellen, damit wir bei der „Europeana“ und der DDB endlich sichtbare Fortschritte machen. 30 Millionen Euro jährlich haben wir immer gefordert; damit könnte der Bund jährlich etwa 500 000 Werke scannen und die entsprechenden Serverkapazitäten vor Ort aufbauen und pflegen. Gehandelt werden muss auch im Bereich des Urheberrechtes: Um die Digitale Bibliothek umsetzen zu können, brauchen wir eine Veränderung des Urheberrechts, das die Bibliotheken von den Problemen der Haftung befreit. Dafür haben wir in einem Gesetzentwurf einen Vorschlag für eine Schrankenregelung gemacht, die kürzlich von der Europäischen Kommission in einem Richtlinienvorschlag im Grundsatz bestätigt wurde. Bibliotheken müssen verwaiste und vergriffene Werke online stellen dürfen, ohne eine detektivische und damit aufwendige Suche nach möglichen Rechteinhabern vornehmen zu müssen und ohne die Gefahr komplexer Schadensersatzklagen zu befürchten. Nach der Zugänglichmachung auftauchende Urheber sollen, wenn sie ihre berechtigten Ansprüche angemeldet und nachgewiesen haben, unbürokratisch und angemessen entschädigt werden. Eine präventive Zahlung fiktiv festgelegter Entschädigungsbeträge von bis zu 8 Euro pro Buch an die Verwertungsgesellschaften, wie sie von den Verbänden vorgeschlagen und von der SPD im Bundestag beantragt wurde, halten wir jedoch für nicht zielführend. Und nicht zuletzt: Die Digitalisierungsoffensive sollte auf der Grundlage eines präzisen und für die Beteiligten verbindlichen Handlungsplanes umgesetzt werden. Es geht um Meilensteine, um Prioritäten, um die Formate für die Metadaten und um die Nutzung von Synergien. Aus den Bibliotheken wird immer wieder Kritik an den lähmenden Prozessen in der Kultusministerkonferenz laut. Hier sollten sich alle Beteiligten auf Einladung des Bundes an einen Tisch setzen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Antrag ist eine schöne Beschreibung dessen, was ohnehin geschieht. Eine politische Willensbekundung fehlt. Daher werden wir ihn ablehnen. Mit vielen Forderungen der SPD-Fraktion gehen wir konform; allerdings sollte auch hier vieles geprüft und erst einmal beraten werden, etwa die Finanzen. Wir finden: Es kann jetzt losgehen. Die Informationsgesellschaft findet zunehmend in der digitalen Welt statt. Wenn diese Welt nicht geschichtsvergessen sein soll, müssen wir der jungen Generation das Wissen und die Kultur eröffnen, die unsere Gesellschaft bis vor kurzem ausschließlich auf Papier und Zelluloid festgehalten hat. Der Bundestag und diese Regierung können und müssen ihren Teil dazu beitragen. Daher bitte ich um Zustimmung für unseren Antrag.

Agnes Krumwiede (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004082, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ende 2011 soll die Deutsche Digitale Bibliothek, DDB, in Betrieb gehen und an die Europäische Digitale Bibliothek „Europeana“ angegliedert werden. Die Er- stellung der DDB ist von einschneidender Bedeutung für unsere Kultur- und Wissenschaftsnation. Unser kulturel- les Erbe, wissenschaftliche ebenso wie literarische Werke sollen über das Internet für jeden in Deutschland erreichbar sein. Die DDB wird den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch entscheidend fördern und er- leichtern. Aufgrund der gesamtstaatlichen Bedeutung der DDB ist es Aufgabe der Bundesregierung, eine Digitalisie- rungsstrategie zu entwickeln, mit gesetzlichen Regelun- gen zu flankieren und dafür die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Diese zentrale Forderung in den Anträgen der Linken und der SPD zur Digitalisierung des kulturellen Erbes unterstützen wir. Die Koalition hat es bisher nicht geschafft, sich klar für eine Digitalisie- rungsstrategie mit Finanzierungsmodell von Bundes- seite zu bekennen. In der Frage der Finanzierung ver- weist die Koalition lediglich auf die mögliche Betei- ligung privater Dritter - ohne dafür Kriterien zu definie- ren. Eine entscheidende Frage im Zuge der Erstellung der DDB wird in allen drei vorliegenden Anträgen gar nicht oder nur am Rande behandelt, weit entfernt von kon- struktiven Lösungsansätzen: Ohne gesicherte Rechts- verhältnisse beim Umgang mit vergriffenen Werken und Zu Protokoll gegebene Reden sogenannten „verwaisten Werken“ steht der Start der DDB auf wackligen Beinen. Dies ist auch als Aufruf an die Bundesregierung zu verstehen, endlich einen Ent- wurf für den Dritten Korb zum Urheberrecht vorzulegen. Dieser Entwurf ist schon seit Monaten überfällig. Wie also kann der Umgang mit „verwaisten Werken“ geregelt werden? Wie müssen Kriterien einer sorgfälti- gen Suche nach den Rechteinhaberinnen und Rechte- inhabern ausgestaltet sein, und wer definiert diese Kri- terien? Wie kann sichergestellt werden, dass Werke nicht vorschnell zu „verwaisten Werken“ erklärt werden? Erst vor kurzem, am 22. März 2011, ist Google mit sei- ner Entscheidung, anhand des erweiterten Google Book Settlements die ungenehmigte Digitalisierung ganzer Werke durchzuführen, vor dem District Court of New York gescheitert. Dieses Gerichtsverfahren wird welt- weit als Signal zur Stärkung der Urheberinnen und Ur- heber gewertet. Es ist dringend notwendig, sich auf klare Kriterien für den Nachweis der sorgfältigen Suche nach den Rechteinhaberinnen und Rechteinhabern zu einigen. Auch bei der Frage der Vergütung von Urheberinnen und Urhebern der in der DDB zu digitalisierenden Werke bleiben die vorliegenden Anträge zu unkonkret. Wer soll die Mittelvergabe steuern, wo und wie können die Gelder zurückgelegt werden, solange sich der Rechte- inhaber oder die Rechteinhaberin nicht meldet? Mit all diesen offenen Fragen haben wir uns in unse- rem Antrag „Zugang zu verwaisten Werken erleichtern“ mit der Drucksachennummer 17/4695 beschäftigt. Denn nur mit einer zeitnahen Klärung der unsicheren Rechts- verhältnisse beim Umgang mit „verwaisten Werken“ kann die DDB planmäßig starten. Erst dann kann die Öffentlichkeit von der DDB profitieren. Unser Antrag sieht vor, dass zunächst durch ein Fachgremium ein Kriterienkatalog zur sorgfältigen Su- che nach den Rechteinhaberinnen und Rechteinhabern entworfen werden muss, bevor die öffentliche Zugäng- lichmachung „verwaister Werke“ erfolgen kann. Zur Verwaltung und Ausschüttung einer angemessenen Ver- gütung sollte der Gesetzgeber auf das etablierte System der kollektiven Rechtewahrnehmung zurückgreifen. Da- für wäre nach unserer Vorstellung die Neugründung ei- ner von den Verwertungsgesellschaften gemeinsam ver- walteten Zentralstelle für die öffentliche Zugänglich- machung „verwaister Werke“ - ähnlich der Zentral- stelle Bibliothekstantieme - sinnvoll, welche die Verwal- tung der nicht vermittelbaren Vergütung für die „ver- waisten Werke“ übernimmt. Außerdem enthält unser Antrag die Forderung nach einer Neuregelung im Abschnitt zu den Schranken des Urheberrechts im Urheberrechtsgesetz, welche Werk- nutzerinnen und -nutzer im nichtkommerziellen Bereich von der Strafbarkeit und von Vergütungsansprüchen der Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber freispricht. Eine Vergütung der Urheberinnen und Urheber soll aus- schließlich durch die Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden. Auch für die Grundlage der Rechtssi- cherheit bei der Digitalisierung von Werken, deren Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber nicht auffindbar sind, haben wir einen Lösungsvorschlag entwickelt: Diese öffentlichen Mittel dürfen nicht ohne Zeitlimit und späteren Verwendungszweck für die Betroffenen - Urhe- berinnen und Urheber ebenso wie Bibliotheken - bei den Verwertungsgesellschaften gesammelt werden. Aus un- serer Sicht sollten die Einnahmen aus der öffentlichen Zugänglichmachung in der neu zu gründenden Zentral- stelle zurückgestellt werden. Dafür muss die Zentral- stelle ein kostenloses und öffentlich einsehbares Regis- ter führen. Sollte sich der Urheber innerhalb dieser Fünfjahresfrist melden, schüttet die Zentralstelle der Verwertungsgesellschaften die zurückgestellte Vergü- tung an den Urheber aus. Meldet sich innerhalb dieser fünf Jahre kein Urheber, schüttet die Verwertungsgesell- schaft die Einnahmen für dessen Werk an die Sozial- werke der Verwertungsgesellschaften aus. Dieses von uns vorgeschlagene Verfahren könnte zur Stärkung der Sozialwerke beitragen, wovon wiederum die Urheberin- nen und Urheber als Mitglieder der Verwertungsgesell- schaften direkt profitieren würden. Die genannten Forderungen unseres Antrags sind notwendige Voraussetzungen, um die Erstellung der DDB erfolgreich zu realisieren. Eine Mittelaufstockung durch den Bund zur Digitalisierung muss mit der Schaf- fung von Rechtssicherheit zum Umgang mit „verwaisten Werken“ und mit Konzepten zur Vergütung der Urhebe- rinnen und Urheber Hand in Hand gehen. Wir begreifen deshalb die Forderungen unseres Antrags zu den „ver- waisten Werken“ als obligatorische inhaltliche Ergän- zungen zu den heute auf der Tagesordnung stehenden Anträgen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/6096, 17/6315 und 17/6296 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sie sind alle damit einverstanden? - Das ist der Fall. Somit ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a, 33 b und Zu- satzpunkt 15 auf: 33 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Dietmar Bartsch, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären - Drucksache 17/3748 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vizepräsident Eduard Oswald Personelle und institutionelle Kontinuitäten und Brüche in deutschen Ministerien und Behörden der frühen Nachkriegszeit hinsichtlich NS-Vorgängerinstitutionen untersuchen - Drucksache 17/6297 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Personelle und institutionelle Kontinuitäten und Brüche in deutschen Ministerien und Behörden der frühen Nachkriegszeit hinsichtlich NS-Vorgängerinstitutionen systematisch untersuchen - Drucksache 17/6318 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen bei uns vor.

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Brauchen wir wirklich staatliche Auftragsarbeiten, um die Geschichte der Bundesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus wissenschaftlich kritisch aufarbeiten zu lassen, so wie es die Fraktionen der Linken und der Grünen in ihren Anträgen fordern? Diese Frage wurde bereits in der Debatte um die Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ von Historikern in den Zeitungsfeuilletons ausführlich geführt. Wenn wir auf die Stimmen aus der Wissenschaft hören, die sich im Laufe der Debatte geäußert haben, so stellen wir fest: Dort sind die Befürchtungen groß, dass bei solchen Auftragsarbeiten das für eine seriöse wissenschaftliche Untersuchung erforderliche Mindestmaß an Unabhängigkeit nicht garantiert werden kann. Befürchtet wird ganz grundsätzlich und wohl auch zu Recht, dass bei Auftragsarbeiten der Auftraggeber dem Wissenschaftler misstraut und seine Arbeit zu kontrollieren oder gar seine Arbeitshypothesen zu beeinflussen versucht. Dies ist bei staatlichen Auftragsarbeiten schon bedingt durch ein grundlegendes Problem: Die durch Art. 5 Grundgesetz geschützte Freiheit der Wissenschaft trifft auf das Verfassungs- und Staatsschutzinteresse und muss dahinter zurückstehen. Die Befürchtungen aus der Wissenschaft lassen sich auch dann nicht zerstreuen, wenn die Wissenschaftler als „unabhängige Historikerkommission“ fungieren und ihnen garantiert wird, dass sie ergebnisoffen arbeiten kann und keinerlei inhaltlichen oder politischen Restriktionen unterliegt. Ich teile die kritische Haltung des großen Historikers Hans Mommsen, der zu bedenken gab, dass eine eingesetzte Kommission „nicht per Definition unabhängig“ sein kann. Trotz dieser Debatte innerhalb der Geschichtswissenschaft haben, neben dem Auswärtigen Amt, auch das Bundesfinanzministerium, das Bundeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst die Erforschung der personellen Kontinuitäten nach 1945 in Auftrag gegeben. Dieser Umgang mit der eigenen Geschichte ist natürlich zu begrüßen. Wir sollten die in der Tat wichtige Aufgabe der Geschichtsaufarbeitung also der Geschichtswissenschaft überlassen, die in freigegebenen Archivdokumenten und mit Quellen arbeitet. Dies geschieht auch ohne staatliche Auftragsarbeiten. Wir brauchen die Anträge der Fraktion Linke und Bündnis90/Grüne nicht als Impulsgeber für eine kritische Geschichtsaufarbeitung. Natürlich schwingt in dem Antrag zur Aufarbeitung der personellen Kontinuitäten und der Denktraditionen der Bundesministerien in den Gründerjahren der Bundesrepublik immer noch die Behauptung mit, die NSVergangenheit wurde und werde in Deutschland verdrängt. Diese Mythen der Linksfraktion sind Relikte aus DDR-Zeiten. Die politische Führung der DDR hat ihren Staat als antifaschistischen Staat und damit als ideologischen Gegenentwurf zur Bundesrepublik Deutschland konzipiert. Sie berief sich in ihren Gründungserzählungen immer auf den Widerstand kommunistischer Gruppen gegen den Nationalsozialismus und übertrug diesen Widerstand auf das Verhältnis zur Bundesrepublik. Dieser antifaschistische Gründungsmythos, der nur von einer kleinen Gruppe innerhalb der politischen Führung der DDR tatsächlich erlebt wurde, wurde auf die gesamte DDR-Gesellschaft projiziert. Die DDR-Führung nutzte diese „antifaschistische Gründungserzählung“ auch immer, um Akzeptanzdefizite zu kompensieren und für die Abwehr von kritischen Potenzialen. So galt die Bundesrepublik in den staatlich gelenkten Medien der DDR als bloße Fortsetzung des nationalsozialistischen Regimes. Bekannt ist, wie die DDR-Führung Kenntnisse über Personen, die Mitglied der NSDAP waren und auch im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik tätig wurden, für Propagandazwecke instrumentalisierte. Die Parallelen im Denken der DDR-Führung und dem der heutigen Linkspartei sind faszinierend. Auch heute werden die eigenen Defizite in der innerparteilichen Auseinandersetzung um antizionistisches Denken und personelle Kontinuitäten über die antifaschistische Tradition kompensiert. Das Geschichtsbewusstsein und die Geschichtsaufarbeitung der Bundesministerien ist nicht zu unterschätzen. Vieles, was im aufgerufenen Antrag und auch in der großen Anfrage zum „Umgang mit der NS-Vergangenheit“ gefordert wird, ist längst öffentlich bekannt und wissenschaftlich bearbeitet worden. Die Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ hat kaum Überraschendes hervorgebracht. Historiker hatten dies bereits vor der Berufung der Unabhängigen Historikerkommission des Auswärtigen Amtes erwartet. Im Nachgang wurde auch deutlich, dass der sensationelle Beweis, dass im AA Mord zum Dienstgeschäft gehörte, gar keine Sensation war. Die Reisekostenabrechnung, in der ein Mitarbeiter als Reisegrund angab „Liquidation von Juden in Belgrad“ und die für die neueste Studie die Begründung für eine Neuinterpretation der Geschichte des Auswärtigen Amtes im Nationalsozialismus liefern sollte, ist seit 1952 bekannt. Und so geht es weiter. Am Ende steht das Fazit, dass der immer wieder geäußerte Vorwurf, das Auswärtige Amt würde die Erforschung der eigenen Geschichte blockieren, völlig unbegründet ist. Schon während der Nürnberger Prozesse hat es eine kritische Auseinandersetzung mit dem Amt gegeben. Im „Biografischen Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871-1945“ kann man herausfinden, welcher Diplomat Mitglied in einer nationalsozialistischen Organisation war. Neben der Edition der „Akten zur deutschen Auswärtigen Politik“ gibt es zahlreiche Untersuchungen, die sich mit der Rolle des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich auseinandersetzen. Ich möchte die Linksfraktion aber noch ermutigen, den eingeforderten kritischen Blick auf die Geschichte der Bundesministerien auf die eigene Geschichte zu lenken. Ich meine nicht die personellen Kontinuitäten ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheit in der heutigen Linkspartei. Eine kurze Recherche bringt hervor, dass mindestens 26 hochrangige Mitglieder der SED, darunter auch Minister, Mitglied der NSDAP oder anderer nationalsozialistischer Organisationen waren. Die Frage aber, „erst braun, dann rot“, wird innerhalb der SEDFortsetzungspartei ein Reizthema sein und bleiben.

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Während ihrer gesamten Existenz legitimierte sich die ehemalige DDR stets als antifaschistischer Staat, das war sozusagen ihr Gründungsmythos. Die Lebenswirklichkeit der offiziell entnazifizierten Gesellschaft sah jedoch grundlegend anders aus. Bereits beim Aufbau des sozialistischen Einheitsstaates griff die SED auf Angehörige von früheren NS-Organisationen zurück, und das nicht zu knapp. Soweit sie nicht schwerster Verbrechen beschuldigt wurden, erhielten frühere NSDAPMitglieder zeitnah die Chance, beim Aufbau der angestrebten sozialistischen Gesellschaft mitzutun - zum großen Entsetzen der Opfer des Naziregimes in den eigenen Reihen. In der SED fanden viele der ehemaligen Nationalsozialisten eine neue politische Heimat mit Aufstiegsperspektive. Voraussetzung dafür war das Verschweigen der eigenen braunen Vergangenheit. Gefragt wurde auch kaum. Dass dies bei vielen der ehemaligen NSDAP-Mitglieder gängige Methode war, belegt eine Studie von Wissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena aus dem Jahr 2009. Sie fanden heraus, „dass das Verschweigen der NSDAP-Mitgliedschaft - mit oder ohne offizielles Einverständnis höherer politischer Instanzen - eine Parteikarriere überhaupt erst ermöglichte“. Ferner konnten die Wissenschaftler bei ihrer Untersuchung der Ersten und Zweiten Kreis- und Bezirkssekretäre der SED in den ehemaligen Bezirken Gera, Erfurt und Suhl eine mit 14 Prozent sehr hohe Quote von örtlichen SED-Spitzenfunktionären mit Nazivergangenheit feststellen. Etliche Alt-Nazis in der SED schafften es aber auch nach ganz oben; das belegen die Forschungsergebnisse des Historikers Olaf Kappelt. In seinem „Braunbuch DDR“ hat er Hunderte solcher Karrieren nachgewiesen: Beispielsweise gab es viele NS-belastete Diplomaten und DDR-Außenpolitiker, wie den ehemaligen stellvertretenden DDR-Außenminister Kurt Nier, zuständig für die Beziehungen zu Westeuropa, Kanada, den USA, Australien und Japan, er trat am 20. April 1944 in die NSDAP ein. Friedel Trappen, zeitweise DDR-Botschafter in Chile und stellvertretender Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen im SED-Zentralkomitee, war seit 1942 Mitglied der NSDAP. Hans Jürgen Weitz, langjähriger DDR-Botschafter im Irak, Kuweit und Ägypten, war seit 1942 NSDAP-Mitglied und darüber hinaus in der SS. Siegfried Bock, DDR-Botschafter in Rumänien, war ebenso ehemaliges NSDAP-Mitglied wie seine Diplomaten-Kollegen Norbert Jaeschke, DDR-Botschafter in der Türkei und Dänemark, und Walter Ißleib, DDR-Botschafter in der Jemenitischen Arabischen Republik. Allesamt hatten trotz ihrer NS-Vergangenheit leitende Posten im DDR-Außenministerium inne. Auch zu den Vereinten Nationen nach Genf wurde ein ehemaliger Nationalsozialist entsannt, der DDR-Botschafter Gerhard Kegel, bereits früh, 1934, in die NSDAP eingetreten und 1941 durch Hitler zum Legationssekretär im Auswärtigen Amt befördert. Neben den Diplomaten- und außenpolitischen Posten fanden die ehemaligen Nationalsozialisten auch an den Universitäten der DDR als Dekane, in den Chefredaktionen der SED-gleichgeschalteten DDR-Medien, in der DDR-Armee, im DDR-Ministerrat, der DDR-Volkskammer und im Zentralkomitee der SED ihre Wirkungsstätten. Im letzten SED-Zentralkomitee unter Erich Honecker waren mehr frühere NSDAP-Angehörige zu finden als ehemalige Mitglieder der SPD! Darunter der SED-Kaderchef Fritz Müller, zuständig für die gesamte Personalpolitik der DDR-Staatspartei, NSDAP-Mitglied seit 1938. Die Staatsdoktrin Antifaschismus der ehemaligen DDR war also nur ein großes Mythos. Die Fassade des antifaschistischen Staates konnte nur durch einvernehmliche Verschwiegenheit und Manipulation in den Biografien der SED-Führungskräfte aufrechterhalten werden. Die Nachfolgepartei der SED sollte also nicht an vorderster Front Themen der alten Bundesrepublik geißeln, stattdessen aktuell beispielsweise bei der Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, an der deutlich besser gelungenen Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur des 20. Jahrhunderts mitwirken, statt diese zu skandalisieren oder zu diskreditieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was geschah mit den nationalsozialistischen Reichsministerien und deren Mitarbeitern nach 1945? In welcher Weise erfolgte der Transformationsprozess hin zu demokratischen Strukturen in der Bundesrepublik und den spezifischen Strukturen der DDR? Welche Kontinuitäten und Brüche sind in Ministerien und Behörden feststellbar - hinsichtlich des Personals sowie der Traditionen von Denken und Handeln? Dies sind sperrige Fragen. Sie sind jedoch noch immer nicht systematisch und in der nötigen Breite bearbeitet worden. Sie zu beantworten, ist gleichwohl wichtig: Weil wir uns als Gemeinwesen verstehen, das aus der Vergangenheit gelernt hat, und weil wir verpflichtet sind, das Vertrauen in staatliche Institutionen zu stärken. Deshalb müssen wir wissen, wie das nationalsozialistische Regime nach seinem Ende weiter - und damit auch auf uns heute - gewirkt hat. Warum erst jetzt? Je differenzierter unsere Kenntnisse über die Zeit des Nationalsozialismus werden, desto deutlicher zeigt sich der Anteil, den Beamte und Ministeriumsmitarbeiter aus der „zweiten Reihe“ an der Planung, Organisation und Umsetzung der nationalsozialistischen Politik hatten. Mitarbeiter der Reichsministerien fanden in Ministerien und Behörden der jungen Bundesrepublik und auch in Einrichtungen der DDR erneut Anstellung. Mit der Übernahme belasteter und an Verbrechen beteiligter Personen überdauerte nationalsozialistisches Gedankengut in Ministerien. Manches Handeln in der Nachkriegszeit war davon geprägt. Es reicht also nicht aus, sich allein mit der Zeit des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Es bedarf des genaueren Wissens über personelle Kontinuitäten und fortgeführte Traditionen in der Nachkriegszeit, um die Entstehung und Entwicklung unseres gegenwärtigen Gemeinwesens zu verstehen. Erst auf dieser Grundlage wird eine verlässliche gesellschaftliche, juristische und politische Bewertung unserer gegenwärtigen demokratischen Praxis vorzunehmen sein. Dies schließt auch die kritische Betrachtung von Versäumnissen und Blockaden bei der Verfolgung von nationalsozialistischen Tätern in der Bundesrepublik und der DDR ein. Nicht zuletzt die Debatte um die Praxis der Nachrufe für Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und das große öffentliche Interesse an der Studie über das Auswärtige Amt in der frühen Nachkriegszeit haben dies deutlich gemacht. Dem Beispiel des Auswärtigen Amtes müssen weitere Ministerien folgen. Gute Ansätze und auch Teilergebnisse gibt es bereits. Zu nennen sind eine Untersuchung über das Bundeskriminalamt und die kürzlich in Auftrag gegebene Studie über die Frühzeit des Bundesnachrichtendienstes. In der Zeit sozialdemokratischer Regierungsverantwortung wurde mit der Beauftragung solcher Forschungen begonnen. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, sich der Frage nach personellen und institutionellen Kontinuitäten und Brüchen in aller Offenheit zu stellen. Neben der Geschichte der nationalsozialistischen Reichsministerien gilt es, in gleicher Gewichtung die Frühgeschichte zumindest jener Ministerien untersuchen zu lassen, die staatliche Kernaufgaben ausführen. Dies zu fordern ist notwendig, denn die Bereitschaft, sich der Geschichte der eigenen Institution zu stellen, scheint nicht in jedem Ministerium gleichermaßen entwickelt zu sein. So bleibt es nach wie vor unverständlich, weshalb das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einen eigens angefertigten Bericht unter Verschluss hält. Die Geheimhaltung von Ministerial- und Behördenakten der frühen Nachkriegszeit ist heute durch nichts mehr zu rechtfertigen. Ausdrücklich fordern wir daher, Historikern ungehinderten Zugang zu Archiven, Quellenmaterial und allen verfügbaren Informationen zu gewähren, die sie für eine sorgfältige Aufarbeitung benötigen. Die zu beauftragenden Wissenschaftler müssen in jeder Hinsicht unabhängig arbeiten können. Darüber hinaus müssen sie nach klaren und transparenten Kriterien ausgewählt werden. Ihre Forschungsergebnisse sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die beiden Anträge, die neben unserem zum Thema vorliegen, zeigen, dass wir mit unserer Einschätzung nicht allein stehen. Ganz besonders freue ich mich, dass Bündnis 90/Die Grünen unseren Antrag annähernd wortgleich übernommen haben. Dies stimmt mich zuversichtlich, dass sich mit unseren guten Gründen auch die Regierungsfraktionen von der Notwendigkeit überzeugen lassen, eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung der institutionellen und personellen Kontinuitäten in Ministerien und Behörden der Nachkriegszeit in Auftrag zu geben. Dieser umfassende Forschungsauftrag ist Kern und Ziel unseres Antrages, doch ist er kein Selbstzweck. Als Deutscher Bundestag haben wir die Aufgabe, das Regierungshandeln zu kontrollieren. Damit stehen wir in der Pflicht, Transparenz, Offenheit und Informationen über die Exekutive einzufordern. Dies müssen wir auch hinsichtlich personeller und institutioneller Kontinuitäten und Brüche in Bezug auf nationalsozialistische Vorgängerinstitutionen sicherstellen. Ich lade alle Fraktionen ein, unseren Antrag zu unterstützen!

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die deutsche Vergangenheitspolitik, um einen Begriff des Historikers Norbert Frei zu gebrauchen, hat nichts von ihrer Aktualität und Brisanz verloren. Die historische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und die Vergangenheitsbewältigung in der frühen Bundesrepublik werfen keineswegs nur rein akademische Fragen auf. Auch mehr als 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat der Umgang mit dem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte nach wie vor eine hohe politische Bedeutung. Deshalb bedauere ich es ein wenig, dass wir die heutige Debatte nicht an prominenterer Stelle führen. Als Rechtshistoriker am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, der sich selbst lange mit dem Themenbereich der Vergangenheitspolitik beschäftigt hat, und als Vertreter einer jüngeren Generation ist mir eines wichtig zu sagen: Die kritische Aufarbeitung, Historisierung und umfassende Bewertung der NS-Vergangenheit sowie der inhaltlichen und personellen Kontinuitäten in der Bundesrepublik ist für mich und meine Partei oberstes Gebot. Die Arbeit von Historikern darf nicht erschwert werden. Und man darf sich auch einem kritischen Blick auf die eigene Vergangenheit nicht entziehen. Uns liegen zwei Anträge von den Fraktionen Die Linke und der SPD vor, die sich dem Problem der personellen und inhaltlichen Kontinuitäten zwischen dem NSRegime und der Bundesrepublik widmen. Das grundsätzliche Anliegen der beiden Anträge - eine Aufklärung und umfassende Aufarbeitung der Geschichte der Bundesministerien - können mit Sicherheit alle demokratischen Parteien in diesem Hause unterstützten. Es ist auch allen Beteiligten klar, dass mutige Historiker, Journalisten und Bürger den Prozess der historischen Aufarbeitung teils sehr mühsam gegen interne Widerstände in den betroffenen Institutionen erkämpfen mussten. Aber ich habe durchaus Zweifel, ob die in den Anträgen vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich notwendig sind oder nicht über das Ziel hinausschießen. In den vergangenen Jahren haben wir wichtige Schritte in der Aufarbeitung der Geschichte einiger Bundesministerien gesehen. Zu nennen ist hier zum einen die interessante und sehr kontrovers diskutierte Studie zur NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes. Diese brachte Verstrickungen und aktive Beteiligungen von deutschen Diplomaten an der Deportation der europäischen Juden zwischen 1933 und 1945 ans Licht und brach dadurch mit dem Bild des Auswärtigen Amtes als Hort des Widerstandes. Daneben machte die dortige Historikerkommission auch auf personelle Kontinuitäten aufmerksam: So erklärte der Leiter der Kommission, Eckart Conze, in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, dass in den Jahren 1950/51 noch rund 42 Prozent der Angehörigen des höheren Dienstes vor 1945 in der NSDAP gewesen seien. Aber auch in anderen Ministerien und Behörden sind wichtige Aufarbeitungsprozesse angestoßen bzw. abgeschlossen worden. Im Bundesfinanzministerium ist vor kurzem ein erster Bericht der Historikerkommission vorgestellt worden. Im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie im Verkehrsministerium wurden entsprechende Studien abgeschlossen. Und auch im Bundesministerium der Verteidigung wird schon sehr lange an der historischen Aufarbeitung geforscht. Erfreulicherweise hat sich dieser Prozess auch auf die Sicherheitsbehörden des Bundes ausgeweitet. Im April 2011 wurden die teils sehr erschütternden Ergebnisse der Erforschung der Geschichte des Bundeskriminalamtes der Öffentlichkeit vorgestellt. Beim Bundesnachrichtendienst und dem Bundesamt für Verfassungsschutz steht der Historisierungsprozess aber noch am Anfang. Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich der Prozess der historischen Aufarbeitung und kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit bisher auch ohne gesetzgeberischen Zwang positiv entwickelt hat und auch weiter fortsetzen wird. Dafür spricht das große Interesse der Medien und Öffentlichkeit an den Ergebnissen dieser Studien. Ich will mich jedoch dem Gedanken nicht verschließen, dass - sollten sich in der weiteren Entwicklung strukturelle Hindernisse diesen Aufarbeitungsprozessen entgegenstellen - man durchaus über zusätzliche gesetzgeberische Anreize in Einzelfällen diskutieren kann. In der derzeitigen Situation halte ich diese aber nicht für notwendig. Ich will noch ein paar Worte zum vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke sagen. In Punkt 5 wird gefordert, dass den Historikerkommissionen die Aktenbestände uneingeschränkt zur Verfügung stehen sollen. Dieser Punkt, der sich auch im Antrag der SPD wiederfindet, ist problematisch. Sosehr wir auch alle für Offenheit und Transparenz sind, so haben doch Sicherheitsbehörden wie der Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz ein legitimes Geheimhaltungsinteresse, wenn es um die innere und äußere Sicherheit sowie das Bild Deutschlands im Ausland geht. Deshalb kann ein pauschaler, uneingeschränkter Zugang zu allen Aktenbeständen nicht gewährt werden. In Einzelfällen muss die Behörde das Recht haben, zwischen historischem Aufklärungsinteresse und legitimem Geheimhaltungsinteresse abwägen zu können. Sollte sich allerdings zukünftig herausstellen, dass sich das Pendel zwischen beiden Polen strukturell nur in die Richtung des letzteren Wertes bewegt, verschließen wir uns in Einzelfällen nicht gesetzgeberischen Anreizen. Ein weiterer Punkt im Antrag der Linken ist problematisch: Es findet sich nicht ein einziges Wort zur notwendigen Aufarbeitung der Geschichte der Ministerien und Behörden in der ehemaligen DDR. Auch diese müssen in den weiteren Historisierungsprozessen stärker einbezogen werden. Diese Erkenntnis scheint der Fraktion Die Linke wieder einmal fern. Wie so oft kann man ihnen ein glaubwürdiges Aufklärungsinteresse nicht abkaufen, weil Sie sich nicht kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen wollen. Ihr Antrag ist als ein politischer Entlastungsangriff zu verstehen, den wir hier im Parlament schon so häufig gesehen haben. Im Antrag der SPD finden sich viele Formulierungen, die wohl alle Parlamentarier unterschreiben können. Im Gegensatz zum Antrag der Linken wird hier auch die bisher noch unvollständige Aufarbeitung der Geschichte der Institutionen in der ehemaligen DDR thematisiert. Allerdings hat neben dem bereits geschilderten Problem der uneingeschränkten Akteneinsicht eine weitere Formulierung im SPD-Antrag einen etwas faden Beigeschmack. So wird die Leistung der Behörden und Ministerien zur Aufarbeitung ihrer Geschichte „insbesondere unter sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung“ hervorgehoben. Es ist richtig, dass der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück vor zwei Jahren eine hochrangige Historikerkommission in seinem Hause eingesetzt hat. Es ist ebenso richtig, dass die sozialdemokratischen Präsidenten Ernst Uhrlau, Heinz Fromm und Jörg Ziercke die historische Aufarbeitung in ihren Behörden vorangetrieben haben. Aber zum vollen Bild gehört auch der ehemalige SPD-Innenminister Otto Schily, der sich der Historisierung in Regierungsverantwortung mit aller Kraft widersetzte. Er tat dies nicht nur für sein eigenes Amt, sondern streute seine Ansichten in der gesamten Bundesregierung. Wenn Sie jetzt einen vermeintlich mangelnden Aufklärungswillen der Bundesregierung beklagen, sollten Sie sich auch die Frage stellen, ob Sie nicht vor ein paar Jahren in Regierungsverantwortung noch mehr hätten tun können. Trotz der offensichtlichen Mängel in beiden Anträgen freue ich mich auf die weiteren Diskussionen im Innenausschuss und in der sich dann hoffentlich an prominenterer Stelle anschließenden Schlussdebatte im Plenum. Denn an historischer Aufarbeitung und kritischer Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sollten wir Parlamentarier ein besonderes Interesse haben.

Patrick Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003900, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die vorgelegten Anträge und die jüngsten parlamentarischen Vorgänge zeigen: Die Opposition misst bei der Aufarbeitung der deutschen Diktaturen mit zweierlei Maß. Ich bin erstaunt, wie widersprüchlich und inkonsistent vor allem die SPD und die Grünen beim Thema Aufarbeitung von staatlichem Unrecht agieren. Weniger erstaunlich ist, dass die Linke die Schlussstrichpolitik der 50er-Jahre kritisiert und gerade dies heute mit Blick auf das SED-Unrecht fordert. In den Anträgen der SPD und der Grünen heißt es auf Seite 3: Auch um das Vertrauen der Bürger in ihre Staatsorgane willen sieht sich der Deutsche Bundestag in der Pflicht, Transparenz, Offenheit und Information über alle Bereiche der Exekutive … einzufordern. Wie recht Sie haben! Mir scheint es aber, diese Pflicht vergessen Sie, wenn es um die andere Diktatur geht, die es in Deutschland im 20. Jahrhundert gegeben hat. Diesbezüglich haben Sie in einer in dieser Woche durchgeführten öffentlichen Anhörung zum Stasi-UnterlagenGesetz gezeigt, wie nahe Sie an einem Schlussstrich sind, der auch das Vergessen befördert. Die von SPD, Grünen und Linken benannten Experten haben sich, zum Teil unter deren Zustimmung, dafür eingesetzt, die Überprüfung im öffentlichen Dienst ganz einzustellen, und teilweise die Notwendigkeit der anhaltenden Aufarbeitung geleugnet. Es wurde gesagt, dass die Opfer sich nach so vielen Jahren damit abfinden müssten, dass es auch eine Vergangenheit gebe. Der gesellschaftliche Bedarf nach Klarheit und Aufarbeitung bestünde 21 Jahre nach der Wende nicht mehr. Es sei unverhältnismäßig, wenn man die Verstrickungen von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes heute aufdecken möchte. Diese Argumente gleichen den Debatten der 50er- und 60erJahre, in denen von vielen ein Schlussstrich unter die Naziverbrechen gefordert wurde. Und eben 21 Jahre nach Kriegsende, also 1966, setzte die tatsächliche gesellschaftliche Aufarbeitung des Unrechts ein. Offensichtlicher kann der Widerspruch, auch durch die zeitliche Nähe, nicht sein: Am Montag redet die Linke dem Ende der Stasiaufarbeitung das Wort, und die Sachverständigen von SPD und Grünen sprechen von der Notwendigkeit des Vergessens. Am Donnerstag prangern sie genau das im Zusammenhang mit der NSAufarbeitung an. Merkwürdigeres gibt es nicht. Die Opposition misst hier also mit zweierlei Maß. Sie mahnt richtigerweise an, dass Fehler bei der NS-Aufarbeitung nicht ausreichend beleuchtet seien, und spielt sich als das gute Gewissen auf. Auf der anderen Seite ist sie fälschlicherweise gerade dabei, genau den gleichen Fehler bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts noch einmal zu machen. Warum verweigern Sie sich bei der Frage, inwieweit alte Stasikader noch in der öffentlichen Verwaltung tätig sind, genau dem, was Sie bei der NSAufarbeitung mit Nachdruck fordern? Diese Politik ist inkonsequent und unglaubwürdig. Wir wissen alle um die Fehler in den 50ern und haben daraus gelernt. Sie sind dabei, einer gesellschaftlichen Haltung Raum zu geben, die diese Fehler wiederholen will. Ich bin gespannt, wie Sie dies rechtfertigen. Denn erschwerend kommt hinzu, dass Opfer und Täter der DDR noch gegenwärtig sind. Das bedeutet, dass politisches Handeln aktiv Auswirkungen für oder gegen die Gerechtigkeit hat. Bei NS-Tätern ist dies nicht mehr der Fall. Eine gewisse Ungeheuerlichkeit gibt es noch in einem zweiten Aspekt: Die vorgelegten Anträge erwecken den Eindruck, als ob eine Kontinuität bei den Bundesministerien im Vergleich zu den Ministerien aus der NS-Zeit geherrscht hätte. Es wäre der nationalsozialistische Geist noch weit verbreitet gewesen, wird dort konstatiert. Sie können doch nicht allen Ernstes unterstellen, dass die Bundesrepublik und ihre Institutionen in den ersten Jahren die Ziele des Dritten Reiches und die Ideologie der Nationalsozialisten fortgesetzt hätten! Diese Diffamierung geht zu weit. Nicht ausgeführt wird, dass, trotz aller unbestrittenen Versäumnisse, die Bundesrepublik einen beachtlichen Neuanfang nach dem Krieg geleistet hat. Getragen wurde dieser von Persönlichkeiten wie Kurt Schumacher, dem Liberalen Theodor Heuss, Konrad Adenauer und vielen anderen, die glühende Gegner des NS-Regimes waren. Dies bleibt in den Anträgen allerdings völlig unerwähnt. Schließlich verstehe ich nicht, warum gerade jetzt diese Anträge gestellt werden. Erst im Dezember vergangen Jahres hat die Linke eine umfangreiche Große Anfrage zu dem Thema gestellt. Das BMI ist gerade damit beschäftigt, die darin enthaltenen 64 Fragen zu bearbeiten. Die Antwort auf diese Anfrage wird sehr ausführlich darlegen, inwieweit die Bundesregierung an der Aufarbeitung der Geschichte in ihren Ministerien in der Nachkriegszeit arbeitet und diese vorantreibt. Vieles aus Ihrem Antrag wird sich spätestens dann als hinfällig erweisen. Darüber hinaus nehmen zahlreiche Institutionen eine eigene Aufarbeitung vor. Öffentlichkeitswirksam wurde etwa das Auswärtige Amt aktiv. Die FDP unterstützt mit Nachdruck die nachhaltige Aufarbeitung jeglichen staatlichen Unrechts, das in diesem Lande passiert ist. Dies betrifft die NS-Zeit genauso wie die DDR-Diktatur. Ich lade Sie ein, die wirksame Aufarbeitung des SED-Unrechts und die Erfolgsgeschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gemeinsam mit uns fortzusetzen. Die vorgelegten Anträge enthalten viel Richtiges und noch mehr Selbstverständliches. Es ist grundsätzlich Staatsräson, dass wir die Nazidiktatur in Deutschland Patrick Kurth ({0}) weiterhin mit allem Nachdruck und Engagement aufarbeiten und umfassend historisch erschließen. Das betrifft alle öffentlichen Institutionen, insbesondere die obersten Behörden, deren rechtliche Vorgängerorganisationen es schon vor Gründung der Bundesrepublik gab. Grundsatz ist und bleibt: eine saubere Aufklärung, eine Aufarbeitung des Unrechts, kein Schlussstrich und keine Ignoranz bei der Bewertung der Geschehnisse, aber auch Augenmaß und Sachlichkeit. Dafür steht die Koalition.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Linksfraktion stellt heute den Antrag, die NS-Vergangenheit aller infrage kommenden Bundesministerien aufzuarbeiten. Bis heute steht eine kritische Bilanz der personellen und inhaltlichen Kontinuitäten zwischen dem NS-Regime und der Bundesrepublik Deutschland in den meisten Fällen aus. Und dies, obwohl die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zu den zentralen Lehren aus der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert gehört und der Deutsche Bundestag und sämtliche Bundesregierungen seit 1949 zumindest verbal immer wieder die enorme Bedeutung eines kritischen Blicks auf die eigene Geschichte betont haben. Diese Sicht musste immer wieder erkämpft und durchgesetzt werden. Mit der Vorstellung der Studie „Das Amt“ wurde im letzten Jahr von offizieller Seite eine weitere Etappe in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit begonnen. Die Aussage von Eckart Conze, einem der Autoren der Studie, das Auswärtige Amt wäre eine „verbrecherische Organisation“ gewesen, war für viele in ihrer Deutlichkeit überraschend, gleichwohl aber ein Meilenstein in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung. Nicht dass die Erkenntnis neu gewesen wäre: Schon die Historiker Browning, Döscher und Frei haben teils vor Jahrzehnten den verbrecherischen Charakter der „feinen Herren“ des AA untersucht und veröffentlicht. Die Abwehr dieser Erkenntnis und der Unwille, die Verstrickung der damaligen Funktionseliten in den Nationalsozialismus und ihre Wiederkehr in die bundesdeutschen Entscheidungsebenen aufzuarbeiten, haben ihre Wurzeln in den fünfziger Jahren und dauern in Teilen bis heute an. Die Studie zur Nazi-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes sorgte allerdings auch deshalb für Aufregung, weil sie belegte, wie führende NS-Eliten nach dem Krieg weiterbeschäftigt wurden. Und dies massenhaft. So waren 1950/51 rund 42 Prozent der Angehörigen des höheren Dienstes ehemalige NSDAP-Mitglieder. Diese Zahl ist umso bemerkenswerter, weil damit nur kurz nach 1945 im Amt mehr NSDAP-Mitglieder beschäftigt waren, als beispielsweise in den Jahren 1938/39. Und sie erregte Aufsehen, weil klar wurde, dass andere Bundesministerien sich immer noch einer umfassenden Aufarbeitung entziehen. Nur auf einen wichtigen Punkt hätte in der Studie ausführlicher eingegangen werden können, nämlich den Fragen nach inhaltlichen Kontinuitäten: Welchen Einfluss auf die Politik der frühen Bundesrepublik hatte die Anwesenheit so vieler ehemaliger NSDAP-Mitglieder und alter Nazis? Welche ideologischen Kontinuitäten konnten sich schleichend fortsetzen, wo gab es klare Brüche? Und inwieweit wurde dadurch der demokratischen Entwicklung der BRD geschadet? Für die Frühgeschichte der Bundesrepublik wäre es wichtig gewesen, genau solchen Fragen heute nachzugehen. Die Bundesregierung hat heute keine plausiblen Argumente, analog zur Außenamtsstudie nicht endlich auch die anderen infrage kommenden Ministerien und Behörden untersuchen zu lassen, wie es die Linke im Bundestag im vorliegenden Antrag fordert. Und erfreulicherweise liegen ja heute auch noch zwei weitere nahezu identische neue Anträge der SPD und der Grünen vor, die das gleiche Ziel verfolgen. Dies ist umso erfreulicher, weil es ja gerade bei der SPD in dieser Frage bis vor gar nicht so langer Zeit auch noch ganz andere Positionen gab. Nun werden sicherlich wieder einige von der Koalition einwenden, dass doch bereits Etliches auf den Weg gebracht und im Grunde unser Antrag längst überholt und unnötig sei. Ja, richtig, bei einigen Ministerien und Behörden tut sich seit 2005 tatsächlich etwas. Wenn man sich aber genauer anguckt, was bisher in Sachen Aufarbeitung der personellen und institutionellen Kontinuitäten passiert ist oder passiert, dann sieht das Ganze schon anders aus. Denn zum Teil steht zwar die Erforschung der Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus auf der Agenda, wie beispielsweise beim Bundesfinanzministerium, wo unter der Leitung von Ulrich Herbert seit dem Sommer 2009 eine hochrangige siebenköpfige Historikerkommission untersucht, welchen Beitrag das Reichsfinanzministerium etwa bei der Ausplünderung der Juden sowie der Finanzierung der Rüstung und des Krieges leistete, welche Handlungsspielräume es dabei gab und wie diese genutzt wurden, aber die Zeit nach 1945 ist bislang nicht Forschungsgegenstand. Und dies nicht, weil die Historiker dies nicht wollten, im Gegenteil. Oder nehmen sie das Bau- und Verkehrsministerium. Dort ließ zwar der damalige SPD-Minister Wolfgang Tiefensee vor einigen Jahren von zwei Historikern die „antijüdische Politik des Reichsverkehrsministeriums zwischen 1933 und 1945“ untersuchen, wer von den Verantwortlichen aber später auch im Bundesverkehrsministerium Politik machen konnte, wurde sicherheitshalber nicht untersucht. Hier besteht dringender Nachholbedarf, und ich bin gespannt, inwieweit Minister Ramsauer dem nachkommen wird. Oder nehmen sie das Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Dort wurde die ebenfalls 2005 in Auftrag gegebene Studie, die vor allem das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft behandelt, dem in der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie eine zentrale Rolle zukam, lange unter Verschluss gehalten. Und dies, obwohl die Studie gar nicht untersuchte, wie viele Nazis nach dem Krieg im neuen Bundesministerium weiterarbeiteten. Jetzt ist seit einigen Wochen zwar die Studie öffentlich, aber die Liste jener 62 Mitarbeiter mit möglicher Nazivergangenheit, von denen im Ministerium fünf wegen ihJan Korte rer Vergangenheit als „nicht ehrwürdig“ eingestuft wurden, fehlt weiterhin. Das sich hier Ministerin Aigner hinter Datenschutzgründen versteckt, ist mehr als peinlich. Auch das Innenministerium hat bis heute unter keiner Bundesregierung den Versuch unternommen, die eigene Geschichte kritisch aufzuarbeiten. Während zwar das BKA eine Historikerkommission beauftragt hat seine braunen Wurzeln zu untersuchen und neuerdings ja erfreulicherweise endlich auch der BND und der Verfassungsschutz Anstalten machen Ähnliches auf den Weg zu bringen, wird beim Nachfolger des Reichsinnenministeriums weiter gemauert. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit fällt übrigens nicht nur der konservativen Seite dieses Hauses schwer. Es hat zum Beispiel eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis auch die SPD-Fraktion sich in der letzten Legislaturperiode dazu durchgerungen hat, die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter mitzutragen. Umso schöner, dass die SPD sich heute mit einem eigenen Antrag für die Aufarbeitung der personellen und institutionellen Kontinuitäten und Brüche in Ministerien und Behörden der frühen Nachkriegszeit hinsichtlich ihrer NS-Vorgängerinstitutionen einsetzt. Um eine neue Debatte um die Vergangenheitspolitik anzustoßen hat meine Fraktion in dieser Legislaturperiode bereits eine ganze Reihe weiterer Anträge und Anfragen in das Parlament eingebracht. So haben wir beispielsweise gefordert, endlich den Widerstand und die unzähligen Opfer des kommunistischen Widerstandes anzuerkennen und den Ausschluss von Kommunistinnen und Kommunisten von den Entschädigungsleistungen für ihre erlittenen Qualen in den Konzentrationslagern in den fünfziger Jahren als Unrecht anzuerkennen. Ein anderer Antrag, dem sich dann inhaltlich auch die Grünen mit ihrem Antrag „Verantwortlichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf Eichmann“ anschlossen, fordert die Aufarbeitung der Geschichte des BND und die Offenlegung der Akten zum Fall Eichmann. In einer großen Anfrage, für deren Beantwortung sich die Bundesregierung nun insgesamt fast 11 Monate Zeit nehmen möchte, wird insgesamt die Frage des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik gestellt. Was wir aber insgesamt brauchen, ist eine viel systematischere Beschäftigung mit dem Thema. Nötig ist endlich ein Gesamtkonzept zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Bundesministerien und -behörden - mit nachvollziehbaren Kriterien, klaren Aufträgen zum weiteren Umgang mit dem Thema, einem uneingeschränkten Zugang zu den Akten und Dokumenten und einer ausreichenden finanziellen Ausstattung. Die Bundesregierung und der für Erinnerungskultur zuständige Kulturstaatsminister Neumann sind hier eigentlich schon lange in der Pflicht, ein solches Konzept vorzulegen. Aber da sie es ja alleine offensichtlich nicht hinbekommen, soll ihnen unser Antrag nun dabei helfen. Die aktuelle Debatte zeigt, dass Geschichte nach wie vor ein umkämpftes Feld ist. Trotz vieler Rückschritte und Niederlagen müssen dabei aber nicht zwangsläufig die Apologeten und Geschichtsrelativierer die Oberhand gewinnen. Es gab immer wieder Durchbrüche für eine kritische Geschichtsauffassung. Und obwohl natürlich die alten Eliten das politische Klima der Bundesrepublik bis in die achtziger Jahre maßgeblich geprägt haben, so taten dies eben aber auch linke Wissenschaftler, Initiativen, Gewerkschaften und in einem nicht zu vernachlässigenden Teil ein geschichtsbewusstes Bürgertum sowie kritische Medien. Ich bin mir sicher, dass wir heute andere Zeiten und auch andere gesellschaftliche Mehrheiten haben als noch in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Klar ist aber auch eines: Geschichtspolitischen Fortschritt gibt es immer nur durch breiten gesellschaftlichen Druck.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die von Bundesaußenminister Joschka Fischer 2005 in Auftrag gegebene Studie, die im letzten Jahr unter dem Titel „Das Amt und die Vergangenheit“ veröffentlicht wurde, hat ein über viele Jahre verbreitetes Geschichtsbild als Legende erwiesen. Das Auswärtige Amt war in der NS-Zeit kein „Hort des Widerstands“, sondern tief verstrickt in die Verbrechen der Nationalsozialisten. Es hat die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ und Verbrechen an anderen Opfergruppen nicht nur nach außen hin gedeckt, sondern sich auch aktiv an ihnen beteiligt. Zudem gehört zu den dunkelsten Kapiteln in der Geschichte der Bundesrepublik, dass viele der Diplomaten und Mitarbeiter, die sich hier schuldig machten, nach dem Krieg ihre Karriere im Auswärtigen Amt fortsetzen konnten. Nur wenige wurden zur Rechenschaft gezogen. Mit der Veröffentlichung der Studie fiel ein Schlaglicht auch auf andere Bundesministerien und Behörden. Auch hier gab es tiefgehende Verstrickungen von Vorgängerinstitutionen in die Verbrechen des Dritten Reiches und ebenso problematische personelle und institutionelle Kontinuitäten nach dem Krieg, ein weitverbreitetes Schweigen über die Vorgeschichte und auch fahrlässiges Nichtstun und mutwilliges Vertuschen und Verdrängen. Nach dem Erscheinen der Studie zum Auswärtigen Amt haben wir als Grüne-Fraktion zusätzliche Initiativen gestartet, um eine offene und verantwortliche Aufarbeitung der Geschichte der Bundesministerien und -behörden zu befördern. Im November 2010 brachten wir eine Kleine Anfrage - Bundestagsdrucksache 17/3929, Antwort auf Drucksache 17/4344 - zur Vorgeschichte von Bundesministerien, Botschaften und obersten Bundesbehörden in der NS-Zeit auf den Weg. In den Antworten führt die Bundesregierung Einzelforschungen und -maßnahmen an, was hilfreich ist, um einen Überblick über den gegenwärtigen Stand zu gewinnen. Hierfür bedanken wir uns ausdrücklich. An vielen Stellen sind die Antworten jedoch sehr ausweichend. Was wir besonders problematisch finden, ist, dass die Bundesregierung es ausdrücklich ablehnt, ein Claudia Roth ({0}) Gesamtkonzept zur Aufarbeitung der Vorgeschichte der Bundesministerien und Behörden in der NS-Zeit und zu den problematischen personellen und institutionellen Kontinuitäten vorzulegen. Damit will sie es bei einem ziemlichen Flickenteppich in der Aufarbeitung belassen, mit dem wir es im Augenblick zu tun haben, bei Einzelaktivitäten, die abhängig sind von Initiativen der jeweiligen Amtsführungen oder besonderen Forschungsintentionen. Ebenfalls aus dem November 2010 stammt eine Kleine Anfrage unserer Fraktion zur „Erleichterung des Forschungszugangs zu Archiven des Auswärtigen Amts und anderer Bundesministerien“; Drucksache 17/3804, Antwort auf Drucksache 17/4339. Hier ist offensichtlich einiges zu verbessern. Auch die Historikerkommission des Auswärtigen Amtes hatte ja kritisiert, dass sie viele Materialien erst sehr spät - wenn überhaupt - bekommen hat. Im Februar 2011 folgte unser Antrag „Berichte zur NS-Vergangenheit des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz veröffentlichen“; Drucksache 17/4696. In diesem Antrag geht es um Berichte, die noch in der Amtszeit von Renate Künast als Verbraucherschutzministerin in Auftrag gegeben, nach ihrer Fertigstellung von den Amtsnachfolgern aber nicht veröffentlicht worden sind. Es ist doch wirklich ein Unding, wenn solche wichtigen Forschungen unter Verschluss bleiben. Hier ist der Eindruck entstanden, dass es mit der Politik der Vertuschung und Verdrängung immer noch kein Ende haben soll. Ein grüner Antrag aus dem Januar 2011 mit dem Titel „Verantwortlichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf Eichmann“ - Drucksache 17/4586 - ist am heutigen Tag an anderer Stelle auf der Tagesordnung, leider nicht zusammen mit den Anträgen, die wir hier diskutieren, weil die SPD und die Regierungskoalition der Meinung waren, dass der Antrag zu Eichmann und Barbie aus „inhaltlichen Gründen“ nicht zum Thema „Personelle und institutionelle Kontinuitäten zur NS-Zeit“ passe, das wir an dieser Stelle diskutieren. Das verwundert mich doch sehr. Der grüne Antrag beschäftigt sich mit wirklich unglaublichen Vorgängen, nämlich damit, dass der „Organisation Gehlen“ bzw. ihrem Nachfolger, dem BND, bereits seit 1952 bekannt war, wo sich der Holocaustorganisator Adolf Eichmann versteckte. Dieses Wissen wurde jedoch geheim gehalten, sogar über den Zeitpunkt von Eichmanns Ergreifung 1960 hinaus. Ebenso unfassbar ist es, dass der BND den sogenannten Schlächter von Lyon, Klaus Barbie, 1966 als Agenten anwarb, in Kenntnis von dessen Vergangenheit - ein Vorgang, den der „Spiegel“ am 17. Januar 2011 öffentlich machte, angeblich auf der Grundlage von BND-Akten im Bundesarchiv. Das Parlament und die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, über alle Aspekte dieser Vorgänge und die Verantwortlichkeiten unterrichtet zu werden. Genau das fordern wir von der Bundesregierung - und das hätten wir gerne auch an dieser Stelle diskutiert. Wir freuen uns, dass aus anderen Fraktionen ebenfalls Aktivitäten zur Aufarbeitung des Themas der NSVorgängerinstitutionen der Bundesministerien und -behörden kommen. Was den SPD-Antrag auf Drucksache 17/6297 vom 28. Juni 2011 angeht, so wäre es besser gewesen, wenn es als deutliches Signal hier eine gemeinsame Einbringung mit uns Grünen gegeben hätte. Eine solche gemeinsame Aktivität hatten wir schon vor einiger Zeit angeregt. Und sie war ja eigentlich schon auf dem Weg. Am Dienstag kam dann in letzter Minute die Botschaft, dass die SPD doch alleine einen Antrag einbringen will. Das bedauern wir und halten es auch politisch für nicht sinnvoll. Da der SPD-Antrag jedoch viele grüne Forderungen aus den letzten Monaten und Jahren sehr gut widerspiegelt, unterstützen wir ihn und bringen - mit einer wichtigen Konkretisierung und Weiterentwicklung - gerne auch eigenständig einen Antrag ein; Drucksache 17/6318. Was jetzt nottut, ist eine systematische Aufarbeitung des Themas. Diesen Gedanken heben wir besonders hervor. Damit so etwas in Gang kommt, benötigen wir ein Konzept und ein koordiniertes Vorgehen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Aufarbeitung der personellen und institutionellen Kontinuitäten und Brüche in den Bundesministerien und -behörden hinsichtlich der NS-Vorgängerinstitutionen vorzulegen. Die weitere Koordination des Vorgehens sollte beim Beauftragten für Kultur und Medien liegen, in dessen Aufgabenbereich ja auch das Thema Erinnerungskultur fällt. Ein solches Konzept muss aufzeigen, wo noch besondere Wissenslücken bestehen und zu schließen sind. Es muss klare Kriterien geben, wie mit Forschungsergebnissen im Weiteren umzugehen ist. Natürlich müssen die Forschungen veröffentlicht werden. Geheimhaltungspolitik in dieser Frage hinterlässt den denkbar übelsten Geschmack. Wir brauchen auch Kriterien dafür, wie die entsprechenden Ergebnisse in die konkrete Arbeit der Ministerien und Behörden einfließen sollen, zum Beispiel in der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir brauchen auch Klarheit mit Blick auf die Nachrufpraxis der Ministerien und Behörden bei Mitarbeitern mit NS-Belastung. Die Aufweichung der Nachrufregelung, die Joschka Fischer im Außenministerium eingeführt hatte, durch Guido Westerwelle ist kontraproduktiv und weist in die falsche Richtung. Sie sehen also: Es gibt viel zu tun. Ich werbe dafür, dass alle Fraktionen gemeinsam aktiv werden, um der Gesamtverantwortung in der Sache gerecht zu werden. Und natürlich lade ich auch die SPD ein, die ja auch aus der Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, an dem sie besonderen Anteil hatte, die Bedeutung des Themas sehr gut kennt. Es wäre schön, wenn es sich bei dem SPD-Antrag von heute nicht nur um eine Pflichtübung handelte, um das Thema dann damit abzuhaken. Mit Blick auf Herrn Thierse sage ich, dass ich es sehr gut verstehe, wenn das Thema Aufarbeitung der NS-Vergangenheit vielen Sozialdemokraten deutlich wichtiger ist als Debatten um den WiederaufClaudia Roth ({1}) bau des Hohenzollernschlosses, als Streitereien um Einheitsdenkmäler, deren Bedeutung in der Öffentlichkeit schlecht vermittelt wurde, oder als die Arbeit oder Nichtarbeit einer Vertriebenenstiftung mit dubiosen Stiftungsratsmitgliedern.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/3748, 17/6297 und 17/6318 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur die Tagesordnung ist erschöpft, sondern auch wir. ({0}) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 1. Juli 2011, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich bedanke mich bei allen, die noch ausgehalten haben. Vielen herzlichen Dank.