Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist er-
öffnet.
Die Fraktion der FDP hat mitgeteilt, dass die Kollegin
Christine Aschenberg-Dugnus als Schriftführerin aus-
scheidet. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Claudia
Bögel vorgeschlagen. Seitens der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen werden drei neue Schriftführerinnen und
Schriftführer benannt. Die Kollegin Daniela Wagner so-
wie die Kollegen Uwe Kekeritz und Sven-Christian
Kindler haben ihr Amt aufgegeben. Ihnen sollen die
Kollegin Viola von Cramon-Taubadel sowie die Kolle-
gen Harald Ebner und Tobias Lindner nachfolgen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Wider-
spruch. Dann sind die genannten Kolleginnen und Kolle-
gen hiermit Schriftführerinnen und Schriftführer in unse-
rem Parlament.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis h auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
- Drucksache 17/6246 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung
der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
- Drucksache 17/6247 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 17/6248 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus
Elektrizitätsnetze
- Drucksache 17/6249 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden
- Drucksache 17/6251 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Redetext
Vizepräsident Eduard Oswald
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“
({5})
- Drucksache 17/6252 ({6}) Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den
Städten und Gemeinden
- Drucksache 17/6253 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung schifffahrtsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 17/6254 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Eine Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt ist
nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zu den
Überweisungen. Interfraktionell wird Überweisung der
Gesetzentwürfe, die ich jetzt nicht eigens vorlese, auf
den Drucksachen 17/6246, 17/6247, 17/6248, 17/6249,
17/6251, 17/6252 ({10}), 17/6253 und 17/6254 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Ergebnisse der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Dr. Guido
Westerwelle. - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am 27. und am 28. Juni dieses Jahres die ersten
deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen durchgeführt. Dass wir uns mit China auf Kabinettsebene treffen, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein ganz
außergewöhnlicher und auch bemerkenswerter Vorgang,
der ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen
Deutschland und China öffnet. Deswegen ist dies natürlich am heutigen Tag Thema im Kabinett gewesen. Ich
freue mich darüber, dass es auch Ihr Interesse hier im
Deutschen Bundestag, im Hohen Hause, findet.
Die Entscheidung wurde getroffen, da sich unsere Beziehungen in vielen Bereichen nicht unproblematisch,
aber doch so dicht gestaltet haben, dass es sinnvoll ist,
sich regelmäßig in einem breiten Rahmen abzustimmen.
Für China waren dies die ersten Regierungskonsultationen überhaupt, die durchgeführt worden sind. Gleich bei
diesen ersten Regierungskonsultationen hat uns Premierminister Wen Jiabao mit elf Ministern und drei Vizeministern in den letzten beiden Tagen besucht. Das ist von
chinesischer Seite ein Ausdruck der besonderen Wertschätzung der deutsch-chinesischen Beziehungen. China
sieht in Deutschland auch einen wichtigen Partner für
seine Beziehungen zur Europäischen Union und erwartet
von uns, dass wir unsererseits die EU-China-Beziehungen gemeinsam mit anderen wichtigen Partnern voranbringen und mitgestalten. Das wollen wir natürlich auch
tun.
Wir haben viele globale Fragen, aber auch viele bilaterale Fragen miteinander besprechen können. Ich bin
jetzt nicht in der Lage, in wenigen Minuten alles vorzutragen, was an zwei Tagen in zahlreichen Begegnungen
ausführlich besprochen worden ist, und verweise deswegen auf die veröffentlichte gemeinsame Presseerklärung
der Bundesregierung und der chinesischen Regierung.
Wir haben unsererseits die EU-Positionen zu China
im Zusammenhang mit wichtigen Fragen erläutert. Ich
nenne zum Beispiel das Thema Marktwirtschaftsstatus.
Interesse hat China vor allen Dingen daran gezeigt, wie
die innereuropäische Situation sowie die Stabilität des
Euros und die Finanzsituation in der Europäischen
Union von uns beurteilt werden. Sie alle haben den Berichten entnehmen können, dass es nicht nur ein Investmentinteresse gegenseitiger Natur gibt, sondern dass es
ganz augenscheinlich auch ein massives Interesse Chinas - das hat der Premierminister gestern noch einmal
öffentlich unterstrichen - an einem starken Euro und an
einer entsprechend positiven Entwicklung dieser gemeinsamen Währung gibt.
Ich kann nicht verhehlen, dass diese Regierungskonsultationen im Vorfeld belastet gewesen sind, unter anderem durch die Verhaftungen von bekannten Persönlichkeiten. Wenn wir über so berühmte Persönlichkeiten
sprechen wie beispielsweise über den Künstler Ai
Weiwei - für den ich mich selbst, wie Sie wissen, sehr
verwandt und eingesetzt habe -, bitte ich allerdings darum, dass wir nicht die anderen vergessen, die bei uns im
Westen keine derartige Prominenz besitzen. Auch sie
sind Teil unseres Menschenrechtsengagements. Das
heißt: Wir wollen nicht nur auf die schauen, die derzeit
im Westen einen großen Namen haben, für die es Ausstellungen, Sympathie- und Solidaritätsbekundungen
gibt und bei denen sich Abgeordnete - oftmals aufgrund
eigener persönlicher Beziehungen - einbringen. Daher
haben wir selbstverständlich auch diesmal wieder eine
Liste übergeben - wie es frühere Bundesregierungen bereits getan haben -, um ganz konkret Menschen in ihrer
Not zu helfen und ihr Schicksal nicht zu vergessen.
Wir haben uns ausdrücklich nicht nur über die Frage
der wirtschaftlichen Beziehungen ausgetauscht, sondern
auch über die ganze Palette der anderen Fragen zum
Thema Menschenrechte und zum Rechtsstaatsdialog.
Wir haben auch ein intensives Gespräch über die TibetFrage und die Haltung zum Dalai-Lama geführt. Ich
habe für die Bundesregierung - ebenso wie die Bundeskanzlerin - die Erwartung deutlich gemacht, dass die anhaltend schwierige Menschenrechtslage unsere bilateralen Beziehungen nicht belasten darf, sondern dass das in
einem Zusammenhang gesehen wird.
Allerdings möchte ich hinzufügen: Ich bin unverändert der Überzeugung, dass das Prinzip „Wandel auch
durch Handel“ ausdrückt, worauf es wirklich ankommt.
Wer nur die wirtschaftlichen Beziehungen sieht und
meint, das habe mit der Gesellschaft nichts zu tun, wer
nur die ökonomische Seite betrachtet und dabei die Seite
der Werte und der Bürgerrechte gewissermaßen auf eine
ganz andere Ebene stellt, der wird meiner Einschätzung
nach der Komplexität der Entwicklung nicht gerecht. Es
geht darum, dass wir auch durch wirtschaftlichen Austausch gesellschaftlichen Fortschritt bewegen wollen.
Wir haben in unserer eigenen Geschichte selbst die Erfahrung gemacht, dass dieses Prinzip positiv wirken
kann.
Wir haben insgesamt 19 konkrete Vereinbarungen getroffen, die ich wiederum - Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis - hier nicht alle einzeln aufführen möchte, es sei
denn, sie würden von Ihnen einzeln nachgefragt. Dabei
ging es nicht nur um Themen wie E-Mobilität oder um
Wirtschaftsentwicklungen, sondern es ging zum Beispiel
auch um die Entscheidung, in Shenyang ein weiteres Generalkonsulat zu eröffnen. Das sind ganz handfeste Fragen. Diejenigen, die als Experten in diesem Bereich tätig
sind, wissen: Bis hin zum Visa-Dialog stehen eine
Menge Fragen nicht nur hinsichtlich unserer Wissenschafts-, sondern auch unserer Wirtschaftsbeziehungen
auf der Tagesordnung.
Herausstreichen möchte ich die Vereinbarungen zur
Hochschulzusammenarbeit und zur Kooperation bei der
Berufsausbildung. Das tue ich nicht deswegen, weil Herr
Kollege Burgbacher neben mir sitzt, sondern weil wir
auf unseren Reisen - zum Beispiel nach China oder in
andere Länder - merken, welch hohe Wertschätzung das
Prinzip unserer beruflichen Bildung genießt. Das ist ausdrücklich auch bei unseren chinesischen Partnern der
Fall. Es gibt auf beiden Seiten ein reges Interesse daran,
sich auszutauschen.
Wir haben uns vorgenommen, das Volumen des bilateralen Handels bis zum Jahre 2015 auf über
200 Milliarden Euro zu steigern. Zum Vergleich: 2010
wurde ein Handelsvolumen von 130 Milliarden Euro erreicht; schon das war ein Zuwachs gegenüber 2009 um
etwa 35 Prozent. Das allein zeigt schon, in welch rasantem Tempo sich hier die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen entwickeln. Dies liegt im gegenseitigen Interesse.
Die Regierungskonsultationen hatten eine sehr ausgeprägte globale, außenpolitische Komponente. Wir haben
uns zum Beispiel ausführlich über die Umbrüche und die
Lage in der Region südlich des Mittelmeers - im Norden
Afrikas, aber auch in der arabischen Welt insgesamt unterhalten. Ich möchte hier jetzt nicht alles wiedergeben, es sei denn, es wird von Ihnen speziell nachgefragt.
Natürlich haben wir auch über das Thema Libyen gesprochen, über die Frage der Einhaltung des Rahmens
der UN-Resolution 1973, die, wie Sie wissen, insbesondere von den BRIC-Staaten, also auch von China, immer
wieder angesprochen wird und auch hier in unseren Gesprächen angesprochen wurde.
Wir haben uns auch über die Frage unterhalten, wie
wir in New York eine gemeinsame Sprache zum Thema
Syrien finden. Sie wissen, dass die europäischen Partner,
also Frankreich, Großbritannien, Portugal und Deutschland, eine Initiative gestartet haben, um eine klare, gemeinsame internationale Sprache bei den Vereinten Nationen zu finden. Sie wissen, dass wir hier noch eine
Menge Überzeugungsarbeit leisten müssen; das betrifft
übrigens ausdrücklich nicht nur China, aber auch China.
Auch dies ist Thema unserer Beratungen gewesen.
Das Ergebnis der Konsultationen bestätigt, dass es
eine richtige Entscheidung war, die deutsch-chinesischen Beziehungen auf eine neue Ebene zu führen. Die
Außenminister haben bereits einen strategischen Dialog
vereinbart. Wir haben verabredet, dass die Regierungskonsultationen im nächsten Jahr fortgesetzt werden.
Dann werden wir in China zu Gast sein.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister Dr. Westerwelle. - Bevor
ich die erste Frage aufrufe, möchte ich auf Folgendes
hinweisen: Bei den beiden letzten Regierungsbefragungen hat der Präsident die Zustimmung des Plenums für
seinen Vorschlag erhalten, dass sowohl die Fragen als
auch die Antworten jeweils nur eine Minute dauern sollten. So können mehr Fragesteller zu Wort kommen. Die
Regierungsbefragung wird durch diese Konzentration
insgesamt lebendiger. Auch im Ältestenrat hat dies allgemeine Zustimmung gefunden. Nach Ablauf einer Minute wird also ein akustisches Signal ertönen, das daran
erinnert, zum Schluss zu kommen. Ich weise darauf hin,
dass man selbstverständlich immer auch unter einer Minute bleiben darf. Sie sind damit ganz sicher einverstanden. - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich,
den Herr Bundesminister Dr. Westerwelle dargestellt
Vizepräsident Eduard Oswald
hat, zu stellen. Erste Fragestellerin ist Frau Kollegin von
Cramon-Taubadel. Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Minister. - Sie haben die globale
Bedeutung Chinas in der Welt betont. Sie haben auch betont, mit welcher Delegation die Chinesen hier angereist
sind. Sie haben die Bedeutung der Beziehungen mit einem Kommuniqué unterstrichen. Ich denke, das findet
unsere volle Zustimmung.
Wir wissen, dass die Chinesen im Vorfeld dieses Besuches unter anderem ein Weißbuch für die bilaterale
Zusammenarbeit mit Deutschland verfasst haben, das relativ detailliert auf die Zusammenarbeit eingeht. Wir dagegen haben mit Amtseinführung von Minister Niebel
den genau gegensätzlichen Effekt erlebt: Seine erste Ankündigung war, die Mittel für die bilaterale Zusammenarbeit zusammenzustreichen, unter anderem die Mittel
für den von Ihnen erwähnten Rechtsstaatsdialog mit den
Chinesen, der seit über zehn Jahren läuft und, wie wir
wissen, sehr erfolgreich abgehalten wird. All das soll
jetzt eingestellt werden.
Was ist dazu in den Gesprächen mit den Chinesen
verabredet worden? Sie haben unter anderem gesagt und
geschrieben, dass es eine neue Koordinationsstelle geben soll. Wo soll sie eingerichtet werden? Wie soll sie
personell ausgestattet werden? Vielleicht können Sie das
etwas genauer ausführen.
Vielen Dank. - Herr Bundesminister.
Frau Kollegin, ich bitte zunächst einmal um Verständnis dafür, dass ich einzelne Fragen zum Finanzrahmen,
zum Beispiel die Frage, wie einzelne Stellen, die sich
mit der Zusammenarbeit befassen, ausgestattet worden
sind, als Bundesminister jetzt hier nur schwer beantworten kann. Ich bin natürlich bereit, Ihnen jede Zahl, die
wir in der Haushaltsplanung schon kennen, zu übermitteln; aber Sie wissen, dass die Haushaltsplanungen derzeit stattfinden. Deswegen ist es für mich als Minister
derzeit nicht möglich, zu sagen, wie die Situation konkret aussieht.
Wir sind gerade dabei, den Haushalt aufzustellen.
Wenn Sie den Haushalt im Hohen Hause beschlossen haben, dann sind wir in der Lage, Ihnen zu sagen, wie die
von Ihnen uns zur Verfügung gestellten Mittel konkret
eingesetzt werden; umgekehrt geht es nicht. Ansonsten
müsste ich darauf verweisen, was im Antrag der Bundesregierung vorgeschlagen wird. Sie wissen, dass wir uns
derzeit in den Beratungen befinden. Das zu der Frage
nach den konkreten Zahlen.
Frau Kollegin, ich teile Ihre Auffassung nicht, dass
beispielsweise der Rechtsstaatsdialog eingeschränkt
worden ist.
({0})
- Ist das dieses Geräusch, Herr Präsident?
Ja, das ist es, und daran sieht man auch, wie schnell
eine Minute vergeht.
({0})
Aber was ist schon eine Minute in Anbetracht der globalen Herausforderungen, Herr Präsident.
Ich will kurz anmerken: Dies scheint eine neue Sitte
zu sein. Ich bin schon eineinhalb Jahrzehnte Mitglied
des Deutschen Bundestages, aber solch neumodische
Sitten im Deutschen Bundestag wie Gong und Ähnliches
habe ich bis jetzt noch nicht mitbekommen.
Das ist das lebendige Parlament, Herr Bundesminister.
Ich bitte Sie deswegen beim ersten Mal um Nachsicht. Beim zweiten Mal werde ich mich genau an die
60 Sekunden halten.
Wir werden den Rechtsstaatsdialog mit großer Kraft
unverändert fortsetzen. Mein Kollege Niebel hat keineswegs die Zusammenarbeit mit China beendet, sondern er
hat das getan, was das gemeinsame Ziel der Bundesregierung ist. Wir sind der Überzeugung: Ein Land wie
China, das weltweit sehr viel Entwicklungshilfe leistet,
ist nicht darauf angewiesen, klassische Entwicklungshilfe von uns zu bekommen. Deswegen ist die Politik gegenüber China zu Recht verändert worden.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist unser Kollege Manfred Grund.
Herr Präsident! Vorab möchte ich feststellen: Nicht
jede Frage bzw. nicht jede Antwort lässt sich auf eine
Minute verkürzen. In Anlage 7 unserer Geschäftsordnung, „Befragung der Bundesregierung“, steht, dass mit
einer einleitenden Bemerkung zu einer Frage hingeführt
werden kann. Ich bitte deshalb um etwas mehr Großzügigkeit. Die bisherige Praxis war gar nicht schlecht.
Herr Minister, die Konsultationen mit China fügen
sich ein in Regierungskonsultationen, die wir mit Indien
hatten, und Konsultationen, die wir mit Russland führen
werden. Trotzdem sind die Konsultationen mit China etwas Besonderes, weil es kaum eine Volkswirtschaft gibt,
die sich so dynamisch entwickelt hat und die so eng mit
unserer verwachsen ist wie die chinesische Volkswirtschaft. Unsere Volkswirtschaft hätte ohne die starke
Nachfrage aus der Volksrepublik die weltweite Finanzkrise bei weitem nicht so gut überstanden. Zu den Risiken wird sich gelegentlich - in den Zeitungen kann man
das nachlesen - geäußert. Könnten Sie bitte etwas zu den
großen Chancen, die sich gerade aus der Dynamik der
Beziehung ergeben, im Vergleich zu möglichen Risiken
sagen?
Herr Bundesminister.
Ich werde versuchen, meine Antwort auf eine Minute
zu beschränken. - Zunächst einmal möchte ich Ihnen
ausdrücklich recht geben, dass die Diskussion, die wir in
den letzten drei Tagen in Deutschland erlebt haben - das
starke chinesische Wachstum und das internationale
Engagement Chinas wurden auf nationaler Ebene erst
einmal als Risiko betrachtet -, meines Erachtens in die
falsche Richtung geht.
Die Zusammenarbeit mit China ist eine enorme
Chance, nicht nur in Bezug auf globale Herausforderungen, sondern auch für unsere wirtschaftlichen Beziehungen. Wir erleben, dass in China ein Mittelstand mit mehreren Hundert Millionen Menschen entsteht. Es besteht
ein großes Interesse an deutschen Qualitätsprodukten.
Die wollen wir veräußern. Im Übrigen: Mit wachsender
Mittelschicht wachsen auch die Übersicht und die Intensität von Bildung, und damit wiederum wächst das bürgerrechtliche Engagement. Beides gehört zusammen.
Vielen Dank. Sie haben gesehen, es hat keinen Ton
gegeben. - Nächster Fragesteller ist unser Kollege
Dr. Rolf Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Mich erinnert das
akustische Signal an einen chinesischen Gong, aber ich
bezweifle, dass das möglicherweise mit der heutigen Befragung zusammenhängt.
({0})
Auch wir sehen in den Regierungskonsultationen ein
bedeutendes Ereignis. Herr Bundesaußenminister, ich
würdige ausdrücklich, dass die Philosophie „Wandel
durch Annäherung“, die von Ihnen nicht neu erfunden
worden ist, durchaus Sinn macht. Ich erinnere aber auch
an die Fragen, die Sie damals in der Opposition gestellt
hatten. Auch wir hatten längere Diskussionen mit Vorgängerregierungen, wenn es um andere Länder gegangen ist.
Meine konkrete Frage lautet: Ihr Kollege hat nicht nur
das Thema Marktzugang in einer Erklärung erörtert,
sondern insbesondere auch die Frage aufgeworfen, ob
Deutschland helfen könnte, das Waffenembargo abzuschwächen. Haben Sie diese Fragen aufgenommen? Haben Sie im Rahmen der Regierungskonsultationen dazu
eine neue Position entwickelt? Ich bitte Sie, dies dem
Parlament mitzuteilen.
Sie sprachen in diesem Zusammenhang Syrien an.
Das finde ich sehr wichtig. Mich würde aber auch interessieren, ob der Iran in den Gesprächen eine Rolle gespielt hat, insbesondere angesichts der jüngsten Entwicklungen dort im Rüstungsbereich.
Vielen Dank. - Herr Bundesminister.
Herr Kollege Mützenich, das Prinzip „Wandel durch
Annäherung“ bzw. „Wandel durch Handel“ ist weder
von mir noch von Ihnen erfunden worden, sondern es
wurde zu einem Zeitpunkt entwickelt, als wir beide uns
eher für unsere Schultüte, aber bestimmt nicht für Politik
interessiert haben, nämlich Mitte/Ende der 60er-Jahre.
Dieses Prinzip ist Teil und Grundlage der neuen Ostpolitik gewesen und wurde, wie wir wissen, von der Regierung Brandt/Scheel vorgebracht.
Die Frage zum Waffenembargo ist einfach zu beantworten. Wir haben immer gesagt, dass das alles mit der
Entwicklung auch im Bereich der Menschenrechte zusammenhängt, also auch mit der Entwicklung der Zivilgesellschaft. Die Position dieser Bundesregierung dazu
ist unverändert. Altbundeskanzler Gerhard Schröder
hatte seinerzeit, wie Sie wissen, einen anderen Vorschlag
dazu unterbreitet. Die Haltung dieser Bundesregierung
ist, wie gesagt, unverändert. Sie ist hier bereits mehrfach
erläutert worden.
Ja, der Iran ist ein wichtiges Thema gewesen. Es ist
richtig, dass es diesbezüglich unterschiedliche Betrachtungen gibt. Wir haben für die Bundesregierung noch
einmal darauf hingewiesen, dass aus unserer Sicht nicht
nur die Menschenrechtslage im Iran ein Thema sein
sollte - dieses Thema wird in Anbetracht des Nuklearprogramms oft vergessen -, sondern auch die nukleare
Bewaffnung des Iran, die wir in keiner Weise akzeptieren können.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Nächster Fragesteller ist unser Kollege Stefan Liebich.
Sehr geehrter Herr Außenminister, ich möchte Ihnen
gerne eine weitere Minute schenken, um auf ein kleines
Detail eingehen zu können. Mich würde interessieren, ob
zu den außenpolitischen Themen auch die Spannungen
auf der koreanischen Halbinsel gehörten. China hat ja einen besonderen Zugang zur nordkoreanischen Regierung. Mich würde interessieren, ob Sie über die Situation
dort sowie über die Sechs-Parteien-Gespräche und deren
weiteren Verlauf geredet haben.
Herr Bundesminister.
Ich kann Ihnen berichten, dass dieses Thema und die
sehr konstruktive Haltung Chinas, was die in den letzten
Monaten zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen
zwischen Nord- und Südkorea angeht, Teil meiner Gespräche und meiner Konsultationen in China selbst waren. Ich habe Mitte bzw. Ende März - ich müsste das Datum nachsehen - in Peking mit Außenminister Yang
gesprochen. Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass
ich die sehr verantwortungsvolle Haltung Chinas, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass China auf Deeskalation setzt und niemanden ermutigt, bei unterschiedlichen
Positionen zu gewalttätigen Aktionen zu greifen, unterstütze.
Die Sechs-Parteien-Gespräche sind für uns entscheidend. China wiederum ist innerhalb der Gespräche - das
ist jedem hier klar - aufgrund seiner besonderen Nähe zu
Nordkorea - ich meine nicht nur die geografische Nähe von allergrößter Bedeutung. Ich will nicht sagen, dass wir
alles gutheißen, was zwischen China und Nordkorea
stattfindet, aber ich möchte schon sagen: In den letzten
Monaten hat sich China als ein konstruktiver und auch als
ein sehr mäßigend wirkender Partner im Hinblick auf
diese Situation eingebracht. Ich habe das öffentlich und
nicht nur in den Gesprächen gewürdigt.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Frau Kathrin Vogler.
Herr Minister, ich möchte den Blick auf einen anderen Teil der Welt richten. China ist auch in Afrika ein
großer Player. Sie selbst haben die Bedeutung Chinas für
die Entwicklungszusammenarbeit angesprochen. Bei
meinem Besuch im Sudan im letzten Jahr konnte ich sehen, welche Rolle China dort spielt. Deshalb möchte ich
Sie fragen, ob Sie auch die aktuelle Entwicklung im Sudan besprochen haben. Die Unabhängigkeit des Südsudans steht ja unmittelbar bevor. Diesbezüglich gibt es
aber immer noch offene und ungeklärte Fragen. Haben
Sie darüber und über die Möglichkeit eines positiven
Einwirkens auf die Konfliktparteien seitens der chinesischen und der deutschen Regierung gesprochen?
Vielen Dank. - Herr Bundesminister.
Ein Land, eine Minute. - Ich kann Ihnen berichten,
dass wir über dieses Thema ausführlich gesprochen haben, auch vor dem Hintergrund, dass ich letzte Woche
meine Reisen in den Nordsudan, Südsudan und nach
Darfur beendet habe. Ich habe letzte Woche Khartoum,
Darfur und Juba besucht. Ich habe mich mit meinem chinesischen Amtskollegen ausführlich über diese Frage
ausgetauscht. Denn China spielt hier, was viele in
Europa nicht wissen, eine ganz bedeutende Rolle; darauf
haben Sie bereits hingewiesen.
Ich bin der Überzeugung, dass wir alle unsere Konzentration und Kräfte dafür nutzen sollten, den Nordsudan davon zu überzeugen, dass die Präsenz der Vereinten
Nationen richtig ist und auch nach dem 9. Juli akzeptiert
werden sollte. Ob uns das gelingt, bleibt abzuwarten. Ich
habe in meinen Gesprächen mit dem Vizepräsidenten in
Khartoum und mit meinem nordsudanesischen Amtskollegen, dem Außenminister, noch einmal deutlich gemacht, dass wir hier Wege finden sollten.
Am 9. Juli - Herr Präsident, ich erlaube mir, dies
noch zu sagen - gelingt uns hoffentlich, wenn es auf den
letzten Metern nicht noch Probleme gibt, der erfolgreiche Abschluss eines Referendums, dessen Durchführung
und Akzeptanz viele von uns vor einem Dreivierteljahr
nicht für möglich gehalten haben. Aber damit sind die
Fragen der Stabilität zwischen Nord und Süd und der inneren Stabilität des dann neu ausgerufenen Staates
Südsudan - es gibt dort viele ethnische Unterschiede;
viele kleine Gruppen und Stämme stehen sich dort zum
Teil gewaltbereit gegenüber - noch nicht ausreichend
beantwortet.
Ich selbst werde am 13. Juli im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Vorsitz führen, wenn der Südsudan
in die internationale Völkergemeinschaft aufgenommen
werden soll. Ich hoffe und setze darauf, dass die Entwicklung stabil bleibt. Durch den erfolgreichen Vermittlungsversuch von Präsident Mbeki ist die Entwicklung
in der Region Abyei positiv beeinflusst worden. Allerdings wissen wir, dass Abyei nur eine der noch offenen
Fragen ist. Es gibt weitere Fragen bezüglich Südkurdufan und - dieses Problem ist unverändert - Darfur. Es
geht auch um die Altschulden und vieles mehr.
Diese Haltung habe ich gegenüber dem chinesischen
Amtskollegen deutlich gemacht, und wir werden sie
auch weiterhin in der Sudanpolitik verfolgen. Wir werden im Auswärtigen Ausschuss hoffentlich bald nach
dem 9. Juli die Gelegenheit haben, darüber zu reden,
welche Konsequenzen das für unser Verhältnis zum
Nordsudan hat.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin von Cramon-Taubadel.
Herr Minister, ich möchte noch einmal auf die Zusammenarbeit im Finanzsektor zurückkommen. Am
30. März hat das BMF mit China einen Vertrag abgeschlossen, in dem man sich auf eine Modernisierung des
chinesischen Finanzsektors verständigt hat. Man braucht
China in der internationalen Zusammenarbeit bei der Regulierung der Finanzmärkte als maßgeblichen Unterstützer. Wie kann es dann sein, dass in dem Kommuniqué
am Ende der Beratungen genau dieses wichtige Transformprojekt gar nicht mehr erwähnt wird? Ist es im
Sinne der Bundesregierung, entsprechend Mittel einzustellen, um an dieser Stelle im nächsten Jahr enger mit
China zusammenzuarbeiten?
Vielen Dank. - Herr Bundesminister.
Warum dieses Projekt, diese Zusammenarbeit in der
Abschlusspresseerklärung nicht erwähnt worden ist,
kann ich Ihnen als Außenminister nicht sagen. Ich
müsste zunächst einmal die entsprechenden Kollegen in
der Bundesregierung, sprich die Kollegen aus dem BMF,
konsultieren, die dieses vorbereitet haben. Ich bitte, mir
zu erlauben, Ihnen die Antwort auf diese Frage nachzuliefern. Ich weiß schlichtweg nicht, welchen Hintergrund
das hat.
Sie wissen, dass wir diese Kooperation wollen. Sie
wissen auch, dass sie absolut notwendig ist. Ich habe in
meinem Eingangsstatement auf die Notwendigkeit dieser Kooperation ausdrücklich hingewiesen. Warum das
jetzt in dieser Abschlusspresseerklärung nicht erwähnt
wird - sie umfasst, wenn ich es richtig im Kopf habe,
neun Seiten -, kann ich Ihnen nicht beantworten. Da
müsste ich erst bei den Kollegen im Finanzministerium
nachfragen.
Vielen herzlichen Dank. - Nächste Fragestellerin ist
unsere Kollegin Kerstin Müller.
Herr Minister, ich habe eine Nachfrage zum Thema
Sudan. Parallel zu den Konsultationen hier hält sich
Staatschef Umar al-Baschir in China auf. Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Haben Sie auch angesprochen, wie Deutschlands Position in dieser Frage ist?
Herr Bundesminister.
Frau Kollegin, selbstverständlich ist dies von mir angesprochen worden. Es lag auch auf der Hand, dass es
angesprochen wird. Sie wissen, dass es die Position der
deutschen Bundesregierung ist, dass alles zu unterlassen
ist, was die Autorität des internationalen Rechts und des
Internationalen Strafgerichtshofs schmälern könnte.
Diese Position ist auch zum Ausdruck gebracht worden.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Marina Schuster.
Vielen Dank. - Herr Minister, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, war in
China und hat vor Ort mit Bloggern gesprochen. Auch
hat er Gespräche zum Thema „Abschaffung der Todesstrafe“ geführt. Des Weiteren hat er im Rahmen der jetzigen Konsultationen Gespräche geführt. Können Sie uns
sagen, was Bestandteil der Gespräche des Menschenrechtsbeauftragten war?
Herr Bundesminister.
Frau Kollegin Schuster, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hat - ausdrücklich und absichtlich - an einem bilateralen Gespräch, das ich gestern Morgen mit Außenminister Yang geführt habe,
teilgenommen. Das allein ist, denke ich, eine Aussage,
die von allen Experten hier verstanden wird; denn das ist
nicht die normale, übliche Delegationszusammensetzung bei derartigen Gesprächen. Jedenfalls ist das nicht
immer so in dieser Weise der Fall.
Ich habe das absichtlich entschieden, weil ich der
Überzeugung bin, dass es, wenn man mit China bzw. mit
der chinesischen Regierung respektvoll umgeht, nicht
als Lehrmeister auftritt, sondern auf gleicher Augenhöhe
spricht, möglich ist, schwierige Fragen wie die Frage der
Menschenrechte anzusprechen. Ich denke, dass die Beziehungen zwischen unseren Ländern mittlerweile so intensiv und so tragfähig sind, dass dies erlaubt, auch aus
chinesischer Sicht sehr heikle Fragen ausdrücklich zu erwähnen.
Ich will noch etwas hinzufügen: Die Tatsache, dass
sowohl von mir als auch von der Bundeskanzlerin
- übrigens auch öffentlich in der Pressekonferenz - das
Schicksal zum Beispiel des Künstlers Ai Weiwei namentlich erwähnt worden ist, sagt etwas aus. Die Tatsache, dass wir uns beide auch öffentlich für bessere Arbeitsbedingungen der internationalen - sprich: auch der
deutschen - Journalisten in China eingesetzt haben, ist
aussagekräftig und belegt, denke ich, dass wir es ernst
meinen, wenn wir sagen: Interessengeleitete und wertegeleitete Außenpolitik sind zwei Seiten derselben Medaille.
Umgekehrt muss ich sagen, dass das Thema Kunstfreiheit bzw. die Freiheit der Kunst in den letzten Monaten ohnehin eine große Rolle gespielt hat. Für mich ist
das Teil der Menschenrechte; um auch das zu sagen. Für
mich ist das wichtig. Ich möchte mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag bedanken, die nicht dem leichten Reflex gefolgt sind und
die Schließung der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“
gefordert haben, sondern genau wussten, dass ein solches Projekt eine enorme Chance für viele Hunderttausend Menschen ist, mit dem Gedankengut der Aufklärung ganz persönlich in Kontakt und in Berührung zu
kommen. Genau das ist die Idee: Wandel durch Annäherung. Derzeit gehen etwa 1 500 Menschen täglich in
diese Ausstellung. Am Wochenende sind es mehr als
4 000 Menschen. Es war eine richtige Entscheidung der
Bundesregierung, diese Ausstellung zu eröffnen, und es
war ebenso eine richtige Entscheidung der Bundesregierung, sie auch in schwieriger Zeit nicht zu schließen.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist unser Kollege Dr. Frithjof Schmidt.
Herr Minister, Deutschland hat angekündigt, sich dafür einzusetzen, dass China von der Europäischen Union
der sogenannte Marktwirtschaftsstatus eingeräumt wird.
Wenn China dieser Status eingeräumt wird, bedeutet dies
praktisch, dass Dumpingverfahren im Hinblick auf chinesische Produkte durch die Europäische Union massiv
erschwert werden. Dumping ist in der Regel mit massiven Verletzungen sozialer und ökologischer Standards
verbunden und führt zu unlauterem Wettbewerb.
Die EU-Kommission berichtet seit vielen Jahren, dass
in China auch die chinesischen Gesetze auf breiter Front
nicht eingehalten werden. Sie vertritt deshalb die Auffassung, dass man solche Dumpingverfahren braucht;
die letzten gab es in großem Umfang in der Schuhindustrie. Meine Frage in diesem Zusammenhang: Wieso vertritt Deutschland hier eine gegenteilige Position zu den
Berichten der EU-Kommission? Wurden China in den
Verhandlungen entsprechende Zusagen und Versprechen
gegeben, dass sich Deutschland dafür in der Europäischen Union einsetzt?
Ja, wir setzen uns dafür ein, dass China der Marktwirtschaftsstatus gewährt wird, aber erst dann, wenn die
Kriterien erfüllt werden. So ist unsere Haltung. Deswegen kann ich hier keinen Gegensatz zwischen der
deutschen Politik und der Haltung der Europäischen
Kommission erkennen. Wir haben das immer klar konditioniert.
Sie haben auch etwas anderes angesprochen, nämlich
die Frage des Schutzes des geistigen Eigentums. Die
Bundesregierung - nicht nur die Justizministerin, sondern auch ich selbst - hat immer wieder zum Ausdruck
gebracht, dass dieses Thema für uns essenziell ist; übrigens ist es auch Teil des Rechtsstaatsdialogs. Einen Gegensatz zwischen der Auffassung der EU und unserer
Haltung kann ich in der Frage des Marktwirtschaftsstatus nicht erkennen. Aber es ist richtig: Wir wollen, dass
China den Marktwirtschaftsstatus erhält, wenn die objektiven Kriterien dafür erfüllt sind. Dazu gehört auch
der Komplex, den Sie beschrieben haben.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Marieluise Beck.
Herr Minister, Sie sagten, dass Sie mit Ihrem Kollegen einen strategischen Dialog auf Außenministerebene
vereinbart haben. Nun gibt es ja in China das Prinzip der
Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Es wird
dort immer wieder sehr bemüht und tritt in Gegensatz zu
einem strategischen Dialog und zu Gemeinsamkeiten,
die auf Institutionen, denen man beigetreten ist und deren Werte zu teilen sind, gründen. Ich denke, ein Lackmustest wird ganz konkret sein, wie offensiv sich die
deutsche Seite weiterhin im Hinblick auf die Freundschaft zu Tibet und seine Unterstützung verhält. Können
Sie sich zum Beispiel vorstellen, dass der Dalai-Lama
trotzdem offiziell in Deutschland empfangen wird, wie
es die Kanzlerin vor einigen Jahren getan hat? Oder umgekehrt: Muss man fürchten, dass solche Begegnungen
für diese strategischen Dialoge und Partnerschaften geopfert werden?
Herr Bundesminister.
Frau Kollegin Beck, ich habe bereits in meinem einführenden Bericht zum Ausdruck gebracht, dass Tibet
und der Umgang mit dem Dalai-Lama Themen unserer
Gespräche und unseres Austausches gewesen sind. Es ist
bekannt, dass China und Deutschland hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten. Das ändert aber
nichts daran, dass die deutschen Bundesregierungen seit
Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahre
1972 der Überzeugung sind, dass die Ein-China-Politik
nicht infrage gestellt werden darf. Ich kenne niemanden,
jedenfalls keine Fraktion in diesem Hause, der anderer
Auffassung ist. Die Ein-China-Politik bleibt Richtlinie
unserer China-Politik. Sie ist für uns wichtig, damit die
andere Seite das nötige Vertrauen für weitere Schritte
hat.
Der Dalai-Lama ist meines Wissens zum ersten Mal
von Außenminister Klaus Kinkel persönlich empfangen
worden; dies ist in den 90er-Jahren geschehen. Es hat
weitere offizielle oder quasioffizielle Begegnungen gegeben. Ich kann Ihnen nicht berichten, ob es seitens der
Bundesregierung oder einzelner Bundesminister zurzeit
konkrete Planungen in dieser Richtung gibt; ich weiß es
nicht und kann deswegen keine Stellungnahme dazu abgeben. Ich weiß, dass der Dalai-Lama als religiöser Führer bei einigen Persönlichkeiten der Landespolitik hohes
Ansehen hat und dass zu einzelnen Bundesländern traditionell engere Beziehungen herrschen; auch dazu kann
ich derzeit aber keine detaillierte Einschätzung abgeben.
Es hat Begegnungen mit dem Dalai-Lama gegeben, und
es wird sie, wenn es sich ergibt und wenn es richtig und
angemessen ist, weiterhin geben. Hier sind keinerlei Zurückhaltung oder Zögerlichkeiten zu erkennen.
Vielen Dank. - Jetzt stellt noch unsere Kollegin von
Cramon-Taubadel eine Frage.
Ich wollte noch eine Frage bezüglich des AirbusDeals stellen. Es war ja geplant, zwei Airbus-Verträge
mit den Chinesen abschließen zu lassen. Am Ende ist
nur einer unterzeichnet worden. Womit genau hängt das
zusammen? Ist die Bundesregierung bei dem einen unterzeichneten Vertrag den Chinesen in puncto Klimaschutz - Stichwort: Minderung des Engagements für den
Klimaschutz - und in puncto Emissionshandel entgegenViola von Cramon-Taubadel
gekommen? Vielleicht können Sie das noch ein bisschen
erläutern.
Herr Bundesminister.
Es ist ein privatwirtschaftlicher Vertrag abgeschlossen worden. Mit Vertrag vom 28. Juni 2011 wurden
88 Airbus-Flugzeuge gekauft oder geleast. Natürlich
wünscht sich der europäische Hersteller noch mehr; das
hat der Vertreter des Unternehmens bei dem Mittagessen, das gestern mit Repräsentanten der Wirtschaft stattgefunden hat, in meiner Anwesenheit auch zum Ausdruck gebracht. Aber 88 Airbus-Flugzeuge: Das ist ja
schon einmal etwas. Das ist ja wohl sehr bemerkenswert
für das Unternehmen und auch für die europäische Wirtschaft. Das ist ein enormes Volumen. Dies ist uns auch
durch die politische Unterstützung seitens der Bundesregierung gelungen. Dass wir deswegen von irgendwelchen anderen Punkten Abstand genommen haben, wie
zum Beispiel unserem gemeinsamen Engagement für
globalen Klimaschutz, kann ich nicht erkennen.
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
frage, ob es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung gibt. - Da das nicht der Fall ist, beende
ich nun die Fragen zu dem Themenbereich der heutigen
Kabinettssitzung.
Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Dann beende ich
die Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/6273 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Als Beantworter steht der
Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Frau Kollegin Britta
Haßelmann auf:
Wie hoch werden die Steuerausfälle aufgrund der geplanten Steuersenkungen für 2012, gegebenenfalls auch ab 2013,
von bis zu 10 Milliarden Euro für die Kommunen sein, und
wie beurteilt die Bundesregierung die zu erwartenden Steuerausfälle für die Kommunen vor dem Hintergrund ihrer Erklärung anlässlich der abschließenden Sitzung der Gemeindefinanzkommission am 15. Juli 2011, einen wesentlichen
Beitrag zur nachhaltigen Verbesserung der kommunalen Finanzsituation leisten zu wollen?
Herr Präsident! Frau Kollegin Haßelmann, auf Ihre
Frage antworte ich Ihnen, dass die Bundesregierung bislang keine Entscheidung über Zeitpunkt, Art und Umfang möglicher Steuerentlastungen getroffen hat. Daher
können auch keine Aussagen über Auswirkungen auf
das kommunale Steueraufkommen gemacht werden.
Die Lage und die Perspektiven der Kommunalfinanzen - das möchte ich deutlich machen - haben sich
grundlegend verbessert. Hierzu trägt neben dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung auch das von der Bundesregierung jetzt auf den Weg gebrachte Paket zur Entlastung der Kommunen bei, das auch ein Ergebnis der
Gemeindefinanzkommission ist und bis zum Jahr 2014
die vollständige Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter vorsieht. Das ist eine der größten
Entlastungen, die es im letzten Jahrzehnt für die Kommunen auf der Ausgabenseite gegeben hat. Auch durch
die jüngsten Steuerschätzungen, Frau Kollegin, wird
deutlich, dass die Kommunen gesamtstaatlich bereits im
Jahr 2012 wieder zu einem ausgeglichenen Ergebnis
kommen und damit wieder das Niveau von vor der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise erreichen werden.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Britta
Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, in
der veröffentlichten Meinung - durch Einlassung sowohl
der Bundesregierung als auch von Mitgliedern der
Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP - ist ja
von Steuersenkungen in Höhe von 8 bis 10 Milliarden
Euro als nächstem Schritt die Rede. Nach meinen Berechnungen würde sich das auf die Kommunen mit einem Minus von mindestens 1,5 Milliarden Euro auswirken. Von daher kann ich nicht verstehen, dass Sie mir
nicht geantwortet haben.
Auch der Vorschlag von Herrn Kirchhof, der in Ihren
Reihen begrüßt wird, hat negative Auswirkungen auf die
kommunale Finanzsituation. Meine Frage ist: Teilen Sie
die Einschätzung des hessischen CDU-Finanzministers
- ähnliche Auswirkungen weisen auch Berechnungen
aus Baden-Württemberg aus dem Jahre 2003 aus -, dass
wir dann, wenn wir diese Pläne realisieren würden, mit
Steuermindereinnahmen in Höhe von 40 Milliarden
Euro zu rechnen hätten?
Verehrte Frau Kollegin, ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, dass die Bundesregierung bisher keinerlei Entscheidung über Zeitpunkt, Art und Umfang möglicher Steuerentlastungen getroffen hat. Sie haben der
öffentlichen Diskussion entnommen, dass das auch kurzfristig nicht der Fall sein wird. Deshalb verbieten sich
aus Sicht der Bundesregierung öffentliche Diskussionen
über damit auf allen staatlichen Ebenen einhergehende
Steuermindereinnahmen.
Die zweite Nachfrage von der Frau Kollegin Britta
Haßelmann.
Das heißt, ich kann Ihre Antwort so interpretieren,
dass die Bundesregierung nicht mehr beabsichtigt, in
dieser Legislaturperiode eine Steuersenkung vorzunehmen?
Nein, so können Sie meine Antwort nicht interpretieren. Sie wissen, dass wir uns in unserem Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt haben, Bezieher von kleinen und
mittleren Einkommen im steuerlichen Bereich zu entlasten, wenn dies die Haushaltslage zulässt. Deshalb wird
sicher im Hinblick auf steuerliche Maßnahmen der Bundesregierung zu prüfen sein, ob und wann haushalterisch, auch im Hinblick auf die in unserem Grundgesetz
verankerte Schuldenbremse, Spielräume vorhanden sind,
die zum Beispiel eine Entlastung der Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen im steuerlichen Bereich
zulassen würden. Aber ich wiederhole noch einmal: Die
Bundesregierung hat über Zeitpunkt, Umfang und Art
steuerlicher Maßnahmen keinerlei Entscheidung getroffen.
Eine weitere Zusatzfrage unserer Frau Kollegin
Nicolette Kressl.
Vielen Dank. - Nachdem mehrere CDU-geführte
Bundesländer mit Blick auf die Finanzlage ihrer Kommunen deutlich gemacht haben, dass sie eine Steuersenkungspolitik und damit verbundene Steuermindereinnahmen in dieser Legislaturperiode nicht mittragen
würden: Gibt es, um für dieses Vorhaben überhaupt eine
Mehrheit zu bekommen, in der Bundesregierung Überlegungen, dass der Bund die Kosten dafür wie beim Steuervereinfachungsgesetz alleine trägt?
Verehrte Frau Kollegin, alle Aspekte, auch die Frage
von Auswirkungen auf andere staatliche Ebenen in Form
von Steuermindereinnahmen, werden sicher Gegenstand
der steuerlichen Überlegungen der Bundesregierung
sein.
Eine weitere Zusatzfrage? - Frau Kollegin Lisa Paus.
Herr Koschyk, ich frage die Bundesregierung: Teilt
die Bundesregierung die Auffassung von Frau Angela
Merkel, dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode zwar Steuererleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen beschließen wird, dies aber nicht vor
dem 1. Januar 2012 in Kraft treten wird, oder teilt die
Bundesregierung die Auffassung von Horst Seehofer,
der gesagt hat, Steuern sollten nur gesenkt werden, wenn
dies nachhaltig und langfristig möglich sei - beides Zitate der vergangenen Woche -, oder teilt die Bundesregierung die Auffassung von Volker Kauder - auch ein
Zitat aus der vergangenen Woche -, dass stattdessen die
Sozialabgaben gesenkt werden sollten, oder teilt die
Bundesregierung die Auffassung des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, der gesagt hat, dass wir
nicht im Geld schwimmen, sondern in Schulden ertrinken und dass eine Minisenkung politischer Unsinn ist,
weil sie bei den Bürgern nur Enttäuschung hervorruft?
Verehrte Frau Kollegin, ich erlaube mir, zu sagen,
dass Sie aus mehreren Aussagen sehr einseitig und sehr
pointiert zitiert haben.
({0})
Alle genannten Äußerungen bedeuten, dass die Bundesregierung in ihre Entscheidungsfindung bezüglich der
Frage, ob, wann und wie es unter Vorrang der Haushaltskonsolidierung und unter strikter Beachtung der Schuldenregelung möglich sein wird, Bezieher von unteren
und mittleren Einkommen steuerlich zu entlasten - Sie
haben in Ihrer Frage von „Unternehmen“ gesprochen,
ich darf deutlich machen, dass im Koalitionsvertrag von
Beziehern unterer und mittlerer Einkommen die Rede ist -,
eine Fülle von Sachverhalten wird einbeziehen müssen.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist der Kollege
Lothar Binding. Dann kommt der Kollege Volker Beck,
der jetzt wieder anwesend ist. Er hatte wegen eines Parlamentsgesprächs kurz den Saal verlassen.
Bitte schön, Kollege Lothar Binding.
Herr Koschyk, können Sie definieren, was untere und
mittlere Einkommen sind? Denn wir haben einen Steuerfreibetrag, der dann in einen zunächst relativ niedrigen
Grenzsteuersatz übergeht. In diesem Zusammenhang
frage ich Sie, was unter niedrigen und mittleren Einkommen zu verstehen ist.
Wir werden im Laufe der Fragestunde noch auf Sachverhalte zurückkommen, die die Wirkung der sogenannten kalten Progression betreffen. Ich erinnere mich, Herr
Kollege Binding, dass es in der letzten Legislaturperiode
ein gemeinsames Papier des damaligen Finanzministers
Steinbrück und des damaligen SPD-Vorsitzenden und
Ministerpräsidenten Beck über steuerpolitische Vorstellungen gegeben hat. Darin war auch davon die Rede,
dass die kalte Progression zwar kein dringendes, aber
nicht zu vernachlässigendes Problem in der Steuerpolitik
ist. Deshalb könnte man zum Beispiel, wie es auch im
Koalitionsvertrag angelegt ist, kleine und mittlere Einkommen, die von der sogenannten kalten Progression
besonders betroffen sind, ein Stück weit entlasten, wenn
entsprechende Haushaltsspielräume vorhanden sind und
dies mit der Schuldenregel in Einklang steht. Wie das im
Einzelnen konkret zu gestalten wäre, muss den Überlegungen und der Entscheidungsfindung der Bundesregierung vorbehalten bleiben.
Die nächste Frage stellt unser Kollege Volker Beck.
({0})
- Nein, das ist nicht vorgesehen.
({1})
- Es melden sich noch viele weitere Kollegen zu Wort,
die dies sicher aufgreifen werden. - Schon ist der Kollege Volker Beck am Zug.
({2})
Herr Kollege Binding, melden Sie sich einfach bei der
nächsten Frage der Kollegin Haßelmann noch einmal.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, die Bundesregierung habe zu den Steuersenkungsplänen noch
keine konkreten Vorstellungen, auch wenn der Blätterwald voll mit Berichten zu diesem Thema ist. Wenn Sie
die kleinen und mittleren Einkommen adressieren wollen, was nicht ohne Rückwirkungen auf die höheren Einkommen möglich ist - so ist das im Steuerrecht nun einmal -, dann verstehe ich nicht, warum Sie nicht die für
die kleinen und mittleren Einkommen wesentlich schwerere Last der Sozialabgaben angehen, wenn Sie schon
meinen, Sie hätten zu viel Geld in der Kasse. Denn damit erzielen Sie eine deutliche Entlastung, die tatsächlich nur die Beschäftigten in normalen Arbeitsverhältnissen betrifft. By the way, Sie hätten dann auch kein
Problem mit dem Bundesrat, weil Sie dann nichts von
den Kommunal- und Länderfinanzen klauen müssten.
Ich bin sicher, Herr Kollege Beck, dass auch derartige
Überlegungen, die Sie gerade geäußert haben, in Überlegungen der Bundesregierung bzw. in ein von ihr zu gestaltendes Maßnahmenpaket entsprechend einbezogen
werden.
Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Brigitte
Pothmer.
Herr Staatssekretär, es war zu lesen, dass zur Finanzierung nicht der Steuersenkung, sondern zur Entlastung
der kleinen und mittleren Einkommen, wie Sie sagen,
auch die arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden und dass an dieser
Stelle noch weiter eingespart werden soll. Wie stellen
Sie sich das vor dem Hintergrund des bereits eingeplanten Einsparvolumens von 8 Milliarden Euro bis 2015
vor?
Frau Kollegin, derartige Überlegungen, die Sie gerade erwähnt haben, sind mir im Zusammenhang mit den
noch nicht abgeschlossenen steuerlichen Überlegungen
der Bundesregierung nicht bekannt.
Ihre Nachfrage, Kollege Carsten Sieling.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, meine Freude
über das Lob für das Papier von Herrn Beck und Herrn
Steinbrück ist kaum einzufangen. Trotzdem würde ich
gerne, wenn Sie schon nichts zu den kleinen und mittleren Einkommen und ihrer Entlastung sagen, wissen, welche Vorstellungen und Pläne Sie haben, um diejenigen
zu entlasten, die gar keine Steuern zahlen, obwohl sie
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind.
Alle am Steuer- und Sozialgeschehen in unserem
Land Beteiligten werden bei den von der Bundesregierung zu treffenden Maßnahmen entsprechend in den
Blick genommen werden. Ich sage noch einmal: Im Moment gibt es keine konkreten Entscheidungen der Bundesregierung über Art, Umfang und Zeitpunkt von steuerlichen Maßnahmen.
Vielen Dank. - Wir kommen zu Frage 2 der Kollegin
Britta Haßelmann:
Wie reduziert sich die Kostenentlastung der Kommunen
aus der Übernahme der Grundsicherung im Alter durch den
Bund in der Zeit von 2012 bis 2015, wenn die neuen Belastungen der Kommunen durch die zu erwartenden Steuermindereinnahmen durch eine mögliche Steuersenkung und die im
Bildungspaket vereinbarte Übernahme der Kosten für die
Neueinstellung von 3 000 Sozialarbeitern und die Mittagsverpflegung ab 2014 in Abzug gebracht werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Haßelmann, es bleibt in jedem Fall bei
der zugesagten Kostenentlastung der Kommunen infolge
der schrittweisen Erhöhung der Erstattung der Nettoausgaben des Vorvorjahres für die Grundsicherung im Alter
und die Erwerbsminderung durch den Bund. Ich sage
noch einmal: Die Bundesregierung hat bisher keine Entscheidung über Zeitpunkt, Art und Umfang möglicher
Steuerentlastungen getroffen. Aussagen über die finanziellen Auswirkungen von Steuerrechtsänderungen auf
die Haushalte der Kommunen können daher nicht gemacht werden.
Erste Nachfrage, Kollegin Britta Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsekretär, Sie
stimmen aber sicherlich mit mir darin überein, dass jede
Veränderung bei der Einkommensteuer durch Ihr Steuerkonzept, das Sie zum dritten Mal angekündigt und mit
konkreten Zahlen unterlegt haben - zumindest in der
Presse, wenn auch nicht hier im Parlament -, auch negative Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte hat,
da ein bestimmter Prozentsatz der Einkommensteuereinnahmen den Kommunen zufließt, nämlich 15 Prozent.
Wenn wir von 8 Milliarden bis 10 Milliarden Euro ausgehen - diese Zahlen kann man der Presse entnehmen -,
können wir ausrechnen, zu welchen Defiziten das allein
auf kommunaler Ebene führt.
Verehrte Frau Kollegin, Sie werden keine Aussage eines Mitglieds der Bundesregierung über eventuelle Volumina von steuerlichen Veränderungen finden. Dass es
hierzu Aussagen von Vertretern der Koalitionsfraktionen
gibt, ist in einem öffentlichen Diskurs über ein so wichtiges Thema verständlich. Ich kann nur wiederholen, dass
die Bundesregierung keine Entscheidung über Art, Umfang und Zeitpunkt steuerlicher Veränderungen getroffen
hat. Selbstverständlich ist es richtig, dass Veränderungen
im Bereich der Einkommensteuer zu Auswirkungen auf
die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen führen würden und dass dies bei der Entscheidungsfindung
berücksichtigt werden müsste.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Ihre jetzige Antwort verunklart die Situation erneut. Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie in dieser Legislaturperiode eine Steuersenkung vornehmen werden. Also wird
es doch zu Mindereinnahmen bei den Kommunen und
den Ländern sowie beim Bund kommen. Meine Frage
lautet: Werden Sie in Ihrem Steuerentlastungskonzept
die Pläne von Herrn Kirchhof - diese will ich hier im
Einzelnen nicht erläutern - berücksichtigen?
Frau Kollegin, Sie wissen, dass, wenn man über steuerliche Veränderungen nachdenkt, nicht nur Überlegungen aus dem entsprechenden Fachministerium, dem
Bundesministerium der Finanzen, sondern auch die
fachpolitische Ebene in den Koalitionsfraktionen und all
das, was aus dem Wissenschaftsbereich zu diesem Sachverhalt gesagt wird, einbezogen werden. Insofern kann
man niemals ausschließen, dass man auch Anregungen
aus der Wissenschaft in steuerpolitische Entscheidungsfindungen einbezieht.
Da Sie mir unterstellt haben, dass ich bestätigt hätte,
dass das Koalitionsvertragsziel, untere und mittlere Einkommen zu entlasten, nur durch Maßnahmen im Einkommensteuerbereich zu erreichen sei, möchte ich richtigstellen: Der Kollege Beck hat darauf hingewiesen,
dass man sich theoretisch durchaus auch vorstellen kann,
untere und mittlere Einkommen im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge zu entlasten. Die Entlastung unterer und mittlerer Einkommen als Ziel des Koalitionsvertrages ist also auf vielfältige Weise möglich. Die
Bundesregierung wird Entscheidungen treffen, entsprechende Vorschläge machen und diese dann einem geordneten parlamentarischen Verfahren zuführen. Bislang ist
über Zeitpunkt, Umfang und Art von steuerlichen Veränderungen in der Bundesregierung noch in keiner Weise
entschieden.
({0})
Jetzt gibt es eine Wortmeldung unseres Kollegen
Volker Beck.
Ich melde mich zur Geschäftsordnung. Nachdem die
Kanzlerin großspurig angekündigt hat, dass es jetzt Steuersenkungen gebe, und es dann den Aufstand im Bundesrat - auch aus den Reihen der Ministerpräsidenten der
Union - gab, scheint sich das Finanzministerium in ein
„Nichts Genaues weiß man nicht“ zu flüchten. Ich
denke, dass es vor diesem Hintergrund wichtig ist, dass
die Öffentlichkeit erfährt, wie die Koalition genau denkt.
Deshalb beantragen wir im Zusammenhang mit den
Steuersenkungsplänen der Bundesregierung eine Aktuelle Stunde zu den Steuerausfällen für Bund, Länder und
Kommunen und zu den Auswirkungen auf die Schuldenbremse.
Vielen Dank, Kollege Volker Beck. - Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat eben zu der Antwort der
Bundesregierung auf eine mündliche Anfrage - Drucksache 17/6273 - eine Aktuelle Stunde verlangt. Dies entspricht der Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle
Stunde. Somit findet im Anschluss an die Fragestunde
diese Aktuelle Stunde statt. Die ursprünglich vorgesehene Aktuelle Stunde wird auf morgen verschoben.
Es gibt noch weitere Nachfragen an den Herrn Staatssekretär. Zunächst hat Frau Kollegin Paus das Wort.
({0})
Ich will zum Thema Schuldenbremse nachfragen.
Teilt die Bundesregierung im Hinblick auf die Debatte
über die Schuldenbremse noch die grundsätzliche Ansicht, dass in Phasen der Hochkonjunktur Überschüsse
gebildet werden sollten, um in Phasen einer niedrigen
Konjunktur eine Unterdeckung des Haushalts ausgleichen zu können? Wie passt das mit den anhaltenden Diskussionen darüber zusammen, dass es in der aktuellen
Phase der Hochkonjunktur zwar steigende Steuereinnahmen gibt, jedoch noch keine Überschüsse und nach wie
vor eine Lücke im zweistelligen Milliardenbereich
klafft?
Die Bundesregierung wird genau dies bei der Entscheidungsfindung über mögliche steuerliche Maßnahmen berücksichtigen.
Es gibt zwei weitere Fragen. Zunächst Kollege Lothar
Binding.
Herr Koschyk, zunächst vielen Dank für die Antwort
auf eine von mir überhaupt nicht gestellte Frage. Die
kalte Progression wäre auf meine Frage die falsche Antwort gewesen; denn die kalte Progression betrifft alle
Einkommen.
Deshalb eine ganz einfache Frage: Sie benutzen den
Begriff „untere und mittlere Einkommen“. Ich frage:
Was ist das? Wie definieren Sie ein unteres, wie ein mittleres Einkommen? Das findet sich auch in der Koalitionsvereinbarung. Es muss irgendwo eine Definition
dieses Begriffs geben. Ansonsten würden Sie auf unscharfer Basis Gesetze machen, und das kann ich mir
einfach nicht vorstellen.
Sie werden die Antwort dann finden, Herr Kollege
Binding, wenn wir unsere Überlegungen darüber abgeschlossen haben, welche Einkommensschichten wir
durch entsprechende Maßnahmen - welche auch immer entlasten werden.
({0})
Die nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Nicolette
Kressl.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich möchte auf
die Steuermindereinnahmen, die auch die Kommunen
belasten würden, eingehen. Es gäbe einen Weg, die
Kommunen nicht zu belasten. Auch in den Zeitungen
wurde diese Diskussion geführt; es geht um den Solidaritätszuschlag. Sind Sie im Hinblick auf eine Steuerentlastung in diesem Bereich der Ansicht, dass damit untere
und mittlere Einkommen entlastet werden?
Frau Kollegin, Überlegungen auch im Bereich des
Solidaritätszuschlags sind in der öffentlichen Diskussion; sie werden sicher auch bei der weiter gehenden
Diskussion eine Rolle spielen. Aber ich darf noch einmal
sagen: Es wird der Entscheidung der Bundesregierung
vorbehalten bleiben, wie sie das genannte Ziel aus dem
Koalitionsvertrag umsetzt.
Vielen Dank. - Es gibt zu der Frage keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick auf:
Inwiefern sind die Ankündigungen der Bundesregierung,
kleine und mittlere Einkommen durch eine Steuersenkung zu
entlasten, aus Sicht der Bundesregierung vereinbar mit einer
Senkung der Einkommensteuer, bei der eine Tarifsenkung im
unteren Einkommensbereich stets eine höhere Entlastung im
oberen Einkommensbereich bewirkt - vergleiche beispielsweise „Wer von Steuersenkungen profitieren würde“, Spiegel
Online vom 23. Juni 2011 - und erwägt die Bundesregierung
vor diesem Hintergrund, die Entlastungswirkung für obere
Einkommen über eine Erhöhung der Grenzsteuersätze im oberen Einkommensbereich auszugleichen?
Herr Kollege Schick, ich wiederhole, dass es keine
Entscheidung über Umfang, Zeitpunkt und konkrete
Ausgestaltung von Steueränderungen gibt.
Eine aussagefähige Beurteilung von Tarifsenkungen
allein auf Grundlage von absoluten Entlastungsbeiträgen
ist nicht möglich. Zu berücksichtigen wären sicher auch
bisherige und die nach einer möglichen Steueränderung
verbleibenden Belastungen. Es sind bei einer theoretischen Diskussion dieser Art keine sachlichen Gründe erkennbar, bestimmte Gruppen von Steuerzahlern von
möglichen Steueränderungen auszuschließen.
Wie ich sehe, haben Sie, Kollege Dr. Schick, keine
Nachfrage. Auch keine andere Kollegin und kein anderer Kollege möchte eine Zusatzfrage stellen.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Dr. Gerhard
Schick:
Wie hat sich im Zeitraum seit 1990 die sogenannte kalte
Progression tatsächlich auf die Steuerzahlung von Bürgerinnen und Bürgern mit kleinen und mittleren Einkommen ausgewirkt, und wie stark wurde dies von den Einkommensteuersenkungen in diesem Zeitraum kompensiert?
Die Wirkung der kalten Progression besteht darin,
dass infolge der Progression des Einkommensteuertarifs
die tarifliche Durchschnittsbelastung auch dann steigt,
wenn das zu versteuernde Einkommen lediglich im Umfang der Preiserhöhung zugenommen hat. Die kalte Progression trifft grundsätzlich alle Steuerzahler. Sie wirkt
sich bei Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen allerdings besonders stark aus.
Die Bundesregierung hat keine Berechnung zur Auswirkung der sogenannten kalten Progression seit 1990
durchgeführt. Derartige Bezifferungen über einen so langen Zeitraum stoßen auf erhebliche methodische und datenmäßige Probleme und erlauben daher keine belastbaren Schussfolgerungen.
Nachfrage des Kollegen Dr. Schick.
Hat die Bundesregierung angesichts der Beschäftigung mit diesem Thema, bei dem die kalte Progression
eine große Rolle spielt, vor, quantitative Erhebungen
durchzuführen? Oder lösen Sie sozusagen ein Problem,
das Sie überhaupt nicht kennen, und werden Sie dann
auf der Grundlage von Nichtkenntnis Vorschläge machen?
Selbstverständlich werden bei allen angestellten
Überlegungen und daraus zu ziehenden Konsequenzen
für die Entscheidungsfindung Erhebungen und Untersuchungen - je nachdem, für welchen Lösungsweg man
sich entscheidet - notwendig sein.
Herr Dr. Schick, Sie haben das Wort zu einer weiteren
Zusatzfrage.
Werden Sie diese Untersuchungen dann auch dem
Parlament für die Beratungen zur Verfügung stellen?
Herr Kollege Schick, wenn die Bundesregierung eine
Entscheidung getroffen hat und ein entsprechender Gesetzgebungsvorgang eingeleitet wird, dann stellt sie, wie
Sie wissen, dem Parlament für die Ausschussberatungen
immer ergänzende Unterlagen zur Verfügung. Das ist die
gute Praxis eines offenen, transparenten Umgangs zwischen Regierung und Parlament.
Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat Frau Kollegin Nicolette Kressl.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben gerade
ausgeführt, dass es für den langen Zeitraum seit 1990
keine Analysen zur Auswirkung der kalten Progression
gibt. Da vonseiten der Koalitionsfraktionen und von Regierungsmitgliedern immer wieder auf die kalte Progression verwiesen wird, möchte ich gerne fragen: In welchem der letzten fünf Jahre hat die kalte Progression in
welchem Umfang bei Arbeitnehmern tatsächlich eine
Auswirkung gehabt?
Frau Kollegin, diese Frage kann ich Ihnen aus dem
Stegreif nicht beantworten. Aber ich würde Ihnen die
Beantwortung dieser Frage gerne nachreichen. Sollten
keine Aufzeichnungen oder Untersuchungen dazu da
sein, würden wir versuchen, diese Frage zu klären. Aus
dem Stand heraus kann ich sie Ihnen nicht beantworten.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Lothar
Binding.
Eine kurze Bemerkung zu Ihrer Bemerkung zur
Durchschnittssteuerbelastung. Die Durchschnittssteuerbelastung steigt bei zunehmendem Einkommen immer;
eine Ausnahme ist der Bereich des Existenzminimums.
Insofern war Ihre Antwort wohl nicht ganz exakt.
Ich habe eine Frage zur kalten Progression. Was Sie
vorhaben, bedeutet eine komplette Rechtsverschiebung
der Grenzsteuersatzkurve. Wenn Sie Ihre Pläne bezogen
auf die kalte Progression vollständig umsetzen, dann
wollen Sie damit einen Inflationsausgleich schaffen; das
ist verständlich. Wie wollen Sie aber einen Treibsatz für
die Inflation in zukünftigen Jahren vermeiden?
Herr Kollege Binding, eine stabilitätsorientierte
Wachstumspolitik ist die beste Prävention gegen inflationäre Tendenzen. Dieser Politik fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet.
Das, was Sie jetzt als mögliche Lösung des Problems
andiskutiert haben, dürfte Ihnen als jemandem, der
schon in der Großen Koalition in der Finanzpolitik eine
Rolle gespielt hat, nicht unbekannt sein; denn eine erste
Maßnahme zur Verschiebung der Kurve nach rechts und
damit zur Abmilderung der kalten Progression hat es bereits in einem der Konjunkturpakete der Großen Koalition gegeben.
({0})
Wir kommen zur nächsten Frage. Die Frage 5 stellt
unser Kollege Lothar Binding:
Wie begründet die Bundesregierung - mit Blick auf ihre
Verpflichtung zur Einhaltung der Schuldenbremse, die infolge
der Finanz- und Wirtschaftskrise stark gestiegene Nettoneuverschuldung und die Lücke zwischen Steuereinnahmen und
nicht nur kriseninduzierten Haushaltsbelastungen - ihre erneute Ankündigung einer Steuersenkung, die Menschen mit
hohen Einkommen begünstigt und Menschen mit niedrigem
Selbstverständlich, Herr Kollege Binding, müssten
mögliche Steueränderungen im Rahmen eines tragfähigen stabilitäts- und finanzpolitischen Gesamtkonzepts
umgesetzt werden. Von daher ist es selbstverständlich,
dass die Bundesregierung bei steuerlichen Überlegungen
und Entscheidungen die Einhaltung der Schuldenbremse
strikt beachten muss.
Erste Nachfrage, Kollege Lothar Binding.
Wie verträgt sich Ihre Antwort mit Ihrer Aussage,
dass Sie zuerst an die Haushaltskonsolidierung gehen
wollen? Zur Erinnerung: Wir hatten 1 700 Milliarden
Euro Schulden, nach der Krise haben wir 2 000 Milliarden Euro Schulden, wir haben eine Neuverschuldung
von 80 Milliarden Euro erwartet, sind aber jetzt froh,
dass es nur 40 Milliarden Euro sind. Meinen Sie, in dieser Phase könne man unter Einhaltung des Gedankens
der Konsolidierung des Haushalts Steuern senken? Diese
Rechnung - das ist ein einfacher Dreisatz - leuchtet mir
nicht ein.
Ich lege noch einmal Wert auf die Feststellung, Herr
Kollege Binding - das habe ich in jeder der Antworten
gesagt, die ich in dieser Fragestunde bislang gegeben
habe -, dass steuerliche Maßnahmen nur unter dem absoluten Vorrang der Verträglichkeit mit dem Ziel der
Haushaltskonsolidierung und unter strikter Beachtung
der Schuldenregel möglich sind. Dies wird der Vorbehalt
bei allen steuerlichen Überlegungen der Bundesregierung sein.
({0})
Gut. - Dann gibt es dazu keine weiteren Nachfragen.
So kommen wir zur Frage 6, die ebenfalls vom Kollegen Lothar Binding gestellt wird:
Wann plant die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf zur
Verhinderung steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten bei der
Abgrenzung zwischen Betriebs- und Verwaltungsvermögen in
der Erbschaft- und Schenkungsteuer vorzulegen ({0})?
Herr Kollege Binding, die Abgrenzung zwischen Betriebs- und Verwaltungsvermögen bei der Erbschaft- und
Schenkungsteuer, die die Regierung der Großen Koalition im Erbschaftsteuerreformgesetz beschlossen hat,
soll einerseits missbräuchliche Gestaltung durch Verlagerung von Privatvermögen in Betriebsvermögen verhindern und andererseits die Betriebe in ihrer Finanzierungsfähigkeit und Anlageflexibilität nicht übermäßig
beschränken, um das Ziel einer gesicherten Unternehmensfortführung nicht zu gefährden. Dieses Ziel wurde
mit dem seinerzeit beschlossenen Gesetz - ich glaube,
auch Sie haben zugestimmt - erreicht. Die Bundesregierung plant in dieser Frage keinen Gesetzentwurf.
({0})
Keine weitere Nachfrage.
So kommen wir jetzt zur Frage 7 der Frau Kollegin
Lisa Paus:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass eine Senkung
oder Streichung des Solidaritätszuschlags die oberen Einkommen überproportional gegenüber den unteren und mittleren
Einkommen entlasten würde, und hält die Bundesregierung
vor diesem Hintergrund an ihren Überlegungen zur Senkung
oder Abschaffung des Solidaritätszuschlags fest?
Frau Kollegin Paus, weil Sie in Ihrer Frage davon
ausgehen, dass es innerhalb der Bundesregierung bereits
Entscheidungen über eine Senkung oder Streichung des
Solidaritätszuschlags gibt, darf ich wiederholen, dass es
vonseiten der Bundesregierung keinerlei Entscheidungen über Art, Umfang und Zeitpunkt von steuerlichen
Maßnahmen gibt.
Zum Solidaritätszuschlag noch einmal eine deutliche
Anmerkung der Bundesregierung: Der Solidaritätszuschlag wurde als Zuschlag zur progressiven Einkommensteuer festgesetzt und belastet daher Bezieher
höherer Einkommen überproportional. Er ist sozial ausgewogen, weil alle Steuerpflichtigen entsprechend ihrer
Leistungsfähigkeit belastet und niedrigere Einkommen
verschont werden. Für die Bundesregierung ist und
bleibt der Solidaritätszuschlag ein wichtiges Element,
um den Finanztransfer zugunsten der ostdeutschen Bundesländer zu gewährleisten.
Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär Koschyk, könnten Sie, auch wenn
Sie der Auffassung sind, dass der Soli, so wie er existiert, sozial ausgewogen ist, den ersten Teil meiner Frage
beantworten, nämlich ob Sie die Ansicht teilen, dass eine
Abschaffung des Soli vor allen Dingen den oberen Einkommen zugutekäme? Würden Sie also bestätigen, dass
seine Abschaffung vor allen Dingen den oberen Einkommen zugutekäme? Würden Sie ebenfalls bestätigen, dass
seine Abschaffung den unteren und mittleren Einkommen nicht zugutekäme?
Ich darf noch einmal sagen, dass die Bundesregierung
in keiner Weise Überlegungen anstellt, die auf eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags hinauslaufen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Das freut mich. Ich würde trotzdem gerne eine Antwort auf die Frage bekommen: Teilen Sie meine Einschätzung, dass eine Abschaffung des Soli vor allen Dingen den oberen Einkommen zugutekäme und deswegen
ungeeignet wäre, mittlere und untere Einkommen zu entlasten?
Ich glaube, das ist eine eher theoretische Betrachtung.
Ich werde auch von Beziehern unterer und mittlerer Einkommen gefragt, ob der Solidaritätszuschlag weiterhin
und wie lange er noch erhoben wird. Ich glaube, jeder
empfindet den Solidaritätszuschlag als steuerliche Belastung und sähe ihn lieber heute als morgen abgeschafft.
Aber auch im Hinblick auf die gesamtstaatlichen Finanzierungsverpflichtungen muss man den Menschen immer wieder erklären, dass dies nicht möglich ist.
Vielen Dank. - Wir kommen nun zur Frage 8, ebenfalls von unserer Kollegin Lisa Paus:
Mit jährlichen Einnahmeausfällen in welcher Höhe rechnet die Bundesregierung, wenn eine an der jährlichen Inflationsrate orientierte Indexierung des Einkommensteuertarifs
stattfände?
Frau Kollegin Paus, die Bundesregierung beabsichtigt
keine Indexierung des Einkommensteuertarifs. Dies
schließt nicht aus, dass zukünftig bei einer möglichen
Weiterentwicklung des Einkommensteuertarifs die Veränderung verschiedener wirtschaftlicher Größen wie
zum Beispiel der Inflationsrate berücksichtigt wird.
Ihre erste Nachfrage.
Welche Schätzung liegt denn der Haushaltsplanung
der Bundesregierung in Bezug auf die Inflationsrate aktuell zugrunde, und welche Wirkung hätte die Indexierung der Einkommensteuer entsprechend der Inflationsrate?
Ich kann Ihnen aus dem Stegreif nicht beantworten,
welche Wirkung das hätte.
Würden Sie das schriftlich nachreichen?
Das kann ich Ihnen gerne schriftlich nachreichen.
Eine Nachfrage des Kollegen Dr. Gerhard Schick.
Würden Sie denn sagen, Herr Staatssekretär, dass dieses Thema der Indexierung, bei dem es auch um die
kalte Progression geht, angesichts der derzeitigen Inflationsrate besonders gravierend ist? Halten Sie die Inflationsrate in diesem Zusammenhang für hoch und deswegen durch die kalte Progression für eine hohe Belastung
für die Bürger, oder wie ist Ihre Einschätzung?
Ich möchte dazu keine subjektive Einschätzung abgeben. Die Bundesregierung wird diese Frage im Zusammenhang mit allen steuerlichen Maßnahmen im Bereich
des Einkommensteuertarifs insgesamt fundiert beantworten müssen. Ich bitte um Verständnis, dass ich einer
entsprechenden Entscheidungsfindung der Bundesregierung mit einer subjektiven Einschätzung in keiner Weise
vorgreifen möchte.
Vielen Dank. - Die Fragen 9 und 10 der Kollegin
Hilde Mattheis, die Frage 11 der Kollegin Bärbel Höhn
und die Fragen 12 und 13 der Kollegin Dr. Barbara Höll
werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 14 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele:
Warum setzt sich die Bundesregierung für weitere einschneidende Sparmaßgaben Griechenlands als Voraussetzung
für die Gewährung weiterer Garantien und anderer Hilfen ein
und nicht für die Streichung eines Großteils der Schulden
Griechenlands bei privaten Gläubigern, um dem Land eine
realistische Chance zu verschaffen, durch Investitions- und
Konjunkturprogramme der Bevölkerung Arbeit und Einkommen zu geben und aus der Krise zu kommen?
Lieber Herr Kollege Ströbele, nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern alle, die zurzeit bemüht
sind, durch internationale Solidarität im Rahmen des
IWF und der Europäischen Union Griechenland zu unterstützen, erwarten, dass im Hinblick auf weitere Hilfsmaßnahmen in Griechenland entsprechende Einsparungen vorgenommen werden. Das ist auch die Erwartung
der griechischen Regierung selbst. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die Süddeutsche Zeitung
von gestern zitieren. Dort wird berichtet, dass Vizepremierminister Pangalos in einer leidenschaftlichen Rede
die griechische Öffentlichkeit daran erinnert hat, dass
alle miteinander für den Bankrott des alten Systems verantwortlich seien. Der Vizepremierminister sagte wörtlich:
„Der größte Teil des Defizits geht auf Ausgaben für
Beamtengehälter und Renten zurück“ … Jahrelang
hätten die Wähler den Parteien „ihre Stimme verkauft“, im Tausch gegen einen Job im Staatsdienst.
Sie sehen also, Herr Kollege Ströbele, dass die griechische Regierung selbst im Hinblick auf die Verschuldungssituation Griechenlands Handlungsbedarf sieht.
Sie wissen, Herr Kollege Ströbele, dass die Bundesregierung die Beteiligung privater Gläubiger im Falle eines neuen Hilfsprogramms für Griechenland als Voraussetzung für einen deutschen Beitrag genannt hat. Mit
dieser Position war die Bundesregierung anfangs innerhalb der Europäischen Union, der Euro-Gruppe, aber
auch der entsprechenden internationalen Institutionen
sehr isoliert. Inzwischen haben wir erreicht, dass eine
private Gläubigerbeteiligung zur Voraussetzung für ein
neues Programm für Griechenland geworden ist. Unser
Haus und auch Bundesfinanzminister Schäuble persönlich stehen mit den Spitzen der deutschen Finanzwirtschaft in Kontakt, um diesbezüglich einen entsprechenden Beitrag der deutschen Finanzwirtschaft zu erreichen.
Sie fragten, warum die Bundesregierung nichts unternimmt, um den Griechen mittels Investitions- und Konjunkturprogrammen aus der Krise herauszuhelfen. Ich
darf darauf hinweisen, dass gerade Bundesminister
Schäuble gegenüber der Europäischen Kommission, der
Euro-Gruppe und der Europäischen Union sehr darauf
drängt, dass Griechenland durch entsprechende Wirtschaftsfördermaßnahmen - zum Beispiel soll durch die
Erzeugung von Solarstrom und durch Solartechnik Wertschöpfung erfolgen - Wachstumsperspektiven gegeben
werden. Diese Position der Bundesregierung hat dazu
geführt, dass der Präsident der Europäischen Kommission Barroso inzwischen angekündigt hat, dass eine Beschleunigung der Auszahlung und eine Bündelung von
Maßnahmen zur Förderung der griechischen Volkswirtschaft auf den Weg gebracht werden sollen. Auf diese
Weise sollen die Wachstumsperspektiven verbessert
werden.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, wie es der Bundesregierung geht, aber wenn ich sehe, was in Griechenland jetzt passiert und was dort beschlossen werden soll,
dann bin ich nicht nur erschrocken, sondern ich will
auch solidarisch sein. Nachdem bereits insbesondere im
Gesundheits- und Sozialbereich ganz erhebliche Sparmaßnahmen beschlossen wurden, werden den Griechen
nun noch zusätzliche erhebliche Einsparungen aufgedrückt. Man kann fast sagen, dass sie damit erpresst werden.
Nach den letzten Nachrichten aus Griechenland von
dieser Stunde ist das Volk in großer Unruhe. In Athen
herrscht fast Ausnahmezustand. Es fahren keine Bahnen.
Es ist zu einem Generalstreik gekommen. Es kommt vor
dem Parlament zu schweren Tumulten. Ich kann das angesichts dessen, was der Bevölkerung dort zugemutet
wird, verstehen. Wenn ich solche Nachrichten sehe,
frage ich mich schon, ob die Europäische Gemeinschaft
- also auch Deutschland und die Bundesregierung nicht eine erhebliche Verantwortung dafür trägt, was
sich derzeit im Urland unserer Demokratie abspielt.
Ich frage mich, ob man allein mit zusätzlichen einschneidenden Sparmaßnahmen in Griechenland etwas
erreichen kann. Ich frage mich auch, ob wir den Griechen nicht falsche Hoffnungen machen. Wir sollten uns
an diejenigen halten, die nach wie vor Gewinne machen.
Dabei handelt es sich um die großen Gläubiger und die
Reichen in Griechenland. Nach allem, was ich aus Griechenland gehört habe, werden ebendiese nicht zur Steuer
herangezogen bzw. nicht in dem Maße, wie das in anderen europäischen Ländern der Fall ist. Ich frage mich daher, ob die Bundesregierung nicht eher eine andere Linie
fahren und sagen sollte: Wir versuchen, euch wieder auf
die Beine zu helfen. Dann kann man über vieles andere
reden.
Herr Kollege Ströbele, niemanden lassen die Bilder
aus Griechenland unberührt. Ich sage aber noch einmal:
Es geht um eine Kombination von Maßnahmen der
Haushaltskonsolidierung, die unerlässlich sind. Das ist
nicht nur die Einschätzung der Bundesregierung, sondern auch die Einschätzung der Troika aus IWF, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank.
Sie sollten in diesen Tagen einmal das Gespräch mit
Menschen aus anderen Ländern und Regionen der Welt
führen, die in den letzten Jahren von starken Veränderungen ihrer Wirtschaft und von einem starken Reformdruck geprägt wurden, gerade auch im Hinblick auf
Hilfsmaßnahmen. In Gesprächen mit Vertretern asiatischer oder lateinamerikanischer Staaten werden Sie hören, dass auch diese einem harten Anpassungsprozess
ausgesetzt waren, um Hilfen des IWF zu bekommen.
Am Schluss hat sich gezeigt, dass diese Maßnahmen erfolgreich waren.
Wenn man sich verschiedene Staaten Asiens und Lateinamerikas anschaut, die in den letzten Jahren von ähnlichen Anpassungsprogrammen des IWF betroffen waren und die sich heute durch Prosperität, gesundes
Wachstum und soziale Stabilität auszeichnen, dann wird
man, glaube ich, sagen können, dass dieses Bündel von
Maßnahmen - jetzt den Griechen durch ein angepasstes
Programm mehr Zeit zu geben, die privaten Gläubiger
zu beteiligen, aber auch wachstumsfördernde Maßnahmen mit Unterstützung der Europäischen Union auf den
Weg zu bringen - richtig ist, um Griechenland neue Perspektiven zu geben.
Ihre zweite Zusatzfrage, Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, ich will mich jetzt nicht mit Ihnen
auf eine Diskussion einlassen - das darf ich laut Geschäftsordnung gar nicht - über das, was in Afrika oder
Lateinamerika tatsächlich angerichtet worden ist. Wir
befinden uns in Europa; auch Griechenland gehört zu
Europa und zur Europäischen Union. Wir haben immer
großen Wert darauf gelegt, dass wir zu einer weitgehenden Anpassung der Lebensverhältnisse in Europa kommen - so habe ich das immer verstanden - und dass wir
auf längere Frist gesehen immer enger zusammenwachsen wollen.
Ich weiß nicht, ob es dann richtig ist, ein ganzes Volk
in dieser Weise in Haftung zu nehmen und unter Druck
zu setzen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Vorgehensweise die Sympathien und die Begeisterung für Europa
in Griechenland erheblich dämpft, um das einmal milde
auszudrücken.
Herr Kollege Ströbele, es ist die griechische Regierung
selbst, die jetzt in einer sehr mutigen, bewundernswerten
Art und Weise Versäumnisse früherer griechischer Regierungen - gleich welcher politischen Zuordnung - aufarbeiten muss.
Es sind auch eindrucksvolle Persönlichkeiten griechischer Herkunft wie mehrere Nobelpreisträger, die international als Wissenschaftler anerkannt sind, die der griechischen Gesellschaft sagen, dass dieser harte Weg, die
Krise zu überwinden - nämlich durch Konsolidierung,
verbunden mit Wachstumsperspektiven -, unerlässlich
ist. Dass es an deutscher oder gesamteuropäischer Solidarität fehlt, Herr Kollege Ströbele, das kann man,
glaube ich, nicht ernsthaft behaupten angesichts des Garantierahmens im Milliardenbereich, den Deutschland
und die Europäische Union zur Absicherung der griechischen Finanzprobleme bereits auf den Weg gebracht haben.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Dr. Gerhard Schick.
Herr Staatssekretär, ich will hinsichtlich der Gläubigerbeteiligung nachhaken. Wir hatten im Ausschuss bereits kurz darüber gesprochen. Bei den Gläubigern gibt
es drei Gruppen: Die eine Gruppe sind die neu hinzugekommenen Gläubiger wie KfW oder Staaten, die in der
derzeitigen Situation Hilfskredite bereitstellen. Dann
gibt es die rein privaten Gläubiger. Es gibt noch eine
dritte Gruppe von Gläubigern privatrechtlicher Natur,
hinter denen aber de facto der Staat steht, zum Beispiel
Landesbanken oder die Bad Bank der HRE. Bei den rein
Privaten kann es sich wiederum um Banken, Versicherungen oder Fonds handeln.
Zum einen würde mich interessieren: Wer sitzt wirklich am Tisch, vor allem, wenn es um die Bad Bank der
HRE geht, aber auch bei Versicherungen und Fonds?
Zum anderen würde mich interessieren: Was meint die
Bundesregierung, wenn sie von der Beteiligung privater
Gläubiger redet, in Bezug auf diese einzelnen Gruppen?
Wie gestaltet sich der Wille der Bundesregierung hinsichtlich einer Beteiligung?
Herr Kollege Schick, ich hatte Ihnen heute im Ausschuss bereits ausführlich erklärt, dass für uns die
Grundlage das sogenannte französische Modell ist, das
von der französischen Finanzwirtschaft entwickelt und
der französischen Politik unterstützt worden ist. Wir
überlegen zurzeit gemeinsam mit allen genannten Beteiligten der Finanzwirtschaft, welchen Beitrag die Finanzwirtschaft in Deutschland hierzu leisten kann. Wir werden Parlament und Öffentlichkeit unverzüglich über das
Ergebnis unterrichten, sobald diese Gespräche abgeschlossen sind.
Es gibt eine weitere Nachfrage des Kollegen Carsten
Sieling.
Genau an dem Punkt möchte ich nachsetzen. Darf ich
Ihre Antwort so verstehen, dass dann auf der Seite der
privaten Gläubiger beispielsweise auch die Bad Bank
der HRE sitzt? Führen Sie Verhandlungen darüber, inwieweit sie sich beteiligen kann?
Herr Kollege Sieling, ich habe es heute schon im Ausschuss gesagt: Wenn klar ist, dass es trotz der vereinbarten Vertraulichkeit möglich ist, Beteiligte dieser Gespräche zu nennen, werde ich dies entsprechend tun.
Vielen Dank. - Die Frage 15 der Kollegin Daniela
Wagner wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen somit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Alle Fragen zu
diesem Geschäftsbereich werden schriftlich beantwortet.
Es handelt sich um die Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, die Frage 18 des Abgeordneten
Klaus Ernst, die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten
Anette Kramme, die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Werner Dreibus, die Fragen 23 und 24 der Abgeordneten Sabine Zimmermann sowie die Fragen 25 und 26
des Abgeordneten Markus Kurth.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten
Gustav Herzog werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Ostendorff auf:
Hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit, BfDI, nach Kenntnis der Bundesregierung bereits geprüft, ob das Gutachten des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
BMELV, zur Bewertung der Ehrwürdigkeit ehemaliger Mitarbeiter des Bundesministeriums bzw. der VorgängerbundesVizepräsident Eduard Oswald
ministerien im Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus
aus Datenschutzgründen veröffentlicht werden kann, und,
wenn ja, zu welchem Ergebnis kommt der BfDI?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ostendorff, die Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit liegt dem BMELV seit dem 7. Juni 2011
vor. Der Bundesdatenschutzbeauftragte kommt darin zu
dem Ergebnis, dass ein Informationsanspruch nach dem
Informationsfreiheitsgesetz hinsichtlich der im Gutachten enthaltenen personenbezogenen Daten von ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des damaligen
BML und des BMVEL wegen des Personalaktengeheimnisses, von einem Einzelfall abgesehen, nicht besteht.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär Bleser. Nach unseren Informationen hat der Datenschutzbeauftragte sehr
wohl gesagt - meine Frage ist, ob Sie diesen Vorschlag
kennen -, dass man ein Splitting zwischen den Mitarbeitern, die in öffentlicher Funktion tätig waren, und - ich
sage es jetzt einmal stark vereinfacht, weil wir nicht zu
tief in die Materie einsteigen wollen - dem Hausmeister
vornehmen sollte. Wenn Sie bestätigen können, dass Sie
den Vorschlag kennen: Wie bewerten Sie grundsätzlich
den Vorschlag, eine Aufteilung zwischen den uns interessierenden Personen der Zeitgeschichte und den Mitarbeitern des Hauses in unteren Funktionen vorzunehmen?
Wir sind diesem Vorschlag gefolgt. Das betrifft den
genannten Einzelfall. Hier handelt es sich um den beamteten Staatssekretär Dr. Walther Florian, der 1984 im
Amt war und inzwischen verstorben ist.
Eine weitere Frage, Herr Kollege.
Wurde dem Staatssekretär, Herrn Dr. Florian, die Ehrwürdigkeit aberkannt, wie es bei ähnlichen zeitgeschichtlichen Prüfungen bei anderen Ministerien geschehen ist? Wie gedenken Sie dort vorzugehen?
Das kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich werde
Ihnen aber eine schriftliche Antwort auf Ihre Frage zukommen lassen.
Vielen Dank. - Nun rufe ich die Frage 30 ebenfalls
unseres Kollegen Friedrich Ostendorff auf:
Welche Konsequenzen haben die deutschen Behörden aus
den Hinweisen seitens des russischen Chefveterinärs Sergej
Dankwert gezogen, der mit Hinweis auf eine angebliche
Ehec-Belastung deutscher Fleisch- und Milchprodukte ab
27. Juni 2011 für bestimmte deutsche Lieferanten ein Importverbot erlassen hat?
Bitte schön.
Kollege Ostendorff, der Föderale Dienst für veterinärrechtliche und phytosanitäre Überwachung der Russischen Föderation, Rosselchosnadsor, hat mit Wirkung
vom 27. Juni temporäre Beschränkungen für die Lieferung tierischer Erzeugnisse in die Russische Föderation
von zehn Milch- und drei Fleischverarbeitungsbetrieben
angeordnet. Der Leiter des russischen Veterinärdienstes,
Dr. Nikolai Wlassow, hat gegenüber dem ELV-Referenten der Botschaft in Moskau bestätigt, dass die Sperre
nicht im Zusammenhang mit dem in Deutschland seit
Mai 2011 beobachteten Ehec-Ausbruchsgeschehen beim
Menschen steht. Sie ist vielmehr Ergebnis einer von
Ehec unabhängigen Inspektion durch Vertreter von
Rosselchosnadsor in der Zeit vom 10. bis zum 22. April
dieses Jahres. Dabei wurde die Einhaltung der veterinärrechtlichen Anforderungen und Normen der Zollunion
und der Russischen Föderation überprüft.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön, Herr Kollege.
Ich möchte meine Frage gerne erweitern. Das hängt
mit der Tatsache zusammen, dass es hier um einen Wirtschaftsbereich geht, der sehr stark von dritten Märkten
abhängig ist. Die nachgelagerte Wirtschaft, die deutsche
Fleisch-, Gemüse- und Milchwirtschaft, ist heftig betroffen. Das zur Erklärung.
Zur Debatte über Ehec. Uns liegt eine Expertise von
amerikanischen Wissenschaftlern vor, die schon 1998
darauf hingewiesen haben, dass bei sehr starkem Kraftfuttereinsatz bei Milchkühen das Aufkommen von Ehec
sehr viel häufiger zu verzeichnen ist, als bei Kühen, die
weniger mit Kraftfutter, dafür mehr mit Heu gefüttert
werden. Kennt die Bundesregierung diese wissenschaftlichen Ergebnisse? Wenn Ja, was schließen Sie daraus?
Diese Frage steht nicht im Zusammenhang mit der
Ursprungsfrage. Insofern konnte ich keine Antwort vorbereiten. Ich werde Ihnen dazu eine schriftliche Antwort
zukommen lassen.
({0})
Vielen Dank. Die weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich werden schriftlich beantwortet. Das betrifft die Fragen 31 und 32 der Kollegin Cornelia Behm
sowie die Fragen 33 und 34 der Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen 35 und 36
des Kollegen Omid Nouripour werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Nach meinen Unterlagen ist zwischenzeitlich die schriftliche Beantwortung aller Fragen zu diesem Geschäftsbereich erbeten worden. Das betrifft die Frage 37 der Kollegin Heidrun Dittrich sowie die Fragen 38 und 39 der
Kollegin Caren Marks.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 40 der Kollegin
Dr. Marlies Volkmer wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Die Fragen 41 und 42 des Kollegen Uwe Beckmeyer sowie die Fragen 43 und 44 des Kollegen Hans-Joachim
Hacker werden schriftlich beantwortet. Das gilt ebenfalls für die Fragen 45 und 46 des Kollegin Dr. Anton
Hofreiter.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen 47 und 48 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl und die Frage 49 der Kollegin Dorothee
Menzner werden schriftlich beantwortet. Ist der Kollege
Dr. Hermann Ott zur Beantwortung der Fragen 50 und
51 anwesend? - Das ist nicht der Fall. Es wird verfahren,
wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 52
und 53 des Kollegen Hans-Josef Fell werden ebenfalls
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen 54
und 55 des Kollegen Michael Gerdes, die Fragen 56 und 57
der Kollegin Marianne Schieder sowie die Fragen 58
und 59 der Kollegin Ulla Burchardt werden schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Die Frage 60 der Kollegin Sabine Stüber
wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen 61 und 62 der Kollegin Ingrid Nestle, die Fragen 63
und 64 des Kollegen Oliver Krischer, die Frage 65 der
Kollegin Dorothee Menzner sowie die Frage 66 der Kollegin Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes.
Ich rufe die Frage 67 unserer Kollegin Dr. Susanne
Kastner auf:
Welche Kriterien und Maßstäbe werden vom Auswärtigen
Amt bei der jährlichen Ressourcenplanung angesetzt hinsichtlich der Entscheidung über die Schließung bzw. den Erhalt
von konsularischen Vertretungen in Rumänien, und wie erfolgen deren Evaluation und Gewichtung?
Bitte schön, Frau Staatsministerin Cornelia Pieper.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Kastner, im Rahmen der jährlichen Ressourcenplanung
hat das Auswärtige Amt entschieden, in Rumänien neben der Deutschen Botschaft in Bukarest weiterhin an
zwei Standorten, in Temeswar und in Hermannstadt,
konsularisch vertreten zu sein. Das Berufskonsulat
Temeswar wird allerdings in ein Honorarkonsulat umgewandelt. Diese Entscheidung war Teil eines Pakets von
Veränderungen im Netz der Auslandsvertretungen, die
erforderlich wurden, um das Netz unserer Auslandsvertretungen an neue außenpolitische Rahmenbedingungen
anzupassen.
Für die Veränderungen in Rumänien, insbesondere in
Temeswar, sprechen folgende Gründe:
Erstens. Der Beitritt Rumäniens zur EU und zur
NATO hat neue Rahmenbedingungen geschaffen. Beziehungen können nun mit schlankeren organisatorischen
Strukturen gepflegt werden.
Zweitens. Der Bedarf an rechtskonsularischen Dienstleistungen ist rückläufig.
Drittens. Unser Netz in Rumänien ist angesichts der
andernorts bereits erfolgten Verschlankung unserer Konsularpräsenz im EU-Raum immer noch vergleichsweise
dicht.
Viertens. Mit der Vertretung in Temeswar haben wir
die im Vergleich mit Hermannstadt kleinere Vertretung
zur Umwandlung in ein Honorarkonsulat vorgesehen.
Auch ist das Aufkommen an Konsularfällen in Temeswar geringer als in Hermannstadt.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Frau Kollegin Pieper, geben Sie mir recht, wenn ich
sage, dass ein Honorarkonsulat längst nicht die Ausstattung hat, die ein Generalkonsulat hat, und dass ein Honorarkonsul nicht die gleichen Interessen verfolgt wie
ein hauptamtlicher Konsul?
Ich muss Ihnen widersprechen, weil ich in meinem
Amt weltweit die Erfahrung gemacht habe, dass Honorarkonsulate sehr gut arbeiten können, wenn sie vom
Auswärtigen Amt eine entsprechende Unterstützung erhalten. Diese Unterstützung werden wir natürlich weiterhin gewähren.
In Temeswar geht es nicht um eine Umwandlung von
heute auf morgen, sondern es geht um einen geordneten
und unter Partnern von Anfang an transparent kommunizierten Übergang, bei dem gewährleistet ist, dass die Betreuungsfunktion des Konsulats in die neue Organisationsform überführt werden kann. Der Termin wird
maßgeblich davon abhängen, wann ein geeigneter Honorarkonsul zur Verfügung steht. Auch diesbezüglich ist
noch keine Entscheidung gefallen.
Frau Staatsministerin, Temeswar ist von drei Hauptstädten umgeben. In Temeswar lebt im Vergleich zu Hermannstadt die größere deutsche Minderheit. In Hermannstadt leben ausweislich der Volkszählung nicht so
viele Angehörige von Minderheiten. Sie machen das
Ganze ja aus Einspargründen. Warum haben Sie vor diesem Hintergrund nicht überlegt, einen halbwegs normalen Ausgleich zu schaffen, sprich, das Generalkonsulat
in Hermannstadt als normales Konsulat beizubehalten,
um unter dieser Prämisse das Konsulat in Temeswar
weiter als normales Konsulat betreiben zu können? Warum haben Sie über so eine Möglichkeit nicht nachgedacht?
Wir haben über diese Möglichkeit nachgedacht, Frau
Abgeordnete. Wir sind nach der Überprüfung aber zu der
Erkenntnis gelangt, dass es - das sagte ich schon - in
Hermannstadt das größere Konsularaufkommen gibt und
eben nicht in Temeswar. Wir gehen aber davon aus und
legen auch großen Wert darauf, dass wir weiterhin mit
der deutschen Minderheit in Temeswar auf gleichem Niveau zusammenarbeiten werden. Das Auswärtige Amt
beabsichtigt nicht, das Ausmaß der Zusammenarbeit und
der Unterstützung für die deutsche Minderheit zu minimieren oder herabzusetzen.
Wenn Sie erlauben, gebe ich Ihnen noch die Information, dass kein anderes Land außer Rumänien - Ungarn
ausgenommen - neben einer Botschaft über zwei berufskonsularische Vertretungen verfügt. Im Vergleich mit der
konsularischen Präsenz anderer Staaten in Rumänien
bleiben wir selbst nach den geplanten Änderungen in Temeswar an vorderer Stelle. Das gilt auch für die Präsenz
von Auslandsvertretungen des Auswärtigen Amtes. Ich
kann Ihnen das gerne in Zahlen darstellen: Die Gesamtkosten des Auswärtigen Amtes für die Vertretungen
- Botschaften und Konsulate - in Rumänien betragen
7 Millionen Euro. Im Vergleich dazu betragen sie in Bulgarien 4,3 Millionen Euro, in Tschechien 3,5 Millionen
Euro und in Ungarn 4,7 Millionen Euro. Daran sieht
man, dass wir eine sehr starke Präsenz in Rumänien haben. Diese wollen wir natürlich behalten.
({0})
Wir können das mit der Frage 68 verbinden. Sie können Ihre Frage dann einbauen.
Ich rufe die Frage 68 der Kollegin Dr. Kastner auf:
Aus welchen Gründen strebt das Auswärtige Amt bei den
Einsparungen in der Globalplanung keine paritätische Lastenverteilung bei den Auslandsvertretungen in Rumänien an, und
wie sollen die Präsenz in der Fläche sowie die Betreuung der
deutschen Minderheiten künftig gewährleistet werden?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Frau Abgeordnete, eine paritätische Lastenverteilung,
also eine gleichmäßige Personalreduzierung, in den drei
Vertretungen in Rumänien ist unter dem Gesichtspunkt
der Ressourceneinsparung keine Alternative zur Umwandlung des Berufskonsulats Temeswar in eine honorarkonsularische Präsenz. Denn Sachkosten wie zum
Beispiel Mieten, Kosten für Dienstwagen und Personalkosten für Ortskräfte würden in unveränderter Höhe anfallen.
In Rumänien erfolgt kein Rückzug auf der Fläche. Ich
sage es noch einmal: Die Präsenz in der Fläche wird
durch Einsetzung eines Honorarkonsuls in Temeswar gewährleistet bleiben. Der Standort Temeswar wird nicht
aufgegeben. Nach wie vor werden wir an drei Dienstorten in Rumänien präsent sein: mit der Botschaft in Bukarest, mit dem Generalkonsulat in Hermannstadt und
- zukünftig - mit dem Honorarkonsulat in Temeswar.
Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatsministerin, ich hätte dann gerne eine Übersicht über die Aufgliederung der Kosten für Botschaft,
Generalkonsulat und Konsulat in Rumänien. Ich glaube,
dass ein Rückzug auf der Fläche durchaus gegeben ist;
denn der Westen des Landes wird durch die Auflösung
des Konsulats in Temeswar völlig entvölkert.
Ich stelle gleich meine zweite Nachfrage. Ich möchte
gerne wissen, welche Ausstattung ein Honorarkonsul
hat. Ich glaube, es ist eindeutig Augenwischerei, wenn
Sie sagen, dass ein Honorarkonsul dasselbe leisten kann
wie ein Konsulat.
Ich möchte ergänzen, dass das geplante Honorarkonsulat, also der Honorarkonsul, weiterhin bestimmte konsularische Dienstleistungen anbieten wird, auch für die
deutsche Minderheit, und in Zusammenarbeit mit der
Botschaft natürlich unsere Interessen in der Region um
Temeswar wahren wird. Es wird Konsularsprechtage geben. Vieles - das sagte ich schon - soll beibehalten werden.
Selbstverständlich bekommen Sie einen Einblick in
die Details. Ich werde Ihnen eine Darstellung der Haushaltsmittel und deren Aufteilung für die Botschaft und
die Konsulate und auch eine Darstellung der Kosten der
zukünftigen Ausstattung des Honorarkonsulats - da sind
wir noch in der Planung - gerne zusenden.
({0})
Vielen Dank. - Die Fragen 69 und 70 des Abgeordneten Tom Koenigs, die Fragen 71 und 72 des Abgeordneten Andrej Hunko und die Frage 73 des Abgeordneten
Volker Beck werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 74 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über bereits
getroffene Vereinbarungen von nichtmilitärischen Organisationen im Norden Afghanistans seit 2009 mit Taliban und anderen Aufständischen über Aufbauprojekte wie die Anlegung
und den Betrieb von neuen Brunnen, Straßen und Brücken sowie Schulen insbesondere für Mädchen und über die Einhaltung solcher Zusagen, und welche Bemühungen hat die Bundesregierung veranlasst, um in ihrem Verantwortungsbereich
in Afghanistan Angriffe mit dem Ziel „capture or kill“ auf gelistete Zielpersonen durch Spezialeinheiten und Drohnen zu
beenden, durch die immer neuer Hass geschürt und die Bevölkerung aufgebracht wird, und um Gespräche sowie konkrete
Verhandlungen mit den Aufständischen zu fördern mit dem
Ziel, das Töten zu beenden, Waffenstillstand zu erreichen und
den Abzug der ausländischen Truppen einzuleiten?
Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Ströbele, der
Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über Vereinbarungen von nichtmilitärischen Organisationen mit regierungsfeindlichen Kräften über zivile Aufbauprojekte
im Norden Afghanistans vor. Die Fortsetzung der bisherigen Operationsführung auf der Grundlage des Operationsplanes und der Einsatzregeln der NATO, die im
Rahmen der Vorgaben des humanitären Völkerrechts erstellt wurden, hängt von der Entwicklung der Sicherheitslage ab. Die Bundesregierung ist der Auffassung
- das ist Ihnen sicherlich bekannt -, dass der Konflikt in
Afghanistan nicht allein mit militärischen Mitteln zu lösen ist. Wir unterstützen daher den Versöhnungsprozess
der afghanischen Regierung mit dem Ziel, das Land zu
befrieden und den Abzug ausländischer Truppen zu ermöglichen.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Ströbele.
Danke. - Frau Staatsministerin, ich bedauere außerordentlich, dass Sie den ersten Teil meiner Frage mit Nichtwissen beantwortet haben. Mir liegt eine ganze Reihe von
Beispielen vor - vielleicht lasse ich Ihnen diese einmal
zukommen -, die zeigen, dass deutsche, aber auch anderen NGOs, die in Afghanistan beispielsweise Schulen,
Mädchenschulen aufbauen, Brunnen bauen - einen hat
mein Büro mitfinanziert - oder Krankenhäuser aufbauen, zwar in der Regel nicht direkt mit Aufständischen
verhandeln, aber über Dorfälteste und ähnliche Wege
Kontakt aufnehmen, um Vereinbarungen zu treffen, dass
ihre guten Werke Bestand haben und nicht beschädigt
werden und die Menschen, die dort arbeiten oder zur
Schule gehen, nicht angegriffen werden. Da gibt es viele
Beispiele. Das konnten Sie auch im Fernsehen sehen.
Herr Willemsen zum Beispiel ist jemand, der mit solchen Projekten zu tun hat und uns das auch schon im
Fernsehen erklärt hat. Ich bitte das Auswärtige Amt, sich
da vielleicht einmal kundig zu machen.
Ich komme jetzt zum zweiten Teil meiner Frage, die
Sie allgemein mit dem Bezug auf humanitäre Verantwortung, welche die Bundesregierung sicher auch hat, beantwortet haben. Darauf kann ich nur immer wieder zurückkommen: Nach meinen Informationen sind im
Norden Afghanistans - in dem Bereich, in dem die Bundeswehr bzw. Deutschland die Verantwortung hat - über
1 400 solcher „capture or kill“-Aktionen - meist nachts durchgeführt worden, die dann jeweils zu Opfern in erheblicher Zahl geführt haben. Das geschah teils mittels
Drohnen, teils durch Spezialkommandos. Ist die Bundesregierung nicht mit mir der Meinung, dass damit jeglicher Versöhnungs- und Verhandlungsprozess konterkariert wird und dass man viel mehr auf flächendeckende
- meinetwegen auch kleinteilige - Verhandlungen als
auf solche „capture or kill“-Aktionen setzen sollte?
Ich gebe Ihnen zumindest unter dem Gesichtspunkt
recht, Herr Abgeordneter, dass die Situation in Afghanistan weitaus komplizierter ist, als man sie hier in der
Kürze der Zeit wiedergeben kann. Sie haben dort selbst
beim zivilen Aufbau bzw. bei der humanitären Hilfe sehr
viele Erfahrungen gesammelt. Ich bin durchaus auch an
Ihren Beiträgen und Vorschlägen sowie an den Dingen
interessiert, die Sie dort erlebt haben. Ich bitte um Informationen. Wir werden sie gerne prüfen und sehen, ob
sich das bestätigen lässt oder nicht.
Darüber hinaus kann ich Ihnen, was „capture or kill“
anbelangt, nur antworten, dass alle in Afghanistan tätig
werdenden Staaten den einschlägigen Regeln des Völkerrechts - einschließlich des humanitären Völkerrechts unterliegen. In einem nicht internationalen, bewaffneten
Konflikt dürfen die Regierungstruppen und die sie unterstützenden Truppen feindliche Kämpfer gegebenenfalls
auch außerhalb der Teilnahme an konkreten Feindseligkeiten auf der Grundlage des humanitären Völkerrechts
gezielt bekämpfen, was auch den Einsatz tödlich wirkender Gewalt einschließen kann. Das ist aus meiner Sicht
- dies ist aber schon öfter hier im Parlament diskutiert
worden - sicher immer eine Gratwanderung.
Weil Sie das Thema „capture or kill“ auch in Bezug
auf die Amerikaner kritisch aufgegriffen haben, will ich
in diesem Zusammenhang noch Folgendes sagen: Im
Rahmen der NATO-Gremien wird unter Beteiligung der
Bundesregierung das militärische Vorgehen bei ISAF
ständig im Lichte der allgemeinen Entwicklung der Operationen und auch im Hinblick auf mögliche Folgewirkungen für den politischen Gesamtprozess in Afghanistan überprüft.
Ihre weitere Nachfrage, Herr Kollege Ströbele.
Frau Staatsministerin, darf ich daraus schließen, dass
die Zurückhaltung der Bundesregierung in diesem Bereich, die jedenfalls immer wieder erklärt wird, gilt? Ist
es so, dass sich die Bundeswehr und andere Sicherheitsorgane Deutschlands in Afghanistan nicht an gezielten
Tötungsaktionen beteiligen und in keiner Weise unterstützend tätig sind? Das wurde mir von der Bundesregierung schon mehrfach versichert. Ich hoffe, es stimmt.
Ich weiß es nicht. Und darf ich daraus schließen, dass
sich die Bundeswehr an solch gezielten Tötungsmaßnahmen - ich meine nicht den Einsatz tödlicher Waffen oder
so, sondern gezielte Tötungsmaßnahmen in dem Sinne,
dass man eine Person mittels Drohnen bzw. von Drohnen abgeschossener Raketen gezielt tötet - nicht beteiligt?
({0})
Herr Abgeordneter, ich weiß, dass Sie sehr an diesem
Thema interessiert sind; denn Sie haben schon mehrmals
Fragen dazu gestellt. Ich will Ihnen noch einmal ganz
klar sagen, dass sich die Bundesregierung natürlich an
die Regeln des Völkerrechts und insbesondere des humanitären Völkerrechts hält.
({0})
Vielen Dank.
Die Frage 75 der Abgeordneten Sevim Dağdelen und
die Fragen 76 und 77 des Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen
Koppelin werden schriftlich beantwortet.
Die Abgeordnete Heike Hänsel hat die Fragen 78 und 79
gestellt. Sie ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie
in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen 80 und 81 des Kollegen Memet Kilic und die Frage 82 der Kollegin Sevim
Dağdelen werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 83 des Kollegen
Dr. Konstantin von Notz und die Frage 84 des Kollegen
Volker Beck werden schriftlich beantwortet.
Mir liegen keine weiteren Fragen vor.
Es ist vereinbart, dass wir die Sitzung nun unterbrechen und sie um 15.35 Uhr mit der Aktuellen Stunde,
beantragt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, fortsetzen.
Die Sitzung ist bis 15.35 Uhr unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zu den Antworten der Bundesregierung auf die mündlichen Fragen 1 und 2 auf Drucksache 17/6273 eine Aktuelle
Stunde verlangt. Das entspricht den Richtlinien für die
Aktuelle Stunde - Anlage 5 1 b - in unserer Geschäftsordnung.
Damit kommen wir zu Zusatzpunkt 2:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b
GO-BT
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die Fragen 1 und 2 auf Drucksache 17/6273
Ich rufe als Erstes den Kollegen Fritz Kuhn für
Bündnis 90/Die Grünen auf.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als wir gehört haben, dass die FDP jetzt wieder Steuersenkungen will, haben wir nur gedacht: Der
Wahnsinn geht systematisch weiter.
({0})
Nachdem Sie mehrmals an die Wand gelaufen sind,
probieren Sie es erneut.
Ich will Ihnen sagen, dass wir davon überzeugt sind,
dass das, was Sie hier vorhaben, nicht geht, und zwar aus
folgenden Gründen nicht:
Erstens. Für 2012 haben wir noch ein Defizit von
30 Milliarden Euro im Haushalt zu erwarten.
Zweitens. Die Steuereinnahmen liegen noch um
60 Milliarden Euro unter den bei der Steuerschätzung
vor der Finanzkrise prognostizierten Einnahmen. Das
heißt, wir befinden uns noch nicht einmal auf dem alten
geplanten Niveau von vor der Banken- und Finanzkrise.
Drittens. Es gibt gigantische Haushaltsrisiken: Einige
in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigten
Maßnahmen wie die Finanzmarkttransaktionsteuer und
viele andere sind nicht umgesetzt. Der ESM, der neue
europäische Schutzschirm, wird uns in den nächsten Jahren 22 Milliarden Euro zusätzlich kosten. Wir beschließen gerade - morgen werden wir das erneut tun - hohe
Investitionen zur Umsetzung der Energiewende, die der
Staat mit unterstützen muss, und letztlich haben wir auch
ein Bildungsdefizit.
Im Klartext heißt das: Es gibt enorm viele Notwendigkeiten für staatliches Handeln, und Sie greifen in die
Kasse des Staates.
({1})
Herr Brüderle, wir finden es spannend und bemerkenswert, dass Sie die Schuldenbremse nicht kapiert haben. Sie haben nicht verstanden, was zur Schuldenbremse jetzt in unserer Finanzverfassung steht. Ich darf
einmal Art. 115 Abs. 2 des Grundgesetzes zitieren. Dort
heißt es:
Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen.
Das heißt, durch die Schuldenbremse werden wir
dazu verpflichtet, Schulden zu tilgen, Geld zurückzulegen und vorsichtig zu sein, wenn konjunkturell bedingt
mehr Geld in der Staatskasse ist, um in der Krise investieren oder Steuern senken zu können. Wir haben also
eine antizyklisch zu verstehende Schuldenbremse im
Grundgesetz.
Was macht die FDP?
({2})
Sie sagt: „Nein, da gehen wir lieber prozyklisch dran,
wir senken jetzt die Steuern“, obwohl Sie Geld zurücklegen und die Schulden senken müssten.
({3})
Ich werfe Ihnen vor, dass Sie gar nicht verstanden haben, was dieses Haus in die Verfassung geschrieben hat.
({4})
Verstanden hat das der Ministerpräsident von Sachsen,
der ja nicht an uns, sondern an die CDU und die FDP
adressiert gesagt hat - ich zitiere Herrn Tillich -: „In guten Zeiten werden die Haushalte versaut.“
Im Klartext heißt das: Was Sie hier vorschlagen und
diskutieren
({5})
- guten Tag, Herr Kampeter, schön, dass Sie eingetroffen sind -, funktioniert nicht, sondern damit zerstören
Sie die Möglichkeit, die Schuldenbremse tatsächlich
umzusetzen.
({6})
Denn das Geld, das Sie jetzt aufgrund der Konjunktur
glauben als Steuersenkung verausgaben zu können, wird
in den Krisenzeiten fehlen. Das führt zu einem strukturellen Defizit, aufgrund dessen in der Krise Mittel für
staatliches Handeln fehlen werden.
Herr Brüderle, eines kommt hinzu - das sage ich auch
an Herrn Rösler gerichtet; er ist ja jetzt der Vorsitzende,
wenn ich das richtig sehe -:
({7})
Können tut ihr es immer noch nicht. Ihr seid mit eurer
Steuersenkungsdiskussion jetzt fünfmal - ganz vornehm
formuliert - auf die Fresse geflogen. Und was macht ihr?
Ihr ruft wieder aus - dabei könnt ihr euch kaum bremsen -: Hurra, wir machen eine Steuersenkung! - Ihr habt
noch nicht kapiert, wie das geht, aber sagt der staunenden
Bevölkerung schon, dass das geht. Da hilft, Herr
Brüderle, eine alte Weisheit aus dem Turnsport. Sie heißt:
Schwung ersetzt die Technik nicht.
({8})
Was euch fehlt, ist einfache und schlichte Regierungstechnik: Wenn ich etwas machen will, dann erkundige
ich mich vorher, wie das geht.
In der FDP müsste man eigentlich wissen - da könnte
man Herrn Solms fragen -, dass man bei einer Senkung
der Einkommensteuer die Länder fragen muss. Sie sind
mit 42,5 Prozent und die Kommunen mit 15 Prozent an
den Einnahmen aus dieser Steuer beteiligt. Das heißt,
ehe so etwas verkündet wird, muss man schauen, was die
Ministerpräsidenten der Länder dazu sagen. Interessant
ist: Mit Ausnahme Bayerns haben auch die unionsregierten Länder, auch die wenigen, in denen die FDP noch
mitregiert, erklärt, dass Steuersenkungen nicht möglich
sind. Auch die Bundesländer haben eine Schuldenbremse. Sie ist sogar noch rigider als die des Bundes.
Ich komme zum Schluss. Manche haben gesagt, das
sei ein Rettungsschirm für die FDP. Es gibt die schöne
Frage: Was ist der Unterschied zwischen Griechenland
und der FDP? Die Antwort ist ganz einfach: Griechenland ist mit Sicherheit - das gilt für den Euro sowieso die 180 Milliarden Euro wert, die die beiden Rettungsschirme kosten. Aber ich habe noch keinen getroffen,
der gesagt hat, die FDP sei jährlich 7 Milliarden Euro
wert. Ich glaube, Sie finden niemanden, der diese Aussage bejahen würde. Denken Sie noch einmal über Ihre
Idee nach. Vielleicht kommen Sie auf eine bessere Lösung.
Vielen Dank.
({9})
Herr Kuhn, Sie haben heute Geburtstag. Es ist natürlich eine würdige Form, ihn mit einer Rede in der Aktuellen Stunde zu begehen. Wir wünschen einen schwungvollen Geburtstag, das kann man sicher sagen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Norbert Barthle für die
CDU/CSU-Fraktion.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Kollege Kuhn, ich will zum Anfang meiner Rede klarstellen: Erstens. Steuersenkungen
sind kein Griff in die Kasse des Staates. Steuererhöhungen sind ein Griff in die Taschen der Bürger. So herum
wird ein Schuh daraus.
({0})
Das sollten Sie immer richtig sehen, Ihre Sichtweise ist
da etwas verquer.
Zweitens. Meiner Ansicht nach war es keine glückliche Entscheidung der Grünen, diese Aktuelle Stunde zu
beantragen; denn die Absicht ist doch klar. Sie wollen
zwei Dinge erreichen: Erstens. Sie wollen die Glaubwürdigkeit dieser Koalition hinsichtlich der Einhaltung der
Schuldenregel infrage stellen. Zweitens. Sie wollen auf
diese Weise einen Keil zwischen CDU/CSU und FDP
treiben. Beides wird Ihnen mit dieser Aktuellen Stunde
nicht gelingen.
({1})
Ich will Ihnen auch ganz genau sagen, warum. Erstens. Wir sind uns vollkommen darin einig - darüber
habe ich noch gestern Abend mit Herrn Brüderle geredet -, dass wir beide, CDU/CSU und FDP, an die kalte
Progression herangehen wollen. Diese kalte Progression
in unserem Steuersystem bedeutet - das sage ich für die
Bürger außerhalb dieses Saales - im Gegensatz zum linear-progressiv ansteigenden Tarif einen Tarif mit einem
Buckel, dem sogenannten Mittelstandsbauch. Der Tarif
steigt in den unteren und mittleren Einkommensgruppierungen, bis etwa über 50 000 Euro Jahreseinkommen,
schneller an als in den anderen Einkommensgruppierungen.
Das führt dazu, dass der normale Arbeitnehmer, die
normale Arbeitnehmerin, bedingt durch Inflationsrate
und Lohnerhöhungen, netto nicht mehr in der Tasche haben, sondern dass dieser Lohnzuwachs durch die kalte
Progression wegbesteuert wird. Dieses Stück Ungerechtigkeit wollen wir gemeinsam bereinigen. Darin sind wir
uns vollkommen einig, da gibt es keinen Dissens.
Zweitens. Beim Einhalten der Schuldenregel gibt es
erst recht keinen Dissens. Im Gegenteil: Wenn eine
Koalition in diesem Hohen Hause in der Lage ist, den
Haushalt zu konsolidieren, dann ist es diese bürgerliche
Koalition und niemand anderes.
({2})
- Das Gelächter auf der einen Seite dieses Hauses ist
hier wirklich demaskierend. Ich erlaube mir einen kleinen Blick in die Geschichte. Herr Kuhn, Sie hatten während der rot-grünen Regierungszeit in Ihrer Fraktion eine
entscheidende Position inne. 2005 hat die Regierung
Schröder vorzeitig das Handtuch geworfen, und zwar
unter anderem deshalb, weil eine Verschuldung von
50 Milliarden Euro - damals eine gigantische Summe gedroht hat. 2005 sind CDU und CSU in die Regierung
eingetreten.
Wir haben dann sehr schnell die exorbitante Nettokreditaufnahme auf damals 38 Milliarden Euro reduziert
und sie dann sukzessive zurückgeführt.
({3})
- Okay, ihr ward dabei. Aber jetzt habe ich gerade mit
Herrn Kuhn geredet. - Wir waren bei Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise nahe an ausgeglichenen Haushalten. Wir hätten ausgeglichene Haushalte erreicht. Das
wissen Sie genau.
Dann kam die Schuldenkrise. 2009 hat diese Koalition die Regierung übernommen. Wir mussten zunächst
die von Peer Steinbrück übernommene Nettokreditaufnahme von 86 Milliarden Euro abbauen. 86 Milliarden
Euro waren im Entwurf von Peer Steinbrück - in Klammern: SPD - vorgesehen. Im kommenden Jahr wird die
Neuverschuldung voraussichtlich unter 30 Milliarden
Euro sinken. Attestieren Sie uns doch, dass wir diejenigen sind, die sukzessive konsequent die Neuverschuldung zurückführen, den Bundeshaushalt konsolidieren
und ihn wieder auf eine solide Basis stellen.
Dazu zwingt uns auch die Schuldenregel. Eine der
großen Leistungen der Großen Koalition - aus meiner
Sicht eine historische Leistung - war die Einführung dieser Schuldenregel im Grundgesetz. Wenn Sie auf die bisher zwei Jahre unserer jetzigen Regierung zurückblicken, dann werden Sie feststellen, dass wir die Vorgaben
der Schuldenregel sogar unterschreiten. Wir machen weniger neue Schulden, als wir dürfen. Das zeigt, dass wir
nicht nur wild entschlossen sind, die Schuldenregel einzuhalten, sondern sie sogar unterbieten. Das ist unser
fester Wille. Denn oberste Priorität - so steht es im Koalitionsvertrag - hat die Konsolidierung des Haushalts.
Das steht über allen politischen Zielsetzungen. Dabei
bleibt es auch nach dieser Aktuellen Stunde.
Herzlichen Dank.
({4})
Joachim Poß hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Barthle, ich weiß nicht, in welcher Welt
Sie sich befinden,
({0})
oder ob Sie sozusagen automatisch die Realität ausschalten, wenn Sie an das Rednerpult treten. Das hörte sich so
an und war offenkundig Ausdruck Ihrer Verlegenheit.
({1})
Sie wissen es doch besser. Sie wissen auch, dass wir
im Jahr 2008 für den gesamtstaatlichen Ausgleich gesorgt hatten, der erstrebenswert ist, um auf Bundesebene
ohne Neuverschuldung auszukommen. Sie wissen, was
angesagt ist. Jeder in Deutschland, auch die Mitglieder
Ihrer Parteien, sind sehr unglücklich über den Klamauk
in dem Laden, der sich Koalition nennt. Das ist doch jeden Tag spürbar.
({2})
Ich bin etwas unglücklich über die öffentliche Debatte, die den Eindruck erweckt, wir hätten große
Spielräume für Steuersenkungen. Die haben wir
nicht …
So Wolfgang Schäuble.
({3})
Es hat zwar eine Woche gedauert, bis der Bundesfinanzminister auf die schuldenfinanzierten FDP-Steuersenkungsforderungen reagiert hat, dann aber hat er sich unmissverständlich geäußert. Schäuble weiter:
Grundsätzlich kann ich aber nur feststellen: Die
Steuerbelastung in Deutschland liegt unter dem
Durchschnitt der anderen Industriestaaten, und die
Herausforderungen, die auf uns und die Haushalte
warten, sind groß.
Damit hat Minister Schäuble höflich, aber eindeutig
seinen jungen Koalitionskollegen gesagt, was Sache ist:
Trotz guter Wirtschaftslage und Steuerschätzung ist kein
Geld für Steuersenkungen da. Erst muss konsolidiert
werden, und erst gilt es, die anstehenden Aufgaben wie
die Energiewende und die Bundeswehrreform zu finanzieren. Auch seien, so Schäuble weiter, die Steuerlasten
in Deutschland längst nicht so hoch, wie es uns die
Röslers, Lindners und gelegentlich auch CSU-Politiker
weismachen wollen.
({4})
Wo der Bundesfinanzminister recht hat, muss ihm
auch die Opposition recht geben. Diese klare Aussage
Schäubles entlarvt das, was hier seit zwei Wochen gespielt wird, als reine Polittaktik. Es geht um nichts anderes als um die Rettung der FDP, allerdings mit untauglichen Mitteln.
({5})
Hier gibt uns diese Koalition erneut eine ganz erbärmliche Vorstellung: eine von vielen. Auch fast zwei
Jahre nach der Übernahme der Regierungsverantwortung kann es nur ein Urteil über diese Regierung geben:
Die können es nicht.
({6})
Offenbar ist die Verzweiflung und Ratlosigkeit bei der
FDP so groß, dass als alleiniges vermeintliches politisches Erfolgsrezept erneut eine irrationale Steuersenkungsdebatte angestimmt wird. Statt Neuanfang ein jugendlicher Rösler als jüngere Kopie von Westerwelle!
Zukunft und Erfolg, Herr Kollege Brüderle, sind hier allerdings nicht zu sehen. Ihre Fixierung auf Steuersenkungen hat Sie doch in die Niederungen geführt, in denen Sie sich jetzt schon seit langem befinden. Es ist nicht
mehr überraschend, dass auch die Bundeskanzlerin aus
reinem Machtkalkül offenkundig bereit war, hier mitzuspielen und dafür wieder einmal eine 180-Grad-Drehung
in der Sache zu machen. So kennen wir sie, die Kanzlerin: eine Kanzlerin ohne klare Orientierung, ohne Leidenschaft in der Sache, bestimmt ausschließlich vom
Machterhalt. Das ist die Kanzlerin der Bundesrepublik
Deutschland.
({7})
- Ja, sicher, und die Kanzlerin hat hervorragend von den
Arbeitsergebnissen der SPD gelebt. Das ist ja das Traurige daran.
({8})
Ein Jahr lang standen Haushaltskonsolidierung und
Sparsamkeit über allem. Jetzt auf einmal soll das nicht
mehr gelten. Auf einmal spielen die verschiedenen
Haushaltsrisiken und die Schuldenbremse keine Rolle
mehr und werden von der Koalitionsspitze einfach ignoriert. Das wird Herr Schäuble nicht mitmachen können.
Mal sehen, was sein Parlamentarischer Staatssekretär
dazu sagt! Die Meinungsverschiedenheiten zwischen
Merkel und Schäuble zum Beispiel in der Europapolitik
haben uns schon genug geschadet.
({9})
Die Fortsetzung in der Innenpolitik ist höchst überflüssig.
Im Übrigen finde ich es bemerkenswert, Herr
Brüderle,
({10})
dass Sie alle im krampfhaften Bemühen um Steuersenkungen auf einmal zu Keynesianern mutiert sind. Jetzt
auf einmal seien Steuerentlastungen zwingend, um im
kommenden konjunkturellen Abschwung positive finanzielle Impulse zu setzen. Da wird an keiner Stelle fachlich sauber argumentiert. Deshalb fordere ich Herrn
Schäuble oder Herrn Kampeter auf: Legen Sie uns belastbare Zahlen darüber vor, wie hoch die kalte Progression gegenwärtig und voraussichtlich in nächster Zeit
sein wird!
({11})
Der Umstand, dass Begriffe wie „kalte Progression“ und
„Mittelstandsbauch“ flugs durcheinandergeworfen werden, zeigt: Sie haben meistens von den Sachen, über die
Sie reden, keine Ahnung. Das muss man wirklich konstatieren.
({12})
Ich wüsste auch gerne einmal,
Herr Kollege Poß.
- was Herr Rösler oder Herr Lindner unter kleinen
und mittleren Einkommen verstehen. Das alles erinnert
an eine Gespensterdebatte.
Herr Poß.
Mit solchen Debatten kennen Sie sich allerdings
schon seit zwei Jahren gut aus.
({0})
Der Kollege Dr. Volker Wissing hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuerst ein Satz zu Ihnen, Herr Kuhn. Ich finde, es ist
schon fast scheinheilig,
({0})
dass Sie sich in jeder Debatte hierhin stellen und das Hohelied auf die Schuldenbremse anstimmen. Es gibt zwei
Fraktionen in diesem Haus, die die Schuldenbremse
nicht wollten: Die eine ist die Linke, und die andere sind
Sie. Da Sie der Schuldenbremse nicht zugestimmt haben, sollten Sie in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck
erwecken, als wären Sie eine der Fraktionen, die sich um
einen soliden Haushalt bemühen. Das ist scheinheilig.
({1})
Sie wollten die Schuldenbremse nicht und haben ihr
nicht zugestimmt. Deswegen sind Sie nicht eine Fraktion
der Haushaltskonsolidierung, sondern das glatte Gegenteil. Sie sollten uns daher keine Vorwürfe machen. Sie
sollten besser in den Spiegel schauen.
Wir kämpfen für eine gerechtere Besteuerung der Beschäftigten. Und was ist vom linken Parteienspektrum zu
hören? - Ich darf zitieren: Das sei dreist; das sei finanzpolitisches Abenteurertum - ich glaube, das ist der
Quatsch der Grünen -, und das sei finanzpolitischer Suizid. Man kann mit einer solchen Verachtung über die
Leistung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sprechen. Sie mögen das tun. Aber das wird bei den Menschen, die den Aufschwung erarbeitet und Leistungen
erbracht haben, nicht ungehört bleiben. Dafür werden
wir sorgen.
({2})
Was insbesondere die Sozialdemokraten und die Grünen hier veranstalten, spottet jeder Beschreibung. In
Rheinland-Pfalz versenken die Sozialdemokraten unter
Kurt Beck Hunderte Millionen in einen Vergnügungspark. Aber Sie erklären uns, man könne die Bürgerinnen
und Bürger nicht entlasten. Rot-Grün bedient sich in
Mainz und Stuttgart an der Staatskasse, um zusätzliche
Ministerpöstchen zu schaffen.
({3})
Das machen Sie in Stuttgart mit der SPD, Sie machen
das in Rheinland-Pfalz, und Sie erklären der Öffentlichkeit, man könne die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit unteren und mittleren Einkommen nicht entlasten.
Meine Damen und Herren, wenn Sie von finanzpolitischem Suizid sprechen, dann ist das eine Dreistigkeit
sondergleichen.
({4})
Wir haben die Haushaltskonsolidierung erfolgreich vorangetrieben. Wir haben mit dem Sparpaket die Weichen
für die Einhaltung der Schuldenbremse gestellt, die wir
erkämpft haben. Wir haben mit unserer Wirtschaftspolitik dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit deutlich
zurückgegangen ist und die Sozialkassen entlastet worden sind. Jetzt zeitigt unsere Wachstums- und Konsolidierungspolitik Erfolge, jetzt wollen wir an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer denken. Die Menschen
sollen von ihrer Leistung stärker profitieren. Das mögen
Sie unverantwortlich nennen, für uns ist und bleibt das
aber eine Frage der Gerechtigkeit. Deswegen kämpfen
wir leidenschaftlich und auch mit Stolz für die Menschen, die diese Leistungen erbracht haben.
({5})
Ich sage Ihnen: Unverantwortlich ist etwas ganz anderes, nämlich die Art und Weise, wie Sie den Bürgerinnen und Bürgern die Teilhabe am Aufschwung verweigern wollen.
({6})
Unverantwortlich ist es auch, dass Sie von Einsparungen
reden und dann, wenn Sie Verantwortung tragen - wie in
Nordrhein-Westfalen - verfassungswidrige Schuldenhaushalte vorlegen. Sie kann doch nur ein Verfassungsgericht vom Schuldenmachen abhalten.
({7})
Deswegen sollten Sie nicht davon reden, dass man die
Menschen nicht entlasten kann. Man muss die Menschen
vor Ihrer Ausgabenpolitik schützen
({8})
und diejenigen am Wohlstand dieses Landes teilhaben
lassen, die ihn erarbeiten wollen.
({9})
Parteien wie die Sozialdemokraten und die Grünen,
die mithilfe der Justiz nur mit Müh’ und Not vom Schuldenetat ferngehalten werden können, sind nun wirklich
keine objektive und glaubwürdige Instanz, um über
Steuerentlastungen zu urteilen.
Die Bürgerinnen und Bürger werden das Geld niemals so schnell erarbeiten können, wie Sie von Rot-Grün
es ausgeben. Deswegen ist Ihre Kritik unseriös. Sie wissen das am besten. Sie wissen schon, dass jede Form der
steuerlichen Entlastung von Menschen mit unteren und
mittleren Einkommen strikt abzulehnen ist, ohne dass
Sie die konkreten Vorschläge dieser Koalition kennen.
({10})
Wer so vorgeht, der handelt aus Prinzip. Sie wollen die
Bürgerinnen und Bürger nicht entlasten, weil Sie glauben, deren Geld gehöre dem Staat; Herr Kuhn hat das ja
sehr entlarvend heute hier ausgeführt.
({11})
Franz Müntefering hat ganz deutlich gesagt, wie sich
die SPD die Verteilung der Einkommen vorstellt - ich
darf ihn zitieren -: Weniger für den privaten Konsum
und dem Staat das Geld geben, damit Bund, Länder und
Gemeinden ihre Aufgaben erfüllen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wollen wir
auch. Deswegen haben wir die kommunale Ebene entlastet. Wir haben die Weichen für eine kommunale Finanzreform gestellt; wir werden den Kommunen helfen.
Aber etwas für die staatliche Seite zu tun und die Menschen völlig zu vergessen, die mit ihrer Hände Arbeit all
das erwirtschaften, was verteilt werden kann, ist keine
seriöse Politik.
({12})
Deswegen müssen wir uns nicht rechtfertigen, wenn wir
nach erfolgreicher Haushaltskonsolidierung die Bürgerinnen und Bürger am Aufschwung beteiligen wollen.
Sie müssen sich rechtfertigen, wenn Sie den Menschen
die Früchte ihrer Arbeit vorenthalten.
({13})
Ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen, der heute einen Euro mehr erarbeitet, wird vom
Staat mit 54 Cent abkassiert. SPD, Grüne und Linke
wollen, dass das so bleibt. Union und FDP, meine Damen und Herren in der Öffentlichkeit, wollen, dass sich
das ändert, weil das kein gerechtes Steuersystem mehr
ist. Das unterscheidet die Opposition von der Koalition.
({14})
Sie mögen Ihre Verweigerungshaltung noch aufrechterhalten. Wir arbeiten an einer Lösung.
Herr Kollege.
Wir wollen ein gerechteres Steuersystem in Deutschland haben.
Herr Kollege, Sie kommen bitte zum Ende.
- Ja, ich komme zum Ende. - Ihre Vorstellungen sind
weder modern, noch sind sie besonders geistreich. Wir
werden unser Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht
aufgeben. Wir werden einen Vorschlag für mehr Steuergerechtigkeit vorlegen, und dann können Sie noch einmal darüber nachdenken, ob Ihnen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich gleichgültig sind.
Herr Kollege.
Ich lade Sie ein, an einer Lösung des Problems mitzuarbeiten.
({0})
Kollege Dr. Dietmar Bartsch hat jetzt das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Barthle, Sie haben Ihre Rede damit begonnen, zu behaupten, dass die Grünen versuchen, einen Keil in die
Koalition zu treiben. Das ist wirklich nicht mehr möglich, weil in dieser Frage der Abstand bereits so groß ist,
dass alle Keile dort durchfallen würden.
({0})
Ich bedauere Sie da wirklich ein bisschen; schließlich
müssen Sie sich so vorkommen, als wenn Sie hier permanent irgendwie mit der Schüler-Union agierten. Etwa
so ist nämlich das Niveau der Auseinandersetzung auf
finanzpolitischem Gebiet.
({1})
Ich will noch einmal festhalten: Diese Koalition will
in dieser Legislatur - das ist ihr Eckwertebeschluss Dr. Dietmar Bartsch
117 Milliarden Euro neue Schulden machen - 117 Milliarden Euro! Keine einzige Koalition der Bundesrepublik Deutschland hat in einer Legislatur jemals einen solchen Schuldenberg angehäuft. Das ist die Realität. Das
ist Ihre Politik.
({2})
Der Haushalt birgt diverse Risiken, was wir alle miteinander wissen. Wir haben es mit dem Thema Griechenland zu tun, mit der EU insgesamt - Portugal,
Irland -, das alles wissen Sie. Wir haben es mit der Tatsache zu tun, dass die Finanztransaktionsteuer im Moment, auch dank Ihrer Inaktivität, vermutlich nicht kommen wird. Wir haben es mit dem Thema „Ausfall der
Brennelementesteuer“ zu tun. Außerdem haben wir es
mit einer Energiewende zu tun, die selbstverständlich
Geld kosten wird. Das alles sind einfach Wahrheiten. Ich
sage noch einmal: Die 117 Milliarden Euro sind Ihre
Zahl. Dennoch reden Sie in dieser Situation über Steuersenkungen.
Ich will klar und eindeutig sagen: Niemand hier im
Hause, so hoffe ich, hätte etwas dagegen, bei kleinen
und mittleren Einkommen Entlastungen vorzunehmen.
Das ist selbstverständlich möglich. Es ist doch Fakt, dass
die Normalverdiener in den letzten zehn Jahren Einkommensverluste mit all den Folgen für die Altersvorsorge
und für die Konjunktur gehabt haben. Das ist die Realität.
({3})
Niemand hat grundsätzlich etwas gegen Steuersenkungen.
Ich will noch auf die Themen „Mittelstandsbauch“
und „kalte Progression“ eingehen. Natürlich können wir
sie gemeinsam angehen. Legen Sie die Zahlen auf den
Tisch, präsentieren Sie einen Gesetzentwurf! Und dann
können wir handeln. Schon die damalige Partei PDS hat
einen Vorschlag zur Abschaffung des Mittelstandsbauchs gemacht.
({4})
Legen Sie etwas vor! Dann können wir hier gern in der
Sache diskutieren.
({5})
Jetzt kommt das Entscheidende: Wenn Sie das machen wollen, müssen Sie über Steuerpolitik als Einnahmepolitik nachdenken. Ihr Vorgehen muss doch dazu
führen, dass die Einnahmen des Bundes, der Länder und
der Kommunen erhöht werden. Warum ist es in dieser
Situation nicht möglich, einmal darüber nachzudenken,
bei den Vermögenden etwas abzuholen, um bei kleinen
und mittleren Einkommen zu entlasten? In dem schwierigen Jahr der Krise ist das Bruttoinlandsprodukt zwar
um 4,7 Prozent zurückgegangen, allerdings ist die Zahl
der Vermögensmillionäre um 6,4 Prozent gestiegen. Das
ist die Wahrheit. Es gibt 861 700 Vermögensmillionäre.
Warum haben Sie nicht den Mut, hier etwas abzuholen,
({6})
um gegebenenfalls bei denjenigen in dieser Gesellschaft,
die wenig haben, etwas zu finanzieren? Warum ist das
nicht so?
Als die FDP an der Regierung war, lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent; Rot-Grün hat ihn gesenkt. Warum haben Sie nicht den Mut, in der Spitze etwas draufzulegen? Wenn man unten entlasten will, dann könnte
man über diese Dinge doch wirklich reden. Aber das alles machen Sie nicht.
Genauso ist es beim Thema Erbschaftsteuer. Wir
brauchen für die öffentlichen Haushalte - Bund, Kommune, Land - eindeutig mehr Einnahmen, um gegebenenfalls entlasten zu können. Jeder andere Weg - der
wirklich nur eine Hilfe für die FDP ist - wird letztlich
scheitern müssen, und er wird auch bei den Menschen in
diesem Land kaum anerkannt werden.
({7})
- Um uns, Herr Lindner, machen Sie sich keine Sorgen.
Sie machen Ihre Politik doch vor allem mit Blick auf die
Wahlen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern. Wir
wollen einmal sehen, welche Partei in die dortigen Parlamente einzieht und welche nicht.
({8})
Wir wollen einmal ganz in Ruhe schauen, wer was
schafft.
({9})
Es gibt sogar Menschen, die davon reden, dass diese
Steuerentlastung von 10 Milliarden Euro nur Symbolcharakter hat, wie Herr Bräuninger, der Konjunkturexperte des HWWI. Er sagt: Diese Politik hat nur einen
Symbolwert. Ich sage: Das ist nicht so. Es gibt nämlich
viel zu viel, was durch den Bundeshaushalt derzeit nicht
finanziert wird. Ich will nur ein Stichwort anführen - ich
könnte viele nennen -: Städtebauförderung. Da haben
Sie grandios gestrichen. Das war eine Fehlentscheidung;
das sagen auch die Kommunalpolitiker von FDP und
CDU. Dennoch wollen Sie entlasten und auch an dieser
Stelle vielleicht noch mehr streichen. Das ist eine falsche
Politik.
Ich will Sie einmal daran erinnern, wie der FDP-Slogan vor der Wahl hieß: Steuersystem - einfach, niedrig
und gerecht. Jetzt gilt:
({10})
Umfragewerte der FDP - einfach, niedrig und gerecht.
Schönen Dank.
({11})
Steffen Kampeter hat jetzt das Wort für die Bundesregierung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden
heute eigentlich über den Haushalt. Das ist vom Ablauf
zwischen Parlament und Regierung her etwas ungewöhnlich, weil der Haushalt und die mittelfristige
Finanzplanung erst in der Mitte der nächsten Woche
vom Kabinett beschlossen und unmittelbar darauf in einer Haushaltsausschusssitzung bekannt gegeben und
erstmals erörtert werden.
Ich will und kann den Beschlüssen des Kabinetts
nicht vorgreifen, aber eines ist schon jetzt erkennbar:
Mit dem Beschluss zum Bundeshaushalt und zur mittelfristigen Finanzplanung wird die christlich-liberale Koalition ihre wachstumsfreundliche Konsolidierungspolitik fortsetzen. Dies ist ein großer Erfolg für unser Land;
darauf können wir zufrieden und stolz schauen.
({0})
Die Nettokreditaufnahme ist das, was vielen Bürgerinnen und Bürgern Sorge macht. Vor wenigen Minuten
hat das griechische Parlament eine der umfangreichsten
Sparaktionen in der Geschichte dieses Landes,
({1})
wahrscheinlich die umfangreichste Sparaktion in der Geschichte dieses Landes, beschlossen.
({2})
Auch wir werden unsere Nettokreditaufnahme in den
nächsten Jahren erfreulicherweise zurückfahren.
({3})
In der mittelfristigen Finanzplanung wird das abgebildet.
Wir halten die Schuldenbremse ein.
({4})
Dabei - das scheint mir der Anlass dieser Debatte zu
sein - sind wir erfolgreicher, als wir selbst geglaubt haben.
({5})
Ein Kern christlich-liberaler Regierungspolitik ist: Halte
in der Haushalts- und Finanzpolitik lieber ein bisschen
mehr, als du versprochen hast. - Wir stellen im Augenblick fest, dass auf der Einnahmeseite durch die Dynamik des wirtschaftlichen Wachstums, die die Menschen
in unserem Land durch ihren Fleiß tragen und die zu einem guten Steuerfluss führt, aber auch auf der Ausgabenseite wahrscheinlich eine so positive Entwicklung
eintritt, dass man die für dieses Jahr und vielleicht auch
für das nächste Jahr ursprünglich geplante Nettokreditaufnahme nicht vollumfänglich in Anspruch nehmen
will. Auch dies ist ein Erfolg der christlich-liberalen Koalition. Wir halten mehr, als wir zusagen. Das ist ein gutes Signal für die Haushaltspolitik.
({6})
In diesem Zusammenhang ist gelegentlich schon darauf hingewiesen worden, dass die Schuldenbremse eine
große Rolle spielt. Manchmal zucke ich zusammen,
wenn gesagt wird, die Schuldenbremse zwinge uns zu
dieser oder jener Maßnahme. Für mich und für die Bundesregierung ist die Schuldenbremse kein Zwang, sondern ein gesetzlicher Auftrag, ein grundgesetzlicher
Auftrag, dafür Sorge zu tragen, dass auch in der Haushaltspolitik in diesem Land nicht auf Dauer auf Kosten
der nachfolgenden Generationen gelebt wird. Das ist
eine Verpflichtung; das ist kein Zwang.
Dass die Grünen, die sich Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit
({7})
auf ihre Fahnen geschrieben haben, dieser fiskalpolitischen Regelung, dieser grundgesetzlichen Ausgestaltung
der Schuldenbremse, nicht zugestimmt haben, entlarvt,
dass bei ihnen Tun und Reden nicht übereinstimmen.
({8})
Wir tun etwas für Nachhaltigkeit. Wir tun etwas für eine
generationengerechte Finanzpolitik. Die Grünen reden
nur, und dann, wenn es konkret wird, machen sie sich
vom Acker.
({9})
Wir tun dies auch im Konzert mit unseren europäischen Partnern. Wenn Deutschland von anderen in
Europa oder auch transatlantisch mehr Stabilität in den
öffentlichen Finanzen verlangt, dann müssen wir für das
Ausland auch vorbildlich sein.
({10})
Wir haben im Jahr 2011 in der Haushalts- und Finanzpolitik zum ersten Mal das Europäische Semester. Das
heißt, wir haben bereits mit unseren europäischen Partnern diskutiert, wie wir unsere Politik koordinieren
wollen - im Interesse von Wettbewerbsfähigkeit und fiskalpolitisch konservativer Nachhaltigkeit. Dieses Verständnis von Haushaltspolitik ist unser Beitrag zu mehr
Stabilität in Europa.
In diesem Zusammenhang ist ein Begriff, nämlich
„Wachstumsorientierung“, ganz wichtig. Ein Teil des Erfolgs, den wir haben, ist lediglich konjunktureller und
nicht struktureller Natur. Wir müssen uns um ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum kümmern. Wir müssen auch außerhalb der Haushalts- und Steuerpolitik unsere Reformen fortsetzen, damit das erfreuliche
wirtschaftliche Wachstum und die Stabilität in den öffentlichen Finanzen nicht eine vorübergehende Entwicklung bleiben.
Zur Steuerpolitik ist festzustellen, dass in der Vergangenheit viel zu oft konjunkturelle, sprich: vorübergehende, Aufhellungen dazu geführt haben, den Haushalt
strukturell zu verschlechtern. Vor diesem Hintergrund
verstehe ich die Debatte und auch die Beiträge aus der
Koalition so, dass es eine Zweiteilung in diesem Hause
gibt - die Bundesregierung nimmt das gerne zur Kenntnis -: Der eine Teil des Hauses denkt, wenn er den Begriff „Steuerpolitik“ hört, an die Belastung der Bürger
und daran, wie man die Belastung möglicherweise erhöhen kann. Der andere Teil denkt zum einen an den Haushalt, aber er denkt auch an die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.
({11})
Eine Haushalts- und Finanzpolitik, die zuerst an die Belastung der Bürger denkt, ist nicht klug, nachhaltig oder
vernünftig. Deswegen nehmen wir die Signale aus dem
Parlament gerne zur Kenntnis.
({12})
Wenn, Herr Kollege, Schulden die Steuererhöhungen
von morgen sind, wie Finanzpolitiker wissen, dann bedeutet die Fortsetzung der Konsolidierungspolitik die
Chance auf steuerpolitische Freiräume in der Zukunft.
Deswegen hat die Regierungskoalition festgelegt - das
gilt auch für Wolfgang Schäuble -, dass wir uns zu gegebener Zeit darüber verständigen, was in dieser Legislaturperiode steuerpolitisch noch geht.
({13})
Mit der Entscheidung zum Haushalt und zur mittelfristigen Finanzplanung und mit der Festlegung innerhalb der
Koalition wird deutlich, wer für dieses Land das richtige
Konzept in der Haushalts- und Steuerpolitik hat, wer für
mehr Freiheit, für mehr Nachhaltigkeit und für mehr
Verlässlichkeit steht:
({14})
Es sind die christlich-liberale Koalition und die Bundesregierung, die von dieser Koalition getragen wird.
Deshalb sollte die SPD jetzt nicht von dem ablenken,
was ich vor ein paar Tagen gelesen habe, nämlich die
SPD fordere zwar, dass diese oder jene steuerpolitische
Entscheidung der Bundesregierung, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar nicht getroffen werde, erläutert werde,
({15})
mache sich aber gleichzeitig damit, dass sie ihre steuerpolitischen Festlegungen auf die zweite Jahreshälfte
oder den Winter verschiebe, erst einmal aus dem Staub.
Auch da zeigt sich ein Mangel an Seriosität in der derzeitigen Opposition.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fortsetzung der Konsolidierung schafft die Freiräume, die wir
brauchen, um dauerhaft handlungsfähig und gestaltungsfähig zu sein. In diesem Sinne freuen wir uns über die
Unterstützung durch eine breite Mehrheit in diesem
Hause und appellieren an diejenigen, die bei der Schuldenbremse noch zögern und die bei Konsolidierung oder
Steuerpolitik immer nur an die Belastung der Bürger
denken, den Blick auch auf Freiheit und Leistungsbereitschaft zu richten, ohne die Konsolidierung und Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen dabei aus dem Auge zu
verlieren.
Herzlichen Dank.
({17})
Johannes Kahrs hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir alle kennen und schätzen den Kollegen
Steffen Kampeter.
({0})
Wenn man ihn heute hier gehört hat, dann hat man gemerkt, dass er erstens deutlich unter seinen Möglichkeiten geblieben ist,
({1})
dass er zweitens seine eigene Überzeugung tapfer unterdrückt hat
({2})
und dass er drittens alles getan hat, um in dieser Koalition etwas zu heilen, was in den letzten Tagen sichtlich
in die Brüche gegangen ist.
Wenn man sich mit diesem Thema beschäftigt, kann
man als Sozialdemokrat kaum das Grinsen aus dem Gesicht bekommen. Immer wenn man über Steuersenkungen redet, stellt man Pleiten, Pech und Pannen fest. Für
die Bürger und Steuerzahler dieses Landes ist das allerdings eher peinlich. Beim Thema Steuersenkungen muss
man sich, finde ich, von der FDP und der CDU/CSU
nichts erzählen lassen. SPD und Grüne haben in diesem
Bereich 2003/2004 relativ viel getan. Es gibt viele Bürger, viele Niedrigverdiener, die heute gar keine Steuern
zahlen müssen. Das war damals die größte Steuersenkung, die wir je hatten. Daran sind Sie mit Ihren Konzepten nicht einmal im Ansatz herangekommen.
({3})
Jetzt unterhalten wir uns wieder über das Thema Steuersenkungen. Schauen wir einmal, was die geneigte
Presse zu diesem Thema zu sagen hat.
({4})
Der SPD wurde gerade vorgeworfen, dass wir unser
Konzept nicht sofort vorlegen - und das machen wir deshalb nicht, weil wir es sauber und vernünftig durchdeklinieren wollen, da wir nicht die Fehler machen wollen,
die Sie machen. Das Hamburger Abendblatt titelt gerade:
Entscheidung über Steuersenkungen auf Herbst
vertagt
Spitzentreffen der Koalition abgesagt. Schäuble beharrt auf Abbau der Neuverschuldung.
({5})
Wenn man findet, dass das Hamburger Abendblatt ein
Linksaußen in der deutschen Presselandschaft ist, dann
empfehle ich die Lektüre der Welt am Sonntag. Sie ist
zwar für Sozialdemokraten normalerweise nicht gerade
das Leib- und Magenblatt, aber manchmal kann man
sich das ja antun.
({6})
Die Welt am Sonntag titelte am 12. Juni 2011:
10 Mal versprochen, 10 Mal gebrochen. Was wurde
nicht alles verkündet im Wahlkampf und im Koalitionsvertrag? Ein ernüchternder Blick auf zehn
schwarz-gelbe Baustellen.
Wenn man diesen Artikel liest, stellt man fest: So etwas bekommt selbst das Willy-Brandt-Haus nicht hin.
Ich war schwer beeindruckt. Außerdem heißt es:
Steuern: Einfacher? Niedriger? Gerechter? Von wegen!
Der Artikel in der Welt am Sonntag dürfte Ihnen den
Sonntag nicht gerade verschönert haben. Er zeigt aber, in
welchem Zustand sich Ihr Laden befindet. Ich glaube,
dieses Land hat deutlich Besseres verdient.
({7})
Wir haben eben sehr salbungsvolle Reden darüber gehört, dass man hart arbeitende Bürger entlasten muss.
Wir haben das getan. Rot-Grün hat das getan, und zwar
2002, 2003 und 2004.
({8})
Wenn man sich die jetzige Situation anschaut, dann stellt
man fest, dass wir keine Steuermehreinnahmen haben,
die wir an das zahlende Volk zurückgeben können.
Selbst wenn diese Regierung ihre optimistischsten Ziele
erreicht, schafft sie es vielleicht gerade einmal, die Neuverschuldung auf unter 30 Milliarden Euro zu drücken.
Dann sind es aber immer noch 30 Milliarden Euro neue
Schulden.
({9})
Man will jetzt neue Schulden machen, um den Bürger
zu entlasten. Das heißt, die Steuerschuld wird ständig
größer. Das ist doch absurd. Worüber reden wir denn
hier alles? Wir reden über Griechenland, über den Euro
und über Atombelastung. Dann aber kommt die Regierung, die mit Solidität protzen will, um die Kurve und
macht genau das Gegenteil. Das ist Entlastung auf
Pump. Die zukünftigen Generationen werden dies zahlen müssen. Das ist weder seriös, noch ist es gerecht,
noch ist es eine Entlastung. Denn der Bereich der Entlastung ist dürftig. Wir reden über gerade einmal 6 oder
7 Milliarden Euro. Rot-Grün hat deutlich mehr geliefert.
Das, was Sie hier veranstalten, ist peinlich.
Vor kurzem erklärte uns die FDP noch: Man muss die
Steuern senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. - Jetzt
brummt die Wirtschaft. Man kann sich übrigens auch
fragen, warum sie brummt. Weil es diese hervorragende
Agenda 2010 gegeben hat,
({10})
weil es die Rente mit 67 gegeben hat und weil wir als
Sozialdemokraten dieses Land anständig und sauber reformiert haben. Wir haben regiert. Wir hatten einen Plan.
({11})
Was ist das Problem dieser Regierung? Sie haben keinen Plan, Sie haben keinen Kompass, und Sie haben
keine innere Richtung. Der Fisch stinkt immer vom
Kopf zuerst.
({12})
Hier ist es auch so. Hier kann man das erleben. Das ist
das Ergebnis. Die Bürger dieses Landes werden es ertragen müssen. Sie werden es so lange ertragen müssen, bis
sie die Chance haben, darüber abzustimmen. Bei den
Landtagswahlen können sie schon einmal üben. Ich
glaube, dass das, was Sie hier veranstalten, weder seriös
noch gerecht noch anständig ist. Ich bin froh, dass wir
als Sozialdemokraten die Schuldenbremse durchgesetzt
haben, damit das Elend mit Ihnen nicht noch schlimmer
wird.
Vielen Dank.
({13})
Der Kollege Dr. Hermann Otto Solms hat das Wort
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es wäre ganz gut, jede Parteisprecherin und jeder Parteisprecher würde sich um die Belange der eigenen Partei kümmern. Dann wüssten Sie, wer bei Ihnen
angefangen hat, am Kopf zu stinken, Herr Kahrs. Wir
haben damit keine Probleme.
({0})
Es handelt sich hier um eine Debatte der Glaubwürdigkeit. Herr Clement, Ihr früherer Superminister, hat im
Handelsblatt gesagt: Was wundert ihr euch eigentlich?
Die FDP tut genau das, was sie im Wahlkampf angekündigt hat. - Genau das tun wir.
({1})
Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wir haben im
Wahlkampf gesagt: Haushaltskonsolidierung und Steuerreform sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das
muss Hand in Hand gehen. - Das ist genau das, was wir
jetzt tun. Wir haben am Anfang der Legislaturperiode
die Bürger und insbesondere die Familien um 24 Milliarden Euro entlastet
({2})
und die Konjunktur damit unterstützt. Das trägt nun auch
seine Früchte. Wir haben inzwischen das Steuersystem
zwar nur leicht vereinfacht, aber immerhin. Das ist ein
wichtiger Schritt. Mehr haben die Bundesländer nicht
zugelassen. Weitere Schritte werden aber folgen. Jetzt
zeigt es sich, dass wir aufgrund der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt die besten Zahlen seit der
deutschen Einheit verzeichnen können. Das führt zu sehr
viel höheren Steuereinnahmen, sehr viel höheren Abgaben an die Sozialsysteme und dazu, dass wir Spielräume
haben. Das sind keine Spielräume gegen die Konsolidierung, sondern das sind Spielräume und Konsolidierung.
({3})
- Nein. - Über die Beachtung der Schuldenbremse hinaus haben wir Spielräume, um bei den Steuern zu entlasten. Die Grundfrage in der Steuerpolitik lautet: Ist es
das Geld des Staates oder das Geld der Bürger, von dem
wir hier reden?
({4})
Sie tun immer so, als wäre es das Geld des Staates und
die Bürger hätten nur zu liefern.
({5})
Es ist aber das Geld der braven, fleißigen Bürger, die es
tagtäglich erarbeiten und die einen Anspruch darauf haben, dass sie nicht überproportional belastet werden. Unser Tarif ist ungerecht. Der Kollege Poß - wir kennen
uns schon lange - weiß genau, dass der Tarif im unteren
Bereich stärker ansteigt als im oberen Bereich.
({6})
Es geht darum, genau diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.
({7})
Wir tun das, was wir im Wahlkampf angekündigt haben - die CDU übrigens genauso. Sie hat in ihrem Wahlprogramm geschrieben:
Leistung und Einsatzbereitschaft müssen sich wieder mehr lohnen. Durch eine Korrektur des Tarifverlaufs ({8}) sorgen wir dafür, dass Lohnerhöhungen auch wirklich
bei denjenigen ankommen, die sie erarbeitet haben.
Respekt. Das ist eine richtige Aussage. So handeln wir
jetzt.
({9})
Was hat denn die SPD dazu gesagt? Das ist jetzt spannend. Die SPD hat geschrieben:
Entlastung der Normalverdienenden … Wir wollen
die Entlastungen daher auf die Bezieher niedriger
und mittlerer Einkommen sowie die Familien konzentrieren.
Wir wollen doch nichts anderes. Warum wehren Sie sich
dagegen?
({10})
Sie müssen doch nur das tun, was Sie vor der Wahl angekündigt haben.
({11})
Dann sind wir schon im Konsens. Das ist eine Frage der
Glaubwürdigkeit.
({12})
Um diese Glaubwürdigkeit geht es uns. Wir tun das, was
wir vorher gesagt haben.
({13})
Wenn wir auf dem Weg dorthin etwas warten mussten, weil die Haushaltskonsolidierung noch nicht so weit
war, dann ist das kein Fehler dieser Politik, sondern zeigt
vielmehr ihre Vernunft. Jetzt befinden wir uns in der Situation, in der die nötigen Spielräume erarbeitet worden
sind, in der wir die beste Arbeitsmarktlage und die
höchste Beschäftigtenzahl seit den 90er-Jahren haben.
Das verschafft uns auch im finanziellen Bereich die nötige Luft.
Wenn wir jetzt nicht entsprechend handeln - das will
ich Ihnen als letztes Argument auf den Weg geben -,
dann wäre es so, dass die Lohnerhöhungen, die die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mühsam ausgehandelt haben, zum Schluss alle beim Staat landen. Das
war doch nicht die Absicht der Tarifvertragsparteien.
Diese wollten ihren Arbeitnehmern etwas Gutes tun und
dafür sorgen, dass auch sie an dem Aufschwung beteiligt
werden. Es ist nun aber so, dass von diesen Lohnerhöhungen über 50 Prozent beim Staat und in den Sozialkassen landen und der Rest durch die Inflationsrate aufgezehrt wird.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die kleinen Handwerksbetriebe und die kleinen Selbstständigen
haben davon überhaupt nichts. Das kann so nicht weitergehen. Es ist unsere Aufgabe, für eine gerechte Besteuerung zu sorgen, bei der im Ergebnis alle, die für den Aufschwung gearbeitet haben, ihren Anteil erhalten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Lisa Paus hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Solms, da Sie ja Leser des Handelsblattes sind, wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, was das Handelsblatt am Montag titelte. Das Handelsblatt ist nun wahrlich kein Kampfblatt von Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Dort fand man zur Steuersenkung die Überschrift: „Der
große Selbstbetrug“. Dann schreibt Gabor Steingart weiter:
Die FDP will die Milliarden, die sie an die Bürger
verteilen möchte, bei den Banken leihen. Deshalb
ist das Steuergeschenk von heute die Steuererhöhung von morgen. Wir sollten die Annahme dieses
Geschenks verweigern.
({1})
Meine Damen und Herren, das Handelsblatt hat recht.
Bei einer Schuldenstandsquote von aktuell über 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - der Vertrag von Maastricht
sieht eine Obergrenze von 60 Prozent vor -, bei einem
Bundeshaushalt, der auch 2012 - Herr Kampeter hat es
indirekt bestätigt - keine Überschüsse erwirtschaften,
sondern weiterhin ein Minus ausweisen wird, und zwar
von bis zu 30 Milliarden Euro - trotz guter Konjunktur -,
wollen Sie Steuersenkungen auf Pump finanzieren. Das
ist verantwortungslos.
({2})
Wenn Sie schon uns nicht glauben, dann hören Sie
wenigstens auf die mahnenden Stimmen aus den eigenen
Reihen, auf Ihren eigenen Bundesfinanzminister oder
auf Herrn Tillich, Ministerpräsident von Sachsen, der
warnte:
In guten Zeiten werden die Haushalte versaut.
Das ist das, was Sie gerade zu tun drohen. Frau
Lieberknecht, Ministerpräsidentin von Thüringen, bezeichnete die ganze Debatte als „irgendwie irre“; ich
muss ihr zustimmen. McAllister, Ministerpräsident von
Niedersachsen, sagte:
Das ist doch alles im Moment eine virtuelle Debatte!
Hören Sie auf Ihre Kolleginnen und Kollegen in den
Ländern! Denn sie haben schlichtweg recht.
({3})
Wenn Sie trotzdem weiter über Steuersenkungen diskutieren wollen, muss ich Ihnen sagen: Es gibt zwar die
Hoffnung, damit die FDP zu retten; aber dieses Rettungspaket wird nicht wirken. Die Bürgerinnen und Bürger werden nämlich merken, dass Sie das Versprechen,
das Sie geben, am Ende gar nicht einhalten werden, weil
Sie es nicht einhalten können.
({4})
Ich wiederhole das Versprechen, das Sie wie ein Mantra formulieren: Wir entlasten vor allem die unteren und
mittleren Einkommen. - In der Diskussion über Vorschläge dazu hört man - auch wenn das noch eher
schwammig ist - das Stichwort „Mittelstandsbauch“. Es
heißt: Der muss weg. - Diese Debatte ist grundsätzlich
richtig. Es geht darum, dass das schnellere Ansteigen der
Steuern im unteren Einkommensteuerbereich - die
Grenzsteuersätze sind dort höher - abgemildert wird, sodass die Einkommen zwischen 8 004 und knapp 14 000
Euro entlastet werden. Wenn Sie aber beim Tarifverlauf
im oberen Bereich nichts tun, dann wird die Schere zwischen Arm und Reich, wenn man die absoluten Entlastungen in den Blick nimmt, im Endeffekt nicht kleiner,
sondern deutlich größer.
({5})
Überdies würde das 23 Milliarden Euro kosten. Das können Sie gar nicht finanzieren; der Betrag ist auch gar
nicht im Gespräch.
Wenn Sie den Mittelstandsbauch nur zur Hälfte aufheben wollen, dann braucht man dafür nach Schätzung
der CSU ungefähr 12 Milliarden Euro. Um es den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären: Das heißt, man würde
bei einem Einkommen von 12 000 Euro pro Jahr um
ganze 50 Euro pro Jahr entlastet, bei einem Einkommen
von 30 000 Euro aber schon um 550 Euro, bei einem
Einkommen ab 52 000 Euro um 780 Euro. Das unterstreicht: Es geht hier nicht um eine Entlastung für die
unteren und mittleren Einkommen; Sie geben wie immer
denen, die schon haben.
({6})
- Die Grünen haben ihn gesenkt; das ist richtig.
({7})
- Wir haben auch in den unteren Einkommensbereichen
die Steuern gesenkt; das war ausgewogen. Wenn Sie an
die Einkommensteuern herangehen wollen, schlagen wir
vor, gerecht vorzugehen. Die Vorschläge, die bisher auf
dem Tisch liegen, leisten das jedenfalls nicht.
({8})
Weil Sie wissen, dass Sie für Ihre Pläne im Bundesrat
keine Mehrheit bekommen, ist im Gespräch, stattdessen
den Soli abzuschaffen. Da wird es natürlich völlig absurd; das passt natürlich überhaupt nicht zu dem Versprechen, vor allen Dingen die unteren und mittleren
Einkommen zu entlasten. Dazu nenne ich entsprechende
Zahlen: Für die unteren Einkommen bis 12 000 Euro
würde das eine Entlastung von 0 Euro - ich wiederhole:
0 Euro - bedeuten; bei einem Einkommen von 30 000
Euro sind es 936 Euro, bei einem Einkommen von
53 000 Euro sind es 2 000 Euro - da lohnt es sich schon
richtig -, bei den Spitzenverdienern sind es 5 300 Euro
pro Jahr. Das nenne ich eine Entlastung der unteren und
mittleren Einkommen à la Schwarz-Gelb.
({9})
Ich ziehe das Fazit. Dieser Rettungsschirm für die
FDP wird einfach nicht aufgehen. Deswegen: Bitte, lassen Sie es!
({10})
Andreas Mattfeldt hat das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gestatten Sie, dass ich meine Besuchergruppe
auf der Tribüne begrüße; das mache ich sonst selten. Ich
freue mich, dass Sie da sind.
Herr Kuhn, einen Gefallen haben Sie sich mit der
heutigen Debatte nicht getan. Vielleicht haben Sie es
noch nicht gemerkt, aber in Deutschland geht es uns so
gut wie seit langem nicht mehr:
({0})
Die Wirtschaft boomt, die Steuereinnahmen stimmen
mehr als optimistisch, und die Arbeitslosigkeit hat einen
nicht für möglich gehaltenen Tiefpunkt erreicht. Ich sage
deutlich: Die christlich-liberale Koalition arbeitet ihren
Koalitionsvertrag Punkt für Punkt ab.
({1})
Vieles ist in den vergangenen zwei Jahren bereits erreicht worden,
({2})
einiges ist in der Umsetzung begriffen. In den kommenden zwei Jahren werden wir die verbleibenden Punkte
angehen. Hierzu gehört auch eine Diskussion über anstehende Steuererleichterungen, wenn die Finanzlage es zulässt.
Die aktuelle Situation ist an Erfolg, aber gleichzeitig
an Normalität nicht zu überbieten. Meine lieben Kollegen von der Opposition, natürlich ist es immer bequemer, gegen alles zu sein, als konstruktive Vorschläge zu
unterbreiten,
({3})
um dafür zu sorgen, dass es den Menschen in unserem
Lande besser geht. Von den Grünen, der Dagegen-Partei,
sind wir nichts anderes gewohnt, aber von der Sozialdemokratie hätte ich heute mehr erwartet, Herr Poß.
({4})
Hier schreien Sie, aber in Ihrer eigenen Partei können
Sie sich noch nicht einmal auf ein Steuerkonzept einigen,
({5})
und voller gespielter Empörung kritisieren Sie die Überlegungen der christlich-liberalen Koalition. So geht das
nicht.
({6})
Sie sprechen derzeit parteiintern heimlich über Steuererhöhungen. Gleichzeitig kritisieren Sie uns, dass wir nur
darüber diskutieren, ob wir die unteren und mittleren
Einkommen entlasten können.
({7})
- Herr Poß, mit einer Neiddebatte gönnen Sie einem Familienvater, der morgens früh aufsteht, nicht die Butter
auf dem Brot; denn Sie fordern gleichzeitig höhere Regelsätze für diejenigen, die nicht arbeiten, für Hartz-IVEmpfänger. Ich sage Ihnen deutlich: Wo Sie Gerechtigkeit draufkleben wollen, ist noch lange keine Gerechtigkeit drin.
({8})
Es ist doch völlig normal, dass innerhalb einer Koalition auch kontroverse Debatten über das eine oder andere Thema geführt werden. In einer Demokratie gehören Diskussionen innerhalb einer Regierungskoalition
dazu.
({9})
Sie von Grün-Rot kennen das doch zur Genüge. Für uns
ist es selbstverständlich, Johannes Kahrs, dass wir das,
was wir im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben,
auch umsetzen wollen. Das mag für Sie vielleicht neu
sein, meine Damen und Herren von der Opposition;
denn Sie halten die Versprechen, die Sie machen, mitnichten ein. Als Stichwort möchte ich nur Stuttgart 21
und den Umgang der Grünen mit diesem Thema vor und
nach der Landtagswahl nennen.
Wir als christlich-liberale Koalition haben uns im Koalitionsvertrag Steuervereinfachungen und Steuersenkungen zur Entlastung der unteren und mittleren Einkommen zum Ziel gesetzt.
({10})
Steuervereinfachungen haben wir mit dem eben beschlossenen Steuervereinfachungsgesetz bereits umgesetzt. Wir prüfen jetzt, ob wir Spielräume für Steuersenkungen haben.
({11})
Dazu gönnen wir uns eine gewisse Ruhe.
({12})
Selbstverständlich gilt für uns weiterhin, dass die Konsolidierung des Haushaltes Vorrang haben muss. Ich
sage ergebnisoffen: Beides schließt sich nicht aus.
({13})
Wir stehen am Beginn eines Prozesses. Es ist heute völlig offen, wie die Steuersenkungen aussehen werden und
wie sie finanziert werden.
({14})
Erst nach dem Prozess kann man seriös sagen, welche
Auswirkungen diese Pläne auf Bundes-, Länder- und vor
allem Kommunalhaushalte haben werden.
Die positivsten Auswirkungen des wirtschaftlichen
Aufschwungs verzeichnen in diesen Tagen die Haushalte
von Bund, Ländern und insbesondere Kommunen.
({15})
Diesen Aufschwung hätte es ohne intensive Diskussionen und die daraus folgenden klugen Entscheidungen
nicht gegeben. Dazu gehört auch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das diese Koalition beschlossen
hat.
({16})
Deutschland stünde ohne dieses Gesetz heute nicht so
gut da.
({17})
Sie haben dieses Gesetz bekämpft.
({18})
Die positive wirtschaftliche Entwicklung lässt die Steuereinnahmen sprudeln. Möglicherweise entsteht dadurch
Spielraum für Steuersenkungen. Diesen Spielraum gilt
es nun in Ruhe und mit Besonnenheit auszuloten.
({19})
Bislang wurde jede Bundesregierung daran gemessen,
ob sie das Problem in den Griff bekam, das die Menschen am meisten beschäftigte: die Arbeitslosenzahlen.
Wir können mit Stolz sagen, dass wir in diesen Tagen in
vielen Regionen Vollbeschäftigung haben.
Herr Kollege.
Wenn Gerhard Schröder in diesen Tagen noch Bundeskanzler wäre,
({0})
würde er - da bin ich mir sicher - jeden Tag ein Feuerwerk in Deutschland abfeuern und mit seinen guten
Leistungen prahlen.
Herr Kollege, bevor das Feuerwerk gezündet wird,
müssen Sie zum Ende Ihrer Rede kommen.
Wir sind sachlicher und arbeiten anständig mit. Wir
fordern Sie auf, das ebenfalls zu tun.
Danke schön.
({0})
Der Kollege Lothar Binding hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal sagen Reden auch etwas über die psychische Konstitution des
Redners aus.
({0})
Ich habe mich gefragt, warum der erste Redner der FDP,
Volker Wissing, den Ausdruck „finanzpolitischer Suizid“ in
den Mund genommen hat. „Suizid“ heißt Selbstmord.
Wieso fällt einem FDP-Politiker dieses Wort heute hier
ein? Dieses Wort scheint gar nicht zu passen.
({1})
Ich habe vorhin den Parlamentarischen Staatssekretär
Koschyk gefragt, wie er untere und mittlere Einkommen
definiert. Er hat geantwortet, man wolle die kalte Progression abschaffen. Die kalte Progression hat mit der
Beantwortung meiner Frage aber überhaupt nichts zu
tun. Joachim Poß hat das erläutert und gesagt: Oft wird
kalte Progression mit dem Mittelstandsbauch, dem steilen Anstieg der Grenzsteuerbelastung im unteren Bereich, verwechselt. Das ist leider auch Herrn Koschyk
passiert. Deshalb hat er fälschlicherweise im Zusammenhang mit kalter Progression vom stark ansteigenden
Durchschnittssteuersatz gesprochen. Die Antwort ist
aber: Der steigt immer, mit Ausnahme unterhalb des
Existenzminimums, und das bleibt auch so, wenn man
die kalte Progression abschafft.
({2})
Ich glaube, wer auf diesem Niveau Politik macht, wird
ein größeres Problem bekommen.
Herr Solms hat gesagt, dass es um Glaubwürdigkeit
geht.
({3})
Ich würde Sie gerne fragen, wie Sie es rechtfertigen,
dass Sie die Finanzdienstleister trotz eines exorbitant gestiegenen Verschuldungsgrades der öffentlichen Haushalte nur auf freiwilliger Basis an den Kosten der Krise
beteiligen wollen, ihnen aber gleichzeitig die Zinseinnahmen überlassen wollen, die im Zusammenhang mit
den Krediten fließen, die der Staat aufnehmen muss, um
Ihre Steuersenkung bezahlen zu können. Das heißt, Sie
schenken den Finanzdienstleistern die Zinseinnahmen,
beteiligen sie aber nicht an der Krise.
({4})
Diese Finanzierung auf Pump ist lebensgefährlich für
unseren Staat. Außerdem basiert Ihr System auf einem
Denkfehler: Wir haben 300 Milliarden Euro mehr Schulden als vor der Krise. Wir haben mit einer Neuverschuldung in Höhe von 80 Milliarden Euro gerechnet. Jetzt
sind es nur 40 Milliarden Euro. Wir haben aber noch immer eine Neuverschuldung. Von diesen nicht erwarteten
Mehreinnahmen, durch die die Neuverschuldung ein wenig gesenkt wird, wollen Sie Steuerentlastungen bezahlen? Wie wollen Sie das eigentlich machen? Durch Kreditaufnahme! Das ist die Logik, die diesen Staat an den
Rand führt.
({5})
- In dieser Weise würden wir das nie machen.
({6})
Ihr seid Herrn Steinbrück heute noch dankbar dafür, dass
er das so nicht gemacht hat, sondern vernünftig gehandelt hat.
Mit der Phasentheorie lässt sich das erklären. Ich rufe
in Erinnerung, was ich hier schon einmal gemacht habe.
({7})
- Das ist eine gute Idee. Ich habe auch ein Holzspielzeug
dabei, um die Verschuldung darzustellen. Ich glaube
aber, dieses Bild hat noch jeder im Kopf.
Nein, ich meine die Art, wie die Koalition hier agiert.
Vorhin sagte jemand, diese Aktuelle Stunde mache gar
keinen Sinn.
({8})
Lothar Binding ({9})
Ich will Volker Wissing zitieren:
Deswegen freuen wir uns. Beantragen Sie die
nächste Aktuelle Stunde. Das ist eine gute Sache.
Wir werden Ihnen immer wieder vorhalten, dass Sie
Wahlbetrug begehen, wenn Sie unsere Politik nicht
unterstützen; denn sie ist in Wahrheit sozial gerecht.
Sie führt zu einem gerechten Ausgleich.
Frage: Was sollen wir eigentlich unterstützen?
({10})
Es gibt kein Modell. Es gibt keine Idee.
Zuletzt haben Sie mit der Gewerbesteuer ein Desaster
erlebt. Da habe ich auch ein schönes Zitat. Sie haben gesagt, dass Sie die Gewerbesteuer mit einem konkreten
Vorschlag unterfüttern und als Gesetz einbringen würden. Was ist passiert? Eine Kommission wurde eingerichtet. Zu welchem Ergebnis kam diese Kommission?
Zu keinem.
({11})
Ich will erklären, warum eine gewisse Nervosität bei
den Bürgern und natürlich auch bei der Opposition, die
sich für diesen Staat verantwortlich fühlt, aufkommt.
Diese Erklärung von mir kennen Sie schon; Sie erinnern
sich. Phase eins: Gurkentruppe, spätrömische Dekadenz.
({12})
Phase zwei war die Phase der Ruhe. Europa wartete auf
Deutschland. Dann kam Phase drei, der Herbst der Entscheidungen. Die Verlängerung der Laufzeiten der
Atomkraftwerke wurde beschlossen. In Phase vier kam
es zur Energiewende. Da wurde alles rückgängig gemacht. Jetzt kommt Phase fünf, die Phase der Steuerentlastungen. Sollen wir das ernsthaft glauben?
({13})
Glauben Sie wirklich, dass wir das glauben? Nein, Sie
wissen, dass wir das nicht glauben.
Ich meine, man sollte ein bisschen in das Volk hineinhören. Umfragen zeigen, dass mehr als 40 Prozent der
Menschen keine Steuersenkungen wollen, weil sie wissen, dass das nicht funktioniert.
({14})
Herr Schäuble - so weit ich weiß, zahlt er Steuern; er
wird auch aus Steuern bezahlt, das ist die andere Seite sagt: Steuersenkungen gehen nicht. Die Bundesländer
sagen: Steuersenkungen gehen nicht. Die Haushälter der
Koalition sagen: Steuersenkungen gehen nicht. Aufgrund von Schuldenbremse und Maastricht-Kriterien
sind Steuersenkungen nicht möglich. Aber die FDP
meint, man bräuchte jetzt Steuersenkungen. Dies ist
nicht zum Wohle dieses Staates, sondern zu seinem
Schaden. Deshalb machen wir da nicht mit. Wir warnen
Sie vor dieser Art der öffentlichen Debatte.
({15})
Alois Karl hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die von den Grünen beantragte Aktuelle Stunde
über die Steuersenkungspläne der Koalition und mögliche Auswirkungen auf Bund, Länder und Gemeinden ist
eine unkontrollierte Debatte, weil ihr die Grundlagen
fehlen. Wir haben keine konkreten Zahlen, über die wir
diskutieren könnten.
({0})
Herr Kuhn, eines aber ist gewiss: Wir werden die Bürgerinnen und Bürger noch in dieser Legislaturperiode entlasten. Darüber sollten Sie sich freuen und nicht ärgern.
({1})
Diese Aktuelle Stunde gibt uns zumindest Gelegenheit, die Kernpunkte der Finanz- und Steuerpolitik dieser
Koalition darzustellen. Es ist schon verschiedentlich gesagt worden: Kernpunkt unserer Koalitionsvereinbarung
ist - dies werden wir einhalten -, die Generationengerechtigkeit in der Haushalts- und Finanzpolitik in ganz
besonderer Weise darzustellen. Mit der Finanzwirtschaft
der letzten Jahrzehnte, die oft eher eine Finanzmisswirtschaft war - der Staat hat dauerhaft mehr Geld ausgegeben, als er eingenommen hat -, muss Schluss sein.
({2})
Wir leben auf Pump, wir leben auf Kosten der nächsten
Generation,
({3})
und das ist unethisch, Herr Kahrs.
({4})
Dazu haben Sie in Ihrer Regierungszeit mit beigetragen. Mehr als 250 Milliarden Euro Schulden haben Sie
allein in der Zeit der rot-grünen Regierung von 1998 an
gemacht und hatten dabei noch die Erlöse aus den Versteigerungen der UMTS-Lizenzen, diesen Einmaleffekt,
in Höhe von etwa 50 Milliarden Euro. Sie haben dieses
Geld allerdings nicht zur Reduzierung der Schulden eingesetzt, sondern Sie haben das Geld eingesetzt, um die
Haushalte weiter aufzublähen, frei nach dem Motto: Wie
gewonnen, so zerronnen. Nichts davon war nachhaltig
und dauerhaft.
({5})
Aus diesem Grunde sollten Sie sich heute nicht zu sehr
echauffieren.
Wir sanieren die Haushalte ernsthaft und dauerhaft,
damit diese entsprechend der Schuldenbremse bis zum
Jahr 2016 neuverschuldungsfrei sind. Die Festsetzung
der Schuldenbremse war eine große Leistung, die wir
mit den Sozialdemokraten in der Großen Koalition erreicht haben. Wir werden diesen harten und steinigen
Weg zusammen mit der FDP gehen. Minister Schäuble
ist ein guter Garant, dass dieser Weg erfolgreich beschritten wird. Ich möchte ihm an dieser Stelle unseren
Respekt ausdrücken.
({6})
- Das ist der Unterschied zu Ihnen, Herr Poß. Sie sind
von niemandem gelobt worden, aber Schäuble wird
selbstverständlich gelobt.
({7})
Unser finanzpolitisches Credo ist damit dargestellt.
Wir möchten mit der konsequenten Verfolgung der Strategie der Entschuldung des Haushaltes bis 2016 Vertrauen schaffen.
({8})
Daran sollten Sie sich beteiligen.
({9})
Auch dort, wo sich Ihre Partei in der Regierungskoalition befindet, in Nordrhein-Westfalen, können Sie mit
gutem Beispiel vorangehen. Bis dato sehe ich das nicht
sehr optimistisch. Ein Haushalt, der gleich am Anfang
vom Verfassungsgericht niedergebürstet wurde, ist kein
gutes Renommee, Herr Kahrs. Auch da sollten Sie vielleicht Ihren Einfluss geltend machen.
({10})
Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der
Konsolidierung des Haushaltes und der Steuergesetzgebung. Wir müssen wieder das richtige Maß einkehren
lassen. Das ist in unserem Steuerrecht - ganz unzweifelhaft - verloren gegangen. Wer heute das Doppelte von
dem verdient, was der Nachbar bekommt, zahlt nicht das
Doppelte, sondern das Dreifache an Steuern. Wer das
Vierfache des Einkommens des Nachbarn verdient, zahlt
nicht das Vierfache, sondern das Zehnfache an Steuern.
Das ist es, was unkorrekt und unehrlich ist und was wir
in der Tat - natürlich im Rahmen der Haushaltsmöglichkeiten, die wir haben - angehen müssen.
Bedenken Sie, dass 1958, als dieses Steuersystem etabliert wurde, jemand das 20-fache des normalen bzw.
mittleren Einkommens verdienen musste, um mit dem
Spitzensteuersatzes besteuert zu werden. Das war eigentlich für die Direktoren, die Generaldirektoren und
die Chefärzte bestimmt. Heute muss jemand nicht mehr
das 20-fache, sondern nur noch das 1,7-fache des mittleren Einkommens verdienen, um den Spitzensteuersatz
zu erreichen. Der Würgeengel des Spitzensteuersatzes ist
in die Mitte der Steuergesellschaft eingedrungen. Wir
müssen deshalb in der Tat - ich bin der FDP dankbar,
dass sie dieses Thema aufgegriffen hat - angreifen und
dieses Gespenst wieder verscheuchen.
({11})
Es gibt einen weiteren Punkt, der uns schon hoffnungsfroh stimmt. Die Zahl der Arbeitslosen ist seit dem
Regierungsantritt von Frau Merkel
({12})
von 4,8 Millionen auf etwa 2,8 Millionen heruntergegangen. Das bewirkt, dass wir 32 Milliarden Euro mehr
an Einnahmen in den öffentlichen Kassen bzw. in den
Sozialkassen haben. Wenn wir diesen Betrag heute für
die hohe Zahl der Arbeitslosen ausgeben müssten - das
muss doch auch Ihnen einleuchten -, könnten wir weder
den Haushalt konsolidieren noch darangehen, Steuern in
irgendeiner Art und Weise zu senken.
Herr Kollege, würden Sie bitte zum Ende kommen?
Ich komme zum Schluss und möchte Ihnen sagen,
dass eines sicher ist: Wir werden uns daranmachen, die
Belastungen der Bürger schon in dieser Legislaturperiode zu senken.
Herr Kollege!
Wir werden den Haushalt konsolidieren, und wir haben damit unsere Aufgabe erfüllt.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Eckhardt Rehberg hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich habe den Eindruck, Kollege Kahrs, dass
hier einige unter einem hohen Maß an Gedächtnisverlust
leiden.
({0})
Es ist relativ einfach, wie Sie das 1998/1999 gemacht
haben. Sie haben 1997 die Steuerreform, das Petersber13338
ger Modell, im Bundesrat blockiert, es danach aber aufgenommen und - das ist löblich gewesen - den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt.
({1})
- Sie haben den Eingangssteuersatz von rund 24 Prozent
auf 15 Prozent gesenkt.
({2})
Das ist sehr löblich gewesen. Herr Kuhn und Herr Poß,
Sie haben aber mit der Reform der Körperschaftsteuer
im Jahr 2000 Murks gemacht. Im Jahr 2000 hatten wir
noch ein Körperschaftsteueraufkommen von 23,6 Milliarden Euro. Nach Ihrer Murks-Reform hatten wir im
nächsten Jahr ein Defizit von 400 Millionen Euro. In Ihrer Regierungszeit sind knapp 80 Milliarden Euro an
Körperschaftsteuer verloren gegangen, weil Sie es den
großen Kapitalgesellschaften ermöglicht haben, Veräußerungen zu tätigen, die steuerfrei geblieben sind. Sie
haben Bund, Länder und Gemeinden in dieser Zeit mit
einer völlig vermurksten und unsoliden Steuerreform an
den Rande des Ruins gebracht.
({3})
Wer sich hier hinstellt und behauptet, dass andere etwas
Unsolides und Unseriöses machen, der muss erst einmal
selbst solide Arbeit leisten.
Wissen Sie, Herr Kollege Kahrs: Ich verstehe Ihre
Partei überhaupt nicht mehr. Erstens. Beim Thema
Hartz IV schlagen sich die meisten in die Büsche.
({4})
Zweitens. Steuerpolitik sollte kontinuierliche Politik
sein.
({5})
Sie haben den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt.
({6})
Heute fabulieren Sie darüber, den Spitzensteuersatz wieder anzuheben; die Effekte, die dies hätte, hat der Kollege Karl beschrieben. Das träfe doch nicht in erster
Linie Chefärzte und Großverdiener. Davon wären insbesondere qualifizierte Facharbeiter und der Mittelstand
betroffen.
({7})
Das heißt: Wer den Spitzensteuersatz erhöht, der belastet
die Leistungsträger in Deutschland. Das ist die falsche
Politik.
({8})
Laut Mai-Steuerschätzung kommt es zu einem deutlichen Zuwachs bei den Steuereinnahmen, insbesondere
für Gemeinden und Länder. Wir werden, was das Volumen der Steuereinnahmen betrifft, aller Voraussicht nach
schon Ende 2011/Anfang 2012 wieder das Niveau des
Jahres 2008 erreichen. Außerdem - das ist ein Erfolg der
Politik unter Bundeskanzlerin Merkel - hat sich die Zahl
der Beschäftigten, die Sozialbeiträge und Steuern zahlen, zwischen 2006 und 2010 um 1,5 Millionen erhöht.
({9})
- Herr Kollege Kahrs, wissen Sie: Die Aufrufe, die Sie
hier starten, sollten Sie in Ihrer Fraktionssitzung starten
({10})
und die SPD-Fraktion dazu bringen, dass sie zu der Politik, die Gerhard Schröder gemacht hat und die ich für
richtig halte, steht. Uns brauchen Sie an dieser Stelle
nicht katholisch zu machen. Wir sind katholisch genug.
({11})
Lassen Sie mich zum Schluss ein weiteres Thema ansprechen.
({12})
Herr Kollege Poß, ich meine die Aussage, wir hätten
keine Ahnung, was die kalte Progression und den Mittelstandsbauch anbetrifft.
({13})
Herr Poß, auch Sie scheinen unter Gedächtnisschwund
zu leiden.
({14})
In der Großen Koalition haben wir die Bürger um insgesamt fast 43 Milliarden Euro entlastet.
({15})
- Nein, das hat mit Peer Steinbrück nichts zu tun. Es waren die Finanzpolitiker der Union - daran kann ich mich
noch sehr gut erinnern -, die darauf gedrungen haben,
dass wir den Grundfreibetrag in zwei Stufen anheben
und eine Rechtsverschiebung des Tarifes vornehmen.
Das war, wie gesagt, eine Forderung der Finanzpolitiker
der Union. Sie haben dabei zum Glück mitgemacht.
({16})
Das ist der richtige Weg, gegen Mittelstandsbauch und
kalte Progression vorzugehen.
({17})
- Nein, Herr Kollege Binding, das ist nicht falsch. - Wer
gegen die kalte Progression und den Mittelstandsbauch
vorgeht, der tut etwas für die unteren und mittleren Einkommen.
({18})
Wir können es den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermitteln, meine Damen und Herren von der linken Seite
des Hauses, dass die Hartz-IV-Regelsätze aufgrund gesetzlicher Vorgaben im nächsten Jahr um 2,7 Prozent
steigen werden, dass bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Hartz IV mit ihren Steuern bezahlen,
aber nichts ankommt.
Herzlichen Dank.
({19})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung berufe ich auf morgen, Donnerstag, den 30. Juni 2011, 9 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.