Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor Eintritt in die Tagesordnung
darf ich Sie darauf hinweisen, dass die für heute ursprünglich verlangte Aktuelle Stunde zum Umgang mit
dem Ehec-Erreger nicht stattfindet. Der entsprechende
Antrag ist zurückgezogen.
Ich rufe nun unseren Zusatzpunkt 17 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Finanzen
Stabilität der Euro-Zone sichern - Reformkurs in Griechenland vorantreiben
Hierzu liegen mehrere Entschließungsanträge vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister der Finanzen, der Kollege
Dr. Wolfgang Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage
in Griechenland und damit auch in Europa insgesamt ist
ernst. Im Frühjahr vergangenen Jahres standen wir vor
der Situation, dass die Schuldenkrise in Griechenland
die Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes zu gefährden drohte. Damals haben wir in sehr kurzer Zeit mit
Griechenland ein Sanierungspaket verabredet, welches
die Voraussetzung für Kredite bis zu 110 Milliarden
Euro ist, um den Finanzierungsbedarf Griechenlands bis
2012 zu decken.
Wegen der Ansteckungsgefahr, die von der Vernetzung der modernen Finanzmärkte ausgeht, die wir bei
der Finanzkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman
Brothers erlebt hatten, mussten wir im Euro-Raum
Neuland betreten. Wir haben unmittelbar danach mit
dem EFSF ein vorläufiges Instrument geschaffen, eine
Finanz-Stabilitäts-Fazilität für Notlagen. Dieses vorläufige Instrument wollen wir ab 2013 durch einen Europäischen Stabilisierungsmechanismus ablösen.
Die Auszahlung der Kredite an Griechenland in vierteljährlichen Tranchen ist an die Einhaltung der im
Sanierungspaket verabredeten Maßnahmen geknüpft.
Diese muss jeweils durch gemeinsame Berichte der
Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission bestätigt werden.
Nun hat die im Mai turnusmäßig fällig gewordene und
vorgenommene Überprüfung als Voraussetzung für die
Auszahlung der nächsten Tranche von 12 Milliarden
Euro Anfang Juli ergeben, dass Griechenland im vergangenen Jahr zwar erhebliche Fortschritte erzielt hat. Im
vorläufigen Bericht der Überprüfungskommission kritisiert man aber - ich zitiere - einen in den letzten Monaten nachlassenden Elan. Im Ergebnis wird festgestellt,
dass ohne zusätzliche Maßnahmen eine Auszahlung der
nächsten Rate nicht möglich sein wird.
Bei dem Entwurf des Programms vor einem Jahr sind
die Experten von EZB, IWF und EU-Kommission davon
ausgegangen, dass sich Griechenland im Jahre 2012 wieder Geld auf den Kapitalmärkten beschaffen kann. Im
vorgestern vorgelegten vorläufigen Bericht wird festgestellt, dass dies unwahrscheinlich ist. Damit gibt es im
aktuellen Anpassungsprogramm eine Finanzierungslücke. Deren Schließung ist eine Voraussetzung für die Beteiligung des IWF an der Auszahlung. Diese wiederum
ist Voraussetzung für die Auszahlung der Tranche insgesamt.
Ohne Auszahlung dieser nächsten Tranche besteht die
akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands
mit schwerwiegenden Folgen für die Stabilität der gesamten Euro-Zone, aber auch mit hohen Risiken für die
globale wirtschaftliche Entwicklung.
Ich werde in diesen Tagen immer wieder gefragt, ob
man diese Risiken nicht genauer beziffern und einen
Milliarden-Euro-Betrag angeben könne. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das kann man nicht. Schließlich
Redetext
geht es um mehr als das unmittelbare Engagement privater Gläubiger in Griechenland. Im Falle einer ungeordneten Insolvenz ist mit Zweit- und Drittrundeneffekten
zu rechnen. Das ist die sogenannte Ansteckungsgefahr
aufgrund der Vernetzung der Finanzmärkte, der modernen Finanzprodukte und der Volatilität der Finanzmärkte, die insgesamt sehr schwer zu kalkulieren ist. In
den letzten Jahren haben wir das lernen müssen und die
Folgen für den Wohlstand sowie die Sicherheit der Arbeitsplätze erlebt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir
im Interesse der Stabilität des Euro und Europas zu verhindern wissen. Daher bitte ich um Ihre grundsätzliche
Zustimmung, dass wir mit einem Anpassungsprogramm
die griechische Finanzierungslücke so schließen können,
dass die Auszahlung der Julitranche möglich wird.
In der öffentlichen Debatte wird gerne übersehen,
dass die Konsolidierungsanstrengungen, die Griechenland leisten muss, außergewöhnlich sind.
({0})
Von 2009 auf 2010 hat Griechenland sein Defizit immerhin - auch wenn das nicht ausreicht - um 5 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts zurückgeführt. Auf
Deutschland bezogen entspräche das einem Konsolidierungsvolumen von 125 Milliarden Euro. Angesichts unserer Debatten zur Haushaltskonsolidierung mag sich jeder vorstellen, was das für Griechenland bedeutet.
({1})
Gestern hat die griechische Regierung unter dramatischen Umständen zusätzliche Einsparungen beschlossen. Das ist überhaupt keine Frage.
({2})
Dieses Anpassungsprogramm ist mit harten Einschnitten
für die griechische Bevölkerung verbunden. Dass dies
mit zum Teil sehr heftigen innenpolitischen Debatten
einhergehen muss, ist selbstverständlicher Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Dafür muss man Verständnis haben. Das muss man respektieren. Auf der anderen
Seite muss man aber sagen: Wer dauerhaft zu hohe Defizite aufhäuft, kommt irgendwann um strukturelle Anpassungen nicht herum.
({3})
Wenn wir jetzt über zusätzliche Maßnahmen sprechen
müssen, um die Finanzierungslücke zu schließen, dann
bedeutet das für Griechenland, zusätzliche konsequente
und glaubwürdige Reformanstrengungen zu unternehmen. Das ist für weitere Hilfeleistungen eine unerlässliche Voraussetzung.
({4})
Deswegen liegt - man muss es sagen - die letzte Entscheidung bei den Griechen selbst.
Mit dem Beitritt zum Euro sind für alle große wirtschaftliche Verbesserungen verbunden gewesen, auch
für die Griechen. Mit der Mitgliedschaft in der gemeinsamen Währungsunion sind große Chancen für die Zukunft verbunden. Aber ein stabiler Euro setzt eine solide,
nachhaltige Finanzpolitik aller Partner voraus, und eine
gemeinsame Währung setzt alle Volkswirtschaften unter
einen sehr viel strengeren Wettbewerbsdruck, dem man
sich in einer gemeinsamen Währung nicht entziehen
kann. Wer die Vorzüge einer stabilen gemeinsamen
Währung will, der muss sich dem stellen.
Viele Stimmen bezweifeln, dass Griechenland seine
Schulden jemals vollständig zurückzahlen kann. Zentrale Voraussetzung dafür ist neben einer soliden Haushaltspolitik, dass Griechenland mittelfristig ein ausreichendes Wirtschaftswachstum erreichen kann. Dazu sind
weitere strukturelle Reformen nötig. Das legt der Bericht
dar.
Griechenland hat sich verpflichtet, vor der Auszahlung der nächsten Tranche gesetzgeberisch weitere notwendige Reformen zu beschließen. Darüber hinaus kann
eine Rückführung des zu hohen Staatsanteils in Griechenland durch Privatisierung Wachstumsimpulse auslösen. Gleichzeitig kann durch Privatisierungserlöse die
Gesamtverschuldung Griechenlands zurückgeführt werden. Der griechische Ministerpräsident hat im März
beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der EuroZone Privatisierungserlöse in Höhe von 50 Milliarden
Euro als realisierbar genannt. Der Bericht der Überprüfungskommission legt dar, wie solche jährlichen Privatisierungserlöse in Raten von 5 Milliarden Euro 2011,
weiteren 10 Milliarden Euro 2012, 7 Milliarden Euro
2013 usw. - das ist in dem Bericht genau aufgeführt realistisch, aber ehrgeizig erreichbar sein können.
Gleichzeitig müssen dazu - auch das ist so verabredet die privatisierungsfähigen Assets in einer Agentur zusammengeführt werden. In dem Bericht werden alle
diese Assets aufgeführt. Jeder kann sie überprüfen. In
dieser Agentur wirken europäische Institutionen mit.
Wir haben für die Agentur unsere Unterstützung durch
Beratung durch erfahrene Mitarbeiter angeboten.
Der Bericht legt auch dar, dass das reale Wachstum in
Griechenland im vergangenen Jahr stärker als erwartet
zurückgegangen ist und dass auch in diesem Jahr - wir
wollen das alles nicht beschönigen, und der Bericht beschönigt es auch nicht - mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Griechenland gerechnet werden
muss, der sich allerdings im Jahresverlauf abschwächt.
({5})
- Ja, Herr Gysi, es ist so. Es ist nicht einfach. Wir haben
es in Deutschland auch erlebt: Wenn man zu lange
Schulden macht, dann kommt man um die Sanierung
nicht herum. Das ist schmerzlich. Wenn man helfen will,
dann muss man sich zunächst einmal der Realität stellen.
Es führt kein Weg daran vorbei.
({6})
Ab 2012 ist eine allmähliche und sich dann auch steigernde Erholung zu erwarten. Nach allen Erfahrungen
insbesondere des Internationalen Währungsfonds ist mit
einem Konsolidierungsprogramm notwendigerweise ein
zeitweiser Rückgang der bruttowirtschaftlichen Entwicklung in einem Sanierungsland verbunden. Das ist
unvermeidlich. Aber zusammen mit Wachstumsimpulsen kann es zielführend sein. In der Tat sind auch in
Griechenland bereits erste Anzeichen für eine Wachstumserholung zu sehen.
Im Übrigen ist gerade dann, wenn es Zweifel an der
Rückzahlungsfähigkeit Griechenlands geben sollte und
wir also mit einem neuen Anpassungsprogramm Zeit gewinnen müssen, eine Beteiligung des Privatsektors an
der Lösung der Probleme umso dringlicher und unvermeidbar.
({7})
Die Zeit, die wir für Griechenland gewinnen müssen und
in der Griechenland unsere Hilfe für die notwendige Anpassung braucht - das geht nicht über Nacht -, darf nicht
zulasten einer Rückführung des privaten Engagements
zulasten der Gemeinschaft der Steuerzahler führen. Deshalb müssen wir auf der Beteiligung des Privatsektors
bestehen.
({8})
Wir haben im Übrigen schon im vergangenen Jahr darauf hingewiesen, dass künftig bei einem dauerhaften
Mechanismus zur Lösung von Schuldenkrisen in EuroLändern eine Beteiligung der privaten Gläubiger im Insolvenzfall unverzichtbar ist.
Ich habe für die Phase des Zeitgewinns für eine faire
Risikoverteilung in Griechenland zwischen Steuerzahlern und privaten Gläubigern den Tausch griechischer
Anleihen vorgeschlagen, der zu einer Verlängerung der
Laufzeit um sieben Jahre und der Beibehaltung der eingeräumten Zinskonditionen führen würde. Griechenland
gewinnt damit die nötige Zeit, grundlegende Reformen
durchzuführen und Marktvertrauen zurückzugewinnen.
Ein solches Verfahren minimiert das Risiko negativer
Kapitalmarktreaktionen, stellt eine faire Lastenteilung
zwischen Steuerzahlern und privaten Gläubigern sicher,
und es sendet im Übrigen auch im Sinne der Vorbeugung
ein deutliches Signal an alle, dass eigene Verluste nicht
umstandslos auf die Steuerzahler abgewälzt werden können. Das ist die Moral-Hazard-Problematik.
({9})
Wir nehmen skeptische Stimmen und Warnungen aus
der Europäischen Zentralbank zur Privatsektorbeteiligung ernst. Es gehört zu den originären Aufgaben der
Europäischen Zentralbank, mögliche Rückwirkungen
auf die Liquiditätsversorgung des Euro-Raums zu bewerten. Wir haben mit gutem Grund und ganz bewusst
auf der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank
bestanden, die sich bewährt hat. Um eine gute Lösung
für die Beteiligung des Privatsektors zu finden, die auch
von der Europäischen Zentralbank mitgetragen werden
kann und mitgetragen werden muss, haben wir in der
Euro-Gruppe verabredet, gemeinsam mit dem IWF, der
EZB und der Kommission eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die den schmalen Grat zwischen nennenswerter Beteiligung des Privatsektors und Vermeidung negativer
Finanzmarktreaktionen ausloten wird.
Wir werden - ich sagte es - mit dem Europäischen
Stabilitätsmechanismus für die Zukunft ein klares und ex
ante bekanntes Regelwerk für den Umgang mit Staatsschuldenkrisen schaffen. Grundprinzip ist, dass es nur in
Notsituationen und unter strengen Bedingungen zum
Einsatz kommt. Auch hier besteht die Bundesregierung
auf einer Verankerung der Beteiligung des Privatsektors.
Mit der Einführung von Collective Action Clauses für
alle ab 2013 zu begebenden Anleihen von Euro-ZonenStaaten wissen alle Gläubiger, dass im Insolvenzfall
auch Mehrheitsentscheidungen möglich sein werden.
Damit werden sie auf die notwendigen Konsequenzen
hingewiesen. Für die Bundesregierung ist ein Zurückfallen in Bezug auf die Formulierung des Vertrags zum
Europäischen Stabilitätsmechanismus hinter die Vereinbarungen der Staats- und Regierungschefs vom März
nicht verhandelbar.
({10})
Wir haben in Bezug auf die Verbesserung der Prävention von Staatsschuldenkrisen in der Europäischen
Union in den vergangenen Monaten Erhebliches geleistet. Wir haben aus der Krise gelernt, und wir haben ein
umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen. So erfolgt
eine Schärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts
durch einen Quasiautomatismus bei Sanktionen für Defizitsünder. Mit dem neuen gesamtwirtschaftlichen Überwachungsverfahren beobachten wir nicht nur isoliert die
Haushaltsentwicklung, sondern richten vor allem unser
stärkeres Augenmerk auf wirtschaftliche Ungleichgewichte insgesamt. Wir verbessern mit dem Euro-PlusPakt, für den die Bundeskanzlerin die Initiative ergriffen
und den sie durchgesetzt hat, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit aller teilnehmenden Staaten, insbesondere in der Euro-Zone. Das ist eine notwendige Voraussetzung für mehr Stabilität und wirtschaftliche Kohärenz
in der Euro-Zone.
({11})
Wir haben die Kapitalausstattung der Banken verbessert und arbeiten weiter daran, ihre Widerstandsfähigkeit
gegen allfällige Krisen zu stärken, mit Basel III, mit den
Regelungen im europäischen Bereich, mit dem Bankenstresstest und mit einer verbesserten europäischen Bankenaufsicht. Wir haben auch national mit dem Bankenrestrukturierungsgesetz Vorsorge getroffen, damit wir
für allfällige Krisen in der Zukunft besser gerüstet sind,
um Ansteckungsgefahren möglichst eindämmen zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
jenseits aller technischen Details doch eine sehr grundsätzliche Bemerkung. Niemand sollte sich über die
Ernsthaftigkeit dessen, was zur Entscheidung ansteht,
und über die Bedenken, die mit jeder Entscheidung verbunden sind, irgendeine Illusion machen. Aber wir müssen uns und unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern gelegentlich vor Augen führen, dass es gute wirtschaftliche
und politische Gründe für die wirtschaftliche und politische Einigung Europas gab.
({12})
Diese im Grunde im Vorhinein nicht für möglich gehaltene wirtschaftliche Entwicklung wäre ohne die wirtschaftliche Einigung Europas nicht vorstellbar, und ohne
die gemeinsame Währung hätten wir im letzten Jahrzehnt nicht solche Fortschritte gemacht. Ohne die gemeinsame Währung hätten wir auch nicht annähernd
diese unglaubliche Herausforderung durch den wirtschaftlichen Einbruch nach der Finanz- und Bankenkrise
überstanden. Es gehen über 60 Prozent aller Exporte
Deutschlands - wir sind mehr als jedes andere Land auf
den Export angewiesen - in andere europäische Länder.
({13})
Mehr als 60 Prozent! Stabile Wechselkurse durch eine
gemeinsame europäische Währung sind vor allem im Interesse und zum Vorteil des wirtschaftlich erfolgreichsten Landes in dieser Währungsunion. Wir haben den
größten Vorteil.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir den größten
Vorteil haben, haben wir auch eine große Verantwortung
für Europa,
({15})
und wir haben eine große Verantwortung auch für die
Welt. Die Verflechtung der Finanzmärkte unterliegt nicht
nur den Einflüssen von außen; vielmehr gilt auch umgekehrt: Auch wir haben eine große Verantwortung für alle
Teile der Welt. Die Welt hat ein großes Interesse an einem stabilen Euro, an einer stabilen Reservewährung,
auch angesichts der Probleme in anderen Teilen der
Welt. Wir haben unserer Verantwortung durch Europa, in
Europa für diese eine Welt gerecht zu werden.
Es jährt sich vieles in diesen Monaten: die Entscheidung für Berlin; im August sind es 50 Jahre, dass die
Mauer in Berlin gebaut wurde; vor ein paar Monaten haben wir 20 Jahre deutsche Einheit in Frieden und Freiheit gefeiert. Ohne Europa wäre das alles nicht geworden.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir nicht verlässliche Partner in Europa und in der Welt gehabt hätten, hätten wir diese zweite deutsche Chance, wie es
Fritz Stern in der letzten Rede zum 17. Juni in der alten
Bundesrepublik gesagt hat, nicht bekommen. Wir hätten
sie nicht bekommen, wenn wir nicht verlässliche Partner
gehabt hätten und wenn wir nicht ein verlässlicher Partner geworden wären.
({17})
Das ist Geschichte. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, man darf aus der Geschichte lernen, um alte Fehler
nicht ein zweites Mal zu machen.
({18})
- Zeigen Sie nicht auf mich. Es war ein Sozialdemokrat,
der gesagt hat: Wer mit dem Finger auf andere zeigt,
muss immer sehen, dass drei Finger derselben Hand auf
einen selber zurückzeigen. Ich glaube, diese Debatte ist
zu ernst, als dass wir uns zu schnell gegenseitig Verantwortung zuweisen sollten.
({19})
Ich finde, dass wir an diesem Morgen, wo wir Entscheidungen zu treffen haben, die nachzuvollziehen vielen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus guten
Gründen furchtbar schwerfällt - das müssen wir doch
wissen -, nicht mit Schuldzuweisungen arbeiten sollten,
sondern wir sollten uns besser unserer gemeinsamen
Verantwortung stellen.
({20})
Ich habe gerade gesagt: Das ist Geschichte. Wenn
sich auch Geschichte nicht wiederholt, kann man doch
aus ihr lernen. So will ich gleich eine Bemerkung hinzufügen. Es wird oft gefragt: Was heißt das denn für die
Jungen? Meine Antwort auf die Frage, was dies alles für
die Jungen heißt, ist für mich jedenfalls klar: Ohne ein
gelingendes Europa, das sich seiner Verantwortung stellt
in dieser Welt voller aufregender Veränderungen, voller
großer Herausforderungen, aber auch voller faszinierender Chancen, sind unsere Chancen in dieser Welt gering.
Ein gelingendes Europa ist die beste Vorsorge, die wir
für eine gute Zukunft leisten können.
({21})
Liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
sind die stärkste Wirtschaft in Europa, und wir liegen
- das ist das deutsche Schicksal - mitten in Europa. Daraus wächst unsere Verantwortung. Wir haben eine Führungsverantwortung für Europa.
({22})
- Wir haben eine Verantwortung für Stabilität und Nachhaltigkeit.
({23})
- Ich gucke auf uns alle. Man muss solche Anforderungen immer an sich selbst stellen. Wir können unserer
Verantwortung nur gerecht werden, indem wir überzeugende Antworten finden. Unsere Bevölkerung, die Bevölkerung in allen europäischen Ländern zweifelt zunehBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
mend daran, ob dieser Weg so zukunftsführend sein
kann, und wir haben dafür überzeugende Antworten zu
geben. Wir können die nicht allein gegen alle anderen
finden. Wir haben unsere Verantwortung zur Führung,
aber es geht nur im Miteinander mit den anderen.
({24})
Wir müssen dieser Verantwortung gerecht werden,
wir müssen Europa zusammen führen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unsere Verantwortung. Die
Bundesregierung ist dazu bereit, und wir bitten das Hohe
Haus um Unterstützung.
({25})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von den Regierungsfraktionen! Sie haben zu
Recht geklatscht bei den wohltuenden Mahnungen Ihres
Finanzministers, unseres Finanzministers, Herrn
Schäuble. Ich hoffe, Sie lassen sich bei Ihren Entscheidungen von diesen Mahnungen leiten.
({0})
Das ist etwas ungewöhnlich: Wir hören innerhalb von
zwei Tagen zwei Regierungserklärungen zu ganz unterschiedlichen Themen,
({1})
und doch sind Ähnlichkeiten unübersehbar. Gestern hat
die Bundeskanzlerin ihre Kehrtwende in der Energiepolitik mit Fukushima erklärt oder - kurz - mit neuen
Einsichten durch neue Realitäten. Ich habe mich gestern
Abend gefragt: Was muss eigentlich in Europa passieren,
damit diese Regierung erkennt, dass in Europa mehr auf
dem Spiel steht - das haben Sie gerade auch den Ausführungen von Herrn Schäuble entnehmen können - als
ein Kredit für Griechenland?
({2})
Wir haben in Europa eine veritable Krise, vielleicht
die größte Krise seit der Gründung der Europäischen
Union. Bis auf Herrn Schäuble - den nehme ich ausdrücklich aus - macht der Rest der Regierung Dienst
nach Vorschrift und viele weniger als das. Das ist die
Lage.
({3})
Sie vermissen das doch selbst, ich höre das doch auch
aus Ihren Reihen. Wo ist denn unsere Führungsrolle in
Europa geblieben? Wer erzählt den Menschen draußen
auf den Marktplätzen - nicht hier im Bundestag -, in den
Hallen, in denen wir auftreten, dass uns dieses Europa
60 Jahre Frieden garantiert hat,
({4})
dass wir einen guten Teil unseres Wohlstandes diesem
Europa verdanken?
({5})
Wer erzählt den Menschen eigentlich - auch das
klang bei Herrn Schäuble eben ein bisschen an -,
({6})
dass diese sich so rasch verändernde Welt gerade dabei
ist, die Nachkriegsordnung, aufgrund derer vielen europäischen Staaten Sitze in den internationalen Organisationen eingeräumt worden sind, hinter sich zu lassen, wir
aber in der Welt überhaupt nur über dieses Europa
sprachfähig sind? Das ist doch die Situation.
({7})
Ich bin froh, Herr Schäuble, dass Sie in Ihrer Rede daran erinnert haben, dass ohne dieses vereinte Europa
auch die deutsche Einheit sehr viel schwieriger, vielleicht sogar unerreichbar gewesen wäre. Deshalb
komme ich für mich zu dem Ergebnis - Sie mögen es anders sehen -: Europa war nicht immer populär
({8})
und ist das wohl zurzeit auch nicht. Aber wenn wir den
Eigenwert der europäischen Einigung nicht benennen,
meine Damen und Herren, oder an ihn nicht einmal erinnern, dann führt das dazu, dass Entscheidungen im alltäglichen europäischen Krisenmanagement von unseren
Bürgerinnen und Bürgern eben nur als Maßnahmen einer
seelenlosen Technokratie angesehen werden. Dafür bringen sie keine Opfer; darauf setzen sie keine Hoffnung
für die Zukunft.
„Europa ist unsere Zukunft, eine andere haben wir
nicht“, hat Hans-Dietrich Genscher vor einigen Wochen
geschrieben.
({9})
Wenn das so ist - ich zitiere ihn mit einiger Absicht -,
dann braucht dieses Europa jetzt mehr denn je Menschen, die mit Mut und Leidenschaft für Europa eintreten. Genau von diesen Menschen sehe ich aber in Ihren
Reihen nicht genügend, meine Damen und Herren von
den Koalitionsfraktionen.
({10})
- Jetzt schütteln viele von Ihnen mit dem Kopf; aber es
reicht doch, die Zeitungen der letzten zwei Wochen zu
lesen. In den entsprechenden Meldungen wird die ganze
Grummelei und Nörgelei aus den Koalitionsfraktionen
abgebildet. Daraus geht hervor, dass nicht nach vorne
gedacht wird und keiner einschreitet,
({11})
wenn der eine oder andere mal eben so schlankweg den
Rausschmiss einiger notleidender Staaten aus der Europäischen Währungsunion fordert. Niemand stellt richtig,
wenn mit offensichtlichen Falschmeldungen über faule
Südeuropäer der Stammtisch bedient wird ({12})
stattdessen Herrenreiterpose mit stolz geschwellter Brust
über unsere so starke Ökonomie. Als hätte diese Regierung auch nur einen Schlag dafür getan, dass wir die
Stärke auf diesem Gebiet wiedergewonnen haben!
({13})
Frau Merkel, wir waren gemeinsam auf vielen europäischen Gipfeln. Ich hatte nie Anlass, an Ihrer europäischen Einstellung zu zweifeln. Aber vielleicht verstehen
Sie, dass derjenige, der in Brüssel Reden über europäische Solidarität hält und dann scheinbar unbeobachtet im
Sauerland das eine oder andere Ressentiment bedient,
eben den Verdacht weckt, dass ihm Europa keine Herzenssache ist. Genau das spüren die Menschen.
({14})
Deshalb sage ich ohne Schaum vor dem Mund
({15})
und durchaus zur Erinnerung an uns alle: Dieses Reden
mit gespaltener Zunge über Europa,
({16})
das müssen wir einstellen, das müssen Sie einstellen.
Wenn wir das nämlich beibehalten und pflegen, wenn
wir in Brüssel anders reden als zu Hause in den Wahlkreisen,
({17})
kommt mehr ins Rutschen, als wir jetzt schon sehen.
Wie sollen denn die Menschen an Europa glauben,
meine Damen und Herren, wenn wir ihnen auch noch die
falschen Gründe dafür liefern, es nicht zu tun? Wie soll
das denn gehen?
({18})
Gestern in der Regierungserklärung haben Sie hier
Ihre Irrtümer aus dem „Herbst der Entscheidungen“ eingesammelt. In der heutigen Debatte reden wir über die
Folgen, die aus anderthalb Jahren Unentschiedenheit
entstanden sind.
({19})
Seit anderthalb Jahren sagen Sie im Grunde genommen
den Menschen nicht, was ist. Nur die Gründe dafür
wechseln: Mal sind es Landtagswahlen, mal die knappe
Mehrheitslage in den Koalitionsfraktionen. Sie führen
jedenfalls immer ausreichend Gründe an, um entweder
Probleme kleinzureden, große Lösungen zu vermeiden,
Zeit zu gewinnen oder was auch immer. Das ist nicht
Verantwortung, und das ist nicht Politik.
Das Ergebnis dieser Politikverweigerung spricht für
sich. Bisher wurden Sie noch nach jeder Ihrer Ankündigungen nach drei Monaten von der Entwicklung auf den
Finanzmärkten eingeholt und von der Wirklichkeit überholt. Was haben Sie in den letzten anderthalb Jahren in
diesem Parlament nicht alles angekündigt! Am Anfang
der Debatte hieß es: Kein Cent für Griechenland. Das
war falsch und natürlich nicht aufrechtzuerhalten. Die
nächste Position war: Griechenland ist ein Einzelfall.
Auch das war nie aufrechtzuerhalten. Als der Rettungsschirm da war, haben Sie gesagt: Er wird garantiert nicht
in Anspruch genommen. Was war das Ergebnis? - Später hieß es: Der Schirm wird genutzt, aber nur temporär.
Aber es kommt, wie es kommen musste: Natürlich werden wir ihn für eine dauerhafte Nutzung ausgestalten.
Diese Art und Weise, von der Hand in den Mund,
nützt weder Ihnen noch Europa; aber vor allen Dingen
überzeugen wir dadurch nicht unsere Bürgerinnen und
Bürger von dem, was notwendig ist.
({20})
In den folgenden Reden werden wir wieder hören,
dass das kein Unfall war, sondern eine kluge Strategie.
({21})
Ich sage Ihnen nur: Mit jedem dieser kleinen Schritte,
bei denen uns nach drei Monaten die Realität eingeholt
hat, sind wir den Finanzmärkten nachgelaufen. Wir haben nach meiner Überzeugung nicht Geld gespart, wie
Sie gleich sagen werden, sondern wir haben die teureren
Lösungen mit organisiert; denn die Erfahrung zeigt:
Auch Lösungen auf der europäischen Ebene, die wir zunächst drei Monate lang verhindert haben, haben wir
später mitgetragen. Das wird auch nicht durch wohlklingende Titel verdeckt, die wir uns für deutsche Papiere
einfallen lassen: Pakt für dieses und jenes.
Nein, es ist eindeutig: Wir sind nach knapp zwei Jahren aus der Rolle der Führung in der europäischen Willensbildung an den Rand geraten. Die Kleinen sind irritiert über unser Land; glauben Sie es mir.
({22})
Die Großen treffen Vereinbarungen an uns vorbei, und
wir sind vom Gestalter zum Nörgler geworden. Das ist
nicht unsere Rolle, und das will ich auch nicht.
({23})
Wer das alles immer noch nicht glaubt, der werfe einmal einen Blick auf das europäische Personaltableau. Ich
finde, das wirft ein Schlaglicht auf unsere Lage.
Deutschland ist der bevölkerungsreichste Mitgliedstaat
mit der stärksten Volkswirtschaft in Europa. Aber in den
Spitzenpositionen sind wir kaum noch präsent.
({24})
Den sicher geglaubten Posten des EZB-Präsidenten haben Sie aus der Hand gegeben. Das ist nicht die Schuld
Griechenlands, der Kommission oder irgendwelcher bösen Mächte, sondern liegt in der Verantwortung dieser
Regierung.
({25})
Wahr ist, Herr Schäuble: Nichts ist einfach in Europa,
erst recht nicht Lösungen für Griechenland. Wir stehen
in europäischer Verantwortung; das haben Sie betont.
Die heutigen Generationen in Griechenland, vermute
ich, ahnen sehr genau, dass sie die Fehler der Vergangenheit nicht innerhalb von Monaten korrigieren können,
und setzen auch deshalb Hoffnung auf Europa. Ich
glaube, sie ahnen auch, dass die Hauptverantwortung für
diese Fehler in Griechenland selbst liegt.
Aber wir sollten auch wissen: Zum ersten Mal seit
Jahrzehnten haben wir in Griechenland eine Regierung,
die mit Vernunft und mit dem Mut der Verzweiflung
nicht allein um Ministersessel kämpft, sondern um die
Zukunft ihres Landes und dessen Überleben. Das ist die
Chance, die dieses Land hat.
({26})
Herr Schäuble, es gibt keine Garantie, dass das gelingt. Aber Vernunft und Mut werden auch von uns verlangt, von dieser Regierung, von Europa insgesamt. Da
kommt man nicht mit einem ängstlichen Blick auf die
Vertreter der schlichten Lösungen durch. Da nimmt das
Drama seinen Lauf. Das ist jetzt vorauszusehen. Ich sage
noch einmal: Nichts ist einfach. Aber, Herr Schäuble,
setzen Sie bitte - das ist auch meine Bitte an die gesamte
Regierung - nicht auf diejenigen, die sich in ihrem
Wahlkreis einen weißen Fuß machen. Setzen Sie auf diejenigen, die in der Lage sind, europäische Verantwortung
zu tragen. Darum geht es.
({27})
Auch das haben Sie angedeutet: Wir brauchen jetzt
eine überzeugende europäische Gesamtlösung für die
Staatsschuldenkrise. Ohne eine Gesamtlösung werden
wir, werden Sie in den Folgejahren immer Rettungsschirm über Rettungsschirm spannen und das Misstrauen
der Märkte gleichwohl nicht ausräumen. Peer Steinbrück
und ich haben uns bemüht, in Reden hier vor dem Deutschen Bundestag Elemente einer solchen Gesamtlösung
vorzustellen.
({28})
Umschuldung, Schuldenschnitt, europäische Anleihen, limitierte Euro-Bonds haben wir hier genannt auch von diesem Pult aus.
({29})
Sie haben das verlacht, Sie haben das verspottet. Ich prophezeie Ihnen: Am Ende werden Sie genau da ankommen.
({30})
Die ganze Wahrheit ist ja: Das, was wir gegenwärtig
erleben, ist auch eine Staatsschuldenkrise. Es ist keine
Krise des Euro, aber es ist vor allen Dingen nicht eine
Krise allein der Schuldnerstaaten. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe dafür, warum die in die Krise geraten sind. Deshalb geht die Krise eigentlich weiter, während wir das miteinander diskutieren. Es ist eben auch
eine Krise der europäischen Institutionen, die von der
Struktur her nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Mit
anderen Worten: Wir haben eine gemeinsame Währung
geschaffen. Das war ein wichtiger Schritt, ein großer
Schritt, ein richtiger Schritt. Aber wir sehen doch gerade
in diesen Tagen, dass eine europäische Währung mehr
braucht, damit sie funktionieren kann. Wir brauchen eine
gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa.
Wir brauchen eine strengere Aufsicht für die Banken
und Finanzmärkte. Wir brauchen eine Harmonisierung
der Steuern. Wir brauchen eine Mindestbesteuerung bei
Körperschaft und Unternehmen. Nach meiner Überzeugung brauchen wir auch differenzierte Mindestlöhne in
Europa. Das muss zusammenwachsen.
({31})
Wir müssen in all diesen Fragen Neuland beschreiten.
Jawohl, Herr Schäuble, es gibt keine Blaupause, auf die
wir in diesen Zeiten zurückgreifen können. Argentinische Lösungen, wie sie von manchen auf klugen Seiten
der Wirtschaftszeitungen vorgeschlagen werden, stehen
nicht zur Verfügung.
Herr Schäuble, ich will ausdrücklich anerkennen,
dass Sie sich persönlich immer wieder bemüht haben,
solche Lösungen zu finden. Deshalb sage ich Ihnen auch
zu, dass wir, die Sozialdemokraten, uns bei sinnvollen
und erfolgversprechenden Entscheidungen nicht der Verantwortung entziehen werden.
({32})
- Ich glaube, Sie werden das brauchen. Seien Sie nicht
ganz so hochnäsig.
({33})
Das setzt auch einen etwas anderen Umgang zwischen
Regierung und Opposition voraus.
({34})
Das verlangt, dass wir wirklich mit Offenheit über die
Dinge sprechen, dass Handlungsoptionen, die Sie erwägen, nicht versteckt werden. Ich sage Ihnen - es ist
schlicht und einfach, Herr Schäuble, Sie wissen das -:
Verantwortung geht nur mit Transparenz. Wir entziehen
uns dieser Verantwortung nicht, aber wir wollen wissen,
was an europäischen Lösungen ansteht.
({35})
Und ein Letztes: Wir werden das nur gewinnen, wenn
wir auf diesem Weg die Bürgerinnen und Bürger in unserem eigenen Land mitnehmen.
({36})
- Herr Kauder, ganz ernsthaft, Sie machen sich die
Dinge zu einfach!
({37})
Ich stehe jetzt zum dritten Mal hier in der europäischen Debatte. Immer sagen Sie: „Diese Instrumente
wollen wir nicht.“ Drei Monate später erfährt man, dass
Sie sie doch wieder übernehmen.
({38})
Ich komme deshalb gerne zu einem letzten Element.
Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger auf diesem
schwierigen europäischen Weg mitnehmen wollen, dann
müssen wir in der Politik - nicht nur die Regierung - gewährleisten, dass nicht der falsche Eindruck entsteht,
dass nur einer die Last der ganzen Krise trägt. Im Augenblick macht sich doch der Eindruck breit, dass ganz
viele an den unterschiedlichen Krisen verdienen, aber
dafür nur ganz wenige die Kosten tragen. Deshalb meine
herzliche Bitte - auch wenn Sie das in der Vergangenheit
immer als überflüssig betrachtet haben -: Wenn nicht der
falsche Eindruck entstehen soll, dass die Übernahme der
Kosten der Krise nicht ausbalanciert wird und diejenigen, die an ihr verdienen, nicht beteiligt werden, dann
geben Sie endlich den Weg frei und setzen Sie sich mit
aller Kraft dafür ein, dass die Finanzmarkttransaktionsteuer in Europa kommt.
({39})
Sie werden diese Ressource brauchen, wenn wir notleidenden Ländern wieder auf die Beine helfen wollen. Allein mit Sparen funktioniert das nicht; das sehen wir gerade leider auch in Griechenland.
Herzlichen Dank.
({40})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Steinmeier, Sie haben die sachlichen Darlegungen
von Herrn Schäuble zu Recht als wohltuend bezeichnet.
Er hat die Situation sehr nüchtern und korrekt dargestellt
({0})
und die Wege und Risiken klar aufgezeigt. Die FDPFraktion wird in hoher Geschlossenheit den gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen in diesem Haus unterstützen.
({1})
Es ist deutsche Staatsräson, dass sich unser Land nie
wieder säkularisieren darf.
({2})
- Entschuldigung, Herr Heil, wir führen hier eine seriöse
Diskussion.
({3})
Sie blöken nur dazwischen; das bringt nichts.
({4})
Zweitens. Wir brauchen die europäische Perspektive
aus guten Gründen; denn zwei Drittel des weltweiten
Wirtschaftswachstums werden in anderen Ländern, nicht
mehr in Europa erzielt. Es ist kein europäisches Zeitalter
mehr, in dem Europa die Weltentwicklung determiniert.
Wir brauchen einen stabilen Euro.
Herr Steinmeier, Sie haben das in zwei Sätzen abgehandelt, um dann sofort in Polemik, Besserwisserei und
Beschimpfung zu verfallen.
({5})
Das müssen wir uns nicht gefallen lassen.
({6})
Alle wichtigen europäischen Verträge wurden von den
Mehrheiten von CDU/CSU und FDP auf den Weg gebracht und beschlossen.
({7})
Ich habe noch klar vor Augen, wie Herr Gabriel bei
der Entscheidung zur Griechenland-Hilfe - ja oder nein? hier eine Art Sirtaki aufgeführt hat. Innerhalb einer Woche wechselte er zwischen Ja, Nein und Enthaltung; am
Schluss gab es eine kraftvolle Enthaltung. Das ist Ihr
staatspolitischer Beitrag zu den Veränderungen.
({8})
Es ist ein Unterschied, ob man seinen Worten Taten
folgen lässt oder sich, wenn es darauf ankommt, vom
Acker macht.
({9})
Ihr Bundeskanzler Schröder hat den Euro als kränkelnde
Frühgeburt bezeichnet. Das war Ihr Bundeskanzler!
({10})
Herr Steinmeier, Sie haben Herrn Schröder jahrelang die
Feder geführt. Sie wissen das ganz genau.
({11})
Ich könnte reihenweise Zitate von Herrn Schröder anbringen, in denen er begründet, weshalb er den Stabilitätspakt aufgeweicht hat.
({12})
Ja, wir haben eine besondere Situation. Wir haben
eine Wirtschafts- und Währungsunion und keine politische Union. Das unterscheidet uns von den Vereinigten
Staaten. Der Stabilitätspakt wurde geschlossen, um Leitplanken einzuziehen, die die finanzpolitische Stabilität
gewährleisten, welche für eine stabile Währung notwendig ist. Das ist die deutsche Mitgift für die europäische
Entwicklung: eine stabile Währung. Eine soziale Marktwirtschaft kann nämlich nur funktionieren, wenn die
Preise die Knappheitsrelation richtig widerspiegeln. In
der Marktwirtschaft wird über Preise gesteuert, nicht
über planwirtschaftliche Ansätze. Wenn die Preise die
Knappheit nicht richtig widerspiegeln, steuern wir
falsch.
({13})
- Einer muss es Ihnen ja erklären.
({14})
Das Zweite ist das Soziale. Eine der größten sozialen
Schweinereien ist die Inflation, die Geldentwertung,
weil sie die Kleinen, die mit dem Sparbuch und dem
kleinen Vermögen trifft, diejenigen, die nicht ausweichen können.
({15})
Deshalb kämpfen wir für Geldwertstabilität, für den stabilen Euro und für die Einhaltung der Stabilitätskriterien.
({16})
Sie haben nicht gekämpft für die Stabilität des Euro.
Sie haben aus Beliebigkeit heraus und kurzatmig Regelungen getroffen, weil Sie nicht die Kraft hatten, den
Haushalt in Ordnung zu bringen. Deshalb haben Sie die
eigene Messlatte gerissen.
({17})
Wir machen das anders.
({18})
Wir denken in klaren Linien.
({19})
In Ihrer Zeit, in der Zeit von Rot-Grün, war Deutschland
der kranke Mann Europas. Heute erleben wir ein neues
deutsches Wirtschaftswunder - dank einer anderen Politik in Deutschland.
({20})
Sie haben den Stabilitätspakt aufgeweicht und kaputt
gemacht, sodass er nicht richtig funktionieren kann.
({21})
Das ist die Ursache unserer Misere. Die Leitplanken
wurden von Ihnen durchlöchert und halten nicht mehr.
Sie haben sie durch Ihre Politik teilweise zerstört.
({22})
Deswegen müssen wir jetzt - wir sind dabei - eine Art
Stabilitätspakt II schaffen.
({23})
Kernstück wird der ESM sein. Das Entscheidende ist,
dass wir den Rahmen setzen.
Kernproblem Griechenlands ist, dass dieses Land
nicht hinreichend wettbewerbsfähig ist. Ich will Ihnen
einmal vorlesen, was der damalige Außenminister der
Grünen erklärt hat, als es so weit war. In Athen hat er
wörtlich gesagt:
Wir sind besonders froh über die wirtschaftlichen
Erfolge Griechenlands und die Anstrengungen, die
unternommen werden, sowie über die Fähigkeit
Griechenlands, dem Euro beizutreten.
Ich wiederhole: „die Fähigkeit Griechenlands, dem Euro
beizutreten“. Das Land war damals nicht dazu in der
Lage. Die Unterlagen waren nicht stimmig. Sie haben
das schöngeredet und zum falschen Zeitpunkt Entscheidungen getroffen.
({24})
Ja, wir bauen eine neue Stabilitätskultur in Europa
auf. Das ist das Elementare. Im Gencode der Deutschen
ist fest verankert,
({25})
was es bedeutet - das hat jede deutsche Familie zweimal
erlebt -, wenn eine Währung nicht stabil und solide ist.
Wir haben in Deutschland zwei Währungsreformen erlebt. Deshalb sind wir sensibel für die richtigen Strukturen und eine Stabilitätskultur. Das ist elementar für eine
erfolgreiche Entwicklung dieses Kontinents.
({26})
Wir haben den Menschen versprochen, dass der Euro
genauso stabil sein wird, wie es die Deutsche Mark war,
und dass die Europäische Zentralbank genauso unabhängig sein wird, wie es die Deutsche Bundesbank war und
ist. Das müssen wir sicherstellen.
({27})
Wenn wir jetzt nicht helfen, besteht die Gefahr, dass
Griechenland nicht zu einer finanziellen Stabilität zurückkehrt und seine Wettbewerbsschwäche nicht überwinden kann. Das Kernproblem Griechenlands liegt darin, dass es nicht in der Lage ist, sich das zu erarbeiten,
was es meinte sich auf der Ausgabenseite über lange
Jahre erlauben zu können. Hier muss eine Balance gefunden werden. Darauf müssen wir hinarbeiten.
Wir müssen Griechenland eine faire Chance geben,
das umzusetzen, was an Veränderungen notwendig ist.
Diese Veränderungen müssen nachhaltig sein. Der Bericht der Troika lässt diesbezüglich erkennen - Herr
Schäuble hat es sehr korrekt wiedergegeben -: Die Ziele
sind nicht voll erreicht. Für uns ist es deshalb von elementarer Bedeutung, dass der IWF - quasi als Sicherheitsgurt der weiteren europäischen Entwicklung - beteiligt bleibt.
Für die Freien Demokraten sind vier Punkte ganz zentral:
Erstens. Die Beteiligung privater Gläubiger, und zwar
aus zwei Gründen: Politisch ist wichtig, dass nicht der
Steuerzahler - hier wie in anderen Ländern - einseitig
für alles aufkommt. Das ist auch eine Frage der Konsequenz des Verhaltens. Daneben gibt es eine ökonomische Komponente. Wenn Anleger das Gefühl haben,
dass - ganz gleich, was sie unternehmen - die Rechnung
am Schluss vom Staat und damit vom Steuerzahler beglichen wird, dann befinden wir uns in der europäischen
Finanzwirtschaft wieder auf einem falschen Weg. Deshalb ist die Beteiligung privater Gläubiger unverzichtbar.
({28})
Zweitens. Der IWF muss beteiligt sein, weil er ein
Stück unabhängige Expertise einbringt.
Drittens. Die Privatisierung in Griechenland muss zügig und nachvollziehbar vorangetrieben werden. Letztlich liegt die Entscheidung, wie es weitergeht, bei Griechenland. Das Land ist ein souveräner Staat und kein
Protektorat. Wenn aber ein Staat Unterstützung und Hilfestellung haben will, hat er als derjenige, der Solidarität
empfängt, die Verpflichtung, die Ursachen seiner Probleme aktiv zu beseitigen.
({29})
Deshalb muss in Griechenland eine umfassende Privatisierung schnell und überzeugend eingeleitet werden.
({30})
Deutschland kann helfen, wenn das gewünscht wird.
Im deutschen Einigungsprozess haben wir viel Erfahrung gewonnen. Es gibt eine Vielzahl internationaler
Expertisen. Griechenland wäre gut beraten, davon Gebrauch zu machen. Letztlich liegt die Entscheidung aber
bei Griechenland. Wichtig ist: Es muss etwas geschehen.
Hier liegt einer der Schwachpunkte des Berichtes. Der
IWF lässt diesbezüglich bei seiner Bewertung ein Stirnrunzeln erkennen.
({31})
- Sie sollten ihn einmal lesen, Herr Heil, das macht Sie
vielleicht schlauer.
Viertens. Die angemessene Beteiligung des Parlaments ist für uns unverzichtbar. Es ist das Königsrecht
des Parlaments, Haushaltsentscheidungen zu treffen.
Deshalb müssen bei solch gravierenden Entscheidungen
auch die Rechte des deutschen Parlaments, des Deutschen Bundestages, gewahrt sein.
({32})
Das ist unverzichtbar. Wir sind sehr wohl in der Lage,
unsere Entscheidungen als frei gewählte, unabhängige
Abgeordnete richtig und nach bestem Wissen und Gewissen zu treffen.
Meine Damen und Herren, es muss gelingen, mit dem
Stabilitätspakt II die Rahmenbedingungen zu setzen, damit der Euro und Europa funktionieren. Es kann auch einen anderen Weg geben. Herr Trichet hat in seiner Rede
bei der Karlspreisverleihung einen anderen Weg aufgezeigt: Man könne ein europäisches Finanzministerium
schaffen, quasi eine supranationale Institution, eine Art
Bundesstaat. Das halte ich nicht für realistisch. In Europa gibt es zu viele unterschiedliche Kulturen und dementsprechende Entwicklungen. Ich glaube, dass der eingeschlagene Weg - dabei wahren wir die nationale
Zuständigkeit für die Entscheidung - der richtige ist.
Aber er fordert zwingend einen wirksamen Stabilitätspakt II mit klaren Regeln, damit man sieht, dass wir
Ernst machen. Wir haben die paradoxe Situation, dass
der Euro außen sehr gut ankommt. Er ist stark gegenüber
dem Dollar. Er ist stark gegenüber dem Yen.
Das Problem besteht intern. Es ist keine Währungskrise, sondern eine Schuldenkrise, weil einige Mitgliedsländer es nicht geschafft haben - dies lag wohl auch an
der Segnung eines niedrigen Zinses dank des Euros -,
maßzuhalten, über die Stränge geschlagen haben und mit
den öffentlichen Haushalten nicht vernünftig umgegangen sind.
({33})
Sie haben sich durch die niedrige Verzinsung durch die
gemeinsame Währung zur finanzpolitischen Unsolidität
verführen lassen. Deshalb müssen sie auf den Pfad der
Solidität ihres Haushaltsgebarens zurückfinden; denn
nur so wird ein Ganzes daraus.
({34})
Herr Steinmeier, ich würde Sie herzlich bitten - ich
weiß nicht, wann Sie Ihren Kanzlerkandidaten aufstellen -,
({35})
das zu lassen, nicht eine Rede für Ihre Fraktion zu halten, sondern für die Menschen draußen im Land.
({36})
Sie haben den Anspruch, dass wir in Fragen von elementarer nationaler und europäischer Bedeutung über den
Tellerrand der Parteipolitik und Polemik hinausblicken
- dafür wirbt übrigens Wolfgang Schäuble -;
({37})
dann sollten Sie dies auch tun
({38})
und nicht nur mit zwei Sätzen ein Lippenbekenntnis zu
dem ablegen, was Wolfgang Schäuble überzeugend dargelegt hat,
({39})
um anschließend in Bierzeltstimmung und Parteitagsrede zurückzufallen. Das ist der Lage nicht angemessen.
({40}) - Lachen bei der SPD, der LINKEN und
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie sollten wirklich einmal in sich gehen. Große Sprüche
zu machen und dann, wenn es - wie bei Griechenland darauf ankommt, weder Ja noch Nein zu sagen, sondern
sich kraftvoll zu enthalten, sich vor der Entscheidung zu
drücken, ist ein Kneifen vor staatspolitischer Verantwortung. Werden Sie endlich staatspolitisch verantwortlich!
({41})
Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Brüderle, ich sage besser nichts zu Ihrer Wortwahl,
({0})
aber Ihre Leidenschaft war wirklich beachtlich; das muss
ich sagen.
({1})
Wie Sie am Schluss die Fäuste bewegt haben, das passt
auf jeden linken Parteitag. Zur Steigerung müsste ich
jetzt den Schuh benutzen.
({2})
Die Probleme, die Sie gerade mit Europa haben, werden
Sie dadurch nicht los. Das muss man in aller Deutlichkeit sagen.
({3})
Sie haben ja recht, Herr Schäuble: Die Europäische
Union ist ungeheuer wichtig, und zwar zunächst aus einem politischen Grund. Alle Jahrhunderte bis einschließlich des 20. Jahrhunderts waren geprägt durch
Kriege zwischen den heutigen Mitgliedsländern der
Europäischen Union. Die Europäische Union hat die
Chance, das für die Zukunft auszuschließen. Allein das
wäre ein so großer Gewinn, dass man dafür vieles in
Kauf nehmen müsste. Der zweite Grund ist - auch das
stimmt -, dass es wirtschaftlich mit den alten Nationalstaaten in Europa überhaupt nicht mehr laufen kann.
Nun lassen Sie mich noch etwas zum Euro sagen. Sie
haben hier den früheren Kanzler bezüglich der Anfangsschwäche zitiert. Es war
Erst die politische Union und dann die Währungsunion. Frankreich hat nicht mitgemacht. Daraufhin hat er
gesagt: Na gut, dann machen wir es eben ohne politische
Union. - Dafür bezahlen wir noch heute. Das Entscheidende ist doch, dass es die notwendigen Angleichungen
bei Steuern, bei Sozialleistungen, bei ökologischen Standards, bei rechtlichen Standards nicht gegeben hat. Eine
Binnenwährung krankt daran, wenn man diesbezüglich
keine Binnenstruktur hat. Das ist das Erste.
({0})
Das Zweite. Was Sie sagen, wirkt altruistisch, als ob
es Ihnen immer nur darum ginge, wie viel Geld man für
Griechenland ausgibt. Seien Sie von der Regierung doch
einmal ehrlich und sagen Sie: Es geht letztlich um
Deutschland, und zwar aus folgendem Grund: Den Euro
brauchen wir dringender als Griechenland. Wir sind
doch die Exportnation. Wir sind Vizeweltmeister beim
Export, gleich hinter China. Stellen Sie sich einmal vor,
Griechenland, Spanien, Portugal und Irland hätten eigene Währungen. Dann würden sie sie abwerten, bis wir
so gut wie nichts mehr dort verkaufen könnten. Also:
Wenn Sie den Euro retten, retten Sie die deutsche Ex13218
portwirtschaft. Sagen Sie das doch einmal in dieser Klarheit, damit die Bürgerinnen und Bürger Bescheid wissen!
({1})
Die Situation in Griechenland kann man nicht beleuchten, ohne die Situation nach der Finanzkrise zur
Kenntnis zu nehmen. Nach wie vor haben wir unregulierte Finanzmärkte. Es ist doch diesbezüglich nichts
passiert.
({2})
Die öffentlichen Schulden von Bund, Ländern und
Kommunen in Deutschland belaufen sich auf 2 Billionen
Euro; auch das ist übrigens Ausdruck der Finanzkrise.
2 Billionen Euro, das ist eine unvorstellbare Summe.
Der Anteil, den die Banken in der Finanzkrise daran verschuldet haben, beträgt 300 Milliarden Euro. Das Problem ist nur: Nicht die Banken müssen das zurückzahlen, sondern die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in
Deutschland haben das zu bezahlen. Das ist das grob
Ungerechte, das wir immer wieder kritisieren werden.
({3})
Das betrifft nicht nur die heutigen Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler, sondern, weil die Schulden und Zinsen
bleiben, auch die Jugend, die kommende Generation.
Hier haben wir doch ein Problem geschaffen, das uns
noch Jahrzehnte beschäftigen wird.
Wie gesagt, es wird munter weitergezockt. Sie haben
auf den Finanzmärkten nichts reguliert. Lassen Sie mich
ein Beispiel nennen. Der Tagesspiegel hat gestern berichtet, dass vermögende Anleger über 108 Milliarden
Euro neu in Zertifikaten angelegt haben. Jetzt will ich
einmal übersetzen, was das bedeutet: Das sind Wettscheine. Worauf wettet man da? Man wettet darauf, ob
Lebensmittel und Rohstoffe teurer oder billiger werden,
ob Währungen an Wert verlieren oder im Wert steigen.
Zertifikate sind, wie gesagt, Wettscheine. Da liegen jetzt
also 108 Milliarden Euro von deutschen Vermögenden.
Ich sage Ihnen: Die ganze Geldbewegung, die hier stattfindet, hängt immer davon ab: Habe ich einen richtigen
Tipp abgegeben, oder habe ich einen falschen Tipp abgegeben? Das ist überhaupt nicht mehr zu vertreten. Diese
Wettmaschinerie muss aufhören.
({4})
Denn dieses Wetten - ich will auch das ganz klar sagen leistet keinen Beitrag zum Allgemeinwohl, und damit ist
es grundgesetzwidrig. Es verstößt gegen Art. 14 unseres
Grundgesetzes.
({5})
Wenn wir diese Wettmaschinerie schlössen, dann
müssten die Menschen ihr Geld anders anlegen, es zum
Beispiel in die Energiewende oder wenigstens in die
reale Wirtschaft investieren. Sie würden also eher zum
Allgemeinwohl beitragen, als es gegenwärtig der Fall ist.
Vergessen Sie nicht: Jetzt, nach der Krise, gibt es
700 000 Zertifikate, doppelt so viele wie vorher. Die
Spekulation hat also nicht abgenommen. Sie hat zugenommen. Das ist nicht hinnehmbar.
({6})
Der britischen Regierung - Herr Schäuble, das könnten auch Sie einmal zur Kenntnis nehmen - liegt übrigens ein Bericht vor, wonach sich die Banken vollständig von spekulativen Geschäften trennen müssten, damit
die Bürgerinnen und Bürger bei einer erneuten Krise
nicht wieder die Wettspielverluste, die aus dieser Zockerei resultieren, bezahlen müssen, wie es gegenwärtig der
Fall ist. Warum diskutieren wir darüber nicht in Deutschland? Vielleicht müsste man den Banken die Zockerei,
diese Art von Wetten, endlich verbieten und sagen: Das
gehört dort nicht hin.
({7})
Die britische Regierung diskutiert darüber, die deutsche
nicht.
Ich glaube, die Antwort auf die Frage, warum wir das
alles nicht machen, ist ziemlich einfach. Das liegt daran,
dass Sie abhängig sind von den Banken. Die Deutsche
Bank ist einfach zu mächtig. Nicht Sie bestimmen, was
die Deutsche Bank macht, sondern die Deutsche Bank
bestimmt, was Sie machen.
({8})
- Ja, Frau Merkel. „Genau!“, sagen Sie. So ist es. Nicht
Sie bestimmen, was Herr Ackermann macht, sondern
Herr Ackermann bestimmt, was Sie machen. Ich möchte
das gerne wieder umdrehen. Das hat wenig mit Ihnen,
sondern mehr mit der Struktur zu tun. Sie werden nämlich gewählt, Herr Ackermann nicht. Das ist der Unterschied.
({9})
Es gibt ja den Internationalen Währungsfonds. Er hat
in einer Studie festgestellt, dass die privaten Großbanken
nach der Krise mächtiger sind, als sie es vor der Krise
waren.
Jetzt nenne ich Ihnen ein Beispiel: Die Deutsche
Bank hat ein Bilanzvolumen von 2 000 Milliarden Euro.
Das entspricht der Höhe der gesamten öffentlichen
Schulden Deutschlands. Das ist die Bilanzsumme der
Deutschen Bank! Damit kann sie jede Regierung erpressen. Wenn sie nur in der Wirtschaft tätig wäre, reichte
ein Bilanzvolumen von 250 Milliarden Euro aus. Die
Regierung kann aber erst erpresst werden, wenn man ein
solches Bilanzvolumen hat. Deshalb ist die Deutsche
Bank zu mächtig, sage ich Ihnen.
Nun ist die Frage: Trauen Sie sich da heran, Herr
Kauder? Sie trauen sich nicht heran. Wissen Sie, was der
große Vorteil der Linken in Bezug auf die Deutsche
Bank ist? Wir wollten, könnten und trauten uns an die
Deutsche Bank heran. Das wird auch höchste Zeit.
({10})
Das schlagen nicht nur wir vor, sondern das schlägt
inzwischen auch der Internationale Währungsfonds vor.
Er sagt: Die Banken sind zu mächtig; sie müssen zerlegt
werden. - Wenn das also nicht nur von den Linken, sondern selbst von solchen Einrichtungen kommt, lohnt es
sich vielleicht auch in der Union und in der FDP, einmal
darüber nachzudenken.
Die Unterlassungssünden der Politik haben viel mit
der griechischen Krise zu tun. Absehbar war, dass die
Strategie in Bezug auf Griechenland schiefgehen muss.
Die Einzigen, die davor gewarnt und dies gesagt haben,
waren wir. Das ist leider so. Warum war das absehbar?
Wir haben gesagt: Mit einer Mehrwertsteuererhöhung,
mit der Senkung von Löhnen, Gehältern und Renten, mit
Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst, mit dem Verkauf des öffentlichen Eigentums und mit dem Abbau
von Investitionen kann man eine Gesellschaft nicht retten. Man zerstört sie dadurch. Das heißt, die Krise ist tiefer geworden.
({11})
Die Folgen sind Arbeitslosigkeit, geringere Steuereinnahmen, ein Anwachsen des Schuldenberges - eben eine
Vertiefung der Krise. Ein ernsthafter Versuch zur Rettung Griechenlands verlangt einen Marshallplan, ein
Wachstumsprogramm für die griechische Wirtschaft für
Investitionen in die Infrastruktur, in die Modernisierung
der Landwirtschaft usw.
Frau Merkel, Ihnen und Herrn Sarkozy ging es aber
nicht um die Rettung Griechenlands, sondern erneut um
die Rettung des Bankensystems. Sie haben dem Treiben
zugesehen und erlebt, wie die Zinsen für griechische Anleihen immer weiter in die Höhe getrieben wurden, weil
die Ratingagenturen entschieden, dass die Anleihen zu
riskant sind. Ich bitte Sie: Für zehnjährige Anleihen
muss Griechenland inzwischen Zinsen von 25 Prozent
zahlen. Es gibt überhaupt kein Land, das solche Wucherzinsen verkraftet - natürlich auch Griechenland nicht.
Auf diese Art und Weise kommen wir aus dem Teufelskreis also nicht heraus.
Sie denken jetzt über ein weiteres Kreditpaket nach
- wiederum in Höhe von 100 Milliarden Euro -, nachdem schon das erste nicht funktioniert hat. Ich sage Ihnen: Das funktioniert wieder nicht, weil Ihre Logik ist,
dass die dort jetzt noch brutaler sparen müssen, das
heißt, noch mehr öffentliches Eigentum verkaufen, noch
geringere Löhne zahlen und noch mehr Leute entlassen
müssen. Sie stürzen das Land in eine immer tiefere
Krise. So kommt eine Rettung nicht zustande.
({12})
Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn die Griechen unter
Druck öffentliches Eigentum verkaufen, dann erzielen
sie natürlich nur Spottpreise. Alle wissen ja, dass sie
jetzt verkaufen müssen. Die Gebote sind deshalb natürlich entsprechend gering. Das ist also nicht einmal kaufmännisch klug - ganz im Gegenteil.
Nun gibt es eine Diskussion über die Umschuldung.
Die finde ich spannend. Es wird gesagt: Auch die privaten Gläubiger müssen jetzt ein bisschen auf Forderungen
verzichten. Nicht gesagt wird, was in der Realität passiert ist. Wenn Frau Merkel und Herr Schäuble erklären,
dass auch die Privaten jetzt einmal ein bisschen auf Geld
verzichten müssen, klingt das ja fast sozialistisch und etwas revolutionär. Wenn man sich das dann genauer ansieht, stellt man Folgendes fest: Die Banken haben einen
Großteil ihrer Forderungen an Griechenland längst verkauft, und zwar zu einem großen Teil an die Europäische
Zentralbank.
Ich nenne Ihnen jetzt bloß einmal die Zahlen, damit
Sie es wissen: Die französischen Banken hatten Forderungen von 27 Milliarden Euro, jetzt sind es nur noch
15 Milliarden Euro. Die deutschen Banken hatten Forderungen von 23 Milliarden Euro, jetzt sind es nur noch
15,6 Milliarden Euro. Die deutschen Versicherungen
hatten Forderungen von 5,8 Milliarden Euro, jetzt sind
es nur noch 2,8 Milliarden Euro. Die Europäische Zentralbank, die uns allen gehört, der ganzen Europäischen
Union, den Staaten, also den Bürgerinnen und Bürgern,
hat jetzt Forderungen gegen Griechenland in Höhe von
50 Milliarden Euro.
Wenn wir jetzt eine Umschuldung machen, dann heißt
das: Die Bürgerinnen und Bürger Europas bezahlen das
Ganze. Den Banken kann das jetzt schon egal sein. Sie
haben ja schon alles an die Europäische Zentralbank verscherbelt. Diese Wahrheit müssen Sie unbedingt hinzufügen. Die Europäische Zentralbank ist inzwischen die
größte Gläubigerin von Griechenland. So geht das nach
unserer Auffassung also ganz bestimmt nicht.
Die falsche Politik, den Sozialabbau, die Privatisierung und all das, begrüßen leider nicht nur die Union
und die FDP, sondern auch die SPD und die Grünen. Wir
fordern als Einzige eine gänzlich andere Politik. Wir
wollen Griechenland-Kredite über eine europäische
Bank für öffentliche Anleihen - mit niedrigen Zinsen
und ohne den Weg über private Geschäftsbanken, die nur
eine Abzocke durch Wucherzinsen organisieren. Das
wäre ein völlig anderer Weg und würde Griechenland
endlich wirklich helfen.
({13})
Dann kann man auch eine geordnete Umschuldung einleiten.
Ich muss nun auf ein früheres Mitglied des Bundestages zurückkommen, den Abgeordneten Oskar
Lafontaine. Der hat hier nämlich während der Krise einen Vorschlag unterbreitet. Er hat gesagt: Wir müssen einen öffentlichen Euro-Fonds mit niedrigen und bezahlbaren Zinsen für die Länder Europas einrichten.
Daraufhin hat der damalige Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück von der SPD geantwortet: Das ist zu teuer, es
kostet die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
möglicherweise 3 Milliarden Euro. Hätten Sie doch bloß
auf Oskar Lafontaine gehört! Wie viel Geld hätten wir
gespart! Räumen Sie das doch mal ein!
({14})
Oskar Lafontaine versteht schon mehr von Finanz- und
Wirtschaftspolitik als ich - aber der Abstand geht noch -;
({15})
er versteht aber vor allem wirklich deutlich mehr davon
als die vorvorige, die vorige und die jetzige Bundesregierung.
({16})
Neben den genannten anderen Krediten brauchen wir
ein Investitionsprogramm für Griechenland, sodass die
Wirtschaft wieder belebt wird, damit dann auch die
Quellen fließen und man ein Land sanieren kann. Was
müssen wir für die Finanzierung tun? Herr Steinmeier
hat das mit einer Forderung angedeutet, die völlig richtig
ist: Wir brauchen dringend eine Finanztransaktionsteuer.
Sonst ist das Ganze nicht oder nur höchst ungerecht bezahlbar.
Zweitens müssen wir endlich einmal die Vermögenden europaweit in Anspruch nehmen. Sie können die
Ungerechtigkeit nicht fortsetzen. Auf der einen Seite
nimmt die Armut zu, auf der anderen Seite das Vermögen. So kann es nicht bleiben.
({17})
Letztlich brauchen wir steigende Löhne, Renten und
Sozialleistungen in Deutschland, um die Ungleichgewichte im Verhältnis zu anderen Staaten zu überwinden.
Wir brauchen das wegen der sozialen Gerechtigkeit, um
neue Schuldenkrisen zu verhindern, um unsere eigene
Binnenwirtschaft endlich zu stärken und um die unendliche Geschichte der Rettungspakete zu beenden.
Ihren falschen, teuren und unsozialen Vorschlägen
können wir nicht zustimmen. Unser Nein liegt sowohl
im Interesse der griechischen als auch unserer eigenen
Bevölkerung.
({18})
Vielen Dank, Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. - Nächster Redner für die Fraktion der
CDU/CSU ist unser Kollege Volker Kauder.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Dieser heutige Plenartag hat großartig angefangen: mit
einer Rede von Wolfgang Schäuble, die über die Dimension der aktuellen ökonomischen Fragen hinausgegangen ist, die die politische Bedeutung von Europa beleuchtet und deutlich gemacht hat, dass Europa unsere
Zukunft ist und dass wir Deutsche dieses Europa dringend brauchen. Das war die Aussage von Wolfgang
Schäuble.
({0})
Und dann kommt
({1})
ein Oppositionsführer, Frank-Walter Steinmeier, und hält
hier eine Rede,
({2})
die der Schwierigkeit der Situation und den Sorgen der
Bürgerinnen und Bürger in keiner Weise gerecht geworden ist.
({3})
Ich habe selten von jemandem, der sich aufbläst und
sagt, dass er etwas für Europa tun will, eine solche Rede
gehört, die das glatte Gegenteil von dem bewirkt, was er
machen will. Das ist das entscheidende Thema.
({4})
Wenn man dann einen Blick auf die Geschichte wirft,
wird man den Verdacht nicht los, dass da von etwas abgelenkt werden soll. Herr Steinmeier, das nehme ich Ihnen ab: Europa ist das Projekt unserer Generation, der
Nachkriegsgeneration, gewesen. Wir haben gesagt: Nie
wieder Krieg, nie wieder Krieg in Europa und von Europa ausgehend! Das war der starke Impetus. Wir haben
gesagt: Wir wollen dieses gemeinsame Europa. Wir haben die Schlagbäume auf der Kehler Europabrücke
hochgenommen, weil wir wollten, dass es keine Grenzen
mehr gibt. Aber immer dann, wenn es ernst geworden
ist, hat die SPD nicht gewusst, ob sie wirklich für Europa sein soll.
({5})
In Ihrer Rede habe ich so etwas wie das kollektive
schlechte Gewissen für das, was Sie mit zu verantworten
haben, gespürt, Herr Steinmeier.
({6})
Als es um die Westorientierung nach dem Zweiten Weltkrieg ging, war die SPD dagegen.
({7})
Als es um den Euro ging, wurde die Formulierung
„kränkelnde Frühgeburt“ gewählt, wahrscheinlich auch
noch in Ihrem engsten Umfeld.
({8})
Als es darum ging, Europa in eine neue Zeit zusammenzuführen,
({9})
war Oskar Lafontaine gegen die deutsche Einheit. Das
war ein Projekt von Europa.
({10})
Immer dann, wenn es ernst wurde, waren Sie nicht die
Europapartei. Deswegen war die Rede, die Sie heute gehalten haben, nicht in Ordnung, Herr Steinmeier.
({11})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie heute gesagt hätten:
Trotz der einen oder anderen Frage stimmen wir dem Paket zu.
({12})
Ich weiß noch ganz genau, dass Sie, als wir in der Opposition waren
({13})
und Sie an der Regierung, für die eine oder andere außenpolitische Entscheidung unsere Stimme gebraucht
haben, weil Sie die Mehrheit in Ihren eigenen Reihen
nicht hatten.
({14})
Wir sind über unseren parteipolitischen Schatten gesprungen. Wenn es um das ganze Land ging, wurden wir
auch in der Opposition unserer Verantwortung gerecht.
({15})
Das vermisse ich bei Ihnen, Herr Steinmeier.
({16})
Wolfgang Schäuble und die Bundesregierung haben
in diesen Tagen eine schwierige Aufgabe zu bewältigen.
Wir, die Koalitionsfraktionen, begleiten die Regierung
dabei.
({17})
Es geht darum, auf der einen Seite alles zu tun, um den
Euro zu stabilisieren, auf der anderen Seite Fehlentwicklungen, die in Europa stattgefunden haben, abzubremsen
und nicht fortzuführen. Was Sie wollen, nämlich eine
unkonditionierte Transferunion, wird dieses Europa weiter auf den Weg nach unten und nicht zur Konsolidierung führen.
({18})
Ich höre aus den Reihen der Opposition, dass Sie dem
Antrag nicht zustimmen können, weil er zu stark konditioniert sei. Herr Steinmeier, man kann nicht kritisieren,
dass ausschließlich der Steuerzahler die Risiken trägt,
und sich gleichzeitig dagegen verwahren und wehren
- auch wenn das in Europa im Augenblick schwer
durchzusetzen ist -, dass der private Sektor beteiligt
werden soll.
({19})
Da Sie nicht mitmachen, habe ich den Verdacht, dass Sie
genau diesen Punkt nicht wollen, weil das so eine starke
Konditionierung ist. Damit sind Sie meilenweit von dem
entfernt, was notwendig ist.
({20})
Wir haben hier im Deutschen Bundestag miteinander
die Schuldenbremse eingeführt, weil wir gewusst haben,
dass wir nur durch ein Bremsen - keine weiteren neuen
Schulden! - auf den richtigen Weg kommen. Wenn wir
eine unkonditionierte Hilfe in Europa auf den Weg bringen, entspricht dies nicht dem Geist der Schuldenbremse, die wir miteinander vereinbart haben.
({21})
Ich bitte Sie deswegen, sich zu überlegen, ob der vorgeschlagene Weg nicht doch richtig ist.
Sie sagen: Wir müssen in Europa auch auf die anderen hören. - Das tun wir. Aber Sie sagen: Eine Beteiligung durch die Transaktionsteuer muss auf jeden Fall
stattfinden. Sie wissen ganz genau, dass auch wir das
wollen, dass wir aber dafür in Europa bis heute keine
Mehrheit gefunden haben.
({22})
Das ist doch die Wahrheit.
({23})
Man kann hier doch nicht sagen: „Ihr dürft keine singuläre Position vertreten“, und uns dann nicht unterstützen,
wenn wir Positionen vertreten,
({24})
für die wir erst noch Mehrheiten finden müssen. Das ist
nicht in Ordnung, Herr Steinmeier.
({25})
Wir wollen und wir werden Europa voranbringen.
Wir helfen und stützen in Europa. Dass dies möglich ist,
dass wir in Europa überhaupt so etwas tun können, hängt
damit zusammen, dass wir in Deutschland nach schwierigen Jahren wieder auf einem guten wirtschaftlichen
Kurs sind. In der Zeit der Großen Koalition haben wir
die Krisen gelöst, die Finanzkrise und die Wirtschaftskrise. Jetzt sind wir dabei, Europa nach vorne zu bringen. Aber in Zeiten von Rot-Grün wäre gar nichts gegangen. Da haben Sie das Land in eine ganz schwierige
Situation geführt: 5 Millionen Arbeitslose, kein Wachstum mehr. Mit dieser Situation hätten Sie in Europa nie
helfen können, Herr Steinmeier.
({26})
Deswegen ist es gut, wenn wir auch darauf schauen,
dass wir Deutschland weiter auf Erfolgskurs halten. Dies
heißt: Konsolidierung, Stabilisierung, Reformen, das
Notwendige tun. Dieser Erfolgskurs muss zum Maßstab
in Europa werden. Wir müssen dafür sorgen, dass auch
andere in diese Situation kommen, und zwar durch Wettbewerbsfähigkeit. Griechenland ist nicht geholfen, wenn
ihm nur Geld gegeben wird, aber nicht dafür gesorgt
wird, dass neue Strukturen aufgebaut werden, mit denen
dieses Land in eine bessere Zukunft gebracht werden
kann.
({27})
Ihr Vorschlag führt nicht dazu, sondern das, was wir in
den Koalitionsfraktionen vorbereitet haben, ist genau der
richtige Weg.
({28})
Es muss den Menschen klar gesagt werden: Jawohl,
dieses Europa ist in einer schwierigen Situation. Wir
müssen alle zusammen helfen. - Aber die Sorgen der
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land dürfen nicht,
wie Sie es gemacht haben, Herr Steinmeier, als Stammtischparolen niedergemacht werden.
({29})
Die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger müssen ernst
genommen werden. Nur dann können wir sie mitnehmen. Das geht nicht mit Bierzeltrhetorik, was Sie gerade
gemacht haben.
({30})
Wolfgang Schäuble hat es ausgeführt und in einem
Brief an seine Kolleginnen und Kollegen geschrieben:
Wir sind in einer schwierigen Situation. Ich glaube, dass
in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands die heutige
politische Situation vielleicht sogar eine der schwierigsten Phasen überhaupt ist. In einer solchen Situation wird
auch in Fraktionen diskutiert und gerungen, was der
richtige Weg ist, zumal auch klar ist, dass selbst die
Experten - wir haben eine ganze Reihe von ihnen angehört - uns nicht definitiv sagen können: Was passiert,
wenn? Sie können nicht sagen: Wenn ein Haircut gemacht wird, dann geht alles gut. Vielmehr erklären sie:
Es sind immer Risiken vorhanden.
Wir sind hier aber nicht im Schullabor vom KosmosExperimentierkasten, sondern wir tragen dafür Verantwortung, dass die Dinge funktionieren. Deswegen wird
in unserer Fraktion darüber diskutiert. Ich habe Verständnis dafür, dass sich Kolleginnen und Kollegen die
Frage stellen: Führt dies auf den richtigen Weg? Ist das
alles richtig? Aber ich bin dankbar dafür, dass wir am
Schluss zu breiten Mehrheiten kommen, die von dem
Vertrauen in diejenigen getragen sind, die in Brüssel verhandeln. Das gehört mit dazu.
({31})
Dies bitte ich heute als einen zentralen Punkt zu sehen. Wir diskutieren, wir ringen um Meinungen, aber
dann müssen wir uns auch gegenseitig vertrauen, dass
wir das Richtige tun.
Deswegen glaube ich schon, dass die Koalitionsfraktionen das tun, was notwendig ist: die Menschen davon
überzeugen, dass wir den privaten Sektor beteiligen,
dass die Risiken gerecht verteilt sind und dass wir
Europa auf den richtigen Weg bringen.
Herr Steinmeier, Sie von der SPD haben damals - aus
welchen Gründen auch immer - Griechenland im
Grunde genommen einen Bärendienst erwiesen, als Sie
dieses Land in die Euro-Zone aufgenommen haben, obwohl es nicht dazu in der Lage war.
({32})
Aus manchem, was Sie heute formulieren, spricht das
schlechte Gewissen darüber, was Sie damals falsch gemacht haben.
({33})
Sie haben gar keinen Grund, anderen vorzuwerfen, Fehler gemacht zu haben. Die entscheidenden Fehler haben
Sie selbst gemacht.
({34})
Sie haben keinen Beitrag dazu geleistet, dass dieses
Land, das eigentlich nicht eurozonenfähig war, auf den
richtigen Weg kommt.
({35})
Mit dem Aufweichen des Stabilitätspakts haben Sie
dann das entscheidende falsche Signal gestellt, sodass
der Zug auf das falsche Gleis kam. Das war das glatte
Gegenteil dessen, was notwendig war.
({36})
Jetzt muss und wird diese Regierungskoalition den
Zug wieder auf das richtige Gleis bringen. Ich kann nur
feststellen: Sie wären auch in Verantwortung vor der Geschichte gut beraten, wenn Sie dabei wären.
({37})
Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Fritz Kuhn.
Bitte schön, Kollege Kuhn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich nehme die Lautstärke von Herrn Brüderle
- das war ja fast schon eine Wutrede ({0})
und von Herrn Kauder einmal als Indikator einer massiven Verunsicherung innerhalb dieser Regierungskoalition in der Frage, wie es in Europa weitergehen soll.
({1})
Was Sie heute mit dem Antrag und den namentlichen
Abstimmungen veranstalten, zeigt doch nur, dass Sie
Angst haben, dass der Laden bei der schwierigen Frage,
wie es mit Europa und mit Griechenland weitergeht,
nicht zusammenhält.
Dies hat systematische Gründe. Wir haben nämlich
eine Kanzlerin, die beim Thema Europa nicht führt. Sie
sagt weder der eigenen Fraktion noch der Bevölkerung,
warum die deutsche Zukunft, wie wir meinen, in Europa
liegt, und zwar kulturell, politisch, wirtschaftlich und in
vielen anderen Punkten. Frau Merkel operiert vielmehr
nach der Methode, die Jürgen Habermas „demoskopiegeleiteten Opportunismus“ genannt hat. Einerseits bedient man den Stammtisch - jawohl, Herr Kauder, den
Stammtisch - mit den Parolen von den faulen Griechen.
Andererseits schaut man, dass man im Plenum oder in
Brüssel schon irgendwie Mehrheiten für das nächste
Rettungspaket bekommt.
Ich sage Ihnen für meine Fraktion klipp und klar: Wer
glaubt, die europäische Integration mit Stammtischparolen voranzubringen, der irrt sich; denn er schadet Europa. Die Kanzlerin schadet in dieser Hinsicht der europäischen Einigung.
({2})
Der Kontrast zwischen der Art, wie Helmut Kohl im
Mai dieses Jahres bei der American Academy geredet
hat oder wie Herr Schäuble jetzt gesprochen hat, und der
Art, wie Bundeskanzlerin Merkel über Europa redet,
({3})
könnte wirklich nicht größer sein. Der Unterschied ist,
dass Frau Merkel keine europäische Vision in unsere Bevölkerung hinein vermitteln kann. Es geht immer um
Regierungstechnik und Klein-Klein in Brüssel, aber
nicht um die großen Züge.
Ich sage noch einmal: Es ist für Deutschland politisch
wie ökonomisch die teuerste Lösung, die man sich nur
ausdenken kann, jetzt die Griechen herauszuschmeißen.
Frau Merkel, was nützt denn da die antigriechische
Rhetorik?
({4})
Glauben Sie, dass die Griechen leichter auf die Beine
kommen, wenn sie jetzt von Deutschland hören, sie arbeiteten zu kurz und seien zu faul? Gerade in der schwierigen Situation, in der die griechische Regierung die
Sparmaßnahmen und die Privatisierung durchsetzen
muss, wird aus Deutschland, kräftig befeuert von Frau
Merkel im Sauerland, darauf hingewiesen, dass mit den
Griechen alles nicht stimmt.
Ich finde, Herr Schäuble hat recht: Die bisherigen
Sparanstrengungen beginnen zu fruchten und zu greifen.
Sie sind nicht einfacher, sondern schwieriger geworden.
Klar ist, dass wir aus deutscher Sicht klugerweise und
vernünftigerweise den Griechen weiter helfen müssen.
({5})
Es ist viel falsch gemacht worden: von den Griechen
selber, von Europa, den Banken, Spekulanten und vielen
anderen mehr. Ein Grundfehler der Rettung Griechenlands vor einem Jahr war - darüber müssen wir reden,
Herr Schäuble -, weniger auf die Ökonomie zu achten
als auf den Haushalt. Wir sind dabei, die Griechen in
eine tiefe Rezession zu treiben, wenn wir die Rettungspakete nicht wirtschaftspolitisch flankieren.
({6})
Wenn die griechische Ökonomie nicht auf die Beine
kommt, dann nützt es nichts, die griechische Finanzwirtschaft und den griechischen Haushalt vom Markt zu nehmen.
({7})
Ökonomie beginnt mit Investitionen. Deswegen gilt derselbe alte Grundsatz, der auch für unsere Haushaltskonsolidierung gilt: „Du musst sparen und investieren“,
umso mehr für die Rettung Griechenlands.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, der mir nicht
gefällt. Die Banken in Deutschland, Herr Schäuble, haben sich nicht an ihr Versprechen gehalten, sich nicht aus
Griechenland zu verabschieden. Sie haben es Ihnen vor
einem Jahr versprochen, aber sie haben es nicht getan.
Darüber muss öffentlich geredet werden.
Ein weiterer Punkt, den ich nennen möchte, ist die
Methode der Umschuldung, die Sie gewählt haben.
Meine Fraktion ist der Meinung, dass eine Umschuldung
notwendig ist. Für den ESM und alle zukünftigen Rettungsschirme muss allen Gläubigern klar sein: Ihr tragt
auch ein Risiko, für das ihr haften müsst, und ihr könnt
etwas verlieren.
Es kann nicht länger sein, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste vom Staat übernommen werden.
Das können wir niemandem klarmachen. Das ist auch
moralisch nicht zu akzeptieren.
({8})
Wir sind also für Umschuldung. Ich will aber darauf
hinweisen: Was Herr Schäuble vorgeschlagen hat, ist
keine echte Befreiung der griechischen Ökonomie von
einem Teil ihrer Schuld. Es ist vielmehr eine Umstrukturierung; denn es geht um eine zeitliche Streckung.
Wir haben vorgeschlagen, in das Verfahren das Element einer Teilentschuldung mit aufzunehmen und dies
auf europäischer Ebene abzusichern. Für diejenigen, die
freiwillig daran teilnehmen, übernehmen die europäi13224
schen Rettungsschirme dann eine Garantie für die verbleibende Restschuld. Dieser Vorschlag ist auch in unserem Antrag enthalten.
Ich finde, dass Ihr Antrag, Herr Kauder, sozusagen
ein Ritt auf der Rasierklinge ist. Ich will etwas zu der
Konditionierung sagen. Es kann zwar gut sein, dass wir
ein weiteres Rettungspaket für die Griechen - und zwar
sowohl die nächste Tranche als auch neue Finanzhilfen brauchen, auch wenn der Schäuble-Vorschlag in Brüssel
nicht durchkommt. Ihr wollt jetzt aber die Konditionierung beschließen. Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion
müssen wissen: Sie beschließen damit für den Fall eines
Scheiterns des Schäuble-Vorschlags oder seiner Modifikation, dass Sie die nächste Tranche und die nächste
Finanzhilfe nicht verabschieden wollen. Das nenne ich
einen Ritt auf der Rasierklinge, weil das Scheitern der
Rettung Griechenlands für Deutschland in der Summe
einen viel größeren ökonomischen Schaden darstellen
würde.
({9})
Deswegen sage ich den Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion: Ich hoffe,
euch ist bewusst, was ihr mit dieser strengen Konditionierung beschließen wollt.
({10})
Denn ihr könnt nicht in sechs Wochen kommen und sagen: Wir haben das nicht so genau verstanden, was man
uns aufgeschrieben hat.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Kollege Fritz Kuhn. - Jetzt für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Carsten
Schneider. Bitte schön, Kollege Carsten Schneider.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
führen heute eine sehr ernste Debatte zum Thema EuroStabilität. Ich hätte nach der Rede des Bundesfinanzministers und der, wie ich finde, sehr ausgewogenen und
verantwortungsvollen Antwort des Fraktionsvorsitzenden der SPD
({0})
erwartet, dass die beiden Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsfraktionen nicht in Beschimpfungen und tiefste
Bierzeltrhetorik verfallen,
({1})
sondern versuchen, um Zustimmung zu werben. Herr
Kauder, ich habe kein einziges Zeichen des Werbens um
Zustimmung zu dieser wichtigen Maßnahme erkennen
können.
({2})
- Nein. Sehr geehrter Herr Kauder, Sie scheinen die Anträge der Oppositionsfraktionen nicht einmal mehr zu lesen. So viel Arroganz habe ich selten erlebt.
({3})
Wir haben uns mit unserem Antrag ganz klar positioniert. Wir sind für eine Hilfe für Griechenland, allerdings bei einer klaren und strikten Gläubigerbeteiligung.
Ich komme darauf zurück. Das liefern Sie nämlich nicht.
Das ist nur Rhetorik, was Sie in Ihrem Antrag schreiben.
Es geht um die Frage - das ist ein weiterer entscheidender Punkt, auf den Herr Kollege Kuhn eben eingegangen ist -, wie Griechenland aus der Krise wieder herauskommt. Reine Sparprogramme und Programme, die
den Ausverkauf des griechischen Staates vorsehen, werden nicht reichen, um dieses Land wieder auf einen
Wachstumskurs zu bringen.
({4})
Sie hatten viele Fraktionssitzungen in dieser Woche.
Es waren ja Ihre Kollegen, die permanent, auf niedrigstem Niveau, gegen die Rettung des Euro und damit auch
gegen die Stabilität des Euro-Systems klagen: Sie klagen
vor dem Verfassungsgericht, sie klagen in der Öffentlichkeit, und sie verdummen die Öffentlichkeit. Hier
wurden rein innenpolitische Reden gehalten, aber keine,
die der Verantwortung letztendlich gerecht geworden
sind.
({5})
Herr Minister Schäuble, Sie haben heute zu Griechenland geredet und davon gesprochen, dass vielleicht noch
irgendetwas kommt. Ich habe aber keine einzige Zahl
gehört, die beziffert, wie viel denn noch kommt. Die
Auskunft darüber sind Sie nicht nur uns, dem Bundestag,
sondern auch der Öffentlichkeit schuldig geblieben. Wir
müssen im Haushaltsausschuss in der nächsten Woche
entscheiden. Sind es nun 90 Milliarden Euro zusätzlich,
sind es 80 Milliarden Euro, oder sind es 110 Milliarden
Euro? Nichts haben Sie gesagt. Sie bleiben die Antworten schuldig. Ihre Strategie des vergangenen Jahres bestand in Tricksen und Täuschen; nur so haben Sie die
Zustimmung der Koalitionsfraktionen bekommen. Damit erhalten Sie aber nicht die Zustimmung der Bevölkerung, im Gegenteil. Sie bedienen Ressentiments. Ihr Verhalten führt dazu, dass letztendlich niemandem mehr
klar ist: Um wie viel geht es hier eigentlich?
Ich will nun zu Griechenland kommen und Bilanz
ziehen. Sie haben sich Zeit gekauft, und zwar ein Jahr.
Öffentliche Gelder in Höhe von 60 Milliarden Euro
- Geld der europäischen Steuerzahler, nicht nur der deutCarsten Schneider ({6})
schen - sind zu Privaten transferiert worden, die ihre
Anleihen nun nicht mehr halten. Was mit der Europäischen Zentralbank geschehen ist, stellt den größten Sündenfall überhaupt dar. Das haben Sie, Herr Brüderle, zu
verantworten. Als Sie Bundeswirtschaftsminister waren,
haben Sie zugelassen, dass die Europäische Zentralbank
ihre Unabhängigkeit verloren hat,
({7})
weil sie mittlerweile Staatsanleihen aufkauft. Das ist ein
Unding. Dazu habe ich von Ihnen kein Wort gehört, als
Sie Bundeswirtschaftsminister waren.
({8})
Der Bundesbankpräsident hat seinen Hut genommen.
Das alles geht an Ihnen spurlos vorbei, und Sie behaupten glatt das Gegenteil. Das ist der Erfolg Ihrer Koalition
gewesen. Die EZB hat nicht mehr im Entferntesten die
Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit, die die Bundesbank einmal hatte. Sie ist letztendlich zur Bad Bank
Europas geworden. Das haben Sie mitzuverantworten.
Dazu höre ich kein kritisches Wort von Ihnen.
Ich komme auf die Gläubigerbeteiligung zurück.
Schulden Griechenlands bei den privaten Gläubigern in
Höhe von 60 Milliarden Euro wurden von der öffentlichen Hand übernommen. 50 Milliarden Euro Schulden
übernahm die Europäische Zentralbank. Somit sind mittlerweile private Kredite an Griechenland in Höhe von
110 Milliarden Euro von der öffentlichen Hand ausgelöst worden. Sie reden viel von Gläubigerbeteiligung,
aber Sie tun das Gegenteil. Sie haben sich ein Jahr lang
Zeit erkauft, aber nichts ist passiert. Im Gegenteil: Diejenigen, die Gläubiger Griechenlands waren und eine Verantwortung für Griechenland hatten, machen sich vom
Acker, und der Steuerzahler bezahlt. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Diese Politik können Sie auch nicht
mit wohlfeilen Anträgen verbergen.
({9})
Für griechische Anleihen betrug der Risikoaufschlag
2010, als wir hier das Rettungspaket beschlossen haben,
zeitweise knapp 11 Prozent. Wissen Sie, wie hoch er
heute ist? 23 Prozent. Ist das ein Erfolg? Ist das eine Verbesserung der Situation? Nein. Unter dem Strich sind die
Rettungsmaßnahmen gescheitert, weil sie einseitig rein
fiskalisch gedacht wurden - ohne jeden ökonomischen
Sachverstand.
({10})
Sie führen einzig und allein dazu, dass die Wirtschaft
Griechenlands abgewürgt wird.
Sie sind auf diesem Auge blind. Deswegen sagen wir
Sozialdemokraten: Sie gehen in die falsche Richtung.
Sie werden wieder mehr Geld verlangen, und es wird
wieder keine Perspektive für dieses Land geben. Das
kann man weder den Menschen in Deutschland noch denen in Griechenland vermitteln, und man kann so auch
nicht um ihre Zustimmung werben.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind
der Auffassung, dass der dauerhafte Rettungsmechanismus, um den es am 24./25. Juni 2011 gehen wird, ein Irrweg ist. Früher haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, gesagt:
Es gibt gar kein Geld. - Dann floss im Mai 2010 auf einmal Bargeld. Im Juni behaupteten Sie, es solle nur ein
kurzfristiger Rettungsmechanismus sein. Jetzt soll es einen dauerhaften Rettungsmechanismus geben. All diese
Fehler wollen Sie jetzt natürlich nicht mehr hören. Diese
Fehler haben dazu geführt, dass an den Märkten und in
der Bevölkerung kein Vertrauen mehr entsteht.
Der geplante Rettungsmechanismus hat einen Kernfehler: dass wieder nur Kredite gegeben werden sollen.
Wenn man eine konsequente, dauerhaft tragfähige Antwort geben will, die Europa von der Macht der Ratingagenturen unabhängig macht, dann muss man das Instrumentarium so erweitern, wie es Ihnen der Chef des EuroRettungsfonds, Herr Regling, aufgeschrieben hat. Es
muss zusätzlich die Möglichkeit von Garantien geben.
Das gäbe uns die Möglichkeit einer sanften Entschuldung, die nicht zu einem Zahlungsausfall führt und die
Gläubiger beteiligt. Vor allen Dingen würde so ein Kernproblem gelöst: dass diese 500 Milliarden Euro, die ab
2013 zur Verfügung stehen sollen, mit Sicherheit nicht
reichen werden. Es gibt nämlich schon eine Vorbelastung von 200 Milliarden Euro aus den bisherigen Krediten. Daher stehen eigentlich nur 300 Milliarden Euro zur
Verfügung. Das mag für die Öffentlichkeit nach viel
klingen, ist aber mit Blick auf den gesamten europäischen Bereich nicht wirklich ein überzeugendes Argument, mit dem man sagen könnte: Damit sichern wir die
Unabhängigkeit der Euro-Zone.
Ich prophezeie: Sie werden wieder vor den Deutschen
Bundestag treten - wie Sie es auch im Falle des kurzfristigen Rettungsmechanismus tun mussten - und sagen:
Wir brauchen zusätzliches Geld, nicht nur für Griechenland, sondern auch für den Übergangsfonds. - Auch
dazu habe ich heute nichts gehört. Es wurden weder Öffentlichkeit noch Transparenz hergestellt. Es gab nur
wohlfeile Reden und Populismus. So gewinnen Sie nicht
die Zustimmung der Opposition und nicht die Zustimmung der Bevölkerung. Da sind Sie auf dem falschen
Weg.
({11})
Kommen Sie uns und unseren Vorlagen - wir haben
im nächsten Halbjahr Zeit, zu entscheiden - entgegen;
wir reichen Ihnen die Hand. Aber dafür müssen Sie erstens wissen, was Sie wollen, und zweitens bereit sein,
nicht nur zulasten der einfachen Leute, der Steuerzahler
zu handeln, sondern über eine Finanztransaktionsteuer
letztendlich auch die Finanzindustrie zu beteiligen. Das
wäre Ausdruck eines sozialen Europa, das dann diese
Bezeichnung wirklich verdient hätte.
({12})
Vielen Dank, Kollege Carsten Schneider. - Jetzt für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Norbert
Barthle. Bitte schön, Kollege Norbert Barthle.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schneider, dass Sie Ihre Ablehnung
unseres heutigen Entschließungsantrags damit begründen, dass wir zu wenig um Sie geworben hätten, ist ein
vorgeschobenes Argument: Bereits gestern im Haushaltsausschuss haben Sie eine Rede gehalten, die klar
zum Ausdruck gebracht hat, dass Sie sich wieder einmal
vom Acker machen, und da lag unser Entschließungsantrag noch gar nicht vor. Ihr Argument ist also vorgeschoben, und deshalb sind Sie nicht glaubwürdig.
({0})
Ich darf auf die Rede von Herrn Steinmeier zu sprechen kommen. Er hat hier gestern schon eine Rede gehalten, bei der es mir Schuhe und Socken ausgezogen
hat. Heute hat er eine Rede gehalten, bei der es mir
nichts mehr auszieht. Da kann ich nur noch sagen: Mein
Gott, Walter.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, uns allen ist
bewusst: Wir befinden uns in einer äußerst schwierigen
Situation. Darauf hat der Bundesfinanzminister heute in
großer Eindringlichkeit, in großer Klarheit und auch in
staatsmännischer Weitsicht aufmerksam gemacht, als er
die Zusammenhänge dargestellt hat. Warum befinden
wir uns in einer so schwierigen Situation? Es ist gerade
ein Jahr her, da mussten wir Griechenland helfen. Wir
mussten ohne Vorbild, ohne Muster ein Aufbauprogramm für Griechenland entwickeln. Das Hilfsprogramm umfasste bilateral vergebene Kredite und war
eingebunden in ein europäisches Konzept. Kurz darauf
mussten wir den Euro stabilisieren, um gegen Spekulationen gewappnet zu sein. Wir haben EFSM und EFSF
geschaffen und hatten damit ein Instrumentarium in der
Hand. Kurz darauf mussten Portugal und Irland sozusagen gerettet werden.
Wenn man sich nun einen Augenblick zurücklehnt,
dann muss man doch feststellen: Von außen betrachtet
war das bisher erfolgreich. Es ging uns darum, Europa
und die Europäische Währungsunion beieinanderzuhalten. Es ging uns darum, den Euro stabil zu halten. Es
ging uns darum, Schaden vom deutschen Steuerzahler
abzuwenden. Diese Ziele sind bisher erreicht worden.
Jeder, der das Gegenteil behauptet, nimmt die Realitäten
nicht wahr.
({2})
Es gibt einen Bericht der Troika, in dem steht, dass
das Anpassungsprogramm nicht so gewirkt hat wie erhofft. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist nicht
gegeben, zumindest nicht für die nächsten zwölf Monate. Deshalb ist neue Hilfe nötig.
Nun kann man sich in einer solchen Situation aussuchen, was man tut. Man kann sich zurücklehnen und
sagen: Das ist nicht unser Problem. - Oder man kann
sich dazu entscheiden, erneut Hilfeleistungen zu geben,
damit diese Situation bereinigt werden kann. Nun wissen
wir alle, dass die Entscheidung zu Griechenland nicht
nur Griechenland allein betrifft, sondern weit über Griechenland hinausreicht, dass sie das europäische Fundament betrifft und Einfluss darauf hat, wie unser politisches Zusammenwirken in Europa in der Zukunft
gestaltet wird.
Deshalb war es gut und richtig, dass wir in Sondersitzungen in unseren Fraktionen bis tief in die Nacht, in
Sondersitzungen des Haushaltsausschusses, mit ernsthaften Debatten in einer großen Tiefe und in einer großen Detailgenauigkeit intensiv gerungen haben, diese
Debatten geführt haben, um uns zu versichern, wie wir
uns entscheiden. Es ging um Risikoabwägungen. Kein
Weg, den man einschlägt, ist ohne Risiko. Das ist uns allen bewusst. Daher ging es darum, das Risiko abzuwägen und den Weg einzuschlagen, der die geringsten Risiken birgt.
Wie hat die Kanzlerin in der Fraktionssitzung so richtig gesagt? Ginge es - in Anführungszeichen - nur um
Griechenland, dann könnten wir uns tatsächlich zurücklehnen. Aber es geht um weit mehr: Es geht um unsere
Währung, es geht um unsere Banken, unser Finanzsystem, es geht um unsere wirtschaftliche Zukunft. Darauf
hat der Finanzminister ausdrücklich hingewiesen. Uns
ist das alles auch klar geworden.
Ich kann deshalb nicht verstehen, weshalb sich die
Opposition in dieser Situation wiederum mit vorgeschobenen Argumenten vom Acker macht. Vielleicht handelt
es sich dabei um politische Erwägungen; das könnte ja
durchaus sein. Denn eines will ich an dieser Stelle auch
feststellen: Die Debatte über diesen kleinen Entschließungsantrag - er umfasst ja nur knapp drei Seiten; er ist
ein kleines Papierchen - hat weitreichende Folgen, Folgen, die weit über den heutigen Tag hinausreichen. Das
hat Konsequenzen für alle weiteren politischen Entscheidungen in Europa.
Durch dieses Problem ist die Koalition aus CDU/CSU
und FDP mehr zusammengeschweißt worden als durch
irgendein anderes Projekt in dieser Legislaturperiode.
({3})
Daher bin ich unserer Fraktionsführung sehr dankbar dafür, dass wir dieses Thema in dieser Ausführlichkeit und
Ernsthaftigkeit debattieren konnten.
({4})
Das Ergebnis dieser Debatten ist ein Entschließungsantrag, in dem einige Bedingungen festgelegt werden,
mit denen wir unsere Bundesregierung in die weiteren
Verhandlungen schicken. Diese Bedingungen, Herr Kollege Kuhn, umfassen die Punkte, von denen wir als deutsches Parlament der Meinung sind, dass sie in den Verhandlungen berücksichtigt werden sollen. Daraus die
Konsequenz zu ziehen, dass jeder Punkt eingehalten
werden muss, ist logisch nicht zulässig. Vielmehr geht
unsere Bundesregierung mit diesen Punkten in die Verhandlungen. Sie wissen ganz genau, dass wir da nicht allein sind. Vielmehr gibt es da noch andere, die mit verhandeln.
({5})
Diese Punkte enthalten unsere Vorstellungen über den
weiteren Weg in Europa.
An dieser Stelle möchte ich aus meiner Sicht auf folgenden entscheidenden Punkt hinweisen: Egal welche
Verhandlungsergebnisse erzielt werden, eines bleibt unberührt: Wenn es um finanzielle Auswirkungen geht,
wenn es um das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages geht - das ist das Königsrecht dieses Hauses -,
dann ist die Zustimmung des Deutschen Bundestages erforderlich. An dieser Stelle, meine Damen und Herren,
will ich ein herzliches Dankeschön unserem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert sagen, der sich immer
wieder mit großer Verve für die Rechte des Parlaments
einsetzt. Herzlichen Dank, lieber Norbert Lammert, dafür! Das spiegelt sich auch in diesem Antrag wider.
({6})
Wenn man sich diese Punkte anschaut, sieht man: Es
geht letztlich darum, dass wir Griechenland dort unterstützen, wo Hilfe gewünscht wird; es geht darum, ein
Programm zu entwickeln, mit dem die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands gestärkt werden kann; es geht darum, Privatisierungen voranzutreiben, damit Griechenland wieder liquide wird; es geht darum, ein Konzept zu
entwickeln, mit dem sich Griechenland selbst helfen
kann. Darum geht es uns. Wir wollen, dass dabei private
Gläubiger beteiligt werden. Hier geht es um Fairness,
hier geht es um einen fairen Ausgleich zwischen öffentlichem Sektor und privatem Kapital. An dieser Stelle
müssen wir noch Widerstände brechen. Wir, die Obleute
des Haushaltsausschusses, waren erst vor kurzem bei unseren Kollegen in Frankreich, die - das ist dabei klar geworden - bei all dem noch sehr zögerlich sind.
Ich habe aber großes Vertrauen in unseren Finanzminister, ich habe großes Vertrauen in unsere Bundeskanzlerin, dass sie bei den anstehenden Verhandlungen
mit großem Nachdruck darauf hinweisen, welche Wünsche und Vorstellungen das deutsche Parlament hat. Ich
vertraue unserer Regierung, dass sie mit den entsprechenden Ergebnissen zurückkommt, und hoffe, dass das,
was in dieser ernsthaften Debatte zum Ausdruck gebracht worden ist, am Ende auch gelingt, nämlich die Sicherung Europas, die Sicherung eines friedfertigen, großen Wirtschaftsraumes, der sich imstande sieht, in den
globalen Herausforderungen - darum geht es ja letztendlich - unsere Interessen zu wahren.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank, Kollege Norbert Barthle. - Jetzt für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege
Dr. Gerhard Schick. Bitte, Kollege Dr. Gerhard Schick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Barthle hat den Vorwurf geäußert, dass wir dem Antrag
der Koalitionsfraktionen nicht zustimmen wollten und
uns deswegen irgendetwas ausdenken müssten. In Wahrheit verhält es sich anders: Ihr Entschließungsantrag
dient dazu, Ihren Laden zusammenzuhalten. Wir dagegen haben die besseren Vorschläge. Diese haben wir in
unserem Antrag vorgestellt. Somit möchte ich über die
Inhalte reden, um die es geht, und nicht über die Streitereien früherer Jahre.
Ich will auch begründen, warum der von uns vorgeschlagene Weg besser ist. Sie vernachlässigen einen
Aspekt völlig, nämlich: Diese Krise ist nach wie vor
auch eine Bankenkrise.
({0})
Welche Angst treibt denn alle um? Warum hat denn die
EZB Bedenken, wie Herr Schäuble zu Recht gesagt hat,
gegenüber einer Umschuldung? All das hat damit zu tun,
dass der Bankensektor in Europa und gerade auch der
deutsche Bankensektor nach wie vor nicht stabil ist.
Auch den deutschen Banken fehlt es noch an Kapital.
Diese Schwäche muss korrigiert werden. Bei vielen Regulierungsbemühungen in Europa, bei denen es darum
ging, die Banken auf eine stabile Grundlage zu stellen,
hat die Bundesregierung gebremst. Das ist die inhaltliche Lücke in Ihrem Antrag.
Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, einen europäischen Bankenstabilisierungsfonds zu schaffen und
damit eine Struktur, die es uns ermöglicht, aus dieser
Verquickung von Staatsschuldenkrise und Bankenkrise
herauszukommen. So kann verhindert werden, dass Risiken der Banken zu neuen Problemen in den Staaten führen, und umgekehrt. In diesem Punkt klafft in Ihren Vorschlägen eine klare Lücke. Deswegen ist unser Ansatz
besser. Ein europäischer Bankenstabilisierungsfonds ist
nötig. Sie lehnen das aber bisher ab.
({1})
Sie drängen hier einmal mehr auf große Eile bei den
Privatisierungen. Haben Sie denn nichts gelernt aus den
Folgen, die entsprechender Druck in den letzten Jahren
verursachte? Warum stehen wir heute an einem Punkt,
wo man sagen muss: „Das Programm hat nicht richtig
funktioniert, und es muss nachgesteuert werden“? Weil
Sie in kurzer Zeit Erfolge erzielen wollten und überhaupt
nicht auf die ökonomischen Bedingungen geachtet haben. Es ist richtig, dass eine Privatisierungsstrategie aufgestellt werden muss. Sie stellen hier aber Bedingungen,
die eher zu einer Verschärfung der Schwierigkeiten führen, als dass sie das Problem wirklich lösen.
Ich möchte jetzt nicht so weit in die Geschichte zurückblicken, wie Sie, Herr Brüderle, es gemacht haben,
sondern Sie nur bitten, den Blick auf die letzten eineinhalb Jahre zu werfen. Heute haben Sie gesagt, Gläubigerbeteiligung ist unverzichtbar, und der Bundesfinanzminister will mit den Banken über eine freiwillige
Umschuldung verhandeln. Ja, Moment! In dieser Situa13228
tion befanden wir uns schon im Februar 2010. Schon damals gab es den Vorschlag, mit den Banken zu verhandeln. Die Bundesregierung hat diesen Vorschlag damals
abgelehnt. Eineinhalb Jahre vertane Zeit, weil diese
Bundesregierung immer erst zu spät merkt, was eigentlich ansteht! Das macht es für Bürgerinnen und Bürger
teurer.
({2})
Das gilt auch für einen zweiten Punkt. Der Bundesfinanzminister hat den Europäischen Währungsfonds,
der jetzt auf dem Weg ist, schon vor über einem Jahr
vorgeschlagen. Aber hatte er damals, im März 2010, die
Unterstützung der Bundeskanzlerin? Nein, er hatte sie
nicht. Wieder müssen wir sagen: ein Jahr vertane Zeit für
Europa.
({3})
Jetzt sollen bei einer Umschuldung die öffentlichen
Gläubiger massiv beteiligt werden. Wir haben schon vor
einem Jahr gefordert, dass die öffentlichen Gläubiger
Vorrang erhalten gegenüber privaten. Sie merken wieder
einmal ein Jahr zu spät, dass man den Steuerzahler in
dieser Situation schützen und für ihn sorgen muss. Die
Verzögerung macht die Rettungsmaßnahmen, die Ihre
Regierung in Europa mit verantwortet, teurer, als es nötig gewesen wäre. Auch da müssen wir sagen: ein Jahr
vertan durch Ihre Politik.
({4})
Was ist die Konsequenz daraus? Die Konsequenz ist,
dass deutsche Banken und Versicherungen sich in diesem Jahr mit über 8 Milliarden Euro dem Risiko entziehen konnten und gleichzeitig die öffentliche Hand mit
etwa 6 Milliarden Euro am Risiko beteiligt worden ist.
Aufgrund dieses Austauschs bei der Risikobeteiligung
kann man nachweisen, dass durch Ihre Politik des zu
späten Reagierens die Rettung teurer wird.
Sie haben heute, Herr Schäuble, zu der Frage der
Kosten, die man ehrlich beantworten muss, kein Wort
verloren. Ich glaube aber, dass das wichtig wäre. Gerade
wenn man, wie unsere Fraktion, immer ganz bewusst
proeuropäisch dafür sorgt, dass wir in Europa gemeinsam aus der Krise herauskommen, ist es notwendig,
nicht nur die große Vision eines gemeinsamen Europas
zu verkünden, sondern den Menschen auch konkret und
ehrlich zu sagen: Die Wege, die wir jetzt beschreiten,
werden Kosten mit sich bringen; aber es lohnt sich, diese
Kosten zu tragen. Wir werden dafür sorgen - da ist Ihre
Regierung besonders schwach -, dass die Verteilung dieser Kosten in Deutschland fair erfolgt, damit starke
Schultern die Lasten dieser Krise tragen. Mit einer unsolidarischen Politik, wie sie Schwarz-Gelb macht, wird
man das Vertrauen der Menschen in eine gemeinsame
europäische Lösung für diese Krise nicht gewinnen können. Aber genau das wäre notwendig.
({5})
Vielen Dank, Kollege Dr. Gerhard Schick. - Jetzt für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Michael
Stübgen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt seit
zwei Tagen der „Mission Report“ der Troika, bestehend
aus EZB, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds, zu Griechenland vor. Schon die
Dauer der Mission in Athen und die Zeit, die die Beteiligten benötigt haben, um den Bericht zu schreiben und
sich darauf zu einigen, zeigt, dass wir diesmal in einer
sehr komplizierten und schwierigen Situation sind.
Ich will nur kurz ein paar zusammenfassende Anmerkungen zu diesem Report machen. Zum einen wird Griechenland bescheinigt, dass es bei der Beseitigung makroökonomischer und fiskalischer Ungleichgewichte
Fortschritte gemacht hat. Es ist wichtig, das festzustellen, wenn wir das Fazit richtig einschätzen wollen. Aber
es ist auch deutlich geworden, dass die Rezession in
Griechenland tiefer und langwieriger ist, als wir das bei
der Erarbeitung des Programms vor einem Jahr gedacht
haben. Der Report endet mit einem nüchternen Satz: Das
Anpassungsprogramm ist jetzt unterfinanziert; die
nächste Auszahlung Ende dieses Monats kann nur erfolgen, wenn dieses Problem gelöst ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Lösungsmöglichkeiten haben wir jetzt? Wenn wir uns die
Restrukturierungsaktionen für Staatsschulden in den
letzten 20 Jahren weltweit anschauen, können wir feststellen, dass es in den überwiegenden Fällen so war, dass
die zunächst zusammengestellten Restrukturierungsprogramme nicht ausgereicht haben und angepasst werden
mussten. Aber in den meisten Fällen waren diese angepassten Programme die Grundlage dafür, dass eine Verbesserung der Situation, eine Gesundung der Staatsfinanzen herbeigeführt werden und die Länder wieder
anfangen konnten, selbstständig zu handeln und die
Krise zu überwinden. Wir haben es im Fall Griechenland
also nicht mit einem außergewöhnlichen Fall zu tun, und
der Fall ist nicht hoffnungslos. Deswegen ist es richtig,
dass wir jetzt weiter versuchen, Griechenland zu helfen.
Ich will aber nicht verkennen und das deutlich sagen,
dass ein Satz in dem Bericht sehr besorgniserregend ist.
Die Troika kommt nämlich zu dem Schluss, dass die Reform in Griechenland nach einem kraftvollen Start im
Sommer 2010 in den letzten Quartalen zum Stillstand
gekommen ist. Dies muss sich zwingend ändern; denn
eines ist klar: Der Schlüssel für die Behebung der griechischen Krise liegt in Athen, liegt in Griechenland.
Griechenland muss weiter an der Reform arbeiten, um
Fortschritte zu erzielen.
({0})
Kein Programm der Welt kann Griechenland gegen seinen Willen aus der Krise herausholen.
Wir haben jetzt ein detailliertes Programm vorliegen,
das die Troika mit Griechenland ausgearbeitet hat. Die
Regierung in Athen hat es gestern verabschiedet, und
das griechische Parlament möchte es noch in diesem
Monat beraten und verabschieden. Wir können in Zukunft also konkret sehen, wie es in Griechenland vorangeht.
Aber was müssen wir nun tun? Wir haben in den letzten Tagen einen Antrag der Koalitionsfraktionen vorbereitet, in dem wir, was die Handlungsnotwendigkeiten
angeht, einen kombinierten Ansatz beschreiben. Zunächst ist es notwendig, das Problem der Unterfinanzierung des bestehenden Programms zu beheben. Positiv
ist, dass wir einen längeren Zeitraum zur Verfügung haben, um die Details festzulegen; denn das bestehende
Programm reicht, wenn die Tranchen weiter gezahlt werden, zur Finanzierung der nächsten Monate. Erst für das
nächste Jahr würde das bestehende Programm nicht
mehr ausreichen. Wir haben also im Unterschied zu den
Beratungen und Beschlüssen zum Griechenlandpaket
und zum Euro-Rettungsschirm im letzten Jahr ausreichend Zeit, die Programme detailliert auszuarbeiten.
Durch den europäischen Rettungsschirm haben wir die
entsprechenden Instrumente, und wir unterstützen die
Bundesregierung darin, das FSF und den EFSM beim
weiteren Vorgehen in Bezug auf Griechenland heranzuziehen.
Eines halte ich für besonders entscheidend: Wir machen den ersten konkreten Ansatz - diskutiert haben wir
in diesem Haus im letzten Jahr schon viel darüber -, einen der entscheidenden Webfehler der bisherigen
Hilfsprogramme zu beseitigen. Die bisherigen Hilfsprogramme führen nämlich dazu - das können wir heute
besser einschätzen als vor einem Jahr -, dass sich die
privaten Gläubiger sukzessive auf Anleihen mit guten
Renditen und 100-prozentiger Rückzahlung zurückziehen und die gestiegenen Risiken der neuen Anleihen
ausschließlich beim Steuerzahler liegen. Dieses wachsende Missverhältnis wird von den Menschen zu Recht
immer weniger akzeptiert.
Warum haben wir keine Gläubigerbeteiligung in den
bisherigen Programmen? Das hat leider seine guten
Gründe. Wir bewegen uns hier auf einem extrem schmalen Grat, weil die bisherigen europäischen Staatsanleihen überwiegend keine Umschuldungsklauseln enthalten. Bei einer stärkeren Gläubigerbeteiligung besteht die
Gefahr einer ungeordneten Insolvenz. Sie ist leider sehr
hoch einzuschätzen; deshalb gibt es auch Widerstände.
Bei einer ungeordneten Insolvenz, zum Beispiel bei einem ungeordneten Staatsbankrott Griechenlands, ist die
Gefahr sehr hoch, dass durch die Zweit- und Drittrundeneffekte eine Infektionskette ähnlich wie damals bei der
Pleite von Lehman Brothers entsteht. Deshalb müssen
wir versuchen, diese Gefahr zu bannen. Ich glaube aber,
dass der Ansatz, den Bundesfinanzminister Wolfgang
Schäuble in seinem Brief an die europäischen Finanzminister beschrieben hat, nämlich der sukzessive Einstieg in eine Gläubigerbeteiligung über einen Anleihenumtausch oder ein Reprofiling - wie immer man das
nennen will -, ein Weg sein kann, auf diesem schmalen
Grat doch zu einer klaren Gläubigerbeteiligung zu kommen. Es ist die Pflicht der europäischen Institutionen,
diesen Ansatz in den nächsten Monaten mit einem detaillierten Programm erfolgreich anzuwenden.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich einen weiteren Punkt anmerken. Ich freue mich,
dass wir mit unserem Antrag dazu kommen, einen Webfehler bei der nationalen Umsetzung des Rettungsprogramms im Rahmen des EFSF zu beheben. Wir sagen
nämlich, dass in Zukunft der Bundestag als Ganzes bei
der Verabschiedung notwendiger Hilfsprogramme - Aktivierung großer Bürgschaften für hilfebedürftige Länder seine Zustimmung geben muss. Ich glaube, das ist ein
wichtiger Ansatz, auch mit Blick auf die Tatsache, dass
das Bundesverfassungsgericht am 5. Juli öffentlich über
die Klagen gegen die Hilfsprogramme beraten wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank, Kollege Michael Stübgen. - Jetzt
spricht als letzter Redner in dieser Debatte unser Kollege
Bartholomäus Kalb für die Fraktion der CDU/CSU. Wir
schenken ihm die notwendige Aufmerksamkeit. Bitte
schön, Kollege Bartholomäus Kalb.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Frage der Stabilität unserer gemeinsamen
Währung, des Euro, ist für unsere Volkswirtschaften, vor
allem aber für die Menschen in Europa und in unserem
Land von allergrößter Bedeutung. Unkontrollierte Entwicklungen und eine Instabilität würden nicht nur die
Euro-Zone betreffen und erschüttern, sondern auch erhebliche Konsequenzen für die Zukunftsfähigkeit der
Europäischen Union insgesamt nach sich ziehen. Herr
Bundesfinanzminister Schäuble hat dazu eingangs eine
ganze Menge gesagt.
Ein stabiler Euro, ein einiges Europa und eine starke
Europäische Union bilden im Zeichen der rasant voranschreitenden Globalisierung, der sich verschiebenden
und neu herausbildenden wirtschaftlichen Schwerpunkte
weltweit und des Wachstums der Weltbevölkerung einerseits bei gleichzeitig rückläufiger Bevölkerungszahl in
Europa andererseits die unverzichtbare Grundlage für
die dauerhafte Sicherung von Wohlstand, Stabilität und
Sicherheit in Deutschland und Europa.
({0})
Die Stabilität des Euro liegt also zuvorderst im Interesse
der Menschen in unserem Lande, im Interesse Deutschlands.
Nun weiß ich, dass die Bürger die Maßnahmen, die
wir bisher ergriffen haben und noch ergreifen müssen,
zum Teil sehr kritisch sehen; populär sind diese Maßnah13230
men jedenfalls nicht. Es ist deshalb wichtig, dass wir die
entsprechenden Beratungen und die Debatten über die
erforderlichen Maßnahmen mit großer Ernsthaftigkeit
führen. Es geht jetzt bei aller Diskussion und allem Ringen um den richtigen Weg und die richtigen Entscheidungen nicht um kurzfristigen Beifall, sondern um die
Wahrnehmung unserer Verantwortung; das ist nicht immer populär.
Wir mussten auch in den zurückliegenden Jahren eine
Vielzahl zunächst umstrittener und unpopulärer Maßnahmen zur Bewältigung der weltweiten Finanz-, Wirtschafts- und Bankenkrise ergreifen. Niemand konnte
seinerzeit mit letzter Sicherheit sagen, ob diese Maßnahmen wirklich richtig sein würden und die gewünschte
Wirkung eintreten würde. Heute können wir feststellen,
dass wir in Deutschland nicht zuletzt wegen der ergriffenen Maßnahmen schneller und besser aus der Wirtschafts- und Finanzkrise herausgekommen sind, als wir
das je zu hoffen gewagt hätten.
({1})
Die Wirtschaft läuft gut. Mehr Menschen als je zuvor haben einen gesicherten Arbeitsplatz. Die gestiegenen
Staatseinnahmen helfen uns, bei der Konsolidierung der
öffentlichen Haushalte gut voranzukommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
vor gut einem Jahr schwierige und weitreichende Entscheidungen zur Stabilisierung des Euro und zur Hilfe
für gefährdete Länder getroffen. Niemand wird bestreiten, dass wir es im Mai letzten Jahres mit einer sehr ernsten Situation für unsere Währung zu tun hatten. Ich halte
die seinerzeit ergriffenen Maßnahmen auch aus heutiger
Sicht für richtig. Ich will mir nicht vorstellen, wie die Situation wäre, wenn es vor einem Jahr zu einem Crash gekommen wäre. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass
wir einen wirtschaftlichen Aufschwung, wie wir ihn jetzt
verzeichnen können, so nicht bekommen hätten. Daraus
ergibt sich: Ein stabiler Euro ist zuallererst im Interesse
der deutschen Wirtschaft und der Menschen in Deutschland.
Wenn wir mit den Menschen im Lande reden, stellen
wir fest, dass sie zwar oft unterschiedlicher Meinung
sind über die Maßnahmen, die zur Euro-Stabilisierung
notwendig sind. Aber sie erwarten unabhängig davon
von uns zuallererst, dass wir für geordnete Finanzen sorgen und die Stabilität der Währung sicherstellen, nicht
mehr und nicht weniger.
({2})
Wenn wir in Krisen geratenen Ländern wie jetzt Griechenland helfen wollen und sollen, müssen diese Länder
selber große Anstrengungen unternehmen, auch wenn
diese Anstrengungen schmerzhaft sind. Unsere Hilfen
können nur unter strengen Bedingungen und Auflagen
und bei Aussicht auf Erfolg gewährt werden. Finanzminister Dr. Schäuble hat gestern im Haushaltsausschuss
zutreffend gesagt - ich zitiere -: Die Mitgliedschaft in
einer Währungsgemeinschaft stellt sehr hohe Anforderungen an jedes einzelne Mitglied.
Entscheidend für Griechenland und den Erfolg unserer Bemühungen wird auch sein, dass es gelingt, die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Griechenlands erheblich zu verbessern. Bei einem Leistungsbilanzdefizit von
rund 24 Milliarden Euro ergibt sich das von selbst. Auch
die Europäische Union ist deshalb aufgefordert, ihre
Leistungen aus den verschiedenen Fonds an Griechenland daraufhin zu überprüfen, ob sie wirklich geeignet
sind, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die
Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands zu verbessern. Mit
Programmen, die zwar schön sind, erhebliche Mitnahmeeffekte nach sich ziehen, aber keine vernünftige Wirkung erzielen, ist niemandem gedient.
Die Stabilität des Euro zu sichern, ist eine außerordentlich wichtige und schwierige Aufgabe. Das ist eine
Gemeinschaftsaufgabe, eine gesamteuropäische Aufgabe. Wir sind bereit, mitzuhelfen, dass diese Aufgabe
erfolgreich gemeistert werden kann.
Herzlichen Dank.
({3})
Wir haben zu danken, Kollege Bartholomäus Kalb.
Ich schließe die Aussprache.
Uns liegt eine Reihe von Erklärungen nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung vor.1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, zunächst zum Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/6163. Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die Oppositionsfraktionen.
({0})
- Gegenstimmen von der Koalition?
({1})
- Vier? Schauen wir einmal. - Eins, zwei, drei, vier Ge-
genstimmen. Da viele nicht sitzen, ist das von hier oben
schwer zu sehen. Jetzt ist das festgehalten.
Enthaltungen? - Eine. Der Entschließungsantrag ist
angenommen.
Wir kommen nun zu dem gemeinsamen Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen SPD, Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6162. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Das sind die antrag-
stellenden Fraktionen. Gegenprobe! - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über weitere Entschließungsanträge
einzelner Fraktionen ab.
1) Anlagen 3 bis 5
Vizepräsident Eduard Oswald
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6161. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Das ist die Fraktion
der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Koalitionsfraktio-
nen, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? -
Linksfraktion. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6159.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das ist
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! -
Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten
und die Linksfraktion. Enthaltungen? - Keine. Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.
Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/6160. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? - Das ist die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen. Gegenprobe! - Das sind die Koalitionsfrak-
tionen und die sozialdemokratische Fraktion. Enthaltun-
gen? - Die Linksfraktion. Der Entschließungsantrag ist
abgelehnt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 18 auf:
Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsord-
nung
- Drucksache 17/6132 -
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt auf
Drucksache 17/6132 Frau Priska Hinz vor.
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren.
Laut Gesetz ist gewählt, wer die Stimmen der Mehr-
heit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das
heißt, wer mindestens 311 Stimmen erhält. Die Wahl er-
folgt mit Stimmkarte und Wahlausweis. Den Wahlaus-
weis können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem
Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Bitte achten
Sie unbedingt darauf, dass der Wahlausweis auch wirk-
lich Ihren Namen trägt. Die Stimmkarten wurden im
Saal verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben,
besteht jetzt noch die Möglichkeit, sie von den Plenaras-
sistentinnen und Plenarassistenten zu erhalten.
Gültig sind nur Stimmkarten mit dem Kreuz bei Ja,
Nein oder „Enthalte mich“. Ungültig sind demzufolge
Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz,
andere Namen oder Zusätze enthalten. Die Wahl findet
offen statt. Sie können Ihre Stimmkarte also an Ihrem
Platz ankreuzen.
Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer-
fen, übergeben Sie den Schriftführern an der Wahlurne
Ihren Wahlausweis. Der Nachweis der Teilnahme an der
Wahl kann nur durch Abgabe des Wahlausweises er-
bracht werden.
Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Wahl.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich wäre dankbar, wenn Sie sich wieder auf Ihre
Plätze begeben würden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Energieeffizienz und Klimaschutz im Gebäudebereich
- Drucksache 17/5778 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Michael
Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Angekündigte Mittelkürzung beim CO2-Ge-
bäudesanierungsprogramm zurücknehmen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan
Kühn, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortfüh-
ren - Mit energetischer Sanierung Konjunk-
tur ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und
Klima schützen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Markus Kurth, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Heizkostenkomponente beim Wohngeld er-
halten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Stephan Kühn, Daniela Wagner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lebensqualität und Investitionssicherheit in
unseren Städten durch Rettung der Städte-
bauförderung sichern
- Drucksachen 17/2346, 17/2395, 17/2923,
17/2396, 17/4835 -
1) Ergebnis der Wahl siehe Seite 13235 A
Abgeordnete Peter Götz
Volkmar Vogel ({0})
Gero Storjohann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in unserer
Debatte ist die Kollegin Daniela Wagner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Frau Kollegin
Daniela Wagner.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundeskanzlerin hat es hier gestern in der Atomdebatte wiederholt gesagt: Dem Gebäudebereich kommt
bei der Energiewende eine zentrale Rolle zu. Hier werden, vor allem im Altbestand, 40 Prozent der Energie in
Deutschland verbraucht. Insofern kann ich der Bundesregierung für ihr Vorhaben, die Energieeffizienz im Gebäudesektor zu steigern, unsere Unterstützung zusichern.
Die Ankündigung der Bundesregierung, die Haushaltsmittel für die energetische Gebäudesanierung wieder auf 1,5 Milliarden Euro zu erhöhen, ist sehr begrüßenswert. Das stellt einen ersten Schritt in die richtige
Richtung dar.
({0})
Es scheint, als habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass
die Kürzungen der Haushaltsmittel des Bundes für die
CO2-Gebäudesanierungsprogramme von 2 Milliarden Euro
in 2009 auf null Euro in 2012 klima- und wirtschaftspolitisch nicht der richtige Weg waren.
Ebenfalls ist es zu begrüßen, dass die energetischen
Anforderungen an Bestandsgebäude nachgeführt werden
sollen und dass in der Novelle zum Bundesbaugesetzbuch die Möglichkeit vorgesehen werden soll, dass energetische Sanierungsquartiere ausgewiesen werden. Denn
einerseits sind hohe Standards bei Bestandsbauten ohne
entsprechende Förderung kontraproduktiv, andererseits
ist Förderung ohne die Vorgabe von ambitionierten Standards für Bestandsgebäude Verbrennung von Steuergeldern. Wir wollen beides: Wir wollen fördern und fordern.
({1})
Wichtig ist dabei die richtige Mischung. Der Instrumentenmix in der Förderkulisse muss stimmen, wenn
wir Immobilienwirtschaft, private Hausbesitzer und
Mieter bei der Energiewende mitnehmen wollen. Sie
sind die entscheidenden Akteure für mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien im Gebäudesektor. Ohne
sie geht gar nichts.
({2})
In unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, kombinieren
wir hohe energetische Standards und realistische Übergangsfristen mit der Verlässlichkeit der Förderung. Wir
wollen für den Gebäudebestand ab 2020 stufenweise einen Energieverbrauch von höchstens 60 Kilowattstunden pro Quadratmeter einführen. Klar ist aber auch, dass
wir die Immobilienwirtschaft und private Hauseigentümer mit Effizienzstandards nicht überfordern sollten.
Daher plädieren wir für Übergangsfristen von zehn Jahren für die Durchsetzung von Energiestandards im Gebäudebestand. Ab 2019 wollen wir für den Neubaubereich einen Energieverbrauch von 15 Kilowattstunden
und Quadratmeter einführen. Unser Ziel ist es, im Gebäudebereich bis 2050 den Energieverbrauch auf null zu
senken und CO2-Neutralität zu sichern.
({3})
Wir schlagen in unserem Antrag vor, die Mittel für
Gebäudesanierungsprogramme im Bundeshaushalt auf
jährlich 2 Milliarden Euro zu erhöhen, und das dauerhaft. Das ist auch ganz besonders wichtig für die soziale
Abfederung der Energieeffizienzmaßnahmen. Die KfWMittel können nicht auf die Mieter umgelegt werden, sodass das Volumen der Modernisierungsumlage gesenkt
wird und Mieterhaushalte entlastet werden.
Mit einem Energiesparfonds mit einem Volumen von
3 Milliarden Euro, wovon ein Drittel auf Stromeffizienz
und zwei Drittel auf Wärmeeffizienz entfallen sollen,
wollen wir vor allen Dingen einkommensschwache
Haushalte beim Energiesparen unterstützen. Den Energiesparfonds wollen wir durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen und ökologisch unsinniger Steuerausnahmen gegenfinanzieren.
Die im Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an
Wohngebäuden angekündigten Abschreibungsmöglichkeiten im Wert von nochmals 1,5 Milliarden Euro sind
zum Erreichen bestimmter Hausbesitzer vermutlich notwendig und insofern auch nicht falsch. Aber: Leider hat
dieses Instrument zur Förderung der energetischen Sanierung den Nachteil, dass trotzdem das volle Investitionsvolumen über die Modernisierungsumlage auf die
Miete umgelegt werden kann. Anders als bei der KfWFörderung hat der Mieter also nichts davon. Deshalb,
meine Damen und Herren insbesondere von der Regierungskoalition: Das Mindeste bei der Einführung von
zusätzlichen Abschreibungsmöglichkeiten ist eine Beteiligung der Mieter an der Einsparung und eine Befristung, damit es zu einem Windhundeffekt kommt und die
Leute schnell anfangen, zu sanieren.
({4})
Wir Grüne plädieren vorrangig für mehr KfW-Mittel,
um die Auswirkungen auf die Mieterschaft zu verringern.
({5})
Wir wollen auch mehr direkte Zuschüsse, vor allen Dingen für Einzelmaßnahmen, damit auch ältere Eigentümer, die keine Darlehen mehr aufnehmen wollen, mit
der Sanierung ihrer Bestandsgebäude beginnen können.
Eines muss schon heute deutlich gesagt werden: Die
Energiewende wird auch im Gebäudebereich massive
Veränderungs- und Umwandlungsprozesse zur Folge haDaniela Wagner
ben. Dies bedarf der sozialen Abfederung. Uns Grünen
ist vollkommen klar, das wir Eigentümern, Mietern und
auch Vermietern viel abverlangen. Doch angesichts der
Schrecken der Atomenergie und der schweren Folgen
des Klimawandels ist dieser Weg nun wirklich alternativlos, um ausnahmsweise einen Lieblingsbegriff der
Kanzlerin zu bemühen.
Es ist unsere Aufgabe, die Konfliktfelder eindeutig zu
identifizieren und Lösungswege zu finden. Wir müssen
Klimaschutz, Atomausstieg und die soziale Frage zusammendenken.
({6})
Deswegen wollen wir auch das Mietrecht an die
neuen Gegebenheiten anpassen. Wir wollen die Modernisierungsumlage verändern, sie auf den altersgerechten
Umbau und die energetische Sanierung konzentrieren
und auf 9 Prozent absenken; denn im Moment ist es ja
so: Dort, wo sie auch erhoben werden soll, zum Beispiel
in strukturschwachen Gebieten, wird sie überhaupt nicht
mehr durchgesetzt; das heißt, dem Hauseigentümer nützt
sie nichts. In Ballungsräumen führt sie dazu, dass Mieterinnen und Mieter buchstäblich aus ihren Häusern heraussaniert werden. Das wollen wir nicht. Wir wollen die
Dynamik in der Mietpreisspirale eindeutig dämpfen und
die finanziellen Mittel in die Zukunftsfelder lenken.
({7})
Das Wirtschaftlichkeitsgebot, von dem Sie zu Recht
immer reden und das wir auch anerkennen, gilt natürlich
auch für Mieterinnen und Mieter.
({8})
Eigentümer, Staat sowie Mieterinnen und Mieter
müssen ihren Beitrag leisten, damit wir diese Herkulesaufgabe gemeinsam stemmen können.
({9})
Herr Ramsauer hat diese Woche im Handelsblatt gesagt, er habe kein geringeres Ziel vorgegeben, als
Deutschland zum Weltmeister im Energiesparen zu machen. Das sind weitreichende Ankündigungen und ambitionierte Ziele. Leider fehlte in den zurückliegenden
Etatberatungen jegliche Spur davon. Das Ministerium
hat sich die Haushaltsmittel für die KfW-Förderprogramme im Gegenteil sogar komplett zusammenstreichen lassen.
Auch Ihre jetzige Finanzierung über das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ ist aus unserer Sicht
weiterhin unklar und wackelig. Vor allen Dingen - das
stört uns ganz besonders - wird dem Haushaltsgesetzgeber, nämlich dem Parlament, die haushaltspolitische
direkte Entscheidung dafür mehr oder weniger entzogen.
Wir möchten aber, dass die Förderkulisse und die Förderbedingungen verbindlich, klar, transparent und für
die privaten Investoren und Eigentümer gut anwendbar
sind. Wir wollen, dass jeder versteht, um was es geht sowohl hier im Parlament als auch in der Bürgerschaft.
({10})
Lassen Sie es mich abschließend so zusammenfassen:
Sie wirken bei Ihrer Energiewende einigermaßen getrieben. Sie wirken wie Getriebene, aber dieses Mal sind Sie
wenigstens von der richtigen Seite getrieben, und darüber sind wir wirklich sehr froh.
({11})
Stimmen Sie unserem Antrag also bitte zu. Dann sind
Sie nicht mehr auf der Seite der Getriebenen, sondern
dann gehören Sie selber zu den Treibenden und zu den
Gestaltenden im Klimaschutz, bei der Gebäudesanierung, bei der Energiewende und vor allen Dingen für
eine atomfreie Zukunft.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat der Kollege Peter Götz von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In wenigen Tagen wird die Städtebauförderung 40 Jahre alt. Das ist ein
Grund zum Feiern.
({0})
Die Städtebauförderung hat in Deutschland maßgeblich
zur positiven Entwicklung unserer Städte und Gemeinden beigetragen und gehört zur Erfolgsgeschichte unseres Landes.
({1})
Deshalb ist es richtig und konsequent, dass wir die
Mittel für die gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen zu finanzierenden Städtebauförderprogramme
nicht kürzen, sondern verstetigen und fortsetzen.
({2})
Mit dem zusätzlichen Programm „Energetische Stadtsanierung“ wollen wir innerstädtische Quartiere auch
unter energetischen Gesichtspunkten stärker in den Fokus nehmen.
({3})
Wir werden darüber hinaus die bestehenden Städtebauförderprogramme zusammen mit den Ländern und
Kommunen erfolgreich weiterentwickeln.
Lassen Sie mich zum zweiten Teil dieses Tagesordnungspunktes kommen. Die Bundeskanzlerin machte
gestern eindrucksvoll deutlich, wie wichtig in Zukunft
neben der Erzeugung von Energie die Energieeinsparung
und die Steigerung der Energieeffizienz sind. Wenn wir
die Laufzeiten der Atomkraftwerke weiter verkürzen
und gleichzeitig klimapolitische Ziele erreichen wollen,
dann brauchen wir dazu den Gebäudebereich.
Es wurde bereits gesagt: 40 Prozent der in Deutschland verbrauchten Endenergie entfallen auf das Heizen
von Räumen und das Aufheizen von Wasser, und zwar
überwiegend in privaten Haushalten. Dort müssen wir
ansetzen. Dieses große Potenzial zu erschließen, ist eine
Herkulesaufgabe, an der sich die gesamte Gesellschaft
beteiligen muss. Im Gegensatz zur Opposition, also auch
zu den Grünen, setzen wir dabei nicht auf Zwang, sondern auf Anreize und Verbraucherinformationen.
Viele Gebäude wurden in einer Zeit gebaut, in der
Energie noch preiswert war. Entsprechend schlecht ist
aus energetischer Sicht der bauliche und auch der heizungstechnische Zustand. In Verantwortung gegenüber
dem Steuerzahler wollen und müssen wir pro eingesetztem Euro Steuergeld eine maximale Einsparung an
Treibhausgasemissionen erreichen.
Liebe Frau Kollegin Wagner, wir fangen damit nicht
bei null an. Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung
hat in den letzten fünf Jahren im Rahmen des CO2-Gebäudesanierungsprogramms über 7 Milliarden Euro Fördermittel zur Verfügung gestellt. In diesem Jahr stehen
936 Millionen Euro bereit. Damit finanziert die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau sehr erfolgreich
zinsgünstige Kredite und Investitionszuschüsse für energetische Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden und
anderen Gebäuden der kommunalen und sozialen Infrastruktur, aber auch für energieeffiziente Wohnungsneubauten.
Noch einmal zur Erinnerung einige wenige Zahlen:
Von 2006 bis Ende 2010 hat die KfW rund 900 000 Kredite und Zuschüsse mit einem Volumen von über
36 Milliarden Euro bewilligt und damit Investitionen
von über 75 Milliarden Euro angestoßen. So konnten bis
heute bereits mehr als 2,4 Millionen Wohnungen saniert
oder besonders energieeffizient neu errichtet werden.
Der Ausstoß des Treibhausgases CO2 verringert sich dadurch jährlich um sage und schreibe rund 4,7 Millionen
Tonnen. Zugleich wurden mit diesem Programm pro
Jahr bis zu 340 000 Arbeitsplätze - überwiegend im heimischen Handwerk - gesichert und neu geschaffen. Das
sind Zahlen, die sich, wie ich finde, sehen lassen können.
Die Verbesserung der Energieeffizienz war schon immer ein zentrales Anliegen der CDU/CSU-geführten
Bundesregierung. Ab dem kommenden Jahr werden wir
die Mittel im CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf
jährlich 1,5 Milliarden Euro erhöhen. Darin enthalten
sind 150 Millionen Euro für direkte Zuschüsse an Menschen, die wegen ihres Alters oder ihres Einkommens
von den Banken keinen Sanierungskredit mehr bekommen oder sich einfach auch nicht mehr neu verschulden
wollen. Mit dem Sanierungszuschuss wollen wir diesem
Personenkreis anbieten, das Ersparte für eine energetisch
verbesserte Wohnung einzusetzen - auch, um sich im
Alter von den hohen Energiekosten der Wohnung zu entlasten.
({4})
Ein Weiteres möchten wir angehen: Durch steuerliche
Anreize wollen wir weitere Eigentümergruppen für die
Sanierung ihrer Gebäude gewinnen. So können in Zukunft Kosten für die energetische Sanierung von Gebäuden, die vor 1995 gebaut wurden, innerhalb von zehn
Jahren mit jährlich 10 Prozent steuerlich abgeschrieben
werden. Dies gilt übrigens für vermietete ebenso wie für
selbstgenutzte Wohnungen. Es ist besser, die Menschen
investieren ihr Erspartes in die energetische Sanierung
ihres Ein-, Zwei- oder Dreifamilienhauses als in Spekulationsgeschäfte in Ostasien.
({5})
Bei der steuerlichen Förderung sollten wir uns am
Maßnahmenkatalog der KfW orientieren. Wir sollten
- da stimme ich Ihnen zu - dieses Gesetz auch zeitlich
befristen. Aber wir sollten auch vermeiden, dass durch
ein zu spätes Inkrafttreten des Gesetzes Attentismus und
damit ein Stau entsteht, der dazu führt, dass zu Beginn
des neuen bzw. nächsten Jahres möglicherweise die
Preise ansteigen und Engpässe produziert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die steuerlichen Anreize verleihen wir der energetischen Sanierung
von Gebäuden zusätzlich Schwung. Wichtig ist uns bei
den verschiedenen ehrgeizigen Maßnahmen, dass es gelingt, die Menschen von den Vorteilen und der Richtigkeit dieser Vorgehensweise zu überzeugen. Dies gilt für
die Mieter, aber genauso für die Vermieter. Auch wir,
Frau Wagner, wollen fördern und fordern.
({6})
Aber wir dürfen dabei weder die Eigentümer noch die
Mieter überfordern und auch nicht überfördern. Auch
das gehört zur Vollständigkeit dazu.
({7})
Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen:
Erstens. Aus Klimaschutzgründen muss der Ausstieg
aus der Atomenergie zusammen mit einem konsequenten Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien
und in die energetische Sanierung des Gebäudebestandes
erfolgen. Sie haben zwar seinerzeit den Ausstieg beschlossen, aber vergessen, den Einstieg mitzubeschließen.
({8})
Zweitens. Die milliardenschwere energetische Sanierung der Wohnungsbestände wird ohne staatliche Leistung nicht stattfinden. Deshalb ist es zwingend notwendig, dafür öffentliche Mittel in die Hand zu nehmen.
Drittens. Das Energiekonzept muss - auch in diesem
Punkt unterscheiden wir uns ein wenig - an den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gebunden werden.
Mit dem, was wir den Menschen und den Wohnungsunternehmen anbieten, reduzieren wir den Energiebedarf, senken wir auf Dauer die Energiekosten für Mieter,
Vermieter und Eigenheimbesitzer gleichermaßen und
stabilisieren wir durch die energetische Sanierung der
Wohngebäude auch die Immobilienwerte und sichern
Arbeitsplätze im heimischen Handwerk. Neben den
erwarteten positiven gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen durch zusätzliche Steuereinnahmen für Bund, Länder und Kommunen und für die sozialen Sicherungssysteme leisten wir so einen wichtigen Beitrag zum
Klimaschutz. Ich lade Sie alle ein, diesen Weg gemeinsam mit uns zu gehen.
Herzlichen Dank.
({9})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe
ich Ihnen das Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des
Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundes-
haushaltsordnung bekannt: abgegebene Stimmen 564, gül-
tige Stimmen ebenfalls 564. Mit Ja haben gestimmt 508,
mit Nein 24, Enthaltungen 32. Die Abgeordnete Priska
Hinz hat 508 Stimmen erhalten. Die erforderliche Mehr-
heit von mindestens 311 Stimmen wurde übertroffen.
Damit ist sie gewählt.1)
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Florian Pronold von der
SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Warum führen wir die Debatte heute eigentlich?
({0})
Wenn man sich die Anträge durchliest, dann stellt man
fest, dass die Antwort relativ einfach ist: Die schwarzgelbe Koalition war auf dem Holzweg, was die energetische Sanierung von Gebäuden angeht. Wer hat denn die
KfW-Mittel halbiert? Wer hat denn in zwei Bundeshaushalten nacheinander die Axt an die energetische Gebäudesanierung angelegt? Das waren Sie!
({1})
Wer hat damit eines der erfolgreichsten Mittelstandsförderprogramme heruntergefahren? Das waren Sie! Sie haben das in jeder Haushaltsberatung immer wieder verteidigt.
({2})
Der Grund, warum wir die Anträge, die heute zur Debatte stehen, behandeln müssen, ist:
({3}) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
rum weiß er gar nicht, was wirklich geschehen
ist!)
Diese Kürzungen müssen zurückgenommen werden.
Was erleben wir heute? Sie versuchen vom Holzweg
auf den Pfad der Tugend zurückzukehren.
({4})
Das ist schön. Schon in der Bibel steht: Über einen reuigen Sünder gibt es mehr Freude als über 99 Gerechte.
Wir freuen uns, weil es der richtige Weg ist, auf die energetische Gebäudesanierung zu setzen und damit tatsächlich etwas für den Klimaschutz zu tun. Wir alle in
diesem Haus wissen, dass dort die höchsten Einsparpotenziale im Bereich der Energie liegen und wir dort
am meisten gegen den Klimawandel tun können.
({5})
Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es besonders wichtig, dass die Kosten, die dort
entstehen, fair verteilt werden. Es darf nicht passieren,
dass die Mieterinnen und Mieter die Belastungen einseitig tragen müssen. Was Sie planen, läuft darauf hinaus,
dass die Mieterinnen und Mieter die Dummen dieser
Entwicklung sind.
({6})
- Natürlich. Bereits das geltende Recht sieht vor, dass
11 Prozent der Sanierungskosten jedes Jahr auf die
Miete draufgeschlagen werden können.
({7})
Ja, einmalig. Danach setzt sich das jedes Jahr fort, und
zwar unendlich lange.
({8})
- Ja, aber nicht bis alles bezahlt ist, sondern unendlich
lange. Diese Erhöhung bleibt dann. Das ist geltendes
Recht.
({9})
- Ich rede jetzt über das geltende Recht. Die Bundeskanzlerin hat im Herbst gesagt: Das reicht noch nicht,
das müssen wir eventuell noch erhöhen.
Darüber hinaus haben Sie Gesetzgebungsvorschläge
in der Pipeline, die darauf hinauslaufen, die Rechte der
Mieterinnen und Mieter bei der energetischen Sanierung
zu verschlechtern,
({10})
weil Sie nämlich eine Zwangsduldung auferlegen, ohne
Abwehrrechte. Es gibt schon heute Fälle, dass Gebäude
über ein Jahr oder über anderthalb Jahre saniert werden,
was mit enormen Belastungen für die Mieterinnen und
Mieter verbunden ist, wogegen sich diese nicht wehren
können.
({11})
Die einzige Möglichkeit ist die Minderung der Miete.
({12})
- Ich kann Ihnen die Beispiele nennen.
({13})
- Dann lesen Sie einmal, was Sie selber sagen und was
in den Berichten darüber steht.
({14})
Dann werden wir ja sehen. Sagen Sie doch ganz klar: Es
wird keine Änderung am Mietrecht geben.
({15})
Gehen Sie doch nach meiner Rede nach vorne und sagen
Sie: Wir werden keine Verschlechterungen für die Mieterinnen und Mieter vornehmen. Dafür werden wir
Sorge tragen. - Das tun Sie nicht, das haben Sie gerade
selber gesagt.
({16})
Damit wird doch deutlich, wes Geistes Kind Sie sind.
({17})
Was wir brauchen, ist ein Mietspiegel mit einem Vergleich der Mieten mit Bezug auf den energetischen Zustand der Gebäude. Das wäre zum Beispiel eine gute Sache.
({18})
Bei der Beantwortung der Frage, wer mit welchen Anteilen beteiligt wird, brauchen wir eine Regelung, die die
Einsparungen, die sich möglicherweise bei den Nebenkosten ergeben, mit einbezieht.
({19})
- Darüber kann man doch reden. Ich widerspreche damit
gar nicht dem, was in dem Antrag der Grünen steht.
({20})
Sie dürfen auch etwas Richtiges aufschreiben. Ich habe
damit kein Problem.
({21})
Der zentrale Punkt für die SPD ist, dass die energetische Sanierung auf dem Niveau stattfindet, wie es in unserer Regierungszeit und unter unserer Führung des zuständigen Ministeriums der Fall war.
({22})
Ein anderer Punkt ist, dass die Mieterinnen und Mieter vernünftig beteiligt werden, aber das Mietrecht nicht
zulasten der Mieterinnen und Mieter ausgestaltet wird,
so wie es in Ihren Plänen zu lesen ist, und es nicht zu
einseitigen Begünstigungen kommt. Ich meine damit die
Sonder-AfA, die Sie gerade angesprochen haben, werter
Kollege. Anscheinend versuchen Sie, Ihr Steuersenkungsversprechen, das Sie vor der Wahl gemacht haben,
unter dem Deckmantel der energetischen Gebäudesanierung ein bisschen zu erfüllen, nachdem Sie dieses Ziel
vorher so gründlich verfehlt haben. Das ist erst einmal
nicht schlimm. Man muss aber einmal genau hinschauen: Welche Wirkung hat das? Eine Sonder-AfA
kann - das haben wir bei den denkmalgeschützten Gebäuden gesehen - durchaus eine positive Wirkung haben. Was passiert aber noch? Sie sprechen von 1,5 Milliarden Euro und tun so, als würde diese Summe jedes
Jahr zur Verfügung gestellt.
({23})
- Ich beziehe mich auf das, was öffentlich herüberkommt. - Tatsächlich verteilen sich diese 1,5 Milliarden
Euro auf fünf Jahre. Das Ganze wächst entsprechend
noch einmal auf.
({24})
- Klar wächst das in der Folgezeit auf.
({25})
- Ich habe mich lange genug mit Finanzen beschäftigt,
um zu wissen, wie das funktioniert.
({26})
- Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, wenn Sie das
nicht glauben. Dann erkläre ich Ihnen das gründlich.
Was passiert, ist Folgendes: Erstens. Die Einkommensteuer verteilt sich je zur Hälfte auf die Kommunen und
die Länder. Aufgrund Ihrer Regelung fehlen Gelder, zum
Beispiel für die Sanierung des kommunalen Wohnungsbestandes. Dies führt nicht dazu, dass es insgesamt mehr
wird.
({27})
- Nein, ich verwechsele das nicht. Das Aufkommen aus
der Einkommensteuer verteilt sich hälftig auf die Länder
und die Kommunen. Wenn Sie das Geld dort wegnehmen, dann fehlt es. Dann müssen Sie eine Antwort darauf geben, woher dann das Geld kommen soll.
Zweitens. Die Sache mit der AfA ist, dass sie zusätzlich zu den KfW-Mitteln in Anspruch genommen werden kann.
({28})
- Doch, natürlich zusätzlich.
({29})
Das steht aber nicht im Text. Dann erklären Sie es nachher. Da bin ich schon gespannt. Schließen Sie es aus.
({30})
Schließen Sie auch aus, dass zum Beispiel, wie die
Kollegin es angesprochen hat, die vorhandene Steuerersparnis trotzdem auf die Mieter übertragen werden
kann, so wie es bei den KfW-Mitteln der Fall ist? Das
wäre nämlich fair.
({31})
Wenn die Steuerersparnis von den Kosten abgezogen
würde, die man auf die Mieterinnen und Mieter umlegen
kann, würden auch Mieterinnen und Mieter davon profitieren. Diese Forderung ist richtig. Machen Sie das; sagen Sie das. Dann sind wir schnell beieinander.
({32})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir freuen uns, dass
Sie versuchen, vom Holzweg auf den Pfad der Tugend
zurückzukommen. Damit Sie aber nicht die schwarz-gelben Teufelchen bleiben, sondern grüne Klimaengel werden,
({33})
müssen Sie noch ein bisschen nachbessern.
({34})
Das Wort hat jetzt der Kollege Sebastian Körber von
der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Pronold, ich
leiste jetzt einfach einmal ein wenig Aufklärungsarbeit.
({0})
Das eine oder andere davon können Sie ja für Ihre Arbeit
zu Hause im Wahlkreis mit nach Bayern nehmen. Dort
können Sie das Ganze vielleicht ein bisschen richtigstellen.
Ohne die Energieeinsparpotenziale im Gebäudebestand zu mobilisieren und sowohl bei Neubauten als
auch im Gebäudebestand etwas dafür zu tun, ist eine
Energiewende nicht möglich. Darin stimmen wir Ihnen
wohl alle in diesem Saal zu, Frau Kollegin Wagner. Wir
brauchen einen möglichst geringen Energiebedarf; denn
sonst wird es mit der Energiewende nichts werden. Ich
denke, dass wir uns darüber einig sind.
An dieser Stelle danke ich insbesondere der Bundeskanzlerin, die das gestern zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Regierungserklärung gemacht hat. Sie hat
es auf den Punkt gebracht und den entscheidenden Aspekt aufgegriffen. Wir brauchen definitiv eine Gebäudesanierungsoffensive - da sind wir uns einig, denke ich -,
({1})
um insbesondere unsere stillen Reserven im Gebäudebestand zu aktivieren - im Neubau und im Bestand, und
zwar in den Quartieren, in den Städten und in den Gemeinden insgesamt.
Unser gemeinsames Ziel ist es, eine Reduzierung des
Primärenergiebedarfs herbeizuführen. Ich denke, dass
wir auch insoweit d’accord sind, als der Primärenergiebedarf bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduziert
werden muss.
({2})
Ich begrüße in diesem Zusammenhang auch die Empfehlung im Abschlussbericht der Ethik-Kommission der
Bundesregierung - dadurch ist das Ganze auf eine breite
gesellschaftliche Basis gestellt worden - für eine neue
Etappe in der Gebäudesanierung zur Erreichung unserer
Klimaschutzziele.
({3})
Im Gegensatz zur Opposition - jetzt sollten Sie aufmerken, Herr Kollege Pronold - sind wir allerdings der
Auffassung, dass es gerade auch um das eigenverantwortliche und freiwillige Engagement gehen muss.
({4})
Hier müssen wir insbesondere mit finanziellen Mitteln
Anreize setzen. Das ist das Fördern - im Unterschied
zum Fordern. Letzteres sind die Aspekte, die Sie in erster Linie darstellen. Darauf darf ich jetzt noch ein wenig
eingehen. Meiner Auffassung nach und aus Sicht der
Freien Demokratischen Partei sind das Fordern und das
Fördern nämlich nicht ausgewogen. Anders formuliert:
Die Opposition will mit ihren Anträgen die Menschen
zwangsbeglücken.
({5})
Wir als Koalition wollen den Menschen Freiheit und
Anreize geben; Herr Kollege Götz hat das sehr deutlich
zum Ausdruck gebracht.
({6})
- Hören Sie jetzt besser zu, Herr Kollege Pronold.
Die Anträge der Grünen enthalten auch einige Grausamkeiten. So gibt es eine Überforderung der Eigentümer, sowohl der Selbstnutzer als auch der Vermieter,
egal ob privat oder Wohnungsbaugesellschaft. Sie überfordern aber auch die Mieter. Sie überfordern die öffentlichen Haushalte. Wenn man auch einmal zwischen den
Zeilen liest, stellt man fest, dass es um Eingriffe geht,
die ich nicht mittragen kann. Das Ganze kommt nämlich
enteignungsgleichen Eingriffen in das Privateigentum an
Wohnungen und Gebäuden gleich.
({7})
- Das können Sie ja später noch darstellen. Es ist aber
leider Fakt. Ich würde mir auch wünschen, dass es nicht
der Fall wäre.
Im Übrigen wollen Sie ja auch, dass wir unsere EUZiele 2021 sogar übererfüllen. Das ist noch einmal ein
ganz anderer Punkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
letztlich sind das alles nur Schaufensteranträge. Sie können das alles doch umsetzen. Ich nenne nur NordrheinWestfalen
({8})
und Baden-Württemberg. Dort haben Sie mit aufgeblasenen Backen im Wahlkampf erklärt, Sie wollten etwas
für die Energieeffizienz von Gebäuden tun. In Ihrem Koalitionsvertrag steht auch einiges dazu.
({9})
Es ist allerdings nicht mit Finanzmitteln hinterlegt.
({10})
Ich freue mich schon besonders auf die Situation,
wenn wir dann alle zusammen am Bahnhof Stuttgart 21
stehen und gucken, wie energieeffizient dieser gebaut
wird.
({11})
Es ist ja heute auch schon so beschlossen worden.
({12})
Jürgen Trittin und Renate Künast saßen schon 2005
auf der Regierungsbank. Hier kommt auch ein bisschen
die Scheinheiligkeit Ihrer Anträge zum Ausdruck. Sie
saßen damals auf der Regierungsbank.
({13})
Gerade im Kontext der Energiewende hätten Sie schon
damals etwas für die Verbesserung der Energieeffizienz
von Gebäuden tun können, liebe Frau Kollegin
Herlitzius. Sie haben es aber nicht getan. Sie haben
nichts für den Ausbau der Netze und die Steigerung der
Energieeffizienz von Gebäuden getan.
({14})
Sie hätten die Sicherheitsstandards von Atomkraftwerken verbessern können. Das haben Sie nicht gemacht.
Sie haben auch die Speicherkapazitäten nicht ausgebaut.
Dabei kommt zum Ausdruck, wie scheinheilig Ihre
Energiepolitik ist. Das zeigt auch Ihr Schaufensterantrag
zur Energiepolitik.
({15})
Wenn es ein KfW-Sonderprogramm für energiepolitische Scheinheiligkeit geben würde, dann hätten Sie bestimmt den Höchstfördersatz bekommen.
({16})
Unsere Position ist ein glasklarer Gegenentwurf zu
diesen Forderungen nach Zwangssanierungsmaßnahmen
mittels eines verschärften Ordnungsrechts. Die FDPFraktion lehnt eine drastische Verschärfung der Energieeinsparverordnung für bestehende Gebäude ab. Man
muss immer berücksichtigen, was das bedeutet, Herr
Pronold, und zwar für die Mieter wie auch für die Vermieter.
({17})
Eine energetische Gebäudesanierung eines durchschnittlichen Einfamilienhauses kann schnell 50 000 Euro oder
mehr kosten. Das Geld muss man erst einmal haben.
Auch den geplanten Prüfauftrag durch die Hintertür
- auch das bedeutet konkrete Nachrüstungsverpflichtungen bei Bestandsgebäuden - im Rahmen der Energieeinsparungsverordnungsnovelle 2012 sehen wir als FDPParlamentarier mehr als kritisch. Das möchte ich an dieser Stelle deutlich machen. Wir gestalten jetzt auch, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Denn diese
Koalition hat die Mittel für das KfW-Gebäudesanierungsprogramm, das Sie richtigerweise unter SPD-Regentschaft aufgelegt - darin gehen wir völlig d’accord -,
({18})
aber auf drei Jahre befristet haben,
({19})
erstmalig verstetigt. Es war Ihnen anscheinend von Anfang an nicht ganz geheuer, so sehr Sie jetzt auch so tun,
als ob es Ihnen wichtig wäre. Wir haben die Mittel für
das Programm jetzt verstetigt.
({20})
Ich denke, das ist ein entscheidender Bereich.
Die energetische Sanierung von Gebäuden spart in erheblichem Maße CO2, verringert unsere Abhängigkeit
von Gas und Öl und sichert Hunderttausende Arbeitsplätze im mittelständischen Handwerk.
({21})
Allein 2010 wurden bundesweit mit 1,3 Milliarden
Haushaltsmitteln 21,3 Milliarden Euro an Investitionen
angestoßen. Das ist ein Hebelfaktor von 1 : 16. Ich
denke, das sucht seinesgleichen. Genau deshalb bekennen wir uns klar zu der erstmaligen Verstetigung dieser
Mittel, Herr Pronold.
Davon profitieren übrigens alle: die Hausbesitzer,
weil der Wert des Gebäudes steigt; die Mieter, weil Nebenkosten reduziert werden; die Umwelt, weil es gut für
das Klima ist. Darin gehe ich mit Ihnen völlig d’accord.
Die kommenden Generationen - ein Aspekt, der vielleicht gar nicht deutlich zum Ausdruck kommt - profitieren durch Nachhaltigkeit. Auch der Arbeitsmarkt profitiert davon.
Die Koalition stellt auch die Weichen für energetische
Sanierungsmaßnahmen, was steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten angeht. Künftig wird es möglich sein, die
Sanierungskosten über zehn Jahre auf das zu versteuernde Einkommen anrechnen zu lassen. Damit machen
wir deutlich, dass gerade Menschen, die derzeit keinen
besonderen Anreiz haben - es gibt schließlich keinen
Zwang zur energetischen Sanierung -, vor allem ältere
Hauseigentümer, von den Maßnahmen profitieren können.
Wir wollen die Bürger mitnehmen. Wir setzen auf
Anreize anstelle von Zwangsmaßnahmen. Die FDP
schiebt mit Sicherheit jeglichem Versuch, in diesem
Land eine Ökodiktatur einzuführen, einen Riegel vor.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben über mehrere Anträge zur energetischen Gebäudesanierung und zur Städtebauförderung zu
entscheiden, die uns die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die SPD-Fraktion vorgelegt haben. Meine Fraktion findet durchweg alle Anträge gut
({0})
und hat in den Ausschüssen zugestimmt. Wir haben auch
in den Haushaltsberatungen regelmäßig Vorschläge zur
Verbesserung dieser Förderprogramme gemacht. Die
Koalition will die Anträge ablehnen. Das halten wir für
einen Fehler.
({1})
Die Kanzlerin hat gestern gewaltig für eine Energiewende geworben. Es ist gewissermaßen eine Doppelwende: eine Energiewende in der Gesellschaft wie auch
in der CDU/CSU. Wenden kann sie also gut. Heute hätte
die Koalition die Chance, Wort und Tat in Übereinstimmung zu bringen,
({2})
getreu dem Motto „Wir haben verstanden“. Man könnte
auch in Anlehnung an die Lieferfraktion, die meint, jeden Tag bekunden zu müssen: „Wir liefern jetzt“, sagen:
Sie hätten die Chance, hier zu liefern.
({3})
Fakt ist: Sie haben weder verstanden noch liefern Sie.
Man muss sich einmal Folgendes überlegen: So viele gut
funktionierende Förderprogramme hat nun einmal eine
Bundesregierung nicht. Sie haben zu Recht beschrieben,
dass es sich hierbei um exzellente Programme handelt.
Was muss denn eine Regierung treiben, die sich die besten Instrumente der Förderung selbst aus der Hand
schlägt? Das ist doch einfach absurd.
({4})
Dafür hagelt es auch Kritik aus den Kommunen, von
Handwerkern, von Verbänden, von Initiativen, sogar von
Landesministern der Union und der FDP. Auch Sie kennen doch die Briefe. Das Neue an der Kritik ist - das
finde ich bemerkenswert -, dass nicht nur beklagt wird,
dass Geld für Vorhaben fehlt. Die Kritikerinnen und Kritiker sagen inzwischen: Diese Regierung zerstört das
Gemeinwohl und den sozialen Frieden. - Es muss Sie
doch bewegen, wenn Sie Briefe von Bürgermeistern bekommen, die der CSU angehören, und Briefe von Bürgermeistern, die der Linken angehören, die gleichermaßen Ihre schlechte Politik kritisieren.
({5})
Diese Regierung ist offenkundig nicht in der Lage,
ihre Politik aus der Sicht der Betroffenen zu denken. Das
merkt man am Atomausstieg. Sie haben gleich mit den
Energieriesen verabredet, dass diese die Offshoreanlagen, also die Windräder auf hoher See, betreiben. Damit
geht die Abzocke der Verbraucherinnen und Verbraucher
weiter.
Die Linke steht für das Konzept des sozialökologischen Wandels; das sage ich sehr bewusst. Seitdem die
Grünen die reichsten Wähler haben, ist bei ihnen das Soziale etwas unter die Räder gekommen.
({6})
Zum sozialökologischen Wandel gehört für uns mehr
Politik für regionale Energie- und Stoffkreisläufe.
({7})
Dazu gehören auch eigenständige Stadtwerke, die nicht
Eon oder Vattenfall gehören. Schließlich wollen wir
mehr Macht und Geld für zivilgesellschaftliches Engagement und für Kommunen,
({8})
also für die politische Ebene, auf der sich Bürgerinnen
und Bürger noch begegnen und bei Bedarf auch in die
Augen sehen können.
Diesen Ansatz vertreten auch SPD und Bündnis 90/
Die Grünen in ihren Anträgen. Deshalb stimmen wir ihnen zu. Beide Fraktionen sind bekanntlich nicht frei von
Sünden,
({9})
aber diese Anträge sind als erste Schritte auf dem Weg
zur Besserung sehr geeignet.
({10})
Ein Wort möchte ich zu Minister Ramsauer verlieren,
der im Ausschuss auf Anfrage der Linksfraktion Deng
Xiaoping zitiert hat. Das verlangt Erwiderung. Der alte
Deng muss diese Bundesregierung vorausgeahnt haben,
als er 1984 sagte: Wir werden möglicherweise auch in
Zukunft Fehler machen, wir sollten aber erstens große
Fehler vermeiden und zweitens Missstände abstellen, sobald sie entdeckt werden. - Herr Minister Ramsauer,
wenn Sie schon ein solcher Fan von Deng Xiaoping
sind, dann halten Sie sich an seine Weisheit! Korrigieren
Sie Ihre Fehler, und zwar jetzt und heute, und stimmen
Sie den Anträgen zu!
({11})
Ich erteile jetzt dem Kollegen Kai Wegner von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Claus, wenn ich mir Ihr Zitat durch den
Kopf gehen lasse
({0})
und daran denke, wie viel Arbeit der von Ihnen mitgetragene rot-rote Senat in Berlin hätte, um Missstände abzubauen und Fehler einzugestehen, dann muss ich Ihnen
sagen: Sie hätten bis zum 18. September jede Menge zu
tun, lieber Herr Claus.
({1})
Wir beraten heute über Oppositionsanträge, die allesamt das Ziel haben, Energie einzusparen und das Klima
zu schützen. Das freut mich; denn damit unterstützen Sie
voll und ganz den Kurs dieser Bundesregierung.
({2})
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist und bleibt
elementarer Bestandteil nachhaltiger Energiepolitik der
Bundesregierung. Die notwendigen baulichen Investitionen fördern wir, lieber Herr Pronold, mit unterschiedlichsten Programmen. In den vergangenen vier Jahren
wurden pro Jahr 1,5 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zur Verfügung gestellt.
({3})
Das bedeutet konkret: In der Bilanz des Jahres 2010 liegen wir bei den Gesamtausgaben bei weit über 7 Milliarden Euro. Seit 2006 konnten wir mithilfe des CO2-Gebäudesanierungsprogramms Investitionen in Höhe von
74 Milliarden Euro anschieben. Davon wurden 2,4 Millionen Wohnungen energieeffizient saniert und neu gebaut. Damit konnte ein CO2-Ausstoß von rund 4,6 Millionen Tonnen vermieden werden, und es konnten auch
rund 320 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. All diese
Zahlen belegen: Dieses Programm ist richtig und wichtig.
Die Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe, sind beeindruckend, und sie verdeutlichen die Hebelwirkung
dieses Programms. Denn 1 Euro Förderung löst circa
9 Euro private Investitionen aus, und diese gehen etwa
zu 90 Prozent in die lokale Wertschöpfung, in den deutschen Mittelstand, in das Handwerk.
({4})
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir das Handwerk, dass wir die deutsche Bauwirtschaft, dass wir
kleine und mittelständische Unternehmen auch mit diesem Programm unterstützen.
({5})
Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung
dieses Programm fortsetzen wird. Ich begrüße, dass die
Bundesregierung die Mittel für dieses Programm auf
1,5 Milliarden Euro erhöht.
({6})
Das ist gut für den Klimaschutz, das ist gut für nachhaltige Politik, und, wie ich gerade schon sagte, es ist gut
für die wirtschaftliche Entwicklung. Ja, ich begrüße zusätzliche Maßnahmen. Ich begrüße, dass wir jetzt steuerliche Anreize setzen, um noch mehr Hauseigentümer dafür zu gewinnen, sich für energetische Sanierung zu
entscheiden. Ja, ich begrüße auch Möglichkeiten der
steuerlichen Abschreibung. Ich will zusätzlich sagen:
Mit Erfolg wird ein steuerlicher Bonus für Handwerksleistungen gewährt. Ich finde, der erfolgreiche steuerliche Bonus für Handwerksleistungen sollte noch stärker
für die Energiesanierung nutzbar gemacht werden.
Besonders beachtlich erscheint mir in diesem Zusammenhang der Fahrplan der Bundesregierung zur energetischen Sanierung von Bundesbauten. Hier werden wir
als Bund unserer Vorbildfunktion gerecht.
({7})
Ich bitte die Bundesregierung darauf zu achten, hierbei
unsere kleinen und mittelständischen Handwerksbetriebe nicht aus dem Blick zu verlieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP - Florian Pronold [SPD]: Wer hat
denn den Blick verloren? Sie! Sie haben beim
KfW-Programm gekürzt!
Ausschreibungen in diesem Bereich müssen in kleinen
Losen erfolgen, damit auch die lokale Wirtschaft, kleine
und mittelständische Unternehmen, davon profitieren
können.
Das sind einige wichtige Beispiele für das, was wir
mit dem Energiekonzept insgesamt auf den Weg gebracht haben, und für das, was wir noch umsetzen wollen. Das heißt konkret: Wir sind zum Großteil längst bei
dem angekommen, was Sie heute in Ihren Anträgen fordern. Lieber Herr Pronold - Sie schreien immer dazwischen -, ich will Ihnen zurufen: Wir sind in vielen Bereichen viel weiter, als es in Ihren heute hier vorliegenden
Anträgen formuliert ist.
({8})
Lassen Sie mich auch etwas zur Städtebauförderung
sagen. Gerade als Abgeordneter aus Berlin will ich nicht
verhehlen, dass ich die Einsparungen im Rahmen der
Haushaltskonsolidierung bedauere. Ich kenne und
schätze die Arbeit der Akteure vor Ort in diesem Bereich. In meinem Wahlkreis in Berlin-Spandau gibt es
viele Projekte, in denen hervorragende Arbeit geleistet
wird - für die Stadtteile, für die Kieze, für die Menschen
in diesen Bereichen.
({9})
Es bleibt dabei: Die Städtebauförderung ist wichtig im
Sinne der Nachhaltigkeit. Ja, wir müssen die Programme
evaluieren. Ja, wir brauchen noch mehr Effizienz bei
diesen Programmen.
({10})
Ich sage aber auch, dass wir auch im kommenden Jahr
die Städtebauförderung mindestens auf diesjährigem
Niveau fortführen sollten und fortführen müssen.
Meine Damen und Herren, wir haben in der Tat in
dem Bereich Energieeffizienz/Gebäudesanierung viel erreicht.
({11})
Wir haben in diesem Bereich aber auch noch wahnsinnig
viel vor. Mit Sicherheit werden wir bei den parlamentarischen Beratungen über den Haushalt noch die eine oder
andere Gelegenheit haben, darüber zu sprechen und uns
auszutauschen. Ich lade Sie alle ein,
({12})
an der Lösung der klimapolitischen Herausforderungen
teilzuhaben. Gestalten Sie die Zukunft unseres Landes
mit! Sie sehen: Wir handeln, wir reden nicht. Das unterscheidet Regierung und Opposition. Lassen Sie uns den
Weg erfolgreich weitergehen.
Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Sören Bartol.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Minister Ramsauer hat uns am Mittwoch im Ausschuss erklärt, dass die Energiewende der Bundesregierung gar keine Wende ist, sondern die konsequente
Fortsetzung der Politik der Bundesregierung. Die Brücke der Brückentechnologie Atomkraft wird einfach nur
verkürzt, haben wir im Ausschuss gelernt. - Aha!
({0})
Als Bauminister muss er sich ja mit dem Brückenbau
auskennen. Ich hoffe nur, dass das Fundament Ihrer hastigen Energiewende, liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch wirklich trägt.
Minister Ramsauer hat sich dann auch noch - das war
der Höhepunkt - als Leser der Wolke von Gudrun
Pausewang geoutet, der schon immer vor den Gefahren
der Atomkraft gewarnt hat.
({1})
Da frage ich mich: Wo war Herr Ramsauer, als das Kabinett die Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke
beschlossen hat?
({2})
Wo war der Minister, als im Haushalt 2011 die Mittel für
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zusammengekürzt wurden?
({3})
Gestern noch Wiedereinstieg in die Atomkraft, heute
Ausstieg. Gestern Ausstieg aus der energetischen Sanierung, heute Wiedereinstieg. Mal hü, mal hott. Die Regierung hat damit Investoren verunsichert und entscheidende Monate auf dem Weg zu einer nachhaltigen
Energieversorgung verloren. Keine Frage, ich freue
mich, dass Sie doch noch zu der besseren Einsicht gekommen sind, dass der rot-grüne Atomausstiegsbeschluss und die Förderung erneuerbarer Energien richtig
sind. Ich freue mich auch, dass Sie das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wiederbeleben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, die energetische Sanierung von Gebäuden
machte auch schon vor Fukushima Sinn. Energetische
Sanierung ist sinnvoll, weil Gebäude ganz wesentlich
zum Energiesparen beitragen können. Energetische Sanierung ist sinnvoll, weil sie Arbeitsplätze schafft. So
unstrittig diese Erkenntnis in der Fachwelt, in der Wirtschaft und bei den Menschen ist: Schwarz-Gelb hat sie
bisher doch ignoriert.
({4})
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, haben im Haushalt für dieses Jahr die Mittel für
die energetische Gebäudesanierung drastisch zusammengestrichen. Von 2 Milliarden Euro Förderung im
Jahr 2009 ist doch nur noch ein Viertel übrig geblieben.
({5})
Auf Druck von Opposition und Öffentlichkeit haben Sie
500 Millionen Euro draufgelegt. Die stehen jedoch auf
äußerst wackligen Beinen.
({6})
Sie sollten aus Ihrem Energie- und Klimafonds kommen,
der sich aus den Einnahmen aus der Brennelementesteuer speist. Das war auch ohne Ausstieg aus der Atomkraft ein gewagtes Konstrukt, und jetzt ist es doch völlig
obsolet.
({7})
Sechs Monate und leider einen Super-GAU später haben Sie uns 1,5 Milliarden Euro für die Jahre bis 2014
für das KfW-Programm zugesagt. Zusammen mit der
steuerlichen Förderung wollen Sie so eine Sanierungsquote von 2 Prozent erreichen. Das ist immerhin ein
Etappenziel. Aber ich habe meine Zweifel, ob Sie dies
mit Ihren Vorschlägen erreichen. Dafür sehe ich zwei
Gründe: Erstens ist wiederum Ihr Energie- und Klimafonds das Füllhorn, aus dem das Geld für die zinsgünstigen KfW-Kredite kommen soll, wie übrigens auch für
die Elektromobilität und vieles mehr.
Zweitens habe ich auch Zweifel, ob Sie mit dieser Regelung zur steuerlichen Absetzbarkeit die Breite der
Hauseigentümer wirklich erreichen, die in Einfamilienund Zweifamilienhäusern wohnen. Die Anforderungen
an die energetische Sanierung müssen so gesetzt sein,
dass es sich auch einkommensschwächere Eigentümer
leisten können, in Dämmung, effizientere Heizungen
und Warmwasserbereitung zu investieren.
({8})
Ich habe insgesamt Zweifel, ob die Eile der Gesetzgebung der Sache dient.
Ein weiterer Teil Ihres Energiewendepakets, das jetzt
schnell, schnell durch das Parlament soll, ist die vorgezogene Änderung des Baugesetzbuches. In Ihrem Entwurf steht viel Sinnvolles, wie zum Beispiel die Klimaschutzklausel. Im allgemeinen Zuspruch darf aber nicht
untergehen, wie unzulänglich Ihre Politik für die Städte
ist. Ich will zwei Punkte nennen: erstens die Kürzung der
Städtebauförderung und zweitens die Mietrechtsnovelle.
Erstens. Mit der Kürzung der Städtebauförderung ziehen Sie sich aus der Verantwortung für die Entwicklung
der Städte und Gemeinden zurück. Wenn Sie klimagerechte Stadtentwicklung als Ziel des Stadtumbaus ins
Baugesetzbuch aufnehmen, ist das gut. Das ist überhaupt
keine Frage. Aber der Stadtumbau braucht dann auch die
notwendige finanzielle Substanz. Nehmen Sie die Kürzung der Städtebauförderung zurück, meine Damen und
Herren von den Koalitionsfraktionen! Jetzt ist doch der
richtige Zeitpunkt dafür.
({9})
Stocken Sie die Städtebauförderung endlich wieder auf
mindestens 610 Millionen Euro auf!
({10})
Der zweite Punkt. Mit der geplanten Mietrechtsnovelle, lieber Kollege Döring, belasten Sie einseitig die
Mieter mit den Kosten des Klimaschutzes.
({11})
- Natürlich, Herr Döring. Das Recht, die Miete zu mindern, soll doch in Zukunft bei energetischer Sanierung
drei Monate lang nicht gelten. Ist das richtig?
({12})
- Das ist richtig. Gut. - Sie bürden damit den Mietern
diese Kosten gleich zweimal auf: Sie dürfen die Miete
nicht mindern, obwohl ihre Wohnung nur eingeschränkt
bewohnbar ist,
({13})
und sie müssen auch noch die Kosten der Modernisierung über Mieterhöhungen tragen. Die Folgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, sind absehbar: Einkommensschwache Haushalte werden zum Wegzug gezwungen,
und die soziale Spaltung in den Städten wird weiter zunehmen. Das müssen Sie endlich einmal verstehen. LasSören Bartol
sen Sie doch einmal die Finger vom Mietrecht! Es ist
richtig, Investitionshemmnisse für energetische Sanierung abzubauen
({14})
- das ist der richtige Weg -, aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen von Schwarz-Gelb, nicht einseitig zulasten der
Mieter.
({15})
- Natürlich.
Was wir brauchen, ist eine aktive Stadtentwicklungspolitik des Bundes, die Ökonomie, Ökologie und Soziales in Einklang bringt. Wir brauchen eine aktive Stadtentwicklungspolitik, die die Städte dabei unterstützt, die
Herausforderungen des Klimawandels ebenso zu bewältigen wie die des sozialen Zusammenhalts.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, nutzen Sie die Chance, nicht nur Ihren Fehler in der
Energiepolitik wiedergutzumachen und zu dem zurückzukehren, was wir bereits vor zehn Jahren eingeleitet haben, sondern machen Sie das Gleiche auch in der Stadtentwicklungspolitik. Wenn Sie das schaffen, dann
bekommen Sie bestimmt auch Applaus von unserer
Seite.
({16})
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Patrick Döring von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie so oft in Debatten zur Baupolitik wird hier von der
Opposition - ich nehme Frau Wagner ausdrücklich aus überwiegend etwas behauptet, was weder geplant ist
noch in irgendeinem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen ist.
({0})
Wenn wir, wie der Kollege Bartol zu Recht dargestellt
hat, derzeit in der Ausgestaltung des Mietrechts die
größten Hemmnisse für die Umsetzung energetischer
Sanierungen sehen, und zwar insbesondere in den Fällen, wo wir es mit Eigentümergemeinschaften in Mehrfamilienhäusern zu tun haben, dann dürften doch alle
Beteiligten anerkennen und konzedieren, dass Politik auf
dieses Hemmnis eine Antwort geben muss. Die Antwort
lautet: Wir wollen der Verzögerung oder Verhinderung
von Sanierungen und damit der Demotivierung von sanierungswilligen Eigentümern dadurch abhelfen, dass
wir eine Pflicht für die Mieter einführen, solche Sanierungen drei Monate ohne Mietminderungsmöglichkeit
zu dulden.
({1})
Da zugleich durch diese Maßnahmen am Ende die Nebenkosten stark sinken werden - und das kommt ausschließlich dem Mieter zugute -, ist das eine vertretbare
Lösung.
({2})
Lassen Sie uns noch einmal über die Mär sprechen,
die über das KfW-Programm verbreitet wird. Sie haben
ein KfW-Programm auf den Weg gebracht, das befristet
mit Mitteln ausgestattet war. Sie haben entschieden - wir
haben Sie dabei unterstützt -, dass im Jahr der Krise zusätzliche Mittel, die eigentlich für Folgejahre vorgesehen
waren, zur Verfügung gestellt werden, um die Baukonjunktur zu stützen. Das war richtig.
({3})
Man muss sich dann aber, wenn die Krise vorbei ist und
sich das Wirtschaftswachstum auf einem historisch hohen Niveau bewegt, auch eingestehen, dass man nur
noch die verbleibenden Mittel verausgaben kann. Trotzdem ist übrigens die Sanierungsquote nicht zurückgegangen, und trotzdem ist die Baukonjunktur weiter im
Aufwind. Deshalb war es richtig, so zu handeln, wie die
Regierung gehandelt hat.
({4})
Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, zusätzliche
Anreize für eine schnellere Umsetzung energetischer Sanierungsmaßnahmen zu schaffen. Die zusätzlichen Maßnahmen stehen auf zwei Säulen. Die eine ist das Aufwachsen des Gebäudesanierungsprogramms über KfWMittel für diejenigen, bei denen eine Einkommensteuerentlastung wenig Wirkung haben würde, also zum einen
bei den kommunalen Wohnungseigentümern und zum
anderen bei denjenigen Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern, die wenig oder gar keine Einkommensteuer zahlen. Das sind überwiegend Rentnerinnen und
Rentner, aber eben auch Geringverdiener; sie bekommen
ihre Förderung über die KfW-Programme.
Da wir hier alle im Hause wissen, dass der Deutsche
nichts schöner findet, als Steuern zu sparen, wollen wir
darüber hinaus diejenigen, die diese Sanierungsaufgabe
aus eigenen Mitteln, ohne Banken in Anspruch zu nehmen, schultern, mit einer 10-prozentigen Sonderabschreibung entlasten. Das ist der richtige Weg; den geht
diese Koalition.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU Florian Pronold [SPD]: Also nur aus Eigenmitteln?
Jetzt passiert Folgendes, geschätzter Herr Kollege
Pronold - Sie sind ja Finanzpolitiker -: Wenn in jedem
Jahr ein Investitionsvolumen von etwa 1,5 Milliarden
Euro einkommensteuerlich geltend gemacht wird - davon gehen wir aus -, dann wird bei einer Einkommensteuerschuldminderung von 10 Prozent eine Kassenwir13244
kung von 150 Millionen Euro entfaltet. Die 10 Prozent
werden unterschiedlich kassenwirksam; es wächst von
Jahr zu Jahr auf, weil das Volumen insgesamt größer
wird. Das ist der richtige Weg, um die privaten Hausund Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer bei den
Sanierungskosten wirksam zu entlasten. Das ist der Weg,
den wir vorschlagen.
({5})
Ich bin den Oppositionsparteien insofern dankbar,
dass wir heute diese Debatte führen, als wir - auch ich
ganz persönlich - dadurch noch einmal die Gelegenheit
haben, deutlich zu machen, dass wir große Anhänger der
erfolgreichen Städtebauförderprogramme der Bundesrepublik Deutschland sind.
({6})
- Auch ich ganz persönlich, lieber geschätzter Kollege
Bartol. - Trotzdem ist es klug, darüber nachzudenken,
diese Städtebauförderprogramme immer wieder den
neuen Herausforderungen der Städte und Gemeinden anzupassen und sie fortzuentwickeln.
({7})
Nichts anderes haben wir getan.
Herr Kollege Döring, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. Aber wir führen heute
keine steuerpolitische Debatte. - Es gibt jedoch mehr als
eine reine Mittelausstattung. Es gibt vernünftige Programme, in deren Rahmen wir das tun können. Der Kollege Wegner hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass es insbesondere in Berlin bei den
Städtebauförderprogrammen zu erheblichen Zweckentfremdungen kommt. Das wollen wir vermeiden, um die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht zu überfordern. Deshalb haben wir dort nachgeschärft.
({0})
Eine abschließende Bemerkung, liebe Kolleginnen
und Kollegen. Dies ist eine baupolitische Debatte. Deshalb muss sie über den Punkt der Wohn- und Immobilienwirtschaft weit hinausgehen. Ich glaube, es ist ein gutes Signal für Deutschland, dass die badenwürttembergische grün-rote Landesregierung heute entschieden hat, Stuttgart 21 weiterzubauen.
({1})
Hier zeigt sich: Baurecht ist nicht von Wahlterminen abhängig, und das ist gut für Deutschland.
Vielen Dank.
({2})
Herr Döring, wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen?
Danke, nein.
Wollen Sie nicht. - Dann erteile ich dem Kollegen
Florian Pronold das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Döring, ich frage nach, damit wir das auch im
Protokoll stehen haben; denn ich glaube, das ist eine
spannende Frage, die Sie aufgeworfen haben. Sie haben
hier am Rednerpult gesagt, dass diejenigen die 10-mal10-Förderung bekommen, die aus Eigenmitteln sanieren.
Das bedeutet, im Falle einer Kreditfinanzierung gibt es
diese 10-mal-10-Förderung nicht.
({0})
- Gut; das ist nämlich wichtig. Denn wenn die Förderung nur bei einer Sanierung aus Eigenmitteln erfolgt,
finden Sie überhaupt niemanden, der noch saniert.
({1})
Das müssen Sie hier schon richtig darstellen.
Eine entscheidende Frage, die Sie nicht beantwortet
haben, ist: Erfolgt die Förderung parallel zu den KfWMitteln? Bisher ist das so, zum Beispiel bei der SonderAfA.
({2})
Wenn ich eine denkmalgeschützte Immobilie mithilfe eines KfW-Kredits saniere, kann ich trotzdem zehnmal
10 Prozent abschreiben. Wollen Sie das auch im Falle
der energetischen Sanierung, oder wollen Sie das nicht?
Das müssten Sie klar beantworten.
Die zweite Frage ist, ob Sie den Steuervorteil auch
den Mieterinnen und Mietern zugutekommen lassen, wie
wir das auch bei der KfW-Förderung machen. Da darf
nämlich dieser Anteil nicht auf die Mieterinnen und
Mieter umgelegt werden. Sorgen Sie dafür, dass die Mieterinnen und Mieter auch von dem Steuervorteil profitieren; dann werden wir uns gerne auf diese Regelung einlassen.
({3})
Es kommt noch eine zweite Kurzintervention des
Kollegen Stefan Liebich. - Bitte schön. Erst die zweite
Kurzintervention, Herr Döring kann dann beide zusammen beantworten.
Herr Döring, Sie haben eben wie der Kollege Wegner
auf die Politik des Landes Berlin Bezug genommen. Ich
möchte nicht, dass hier Legenden im Raum stehen bleiben. Deshalb möchte ich Sie darüber informieren, dass
das Land Berlin im Bundesrat auf Vorschlag des Wirtschaftssenators Harald Wolf den Antrag gestellt hat, die
Kürzungen bei der Städtebauförderung zurückzunehmen, dass der Bundesrat dem zugestimmt hat und dass
das Problem nicht das Land Berlin ist, sondern die
Mehrheit hier im Deutschen Bundestag.
({0})
Jetzt Kollege Döring zur Erwiderung.
Geschätzter Kollege Liebich, es wird in den Auseinandersetzungen zwischen Bundestag und Bundesrat
immer wieder Punkte geben, bei denen sich der eine
oder andere Partner finanziell über- oder unterfordert
fühlt.
({0})
Aber ich sage auch ganz deutlich: Die Bundesländer haben mindestens genauso starke Konsolidierungsanstrengungen zu leisten wie der Bund. Man kann darüber streiten, ob es nun richtig oder falsch war, an dieser Stelle
einen Teil der Bundesausgaben zu reduzieren, um die
Schuldenbremse zu erreichen. Aber ich nehme auch zur
Kenntnis, dass die Länder und die Kommunen offenbar
so sehr an den Programmen nicht hängen, denn sie hätten den sinkenden Bundesanteil aus eigenen Mitteln jederzeit ausgleichen können.
({1})
Nun zum Kollegen Pronold. Herr Kollege Pronold,
Sie wollen das offenbar bewusst missverstehen, aber
dann will ich es auch bewusst zurückspielen. Natürlich
ist es völlig unerheblich, aus welchen Mitteln derjenige,
der die Sonderabschreibung in Anspruch nehmen will,
seine Sanierung vorgenommen hat. Aber die Erfahrung
zeigt, dass insbesondere diejenigen Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer, die eben nicht mithilfe von
darlehensfinanzierten Maßnahmen Zinsverbilligungen
bei der KfW anstreben, besondere Anreize durch die
steuerliche Förderung bekommen. Aber es wird auch andere Fälle geben. Deshalb ist die steuerliche Förderung
völlig unabhängig von der Geldquelle, aus der die Sanierung bezahlt wird.
Darüber hinaus werden wir selbstverständlich ausschließen, dass es bei den knappen Haushaltsmitteln, die
wir haben, zu der Möglichkeit kommt, KfW-Mittel und
eine steuerliche Vergünstigung in Anspruch zu nehmen.
Wir wollen keine Überförderung. Dass wir diese Überförderung nicht wollen, hat auch der Kollege Götz erwähnt. Das werden wir glasklar im Gesetzentwurf niederlegen. Wir werden dort auch niederlegen, dass wir
diese Sonderabschreibung nicht für Anlagen ermöglichen, die zu EEG-Stromeinspeisevergütungen führen
- Stichwort Dach-PV -, weil auch hier eine Doppelförderung vorläge, die wir in jedem Fall vermeiden wollen.
Was die Umlageidee angeht, bleibe ich ganz hart im
Steuerrecht. Der einkommensteuerliche Vorteil ist die
Sache des Steuerpflichtigen. Wie der dann mit seiner
veränderten Renditeberechnung seine Miete kalkuliert,
ist ihm überlassen, solange wir eine soziale Marktwirtschaft haben.
({2})
Das Wort hat nun die Kollegin Ingrid Remmers von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Seit Wochen diskutieren wir den Ausstieg aus der Atomenergie. Auch wenn die Linke die bisherigen Vorschläge
eher als Herauskriechen denn als Aussteigen bezeichnet,
haben wir hier immerhin Konsens. Nach Fukushima und
langen Diskussionen über unsere künftige Energieversorgung sind wir uns also in einigen Punkten weitestgehend einig. Wir wollen keine unkalkulierbaren Risiken
durch Atomkraft, wir wollen saubere, erneuerbare Energien. Auf dem Weg dorthin müssen wir Energie sparen.
Insofern ist auch die energetische Sanierung des Wohnraums an sich Konsens.
Während wir aber einerseits keine unkalkulierbaren
Risiken durch Atomkraft wollen, ist die Bundesregierung mehr als bereit, in der Sanierungsfrage den Mieterinnen und Mietern unkalkulierbare Kostenerhöhungen
aufzubürden. Das lehnt die Linke ab.
({0})
Tatsache ist, dass die Hausbesitzer einen Anreiz brauchen, eine ökologische Sanierung ihrer Gebäude anzugehen und damit auf lange Sicht zum Wohle aller Energie
zu sparen. Die Bundesregierung ist aber eben nicht bereit, sich an den Kosten ausreichend zu beteiligen. Sie
versucht stattdessen, über die Beschneidung von Mieterrechten - wir haben es hier schon gehört - durch die geplante flankierende Mietrechtsänderung die Kosten für
die energetische Sanierung ausschließlich auf die Mieterinnen und Mieter abzuwälzen. Dazu sagen wir als
Linke: Die Sanierung weiter Teile des Wohnraumbestandes der Bundesrepublik Deutschland ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deren erhebliche Kosten
können eben nicht einseitig getragen werden. Für das
Jahr 2012 - wir haben es eingangs vom Kollegen Götz
gehört - stellt die Regierung 1,5 Milliarden Euro für
zinsvergünstigte Kredite der KfW bereit. Das, Herr Kollege, ist besser als nichts, aber bei weitem nicht ausreichend. Die Deutsche Energie-Agentur rechnet mit einem
Bedarf von mindestens 2 Milliarden, wahrscheinlich
eher 5 Milliarden Euro pro Jahr, um die jährliche Sanierungsrate von 1 auf 2 Prozent steigern zu können. Diese
Rate ist nötig, um sowohl die Klimaziele als auch den
kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien tatsächlich erreichen zu können. Das bedeutet aber, dass die
Förderprogramme - entgegen dem, was Kollege Döring
hier gerade gesagt hat - finanziell erheblich ausgeweitet
werden müssen. Da sind die in Aussicht gestellten zusätzlichen Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro tatsächlich nur eine Beruhigungspille.
Kommen wir zum Mietrecht. Das geplante neue Mietrecht sieht wie auch das bestehende Mietrecht vor, dass
der Vermieter - auch das haben wir hier heute schon gehört - zur Refinanzierung seiner Investition 11 Prozent
der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufschlagen kann; das ist nicht neu. Es soll aber neu geregelt
werden, dass der Mieter im Vorfeld - anders als hier behauptet - der Modernisierung keine Einspruchsmöglichkeit hat; der entsprechende § 554 BGB soll gestrichen
werden.
({1})
Erst nach bereits erfolgter Modernisierung hat der Mieter die Möglichkeit, im Mieterhöhungsverfahren über
die Mieterhöhung zu verhandeln. Da frage ich mich: Wer
hat denn da die besseren Karten in der Hand?
({2})
Die Hemmnisse, Kollege Döring, bei der Sanierung, die
Sie gerade angesprochen haben, wollen Sie in Wahrheit
nur abbauen, um den Großteil der Kosten auf die Mieterinnen und Mieter umzulegen. Sagen Sie wenigstens die
Wahrheit!
({3})
Abgesehen davon sollen die Nachweiskriterien noch
moderater gestaltet werden als bislang.
Die 11-prozentige Mieterhöhung bedeutet für den
Vermieter, dass sich seine Investition nach rund neun
Jahren amortisiert hat.
({4})
Der Wertzuwachs seiner Immobilie wurde dann allein
vom Mieter finanziert, während die nun abgeschriebenen Bauteile je nach Nutzungsdauer weitere 5 bis
75 Jahre genutzt werden können. Das ist schön für den
Vermieter; aber für den Mieter bedeutet die 11-prozentige Umlage - wir haben es berechnet - eine reale Nettomietsteigerung um mehr als 50 Prozent.
({5})
- Dazu komme ich noch. - Damit erreicht die Bundesregierung zunächst einmal, dass ein großer Teil der Mieterinnen und Mieter eine energetische Sanierung ablehnen wird, obwohl sie ein wichtiges Ziel unserer Politik
sein sollte. Damit erreicht sie außerdem, dass viele Mieterinnen und Mieter zum Umzug gezwungen werden, da
die Miete - auch vor dem Hintergrund stagnierender Realeinkommen in den letzten zehn Jahren - für viele Menschen unerschwinglich wird.
Da reicht - bei aller sonstigen Zustimmung - die von
den Grünen vorgeschlagene Reduzierung der Umlage
auf 9 Prozent leider nicht aus. Wir fordern in unserem
eigenen Mietsrechtsantrag, die Umlage der Modernisierungskosten auf 5 Prozent der jährlichen Kaltmiete zu
begrenzen. Die daraus resultierende Mietsteigerung bedeutet für den Mieter, auch unter Berücksichtigung der
zu erwartenden Energiekosteneinsparung, eine Erhöhung der Gesamtkosten, aber eine leistbare. Für den Vermieter hätte das die Konsequenz, dass sich seine Investition statt nach neun erst nach 20 Jahren amortisiert hat,
was aber bei der relativ langen Haltbarkeit von Wohnraum durchaus vertretbar ist. Aber auch in diesem Fall
- bei einer Umlage von 5 Prozent - hat der Mieter die
Wertsteigerung der Immobilie allein bezahlt; dem Vermieter bleibt die Restnutzungsdauer. Es ist gar nicht einzusehen, warum eine Laufzeit von 20 Jahren hier nicht
vertretbar sein soll, während sie bei den KfW-Krediten
für Eigenheime längst gängige Praxis ist.
Als Linke sagen wir: Was Vermieter und Mieter nicht
alleine stemmen können, muss der Staat - nicht etwa als
soziale Wohltat, sondern in seinem eigenen Interesse finanziell abfangen. Maßnahmen der energetischen Sanierung und die Schaffung barrierefreien Wohnraums
müssen für den Vermieter durch einen Rechtsanspruch
auf öffentliche Förderung erleichtert werden. Mein Kollege Roland Claus hat es eben schon ausgeführt: Es müssen die haushalterischen Voraussetzungen für einen auskömmlichen finanziellen Rahmen der Förderprogramme
geschaffen werden. Ziele sind die Verdopplung der
Quote der Sanierungen der Wohnungsbestände gegenüber dem Bestand von 2009 und die Reduzierung des
CO2-Ausstoßes um 80 Prozent bis 2050.
Wir fordern außerdem, dass Maßnahmen der energetischen Sanierung nur dann duldungspflichtig sind, wenn
durch die Maßnahmen für die Mieterinnen und Mieter
selbst keine unzumutbaren Härten entstehen, die Energieeinsparung mindestens den aktuellen Vorgaben der
Energieeinsparverordnung entspricht, die Bundesregierung im Rahmen der öffentlichen Förderung eine kostenlose Mieter- und Energieberatung gewährleistet und
angesichts der sozusagen gesetzlich beschlossenen Mieterhöhung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit eine ersatzlose Räumung der Wohnung nach Kündigung nicht
zulässig ist. Dies sind die Mindeststandards, die erfüllt
sein müssen, um bei der Bevölkerung die nötige Akzeptanz für die energetische Sanierung von Wohnraum zu
erreichen.
({6})
Abschließend sage ich: Wenn ich mir die Gewinne
der drei großen Energieunternehmen ansehe, die - das
haben wir eben auch schon gehört - sich jetzt weigern,
in den Energie- und Klimafonds einzuzahlen, habe ich
eine vage Idee, wie der Bund das Geld für die energetische Sanierung beschaffen könnte.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
es hier noch einmal deutlich zu machen: Die Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, die wir derzeit anstreben, sind nichts anderes als die konsequente
Umsetzung unseres Energiekonzeptes vom Oktober
2010. Die Anträge der Opposition, über die wir heute reden, sind alle später eingegangen. So viel zum Thema,
wer wem nachfolgt.
({0})
Die Erlöse aus der Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, so wie von uns ursprünglich vorgesehen,
sollten vor allen Dingen den Übergang zu einer stärkeren
Nutzung der erneuerbaren Energien finanziell abfedern
helfen.
({1})
Hier ist die Situation jetzt leider anders. Wir stehen vor
neuen Herausforderungen, wenn es darum geht, den
Übergang zu einer stärkeren Nutzung der erneuerbaren
Energien sozialverträglich und finanziell sicher darzustellen.
({2})
Die Haushaltsmittel und vor allen Dingen der Energieund Klimafonds müssen neu geordnet werden.
Unsere ambitionierten Ziele bleiben aber die gleichen: bis 2020 20 Prozent weniger Primärenergieverbrauch, bis 2050 80 Prozent weniger. Dafür brauchen
wir eine Sanierungsrate von 2 Prozent gegenüber
1 Prozent in den letzten Jahren.
({3})
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist dabei das
wesentliche Instrument. Hiermit komme ich zur nächsten Klarstellung. Wäre das Programm, so wie ursprünglich angelegt, 2011 ausgelaufen - eine Fortsetzung war
ursprünglich nicht angedacht -,
({4})
dann hätten noch 850 Millionen Euro zur Verfügung gestanden, weil die Auffüllung des Programms in den Vorjahren durch Vorziehen der Mittel und ungefähr 1 Milliarde
Euro neuer Schulden im Rahmen des Konjunkturpakets
erfolgte. Neue Schulden sind aber - wir alle kennen die
Haushaltslage - auf Dauer nicht verantwortlich.
({5})
Nichts da von wegen Mittelkürzungen! Entsprechend
dem Haushaltsansatz für dieses Jahr stehen 440 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommen 500 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds. Das macht
940 Millionen Euro, die in diesem Jahr zur Verfügung
stehen. Wir wissen aber, dass wir die Sanierungsquote
von 2 Prozent damit nicht erreichen können. Deswegen
wird nun das Programm für Darlehen und Zuschüsse vor
allen Dingen für Kleinverdiener auf 1,5 Milliarden Euro
jährlich für die Jahre von 2012 bis 2014 aufgestockt.
Wenn man die geplanten Sonderabschreibungsmöglichkeiten hinzufügt, kommen wir auf einen Betrag, der über
2 Milliarden Euro liegt. So helfen wir, die von uns angestrebte Sanierungsquote von 2 Prozent pro Jahr sozialverträglich zu schultern.
({6})
Sozialverträglich und sozial vertretbar für alle Akteure
heißt zum einen Fordern im Ordnungsrecht, soweit vertretbar, und es heißt vor allen Dingen Fördern, nämlich
in einem vertretbaren Maß Anreize schaffen.
({7})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch Folgendes sagen: Die wichtigste soziale Komponente in der EnEV ist
aus meiner Sicht das Wirtschaftlichkeitsgebot,
({8})
und zwar im Einzelnachweis für den Nutzer. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit energetischer Maßnahmen in
vertretbaren Zeiträumen hält die Belastungen für die
Wohnungsunternehmen, für kleine Vermieter, für die
Selbstnutzer und nicht zuletzt für die Mieter in Grenzen.
Um die ehrgeizigen Ziele bis 2020 bzw. 2050 zu
erreichen, muss die Umsetzung aus meiner Sicht möglichst einfach und vor allen Dingen in der Breite machbar sein. Die neueste Technologie des Niedrigstenergiehauses ist genauso wichtig wie eine große Zahl von
hocheffizienten Einzelmaßnahmen. Damit die Energieeffizienz in der Breite wirkt, brauchen die Menschen im
Lande, die sanieren wollen, vor allem Planungssicherheit und einfache Lösungen. Im Hinblick auf die Anforderungen ist die EnEV aus unserer Sicht bereits sehr anspruchsvoll. Eine weitere Verschärfung vor allen Dingen
für den Bestand wäre eher kontraproduktiv. Hierzu sind
uns Beispiele aus verschiedenen Ländern bekannt.
Finanzielle Anreize gehören dazu, vor allen Dingen
Zuschüsse, um in die Breite zu gehen, sowie Abschreibungsmöglichkeiten für hocheffektive Einzelmaßnahmen.
Regelungen im Baurecht gehören dazu. Wir arbeiten daran, gerade wenn es um Abstandsflächenverkleinerungen durch Dämmungen geht oder darum, den energieeffizienten Quartierumbau in der Baugenehmigung
besser zu berücksichtigen. Es geht auch um mehr Information, Aufklärung und Fortbildung.
Nicht zuletzt geht es um eine Vorbildwirkung. Die öffentliche Hand trägt eine besondere Verantwortung,
wenn es um die Reduzierung des Energieverbrauches
geht. Die Fraktion der CDU/CSU und sicherlich auch
die Fraktion der FDP unterstützen die Bundesregierung
ausdrücklich darin, dass Bundesbauten hier eine Vorbildfunktion erfüllen.
({9})
An dieser Stelle bitten wir die Länder und Kommunen,
in ihren Bereichen in ähnlicher Weise zu verfahren.
Volkmar Vogel ({10})
Lassen Sie mich einen Ausblick in die Zukunft wagen. Wir werden im Rahmen unseres Energiekonzeptes
einen Sanierungsfahrplan erarbeiten, der den Zeitraum
von 2020 bis 2050 berücksichtigt. Wir beginnen bereits
in diesem Jahr, neue Potenziale erschließen. Dazu gehört
aus meiner Sicht die energetische Städtebausanierung,
vor allem in den Innenstädten und in den dicht besiedelten Räumen. Ein weiterer Aspekt ist aus meiner Sicht
auch die Frage der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit wird
im Baubereich in den nächsten Jahrzehnten eine größere
Rolle spielen als bisher. Es geht um die Betrachtung des
Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus. Es geht außerdem darum, die Baustoffe, die Bautechnologien und
die Wiederverwertbarkeit von Bauteilen in die Planung
einzubeziehen.
Wir befinden uns in einem Bereich, über den wir an
anderer Stelle sicherlich noch reden müssen. Es geht um
die ganzheitliche Betrachtung des Bauwerks angesichts
der zu erwartenden demografischen Veränderungen und
der sich immer wieder ändernden Nutzungsgewohnheiten derjenigen, die in diesen Häusern wohnen.
Mit diesem Ausblick, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich schließen. Sie sehen, dass wir mit kurz-,
mittel- und langfristigen Maßnahmen den Akteuren am
Markt, die sie umsetzen müssen, Planungssicherheit geben. Denn nur in der Breite wird es gelingen, die anspruchsvollen Ziele zu erreichen.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat der Kollege Michael Groß von der SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute wurden schon große Worte gefunden. Die FDP setzt auf
Freiheit und in den Programmen auf Anreize. Im Unterschied dazu sind für die SPD drei Dinge wichtig: Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Das müssen wir auch
in den Programmen umsetzen.
({0})
Wir haben in den letzten Tagen erlebt, dass wir eine
zweite Energiewende hinter uns bringen. Wir haben in
den letzten Monaten erlebt, dass Sie nicht prioritär auf
die Gebäudesanierung gesetzt haben. Sie haben nämlich
die Programmmittel gekürzt und sie erst nach großem
öffentlichen Druck wieder auf den Stand erhöht, den Sie
heute mehrfach erwähnt haben. Diese Reaktion ist also
nicht Ihrer Erkenntnis geschuldet, vielmehr hat Sie erst
die große politische Diskussion nach dem Nuklearunfall
in Japan dazu gebracht, hier zu handeln.
Immerhin sind wir uns zurzeit einig, dass die energetische Sanierung dazu beitragen muss, den Klimaschutz
zu verbessern und damit das 2-Grad-Ziel zu erreichen.
Nachhaltigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, den
Energie- und Ressourcenverbrauch massiv zu reduzieren. Die finanziellen Mittel sind begrenzt und müssen effizient eingesetzt werden. Ich glaube, auch darüber sind
wir einer Meinung. Dazu gehört auch - Herr Körber, ich
bin Ihnen dankbar, dass Sie schon darauf eingegangen
sind -, dass eine umfassende CO2-Gebäudesanierung
nicht losgelöst betrachtet werden kann. Wir benötigen
einen umfassenden Blick auf die Stadt. Ein energetisch
saniertes Haus muss für den Besitzer und für den Mieter
nachhaltig bewohnbar sein, das heißt bezahlbar, umweltschonend, barrierearm und altersgerecht. Teure und aufwendige Zweitsanierungen sollten vermieden werden.
({1})
Nachhaltigkeit gilt aber auch für den effizienten Mitteleinsatz hinsichtlich der Stadtentwicklung. Es gilt,
quartiersbezogene Maßnahmen für die Energiebereitstellung aus regenerativen Energien zu berücksichtigen.
Attraktive Städte und Gemeinden sind klimafreundlich, barrierearm und sozial. Dieser Dreiklang fehlt bei
Ihnen. Sie haben das Programm „Soziale Stadt“ vor die
Wand gefahren. Sie sind dabei, die Mittel zurückzufahren, sodass die Kommunen nicht mehr handlungsfähig
sein werden.
({2})
Wir müssen jetzt sehr schnell und intensiv in den Sanierungsfahrplan einsteigen. Dabei sind eine erfolgreiche Motivation der Eigentümer und Vermieter, aber eben
auch die Akzeptanz der Mieter wichtig. Eine qualifizierte und unabhängige Beratung vor Ort ist dazu ein
wichtiger Schlüssel; Sie gehen darauf ein. Wir werden
sehen, wie Sie das umsetzen.
Dem Gebäudeeigentümer muss eine langfristige und
passgenaue energetische Perspektive aufgezeigt werden.
Einer der Gründe, warum das bisher nicht funktioniert
hat - das wurde schon mehrfach dargestellt -, ist das Hin
und Her bei der finanziellen Ausstattung und Ihre inkonsequente Haltung gegenüber dem Programm. Die Akteure Eigentümer, Handwerk und Gewerbe brauchen
langfristige und verlässliche Förderprogramme. Nur so
können diese am Markt wirksam werden, qualifizierte
Arbeitsplätze in Handwerk und Mittelstand aufgebaut
und Kapazitäten in der Industrie vorgehalten werden.
Eine Verstetigung der Mittel von mindestens 2 Milliarden Euro im Haushalt ist die einhellige Forderung aller
Experten und meiner Fraktion.
Um die Klimaschutzziele zu erreichen und die Sanierungsquote zu erfüllen, müssen wir jeden Hausbesitzer
einbinden. In der Realität sieht es zurzeit anders aus. Einige Wohnquartiere sind in der Hand von Investoren, die
ihre Wohnungen verkommen lassen. Wie wollen Sie den
Teil der Immobilienbesitzer erreichen, die sich nicht verantwortlich fühlen, die weder Schimmel beseitigen noch
Heizungen regelmäßig warten und kein Interesse an einem geringen Energieverbrauch haben? Auch die
Gruppe der finanzschwachen Hausbesitzer wird von der
Bundesregierung nicht genügend berücksichtigt; denn
diese werden die steuerlichen Vergünstigungen und
selbst verbesserte Kreditbedingungen kaum in Anspruch
nehmen.
CO2-Gebäudesanierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Mieter, Vermieter und Staat, bei der der Mieter
einen besonderen Schutz braucht. Bei dem Konzept der
Bundesregierung ist zu befürchten, dass die Mieter die
Kosten der energetischen Sanierung im Gebäudebestand
in Zukunft noch mehr und in unverhältnismäßiger Weise
schultern müssen, und zwar unabhängig davon, ob sie
Energie einsparen werden. Sanierungskosten und steigende Energiepreise führen zu einer erhöhten Belastung.
Es ist zu verhindern, dass die Warmmietenbelastung
nach einer CO2-Sanierung steigt, weil die Heizkostenersparnis die höheren Investitionskosten nicht in einem
überschaubaren Zeitraum kompensiert.
Die Bundesregierung kommt den Vermietern über
Steueranreize und Mietrecht mehr entgegen als den Mietern. Fakt ist doch: Wenn ein Vermieter das Modell der
Steueranreize wählt, kann er nach § 559 BGB dennoch
die kompletten Investitionskosten auf den Mieter überwälzen. Wir müssen eine annähernde Warmmietenneutralität erreichen, insbesondere für Normalverdiener und
Haushalte knapp über der Wohngeldgrenze. Viele Mieter
in unserem Land können nicht einmal eine Mehrbelastung von wenigen Cent verkraften. Vor diesem Hintergrund muss der Heizkostenzuschuss wieder eingeführt
werden. Wir müssen verhindern, dass steigende Kosten
der Unterkunft die Kommunen zukünftig zusätzlich belasten und die finanzielle Handlungsfähigkeit weiter einschränken.
Mit den vorgelegten Gesetzentwürfen bietet die Bundesregierung zwar zahlreiche ordnungspolitische Veränderungen, doch der sozialpolitische Ansatz, die Einbeziehung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung von
Demografie bis zur Finanzsituation der Länder und
Kommunen wird schlicht und ergreifend ausgeblendet.
Wir müssen verhindern, dass die vom Präsidenten des
Mieterbundes geäußerte Befürchtung Realität wird:
„Gute Wohnungen nur noch für Reiche“ darf es nicht geben.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Holmeier von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Andere sprechen über die Energieeffizienz im Gebäudebereich, die christlich-liberale Koalition handelt, und
zwar mit Augenmaß, bürgerfreundlich und vor allem
verantwortungsbewusst mit Blick auf die nachfolgenden
Generationen. Die hier zur Debatte stehenden Anträge
der Opposition lassen diese Punkte nicht erkennen. Sie
sind zum Teil weltfremd und gehen an der Realität vorbei.
({0})
Aus meiner Sicht müssen sich die Maßnahmen zur
Steigerung der Energieeffizienz an drei wesentlichen
Kriterien orientieren und diese erfüllen. Sie müssen
durch den Bundeshaushalt finanzierbar sein. Sie dürfen
die Menschen nicht überfordern; das heißt, die Standards
dürfen nicht zu hoch sein. Die Maßnahmen müssen so
angelegt sein, dass sich die Häuslebauer die Modernisierung leisten können.
Wir haben es im letzten Jahr in äußerst schwierigen
Haushaltszeiten geschafft, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und auch die Städtebauförderung erfolgreich
fortzuführen. Dies war und dies ist ein Riesenerfolg.
Diese Bundesregierung hat es im Interesse der nachfolgenden Generationen geschafft, ein historisch einmaliges und umfassendes Konsolidierungsprogramm aufzulegen. Das hatte natürlich Einschnitte bei der Förderung
der energetischen Gebäudesanierung zur Folge. Anscheinend ist hier einiges an Ihnen von der Opposition
vorbeigegangen.
Weiterhin scheinen Sie auch auszublenden, dass die
christlich-liberale Bundesregierung im vergangenen
Herbst ein ebenfalls historisch einmaliges Energiekonzept vorgelegt hat.
({1})
- Das machen wir zurzeit. - Darin haben wir die enorme
Bedeutung der energetischen Gebäudesanierung betont.
Wir haben schon damals festgeschrieben, Programme
zur Steigerung der Gebäudeeffizienz, etwa das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, fortzuführen und die Mittel
aufzustocken. Wie Sie vor diesem Hintergrund auf den
Gedanken kommen, meine sehr verehrten Damen und
Herren von der Opposition, es sei unklar, ob 2012 überhaupt Mittel für dieses Programm bereitstehen, ist mir
schleierhaft.
Auch hatten wir bereits im Herbst des letzten Jahres
angekündigt, steuerliche Anreize zur Förderung der
energetischen Sanierung zu prüfen. Mit dem jetzigen
Energiepaket kommen wir unserer Verantwortung nach.
Wir handeln und setzen unsere Verantwortung nun in die
Tat um. Die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm stocken wir auf jährlich 1,5 Milliarden Euro auf.
Hinzu kommen mit der Änderung des Einkommensteuergesetzes steuerliche Anreize zur energetischen Gebäudesanierung. Damit setzen wir Akzente und kommen
zugleich der langjährigen Forderung der Bauwirtschaft
nach.
Bei all unseren berechtigten Anstrengungen zur energetischen Gebäudesanierung dürfen wir eines nicht vergessen: Wir müssen die Bürgerinnen und die Bürger mitnehmen.
({2})
Das sollten sich auch die Damen und Herren von der Opposition zu Herzen nehmen und die Menschen nicht mit
ihren überambitionierten Zielen überfordern.
({3})
Wir dürfen die Hausbesitzer nicht zu etwas zwingen,
was sie nicht wollen oder, besser gesagt, sich nicht leisten können. Es darf daher keine Verpflichtung der Hausbesitzer zur Sanierung geben. Diese Entscheidung sollten die Menschen schon selbst treffen dürfen.
({4})
Letztlich ist es nämlich ihr Geld, das sie für die Sanierung einsetzen.
({5})
Wir müssen die Bürger in kleinen Schritten an die Sanierung heranführen, zum Beispiel durch die Förderung
von Einzelmaßnahmen. Genau das tun wir. Wir fördern
auch kleine Sanierungsmaßnahmen, durch die KfW-Programme oder alternativ durch steuerliche Anreize. Damit beweisen wir Verantwortungsbewusstsein und Bürgersinn. Wenn diese Maßnahmen noch durch gezielte
Beratungsangebote für die Bürgerinnen und Bürger vor
Ort ergänzt werden, dann - da bin ich mir sicher - sind
wir auf dem richtigen Weg. Wir müssen die Menschen
auf dem Weg zur Schaffung eines klimafreundlichen Gebäudebestandes mitnehmen und begleiten. Dann werden
wir auch ihre Zustimmung hierfür erhalten und Akzeptanz erreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserem Energiepaket setzen wir Maßstäbe. Ich lade alle Oppositionsfraktionen ein, uns auf unserem - richtigen Weg zu begleiten und zu folgen.
Einen herzlichen Dank.
({6})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Dirk Fischer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind uns darin einig, dass die Energiewende eine der
größten technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen in unserer Geschichte ist.
({0})
Deswegen war es gut und richtig, dass die Bundesregierung bereits im vergangenen Herbst ein Energiekonzept
entwickelt und beschlossen hat.
({1})
Die strategische Grundausrichtung des Umstiegs auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz für eine sichere, umweltschonende und wettbewerbsfähige Energieversorgung bleibt völlig unverändert.
Der entscheidende Antreiber für den Umbau unserer
Energieversorgung bleibt der Klimaschutz. Die Diskussionen über unsere Energieversorgung konzentrieren
sich meist nur auf den Bereich Strom und insbesondere
auf die Stromerzeugung aus Kernenergie. Dabei besteht
ein großer Handlungsbedarf bei der Sanierung von Gebäuden.
Fest steht: Ohne eine deutliche Reduzierung des
Energieverbrauchs im Gebäudebereich wird Deutschland seine ehrgeizigen Klimaziele nicht erreichen können. Deswegen wollen wir eine Steigerung der jährlichen Sanierungsrate auf 2 Prozent. Heute entfallen auf
die Beheizung von Gebäuden und die Warmwasserbereitung etwa 40 Prozent unseres Energieverbrauches. Der
Anteil des Gebäudebereiches an den CO2-Emissionen
beträgt 20 Prozent.
Der Gebäudebestand in Deutschland beläuft sich auf
19,5 Millionen Gebäude, rund 18 Millionen davon sind
Wohngebäude. 75 Prozent des Gebäudebestandes wurden vor 1979 mit oft schlechter energetischer Qualität
errichtet. Das ist der Altbaubestand. Hier müssen wir ansetzen. Das wichtigste Instrument der Bundesregierung
für die Energieeinsparung und den Klimaschutz im Gebäudebereich war bisher das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, und das muss es nach meiner Überzeugung
auch in der Zukunft über einen sehr, sehr langen Zeitraum bleiben.
({2})
Der Kollege Kai Wegner hat das ja schon aufgezählt,
und ich bekräftige das: Von 2006, als Angela Merkel
Bundeskanzlerin wurde, bis März 2011 wurde die energieeffiziente Sanierung von fast 2,5 Millionen Wohnungen und Investitionen von fast 80 Milliarden Euro unterstützt.
({3})
Hierdurch ergaben sich Einspareffekte. Der CO2-Ausstoß wurde jährlich um 4,7 Millionen Tonnen reduziert.
Zugleich wurden durch Investitionen bisher jährlich bis
zu 340 000 Arbeitsplätze im Mittelstand geschaffen bzw.
gesichert. Das ist bei Lichte besehen das größte Förderprogramm für das deutsche Handwerk in unserer Geschichte. Darüber freuen wir uns ganz besonders.
({4})
- Herr Kollege Pronold, auch wenn man heute mit sehr
gespreizter Selbstgerechtigkeit hier auftritt, kann man
nicht ganz ausblenden,
({5})
dass es unter Rot-Grün ein Vorläuferprogramm mit einem sehr viel geringeren Volumen gegeben hat,
Dirk Fischer ({6})
({7})
das völlig wirkungslos geblieben ist, weil es unattraktiv
war.
({8})
Deswegen meine ich, sollten wir uns doch gemeinsam
darüber freuen, was seit 2006 in ganz anderer Weise erreicht worden ist. Hier müssen wir auch hartnäckig dranbleiben.
({9})
Mit den Beschlüssen der Bundesregierung und der
Koalitionsfraktionen wurden für die Förderperspektive
ab 2012 entscheidende Weichenstellungen vorgenommen. Wie schon gesagt: Wir setzen auch in der Zukunft
mit Zuschüssen und mit zinsvergünstigten Darlehen auf
die Fortführung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms, und wir ergänzen das jetzt klugerweise durch
steuerliche Anreize. Für jede Situation des Hauseigentümers wird damit ein passgenauer Investitionsanreiz geschaffen. So muss man vorgehen, wenn man erfolgreich
sein will.
({10})
Ich sage: Angesichts steigender Energiepreise - auch
durch die Energiewende - freue ich mich darüber, dass
die Mieter davon bei ihrer Heizkostenabrechnung wahrscheinlich profitieren werden. Das ist für die breite
Masse unserer Bürger und Bürgerinnen von entscheidender Bedeutung.
Wir bewahren die Hauseigentümer vor Sanierungszwängen und werden mit dem angekündigten Sanierungsfahrplan aufzeigen, dass die Ziele auch ohne Gängelung der Hauseigentümer oder gar wilde Mietsprünge
erreichbar sind. Dadurch grenzt sich diese Koalition von
CDU/CSU und FDP ganz entscheidend von den Überlegungen der politischen Wettbewerber ab - nicht zuletzt
von den Grünen.
({11})
Frau Kollegin, viele Ihrer Forderungen im Antragstext sind aus den Konzepten der Bundesregierung abgeschrieben. Ich vermeide das unpopuläre Wort „Plagiat“.
({12})
Das dient nur als Tarnung und offenbar gehaltvolle Anreicherung von weniger gehaltvollen Forderungen der
grünen Fantasiewerkstatt, die man dort auch findet.
Ihr Antragstext ist gespickt mit Ansätzen von
Zwangssanierungen und einer Überforderung der Hauseigentümer in Deutschland.
({13})
Sie wollen die energetischen Anforderungen an Bestandsgebäude drastisch erhöhen. Damit werden Investitionen für viele Hauseigentümer unfinanzierbar.
Ich denke in diesem Zusammenhang - der Kollege
Götz hat vorhin einiges dazu gesagt - an folgendes Beispiel: Eine Witwe hat ein Eigenheim, in dem sie ihr ganzes Leben lang mit ihrem Mann und ihrer Familie gelebt
hat. Und dann schlagen Sie mit diesem Instrument zu.
({14})
Sie kann sich in dieser Situation überhaupt nicht helfen.
Sie ist überfordert und hilflos.
({15})
- Sie kann nicht, selbst wenn sie wollte. Das wollen wir
unter keinen Umständen.
({16})
Sie wollen offenbar Kontrollen verschärfen und die
teure Bürokratie ausbauen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie von dem Aufbau einer Energiepolizei
träumen und die Nutzungspflichten für erneuerbare
Energien im Wärmebereich ausweiten wollen.
({17})
Dabei erwähnen Sie noch nicht einmal den Wirtschaftlichkeitsaspekt.
({18})
Die Grünen wollen schlichtweg die Hauseigentümer zur
Geisel ihrer Politik machen. Ich kann nur sagen: Gott bewahre uns, Bürger wehrt euch!
({19})
Wir dagegen wollen Hauseigentümer motivieren, setzen auf freiwillige Entscheidungen und unterstützen
diese Entscheidungen durch Förderung.
({20})
Von 2012 bis 2014 sollen die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf jährlich 1,5 Milliarden
Euro erhöht werden. Außerdem werden steuerliche Anreize geschaffen. Künftig können zehn Jahre lang
10 Prozent der Kosten für die energetische Sanierung
steuerlich geltend gemacht werden. Das ist ein Volumen
von weiteren 1,5 Milliarden Euro in der vollen Jahreswirkung. Bei der steuerlichen Förderung wird sich ganz
entscheidend zeigen, wie ernst es auch die Opposition
mit der Förderung nimmt.
({21})
Dirk Fischer ({22})
Anhand des Stimmverhaltens der von Rot und Grün geführten Bundesländer im Bundesrat wird sich zeigen, ob
die Opposition bereit ist, diese Förderung in Kraft zu setzen. Sie müssen an dieser Stelle eindeutig Farbe bekennen.
({23})
Ich komme zum Schluss. Bei allen gebäudebezogenen Maßnahmen ist auf dem Weg zur Energiewende Folgendes wichtig: Wohnen muss bezahlbar bleiben. Mit
Fordern und Fördern erreicht man viel mehr als mit
Zwang und Kontrollwahn. Nur so, verehrte Kolleginnen
und Kollegen, ist eine breite Akzeptanz der beschleunigten Energiewende seitens unserer Bürgerinnen und Bürger möglich. Und daran wollen wir arbeiten.
({24})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5778 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 29 b. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/4835. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2346
mit dem Titel „Angekündigte Mittelkürzung beim CO2Gebäudesanierungsprogramm zurücknehmen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktionen der SPD und der Linken bei
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2395 mit
dem Titel „CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortführen - Mit energetischer Sanierung Konjunktur ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und Klima schützen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Linken und der Grünen bei Enthaltung der
SPD-Fraktion angenommen.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2923 mit dem Titel „Heizkostenkomponente beim Wohngeld erhalten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2396 mit dem Titel „Lebensqualität und Investitionssicherheit in unseren Städten durch Rettung der
Städtebauförderung sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutschland und Polen - Verantwortung aus
der Geschichte, Zukunft und Europa
- Drucksache 17/6145 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Karl-Georg Wellmann von
der CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor
20 Jahren haben wir mit Polen einen Freundschaftsvertrag geschlossen, der für das deutsch-polnische Verhältnis gut und wichtig war. Wir sind in diesen 20 Jahren
weit gekommen. Das zeigt der Vertragstext selbst. Nach
dem schrecklichen 20. Jahrhundert war Art. 5 wichtig;
denn dort steht, dass wir uns weder bedrohen noch übereinander herfallen wollen.
Die heute 20-jährigen Deutschen oder Polen fragen
uns verwundert, warum das in diesem Vertrag steht. Sie
fragen uns das, weil die Vorstellung von Gewaltanwendung für sie genauso absurd klingt, wie es das für uns
damals in Bezug auf das Verhältnis zu Frankreich geklungen hätte. Ich sage ausdrücklich: Es ist ein gutes
Zeichen, wenn man bei der Gewaltanwendung zwischen
Deutschen und Polen eher an die Herbeirufung eines
Nervenarztes als an eine reale Möglichkeit denkt. Die
Vorstellung einer gewaltsamen militärischen Auseinandersetzung im deutsch-polnischen Verhältnis ist absurd
geworden.
Wir haben Gott sei Dank nicht deshalb ein gutes Verhältnis, weil es den Vertrag gibt - so gut und wichtig er
ist -, sondern wir haben aus zwei Gründen ein gutes Verhältnis:
Erstens. Wir Deutsche haben aus der Katastrophe von
Krieg und Naziherrschaft die Konsequenzen gezogen
und uns fest in das transatlantische Verhältnis einbezogen. Außerdem war die europäische Einigung eines unserer wichtigsten außenpolitischen Ziele, und Polen ist
jetzt wie wir Teil des transatlantischen europäischen
Bündnisses.
Zweitens. Wir haben, wie es schon in der Präambel
des alten Vertrages heißt, eine jahrhundertelange, gute
Geschichte, und Polen und Deutsche könnten von einer
engen Zusammenarbeit unendlich profitieren.
Fußball ist für uns Deutsche fast das Wichtigste,
({0})
trotz des mauen Spiels in Baku am Dienstag. Aber bei
aller Begeisterung für die Podolskis, Trochowskis und
Kloses: Das deutsch-polnische Verhältnis bezieht sich
auf sehr viel mehr als auf die polnischstämmigen Fußballspieler oder die vielen Polen, die vor vielen hundert
Jahren wegen eines Arbeitsplatzes zu uns ins Ruhrgebiet
kamen.
({1})
Es gab über die Jahrhunderte eine enge symbiotische
Beziehung. Die Dönhoffs dienten ganz selbstverständlich wechselseitig dem preußischen König und dem polnischen König. Hier in Berlin saßen die Raczynskis,
Potockis und Lichnowsky im preußischen Herrenhaus.
Ab 1871 saßen im Abgeordnetenhaus hier im Reichstag
auch polnische Abgeordnete.
Anfang des 19. Jahrhunderts sprach ein Drittel der
Einwohner Preußens polnisch, weshalb man in Berlin
schon 1797 mit polnischem Sprachunterricht begonnen
hat. Man war damals ganz schön weit. Die Namen sind
heute noch überall zu finden. Schlagen Sie im Abgeordnetenhandbuch nach. Dort sind sie zu finden: die
Kaczmareks, Luczaks, Malczaks, Pawelskis,
Schipanskis, Wawzyniaks, Wieczoreks und andere mehr.
Herr Kollege Wieland, an dieser Stelle sei Ihr alter
Freund Klaus Landowsky nicht zu vergessen.
({2})
Auch das ist ein polnischer Name.
({3})
1981 im ersten Kabinett des alten Weizsäckers waren
Rastemborski und Wronski Senatoren.
Niemals können wir vergessen, was dann im ausgehenden 19. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert kam: erst
der Nationalismus, dann die Pest des Nationalsozialismus und der deutsche Angriffskrieg mit Millionen toter
Polen, Millionen toter polnischer und nicht polnischer
Juden, von den weiteren Millionen Toten gar nicht zu
sprechen.
Auch heute treibt es einem die Schamesröte ins
Gesicht, wenn man sieht, was die Deutschen in Polen angerichtet haben. Allerdings schämt man sich auch angesichts der Einmarschpläne, die Honecker 1981 ausarbeiten ließ, um gemeinsam mit der Roten Armee in Polen
zu intervenieren und dort die Demokratiebewegung niederzuschlagen. Dazu ist es Gott sei Dank nicht gekommen. Aber das wäre dann das zweite Mal nach 1939 gewesen. Da haben Sie von der Linkspartei, Herr Liebich,
noch viel aufzuarbeiten.
({4})
- Als SED-Nachfolgepartei hätten Sie das bitter nötig;
das darf ich Ihnen einmal sagen.
({5})
- Ja, genau. Honecker war der Parteivorsitzende. Kollege Wieland, ich danke für den Hinweis.
({6})
Der heutige Beschluss trifft wichtige Aussagen. Erstmals wird die in der NS-Zeit enteignete und verfolgte
polnische Minderheit genannt und geehrt. Das betrifft
vor allen Dingen diejenigen, die wegen ihrer Tätigkeit
für diese Minderheit ins KZ kamen und ermordet wurden. Das sind weit über 1 000. Es war überfällig, dass
wir diese Opfer ehren.
({7})
Der Deutsche Bundestag spricht sich dafür aus, die
Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten der polnischen
Bürger zu stärken. Wir bekräftigen die Rechte zur Stärkung der sprachlichen und kulturellen Identität. Ich
möchte ausdrücklich sagen: Damit stellen wir klar, dass
es keine Behinderung des Polentums in Deutschland
gibt. Solche Behauptungen gab es gelegentlich - parteipolitisch motiviert - in Polen. Ich würde mich sehr
freuen, wenn das nun endlich aufhörte und nicht die
Schlachten von vorvorgestern geschlagen würden.
Polen - das steht in diesem Beschlusstext - ist ein
Partner, mit dem wir eng und auf Augenhöhe zusammenarbeiten wollen, vor allem in den Bereichen der Außen- und Europapolitik, Finanz-, Währungs- und Wirtschaftspolitik, Sicherheitspolitik und Energiepolitik, um
nur einige zu nennen. Polen ist ein konstruktives und integrierendes Element der Europäischen Union geworden. Sie übernehmen in drei Wochen die Ratspräsidentschaft, für die sie ein sehr gutes Programm vorgelegt
haben und bei dessen Umsetzung wir, das deutsche Parlament und die Bundesregierung, sie mit aller Kraft unterstützen wollen.
Diesen Beschluss haben wir von der Koalition gemeinsam mit Sozialdemokraten und Grünen erarbeitet.
Ich danke Ihnen, Frau Staatsministerin Pieper, für die
sehr angenehme und konstruktive Zusammenarbeit,
ebenso Herrn Dr. Bergner. Ich danke den Kollegen
Nietan und Sarrazin von den Sozialdemokraten und den
Grünen. Ich danke auch ausdrücklich der Gruppe der
Vertriebenen für ihre konstruktive Mitarbeit. Dieser Beschluss ist auch der Beschluss der Gruppe der Vertriebenen. Ich bedanke mich sehr herzlich, lieber Klaus
Brähmig, für diese Zusammenarbeit.
({8})
Ich hoffe, dass eine breite Öffentlichkeit in Polen dies so
wahrnimmt.
Mit diesem Beschluss beschreiben wir den Erfolg der
letzten 20 Jahre im deutsch-polnischen Verhältnis. Mit
ihm wollen wir aber auch ein neues Kapitel der deutschpolnischen Nachbarschaft aufschlagen. Wir freuen uns
auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit in den kommenden 20 Jahren.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dietmar Nietan von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man in Warschau durch das Museum
des Warschauer Aufstands geht und sich die Exponate
anschaut, sich mit den Ton- und Filmdokumenten beschäftigt und die einzelnen Geschichten von mutigen
Menschen liest, die sich bis in den Tod hinein ihre
Würde bewahrt haben, dann kann man ermessen, was
die Bürgerinnen und Bürger in Warschau und die Armia
Krajowa, stellvertretend für das ganze polnische Volk,
zwischen dem 1. August und dem 3. Oktober 1944 geleistet haben.
Man kann ermessen, wie schwer es war, dass sich dort
eine Kulturnation selbst in barbarischster Unterdrückung
ihre Würde in geradezu vorbildhafter Weise bewahrt hat.
Es wurde nicht nur ein Kampf geführt, den man am Ende
- wir alle wissen, warum - nicht gewinnen konnte. Es
wurde in dieser Zeit Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit,
Kultur, Musik gelebt, und zwar im wahrsten Sinne des
Wortes im Untergrund.
Einer der letzten Funksprüche der Armia Krajowa,
die aufgefangen wurden, endete mit den Worten:
Ein Volk, in dem solche Tapferkeit lebt, ist unsterblich. Denn jene, die starben, haben gesiegt, und
jene, die leben, werden weiterkämpfen, …
Genau 46 Jahre später, am 3. Oktober 1990, auf den
Tag genau 46 Jahre, nachdem der Warschauer Aufstand
zu Ende gegangen war, konnten wir die deutsche Einheit
feiern.
Das konnten wir nicht zuletzt auch deshalb tun, weil
das richtig war, was in diesem letzten Funkspruch stand:
„… und jene, die leben, werden weiterkämpfen, …“.
Das haben sie getan, die polnischen Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer. Sie haben es getan, bis 1989
der Eiserne Vorhang gefallen ist und endgültig auch in
diesem Bereich Europas die Freiheit einziehen konnte.
Es ist für mich schon etwas ganz Besonderes, dass
ausgerechnet das Volk, welches unermesslich unter deutscher Barbarei gelitten hat, ausgerechnet das polnische
Volk, einen so herausragenden Beitrag geleistet hat, damit die Deutschen ihre Einheit wiederfinden konnten,
damit der Mut der Bürgerinnen und Bürger in der ehemaligen DDR wachsen konnte und am Ende auch dieses
Regime friedlich hinwegfegen konnte.
Es nötigt einem allen Respekt ab, mit welcher Chuzpe
unsere polnischen Freunde das getan haben - ohne Blutvergießen, indem sie sich mutig und kaltschnäuzig mit
ihrem Unterdrücker, General Jaruzelski, an einen Tisch
gesetzt und das Regime einfach wegverhandelt haben.
Ich will an dieser Stelle stellvertretend für die Tausenden von mutigen Polinnen und Polen zwei nennen, nämlich Papst Johannes Paul II. und Lech Walesa.
Im Juni 1979 hat Papst Johannes Paul II. davon gesprochen, dass es unverrückbar eine geistige Einheit
zwischen West- und Osteuropa gibt. Damit hat er sicherlich auch die Einheit der Christinnen und Christen in
Europa gemeint. Er hat aber ganz klar das Signal gesetzt:
Polen gehört zur freien Welt.
Es war eine unendliche Ermutigung für die Menschen
in der Solidarnosc, die das entscheidende Wort gefunden
haben, um Freiheit zu erlangen: Solidarität. Sie konnten
das tun, weil die Angst vor dem Regime weg war und
weil all die Mechanismen des Regimes, sich mit der Verbreitung von Angst an der Macht zu halten, nichts mehr
halfen.
Einer dieser Mechanismen, die vonseiten der polnischen Kommunisten verwendet wurden, war, die Angst
vor Deutschland weiter als Machtinstrument zu nutzen.
Es ist schon aller Ehren wert - das möchte ich an dieser Stelle sagen -, dass 20 Jahre nach dem Ende des
Warschauer Aufstands 16 mutige junge Menschen aus
der DDR zusammen mit Lothar Kreyssig den Versuch
gestartet haben, nach Polen zu reisen, um dort Versöhnungsarbeit zu leisten.
1964 hat man ihnen an der sogenannten Friedensgrenze den Grenzübertritt verweigert - mit dem Hinweis, dass wir doch sozialistische Brüder und Schwestern seien und dass es nichts mehr gebe, worüber man
sich mit den Freundinnen und Freunden in der Volksrepublik Polen versöhnen müsse.
1965 ist diese Gruppe dann doch nach Polen gekommen, weil ihre Mitglieder nicht als Gruppe, sondern einzeln über verschiedene Grenzübergänge nach Polen
eingereist sind, um dann aber als Gruppe dort Versöhnungsarbeit zu leisten.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland änderte sich
etwas. So wuchs die Zahl der Menschen, die erkannten,
dass es unabdingbar ist, die Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen, um letztlich die Freiheit in Europa zu erreichen.
Der Kniefall von Willy Brandt am 7. Dezember 1970
und wenig später am selben Tag die Unterschrift unter
den Warschauer Vertrag waren ein entscheidender Punkt,
weil dies den Machthabern in Polen das Machtinstrument der Angst vor den Deutschen aus der Hand geschlagen hat.
Es ist vielleicht bedauerlich - oder lediglich der
menschlichen Natur geschuldet -, dass zu dieser großen
Tat auch die Ambivalenz gehört, dass Willy Brandt nicht
die große Chance genutzt hat, Lech Walesa zu treffen,
als er 1985 in Polen war.
Aber vielleicht müssen wir diese Ambivalenz in unseren Beziehungen aushalten. Denn einer der großen Europäer Deutschlands, Helmut Kohl, der sich um die Einheit
Deutschlands und Europas verdient gemacht hat, sah
sich nicht in der Lage, seine Unterschrift unter den
Grenzvertrag zu setzen. Das musste Hans-Dietrich
Genscher machen. Es ist vielleicht auch eine Posse der
Geschichte, dass damit auch nicht der damalige polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki, der erste
Demokrat nach dem Krieg, die Unterschrift leisten
konnte.
Wir sehen also: Die Ambivalenzen gibt es auf allen
Seiten des politischen Spektrums. Vielleicht sollten wir
daraus lernen, dass wir die Ambivalenzen nicht einseitig
ausnutzen und mit den Fingern auf die Fehler des jeweils
anderen zeigen, sondern das gesamte Tun der Menschen
würdigen. Das heißt für mich auch, dass wir die Geschichte nicht missbrauchen dürfen.
Es gibt leider auf deutscher und polnischer Seite immer noch Menschen, die angeblich der Wahrheit der Geschichte Genugtuung verschaffen wollen, sie aber in
Wirklichkeit für eigene machtpolitische Spielchen missbrauchen. Deshalb bin ich sehr froh über unseren gemeinsamen Antrag. Ich möchte den Dank gerne an den
Kollegen Wellmann, die Kollegin Pieper und die Kollegen Bergner und Sarrazin weitergeben. Es war ein Vergnügen, mit Ihnen gemeinsam an diesem Antrag zu arbeiten. Dass er mit diesen Inhalten zustande gekommen
ist, zeigt, dass wir uns in entscheidenden Punkten einig
sind. Ich glaube, das deutsch-polnische Verhältnis ist für
uns alle von entscheidender Bedeutung.
Ich möchte ausdrücklich auf einen Punkt hinweisen
- er ist bereits angesprochen worden -, der für die Menschen in Polen wichtig ist, nämlich dass es in unserem
Verhältnis Symmetrie gibt, wie Sie es nennen. In Art. 20
des Nachbarschaftsvertrags können wir nachlesen, dass
wir in Polen und in Deutschland Minderheitenrechte garantieren. Darin heißt es, dass die Vertragsparteien die
Rechte und Verpflichtungen des internationalen Standards für Minderheiten auf beiden Seiten verwirklichen
wollen.
An dieser Stelle haben wir gegenüber den Menschen
polnischer Abstammung in Deutschland noch ein wenig
Nachholbedarf. Denn zu den Verpflichtungen gehört
auch, das zu fördern, was die Identität der polnischstämmigen Menschen und die Muttersprache festigt, und ihnen Mitwirkungsrechte zu ermöglichen.
Wir müssen aber auch all denjenigen in Polen eine
Absage erteilen, die Symmetrie sozusagen mit dem Rechenschieber schaffen wollen und sich jetzt an der Frage
festklammern, ob es einen Minderheitenstatus geben
soll. Es geht hier nicht um Statusfragen. Es geht auch
nicht um die Frage, ob wir, wem auch immer, noch
300 Millionen oder 400 Millionen Euro zu zahlen hätten. Es geht vielmehr darum, dass wir uns auf gleicher
Augenhöhe begegnen und mit Interesse und Wertschätzung behandeln. Das macht man nicht mit dem Rechenschieber an irgendwelchen Millionenbeträgen oder Statusfragen fest, sondern an konkreten gemeinsamen
Projekten. Darauf geht der Antrag ein. Das sollten unsere polnischen Freunde richtig verstehen.
Jetzt, im Jahr 2011, ist es unsere gemeinsame Aufgabe, für Polen und Deutsche aus unserer gemeinsamen
Geschichte heraus etwas gemeinsam zu unterstützen, das
uns, glaube ich, besonders am Herzen liegt, nämlich die
Vollendung der Einheit Europas. Ein vereintes Europa in
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gibt es noch nicht.
Es ist gut, dass uns unsere polnischen Freunde mit bestimmten Sichtweisen und Empfindlichkeiten begegnen
und vielleicht auch manchmal, wie man so sagt, etwas
nerven. Denn sie weisen auf etwas hin, das wir insbesondere im Westen allzu schnell vergessen. Im Jahr 2004
gab es nicht einfach eine technische Erweiterung der Europäischen Union. Im Jahr 2004 sind wir der Wiedervereinigung Europas einen großen Schritt nähergekommen.
Seit dem Jahr 2004 gibt es eine neue Europäische Union.
Ich würde mir deshalb wünschen, dass manch einer
von denen, die sehr schnell über das urteilen, was Polen
gut macht oder nicht, darüber nachdenkt, wie uns Teile
Mittel- und Osteuropas wieder mit ihrer Kultur, Geschichte und auch mit ihrer anderen politischen Identität,
die durch 40 Jahre kommunistischer Gewaltherrschaft
geprägt wurde, bereichern, auch wenn das vielleicht
manchmal anstrengend ist.
Ich würde mir wünschen, dass wir erkennen, dass wir
vielleicht für die Vereinigung Europas in Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität Polen mehr brauchen
als die Polen uns. In diesem Sinne, so glaube ich, weist
dieser Antrag in die richtige Richtung. Wir alle sollten
gemeinsam in den nächsten Jahren daran arbeiten, dass
das, was wir dort beschrieben haben, ein Stückchen
mehr Wirklichkeit wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper.
({0})
Danke. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Der 17. Juni ist ein symbolträchtiger
Tag. Wie sich der 17. Juni 1953 ins Gedächtnis der Deutschen als Tag des Aufstands gegen ein totalitäres Re13256
gime eingeprägt hat, so wurde der 17. Juni 1991 durch
eine glückliche historische Fügung zum Tag der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags. Ohne die Freiheitsbewegung der Solidarnosc,
ohne den Freiheitswillen des polnischen Volkes wäre
dieser Tag nicht möglich gewesen. So verbinden sich mit
diesem Datum die Freiheit des polnischen und des deutschen Volkes in Freundschaft und Partnerschaft sehr eng
miteinander.
Ohne Zweifel, der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag ist eine wichtige Grundlage unserer Beziehung
zu Polen in einem freien Europa. Er ist ein zentrales Element der deutschen Außenpolitik geworden - und im
Übrigen auch eine große Erfolgsgeschichte. Der ehemalige polnische Außenminister und Mitunterzeichner des
Vertrages, Krzysztof Skubiszewski, hatte recht, als er
formulierte:
Eine gute polnisch-deutsche Nachbarschaft stellt einen Grundpfeiler der gemeinsamen Bemühungen
um die europäische Einheit dar.
Um klarzusehen, genügt oftmals der Wechsel der
Blickrichtung. Wir haben in der deutschen Europa- und
Außenpolitik viele Jahrzehnte unseren Blick sehr stark
auf den Westen fokussiert. Ich wage, zu behaupten: Die
Zukunft Europas liegt im Osten. Heute sind wir und
Polen Freunde und Partner, wir sind in Europa partnerschaftlich vereint. Es war von Anfang an die junge Generation, die Europa gewollt hat, um nach den Schrecken
des Zweiten Weltkriegs eine neue und friedliche Zukunft
zu gestalten. Es waren Visionäre und Enthusiasten, und
sie hatten Erfolg. Diesen europäischen Kontext denken
wir stets mit, wenn wir den Blick auf die künftige
deutsch-polnische Zusammenarbeit richten. Adam
Krzeminski, der polnische Historiker und Journalist, hat
zu Recht diese deutsch-polnische Zusammenarbeit als
einen Testfall für Europa bezeichnet. Diesen Test immer
wieder neu zu bestehen, muss unser Ziel sein. Dabei wissen wir um die besondere Verantwortung, die wir im
Verhältnis zu Polen tragen. Die Aussöhnung mit Polen
ist uns heute genauso wie zuvor mit Frankreich gelungen. Wir als Koalition haben in den Koalitionsvertrag
bewusst hineingeschrieben, dass wir die polnischen Beziehungen auf gleicher Augenhöhe mit den französischen Beziehungen sehen wollen.
Wenn wir auf die letzten 20 Jahre zurückschauen,
dann sehen wir, dass unzählige Menschen, Vereine und
Institutionen enorm viel für die Verbesserung und Stabilisierung der deutsch-polnischen Beziehungen geleistet
haben. Das freut mich insbesondere als für die Zivilgesellschaften zuständige Beauftragte für die deutsch-polnischen Beziehungen. Wir haben gerade auf der
zwischengesellschaftlichen Ebene im Bereich der kulturellen und regionalen Zusammenarbeit eine Normalität
erreicht, die wir uns vor 20 Jahren nicht hätten erträumen können. Die deutsch-polnische Versöhnung, getragen vom europäischen Gedanken, hat das Leben gerade
vieler junger Menschen in neue Bahnen gelenkt. Es ist
erst wenig mehr als 20 Jahre her, dass für viele von uns
heute alltägliche Dinge nicht selbstverständlich waren.
Die Welt vieler Europäer, von Beton und Stacheldraht
begrenzt, war ziemlich klein. Die Freiheiten waren rar
und die Feindbilder klar umrissen. Heute studieren junge
Deutsche und Polen gemeinsam in Paris, London, Warschau oder Berlin und finden dies völlig normal.
Lassen Sie mich nur einige wenige Projekte herausstellen. Wie mit unseren französischen Nachbarn pflegen
wir mit Polen einen regen Schüler- und Jugendaustausch. Auch das Deutsch-Polnische Jugendwerk feiert
ein 20-jähriges Jubiläum. Die Europa-Universität Viadrina - Ihnen allen bekannt - hat im Hochschul- und
Wissenschaftsbereich Pionierarbeit geleistet und die
Zwillingsstadt Frankfurt ({0})/Slubice zu einem Symbol deutsch-polnischer Zusammenarbeit im europäischen Geiste gemacht.
Im vorpommerischen Löcknitz arbeitet das DeutschPolnische Gymnasium äußerst erfolgreich und ermöglicht seinen Absolventen einen unschätzbaren Startvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Das Deutsche Polen-Institut
in Darmstadt, dessen 30-jähriges Bestehen der Bundespräsident und der polnische Staatspräsident im vergangenen November persönlich gewürdigt haben, hat
ebenso wie die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit durch unermüdliches Engagement viel zur
Entstehung eines authentischen und sympathischen Bildes des Nachbarn beigetragen. Ich könnte die Liste fortsetzen.
Das alles zeigt doch, dass wir auch in den deutschpolnischen Beziehungen zur Normalität gekommen sind
und dass wir die Hürden überwinden werden, die noch
vor uns liegen; das hat Herr Nietan vollkommen zu
Recht gesagt. Herr Wellmann, wir müssen den Nachbarschaftsvertrag neu mit Leben erfüllen. Die polnischstämmigen Deutschen, die Polen, die hier leben, haben ein
Recht auf die Pflege ihrer Sprache und Kultur. Da können und da müssen wir in Deutschland mehr tun. Ich
freue mich sehr, dass es gelungen ist, ein gemeinsames
deutsch-polnisches Geschichtsbuch zu schreiben. Es
wird Ende nächsten Jahres in den Schulen in Polen und
in Deutschland zum Einsatz kommen. Es gehört zu einer
lebendigen Geschichte, zu einer lebendigen Beziehung,
dass wir uns in der Bildung ergänzen.
Meine Damen und Herren, Polen wird in den kommenden Monaten weitere Herausforderungen bestehen
müssen. In der Tat, ab Juli kommt die EU-Ratspräsidentschaft auf Polen zu. Diese Präsidentschaft ist mit großen
Aufgaben verbunden. Denken Sie an den Umbruch in
den Ländern des Maghreb und des Nahen Ostens. Denken Sie an das Projekt „Östliche Partnerschaft“ oder an
die Klimaverhandlungen in Durban. Ich bin sicher, das
alles wird hervorragend gelingen, weil wir gemeinsam
große europäische Projekte verfolgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Antrag, der
auf fraktionsübergreifendem Konsens beruht, ist ein
wichtiges Signal. Ich darf mich ausdrücklich bei allen
bedanken, die daran mitgearbeitet haben: bei Herrn
Wellmann, beim Vorstandsvorsitzenden der DeutschPolnischen Gesellschaft, also bei Herrn Nietan, bei
Herrn Sarrazin, bei Herrn Stinner, bei Herrn Bergner,
also bei meinem Kollegen Staatssekretär, der es bei der
Ausarbeitung der gemeinsamen Erklärung, die am
21. Juni 2011 bei einer gemeinsamen deutsch-polnischen Kabinettssitzung unterzeichnet werden soll,
manchmal nicht so einfach hat.
Ich darf mich auch bei den Vertriebenen bedanken,
bei Herrn Brähmig. Denn sie haben etwas Wichtiges getan: Sie haben unter Beweis gestellt, dass wir in den
deutsch-polnischen Beziehungen von nun an verstärkt in
die Zukunft blicken können. Ich glaube, die Zukunft ist
das, worauf es jetzt in Polen und in Deutschland für ein
gemeinsames starkes Europa ankommt. Ich wünsche uns
weiterhin gute Ideen. Halten wir es bitte mit den Worten
von Neil Armstrong, der einmal gesagt hat:
Große Gedanken brauchen nicht nur Flügel, sondern auch ein Fahrgestell zum Landen.
Lassen Sie uns in diesem Sinne weitermachen.
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege Stefan Liebich hat für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Grenzvertrag, der Vertrag über gute Nachbarschaft
und freundschaftliche Zusammenarbeit, ist seit 20 Jahren Grundlage für die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen. Ja, die Unterzeichnung ist ein Ereignis von historischer Bedeutung.
Ich finde es richtig, dies durch die Debatte hier zu unterstreichen.
Allerdings wäre es sicherlich auch möglich gewesen
- das kann ich Ihnen nicht ersparen -, gemeinsame Positionen zu formulieren. Auf unseren Beitrag haben Sie
wegen der Albernheiten der CDU/CSU wieder verzichtet. Wie üblich haben sich SPD und Bündnis 90/Die
Grünen darauf eingelassen. Dabei hätten wir durchaus
einiges einzubringen gehabt. Das werde ich jetzt natürlich mündlich nachholen.
Ich denke zum Beispiel an das Thema Oder-Partnerschaft. Seit 2006 arbeiten die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen mit den
westpolnischen Woiwodschaften Großpolen, Westpommern, Niederschlesien und Lubuskie unter dem Motto
„Grenzen trennen - Die Oder verbindet“ zusammen. Das
Ziel ist der Aufbau eines leistungsfähigen Regionalverbundes diesseits und jenseits der Oder für infrastrukturelle
und politische Vernetzung, für einen kooperierenden dynamischen Wirtschaftsraum. Der Wirtschaftssenator
Harald Wolf aus Berlin und der Wirtschaftsminister Ralf
Christoffers aus Brandenburg - Sie ahnen es, beide Mitglieder unserer Partei Die Linke - sind hierbei aktive
Motoren. Das ist zukunftsorientierte deutsch-polnische
Zusammenarbeit.
({0})
Sie haben uns durch Ihre Ausgrenzung natürlich auch
zur Kritik eingeladen. Dem komme ich gern nach. Ich
möchte hier auf Herrn Wellmann Bezug nehmen.
({1})
Herr Wellmann, Sie haben mich ja wegen Erich
Honecker und der SED angesprochen. Ich war tatsächlich nicht in der SED, und das hat - das gebe ich zu - nur
Altersgründe.
({2})
Aber Sie haben natürlich in der Sache völlig recht. Natürlich war es falsch und unrecht, dass der Warschauer
Vertrag die Solidarnosc-Bewegung bedroht hat, und es
ist völlig richtig, das hier zu erwähnen.
({3})
- Wenn Sie nicht so schreien würden, würden Sie meine
inhaltlichen Positionen dazu auch verstehen.
({4})
Zum Zweiten. Der Kollege Nietan hat auf die Ambivalenzen der Geschichte hingewiesen. Da kann ich es Ihnen von der CDU/CSU natürlich nicht ersparen, auf die
eigenen Ambivalenzen in der deutsch-polnischen Geschichte zu schauen. Sie haben versäumt, in Ihrem Antrag zu erwähnen, dass es die DDR war, die im Görlitzer
Vertrag von 1950 ihre Staatsgrenze zu Polen anerkannt
hat und dass das damals im Deutschen Bundestag von allen Parteien, außer der KPD, heftig kritisiert wurde.
({5})
Sie haben ignoriert, dass die Regierung Adenauer die
Rechtmäßigkeit des Vertrags stets in Abrede gestellt hat.
Ich darf zitieren:
Wir können uns daher unter keinen Umständen mit
einer von Sowjetrußland und Polen später einseitig
vorgenommenen Abtrennung dieser Gebiete abfinden … Wir werden nicht aufhören, in einem geordneten Rechtsgang unsere Ansprüche auf diese Gebiete weiterzuverfolgen.
CDU und CSU sind sogar noch dabei geblieben, als
die Regierung Brandt/Scheel 1970 im Warschauer Vertrag den Status quo und damit die Oder-Neiße-Grenze
faktisch anerkannt hat. Ich halte dies - das will ich der
SPD auch sagen - für die größte außenpolitische Leistung der SPD im 20. Jahrhundert.
Aber wir müssen gar nicht so weit zurückschauen. Es
geht ja heute um den 20. Jahrestag. Schauen wir 20 Jahre
zurück, Herr Wellmann. Der polnische Ministerpräsident
Mazowiecki hat in einem Schreiben vom 31. Januar
1990 von Kanzler Kohl eine Grenzgarantie verlangt. Er
hat sie nicht bekommen. Helmut Kohl lag Europa sehr
am Herzen, aber er hatte große Schwierigkeiten in Ihrer
Fraktion, in Ihrer Partei. 23 Abgeordnete Ihrer Partei,
darunter Erika Steinbach und der heutige Bundesverkehrsminister, haben dem Vertrag damals nicht zugestimmt, weil sie die berechtigten Anliegen der deutschen
Heimatvertriebenen nicht geregelt sahen, weil sie die
ökonomische Regelung von offen gebliebenen Eigentums- und Vermögensfragen vermisst haben. Damals, in
der sensiblen Phase der deutschen Vereinigung, Rechnungen zu schreiben, statt an Versöhnung und gute
Nachbarschaft zu denken, darauf musste man erst einmal
kommen. Unsere Partei, die PDS, hat ihm damals aus
tiefer innerer Überzeugung geschlossen zugestimmt.
Deshalb, finde ich, ist heute auch ein guter Anlass, an
diesen Vertrag zu erinnern. Aber Sie dürfen dabei Ihre
eigene Geschichte nicht ausblenden.
({6})
Ich denke, dass wir auch noch einiges zu tun haben,
was die Zukunft betrifft. Es gibt nach wie vor Entschädigungsforderungen von Polinnen und Polen, ehemaligen
Opfern deutscher Besatzung. Hier können wir etwas machen. Mich stört schon etwas, dass Sie mit diesem gemeinsamen Antrag von Rot-Grün und Schwarz-Gelb beschließen lassen wollen:
Heimatvertriebene haben sich bei der Pflege des gemeinsamen kulturellen Erbes engagiert und Kontakte nach Polen geknüpft.
({7})
Zweifellos haben sie das, natürlich, aber nicht nur
das.
({8})
Da müssen wir auch nicht so weit zurückschauen. Es
war Anfang dieser Legislaturperiode. Schwarz-Gelb
hatte kaum die Rolle der Vertriebenen im Stiftungsrat
„Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ aufgewertet, um die
Mitgliedschaft von Frau Steinbach zu verhindern, da bedankte sie sich mit einer Beleidigung des polnischen Regierungsberaters Bartoszewski und sinnierte über die
Mobilmachung der Polen 1939 vor dem deutschen Überfall.
Ich glaube auch, das sind Punkte, die nach wie vor
das Misstrauen vieler Polinnen und Polen begründen.
Hier liegt eine Ursache dafür, dass die Polen die Garanten für ihre Sicherheit eher in den Vereinigten Staaten als
in Europa sehen. Ich sehe das durchaus kritisch: Stichwort „altes Europa“, eine Diskussion, die wir alle vor ein
paar Jahren zur Kenntnis nehmen mussten.
Ich möchte nach vorn schauen.
Kollege Liebich, achten Sie bitte auf das Signal.
Ich komme zum Schluss. - Frau Staatsministerin
Pieper hat es ja gesagt: Die gute Nachbarschaft existiert
bereits neben den Tischreden, neben den Verträgen. Es
gibt polnische Diskotheken im Ruhrgebiet, es gibt Kunst
und Kultur aus Polen hier in Berlin, Touristen besuchen
einander. Darauf können wir aufbauen. Die polnische
Minderheit in Deutschland, die deutsche Minderheit in
Polen können dafür Brücke sein. Das funktioniert. Ihren
Antrag braucht dafür allerdings kein Mensch.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Sarrazin das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
sehr froh, dass wir diesen Antrag gemeinsam einbringen.
({0})
Ich möchte mich auch bei allen Vorgenannten bedanken.
Ich denke, diesen Streit sollten wir nicht zu sehr vertiefen, aber lassen Sie mich doch eines dazu sagen: Es ist
richtig, dass, wie Kollege Nietan schon angesprochen
hat, zum Teil auch die Politik Westdeutschlands - vor allen Dingen in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg in Polen dazu genutzt werden konnte, mit der Angst gegenüber Deutschland zu spielen und diese für eine Politik zu instrumentalisieren, die auch viele Menschen in
Polen nicht wollten. Es ist aber auch richtig, dass viele
Polen genauso Angst vor der DDR hatten, in der viele
Soldaten stationiert waren und die auch der völkerrechtliche Grund für die Stationierung der sowjetischen Armee in Polen war. Ich glaube, dass das zur historischen
Wahrheit dazugehört.
Den heutigen Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen wird man ohne den Freundschaftsvertrag von
1991 nicht verstehen. Oft haben viele von uns das Gefühl, dass die deutsch-polnische Freundschaft angekommen sei, angekommen vielleicht in so etwas wie einem
Verhältnis von: „Für eure und für unsere Freiheit“. Ich
bin der festen Überzeugung - lassen Sie mich das zuerst
sagen -, dass auch regelmäßige Rufe von Ewiggestrigen,
ganz egal von welcher Seite, nicht in der Lage sein werden, dieses Selbstverständnis kaputt zu machen.
({1})
Der Freundschaftsvertrag war ein Meilenstein, auf
den andere folgen konnten. Ich persönlich möchte hier
folgende Meilensteine nennen:
An erster Stelle stand der NATO-Beitritt, der NATOBeitritt, der die feste Bindung Polens an Europa und an
das transatlantische Bündnis bedeutet und der zu einem
Teil die historische Schuld Deutschlands aus dem StalinHitler-Pakt auflösen konnte.
Dann war es für mich bewegend, als ich 2003 am Tag
des Referendums im Rahmen eines Schulaustauschs in
Stettin war. Ich konnte sehen, wie die Menschen in die
Schule, die wir besuchten, strömten, um für den EU-Beitritt zu stimmen. Dieser wurde mit einer Mehrheit angenommen, wobei wir in Deutschland immer unterstellen,
es gäbe sie in Europa nicht für Europa.
Auch der Beitritt zu Schengen II und die Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai dieses Jahres stellen, wie
ich glaube, große Meilensteine dar.
Gedenken und Geschichte sind in dieser Freundschaft
so wichtig. Es gibt so viele schreckliche Verbrechen, die
gerade von Deutschland ausgegangen sind und in Polen
und an Polen und Polinnen begangen wurden. Wir beschließen im Antrag Wegweisendes - darauf haben die
Kolleginnen und Kollegen schon hingewiesen - auch zu
diesem Bereich mit der Anerkennung der Verbrechen gegenüber der polnischen Minderheit während des NS-Regimes in Deutschland.
Ich möchte meine Zeit aber auch dazu nutzen, zu sagen: Was ist besonders an dieser deutsch-polnischen
Freundschaft? Für mich als deutschen Staatsbürger und
deutschen Abgeordneten etwas Besonderes an dieser
Freundschaft ist Polen, dessen Geschichte gerade heute
Ansporn für Moral und europäischen Geist ist. Mut, Tapferkeit, europäische Gesinnung, die man in der Geschichte Polens findet, können wir heute bei den Entscheidungen, die anstehen, gebrauchen. Den Mut, den
Adam Michnik aus der Gefängnishaft formuliert hat für
die Freiheit, den können wir gebrauchen, wenn wir, wie
von Frau Staatsministerin Pieper schon angesprochen,
über die Herausforderungen auch in der unmittelbaren
Nachbarschaft reden.
({2})
So sehr die deutsch-polnische Freundschaft schon angekommen ist, so sehr stehen wir manchmal noch am
Anfang. Wir stehen zum Beispiel bei der Förderung der
polnischen Sprache am Anfang. Hier haben wir noch
viel zu tun, auch institutionell. Wir stehen auch am Anfang bei der Einsicht, dass es immer noch ganz viele verschiedene Perspektiven auf die gemeinsame Geschichte
gibt, die Verständnis füreinander erfordern. Wir stehen
aber vor allem am Anfang in dem Bemühen, im Sinne
des Freundschaftsvertrages die Geschicke der EU voranzutreiben. In einer neuen Situation, in der die Europäische Union immer mehr von einem Mehrheitsentscheidungssystem geprägt wird, reicht eine deutschfranzösische Achse nicht mehr aus. Deutschland muss
verstehen, dass gerade die Freundschaft zu Polen eine
Chance bietet, Europa voranzubringen, und zwar in der
Euro-Krise und zum Beispiel auch in Fragen der Nachbarschaftspolitik. Beide Staaten haben die Verpflichtung,
zu verstehen, dass wir, wenn wir Europa voranbringen
wollen, besser darin werden müssen, mit den Polen zu
agieren. Auch die polnische Politik muss ab und an noch
mehr an den Gesamtfortschritt Europas denken, statt in
der nationalen Debatte in erster Linie eigene Interessen
gegenüber der polnischen Bevölkerung zu artikulieren.
Meine Damen und Herren, es gibt viel Leben und
Austausch in den deutsch-polnischen Beziehungen, viele
Initiativen, viele engagierte Menschen sowie viele persönliche und wirtschaftliche Kontakte. Dennoch möchte
ich auch einen Satz zur Frage der Vertriebenen sagen.
Wir Grüne erkennen an, dass viele Vertriebene auch in
den letzten Jahren positiven Einfluss auf die Beziehungen hatten. Ich bin aber auch der Meinung, dass einige
Personen und Verbände noch immer nicht verstanden zu
haben scheinen, dass viele der vorgebrachten Argumente
für uns politisch, rechtlich und historisch unhaltbar sind.
Deswegen freue ich mich, dass wir am Ende eine Formulierung gefunden haben, die wir alle mittragen können. Ich erkenne das ausdrücklich an.
({3})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Die deutsch-polnische Freundschaft ist angekommen.
Gleichzeitig ist sie am Anfang. Im Sinne unserer beiden
Länder und der Europäischen Union werden wir den
Weg gemeinsam weitergehen müssen. Die Freundschaft
ist seit vielen Jahren im Herzen Europas und auch,
könnte man sagen, im Herzen dieses Hauses. Unser heutiger Antrag zeigt, Herr Liebich, dass sie da hingehört
und auch da bleiben wird.
Danke sehr.
({4})
Der Kollege Silberhorn hat für die Unionsfraktion das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als Helmut Kohl und der polnische Ministerpräsident Bielecki vor 20 Jahren den deutsch-polnischen
Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche
Zusammenarbeit unterzeichnet haben, wollten sie ganz
bewusst zum Dialog, zur Zusammenarbeit und zur gemeinsamen Gestaltung Europas aufrufen.
Wir können im Rückblick auf die letzten 20 Jahre
feststellen: Wir haben viel erreicht. Deutsche und Polen
sind heute gute Nachbarn, Partner, oft auch Freunde. Wir
haben sehr wichtige Handelsbeziehungen. Die Menschen auf beiden Seiten von Oder und Neiße haben die
offenen Grenzen als Chance für sich genutzt. Polen ist
2004 mit großer Unterstützung Deutschlands der EU und
bereits 1999 der NATO beigetreten. 2007 ist Polen Mitglied der Schengen-Zone geworden. Bei der Ausgestaltung der europäischen Politik arbeiten wir eng und vertrauensvoll zusammen.
In dem heute vorliegenden Antrag haben wir uns
explizit mit den Akteuren beschäftigt, die in dem
Freundschaftsvertrag als natürliche Brücken der Verständigung bezeichnet werden, nämlich mit den polnischstämmigen Bürgern in Deutschland und der deutschen
Minderheit in Polen. Wir bekennen uns in unserem Antrag ausdrücklich dazu, dass der damaligen polnischen
Minderheit während der Zeit des Nationalsozialismus
schlimmstes Unrecht zugefügt worden ist. Wir dürfen
und werden die Opfer dieser Jahre nicht vergessen. Es ist
gut und richtig, dass wir sie ausdrücklich würdigen.
Wir sollten parallel dazu die Bedingungen für die
Ausübung der polnischen Sprache und Kultur in
Deutschland verbessern. Menschen, die zweisprachig
aufwachsen, die mobil sind, die interkulturelle Kompetenz haben, sind genau diejenigen, die wir in einem zusammenwachsenden Europa brauchen.
Gleichzeitig schulden wir der deutschen Minderheit
in Polen, die über Jahrzehnte unterdrückt und zur Anpassung gezwungen war, hohe Anerkennung dafür, dass sie
wieder angefangen hat, ihr kulturelles Erbe zu pflegen
und zu leben. Wir müssen dabei in Rechnung stellen,
dass es über zwei Generationen hinweg verboten war,
Deutsch zu sprechen, was die Minderheit vor besondere
Herausforderungen stellte.
Wir wünschen uns, dass bei der Vergabe von Geldern
an die deutsche Minderheit darauf geachtet wird, dass
zum Beispiel das von der polnischen Regierung für
Sprachförderung bereitgestellte Geld tatsächlich für
Maßnahmen der Sprachförderung eingesetzt wird und
dass vor allem eine Lösung für den Mangel an ausgebildeten Lehrern gefunden wird.
Zu einem ehrlichen Rückblick gehört auch, dass die
deutsch-polnischen Beziehungen in den letzten
20 Jahren manchen Stürmen ausgesetzt waren, die sie
aber überstanden haben - von unbegründeten Restitutionsansprüchen bis zu der heftigen Debatte über die
deutsch-russische Ostseepipeline für Gas. Das alles waren Belastungsproben für die Beziehungen; aber ich
denke, wir haben gelernt, offen miteinander zu sprechen
und vertrauensvoll miteinander umzugehen.
Ich würde unseren polnischen Partnern gerne immer
wieder erklären, Frau Pieper, wie viele Beauftragte es in
Deutschland für Partnerstaaten gibt. Es sind nämlich nur
vier: für die Vereinigten Staaten von Amerika, Russland,
Frankreich und Polen. Das ist die Kragenweite, das ist
der Stellenwert, den wir unseren polnischen Nachbarn
im Koordinatensystem unserer auswärtigen Beziehungen beimessen. Ich glaube, das dürfen wir unseren Partnern auch hin und wieder erklären.
({0})
Wir dürfen allerdings nicht zulassen, dass die Artikulation von Ängsten, von Sorgen und von Unzufriedenheit denen überlassen wird, die eher an Provokationen
interessiert sind als an Problemlösungen. Hier tragen wir
alle eine gemeinsame Verantwortung. Wir sollten auch
denen entschlossen entgegentreten, die der Auffassung
sind, dass es nur eine Wahrheit gebe, die von den Historikern nur aufgeschrieben werden müsse. Nicht nur in
Deutschland und in Polen, auch in anderen Ländern Europas wie Italien und Spanien machen wir die Erfahrung,
dass die jüngere Generation neue Möglichkeiten findet,
Geschichte zu erklären und zu beschreiben. Wir sollten
das fördern. Das Projekt eines deutsch-polnischen
Schulbuches, das sich am deutsch-französischen Beispiel orientiert, ist deshalb ein spannendes Vorhaben.
Im nächsten halben Jahr während der polnischen
Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union wird
Polen eine wichtige Rolle einnehmen. Ich denke, es ist
der richtige Ansatz, wenn die Polen vor allem auf die
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa setzen.
Das genau brauchen wir jetzt. Die Polen gehen dankenswerterweise selbst mit gutem Beispiel voran, indem sie
sich freiwillig dem Euro-Plus-Pakt anschließen, obwohl
sie nicht Mitgliedstaat der Euro-Zone sind und dazu
nicht verpflichtet gewesen wären.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
mir einen letzten Satz gestatten: Wir stehen am anderen
Ufer des Mittelmeers vor einer großen Umbruchsituation, die Polen vor 20 Jahren selbst durchlebt hat. Deswegen kann Polen für die arabische Welt und für den
Nahen Osten in der Umgestaltung hin zu Demokratie
und Rechtstaatlichkeit ein Vorbild sein. Ich denke, das
ist eine große Aufgabe für unsere Nachbarn, bei der wir
sie unterstützen sollten. Es bleibt unsere ständige Herausforderung, dafür zu sorgen, dass die Begegnungen
zwischen Polen und Deutschen lebendig werden und
dass wir das Interesse aneinander wachhalten.
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege Brähmig hat für die Unionsfraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Manchmal ist weniger mehr. So findet sich in
dem vorliegenden Antrag „Deutschland und Polen Verantwortung aus der Geschichte, Zukunft in Europa“
keine explizite Erwähnung des Kapitels der jüngsten
deutsch-polnischen Geschichte, aus dem bis heute eine
besondere Verantwortung beider Länder herrührt. Obwohl die Vertreibung der Deutschen nicht konkreter Bestandteil der vertraglichen Verpflichtungen des Nachbarschaftsvertrages ist, dessen Bilanz wir heute ziehen,
unterstütze ich den Antrag ausdrücklich.
({0})
Ich möchte eine bemerkenswerte Passage der Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers zu den
deutsch-polnischen Verträgen vom 17. Juni 1991 zitieren, die nichts an Gültigkeit eingebüßt hat. Bundeskanzler Helmut Kohl sagte im Hohen Haus am 6. September
1991 wegweisend:
Deutsch-polnische Versöhnung kann nicht durch
Regierungen verordnet oder durch VertragsverKlaus Brähmig
pflichtungen begründet werden. Im Gegenteil, das
Werk der Versöhnung kann nur gelingen, wenn unsere beiden Völker sich dazu bekennen, wenn jeder
Deutsche und jeder Pole es auch als seine persönliche Aufgabe annimmt.
Kohl zählte damals insbesondere auf das Engagement
der Heimatvertriebenen, sowohl bei der Pflege des gemeinsamen kulturellen Erbes als auch bei den vielfältigen Aufgaben auf humanitärem und sozialem Gebiet.
Wenn wir nach 20 Jahren sehen, was durch die unzähligen Kontakte der Schlesier, der Ost- und Westpreußen,
der Pommern, der Danziger und nicht zuletzt der Ostbrandenburger in ihre alte Heimat entstanden ist, gehört
am heutigen Tag der besondere Dank der Christdemokraten und der Liberalen den deutschen Heimatvertriebenen.
({1})
Es ist außerdem ein Verdienst der Regierungskoalition und ein hoffnungsvolles Zeichen - damit knüpfe ich
an meine ersten Sätze an -, dass sich auch die beiden
Oppositionsfraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen dem Antrag angeschlossen haben und ebenfalls
die Versöhnungsarbeit der Heimatvertriebenen hier und
heute ausdrücklich würdigen. Der fraktionsübergreifende Dank gebührt auch dem großen Versöhnungsbeitrag der Kirchen beider Länder und deren Laienorganisationen wie dem „Heimatwerk Schlesischer Katholiken“.
Ferner haben die Regelungen des Nachbarschaftsvertrages zum Erhalt und zur Pflege der Gräber polnischer und
deutscher Opfer des Zweiten Weltkriegs versöhnende
Wirkung gehabt. Wir haben uns daher im Antrag dafür
eingesetzt, dass nun auch neu entdeckte Gräber - man
denke an die Massenfunde bei der Marienburg oder
Schwiebus - mit in die vereinbarte gemeinsame Pflege
aufgenommen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Zukunft der bilateralen Beziehungen ist die Lage der deutschen Minderheit in Polen und die der polnischstämmigen Bürger in Deutschland von wesentlicher Bedeutung.
Ich begrüße daher die Verhandlungsergebnisse der Gespräche beider Regierungen am Runden Tisch und
möchte dabei den äußerst engagierten Einsatz unseres
Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister
des Innern, Christoph Bergner, lobend hervorheben.
({2})
Die Brückenfunktion der deutschen Minderheit in
Polen und die der polnischstämmigen Bürger in
Deutschland wird vom Bundestag zu Recht anerkannt.
Zudem werden die jeweiligen Rechte zur Stärkung der
kulturellen und sprachlichen Identität ausdrücklich bekräftigt. Beide Gruppen sollten sich hier im Geist der
Vertragswerke und unseres heutigen Antrages entfalten
können. Der Dachverband der deutschen Minderheit in
Polen, VdG, und die Häuser der deutsch-polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz und Oppeln leisten hierbei
wertvolle Arbeit.
Beim muttersprachlichen Unterricht bestehen aber
eindeutig Defizite, die beim nächsten Treffen des Runden Tisches angegangen werden müssen. Alle unterzeichnenden Bundestagsfraktionen haben sich auf Initiative der Union daher für eine Verbesserung des
deutschsprachigen Unterrichts für die deutsche Minderheit in Polen ausgesprochen.
Gradmesser der deutsch-polnischen Beziehungen war
laut Presseberichten die kürzlich von unserer Kollegin
Erika Steinbach unternommene Reise nach Danzig und
Gdingen. Was für eine Aufregung hat es im Vorfeld ihrer
Visite bei der dortigen deutschen Minderheit gegeben!
({3})
Hinterher meldeten polnische Zeitungen anerkennend,
der Besuch sei ohne Skandale abgelaufen,
({4})
und titelten: Steinbach: Ich schätze die Polen.
({5})
Selbst ein Kritiker der von ihr gegründeten Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, der polnische Historiker Jan
Piskorski, räumt mittlerweile ein:
Zweifelsohne hat die Initiative des Zentrums kurzfristig zu einer großen Abkühlung in den deutschpolnischen Beziehungen geführt. Auf längere Sicht
kann sie sich aber noch als nützlich erweisen, weil
sie beide Seiten dazu zwingt, die eigene Geschichte
erneut zu betrachten.
Hier sind neue Wege eingeschlagen worden, auf denen wir weitergehen sollten, um, wie es im Antrag heißt,
„offen und frei von Ängsten miteinander über die Vergangenheit zu sprechen“, aber noch viel mehr, meine lieben Kollegen, über die vor uns liegende gemeinsame
Zukunft.
An dieser Stelle möchte ich mich dem Dank an meine
Kollegen Philipp Mißfelder, Karl-Georg Wellmann,
Dietmar Nietan und Manuel Sarrazin anschließen, die
sich für ihre Fraktionen bei der Erstellung des Antrags
eingebracht haben. Ein ganz besonderer Dank gilt unserer Staatsministerin Cornelia Pieper für die gute Zusammenarbeit.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche von dieser Stelle allen ein gesegnetes Pfingstfest.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 17/6145 mit dem Titel
„Deutschland und Polen - Verantwortung aus der Ge-
schichte, Zukunft in Europa“. Wer stimmt für diesen An-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Vizepräsidentin Petra Pau
Antrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 d auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marianne Schieder ({0}), Swen Schulz
({1}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Kooperativen Föderalismus für Bildung stärken
- Drucksache 17/5911 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Dr. Petra Sitte, Agnes
Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Bildungsverantwortung gemeinsam wahrnehmen
- Drucksache 17/6094 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Ulla Burchardt, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Bildungszusammenarbeit von Bund und
Ländern verlässlich weiterentwickeln
- zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz
({5}), Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bildungsberichte nutzen - Bildungssystem
gerechter und besser machen
- Drucksachen 17/4187, 17/4436, 17/6091 Berichterstattung:
Abgeordnete Marcus Weinberg ({6})
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Patrick Meinhardt
Priska Hinz ({7})
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({8})
zu dem Antrag der Abgeordneten Swen Schulz
({9}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Bei Aussetzung der Wehrpflicht Hochschulpakt aufstocken
- Drucksachen 17/4018, 17/5256 Berichterstattung:
Abgeordnete Florian Hahn
Swen Schulz ({10})
Dr. Martin Neumann ({11})
Nicole Gohlke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({12})
- Ich würde gerne die Aussprache eröffnen, werde das
aber erst dann tun, wenn wir die nötige Aufmerksamkeit
für die Rednerinnen und Redner gewährleisten können.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ziegler für die SPD-Fraktion.
({13})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Heute geht es um das leidige Thema
Kooperationsverbot. Das Kooperationsverbot wurde im
Zuge der Föderalismusreform 2006 in das Grundgesetz
geschrieben. Ich glaube, wir haben mittlerweile alle einen Reife- und Erkenntnisprozess durchlaufen und sehen
ein: Es war ein Fehler.
({0})
Ausgerechnet bei der Zukunftsaufgabe Bildung erschwert das Kooperationsverbot die Zusammenarbeit
zwischen dem Bund und den Ländern. Es verbietet dem
Bund sogar ausdrücklich, den Ländern Geld für bessere
Bildung zu geben.
2003 gab die damalige Bildungsministerin Edelgard
Bulmahn den Startschuss für den längst überfälligen
Ausbau von Ganztagsschulen.
({1})
Mit 4 Milliarden Euro griff der Bund den Ländern unter
die Arme - und das mit Erfolg: Mehr als 7 000 Ganztagsschulen konnten so geschaffen werden.
({2})
Was ist heute? Trotz dieses Erfolgs, der unbestreitbar
ist, wird es eine Neuauflage des Ganztagsschulprogramms so nicht geben können; denn das ist mit dem
Kooperationsverbot nicht vereinbar.
({3})
Wie wichtig die Akzentsetzung und die Finanzierung
durch den Bund waren, zeigt sich daran, dass der weitere
Ausbau nach dem Auslaufen des Programms nur sehr
zögerlich vorangeschritten ist.
Es gibt noch viele andere Baustellen, die man aufzählen könnte: frühe Hilfen, Kitaausbau, inklusive Bildung,
leistungsfähige Hochschulen. Obwohl wir alle wissen,
dass von der Bewältigung dieser Herausforderungen unsere Zukunft abhängt, kommen wir bei diesen Themen
leider nur im Schneckentempo voran. Die Länder haben
zwar die Zuständigkeit für das Thema Bildung, die auch
nicht beschnitten werden soll, aber sie haben oft nicht
die nötigen finanziellen Mittel.
Die Schuldenbremse bedeutet ein enges Korsett - das
ist gewollt -, das aber leider auch für die Finanzierung
von Zukunftsaufgaben wenig Luft lässt. Hinzu kommen
ein paar unserer Meinung nach falsche politische Entscheidungen der Regierung wie die zur sogenannten Hotelsteuer, die den Ländern das Wasser abgräbt. Deshalb
köchelt der vielbeschworene föderale Bildungswettbewerb nur auf Sparflamme. Wettbewerb ist nur mit einem
Zugewinn an Qualität zu begründen, doch das ist in
Deutschland nicht erkennbar. Das Kooperationsverbot
ist ein Stolperstein auf dem Weg zu einem leistungsfähigen und zukunftsweisenden Bildungssystem.
Wir könnten uns zwar darüber streiten, ob unsere
Länderchefs es nun gut oder weniger gut finden, die Bildungshoheit zu haben; die Zeche für das schlechte Bildungssystem zahlen aber nicht die Länderchefs und auch
nicht wir hier im Bundestag, sondern die Zeche zahlen
unsere jungen Menschen im Land.
({4})
Ich will ein weiteres Beispiel anführen. Vor kurzem
ist das Bildungs- und Teilhabepaket über uns hereingebrochen. Daran haben wir erkennen können, welchen
Nachteil die Folgen des föderalen Zuständigkeitsgerangels haben können. Unserer Auffassung nach wäre es
richtig und konsequent gewesen, in ganz Deutschland
endlich ein bedarfsdeckendes und qualitativ einheitliches Angebot an Kitas und Ganztagsschulen zu schaffen, aber genau das war nicht möglich.
({5})
Stattdessen musste Frau Ministerin von der Leyen ihr
Heil im Bildungs- und Teilhabepaket suchen, in einer
komplizierten und, wie wir alle wissen, bürokratielastigen Umgehungslösung.
({6})
Dies ist ein weiterer Grund, eine Veränderung zu schaffen.
({7})
Deshalb schlagen wir heute vor, das Kooperationsverbot aufzuheben. Wir wollen zusätzliche Möglichkeiten
für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im
Bildungsbereich schaffen. Wir wollen es wieder möglich
machen, dass Bund, Länder und Gemeinden ihre Kräfte
bündeln. In vielen Diskussionen habe ich den Eindruck
gewonnen, dass die Zeichen dafür gut stehen. Die FDP
hat diesbezüglich Ihre Zustimmung erkennen lassen und
das sogar beschlossen. Wir haben das auch bereits von
vielen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion gehört.
Frau Schavan hat das hier im Plenum oft wiederholt. Die
Bundeskanzlerin hat das auf dem letzten Parteitag der
CDU gesagt. Auch der nächste Parteitag der CDU wird
offensichtlich unter diesem Slogan stattfinden. Ich
denke, wir haben die breite Mehrheit im Bundestag, die
für eine Verfassungsänderung nötig ist.
Aber es gibt natürlich auch Bedenken und Widerstände. Ich denke da an die Länder. Sowohl aufseiten der
A- als auch der B-Länder gibt es das.
({8})
Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, diese Bedenken
zu zerstreuen. Es geht nicht darum, die Bildungshoheit
der Länder zu beschneiden, sondern wir wollen die
Möglichkeit eröffnen, dass der Bund finanziell unterstützend unter die Arme greift. Ich glaube, das ist mehr als
ein faires Angebot.
({9})
Bildung ist nicht nur Ländersache, sondern Sache des
gesamten Staates. Heute Morgen haben wir darüber diskutiert, welche Rolle der Wirtschaftsstandort Deutschland in Europa spielt. In diesem Zusammenhang sollten
wir uns auch Gedanken darüber machen, dass es nicht
im Länderinteresse, sondern auch im gesamtstaatlichen
Interesse ist, etwas für ein einheitliches, gutes Bildungssystem zu machen. Über den Weg dahin können wir uns
unterhalten. Unser Antrag liegt vor. Über das Ziel aber
sollten wir uns alle einig sein: Weg mit dem Kooperationsverbot und hin in die Richtung, eine finanzielle Unterstützung für die Länder möglich zu machen!
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Staatsminister für Unterricht und
Kultus des Freistaats Bayern, Dr. Ludwig Spaenle.
({0})
Dr. Ludwig Spaenle, Staatsminister ({1}):
Frau Präsidentin! Hohes Haus! Der Föderalismus ist
ein Herzstück der Verfassungsordnung in der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle ({3})
Das ist Demokratie nahe am Menschen und nachvollziehbar für die Menschen. Das Ganze wird auch intensiv
genutzt, insbesondere im Bereich der Bildung.
Die Analysen der vergangenen Landtagswahlen zeigen sehr deutlich, dass den Menschen daran gelegen ist,
über dieses zentrale Thema, das Familien in allen Teilen
der Bundesrepublik berührt, unmittelbar selbst mitentscheiden zu können. Aus meiner Sicht ist die Diskussion
über eine gerade einmal fünf Jahre bestehende neue Gewichtung zwischen Bund und Ländern im Bereich der
Bildung ein Ablenkungsmanöver.
({4})
Wir müssen einen anderen Weg gehen. Dabei brauchen wir den kooperativen Föderalismus. Das bedeutet,
dass die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder
- das ließe sich an vielen Einzelbeispielen deutlich machen - in vollem Umfang gemeinsam auszuschöpfen
sind.
Die Länder und der Bund haben im vergangenen Mai
ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen, als
Grundlage für den sogenannten Bildungsgipfel und die
Qualifizierungsinitiative. Damit wird ausgeleuchtet, wo
ein intensives Zusammenwirken möglich ist, wo die
Länder in ihrer Eigenverantwortung einen Schritt nach
vorne gehen können und wo dies der Bund entsprechend
tun kann. Lassen Sie mich das an drei Beispielen deutlich machen: erstens bei der Sprachförderung, zweitens
bei der Integration und drittens bei der Berufsvorbereitung und den Berufsübergängen.
Wir sind in eine Verfassungsordnung eingebettet, die
an zentralen Weichenstellungen des Bildungswesens ein
kooperatives Miteinander und Zusammenwirken ermöglicht und die auf der anderen Seite die Aufgabe der Länder, nämlich ihre Verantwortung für ein qualitätsvolles
Bildungswesen zu entwickeln, unangetastet lässt. Die
Länder haben eine zentrale Aufgabe, und zwar die Ausübung dieser Letztgestaltungskompetenz in nationaler
Verantwortung.
({5})
Das ist auf dem Weg. Das erkennen Sie bei einem
Blick auf die Strategie der inhaltlichen Standards für allgemeinbildende Abschlüsse, die seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts umgesetzt wird. Für sämtliche Abschlüsse - vom Abitur bis zum Hauptschulabschluss werden inhaltliche Mindeststandards entwickelt und implementiert.
Die Länder, die sich mit dem sogenannten Südabitur
beschäftigen, nämlich Bayern, Sachsen, BadenWürttemberg, Thüringen und Sachsen-Anhalt - daran
haben allerdings auch Länder wie Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Interesse -, gehen den nächsten Schritt. Aus den
Standards müssen gemeinsam normierte Aufgabenpools
für die allgemeinbildenden Abschlüsse entwickelt werden.
({6})
Vonseiten der B-Länder werden wir noch weitere Vorschläge machen, um das Thema Vergleichbarkeit um das
Thema Verlässlichkeit zu ergänzen.
({7})
In der Wissenschaftspolitik liegt eine andere Rechtssituation vor. Hier ist die Möglichkeit des vertieften Kooperierens zwischen Bund und Ländern gegeben. Wir
halten es für richtig und zielführend, an dieser Stelle darüber nachzudenken, wie das Ganze weiterentwickelt
werden kann.
({8})
Wir sollten den bestehenden Verfassungsrahmen, der
ganz bewusst die Länder in die Verantwortung für die
Bildung nimmt und deshalb auch einen föderalen Wettbewerb ermöglicht, der letztlich der Qualität im bundesdeutschen Bildungswesen dient, als Chance begreifen.
Wenn wir die Untersuchungen der Länderergebnisse der
entsprechenden Bildungsgänge als Grundlage für die
Entwicklung gleichwertiger Lebenschancen begreifen,
dann ist dies der richtige Ansatz.
({9})
Ich brauche nicht darauf hinzuweisen, dass die Länder
- gleich welcher politischen Führung - es als Chance begreifen, dass der Wettbewerbsföderalismus dem Bildungswesen und dadurch den Lebenschancen in unserem Lande dient.
Die zweite Seite der Medaille - ich habe es bereits angesprochen - ist die Frage der Vergleichbarkeit und der
Verlässlichkeit. Hier müssen die Länder aus ihrer eigenen Verantwortung heraus aktiv werden. Ich kann deshalb die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung im
Bereich des Herzstücks des Föderalismus nicht erkennen. Es gilt das Gebot, den kooperativen Föderalismus in
seiner ganzen Angebotsvielfalt intensiver zu nutzen. Das
ist auch die Botschaft, die die Länder heute in Berlin
übermitteln wollen. Lassen Sie uns gemeinsam die Möglichkeiten, die im kooperativen Föderalismus, im Herzstück der Bildungspolitik, im Schulwesen, angelegt sind,
nutzen!
Vielen Dank.
({10})
Die Kollegin Dr. Hein hat für die Fraktion Die Linke
das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich habe noch einmal nachgeschaut:
Der Antrag der Linken zur Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiete der Bildungspolitik wurde in der Debatte am
25. März 2010 in den Bundestag eingebracht. Über ein
Jahr ist seitdem vergangen. Inzwischen haben alle Fraktionen die Notwendigkeit erkannt, über die Fragen der
Zusammenarbeit von Bund und Ländern neu nachzudenken. Selbst einige Landtage, auch der in meinem Bundesland Sachsen-Anhalt, haben bereits Beschlüsse dazu
gefasst. Also sträuben wir uns nicht, die notwendige
Korrektur der Föderalismusreform aus dem Jahre 2006
endlich vorzunehmen! Die Reform hat sich nicht bewährt, Herr Spaenle.
({0})
Weil so etwas nur in großer Übereinstimmung geht, haben wir mit der Behandlung unseres Antrages im Ausschuss gerne gewartet, bis die SPD auch so weit war.
Bei der Abschaffung des Kooperationsverbotes geht
es zunächst nur darum, wieder gemeinsame Projekte in
der Bildung wie seinerzeit das Ganztagsschulprogramm
finanzieren zu können. Man muss eingestehen: Ohne
dieses Programm wären viele Schulen in diesem Land
nicht saniert worden. Die Kommunen hätten das allein
nicht schultern können. Das muss man einfach sagen:
Das war vernünftig.
({1})
Wenn nun in der Zusammenarbeit zwischen Bund und
Ländern der Zustand von 2006 wiederhergestellt wird,
ist noch längst nicht alles gut. Vielmehr häufen sich in
der Öffentlichkeit immer mehr die Klagen über zu viele
Unterschiede zwischen den Bildungssystemen der Länder. Mehr Einheitlichkeit, mehr Vergleichbarkeit und vor
allem mehr Durchschaubarkeit werden gefordert. Darum
werden die Stimmen, die ein bundeseinheitliches Bildungssystem in Schule und Hochschule fordern, immer
lauter. Wenn nichts getan wird, kommt der Bildungsföderalismus immer mehr in Verruf.
Es geht zum Beispiel um die Anerkennung von Studienleistungen bei einem Hochschulwechsel, um die Anerkennung der Lehrerausbildung und die Anerkennung
von Bildungsabschlüssen. Aber, so werden Sie mir entgegenhalten, das regelt doch in schöner Einstimmigkeit
die Kultusministerkonferenz. Ich kenne eine Vielzahl
von Beschlüssen dieser Konferenz. Regeln diese Beschlüsse wirklich das, was geregelt werden müsste? Ich
möchte das an einem Beispiel darstellen. Sie gestatten,
dass ich als Beleg zwei, drei Zitate anführe.
1964 haben die Kultusminister ein „Abkommen zur
Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens“
getroffen, das sogenannte Hamburger Abkommen. Dort
heißt es zum Beispiel:
Die in den Ländern ausgestellten Reifezeugnisse
und sonstigen Abschlußzeugnisse von Schulen, die
Gegenstand dieses Abkommens sind, werden anerkannt.
Und:
Soweit ungeachtet dieser Vereinheitlichung beim
Schulwechsel Härtefälle eintreten, sind … Übergangshilfen zu geben.
So weit, so gut, so klar.
Seit 1993 gibt es die „Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge der Sekundarstufe I“. Diese ist
erst im März dieses Jahres wieder einmal - es war nicht
das erste Mal - verändert worden. Dort ist über die Berechtigung zum Übergang in die gymnasiale Oberstufe
zu lesen - ich zitiere wieder -:
Bei einer durchgehenden Fachleistungsdifferenzierung auf drei Anspruchsebenen ist die Teilnahme
am Unterricht in drei Fächern, zu denen mindestens
zwei der Fächer Deutsch, Mathematik und eine
Fremdsprache gemäß Ziffer 4.1.2 oder 4.1.3 ({2})
gehören, auf der obersten Anspruchsebene erforderlich. In diesen Fächern müssen mindestens ausreichende, in den Fächern der mittleren Anspruchsebene mindestens befriedigende und in den Fächern
der unteren Anspruchsebene mindestens gute Leistungen erbracht werden. In den ohne Fachleistungsdifferenzierung geführten abschlussrelevanten
Fächern sind im Durchschnitt mindestens befriedigende Leistungen erforderlich.
({3})
Ich habe mehrfach geübt, dies vorzulesen. Haben Sie
alles verstanden?
({4})
Dann kommt ein Nachsatz - ich verkürze ihn ein bisschen -:
In Bayern werden Schülerinnen und Schüler, die
eine andere Schule als das Gymnasium besucht haben, mit einer Berechtigung … dieser Vereinbarung
in die gymnasiale Oberstufe unter den besonderen
Bedingungen aufgenommen, die in Bayern für Realschüler gelten.
Klar, was immer das heißt.
Ich könnte mehr solcher Beispiele nennen; aber dafür
habe ich hier nicht die Zeit. Den Unmut über so viel
Überregelung und so viel überbordende Bürokratie kann
ich verstehen.
Bildungsföderalismus wollte Vielfalt im Bildungswesen. Als Vielfalt entstand, hat man ein Korsett um sie gebaut. Immer wenn im Rahmen des Bildungsföderalismus
eine neue Entwicklung im Gange war, ist eine neue Korsettstange eingezogen worden.
({5})
Nun wird die Vielfalt durch dieses Korsett eher stranguliert, und Einheitlichkeit entsteht dadurch auch nicht.
Derzeit debattieren die Kultusminister der Länder
- Dr. Spaenle hat es eben gesagt - über einheitliche Prüfungsaufgaben für ein Zentralabitur. Ganz abgesehen davon, dass ich das für grundfalsch halte: Ich will mir gar
nicht vorstellen, was dabei wieder herauskommt.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte um eine
gemeinsame Verantwortung für das Bildungssystem in
der Bundesrepublik Deutschland muss weitergehen. Wir
haben in unserem Antrag, dem zweiten in dieser Sache,
Vorschläge dazu gemacht. Da geht es um eine angemessene Ausstattung der Bildungsfinanzierung ebenso wie
um die Passfähigkeit und Gleichwertigkeit der Bildungsangebote in den Ländern. Möglicherweise ist das noch
nicht alles, was dazugehört - vielleicht ist es noch nicht
einmal der Weisheit letzter Schluss -, aber diskutiert
werden kann darüber. Das sollten wir unbedingt tun, hier
im Bund und mit den Ländern.
Ich danke schön.
({7})
Der Kollege Professor Dr. Neumann hat für die FDPFraktion nun das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Für mich ist Bildung eine nationale, eine
gesamtstaatliche Aufgabe.
({0})
Die Bildungsrepublik Deutschland wird nur dann Wirklichkeit, wenn Bund und Länder gemeinsam für eine
gute Bildung eintreten. Ich sage an dieser Stelle mit gleichem Nachdruck aber auch, dass wir uneingeschränkt
zum Bildungsföderalismus stehen.
({1})
Das im Jahr 2006 von der Großen Koalition im Deutschen Bundestag gegen die Stimmen der FDP-Fraktion
beschlossene Kooperationsverbot verhindert leider genau dies. Wir haben übrigens schon damals deutlich gesagt, dass das Kooperationsverbot nicht zeitgemäß ist.
({2})
Darauf haben sich Union und FDP im Koalitionsvertrag
verständigt. Unser Ziel sind faire Startchancen für alle
Kinder. Aufstieg durch Bildung erreichen wir durch höhere Bildungsinvestitionen und das enge Zusammenwirken von Bund und Ländern.
({3})
Meine Damen und Herren, politisches Handeln ist leider nicht dagegen gefeit, Fehler zu begehen.
({4})
Wir erleben nicht selten, dass sich Rahmenbedingungen
verändern oder sich Entscheidungen in der Rückschau
leider als nicht zielführend herausstellen.
({5})
Irren ist menschlich und verzeihbar. Problematisch wird
es nur, wenn Fehler nicht eingestanden und nicht korrigiert werden.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich verstehe Ihren Antrag so, wie es Ihr Fraktionsvorsitzender
gestern in einem anderen Zusammenhang formulierte:
als Irrtumsbereinigungsantrag der SPD.
({7})
Die SPD, die das Kooperationsverbot im Jahr 2006 erst
ermöglicht hat, kommt nun langsam - Frau Ziegler, Sie
haben es gesagt - auf den richtigen Weg.
({8})
Wer aber meint, die Sozialdemokraten seien nun vollständig geläutert, der braucht sich nur einmal dort umzuschauen und umzuhören, wo die SPD für den Schulbereich zuständig ist. Dort wehrt man sich leider mit
Händen und Füßen gegen die im Antrag geforderten Veränderungen, beklagt Zentralisierungstendenzen und
fürchtet die Einflussnahme des Bundes.
Erst vor kurzem klopfte die schwarz-gelbe Landesregierung in Kiel zur Vorbereitung einer Bundesratsinitiative zur Aufhebung des Kooperationsverbotes an die Türen einiger SPD-Kollegen. Sie wurde brüsk abgewiesen.
Es ist kein Geheimnis, dass Kurt Beck ein großer Verteidiger der rheinland-pfälzischen Eigenheiten im Schulwesen ist. Immerhin hat es sein Land beim letzten Ländervergleich im Lesen auf den für SPD-Verhältnisse
fantastischen fünften Platz geschafft. Wunderbar, meine
Damen und Herren! Man stellt sich nur die Frage, was
die ewigen Schlusslichter Berlin, Brandenburg und Bremen dazu bewegt, ihren Sonderstatus gegen Bundeshilfen verteidigen zu wollen.
({9})
Fest steht, dass die SPD-Länder noch nicht mitziehen
wollen.
({10})
Ich kann den Sozialdemokraten an dieser Stelle nur zurufen: Wenn Sie es wirklich ernst meinen, sorgen Sie für
Dr. Martin Neumann ({11})
eine Mehrheit im Bundesrat! Dann können wir auch etwas bewegen.
({12})
Bewegung im Bildungssystem wird nämlich dringend
benötigt. Wir brauchen deutlich mehr Einsatz für den
Bildungsbereich. Nur im Zusammenspiel von Bund,
Ländern und Kommunen kann dies wirklich gelingen.
({13})
Die Bildungsrepublik Deutschland braucht mehr denn
je eine wirklich gemeinsame Kraftanstrengung im Bereich der Bildungspolitik. Allein die Bilanz der Quoten
derjenigen, die eine allgemeinbildende Schule ohne
Hauptschulabschluss verlassen, spricht hier Bände. Das
kann man ganz deutlich auch im nationalen Bildungsbericht nachlesen.
Während die Quoten im Jahr 2008 in den christlich-liberal regierten Ländern zwischen 5,6 Prozent und 7,1 Prozent lagen und gegenüber 2006 jeweils um 1 Prozentpunkt zurückgingen, bewiesen die Schlusslichter Berlin,
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit Quoten von 11,5 Prozent bis sogar 16,8 Prozent die traurige
Wahrheit an dieser Stelle. Das kann sich Deutschland
wirklich nicht länger leisten. Das muss sich ändern.
({14})
Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich vor wenigen
Tagen ganz klar dazu bekannt: Wir benötigen eine neue
Zusammenarbeit von Bund und Ländern und brauchen
einen gemeinsamen Rahmen und gemeinsame Standards. Das Kooperationsverbot steht dem im Wege. Statt
eines Kooperationsverbots bräuchten wir eher ein Kooperationsgebot.
({15})
Ein solches haben übrigens die Schweizer Nachbarn genau zur gleichen Zeit eingeführt, als wir hier in Deutschland das Verbot gesetzt haben. Es lohnt sich also, über
den Tellerrand zu schauen.
Als FDP-Bundestagsfraktion sind wir der Auffassung, dass sich das Kooperationsverbot nach nunmehr
fünf Jahren nicht bewährt hat.
({16})
Um das Ziel einer besseren Finanzierung von Bildungsprojekten vor Ort zu erreichen, intransparente
Querfinanzierungen zu vermeiden - genau zu solchen
hat das Kooperationsverbot ja geführt und geradezu ermutigt -, Transaktionsverluste zu vermeiden und zielsichere Bildungsinvestitionen zu ermöglichen, halten wir
eine Aufhebung des Kooperationsverbots für erforderlich.
Im Hochschulbereich - das wissen wir alle - dürfen
Bund und Länder gemeinschaftliche Programme aufstellen. Ohne diese Möglichkeit wären zum Beispiel die Exzellenzinitiative, der Hochschulpakt und der Qualitätspakt Lehre nicht möglich. Das Zusammenspiel von
Bund und Ländern trägt hier sichtbar Früchte. Weswegen man den Schulbereich von dieser positiven Entwicklung ausklammern oder ihn gar davor schützen will,
bleibt mir ein Rätsel.
({17})
Bildung und Forschung haben für uns Liberale einen
hohen Stellenwert. Wir sind stolz darauf, dass der Bund
bis 2013 12 Milliarden Euro zusätzlich für diesen zentralen Politikbereich bereitstellt. Gleichzeitig müssen wir
aber sicherstellen, dass die Länder in ihren Bemühungen
nicht nachlassen, Zukunftsinvestitionen in Kitas und im
Schul- und Hochschulbereich zu tätigen.
Der Bund darf dort, wo sich Länder aus ihrer Verantwortung zurückziehen, nicht zum Lückenfüller werden.
({18})
Es darf auch nicht hingenommen werden, dass Landesregierungen ihren eigenen Bildungseinrichtungen gegenüber wortbrüchig werden und deren Etats zusammenstreichen.
({19})
Um das Ziel einer bestmöglichen Bildung in unserem
Land zu erreichen, müssen sich alle staatlichen Ebenen
- die Kommunen, die Länder und der Bund - dafür einsetzen, dass wir bundesweit die bestmöglichen Bedingungen für Bildung sicherstellen. Das kann und soll in
einem partnerschaftlichen Miteinander geschehen. Pragmatische Lösungen sind hier das Gebot der Stunde.
Durch die Verfassungsänderung von 2006 - das will
ich abschließend sagen - wurde das Bildungssystem in
Deutschland geschwächt. Dass das mit dem vorliegenden Antrag eingestanden wird, ist begrüßenswert. Nun
gilt es, die Erkenntnisse in Handeln umzusetzen; ich
hatte Beispiele genannt.
Gehen Sie auf Ihre Ministerpräsidenten zu und bewegen Sie diese, ihre Blockadehaltung aufzugeben! Denn
ohne die Mitwirkung der Länder wird dies nicht erzielbar
sein. Die FDP wirbt auf Länderebene um Unterstützung.
Wir sind bereits ein erhebliches Stück weitergekommen,
aber - das muss ich an der Stelle deutlich sagen - es liegt
noch ein erhebliches Stück vor uns.
Vertrödeln wir nicht unsere Zeit mit billigen Schaufensteranträgen,
({20})
sondern konzentrieren wir uns darauf, dass wir gemeinsam die dringend benötigten Reformen einleiten!
({21})
Dr. Martin Neumann ({22})
Sprechen Sie mit Ihren Vertretern in den Kommunen
und Landesparlamenten! Denn auch hier kommt es auf
eine gute Kooperation an.
Ich bedanke mich.
({23})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Kai Gehring das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Kooperationsverbot hat sich, wie erwartet, nicht bewährt, sondern die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich unmöglich gemacht und ihr sogar geschadet. Als grüne Bundestagsfraktion haben wir
es 2006 abgelehnt, als die Große Koalition aus SPD und
CDU/CSU trotz massiver Kritik das völlige Herausdrängen des Bundes aus jeder Bildungsverantwortung
durchgesetzt hat. Seitdem kämpfen wir dafür, das Kooperationsverbot wieder aus unserem Grundgesetz zu
streichen.
({0})
Wir freuen uns deshalb auch sehr, dass SPD und Teile
der Union - die Union übrigens auch hier - einen Lernprozess durchlaufen haben und ihr Handeln von 2006 offensichtlich korrigieren wollen. Lieber Herr Dr. Spaenle,
Ministerin Schavan hat doch vollkommen recht, wenn
sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung ich zitiere - sagt:
Wir haben die Ziele nicht erreicht, die wir anstrebten. Wir haben keine bessere Koordination der
16 Länder, es gibt keine gemeinsame Strategie, um
das Bildungssystem zu verbessern.
Da hat Frau Schavan leider recht.
({1})
Herr Staatssekretär, dieser Erkenntnis muss jetzt eben
auch ganz konkretes Handeln folgen. Das Kooperationsverbot muss durch einen gemeinsamen Kraftakt aller
Bundestagsfraktionen und mit einer Zweidrittelmehrheit
im Bundesrat wieder aufgehoben werden.
({2})
Für niemanden ist nachvollziehbar, warum Bund und
Länder in zentralen Bildungsfragen nicht kooperieren
dürfen. Es ist ein eklatanter Widerspruch, in Sonntagsreden von der Bildungsrepublik Deutschland zu fabulieren und werktags eine Zusammenarbeit von Bund und
Ländern zu unterbinden. Wir meinen: Wer gute Bildung
wirklich als zentrale soziale und ökonomische Frage
sieht, muss gesamtstaatliche Strategien verfolgen, statt
bildungspolitische Kleinstaaterei zu betreiben.
Bildung entscheidet über sozialen Aufstieg und ökonomische Zukunftsfähigkeit. Wenn man sich solche Gerechtigkeits- und Innovationsfragen von bundesweiter
Tragweite anguckt, dann merken wir: Wir benötigen eine
neue Kooperationskultur aller politischen Ebenen.
({3})
Das heißt übrigens nicht, dass wir eine Bundesbildungskompetenz haben wollen. Darum geht es nicht. Es
geht auch nicht darum, dass wir uns auf einen Weg hin
zum Bildungszentralismus begeben wollen, sondern es
geht darum, die föderale Ordnung in unserem Land weiterzuentwickeln.
({4})
Das können wir gerade mit Blick auf die Ziele von
„EU 2020“ nur dann, wenn der Bund nicht nur in der
Forschungs- und Hochschulpolitik Mitverantwortung
übernimmt, sondern auch in der allgemeinen Bildungspolitik.
Natürlich bleibt die Bildungspolitik Kern der Landespolitik, aber der Bund muss in die Mitverantwortung hinein, um in zweifacher Hinsicht Kooperationsmöglichkeiten zu schaffen: Erstens muss es um die bessere
Ausfinanzierung unseres Bildungssystems gehen. Zweitens muss eine bessere Vergleichbarkeit bei Bildungsplänen, Bildungsstandards und Bildungsabschlüssen erreicht werden. Denn nur mit Unterstützung des Bundes
können die Länder die eklatante Unterfinanzierung des
Bildungssystems überwinden. Und nur mit einer besseren Vergleichbarkeit erreichen wir eine höhere Mobilität.
Das ist dringend notwendig.
({5})
Wenn der Schulortwechsel im Inland zum Risiko für
Schüler und Eltern wird, dann zeigt sich, wie dringend
Veränderungen notwendig sind. Das gegenseitige Abwerben von Lehrkräften zwischen den Ländern zeigt uns
auch, wie dringend wir einen kooperativen und qualitätssteigernden Föderalismus anstelle eines kompetitiven
Ellbogenföderalismus brauchen. Auch darum muss es
gehen.
({6})
Es ist gut, dass die FDP-Bundestagsfraktion das mittlerweile auch so sieht. Deshalb bin ich zuversichtlich,
dass wir, wenn wir uns gemeinsam zusammensetzen, die
Streichung des Kooperationsverbotes hinkriegen würden
und gemeinsame Projekte zwischen Bund und Ländern
definieren können. Dazu zählen wir als Grüne zum Beispiel eine neue bundesweite Ganztagsschuloffensive,
({7})
die wegen der Finanznot vieler Kommunen stockt, aber
im Hinblick auf Chancengleichheit sowie Vereinbarkeit
von Familie und Beruf unbestreitbare Erfolge bringt.
Weiter zählen dazu gemeinsame Programme zur
Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit und
ohne Einwanderungsgeschichte. Denn gute Sprachkenntnisse sind eine zentrale Frage bei der ZugangsgeKai Gehring
rechtigkeit. Außerdem geht es um die Themen Inklusion,
gesundes Schulmittagessen für möglichst alle Kinder
und Professionalisierung der Ausbildung von Pädagogen
und Lehrern. All das sind Themen, die hier entsprechend
angepackt werden könnten.
Die mehr als mühsamen Verhandlungen über das Bildungspaket im Rahmen der Reform von Hartz IV zu
Jahresbeginn haben uns doch allen noch einmal vor Augen geführt, dass dieser systematische Schritt der Aufhebung des Kooperationsverbotes auch deshalb überfällig
ist, um bildungsbenachteiligte und arme Kinder gezielt
erreichen zu können. Anstelle von Bildungsgutscheinflickschusterei für Kinder aus ALG-II-Familien brauchen gerade diese Kinder und Jugendlichen die besten
Kitas, die besten Schulen und die besten Pädagoginnen
und Pädagogen. Dafür braucht es eine gezielte, direkte
finanzielle Förderung der Bildungseinrichtungen, um die
Institutionen zu verbessern, statt mit irrwitziger Bürokratie nachzubessern. Wir müssen versuchen, individuelle Förderung für alle Kinder und Jugendliche zu
erreichen. Das wäre mit der Aufhebung des Kooperationsverbotes viel leichter möglich.
({8})
Es geht übrigens nicht darum, dass der Bund zukünftig wieder nur in Beton mitinvestieren darf. Wir brauchen gemeinsame Investitionen zur qualitativen Verbesserung, die Personal- und Sachausgaben nötig machen.
Diese Ausgaben stehen jetzt an, wenn man für mehr individuelle Förderung und bessere Bildung sorgen
möchte. Es wäre schön, wenn uns ein fraktionsübergreifender Konsens darüber gelänge.
Kollege Gehring, ich bin ein geduldiger Mensch, aber
ich bitte Sie jetzt wirklich, das Signal zu beachten.
Deshalb bin ich auch in fünf Worten fertig.
({0})
Würden wir diesen fraktionsübergreifenden Konsens
hinbekommen, dann würde auch eine neuen Kooperationskultur und ein gesamtstaatlicher Bildungsaufbruch
funktionieren. Generationen von Schülern, Eltern und
Lehrern würden es uns danken.
Ich gebe zu, ich habe mich verzählt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Monika Grütters für die
Unionsfraktion.
({0})
In Bildungsdebatten sind wir ein bisschen großzügig.
- Frau Präsidentin, vielen Dank. - Damit wir wenigstens
etwas zu applaudieren haben, möchte ich darauf hinweisen, dass unser Kollege Albert Rupprecht heute Geburtstag hat.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit - das ist der Lieblingsspruch von Volker Kauder.
({1})
Wir alle wissen das. Dass er, der Fraktionsvorsitzende
der CDU/CSU, heute der Bildungsdebatte beiwohnt,
lässt uns hoffen, dass etwas Bewegung in dieselbe
kommt.
({2})
Denn das Betrachten der Bildungswirklichkeit lässt viele
Menschen in unserem Land verzweifeln: mehr als
80 Schultypen in 16 Bundesländern, nicht vergleichbare
Abschlüsse oder Standards, überfüllte Hochschulen, permanente, wenn auch gut gemeinte Reformen, die Schüler, Eltern und Lehrer völlig überfordern.
Aber auch das ist eine Betrachtung unserer Wirklichkeit: Den Wettbewerb um die besten Konzepte und Ergebnisse zwischen den Ländern, Herr Minister Spaenle,
finde ich gut, die Vielfalt, die daraus resultiert, auch. Es
gibt immer zwei Seiten einer Medaille. 80 Schultypen das bedeutet Vielfalt. Ich finde, Wettbewerb und Vielfalt
sind die positiven Aspekte des Föderalismus. Die guten
PISA-Ergebnisse, über die sich Bayern freuen kann, zeigen das. Aber Länder wie Berlin verzweifeln an ihren
schlechten Ergebnissen. Deshalb hat gestern eine große
Demonstration gegen die rot-rote Berliner Schulpolitik
stattgefunden. Auch so etwas gehört auf das Konto der
Länderseite.
({3})
Ebenfalls am gestrigen Donnerstag stand das Thema
der bundesweit vergleichbaren Prüfungen auf der Tagesordnung der KMK, Minister Spaenle weiß das. Wir, die
nicht der KMK angehören, fragen uns: Wie kommen
16 Bundesländer gemeinsam ans Ziel, wenn man sich
noch nicht einmal auf die Strecke einigen kann?
({4})
Es ist und bleibt schwierig. Ich will die Länder nicht anklagen; wir sind hier ja nicht zum Föderalismus-Bashing
angetreten.
({5})
Sie alle verteidigen ihre Schulpolitik zunächst aus der
ehrlichen Überzeugung und dem, wie ich finde, glaub13270
würdigen Interesse heraus, die beste Bildungspolitik von
allen zu machen. Die kann aber nur gelingen, wenn sich
alle Akteure mehr als bisher in echten Bildungspartnerschaften zusammenfinden.
({6})
- Bitte.
({7})
Zur Betrachtung der Wirklichkeit gehört auch, dass
man erkennt, dass viele solcher Bildungspartnerschaften
aktuell gut funktionieren. Die grundlegende Zuständigkeit der Bundesländer für die Bildungspolitik, vor allen
Dingen bei den Schulen als Kern unseres föderalen Systems, muss man und wollen wir auch gar nicht antasten.
({8})
Aber seien wir ehrlich: Sowohl im Bildungs- als auch im
Hochschulbereich sehen sich die Länder derzeit Herausforderungen gegenüber, die sie schon lange nicht mehr
stemmen können.
({9})
Deshalb haben wir auf Bundesebene den Hochschulpakt
2020, die Exzellenzinitiative und auch den Qualitätspakt
Lehre aufgelegt, in die der Bund insgesamt mehr als
10 Milliarden Euro steckt.
({10})
Damit haben Bund und Länder dem Hochschulbereich
zumindest in der Wissenschaft sehr wohl gezeigt, wie
funktionierende Bildungspartnerschaften aussehen können und dass sie heute längst Realität sind.
Aber es gibt auch Probleme. Die Zusammenarbeit im
Bereich der Schulpolitik ist natürlich wesentlich schwieriger. Dabei sind die Herausforderungen hier nicht kleiner, im Gegenteil. Das Thema Schüler mit Migrationshintergrund ist angesprochen worden. Es ist nicht nur in
Berlin so, dass der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund in Grundschulen bei über 50 Prozent liegt. Solche Aufgaben können und wollen wir gemeinsam lösen.
Stellen Sie sich einmal vor - Frau Ziegler hat das gesagt -,
wie gut es gewesen wäre, wenn wir die Mittel aus dem
Bildungspaket tatsächlich direkt an die Schulen hätten
geben können.
({11})
Man sieht allein an diesen wenigen Stichworten: Wir
brauchen tatsächlich eine neue Kooperationskultur. Das
deutsche Bildungssystem in der Bildungsrepublik muss
länderübergreifend in die Lage versetzt werden, exzellente Aus- und Weiterbildung zu ermöglichen, grundlegende gemeinsame Standards zu definieren, Vergleichbarkeit zu schaffen, Verlässlichkeit zu garantieren und
vor allen Dingen - das ist für uns hier ein Thema - die
vielen eingesetzten Mittel, auch aus der Bundeskasse, effizient zu verteilen.
Um nur ein paar Instrumente zu nennen: Wie wäre es
zum Beispiel mit der Vereinbarung eines Schulkonsenses
({12})
- das ist an die Adresse der Länder gerichtet -, der für
vergleichbare und wiedererkennbare Schultypen sorgen
könnte? Ich finde es einen richtigen Schritt, dass man
sich auch in der Union auf das zweigliedrige Schulsystem verständigt.
({13})
Klar, das wird schwierig, wenn man bedenkt, dass allein 22 Minister mit unterschiedlichen Ressortzuschnitten aus 16 Ländern miteinander zu tun haben. Auch das
ist ein Problem auf der KMK-Ebene. Da sind andere
Ideen wichtiger. Aber ich finde, man muss es zumindest
anregen und es versuchen.
Ein anderer Punkt ist die CDU-Idee eines Deutschlandabiturs, für das gemeinsame Abiturstandards formuliert und ein länderübergreifender Aufgabenpool etabliert werden soll. Auch darum ist es gestern gegangen;
Sie haben einiges zitiert. Wir haben gemerkt, wie wahnsinnig schwierig das ist.
Man kann der KMK - Herr Spaenle, das kann ich Ihnen nicht ersparen - nur zurufen: Machen Sie es doch
mal! Es gibt viele Vereinbarungen, die am Ende nicht
umgesetzt werden. Das lässt Außenstehende an der
KMK - Helmut Kohl hat einmal gesagt, das sei der
letzte Hort der Reaktion - ein bisschen verzweifeln.
({14})
Die Einstimmigkeitsregel in der KMK führt angesichts
der vielfältigen und unterschiedlichen Ressortzuschnitte
zu mühsamen Abstimmungen. Das ist kein Vorwurf; das
ist das Betrachten der Wirklichkeit.
({15})
Für uns wäre auch eine gemeinsame Lehrerausbildung ein überlegenswerter Schritt in die richtige Richtung. Wir finden auch, dass es in zentralen Schulfächern
durchaus einheitliche Lernmittel geben müsste oder
sollte. So schwierige Fächer wie Geschichte würden davon profitieren. Zur Koordinierung und Umsetzung derartiger Überlegungen ist das Stichwort „Bildungsrat“ genannt worden. Der Wissenschaftsrat - mit ihm haben wir
in der Hochschul- und Wissenschaftslandschaft exzellente Erfahrungen gemacht -, mit Experten, nicht mit
Politikern besetzt, evaluiert und gibt Empfehlungen.
({16})
- Ich fände es besser, den Bildungsrat mit Experten zu
besetzen, um von ihm Empfehlungen und Evaluierungen
vornehmen zu lassen.
Für den Hochschulbereich - das ist jetzt die Aufgabe müssen wir uns überlegen, wie wir die bestehenden,
eben genannten guten Partnerschaften für die Zukunft sichern wollen; denn sie sind alle befristet. Das müssen
wir frühzeitig machen, also jetzt. Dabei müssen wir zum
Beispiel über eine Fortführung der Exzellenzinitiative
oder das, was danach kommt, nachdenken. Ich finde es
richtig, wenn es danach ermöglicht würde, einzelne leistungsfähige Hochschulen auch mit Bundesgeldern zu
fördern. Ich bin Minister Spaenle sehr dankbar, dass er
dazu explizit gesagt hat, dass er sich gerade in diesem
Bereich eine Öffnung, die dann auch verfassungsrelevant wäre, vorstellen kann. Für diesen Vorschlag einer
Öffnungsklausel noch einmal und ausdrücklich von dieser Stelle vielen Dank.
({17})
Wir müssen den Föderalismus gemeinsam modernisieren, Kooperationen erleichtern und - ich sage es noch
einmal - zu einer neuen Kooperationskultur kommen.
An die SPD gerichtet: Diesen Gedanken finde ich auch
in Ihrem Antrag wieder, wenn Sie - ich zitiere - „eine
weiter gehende Möglichkeit zur Kooperation von Bund
und Ländern“ anstreben, damit gemeinsame Leistungsund Qualitätsstandards entwickelt werden können und
Bund und Länder auch bei der Sicherstellung - das ist
auch das Wording der Ministerin - der Leistungsfähigkeit zusammenwirken können. Ich finde das eine kluge
Formulierung. Ich habe aus Ihrer Feder auch schon radikalere Varianten gesehen. Hier hat einmal der Pragmatismus gesiegt.
Deshalb finde ich es auch richtig, dass wir diesen Antrag in den Ausschuss überweisen und dort darüber
nachdenken.
({18})
Die Zentralismussehnsucht der Linken kann ich nicht
teilen. Aber auch das werden wir dann in diesem Kontext behandeln.
({19})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Eine Verteilung der Bildungspaketmittel direkt an die Schulen wird
hier offensichtlich von allen für besser und wünschenswert gehalten. Darüber sind wir uns also einig. Einige
andere Stichwörter habe ich genannt. Wie wir dahin
kommen und ob wir dafür eine Grundgesetzänderung
brauchen, müssen wir dann sehen.
Wichtig ist und bleibt uns - auch darüber sind wir uns
alle einig, denke ich -: Es sollte und muss besser werden.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Kollegin Grütters, wenn das so ist, dann können Sie unserem Antrag ja zustimmen.
({0})
Das werden doch ganz interessante Beratungen.
Stellen wir uns einmal für eine Sekunde vor, was
wäre, wenn einer von uns hier im Bundestag oder auch
im Bundesrat fordern würde: Die bestehende Kooperationsmöglichkeit zwischen Bund und Ländern im Bereich der Hochschulen soll gestrichen werden.
({1})
Er würde Kopfschütteln oder ungläubiges Gelächter ernten.
Genau das war aber der Plan derjenigen, die die letzte
Föderalismusreform verhandelt haben. Die SPD ist dann
in letzter Sekunde aktiv geworden und hat dafür gesorgt,
dass die im Grundgesetz festgehaltene Kooperation im
Hochschulbereich erhalten bleibt. Auf dieser Basis können wir den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, den
Qualitätspakt Lehre etc. realisieren.
Derselbe Weg muss auch für die Schule beschritten
werden.
({2})
Ich prophezeie Ihnen: Früher oder später wird das
Kooperationsverbot auch im Schulbereich fallen, weil es
schlicht und einfach unsinnig ist.
Bildung ist so wichtig, dass wir alle Kräfte von Bund
wie auch von Ländern zusammennehmen müssen, um
im Bildungsbereich Verbesserungen herbeizuführen.
Die Menschen verstehen nicht, warum sie dann, wenn
sie sich an die Bundespolitik wenden, um auf Veränderungsbedarf im Bildungsbereich hinzuweisen, zur Antwort bekommen: Dafür sind wir nicht zuständig; das
sind die Länder. - Damit haben die Bürgerinnen und
Bürger recht. Das ist in der Tat unsinnig. Es sind unsere
gemeinsamen Kinder. Es ist unsere gemeinsame Zukunft. Deswegen müssen wir auch zusammenwirken, um
Bildung in diesem Land besser zu machen.
({3})
Swen Schulz ({4})
Durch nichts ist das deutlicher geworden als durch
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bildungsteilhabe. Darin hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Bund für die Bildungschancen der armen
Kinder zuständig ist. Gleichzeitig sind die Länder die
Träger der Schulen. Daher hat man sich zusammen an einen Tisch gesetzt, um zu überlegen: Wie bekommen wir
das gemeinsam hin? Herausgekommen ist eine teure und
komplizierte Bürokratie. Das muss anders werden. Genau dies müssen wir ändern.
({5})
Wir wollen direkt in die Schulen investieren - zum Beispiel in Ganztagsschulen.
Vor diesem Hintergrund werden auch die Stimmen
immer mehr und immer lauter, die die Aufhebung des
Kooperationsverbotes fordern. Ich habe einen Zeitungsbeitrag von Jutta Allmendinger und Dietmar Harhoff
mitgebracht. Das sind Wissenschaftler
({6})
und immerhin Mitglieder der Expertenkommission Forschung und Innovation, die von der Bundesregierung
eingerichtet worden ist. Sie schreiben - ich zitiere -:
Das Kooperationsverbot behindert den Fortschritt.
Hier geht es nicht um eine Prinzipienfrage oder eine
staatsrechtliche Spielerei, sondern um Deutschlands
Zukunft.
Recht haben sie.
({7})
Im politischen Bereich - auch hier im Deutschen
Bundestag; das hat sich in dieser Debatte sehr schön gezeigt - gibt es auch immer mehr Lernerfolge. Die Linken
sind für die Aufhebung des Kooperationsverbotes, die
Grünen ebenfalls.
({8})
Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Antrag eingebracht. Aus der FDP hören wir gute Signale. Ich habe
hier auch ein Zitat von Generalsekretär Lindner von der
FDP:
Jetzt muss die Union endlich ihre Position klären.
Alle warten darauf.
In der Tat ist die CDU/CSU jetzt am Zug. Schon seit
einiger Zeit rennt Frau Ministerin Schavan durch die Gegend und gibt Interviews und hält Reden, in denen sie
sagt, das Kooperationsverbot solle fallen.
Vor über einem Jahr habe ich Ministerin Schavan im
Deutschen Bundestag und in einem Schreiben eine überparteiliche Initiative zur Aufhebung des Kooperationsverbotes angeboten. Das hat sie bis heute abgelehnt.
Es reicht aber nicht, sich in Sonntagsreden billigen
Applaus von dem entsprechenden Publikum abzuholen.
Sie ist nämlich Ministerin und Bundestagsabgeordnete.
Unter der Woche, werktags, muss im Deutschen Bundestag entschieden werden und muss die entsprechende Initiative kommen. Der Antrag der SPD ist die Nagelprobe
für die CDU/CSU-Fraktion, wie sie es mit der Kooperation im Bildungswesen hält.
({9})
In allen Fraktionen bzw. Parteien gibt es Kollegen
und Kolleginnen in der Landespolitik, die noch nicht
ganz davon überzeugt sind, dass das Kooperationsverbot
fallen soll. Das ist bei der SPD so. Bei der FDP soll es
auch andere Stimmen geben. Bei der CDU/CSU ist es
so, und neuerdings sogar bei den Grünen.
({10})
- Kollege Wieland nickt dazu. - Von den Linken habe
ich aus der Landespolitik auch schon Ähnliches gehört.
Deswegen ist der Antrag der SPD kein Schaufensterantrag, lieber Kollege Neumann. Er formuliert vielmehr
das Ansinnen, mit einem Dialogangebot im Deutschen
Bundestag eine Initiative zu ergreifen, die auch gegenüber dem Bundesrat Wirkung entfaltet. Es war schon fast
ein innerparteilicher Dialog zwischen dem Kollegen
Spaenle aus Bayern und Frau Grütters.
Wir sehen, dass noch einige vertrauensbildende Maßnahmen notwendig sind. Aber wenn wir das Vorhaben
gemeinsam anpacken, gemeinsam im Ausschuss diskutieren und zu einer kooperativen Lösung finden, kann
das Kooperationsverbot fallen.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/5911 und 17/6094 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung auf der Drucksache 17/6091.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/4187 mit dem Titel „Bildungs-
zusammenarbeit von Bund und Ländern verlässlich wei-
terentwickeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Vizepräsidentin Petra Pau
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4436 mit
dem Titel „Bildungsberichte nutzen - Bildungssystem
gerechter und besser machen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke
angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Frak-
tion der SPD mit dem Titel „Bei Aussetzung der Wehr-
pflicht Hochschulpakt aufstocken“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/5256, den Antrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/4018 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion ge-
gen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
ordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfall-
rechts
- Drucksache 17/6052 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Innenausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um folgende Kolleginnen und Kollegen: Michael Brand
für die Unionsfraktion, Gerd Bollmann für die SPD-
Fraktion, Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion, Ralph
Lenkert für die Fraktion Die Linke, Dorothea Steiner für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Parlamen-
tarische Staatssekretärin Heinen-Esser.1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/6052 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
1) Anlage 6
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Schutzschirm für Stromkunden - Bezahlbare
Energiepreise gewährleisten
- Drucksache 17/5760 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Federführung strittig
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind auch hier damit
einverstanden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen
und Kollegen: Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfrak-
tion, Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion, Dr. Erik
Schweickert für die FDP-Fraktion, Caren Lay für die
Fraktion Die Linke und Ingrid Nestle für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5760 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Unionsfraktion und die Fraktion der
FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Die Linke wünscht
Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke - Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den
Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU
und der FDP - Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie - abstimmen. Wer stimmt für
diesen Vorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Überweisungsvorschlag ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 29. Juni 2011, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen
schöne Feiertage.