Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/16/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines 8. Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. ({0}) Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Frau Ursula Heinen-Esser. - Bitte schön, Sie haben das Wort.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat in seiner heutigen Sitzung sowohl den Entwurf eines 8. Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wie auch den Entwurf der Neununddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes beschlossen. Sowohl der Gesetzentwurf als auch der dazugehörige Verordnungsentwurf dienen der Umsetzung der EG-Luftqualitätsrichtlinie. Diese Luftqualitätsrichtlinie modifiziert entsprechende europäische Regelungen, die zwischen den Jahren 1996 und 2004 durch EG-Richtlinien begründet wurden. In der Öffentlichkeit sind diese Richtlinien eher unter Stichworten wie Umweltzonen, Plaketten auf den Autos etc. bekannt. Die Frist zur Umsetzung der Luftqualitätsrichtlinie läuft am 10. Juni 2010 aus. Das erklärt auch, warum wir heute den Gesetzentwurf beschließen mussten. Die neue Richtlinie löst die sogenannte Luftqualitätsrahmenrichtlinie und drei dazugehörige Tochterrichtlinien ab. Sie übernimmt insbesondere bereits bestehende Luftqualitätsgrenzwerte, beispielsweise für Feinstaub, PM10, Stickstoffoxide und Benzol, und legt erstmals für besonders gesundheitsschädliche Feinstäube mit einem sogenannten aerodynamischen Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern Luftqualitätswerte fest. Die Grenzwerte für PM10-Feinstäube gelten bereits seit dem Jahr 2005. Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Benzol werden im Jahr 2010 in Kraft treten, die jetzt neu festgesetzten Grenzwerte für Feinstäube mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern im Jahr 2015. Fast alle Mitgliedstaaten, auch Deutschland, haben Schwierigkeiten mit dem Einhalten der Grenzwerte für PM10-Feinstäube und Stickstoffoxide. Aus diesem Grund sieht die neue Richtlinie erstmals die Möglichkeit einer Fristverlängerung vor. Wesentliche Voraussetzung dafür, dass eine solche Fristverlängerung gewährt wird, ist die Vorlage eines sogenannten Luftreinhalteplans, in dem dargelegt wird, mit welchen Maßnahmen die Luftqualitätsgrenzwerte im Rahmen der verlängerten Frist erreicht werden sollen. Wird eine Fristverlängerung gewährt, läuft sie für PM10 spätestens im Jahr 2011 aus, für Stickstoffoxide im Jahr 2015. Diese Fristverlängerung ist für unsere Kommunen ein wichtiger Beitrag zur Entspannung der Situation. Allein in Deutschland haben 14 Kommunen eine Fristverlängerung erhalten. Die neue Luftqualitätsrichtlinie enthält außerdem neue Begrifflichkeiten und neue Anforderungen an die Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgt im Bundes-Immissionsschutzgesetz und in der Neufassung einer konkretisierenden Rechtsverordnung, der sogenannten 39. BImSchV. Zugleich werden mit der Änderung zwei weitere Verordnungen aufgehoben, die bislang Luftqualitätsanforderungen geregelt haben. Es ist - das sei ausdrücklich gesagt - eine Eins-zueins-Umsetzung der EG-rechtlichen Anforderungen vorgesehen, die durch eine Überarbeitung und Vereinfachung weiterer Vorschriften zur Verbesserung der Luftqualität ergänzt wird. Ich komme kurz auf die Veränderungen im Einzelnen. Zum Bundes-Immissionsschutzgesetz: Dort gibt es einige redaktionelle Änderungen bei Plänen für kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität. Es werden im Grunde genommen nur die Begriffe „bisheRedetext rige Aktionspläne“ durch „Pläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen“ ersetzt. Darüber hinaus geht es um die Öffentlichkeitsbeteiligung. Bislang sollte die Öffentlichkeit bereits bei der Aufstellung dieser Pläne beteiligt werden. Künftig kann die Öffentlichkeit auch erst hinterher informiert werden, um das Verfahren insgesamt zu beschleunigen. Der Verordnungsentwurf regelt vor allen Dingen erstmals immissionsseitige Festlegungen für die besonders gesundheitsschädlichen Feinstäube mit einem aerodynamischen Durchmesser kleiner als 2,5 Mikrometer. Der Gesetzentwurf wie auch der Verordnungsentwurf dienen der weiteren Verbesserung des Schutzes der menschlichen Gesundheit. Sie sind notwendig, und daher möchte ich Sie herzlich um die Unterstützung zu Gesetz- und Verordnungsentwurf bitten. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich bitte zunächst, Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den eben berichtet wurde. - Ingbert Liebing von der CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. ({0})

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann können wir ja die Fragestunde abschaffen, und das wollen wir doch nicht. Frau Staatssekretärin, Sie haben schon erwähnt, dass es passieren kann, dass die zunächst vorgesehenen Zeitrahmen nicht eingehalten werden können. Es interessiert mich, was passiert, wenn die ursprünglich von der EU vorgegebenen Daten definitiv nicht eingehalten werden können. Kommt es dann zu einem Vertragsverletzungsverfahren? Wie sieht es mit der Anlastung aus, wenn in Innenstadtbereichen einzelner Kommunen die vorgeschriebenen Werte nicht erreicht werden?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Es ist so, dass die Kommunen zum Teil bereits Fristverlängerungen in Anspruch nehmen. Das ist explizit das neue Element dieser Richtlinie. Es geht darum, mit welchen Maßnahmen wir es schaffen, die Feinstaubbelastung zu reduzieren. Euro-6-Norm und Rußpartikelfilter für Diesel-Pkw wären Stichwörter. Damit die Kommunen etwas mehr Zeit bekommen, bis diese Maßnahmen wirken müssen, können sie diese Fristverlängerung in Anspruch nehmen. Es gibt bereits eine positive Entscheidung der Kommission für einige Gebiete. Das betrifft beispielsweise die Ballungsräume Augsburg und München, aber auch Städte wie Dortmund, Düsseldorf, Hagen und Wuppertal. Wenn allerdings nach dem Jahr 2011 bei PM10 oder ab dem Jahr 2015 bei PM2,5 die entsprechenden Werte nicht eingehalten werden, dann werden die üblichen EGrechtlichen Verfahren in Gang gesetzt. Ich glaube, dass wir gerade in Deutschland dem mit Entspannung entgegensehen können; denn die Einführung der Umweltprämie des vergangenen Jahres hat dafür gesorgt, dass viele Pkw, die nicht ganz so umweltfreundlich waren, durch neue, umweltfreundlichere Autos ersetzt worden sind. Darüber hinaus sind wir durch die neuen Normen auf einem guten Weg.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wenn ich es richtig gesehen habe, hat Kollege Michael Paul auch noch eine Frage angemeldet. Bitte schön.

Dr. Michael Paul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, es gibt nicht nur die künstlich vom Menschen herbeigeführten Stäube, sondern auch natürliche Staubbelastungen. Ich denke an den Salzgehalt in der Luft, insbesondere an der Küste, aber auch an Verwehungen, die von landwirtschaftlich genutzten Flächen stammen. Wie wird die Bundesregierung in Zukunft damit umgehen? Wurde in den Rechenverfahren an die Möglichkeit gedacht, diese Belastungen herauszurechnen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Auf deutsche Initiative hin wurde bereits bei der Erstellung der Richtlinie dafür gesorgt, dass die natürlichen in der Luft enthaltenen Schadstoffe herausgerechnet werden können. Das betrifft, wie Sie gesagt haben, den Salzgehalt der Luft der Meeresnähe, aber auch das Salz, das im Winter auf die Straßen gestreut wird. Es gibt also Zeiten, in denen die Grenzwerte häufig überschritten werden oder drohen, überschritten zu werden, nämlich in Winterzeiten. Nun sieht die Richtlinie die Möglichkeit vor, dass diese natürlichen Schadstoffe herausgerechnet werden können. Das heißt, man kann vorher berechnen, welchen Anteil diese sogenannten natürlichen Schadstoffe einnehmen - 5, 10 oder 15 Prozent -, und kann dies dann von den ermittelten Werten abziehen. Es ist ein guter Schritt, dass es der Bundesregierung gelungen ist, das in Brüssel durchzusetzen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun Kollegin Maria Flachsbarth mit der nächsten Frage.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsekretärin, erlauben Sie mir eine kritische Nachfrage. Tragen denn diese neuen Maßnahmen der Bundesregierung tatsächlich zu einer Förderung der Gesundheit der Menschen in der Stadt und insbesondere an den stark befahrenen Straßen bei? Wir wissen, dass der Umgehungsverkehr sehr hoch ist. Sind diese Maßnahmen wirklich effektiv, um die Gesundheit zu fördern?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Wenn sie nicht effektiv wären, würden wir sie nicht machen. ({0}) Von daher bringen wir die richtigen Maßnahmen auf den Weg. Lassen Sie mich ergänzend am Beispiel von PM10 deutlich machen: Die etwas größeren Feinstäube können zwar die Bronchien belasten, aber sie greifen nicht wie kleinere Feinstäube - deshalb ist es wichtig, dass wir die Messgröße PM2,5 mit in das Gesetz aufgenommen haben - direkt die Lunge an und sind daher nicht extrem gesundheitsschädlich. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Umweltzonen, beispielsweise in den Kommunen in den Ballungsräumen, eingerichtet haben, um zu verhindern, dass Grenzwerte überschritten werden. Um eine Verbesserung zu erreichen, sind aber nicht nur die Umweltzonen in den Kommunen notwendig. Vielmehr ist all das notwendig, was wir für Pkws oder - ich darf auf den Koalitionsvertrag verweisen - für kleinere Nutzfahrzeuge planen. Auch dort soll die Einführung von Rußpartikelfiltern schneller geschehen. Mit diesen Maßnahmen, Umweltzonen, Partikelfilter und Euro-6-Norm für Diesel-Pkw, sorgen wir dafür, dass die Grenzwerte eingehalten werden, um so die Gefahr für die Gesundheit der Menschen abzuwenden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun Kollege Jens Koeppen mit der nächsten Frage.

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsekretärin, es geht nicht nur um Feinstaub, sondern auch um Stickstoffdioxid. Ab 2010 gelten schärfere Grenzwerte. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese strengen Grenzwerte einzuhalten? Welche Anstrengungen müssen zur Durchführung gemacht werden?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Auch bei den Stickoxiden ist entscheidend, wie sich der Ausstoß bei Kraftfahrzeugen verändern und entwickeln wird. Es ist so, dass die Euro-6-Norm für DieselPkw erst ab dem Jahr 2014/2015 verbindlich gilt. Dann müssen wir gegebenenfalls Fristverlängerungen in Anspruch nehmen. Aber wir sind zurzeit dabei, mit der Automobilindustrie darüber zu verhandeln, ob sie in der Lage ist, die Einführung solcher Fahrzeuge vorzuziehen, sodass wir die Grenzwerte auch in diesen Bereichen sehr zügig werden einhalten können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Ulrich Petzold ist der Nächste.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Wir haben mit der 1. BImSchV einen ganz wesentlichen Schritt zur Bekämpfung der Feinstäube gemacht. Ist schon etwas stärker abschätzbar, was wir mit der Verringerung des Feinstaubausstoßes aus Feuerungsanlagen erreichen? Ist die Situation so, dass wir in Zukunft wesentlich stärker an das Thema der offenen Feuer herangehen müssen? Gerade zu Ostern werden traditionell Feuer entzündet, die mit einer sehr hohen Feinstaubbelastung für die gesamte Bundesrepublik verbunden sind. Müssen wir da den Kommunen stärker Hilfestellungen geben?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich würde davon absehen, Osterfeuer oder Ähnliches zu untersagen bzw. hier regulierend einzugreifen. Wir im Deutschen Bundestag haben gerade erst in der letzten Sitzungswoche eine Änderung dieser Verordnung beraten. Dabei ging es um Kamine und Öfen in Privatwohnungen und Privathäusern, für die wir jetzt klare Bestimmungen im Hinblick auf Emissionen entwickelt haben. Ich glaube, dieser Weg, den wir hier gegangen sind, ist richtig, auch wenn er sicherlich für den einen oder anderen Besitzer von solchen Öfen gewisse Anstrengungen erfordert, was die Einsetzung von Filtern angeht. Hier haben wir schon eine ganze Menge gemacht. Aber eines muss man ebenfalls sagen: Die Werte verschlechtern sich auch dann, wenn das Wetter ungünstig ist. Auch ist es für manche Städte aufgrund ihrer Lage schwieriger - ich nenne hier nur einmal das Beispiel Stuttgart -, Grenzwerte einzuhalten. Es gibt aber viele Kommunen in Deutschland, die die Grenzwerte längst einhalten und trotzdem immer vorsorglich eine Ausnahmegenehmigung in Anspruch nehmen wollen, nach dem Motto: Man weiß nie, was kommt. Ich glaube, das ist überhaupt nicht nötig. Wir sind in Deutschland mit all dem, was wir in den Bereichen Industrieanlagen, Öfen und Pkws machen, auf dem richtigen Weg.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Andreas Jung mit der nächsten Frage.

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade die 1. Bundes-Immissionsschutzverordnung angesprochen, über die wir in der letzten Sitzungswoche im Bundestag diskutiert haben. Gerade die Diskussion über die Regelung für Holzöfen hat gezeigt, dass die notwendigen Maßnahmen in den Bereichen Umweltschutz und Gesundheitsvorsorge bei den Bürgern zuweilen auf Akzeptanzschwierigkeiten stoßen. Wir haben in diesem Zusammenhang einen sehr guten und ausgewogenen Kompromiss gefunden. Meine Frage ist, wie bei diesem Vorhaben der Maßgabe Rechnung getragen wird, eine möglichst große Akzeptanz zu erreichen.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Herzlichen Dank für diese Frage. Gerade was die Öfen angeht, haben wir einen langen Prozess hinter uns gebracht. Natürlich kommt es immer darauf an, deutlich zu machen, wofür diese Maßnahmen sind. Ich kann nur wiederholen, dass die Feinstäube sehr gesundheitsgefährdend sein können. Sie können Lungenkrankheiten, sogar Lungenkrebs, und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen. Natürlich geht es um Ausgewogenheit. An dieser Stelle nehme ich das Stichwort des Kollegen Petzold auf: Osterfeuer versus Feinstaubbelastung. Ich glaube, dass wir in allen Fällen für Ausgewogenheit sorgen müssen. Die Maßnahmen, um die sich der neue Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes dreht, betreffen hauptsächlich den Kfz-Verkehr. Dank Umweltprämie aus dem vergangenen Jahr und dank Förderung der Rußpartikelfilter sind wir auf einem guten Weg. In diesem Zusammenhang darf ich für die Rußpartikelfilter werben, deren Einbau wir noch bis zum 31. Dezember 2009 fördern.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage stellt Johannes Röring. ({0})

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine Frage aus einem anderen Themenbereich an die Bundesregierung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, noch sind wir bei den Fragen an die Parlamentarische Staatssekretärin Heinen-Esser. Wann wir das Thema wechseln, müssen Sie mir überlassen. Ich habe Sie vorgemerkt.

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Okay.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als offensichtlich Letzter zu diesem Thema ist jetzt Kollege Ingbert Liebing dran.

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf die bereits angesprochenen Aerosole zurückkommen. Ich kenne sie aus meinem Wahlkreis. Die Inseln und Halligen in meinem Wahlkreis befinden sich in einer extrem aerosolhaltigen Luft. Mich würde konkret interessieren, mit welchem Verfahren sichergestellt werden soll, dass diese Aerosole, die alles andere als Schadstoffe sind, sondern im Gegenteil von uns als gesundheitsfördernd angepriesen werden - die Leute kommen schließlich dorthin, um die aerosolhaltige Luft zu genießen -, nicht komplett als Schadstoffe bewertet werden. Mit welchem Verfahren sollen sie herausgerechnet werden, oder sollen sie von vornherein herausgerechnet werden?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Die - ich sage das in Anführungsstrichen - „natürlichen“ Schadstoffe können gesondert berechnet und somit aus den Werten herausgerechnet werden, die durch Schadstoffe entstehen, die besonders belastend und nicht natürlich erzeugt sind. Im Falle Ihres Wahlkreises entstehen solche Schadstoffe durch den Kfz-Verkehr oder Ähnliches. Die natürlichen Schadstoffe können, nachdem man sie berechnet hat, von der Gesamtsumme abgezogen werden. Dann sieht man, ob man die Grenzwerte unter- oder überschreitet. Die EU-Kommission ist zurzeit dabei, einen Leitfaden zu erstellen, um das Verfahren vorzustellen und aufzuzeigen, wie die technische Umsetzung am besten erfolgen kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen jetzt zu Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung. Mir liegen bereits drei Wortmeldungen vor. - Zunächst Kollege Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob sich das Kabinett mit den handfesten Vorwürfen - zumindest in zwei Punkten sind es auch von mir erhobene Vorwürfe -, dass der Verteidigungsminister hinsichtlich der Ermordung von Menschen in Kunduz bewusst die Unwahrheit gesagt, also gelogen hat, auseinandergesetzt hat.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister Neumann, bitte.

Not found (Gast)

Das Kabinett hat sich in der heutigen Sitzung nicht damit befasst. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage? - Bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das verwundert mich. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Herr Altmaier, hat gestern eine Erklärung abgegeben, dass die Regierungskoalition geschlossen hinter dem Bundesminister steht. Hält das Kabinett es nicht für notwendig, wenn in der gesamten Öffentlichkeit davon gesprochen wird, dass der Bundesminister der Verteidigung gelogen hat, ({0}) sich damit auseinanderzusetzen, sich entweder vor den Bundesminister zu stellen oder zu akzeptieren, dass diese Behauptungen zu Recht erhoben worden sind?

Not found (Gast)

Die Tatsache, dass das Kabinett sich heute nicht mit diesem Thema befasst hat, ist kein Widerspruch zu der Feststellung des Parlamentarischen Geschäftsführers Altmaier. Darüber hinaus hat das Bundeskabinett durchaus gesehen, dass heute Nachmittag zu dieser Thematik eine ausführliche Debatte stattfinden wird und dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erfolgt. Ich meine, deshalb war das Vorgehen des Kabinetts angemessen und richtig. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollege Johannes Röring, nun zu Ihrer angemeldeten Frage.

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Frage an Staatssekretär Müller. Das Kabinett hat sich heute Morgen mit dem Milchsonderprogramm beschäftigt, das im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes dankenswerterweise mit beschlossen wurde, um diese Branche, die in erheblichen Schwierigkeiten steckt, zu unterstützen. Ich stelle aufgrund meiner Informationen aus den Regionen und den Mitteilungen der Betroffenen fest, dass die Hilfe dringend vonnöten ist. Meine Frage an Staatssekretär Müller lautet: Warum werden die Mittel aus diesen einzelnen Maßnahmen nicht früher ausgezahlt?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Müller, bitte.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Kabinett hat sich heute mit diesem Milchsonderprogramm zur Hilfe für die deutschen Landwirte beschäftigt und dieses verabschiedet. Die Bundesregierung hat sehr schnell und umfassend mit einem 750-Millionen-Euro-Programm reagiert, das durch unser Haus und heute durch das Kabinett auf den Weg gebracht wurde. Bei der Schaffung dieses Programms war es sehr wichtig, Maßnahmen zu wählen, die von der Europäischen Kommission akzeptiert werden können und bei denen es sich nicht um Staatsbeihilfen der Mitgliedstaaten handelt, die den strengen Regelungen des europäischen Beihilferechts unterliegen. Deshalb war es wichtig, dass das Sonderprogramm in den einzelnen Details so konzipiert ist, wie wir es jetzt verabschiedet haben. Wir sind der Meinung, dass wir damit schnell, konsequent und zielgenau insbesondere der deutschen Milchwirtschaft helfen können, und zwar mit Mitteln und Möglichkeiten von nationaler Seite aus, ohne mit dem EU-Recht in Konflikt zu kommen, ohne beihilferechtliche Probleme zu bekommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Nun hat Kollege Volker Beck das Wort zu einer Frage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister Neumann, Sie haben uns gerade erklärt, dass sich das Kabinett heute nicht mit Kunduz und Afghanistan beschäftigt hat. Ich würde gern wissen, auf welcher letzten Kabinettssitzung dies Gegenstand der Erörterung war und ob das Kabinett erörtert hat, auf welcher Grundlage unser Einsatz in Afghanistan gegenwärtig läuft, ob es tatsächlich Ziel ist, im Rahmen des Einsatzes gezielt Menschen, auch Talibankämpfer, zu töten, auch wenn von ihnen keine unmittelbare Gefahr für die eingesetzten Soldaten, das internationale Personal oder afghanische Staatsstellen ausgeht? ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister von Klaeden.

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, das Kabinett hat sich im Rahmen der Verlängerung der Mandate mit dem Thema Afghanistan beschäftigt, unter anderem auch auf der Klausurtagung des Kabinetts am 17./18. November dieses Jahres in Meseberg. Ich kann Ihnen gerne auch schriftlich mitteilen, in welchen Kabinettssitzungen darüber hinaus über Afghanistan gesprochen worden ist. Die in Ihren Fragen enthaltenen Unterstellungen hinsichtlich der Strategie werden auch im Laufe der Fragestunde zurückgewiesen werden können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage? - Bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hat die Frage der Einsatzregeln im Rahmen des ISAF-Einsatzes wie im Rahmen des OEF-Einsatzes bei dieser Erörterung im Kabinett eine Rolle gespielt, und welcher Sachstand wurde dabei erörtert bzw. gab es eine Divergenz zwischen den verschiedenen Ressorts?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, in der Befragung der Bundesregierung geht es um die letzte Kabinettssitzung. ({0}) - Darf ich die Frage beantworten? ({1}) Diese Frage hat der Kollege Neumann gerade beantwortet. Darüber hinaus ist es selbstverständlich, dass die Bundesregierung auf der Grundlage des Mandats der Vereinten Nationen, der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts und der Mandate des Bundestages agiert. Eine andere Insinuierung entbehrt jeder Grundlage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte nur noch eines festhalten, damit klar ist, auf welcher Grundlage wir uns hier bewegen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Beck, ist das noch eine Nachfrage, oder worum handelt es sich?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es handelt sich um eine Nachfrage und eine Klarstellung. ({0}) - Nein. ({1}) - Ich belehre die Bundesregierung. ({2}) Ich würde niemals den Präsidenten belehren, weil er im Unterschied zur Bundesregierung weiß, dass wir nicht nur zur vorangegangenen Kabinettssitzung, sondern allenfalls vorrangig zur vorangegangenen Kabinettssitzung fragen dürfen ({3}) und dass Sie uns Auskunft darüber geben müssen, in welcher Art und Weise dieses Thema von der Bundesregierung erörtert wird. Mich würde interessieren, ob angesichts der aktuellen Presseberichte innerhalb der Bundesregierung eine Diskussion darüber geführt wird, ob das Ziel von Einsätzen wie dem Bombardement in Kunduz das gezielte Töten von Zivilpersonen oder Talibankämpfern ist, und zwar auch dann, wenn es dabei nicht unmittelbar um eine Gefahrenabwehr mit Blick auf die eingesetzten Soldaten geht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Beck, so wie Sie die Freiheit der Frage haben, hat die Bundesregierung die Freiheit der Antwort. Sie entscheidet darüber, wie sie antwortet. Das gehört zu unserem Stil des fairen Umgangs. Herr Staatsminister, wollen Sie darauf noch einmal reagieren? Sonst folgt die nächste Frage.

Not found (Gast)

Ja. - Herr Kollege Beck, ich habe Ihre Frage mit dem Hinweis auf die Mandate beantwortet. Ich habe Ihnen angeboten, Ihnen schriftlich mitzuteilen, in welchen Kabinettssitzungen über die Klausurtagung hinaus über Afghanistan gesprochen worden ist. Noch einmal: Die Insinuierung, die Bundeswehr würde sich auf Anweisung der Bundesregierung nicht an die Mandate halten, entbehrt wirklich jeder Grundlage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage stellt Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr von Klaeden, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie auf die Frage meines Kollegen Beck, wann sich das Kabinett das letzte Mal mit Afghanistan und Kunduz befasst hat, geantwortet haben: in Meseberg? ({0}) Wir sind in einer Situation, in der sich die gesamte Öffentlichkeit tagtäglich mit den Vorfällen in Afghanistan und Kunduz beschäftigt. Hinzu kommt, dass sowohl das parlamentarische als auch das öffentliche Interesse an einer Aufklärung der Geschehnisse in Kunduz groß sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Kabinett in Anbetracht dieser Situation das letzte Mal in Meseberg ausführlich mit diesem Thema beschäftigt hat. Von daher bitte ich Sie, uns klar zu sagen: In welchen Kabinettssitzungen hat sich die Bundesregierung mit dieser Frage befasst?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr von Klaeden, bitte.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Haßelmann, ich wiederhole meine Antwort: Die Bundesregierung hat sich auf mehreren Kabinettssitzungen im Zusammenhang mit den Mandaten mit Afghanistan befasst, unter anderem auch in Meseberg. Ich habe daraufhin dem Kollegen Beck angeboten, ihm schriftlich mitzuteilen, auf welchen Kabinettssitzungen das der Fall gewesen ist. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage. Bitte.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Dann frage ich noch mal, Herr von Klaeden: Sie haben sich in dieser Woche nicht mit der Situation in Kunduz beschäftigt, und Sie haben sich in der letzten Woche nicht mit der Situation in Kunduz beschäftigt? Kann ich das daraus schließen? Sonst würden Sie uns sicher präzise sagen können, dass sich das Kabinett zumindest in der letzten Woche intensiv mit der Situation befasst hat.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Haßelmann, ich würde vorschlagen, dass wir bei meiner Antwort bleiben. Wenn Sie möchten, sende ich auch Ihnen gerne eine Abschrift meiner Antwort an den Kollegen Beck zu.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Jetzt hat sich noch Kollege Gehrcke gemeldet.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister von Klaeden, ich verstehe ja: Sie möchten das Thema nicht in der Öffentlichkeit haben. Sie haben dem Hohen Hause mitgeteilt, dass sich die Bundesregierung strikt an alle Vorschriften des Völkerrechtes hält. Ich will noch mal präzise nachfragen: Können Sie mir erklären, wo die gezielte Tötung von Zivilisten - darum handelt es sich hier: Mord an Menschen, ({0}) denen nichts nachgewiesen ist, ohne Gerichtsprozess im Völkerrecht verankert sein soll und wieso gezielte Tötung von Zivilisten Teil des Völkerrechts ist?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister, bitte.

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, das, was Sie gerade behaupten, habe ich nicht gesagt, und ich weise es mit aller Entschiedenheit zurück.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch eine Nachfrage.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich frage gerne noch mal nach. Man bekommt bloß keine Antwort - das ist das Problem hier -, und dieselbe Frage zu stellen, steht mir nicht zu.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dieselbe Frage zu wiederholen, ist nicht sonderlich sinnvoll.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Man kann zwar fragen, was man möchte; aber die Regierung antwortet auch, was sie möchte. Also eine Nachfrage. In der Presse war zu lesen, dass der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU, Herr Altmaier, mitgeteilt hat - ich möchte das wörtlich zitieren -, ({0}) dass es ein großes Verdienst des Bundesverteidigungsministers ist und Respekt verdient, dass er den Primat der Politik über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik wiederhergestellt hat. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es in der Afghanistan-Frage vor der Einsetzung des Kollegen zu Guttenberg zum Verteidigungsminister einen Primat des Militärs und nicht der Politik gegeben hat?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Nein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Fragen zu diesem Stichwort liegen nicht vor. Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Wenn das nicht der Fall ist, dann beenden wir die Regierungsbefragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/191, 17/205 Es liegt eine ganze Reihe von dringlichen Fragen vor, die ich nacheinander aufrufe. All diese Fragen drehen sich um den Luftangriff auf zwei Tanklastzüge bei Kunduz in Afghanistan. Zunächst zur dringlichen Frage 1 der Abgeordneten Heike Hänsel. - Ich sehe die Abgeordnete Hänsel nicht. Dann wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Ich komme zur dringlichen Frage 2 des Abgeordneten Jürgen Trittin: Seit wann hat das Bundesministerium der Verteidigung und ab wann das Bundeskanzleramt gewusst, dass es bei dem Luftschlag um das „Vernichten“ von Taliban ging ({0}), wie es Oberst Georg Klein an den Generalinspekteur bereits am 5. September 2009 berichtete, und warum hat dieses nicht Eingang in die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am 8. September 2009 gefunden? Zur Antwort steht der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung Christian Schmidt bereit.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Trittin, ich beantworte Ihre dringliche Frage wie folgt: Oberst Klein hat den Generalinspekteur der Bundeswehr am 5. September 2009 - das war der Samstag - schriftlich über den Luftangriff vom 4. September 2009 informiert. Das Kanzleramt hat diesen Bericht zwei Tage nach der Regierungserklärung vom 8. September 2009, also am 10. September 2009, erhalten. Das Bundesministerium der Verteidigung hat keine Kenntnis über eine Absprache zu einer Strategieänderung zwischen Kanzleramt und Bundesnachrichtendienst.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schmidt, ich darf noch einmal nachfragen: Ist es also zutreffend, dass das Bundesverteidigungsministerium die Kenntnis über den Bericht des Obersts Klein, wonach er sich entschlossen habe, die Taliban zu vernichten, nicht an das Bundeskanzleramt weitergeleitet hat, obwohl eine Regierungserklärung angekündigt worden war, und dass dies der Grund dafür ist, dass dieser Umstand keinen Einfluss auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin hier vor dem Deutschen Bundestag gehabt hat?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich kann Ihnen bestätigen, dass die Weiterleitung dieses Berichts, der dem Generalinspekteur, wie gesagt, am 5. September 2009 vorgelegen hat, am 10. September 2009 an das Bundeskanzleramt erfolgt ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Trittin noch einmal.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schmidt, in dieser Regierungserklärung hat sich die Bundeskanzlerin gegen eine Kritik an diesem Luftschlag durch verbündete Staaten wie Frankreich ausdrücklich verwahrt. Hat es, nachdem dieser Bericht im Kanzleramt eingetroffen war und man ihn dort zur Kenntnis genommen hatte, irgendwelche Überlegungen gegeben, sich wegen dieser Äußerungen zumindest dahin gehend zu korrigieren, dass die Kritik unserer Verbündeten an diesem Luftschlag offensichtlich nicht völlig unbegründet war?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Trittin, die Kritik, auf die Sie Bezug nehmen, wurde nach meiner Erinnerung schon am Samstag geäußert. Wenn ich mich recht entsinne, geschah dies im Kontext eines EU-Außenministerrates in Stockholm. Es ist mir nicht bekannt, ob die betreffenden Autoren der kritischen Bemerkungen zu diesem Zeitpunkt über einen größeren Informationsstand verfügt haben. Unser Bestreben und das Bestreben der Bundesregierung war es immer, diesen gesamten Komplex, zu dem nicht nur der Bericht, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt auch der von dem Kommandeur der ISAF-Streitkräfte, General McChrystal, initiierte NATO-Bericht gehört, in der gebotenen Sachlichkeit aufzuklären und dafür einen Gesamtbezug herzustellen. Dies wird auch weiterhin so verfolgt. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Es gibt jetzt eine ganze Reihe von Meldungen, um eine Nachfrage zu dieser dringlichen Frage zu stellen. Zunächst hat Kollegin Hänsel das Wort, die inzwischen eingetroffen ist. Ich bitte Sie aber, jetzt nicht Ihre Frage, sondern eine Nachfrage zu stellen.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Ich möchte gerne nachfragen, ob die Bundesregierung nur die konkreten Informationen, also das Wissen, hinsichtlich des Verhaltens von Oberst Klein und der Bombardierung hatte und ob dies die Folge eines Strategiewechsels gewesen ist, der unter Billigung des Bundeskanzleramtes entschieden wurde. Gab es einen Strategiewechsel in Afghanistan bezüglich der dort stationierten Truppen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Nein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der nächste Fragesteller ist jetzt der Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben geschildert, dass Sie dem Bundeskanzleramt längere Zeit Informationen vorenthalten haben. Gleichwohl hat die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung Stellung zu Afghanistan genommen und dabei die Kritik der Verbündeten und in der Öffentlichkeit an diesem Luftschlag zurückgewiesen. Nach meiner Kenntnis des Geschäftsverlaufs im Bereich der Bundesregierung sind Regierungserklärungen keine frei gehaltenen Reden, sondern sie werden passagenweise mit den jeweils federführenden Ressorts abgestimmt. Wie sah die Meinungsbildung im Bundesverteidigungsministerium bezogen auf die falschen Passagen in der Regierungserklärung aus? Warum wurde Volker Beck ({0}) nicht informativ oder korrigierend eingegriffen, um der Bundeskanzlerin die Blamage zu ersparen, die Öffentlichkeit unwahr und fehlerhaft zu unterrichten, was bei unseren Verbündeten sogar zu Missstimmungen führte? Wir haben diese Erklärung der Bundeskanzlerin aufgrund einer falschen Tatsachenbasis gehört.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Beck, Ihre Nachfrage beinhaltet Ihre persönliche Bewertung der Vorgänge, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, und darauf brauche ich nicht zu antworten. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie meinen, dass es eine persönliche Bewertung ist, die nicht der Auffassung der Bundeskanzlerin entspricht, wenn man die Bewertung der Bundeskanzlerin in der Regierungserklärung für eine Fehleinschätzung hält?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich mache mir Ihre Bewertung nicht zu eigen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das war nicht die Frage. Könnten Sie bitte die Regierung ermahnen, Herr Präsident, auf unsere Fragen zu antworten? ({0}) Wir sind hier nicht im Kabarett. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Beck, auch ich habe als amtierender Präsident nicht das Recht, Antworten der Bundesregierung zu bewerten. ({0}) Das können Sie jeweils vornehmen. Die Verweigerung einer Antwort oder eine Antwort wie diese ist auch eine Form der Antwort. Das können Sie bewerten und dann in der noch folgenden Debatte weiter vertiefen und diskutieren. Der Nächste ist Kollege Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben eingeräumt, dass es eine verspätete Anlieferung des Berichts an das Bundeskanzleramt gab. Können Sie uns sagen, wie das Bundeskanzleramt auf diese Verspätung reagiert hat? Denn wahrscheinlich ist die Abweichung zwischen dem Datum des Berichts und seiner Übergabe an das Kanzleramt bemerkt worden. Ist dazu irgendeine Rückfrage des Bundeskanzleramts in Ihrem Haus eingetroffen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Sehr geehrter Herr Kollege, die Bewertungen im Bundeskanzleramt entziehen sich meiner Kenntnis. Aber Sie gestatten, dass ich an die Situation und die ihr zugrunde liegende Bewertung erinnere. Wenn ich mich recht entsinne, hatten auch wir an den besagten Tagen telefonischen Kontakt miteinander. Wir haben beide versucht, uns aus den uns zur Verfügung stehenden Informationen, die wir offen gewonnen hatten, ein Bild zu machen. Die Bundeskanzlerin hat in der Regierungserklärung vom 8. September Folgendes gesagt - ich zitiere -: Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls vom letzten Freitag und seiner Folgen ist für mich und die ganze Bundesregierung ein Gebot der Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu beitragen. Das hat sie dann auch getan. Ich zitiere weiter: … ich stehe genauso dafür ein, dass wir Vorverurteilungen nicht akzeptieren werden. Herr Kollege, Sie gestatten, dass ich noch einmal auf die Frage des Kollegen Beck zurückkomme. Ich meine, das spricht für sich und lässt nachvollziehen, welche Position sich zu dieser Zeit ergeben hat.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich darf Sie dann so verstehen, dass das Bundeskanzleramt auf die verspätete Übergabe des Berichts nicht in Richtung Verteidigungsministerium reagiert hat.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Soweit mir zur Kenntnis gelangt ist, werden die Beziehungen zwischen den Ressorts in der Bundesregierung und die Kommunikation Gegenstand des heute eingerichteten Untersuchungsausschusses sein. Dort wird der Platz sein, um über diese Fragen zu reden. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage geht an Kollegen Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, vielleicht müssen Sie die Frage an den Herrn Staatsminister weitergeben. Ich frage Sie: War am Morgen des 4. September 2009 in Kunduz bei der Erteilung der Weisung an die US-Kampfbomber, Bomben abzuwerfen und Menschen zu vernichten, ein Angehöriger des Bundesnachrichtendienstes anwesend, und wurde aus diesem Gespräch oder aus diesem Vorgang eine Information über das, was am 4. September im Hauptquartier in Kunduz geschah, direkt an die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes und an das Aufsicht führende Kanzleramt weitergegeben?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Ströbele, ich verlasse mich und vertraue auf Ihre unvergleichliche Expertise als Angehöriger von Gremien dieses Hauses, die sich mit der Vertraulichkeit oder der Geheimhaltung unterliegenden Strukturen befassen, und gehe deswegen von Ihrem Verständnis dafür aus, dass nachrichtendienstliche Dinge in den entsprechenden Gremien berichtet und behandelt werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage anderer Auffassung ist als Sie und im Jahr 2009 in einer Entscheidung festgestellt hat, dass die Existenz des Parlamentarischen Kontrollgremiums oder eines Untersuchungssausschusses die Bundesregierung nicht von der Verpflichtung befreit, Abgeordneten des Deutschen Bundestages öffentlich - auch in einer Fragestunde - Auskunft zu erteilen, ({0}) es sei denn, dass zwingende Gründe für eine Geheimhaltung vorliegen? Sie haben aber solche Gründe nicht einmal andeutungsweise geltend gemacht.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident, der Kollege Ströbele hat auch eine dringliche Frage gestellt. Wenn es mir gestattet ist, möchte ich fragen, da nun die eine Frage mit der anderen - ({0}) - Es ist mir nicht gestattet, zu fragen? Entschuldigung, Frau Enkelmann, aber dieses Verständnis von Parlamentarismus muss ich erst noch erlernen. ({1}) - Das mache ich alles. - Wenn wir aber über den Umgang miteinander reden - das Wort „Kabarett“ ist gefallen; der Kollege Beck wird das sicherlich in einem persönlichen Gespräch mit mir zurücknehmen -, dann bestehe ich darauf, dass ich, der sich nach bestem Wissen und Gewissen gegenüber diesem Parlament äußert, auch so wahrgenommen werde. Herr Ströbele, das gilt auch für Sie. ({2}) Ich verstehe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht allgemein als Freifahrtschein für die Nichtbeantwortung bestimmter Fragen. Hier nehme ich aber tatsächlich Bezug auf bestehende Geheimhaltungspflichten. Wie Sie wissen - darauf hatte ich eingangs hingewiesen -, beantworte ich Fragen, die mit nachrichtendienstlichen Dingen zu tun haben, nicht, nicht deswegen, weil ich gegenüber dem Parlament nichts sagen will, sondern, weil ich aus zwingenden Gründen nichts sagen kann. ({3}) Zum Beispiel liegt zu der Operation, nach der Sie gefragt haben, ein nach wie vor NATO-klassifizierter Bericht vor, der die Grundlage unserer Beratungen ist und am 3. November allen Fraktionen auf entsprechende Art und Weise über die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Kenntnis gegeben worden ist. Auf der Basis dieser Informationen muss dann in entsprechendem Rahmen darüber gesprochen werden. Selbstverständlich ist die Bundesregierung dann zu allen sachdienlichen und notwendigen Äußerungen und Informationen bereit.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage stellt nun der Kollege Bartels.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, auch wenn wir jetzt einen Untersuchungsausschuss eingesetzt haben, gelten die Rechte des Parlaments fort, genauso wie die Pflichten der Regierung zur Beantwortung der Fragen in der Fragestunde nach bestem Wissen und Gewissen. Ich frage Sie betreffend die fragliche Nacht, über die wir noch immer Informationen haben wollen - manches ist sicherlich „Geheim“ eingestuft -: Wussten Sie damals oder wissen Sie heute, ob es in dieser Nacht einen Kontakt von Berlin oder Potsdam zum Gefechtsstand in Kunduz gab?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Auch diese Frage kann ich, soweit sie offen zu beantworten wäre, nicht beantworten. Ich verweise darauf, dass auch darüber im Untersuchungsausschuss berichtet wird. Sobald es eine offene Antwort geben kann und gibt, werde ich Ihnen diese Antwort schriftlich nachliefern. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nächster Fragesteller ist Kollege Fritz Rudolf Körper.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es richtig, dass der damalige beamtete Staatssekretär Herr Dr. Wichert an diesem besagten Dienstag, dem 8. September, an dem auch die Regierungserklärung abgegeben worden ist, im Kanzleramt einen Bericht zu den Vorgängen um Kunduz abgegeben hat? Mich würde interessieren, auf welcher Grundlage dieser Bericht abgegeben worden ist, und mich würde auch interessieren, wie dieser Bericht mit seinen Inhalten dann im Bundeskanzleramt weiter bearbeitet worden ist.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich denke, dass sie auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist. ({0}) - Ich kann sie Ihnen deswegen nicht beantworten, weil ich es heute nicht sagen kann. Soweit sie offen ist, werde ich Ihnen die Antwort schriftlich nachliefern. Meine einzige persönliche Kenntnis ist, dass ich am 7. September in der Tat Herrn Wichert persönlich gesehen habe, aber nicht im Kanzleramt. Sie wollen doch eine präzise Antwort in den zuständigen Gremien bekommen. Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, diese zu geben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich will, damit hier kein falscher Streit entsteht, sagen: Sofern der Parlamentarische Staatssekretär sagt, er könne die Frage nicht beantworten, weil er es nicht wisse und erst das Wissen einholen müsse, ist das korrekt; wenn er sagt, er könne nicht antworten, weil das Geheimhaltungsvorschriften unterliege, ist es sinnvoll, das anzugeben, weil das zwei unterschiedliche Antworten sind. Nur, damit nicht an der falschen Stelle Ärger entsteht. Ich bitte um diese feine Unterscheidung in beiderseitigem Interesse. ({0}) Der nächste Fragesteller ist Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Frage meiner Kollegin Hänsel, ob es einen Strategiewechsel der Bundesregierung gegeben habe, klipp und klar gesagt: Nein. - Daran ist nun nicht zu deuteln. Heißt das, dass gezielte Tötungen von Menschen - um eine solche hat es sich zweifelsfrei in Kunduz gehandelt - zur Strategie der Bundesregierung gehören, wenn es keinen Strategiewechsel gegeben hat?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Gehrcke, ohne dass ich einer mir vorliegenden Frage des Kollegen Ströbele und deren Beantwortung vorgreife, will ich darauf hinweisen, dass sich die Tätigkeit der Bundeswehr im Rahmen der völkerrechtlichen Mandate, des humanitären Völkerrechts und des Mandates des Deutschen Bundestages bewegt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einmal zu Ihrer Aussage, es habe keinen Strategiewechsel gegeben, fragen, weil mich dieser apodiktische Ausdruck etwas erstaunt hat. Heißt das, Sie verneinen auch, dass es im Juli dieses Jahres eine Verschärfung oder eine Veränderung der Einsatzregeln gegeben hat?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, wenn Sie auf die Diskussion über die Änderung der Taschenkarte Bezug nehmen, die in der Tat im Juni/Juli dieses Jahres stattgefunden hat, dann muss ich sagen, dass es keine Änderungen der Regeln insgesamt, sondern dass es entsprechende Klarstellungen in dieser Taschenkarte gegeben hat. Über die ROEs, über die Einsatzregeln, die nun wiederum NATO-klassifiziert sind, kann ich Ihnen - Herr Präsident, aus diesem Grund - auch ansatzweise keine Auskunft erteilen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Müller, noch eine Nachfrage? Bitte.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Diese Diskussion wird uns begleiten. - Sie behaupten also, die sogenannte Taschenkarte sei kein Hinweis auf ein möglicherweise verändertes Vorgehen der Soldaten vor Ort. Da muss ich schon nachfragen; denn es hat in diesem Zusammenhang entsprechende Diskussionen gegeben. Der Auftrag ist klar formuliert. Es wird gesagt: Die militärische Gewalt muss verhältnismäßig sein. In diesem Zusammenhang ist von Verteidigungsminister Jung und von Generalinspekteur Schneiderhan zur Lage in Kunduz sehr deutlich gesagt worden, es sei - ich möchte zitieren „an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen“. Man sei in Kunduz nun besonders herausgefordert. Das heißt, es hat eine Änderung hin zu einer Eskalationsstrategie gegeben. Das wurde vom GI Schneiderhan nicht bestritten und von Minister Jung entsprechend untermauert. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, dass die Taschenkarte keine Veränderung der Verhaltensregeln der Soldaten vor Ort und damit keinen Strategiewechsel bedeutet?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, wir sind bei dem klassischen intellektuellen Problem, dass wir vorher klären müssten, was Eskalationsstrategie in Ihrem Sinne heißt. Ich habe die Frage klar beantwortet. Ich bleibe dabei: Es gab keine Eskalationsstrategie in dem Sinne, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen, also das Mandat der Vereinten Nationen, geändert worden sind. Was die Taschenkarte angeht: Beispielsweise wurde die Frage präzisiert, was hinsichtlich der Nacheile - das ist ein polizeilicher Begriff; die Verhältnismäßigkeit bleibt davon unangetastet - in Bezug auf einen sich auf der Flucht befindlichen Gegner getan werden kann und darf. Sie erinnern sich vielleicht an den Begriff „kawum“; damit wurde die Taschenkarte karikiert. Durch den Ein820 satz dieser Taschenkarte ist dem Soldaten auferlegt worden, in Dari, Paschtu oder Englisch „Stehen bleiben!“ und weitere Dinge zu rufen, was sich in der Praxis als recht schwierig umsetzbar dargestellt hat. Die Änderung der Taschenkarte hat übrigens auch im Deutschen Bundestag große Unterstützung erfahren, und zwar über die Koalitionsfraktionen hinaus. Ich habe durchaus in Erinnerung, dass einige Kollegen - Kollege Rainer Arnold, Kollegen der FDP, aber auch Kollegen der Grünen - diese Änderung der Taschenkarte durchaus als notwendig betrachtet haben. Das Ganze ist keine Eskalationsstrategie, sondern eine Klarstellung für den Soldaten, was er in einer konkreten Situation auf der Basis dessen, was rechtlich vorgegeben war, tun kann und darf. Ich betone, dass das keine theoretischen Fragen sind. Lassen Sie mich meine Ausführungen einfach mit der Information verbinden, dass ich gerade die Meldung bekomme, dass gegen 12.45 Uhr Ortszeit Kräfte der afghanischen Polizei von OMF, also von gegnerischen Kräften, mit Panzerabwehrhandwaffen beschossen wurden, dass deutsche Soldaten Unterstützung geleistet haben und dass sich einer dieser Soldaten gerade einer Operation unterziehen muss. Damit will ich nur sagen, dass die Bundesregierung hier im Deutschen Bundestag über diese Fragen mit einem sehr konkreten Bezug zur Realität im Einsatz berichtet. ({0}) Wir wünschen diesem Soldaten alles Gute. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage stellt Kollege Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Unsere Fraktion schließt sich den Genesungswünschen an. Wir wissen, was die Realität ist. Ich glaube, die Realität ist nicht teilbar. Vieles hat stattgefunden, und deswegen ist der Aufklärungsbedarf hier im Deutschen Bundestag groß. Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Ansicht, dass der Generalinspekteur ein Berater der gesamten Bundesregierung ist, wahrscheinlich vorzugsweise der derzeitigen Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes sowie des Verteidigungsministers? Könnten Sie vielleicht bestätigen, ob nach dem Angriff bzw. dem Vorfall in Kunduz eine Unterrichtung stattgefunden hat, entweder, indem Generalinspekteur Schneiderhan diese von sich aus vorgenommen hat, oder, indem diese auf Bitten des Kanzleramtes oder der Kanzlerin direkt erfolgt ist, und, wenn ja, sagen, wann davon Gebrauch gemacht worden ist?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, zunächst herzlichen Dank für die von Ihrer Fraktion bzw. von Ihnen ausgesprochenen Wünsche. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Zeichen für die Soldaten im Einsatz, das sie sicherlich wahrnehmen werden. Der Generalinspekteur ist Berater der Bundesregierung. Er ist seit der Veränderung seiner Zuständigkeiten vor zehn Jahren mittlerweile auch für die Einsätze unmittelbar mitverantwortlich. Insofern ist er der Ansprechpartner. Über genaue Zahlen und Daten kann ich Ihnen keine Auskunft erteilen mit einer Ausnahme, die ich aus eigenem Wissen kenne und die ich gleich anfügen werde, da ich ja verpflichtet bin, es Ihnen zu nennen. Alles andere werde ich Ihnen gerne schriftlich nachliefern. Ich weiß, dass die Bundeskanzlerin und der Bundesverteidigungsminister Jung den Generalinspekteur gebeten hatten, sich in Kunduz vor Ort ein Bild über die Lage zu verschaffen und anschließend zu unterrichten. Diese Reise hat nach meiner Erinnerung circa sechs bis sieben Tage nach dem Vorfall stattgefunden. Ich bitte, mich korrigieren zu dürfen, falls es sich anders verhalten sollte. Der genannte Zeitraum ist allerdings ziemlich präzise. Dann hat der Generalinspekteur der Bundesregierung Bericht erstattet. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte, Kollege Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich in diesem Zusammenhang nachfragen, was denn der Inhalt der Unterrichtung gegenüber der Bundesregierung und insbesondere gegenüber der Bundeskanzlerin gewesen ist?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Das kann ich nicht sagen. Ich will Ihnen aber den Inhalt der Unterrichtung, die ich vom Generalinspekteur erhalten habe - nehmen Sie diese bitte als eine auf mich bezogene -, nicht vorenthalten. Ich erhielt den Hinweis, dass die Situation zu dieser Zeit von einem sehr strikten Reglement des COMISAF, des Generals McChrystal, geprägt war, was dazu geführt hatte, dass über den Vorgang selbst Gespräche seitens der NATO, seitens ISAF nicht gewünscht waren. Der Generalinspekteur hat das sehr detailliert beschrieben und darauf hingewiesen, dass der NATO-Kommandeur die Unabhängigkeit der eingesetzten Untersuchungskommission, geführt vom kanadischen General Sullivan, dann gefährdet sehen würde, wenn von seiner Seite aus Informationen zu diesem Thema gegeben oder Gespräche darüber mit dem Generalinspekteur geführt würden. So habe ich es in Erinnerung. Ich denke, das entspricht im Kern den Aussagen, die damals gemacht wurden. Der Bericht, den General McChrystal von der Gruppe um General Sullivan Ende Oktober/Anfang November erhalten hat, hat dann ja auch in den uns bekannten Zeiträumen zu Ergebnissen geführt, die Ihnen bzw. den Fraktionsvorsitzenden und den anderen Bundestagskollegen über die Geheimschutzstelle vorliegen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir eine geschäftsleitende Zwischenbemerkung: Mir liegen jetzt noch neun Wortmeldungen zu Nachfragen zu der ersten beantworteten Frage vor. ({0}) Es gibt noch elf weitere Fragen, auf die die Bundesregierung antworten soll. Ich denke, es entspricht dem Informationsbedürfnis, dass die Bundesregierung auch diese anderen Fragen beantworten soll, die alle die gleiche Thematik betreffen, aber jeweils einen anderen Aspekt behandeln. ({1}) Ich würde also gerne erst einmal einen Schlussstrich unter diese neun Wortmeldungen ziehen, damit wir dann zur nächsten Frage, nämlich der Frage 3 wiederum des Kollegen Trittin, kommen können. Einverstanden? - Ich sehe, Sie sind einverstanden. Ich gebe nun Kollegin Künast das Wort.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben gehört, dass die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland den 8. September mit ihrer Regierungserklärung zum Tag der klaren Worte gemacht hat. Sie hat ganz klar gesagt, sie verbitte sich sowohl vom Inland als auch vom Ausland Bewertungen, und genau darüber habe sie auch mit dem NATO-Generalsekretär Rasmussen gesprochen, „und zwar sehr unmissverständlich“, wie sie wörtlich sagt. Jetzt wissen wir, dass die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Merkel, an diesem 8. September sozusagen im Zustand der Unwissenheit war. Ich frage Sie deshalb: Hat sie, nachdem sie am 10. September Kenntnis davon erlangte, dass es eine gezielte Tötung sein sollte und war, gegenüber Stellen im Ausland, die sie vorher unmissverständlich zurückgewiesen hat, oder gegenüber dem NATOGeneralsekretär Rasmussen das Gespräch gesucht und sich insoweit entschuldigt, nach dem Motto: „Ich bin seit dem 10. klüger als am 8. September; es ist doch so, wie NATO-Leute behauptet haben; es handelte sich um eine gezielte Tötung“?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Jetzt muss ich Ihre Frage erst einmal von den Unterstellungen befreien. Sie sagten, NATO-Leute hätten behauptet, es wäre eine gezielte Tötung gewesen, mit all den Konsequenzen und Begrifflichkeiten, die wir heute schon gehört haben. Erstens bin ich froh, dass die Bundesregierung an der Spitze eine Bundeskanzlerin hat, die sich unmissverständlich äußert. ({0}) Zweitens finde ich, Frau Kollegin, einer deutschen Bundeskanzlerin vorzuwerfen, dass sie sich in einer unklaren Informationslage - wir reden hier nur von einem einzigen Bericht; aber es gibt ja sehr viele Berichte -, aber doch mit einigen bestehenden Informationen und Einschätzungen vor die Vertreter ihres Landes - dazu gehören auch die Soldaten der Bundeswehr - stellt, halte ich für eine hochinteressante Position, über die man diskutieren sollte. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage, Kollegin?

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Schmidt, wenn Sie meinen, das sei ein Sich-vordie-Soldaten-Stellen, dann muss ich Sie einmal fragen: Glauben Sie, dass es in dem Fall richtig ist, dass die Bundeskanzlerin Nachfragen und Kritik von außen einfach zurückweist, und zwar unmissverständlich und scharf, oder wäre es nicht eigentlich richtiger und besser gewesen, für alle Soldaten vor Ort und alle zukünftigen Einsätze zu sagen: „Ich bin als Bundeskanzlerin für die lückenlose Aufklärung“? Und wenn lückenlose Aufklärung im Sinne Deutschlands, im Sinne einer Parlamentsarmee und im Sinne der Soldaten ist, frage ich noch einmal: Hat die Bundeskanzlerin nachher das Gespräch mit dem NATO-Generalsekretär gesucht oder ihm gegenüber schriftlich zum Ausdruck gebracht: „Ja, ich weiß mittlerweile mehr als am 8. September; es handelte sich um eine gezielte Tötung“? So viel weiß die Kanzlerin jetzt ja.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich kann Ihnen mit Freuden berichten, dass die Bundeskanzlerin am 8. September in ihrer Regierungserklärung eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls gefordert hat. ({0}) Es entzieht sich meiner Kenntnis, auf welcher Informationsgrundlage der NATO-Generalsekretär, der französische Außenminister und der luxemburgische Außenminister sich geäußert haben. Frau Kollegin Künast, wenn man korrekt sein will - das wollen wir alle -, muss man sagen: Die beiden Letzteren konnten den Bericht noch gar nicht kennen; denn er wurde an diesem Tag erst ge822 schrieben. Also liegt die Vermutung nahe, dass sich ausländische Politiker, Verantwortliche auf einer offensichtlich dürftigen Datengrundlage über einen Vorgang geäußert haben. ({1}) Es wäre in keiner Weise zu beanstanden gewesen, wenn von ausländischer Seite eine vollständige Aufklärung des Vorfalls gefordert worden wäre, wie es, soweit ich mich richtig entsinne, diplomatischen Gepflogenheiten entsprechen würde. Ich bleibe dabei - das ist meine Interpretation -, dass die Bundeskanzlerin eine Verpflichtung hat und diese Verpflichtung auch gesehen hat, sich vor ihr Land zu stellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schmidt, bitte.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich habe jetzt zur Kenntnis genommen, dass die Kanzlerin den COMISAF-Bericht erst nach der Regierungserklärung vom 8. September erhalten haben soll. Gab es denn vorher eine irgendwie geartete andere Berichterstattung des Verteidigungsministeriums zu den zentralen Sachverhalten dieses Berichtes an das Kanzleramt, die in die Regierungserklärung eingeflossen sein kann? Oder schließen Sie jeden Informationsfluss zwischen Verteidigungsministerium und Bundeskanzleramt in diesem Zusammenhang bei der Vorbereitung der Regierungserklärung aus? ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Schmidt, ich will darauf hinweisen, dass Sie gerade vom COMISAF-Bericht gesprochen haben. Ich war aber gefragt worden, wann der Bericht, den Oberst Klein verfasst hatte, über den Generalinspekteur im Bundeskanzleramt eingegangen ist. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich sehr Wert darauf lege, dieses fein säuberlich zu trennen. Der COMISAF-Bericht hat die Bundesregierung am 26. Oktober dieses Jahres erreicht und wurde vom Bundesminister der Verteidigung zu Guttenberg in sehr zügiger und umfassender Weise sofort in englischer Version und dann - es musste erst eine Übersetzung angefertigt werden - in einer deutschen Version dem Deutschen Bundestag über die Geheimschutzstelle zur Verfügung gestellt. Sie konnte sich deswegen zu diesem Zeitpunkt auf diesen Bericht natürlich nicht stützen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Lenkert.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, eine kurze Frage: Wann hat das Bundeskanzleramt den Bericht von Oberst Klein erhalten?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich glaube, ich habe das schon gesagt: am 10. September 2009. - Ich kann das bestätigen, nicht nur als Vertreter der Absender, sondern auch als Vertreter der Empfänger.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schockenhoff, bitte.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, haben Sie Informationen darüber, ob dem Auswärtigen Amt der Bericht von Oberst Klein vorgelegen hat oder ob vom Auswärtigen Amt dieser Bericht angefordert worden war, als am 8. September der Außenminister seine Bewertung der Ereignisse am Kunduz-Fluss abgegeben hat und sich gegen eine Vorverurteilung des Einsatzes vor dem Deutschen Bundestag verwahrt hat?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Kollege Schockenhoff, das ist mir nicht bekannt. Ich sage zu, dass ich diese Frage schriftlich beantworte.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Beck, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte auf die vorhin vom Kollegen Ströbele gestellte Nachfrage zurückkommen und diese an die zuständige Stelle in der Bundesregierung richten. Kollege Ströbele hatte nicht nach dem Inhalt eines eingestuften Berichtes gefragt, sondern danach, ob der Bericht beim Bundeskanzleramt oder bei der BND-Leitung angekommen sei. Die Grundfrage war: War ein Mitarbeiter des BND vor Ort in Kunduz? Hat er einen Bericht abgegeben? Hat er diesen an die BND-Leitung geschickt, und hat die BND-Leitung das Bundeskanzleramt als aufsichtsführende Stelle hierüber unterrichtet? Ich möchte noch geschäftsleitend darauf hinweisen, dass wir in der letzten Wahlperiode zu dieser Art von Fragekomplex ein Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung gewonnen haben. Danach dürfen geheimschutzrelevante Dinge ausdrücklich nicht mit dem Verweis auf das PKGr oder einen Untersuchungsausschuss nicht beantwortet werden. Sie müssten anderenfalls hier vortragen, dass der Vorgang nicht abgeschlossen ist und er der Geheimhaltung deshalb unterliegt, weil er - hier konkret die Operation in Afghanistan - noch gefährdet ist. Das werden Sie bei einem abgeschlossenen Vorgang schlechterdings nicht vortragen können. Deshalb bitte ich das Bundeskanzleramt um die wahrheitsgemäße und vollständige Beantwortung meiner Frage und der Frage des Kollegen Ströbele. Volker Beck ({0}) ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister von Klaeden.

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, mir ist ein solcher Vorgang nicht bekannt. Ich sichere Ihnen aber zu, dass die Bundesregierung im Rahmen des Untersuchungsausschusses alle ihr zur Verfügung stehenden Informationen zusenden wird. ({0}) - Ich sage Ihnen doch gerade: Mir ist das nicht bekannt. Bitte hören Sie doch mal zu! - Ich sichere Ihnen zu, dass die Bundesregierung dem Untersuchungsausschuss alle Unterlagen, die ihr in diesem Zusammenhang zur Verfügung stehen, überstellen wird. Sollte es einen solchen Bericht geben - ohne dass ich seine Existenz bestätigen kann -, wäre schon die Bestätigung der Existenz des Berichtes, falls er klassifiziert ist, ein Bruch der Geheimhaltungsvorschriften. ({1}) - Doch, so ist es. - Deswegen, Herr Kollege, sage ich noch einmal: Mir ist das nicht bekannt. Die Bundesregierung wird dem Parlament über den Untersuchungsausschuss alle erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Herr von Klaeden, ich möchte Sie bitten, ausdrücklich zu prüfen, ob Sie diese Frage, die wir, der Kollege Ströbele und ich, hier gestellt haben, dem Parlament im Nachgang hierzu - wenn Sie es nicht wissen, können Sie es hier nicht beantworten - schriftlich beantworten können; ({0}) denn Sie sind außerhalb des Untersuchungsausschusses rechenschaftspflichtig, soweit Sie sich nicht auf Geheimhaltungsbedürfnisse berufen können. Die Klassifizierung eines Berichtes reicht nicht aus, um zu sagen, dass Sie über diesen Vorgang hier nicht berichten. Ich bitte Sie, das Urteil noch einmal nachzulesen. Ich habe Sie schon vor zwei Wochen im Ältestenrat darauf hingewiesen. Ich bitte Sie, dies endgültig zur Kenntnis zu nehmen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich denke, es wäre vernünftig, wenn an dieser Stelle auch die Bundestagsverwaltung eine Prüfung dahin gehend vornimmt, ob und in welchem Umfang diese Art von Fragen auf der Basis dieses Urteils zu beantworten sind oder nicht. ({0}) Ich glaube, es dient dem parlamentarischen Frieden, wenn das geklärt ist. Die nächste Frage stellt Kollege Arnold.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen von der fragilen Informationslage am 7./8./9. September. Stimmen Sie mir zu, dass es innerhalb der NATO und innerhalb der Bundesregierung einen gleichen Informationsstand gab - denn am Abend des 7. September, also am Montagabend, ist der ISAF-Vorabbericht eingegangen, der auch Grundlage für die Obleuteunterrichtung am 8. September morgens war -, und stimmen Sie mir ebenso zu, dass dieser ISAF-Vorabbericht mehr ist als ein - wie er vom Pressesprecher des damaligen Verteidigungsministers bezeichnet wurde - Reisebericht, und dass darin vielmehr schon sehr dezidiert von zivilen Opfern gesprochen worden ist, eindeutige Regelverstöße benannt und weitere Untersuchungen für dringend erforderlich erklärt worden sind? ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich beantworte die Frage mit Ja. Dieser Bericht ist eingegangen und war auch im Bundesministerium der Verteidigung verfügbar. ({0}) - Herr Präsident, da war eine Nachfrage. Ich weiß nicht, ob ich die aufnehmen soll.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Arnold hat keine Nachfrage angemeldet. Oder doch?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Es war, glaube ich, eine Kollegin.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nein. - Kollegin Haßelmann hat jetzt das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben im Laufe der Fragestunde den Parlamentarierinnen und Parlamentariern bei sehr vielen Fragen eine Antwort verweigert, und zwar mit Hinweis auf die Geheimhaltungspflichten. Vor dem Hintergrund dessen, was mein Kollege Beck gerade zitiert hat, wird eine solche Verweigerung nicht haltbar sein; davon gehe ich aus. Im Übrigen bitte ich Sie, mir folgende Diskrepanz zu erklären: Sie verweigern es, uns Parlamentariern die Informationen zu geben, die der zuständige Minister zum Teil gerne in Talkshows und in sämtlichen Medien der Öffentlichkeit preisgibt. ({0}) Was glauben Sie eigentlich, welchen Eindruck es erweckt, dass zunächst Mitglieder unserer Fraktion in einem vertraulichen, streng geheimen Gespräch vom zuständigen Verteidigungsminister aufgeklärt und informiert werden - mit Hinweis darauf, dass sie nicht einmal in der Fraktion darüber berichten dürfen -, der Minister aber gleich nach diesem Termin vor die Kameras tritt und dort darüber berichtet, wie er den Stand der Dinge sieht? Ich sehe, dass Sie heute auf gleiche Art und Weise fortfahren. Wir bekommen keinerlei Informationen. Sie sind nicht in der Lage, uns die entsprechenden Aktenzeichen der Dokumente zu nennen, die sozusagen die Geheimhaltungspflicht begründen, und verweigern hier dem Parlament Auskünfte. ({1})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Kollegin Haßelmann, ich möchte Ihre Bemerkungen aufteilen in Anwürfe, auf die ich nicht eingehe, und Fragen, die ich beantworte. Ich weise darauf hin, dass der Bundesminister der Verteidigung nicht nur zugesagt, sondern auch umgesetzt hat, dass die in seiner Zuständigkeit der Klassifizierung liegenden Vorgänge, soweit nicht Sicherheitsinteressen - ich habe gerade von einem aktuellen Fall berichtet - berührt werden, entsprechend herabgestuft werden. Ich hoffe, Sie entwickeln hierfür insofern Verständnis, dass Sie der Bundesregierung nicht unterstellen, sie wolle hier aus einem anderen Impetus als Sicherheitsgründen Klassifizierungen aufrechterhalten. Die meisten Klassifizierungen, die geprüft worden sind, wurden auf die niedrigste Stufe, VS-NfD, herabgestuft. Somit sind die Unterlagen offen zugänglich. ({0}) Leider liegen mir keine Aktenzeichen vor. Der wesentliche Bericht der NATO wurde aber von der NATO als geheim klassifiziert. Sie wissen, dass die Regeln so sind: Derjenige, der einstuft, stuft hinauf oder herab, kein anderer. Allerdings hat die NATO trotz einer entsprechenden Anfrage des Bundesministers der Verteidigung bisher keine neue Klassifizierung vorgenommen. ({1}) Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, dass aus diesen Berichten, die Ihnen vorliegen, nicht zitiert wird. Ich darf darauf hinweisen, dass Sie das Ende der Fragestunde abwarten sollten. Mir liegt eine ganze Reihe von dringlichen und sonstigen Fragen vor, bei denen ich durchaus bereit und in der Lage bin, Antworten zu geben. Die Frage der Bewertung ist davon zu trennen. Vor zwei Wochen hat der Bundesminister in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag dem Parlament die Änderung seiner Einschätzung und Bewertung der Vorgänge mitgeteilt, hin zu einer Bewertung als militärisch nicht angemessener Vorgang. Er beabsichtigt auch, diese Politik der Offenheit nicht nur dem Untersuchungsausschuss und den zuständigen Ausschüssen, sondern auch dem Parlament gegenüber fortzuführen und, sobald die Freigabe der Klassifizierung erfolgt, das Thema offen zu diskutieren. Ich werde in der Folge bereit sein, Ihren Anspruch auf Information zu erfüllen, und aus offenen Dokumenten berichten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege van Aken.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin neu im Parlament. Ich war relativ naiv davon ausgegangen, dass eine Fragestunde dazu dient, dass die Parlamentarier fragen und die Regierung antwortet. Ich bin erschüttert über das, was ich hier erleben muss. Das geht gar nicht. ({0}) 142 Menschen sind gestorben. Es steht der Vorwurf im Raum, dass gelogen wurde und Recht verletzt worden ist. Frau Merkel hat lückenlose Aufklärung zugesagt. Jetzt schickt sie zwei Männer ins Rennen, deren einziges Briefing offensichtlich darin bestand, nichts zu sagen. Das geht so nicht! ({1}) Deswegen stelle ich meine Frage nicht. Ich werde meine Frage dann stellen, wenn Frau Merkel persönlich hier sitzt und endlich bereit ist, Antworten zu geben. Ich finde, so geht es nicht weiter. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt Herr Kollege Groschek.

Michael Groschek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004044, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage den Vertreter der Bundesregierung nicht nach seiner persönlichen, sondern nach seiner offiziellen regierungsamtlichen Meinung bzw., ob er Kenntnis davon hat, dass Oberst Klein in der fraglichen Nacht in Kunduz aufgrund von Weisungen, Befehlen oder dringlichen Anregungen zu seiner Entscheidung gekommen ist.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, wenn Sie den kryptischen Teil Ihrer Frage weglassen und mir sagen würden, ob Sie meinen, dass er Befehle gegeben hat, dann kann ich sagen: Ja. Wenn Sie meinen, dass da irgendjemand anderes war, der ihm Befehle gegeben hat, dann bitte ich Sie, das noch etwas auszuführen.

Michael Groschek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004044, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Letztere ist der Fall. Mich interessiert, ob die Bundesregierung Kenntnis davon hat, dass Oberst Klein in der fraglichen Nacht bei dem fraglichen Befehl weisungsgebunden gehandelt hat oder auf dringliche Anregung aus anderen militärischen Zusammenhängen.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Jeder Soldat ist zwar weisungsgebunden, aber jeder Soldat hat einen eigenen Ermessens- und Entscheidungsspielraum. Der Kommandeur des PRT Kunduz, Oberst Klein, hat an diesem Tag von seiner Befehlsgewalt Gebrauch gemacht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke. - Wir kommen zur dringlichen Frage 3 des Kollegen Jürgen Trittin. Beinhaltete die Absprache zwischen Bundeskanzleramt, Bundesministerium der Verteidigung und Bundesnachrichtendienst vom 22. Juli 2009 zu einer veränderten Strategie in Afghanistan auch die Möglichkeit des gezielten Tötens Verdächtiger, wie es verschiedene Zeitungen am Wochenende ({0}) berichteten? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Trittin, ich bin auf der Suche nach Ihrer Frage. Entschuldigung, Herr Präsident, mir liegt eine andere Frage vor.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Es ist die dringliche Frage 3.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Die dringliche Frage 3? - Nein. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Antwort heißt Nein?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ja. ({0}) Das ist das wesentliche Wort in der deutschen Sprache, mit dem man auf Fragen antwortet. ({1}) - Manchmal mit Ja. ({2}) Herr Präsident, könnten wir die Erregung in den Fraktionen über die deutsche Sprache etwas mäßigen?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Trittin, bitte.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schmidt, nachdem Sie diese Frage mit Nein beantwortet haben: Wie würden Sie dann einen Vorgang bezeichnen, bei dem zwei Kampfpiloten fünfmal nachfragen, ob es eine Rechtsgrundlage für den Befehl gibt, diese Bomben abzuwerfen, was voraussetzen würde, Troops in Contact am Boden zu haben, bei dem diese Piloten fünfmal nachfragen, ob sie nicht die anwesenden Menschen vor Ort vor dem Abwurf von Bomben durch Tiefflug warnen sollen, bei dem diese Piloten zweimal bei dem zuständigen Offizier nachfragen, ob sie auf die Tanklastzüge oder zwischen die Tanklastzüge, also da, wo die Menschen stehen, zielen sollen, und bei dem von der Einsatzleitung, dem zuständigen Offizier, darauf gedrungen wird, diesen Angriff durchzuführen, da die Menschenmenge dabei sei, sich davonzubewegen? Ist dies nicht ein Vorgang, den man in der deutschen Sprache landläufig als „gezieltes Töten“ bezeichnet? ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Bei Ihrer Frage zitieren Sie Erkenntnisse, die Ihnen in Ihrer Funktion zugegangen sind, die ich hier nicht kommentieren will. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Vor allem hat der Herr Staatssekretär das Wort zu einer Antwort.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident, ich bitte darum, darauf hinweisen zu dürfen, dass die Tatsache, dass in Medien oder anderswo aus klassifizierten Berichten zitiert wird, die Verantwortungsträger nicht davon befreit, diese Klassifizierungspflichten ernst zu nehmen. ({0}) Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass über die Vorgänge, die Sie ansprechen und die zur Diskussion stehen, Kollege Trittin - ich habe Sie wegen Ihrer Aussagen nicht kritisiert, aber belassen wir es dabei -, gegenwärtig bei der Bundesanwaltschaft - dieser Vorgang wurde ihr von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden übergeben - eine Vorklärung, ob es hier zu Rechtsverletzungen gekommen ist, stattfindet, um diesen Sachverhalt nach den Kriterien des Kriegsvölkerrechts, des humanitären Völkerrechts und anderen Fragen des Völkerstrafgesetzbuches, das wir in diesem Parlament verabschiedet haben, zu klären. Auch wenn ich mich der Gefahr aussetze, dass Sie mich einer Nichtantwort bezichtigen, bitte ich Sie, in diesem Punkt den Blick in der Tatsachenermittlung darauf zu verwenden, dass jeder, der von diesem Parlament und von der Bundesregierung in Einsätze geschickt wird, im Sinne der Fürsorgepflicht - davon mache ich jetzt tatsächlich Gebrauch - das Recht hat, dass mit aller Behutsamkeit die Dinge, die gegen und für ihn sprechen, in einer gerichtlichen oder, wie in diesem Fall, staatsanwaltschaftlichen Prüfung erst einmal gesichtet werden. Ich will darauf hinweisen, dass nach dem humanitären Völkerrecht der Vorgang der Tötung von Gegnern nicht per se als rechtswidrig betrachtet wird. Ich will dies aber ausdrücklich nicht auf diesen Vorgang herunterbrechen; ich will das nur anführen. Ich finde, wir sollten ein Stück Selbstzurückhaltung üben. Das hat nichts damit zu tun, die Rechte der Opposition zu beschneiden. Ich will auch nicht allein auf den Untersuchungsausschuss verweisen. Aber dieser wird sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigen. Sie können davon ausgehen, Herr Kollege Trittin, dass die Bundesregierung und ich in aller Ernsthaftigkeit und Verantwortung die Fragen beantworten werden. Wir haben selbst ein Interesse daran; denn es muss klar sein, dass das, was vom Bundesminister zu Guttenberg als eine Regelverletzung, als ein nicht angemessenes militärisches Verhalten bezeichnet worden ist, aufgeklärt wird, und es muss klargemacht werden, dass Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der vorgegebenen Regeln stattfinden müssen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zweite Nachfrage, Herr Kollege Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Schmidt, da ich Sie schätze, hatte ich gedacht, Sie hätten verstanden, dass ich nicht auf ein reales Geschehen abgehoben habe, sondern Sie lediglich nach der Bewertung gefragt habe, dass ich lediglich gefragt habe, wie Sie einen solchen Vorgang, wenn er denn so stattfinden würde, beurteilen würden, und ob dies mit dem Begriff des gezielten Tötens nicht zutreffend beschrieben ist. ({0}) Da Sie der Antwort auf diese Frage aber, obwohl ich Sie schätze, ausgewichen sind, will ich ausdrücklich nachfragen: Wenn das alles so ist, wie es in den Zeitungen steht, können Sie mir dann eigentlich erklären, auf welcher Grundlage ein Minister - in diesem Fall der amtierende Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg - zu irgendeinem Zeitpunkt - in seinem Fall am 6. November zu dem Ergebnis kommen kann, dass ein solches Vorgehen militärisch angemessen, ja unausweichlich gewesen ist?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Trittin, da ich die Wertschätzung durchaus erwidere, ({0}) überrascht es mich, dass Sie dem Deutschen Bundestag einen Dialog zwischen Ihnen und mir zumuten wollen, in dem wir uns mit hypothetischen Fragen auseinandersetzen. Das können wir in bilateralen Gesprächen machen. Die Bundesregierung macht sich grundsätzlich keine Gedanken über hypothetische Fragen, also über Fragen, die keinen Realitätsbezug haben. ({1}) Der weitere Punkt führt uns dazu, dass man, wenn man eine Operation bewertet, die Gesamtschau des Vorgangs sehen muss. Dazu gehört auch, welche Notwendigkeiten in der bewaffneten Auseinandersetzung gegeben sind, zum Beispiel, ob die Frage der Verhinderung weiterer Kämpfe betroffen ist. Dann muss gezielt, ohne Vorwarnung gekämpft werden. Soweit Bewertungen des Bundesministers der Verteidigung in Anspruch genommen werden, weise ich darauf hin, dass ihn die Gesamtschau der ihm in der Zwischenzeit vorliegenden Unterlagen - nicht nur derer, sondern auch deren Bewertungen - dazu veranlasst hat, vor dem Deutschen Bundestag das nicht alltägliche Vorgehen zu wählen, zuzugestehen, dass er eine Bewertung geändert hat. Ich finde, das ist ein Stück hoher demokratischer Tugend. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Liebich das Wort zu einer Frage.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär Schmidt, als Begründung für die Tötung in Afghanistan wird die Entwendung von Tanklastern herangezogen. Mich würde interessieren: Ist zwiStefan Liebich schen der ISAF und den afghanischen Sicherheitsbehörden eigentlich ein Verfahren verabredet worden, wer in solchen Fällen wie zu handeln hat? Und noch einmal nachgefragt: Hat die Bundeswehr, ehe sie die Bombardierung befohlen hat, Kontakt zu afghanischen Sicherheitsbehörden aufgenommen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, es hat in der Tat einige Wochen vorher einen Anschlag auf eine ISAF-Einrichtung in Kandahar gegeben, bei dem ein Tanklastwagen entführt worden war, der zu einer Selbstmordsprengbombe umgebaut worden ist, und der - ich bin bereit, die Zahlen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren - zwischen 40 und 60 Todesopfer gefordert hat. Es ist in der Tat richtig, dass im Juli/August in gewissen Bereichen Afghanistans ein Gefühl erhöhter Anspannung vorhanden war und man zu der Erkenntnis kam, dass zu den Instrumenten, die für Selbstmordattentate verwendet werden, auch Tanklastfahrzeuge gehören. Es gab übrigens auch im Zuständigkeitsbereich des PRT Kunduz - ich meine, es war in diesem Zuständigkeitsbereich - einige Zeit vorher einen entführten, noch zeitweise gesichteten, dann aber wohl nicht mehr zu ermittelnden Tankwagen. Welche Wirkung Tanklastwagen - seien sie voll oder halb gefüllt, seien sie auch noch mit Sprengsätzen ausgestattet - haben können, brauchen wir beide uns und das Parlament sich insgesamt wohl nicht auszumalen. Es ist ein Gebot aller daran beteiligten Stellen, in solchen Situationen Vorkehrungen und Vorsorge zu treffen, damit weder die afghanische Zivilbevölkerung noch eigene Leute Opfer von Terrorangriffen werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die ich hier nur der Vollständigkeit halber wiederhole. ({0}) - Das Verfahren ist jeweils individuell. Die Absprachen und Kontakte, die mit den afghanischen Kräften, die sich zunehmend dahin entwickeln, dass sie sowohl in der Informationsgewinnung als auch in der Gefahrenabwehr tätig sein können, stattfinden, wären im Einzelfall zu beleuchten. Ich kann Ihnen zu den konkreten Fragen bezüglich des 4. Septembers 2009 nur den Hinweis geben, dass diese im Untersuchungsausschuss geklärt werden müssen, weil die entsprechenden Berichte auch andere betreffen. Wenn sie offen sein sollten, sage ich zu, dass ich Sie schriftlich informieren werde.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich möchte eine geschäftsleitende Zwischenbemerkung machen. Mir liegen noch eine ganze Reihe von Nachfragen vor. Ich würde diese Liste jetzt gern schließen, um dann zur vierten dringlichen Frage zu kommen. Einverstanden? - Gut. Jetzt hat Kollege Nouripour das Wort.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, vielleicht kann man angesichts Ihrer offiziösen Einsilbigkeit darauf hinweisen, dass wir gerade im Untersuchungsausschuss waren und dort von den 93 Anträgen der Opposition 28 durch die Regierungsfraktionen verzögert worden sind. Das geht ganz gewiss nicht mit den Transparenzansprüchen und den Versprechungen, die uns der Minister gegeben hat, einher. Das macht einfach nur schlechte Stimmung. Wir werden diese Anträge im Januar noch einmal stellen müssen. Meine Frage - die ursprüngliche Frage bezieht sich ja auf das Kanzleramt - lautet: Warum ist niemand im Kanzleramt, nachdem sich die Bundeskanzlerin am 8. September dieses Jahres, also mitten im Wahlkampf, im Plenum dazu geäußert hat und nachdem der COMISAF-Bericht vorgelegen hat, der ja - Sie haben es selbst gesagt auch dem Kanzleramt zugegangen ist, nach der Lektüre dieses Berichtes, was hoffentlich stattfand, auf die Idee gekommen, im BMVg anzurufen oder selbst vor die Kameras zu treten und zu sagen: „Wir müssen eine Neubewertung vornehmen. Es gab tatsächlich zivile Opfer. Es gab Verfahrensfehler. Es gab eine Missachtung der Befehlskette. Es gab keine ausreichende Aufklärung. Es gab keine ausreichende Sicherung des Vorfallortes“? Sie wissen doch, was in der Öffentlichkeit bekannt ist. Es gab keinerlei Vorbemerkungen, es gab keinerlei Korrektur aus dem Kanzleramt.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Nouripour, Sie werden von mir ja nun nicht verlangen, dass ich bzw. die Bundesregierung Ausschusstätigkeit und Beschlussfassungen im Ausschuss hier kommentiert. Zwar höre ich das jetzt mit Interesse von Ihnen; aber das kann, glaube ich, nicht Gegenstand der Fragestunde sein. Dem zweiten Teil Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie hören wollen, wieso zu zivilen Opfern nichts gesagt worden ist. Ich gehe weiterhin davon aus, dass Unklarheit bestand; denn es gab ja zu der Zeit durchaus Berichte, soweit sie nicht klassifiziert sind, in denen stand, dass es keine zivilen Opfer gegeben hat. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung am 8. September dieses Jahres erklärt - ich meine, Ähnliches vom damaligen Bundesaußenminister Steinmeier noch im Ohr zu haben; er sitzt ja hier, aber ich will ihn jetzt nicht in Anspruch nehmen -: Wir trauern um jeden Einzelnen. Jeder unschuldig Verletzte ist einer zu viel. Wir fühlen mit ihnen und ihren Angehörigen. Unschuldig verletzte und zu Tode gekommene Menschen, auch und gerade infolge deutschen Handelns, bedauere ich zutiefst. Ich glaube, wenn man in die Bewertung dieser Regierungserklärung einsteigt, dürfte es schwerfallen, weiterhin den Eindruck zu haben, dass zumindest die Möglichkeit, dass es auch zivile Opfer gibt, nicht sehr wohl schon zu diesem Zeitpunkt in das Denken und Handeln der Bundesregierung mit eingeflossen ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Nächste ist Kollege Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, der Kollege Trittin hat in seiner Nachfrage die Frage aufgeworfen, was wohl das Motiv von Oberst Klein war, trotz der zweifelnden Nachfragen aus den Cockpits auf diesem Angriff zu bestehen. Ist das, was heute vonseiten der dpa gemeldet wurde, eine mögliche neue Erklärung dafür? Der dpa zufolge ist es in einer gemeinsamen Untersuchung von KSK und BND gelungen, einen Dreistufenplan, einen Angriffsplan der Taliban aufzudecken, in dem es unter anderem darum ging, mit den Tanklastwagen den ersten Schutzring in Kunduz zu sprengen. Können Sie uns etwas über den Wahrheitsgehalt dieser möglichen Erklärung sagen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Erler, ich bedanke mich für diese Frage. Auch ich habe diese Meldung mit Interesse gelesen; mittlerweile wird man ja täglich mit Neuigkeiten überschüttet. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um darauf hinzuweisen, dass manchmal nicht einmal alle Medien die Möglichkeit nutzen, die Fragestunde zu verfolgen. So hat mir Kollege Ströbele in der letzten Fragestunde einige Fragen gestellt, deren Inhalt in der folgenden Woche von einem großen Hamburger Organ als neueste Neuigkeit verbreitet wurde. Daran wird deutlich: Manchmal ist es gut, die Fragestunde zu verfolgen. ({0}) Die konkreten Meldungen, von denen Sie sprachen, kann ich nicht bestätigen. Auch das, was zu den Gefährdungen im Zusammenhang mit dem ersten, zweiten und dritten Ring verbreitet wird, kann ich nicht bestätigen. Ich kann aber sagen, dass zu dieser Zeit die allgemeine Sorge um einen organisierten Angriff der Taliban auf Feldlager einschließlich des Feldlagers Kunduz zugenommen hat und dass die Nutzung eines Tankfahrzeuges als rollende Bombe tatsächlich Bestandteil der Sicherheitsanalyse war. Inwieweit die einzelnen Sicherheitsinstitutionen, auch die deutschen, der BND und andere, diese Gefahr aufgeklärt oder bewertet haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen dazu schriftlich Auskunft zu geben, sofern so etwas vorhanden ist. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage? - Bitte.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich muss schon sagen: Es ist ein großer qualitativer Unterschied, ob ein irgendwie gearteter Missbrauch eines Tanklastwagens geplant war oder ob es einen Dreistufenplan der Taliban hinsichtlich eines gezielten Angriffs auf das Feldlager in Kunduz gegeben hat. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Ihr Haus eine solche Erkenntnis des KSK nicht kennt. Ich frage mich wirklich: Wie lange soll es eigentlich noch so weitergehen, dass wir wesentliche Informationen zu all diesen Vorgängen das eine Mal aus der Bild-Zeitung, das andere Mal aus einer anderen Zeitung oder wie in diesem Fall von der dpa erfahren, und wie lange wollen Sie die lückenlose Aufklärung und die Information des Parlaments und der Öffentlichkeit, zu der Sie eigentlich verpflichtet sind, noch verweigern? Ich kann das nicht nachvollziehen. ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Erler, für die Dreiringtheorie der dpa habe ich keine Bestätigung gefunden. Ich kann Ihnen doch nicht sagen: Wenn das in der Zeitung steht, wird es schon so sein. - Jetzt bitte ich, auch mir einmal Emotionen zuzubilligen. Ich werde hier ständig auf irgendwelche Zeitungsartikel angesprochen. ({0}) Wer ist denn hier im Saal, der sagen kann, er habe noch nie einen Zeitungsartikel gelesen, der nicht so ganz richtig gewesen ist? ({1}) Sie haben einen Anspruch darauf, dass ich Sie korrekt informiere. Korrekt informieren heißt für mich, dass ich kläre: Ist etwas dran oder nicht? Ich habe bisher keinen Beleg dafür gefunden, dass an diesem Artikel etwas dran ist. ({2}) - Ich darf darum bitten, dass alle Kolleginnen, die Zwischenrufe machen, vorher zuhören, was ich sage. ({3}) Ich habe dem Kollegen zugesagt, dass ich ihm Informationen gebe, dass ich bisher aber noch keine Evidenz habe. Sie werden mich nicht dazu bringen, Frau Künast, dass ich hier im Parlament Unwahrheiten sage. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Gehrcke das Wort.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, niemand will Sie dazu bringen, die Unwahrheit zu sagen. Ganz im Gegenteil: Wir möchten, dass in dieser Sache endlich die Wahrheit gesagt wird. Deswegen stellen wir bohrende Nachfragen. ({0}) Können Sie verstehen, dass wir Abgeordneten es leid sind, alles der Zeitung entnehmen zu müssen und immer zu hören: „Ich weiß es nicht“? In der Presse gibt es mehr Informationen und stimmige Informationen; Sie haben ja gebunden alles bestätigt, was hier unter „Geheim“ verhandelt wird. Ich frage die Bundesregierung, ob Sie sich klar darüber ist, wie tief dieser historische Einschnitt ist. Zum ersten Mal seit 1945 ist von einem deutschen Oberst, von einem Oberst der Bundeswehr, ein Befehl gegeben worden, durch den mindestens 140 Menschen ums Leben gebracht worden sind. Das ist moralisch und politisch ein tiefer Einschnitt. Wenn ich Ihre Antworten höre, habe ich nicht die Empfindung, dass sich die Bundesregierung darüber klar ist. ({1})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Gehrcke, meine Antwort lautet wie folgt: Man muss unterscheiden zwischen dem, was im konkreten Fall an Ermittlungen erfolgt ist, welche Fehler passiert sind, und welche Konsequenzen aus den Fehlern gezogen werden. Soweit es den konkreten Vorfall und die handelnden Personen betrifft, habe ich darauf hingewiesen, dass wir aus guten Gründen der Bewertung und der Betrachtung durch Generalstaatsanwaltschaft bzw. Bundesanwaltschaft Raum lassen sollten. Die Bewertung der Bundesregierung, die Bundesminister zu Guttenberg hier im Parlament abgegeben hat, dass Fehler gemacht worden sind, und zwar schwere Fehler - schwer im Sinne der Auswirkungen -, ist uns selbstverständlich Ansporn und Aufgabe, alle die, die im Einsatz sind, auf den vorgegebenen Rahmen hinzuweisen. Wir müssen aber auch ein Verständnis dessen geben, dass wir hier nicht zu Gericht sitzen, sondern dass wir daran arbeiten müssen, dass diejenigen, die von diesem Parlament einen Auftrag bekommen haben, diesen Auftrag korrekt erfüllen. Man hört von Dienstgraden, die jetzt im Einsatz sind, Sätze wie: Sollen wir uns zuerst erschießen lassen, bevor wir reagieren? - Ich weise das zurück, solche Sätze sind falsch; aber sie geben eine Befindlichkeit wieder, und hier wurde schon einiges an Befindlichkeiten ausgetauscht. Dieser Satz ist keine regierungsamtliche Stellungnahme, sondern die Meinung eines Unteroffiziers. Auf diese Fragen müssen wir in Ruhe, vernünftig, motivierend, aber auch verantwortungsbewusst reagieren und sagen: Nein, aber du musst dich an den Rahmen der rechtlichen Vorgaben halten. Wir legen großen Wert darauf, dass du, was Ausbildung, Information und Ausrüstung angeht, gut ausgestattet bist. - Das ist das Spannungsfeld, in dem wir diesen Konflikt bzw. Komplex bewerten. Kollege Gehrcke, gestatten Sie mir folgende Bemerkung: Bei Ihren Fragen ist mir manchmal nicht ganz klar, ob Sie damit darauf zielen, den Vorgang zu untersuchen oder den Einsatz insgesamt oder andere Verhaltensweisen zu bewerten. Diese Unklarheiten werden am besten in dem zuständigen Untersuchungsausschuss geklärt werden. Das ist kein Verweis auf irgendetwas. Wie Sie wissen, hat der Untersuchungsausschuss Rechte entsprechend den strafprozessualen Regelungen. Wir haben ja ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Ich denke, dass die Fragen, mit denen Sie auf den Einzelfall abzielen, dort gut aufgehoben sind. Die grundsätzliche Position der Bundesregierung zu Auslandseinsätzen im Allgemeinen und zum Afghanistan-Einsatz im Besonderen kann anhand der Tatsache bewertet werden, dass wir für die Zukunft zwar keinen Strategiewechsel, aber eine Strategieanpassung vorbereiten. Die Bundesregierung beabsichtigt - das hat sie bei der Verlängerung des ISAF-Mandats dargelegt -, auf der von den Vereinten Nationen auf Anregung des britischen Premierministers, des französischen Staatspräsidenten und der Bundeskanzlerin einberufenen Afghanistan-Folgekonferenz am 28. Januar 2010 in London ({0}) und, wie ich vermute, auch auf einer Folgekonferenz in Kabul zu sondieren, wie der vernetzte Ansatz realisiert werden kann, durch den Ziviles und Militärisches miteinander verknüpft wird und in dessen Rahmen auch die Übergabe in Verantwortung eine dringende Notwendigkeit ist. Das heißt, auch die afghanische Seite muss Verpflichtungen eingehen und Zusagen machen, und wir müssen sie dabei unterstützen. In dieser Hinsicht wollen wir die Gesamtstrategie anpassen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die letzte Nachfrage zu dieser Frage hat Kollegin Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatssekretär, zu der Antwort, die Sie meinem Kollegen Gehrcke gegeben haben, möchte ich bemerken: Wir gehen nach wie vor davon aus, dass wir in der Bundesrepublik ein Parlamentsheer haben. Wenn das Parlament bei entscheidenden Fragen überhaupt nicht mehr informiert wird, dann ist das eine Aushöhlung der Rechte des Parlaments. Das macht uns auch in der Bevölkerung unglaubwürdig. Dort schwindet der Glaube an diese demokratische Verfasstheit, wenn das Parlament bei solch zentralen Fragen nicht umfassend informiert wird. Deswegen insistieren wir hier auch und haken wir so nach. ({0}) Wir machen uns in unseren Wahlkreisen lächerlich, ({1}) wenn wir gefragt werden, ob wir von diesem oder jenem etwas wussten, und wir immer nur sagen können: Nein, wir haben überhaupt keine Ahnung. - So sieht es aus. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine Frage?

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine ganz konkrete Frage. ({0}) - Sie müssten auch ein Interesse daran haben, dass Ihre Rechte nicht ausgehöhlt werden. Wenn Sie sich hier entmündigen lassen, dann ist das Ihr Problem.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Hänsel, haben Sie eine Nachfrage?

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich möchte gerne nachfragen. - Sie haben mehrere Vorfälle mit Tanklastwagen geschildert, die entführt worden seien und umgebaut würden.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Entschuldigung: sind.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie sind umgebaut worden. - Meine Frage lautet: Wie sah der konkrete Schutz dieser Tanklastwagen aus? War er angemessen, ausreichend? Ich habe unterschiedliche Informationen darüber erhalten. Gab es einen ausreichenden militärischen Schutz für diese Tanklastwagen, und wie sah er konkret aus? Wenn nein, warum nicht?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin Hänsel, gestatten Sie mir, zum Ersten zu sagen: Die Bundeswehr ist selbstverständlich ein Parlamentsheer. Das heißt aber nicht, dass jeder Oberst vom Deutschen Bundestag einen Befehl erhalten kann - um das einfach einmal auseinanderzuhalten -; ({0}) Sie sitzen auch nicht über jeden Oberst Gericht. ({1}) Wenn Sie sich die politischen Grundlagen und die konstitutive Verantwortung gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1994 und anderen Urteilen sowie dem Parlamentsbeteiligungsgesetz anschauen, dann werden Sie erkennen, dass die Bundesregierung jedem dieser Ansprüche zu 100 Prozent Folge leistet. Durch die Koalitionsvereinbarung haben wir auch noch den Auftrag erhalten, uns mit einer schnelleren und präziseren Information des Bundestages mittels eines eigenen Gremiums auseinanderzusetzen. Ich empfehle Ihnen, sich von Ihren Kolleginnen und Kollegen, die dem Deutschen Bundestag schon länger angehören, darlegen zu lassen, wie der Informationsstand des Deutschen Bundestages hinsichtlich der Einsätze vor zehn Jahren ausgesehen hat. Dieser wurde in einer nicht formalisierten Art und Weise vermittelt. Zweitens kann ich Ihre Frage nicht beantworten, weil ich nicht weiß, wie viele Tanklastfahrzeuge in Afghanistan unterwegs sind und welches Tanklastfahrzeug Sie wo gemeint haben. Wenn Sie der Meinung wären, jeder Tanklaster in Afghanistan werde von einem gepanzerten Konvoi begleitet, dann kann ich Ihnen sagen, dass das nicht der Fall ist. Das weiß ich aus sicherer Kenntnis.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen zur dringlichen Frage 4 des Kollegen Uwe Kekeritz: Treffen Medienberichte ({0}) zu, dass dem Bundesministerium der Verteidigung ein Brief des früheren Staatssekretärs im Bundesministerium der Verteidigung, Dr. Peter Wichert, vorliegt, in dem dieser eine Richtigstellung der Presseberichte über die Umstände seiner Entlassung fordert, und wie bewertet die Bundesregierung diese Forderung? Herr Staatssekretär, es ist die Bitte geäußert worden, dass Sie die dringlichen Fragen 4 und 5 des Kollegen Uwe Kekeritz gemeinsam beantworten.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Das mache ich besonders gerne, weil der Kollege denselben Wahlkreis hat wie ich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Dann rufe ich auch die dringliche Frage 5 des Kollegen Uwe Kekeritz auf: Wurde der Bundesminister der Verteidigung, Dr. KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg, am 25. November 2009 vom Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und vom Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Dr. Peter Wichert, über das Vorliegen weiterer Berichte zu dem Vorfall am Kunduz-Fluss am 4. September 2009 informiert ({0})?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Zur ersten Frage. Herr Kollege Kekeritz, ich glaube, Sie können nachvollziehen, dass die Bundesregierung zu der Frage, ob ein Brief zu einer persönlichen Angelegenheit einer bestimmten Person im Bundesministerium der Verteidigung eingegangen ist und welchen Inhalt ein derartiger Brief gegebenenfalls hat, grundsätzlich keine Stellungnahme abgibt. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte noch die Antwort auf die dringliche Frage 5. ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Der Kollege Oppermann meldet sich zur Geschäftsordnung. Ich entnehme dem, dass er dringend von mir wissen muss, ob ein Brief von Staatssekretär Wichert vorliegt, auch wenn ich - darüber sind wir uns sicherlich einig - über den Inhalt nichts sagen darf. Denn es gilt immer noch das Briefgeheimnis. Wenn die Notwendigkeit besteht, dann werde ich zusagen, dass ich dem Kollegen Kekeritz die Frage schriftlich beantworte, aber nur bezogen auf die Tatsache und in keiner Weise - ich erlaube mir, das sehr deutlich zu sagen - auf den Brief, der von einem Adressaten an den anderen geht. Das ist nicht ein Gegenstand der Beratungen des Deutschen Bundestages.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Kollegen Oppermann.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, der Brief, nach dem eben gefragt worden ist, betrifft die Umstände der Entlassung von Staatssekretär Wichert. Der Brief ist offenkundig an den Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg geschrieben. Wir wollen Auskunft über den Inhalt dieses Briefes. Ganz offenkundig kann das nur der Bundesverteidigungsminister selbst. Deshalb verlange ich, dass er jetzt herbeigerufen wird. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Altmaier, bitte. ({0})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren seit über anderthalb Stunden sehr ernste und wichtige Fragen. Ich habe mir diese Debatte angehört und muss feststellen, dass Ihre Fragen von den Vertretern der Bundesregierung mit großem Ernst und auch nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet worden sind. Ich hätte mir gewünscht, dass dies zu Zeiten der rot-grünen Koalition auch nur annähernd in dieser Art und Weise geschehen wäre. ({0}) Sehr geehrter Herr Kollege Oppermann, Sie verkennen den Charakter der Fragestunde. Die Fragestunde ist dafür da, Fragen an die Regierung zu stellen, aber nicht an einzelne Personen. ({1}) Die Antwort erfolgt durch einen Vertreter der Bundesregierung. Es ist in diesem Haus seit vielen Jahren Tradition und auch akzeptiert, dass der jeweilige Minister sich dabei durch seinen Staatssekretär vertreten lassen kann. Das haben auch Sie in Ihrer Amtszeit in aller Regel so gehandhabt. Sie wissen so gut wie ich, dass der Bundesminister der Verteidigung in der Aktuellen Stunde, die in wenigen Minuten beginnen wird, persönlich nicht nur anwesend sein, sondern auch das Wort ergreifen wird. Deshalb wird es Sie wohl nicht überraschen, dass wir Ihren Antrag, der parteipolitisch motiviert und sehr durchsichtig ist, nicht annehmen können und ihn deswegen ablehnen. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Beck, Sie haben das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir unterstützen ausdrücklich den Antrag auf Herbeizitierung des Ministers. Es geht hier um die Frage, auf welcher Faktenlage der Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und der Staatssekretär Peter Wichert entlassen wurden, ob sie Bauernopfer waren und ob wir auch hier falsch unterrichtet worden sind. Sie haben deutlich gemacht, dass Sie weder in der Lage noch willens sind, uns hier Rede und Antwort zu stehen. Der Minister muss uns etwas zu seiner Entlassungspraxis sagen, zumal er seine Entlassungen inhaltlich begründet hat. Die betroffenen Personen haben auch einen Anspruch, dass diese inhaltliche Begründung einer öffentlichen Überprüfung durch das Parlament zugänglich ist. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Dann lasse ich über den Antrag abstimmen. Wer für den Antrag des Kollegen Oppermann ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wir sind uns hier im Präsidium über die Mehrheitsverhältnisse nicht einig. Es wird ausgezählt. Ich bitte Sie alle, den Saal zu verlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, den Saal zu verlassen? - Wir werden dann auszählen. Sind alle Kolleginnen und Kollegen, die abstimmen dürfen, aus dem Saal? - Das ist der Fall. Sind die Eingangstüren mit den Schriftführern besetzt? - Auch das ist der Fall. Dann ist die Abstimmung eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen? Ich schließe die Abstimmung und bitte, die Türen zu schließen. Würde mir bitte ein Schriftführer das Ergebnis mitteilen? - Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag des

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Mit Ja haben gestimmt 226, mit Nein haben gestimmt 295. ({0}) Damit ist der Antrag abgelehnt. ({1}) Wir können die restliche Zeit der Fragestunde bis 15.35 Uhr für die Nachfragen zu den dringlichen Fragen 4 und 5 des Kollegen Uwe Kekeritz nutzen. - Herr Kollege, bitte sehr. ({2}) - Darf ich Sie um Aufmerksamkeit bitten?

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch ich bitte um Aufmerksamkeit. - Es ist so, wie der Herr Staatssekretär sagt: Wir kennen uns seit 20 Jahren, und es hat, glaube ich, noch kein Treffen gegeben, bei dem es nicht ein bisschen gefunkt hat. Aber jetzt habe ich noch gar nichts gesagt, Herr Staatssekretär, und es wundert mich schon, dass Sie eine solche Reaktion auslösen. Sie sind bekannt als Weltmeister der Antwortvermeidungsstrategie, und Sie zeigen, dass Sie diesen Titel zu Recht besitzen. Aber Sie sollten nicht vergessen: Sie verärgern nicht nur das Parlament, sondern auch die Öffentlichkeit. ({0}) Ich habe mit vielen Antworten gerechnet, aber nicht mit der, dass Sie sagen, das seien zwei Privatschreiben, eines von Herrn zu Guttenberg und eines von Herrn Dr. Wichert, und das sei eine Privatsache. Nein, das sind offizielle Dokumente, die von großem Interesse sind. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Sie wollten eine Frage stellen. ({0})

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Jetzt kommt die Frage: Sind Sie sich sicher, Herr Staatssekretär, dass Ihre juristische Interpretation des Vorgangs, dass das eine reine Privatsache sei, tatsächlich so zutrifft? Ich gehe davon aus, dass das nicht der Fall ist, sondern dass beide Dokumente früher oder später öffentlich werden und Sie dazu Stellung nehmen müssen.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin! Ich bedanke mich bei dem Kollegen für die Bewertungen und das Ausloben von Weltmeistertiteln. Das ist aber nicht Gegenstand der Beratungen hier. Die Antwort, Herr Kollege, basiert schlicht und einfach auf der Kenntnis des Grundgesetzes, des Briefgeheimnisses und des Post- und Fernmeldegeheimnisses und daraus abgeleitet der Verpflichtung der Bundesregierung, ehemaligen oder aktiven Mitarbeitern gegenüber Vertraulichkeit in persönlichen Dingen zu wahren. Nicht mehr und nicht weniger habe ich getan. Wenn andere diese Briefe an die Öffentlichkeit geben, müssen sie das selbst verantworten. Aber ich bitte um Verständnis, Herr Kollege Kekeritz, dass ich so handele. Ich würde auch keine Briefe, die wir beide miteinander austauschen, dem Deutschen Bundestag zur Kenntnis geben, ohne dass Sie davon wissen, und auch Sie würden das vermutlich nicht wollen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Zusatzfrage? - Nein. Herr Kollege Heil, bitte sehr.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn Sie schon zum Austausch von Briefen mit Verweis auf das Post- und Fernmeldegeheimnis nicht Stellung nehmen wollen, frage ich Sie, wie Sie die Berichterstattungen - zum Beispiel heute auf Spiegel Online - über unterschiedliche Darstellungen des Verlaufs des Gesprächs zwischen dem Herrn Staatssekretär und dem Generalinspekteur auf der einen Seite und dem Verteidigungsminister Herrn zu Guttenberg auf der anderen Seite über die im Raum stehende Frage bewerten. Es gibt zwei unterschiedliche Versionen. Wir wollen von Ihnen heute wissen, was an diesem Tage abgelaufen ist. Ich stelle in diesem Zusammenhang die konkrete Frage: Warum musste aus Sicht der Bundesregierung der Generalinspekteur eigentlich zurücktreten?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Heil, ich habe den Bericht auf Spiegel Online nicht gelesen. ({0}) - Auch wenn es in der Welt steht, muss ich sagen: Es ist wohl nicht das erste Gespräch, bei dem es unterschiedliche Versionen gibt. Der Bundesminister zu Guttenberg hat über dieses Gespräch, die Gespräche berichtet. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Auch wenn Sie mich möglicherweise auf meine Rechthaberei - mit Betonung auf „Recht“ - ansprechen, möchte ich Sie höchst vorsorglich an Folgendes erinnern: Nach § 50 Soldatengesetz und § 54 Bundesbeamtengesetz können Berufsoffiziere ab Brigadegeneral aufwärts und sogenannte politische Beamte jederzeit vom Bundespräsidenten entlassen werden. Es bedarf dazu nicht der Angabe eines Grundes. ({1}) Das ist nicht konstitutiv. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Heil, Ihre Nachfrage bitte.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Entschuldigung, Frau Präsidentin. Herr Trittin hat erregt dazwischengerufen. Ich habe nur gesagt, dass ich auf die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung hinweise. Sie wollen jetzt wissen, welche Version zutrifft. Ich habe ganz klar geantwortet. Ich bitte darum, dass das angenommen wird und keine sinnlosen Nachfragen gestellt werden. Diese Bewertung mache ich mir zu eigen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas Ruhe. Wir sind bei der Beantwortung der dringlichen Fragen 4 und 5. Deshalb hat Herr Kollege Heil die Möglichkeit, eine zusätzliche Frage zu stellen. Mir liegen noch einige weitere Wünsche nach Fragen vor. Ich weise allerdings darauf hin, dass ich um 15.40 Uhr den Bereich der Fragestunde schließe und wir mit der Aktuellen Stunde beginnen. Herr Kollege Heil, bitte sehr.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, als Parlamentarischer Staatssekretär sind Sie ein Abgeordnetenkollege. Deshalb weise ich mit Entschiedenheit die Qualifizierung meiner Frage als unsinnig zurück. Es ist eine Frage, die die deutsche Öffentlichkeit bewegt. Ich frage Sie in diesem Zusammenhang nochmals. Sie haben eben gesagt, man müsse nach Bundesbeamtengesetz und Soldatengesetz bei diesen Diensträngen keine Gründe für eine Entlassung nennen. Das ist richtig. Nun hat aber der Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg Gründe für die Entlassung des beamteten Staatssekretärs und des sehr geachteten Generalinspekteurs genannt. Weil sich heute der Generalinspekteur auf bestimmte Äußerungen des Verteidigungsministers bezieht und sie als ehrenrührig bezeichnet, frage ich Sie: Was sind aus Ihrer Sicht die politischen Gründe für die Entlassung des Generalinspekteurs der Bundeswehr, und was ist an jenem Tag in welcher Reihenfolge in den Gesprächen abgelaufen? Dafür sind Sie Rechenschaft schuldig. Bitte schieben Sie es nicht auf den Geheimdienst oder auf den Untersuchungsausschuss. Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie mit einem verdienten Generalinspekteur umgegangen wurde. ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, ich möchte zunächst deutlich sagen: Meine bewertende Bemerkung bezog sich auf den Zwischenruf des Kollegen Trittin. Ich wollte ihm damit sagen, dass ich die Frage schon beantwortet habe. ({0}) - Jetzt beruhigen Sie sich mal. - Herr Kollege Heil, ich habe Ihre Frage im Hinblick auf die zwei Versionen und die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung beantwortet. Soweit ich weiß, hat der von mir genauso geschätzte Generalinspekteur von sich aus einen Brief geschrieben, in dem er um die dann eingetretene Folge, um die Verabschiedung, gebeten hat. Das ist bei Staatssekretär Wichert nicht der Fall gewesen. Ich will übrigens auf Folgendes hinweisen: Dies ist die zweite Versetzung von Staatssekretär Wichert in den einstweiligen Ruhestand. Die erste war unter Bundesminister Scharping gewesen. ({1}) Da ich bei diesem Gespräch nicht dabei gewesen bin - ({2}) - Besteht weiteres Interesse? Ich bitte um Entschuldigung; ich bin etwas gestört worden, Herr Kollege Heil. ({3}) Ich denke, dass sich das in die Formulierung eines nicht mehr vorhandenen Vertrauens kleidet. Vertrauen ist etwas, was wächst, was besteht und durch die eine oder andere Ungereimtheit schwinden kann. Es wurde ja darauf hingewiesen, dass sich der Bundesminister nicht ausreichend beraten gefühlt hat und feststellen musste, dass die eine oder andere Information nicht an ihn gegeben worden war. Er muss natürlich Vertrauen in seine Führungskräfte haben. Er hat dies nicht mehr als gegeben gesehen und hat daher die Folgen des Bundesbeamtengesetzes gezogen und um die entsprechende Entlassung durch den Bundespräsidenten gebeten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Kerstin Müller, bitte.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Minister Guttenberg hat nach meiner Wahrnehmung gesagt, er habe die Entlassung vorgenommen, weil ihm bestimmte Berichte nicht vorgelegen hätten. Herr Schneiderhan sagt dazu - da Ihnen dies nicht vorliegt, werde ich Zeit Online zitieren -: Kerstin Müller ({0}) Schneiderhan beklagte sich außerdem über Aussagen des Verteidigungsministers in Interviews, wonach ihm, Guttenberg, wichtige Akten vorenthalten und Berichte unterschlagen worden seien. - Zitat „Das finde ich inzwischen ehrenrührig“, sagte Schneiderhan. „Unterschlagen hat für mich den Geschmack des Vorsatzes, und es gab hier keinen Vorsatz“ … Der Minister formuliere vorschnell. Meine Frage lautet: Wie erklären Sie es sich, dass klar gesagt wurde, ihm hätten bestimmte Berichte nicht vorgelegen und dies sei der Grund für die Entlassung gewesen, während Herr Schneiderhan, dem wir alle - Sie und auch wir - jahrelang vertraut haben, behauptet, diese Begründung entspreche nicht der Wahrheit? Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch? Ich finde, dass Personen wie Generalinspekteur Schneiderhan und Herr Wichert ein Recht darauf haben, dass die Umstände ihrer Entlassung, wenn sie denn nun einmal öffentlich begründet werden, aufgeklärt werden und der Wahrheit entsprechen. ({1})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Wenn wir von dem Zitat bei Zeit Online ausgehen, dann hören wir, soweit ich dies kenne, zum ersten Mal, dass der Generalinspekteur unterschiedlicher Meinung mit dem Bundesminister hinsichtlich der Frage - es ist mir unangenehm, dies mit Bezug auf seine Person zu sagen - von Vorsatz und Fahrlässigkeit, aber nicht hinsichtlich des Tatbestandes ist. ({0}) Wenn Sie dem Plenum im Rahmen der Amtshilfe noch den nächsten Satz, wenn ich darum bitten dürfte, zur Kenntnis geben könnten. Ich habe ihn nicht vorliegen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Den nächsten Satz? Welches ist jetzt der nächste Satz? Also, Zitat: „Unterschlagen hat für mich den Geschmack des Vorsatzes, und es gab hier keinen Vorsatz“, sagte der entlassene General. „Dass er vorschnell formuliert, ist bekannt“, sagte Schneiderhan über den Minister. - Wieder Zitat „Aber das hier ist schon eine Steigerungsstufe.“ Der Begriff Vorsatz sei „nicht nur unschön, das ist unwahr“.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Weiter.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das war der letzte Satz. Das Zitat geht nicht weiter.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Es geht darum, dass der Bundesminister sich dahin gehend geäußert hat - ich versuche, ganz vorsichtig zu formulieren; ich habe nichts vorliegen und sage es nur aus dem Gedächtnis -, dass nicht alle Berichte - das ist ein Thema von großer Intensität, wie wir in den letzten eineinhalb Stunden in diesem Haus erlebt haben - zu seiner Kenntnis gelangt sind. Ich formuliere: „gelangt sind“. Die Frage, die jetzt diskutiert wird, begründet dann nicht die Frage des fehlenden oder bestehenden Vertrauens. Vertrauen ist keine Frage von Schuldhaftigkeit. Ich stehe nicht an, zu sagen, dass wir für die vielen Beratungen, die wir in verschiedenen Funktionen, sei es in Opposition oder Regierung, geführt haben, durchaus viele gute Ratschläge von Generalinspekteur Schneiderhan erhalten haben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Dr. Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, wir alle haben vor anderthalb Wochen im Deutschen Bundestag, damit auch vor der Öffentlichkeit, vom Bundesverteidigungsminister zur Kenntnis bekommen, warum er sich von zwei verdienten Beamten im Haus getrennt hat, die bei ihrer Amtsführung militärische Expertise und vieles andere eingebracht haben. Sind Sie nicht der Meinung, dass es der Öffentlichkeit hier im Deutschen Bundestag zur Kenntnis gegeben werden muss - entweder in der Fragestunde oder nachher, wenn sich der Bundesverteidigungsminister in der Aktuellen Stunden zu Wort meldet -, dass sich einer dieser Beamten in einem Schreiben wehrt?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Kollege Mützenich, weil ich, wie ich sagen musste, die Quelle der Zitierung nicht vorliegen habe und die Bezüglichkeit nicht kenne, wäre es, glaube ich, zumindest fahrlässig oder unangemessen von mir, zu diesen Fragen weitere Ausführungen zu machen. Ich beziehe mich auf das, was der Bundesminister der Verteidigung zu diesen Punkten gesagt hat, und auf die Äußerungen des Generalinspekteurs Schneiderhan, die wir im Zeitraum der Entscheidung zur Kenntnis genommen haben. Weitere Äußerungen wird die Bundesregierung jetzt nicht bewerten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Dr. Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, könnten Sie, wenn Ihnen die Zitate aus dem Bericht von Zeit Online, aus dem die Kollegin Müller vorgelesen hat, nicht vorliegen, uns we- nigstens zur Kenntnis geben, was den ehemaligen Staatssekretär Dr. Wichert veranlasst hat, diesen Brief an den Bundesverteidigungsminister zu richten? Welche Argumente hat er dem Verteidigungsminister vorgetra- gen? Wieso fühlt er sich falsch behandelt?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Zu dieser Frage haben wir eine Diskussion geführt. Ich habe dazu Qualifikationen des Kollegen Kekeritz er- halten; auch Herr Oppermann hat sich geäußert. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir zeit- lich am Ende der Fragestunde angelangt. Die nicht auf- gerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet.1) Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. ({0}) Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben die Aktuelle Stunde beantragt, weil die Bevölkerung erfahren muss, mit welchem Täuschungsmanöver die Opposition versucht, sich aus ihrer Mitverantwortung für den Afghanistan-Einsatz fortzustehlen. ({0}) Der größte Teil der Opposition hat erst vor 14 Tagen der Verlängerung des ISAF-Mandats zugestimmt. Was aber hat sich in den letzten 14 Tagen geändert, dass Herr Gabriel jetzt auf einmal davon spricht, möglicherweise sei ein „Strategiewechsel am Parlament vorbei“ eingelei- 1) Die Fragen 30, 76, 78, 93, 98 und 109 wurden zurückgezogen. tet worden, der darauf ziele, „die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee“ zu machen? Was sind die Fakten? Das Mandat besagt, dass die Bundeswehr - ich zitiere - autorisiert ist, … alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen, um das Mandat … - gemäß der gültigen VN-Sicherheitsratsresolution durchzusetzen. Herr Steinmeier, „durchzusetzen“ - so ist es unter Ihrer Federführung formuliert worden. Was soll laut VN-Resolution durchgesetzt werden? Da heißt es wörtlich: Der Sicherheitsrat unterstützt die Anstrengungen, die ISAF unternimmt, um gegen die von den Taliban ausgehende Bedrohung anzugehen. Was anderes heißt das, als dass die Bundeswehr in einem Kampfeinsatz Aufständische bekämpfen und ausschalten soll, die die Tanklastwagen gekapert haben und damit deutsche Soldaten und die afghanische Zivilbevölkerung bedrohen. Was ist daran eine Interventionsarmee? Genau diesem Mandat entspricht die Taschenkarte der Bundeswehr, wenn es zum Stichwort „Verhinderung und Abwehr von Angriffen“ heißt - ich zitiere -: Angriffe können zum Beispiel dadurch verhindert werden, dass gegen Personen vorgegangen wird, die Angriffe planen, vorbereiten, unterstützen oder ein sonstiges feindliches Verhalten zeigen. Das war bekanntlich der Fall. Über diese Möglichkeit, in einem Kampfeinsatz gegen als feindlich erkannte Kräfte präventiv vorzugehen und diese auch zu töten, wurde der Verteidigungsausschuss im Juli informiert. Die Öffentlichkeit hat es in den Tageszeitungen vom 28. Juli zum Teil wörtlich erfahren. Gegen diese Taschenkarte hat weder die SPD Widerspruch eingelegt - im Gegenteil - noch die Grünen. Wo ist da der Strategiewechsel am Parlament vorbei? Dass sich der Einsatz am Kunduz-Fluss nicht nur gegen die Tanklastwagen, sondern auch gegen die Taliban richtete, darüber sind die Oppositionsfraktionen am 6. November unterrichtet worden. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Das Vorgehen am Kunduz-Fluss war letztlich nicht angemessen, weil es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprach. Auch das war Ihnen durch die Erklärung von Minister zu Guttenberg bekannt, bevor Sie dem ISAFEinsatz vor 14 Tagen zugestimmt haben. Also, Herr Gabriel, niemand ist getäuscht worden, es gab keinen Strategiewechsel am Parlament vorbei und auch keinen Ausbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee. Aber darum geht es Ihnen ja nicht. Nein, Sie wollen mit Blick auf die Landtagswahlen in NordrheinWestfalen so schnell wie möglich die Verantwortung für den Bundeswehreinsatz loswerden. ({1}) Sie haben sich vor 14 Tagen noch nicht getraut, sich aus Ihrer Verantwortung zu stehlen, weil das Mandat und die dazugehörigen Regelungen unverändert verlängert wurden. Jetzt suchen Sie nach Vorwänden, die Bundesregierung zu diskreditieren, um am Ende sagen zu können: So nicht! In Wirklichkeit aber diskreditieren Sie die Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten, ({2}) die täglich, wie wir gehört haben, auch heute wieder, ihr Leben für die Sicherheit unseres Landes riskieren. ({3}) Wenn es dafür noch eines Beweises bedurfte hätte, dann ist es die unsägliche Äußerung von Ihnen, Herr Arnold, am Montag in der Berliner Zeitung. Auf die Frage, ob der Bundestag den Afghanistan-Einsatz beenden sollte, haben Sie, Herr Arnold, gesagt - ich zitiere -: Hätten wir den Eindruck, die Truppe … stellt sich gegen die Politik, dann hätten wir eine andere Situation. Dafür habe ich keine harten Indizien. Aber vage Indizien deuten Sie unterschwellig an. Wenn Sie welche haben, Herr Arnold, dann müssen Sie sie heute auf den Tisch legen. Wenn nicht, dann nehmen Sie die ungeheuerliche Diffamierung unserer Soldatinnen und Soldaten zurück. ({4}) Was Sie hier tun, ist nichts anderes, als mit abwegigen Äußerungen Misstrauen gegen unsere Soldaten zu schüren. ({5}) Das alles zeigt: Sie wollen nicht aufklären. Nein, Ihnen ist jedes Mittel recht, um sich aus dem Mandat fortzustehlen. Das haben unsere Soldaten nicht verdient. Das schadet der Sicherheit unseres Landes. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Lieber Herr Schockenhoff, wenn das der Versuch war, den Verteidigungsminister zu verteidigen, dann ist er gründlich schiefgegangen. ({0}) Ich kann in dieser Situation ja verstehen, dass die Versuchung groß ist, jetzt Nebelkerzen zu zünden. Sie wollen am liebsten über Auslandseinsätze im Allgemeinen und über die Afghanistan-Strategie im Besonderen reden. Aber, Herr Schockenhoff, um all das geht es jedenfalls heute nicht. Es geht um eine ganz einfache Frage - sie lässt sich sogar mit Ja oder Nein beantworten -: Hat der Verteidigungsminister hier im Parlament die Wahrheit gesagt oder nicht? Darum geht es. Die Antwort auf diese Frage, Herr Verteidigungsminister, werden wir Ihnen nicht erlassen können. ({1}) Damit sind wir beim Kern. Herr Minister, Sie haben hier und auch öffentlich den Eindruck erweckt, der Staatssekretär und der Generalinspekteur hätten Sie hinsichtlich des Vorfalls bei Ihrer Amtsübernahme getäuscht. Das hat mich am Anfang irritiert. Aber spätestens nach der Berichterstattung vom vergangenen Wochenende finde ich, dass einige Fragen mit hoher Dringlichkeit auf dem Tisch liegen: Haben Herr Schneiderhan und Herr Wichert Ihnen Dokumente vorenthalten, die - und nur die - zu einer anderen Bewertung des Einsatzes am Kunduz-Fluss geführt haben? Haben die beiden Sie wirklich bewusst falsch informiert? Oder - das ist die andere Alternative -: Haben Sie am 6. November bereits über notwendige Informationen verfügt? Haben Sie möglicherweise damals den Einsatz aus ganz anderen Motiven für angemessen und für notwendig erklärt? Noch eine andere Sache: Obwohl doch - so habe ich es jedenfalls gehört - für keinen Verteidigungspolitiker in der Zeit nach dem 6. November völlig neue Fakten hinzugekommen sind: Wie erklärt sich Ihr Sinneswandel nach der Berichterstattung in der Bild-Zeitung und nach Ihrem Auftritt hier am 3. Dezember? Statt auch nur eine dieser Fragen konkret zu beantworten, gibt es seit Tagen nur einen großen Wortbrei. Illner, Jauch, Beckmann keine Talkshow ist im Augenblick vor Herrn zu Guttenberg sicher. ({2}) Aber das Ergebnis bis heute ist: Mit jedem Tag, mit jedem Auftritt wird die Liste der offenen Fragen, der Widersprüche, der Ausflüchte und der Ablenkungsversuche länger. ({3}) Mein Rat: Nehmen Sie das, was Zeit Online heute Morgen schreibt, nicht so leicht: Schneiderhan bezichtigt Guttenberg der Lüge. Wichert und Schneiderhan widersprechen, wenn ich das richtig sehe, nachdrücklich, dass sie Sie bewusst getäuscht haben, und bestreiten damit im Kern die behaupteten Entlassungsgründe. Das ist doch nicht irgendetwas: auf der einen Seite ein erfahrener Staatssekretär, den Sie zum zweiten Mal in die Verantwortung geholt haben, ({4}) auf der anderen Seite ein Generalinspekteur mit viel Erfahrung und hohem Ansehen im Inland und im Ausland. Deshalb sage ich: Wenn diese beiden, so wie ich gehört habe, Ihnen geschrieben haben sollen, dass die Gründe, die Sie für die Entlassung angegeben haben, falsch sind, dann kann ich Ihnen nur sagen: Holen Sie sich das Einverständnis der beiden und machen Sie diese Briefe öffentlich! Das Parlament und die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was geschehen ist. ({5}) Ich jedenfalls habe inzwischen nachdrückliche Zweifel, dass es vorsätzlich vorenthaltene Informationen sind, die Sie am 3. Dezember zu einem Sinneswandel geführt haben. Ich beziehe mich auf Sie selbst. Sie selbst haben am 6. November davon gesprochen, dass Sie den COMISAFBericht studiert haben. Sie selbst haben in der Pressekonferenz erwähnt, dass Sie den Bericht des Roten Kreuzes gesehen haben. Sie wussten also am 6. November, dass es Fehler gegeben hat, dass es zivile Opfer gegeben hat. Trotzdem und unbeeindruckt davon haben Sie sich öffentlich zur Notwendigkeit und zur Angemessenheit des Einsatzes bekannt. Schlimm ist, wie ich finde: Drei Wochen lang haben Sie sich dafür öffentliches Lob abgeholt. Dann drehte sich die Berichterstattung, und Sie drehten sich mit. Weil das kein Mensch erklären konnte, auch Sie nicht, mussten der Feldjägerbericht und zwei Personen, die jetzt im Ruhestand sind, dafür herhalten. Wir alle wissen, dass in diesem Feldjägerbericht nichts Neues und insbesondere nichts anderes enthalten ist. Das haben Sie indirekt unserem Vorsitzenden, Sigmar Gabriel, vorgeworfen, als Sie ihm gesagt haben, Anfang November sei schon alles bekannt gewesen, in der Geheimschutzstelle einsehbar gewesen. Aber wenn uns das alles bekannt gewesen sein soll, dann doch offensichtlich auch Ihnen vor dem 3. Dezember. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Sie können diesen Sinneswandel nicht erklären. Sie sagen es nicht. Meine Vermutung will ich Ihnen gerne mitteilen: Sie sind am 6. November, um der Truppe zu gefallen, über die kritischen Stimmen in diesem Bericht hinweggegangen, und als der Wind Ihnen ins Gesicht blies, haben Sie forsch das Gegenteil vertreten. Herr Minister, das ist Schneidigkeit, aber Schneidigkeit ist keine politische Haltung, und sie ersetzt auch nicht politische Verantwortung. Wir stehen zu unserer Verantwortung, wir stehen zu der Bundeswehr, aber wir wollen vor allen Dingen Wahrheit. ({0}) - Sie irritieren die Bundeswehr im Augenblick! Sie irritieren sie! ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal auf die Redezeit hinweisen.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir wollen vor allen Dingen die Wahrheit. Ihre Aussage steht gegen die Aussagen von zwei Personen; das ist nicht ohne Belang, meine Damen und Herren! ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen und dem Soldaten, der heute durch einen Bauchschuss schwer verwundet wurde und die erste Operation überstanden hat, dem aber weitere Behandlungen bevorstehen, von dieser Stelle aus, ich denke, in unser aller Namen, beste Genesungswünsche ausdrücken, damit sehr deutlich wird, dass wir an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz stehen. ({0}) Wir haben ebenfalls heute das schärfste Instrument, das dem Deutschen Bundestag zur Verfügung steht, genutzt und einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der all die Fragen, die in den vergangenen Tagen mit Vehemenz über unsere Bürgerinnen und Bürger hinweggefegt sind, aufklären soll. Ich kann nur schwer nachvollziehen, dass wir diesem unserem eigenen Instrument in der Art und Weise, wie wir es hier heute erlebt haben, vorgreifen. ({1}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat an vielen Stellen ihren Willen zur umfassenden und zeitnahen Aufklärung dargelegt. An den heute gemachten Ausführungen der Kolleginnen und Kollegen der Opposition können wir unterschiedliche Motivlagen erkennen: Die einen möchten wissen, ob die Bundeswehr gezielte Tötungen durchführen kann. Die anderen möchten wissen, ob der ehemalige Generalinspekteur und der beamtete Staatssekretär Dr. Wichert zu Recht entlassen worden sind. Andere Kollegen möchten gerne den gesamten Afghanistan-Ein838 satz infrage stellen. Warum können wir als diejenigen, die vor wenigen Tagen diesen Einsatz erneut mandatiert haben, nicht abwarten, bis all diese Fragen in unserem Untersuchungsausschuss geklärt werden? ({2}) Wir haben heute sehr oft gehört, dass wir an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten stehen. Ich habe mich in den letzten Tagen häufig gefragt - liebe Kollegen, das ist eine sehr persönliche Meinung -, wie sich unsere Soldatinnen und Soldaten in Kunduz und deren Familienangehörige angesichts der Debatte, die wir hier führen, fühlen. ({3}) - Nein, das ist nicht unglaublich; denn in dem Moment, in dem ich als Mitglied des Deutschen Bundestages diesen Einsatz mandatiere - ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Darf ich um etwas Ruhe und Aufmerksamkeit für die Rednerin bitten?

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Trittin, ich glaube, dass ich hinreichend zum Ausdruck gebracht habe, dass dies meine persönliche Meinung dazu ist. ({0}) Ich bin der Auffassung, dass ich, wenn ich als Parlamentarierin dieses Mandat erteile, auch eine Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten und gegenüber ihren Familien habe. ({1}) Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir heute unseren Untersuchungsausschuss, der einen klaren Untersuchungsgegenstand hat, eingesetzt. Da hier an verschiedenen Stellen die Informationspolitik bemängelt wird, muss ich auch einmal fragen: Wie laufen denn die Informationsstränge in den Fraktionen? ({2}) Denn die Obleute werden in vielen Punkten umfassend informiert. ({3}) Heute ist der Eindruck erweckt worden, als ob dies allein Sache der Bundesregierung wäre, die vernebelt und keine Informationen geben will. Der Minister hat hier im Plenum ausdrücklich gesagt, dass er das durchführen wird. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich hoffe, dass der erkennbare Wille aller, den Sachverhalt aufzuklären, ({4}) dazu führen wird, dass wir im Untersuchungsausschuss gemeinsam, ernsthaft und mit aller gebotenen Rücksichtnahme auf die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und auf das Ansehen der Bundeswehr dieser Aufgabe Folge leisten werden. Vielen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jan van Aken für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Kunduz ging es nie um die Tanklaster. Es ging darum, Menschen zu töten. Ich zitiere hier jetzt nur aus öffentlichen Quellen. Ich habe keinen Grund, an deren Seriosität zu zweifeln. Kurz vor dem Bombenabwurf fragten die beiden amerikanischen Piloten fast schon verzweifelt: Worum geht es denn jetzt? Geht es um die Tanklaster oder um die Menschen? Darauf gab es eine ganz klare Antwort aus dem deutschen Lager - ich zitiere wörtlich -: Wir wollen die Menschen töten. - Kein Wort von den Tanklastern, und ein paar Minuten später waren über Hundert Menschen tot. ({0}) Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keinen einzigen Angriff mit deutscher Beteiligung, bei dem so viele Menschen getötet worden sind. ({1}) „Vernichten“, das ist das Wort, das Oberst Klein dafür benutzt hat. Bis heute wissen wir immer noch nicht, wie viele unschuldige Zivilisten dabei zu Tode gekommen sind. ({2}) Auf jeden Fall waren es sehr, sehr viele. ({3}) Dann setzt sich Herr zu Guttenberg ins deutsche Fernsehen und sagt: Wir brauchen eine „notwendige Anpassung an die Realitäten“. Sie haben hier gar nichts anzupassen. Herr zu Guttenberg, Sie haben keine Lizenz zum Töten. ({4}) Gezielte Tötung ist nichts anderes als eine Todesstrafe ohne Gerichtsurteil und ohne Gerichtsverfahren. Das dürfen Sie nicht. ({5}) Das Einzige, was Herr zu Guttenberg hat, ist ein Mandat des Deutschen Bundestages. Dieser Bundestag hat Ihnen niemals die Erlaubnis zum gezielten Töten gegeben. ({6}) Um es deutlich zu sagen: Das vom Bundestag erteilte Mandat umfasst nicht das Recht, Zielpersonen unter Anwendung tödlicher Gewalt wegen einer nur vermuteten Gefahr gezielt zu liquidieren. ({7}) Wenn Sie in den Reihen der CDU/CSU jetzt dagegen protestieren, dann sage ich Ihnen: Sie sind doch völlig kriegsblind. Das, was ich eben hier vorgelesen habe, kommt aus Ihren eigenen Reihen. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium hat dies vor wenigen Monaten im Bundestag gesagt. Ich wiederhole: Das … Mandat umfasst nicht das Recht, Zielpersonen … gezielt zu liquidieren, … Das sagte der Staatssekretär im Verteidigungsministerium hier am 11. Februar dieses Jahres. Das heißt, der Bombenangriff in Kunduz war illegal und durch kein Mandat und durch kein Gesetz gedeckt. So weit sind wir jetzt gekommen. ({8}) Sie von der CDU/CSU, Sie von der FDP, aber auch Sie von der SPD und den Grünen haben Deutschland in einen Krieg getrieben, über den Sie nie die Wahrheit gesagt haben. ({9}) Sie haben immer von Aufbau geredet und meinten den Krieg. Sie reden von Brunnenbau und verschweigen die Leichen. Sie alle haben gelogen, und Sie wissen ganz genau, warum. Denn die ganz große Mehrheit in Deutschland lehnt diesen Krieg ab. ({10}) Selbst vor zwei Wochen, vor dem Desaster, das Sie jetzt hier angerichtet haben, haben sich gerade einmal 27 Prozent der Deutschen für den Krieg in Afghanistan ausgesprochen, und das trotz all Ihrer Lügen, all Ihrer Aufbau- und Schutztruppenrhetorik; da war von Vernichten noch gar nicht die Rede. Wir wollen keinen Krieg, wir wollen keine Leichen, und wir wollen nicht die tagtägliche Zerstörung, die dieser Krieg in Afghanistan anrichtet. ({11}) Es geht jetzt um zwei Dinge: Erstens. Heben Sie sofort das Mandat für den Afghanistan-Krieg auf, ({12}) das der Bundestag vor zwei Wochen beschlossen hat; denn noch vor zwei Wochen hat niemand etwas von Vernichtung gesagt. Das ganze Mandat ist doch unter völlig falschen Voraussetzungen zustande gekommen. ({13}) Deswegen sagen wir: Das Mandat muss weg, und der Krieg muss jetzt aufhören. ({14}) Zweitens muss Frau Merkel endlich erklären, wer wann die Erlaubnis oder sogar den Befehl zum gezielten Töten gegeben hat. Ich bitte Sie: Kein Mensch glaubt doch im Ernst, dass ein deutscher Offizier ohne Absicherung nach oben Regeln verletzt, Amerikaner belügt und eigenmächtig handelt, was dazu führt, dass über 100 tote Menschen auf der Strecke bleiben. ({15}) Irgendwer hier in Berlin hat diese Entscheidung irgendwann getroffen. Alle, die an dieser Entscheidung beteiligt waren, müssen ihren Hut nehmen. Es kann doch nicht sein, dass jemand in Deutschland die illegale Tötung beschließt und danach weiterregiert. ({16}) Dazu muss sich Frau Merkel jetzt erklären. ({17}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Gestern konnten wir lesen: Über 8 Milliarden Euro hat Deutschland im letzten Jahr am Export von Kriegsgerät verdient. Ich finde, das sind 8 Milliarden Euro zu viel. Ich danke Ihnen. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schockenhoff, ich hätte mir von Ihnen gewünscht, dass Sie an dieser Stelle wenigstens eingestehen, dass in der Regierungserklärung am 8. September dieses Jahres von der Frau Bundeskanzlerin und in der anschließenden Debatte vom damals amtierenden Verteidigungsminister nicht die ganze Wahrheit gesagt wurde. Sie haben darauf hingewiesen, die Fraktionen seien unterrichtet worden, dass es auch um die Tötung von Taliban gegangen sei. Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie das Protokoll der Regierungserklärung. Sie werden feststellen: Die Darstellung, die in diesem Hause abgegeben worden ist, lautete: Wir mussten die Tanklastzüge bombardieren, um eine unmittelbare Gefahr für die Soldaten im Lager Kunduz abzuwehren. - Meine Damen und Herren, das war zumindest nicht die ganze Wahrheit. ({0}) Die ganze Wahrheit findet sich im Bericht von Oberst Klein. Dort heißt es: Es ging darum, an dieser Stelle Taliban zu vernichten. - Ich sage Ihnen, dass dies mit dem Mandat, das der Deutsche Bundestag erteilt hat, nicht zu vereinbaren ist. ({1}) Die NATO - nicht Jürgen Trittin, sondern die NATO stellt fest: Es sind essenzielle Regeln verletzt worden. Herr Klein hätte keine Luftunterstützung anfordern dürfen, da dies Troops in Contact vorausgesetzt hätte. Die NATO stellt fest: Diese Voraussetzung war nicht erfüllt. ({2}) Ich kann das fortsetzen: Warum ist die abziehende Menschenmenge nicht durch vorherigen Tiefflug gewarnt worden? Ist das Ihr Verständnis davon, wie zivile Opfer in Afghanistan zu vermeiden sind? Oder ist eine solche Praxis nicht eher geeignet, die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan zu erhöhen? ({3}) Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage: Was besagen die ISAF-Regeln? Was ist der Befehl des Oberkommandierenden dort eigentlich wert, der gesagt hat: „Die Vermeidung ziviler Opfer hat oberste Priorität. Luftangriffe sind künftig an sehr enge Voraussetzungen zu knüpfen“? Wenn die NATO feststellt, dass diese Voraussetzungen nicht eingehalten worden sind, Sie sich also nicht an die Regeln gehalten haben, dann haben Sie gegen die Regeln des ISAF-Mandates verstoßen. Schließlich wurde nicht etwa von einer Oppositionsfraktion, sondern in dem Bericht, der diesem Hause vorliegt, festgestellt, dass der Einsatz am 4. September dieses Jahres nicht durch das Mandat gedeckt war. ({4}) Denn ISAF-Regeln sind rechtsverbindlich und nicht unverbindliche Handlungsempfehlungen. ({5}) Deswegen frage ich mich, sehr geehrter Herr Bundesverteidigungsminister: Wie konnten Sie in Kenntnis dieses Berichts, in Kenntnis dieser Feststellungen zu dem Ergebnis kommen, dass der Angriff militärisch angemessen, ja sogar - wie Sie in der Pressekonferenz erklärt haben - unabweisbar gewesen sei? Das ist ganz mieser Stil gewesen, Herr Minister. Sie können nicht den Obleuten und den Ausschüssen des Bundestages das Material zur Verfügung stellen, aber immer unter der Maßgabe, dass man das geheimhalten muss, und Sie treten dann vor die Presse und erklären - übrigens in einer Bewertung - das Gegenteil von dem, was in diesen Berichten steht. Erst nachdem man Sie drei Mal - ich in diesem Plenum zwei Mal - aufgefordert hat, Ihre Bewertung endlich zu korrigieren, korrigieren Sie diese, aber beschimpfen diejenigen, die Sie auf diesen Fehler hingewiesen haben. Das ist ein Umgang mit dem Parlament, der ist eines Bundesministers nicht würdig. ({6}) Die Art und Weise, wie Sie dann - übrigens ohne Not - hier begründet haben, dass Sie Herrn Wichert und Herrn Schneiderhan entlassen haben, wirft die nächste Frage auf. Wenn Sie heute von Herrn Schneiderhan per Zeit bescheinigt bekommen, dass nach seiner Auffassung Sie die Unwahrheit sagen, sage ich Ihnen: Das wird ein sehr spannender Untersuchungsausschuss; denn im Untersuchungsausschuss geht es nicht zu wie bei Beckmann, ({7}) im Untersuchungsausschuss ist die Unwahrheit strafbewehrt. Ich sage Ihnen: Wenn Herr Schneiderhan und Herr Wichert bei ihrer Aussage bleiben, dann sehe ich für Ihre Zukunft in diesem Amte erhebliche Probleme auf Sie zukommen. ({8}) Ich will Ihnen deswegen für Ihre Rede, die wir jetzt hören werden, ein Zitat von Herrn Schneiderhan mit auf den Weg geben. Er hat zu seiner Verabschiedung Konfuzius zitiert: Der Schüler fragt den Meister: Was ist sittliches Verhalten? Der Meister antwortet: Wer sich durch sittliches Verhalten auszeichnet, wählt seine Worte mit Bedacht. Der Schüler fragt weiter: Mit Bedacht reden, das soll sittliches Verhalten sein? Der Meister antwortet mit einer Gegenfrage: Das Handeln ist so schwieJürgen Trittin rig; darf da das Reden unbedacht sein? - Ich würde mir bei Ihnen mehr Konfuzius wünschen. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg. ({0})

Karl Theodor Guttenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11003543

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Trittin, „mieser Stil“ soll das also sein. Ich frage mich, wie unsere Soldatinnen und Soldaten den Stil der heutigen Debatte empfinden. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat der Minister.

Karl Theodor Guttenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11003543

Ich frage mich, was unsere Soldatinnen und Soldaten empfinden, wenn Sie an einem Tag, wo ein Soldat schwer verwundet in Kunduz liegt, wo ein weiterer Soldat offenbar verletzt wurde, wo Soldaten im Gefecht sind, mit solchem Gebrüll antworten und lediglich innenpolitische Gefechte abfeiern. Das entspricht überhaupt nicht dem erforderlichen Niveau, meine Herren! ({0}) Unsere Soldaten hätten Verständnis dafür, dass wir hier Debatten führen, wie man für Rechtssicherheit sorgen kann. Unsere Soldaten hätten Verständnis dafür, dass wir, wenn wir über das Thema, wie man in Afghanistan - ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Bundesminister, darf ich Sie kurz unterbrechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen ernsten Sachverhalt zu diskutieren. ({0}) Da kann von jedem Mitglied dieses Hauses, Frau Kollegin Künast, erwartet werden, dass wir uns gegenseitig zuhören. ({1}) Herr Minister, bitte.

Karl Theodor Guttenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11003543

Frau Künast, unsere Soldaten haben eines, was Sie ihnen gerade offensichtlich nicht zugestehen, nämlich ein hohes Anstandsempfinden. Ich glaube, das darf das Parlament in einer Debatte auch widerspiegeln. ({0}) Unsere Soldaten haben den Anspruch darauf, dass wir die Lage in Afghanistan auch unter Berücksichtigung des Punktes Rechtssicherheit und der Frage, wie es einem Soldaten im Felde geht, der im Gefechte stand, diskutieren. Wenn man dies vor dem Hohen Hause anspricht, das den Namen „Hohes Haus“ zu Recht trägt, ({1}) und dann plötzlich nichts weiter als wüstes Geschrei von Ihren Seiten ausbricht, dann werden Sie damit Ihrer Verantwortung gegenüber den Soldaten nicht gerecht. Das darf ich an dieser Stelle auch noch einmal sagen. ({2}) Heute stehen hier einmal mehr zwei wesentliche Punkte im Raum. ({3}) Herr Trittin und Herr Steinmeier, die Sie gesprochen haben: Sich in der letzten Woche und am Wochenende hinzustellen und zu beklagen, man würde nur stückchenweise über das eine oder das andere informiert werden, ist schon bemerkenswert. ({4}) Die Welle der Empörung dürfte Sie in dieser Hinsicht eigentlich selbst treffen, da Sie seit spätestens 3. November 2009 über all das informiert waren, was Sie da beklagt haben. ({5}) Einige von Ihnen waren sogar schon früher informiert. ({6}) - Sie nennen gerade Herrn Arnold. Herr Arnold hat, wie man hört, beispielsweise schon am 8. September 2009 über gewisse Dinge, die gerade auch in der letzten Woche laut beklagt wurden, gesprochen. ({7}) - Er kann sich ja gleich selbst dazu äußern. - In der Sitzung des Verteidigungsausschusses - übrigens der ersten nach dem Luftschlag - sollen bestimmte Kollegen gesagt haben - Herr Arnold weiß sicher, von wem ich rede; ich höre das -, dass das Ziel des Luftschlags durchaus auch darin bestanden habe, die sich im Umfeld der Laster aufhaltenden Terroristen zu treffen - hört! hört! -, die sicher kein illegitimes Ziel seien. ({8}) Ich darf das wiederholen: die sicher kein illegitimes Ziel seien. ({9}) Ich wiederhole: Man hört, das sei im Verteidigungsausschuss am 8. September 2009 gesagt worden. ({10}) Manchmal muss man der Erinnerung auch ein Stück weit nachhelfen, wenn Sie sich so äußern wie in diesen Tagen. ({11}) Die Fraktionsvorsitzenden - Herr Trittin, Sie selbst wollten am 6. November 2009 ja nicht kommen - wurden vom Bundesverteidigungsministerium auch darüber informiert, ({12}) was der COMISAF-Bericht aussagt, dass nämlich auch die Taliban ein Teil der gezielten Bekämpfung waren und dass es nicht nur um die Tanklaster ging, dass die gezielte Bekämpfung also gegen die Tanklaster und die Taliban gerichtet war. Das war am 6. November 2009. Herr Trittin, Sie wollten nicht selbst kommen und haben einen Vertreter geschickt. Man darf zumindest annehmen, dass er Sie über die Dinge unterrichtet hat, die er dort hörte. ({13}) Ich komme zu den personellen Konsequenzen, weil sie von einigen angesprochen worden sind. Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dass mir Dokumente, Berichte und Informationen zum Vorfall in Kunduz vorenthalten wurden. ({14}) Das ist unbestritten. ({15}) Das wird auch - jetzt wird es interessant; hören Sie einmal zu, Herr Oppermann - in dem Brief von General Schneiderhan an mich festgestellt, ({16}) in dem er mich bittet, Herr Oppermann, ihn von seinen Dienstpflichten zu entbinden, da er die Verantwortung dafür übernehme, dass mir diese Informationen nicht vorgelegt wurden. ({17}) Für die Trennung bedarf es keiner weiteren Gründe. ({18}) Auf ein anderes Niveau in der Debatte, das man derzeit erlebt, werde ich mich mit Sicherheit nicht einlassen. ({19}) Ich darf gleichzeitig noch auf eine Frage eingehen, nämlich ob Informationen wesentlich oder unwesentlich sind. ({20}) In einem so entscheidenden Fall der Geschichte der Bundeswehr hat der Bundesminister in der Frage, welche Information wesentlich oder unwesentlich gewesen sein mag, ({21}) schon noch selbst das Recht, zu entscheiden, was wesentlich und was unwesentlich ist, statt jemanden danach fragen zu müssen, ob er denn Einsicht in gewisse Akten nehmen darf. Wo kämen wir denn da hin? ({22}) In diesem Zusammenhang wird manches, was heute mit großem Gedöns vorgestellt wurde, auch im Untersuchungsausschuss eine Rolle spielen dürfen und müssen. Ich habe diesen Untersuchungsausschuss von Anfang an befürwortet, ebenso wie ich alle mir vorliegenden Dokumente dem Parlament zur Verfügung gestellt habe und solche, die als geheim eingestuft waren, sogar herabgestuft habe, sofern ich das selbst konnte - das hat es in dem Sinne auch noch nicht gegeben -, damit im Parlament damit anständig umgegangen werden kann. Ob Sie damit anständig umgehen, ist noch eine andere Frage. Das hat mit Anstand relativ wenig zu tun. ({23}) Ich habe immer gesagt, dass ich den Untersuchungsausschuss befürworte. Ich halte ihn für ein angemessenes und auch für ein würdiges Gremium, diese Fragen zu behandeln. Einen Vorgeschmack darauf, wie dieses Gremium von einigen eingeschätzt wird, konnte ich allerdings bereits am gestrigen Abend und heute bekommen. Gestern Abend erreichte mich eine Aufforderung der SPD-Fraktion, heute im Verteidigungsausschuss einen umfassenden Bericht über die Ereignisse am 3. und 4. September 2009 anlässlich des Bombenabwurfs auf zwei Tanklastzüge und die daraus resultierenden Entscheidungen des Einsatzführungskommandos und des Bundesministeriums der Verteidigung abzugeben. Der Bericht sei dringend erforderlich für die Beratungen im Verteidigungsausschuss. Diese Aufforderung erfolgte vor der Einrichtung des Untersuchungsausschusses. Das gibt mir einen Hinweis darauf und setzt Sie dem Verdacht aus, dass es Ihnen bei dem Untersuchungsausschuss nicht um Aufklärung und Information geht, sondern dass Sie nahe am politischen Klamauk sind, wenn Sie den Untersuchungsausschuss schon im Vorfeld so abwerten wollen. ({24}) Herr Arnold, dazu können Sie auch Stellung nehmen. Das ist nicht würdig. Es ist nahe am Klamauk. ({25}) Es geht bei allen Fragen, die wir hier behandeln, nicht lediglich um die eine oder andere Spitzfindigkeit, sondern um existenzielle Fragen, die Leben und Tod unserer Soldaten berühren. ({26}) Wenn wir dieses Niveau in solchen Fragen halten, dann tragen Sie die Debatte auch künftig auf dem Rücken der Soldaten aus, und dieses Niveau gibt niemand anders als Sie vor. Herzlichen Dank. ({27})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nicht den Minister der Verteidigung gehört, sondern wir haben gerade den Minister für Selbstverteidigung ertragen müssen. ({0}) Herr zu Guttenberg, wer es mit der Bundeswehr wirklich gut meint, wer es mit der Verantwortung für die Soldaten ernst meint, der sorgt dafür, dass die deutsche Öffentlichkeit und das Parlament wahrhaftig, korrekt und lückenlos über die Arbeit der Soldaten informiert werden. Das ist es, was die Soldaten brauchen. ({1}) Seit dem 5. September erleben wir nicht nur Salamitaktik, sondern auch Halbwahrheiten. Ein Minister musste deshalb schon zurücktreten. Der nächste Minister macht in dieser Kette eindeutig weiter. Herr Minister, mich macht es wirklich fassungslos, wie Sie die ernste Situation des verwundeten deutschen Soldaten - unsere Gedanken sind bei ihm; das haben wir schon im Verteidigungsausschuss gesagt - hier einbeziehen und so tun, als ob wir diejenigen sind, die Belehrungen bräuchten, wie man mit der Bundeswehr umgeht. Ich sage Ihnen: Die Truppe sehnt sich nach dem letzten sozialdemokratischen Verteidigungsminister Peter Struck. Da war sie in guten Händen. ({2}) Herr Minister, Sie stellen sich nicht vor die Soldaten, sondern verstecken sich mit Ihrer heutigen Rede hinter den Soldaten. Das haben sie wirklich nicht verdient. ({3}) Die Kette der Vernebelungen ging in Ihrer Rede weiter. Warum erklären Sie der deutschen Öffentlichkeit nicht ganz einfach, Herr zu Guttenberg - Sie haben den Bericht gelesen -, weshalb Sie zu dieser desolaten Fehl844 einschätzung kamen? Sagen Sie es einfach! Dann haben Sie sich korrigiert, erklären aber nicht, warum Sie sich korrigiert haben. Sie lassen sich in Talkshows feiern und holen den Applaus dafür ab, dass Sie jemand sind, der dazulernt. Ich glaube, wir alle können dazulernen. Das ist unsere Aufgabe als Abgeordnete. Aber schäbig ist, dass Sie nicht bereit sind, die Verantwortung für Ihren Irrtum zu übernehmen, sondern die Verantwortung dem Generalinspekteur und dem entlassenen Staatssekretär zuschieben. Das ist ein unanständiges Verhalten. ({4}) Nun wäre es wirklich an der Zeit, dass Sie die Vorgänge klären. Legen Sie doch den Brief des Generalinspekteurs, in dem er sich darüber beklagt, wie Sie mit ihm umgegangen sind, der Öffentlichkeit und dem Verteidigungsausschuss vor! Wir werden im Untersuchungsausschuss sowieso die Möglichkeit haben, Einblick in den Brief zu nehmen. Herr Minister zu Guttenberg, wir haben die Sorge, dass Sie diesem Amt, wenn Sie so weitermachen, nicht wirklich gewachsen sind. ({5}) Mir klingt noch ein bisschen in den Ohren, was Herr Schockenhoff und andere gesagt haben und was auch Sie mir vorgeworfen haben. Herr zu Guttenberg, Sie bringen mich in Verbindung mit einem angeblichen Zitat aus der Sitzung des Verteidigungsausschusses am 8. September. Bitte nehmen Sie das zurück! Ich werde Ihnen im Verteidigungsausschuss eine lange Kette von Presseveröffentlichungen, Statements, Interviews und Aussagen meiner Arbeitsgruppe vorlegen - ich bin mit dieser Haltung nicht alleine; alle Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag haben von Anfang an diese Position vertreten -, an der Sie erkennen können, dass meine Arbeitsgruppe bereits am 8. September in der Diskussion im Verteidigungsausschuss damit begonnen hat, sehr kritisch und reflektierend über die Fehler in der besagten Nacht zu reden; das ist notwendig. Das haben wir die ganze Zeit getan. Wir mussten unsere Auffassung eben nicht ändern. Das ist der große Unterschied. ({6}) Hören Sie also damit auf! Das ist nichts anderes als eine Verleumdung, wenn Sie das so stehen lassen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Nun gibt es die großen Befürchtungen, die Sozialdemokraten würden sich vom Acker machen; Herr Schockenhoff hat das ganz locker dahergesagt. Nein, wir bleiben bei unserer Verantwortung für die Menschen in Afghanistan, denen wir versprochen haben, beim Aufbau ihres Landes zu helfen. Wir bleiben auch bei unserer Verantwortung für die Sicherheitsinteressen der Welt in dieser Region. Davon werden uns Minister, die ihrer Arbeit nicht gewachsen sind, selbstverständlich nicht abbringen. ({7}) Aber dazu gehören wird, dass wir Minister, die Fehler begehen, hier im Deutschen Bundestag politisch stellen und sie drängen, ihrer politischen Verantwortung persönlich nachzukommen. Nur darum geht es bei dieser Debatte. Herzlichen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich beginnt gerade die dritte Periode im Deutschen Bundestag, und ich habe diese Zeit in den Ausschüssen für Verteidigung und Auswärtiges verbracht. Ich habe es immer als besonders angenehm empfunden, dass trotz aller Streitereien und Kritik, die wir hatten - wir waren bis vor einigen Wochen in der Opposition; einige aus der damaligen Regierung werden sich daran zum Teil schmerzhaft erinnern -, dass es trotz dieser Konfliktsituation, die es zwischen Opposition und Regierung geben muss, doch immer einen Konsens gegeben hat, nämlich den Konsens, dass wir gemeinsam - zumindest vier Fraktionen - außen- und sicherheitspolitische Verantwortung für dieses Land tragen, und den Konsens darüber, dass ein Instrument dieser gemeinsamen Verantwortung unsere deutsche Bundeswehr ist. Wenn ich die Debatten in den letzten Wochen und Tagen betrachte, dann habe ich die große Befürchtung, dass dieser Konsens am Zerbrechen ist. ({0}) Die Gefahr ist, dass dieser Konsens zerbricht, weil Sie bereit sind, aus kleinkarierten innenpolitischen Motiven Kollateralschäden in Kauf zu nehmen. ({1}) Wenn diese Kollateralschäden uns betreffen würden, dann könnten wir damit leben. Wir sind das gewohnt, dafür werden wir bezahlt, das ist unser Job. Aber Sie alle wissen - auch Sie sind bei den Soldaten in diesen Wochen; das weiß ich -, welche verheerende Auswirkung die Art der Debatte - nicht das, was wir diskutieren - auf unsere Soldaten im In- und Ausland hat. Das wird uns täglich und wöchentlich bei unseren Besuchen in den Kasernen mitgeteilt. Das ist der Kollateralschaden, den Sie zu verantworten haben. ({2}) Es hat ohne jeden Zweifel am 4. September einen ganz gravierenden Vorfall gegeben. Wir, auch der Minister, räumen ein, dass es Fehler gegeben hat. Es ist unsere Aufgabe, aus diesen Fehlern zu lernen. Sie aber beschäfDr. Rainer Stinner tigen sich nicht mit einem einzigen Wort damit, welche Konsequenzen wir aus den Vorfällen des 4. September ziehen müssen: neue Einsatzregeln, bessere Bewaffnung, bessere Kommunikation, andere Soldaten, mehr Soldaten, was auch immer. Nein, darüber reden Sie mit keiner einzigen Silbe, weil Sie dieses Thema benutzen wollen, um kleinkarierte innenpolitische Münze zu schlagen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das machen wir sehr deutlich. ({3}) Die Grünen sind ohnehin schon über den Fluss gegangen, weil die meisten der Meinung waren, dass schon heute keine Soldaten mehr in Kunduz und in Afghanistan stehen sollten; denn Sie haben am 3. Dezember den Antrag abgelehnt. Wer am 3. Dezember hier ablehnt, muss wissen, dass heute kein deutscher Soldat mehr in Afghanistan wäre, wenn Sie Recht bekommen hätten. Das ist die Tatsache. ({4}) - Selbstverständlich ist das so. - Das Mandat ist am 14. ausgelaufen. Wir haben heute den 16. Wenn Sie Recht bekommen hätten, wäre jetzt kein deutscher Soldat mehr in Kunduz vorhanden. Was das für die Bevölkerung bedeuten würde, können Sie sich selber einmal klarmachen. Sie sind also echt schon abgedriftet. Aber was ich sehr bedenklich finde, ist, wie sich die SPD einlässt, insbesondere ehemalige Mitglieder der Bundesregierung, die bis vor vier Wochen Verantwortung für dieses Land getragen haben, wie sich diese heute hier darstellen und davonstehlen wollen. ({5}) Es wird wider besseres Wissen insinuiert, es gäbe einen Strategiewechsel. Herr Steinmeier, Sie waren der Außenminister, Sie hätten einen Strategiewechsel einleiten können. Sie haben eine Aufklärungspflicht auch gegenüber denen in Ihren Reihen, die das bis zum heutigen Tage behaupten, und müssen das klarstellen. ({6}) Dieser Verpflichtung kommen Sie eindeutig nicht nach. ({7}) Auch Ihr verteidigungspolitischer Sprecher, Herr Arnold, müsste es besser wissen. Herr Arnold, wir haben vier Jahre lang gemeinsam um die Anpassung der Taschenkarte an die Realität gerungen. Es war nie die Rede von Strategiewechsel, sondern von Anpassung an die Realität. Es gab keine einzige Veränderung der Rules of Engagement. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Sie haben eine Aufklärungsfunktion, eine Aufklärungspflicht in Ihrer Fraktion, und der kommen Sie nicht nach. ({8}) Dass Sie das nicht tun, ist nicht in der Verantwortung gegenüber dem gemeinsamen Auftrag begründet - Sie sind, jedenfalls mehrheitlich, dafür, dass deutsche Soldaten in Afghanistan sind; ich glaube, 121 Ihrer Abgeordneten waren noch dafür -, sondern darin, dass Sie glauben, damit einen Keil in die Regierung treiben, der Regierung schaden ({9}) und daraus kurzfristig innenpolitischen Nutzen ziehen zu können. Das wird Ihnen hoffentlich nicht gelingen; denn wir werden die Bevölkerung darüber aufklären, welche Bedeutung, welche Verantwortung wir haben. Wenn Sie diese Verantwortung nicht wahrnehmen: Jedenfalls wir werden dies auch in Zukunft eindeutig tun. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr zu Guttenberg, vor Ihrer Rede habe ich mich gefragt, warum Außenminister Westerwelle heute in einer so wichtigen verteidigungs- und außenpolitischen Debatte eigentlich nicht da ist, ({0}) um Ihnen nicht wenigstens durch seine physische Anwesenheit Unterstützung zu leisten. Nach Ihrer Rede weiß ich, warum er nicht gekommen ist. In diese Sache will er sich nicht hineinziehen lassen. ({1}) Sie haben hier eben unter Hinweis auf den Untersuchungsausschuss kritisiert, es sei Klamauk, wenn Sie jetzt gleichzeitig gebeten würden, einen Bericht im Verteidigungsausschuss vorzulegen. Ich muss Sie einmal darauf hinweisen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erst in diesem Sommer eindeutig klargestellt hat, dass der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung durch Untersuchungsausschüsse in keiner Weise ersetzt wird. Sie werden sich in den nächsten Wochen und Monaten daran gewöhnen müssen, dass wir diese Frage nicht nur im Untersuchungsausschuss, sondern auch im Plenum des Deutschen Bundestages diskutieren. ({2}) Herr zu Guttenberg, es wäre auch angemessen, wenn Sie künftig zur Fragestunde kämen und nicht nur den Staatssekretär schickten. Wer bei Beckmann antwortet, der kann auch im Bundestag antworten. ({3}) Wer das ablehnt, der hat ein komisches parlamentarisches Verständnis. ({4}) Der Untersuchungsausschuss hat heute mit der Arbeit begonnen. Zwei Dinge stehen schon jetzt unstreitig fest: Zum Ersten, dass das Parlament über den Luftanschlag am Kunduz-Fluss mehrfach falsch informiert worden ist. Dafür hat Verteidigungsminister Jung mit seinem Rücktritt die Verantwortung übernommen. Das ist konsequent und sicher auch respektabel. Zweitens ist unstreitig, dass Sie als neuer Bundesverteidigungsminister am 6. November - und zwar in Kenntnis des umfassenden NATO-Berichtes, in Kenntnis der Tatsache, dass bei dem Luftanschlag viele zivile Opfer zu beklagen waren, dass es nicht nur darum ging, die beiden Tanklastfahrzeuge zu zerstören, sondern auch darum, die dort anwesenden Menschen zu vernichten, in Kenntnis der Tatsache, dass wesentliche Spielregeln für ISAF-Einsätze missachtet worden waren, in Kenntnis der Tatsache, dass es keinen Feindkontakt gab, und nicht zuletzt in Kenntnis der Tatsache, dass das Lager in Kunduz gar nicht unmittelbar bedroht war, also in Kenntnis all dieser Tatsachen - festgestellt haben, dass dieser Luftschlag militärisch angemessen war und damit eine grob fehlerhafte Bewertung vorgenommen haben. Aber im Unterschied zum ersten Punkt, der mehrfachen Täuschung des Parlamentes durch Ihren Vorgänger, hat für diesen Punkt, für diese große Fehleinschätzung, noch niemand Verantwortung übernommen. ({5}) Einen Monat später haben Sie Ihre Position korrigiert und das exakte Gegenteil vertreten; aber Sie haben nur scheinbar einen Fehler eingeräumt. Einen Fehler räumt nämlich nur der ein, der dafür auch die Verantwortung übernimmt. Aber genau das haben Sie nicht getan: Sie haben das auf Schneiderhan und Wichert abgeschoben, indem Sie sie entlassen haben. ({6}) Wenn Sie mich fragen, was Sie da gemacht haben, ({7}) antworte ich Ihnen: Das war unanständig. ({8}) - Schön, dass Sie jetzt da sind; er braucht Unterstützung. - Herr Schneiderhan ist ein international erfahrener, ein bei den Soldaten hochgeachteter und ein menschlich souveräner Generalinspekteur gewesen. Sie haben diesen Generalinspekteur in ein schlechtes Licht gerückt, um selber günstig dazustehen. ({9}) Herr Guttenberg, wenn Sie mich nach meinem Anstandsempfinden fragen, also danach, wie ich das finde, ({10}) - es ist ein bürgerliches Anstandsempfinden -, dann kann ich darauf nur antworten: Das, was Sie da gemacht haben, ist unanständig. ({11}) Ich finde es auch nicht besonders mutig, wenn ein Verteidigungsminister seinen Staatssekretär entlässt und seinen Generalinspekteur opfert, nur um seine eigene Haut zu retten. Es kann doch nicht angehen, dass wir von den Soldaten in Afghanistan persönlichen Mut und militärische Tapferkeit erwarten, aber an der Spitze des Verteidigungsministeriums das Prinzip der politischen Feigheit praktiziert wird. Meine Damen und Herren, ich finde das unanständig. ({12}) Der Untersuchungsausschuss wird jetzt die entscheidende Frage aufklären, ({13}) nämlich die Frage: Wer hat die Wahrheit gesagt, und wer hat die Unwahrheit gesagt? Das kriegen wir hin. Herr Generalinspekteur Schneiderhan hat bekundet, dass er Ihnen, Herr Verteidigungsminister, alle erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt hat, damit Sie am 6. November auf der Pressekonferenz eine adäquate, umfassende und kompetente politische Bewertung des Luftschlages vornehmen konnten. Sie haben gesagt, Ihnen seien wesentliche Informationen vorenthalten worden. Es kann nicht beides richtig sein. Einer hat die Wahrheit gesagt, und einer hat die Unwahrheit gesagt. Das wird im Untersuchungsausschuss festgestellt, notfalls auch durch Gegenüberstellung von Ihnen und Herrn Schneiderhan. Darauf sollten Sie sich schon einmal einstellen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Ich bin sicher, ({0}) dass Sie, wenn Sie nicht die Wahrheit gesagt haben, am Ende von sich aus Ihren Platz räumen. Ein Verteidigungsminister muss die Wahrheit sagen. Ein Verteidigungsminister, der nicht die Wahrheit sagt, ist nicht tragbar. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Herr Kollege Oppermann, bevor ich darlege, welche Motive ich hinter Ihren Ausführungen sowie denen des Kollegen Arnold und des Kollegen Steinmeier vermute, möchte ich zunächst auf eines hinweisen: Ihre Argumentation war nicht nur an einer Stelle etwas brüchig. Sie ist genauso wie die des Kollegen Arnold insbesondere in dem Moment wie ein Kartenhaus zusammengestürzt, als der Bundesaußenminister auftauchte. Eben wollten Sie ihn noch hierher rufen bzw. haben Sie sehnlichst erbeten, dass er kommt. ({0}) Jetzt ist er zur Unterstützung da. Insofern muss ich schon sagen, dass Sie sich an dieser Stelle zum ersten Mal hätten korrigieren können. Die Chance dazu haben Sie in Ihrer Rede allerdings, wie ich finde, gerade vertan. ({1}) Ein Zweites: Sie haben gerade Schneiderhan quasi als Ihren Mann beschrieben und ihn als aufrichtig usw. charakterisiert. Das sind alles Dinge, die ich mir aufgrund der wenigen Begegnungen, die ich in den vergangenen Jahren mit ihm hatte, nicht zutraue, abschließend zu beurteilen. Aber vor dem Hintergrund, dass er zurückgetreten ist und die Verantwortung übernommen hat, wundere ich mich, dass Sie jetzt sagen, er trage doch nicht die Verantwortung. Diesen Argumentationswechsel müssten Herr Schneiderhan und eigentlich auch Sie erklären können, wenn Sie hier so für ihn sprechen. Das haben Sie aber letztendlich nicht geschafft. Ich glaube, dass an dieser Stelle deutlich wird, dass hier einige Dinge nicht zueinanderpassen. ({2}) Eine Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: Da Sie, Herr Steinmeier, Herr Arnold und Herr Oppermann, voller Neid die Fernsehauftritte in relevanten Sendungen des deutschen Fernsehens bemängelt haben, ({3}) möchte ich Ihnen zumindest an dieser Stelle das Motiv Neid unterstellen. Das kam auf jeden Fall gerade deutlich heraus. ({4}) - Der Minister steht hier seit Wochen bei jeder wichtigen Debatte, auch über die Mandatsverlängerungen, Rede und Antwort. ({5}) Das Ministerium gibt an allen Stellen Auskunft. Der Minister geht auch in die Talkshows. Stellen Sie sich nun einmal umgekehrt vor, er würde sich vor all diesen Auftritten drücken, hier im Parlament wie auch in den Talkshows! Was würden Sie für einen Zirkus aufführen! Deshalb sage ich, dass es richtig ist, dass sich der Minister an jeder Stelle der Debatte gestellt hat, dass er das auch in dieser Aktuellen Stunde sehr gut gemacht hat und dass er dafür unsere Unterstützung verdient. ({6}) Herr Arnold, Sie haben am Ende Ihrer Rede - das ist das zweite Motiv, auf das ich eingehen möchte, warum ich vermute, dass Sie sich hier so aufführen, wie Sie es tun - noch pflichtschuldig erwähnt, warum die SPD dafür ist, sich in Afghanistan zu engagieren. Ich möchte, damit das nicht in Vergessenheit gerät, zitieren, wie Sie sich noch im vergangenen Jahr angehört haben. Vergleichen Sie das einfach einmal mit Ihren Äußerungen. Sie sind ja heute ein vielgefragter Mann. Jeder hat 15 Minuten Ruhm im Leben; Sie haben heute versucht, diese für sich zu nutzen und in den Medien auszuspielen. ({7}) Ich habe ja gerade gesehen, wie Sie den Journalisten vor der Tür hinterhergerannt sind. Aber das ist das Problem: Wenn Sie so im Fokus der Öffentlichkeit stehen, ist für uns die Versuchung groß, nachzulesen, was Sie schon einmal gesagt haben. Sie haben am 17. September 2008 im Plenum des Hohen Hauses gesagt: Bei unserem Einsatz in Afghanistan können wir uns natürlich nicht aussuchen, ob deutsche Soldaten kämpfen oder Aufbauhilfe leisten. Das wird uns von Aufständischen aufgezwungen. Damit das ganz klar ist: Das ist ein Kampf gegen Aufständische. Das ist die richtige Begrifflichkeit. Das ist kein Krieg. ({8}) Die Bundeswehr ist aber auch kein bewaffnetes Technisches Hilfswerk. Wenn Sie das mit den Äußerungen der Sozialdemokratie in den vergangenen Tagen vergleichen, ({9}) dann sehen Sie, dass das die rhetorische Vorbereitung dessen ist, was Sie in den nächsten Monaten vollführen wollen, nämlich sich von der Verantwortung für Afghanistan und die Menschen in Afghanistan zu verabschieden. ({10}) - Sie sagen „Worthülsen“, Herr Kollege Kelber. Wir haben den Untersuchungsausschuss mit initiiert, und dort werden alle Dinge geklärt. ({11}) Bei einem Einsatz wie diesem gibt es auch Dokumente, die als Geheim eingestuft sind, selbst wenn sie teilweise im Internet kursieren. ({12}) Es gibt auch viele Informationen, die tatsächlich zum Schutz der Soldaten und der NATO insgesamt geheim bleiben sollen. Deshalb gibt es diesen Untersuchungsausschuss. ({13}) - Der Schneiderhan-Brief ist etwas ganz anderes. - Deshalb sage ich Ihnen an dieser Stelle: Hier liegt ja die Vermutung nahe, dass eine gewisse Inszenierung und Skandalisierung von Ihnen bewusst herbeigeführt wird, die aber mit dem Thema Afghanistan nichts zu tun hat. Wenn es Ihnen aber mit Afghanistan ernst ist, dann fordere ich Sie dazu auf - Herr Steinmeier hat sich hier gerade schon verabschiedet -, über Ihre eigene Verantwortung nachzudenken. Dazu hätte ich mir von Herrn Steinmeier deutliche Worte gewünscht. Was hat er gewusst? Das wird der Untersuchungsausschuss auch klären. Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Ernst-Reinhard Beck für die CDU/CSU-Fraktion.

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die mediale Hysterie der letzten Tage ({0}) hat einmal mehr, Frau Künast, deutlich gemacht, dass in der deutschen Öffentlichkeit doch ein erheblicher Nachholbedarf bezüglich des Einsatzes militärischer Mittel besteht. ({1}) Was in anderen demokratischen Ländern unaufgeregt und sachlich bewertet wird, führt bei uns gleich zu einem politischen Erdbeben. Selbstverständlich stehen militärische Einsätze unter dem Primat der Politik und unter einem Mandat des Deutschen Bundestages. Aber das Militär ist immer auch Mittel der Politik. Wer dieses Mittel einsetzt, muss wissen, dass damit auch die Anwendung von Gewalt verbunden sein kann. Wir sollten nach mehr als 50 Jahren Bundeswehr als demokratische Armee in einem demokratischen Staat genügend Vertrauen in unsere militärischen Verantwortlichen haben, um ihnen zuzutrauen, dass sie sich an Recht und Gesetz halten. Unsere Soldaten sind keine Hasardeure oder seelenlose Killer, wie man nach der Lektüre mancher Medien in diesen Tagen vermuten könnte. Unsere Soldaten sind rechtsstaatlich erzogen und stehen auf dem Boden des Grundgesetzes. Wer dies infrage stellt, sollte dies bitte öffentlich erklären. ({2}) Wir befinden uns in Afghanistan in einer zunehmend schwierigeren Situation. Ja, das ist wahr. Die Lage vor allem im Westen von Kunduz, in der Region Chahar Darreh, ist alles andere als stabil. Die andauernden Angriffe auf unsere Soldatinnen und Soldaten gehörten hier fast zur täglichen Realität und bleiben nicht ohne Wirkung auf die Verfassung der zuständigen Verantwortlichen vor Ort. Mit anderen Worten: Die Erfahrungen mit verwundeten und getöteten Kameraden führen dazu, dass unsere Kommandeure dünnhäutiger, vielleicht auch nervöser werden. Ich finde es deshalb schon abenteuerlich, wenn Politiker, Journalisten und manch andere aus dem sicheren Berlin heraus ihre Lagebeurteilung anstellen, nachdem ein Ereignis erfolgt ist. Das ist verdammt einfach. ({3}) Unsere Kommandeure vor Ort haben es leider nicht so einfach. Sie müssen unter hoher physischer und psychischer Belastung mit der Verantwortung für die ihnen anvertrauten Soldatinnen und Soldaten auf der Basis der ihnen vorliegenden, mitunter unklaren Lageerkenntnisse entscheiden. Diese Entscheidung muss oft sehr schnell innerhalb von Minuten erfolgen. Das dabei auch Fehler vorkommen, dürfte jedem einleuchten, auch jenen, die der Bundeswehr nicht wohlgesonnen sind. Wer für sich selbst Fehlerfreiheit beansprucht, mag ein Recht auf KriErnst-Reinhard Beck ({4}) tik verspüren. Die meisten jedoch sollten zurückhaltender sein. Wer sich jetzt darüber aufregt, dass in einem kriegsähnlichen Umfeld auf Menschen geschossen wird, muss sich fragen lassen, in welcher Art von Realität er eigentlich lebt. Aufständische und Terroristen gefährden nicht nur die Soldaten in Afghanistan, sondern auch die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung. Um den Auftrag der ISAFTruppen und um den Auftrag unserer Soldaten vor Ort durchzusetzen, ist nach dem gültigen vom Bundestag beschlossenen ISAF-Mandat auch der Einsatz von Gewalt ausdrücklich vorgesehen. ({5}) Andererseits sage ich Ihnen ganz offen: Mich beruhigt, dass man sich in einem rechtsstaatlichen Land wie Deutschland schwer damit tut - auch ich tue dies -, auf Menschen zu schießen. Angesichts der großen Anzahl von Opfern, die dieser Luftschlag am 4. September gefordert hat, müssen wir uns den ethischen Fragen stellen und dürfen sie nicht leichtfertig abtun. Deshalb muss es vor einem Militäreinsatz immer einen Abwägungsprozess geben. Es ist ein Kennzeichen dieses Hauses, dass wir bei allen Einsätzen, die wir der Bundeswehr im Ausland zumuten, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen. Dafür steht uns vergleichsweise viel Zeit zur Verfügung, die Soldaten vor Ort haben jedoch oft nur wenig Zeit, um diese Bewertung durchzuführen. Gestatten Sie mir diese Anmerkung: Die veränderte Sicherheitslage muss sich auch in der Ausrüstung der Truppe in Afghanistan niederschlagen. Deshalb rege ich an, Überlegungen zum Einsatz schwerer Waffen nicht mehr auszuweichen. Dies gehört mit dazu, wenn wir unsere Bevölkerung mit der Wahrheit konfrontieren wollen, wenn diese auch nicht immer einfach zu verkraften ist. Wir sind in Afghanistan nicht nur zum Brunnenbohren und Brückenbauen, wie man lange Zeit geglaubt und vermittelt hat. Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen im Raum Kunduz in einem Kampfeinsatz. Darüber eine offene Debatte zu führen, ist längst überfällig. Alles andere wird in aller gebotenen Sachlichkeit im heute eingerichteten Untersuchungsausschuss zu bewerten sein. Dabei appelliere ich ausdrücklich an alle in diesem Hohen Haus, jeden Schaden von der Bundeswehr abzuwenden. Darauf haben die Soldatinnen und Soldaten, die in unserem Auftrag - ich betone: in unserem Auftrag - ihren schwierigen Dienst im Einsatzland versehen, ein Anrecht. Herzlichen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-Fraktion.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Steinmeier, das Thema dieser Aktuellen Stunde lautet: „Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan“. Dieser Einsatz hat nicht erst nach der Bundestagswahl angefangen, sondern ist zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung begonnen worden. Er ist zu Zeiten der Großen Koalition fortgesetzt worden und ist unter der neuen Bundesregierung im Rahmen einer Mandatsbestätigung weiter fortgesetzt worden. ({0}) Ich betone das deshalb, weil man sowohl aufgrund des Klimas in der Fragestunde wie auch teilweise in der Aktuellen Stunde den Eindruck gewinnen konnte, dass Sie zu diesem Thema hier nicht reden wollten. Sie wollten zu anderen Themen in dieser Aktuellen Stunde reden. Es kann ja jeder reden, worüber er will. Aber heute geht es um dieses Thema. Sie haben sich vorhin in der Fragestunde viel Mühe gegeben, herauszubekommen, ob es eine Art Strategiewechsel gegeben habe - vielleicht mit der Absicht, wenn ja, die Möglichkeit zu haben, diesen dann nicht mehr mitzutragen. Ich sage Ihnen: Das Mandat ist über all die Jahre im Kern unverändert geblieben. ({1}) Die militärische und die Sicherheitslage haben sich verändert. Im Rahmen des vom Mandat vorgegebenen Auftrages hat die Bundeswehr angemessen zu reagieren. Es war von Anfang an klar - das muss man auf manche der Beiträge sagen -, dass die Bundeswehr ermächtigt war und ist, alle notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung des Mandats zu ergreifen, einschließlich militärischer Gewalt. Sie hat Befugnisse, die über bloße Notwehr und Nothilfe hinausgehen. Es handelt sich auch um ein Mandat zur Aufstandsbekämpfung, Herr Arnold, allerdings - das ist der Kern der jetzigen Diskussion, die sich an dem Vorfall in Kunduz festmacht - natürlich nicht über die Maßstäbe des humanitären Völkerrechts hinaus. Ziel des humanitären Völkerrechts ist der Schutz unbeteiligter Zivilisten in bewaffneten Konflikten. Man muss allerdings festhalten, dass die Taliban diesen Schutz durch die Art ihrer Kriegsführung systematisch und absichtlich verletzen. Sie geben sich nicht als Kämpfer zu erkennen. Sie wenden gezielt Gewalt gegen unbeteiligte Zivilisten an; denken Sie an die Selbstmordattentate auf belebten Marktplätzen oder das gezielte Umbringen von Lehrern. Sie benutzen Zivilisten als menschliche Schutzschilde, und sie werden dabei teilweise von der Zivilbevölkerung unterstützt - sei es freiwillig, sei es gezwungenermaßen. Warum trage ich das vor? Um Ihnen zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen gegnerischen Kämpfern und unbeteiligten Zivilisten in Afghanistan außerordentlich schwierig ist und dass wir uns natürlich trotzdem an das Kriegsvölkerrecht halten müssen. ({2}) Ich erwarte vom Untersuchungsausschuss, dass er diese Frage beleuchtet und in die Bewertung ebenso einbezieht, wie es kommt, dass in allen jedenfalls mir zur Verfügung stehenden Berichten aus Afghanistan anders als bei sonstigen Vorkommnissen, bei denen zivile Opfer zu beklagen waren, nicht die Bundeswehr verantwortlich gemacht wird. Vielmehr ist in all dem, was ich bisher habe lesen können, gesagt worden: Dies war im Großen und Ganzen ein Schlag, der den Taliban gegolten hat. ({3}) Herr Arnold, zur Studie „Rechtssicherheit im Auslandseinsatz“. Ich möchte noch etwas zu den zivilen Opfern sagen; denn vorhin wurde vonseiten der Linken mit gezielten Todesschüssen und Ähnlichem argumentiert. Die Verursachung ziviler Opfer - ich zitiere wörtlich aus dieser Studie als Nebenfolge eines militärischen Angriffs stellt nicht in jedem Fall eine Verletzung humanitären Völkerrechts dar. Entscheidend ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Dafür gibt es keine objektiven Maßstäbe; das muss man vor Ort in der Abwägung beurteilen. Herr Trittin, Sie haben schon lange davon gesprochen, dass es sich in Afghanistan aufgrund der Veränderung der Lage auch im Norden, wo wir Verantwortung tragen, eher um einen Krieg handelt. Der Verteidigungsminister hat von kriegsähnlichen Zuständen gesprochen. Welche rechtlichen Folgen das hat, wird der Generalbundesanwalt klären. Die Frage ist aber, ob wir den politischen Folgen der Feststellung, Deutschland befinde sich mit seinen Soldaten in Afghanistan in kriegsähnlichen Zuständen, gerecht werden. Diese Frage muss sich hier jeder selber stellen. Natürlich müssen wir eine Untersuchung durchführen, um Fehler aufzudecken und Konsequenzen zu ziehen. Zumindest manche Beiträge haben aber am heutigen Tag den Eindruck erweckt, es mache keinen großen Unterschied, ob man versucht, einen - in Anführungszeichen - vermeintlichen innenpolitischen Skandal aufzudecken, oder ob man sich einer Untersuchung widmet, bei der es wichtig ist, auf welche Art und Weise man sie führt, ob man beispielsweise darauf drängt, dass geheime Dinge öffentlich werden, und damit möglicherweise unsere Soldaten gefährdet. Wir müssen uns einmal überlegen, ob wir, das Parlament, damit der Demokratie und ihren Aufgaben gerecht werden, in einem Zustand, den Sie als „Krieg“ bezeichnen und der Verteidigungsminister als „kriegsähnlich“ beschreibt. Ich meine, das macht einen Unterschied. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 ({0}) vom 15. Mai 2008, 1816 ({1}) vom 2. Juni 2008, 1838 ({2}) vom 7. Oktober 2008, 1846 ({3}) vom 2. Dezember 2008, 1897 ({4}) vom 30. November 2009 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008 und dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2009 - Drucksache 17/179 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle. ({6})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich habe beim Hineinkommen gehört, dass Herr Kollege Oppermann mich vermisst hat. Jetzt vermisse ich Sie. Ich würde mich enorm freuen, wenn Sie der Debatte weiter folgen möchten. ({0}) Es ist allgemein bekannt, dass die Bundesregierung ein Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Länder hatte, das schon vor einem Jahr vereinbart worden ist. Viele von Ihnen sind dabei gewesen. ({1}) - Weniger als früher, aber immerhin. - Ich bitte um Ihr Verständnis. Ich bin, nachdem ich ein Telefonat geführt und eine unvertretbare Handlung vorgenommen habe, direkt zu Ihnen gekommen. ({2}) - Eine persönlich unvertretbare Handlung. ({3}) Vor einem Jahr hat der Bundestag den Einsatz der deutschen Marine im Rahmen der EU-Operation Atalanta mandatiert. Seither hat die deutsche Marine mit substanziellen Kräften an der europäischen Operation teilgenommen. Wir Deutsche, unsere Bundeswehr, haben den Auftrag erfüllt. Der Einsatz der europäischen und deutschen Seestreitkräfte ist nach Auffassung der Bundesregierung sinnvoll; er ist kurzfristig die einzige Möglichkeit, die internationale Schifffahrt vor Piraterie zu schützen. Deswegen bittet die Bundesregierung das Hohe Haus, den Deutschen Bundestag, eine Fortsetzung des im Wesentlichen unveränderten Atalanta-Mandats zu ermöglichen. Piraterie ist eine ernsthafte Bedrohung für unsere Handelsschiffe. Zugleich ist sie aber auch eine ernsthafte Bedrohung der humanitären Hilfe für Somalia. Hier kann man wieder einmal erkennen: Wer jeden Einsatz von Soldaten fundamental ablehnt, sorgt auch dafür, dass humanitäre Hilfe zugunsten von Hungernden, die es auch zu schützen gilt, unmöglich gemacht wird. ({4}) Das ist insbesondere in Somalia von großer Bedeutung. Im ersten Jahr des Einsatzes ist es gelungen, dass alle Schiffe des Welternährungsprogramms, die mit Hilfsgütern für Somalia beladen waren, sicher in somalische Zielhäfen einfahren konnten. Das ist ein bemerkenswerter Erfolg. Deswegen möchte ich zu Beginn, vielleicht auch in Ihrer aller Namen, den Frauen und Männern der Bundeswehr sehr herzlich danken, die diese Leistungen unter großen Entbehrungen vollbracht haben. ({5}) Es wurden zahlreiche Angriffe auf Handelsschiffe abgewehrt. Denjenigen, die vielleicht nur die Zahl von 190 Vorfällen sehen, möchte ich kurz vor Augen führen, dass sich in dieser Region etwa 20 000 Schiffe pro Jahr bewegen. Wir wissen, dass wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, unsere Schiffe, unsere Bürgerinnen und Bürger vor Piraterie zu schützen. Darüber hinaus haben wir Piraten festgenommen. Sie wurden von Atalanta an die Behörden zur Strafverfolgung übergeben. Kenia hat dabei Verantwortung übernommen, und auch die Seychellen haben sich dazu bereit erklärt. Die Zusammenarbeit mit Staaten dieser Region ist wichtig für den Erfolg der Pirateriebekämpfung; denn Straflosigkeit schreckt keinen potenziellen Piraten ab. Es ist ohne Zweifel, dass man auch über die Ursachen reden muss. ({6}) Es besteht auch kein Zweifel daran, dass es zivile Aufgaben gibt. Aber die einfache Erklärung, die Piraterie sei entstanden, weil dort eine Überfischung stattgefunden habe, ist, mit Verlaub gesagt, zu simpel, und sie ist falsch. In Wahrheit ist es so, dass der rechtsfreie Raum in Somalia zu viel Raum für organisierte Kriminalität gelassen hat. Jemand, der sein Auskommen als Fischer nicht mehr bestreiten kann, wird deswegen nicht zu einem mordenden Piraten. Das muss man festhalten. Das ist eine Verkehrung der Tatsachen. ({7}) Deutschland und Europa sind unmittelbar vom Staatszerfall in Somalia betroffen. Über die Anschläge wird gelegentlich, wenn sie besonders traurig und dramatisch waren, in den deutschen Medien berichtet. Am 3. Dezember beispielsweise hat es einen furchtbaren Anschlag mit zahlreichen Opfern, unter anderem mehrere Minister, gegeben. Wir wollen den Wiederaufbau des Staates unterstützen. Die somalische Übergangsregierung wird von der internationalen Gemeinschaft anerkannt und bei ihrem Bemühen um Frieden unterstützt. Deswegen finden Sie entgegen anderslautenden Bemerkungen entsprechende Hinweise in der Begründung des Mandates. Die Regierung ist fortwährenden Angriffen islamistischer Extremisten ausgesetzt. Deswegen ist Staatsaufbau und Entwicklung eine Aufgabe in unserem gemeinsamen Interesse, die wir für unsere eigene Sicherheit, aber auch für die Verhältnisse vor Ort unterstützen wollen. Um das Ziel zu erreichen, plant die Europäische Union gemeinsam mit afrikanischen Partnern die Ausbildung von somalischen Soldaten in Uganda. Auch politisch bleiben wir engagiert, unter anderem als Mitglied der internationalen Somalia-Kontaktgruppe. Wir unterstützen außerdem die Erarbeitung einer neuen somalischen Verfassung, in der die berechtigten Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden sollen und berücksichtigt werden müssen. Atalanta ist also fest in ein politisches Konzept für Somalia eingebettet. Jeder, der behauptet, es sei eine ausschließlich militärische Lösung, die die Bundesregierung verfolgt, liegt falsch. Wir wissen, dass beides unbedingt notwendig ist. ({8}) Ich möchte nachdrücklich unterstreichen: Es geht um unseren Schutz, um den Schutz unserer Schiffe und unserer Handelsrouten, aber es geht auch um den Schutz der Menschen in Somalia und die Gewährleistung, dass humanitäre Hilfsleistungen sie erreichen können. Das Mandat ist aus unserer Sicht nicht nur politisch geboten, sondern auch moralisch und ethisch richtig, und ich hoffe, dass der Bundestag dem Antrag der Regierung mit großer Mehrheit folgt. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Günter Gloser das Wort.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über die Bekämpfung von Piraterie sprechen, dann sollten wir uns klar vor Augen führen, worum es wirklich geht. Friedliche Handelsschiffe werden auf einem der verkehrsreichsten internationalen Handelswege, dem Golf von Aden, unvermittelt mit modernen, großkalibrigen Waffen beschossen. Mannschaften gekaperter Schiffe werden monatelang in Geiselhaft gehalten und nur gegen die Zahlung von Millionenbeträgen freigegeben. Auch Supertanker sind vor Piraten nicht sicher. Selbst Schiffe mit Lebensmitteln für die Not leidende Bevölkerung Somalias oder den Sudan werden gekapert. Die Lebensmittel landen dann auf dem Schwarzmarkt und nicht bei denjenigen, die sie bitter nötig haben. Gegen diese Attacken organisierter Krimineller setzt sich die internationale Gemeinschaft mit der EU-geführten Operation Atalanta gemeinsam mit anderen zu Recht zur Wehr. Die vor der Küste Somalias und im Golf von Aden kreuzenden Kriegsschiffe bieten durchfahrenden Schiffen Schutz oder kommen angegriffenen Schiffen zu Hilfe. Durch ihre Präsenz wirken sie abschreckend, auch auf mögliche Angreifer. Sie können dadurch häufig, wenn auch nicht immer, Attacken von Piraten verhindern. Auch deshalb werden wir dem von der Bundesregierung vorgelegten Antrag zustimmen. Ich möchte noch einmal auf den Hintergrund des Einsatzes hinweisen und dabei über die Frage der Piraterie hinausgehen und auf die Probleme der Gesamtregion eingehen. Eines will ich festhalten - das sage ich vor allem den Kolleginnen und Kollegen von der Linken, weil sie heute Morgen im Ausschuss gleich zu Beginn gesagt haben: Wir stimmen dem Antrag nicht zu -: Ich weiß, dass man über den Einsatz streitig diskutieren kann, aber seit Anfang 2008 konnten alle Schiffe mit Lebensmitteln unbehelligt ihr Ziel in Somalia erreichen. Sie haben 285 000 Tonnen Nahrungsmittel für die leidende Bevölkerung ausgeliefert. Meine Damen und Herren, das ist ein Erfolg. Dieser Erfolg ist aber eng an die Präsenz der Kriegsschiffe gebunden. Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang: Die Piraten weichen einfach in weniger bewachte Gebiete, Richtung Osten, aus. Sie gehen also weiter weg von der Küste Somalias. Daraufhin wurde auch das Aktionsgebiet ausgeweitet. Jetzt ist es aber so groß, dass es nicht mehr wirklich überwacht werden kann. Schiffe, die nicht auf einen von Kriegsschiffen geleiteten Konvoi warten können oder wollen, gehen nach wie vor ein großes Risiko ein, angegriffen zu werden. Deshalb erwähne ich einen anderen Punkt: Herr Außenminister, Sie haben völlig recht, dass es zu kurz gegriffen ist, wenn man sagt, dass die Piraterie entstanden ist, weil man nicht länger ausreichende Einkommen erzielen konnte. Darauf möchte ich schon eingehen: Das ist nicht der ausschließliche Grund; Sie haben den Zerfall des Landes angesprochen. Wir dürfen aber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die Überfischung des Meeres vor der Küste Somalias verdrängen; denn die somalischen Fischer wurden ihrer Existenzgrundlage beraubt, und manchen bleibt eben - das kennen wir auch aus anderen Ländern - keine andere Erwerbsquelle als die Zusammenarbeit mit Kriminellen. Nach Schätzungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen entsteht Somalia durch die sogenannte Fischereipiraterie ein jährlicher Schaden von 300 Millionen Dollar. Quellen sprechen von bis zu 220 illegalen Fischtrawlern am Horn von Afrika, die trotz massiver internationaler Militärpräsenz weiterhin vor Somalias Küsten aktiv sind. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die nunmehr erfolgte Erweiterung des Mandats auf die Überwachung der Fischereitätigkeit. Das war überfällig. Wir verbinden damit aber die Forderung, dass man die erfassten Daten nicht nur speichert, sondern sich auch an die Ausarbeitung von Regeln, an die Ausarbeitung eines internationalen Fischereiabkommens macht; denn es kann nicht Aufgabe der Mission Atalanta sein, den Trawlern Schutz zu bieten, die das Meer überfischen und letztendlich die Einkommensquellen rauben. Deshalb lautet unsere herzliche Bitte, hier aktiv zu werden. ({0}) Unser Ziel kann es auch nicht sein, mit der Bundesmarine und den anderen Partnern dauerhaft vor dem Horn von Afrika zu patrouillieren. Unser Ziel muss die Stabilisierung der gesamten Region sein, um die Sicherheit in den Gewässern vor Somalia zu verbessern und sie schließlich auch ohne Präsenz ausländischer Streitkräfte zu gewährleisten. Mein Hauptkritikpunkt an dem Antrag der Bundesregierung ist: Er enthält neben dem allgemeinen Ziel der Pirateriebekämpfung keinerlei überprüfbare Zielvorgaben. Es fehlt bislang an einer regelmäßigen, transparenten Berichterstattung. Wie sollen wir in einem Jahr denn beurteilen können, ob der Einsatz erfolgreich ist, wenn wir jetzt nicht klar benennen, was wir erreichen wollen, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig? Die Erfolge, die ich genannt habe, haben auch Schattenseiten: Der VN-Sonderbeauftragte für Somalia, Ahmedou Ould-Abdallah, hat im November festgestellt - ich zitiere -: Die erhöhte maritime Präsenz hilft uns, die Situation auf See zu stabilisieren, aber die Zahl der Piratenangriffe ist nicht gesunken. - Er hat unterstrichen, dass eine langfristige Lösung des Piraterieproblems nur durch funktionierende staatliche Institutionen an Land erreicht werden kann. Damit sind wir beim Kern des Problems: In Somalia ist über fast 20 Jahre hinweg die Staatlichkeit zerfallen. Seither toben Bürgerkriege mit wechselnden Fronten, Millionen von Menschen fliehen vor Krieg, Dürre und Not. Dieses staatliche und institutionelle Vakuum hat das Entstehen von Piraterie massiv begünstigt. Nur wenn legitime, staatliche Institutionen in Somalia wieder Rechtssicherheit gewährleisten können, wird ein Abzug der internationalen Schiffe möglich sein. Nur wenn die organisierte Kriminalität, die sich mittlerweile weit in die Region hinein auswirkt, erfolgreich bekämpft wird, wird eine erfolgreiche Beendigung der Mission möglich sein. Nur wenn die Menschen in Somalia wieder alternative Existenzgrundlagen finden, werden sie sich nicht weiter als Piraten anheuern lassen. Aus diesen Gründen muss der Kampf gegen Piraterie Hand in Hand gehen mit der Unterstützung des politischen Prozesses mit dem Ziel einer handlungsfähigen, legitimierten ZenGünter Gloser tralregierung, der Schaffung von staatlichen Strukturen und Rechtssicherheit. Die Anfänge sind gemacht. Die Übergangsregierung von Sheikh Ahmed ist international anerkannt. Im April hat die internationale Gemeinschaft konkrete finanzielle und personelle Unterstützung zugesagt. Aber dies ist ein langer Prozess, und erst wenn im Land mehr Sicherheit herrscht, kann der Aufbau dieses zerstörten Landes beginnen. Herr Außenminister, ich weiß, wir haben viele Mandate, ich weiß auch, dass manches nicht allein zu schultern ist. Aber weil wir wissen, dass es zwischen Äthiopien und Somalia einerseits und zwischen Eritrea und Somalia andererseits Konflikte gibt, rege ich an, dass wir Deutschen, die einen guten Ruf in dieser Region haben, den einen oder anderen Anstoß zur Beseitigung dieser Grenzkonflikte geben. Ich glaube, das wäre auch ein Beitrag zur inneren Stabilität dieses Landes. Herr Außenminister, Sie haben vorhin die europäische Ebene angesprochen. Wenn es denn so ist, dass der Entwurf eines Papiers über die Lage und Entwicklung am Horn von Afrika vorliegt, unterstützen wir diesen ausdrücklich. Ich hoffe, dass sich die Europäische Union dieser Verantwortung bewusst ist und nicht wie bei anderen Missionen monatelang über entsprechende Beiträge debattiert, anstatt ein wirksames Zeichen in dieser Region zu setzen. Ich glaube, eine geschlossene Europäische Union in dieser Region ist ein gutes Zeichen für Somalia. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey. ({0})

Thomas Kossendey (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001188

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir vor einem Jahr beschlossen haben, uns an der EU-Operation Atalanta zu beteiligen, hatten wir uns zwei Ziele gesetzt. Das erste Ziel war die Gewährung von Schutz vor allem für die Schiffe des Welternährungsprogramms. Das zweite Ziel war die Abschreckung gegen Piraterie, um so einen signifikanten Beitrag zur Sicherung der zivilen Seeschifffahrt zu leisten. Heute können wir mit Fug und Recht feststellen: Auftrag im letzten Jahr ausgeführt. Die Bilanz von Atalanta kann sich sehen lassen. ({0}) Im vergangenen Jahr wurden 69 Schiffe mit über 300 000 Tonnen Lebensmittel für das Welternährungsprogramm nach Somalia eskortiert und weit über 30 Geleitoperationen ziviler Handelsschiffe durchgeführt. Um Ihnen die Wirkung zu verdeutlichen: 300 000 Tonnen Lebensmittel waren im letzten Jahr die Lebensgrundlage für 3,3 Millionen Menschen in Somalia. Ich glaube, da wird sehr deutlich, dass diese Aktion einen zutiefst humanitären Aspekt hat. Atalanta-Einheiten haben seit Beginn der Operation mehr als 120 Piratenangriffe erfolgreich abgewehrt. Mehr als 70 Piraten konnten der Strafverfolgung in Kenia übergeben werden. Dass die Zahl der erfolgreichen Piratenangriffe gesunken ist, ist auch ein Beweis dafür, dass wir dort ordentlich gearbeitet haben. ({1}) Lieber Herr Gloser, über den Fortschritt und Fortgang dieser Operation werden die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss regelmäßig informiert. Wir informieren darüber hinaus mittels der Unterrichtung des Parlamentes alle Abgeordneten sehr sorgfältig. Als wir das vor einem Jahr beschlossen haben, als wir diese Regelungen festgelegt haben, waren Sie Staatsminister im Auswärtigen Amt. Daher sollten Sie sich daran erinnern. ({2}) Atalanta liegt ein doppeltes Rational zugrunde. Zunächst einmal ist dies das Humanitäre; ich habe das eben verdeutlicht. Der Marineeinsatz ist zudem für uns Deutsche als Exportweltmeister und Betreiber der weltweit drittgrößten Handelsflotte von ganz elementarem Interesse. Ich glaube, mit der erfolgreichen Durchführung dieser ersten maritimen EU-Operation haben wir ein sehr deutliches Signal gesandt, dass die Europäische Union handlungsfähig ist. Man darf durchaus mit Stolz darauf hinweisen, dass das gemeinsame Ziel der Pirateriebekämpfung weit über die Grenzen der EU hinaus einen verbindenden Charakter hat. Vor Ort sind mittlerweile 30 Schiffe aus über 20 Nationen im Einsatz, weit über NATO und EU hinaus, unter anderem aus China, Russland, den Vereinigten Staaten und Pakistan. Über die gemeinsam bewältigten Aufgaben wächst auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer möglichst engen politischen Zusammenarbeit in diesem Problemfeld. Die internationale Kontaktgruppe zur Piraterie vor der Küste von Somalia ist ein wichtiges Forum, wenn es darum geht, zu einem hohen Grad an Abstimmung aller relevanten Akteure zu gelangen. Auf allen Seiten herrscht über Bündnisgrenzen hinweg eine sehr große Kooperationsbereitschaft. Vor Ort finden regelmäßige operative Koordinierungs- und Abstimmungsbesprechungen mit allen Partnern - ich will einschränkend sagen: mit Ausnahme des Irans - statt. Auf der taktischen Ebene ermöglicht ein allen Akteuren zugängliches Informationsnetz, Chrystal, die Kooperation. Wir sollten von Atalanta freilich keine Wunder erwarten. Wir können punktuell schützen - ja, das ist richtig -, wir können die Fläche überwachen, und wir können auch abschrecken. Mit rund 30 Schiffen kann man Piratenangriffe in diesem riesigen Gebiet von der 15-fachen Größe Deutschlands aber auch in Zukunft nicht ausschließen. Pirateriebekämpfung, so erfolgreich sie im Augenblick, nach diesem einen Jahr, auch sein mag, ist immer nur die Bekämpfung von Symptomen. Sie muss durch Anstrengungen zum Aufbau von Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen an Land in Somalia flankiert werden. Hierfür gibt es zwei Ansätze. Innerhalb des Mandatsrahmens - das ist die eigentliche Neuerung - wollen wir somalische Behörden künftig durch Informationen über Fischereiaktivitäten unterstützen. Dadurch tragen wir dazu bei, dass die somalische Eigenkontrolle der Territorialgewässer wiederhergestellt werden kann. Es wäre auch fatal, wenn diese Informationen, die die EU-geführte Operation Atalanta erarbeitet, nicht dazu beitragen könnten, dass auch Fischer, die unberechtigt vor der somalischen Küste arbeiten, innerhalb der EU Konsequenzen zu befürchten hätten. Außerhalb des Mandatsrahmens - dazu hat sich Minister Westerwelle sehr deutlich geäußert - werden wir auch die Anstrengungen an Land verstärken, um Somalia die Chance zu geben, vor der eigenen Küste selbst für Ordnung zu sorgen. Dazu wird die spanische Präsidentschaft im nächsten Jahr sicherlich konkrete Vorschläge vorlegen. Als Mandatsobergrenze haben wir 1 400 Soldatinnen und Soldaten angegeben. Diese Zahl mag für den einen oder anderen sehr hoch klingen. Ich glaube, wir sollten ermöglichen, dass durchfahrende Verbände der deutschen Marine auch unter diesem Mandat aktiv werden. Hierfür wollen wir einen möglichst großen Spielraum zur Verfügung haben. Das ist sehr wichtig. Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich denke, die Fortführung der Operation Atalanta ist humanitär geboten, sie liegt in unserem sicherheitspolitischen Interesse, sie fördert die Kooperation von unterschiedlichsten Partnern, sie basiert auf einer klaren Rechtsgrundlage, und sie zeigt deutliche Erfolge. Allerdings - lassen Sie mich dies zum Schluss sagen - fordert sie von unseren Soldatinnen und Soldaten auch einen überdurchschnittlichen Einsatz. Im letzten Jahr sind dort mehrere unserer Schiffe weit über 200 Tage am Stück im Seegebiet geblieben. Das ist für junge Menschen und deren Familien nicht ganz leicht. Ich will daran erinnern, dass viele Soldatinnen und Soldaten an Bord der Schiffe Weihnachten auf See verbringen. Das ist weiß Gott nicht so romantisch wie auf einer Kreuzfahrt. In diesem Jahr feiern über 7 200 deutsche Soldatinnen und Soldaten Weihnachten fern der Heimat. Wir sollten ihnen von hier aus ein herzliches Dankeschön sagen und an ihre Familien denken. ({3}) Ich bitte Sie alle um Zustimmung zu dieser Mandatsverlängerung und um ein klares Votum. Damit würden wir unsere Soldatinnen und Soldaten unterstützen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir alle Schiffe, die das Gebiet durchfahren, effektiv schützen wollten, dann wären alle Armeen dieser Welt nicht ausreichend. Dieses Zitat stammt nicht etwa aus einem Antrag der Linksfraktion, sondern aus einer Präsentation der EU. Es verdeutlicht die ganze Sinnlosigkeit der Operation Atalanta. Laut dem International Maritime Bureau ist die Zahl der Piratenangriffe trotz Militärpräsenz weiter gestiegen. Die Piraten haben ihre Angriffe regional ausgeweitet und sind gewaltsamer geworden. Die Gewaltspirale dreht sich demnach mit zunehmender Militärpräsenz weiter. ({0}) Anstatt weiter Geld in eine sinnlose Militäroperation zu pumpen, sollte sich die Bundesregierung endlich mit den Ursachen der Piraterie beschäftigen. ({1}) Selbst das von der EU ins Leben gerufene Maritime Security Center benennt die Überfischung somalischer Gewässer durch internationale, oft illegale Fischfangflotten sowie die Giftmüllverklappung als auslösende Faktoren für die Piraterie am Horn von Afrika. So wird den somalischen Fischern jeden Tag ein weiteres Stückchen ihrer Existenzgrundlage entzogen. Machen wir es konkret: Da ist ein Fischer, der muss Frau und Kinder versorgen. Fangen tut er nichts mehr; denn das Meer ist leergefischt oder die Fische sind vergiftet. Wovon sollen er und seine Familie morgen leben? So erscheint Piraterie einigen tragischerweise als ein Ausweg. Natürlich ist Piraterie ein Verbrechen, die Zerstörung der Existenzgrundlage von Zehntausenden Fischern aber ebenfalls. ({2}) 450 Millionen Dollar hat Somalia im Jahr 2008 durch Raubfischerei verloren. Hinzu kommen finanzielle Schäden durch illegale Giftmüllentsorgung. Laut UN geht es hierbei sogar um radioaktive Stoffe und Schwermetalle. Viele der Raubfischer und Giftmüllentsorger sind Staatsbürger der EU. Wenn Sie, Herr Westerwelle - er ist nicht mehr da - tatsächlich etwas für die Sicherheit und die Menschen am Horn von Afrika tun wollen, dann gehen Sie endlich gegen diese Kriminellen vor. ({3}) Im April dieses Jahres kündigte die EU-Kommission an, sich verstärkt um die Strafverfolgung von Raubfischern aus EU-Ländern zu kümmern. Was ist daraus geworden? Was treibt die EU und die Bundesregierung also um, Kriegsschiffe im Rahmen einer zum Scheitern verurteilten Militärmission zu entsenden? ({4}) Mir scheint, dass die Sicherung von Handelswegen für die Bundesregierung zum Verteidigungsfall Nummer eins geworden ist und dass sie Angriffe von Piraten auf deutsche Handelsschiffe als Kriegserklärung wertet. Angeblich geht es bei Atalanta ja um den Weltfrieden. Doch dass ein bettelarmes Land ein Vielfaches dessen, was europäische Handelsschiffe durch die Zahlung von Lösegeld verlieren, durch illegalen Fischfang verliert, scheint für die Bundesregierung ohne Belang zu sein. ({5}) Sie mögen einwenden, dass die Schiffe des Welternährungsprogrammes geschützt werden müssen. Diese Schiffe ließen sich besser durch zivilen Geleitschutz sichern. Investieren Sie die Gelder für den Militäreinsatz lieber in die Regenerierung der Gewässer und in Unterstützung für die somalischen Fischer. Sie werden sehen: Wenn die Menschen wieder die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt legal zu verdienen, wird die Piraterie nachlassen. ({6}) Ein letzter Punkt. Bei Atalanta geht es um die weitere Vorantreibung der Übernahme polizeilicher Aufgaben durch das Militär, also um die Auflösung der grundgesetzlich verankerten strikten Trennung dieser beiden Kräfte. Dies lehnen wir kategorisch ab. Wir bezeichnen den Militäreinsatz schon heute als unangemessen. Wir fordern das Ende der deutschen Beteiligung an Atalanta. Deshalb wird die Linke gegen den Antrag der Bundesregierung stimmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Movassat, das war Ihre erste Rede im Hohen Hause. Dazu gratuliere ich Ihnen im Namen aller Kolleginnen und Kollegen herzlich. ({0}) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Omid Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Piraterie ist ein sehr ernsthaftes und ein zunehmendes Problem. Durch die Piraterie wird - das, lieber Herr Staatssekretär, ist für uns der Kern der Debatte - die Versorgung von über 3 Millionen Menschen in Somalia gefährdet, die auf die Schiffe des Welternährungsprogrammes angewiesen sind. Deshalb erachte ich persönlich Atalanta und die Bekämpfung der Piraterie für notwendig. Das ist auch der Grund, warum die Mehrheit meiner Fraktion der Verlängerung dieses Mandats zustimmen wird. Allerdings beschränkt sich dieses Mandat - das ist etwas, was wir zu kritisieren haben - auf die Bekämpfung von Symptomen. Meine Damen und Herren, wir führen in diesen Zeiten viele Diskussionen über die Bundeswehr an sich. Ich durfte in der letzten Woche mit den Kolleginnen und Kollegen Obleuten und dem Minister in Kunduz sein. Ich kann Ihnen versichern: Die Truppe ist tief verunsichert. Gerade weil die Truppe so verunsichert ist, müssen wir darauf achten, dass wir Mandate formulieren, die von Klarheit und von Wirksamkeit geprägt sind. Ich bin mir nicht sicher, ob das bei diesem Mandat in allen Punkten gewährleistet ist. ({0}) Ich war letztes Jahr am 23. Dezember auf einer Fregatte und habe gesehen, dass das nicht unbedingt die schönste Art und Weise ist, wie man Weihnachten feiern kann. Gerade deswegen möchte ich den Soldatinnen und Soldaten, die an Weihnachten nicht zu Hause sein werden, für den Dienst, den sie dort erbringen, von dieser Stelle aus herzlich danken. ({1}) Es ist mehrfach gesagt worden: Es ist selbstverständlich richtig, die Ursachen der Piraterie zu bekämpfen. Wir reden hier über Staatlichkeit, die in Somalia nahezu komplett fehlt. Lieber Herr Außenminister, in dem Zusammenhang möchte ich auch für meine Fraktion sagen: Wir haben immer gesagt, dass in Somalia natürlich die Ausbildung der Armee erforderlich ist, damit dort Sicherheit gewährleistet werden kann. Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen: Durch die Art und Weise, wie die ESVP-Mission dafür derzeit „gestrickt“ wird, werden bei uns eher Fragen aufgeworfen. Wir werden hier wahrscheinlich noch gesondert darüber diskutieren, aber aufgrund der Art, wie man das zurzeit organisiert und vorbereitet, sind wir eher skeptisch. Staatlichkeit, wie gesagt, fehlt. Dazu wird meine Kollegin Kerstin Müller in der zweiten Lesung noch mehr sagen. Wir brauchen einen regionalen Ansatz, wenn es darum geht, Frieden in Somalia herzustellen. Wir erleben seit Jahren, dass Somalia ein Spielball der Interessen verschiedener Nachbarstaaten ist. Es ist mehrfach gesagt worden: Die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort muss gewährleistet, und sie müssen vor Raubfischerei geschützt werden. Sie müssen vor der Vermüllung der Meere geschützt werden, die bewirkt, dass Fischerei nicht mehr möglich ist. Das ist ein zentraler Punkt, den man nicht getrennt von dieser Diskussion betrachten darf. Deshalb noch einmal: Der Schutz der Lebensgrundlage der Menschen muss natürlich mit im Zentrum stehen. Die Verwirrung bei den Mandaten ist offensichtlich; das ist der nächste Kritikpunkt. Es gibt OEF, Atalanta und die NATO-Mission. Unsere Meinung zu OEF ist bekannt: Wir halten die völkerrechtliche Grundlage für OEF mittlerweile nicht mehr für gegeben. Deshalb hätte sich die Regierung aus unserer Sicht schon längst daransetzen müssen, eine Überprüfung der Zahl der Mandate einzuleiten. In diesem Jahr findet sie leider nicht statt. Wir haben OEF abgelehnt. Ich kann nur dringendst appellieren, dass das nächste Mal nur noch Atalanta zur Abstimmung steht und nicht mehr verschiedene Mandate nebeneinander. Ich kann nur sagen: Schauen Sie bitte auf den Text in Ihrem eigenen Koalitionsvertrag! Was dort steht, ist richtig. Der letzte Punkt. Es geht um Klarheit und um Wirksamkeit, und es ist für die Soldatinnen und Soldaten auf den Fregatten nicht unbedingt motivierend, wenn sie nicht genau wissen, was mit den Personen passiert, die sie festsetzen. Wir haben erlebt, dass Festgesetzte freigelassen werden mussten, denen man selber ein paar Tage später wieder begegnen konnte. Wir haben ferner erleben müssen, dass sie nach Kenia überstellt worden sind und Kenia später erklärt hat, man werde sie nicht belangen. Es gibt also eine riesige Lücke bei der Antwort auf die Frage, was eigentlich mit denjenigen passiert, die bei Operationen festgesetzt werden. Das haben wir von Anfang an angemerkt und auch kritisiert. Ich sehe weiterhin keine Lösung. Das ist ein großes Problem. Der Hinweis darauf, dass man einen internationalen Gerichtshof gegen Piraterie braucht, ist zweifelsfrei richtig; das steht jetzt aber nicht unbedingt sofort an. Deshalb habe ich die feste Bitte an die Bundesregierung: Sorgen Sie dafür, dass die Soldatinnen und Soldaten Klarheit darüber haben, was mit den Personen passiert, die sie festsetzen! Diese Klarheit gibt es zurzeit nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Nouripour, das ist eindeutig nicht Ihre erste Rede. Ich bitte also wirklich um Beachtung der Zeichen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das geht auch auf Kosten der Wirksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anknüpfend an das, was Kollege Nouripour gesagt hat: Auch wir wollen natürlich, dass in Somalia Rechtsstaatlichkeit möglich wird. Deshalb ist eine unserer entwicklungspolitischen Aktivitäten - das möchte ich zu dem Zwischenruf von Herrn Kollegen Ströbele vom Anfang der Debatte noch einmal anmerken; ich habe mich bei den Kollegen Fischer und Haibach, die ja besondere Kenner dieser Materie sind, extra noch einmal vergewissert - die Unterstützung der Bildung von Rechtsstaatlichkeit. Wir leisten hier einen besonderen Beitrag. ({0}) - Dies geschieht zum Beispiel durch die Ausbildung somalischer Polizisten in Äthiopien. Herr Kollege Ströbele, das wissen Sie auch: Leider müssen die Ausbildungsmaßnahmen im Moment in Äthiopien durchgeführt werden, weil dies in Somalia aufgrund der Sicherheitslage gerade nicht möglich ist. Selbstverständlich würden wir uns in dieser Beziehung auf Dauer mehr wünschen, aber aufgrund der Sicherheitslage geht dies eben nicht. Deshalb ist es natürlich auch wichtig - es ist gut, dass das auch in dieser Debatte angesprochen wurde -, die Situation in Somalia und in der Region insgesamt zu betrachten. Es ist im Übrigen einer der Erfolge dieser Mission, dass wir damit zumindest ein Stück weit zur Stabilisierung in der Region - sie muss selbstverständlich auch mit anderen Maßnahmen fortgesetzt werden - beitragen. Eines der Ziele möchte ich noch einmal besonders herausheben. Wenn es um Außenpolitik geht, reden wir oft über Interessen. Was sind die deutschen Interessen? Als Handelsnation haben wir Deutschen selbstverständlich ein Interesse daran, dass die Seewege geschützt werden, und deshalb ist es in ureigenem deutschen Interesse und auch im Interesse der Unternehmen und der Arbeitsplätze, die damit zusammenhängen, diesen Einsatz fortzusetzen. ({1}) Es gibt allerdings ein viel wichtigeres Ziel. Herr Ströbele, Sie haben als Fischfangexperte mit vielen Zwischenrufen nicht unrecht, aber gerade weil die Probleme in Somalia so groß sind, ist die humanitäre Hilfe ein extrem wichtiger Beitrag für die Menschen dort. Es ist ein hundertprozentiger Erfolg dieser Mission - über welche Politikfelder kann man das noch sagen? -, dass alle Schiffslieferungen im Rahmen der Welternährungsprogramme erfolgreich ausgeführt werden konnten. Das ist angesichts des Ausmaßes von Armut und Hunger in Somalia ein großer Erfolg. Vergegenwärtigen Sie sich noch einmal, dass mittlerweile mindestens 3,7 Millionen und damit 50 Prozent der Bevölkerung in Somalia hilfebedürftig sind und über 20 Prozent aller Kinder dort unter Mangelerscheinungen leiden. Deshalb ist es richtig, dass die Bundeswehr mit ihrem Einsatz einen großen Beitrag dazu leistet, dass die Lieferungen der Welternährungsprogramme bei den Menschen ankommen. Ich möchte mit einer Mär aufräumen, die zwar nicht hier verbreitet wurde, die aber teilweise in der Berichterstattung zu finden ist. Es ist keinesfalls so, dass Piraten dort eine Art Robin-Hood-Funktion wahrnehmen, Schiffe kapern, plündern und das Erbeutete den Armen in Somalia geben. Dahinter stehen rein ökonomische und eigennützige Interessen. Das Geld wird in anderen Ländern in Afrika für ganz andere Zwecke ausgegeben. Es geht nicht darum, dass irgendein Pirat etwas raubt, um es den Armen geben zu können. Das Gegenteil ist der Fall: Die Piraterie ist gegen die Menschen in Somalia und der Region insgesamt gerichtet. ({2}) Die Mission ist auch aus einem weiteren Grund ein Erfolg. Denn angesichts der rund 20 000 Schiffe, die jährlich den Golf von Aden passieren, mag zwar die Zahl der Piratenangriffe, die schon mehrmals genannt worden ist, relativ gering wirken. Die finanziellen Forderungen bei Entführungen zeigen allerdings, welche Dimensionen das Ganze hat. Auch die verheerenden Erfahrungen der entführten Crews machen deutlich, wie wichtig es ist, auch die Menschen, die in der Schifffahrt arbeiten, zu schützen. Deshalb ist der Einsatz der Bundeswehr auch in Zukunft notwendig, damit der Schutz dieses wichtigen Wirtschaftsbereichs insgesamt gewährleistet wird. Ein Erfolg ist zumindest, dass sich das Operationsgebiet der Piraten verändert hat. Die Piraten sind jetzt nicht mehr im direkten Küstenbereich aktiv, sondern auf hoher See. Das ist in jedem Fall ein Erfolg, weil es die Aktionen der Piraten wesentlich erschwert und den Handlungsradius so stark ausgedehnt hat, dass sie keine so eklatante Gefahr mehr sein können wie in den vergangenen Jahren. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion danken wie die Vertreter der Regierung und der Opposition unseren Soldatinnen und Soldaten, die dort im Einsatz sind. Gerade auch jetzt in der Adventszeit möchte ich im Namen meiner Fraktion den Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien unsere volle Unterstützung zusichern und ihnen unsere Sympathie aussprechen. Wir wollen ihnen mit der Mandatsverlängerung den Rücken stärken und deutlich machen, dass wir hinter ihnen stehen. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/179 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation „Althea“ zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Implementierung der Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1575 ({0}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1895 ({1}) vom 18. November 2009 - Drucksache 17/180 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle. ({3})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Andere Einsätze der Bundeswehr - das haben wir heute schon bemerkt - mögen derzeit stärker im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen. Ich rede jetzt über einen Antrag, den wir in diesem Hohen Hause einbringen, weil Deutschland ein vitales Interesse an der Stabilisierung Bosniens und Herzegowinas in unserer unmittelbaren Nachbarschaft hat. Die Bundesregierung unterstützt Bosnien und Herzegowina auf dem Weg zu einem friedlichen, demokratischen Rechtsstaat, einem Staat, der selbstständig die Freiheit und die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten kann und der sich in Richtung Integration in europäische und euroatlantische Strukturen bewegt. Selbsttragende gesamtstaatliche Strukturen dort bleiben unser Ziel. Die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft engagieren sich für dieses Ziel, und zwar - dies sei nachdrücklich unterstrichen - politisch, militärisch und zivil. Die militärische Sicherheitslage in der Region kann derzeit als grundsätzlich ruhig und stabil eingestuft werden. Das zeigt, wie viel wir erreicht haben. Unser Dank dafür gilt abermals den Frauen und Männern der Bundeswehr, die vor Ort ihren verantwortungsvollen Dienst tun. ({0}) Die innenpolitische Lage ist jedoch nach wie vor fragil. Das ist auch der Grund, warum wir jetzt diese Debatte führen und dann in dieser Woche entscheiden wollen. Die Parteien mit ihren ethnisch bestimmten Agenden blockieren weitere Reformen und verhindern die Funktionalität des Gesamtstaates. Das fragile Machtgleichgewicht zwischen den drei staatsbildenden Volksgruppen - Bosniaken, Serben und Kroaten - bleibt das allbestimmende Thema in der politischen Diskussion. Angesichts dieser innenpolitischen Lage bleibt es das Ziel von Althea, ein sicheres und geschütztes Umfeld aufrechtzuerhalten, gerade auch mit Blick auf die anstehenden Wahlen. Außerdem unterstützt die Mission den Hohen Repräsentanten mit seinen exekutiven Vollmachten. Ich darf für die Bundesregierung nicht nur um Zustimmung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Althea sowie an dem NATO-Hauptquartier in Sarajevo bitten. Ausdrücklich darf ich auch darauf hinweisen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution vom 18. November 2009 die Mitgliedstaaten für zwölf Monate zur Fortführung von Althea autorisiert hat. Da wir derzeit grundsätzlich von einer stabilen Sicherheitslage vor Ort ausgehen können, kann die Obergrenze für die deutsche Beteiligung von 2 400 auf 900 Soldatinnen und Soldaten abgesenkt werden. Ich sage ausdrücklich: Das Ziel jedes unserer militärischen Einsätze ist, sich selber überflüssig zu machen. Wenn wir hier in der richtigen Richtung auf dem Weg sind, dann, glaube ich, ist das etwas, das den ganzen Deutschen Bundestag erfreuen kann. ({1}) Militär alleine ist keine Lösung. Das wissen Sie alle; das muss man niemandem hier noch einmal nachdrücklich sagen. Das Land benötigt dringend Reformen. Am vergangenen Wochenende hat eine Konferenz in Berlin stattgefunden. Ich selbst habe im Vorfeld dieser Konferenz verschiedene Amtskollegen persönlich zum Gespräch getroffen. Ich will aus Gründen des Respekts und der Vertraulichkeit, die zu solchen Gesprächen dazugehören, nicht alles berichten, was dort - auch von uns gesagt worden ist. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass das hier allgemein genauso gesehen wird. Die Gespräche, die seitens der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft und der Vereinigten Staaten von Amerika seit Oktober geführt worden sind, sollen von der Bundesregierung ausdrücklich erwähnt und auch begrüßt werden. Dass wir gleichzeitig bedauern - das sagen wir natürlich auch unseren Gesprächspartnern immer wieder -, dass es noch keinen Durchbruch geben konnte, sei nur der Ordnung halber aufgeführt. Die Entwicklung Bosniens und Herzegowinas bleibt natürlich zuerst die Aufgabe der Verantwortlichen vor Ort. Die Bundesregierung - das sage ich mit großem Bedacht, nachdem ich sowohl bei der Außenministerkonferenz der NATO-Staaten in Brüssel als auch letzte Woche ausführlich bei der Konferenz der Außenminister im Allgemeinen Rat und im Außenpolitischen Rat darüber beraten habe und weil wir uns als Deutsche, durch mich vertreten, so eingelassen haben - wird auch in Zukunft in ihren Gesprächen deutlich machen, dass es weitere Schritte der EU- und NATO-Annäherung nicht geben kann, solange die notwendigen Reformen im Land nicht mit Nachdruck angegangen werden. Da besteht für die Bundesregierung ein zwingender Zusammenhang. ({2}) Klar ist auch, dass wir Schritte in die richtige Richtung möglich machen wollen. Damit das gelingen kann, bitte ich um Zustimmung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Althea. Das ist der Grund, warum ich diesen Antrag hier begründet habe. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Gernot Erler das Wort.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ivo Andric, der jugoslawische Literaturnobelpreisträger und Autor des berühmten Buches Die Brücke über die Drina hat Bosnien in einer Erzählung einmal „das Land der Angst, das Land des Hasses“ genannt, eines Hasses zwischen seinen Völkern und Religionen, der zum Instrument des Vernichtungswillens und des Selbstvernichtungstriebes werde. Nirgendwo, so schrieb er, gebe es - ich zitiere - „mehr Menschen, die aus verschiedenen Motiven und mit den verschiedensten Ausreden in den Ausbrüchen dieses unbewussten Hasses bereit sind, zu töten und sich töten zu lassen …“. Diese Beschreibung hat in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine schreckliche Bestätigung erhalten. In Bosnien fand der blutigste und der verlustreichste der vier Balkankriege dieser Jahre statt. Der Ortsname Srebrenica verursacht bis heute ein Schaudern überall, wo der tragische Hintergrund bekannt ist. Das Dayton-Abkommen vom Dezember 1995 hat das Blutvergießen beendet und die Grundlage für das Zusammenleben von Bosniaken, Kroaten und Serben in einem neuen Staat Bosnien-Herzegowina zu legen versucht. Seit 1995 bemüht sich die Weltgemeinschaft, in den letzten Jahren immer mehr die EU, um eine gesicherte Existenz für Bosnien-Herzegowina und alle seine Bewohner - mit großem Aufwand, mit sehr viel Geduld, auch mit Erfolg. Allerdings kommt er sehr langsam, im Schneckentempo. Die Mission EUFOR Althea löste im Dezember 2004 ihre Vorgänger IFOR und SFOR ab. Sie umfasste damals noch 7 000 Soldaten und war mit einem starken Kapitel-VII-Mandat der Vereinten Nationen ausgestattet. Heute befinden sich nur noch 2 000 Soldaten vor Ort. Allerdings werden Reservekräfte in Bereitschaft gehalten, um diese notfalls zu verstärken. Wie der Außenminister eben schon gesagt hat: Der Auftrag lautet, ein sicheres Umfeld aufrechtzuerhalten und die Einhaltung des Dayton-Vertrages abzusichern und dabei auch die Arbeit des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, der zugleich Sonderbeauftragter der EU ist, zu unterstützen, der sich wiederum dabei auf die sogenannten Bonn-Powers stützt, also das Recht, notfalls exekutiv in die Innenpolitik Bosnien-Herzegowinas einzugreifen. Längst sehnt die internationale Gemeinschaft den Tag herbei, an dem Bosnien-Herzegowina auf eigenen Füßen stehen kann. Längst denkt die EU über eine Umwandlung von Althea in eine reine Beratungs- und Unterstützungsoperation mit nicht mehr als 200 bewaffneten Kräften nach. Längst ist die Auflösung des OHR, also des Büros des Hohen Repräsentanten mit seinen exekutiven Vollmachten, beschlossene Sache. Damit es aber dazu kommt, muss es ein Mindestmaß an politischer Stabilität geben und müssen einige strittige und sensible Fragen geklärt sein, zum Beispiel die Aufteilung des Vermögens des Staates und der Streitkräfte. Trotz aller internationaler Bemühungen, zuletzt im September und Oktober dieses Jahres im Rahmen des sogenannten Butmir-Prozesses, schnappt immer wieder die politische Blockade zu und setzt sich immer wieder die Reformverweigerung gegen alle Vernunft durch. Es ist eine bittere Erkenntnis, dass die europäische Integrationsperspektive, die mit dem Stabilisierungs- und Assoziierungsprogramm und mit dem Visumerleichterungsabkommen schon im Jahr 2008 wichtige Hürden genommen hat, diese Blockade allein nicht überwindet, obwohl sie unverzichtbar bleibt, dass dies auch nicht die Konditionalität bei dem gewünschten NATO-Beitritt leistet und dass auch die Zusagen des IWF, großvolumige Kredite zu gewähren, immerhin über 1,2 Milliarden Euro - von Bosnien-Herzegowina in der Wirtschaftskrise übrigens dringend benötigt -, als Anreiz für die notwendigen Reformen nicht ausreichen. Wir werden aber weitermachen, mit unserer Geduld, mit unserem Nachdruck und mit unserer Klarheit. Dazu gehört die Botschaft: Bosnien-Herzegowina wird den Weg in die EU und in die NATO entweder als gemeinsamer Staat oder gar nicht gehen. Diese Botschaft richtet sich ganz besonders an den Ministerpräsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, der in den innerstaatlichen Auseinandersetzungen immer wieder - offen oder angedeutet - die Karte der Sezessionsdrohung zieht und dabei gefährliche Illusionen bei seinen serbischen Anhängern nährt. Ich nutze die Gelegenheit hier in diesem Hause zu einer Klarstellung: Eine große Mehrheit im Deutschen Bundestag hält an der europäischen Perspektive für alle Westbalkanstaaten fest, wie sie zuerst vom Europäischen Rat von Thessaloniki im Juni 2003 verkündet wurde. Diese verbindliche Perspektive gilt trotz aller Schwierigkeiten und Probleme auch für Bosnien-Herzegowina, aber auf keinen Fall für eine sich abspaltende Republika Srpska. ({0}) Die Fraktion der SPD stimmt der Fortsetzung der EUMission Althea zur weiteren Absicherung des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina zu, weil sie leider noch immer notwendig ist und weil die längst überfälligen Voraussetzungen für ihre Reduzierung auf eine, wie ich es beschrieben habe, reine Beratungs- und Unterstützungsfunktion leider noch immer nicht gegeben sind. Wir verbinden diese Zustimmung mit der Vorlage eines Entschließungsantrages, der die politischen Implikationen des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina im Detail beschreibt, der die Bedeutung der europäischen Perspektive für jede politische Stabilisierung in der Region noch einmal unterstreicht und der in 15 Einzelpunkten Erwartungen an die Bundesregierung formuliert, Erwartungen zu politischen Schritten, von denen wir uns einen Fortschritt bei den seit 15 Jahren andauernden Bemühungen der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina erhoffen, einen Fortschritt, der dazu führen soll, dass wir hier nicht noch einmal über eine Verlängerung von EUFOR Althea mit dem bisherigen Auftrag debattieren müssen und dass die Beschreibung von Ivo Andric, Bosnien sei ein Land der Angst und des Hasses, endgültig zu einer Beschreibung der Vergangenheit wird. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt. ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Erler, der Einstieg und Ausstieg Ihrer Rede mit Blick auf Ivo Andrics Schlüsselroman Die Brücke über die Drina hat in der Tat nachdenklich gestimmt. Diesen Roman haben sicherlich nicht nur Sie und ich zu Beginn der 1990er-Jahre gelesen. Ich darf daran erinnern, dass am 1. März 1992 die erste Delegation des Deutschen Bundestages nach Sarajevo fuhr, damals noch mit der Vorstellung, es gehe sozusagen nur um ein technisches Arrangement zwischen drei verschiedenen Ethnien. Dabei war bei der Konferenz von Brioni fälschlicherweise unterstellt worden, es gehe um Minderheitenschutz. Es gab allerdings keine Mehrheit, sondern nur verschiedene ethnische Gruppen. In den Jahren darauf entluden sich dann die Spannungen in gewalttätigen militärischen Aktionen der brutalsten Art. Nach den ganzen Vorspielen in den Jahren zuvor - das ist eigentlich eine falsche Bezeichnung für das, was zum Beispiel in Sarajevo stattgefunden hat - war Srebrenica der brutale, schlimme und menschenverachtende Höhepunkt der Menschenjagd einer Ethnie auf die andere - eine für Europa und in Europa untragbare Situation. Ich finde, heute ist auch Anlass dazu, darauf hinzuweisen, dass unser militärisches Engagement, das im Jahr 1995 begonnen hat und das niemandem leichtfiel, über das wir auch sehr intensiv gerungen haben, doch ein großes Maß an Erfolg gebracht hat, wenn auch nicht die Lösung in allen Fragen. Sie haben ja darauf hingewiesen, dass die Politik von Herrn Dodik, die wir nach wie vor in der Republika Srpska erleben, uns nicht zufriedenstellen kann. Dennoch ist die Operation Althea, bei der sich die Bundesrepublik Deutschland militärisch engagiert und für deren Fortsetzung die Bundesregierung den Deutschen Bundestag um Zustimmung bittet, eine erfolgreiche Mission. Das kann man nicht nur quantitativ feststellen - es ist ja erfreulich, wenn die Zahl derer, die notwendig sind, um militärischen Schutz und Sicherheit zu bieten, verringert werden kann; das ist ja hier signifikant der Fall -, sondern auch an der Abwesenheit von Gewalttätigkeiten. Dies gibt zwar noch nicht die Sicherheit für ein gutes und konfliktfreies Zusammenleben im Staat, aber schafft doch die Voraussetzung dafür. Dank des militärischen Eingreifens kam es dann auch zum Dayton-Vertrag und anderen guten Ergebnissen. Ich möchte uns aber auch noch einmal die dramatische Situation von damals in Erinnerung rufen: Massenvergewaltigungen und -tötungen, die in serbischen Lagern stattfanden, und Missachtung der Existenzberechtigung von ethnischen Gruppen machte uns Europäern unsere moralische Verantwortung bewusst und musste uns auf den Plan rufen. Diese Zeiten gehören Gott sei Dank der Vergangenheit an. Die Fragen, die heute zu lösen sind, sind anderer Natur; sie sind aber trotzdem sehr wichtig. Wir halten es für sehr wichtig, dass der Hohe Repräsentant, über den schon gesprochen worden ist, weiterhin seine Funktion wahrnimmt; der Bundesaußenminister hat ja auch ausführlich darauf hingewiesen. Natürlich hätten auch wir es sehr gerne, wenn diese Mission in eine Beobachtungsmission überführt werden könnte, die keine exekutiven Kompetenzen mehr hat, und die BonnPowers nicht mehr zur Anwendung kommen müssten. Allein, die Verhältnisse sind noch nicht so. Deswegen stehen wir dazu, dass Inzko nicht nur als EU-Sonderbeauftragter, sondern auch in seiner anderen Funktion als Hoher Repräsentant einen Beitrag dafür leistet, dass der Staat Bosnien-Herzegowina, wenn er im Jahre 2011 nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen werden will, diese Aufgabe als ein Land wahrnehmen kann, das ohne militärische Unterstützung von außen seine eigenen inneren Angelegenheiten regeln kann. Die Fragestellungen haben also sehr viel mit politischem und wenig mit militärischem Druck zu tun. Dennoch ist es gut und wichtig, dass wir in diesen Zeiten mit circa 130 Soldaten der Bundeswehr in diesem 2 000 Soldaten umfassenden Althea-Kontingent präsent sind, aber für den Fall, dass der eine oder andere bzw. die eine oder andere übermütig werden, auch mit Reserveeingreifkräften tätig werden können. Wir halten ja gemeinsam mit den österreichischen Partnern ein Eingreifkontingent bereit, sogenannte Over-the-Horizon-Forces, das wir zur Verfügung stellen können, wenn Not am Mann bzw. am Volke ist. Ich erwarte nicht, dass es dazu kommt. Ich hoffe, dass mit Druck, übrigens auch vonseiten Belgrads - man hört das eine oder andere sehr Positive aus dieser Richtung -, und mit Angeboten klargemacht wird, dass die Zukunft Bosnien-Herzegowinas in einer föderativen Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Staat liegt. Wir sind seit 1992 bereit, unseren Beitrag zu leisten, seit 1995 auch einen militärischen Beitrag. Nun würden wir die militärische Mission gerne erfolgreich abschließen, um sagen zu können: Auftrag erfüllt! - So weit sind wir noch nicht ganz. Deswegen bitten wir um Zustimmung zur Verlängerung. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor 14 Jahren wurde mit dem Friedensabkommen von Dayton die Grundlage des militärischen und politischen Status quo in Bosnien-Herzegowina gelegt. Das Land scheint oberflächlich befriedet; aber es bleiben Zweifel, ob der Dayton-Prozess, den die Bundeswehr dort absichert, wirklich zu einer stabilen Neuordnung des Landes geführt hat. Die Arbeitslosigkeit liegt in manchen Regionen bei über 40 Prozent. Konkret bedeutet das: Eine halbe Million Menschen sind erwerbslos. Andererseits kommen auf 4,6 Millionen Menschen in Bosnien-Herzegowina 100 Minister. Die Wirtschaftsleistung stagniert bei 60 Prozent des Vorkriegsniveaus. Internationale Zuwendungen sind nach wie vor die Haupteinnahmequelle des Staates. Die Privatisierung von Staatsunternehmen hat die ungleiche Verteilung von Vermögen massiv befördert. Die Verantwortung für diese Zustände ist keineswegs allein in Bosnien-Herzegowina und in den Folgen des Bürgerkrieges zu suchen. Mitverantwortlich ist die sogenannte internationale Gemeinschaft durch von außen diktierte Reformen. So wurde zum Beispiel die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik an den Internationalen Währungsfonds übergeben. Die Regierung hat so keine Möglichkeit zur Gestaltung einer eigenständigen Geldpolitik. Neoliberale Konzepte sind kein Weg zur Armutsbekämpfung. ({0}) Sie sind es weder in Bosnien-Herzegowina noch in Deutschland. ({1}) Die eigentliche Macht im Lande liegt nach wie vor beim EU-Sonderbeauftragten, der zugleich Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen ist; wir hörten es schon. Das Fortbestehen einer solchen Protektoratsverwaltung bringt wenig Vorteile, aber viele Probleme mit sich. Der Hohe Repräsentant trifft bei allen politischen Prozessen die letzte Entscheidung. ({2}) Dies ermöglicht es regionalen Politikern, alle Probleme auf die Einflussnahme von außen zu schieben und sich selbst der Verantwortung zu entziehen. Die vor allem von der EU vorangetriebene Form des Staatsaufbaus kann wohl nur als gescheiterter Versuch eines neuen Kolonialismus beschrieben werden. ({3}) Was funktioniert, ist die Heranführung der bosnischen Armee an die Militärstrukturen der NATO und der EuroInge Höger päischen Union. Die Bundesregierung nennt dies euro-atlantische Integration. So beteiligen sich immerhin bereits ein Dutzend Soldaten der Armee von Bosnien-Herzegowina an dem Kriegseinsatz der NATO in Afghanistan. Die Linke sieht darin keine positive Entwicklung. Sinnvoller wäre in jedem Fall eine weitere Demilitarisierung des Landes, statt auch in Bosnien Militärs für Auslandseinsätze auszubilden und auszurüsten. ({4}) Die Linke sieht die Herausbildung einer Militärmacht Europäische Union sehr kritisch. Mit der Militärmission Althea in Bosnien bekam die EU bereits 2004 ihr erstes großes Pilotprojekt für die Umsetzung militärischer Ordnungspolitik. ({5}) Jenseits dieser grundsätzlichen Kritik an der Militarisierung der europäischen Politik bleibt das Fazit für die konkrete Situation in Bosnien-Herzegowina ernüchternd. Das Land ist nach wie vor nicht souverän, sondern ein hauptsächlich von der Europäischen Union abhängiges Protektorat. Ein Weg aus der Sackgasse ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Risikofaktoren wie Armut, Korruption und ethnische Spannungen nehmen zu. Es wird Zeit, endlich ehrlich Bilanz über die Erfolge und Misserfolge der internationalen Präsenz in BosnienHerzegowina zu ziehen. Nur dann wird es möglich sein, ein tragfähiges Konzept für die zivile Entwicklung der Region auf den Weg zu bringen. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Anders als ISAF und OEF ist die Operation Althea heute im Bewusstsein der Öffentlichkeit wenig präsent. Seit 1995 befinden sich deutsche Soldaten in Bosnien, schon fast doppelt so lange wie in Afghanistan. Dennoch sind sie dort leider noch nicht überflüssig; denn der Vertrag von Dayton hat zwar den Krieg beendet, aber nicht den Frieden gesichert. Bis heute leben die Volksgruppen in Bosnien in getrennten Entitäten, in denen die wichtigsten Verwaltungsposten nach ethnischen Kriterien verteilt werden. Hier wächst nicht zusammen, was zusammen gehört. Im Gegenteil: Die nationalistische Rhetorik politischer Amtsträger stellt die Existenz des Staates Bosnien-Herzegowina immer wieder infrage. Im Oktober haben die EU und die USA ein Reformpaket vorgelegt, das die Funktionalität der staatlichen Institutionen verbessern soll. Dieses wurde von allen Parteien Bosnien-Herzegowinas aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Allein der Hohe Repräsentant, Valentin Inzko, verhindert mit seinen exekutiven Vollmachten, den sogenannten Bonn Powers, die gegenseitige Blockade der ethnisch besetzten staatlichen Institutionen. Die Schließung des Büros des Hohen Repräsentanten kann daher frühestens dann erfolgen, wenn eine multiethnische Verfassung die Überlebensfähigkeit des Gesamtstaates Bosnien garantiert. Europa muss den Versuchen benachbarter Staaten zur Spaltung des Landes entschieden entgegentreten. Vor allem der Ministerpräsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, profiliert sich mit separatistischen Äußerungen immer wieder als Gegner der angestrebten Verfassungsreform. An dieser Stelle wirkt es sich leider kontraproduktiv aus, dass die EU die Visumspflicht nur für die angrenzenden Balkanstaaten aufgehoben hat. Serbien hält sich nicht damit zurück, den Bewohnern der Republika Srpska Pässe auszustellen. Mit ihrer doppelten Staatsbürgerschaft genießen die bosnischen Serben so die EU-Freizügigkeit, während die bosnischen Muslime mal wieder die Leidtragenden sind. Hinsichtlich der Beitrittsvoraussetzungen zum Schengen-Abkommen sind bereits ausreichende Fortschritte erzielt worden. Wir fordern daher die Abschaffung der Visumspflicht für alle Bürger BosnienHerzegowinas. ({0}) Die anstehenden Wahlen im nächsten Jahr und der festgefahrene Verfassungsreformprozess lassen die nationalistischen Töne wieder lauter werden. Beobachter sprechen von einer konkreten Eskalationsgefahr. Kroatiens Präsident Stjepan Mesic warnte Ende November sogar vor einem Zerfall Bosniens. Das Auseinanderbrechen des Staates mit seiner bosniakischen, kroatischen und serbischen Bevölkerung würde eine „Kriegsgefahr“ bedeuten, so seine Worte, Frau Höger. Wir können und wollen aber in Europa nicht erneut einen Ausbruch der Gewalt riskieren. An dieser Stelle muss ich an die Ermordung von 8 000 muslimischen Männern und Jungen durch serbische Soldaten im Juli 1995 in Srebrenica erinnern. Wer heute leichtfertig einen Zerfall des fragilen Staatsgebildes in Kauf nimmt, akzeptiert nicht nur im Nachhinein die durch Vertreibung und Ermordung der muslimischen Bevölkerung geschaffenen Fakten, sondern demütigt die Opfer und ihre Angehörigen von neuem. ({1}) Das menschliche Leid, das durch die jugoslawischen Nachfolgekriege entstanden ist, stellt ein Erbe dar, das in der Bevölkerung über Generationen weitergereicht wird. Die meisten Verbrechen sind bis heute nicht aufgeklärt und strafrechtlich nicht geahndet. Das behindert massiv die Versöhnung der Volksgruppen; denn ohne Aufklärung gibt es keine Vergangenheitsbewältigung und ohne Vergangenheitsbewältigung keine Versöhnung. Zu all dem kommt der wirtschaftliche Schaden hinzu, den die kriegerischen Auseinandersetzungen verursacht haben. Der Friedensimplementierungsrat ringt noch heute, 14 Jahre nach Kriegsende, um die Aufteilung des Staatsvermögens und die Schaffung eines funktionierenden Wirtschaftsraumes. Vor allem aber die Verankerung des Rechtsstaatsprinzips ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Bevölkerung Bosniens langfristig in Frieden und Freiheit leben kann. Ziel muss es sein, die 4 Millionen Menschen in die EU zu integrieren und den nationalistischen Sonderinteressen einen Riegel vorzuschieben. Solange die Parteien aber nicht in der Lage sind, sich auf eine europarechtskonforme, multiethnische Verfassung zu einigen, halten wir sowohl die Präsenz des Hohen Repräsentanten als auch die Präsenz der EUFOR-Truppen für erforderlich. Daher werden wir dem vorgelegten Mandat überwiegend zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich ergreife das Wort für meine Fraktion nicht routinemäßig - obwohl ich das dritte Mal an diesem Tag rede und auch nicht deshalb, weil wir erneut ein Mandat verlängern; die Kollegen der Sozialdemokratie haben sich ja gerade gefreut, dass ich auch bei dieser Mandatsverlängerung das Wort ergreife. Ich möchte eingangs darauf hinweisen, dass kein Mandat - egal wie brenzlig es ist, egal wie umstritten es in der Öffentlichkeit ist oder wie positiv es von der Öffentlichkeit begleitet wird - ein Routinemandat ist. Insofern hat der Parlamentsvorbehalt die besondere Bedeutung - wir beraten jedes Mandat nicht nur in einer Lesung, sondern in zwei Lesungen -, dass wir hiermit die Gelegenheit haben, in der Öffentlichkeit, also unter Anteilnahme der Bürgerinnen und Bürger und einer gewissen Anzahl von Parlamentariern, deren Zahl hätte höher sein können, darüber zu diskutieren, was unsere Beweggründe sind. Es gibt also keine Routine. Ich möchte auf den Verlauf der Debatte mit einer Bemerkung eingehen, die dem gerecht wird, was wir in Zukunft mit dieser Mission anstreben und erreichen wollen; es ist nämlich nicht nur eine rein militärische Mission, sondern eine Mission, bei der viele andere Komponenten - Aufbau der Sicherheitskräfte, weiteres Engagement und diplomatisches Geschick - gefragt sind. Daher möchte ich meinen Dank - dies ist heute schon mehrmals erwähnt worden - den Soldatinnen und Soldaten aussprechen und darin auch unsere Diplomatinnen und Diplomaten, die in allen Teilen der Welt im Einsatz sind, einbinden - an dieser Stelle vor allem deswegen, weil sie dort gefragt sind, Lösungskomponenten zu entwickeln und sich zu engagieren. Auch ihnen gelten unser Respekt und unsere Anerkennung am Ende dieses Jahres und anlässlich dieser Mandatsverlängerung. ({0}) Es ist tatsächlich so, dass sich zwar die militärische Lage massiv verbessert hat, aber nicht die politische Lage. Alle Unterrichtungen, die Befassung seitens der Öffentlichkeit, die Beschäftigung mit Berichten aus dieser Region seitens unserer Stiftungen und anderer zeigen deutlich: Das Engagement in dieser Region, vor der Haustür der Europäischen Union, bleibt nach wie vor notwendig, und zwar - ich schließe mich der Kollegin Keul an - weit über das Maß hinaus, das wir mit diesem konkreten Beitrag heute leisten. Dies bleibt für die deutsche Außenpolitik ein ganz wichtiger Faktor; hier müssen wir uns weiterhin engagieren. Die Lage ist fragil. Es ist keinesfalls so, dass die angestrebten Ziele - um nur eines zu nennen: einen stabilen, lebensfähigen, friedlichen und multiethnischen Staat zu bilden - bereits erreicht sind. Daher ist es notwendig, sich weiter zu engagieren. Ich bitte Sie an dieser Stelle um Unterstützung für die Mandatsverlängerung; denn neben diesem konkreten Beitrag ist für die Bosniaken die psychologische Komponente wichtig, dass der militärischen Präsenz an sich fast schon eine Bestandsgarantie für ihren Gesamtstaat zukommt. Insofern ist es wichtig, dass wir unser Engagement dort weiterhin einbringen. Einer der größten Erfolge der Befriedung in Bosnien und Herzegowina ist die Reform des Verteidigungssektors. Auch dies ist im Rahmen der EUFOR-Mission insgesamt ein ganz wichtiger Beitrag. Wir sehen, dass es gelungen ist, im Rahmen dieser europäischen Mission sukzessive dazu beizutragen, eigene spezifisch militärische Aufgaben wie das Räumen von Minen bis zur Luftraumkontrolle an die neuen Streitkräfte, die mitausgebildet werden, zu übertragen. Der militärische Auftrag des Dayton-Abkommens ist somit heute weitgehend erfüllt. Die verbliebenen Risiken sind, wie ich gerade sagte, nicht vordringlich militärischer Natur, sondern politischer, ökonomischer und polizeilicher Natur. Dem wird das Mandat aus meiner Sicht gerecht. Vor diesem Hintergrund bitte ich im Namen meiner Fraktion darum, dieses Mandat zu verlängern. Wir sollten die Diskussion weit über diese Debatte und die Debatte am Donnerstag hinaus fortführen und dazu beitragen, dass dieses wichtige Thema auf der Tagesordnung der deutschen Außenpolitik bleibt. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Mißfelder, ich gebe dem Plenum ausdrücklich zur Kenntnis, dass Sie mehr als eine Minute Redezeit eingespart haben. Ihre Vorredner haben sich nicht so diszipliniert an die vereinbarten Redezeiten gehalten. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/180 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. Dezember 2009, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen einen schönen und vielleicht auch erfolgreichen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.