Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines 8. Gesetzes zur
Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.
({0})
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
Frau Ursula Heinen-Esser. - Bitte schön, Sie haben das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat in seiner heutigen Sitzung sowohl den Entwurf eines 8. Gesetzes zur
Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wie auch
den Entwurf der Neununddreißigsten Verordnung zur
Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes beschlossen. Sowohl der Gesetzentwurf als auch der dazugehörige Verordnungsentwurf dienen der Umsetzung der
EG-Luftqualitätsrichtlinie. Diese Luftqualitätsrichtlinie
modifiziert entsprechende europäische Regelungen, die
zwischen den Jahren 1996 und 2004 durch EG-Richtlinien begründet wurden. In der Öffentlichkeit sind diese
Richtlinien eher unter Stichworten wie Umweltzonen,
Plaketten auf den Autos etc. bekannt.
Die Frist zur Umsetzung der Luftqualitätsrichtlinie
läuft am 10. Juni 2010 aus. Das erklärt auch, warum wir
heute den Gesetzentwurf beschließen mussten. Die neue
Richtlinie löst die sogenannte Luftqualitätsrahmenrichtlinie und drei dazugehörige Tochterrichtlinien ab. Sie
übernimmt insbesondere bereits bestehende Luftqualitätsgrenzwerte, beispielsweise für Feinstaub, PM10,
Stickstoffoxide und Benzol, und legt erstmals für besonders gesundheitsschädliche Feinstäube mit einem sogenannten aerodynamischen Durchmesser von weniger als
2,5 Mikrometern Luftqualitätswerte fest. Die Grenzwerte für PM10-Feinstäube gelten bereits seit dem Jahr
2005. Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Benzol
werden im Jahr 2010 in Kraft treten, die jetzt neu festgesetzten Grenzwerte für Feinstäube mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern im Jahr 2015.
Fast alle Mitgliedstaaten, auch Deutschland, haben
Schwierigkeiten mit dem Einhalten der Grenzwerte für
PM10-Feinstäube und Stickstoffoxide. Aus diesem
Grund sieht die neue Richtlinie erstmals die Möglichkeit
einer Fristverlängerung vor. Wesentliche Voraussetzung
dafür, dass eine solche Fristverlängerung gewährt wird,
ist die Vorlage eines sogenannten Luftreinhalteplans, in
dem dargelegt wird, mit welchen Maßnahmen die Luftqualitätsgrenzwerte im Rahmen der verlängerten Frist
erreicht werden sollen. Wird eine Fristverlängerung gewährt, läuft sie für PM10 spätestens im Jahr 2011 aus,
für Stickstoffoxide im Jahr 2015. Diese Fristverlängerung ist für unsere Kommunen ein wichtiger Beitrag zur
Entspannung der Situation. Allein in Deutschland haben
14 Kommunen eine Fristverlängerung erhalten.
Die neue Luftqualitätsrichtlinie enthält außerdem
neue Begrifflichkeiten und neue Anforderungen an die
Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgt im Bundes-Immissionsschutzgesetz und in
der Neufassung einer konkretisierenden Rechtsverordnung, der sogenannten 39. BImSchV. Zugleich werden
mit der Änderung zwei weitere Verordnungen aufgehoben, die bislang Luftqualitätsanforderungen geregelt haben. Es ist - das sei ausdrücklich gesagt - eine Eins-zueins-Umsetzung der EG-rechtlichen Anforderungen vorgesehen, die durch eine Überarbeitung und Vereinfachung weiterer Vorschriften zur Verbesserung der Luftqualität ergänzt wird.
Ich komme kurz auf die Veränderungen im Einzelnen.
Zum Bundes-Immissionsschutzgesetz: Dort gibt es einige redaktionelle Änderungen bei Plänen für kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität. Es
werden im Grunde genommen nur die Begriffe „bisheRedetext
rige Aktionspläne“ durch „Pläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen“ ersetzt. Darüber hinaus geht es
um die Öffentlichkeitsbeteiligung. Bislang sollte die Öffentlichkeit bereits bei der Aufstellung dieser Pläne beteiligt werden. Künftig kann die Öffentlichkeit auch erst
hinterher informiert werden, um das Verfahren insgesamt zu beschleunigen.
Der Verordnungsentwurf regelt vor allen Dingen erstmals immissionsseitige Festlegungen für die besonders
gesundheitsschädlichen Feinstäube mit einem aerodynamischen Durchmesser kleiner als 2,5 Mikrometer. Der
Gesetzentwurf wie auch der Verordnungsentwurf dienen
der weiteren Verbesserung des Schutzes der menschlichen Gesundheit. Sie sind notwendig, und daher möchte
ich Sie herzlich um die Unterstützung zu Gesetz- und
Verordnungsentwurf bitten.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich bitte zunächst, Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den eben berichtet wurde. - Ingbert Liebing
von der CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön.
({0})
Dann können wir ja die Fragestunde abschaffen, und
das wollen wir doch nicht.
Frau Staatssekretärin, Sie haben schon erwähnt, dass
es passieren kann, dass die zunächst vorgesehenen Zeitrahmen nicht eingehalten werden können. Es interessiert
mich, was passiert, wenn die ursprünglich von der EU
vorgegebenen Daten definitiv nicht eingehalten werden
können. Kommt es dann zu einem Vertragsverletzungsverfahren? Wie sieht es mit der Anlastung aus, wenn in
Innenstadtbereichen einzelner Kommunen die vorgeschriebenen Werte nicht erreicht werden?
Es ist so, dass die Kommunen zum Teil bereits Fristverlängerungen in Anspruch nehmen. Das ist explizit das
neue Element dieser Richtlinie. Es geht darum, mit welchen Maßnahmen wir es schaffen, die Feinstaubbelastung
zu reduzieren. Euro-6-Norm und Rußpartikelfilter für
Diesel-Pkw wären Stichwörter. Damit die Kommunen etwas mehr Zeit bekommen, bis diese Maßnahmen wirken
müssen, können sie diese Fristverlängerung in Anspruch
nehmen.
Es gibt bereits eine positive Entscheidung der Kommission für einige Gebiete. Das betrifft beispielsweise
die Ballungsräume Augsburg und München, aber auch
Städte wie Dortmund, Düsseldorf, Hagen und Wuppertal. Wenn allerdings nach dem Jahr 2011 bei PM10 oder
ab dem Jahr 2015 bei PM2,5 die entsprechenden Werte
nicht eingehalten werden, dann werden die üblichen EGrechtlichen Verfahren in Gang gesetzt.
Ich glaube, dass wir gerade in Deutschland dem mit
Entspannung entgegensehen können; denn die Einführung der Umweltprämie des vergangenen Jahres hat dafür gesorgt, dass viele Pkw, die nicht ganz so umweltfreundlich waren, durch neue, umweltfreundlichere
Autos ersetzt worden sind. Darüber hinaus sind wir
durch die neuen Normen auf einem guten Weg.
Wenn ich es richtig gesehen habe, hat Kollege
Michael Paul auch noch eine Frage angemeldet. Bitte
schön.
Frau Staatssekretärin, es gibt nicht nur die künstlich
vom Menschen herbeigeführten Stäube, sondern auch
natürliche Staubbelastungen. Ich denke an den Salzgehalt in der Luft, insbesondere an der Küste, aber auch an
Verwehungen, die von landwirtschaftlich genutzten Flächen stammen. Wie wird die Bundesregierung in Zukunft damit umgehen? Wurde in den Rechenverfahren
an die Möglichkeit gedacht, diese Belastungen herauszurechnen?
Auf deutsche Initiative hin wurde bereits bei der Erstellung der Richtlinie dafür gesorgt, dass die natürlichen in der Luft enthaltenen Schadstoffe herausgerechnet werden können. Das betrifft, wie Sie gesagt haben,
den Salzgehalt der Luft der Meeresnähe, aber auch das
Salz, das im Winter auf die Straßen gestreut wird. Es gibt
also Zeiten, in denen die Grenzwerte häufig überschritten werden oder drohen, überschritten zu werden, nämlich in Winterzeiten.
Nun sieht die Richtlinie die Möglichkeit vor, dass
diese natürlichen Schadstoffe herausgerechnet werden
können. Das heißt, man kann vorher berechnen, welchen
Anteil diese sogenannten natürlichen Schadstoffe einnehmen - 5, 10 oder 15 Prozent -, und kann dies dann
von den ermittelten Werten abziehen. Es ist ein guter
Schritt, dass es der Bundesregierung gelungen ist, das in
Brüssel durchzusetzen.
Nun Kollegin Maria Flachsbarth mit der nächsten
Frage.
Frau Staatsekretärin, erlauben Sie mir eine kritische
Nachfrage. Tragen denn diese neuen Maßnahmen der
Bundesregierung tatsächlich zu einer Förderung der Gesundheit der Menschen in der Stadt und insbesondere an
den stark befahrenen Straßen bei? Wir wissen, dass der
Umgehungsverkehr sehr hoch ist. Sind diese Maßnahmen wirklich effektiv, um die Gesundheit zu fördern?
Wenn sie nicht effektiv wären, würden wir sie nicht
machen.
({0})
Von daher bringen wir die richtigen Maßnahmen auf den
Weg. Lassen Sie mich ergänzend am Beispiel von PM10
deutlich machen: Die etwas größeren Feinstäube können
zwar die Bronchien belasten, aber sie greifen nicht wie
kleinere Feinstäube - deshalb ist es wichtig, dass wir die
Messgröße PM2,5 mit in das Gesetz aufgenommen haben - direkt die Lunge an und sind daher nicht extrem
gesundheitsschädlich. Deshalb ist es wichtig, dass wir
die Umweltzonen, beispielsweise in den Kommunen in
den Ballungsräumen, eingerichtet haben, um zu verhindern, dass Grenzwerte überschritten werden.
Um eine Verbesserung zu erreichen, sind aber nicht nur
die Umweltzonen in den Kommunen notwendig. Vielmehr ist all das notwendig, was wir für Pkws oder - ich
darf auf den Koalitionsvertrag verweisen - für kleinere
Nutzfahrzeuge planen. Auch dort soll die Einführung von
Rußpartikelfiltern schneller geschehen. Mit diesen Maßnahmen, Umweltzonen, Partikelfilter und Euro-6-Norm
für Diesel-Pkw, sorgen wir dafür, dass die Grenzwerte
eingehalten werden, um so die Gefahr für die Gesundheit
der Menschen abzuwenden.
Nun Kollege Jens Koeppen mit der nächsten Frage.
Frau Staatsekretärin, es geht nicht nur um Feinstaub,
sondern auch um Stickstoffdioxid. Ab 2010 gelten schärfere Grenzwerte. Was gedenkt die Bundesregierung zu
tun, um diese strengen Grenzwerte einzuhalten? Welche
Anstrengungen müssen zur Durchführung gemacht werden?
Auch bei den Stickoxiden ist entscheidend, wie sich
der Ausstoß bei Kraftfahrzeugen verändern und entwickeln wird. Es ist so, dass die Euro-6-Norm für DieselPkw erst ab dem Jahr 2014/2015 verbindlich gilt. Dann
müssen wir gegebenenfalls Fristverlängerungen in Anspruch nehmen. Aber wir sind zurzeit dabei, mit der Automobilindustrie darüber zu verhandeln, ob sie in der
Lage ist, die Einführung solcher Fahrzeuge vorzuziehen,
sodass wir die Grenzwerte auch in diesen Bereichen sehr
zügig werden einhalten können.
Kollege Ulrich Petzold ist der Nächste.
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin!
Wir haben mit der 1. BImSchV einen ganz wesentlichen
Schritt zur Bekämpfung der Feinstäube gemacht. Ist
schon etwas stärker abschätzbar, was wir mit der Verringerung des Feinstaubausstoßes aus Feuerungsanlagen erreichen? Ist die Situation so, dass wir in Zukunft wesentlich stärker an das Thema der offenen Feuer herangehen
müssen? Gerade zu Ostern werden traditionell Feuer entzündet, die mit einer sehr hohen Feinstaubbelastung für
die gesamte Bundesrepublik verbunden sind. Müssen
wir da den Kommunen stärker Hilfestellungen geben?
Ich würde davon absehen, Osterfeuer oder Ähnliches
zu untersagen bzw. hier regulierend einzugreifen. Wir im
Deutschen Bundestag haben gerade erst in der letzten
Sitzungswoche eine Änderung dieser Verordnung beraten. Dabei ging es um Kamine und Öfen in Privatwohnungen und Privathäusern, für die wir jetzt klare Bestimmungen im Hinblick auf Emissionen entwickelt haben.
Ich glaube, dieser Weg, den wir hier gegangen sind, ist
richtig, auch wenn er sicherlich für den einen oder anderen Besitzer von solchen Öfen gewisse Anstrengungen
erfordert, was die Einsetzung von Filtern angeht. Hier
haben wir schon eine ganze Menge gemacht.
Aber eines muss man ebenfalls sagen: Die Werte verschlechtern sich auch dann, wenn das Wetter ungünstig
ist. Auch ist es für manche Städte aufgrund ihrer Lage
schwieriger - ich nenne hier nur einmal das Beispiel
Stuttgart -, Grenzwerte einzuhalten.
Es gibt aber viele Kommunen in Deutschland, die die
Grenzwerte längst einhalten und trotzdem immer vorsorglich eine Ausnahmegenehmigung in Anspruch nehmen wollen, nach dem Motto: Man weiß nie, was
kommt. Ich glaube, das ist überhaupt nicht nötig. Wir
sind in Deutschland mit all dem, was wir in den Bereichen Industrieanlagen, Öfen und Pkws machen, auf dem
richtigen Weg.
Kollege Andreas Jung mit der nächsten Frage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade die
1. Bundes-Immissionsschutzverordnung angesprochen,
über die wir in der letzten Sitzungswoche im Bundestag
diskutiert haben. Gerade die Diskussion über die Regelung für Holzöfen hat gezeigt, dass die notwendigen
Maßnahmen in den Bereichen Umweltschutz und Gesundheitsvorsorge bei den Bürgern zuweilen auf Akzeptanzschwierigkeiten stoßen. Wir haben in diesem Zusammenhang einen sehr guten und ausgewogenen
Kompromiss gefunden. Meine Frage ist, wie bei diesem
Vorhaben der Maßgabe Rechnung getragen wird, eine
möglichst große Akzeptanz zu erreichen.
Herzlichen Dank für diese Frage. Gerade was die
Öfen angeht, haben wir einen langen Prozess hinter uns
gebracht. Natürlich kommt es immer darauf an, deutlich
zu machen, wofür diese Maßnahmen sind. Ich kann nur
wiederholen, dass die Feinstäube sehr gesundheitsgefährdend sein können. Sie können Lungenkrankheiten,
sogar Lungenkrebs, und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
auslösen.
Natürlich geht es um Ausgewogenheit. An dieser
Stelle nehme ich das Stichwort des Kollegen Petzold
auf: Osterfeuer versus Feinstaubbelastung. Ich glaube,
dass wir in allen Fällen für Ausgewogenheit sorgen müssen. Die Maßnahmen, um die sich der neue Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes dreht, betreffen hauptsächlich den Kfz-Verkehr.
Dank Umweltprämie aus dem vergangenen Jahr und
dank Förderung der Rußpartikelfilter sind wir auf einem
guten Weg. In diesem Zusammenhang darf ich für die
Rußpartikelfilter werben, deren Einbau wir noch bis zum
31. Dezember 2009 fördern.
Die nächste Frage stellt Johannes Röring.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
eine Frage aus einem anderen Themenbereich an die
Bundesregierung.
Herr Kollege, noch sind wir bei den Fragen an die
Parlamentarische Staatssekretärin Heinen-Esser. Wann
wir das Thema wechseln, müssen Sie mir überlassen. Ich
habe Sie vorgemerkt.
Okay.
Als offensichtlich Letzter zu diesem Thema ist jetzt
Kollege Ingbert Liebing dran.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf die
bereits angesprochenen Aerosole zurückkommen. Ich
kenne sie aus meinem Wahlkreis. Die Inseln und Halligen in meinem Wahlkreis befinden sich in einer extrem
aerosolhaltigen Luft. Mich würde konkret interessieren,
mit welchem Verfahren sichergestellt werden soll, dass
diese Aerosole, die alles andere als Schadstoffe sind,
sondern im Gegenteil von uns als gesundheitsfördernd
angepriesen werden - die Leute kommen schließlich
dorthin, um die aerosolhaltige Luft zu genießen -, nicht
komplett als Schadstoffe bewertet werden. Mit welchem
Verfahren sollen sie herausgerechnet werden, oder sollen
sie von vornherein herausgerechnet werden?
Die - ich sage das in Anführungsstrichen - „natürlichen“ Schadstoffe können gesondert berechnet und somit aus den Werten herausgerechnet werden, die durch
Schadstoffe entstehen, die besonders belastend und nicht
natürlich erzeugt sind. Im Falle Ihres Wahlkreises entstehen solche Schadstoffe durch den Kfz-Verkehr oder
Ähnliches. Die natürlichen Schadstoffe können, nachdem man sie berechnet hat, von der Gesamtsumme abgezogen werden. Dann sieht man, ob man die Grenzwerte
unter- oder überschreitet. Die EU-Kommission ist zurzeit dabei, einen Leitfaden zu erstellen, um das Verfahren vorzustellen und aufzuzeigen, wie die technische
Umsetzung am besten erfolgen kann.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen jetzt zu Fragen zu anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung. Mir liegen bereits drei Wortmeldungen vor. - Zunächst Kollege Wolfgang Gehrcke
von der Fraktion Die Linke.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob sich das Kabinett mit den handfesten Vorwürfen - zumindest in zwei Punkten sind es
auch von mir erhobene Vorwürfe -, dass der Verteidigungsminister hinsichtlich der Ermordung von Menschen in Kunduz bewusst die Unwahrheit gesagt, also
gelogen hat, auseinandergesetzt hat.
Herr Staatsminister Neumann, bitte.
Das Kabinett hat sich in der heutigen Sitzung nicht
damit befasst.
({0})
Eine Nachfrage? - Bitte.
Das verwundert mich. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Herr Altmaier, hat gestern eine
Erklärung abgegeben, dass die Regierungskoalition geschlossen hinter dem Bundesminister steht. Hält das
Kabinett es nicht für notwendig, wenn in der gesamten
Öffentlichkeit davon gesprochen wird, dass der Bundesminister der Verteidigung gelogen hat,
({0})
sich damit auseinanderzusetzen, sich entweder vor den
Bundesminister zu stellen oder zu akzeptieren, dass
diese Behauptungen zu Recht erhoben worden sind?
Die Tatsache, dass das Kabinett sich heute nicht mit
diesem Thema befasst hat, ist kein Widerspruch zu der
Feststellung des Parlamentarischen Geschäftsführers
Altmaier. Darüber hinaus hat das Bundeskabinett durchaus gesehen, dass heute Nachmittag zu dieser Thematik
eine ausführliche Debatte stattfinden wird und dass die
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erfolgt. Ich
meine, deshalb war das Vorgehen des Kabinetts angemessen und richtig.
({0})
Bitte schön, Kollege Johannes Röring, nun zu Ihrer
angemeldeten Frage.
Ich habe eine Frage an Staatssekretär Müller. Das
Kabinett hat sich heute Morgen mit dem Milchsonderprogramm beschäftigt, das im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes dankenswerterweise mit beschlossen wurde, um diese Branche, die in erheblichen
Schwierigkeiten steckt, zu unterstützen. Ich stelle aufgrund meiner Informationen aus den Regionen und den
Mitteilungen der Betroffenen fest, dass die Hilfe dringend vonnöten ist. Meine Frage an Staatssekretär Müller
lautet: Warum werden die Mittel aus diesen einzelnen
Maßnahmen nicht früher ausgezahlt?
Herr Müller, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Kabinett hat sich heute mit diesem Milchsonderprogramm zur Hilfe für die deutschen Landwirte
beschäftigt und dieses verabschiedet. Die Bundesregierung hat sehr schnell und umfassend mit einem 750-Millionen-Euro-Programm reagiert, das durch unser Haus
und heute durch das Kabinett auf den Weg gebracht
wurde.
Bei der Schaffung dieses Programms war es sehr
wichtig, Maßnahmen zu wählen, die von der Europäischen Kommission akzeptiert werden können und bei
denen es sich nicht um Staatsbeihilfen der Mitgliedstaaten handelt, die den strengen Regelungen des europäischen Beihilferechts unterliegen. Deshalb war es wichtig, dass das Sonderprogramm in den einzelnen Details
so konzipiert ist, wie wir es jetzt verabschiedet haben.
Wir sind der Meinung, dass wir damit schnell, konsequent und zielgenau insbesondere der deutschen Milchwirtschaft helfen können, und zwar mit Mitteln und
Möglichkeiten von nationaler Seite aus, ohne mit dem
EU-Recht in Konflikt zu kommen, ohne beihilferechtliche Probleme zu bekommen.
Danke schön. Nun hat Kollege Volker Beck das Wort
zu einer Frage.
Herr Staatsminister Neumann, Sie haben uns gerade
erklärt, dass sich das Kabinett heute nicht mit Kunduz
und Afghanistan beschäftigt hat. Ich würde gern wissen, auf welcher letzten Kabinettssitzung dies Gegenstand der Erörterung war und ob das Kabinett erörtert
hat, auf welcher Grundlage unser Einsatz in Afghanistan
gegenwärtig läuft, ob es tatsächlich Ziel ist, im Rahmen
des Einsatzes gezielt Menschen, auch Talibankämpfer,
zu töten, auch wenn von ihnen keine unmittelbare Gefahr für die eingesetzten Soldaten, das internationale
Personal oder afghanische Staatsstellen ausgeht?
({0})
Herr Staatsminister von Klaeden.
Herr Kollege Beck, das Kabinett hat sich im Rahmen
der Verlängerung der Mandate mit dem Thema Afghanistan beschäftigt, unter anderem auch auf der Klausurtagung des Kabinetts am 17./18. November dieses Jahres
in Meseberg. Ich kann Ihnen gerne auch schriftlich mitteilen, in welchen Kabinettssitzungen darüber hinaus
über Afghanistan gesprochen worden ist.
Die in Ihren Fragen enthaltenen Unterstellungen hinsichtlich der Strategie werden auch im Laufe der Fragestunde zurückgewiesen werden können.
Eine Nachfrage? - Bitte schön.
Hat die Frage der Einsatzregeln im Rahmen des
ISAF-Einsatzes wie im Rahmen des OEF-Einsatzes bei
dieser Erörterung im Kabinett eine Rolle gespielt, und
welcher Sachstand wurde dabei erörtert bzw. gab es eine
Divergenz zwischen den verschiedenen Ressorts?
Herr Kollege Beck, in der Befragung der Bundesregierung geht es um die letzte Kabinettssitzung.
({0})
- Darf ich die Frage beantworten? ({1})
Diese Frage hat der Kollege Neumann gerade beantwortet. Darüber hinaus ist es selbstverständlich, dass die
Bundesregierung auf der Grundlage des Mandats der
Vereinten Nationen, der allgemeinen Grundsätze des
Völkerrechts und der Mandate des Bundestages agiert.
Eine andere Insinuierung entbehrt jeder Grundlage.
Ich möchte nur noch eines festhalten, damit klar ist,
auf welcher Grundlage wir uns hier bewegen.
({0})
Herr Kollege Beck, ist das noch eine Nachfrage, oder
worum handelt es sich?
Es handelt sich um eine Nachfrage und eine Klarstellung.
({0})
- Nein.
({1})
- Ich belehre die Bundesregierung.
({2})
Ich würde niemals den Präsidenten belehren, weil er im
Unterschied zur Bundesregierung weiß, dass wir nicht
nur zur vorangegangenen Kabinettssitzung, sondern allenfalls vorrangig zur vorangegangenen Kabinettssitzung fragen dürfen
({3})
und dass Sie uns Auskunft darüber geben müssen, in
welcher Art und Weise dieses Thema von der Bundesregierung erörtert wird.
Mich würde interessieren, ob angesichts der aktuellen
Presseberichte innerhalb der Bundesregierung eine Diskussion darüber geführt wird, ob das Ziel von Einsätzen
wie dem Bombardement in Kunduz das gezielte Töten
von Zivilpersonen oder Talibankämpfern ist, und zwar
auch dann, wenn es dabei nicht unmittelbar um eine Gefahrenabwehr mit Blick auf die eingesetzten Soldaten
geht.
Kollege Beck, so wie Sie die Freiheit der Frage haben, hat die Bundesregierung die Freiheit der Antwort.
Sie entscheidet darüber, wie sie antwortet. Das gehört zu
unserem Stil des fairen Umgangs.
Herr Staatsminister, wollen Sie darauf noch einmal
reagieren? Sonst folgt die nächste Frage.
Ja. - Herr Kollege Beck, ich habe Ihre Frage mit dem
Hinweis auf die Mandate beantwortet. Ich habe Ihnen
angeboten, Ihnen schriftlich mitzuteilen, in welchen Kabinettssitzungen über die Klausurtagung hinaus über
Afghanistan gesprochen worden ist. Noch einmal: Die
Insinuierung, die Bundeswehr würde sich auf Anweisung der Bundesregierung nicht an die Mandate halten,
entbehrt wirklich jeder Grundlage.
Die nächste Frage stellt Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr von Klaeden,
habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie auf die
Frage meines Kollegen Beck, wann sich das Kabinett
das letzte Mal mit Afghanistan und Kunduz befasst hat,
geantwortet haben: in Meseberg?
({0})
Wir sind in einer Situation, in der sich die gesamte
Öffentlichkeit tagtäglich mit den Vorfällen in Afghanistan und Kunduz beschäftigt. Hinzu kommt, dass sowohl
das parlamentarische als auch das öffentliche Interesse
an einer Aufklärung der Geschehnisse in Kunduz groß
sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Kabinett in Anbetracht dieser Situation das letzte Mal in Meseberg ausführlich mit diesem Thema beschäftigt hat.
Von daher bitte ich Sie, uns klar zu sagen: In welchen
Kabinettssitzungen hat sich die Bundesregierung mit
dieser Frage befasst?
Herr von Klaeden, bitte.
Frau Kollegin Haßelmann, ich wiederhole meine Antwort: Die Bundesregierung hat sich auf mehreren Kabinettssitzungen im Zusammenhang mit den Mandaten mit
Afghanistan befasst, unter anderem auch in Meseberg.
Ich habe daraufhin dem Kollegen Beck angeboten, ihm
schriftlich mitzuteilen, auf welchen Kabinettssitzungen
das der Fall gewesen ist.
({0})
Eine Nachfrage. Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Dann frage ich noch
mal, Herr von Klaeden: Sie haben sich in dieser Woche
nicht mit der Situation in Kunduz beschäftigt, und Sie
haben sich in der letzten Woche nicht mit der Situation
in Kunduz beschäftigt? Kann ich das daraus schließen?
Sonst würden Sie uns sicher präzise sagen können, dass
sich das Kabinett zumindest in der letzten Woche intensiv mit der Situation befasst hat.
Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Haßelmann, ich würde vorschlagen,
dass wir bei meiner Antwort bleiben. Wenn Sie möchten,
sende ich auch Ihnen gerne eine Abschrift meiner Antwort an den Kollegen Beck zu.
Danke schön.
Jetzt hat sich noch Kollege Gehrcke gemeldet.
Herr Staatsminister von Klaeden, ich verstehe ja: Sie
möchten das Thema nicht in der Öffentlichkeit haben.
Sie haben dem Hohen Hause mitgeteilt, dass sich die
Bundesregierung strikt an alle Vorschriften des Völkerrechtes hält. Ich will noch mal präzise nachfragen: Können Sie mir erklären, wo die gezielte Tötung von Zivilisten - darum handelt es sich hier: Mord an Menschen,
({0})
denen nichts nachgewiesen ist, ohne Gerichtsprozess im Völkerrecht verankert sein soll und wieso gezielte
Tötung von Zivilisten Teil des Völkerrechts ist?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege Gehrcke, das, was Sie gerade behaupten, habe ich nicht gesagt, und ich weise es mit aller Entschiedenheit zurück.
Noch eine Nachfrage.
Ich frage gerne noch mal nach. Man bekommt bloß
keine Antwort - das ist das Problem hier -, und dieselbe
Frage zu stellen, steht mir nicht zu.
Dieselbe Frage zu wiederholen, ist nicht sonderlich
sinnvoll.
Man kann zwar fragen, was man möchte; aber die Regierung antwortet auch, was sie möchte.
Also eine Nachfrage. In der Presse war zu lesen, dass
der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU,
Herr Altmaier, mitgeteilt hat - ich möchte das wörtlich
zitieren -,
({0})
dass es ein großes Verdienst des Bundesverteidigungsministers ist und Respekt verdient, dass er den Primat
der Politik über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik wiederhergestellt hat.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es in
der Afghanistan-Frage vor der Einsetzung des Kollegen
zu Guttenberg zum Verteidigungsminister einen Primat
des Militärs und nicht der Politik gegeben hat?
Herr Staatsminister.
Nein.
Weitere Fragen zu diesem Stichwort liegen nicht vor.
Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Wenn das nicht der Fall ist, dann beenden wir die Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/191, 17/205 Es liegt eine ganze Reihe von dringlichen Fragen vor,
die ich nacheinander aufrufe. All diese Fragen drehen
sich um den Luftangriff auf zwei Tanklastzüge bei Kunduz in Afghanistan.
Zunächst zur dringlichen Frage 1 der Abgeordneten
Heike Hänsel. - Ich sehe die Abgeordnete Hänsel nicht.
Dann wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich komme zur dringlichen Frage 2 des Abgeordneten
Jürgen Trittin:
Seit wann hat das Bundesministerium der Verteidigung
und ab wann das Bundeskanzleramt gewusst, dass es bei dem
Luftschlag um das „Vernichten“ von Taliban ging ({0}), wie es
Oberst Georg Klein an den Generalinspekteur bereits am
5. September 2009 berichtete, und warum hat dieses nicht
Eingang in die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am
8. September 2009 gefunden?
Zur Antwort steht der Parlamentarische Staatssekretär
beim Bundesminister der Verteidigung Christian
Schmidt bereit.
Herr Kollege Trittin, ich beantworte Ihre dringliche
Frage wie folgt: Oberst Klein hat den Generalinspekteur
der Bundeswehr am 5. September 2009 - das war der
Samstag - schriftlich über den Luftangriff vom 4. September 2009 informiert. Das Kanzleramt hat diesen Bericht zwei Tage nach der Regierungserklärung vom
8. September 2009, also am 10. September 2009, erhalten. Das Bundesministerium der Verteidigung hat keine
Kenntnis über eine Absprache zu einer Strategieänderung zwischen Kanzleramt und Bundesnachrichtendienst.
Kollege Trittin.
Herr Kollege Schmidt, ich darf noch einmal nachfragen: Ist es also zutreffend, dass das Bundesverteidigungsministerium die Kenntnis über den Bericht des
Obersts Klein, wonach er sich entschlossen habe, die Taliban zu vernichten, nicht an das Bundeskanzleramt weitergeleitet hat, obwohl eine Regierungserklärung angekündigt worden war, und dass dies der Grund dafür ist,
dass dieser Umstand keinen Einfluss auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin hier vor dem Deutschen
Bundestag gehabt hat?
Ich kann Ihnen bestätigen, dass die Weiterleitung dieses Berichts, der dem Generalinspekteur, wie gesagt, am
5. September 2009 vorgelegen hat, am 10. September
2009 an das Bundeskanzleramt erfolgt ist.
Kollege Trittin noch einmal.
Herr Kollege Schmidt, in dieser Regierungserklärung
hat sich die Bundeskanzlerin gegen eine Kritik an diesem Luftschlag durch verbündete Staaten wie Frankreich
ausdrücklich verwahrt. Hat es, nachdem dieser Bericht
im Kanzleramt eingetroffen war und man ihn dort zur
Kenntnis genommen hatte, irgendwelche Überlegungen
gegeben, sich wegen dieser Äußerungen zumindest dahin gehend zu korrigieren, dass die Kritik unserer Verbündeten an diesem Luftschlag offensichtlich nicht völlig unbegründet war?
Herr Kollege Trittin, die Kritik, auf die Sie Bezug
nehmen, wurde nach meiner Erinnerung schon am
Samstag geäußert. Wenn ich mich recht entsinne, geschah dies im Kontext eines EU-Außenministerrates in
Stockholm. Es ist mir nicht bekannt, ob die betreffenden
Autoren der kritischen Bemerkungen zu diesem Zeitpunkt über einen größeren Informationsstand verfügt haben.
Unser Bestreben und das Bestreben der Bundesregierung war es immer, diesen gesamten Komplex, zu dem
nicht nur der Bericht, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt auch der von dem Kommandeur der ISAF-Streitkräfte, General McChrystal, initiierte NATO-Bericht gehört, in der gebotenen Sachlichkeit aufzuklären und
dafür einen Gesamtbezug herzustellen. Dies wird auch
weiterhin so verfolgt.
({0})
Es gibt jetzt eine ganze Reihe von Meldungen, um
eine Nachfrage zu dieser dringlichen Frage zu stellen.
Zunächst hat Kollegin Hänsel das Wort, die inzwischen
eingetroffen ist. Ich bitte Sie aber, jetzt nicht Ihre Frage,
sondern eine Nachfrage zu stellen.
Danke schön, Herr Präsident. - Ich möchte gerne
nachfragen, ob die Bundesregierung nur die konkreten
Informationen, also das Wissen, hinsichtlich des Verhaltens von Oberst Klein und der Bombardierung hatte und
ob dies die Folge eines Strategiewechsels gewesen ist,
der unter Billigung des Bundeskanzleramtes entschieden
wurde. Gab es einen Strategiewechsel in Afghanistan
bezüglich der dort stationierten Truppen?
Nein.
Der nächste Fragesteller ist jetzt der Kollege Beck.
Sie haben geschildert, dass Sie dem Bundeskanzleramt längere Zeit Informationen vorenthalten haben.
Gleichwohl hat die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung Stellung zu Afghanistan genommen und
dabei die Kritik der Verbündeten und in der Öffentlichkeit an diesem Luftschlag zurückgewiesen.
Nach meiner Kenntnis des Geschäftsverlaufs im Bereich der Bundesregierung sind Regierungserklärungen
keine frei gehaltenen Reden, sondern sie werden passagenweise mit den jeweils federführenden Ressorts
abgestimmt. Wie sah die Meinungsbildung im Bundesverteidigungsministerium bezogen auf die falschen Passagen in der Regierungserklärung aus? Warum wurde
Volker Beck ({0})
nicht informativ oder korrigierend eingegriffen, um der
Bundeskanzlerin die Blamage zu ersparen, die Öffentlichkeit unwahr und fehlerhaft zu unterrichten, was bei
unseren Verbündeten sogar zu Missstimmungen führte?
Wir haben diese Erklärung der Bundeskanzlerin aufgrund einer falschen Tatsachenbasis gehört.
Herr Kollege Beck, Ihre Nachfrage beinhaltet Ihre
persönliche Bewertung der Vorgänge, wenn Sie mir
diese Bemerkung gestatten, und darauf brauche ich nicht
zu antworten.
({0})
Sie meinen, dass es eine persönliche Bewertung ist,
die nicht der Auffassung der Bundeskanzlerin entspricht,
wenn man die Bewertung der Bundeskanzlerin in der
Regierungserklärung für eine Fehleinschätzung hält?
Ich mache mir Ihre Bewertung nicht zu eigen.
Das war nicht die Frage. Könnten Sie bitte die Regierung ermahnen, Herr Präsident, auf unsere Fragen zu
antworten?
({0})
Wir sind hier nicht im Kabarett.
({1})
Herr Kollege Beck, auch ich habe als amtierender
Präsident nicht das Recht, Antworten der Bundesregierung zu bewerten.
({0})
Das können Sie jeweils vornehmen. Die Verweigerung
einer Antwort oder eine Antwort wie diese ist auch eine
Form der Antwort. Das können Sie bewerten und dann
in der noch folgenden Debatte weiter vertiefen und diskutieren.
Der Nächste ist Kollege Erler.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben eingeräumt, dass
es eine verspätete Anlieferung des Berichts an das Bundeskanzleramt gab. Können Sie uns sagen, wie das Bundeskanzleramt auf diese Verspätung reagiert hat? Denn
wahrscheinlich ist die Abweichung zwischen dem Datum des Berichts und seiner Übergabe an das Kanzleramt bemerkt worden. Ist dazu irgendeine Rückfrage des
Bundeskanzleramts in Ihrem Haus eingetroffen?
Sehr geehrter Herr Kollege, die Bewertungen im Bundeskanzleramt entziehen sich meiner Kenntnis. Aber Sie
gestatten, dass ich an die Situation und die ihr zugrunde
liegende Bewertung erinnere. Wenn ich mich recht entsinne, hatten auch wir an den besagten Tagen telefonischen Kontakt miteinander. Wir haben beide versucht,
uns aus den uns zur Verfügung stehenden Informationen,
die wir offen gewonnen hatten, ein Bild zu machen. Die
Bundeskanzlerin hat in der Regierungserklärung vom
8. September Folgendes gesagt - ich zitiere -:
Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls vom letzten
Freitag und seiner Folgen ist für mich und die ganze
Bundesregierung ein Gebot der Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit allen zur Verfügung
stehenden Kräften genau dazu beitragen.
Das hat sie dann auch getan. Ich zitiere weiter:
… ich stehe genauso dafür ein, dass wir Vorverurteilungen nicht akzeptieren werden.
Herr Kollege, Sie gestatten, dass ich noch einmal auf
die Frage des Kollegen Beck zurückkomme. Ich meine,
das spricht für sich und lässt nachvollziehen, welche Position sich zu dieser Zeit ergeben hat.
Ich darf Sie dann so verstehen, dass das Bundeskanzleramt auf die verspätete Übergabe des Berichts nicht in
Richtung Verteidigungsministerium reagiert hat.
Soweit mir zur Kenntnis gelangt ist, werden die Beziehungen zwischen den Ressorts in der Bundesregierung und die Kommunikation Gegenstand des heute eingerichteten Untersuchungsausschusses sein. Dort wird
der Platz sein, um über diese Fragen zu reden.
({0})
Die nächste Frage geht an Kollegen Ströbele.
Herr Staatssekretär, vielleicht müssen Sie die Frage
an den Herrn Staatsminister weitergeben. Ich frage Sie:
War am Morgen des 4. September 2009 in Kunduz bei
der Erteilung der Weisung an die US-Kampfbomber,
Bomben abzuwerfen und Menschen zu vernichten, ein
Angehöriger des Bundesnachrichtendienstes anwesend,
und wurde aus diesem Gespräch oder aus diesem Vorgang eine Information über das, was am 4. September im
Hauptquartier in Kunduz geschah, direkt an die Zentrale
des Bundesnachrichtendienstes und an das Aufsicht führende Kanzleramt weitergegeben?
Herr Kollege Ströbele, ich verlasse mich und vertraue
auf Ihre unvergleichliche Expertise als Angehöriger von
Gremien dieses Hauses, die sich mit der Vertraulichkeit
oder der Geheimhaltung unterliegenden Strukturen befassen, und gehe deswegen von Ihrem Verständnis dafür
aus, dass nachrichtendienstliche Dinge in den entsprechenden Gremien berichtet und behandelt werden.
Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage anderer Auffassung ist als Sie und im Jahr 2009 in einer Entscheidung
festgestellt hat, dass die Existenz des Parlamentarischen
Kontrollgremiums oder eines Untersuchungssausschusses die Bundesregierung nicht von der Verpflichtung befreit, Abgeordneten des Deutschen Bundestages öffentlich - auch in einer Fragestunde - Auskunft zu erteilen,
({0})
es sei denn, dass zwingende Gründe für eine Geheimhaltung vorliegen? Sie haben aber solche Gründe nicht einmal andeutungsweise geltend gemacht.
Herr Präsident, der Kollege Ströbele hat auch eine
dringliche Frage gestellt. Wenn es mir gestattet ist,
möchte ich fragen, da nun die eine Frage mit der anderen
- ({0})
- Es ist mir nicht gestattet, zu fragen? Entschuldigung,
Frau Enkelmann, aber dieses Verständnis von Parlamentarismus muss ich erst noch erlernen.
({1})
- Das mache ich alles. - Wenn wir aber über den Umgang miteinander reden - das Wort „Kabarett“ ist gefallen; der Kollege Beck wird das sicherlich in einem persönlichen Gespräch mit mir zurücknehmen -, dann
bestehe ich darauf, dass ich, der sich nach bestem Wissen und Gewissen gegenüber diesem Parlament äußert,
auch so wahrgenommen werde. Herr Ströbele, das gilt
auch für Sie.
({2})
Ich verstehe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht allgemein als Freifahrtschein für die
Nichtbeantwortung bestimmter Fragen. Hier nehme ich
aber tatsächlich Bezug auf bestehende Geheimhaltungspflichten. Wie Sie wissen - darauf hatte ich eingangs
hingewiesen -, beantworte ich Fragen, die mit nachrichtendienstlichen Dingen zu tun haben, nicht, nicht deswegen, weil ich gegenüber dem Parlament nichts sagen
will, sondern, weil ich aus zwingenden Gründen nichts
sagen kann.
({3})
Zum Beispiel liegt zu der Operation, nach der Sie gefragt haben, ein nach wie vor NATO-klassifizierter Bericht vor, der die Grundlage unserer Beratungen ist und
am 3. November allen Fraktionen auf entsprechende Art
und Weise über die Geheimschutzstelle des Deutschen
Bundestages zur Kenntnis gegeben worden ist. Auf der
Basis dieser Informationen muss dann in entsprechendem
Rahmen darüber gesprochen werden. Selbstverständlich
ist die Bundesregierung dann zu allen sachdienlichen und
notwendigen Äußerungen und Informationen bereit.
Die nächste Frage stellt nun der Kollege Bartels.
Herr Staatssekretär, auch wenn wir jetzt einen Untersuchungsausschuss eingesetzt haben, gelten die Rechte
des Parlaments fort, genauso wie die Pflichten der Regierung zur Beantwortung der Fragen in der Fragestunde
nach bestem Wissen und Gewissen. Ich frage Sie betreffend die fragliche Nacht, über die wir noch immer Informationen haben wollen - manches ist sicherlich „Geheim“ eingestuft -: Wussten Sie damals oder wissen Sie
heute, ob es in dieser Nacht einen Kontakt von Berlin
oder Potsdam zum Gefechtsstand in Kunduz gab?
Auch diese Frage kann ich, soweit sie offen zu beantworten wäre, nicht beantworten. Ich verweise darauf,
dass auch darüber im Untersuchungsausschuss berichtet
wird. Sobald es eine offene Antwort geben kann und
gibt, werde ich Ihnen diese Antwort schriftlich nachliefern.
({0})
Nächster Fragesteller ist Kollege Fritz Rudolf Körper.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, dass der damalige
beamtete Staatssekretär Herr Dr. Wichert an diesem besagten Dienstag, dem 8. September, an dem auch die Regierungserklärung abgegeben worden ist, im Kanzleramt
einen Bericht zu den Vorgängen um Kunduz abgegeben
hat? Mich würde interessieren, auf welcher Grundlage
dieser Bericht abgegeben worden ist, und mich würde
auch interessieren, wie dieser Bericht mit seinen Inhalten dann im Bundeskanzleramt weiter bearbeitet worden
ist.
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich
denke, dass sie auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist.
({0})
- Ich kann sie Ihnen deswegen nicht beantworten, weil
ich es heute nicht sagen kann. Soweit sie offen ist, werde
ich Ihnen die Antwort schriftlich nachliefern. Meine einzige persönliche Kenntnis ist, dass ich am 7. September
in der Tat Herrn Wichert persönlich gesehen habe, aber
nicht im Kanzleramt. Sie wollen doch eine präzise Antwort in den zuständigen Gremien bekommen. Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, diese zu geben.
Ich will, damit hier kein falscher Streit entsteht, sagen: Sofern der Parlamentarische Staatssekretär sagt, er
könne die Frage nicht beantworten, weil er es nicht
wisse und erst das Wissen einholen müsse, ist das korrekt; wenn er sagt, er könne nicht antworten, weil das
Geheimhaltungsvorschriften unterliege, ist es sinnvoll,
das anzugeben, weil das zwei unterschiedliche Antworten sind. Nur, damit nicht an der falschen Stelle Ärger
entsteht. Ich bitte um diese feine Unterscheidung in beiderseitigem Interesse.
({0})
Der nächste Fragesteller ist Kollege Gehrcke.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Frage meiner
Kollegin Hänsel, ob es einen Strategiewechsel der Bundesregierung gegeben habe, klipp und klar gesagt: Nein. - Daran ist nun nicht zu deuteln. Heißt das, dass gezielte
Tötungen von Menschen - um eine solche hat es sich
zweifelsfrei in Kunduz gehandelt - zur Strategie der Bundesregierung gehören, wenn es keinen Strategiewechsel
gegeben hat?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Gehrcke, ohne dass ich einer mir vorliegenden Frage des Kollegen Ströbele und deren Beantwortung vorgreife, will ich darauf hinweisen, dass sich
die Tätigkeit der Bundeswehr im Rahmen der völkerrechtlichen Mandate, des humanitären Völkerrechts und
des Mandates des Deutschen Bundestages bewegt.
Kollegin Kerstin Müller.
Ich möchte noch einmal zu Ihrer Aussage, es habe
keinen Strategiewechsel gegeben, fragen, weil mich dieser apodiktische Ausdruck etwas erstaunt hat. Heißt das,
Sie verneinen auch, dass es im Juli dieses Jahres eine
Verschärfung oder eine Veränderung der Einsatzregeln
gegeben hat?
Frau Kollegin, wenn Sie auf die Diskussion über die
Änderung der Taschenkarte Bezug nehmen, die in der
Tat im Juni/Juli dieses Jahres stattgefunden hat, dann
muss ich sagen, dass es keine Änderungen der Regeln
insgesamt, sondern dass es entsprechende Klarstellungen in dieser Taschenkarte gegeben hat. Über die ROEs,
über die Einsatzregeln, die nun wiederum NATO-klassifiziert sind, kann ich Ihnen - Herr Präsident, aus diesem
Grund - auch ansatzweise keine Auskunft erteilen.
Frau Kollegin Müller, noch eine Nachfrage? Bitte.
Diese Diskussion wird uns begleiten. - Sie behaupten
also, die sogenannte Taschenkarte sei kein Hinweis auf
ein möglicherweise verändertes Vorgehen der Soldaten
vor Ort. Da muss ich schon nachfragen; denn es hat in diesem Zusammenhang entsprechende Diskussionen gegeben. Der Auftrag ist klar formuliert. Es wird gesagt: Die
militärische Gewalt muss verhältnismäßig sein. In diesem
Zusammenhang ist von Verteidigungsminister Jung und
von Generalinspekteur Schneiderhan zur Lage in Kunduz
sehr deutlich gesagt worden, es sei - ich möchte zitieren „an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen“. Man sei in
Kunduz nun besonders herausgefordert. Das heißt, es hat
eine Änderung hin zu einer Eskalationsstrategie gegeben.
Das wurde vom GI Schneiderhan nicht bestritten und von
Minister Jung entsprechend untermauert. Bleiben Sie bei
Ihrer Aussage, dass die Taschenkarte keine Veränderung
der Verhaltensregeln der Soldaten vor Ort und damit keinen Strategiewechsel bedeutet?
Frau Kollegin, wir sind bei dem klassischen intellektuellen Problem, dass wir vorher klären müssten, was Eskalationsstrategie in Ihrem Sinne heißt. Ich habe die Frage
klar beantwortet. Ich bleibe dabei: Es gab keine Eskalationsstrategie in dem Sinne, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen, also das Mandat der Vereinten Nationen,
geändert worden sind. Was die Taschenkarte angeht: Beispielsweise wurde die Frage präzisiert, was hinsichtlich
der Nacheile - das ist ein polizeilicher Begriff; die Verhältnismäßigkeit bleibt davon unangetastet - in Bezug
auf einen sich auf der Flucht befindlichen Gegner getan
werden kann und darf.
Sie erinnern sich vielleicht an den Begriff „kawum“;
damit wurde die Taschenkarte karikiert. Durch den Ein820
satz dieser Taschenkarte ist dem Soldaten auferlegt worden, in Dari, Paschtu oder Englisch „Stehen bleiben!“
und weitere Dinge zu rufen, was sich in der Praxis als
recht schwierig umsetzbar dargestellt hat.
Die Änderung der Taschenkarte hat übrigens auch im
Deutschen Bundestag große Unterstützung erfahren, und
zwar über die Koalitionsfraktionen hinaus. Ich habe
durchaus in Erinnerung, dass einige Kollegen - Kollege
Rainer Arnold, Kollegen der FDP, aber auch Kollegen
der Grünen - diese Änderung der Taschenkarte durchaus
als notwendig betrachtet haben. Das Ganze ist keine Eskalationsstrategie, sondern eine Klarstellung für den Soldaten, was er in einer konkreten Situation auf der Basis
dessen, was rechtlich vorgegeben war, tun kann und
darf.
Ich betone, dass das keine theoretischen Fragen sind.
Lassen Sie mich meine Ausführungen einfach mit der
Information verbinden, dass ich gerade die Meldung bekomme, dass gegen 12.45 Uhr Ortszeit Kräfte der afghanischen Polizei von OMF, also von gegnerischen Kräften, mit Panzerabwehrhandwaffen beschossen wurden,
dass deutsche Soldaten Unterstützung geleistet haben
und dass sich einer dieser Soldaten gerade einer Operation unterziehen muss. Damit will ich nur sagen, dass die
Bundesregierung hier im Deutschen Bundestag über
diese Fragen mit einem sehr konkreten Bezug zur Realität im Einsatz berichtet.
({0})
Wir wünschen diesem Soldaten alles Gute.
({1})
Die nächste Frage stellt Kollege Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Unsere Fraktion
schließt sich den Genesungswünschen an. Wir wissen,
was die Realität ist. Ich glaube, die Realität ist nicht teilbar. Vieles hat stattgefunden, und deswegen ist der Aufklärungsbedarf hier im Deutschen Bundestag groß.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Ansicht, dass der
Generalinspekteur ein Berater der gesamten Bundesregierung ist, wahrscheinlich vorzugsweise der derzeitigen
Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes sowie des
Verteidigungsministers?
Könnten Sie vielleicht bestätigen, ob nach dem Angriff bzw. dem Vorfall in Kunduz eine Unterrichtung
stattgefunden hat, entweder, indem Generalinspekteur
Schneiderhan diese von sich aus vorgenommen hat,
oder, indem diese auf Bitten des Kanzleramtes oder der
Kanzlerin direkt erfolgt ist, und, wenn ja, sagen, wann
davon Gebrauch gemacht worden ist?
Herr Kollege, zunächst herzlichen Dank für die von
Ihrer Fraktion bzw. von Ihnen ausgesprochenen Wünsche. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Zeichen für die
Soldaten im Einsatz, das sie sicherlich wahrnehmen werden.
Der Generalinspekteur ist Berater der Bundesregierung. Er ist seit der Veränderung seiner Zuständigkeiten
vor zehn Jahren mittlerweile auch für die Einsätze unmittelbar mitverantwortlich. Insofern ist er der Ansprechpartner. Über genaue Zahlen und Daten kann ich
Ihnen keine Auskunft erteilen mit einer Ausnahme, die
ich aus eigenem Wissen kenne und die ich gleich anfügen werde, da ich ja verpflichtet bin, es Ihnen zu nennen.
Alles andere werde ich Ihnen gerne schriftlich nachliefern.
Ich weiß, dass die Bundeskanzlerin und der Bundesverteidigungsminister Jung den Generalinspekteur gebeten hatten, sich in Kunduz vor Ort ein Bild über die Lage
zu verschaffen und anschließend zu unterrichten. Diese
Reise hat nach meiner Erinnerung circa sechs bis sieben
Tage nach dem Vorfall stattgefunden. Ich bitte, mich
korrigieren zu dürfen, falls es sich anders verhalten
sollte. Der genannte Zeitraum ist allerdings ziemlich
präzise. Dann hat der Generalinspekteur der Bundesregierung Bericht erstattet.
({0})
Bitte, Kollege Mützenich.
Herr Staatssekretär, darf ich in diesem Zusammenhang nachfragen, was denn der Inhalt der Unterrichtung
gegenüber der Bundesregierung und insbesondere gegenüber der Bundeskanzlerin gewesen ist?
Das kann ich nicht sagen. Ich will Ihnen aber den Inhalt der Unterrichtung, die ich vom Generalinspekteur
erhalten habe - nehmen Sie diese bitte als eine auf mich
bezogene -, nicht vorenthalten. Ich erhielt den Hinweis,
dass die Situation zu dieser Zeit von einem sehr strikten
Reglement des COMISAF, des Generals McChrystal,
geprägt war, was dazu geführt hatte, dass über den Vorgang selbst Gespräche seitens der NATO, seitens ISAF
nicht gewünscht waren. Der Generalinspekteur hat das
sehr detailliert beschrieben und darauf hingewiesen, dass
der NATO-Kommandeur die Unabhängigkeit der eingesetzten Untersuchungskommission, geführt vom kanadischen General Sullivan, dann gefährdet sehen würde,
wenn von seiner Seite aus Informationen zu diesem
Thema gegeben oder Gespräche darüber mit dem Generalinspekteur geführt würden. So habe ich es in Erinnerung. Ich denke, das entspricht im Kern den Aussagen,
die damals gemacht wurden. Der Bericht, den General
McChrystal von der Gruppe um General Sullivan Ende
Oktober/Anfang November erhalten hat, hat dann ja
auch in den uns bekannten Zeiträumen zu Ergebnissen
geführt, die Ihnen bzw. den Fraktionsvorsitzenden und
den anderen Bundestagskollegen über die Geheimschutzstelle vorliegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir
eine geschäftsleitende Zwischenbemerkung: Mir liegen
jetzt noch neun Wortmeldungen zu Nachfragen zu der
ersten beantworteten Frage vor.
({0})
Es gibt noch elf weitere Fragen, auf die die Bundesregierung antworten soll. Ich denke, es entspricht dem Informationsbedürfnis, dass die Bundesregierung auch diese
anderen Fragen beantworten soll, die alle die gleiche
Thematik betreffen, aber jeweils einen anderen Aspekt
behandeln.
({1})
Ich würde also gerne erst einmal einen Schlussstrich unter diese neun Wortmeldungen ziehen, damit wir dann
zur nächsten Frage, nämlich der Frage 3 wiederum des
Kollegen Trittin, kommen können. Einverstanden? - Ich
sehe, Sie sind einverstanden.
Ich gebe nun Kollegin Künast das Wort.
Wir haben gehört, dass die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland den 8. September mit ihrer Regierungserklärung zum Tag der klaren Worte gemacht hat.
Sie hat ganz klar gesagt, sie verbitte sich sowohl vom Inland als auch vom Ausland Bewertungen, und genau
darüber habe sie auch mit dem NATO-Generalsekretär
Rasmussen gesprochen, „und zwar sehr unmissverständlich“, wie sie wörtlich sagt. Jetzt wissen wir, dass die
Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau
Merkel, an diesem 8. September sozusagen im Zustand
der Unwissenheit war. Ich frage Sie deshalb: Hat sie,
nachdem sie am 10. September Kenntnis davon erlangte,
dass es eine gezielte Tötung sein sollte und war, gegenüber Stellen im Ausland, die sie vorher unmissverständlich zurückgewiesen hat, oder gegenüber dem NATOGeneralsekretär Rasmussen das Gespräch gesucht und
sich insoweit entschuldigt, nach dem Motto: „Ich bin seit
dem 10. klüger als am 8. September; es ist doch so, wie
NATO-Leute behauptet haben; es handelte sich um eine
gezielte Tötung“?
Jetzt muss ich Ihre Frage erst einmal von den Unterstellungen befreien. Sie sagten, NATO-Leute hätten behauptet, es wäre eine gezielte Tötung gewesen, mit all
den Konsequenzen und Begrifflichkeiten, die wir heute
schon gehört haben. Erstens bin ich froh, dass die Bundesregierung an der Spitze eine Bundeskanzlerin hat, die
sich unmissverständlich äußert.
({0})
Zweitens finde ich, Frau Kollegin, einer deutschen Bundeskanzlerin vorzuwerfen, dass sie sich in einer unklaren
Informationslage - wir reden hier nur von einem einzigen Bericht; aber es gibt ja sehr viele Berichte -, aber
doch mit einigen bestehenden Informationen und Einschätzungen vor die Vertreter ihres Landes - dazu gehören auch die Soldaten der Bundeswehr - stellt, halte ich
für eine hochinteressante Position, über die man diskutieren sollte.
({1})
Eine Nachfrage, Kollegin?
Herr Schmidt, wenn Sie meinen, das sei ein Sich-vordie-Soldaten-Stellen, dann muss ich Sie einmal fragen:
Glauben Sie, dass es in dem Fall richtig ist, dass die
Bundeskanzlerin Nachfragen und Kritik von außen einfach zurückweist, und zwar unmissverständlich und
scharf, oder wäre es nicht eigentlich richtiger und besser
gewesen, für alle Soldaten vor Ort und alle zukünftigen
Einsätze zu sagen: „Ich bin als Bundeskanzlerin für die
lückenlose Aufklärung“? Und wenn lückenlose Aufklärung im Sinne Deutschlands, im Sinne einer Parlamentsarmee und im Sinne der Soldaten ist, frage ich noch einmal: Hat die Bundeskanzlerin nachher das Gespräch mit
dem NATO-Generalsekretär gesucht oder ihm gegenüber schriftlich zum Ausdruck gebracht: „Ja, ich weiß
mittlerweile mehr als am 8. September; es handelte sich
um eine gezielte Tötung“? So viel weiß die Kanzlerin
jetzt ja.
Ich kann Ihnen mit Freuden berichten, dass die Bundeskanzlerin am 8. September in ihrer Regierungserklärung eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls gefordert
hat.
({0})
Es entzieht sich meiner Kenntnis, auf welcher Informationsgrundlage der NATO-Generalsekretär, der französische Außenminister und der luxemburgische Außenminister sich geäußert haben. Frau Kollegin Künast, wenn
man korrekt sein will - das wollen wir alle -, muss man
sagen: Die beiden Letzteren konnten den Bericht noch
gar nicht kennen; denn er wurde an diesem Tag erst ge822
schrieben. Also liegt die Vermutung nahe, dass sich ausländische Politiker, Verantwortliche auf einer offensichtlich dürftigen Datengrundlage über einen Vorgang
geäußert haben.
({1})
Es wäre in keiner Weise zu beanstanden gewesen, wenn
von ausländischer Seite eine vollständige Aufklärung
des Vorfalls gefordert worden wäre, wie es, soweit ich
mich richtig entsinne, diplomatischen Gepflogenheiten
entsprechen würde.
Ich bleibe dabei - das ist meine Interpretation -, dass
die Bundeskanzlerin eine Verpflichtung hat und diese
Verpflichtung auch gesehen hat, sich vor ihr Land zu
stellen.
Kollege Schmidt, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe jetzt zur Kenntnis genommen, dass die Kanzlerin den COMISAF-Bericht erst nach
der Regierungserklärung vom 8. September erhalten haben soll. Gab es denn vorher eine irgendwie geartete andere Berichterstattung des Verteidigungsministeriums zu
den zentralen Sachverhalten dieses Berichtes an das
Kanzleramt, die in die Regierungserklärung eingeflossen
sein kann? Oder schließen Sie jeden Informationsfluss
zwischen Verteidigungsministerium und Bundeskanzleramt in diesem Zusammenhang bei der Vorbereitung der
Regierungserklärung aus?
({0})
Herr Kollege Schmidt, ich will darauf hinweisen, dass
Sie gerade vom COMISAF-Bericht gesprochen haben.
Ich war aber gefragt worden, wann der Bericht, den
Oberst Klein verfasst hatte, über den Generalinspekteur
im Bundeskanzleramt eingegangen ist. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich sehr Wert darauf lege, dieses fein
säuberlich zu trennen. Der COMISAF-Bericht hat die
Bundesregierung am 26. Oktober dieses Jahres erreicht
und wurde vom Bundesminister der Verteidigung zu
Guttenberg in sehr zügiger und umfassender Weise sofort in englischer Version und dann - es musste erst eine
Übersetzung angefertigt werden - in einer deutschen
Version dem Deutschen Bundestag über die Geheimschutzstelle zur Verfügung gestellt. Sie konnte sich deswegen zu diesem Zeitpunkt auf diesen Bericht natürlich
nicht stützen.
Kollege Lenkert.
Herr Staatssekretär, eine kurze Frage: Wann hat das
Bundeskanzleramt den Bericht von Oberst Klein erhalten?
Ich glaube, ich habe das schon gesagt: am 10. September 2009. - Ich kann das bestätigen, nicht nur als
Vertreter der Absender, sondern auch als Vertreter der
Empfänger.
Kollege Schockenhoff, bitte.
Herr Staatssekretär, haben Sie Informationen darüber,
ob dem Auswärtigen Amt der Bericht von Oberst Klein
vorgelegen hat oder ob vom Auswärtigen Amt dieser
Bericht angefordert worden war, als am 8. September
der Außenminister seine Bewertung der Ereignisse am
Kunduz-Fluss abgegeben hat und sich gegen eine Vorverurteilung des Einsatzes vor dem Deutschen Bundestag verwahrt hat?
Kollege Schockenhoff, das ist mir nicht bekannt. Ich
sage zu, dass ich diese Frage schriftlich beantworte.
Kollege Beck, bitte.
Ich möchte auf die vorhin vom Kollegen Ströbele gestellte Nachfrage zurückkommen und diese an die zuständige Stelle in der Bundesregierung richten. Kollege
Ströbele hatte nicht nach dem Inhalt eines eingestuften
Berichtes gefragt, sondern danach, ob der Bericht beim
Bundeskanzleramt oder bei der BND-Leitung angekommen sei. Die Grundfrage war: War ein Mitarbeiter des
BND vor Ort in Kunduz? Hat er einen Bericht abgegeben? Hat er diesen an die BND-Leitung geschickt, und
hat die BND-Leitung das Bundeskanzleramt als aufsichtsführende Stelle hierüber unterrichtet?
Ich möchte noch geschäftsleitend darauf hinweisen,
dass wir in der letzten Wahlperiode zu dieser Art von
Fragekomplex ein Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung gewonnen haben. Danach dürfen geheimschutzrelevante Dinge ausdrücklich nicht mit dem Verweis auf das PKGr oder einen Untersuchungsausschuss
nicht beantwortet werden. Sie müssten anderenfalls hier
vortragen, dass der Vorgang nicht abgeschlossen ist und
er der Geheimhaltung deshalb unterliegt, weil er - hier
konkret die Operation in Afghanistan - noch gefährdet
ist. Das werden Sie bei einem abgeschlossenen Vorgang
schlechterdings nicht vortragen können. Deshalb bitte
ich das Bundeskanzleramt um die wahrheitsgemäße und
vollständige Beantwortung meiner Frage und der Frage
des Kollegen Ströbele.
Volker Beck ({0})
({1})
Herr Staatsminister von Klaeden.
Herr Kollege Beck, mir ist ein solcher Vorgang nicht
bekannt. Ich sichere Ihnen aber zu, dass die Bundesregierung im Rahmen des Untersuchungsausschusses
alle ihr zur Verfügung stehenden Informationen zusenden wird.
({0})
- Ich sage Ihnen doch gerade: Mir ist das nicht bekannt.
Bitte hören Sie doch mal zu! - Ich sichere Ihnen zu, dass
die Bundesregierung dem Untersuchungsausschuss alle
Unterlagen, die ihr in diesem Zusammenhang zur Verfügung stehen, überstellen wird.
Sollte es einen solchen Bericht geben - ohne dass ich
seine Existenz bestätigen kann -, wäre schon die Bestätigung der Existenz des Berichtes, falls er klassifiziert ist,
ein Bruch der Geheimhaltungsvorschriften.
({1})
- Doch, so ist es. - Deswegen, Herr Kollege, sage ich
noch einmal: Mir ist das nicht bekannt. Die Bundesregierung wird dem Parlament über den Untersuchungsausschuss alle erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen.
({2})
Eine Nachfrage?
Ja. - Herr von Klaeden, ich möchte Sie bitten, ausdrücklich zu prüfen, ob Sie diese Frage, die wir, der Kollege Ströbele und ich, hier gestellt haben, dem Parlament
im Nachgang hierzu - wenn Sie es nicht wissen, können
Sie es hier nicht beantworten - schriftlich beantworten
können;
({0})
denn Sie sind außerhalb des Untersuchungsausschusses
rechenschaftspflichtig, soweit Sie sich nicht auf Geheimhaltungsbedürfnisse berufen können. Die Klassifizierung eines Berichtes reicht nicht aus, um zu sagen,
dass Sie über diesen Vorgang hier nicht berichten. Ich
bitte Sie, das Urteil noch einmal nachzulesen. Ich habe
Sie schon vor zwei Wochen im Ältestenrat darauf hingewiesen. Ich bitte Sie, dies endgültig zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Ich denke, es wäre vernünftig, wenn an dieser Stelle
auch die Bundestagsverwaltung eine Prüfung dahin gehend vornimmt, ob und in welchem Umfang diese Art
von Fragen auf der Basis dieses Urteils zu beantworten
sind oder nicht.
({0})
Ich glaube, es dient dem parlamentarischen Frieden,
wenn das geklärt ist.
Die nächste Frage stellt Kollege Arnold.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von der fragilen
Informationslage am 7./8./9. September. Stimmen Sie
mir zu, dass es innerhalb der NATO und innerhalb der
Bundesregierung einen gleichen Informationsstand gab
- denn am Abend des 7. September, also am Montagabend, ist der ISAF-Vorabbericht eingegangen, der auch
Grundlage für die Obleuteunterrichtung am 8. September morgens war -, und stimmen Sie mir ebenso zu, dass
dieser ISAF-Vorabbericht mehr ist als ein - wie er vom
Pressesprecher des damaligen Verteidigungsministers
bezeichnet wurde - Reisebericht, und dass darin vielmehr schon sehr dezidiert von zivilen Opfern gesprochen worden ist, eindeutige Regelverstöße benannt und
weitere Untersuchungen für dringend erforderlich erklärt
worden sind?
({0})
Ich beantworte die Frage mit Ja. Dieser Bericht ist
eingegangen und war auch im Bundesministerium der
Verteidigung verfügbar.
({0})
- Herr Präsident, da war eine Nachfrage. Ich weiß nicht,
ob ich die aufnehmen soll.
Kollege Arnold hat keine Nachfrage angemeldet.
Oder doch?
Es war, glaube ich, eine Kollegin.
Nein. - Kollegin Haßelmann hat jetzt das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben im Laufe der Fragestunde den Parlamentarierinnen und Parlamentariern bei sehr vielen Fragen
eine Antwort verweigert, und zwar mit Hinweis auf die
Geheimhaltungspflichten. Vor dem Hintergrund dessen,
was mein Kollege Beck gerade zitiert hat, wird eine solche Verweigerung nicht haltbar sein; davon gehe ich aus.
Im Übrigen bitte ich Sie, mir folgende Diskrepanz zu
erklären: Sie verweigern es, uns Parlamentariern die Informationen zu geben, die der zuständige Minister zum
Teil gerne in Talkshows und in sämtlichen Medien der
Öffentlichkeit preisgibt.
({0})
Was glauben Sie eigentlich, welchen Eindruck es erweckt, dass zunächst Mitglieder unserer Fraktion in einem vertraulichen, streng geheimen Gespräch vom zuständigen Verteidigungsminister aufgeklärt und informiert werden - mit Hinweis darauf, dass sie nicht einmal
in der Fraktion darüber berichten dürfen -, der Minister
aber gleich nach diesem Termin vor die Kameras tritt
und dort darüber berichtet, wie er den Stand der Dinge
sieht?
Ich sehe, dass Sie heute auf gleiche Art und Weise
fortfahren. Wir bekommen keinerlei Informationen. Sie
sind nicht in der Lage, uns die entsprechenden Aktenzeichen der Dokumente zu nennen, die sozusagen die Geheimhaltungspflicht begründen, und verweigern hier
dem Parlament Auskünfte.
({1})
Kollegin Haßelmann, ich möchte Ihre Bemerkungen
aufteilen in Anwürfe, auf die ich nicht eingehe, und Fragen, die ich beantworte. Ich weise darauf hin, dass der
Bundesminister der Verteidigung nicht nur zugesagt,
sondern auch umgesetzt hat, dass die in seiner Zuständigkeit der Klassifizierung liegenden Vorgänge, soweit
nicht Sicherheitsinteressen - ich habe gerade von einem
aktuellen Fall berichtet - berührt werden, entsprechend
herabgestuft werden. Ich hoffe, Sie entwickeln hierfür
insofern Verständnis, dass Sie der Bundesregierung nicht
unterstellen, sie wolle hier aus einem anderen Impetus
als Sicherheitsgründen Klassifizierungen aufrechterhalten. Die meisten Klassifizierungen, die geprüft worden
sind, wurden auf die niedrigste Stufe, VS-NfD, herabgestuft. Somit sind die Unterlagen offen zugänglich.
({0})
Leider liegen mir keine Aktenzeichen vor. Der wesentliche Bericht der NATO wurde aber von der NATO
als geheim klassifiziert. Sie wissen, dass die Regeln so
sind: Derjenige, der einstuft, stuft hinauf oder herab,
kein anderer. Allerdings hat die NATO trotz einer entsprechenden Anfrage des Bundesministers der Verteidigung bisher keine neue Klassifizierung vorgenommen.
({1})
Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, dass aus diesen Berichten, die Ihnen vorliegen, nicht zitiert wird. Ich
darf darauf hinweisen, dass Sie das Ende der Fragestunde abwarten sollten. Mir liegt eine ganze Reihe von
dringlichen und sonstigen Fragen vor, bei denen ich
durchaus bereit und in der Lage bin, Antworten zu geben.
Die Frage der Bewertung ist davon zu trennen. Vor
zwei Wochen hat der Bundesminister in seiner Rede vor
dem Deutschen Bundestag dem Parlament die Änderung
seiner Einschätzung und Bewertung der Vorgänge mitgeteilt, hin zu einer Bewertung als militärisch nicht angemessener Vorgang. Er beabsichtigt auch, diese Politik
der Offenheit nicht nur dem Untersuchungsausschuss
und den zuständigen Ausschüssen, sondern auch dem
Parlament gegenüber fortzuführen und, sobald die Freigabe der Klassifizierung erfolgt, das Thema offen zu diskutieren. Ich werde in der Folge bereit sein, Ihren Anspruch auf Information zu erfüllen, und aus offenen
Dokumenten berichten.
Herr Kollege van Aken.
Ich bin neu im Parlament. Ich war relativ naiv davon
ausgegangen, dass eine Fragestunde dazu dient, dass die
Parlamentarier fragen und die Regierung antwortet. Ich
bin erschüttert über das, was ich hier erleben muss. Das
geht gar nicht.
({0})
142 Menschen sind gestorben. Es steht der Vorwurf
im Raum, dass gelogen wurde und Recht verletzt worden ist. Frau Merkel hat lückenlose Aufklärung zugesagt. Jetzt schickt sie zwei Männer ins Rennen, deren
einziges Briefing offensichtlich darin bestand, nichts zu
sagen. Das geht so nicht!
({1})
Deswegen stelle ich meine Frage nicht. Ich werde
meine Frage dann stellen, wenn Frau Merkel persönlich
hier sitzt und endlich bereit ist, Antworten zu geben. Ich
finde, so geht es nicht weiter.
({2})
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt Herr Kollege Groschek.
Ich frage den Vertreter der Bundesregierung nicht
nach seiner persönlichen, sondern nach seiner offiziellen
regierungsamtlichen Meinung bzw., ob er Kenntnis davon hat, dass Oberst Klein in der fraglichen Nacht in
Kunduz aufgrund von Weisungen, Befehlen oder dringlichen Anregungen zu seiner Entscheidung gekommen ist.
Herr Kollege, wenn Sie den kryptischen Teil Ihrer
Frage weglassen und mir sagen würden, ob Sie meinen,
dass er Befehle gegeben hat, dann kann ich sagen: Ja.
Wenn Sie meinen, dass da irgendjemand anderes war,
der ihm Befehle gegeben hat, dann bitte ich Sie, das
noch etwas auszuführen.
Das Letztere ist der Fall. Mich interessiert, ob die
Bundesregierung Kenntnis davon hat, dass Oberst Klein
in der fraglichen Nacht bei dem fraglichen Befehl weisungsgebunden gehandelt hat oder auf dringliche Anregung aus anderen militärischen Zusammenhängen.
Jeder Soldat ist zwar weisungsgebunden, aber jeder
Soldat hat einen eigenen Ermessens- und Entscheidungsspielraum. Der Kommandeur des PRT Kunduz, Oberst
Klein, hat an diesem Tag von seiner Befehlsgewalt Gebrauch gemacht.
Danke. - Wir kommen zur dringlichen Frage 3 des
Kollegen Jürgen Trittin.
Beinhaltete die Absprache zwischen Bundeskanzleramt,
Bundesministerium der Verteidigung und Bundesnachrichtendienst vom 22. Juli 2009 zu einer veränderten Strategie in
Afghanistan auch die Möglichkeit des gezielten Tötens Verdächtiger, wie es verschiedene Zeitungen am Wochenende
({0}) berichteten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Trittin, ich bin auf der Suche nach Ihrer
Frage. Entschuldigung, Herr Präsident, mir liegt eine andere Frage vor.
Es ist die dringliche Frage 3.
Die dringliche Frage 3? - Nein.
({0})
Die Antwort heißt Nein?
Ja.
({0})
Das ist das wesentliche Wort in der deutschen Sprache,
mit dem man auf Fragen antwortet.
({1})
- Manchmal mit Ja.
({2})
Herr Präsident, könnten wir die Erregung in den Fraktionen über die deutsche Sprache etwas mäßigen?
Herr Kollege Trittin, bitte.
Herr Kollege Schmidt, nachdem Sie diese Frage mit
Nein beantwortet haben: Wie würden Sie dann einen
Vorgang bezeichnen, bei dem zwei Kampfpiloten fünfmal nachfragen, ob es eine Rechtsgrundlage für den Befehl gibt, diese Bomben abzuwerfen, was voraussetzen
würde, Troops in Contact am Boden zu haben, bei dem
diese Piloten fünfmal nachfragen, ob sie nicht die anwesenden Menschen vor Ort vor dem Abwurf von Bomben
durch Tiefflug warnen sollen, bei dem diese Piloten
zweimal bei dem zuständigen Offizier nachfragen, ob sie
auf die Tanklastzüge oder zwischen die Tanklastzüge,
also da, wo die Menschen stehen, zielen sollen, und bei
dem von der Einsatzleitung, dem zuständigen Offizier,
darauf gedrungen wird, diesen Angriff durchzuführen,
da die Menschenmenge dabei sei, sich davonzubewegen? Ist dies nicht ein Vorgang, den man in der deutschen Sprache landläufig als „gezieltes Töten“ bezeichnet?
({0})
Bei Ihrer Frage zitieren Sie Erkenntnisse, die Ihnen in
Ihrer Funktion zugegangen sind, die ich hier nicht kommentieren will.
({0})
Vor allem hat der Herr Staatssekretär das Wort zu einer Antwort.
Herr Präsident, ich bitte darum, darauf hinweisen zu
dürfen, dass die Tatsache, dass in Medien oder anderswo
aus klassifizierten Berichten zitiert wird, die Verantwortungsträger nicht davon befreit, diese Klassifizierungspflichten ernst zu nehmen.
({0})
Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass
über die Vorgänge, die Sie ansprechen und die zur Diskussion stehen, Kollege Trittin - ich habe Sie wegen Ihrer
Aussagen nicht kritisiert, aber belassen wir es dabei -, gegenwärtig bei der Bundesanwaltschaft - dieser Vorgang
wurde ihr von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden
übergeben - eine Vorklärung, ob es hier zu Rechtsverletzungen gekommen ist, stattfindet, um diesen Sachverhalt
nach den Kriterien des Kriegsvölkerrechts, des humanitären Völkerrechts und anderen Fragen des Völkerstrafgesetzbuches, das wir in diesem Parlament verabschiedet
haben, zu klären.
Auch wenn ich mich der Gefahr aussetze, dass Sie
mich einer Nichtantwort bezichtigen, bitte ich Sie, in
diesem Punkt den Blick in der Tatsachenermittlung darauf zu verwenden, dass jeder, der von diesem Parlament
und von der Bundesregierung in Einsätze geschickt
wird, im Sinne der Fürsorgepflicht - davon mache ich
jetzt tatsächlich Gebrauch - das Recht hat, dass mit aller
Behutsamkeit die Dinge, die gegen und für ihn sprechen,
in einer gerichtlichen oder, wie in diesem Fall, staatsanwaltschaftlichen Prüfung erst einmal gesichtet werden.
Ich will darauf hinweisen, dass nach dem humanitären
Völkerrecht der Vorgang der Tötung von Gegnern nicht
per se als rechtswidrig betrachtet wird.
Ich will dies aber ausdrücklich nicht auf diesen Vorgang herunterbrechen; ich will das nur anführen. Ich
finde, wir sollten ein Stück Selbstzurückhaltung üben.
Das hat nichts damit zu tun, die Rechte der Opposition
zu beschneiden. Ich will auch nicht allein auf den Untersuchungsausschuss verweisen. Aber dieser wird sich mit
diesen Fragen intensiv beschäftigen.
Sie können davon ausgehen, Herr Kollege Trittin,
dass die Bundesregierung und ich in aller Ernsthaftigkeit
und Verantwortung die Fragen beantworten werden. Wir
haben selbst ein Interesse daran; denn es muss klar sein,
dass das, was vom Bundesminister zu Guttenberg als
eine Regelverletzung, als ein nicht angemessenes militärisches Verhalten bezeichnet worden ist, aufgeklärt wird,
und es muss klargemacht werden, dass Einsätze der
Bundeswehr im Rahmen der vorgegebenen Regeln stattfinden müssen.
Zweite Nachfrage, Herr Kollege Trittin.
Lieber Herr Kollege Schmidt, da ich Sie schätze,
hatte ich gedacht, Sie hätten verstanden, dass ich nicht
auf ein reales Geschehen abgehoben habe, sondern Sie
lediglich nach der Bewertung gefragt habe, dass ich lediglich gefragt habe, wie Sie einen solchen Vorgang,
wenn er denn so stattfinden würde, beurteilen würden,
und ob dies mit dem Begriff des gezielten Tötens nicht
zutreffend beschrieben ist.
({0})
Da Sie der Antwort auf diese Frage aber, obwohl ich
Sie schätze, ausgewichen sind, will ich ausdrücklich
nachfragen: Wenn das alles so ist, wie es in den Zeitungen
steht, können Sie mir dann eigentlich erklären, auf welcher Grundlage ein Minister - in diesem Fall der amtierende
Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg - zu irgendeinem Zeitpunkt - in seinem Fall am 6. November zu dem Ergebnis kommen kann, dass ein solches Vorgehen militärisch angemessen, ja unausweichlich gewesen
ist?
Herr Kollege Trittin, da ich die Wertschätzung durchaus erwidere,
({0})
überrascht es mich, dass Sie dem Deutschen Bundestag
einen Dialog zwischen Ihnen und mir zumuten wollen,
in dem wir uns mit hypothetischen Fragen auseinandersetzen. Das können wir in bilateralen Gesprächen machen. Die Bundesregierung macht sich grundsätzlich
keine Gedanken über hypothetische Fragen, also über
Fragen, die keinen Realitätsbezug haben.
({1})
Der weitere Punkt führt uns dazu, dass man, wenn
man eine Operation bewertet, die Gesamtschau des Vorgangs sehen muss. Dazu gehört auch, welche Notwendigkeiten in der bewaffneten Auseinandersetzung gegeben sind, zum Beispiel, ob die Frage der Verhinderung
weiterer Kämpfe betroffen ist. Dann muss gezielt, ohne
Vorwarnung gekämpft werden.
Soweit Bewertungen des Bundesministers der Verteidigung in Anspruch genommen werden, weise ich darauf hin, dass ihn die Gesamtschau der ihm in der Zwischenzeit vorliegenden Unterlagen - nicht nur derer,
sondern auch deren Bewertungen - dazu veranlasst hat,
vor dem Deutschen Bundestag das nicht alltägliche Vorgehen zu wählen, zuzugestehen, dass er eine Bewertung
geändert hat. Ich finde, das ist ein Stück hoher demokratischer Tugend.
({2})
Nun hat Kollege Liebich das Wort zu einer Frage.
Herr Staatssekretär Schmidt, als Begründung für die
Tötung in Afghanistan wird die Entwendung von Tanklastern herangezogen. Mich würde interessieren: Ist zwiStefan Liebich
schen der ISAF und den afghanischen Sicherheitsbehörden eigentlich ein Verfahren verabredet worden, wer in
solchen Fällen wie zu handeln hat? Und noch einmal
nachgefragt: Hat die Bundeswehr, ehe sie die Bombardierung befohlen hat, Kontakt zu afghanischen Sicherheitsbehörden aufgenommen?
Herr Kollege, es hat in der Tat einige Wochen vorher
einen Anschlag auf eine ISAF-Einrichtung in Kandahar
gegeben, bei dem ein Tanklastwagen entführt worden
war, der zu einer Selbstmordsprengbombe umgebaut
worden ist, und der - ich bin bereit, die Zahlen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren - zwischen 40
und 60 Todesopfer gefordert hat.
Es ist in der Tat richtig, dass im Juli/August in gewissen Bereichen Afghanistans ein Gefühl erhöhter Anspannung vorhanden war und man zu der Erkenntnis
kam, dass zu den Instrumenten, die für Selbstmordattentate verwendet werden, auch Tanklastfahrzeuge gehören.
Es gab übrigens auch im Zuständigkeitsbereich des
PRT Kunduz - ich meine, es war in diesem Zuständigkeitsbereich - einige Zeit vorher einen entführten, noch
zeitweise gesichteten, dann aber wohl nicht mehr zu ermittelnden Tankwagen. Welche Wirkung Tanklastwagen
- seien sie voll oder halb gefüllt, seien sie auch noch mit
Sprengsätzen ausgestattet - haben können, brauchen wir
beide uns und das Parlament sich insgesamt wohl nicht
auszumalen. Es ist ein Gebot aller daran beteiligten Stellen, in solchen Situationen Vorkehrungen und Vorsorge
zu treffen, damit weder die afghanische Zivilbevölkerung noch eigene Leute Opfer von Terrorangriffen werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die ich hier nur
der Vollständigkeit halber wiederhole.
({0})
- Das Verfahren ist jeweils individuell. Die Absprachen
und Kontakte, die mit den afghanischen Kräften, die sich
zunehmend dahin entwickeln, dass sie sowohl in der Informationsgewinnung als auch in der Gefahrenabwehr
tätig sein können, stattfinden, wären im Einzelfall zu beleuchten.
Ich kann Ihnen zu den konkreten Fragen bezüglich
des 4. Septembers 2009 nur den Hinweis geben, dass
diese im Untersuchungsausschuss geklärt werden müssen, weil die entsprechenden Berichte auch andere betreffen. Wenn sie offen sein sollten, sage ich zu, dass ich
Sie schriftlich informieren werde.
Ich möchte eine geschäftsleitende Zwischenbemerkung machen. Mir liegen noch eine ganze Reihe von
Nachfragen vor. Ich würde diese Liste jetzt gern schließen, um dann zur vierten dringlichen Frage zu kommen.
Einverstanden? - Gut.
Jetzt hat Kollege Nouripour das Wort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, vielleicht kann man angesichts Ihrer offiziösen Einsilbigkeit darauf hinweisen, dass wir gerade im Untersuchungsausschuss waren und dort von den 93 Anträgen
der Opposition 28 durch die Regierungsfraktionen verzögert worden sind. Das geht ganz gewiss nicht mit den
Transparenzansprüchen und den Versprechungen, die
uns der Minister gegeben hat, einher. Das macht einfach
nur schlechte Stimmung. Wir werden diese Anträge im
Januar noch einmal stellen müssen.
Meine Frage - die ursprüngliche Frage bezieht sich ja
auf das Kanzleramt - lautet: Warum ist niemand im
Kanzleramt, nachdem sich die Bundeskanzlerin am 8. September dieses Jahres, also mitten im Wahlkampf, im Plenum dazu geäußert hat und nachdem der COMISAF-Bericht vorgelegen hat, der ja - Sie haben es selbst gesagt auch dem Kanzleramt zugegangen ist, nach der Lektüre
dieses Berichtes, was hoffentlich stattfand, auf die Idee
gekommen, im BMVg anzurufen oder selbst vor die Kameras zu treten und zu sagen: „Wir müssen eine Neubewertung vornehmen. Es gab tatsächlich zivile Opfer. Es
gab Verfahrensfehler. Es gab eine Missachtung der Befehlskette. Es gab keine ausreichende Aufklärung. Es
gab keine ausreichende Sicherung des Vorfallortes“? Sie wissen doch, was in der Öffentlichkeit bekannt ist.
Es gab keinerlei Vorbemerkungen, es gab keinerlei Korrektur aus dem Kanzleramt.
Herr Kollege Nouripour, Sie werden von mir ja nun
nicht verlangen, dass ich bzw. die Bundesregierung Ausschusstätigkeit und Beschlussfassungen im Ausschuss
hier kommentiert. Zwar höre ich das jetzt mit Interesse
von Ihnen; aber das kann, glaube ich, nicht Gegenstand
der Fragestunde sein.
Dem zweiten Teil Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie
hören wollen, wieso zu zivilen Opfern nichts gesagt
worden ist. Ich gehe weiterhin davon aus, dass Unklarheit bestand; denn es gab ja zu der Zeit durchaus Berichte, soweit sie nicht klassifiziert sind, in denen stand,
dass es keine zivilen Opfer gegeben hat. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung am 8. September dieses Jahres erklärt - ich meine, Ähnliches vom
damaligen Bundesaußenminister Steinmeier noch im
Ohr zu haben; er sitzt ja hier, aber ich will ihn jetzt nicht
in Anspruch nehmen -:
Wir trauern um jeden Einzelnen. Jeder unschuldig
Verletzte ist einer zu viel. Wir fühlen mit ihnen und
ihren Angehörigen. Unschuldig verletzte und zu
Tode gekommene Menschen, auch und gerade infolge deutschen Handelns, bedauere ich zutiefst.
Ich glaube, wenn man in die Bewertung dieser Regierungserklärung einsteigt, dürfte es schwerfallen, weiterhin den Eindruck zu haben, dass zumindest die Möglichkeit, dass es auch zivile Opfer gibt, nicht sehr wohl
schon zu diesem Zeitpunkt in das Denken und Handeln
der Bundesregierung mit eingeflossen ist.
Der Nächste ist Kollege Erler.
Herr Staatssekretär, der Kollege Trittin hat in seiner
Nachfrage die Frage aufgeworfen, was wohl das Motiv
von Oberst Klein war, trotz der zweifelnden Nachfragen
aus den Cockpits auf diesem Angriff zu bestehen. Ist
das, was heute vonseiten der dpa gemeldet wurde, eine
mögliche neue Erklärung dafür? Der dpa zufolge ist es in
einer gemeinsamen Untersuchung von KSK und BND
gelungen, einen Dreistufenplan, einen Angriffsplan der
Taliban aufzudecken, in dem es unter anderem darum
ging, mit den Tanklastwagen den ersten Schutzring in
Kunduz zu sprengen. Können Sie uns etwas über den
Wahrheitsgehalt dieser möglichen Erklärung sagen?
Herr Kollege Erler, ich bedanke mich für diese Frage.
Auch ich habe diese Meldung mit Interesse gelesen; mittlerweile wird man ja täglich mit Neuigkeiten überschüttet.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um darauf hinzuweisen, dass manchmal nicht einmal alle Medien die
Möglichkeit nutzen, die Fragestunde zu verfolgen. So
hat mir Kollege Ströbele in der letzten Fragestunde einige Fragen gestellt, deren Inhalt in der folgenden Woche von einem großen Hamburger Organ als neueste
Neuigkeit verbreitet wurde. Daran wird deutlich:
Manchmal ist es gut, die Fragestunde zu verfolgen.
({0})
Die konkreten Meldungen, von denen Sie sprachen,
kann ich nicht bestätigen. Auch das, was zu den Gefährdungen im Zusammenhang mit dem ersten, zweiten und
dritten Ring verbreitet wird, kann ich nicht bestätigen.
Ich kann aber sagen, dass zu dieser Zeit die allgemeine
Sorge um einen organisierten Angriff der Taliban auf
Feldlager einschließlich des Feldlagers Kunduz zugenommen hat und dass die Nutzung eines Tankfahrzeuges
als rollende Bombe tatsächlich Bestandteil der Sicherheitsanalyse war. Inwieweit die einzelnen Sicherheitsinstitutionen, auch die deutschen, der BND und andere,
diese Gefahr aufgeklärt oder bewertet haben, entzieht
sich meiner Kenntnis. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen
dazu schriftlich Auskunft zu geben, sofern so etwas vorhanden ist.
({1})
Eine Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ich muss schon sagen: Es ist ein
großer qualitativer Unterschied, ob ein irgendwie gearteter Missbrauch eines Tanklastwagens geplant war oder
ob es einen Dreistufenplan der Taliban hinsichtlich eines
gezielten Angriffs auf das Feldlager in Kunduz gegeben
hat. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Ihr Haus
eine solche Erkenntnis des KSK nicht kennt. Ich frage
mich wirklich: Wie lange soll es eigentlich noch so weitergehen, dass wir wesentliche Informationen zu all diesen Vorgängen das eine Mal aus der Bild-Zeitung, das
andere Mal aus einer anderen Zeitung oder wie in diesem Fall von der dpa erfahren, und wie lange wollen Sie
die lückenlose Aufklärung und die Information des Parlaments und der Öffentlichkeit, zu der Sie eigentlich verpflichtet sind, noch verweigern? Ich kann das nicht
nachvollziehen.
({0})
Herr Kollege Erler, für die Dreiringtheorie der dpa
habe ich keine Bestätigung gefunden. Ich kann Ihnen
doch nicht sagen: Wenn das in der Zeitung steht, wird es
schon so sein. - Jetzt bitte ich, auch mir einmal Emotionen zuzubilligen. Ich werde hier ständig auf irgendwelche Zeitungsartikel angesprochen.
({0})
Wer ist denn hier im Saal, der sagen kann, er habe noch
nie einen Zeitungsartikel gelesen, der nicht so ganz richtig gewesen ist?
({1})
Sie haben einen Anspruch darauf, dass ich Sie korrekt
informiere. Korrekt informieren heißt für mich, dass ich
kläre: Ist etwas dran oder nicht? Ich habe bisher keinen
Beleg dafür gefunden, dass an diesem Artikel etwas dran
ist.
({2})
- Ich darf darum bitten, dass alle Kolleginnen, die Zwischenrufe machen, vorher zuhören, was ich sage.
({3})
Ich habe dem Kollegen zugesagt, dass ich ihm Informationen gebe, dass ich bisher aber noch keine Evidenz
habe. Sie werden mich nicht dazu bringen, Frau Künast,
dass ich hier im Parlament Unwahrheiten sage.
({4})
Nun hat Kollege Gehrcke das Wort.
Herr Staatssekretär, niemand will Sie dazu bringen,
die Unwahrheit zu sagen. Ganz im Gegenteil: Wir möchten, dass in dieser Sache endlich die Wahrheit gesagt
wird. Deswegen stellen wir bohrende Nachfragen.
({0})
Können Sie verstehen, dass wir Abgeordneten es leid
sind, alles der Zeitung entnehmen zu müssen und immer
zu hören: „Ich weiß es nicht“? In der Presse gibt es mehr
Informationen und stimmige Informationen; Sie haben ja
gebunden alles bestätigt, was hier unter „Geheim“ verhandelt wird.
Ich frage die Bundesregierung, ob Sie sich klar darüber ist, wie tief dieser historische Einschnitt ist. Zum ersten Mal seit 1945 ist von einem deutschen Oberst, von
einem Oberst der Bundeswehr, ein Befehl gegeben worden, durch den mindestens 140 Menschen ums Leben
gebracht worden sind. Das ist moralisch und politisch
ein tiefer Einschnitt. Wenn ich Ihre Antworten höre,
habe ich nicht die Empfindung, dass sich die Bundesregierung darüber klar ist.
({1})
Herr Kollege Gehrcke, meine Antwort lautet wie
folgt: Man muss unterscheiden zwischen dem, was im
konkreten Fall an Ermittlungen erfolgt ist, welche Fehler
passiert sind, und welche Konsequenzen aus den Fehlern
gezogen werden.
Soweit es den konkreten Vorfall und die handelnden
Personen betrifft, habe ich darauf hingewiesen, dass wir
aus guten Gründen der Bewertung und der Betrachtung
durch Generalstaatsanwaltschaft bzw. Bundesanwaltschaft Raum lassen sollten.
Die Bewertung der Bundesregierung, die Bundesminister zu Guttenberg hier im Parlament abgegeben hat,
dass Fehler gemacht worden sind, und zwar schwere
Fehler - schwer im Sinne der Auswirkungen -, ist uns
selbstverständlich Ansporn und Aufgabe, alle die, die im
Einsatz sind, auf den vorgegebenen Rahmen hinzuweisen. Wir müssen aber auch ein Verständnis dessen geben, dass wir hier nicht zu Gericht sitzen, sondern dass
wir daran arbeiten müssen, dass diejenigen, die von diesem Parlament einen Auftrag bekommen haben, diesen
Auftrag korrekt erfüllen.
Man hört von Dienstgraden, die jetzt im Einsatz sind,
Sätze wie: Sollen wir uns zuerst erschießen lassen, bevor
wir reagieren? - Ich weise das zurück, solche Sätze sind
falsch; aber sie geben eine Befindlichkeit wieder, und
hier wurde schon einiges an Befindlichkeiten ausgetauscht. Dieser Satz ist keine regierungsamtliche Stellungnahme, sondern die Meinung eines Unteroffiziers.
Auf diese Fragen müssen wir in Ruhe, vernünftig, motivierend, aber auch verantwortungsbewusst reagieren und
sagen: Nein, aber du musst dich an den Rahmen der
rechtlichen Vorgaben halten. Wir legen großen Wert darauf, dass du, was Ausbildung, Information und Ausrüstung angeht, gut ausgestattet bist. - Das ist das Spannungsfeld, in dem wir diesen Konflikt bzw. Komplex
bewerten.
Kollege Gehrcke, gestatten Sie mir folgende Bemerkung: Bei Ihren Fragen ist mir manchmal nicht ganz
klar, ob Sie damit darauf zielen, den Vorgang zu untersuchen oder den Einsatz insgesamt oder andere Verhaltensweisen zu bewerten. Diese Unklarheiten werden am besten in dem zuständigen Untersuchungsausschuss geklärt
werden. Das ist kein Verweis auf irgendetwas. Wie Sie
wissen, hat der Untersuchungsausschuss Rechte entsprechend den strafprozessualen Regelungen. Wir haben ja
ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Ich denke,
dass die Fragen, mit denen Sie auf den Einzelfall abzielen, dort gut aufgehoben sind.
Die grundsätzliche Position der Bundesregierung zu
Auslandseinsätzen im Allgemeinen und zum Afghanistan-Einsatz im Besonderen kann anhand der Tatsache
bewertet werden, dass wir für die Zukunft zwar keinen
Strategiewechsel, aber eine Strategieanpassung vorbereiten. Die Bundesregierung beabsichtigt - das hat sie bei
der Verlängerung des ISAF-Mandats dargelegt -, auf der
von den Vereinten Nationen auf Anregung des britischen
Premierministers, des französischen Staatspräsidenten
und der Bundeskanzlerin einberufenen Afghanistan-Folgekonferenz am 28. Januar 2010 in London
({0})
und, wie ich vermute, auch auf einer Folgekonferenz in
Kabul zu sondieren, wie der vernetzte Ansatz realisiert
werden kann, durch den Ziviles und Militärisches miteinander verknüpft wird und in dessen Rahmen auch die
Übergabe in Verantwortung eine dringende Notwendigkeit ist. Das heißt, auch die afghanische Seite muss Verpflichtungen eingehen und Zusagen machen, und wir
müssen sie dabei unterstützen. In dieser Hinsicht wollen
wir die Gesamtstrategie anpassen.
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage hat Kollegin
Hänsel.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, zu der Antwort,
die Sie meinem Kollegen Gehrcke gegeben haben,
möchte ich bemerken: Wir gehen nach wie vor davon
aus, dass wir in der Bundesrepublik ein Parlamentsheer
haben. Wenn das Parlament bei entscheidenden Fragen
überhaupt nicht mehr informiert wird, dann ist das eine
Aushöhlung der Rechte des Parlaments. Das macht uns
auch in der Bevölkerung unglaubwürdig. Dort schwindet
der Glaube an diese demokratische Verfasstheit, wenn
das Parlament bei solch zentralen Fragen nicht umfassend informiert wird. Deswegen insistieren wir hier auch
und haken wir so nach.
({0})
Wir machen uns in unseren Wahlkreisen lächerlich,
({1})
wenn wir gefragt werden, ob wir von diesem oder jenem
etwas wussten, und wir immer nur sagen können: Nein,
wir haben überhaupt keine Ahnung. - So sieht es aus.
({2})
Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine Frage?
Ja, ich habe eine ganz konkrete Frage.
({0})
- Sie müssten auch ein Interesse daran haben, dass Ihre
Rechte nicht ausgehöhlt werden. Wenn Sie sich hier entmündigen lassen, dann ist das Ihr Problem.
Frau Kollegin Hänsel, haben Sie eine Nachfrage?
Ja, ich möchte gerne nachfragen. - Sie haben mehrere
Vorfälle mit Tanklastwagen geschildert, die entführt
worden seien und umgebaut würden.
Entschuldigung: sind.
Sie sind umgebaut worden. - Meine Frage lautet: Wie
sah der konkrete Schutz dieser Tanklastwagen aus? War
er angemessen, ausreichend? Ich habe unterschiedliche
Informationen darüber erhalten. Gab es einen ausreichenden militärischen Schutz für diese Tanklastwagen,
und wie sah er konkret aus? Wenn nein, warum nicht?
Frau Kollegin Hänsel, gestatten Sie mir, zum Ersten
zu sagen: Die Bundeswehr ist selbstverständlich ein Parlamentsheer. Das heißt aber nicht, dass jeder Oberst vom
Deutschen Bundestag einen Befehl erhalten kann - um
das einfach einmal auseinanderzuhalten -;
({0})
Sie sitzen auch nicht über jeden Oberst Gericht.
({1})
Wenn Sie sich die politischen Grundlagen und die
konstitutive Verantwortung gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1994 und anderen
Urteilen sowie dem Parlamentsbeteiligungsgesetz anschauen, dann werden Sie erkennen, dass die Bundesregierung jedem dieser Ansprüche zu 100 Prozent Folge
leistet. Durch die Koalitionsvereinbarung haben wir
auch noch den Auftrag erhalten, uns mit einer schnelleren und präziseren Information des Bundestages mittels
eines eigenen Gremiums auseinanderzusetzen. Ich empfehle Ihnen, sich von Ihren Kolleginnen und Kollegen,
die dem Deutschen Bundestag schon länger angehören,
darlegen zu lassen, wie der Informationsstand des Deutschen Bundestages hinsichtlich der Einsätze vor zehn
Jahren ausgesehen hat. Dieser wurde in einer nicht formalisierten Art und Weise vermittelt.
Zweitens kann ich Ihre Frage nicht beantworten, weil
ich nicht weiß, wie viele Tanklastfahrzeuge in Afghanistan unterwegs sind und welches Tanklastfahrzeug Sie wo
gemeint haben. Wenn Sie der Meinung wären, jeder
Tanklaster in Afghanistan werde von einem gepanzerten
Konvoi begleitet, dann kann ich Ihnen sagen, dass das
nicht der Fall ist. Das weiß ich aus sicherer Kenntnis.
Wir kommen zur dringlichen Frage 4 des Kollegen
Uwe Kekeritz:
Treffen Medienberichte ({0}) zu, dass dem Bundesministerium der Verteidigung ein
Brief des früheren Staatssekretärs im Bundesministerium der
Verteidigung, Dr. Peter Wichert, vorliegt, in dem dieser eine
Richtigstellung der Presseberichte über die Umstände seiner
Entlassung fordert, und wie bewertet die Bundesregierung
diese Forderung?
Herr Staatssekretär, es ist die Bitte geäußert worden,
dass Sie die dringlichen Fragen 4 und 5 des Kollegen
Uwe Kekeritz gemeinsam beantworten.
Das mache ich besonders gerne, weil der Kollege
denselben Wahlkreis hat wie ich.
Dann rufe ich auch die dringliche Frage 5 des Kollegen Uwe Kekeritz auf:
Wurde der Bundesminister der Verteidigung, Dr. KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg, am 25. November 2009 vom
Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und vom Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Dr. Peter
Wichert, über das Vorliegen weiterer Berichte zu dem Vorfall
am Kunduz-Fluss am 4. September 2009 informiert ({0})?
Zur ersten Frage. Herr Kollege Kekeritz, ich glaube,
Sie können nachvollziehen, dass die Bundesregierung zu
der Frage, ob ein Brief zu einer persönlichen Angelegenheit einer bestimmten Person im Bundesministerium der
Verteidigung eingegangen ist und welchen Inhalt ein
derartiger Brief gegebenenfalls hat, grundsätzlich keine
Stellungnahme abgibt.
({0})
Bitte noch die Antwort auf die dringliche Frage 5.
({0})
Der Kollege Oppermann meldet sich zur Geschäftsordnung. Ich entnehme dem, dass er dringend von mir
wissen muss, ob ein Brief von Staatssekretär Wichert
vorliegt, auch wenn ich - darüber sind wir uns sicherlich
einig - über den Inhalt nichts sagen darf. Denn es gilt
immer noch das Briefgeheimnis.
Wenn die Notwendigkeit besteht, dann werde ich zusagen, dass ich dem Kollegen Kekeritz die Frage schriftlich beantworte, aber nur bezogen auf die Tatsache und
in keiner Weise - ich erlaube mir, das sehr deutlich zu
sagen - auf den Brief, der von einem Adressaten an den
anderen geht. Das ist nicht ein Gegenstand der Beratungen des Deutschen Bundestages.
Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Kollegen Oppermann.
Frau Präsidentin, der Brief, nach dem eben gefragt
worden ist, betrifft die Umstände der Entlassung von
Staatssekretär Wichert. Der Brief ist offenkundig an den
Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg geschrieben. Wir wollen Auskunft über den Inhalt dieses Briefes.
Ganz offenkundig kann das nur der Bundesverteidigungsminister selbst. Deshalb verlange ich, dass er jetzt
herbeigerufen wird.
({0})
Herr Kollege Altmaier, bitte.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren seit über anderthalb Stunden
sehr ernste und wichtige Fragen. Ich habe mir diese Debatte angehört und muss feststellen, dass Ihre Fragen
von den Vertretern der Bundesregierung mit großem
Ernst und auch nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet worden sind. Ich hätte mir gewünscht, dass
dies zu Zeiten der rot-grünen Koalition auch nur annähernd in dieser Art und Weise geschehen wäre.
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege Oppermann, Sie verkennen den Charakter der Fragestunde. Die Fragestunde ist
dafür da, Fragen an die Regierung zu stellen, aber nicht
an einzelne Personen.
({1})
Die Antwort erfolgt durch einen Vertreter der Bundesregierung.
Es ist in diesem Haus seit vielen Jahren Tradition und
auch akzeptiert, dass der jeweilige Minister sich dabei
durch seinen Staatssekretär vertreten lassen kann. Das
haben auch Sie in Ihrer Amtszeit in aller Regel so gehandhabt.
Sie wissen so gut wie ich, dass der Bundesminister
der Verteidigung in der Aktuellen Stunde, die in wenigen
Minuten beginnen wird, persönlich nicht nur anwesend
sein, sondern auch das Wort ergreifen wird.
Deshalb wird es Sie wohl nicht überraschen, dass wir
Ihren Antrag, der parteipolitisch motiviert und sehr
durchsichtig ist, nicht annehmen können und ihn deswegen ablehnen.
({2})
Herr Kollege Beck, Sie haben das Wort.
Wir unterstützen ausdrücklich den Antrag auf Herbeizitierung des Ministers. Es geht hier um die Frage, auf
welcher Faktenlage der Generalinspekteur Wolfgang
Schneiderhan und der Staatssekretär Peter Wichert entlassen wurden, ob sie Bauernopfer waren und ob wir
auch hier falsch unterrichtet worden sind. Sie haben
deutlich gemacht, dass Sie weder in der Lage noch willens sind, uns hier Rede und Antwort zu stehen. Der Minister muss uns etwas zu seiner Entlassungspraxis sagen,
zumal er seine Entlassungen inhaltlich begründet hat.
Die betroffenen Personen haben auch einen Anspruch,
dass diese inhaltliche Begründung einer öffentlichen
Überprüfung durch das Parlament zugänglich ist.
({0})
Dann lasse ich über den Antrag abstimmen. Wer für
den Antrag des Kollegen Oppermann ist, den bitte ich
um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wir sind uns
hier im Präsidium über die Mehrheitsverhältnisse nicht
einig. Es wird ausgezählt. Ich bitte Sie alle, den Saal zu
verlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten,
den Saal zu verlassen? - Wir werden dann auszählen.
Sind alle Kolleginnen und Kollegen, die abstimmen
dürfen, aus dem Saal? - Das ist der Fall. Sind die Eingangstüren mit den Schriftführern besetzt? - Auch das
ist der Fall. Dann ist die Abstimmung eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten,
Platz zu nehmen?
Ich schließe die Abstimmung und bitte, die Türen zu
schließen. Würde mir bitte ein Schriftführer das Ergebnis mitteilen? - Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag des
Mit Ja haben gestimmt
226, mit Nein haben gestimmt 295.
({0})
Damit ist der Antrag abgelehnt.
({1})
Wir können die restliche Zeit der Fragestunde bis
15.35 Uhr für die Nachfragen zu den dringlichen Fragen 4
und 5 des Kollegen Uwe Kekeritz nutzen. - Herr Kollege, bitte sehr.
({2})
- Darf ich Sie um Aufmerksamkeit bitten?
Auch ich bitte um Aufmerksamkeit. - Es ist so, wie
der Herr Staatssekretär sagt: Wir kennen uns seit 20 Jahren, und es hat, glaube ich, noch kein Treffen gegeben,
bei dem es nicht ein bisschen gefunkt hat. Aber jetzt
habe ich noch gar nichts gesagt, Herr Staatssekretär, und
es wundert mich schon, dass Sie eine solche Reaktion
auslösen. Sie sind bekannt als Weltmeister der Antwortvermeidungsstrategie, und Sie zeigen, dass Sie diesen
Titel zu Recht besitzen. Aber Sie sollten nicht vergessen:
Sie verärgern nicht nur das Parlament, sondern auch die
Öffentlichkeit.
({0})
Ich habe mit vielen Antworten gerechnet, aber nicht mit
der, dass Sie sagen, das seien zwei Privatschreiben, eines
von Herrn zu Guttenberg und eines von Herrn
Dr. Wichert, und das sei eine Privatsache. Nein, das sind
offizielle Dokumente, die von großem Interesse sind.
({1})
Herr Kollege, Sie wollten eine Frage stellen.
({0})
Ja. Jetzt kommt die Frage: Sind Sie sich sicher, Herr
Staatssekretär, dass Ihre juristische Interpretation des
Vorgangs, dass das eine reine Privatsache sei, tatsächlich
so zutrifft? Ich gehe davon aus, dass das nicht der Fall
ist, sondern dass beide Dokumente früher oder später öffentlich werden und Sie dazu Stellung nehmen müssen.
Frau Präsidentin! Ich bedanke mich bei dem Kollegen
für die Bewertungen und das Ausloben von Weltmeistertiteln. Das ist aber nicht Gegenstand der Beratungen hier.
Die Antwort, Herr Kollege, basiert schlicht und einfach
auf der Kenntnis des Grundgesetzes, des Briefgeheimnisses und des Post- und Fernmeldegeheimnisses und
daraus abgeleitet der Verpflichtung der Bundesregierung, ehemaligen oder aktiven Mitarbeitern gegenüber
Vertraulichkeit in persönlichen Dingen zu wahren. Nicht
mehr und nicht weniger habe ich getan. Wenn andere
diese Briefe an die Öffentlichkeit geben, müssen sie das
selbst verantworten. Aber ich bitte um Verständnis, Herr
Kollege Kekeritz, dass ich so handele. Ich würde auch
keine Briefe, die wir beide miteinander austauschen,
dem Deutschen Bundestag zur Kenntnis geben, ohne
dass Sie davon wissen, und auch Sie würden das vermutlich nicht wollen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Nein. Herr Kollege Heil,
bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn Sie schon zum Austausch
von Briefen mit Verweis auf das Post- und Fernmeldegeheimnis nicht Stellung nehmen wollen, frage ich Sie,
wie Sie die Berichterstattungen - zum Beispiel heute auf
Spiegel Online - über unterschiedliche Darstellungen
des Verlaufs des Gesprächs zwischen dem Herrn Staatssekretär und dem Generalinspekteur auf der einen Seite
und dem Verteidigungsminister Herrn zu Guttenberg auf
der anderen Seite über die im Raum stehende Frage bewerten. Es gibt zwei unterschiedliche Versionen. Wir
wollen von Ihnen heute wissen, was an diesem Tage abgelaufen ist. Ich stelle in diesem Zusammenhang die
konkrete Frage: Warum musste aus Sicht der Bundesregierung der Generalinspekteur eigentlich zurücktreten?
Herr Kollege Heil, ich habe den Bericht auf Spiegel
Online nicht gelesen.
({0})
- Auch wenn es in der Welt steht, muss ich sagen: Es ist
wohl nicht das erste Gespräch, bei dem es unterschiedliche Versionen gibt. Der Bundesminister zu Guttenberg
hat über dieses Gespräch, die Gespräche berichtet. Dem
habe ich nichts hinzuzufügen.
Auch wenn Sie mich möglicherweise auf meine
Rechthaberei - mit Betonung auf „Recht“ - ansprechen,
möchte ich Sie höchst vorsorglich an Folgendes erinnern: Nach § 50 Soldatengesetz und § 54 Bundesbeamtengesetz können Berufsoffiziere ab Brigadegeneral aufwärts und sogenannte politische Beamte jederzeit vom
Bundespräsidenten entlassen werden. Es bedarf dazu
nicht der Angabe eines Grundes.
({1})
Das ist nicht konstitutiv.
({2})
Herr Kollege Heil, Ihre Nachfrage bitte.
Entschuldigung, Frau Präsidentin. Herr Trittin hat erregt dazwischengerufen. Ich habe nur gesagt, dass ich
auf die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung hinweise. Sie wollen jetzt wissen, welche Version
zutrifft. Ich habe ganz klar geantwortet. Ich bitte darum,
dass das angenommen wird und keine sinnlosen Nachfragen gestellt werden. Diese Bewertung mache ich mir
zu eigen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas
Ruhe. Wir sind bei der Beantwortung der dringlichen
Fragen 4 und 5. Deshalb hat Herr Kollege Heil die Möglichkeit, eine zusätzliche Frage zu stellen. Mir liegen
noch einige weitere Wünsche nach Fragen vor. Ich weise
allerdings darauf hin, dass ich um 15.40 Uhr den Bereich
der Fragestunde schließe und wir mit der Aktuellen
Stunde beginnen.
Herr Kollege Heil, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, als Parlamentarischer Staatssekretär sind Sie ein Abgeordnetenkollege. Deshalb
weise ich mit Entschiedenheit die Qualifizierung meiner
Frage als unsinnig zurück. Es ist eine Frage, die die
deutsche Öffentlichkeit bewegt.
Ich frage Sie in diesem Zusammenhang nochmals. Sie
haben eben gesagt, man müsse nach Bundesbeamtengesetz und Soldatengesetz bei diesen Diensträngen keine
Gründe für eine Entlassung nennen. Das ist richtig. Nun
hat aber der Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg
Gründe für die Entlassung des beamteten Staatssekretärs
und des sehr geachteten Generalinspekteurs genannt.
Weil sich heute der Generalinspekteur auf bestimmte
Äußerungen des Verteidigungsministers bezieht und sie
als ehrenrührig bezeichnet, frage ich Sie: Was sind aus
Ihrer Sicht die politischen Gründe für die Entlassung des
Generalinspekteurs der Bundeswehr, und was ist an jenem Tag in welcher Reihenfolge in den Gesprächen abgelaufen? Dafür sind Sie Rechenschaft schuldig. Bitte
schieben Sie es nicht auf den Geheimdienst oder auf den
Untersuchungsausschuss. Die deutsche Öffentlichkeit
hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie mit einem verdienten Generalinspekteur umgegangen wurde.
({0})
Herr Kollege, ich möchte zunächst deutlich sagen:
Meine bewertende Bemerkung bezog sich auf den Zwischenruf des Kollegen Trittin. Ich wollte ihm damit sagen, dass ich die Frage schon beantwortet habe.
({0})
- Jetzt beruhigen Sie sich mal. - Herr Kollege Heil, ich
habe Ihre Frage im Hinblick auf die zwei Versionen und
die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung beantwortet. Soweit ich weiß, hat der von mir genauso geschätzte Generalinspekteur von sich aus einen
Brief geschrieben, in dem er um die dann eingetretene
Folge, um die Verabschiedung, gebeten hat.
Das ist bei Staatssekretär Wichert nicht der Fall gewesen. Ich will übrigens auf Folgendes hinweisen: Dies ist
die zweite Versetzung von Staatssekretär Wichert in den
einstweiligen Ruhestand. Die erste war unter Bundesminister Scharping gewesen.
({1})
Da ich bei diesem Gespräch nicht dabei gewesen
bin - ({2})
- Besteht weiteres Interesse? Ich bitte um Entschuldigung; ich bin etwas gestört worden, Herr Kollege Heil.
({3})
Ich denke, dass sich das in die Formulierung eines
nicht mehr vorhandenen Vertrauens kleidet. Vertrauen ist
etwas, was wächst, was besteht und durch die eine oder
andere Ungereimtheit schwinden kann. Es wurde ja darauf hingewiesen, dass sich der Bundesminister nicht
ausreichend beraten gefühlt hat und feststellen musste,
dass die eine oder andere Information nicht an ihn gegeben worden war. Er muss natürlich Vertrauen in seine
Führungskräfte haben. Er hat dies nicht mehr als gegeben gesehen und hat daher die Folgen des Bundesbeamtengesetzes gezogen und um die entsprechende Entlassung durch den Bundespräsidenten gebeten.
Frau Kollegin Kerstin Müller, bitte.
Minister Guttenberg hat nach meiner Wahrnehmung
gesagt, er habe die Entlassung vorgenommen, weil ihm
bestimmte Berichte nicht vorgelegen hätten. Herr
Schneiderhan sagt dazu - da Ihnen dies nicht vorliegt,
werde ich Zeit Online zitieren -:
Kerstin Müller ({0})
Schneiderhan beklagte sich außerdem über Aussagen des Verteidigungsministers in Interviews, wonach ihm, Guttenberg, wichtige Akten vorenthalten
und Berichte unterschlagen worden seien.
- Zitat „Das finde ich inzwischen ehrenrührig“, sagte
Schneiderhan. „Unterschlagen hat für mich den Geschmack des Vorsatzes, und es gab hier keinen Vorsatz“ …
Der Minister formuliere vorschnell.
Meine Frage lautet: Wie erklären Sie es sich, dass klar
gesagt wurde, ihm hätten bestimmte Berichte nicht vorgelegen und dies sei der Grund für die Entlassung gewesen, während Herr Schneiderhan, dem wir alle - Sie und
auch wir - jahrelang vertraut haben, behauptet, diese Begründung entspreche nicht der Wahrheit? Wie erklären
Sie sich diesen Widerspruch? Ich finde, dass Personen
wie Generalinspekteur Schneiderhan und Herr Wichert
ein Recht darauf haben, dass die Umstände ihrer Entlassung, wenn sie denn nun einmal öffentlich begründet
werden, aufgeklärt werden und der Wahrheit entsprechen.
({1})
Wenn wir von dem Zitat bei Zeit Online ausgehen,
dann hören wir, soweit ich dies kenne, zum ersten Mal,
dass der Generalinspekteur unterschiedlicher Meinung
mit dem Bundesminister hinsichtlich der Frage - es ist
mir unangenehm, dies mit Bezug auf seine Person zu sagen - von Vorsatz und Fahrlässigkeit, aber nicht hinsichtlich des Tatbestandes ist.
({0})
Wenn Sie dem Plenum im Rahmen der Amtshilfe
noch den nächsten Satz, wenn ich darum bitten dürfte,
zur Kenntnis geben könnten. Ich habe ihn nicht vorliegen.
Den nächsten Satz? Welches ist jetzt der nächste
Satz? Also, Zitat:
„Unterschlagen hat für mich den Geschmack des
Vorsatzes, und es gab hier keinen Vorsatz“, sagte
der entlassene General. „Dass er vorschnell formuliert, ist bekannt“, sagte Schneiderhan über den Minister.
- Wieder Zitat „Aber das hier ist schon eine Steigerungsstufe.“ Der
Begriff Vorsatz sei „nicht nur unschön, das ist unwahr“.
Weiter.
Das war der letzte Satz. Das Zitat geht nicht weiter.
Es geht darum, dass der Bundesminister sich dahin
gehend geäußert hat - ich versuche, ganz vorsichtig zu
formulieren; ich habe nichts vorliegen und sage es nur
aus dem Gedächtnis -, dass nicht alle Berichte - das ist
ein Thema von großer Intensität, wie wir in den letzten
eineinhalb Stunden in diesem Haus erlebt haben - zu seiner Kenntnis gelangt sind. Ich formuliere: „gelangt
sind“. Die Frage, die jetzt diskutiert wird, begründet
dann nicht die Frage des fehlenden oder bestehenden
Vertrauens. Vertrauen ist keine Frage von Schuldhaftigkeit. Ich stehe nicht an, zu sagen, dass wir für die vielen
Beratungen, die wir in verschiedenen Funktionen, sei es
in Opposition oder Regierung, geführt haben, durchaus
viele gute Ratschläge von Generalinspekteur Schneiderhan
erhalten haben.
Herr Dr. Mützenich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
wir alle haben vor anderthalb Wochen im Deutschen
Bundestag, damit auch vor der Öffentlichkeit, vom Bundesverteidigungsminister zur Kenntnis bekommen, warum er sich von zwei verdienten Beamten im Haus getrennt hat, die bei ihrer Amtsführung militärische
Expertise und vieles andere eingebracht haben. Sind Sie
nicht der Meinung, dass es der Öffentlichkeit hier im
Deutschen Bundestag zur Kenntnis gegeben werden
muss - entweder in der Fragestunde oder nachher, wenn
sich der Bundesverteidigungsminister in der Aktuellen
Stunden zu Wort meldet -, dass sich einer dieser Beamten in einem Schreiben wehrt?
Kollege Mützenich, weil ich, wie ich sagen musste,
die Quelle der Zitierung nicht vorliegen habe und die
Bezüglichkeit nicht kenne, wäre es, glaube ich, zumindest fahrlässig oder unangemessen von mir, zu diesen
Fragen weitere Ausführungen zu machen. Ich beziehe
mich auf das, was der Bundesminister der Verteidigung
zu diesen Punkten gesagt hat, und auf die Äußerungen
des Generalinspekteurs Schneiderhan, die wir im Zeitraum der Entscheidung zur Kenntnis genommen haben.
Weitere Äußerungen wird die Bundesregierung jetzt
nicht bewerten.
Herr Dr. Mützenich.
Herr Staatssekretär, könnten Sie, wenn Ihnen die
Zitate aus dem Bericht von Zeit Online, aus dem die
Kollegin Müller vorgelesen hat, nicht vorliegen, uns we-
nigstens zur Kenntnis geben, was den ehemaligen
Staatssekretär Dr. Wichert veranlasst hat, diesen Brief an
den Bundesverteidigungsminister zu richten? Welche
Argumente hat er dem Verteidigungsminister vorgetra-
gen? Wieso fühlt er sich falsch behandelt?
Zu dieser Frage haben wir eine Diskussion geführt.
Ich habe dazu Qualifikationen des Kollegen Kekeritz er-
halten; auch Herr Oppermann hat sich geäußert. Ich habe
dem nichts hinzuzufügen.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir zeit-
lich am Ende der Fragestunde angelangt. Die nicht auf-
gerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet.1) Herr
Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der
Fragen.
({0})
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP
Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff
für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben die Aktuelle Stunde beantragt, weil die Bevölkerung
erfahren muss, mit welchem Täuschungsmanöver die
Opposition versucht, sich aus ihrer Mitverantwortung
für den Afghanistan-Einsatz fortzustehlen.
({0})
Der größte Teil der Opposition hat erst vor 14 Tagen der
Verlängerung des ISAF-Mandats zugestimmt. Was aber
hat sich in den letzten 14 Tagen geändert, dass Herr
Gabriel jetzt auf einmal davon spricht, möglicherweise
sei ein „Strategiewechsel am Parlament vorbei“ eingelei-
1) Die Fragen 30, 76, 78, 93, 98 und 109 wurden zurückgezogen.
tet worden, der darauf ziele, „die Bundeswehr zu einer
Interventionsarmee“ zu machen?
Was sind die Fakten? Das Mandat besagt, dass die
Bundeswehr - ich zitiere - autorisiert ist,
… alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich
der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen,
um das Mandat …
- gemäß der gültigen VN-Sicherheitsratsresolution durchzusetzen.
Herr Steinmeier, „durchzusetzen“ - so ist es unter Ihrer
Federführung formuliert worden.
Was soll laut VN-Resolution durchgesetzt werden?
Da heißt es wörtlich:
Der Sicherheitsrat unterstützt die Anstrengungen,
die ISAF unternimmt, um gegen die von den Taliban ausgehende Bedrohung anzugehen.
Was anderes heißt das, als dass die Bundeswehr in einem Kampfeinsatz Aufständische bekämpfen und ausschalten soll, die die Tanklastwagen gekapert haben und
damit deutsche Soldaten und die afghanische Zivilbevölkerung bedrohen. Was ist daran eine Interventionsarmee?
Genau diesem Mandat entspricht die Taschenkarte der
Bundeswehr, wenn es zum Stichwort „Verhinderung und
Abwehr von Angriffen“ heißt - ich zitiere -:
Angriffe können zum Beispiel dadurch verhindert
werden, dass gegen Personen vorgegangen wird,
die Angriffe planen, vorbereiten, unterstützen oder
ein sonstiges feindliches Verhalten zeigen.
Das war bekanntlich der Fall.
Über diese Möglichkeit, in einem Kampfeinsatz gegen als feindlich erkannte Kräfte präventiv vorzugehen
und diese auch zu töten, wurde der Verteidigungsausschuss im Juli informiert. Die Öffentlichkeit hat es in
den Tageszeitungen vom 28. Juli zum Teil wörtlich erfahren. Gegen diese Taschenkarte hat weder die SPD
Widerspruch eingelegt - im Gegenteil - noch die Grünen. Wo ist da der Strategiewechsel am Parlament vorbei? Dass sich der Einsatz am Kunduz-Fluss nicht nur
gegen die Tanklastwagen, sondern auch gegen die Taliban richtete, darüber sind die Oppositionsfraktionen am
6. November unterrichtet worden.
Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Das
Vorgehen am Kunduz-Fluss war letztlich nicht angemessen, weil es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprach. Auch das war Ihnen durch die Erklärung von
Minister zu Guttenberg bekannt, bevor Sie dem ISAFEinsatz vor 14 Tagen zugestimmt haben.
Also, Herr Gabriel, niemand ist getäuscht worden, es
gab keinen Strategiewechsel am Parlament vorbei und
auch keinen Ausbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee. Aber darum geht es Ihnen ja nicht. Nein, Sie
wollen mit Blick auf die Landtagswahlen in NordrheinWestfalen so schnell wie möglich die Verantwortung für
den Bundeswehreinsatz loswerden.
({1})
Sie haben sich vor 14 Tagen noch nicht getraut, sich
aus Ihrer Verantwortung zu stehlen, weil das Mandat und
die dazugehörigen Regelungen unverändert verlängert
wurden. Jetzt suchen Sie nach Vorwänden, die Bundesregierung zu diskreditieren, um am Ende sagen zu können: So nicht! In Wirklichkeit aber diskreditieren Sie die
Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten,
({2})
die täglich, wie wir gehört haben, auch heute wieder, ihr
Leben für die Sicherheit unseres Landes riskieren.
({3})
Wenn es dafür noch eines Beweises bedurfte hätte,
dann ist es die unsägliche Äußerung von Ihnen, Herr
Arnold, am Montag in der Berliner Zeitung. Auf die
Frage, ob der Bundestag den Afghanistan-Einsatz beenden sollte, haben Sie, Herr Arnold, gesagt - ich zitiere -:
Hätten wir den Eindruck, die Truppe … stellt sich
gegen die Politik, dann hätten wir eine andere Situation. Dafür habe ich keine harten Indizien.
Aber vage Indizien deuten Sie unterschwellig an. Wenn
Sie welche haben, Herr Arnold, dann müssen Sie sie
heute auf den Tisch legen. Wenn nicht, dann nehmen Sie
die ungeheuerliche Diffamierung unserer Soldatinnen
und Soldaten zurück.
({4})
Was Sie hier tun, ist nichts anderes, als mit abwegigen
Äußerungen Misstrauen gegen unsere Soldaten zu schüren.
({5})
Das alles zeigt: Sie wollen nicht aufklären. Nein, Ihnen ist jedes Mittel recht, um sich aus dem Mandat fortzustehlen. Das haben unsere Soldaten nicht verdient.
Das schadet der Sicherheit unseres Landes.
({6})
Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege
Dr. Frank-Walter Steinmeier.
({0})
Meine Damen und Herren! Lieber Herr
Schockenhoff, wenn das der Versuch war, den Verteidigungsminister zu verteidigen, dann ist er gründlich
schiefgegangen.
({0})
Ich kann in dieser Situation ja verstehen, dass die Versuchung groß ist, jetzt Nebelkerzen zu zünden. Sie wollen am liebsten über Auslandseinsätze im Allgemeinen
und über die Afghanistan-Strategie im Besonderen reden. Aber, Herr Schockenhoff, um all das geht es jedenfalls heute nicht. Es geht um eine ganz einfache Frage
- sie lässt sich sogar mit Ja oder Nein beantworten -:
Hat der Verteidigungsminister hier im Parlament die
Wahrheit gesagt oder nicht? Darum geht es. Die Antwort
auf diese Frage, Herr Verteidigungsminister, werden wir
Ihnen nicht erlassen können.
({1})
Damit sind wir beim Kern. Herr Minister, Sie haben
hier und auch öffentlich den Eindruck erweckt, der
Staatssekretär und der Generalinspekteur hätten Sie hinsichtlich des Vorfalls bei Ihrer Amtsübernahme getäuscht.
Das hat mich am Anfang irritiert. Aber spätestens nach
der Berichterstattung vom vergangenen Wochenende
finde ich, dass einige Fragen mit hoher Dringlichkeit auf
dem Tisch liegen: Haben Herr Schneiderhan und Herr
Wichert Ihnen Dokumente vorenthalten, die - und nur
die - zu einer anderen Bewertung des Einsatzes am Kunduz-Fluss geführt haben? Haben die beiden Sie wirklich
bewusst falsch informiert? Oder - das ist die andere Alternative -: Haben Sie am 6. November bereits über notwendige Informationen verfügt? Haben Sie möglicherweise damals den Einsatz aus ganz anderen Motiven für
angemessen und für notwendig erklärt?
Noch eine andere Sache: Obwohl doch - so habe ich
es jedenfalls gehört - für keinen Verteidigungspolitiker
in der Zeit nach dem 6. November völlig neue Fakten
hinzugekommen sind: Wie erklärt sich Ihr Sinneswandel
nach der Berichterstattung in der Bild-Zeitung und nach
Ihrem Auftritt hier am 3. Dezember? Statt auch nur eine
dieser Fragen konkret zu beantworten, gibt es seit Tagen
nur einen großen Wortbrei. Illner, Jauch, Beckmann keine Talkshow ist im Augenblick vor Herrn zu
Guttenberg sicher.
({2})
Aber das Ergebnis bis heute ist: Mit jedem Tag, mit jedem Auftritt wird die Liste der offenen Fragen, der Widersprüche, der Ausflüchte und der Ablenkungsversuche
länger.
({3})
Mein Rat: Nehmen Sie das, was Zeit Online heute
Morgen schreibt, nicht so leicht:
Schneiderhan bezichtigt Guttenberg der Lüge.
Wichert und Schneiderhan widersprechen, wenn ich das
richtig sehe, nachdrücklich, dass sie Sie bewusst getäuscht haben, und bestreiten damit im Kern die behaupteten Entlassungsgründe. Das ist doch nicht irgendetwas:
auf der einen Seite ein erfahrener Staatssekretär, den Sie
zum zweiten Mal in die Verantwortung geholt haben,
({4})
auf der anderen Seite ein Generalinspekteur mit viel Erfahrung und hohem Ansehen im Inland und im Ausland.
Deshalb sage ich: Wenn diese beiden, so wie ich gehört
habe, Ihnen geschrieben haben sollen, dass die Gründe,
die Sie für die Entlassung angegeben haben, falsch sind,
dann kann ich Ihnen nur sagen: Holen Sie sich das Einverständnis der beiden und machen Sie diese Briefe öffentlich! Das Parlament und die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was geschehen ist.
({5})
Ich jedenfalls habe inzwischen nachdrückliche Zweifel,
dass es vorsätzlich vorenthaltene Informationen sind, die
Sie am 3. Dezember zu einem Sinneswandel geführt haben. Ich beziehe mich auf Sie selbst. Sie selbst haben am
6. November davon gesprochen, dass Sie den COMISAFBericht studiert haben. Sie selbst haben in der Pressekonferenz erwähnt, dass Sie den Bericht des Roten
Kreuzes gesehen haben. Sie wussten also am 6. November, dass es Fehler gegeben hat, dass es zivile Opfer gegeben hat. Trotzdem und unbeeindruckt davon haben Sie
sich öffentlich zur Notwendigkeit und zur Angemessenheit des Einsatzes bekannt.
Schlimm ist, wie ich finde: Drei Wochen lang haben
Sie sich dafür öffentliches Lob abgeholt. Dann drehte
sich die Berichterstattung, und Sie drehten sich mit. Weil
das kein Mensch erklären konnte, auch Sie nicht, mussten der Feldjägerbericht und zwei Personen, die jetzt im
Ruhestand sind, dafür herhalten. Wir alle wissen, dass in
diesem Feldjägerbericht nichts Neues und insbesondere
nichts anderes enthalten ist. Das haben Sie indirekt unserem Vorsitzenden, Sigmar Gabriel, vorgeworfen, als Sie
ihm gesagt haben, Anfang November sei schon alles bekannt gewesen, in der Geheimschutzstelle einsehbar gewesen. Aber wenn uns das alles bekannt gewesen sein
soll, dann doch offensichtlich auch Ihnen vor dem
3. Dezember.
({6})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ja. - Sie können diesen Sinneswandel nicht erklären.
Sie sagen es nicht.
Meine Vermutung will ich Ihnen gerne mitteilen: Sie
sind am 6. November, um der Truppe zu gefallen, über
die kritischen Stimmen in diesem Bericht hinweggegangen, und als der Wind Ihnen ins Gesicht blies, haben Sie
forsch das Gegenteil vertreten. Herr Minister, das ist
Schneidigkeit, aber Schneidigkeit ist keine politische
Haltung, und sie ersetzt auch nicht politische Verantwortung.
Wir stehen zu unserer Verantwortung, wir stehen zu
der Bundeswehr, aber wir wollen vor allen Dingen
Wahrheit.
({0})
- Sie irritieren die Bundeswehr im Augenblick! Sie irritieren sie!
({1})
Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal auf die Redezeit hinweisen.
Wir wollen vor allen Dingen die Wahrheit. Ihre Aussage steht gegen die Aussagen von zwei Personen; das
ist nicht ohne Belang, meine Damen und Herren!
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen und
dem Soldaten, der heute durch einen Bauchschuss
schwer verwundet wurde und die erste Operation überstanden hat, dem aber weitere Behandlungen bevorstehen, von dieser Stelle aus, ich denke, in unser aller Namen, beste Genesungswünsche ausdrücken, damit sehr
deutlich wird, dass wir an der Seite unserer Soldatinnen
und Soldaten in diesem Einsatz stehen.
({0})
Wir haben ebenfalls heute das schärfste Instrument,
das dem Deutschen Bundestag zur Verfügung steht, genutzt und einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der
all die Fragen, die in den vergangenen Tagen mit Vehemenz über unsere Bürgerinnen und Bürger hinweggefegt
sind, aufklären soll. Ich kann nur schwer nachvollziehen,
dass wir diesem unserem eigenen Instrument in der Art
und Weise, wie wir es hier heute erlebt haben, vorgreifen.
({1})
Die FDP-Bundestagsfraktion hat an vielen Stellen ihren Willen zur umfassenden und zeitnahen Aufklärung
dargelegt. An den heute gemachten Ausführungen der
Kolleginnen und Kollegen der Opposition können wir
unterschiedliche Motivlagen erkennen: Die einen möchten
wissen, ob die Bundeswehr gezielte Tötungen durchführen kann. Die anderen möchten wissen, ob der ehemalige
Generalinspekteur und der beamtete Staatssekretär
Dr. Wichert zu Recht entlassen worden sind. Andere
Kollegen möchten gerne den gesamten Afghanistan-Ein838
satz infrage stellen. Warum können wir als diejenigen,
die vor wenigen Tagen diesen Einsatz erneut mandatiert
haben, nicht abwarten, bis all diese Fragen in unserem
Untersuchungsausschuss geklärt werden?
({2})
Wir haben heute sehr oft gehört, dass wir an der Seite
unserer Soldatinnen und Soldaten stehen. Ich habe mich
in den letzten Tagen häufig gefragt - liebe Kollegen, das
ist eine sehr persönliche Meinung -, wie sich unsere Soldatinnen und Soldaten in Kunduz und deren Familienangehörige angesichts der Debatte, die wir hier führen,
fühlen.
({3})
- Nein, das ist nicht unglaublich; denn in dem Moment,
in dem ich als Mitglied des Deutschen Bundestages diesen Einsatz mandatiere - ({4})
Darf ich um etwas Ruhe und Aufmerksamkeit für die
Rednerin bitten?
Verehrter Herr Trittin, ich glaube, dass ich hinreichend zum Ausdruck gebracht habe, dass dies meine
persönliche Meinung dazu ist.
({0})
Ich bin der Auffassung, dass ich, wenn ich als Parlamentarierin dieses Mandat erteile, auch eine Verantwortung
gegenüber den Soldatinnen und Soldaten und gegenüber
ihren Familien habe.
({1})
Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben
wir heute unseren Untersuchungsausschuss, der einen
klaren Untersuchungsgegenstand hat, eingesetzt.
Da hier an verschiedenen Stellen die Informationspolitik bemängelt wird, muss ich auch einmal fragen: Wie
laufen denn die Informationsstränge in den Fraktionen?
({2})
Denn die Obleute werden in vielen Punkten umfassend
informiert.
({3})
Heute ist der Eindruck erweckt worden, als ob dies allein
Sache der Bundesregierung wäre, die vernebelt und
keine Informationen geben will. Der Minister hat hier im
Plenum ausdrücklich gesagt, dass er das durchführen
wird.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich hoffe, dass der
erkennbare Wille aller, den Sachverhalt aufzuklären,
({4})
dazu führen wird, dass wir im Untersuchungsausschuss
gemeinsam, ernsthaft und mit aller gebotenen Rücksichtnahme auf die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
und auf das Ansehen der Bundeswehr dieser Aufgabe
Folge leisten werden.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Jan van Aken für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! In Kunduz ging es nie um die Tanklaster. Es
ging darum, Menschen zu töten. Ich zitiere hier jetzt nur
aus öffentlichen Quellen. Ich habe keinen Grund, an deren Seriosität zu zweifeln. Kurz vor dem Bombenabwurf
fragten die beiden amerikanischen Piloten fast schon
verzweifelt: Worum geht es denn jetzt? Geht es um die
Tanklaster oder um die Menschen? Darauf gab es eine
ganz klare Antwort aus dem deutschen Lager - ich zitiere wörtlich -: Wir wollen die Menschen töten. - Kein
Wort von den Tanklastern, und ein paar Minuten später
waren über Hundert Menschen tot.
({0})
Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keinen einzigen Angriff mit deutscher Beteiligung, bei dem so viele Menschen getötet worden sind.
({1})
„Vernichten“, das ist das Wort, das Oberst Klein dafür
benutzt hat. Bis heute wissen wir immer noch nicht, wie
viele unschuldige Zivilisten dabei zu Tode gekommen
sind.
({2})
Auf jeden Fall waren es sehr, sehr viele.
({3})
Dann setzt sich Herr zu Guttenberg ins deutsche Fernsehen und sagt: Wir brauchen eine „notwendige Anpassung an die Realitäten“. Sie haben hier gar nichts anzupassen. Herr zu Guttenberg, Sie haben keine Lizenz zum
Töten.
({4})
Gezielte Tötung ist nichts anderes als eine Todesstrafe
ohne Gerichtsurteil und ohne Gerichtsverfahren. Das
dürfen Sie nicht.
({5})
Das Einzige, was Herr zu Guttenberg hat, ist ein Mandat
des Deutschen Bundestages. Dieser Bundestag hat Ihnen
niemals die Erlaubnis zum gezielten Töten gegeben.
({6})
Um es deutlich zu sagen: Das vom Bundestag erteilte
Mandat umfasst nicht das Recht, Zielpersonen unter Anwendung tödlicher Gewalt wegen einer nur vermuteten
Gefahr gezielt zu liquidieren.
({7})
Wenn Sie in den Reihen der CDU/CSU jetzt dagegen
protestieren, dann sage ich Ihnen: Sie sind doch völlig
kriegsblind. Das, was ich eben hier vorgelesen habe,
kommt aus Ihren eigenen Reihen. Der Staatssekretär im
Verteidigungsministerium hat dies vor wenigen Monaten
im Bundestag gesagt. Ich wiederhole:
Das … Mandat umfasst nicht das Recht, Zielpersonen … gezielt zu liquidieren, …
Das sagte der Staatssekretär im Verteidigungsministerium hier am 11. Februar dieses Jahres. Das heißt, der
Bombenangriff in Kunduz war illegal und durch kein
Mandat und durch kein Gesetz gedeckt. So weit sind wir
jetzt gekommen.
({8})
Sie von der CDU/CSU, Sie von der FDP, aber auch
Sie von der SPD und den Grünen haben Deutschland in
einen Krieg getrieben, über den Sie nie die Wahrheit gesagt haben.
({9})
Sie haben immer von Aufbau geredet und meinten den
Krieg. Sie reden von Brunnenbau und verschweigen die
Leichen. Sie alle haben gelogen, und Sie wissen ganz genau, warum. Denn die ganz große Mehrheit in Deutschland lehnt diesen Krieg ab.
({10})
Selbst vor zwei Wochen, vor dem Desaster, das Sie jetzt
hier angerichtet haben, haben sich gerade einmal
27 Prozent der Deutschen für den Krieg in Afghanistan
ausgesprochen, und das trotz all Ihrer Lügen, all Ihrer
Aufbau- und Schutztruppenrhetorik; da war von Vernichten noch gar nicht die Rede. Wir wollen keinen
Krieg, wir wollen keine Leichen, und wir wollen nicht
die tagtägliche Zerstörung, die dieser Krieg in Afghanistan anrichtet.
({11})
Es geht jetzt um zwei Dinge:
Erstens. Heben Sie sofort das Mandat für den Afghanistan-Krieg auf,
({12})
das der Bundestag vor zwei Wochen beschlossen hat;
denn noch vor zwei Wochen hat niemand etwas von Vernichtung gesagt. Das ganze Mandat ist doch unter völlig
falschen Voraussetzungen zustande gekommen.
({13})
Deswegen sagen wir: Das Mandat muss weg, und der
Krieg muss jetzt aufhören.
({14})
Zweitens muss Frau Merkel endlich erklären, wer
wann die Erlaubnis oder sogar den Befehl zum gezielten
Töten gegeben hat. Ich bitte Sie: Kein Mensch glaubt
doch im Ernst, dass ein deutscher Offizier ohne Absicherung nach oben Regeln verletzt, Amerikaner belügt und
eigenmächtig handelt, was dazu führt, dass über 100 tote
Menschen auf der Strecke bleiben.
({15})
Irgendwer hier in Berlin hat diese Entscheidung irgendwann getroffen. Alle, die an dieser Entscheidung beteiligt waren, müssen ihren Hut nehmen. Es kann doch
nicht sein, dass jemand in Deutschland die illegale Tötung beschließt und danach weiterregiert.
({16})
Dazu muss sich Frau Merkel jetzt erklären.
({17})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte. Gestern konnten
wir lesen: Über 8 Milliarden Euro hat Deutschland im
letzten Jahr am Export von Kriegsgerät verdient. Ich
finde, das sind 8 Milliarden Euro zu viel.
Ich danke Ihnen.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Schockenhoff, ich hätte mir von Ihnen gewünscht, dass Sie an dieser Stelle wenigstens eingestehen, dass in der Regierungserklärung am 8. September
dieses Jahres von der Frau Bundeskanzlerin und in der
anschließenden Debatte vom damals amtierenden Verteidigungsminister nicht die ganze Wahrheit gesagt wurde.
Sie haben darauf hingewiesen, die Fraktionen seien unterrichtet worden, dass es auch um die Tötung von Taliban gegangen sei. Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie das
Protokoll der Regierungserklärung. Sie werden feststellen: Die Darstellung, die in diesem Hause abgegeben
worden ist, lautete: Wir mussten die Tanklastzüge bombardieren, um eine unmittelbare Gefahr für die Soldaten
im Lager Kunduz abzuwehren. - Meine Damen und
Herren, das war zumindest nicht die ganze Wahrheit.
({0})
Die ganze Wahrheit findet sich im Bericht von Oberst
Klein. Dort heißt es: Es ging darum, an dieser Stelle Taliban zu vernichten. - Ich sage Ihnen, dass dies mit dem
Mandat, das der Deutsche Bundestag erteilt hat, nicht zu
vereinbaren ist.
({1})
Die NATO - nicht Jürgen Trittin, sondern die NATO stellt fest: Es sind essenzielle Regeln verletzt worden.
Herr Klein hätte keine Luftunterstützung anfordern dürfen, da dies Troops in Contact vorausgesetzt hätte. Die
NATO stellt fest: Diese Voraussetzung war nicht erfüllt.
({2})
Ich kann das fortsetzen: Warum ist die abziehende
Menschenmenge nicht durch vorherigen Tiefflug gewarnt worden? Ist das Ihr Verständnis davon, wie zivile
Opfer in Afghanistan zu vermeiden sind? Oder ist eine
solche Praxis nicht eher geeignet, die Zahl der zivilen
Opfer in Afghanistan zu erhöhen?
({3})
Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage: Was besagen die ISAF-Regeln? Was ist der Befehl des Oberkommandierenden dort eigentlich wert, der gesagt hat: „Die
Vermeidung ziviler Opfer hat oberste Priorität. Luftangriffe sind künftig an sehr enge Voraussetzungen zu
knüpfen“? Wenn die NATO feststellt, dass diese Voraussetzungen nicht eingehalten worden sind, Sie sich also
nicht an die Regeln gehalten haben, dann haben Sie gegen die Regeln des ISAF-Mandates verstoßen. Schließlich wurde nicht etwa von einer Oppositionsfraktion,
sondern in dem Bericht, der diesem Hause vorliegt, festgestellt, dass der Einsatz am 4. September dieses Jahres
nicht durch das Mandat gedeckt war.
({4})
Denn ISAF-Regeln sind rechtsverbindlich und nicht unverbindliche Handlungsempfehlungen.
({5})
Deswegen frage ich mich, sehr geehrter Herr Bundesverteidigungsminister: Wie konnten Sie in Kenntnis dieses Berichts, in Kenntnis dieser Feststellungen zu dem
Ergebnis kommen, dass der Angriff militärisch angemessen, ja sogar - wie Sie in der Pressekonferenz erklärt
haben - unabweisbar gewesen sei? Das ist ganz mieser
Stil gewesen, Herr Minister.
Sie können nicht den Obleuten und den Ausschüssen
des Bundestages das Material zur Verfügung stellen, aber
immer unter der Maßgabe, dass man das geheimhalten
muss, und Sie treten dann vor die Presse und erklären
- übrigens in einer Bewertung - das Gegenteil von dem,
was in diesen Berichten steht. Erst nachdem man Sie drei
Mal - ich in diesem Plenum zwei Mal - aufgefordert hat,
Ihre Bewertung endlich zu korrigieren, korrigieren Sie
diese, aber beschimpfen diejenigen, die Sie auf diesen
Fehler hingewiesen haben. Das ist ein Umgang mit dem
Parlament, der ist eines Bundesministers nicht würdig.
({6})
Die Art und Weise, wie Sie dann - übrigens ohne
Not - hier begründet haben, dass Sie Herrn Wichert und
Herrn Schneiderhan entlassen haben, wirft die nächste
Frage auf. Wenn Sie heute von Herrn Schneiderhan per
Zeit bescheinigt bekommen, dass nach seiner Auffassung Sie die Unwahrheit sagen, sage ich Ihnen: Das wird
ein sehr spannender Untersuchungsausschuss; denn im
Untersuchungsausschuss geht es nicht zu wie bei
Beckmann,
({7})
im Untersuchungsausschuss ist die Unwahrheit strafbewehrt. Ich sage Ihnen: Wenn Herr Schneiderhan und
Herr Wichert bei ihrer Aussage bleiben, dann sehe ich
für Ihre Zukunft in diesem Amte erhebliche Probleme
auf Sie zukommen.
({8})
Ich will Ihnen deswegen für Ihre Rede, die wir jetzt
hören werden, ein Zitat von Herrn Schneiderhan mit auf
den Weg geben. Er hat zu seiner Verabschiedung
Konfuzius zitiert: Der Schüler fragt den Meister: Was ist
sittliches Verhalten? Der Meister antwortet: Wer sich
durch sittliches Verhalten auszeichnet, wählt seine Worte
mit Bedacht. Der Schüler fragt weiter: Mit Bedacht reden, das soll sittliches Verhalten sein? Der Meister antwortet mit einer Gegenfrage: Das Handeln ist so schwieJürgen Trittin
rig; darf da das Reden unbedacht sein? - Ich würde mir
bei Ihnen mehr Konfuzius wünschen.
({9})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Trittin, „mieser Stil“ soll das also sein. Ich
frage mich, wie unsere Soldatinnen und Soldaten den
Stil der heutigen Debatte empfinden.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat der
Minister.
Ich frage mich, was unsere Soldatinnen und Soldaten
empfinden, wenn Sie an einem Tag, wo ein Soldat
schwer verwundet in Kunduz liegt, wo ein weiterer Soldat offenbar verletzt wurde, wo Soldaten im Gefecht
sind, mit solchem Gebrüll antworten und lediglich innenpolitische Gefechte abfeiern. Das entspricht überhaupt nicht dem erforderlichen Niveau, meine Herren!
({0})
Unsere Soldaten hätten Verständnis dafür, dass wir
hier Debatten führen, wie man für Rechtssicherheit sorgen kann. Unsere Soldaten hätten Verständnis dafür,
dass wir, wenn wir über das Thema, wie man in Afghanistan - ({1})
Herr Bundesminister, darf ich Sie kurz unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen ernsten Sachverhalt zu diskutieren.
({0})
Da kann von jedem Mitglied dieses Hauses, Frau Kollegin Künast, erwartet werden, dass wir uns gegenseitig
zuhören.
({1})
Herr Minister, bitte.
Frau Künast, unsere Soldaten haben eines, was Sie ihnen gerade offensichtlich nicht zugestehen, nämlich ein
hohes Anstandsempfinden. Ich glaube, das darf das Parlament in einer Debatte auch widerspiegeln.
({0})
Unsere Soldaten haben den Anspruch darauf, dass wir
die Lage in Afghanistan auch unter Berücksichtigung
des Punktes Rechtssicherheit und der Frage, wie es einem Soldaten im Felde geht, der im Gefechte stand, diskutieren. Wenn man dies vor dem Hohen Hause anspricht, das den Namen „Hohes Haus“ zu Recht trägt,
({1})
und dann plötzlich nichts weiter als wüstes Geschrei von
Ihren Seiten ausbricht, dann werden Sie damit Ihrer Verantwortung gegenüber den Soldaten nicht gerecht. Das
darf ich an dieser Stelle auch noch einmal sagen.
({2})
Heute stehen hier einmal mehr zwei wesentliche
Punkte im Raum.
({3})
Herr Trittin und Herr Steinmeier, die Sie gesprochen haben: Sich in der letzten Woche und am Wochenende hinzustellen und zu beklagen, man würde nur stückchenweise über das eine oder das andere informiert werden,
ist schon bemerkenswert.
({4})
Die Welle der Empörung dürfte Sie in dieser Hinsicht eigentlich selbst treffen, da Sie seit spätestens 3. November 2009 über all das informiert waren, was Sie da beklagt haben.
({5})
Einige von Ihnen waren sogar schon früher informiert.
({6})
- Sie nennen gerade Herrn Arnold. Herr Arnold hat, wie
man hört, beispielsweise schon am 8. September 2009
über gewisse Dinge, die gerade auch in der letzten Woche laut beklagt wurden, gesprochen.
({7})
- Er kann sich ja gleich selbst dazu äußern. - In der Sitzung des Verteidigungsausschusses - übrigens der ersten
nach dem Luftschlag - sollen bestimmte Kollegen gesagt haben - Herr Arnold weiß sicher, von wem ich rede;
ich höre das -, dass das Ziel des Luftschlags durchaus
auch darin bestanden habe, die sich im Umfeld der Laster aufhaltenden Terroristen zu treffen - hört! hört! -, die
sicher kein illegitimes Ziel seien.
({8})
Ich darf das wiederholen: die sicher kein illegitimes Ziel
seien.
({9})
Ich wiederhole: Man hört, das sei im Verteidigungsausschuss am 8. September 2009 gesagt worden.
({10})
Manchmal muss man der Erinnerung auch ein Stück
weit nachhelfen, wenn Sie sich so äußern wie in diesen
Tagen.
({11})
Die Fraktionsvorsitzenden - Herr Trittin, Sie selbst
wollten am 6. November 2009 ja nicht kommen - wurden vom Bundesverteidigungsministerium auch darüber
informiert,
({12})
was der COMISAF-Bericht aussagt, dass nämlich auch
die Taliban ein Teil der gezielten Bekämpfung waren
und dass es nicht nur um die Tanklaster ging, dass die
gezielte Bekämpfung also gegen die Tanklaster und die
Taliban gerichtet war. Das war am 6. November 2009.
Herr Trittin, Sie wollten nicht selbst kommen und haben
einen Vertreter geschickt. Man darf zumindest annehmen, dass er Sie über die Dinge unterrichtet hat, die er
dort hörte.
({13})
Ich komme zu den personellen Konsequenzen, weil
sie von einigen angesprochen worden sind. Ich habe
mehrfach darauf hingewiesen, dass mir Dokumente, Berichte und Informationen zum Vorfall in Kunduz vorenthalten wurden.
({14})
Das ist unbestritten.
({15})
Das wird auch - jetzt wird es interessant; hören Sie einmal zu, Herr Oppermann - in dem Brief von General
Schneiderhan an mich festgestellt,
({16})
in dem er mich bittet, Herr Oppermann, ihn von seinen
Dienstpflichten zu entbinden, da er die Verantwortung
dafür übernehme, dass mir diese Informationen nicht
vorgelegt wurden.
({17})
Für die Trennung bedarf es keiner weiteren Gründe.
({18})
Auf ein anderes Niveau in der Debatte, das man derzeit
erlebt, werde ich mich mit Sicherheit nicht einlassen.
({19})
Ich darf gleichzeitig noch auf eine Frage eingehen,
nämlich ob Informationen wesentlich oder unwesentlich
sind.
({20})
In einem so entscheidenden Fall der Geschichte der Bundeswehr hat der Bundesminister in der Frage, welche Information wesentlich oder unwesentlich gewesen sein
mag,
({21})
schon noch selbst das Recht, zu entscheiden, was wesentlich und was unwesentlich ist, statt jemanden danach
fragen zu müssen, ob er denn Einsicht in gewisse Akten
nehmen darf. Wo kämen wir denn da hin?
({22})
In diesem Zusammenhang wird manches, was heute
mit großem Gedöns vorgestellt wurde, auch im Untersuchungsausschuss eine Rolle spielen dürfen und müssen.
Ich habe diesen Untersuchungsausschuss von Anfang an
befürwortet, ebenso wie ich alle mir vorliegenden Dokumente dem Parlament zur Verfügung gestellt habe und
solche, die als geheim eingestuft waren, sogar herabgestuft habe, sofern ich das selbst konnte - das hat es in
dem Sinne auch noch nicht gegeben -, damit im Parlament damit anständig umgegangen werden kann. Ob Sie
damit anständig umgehen, ist noch eine andere Frage.
Das hat mit Anstand relativ wenig zu tun.
({23})
Ich habe immer gesagt, dass ich den Untersuchungsausschuss befürworte. Ich halte ihn für ein angemessenes und auch für ein würdiges Gremium, diese Fragen zu
behandeln. Einen Vorgeschmack darauf, wie dieses Gremium von einigen eingeschätzt wird, konnte ich allerdings bereits am gestrigen Abend und heute bekommen.
Gestern Abend erreichte mich eine Aufforderung der
SPD-Fraktion, heute im Verteidigungsausschuss einen
umfassenden Bericht über die Ereignisse am 3. und
4. September 2009 anlässlich des Bombenabwurfs auf
zwei Tanklastzüge und die daraus resultierenden Entscheidungen des Einsatzführungskommandos und des
Bundesministeriums der Verteidigung abzugeben. Der
Bericht sei dringend erforderlich für die Beratungen im
Verteidigungsausschuss.
Diese Aufforderung erfolgte vor der Einrichtung des
Untersuchungsausschusses. Das gibt mir einen Hinweis
darauf und setzt Sie dem Verdacht aus, dass es Ihnen bei
dem Untersuchungsausschuss nicht um Aufklärung und
Information geht, sondern dass Sie nahe am politischen
Klamauk sind, wenn Sie den Untersuchungsausschuss
schon im Vorfeld so abwerten wollen.
({24})
Herr Arnold, dazu können Sie auch Stellung nehmen.
Das ist nicht würdig. Es ist nahe am Klamauk.
({25})
Es geht bei allen Fragen, die wir hier behandeln, nicht
lediglich um die eine oder andere Spitzfindigkeit, sondern um existenzielle Fragen, die Leben und Tod unserer
Soldaten berühren.
({26})
Wenn wir dieses Niveau in solchen Fragen halten, dann
tragen Sie die Debatte auch künftig auf dem Rücken der
Soldaten aus, und dieses Niveau gibt niemand anders als
Sie vor.
Herzlichen Dank.
({27})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben nicht den Minister der Verteidigung gehört,
sondern wir haben gerade den Minister für Selbstverteidigung ertragen müssen.
({0})
Herr zu Guttenberg, wer es mit der Bundeswehr wirklich
gut meint, wer es mit der Verantwortung für die Soldaten
ernst meint, der sorgt dafür, dass die deutsche Öffentlichkeit und das Parlament wahrhaftig, korrekt und
lückenlos über die Arbeit der Soldaten informiert werden. Das ist es, was die Soldaten brauchen.
({1})
Seit dem 5. September erleben wir nicht nur Salamitaktik, sondern auch Halbwahrheiten. Ein Minister
musste deshalb schon zurücktreten. Der nächste Minister
macht in dieser Kette eindeutig weiter.
Herr Minister, mich macht es wirklich fassungslos,
wie Sie die ernste Situation des verwundeten deutschen
Soldaten - unsere Gedanken sind bei ihm; das haben wir
schon im Verteidigungsausschuss gesagt - hier einbeziehen und so tun, als ob wir diejenigen sind, die Belehrungen bräuchten, wie man mit der Bundeswehr umgeht.
Ich sage Ihnen: Die Truppe sehnt sich nach dem letzten
sozialdemokratischen Verteidigungsminister Peter Struck.
Da war sie in guten Händen.
({2})
Herr Minister, Sie stellen sich nicht vor die Soldaten,
sondern verstecken sich mit Ihrer heutigen Rede hinter
den Soldaten. Das haben sie wirklich nicht verdient.
({3})
Die Kette der Vernebelungen ging in Ihrer Rede weiter. Warum erklären Sie der deutschen Öffentlichkeit
nicht ganz einfach, Herr zu Guttenberg - Sie haben den
Bericht gelesen -, weshalb Sie zu dieser desolaten Fehl844
einschätzung kamen? Sagen Sie es einfach! Dann haben
Sie sich korrigiert, erklären aber nicht, warum Sie sich
korrigiert haben. Sie lassen sich in Talkshows feiern und
holen den Applaus dafür ab, dass Sie jemand sind, der
dazulernt. Ich glaube, wir alle können dazulernen. Das
ist unsere Aufgabe als Abgeordnete. Aber schäbig ist,
dass Sie nicht bereit sind, die Verantwortung für Ihren
Irrtum zu übernehmen, sondern die Verantwortung dem
Generalinspekteur und dem entlassenen Staatssekretär
zuschieben. Das ist ein unanständiges Verhalten.
({4})
Nun wäre es wirklich an der Zeit, dass Sie die Vorgänge klären. Legen Sie doch den Brief des Generalinspekteurs, in dem er sich darüber beklagt, wie Sie mit ihm
umgegangen sind, der Öffentlichkeit und dem Verteidigungsausschuss vor! Wir werden im Untersuchungsausschuss sowieso die Möglichkeit haben, Einblick in den
Brief zu nehmen.
Herr Minister zu Guttenberg, wir haben die Sorge,
dass Sie diesem Amt, wenn Sie so weitermachen, nicht
wirklich gewachsen sind.
({5})
Mir klingt noch ein bisschen in den Ohren, was Herr
Schockenhoff und andere gesagt haben und was auch Sie
mir vorgeworfen haben. Herr zu Guttenberg, Sie bringen
mich in Verbindung mit einem angeblichen Zitat aus der
Sitzung des Verteidigungsausschusses am 8. September.
Bitte nehmen Sie das zurück! Ich werde Ihnen im Verteidigungsausschuss eine lange Kette von Presseveröffentlichungen, Statements, Interviews und Aussagen meiner
Arbeitsgruppe vorlegen - ich bin mit dieser Haltung
nicht alleine; alle Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag haben von Anfang an diese Position vertreten -,
an der Sie erkennen können, dass meine Arbeitsgruppe
bereits am 8. September in der Diskussion im Verteidigungsausschuss damit begonnen hat, sehr kritisch und
reflektierend über die Fehler in der besagten Nacht zu reden; das ist notwendig. Das haben wir die ganze Zeit getan. Wir mussten unsere Auffassung eben nicht ändern.
Das ist der große Unterschied.
({6})
Hören Sie also damit auf! Das ist nichts anderes als eine
Verleumdung, wenn Sie das so stehen lassen. Das lassen
wir Ihnen nicht durchgehen.
Nun gibt es die großen Befürchtungen, die Sozialdemokraten würden sich vom Acker machen; Herr
Schockenhoff hat das ganz locker dahergesagt. Nein, wir
bleiben bei unserer Verantwortung für die Menschen in
Afghanistan, denen wir versprochen haben, beim Aufbau ihres Landes zu helfen. Wir bleiben auch bei unserer
Verantwortung für die Sicherheitsinteressen der Welt in
dieser Region. Davon werden uns Minister, die ihrer Arbeit nicht gewachsen sind, selbstverständlich nicht abbringen.
({7})
Aber dazu gehören wird, dass wir Minister, die Fehler
begehen, hier im Deutschen Bundestag politisch stellen
und sie drängen, ihrer politischen Verantwortung persönlich nachzukommen. Nur darum geht es bei dieser Debatte.
Herzlichen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für mich beginnt gerade die dritte Periode im Deutschen
Bundestag, und ich habe diese Zeit in den Ausschüssen
für Verteidigung und Auswärtiges verbracht. Ich habe es
immer als besonders angenehm empfunden, dass trotz aller Streitereien und Kritik, die wir hatten - wir waren bis
vor einigen Wochen in der Opposition; einige aus der damaligen Regierung werden sich daran zum Teil schmerzhaft erinnern -, dass es trotz dieser Konfliktsituation, die
es zwischen Opposition und Regierung geben muss, doch
immer einen Konsens gegeben hat, nämlich den Konsens,
dass wir gemeinsam - zumindest vier Fraktionen - außen- und sicherheitspolitische Verantwortung für dieses
Land tragen, und den Konsens darüber, dass ein Instrument dieser gemeinsamen Verantwortung unsere deutsche Bundeswehr ist. Wenn ich die Debatten in den letzten Wochen und Tagen betrachte, dann habe ich die große
Befürchtung, dass dieser Konsens am Zerbrechen ist.
({0})
Die Gefahr ist, dass dieser Konsens zerbricht, weil Sie
bereit sind, aus kleinkarierten innenpolitischen Motiven
Kollateralschäden in Kauf zu nehmen.
({1})
Wenn diese Kollateralschäden uns betreffen würden,
dann könnten wir damit leben. Wir sind das gewohnt,
dafür werden wir bezahlt, das ist unser Job. Aber Sie alle
wissen - auch Sie sind bei den Soldaten in diesen Wochen; das weiß ich -, welche verheerende Auswirkung
die Art der Debatte - nicht das, was wir diskutieren - auf
unsere Soldaten im In- und Ausland hat. Das wird uns
täglich und wöchentlich bei unseren Besuchen in den
Kasernen mitgeteilt. Das ist der Kollateralschaden, den
Sie zu verantworten haben.
({2})
Es hat ohne jeden Zweifel am 4. September einen
ganz gravierenden Vorfall gegeben. Wir, auch der Minister, räumen ein, dass es Fehler gegeben hat. Es ist unsere
Aufgabe, aus diesen Fehlern zu lernen. Sie aber beschäfDr. Rainer Stinner
tigen sich nicht mit einem einzigen Wort damit, welche
Konsequenzen wir aus den Vorfällen des 4. September
ziehen müssen: neue Einsatzregeln, bessere Bewaffnung, bessere Kommunikation, andere Soldaten, mehr
Soldaten, was auch immer. Nein, darüber reden Sie mit
keiner einzigen Silbe, weil Sie dieses Thema benutzen
wollen, um kleinkarierte innenpolitische Münze zu
schlagen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das
machen wir sehr deutlich.
({3})
Die Grünen sind ohnehin schon über den Fluss gegangen, weil die meisten der Meinung waren, dass schon
heute keine Soldaten mehr in Kunduz und in Afghanistan stehen sollten; denn Sie haben am 3. Dezember den
Antrag abgelehnt. Wer am 3. Dezember hier ablehnt,
muss wissen, dass heute kein deutscher Soldat mehr in
Afghanistan wäre, wenn Sie Recht bekommen hätten.
Das ist die Tatsache.
({4})
- Selbstverständlich ist das so. - Das Mandat ist am 14.
ausgelaufen. Wir haben heute den 16. Wenn Sie Recht
bekommen hätten, wäre jetzt kein deutscher Soldat mehr
in Kunduz vorhanden. Was das für die Bevölkerung bedeuten würde, können Sie sich selber einmal klarmachen. Sie sind also echt schon abgedriftet.
Aber was ich sehr bedenklich finde, ist, wie sich die
SPD einlässt, insbesondere ehemalige Mitglieder der
Bundesregierung, die bis vor vier Wochen Verantwortung für dieses Land getragen haben, wie sich diese
heute hier darstellen und davonstehlen wollen.
({5})
Es wird wider besseres Wissen insinuiert, es gäbe einen
Strategiewechsel. Herr Steinmeier, Sie waren der Außenminister, Sie hätten einen Strategiewechsel einleiten
können. Sie haben eine Aufklärungspflicht auch gegenüber denen in Ihren Reihen, die das bis zum heutigen
Tage behaupten, und müssen das klarstellen.
({6})
Dieser Verpflichtung kommen Sie eindeutig nicht nach.
({7})
Auch Ihr verteidigungspolitischer Sprecher, Herr Arnold,
müsste es besser wissen. Herr Arnold, wir haben vier
Jahre lang gemeinsam um die Anpassung der Taschenkarte an die Realität gerungen. Es war nie die Rede von
Strategiewechsel, sondern von Anpassung an die Realität. Es gab keine einzige Veränderung der Rules of Engagement. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Sie haben
eine Aufklärungsfunktion, eine Aufklärungspflicht in Ihrer Fraktion, und der kommen Sie nicht nach.
({8})
Dass Sie das nicht tun, ist nicht in der Verantwortung
gegenüber dem gemeinsamen Auftrag begründet - Sie
sind, jedenfalls mehrheitlich, dafür, dass deutsche Soldaten in Afghanistan sind; ich glaube, 121 Ihrer Abgeordneten waren noch dafür -, sondern darin, dass Sie glauben, damit einen Keil in die Regierung treiben, der
Regierung schaden
({9})
und daraus kurzfristig innenpolitischen Nutzen ziehen zu
können. Das wird Ihnen hoffentlich nicht gelingen; denn
wir werden die Bevölkerung darüber aufklären, welche
Bedeutung, welche Verantwortung wir haben. Wenn Sie
diese Verantwortung nicht wahrnehmen: Jedenfalls wir
werden dies auch in Zukunft eindeutig tun.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Thomas Oppermann
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr zu Guttenberg,
vor Ihrer Rede habe ich mich gefragt, warum Außenminister Westerwelle heute in einer so wichtigen verteidigungs- und außenpolitischen Debatte eigentlich nicht
da ist,
({0})
um Ihnen nicht wenigstens durch seine physische Anwesenheit Unterstützung zu leisten. Nach Ihrer Rede weiß
ich, warum er nicht gekommen ist. In diese Sache will er
sich nicht hineinziehen lassen.
({1})
Sie haben hier eben unter Hinweis auf den Untersuchungsausschuss kritisiert, es sei Klamauk, wenn Sie
jetzt gleichzeitig gebeten würden, einen Bericht im Verteidigungsausschuss vorzulegen. Ich muss Sie einmal
darauf hinweisen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erst in diesem Sommer eindeutig
klargestellt hat, dass der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung durch Untersuchungsausschüsse in keiner Weise ersetzt wird. Sie werden sich in den nächsten Wochen und Monaten daran
gewöhnen müssen, dass wir diese Frage nicht nur im
Untersuchungsausschuss, sondern auch im Plenum des
Deutschen Bundestages diskutieren.
({2})
Herr zu Guttenberg, es wäre auch angemessen, wenn
Sie künftig zur Fragestunde kämen und nicht nur den
Staatssekretär schickten. Wer bei Beckmann antwortet,
der kann auch im Bundestag antworten.
({3})
Wer das ablehnt, der hat ein komisches parlamentarisches Verständnis.
({4})
Der Untersuchungsausschuss hat heute mit der Arbeit
begonnen. Zwei Dinge stehen schon jetzt unstreitig fest:
Zum Ersten, dass das Parlament über den Luftanschlag am Kunduz-Fluss mehrfach falsch informiert
worden ist. Dafür hat Verteidigungsminister Jung mit
seinem Rücktritt die Verantwortung übernommen. Das
ist konsequent und sicher auch respektabel.
Zweitens ist unstreitig, dass Sie als neuer Bundesverteidigungsminister am 6. November - und zwar in
Kenntnis des umfassenden NATO-Berichtes, in Kenntnis
der Tatsache, dass bei dem Luftanschlag viele zivile Opfer zu beklagen waren, dass es nicht nur darum ging, die
beiden Tanklastfahrzeuge zu zerstören, sondern auch darum, die dort anwesenden Menschen zu vernichten, in
Kenntnis der Tatsache, dass wesentliche Spielregeln für
ISAF-Einsätze missachtet worden waren, in Kenntnis
der Tatsache, dass es keinen Feindkontakt gab, und nicht
zuletzt in Kenntnis der Tatsache, dass das Lager in Kunduz gar nicht unmittelbar bedroht war, also in Kenntnis
all dieser Tatsachen - festgestellt haben, dass dieser
Luftschlag militärisch angemessen war und damit eine
grob fehlerhafte Bewertung vorgenommen haben. Aber
im Unterschied zum ersten Punkt, der mehrfachen Täuschung des Parlamentes durch Ihren Vorgänger, hat für
diesen Punkt, für diese große Fehleinschätzung, noch
niemand Verantwortung übernommen.
({5})
Einen Monat später haben Sie Ihre Position korrigiert
und das exakte Gegenteil vertreten; aber Sie haben nur
scheinbar einen Fehler eingeräumt. Einen Fehler räumt
nämlich nur der ein, der dafür auch die Verantwortung
übernimmt. Aber genau das haben Sie nicht getan: Sie
haben das auf Schneiderhan und Wichert abgeschoben,
indem Sie sie entlassen haben.
({6})
Wenn Sie mich fragen, was Sie da gemacht haben,
({7})
antworte ich Ihnen: Das war unanständig.
({8})
- Schön, dass Sie jetzt da sind; er braucht Unterstützung. - Herr Schneiderhan ist ein international erfahrener, ein bei den Soldaten hochgeachteter und ein
menschlich souveräner Generalinspekteur gewesen. Sie
haben diesen Generalinspekteur in ein schlechtes Licht
gerückt, um selber günstig dazustehen.
({9})
Herr Guttenberg, wenn Sie mich nach meinem Anstandsempfinden fragen, also danach, wie ich das finde,
({10})
- es ist ein bürgerliches Anstandsempfinden -, dann
kann ich darauf nur antworten: Das, was Sie da gemacht
haben, ist unanständig.
({11})
Ich finde es auch nicht besonders mutig, wenn ein
Verteidigungsminister seinen Staatssekretär entlässt und
seinen Generalinspekteur opfert, nur um seine eigene
Haut zu retten. Es kann doch nicht angehen, dass wir
von den Soldaten in Afghanistan persönlichen Mut und
militärische Tapferkeit erwarten, aber an der Spitze des
Verteidigungsministeriums das Prinzip der politischen
Feigheit praktiziert wird. Meine Damen und Herren, ich
finde das unanständig.
({12})
Der Untersuchungsausschuss wird jetzt die entscheidende Frage aufklären,
({13})
nämlich die Frage: Wer hat die Wahrheit gesagt, und wer
hat die Unwahrheit gesagt? Das kriegen wir hin. Herr
Generalinspekteur Schneiderhan hat bekundet, dass er
Ihnen, Herr Verteidigungsminister, alle erforderlichen
Informationen zur Verfügung gestellt hat, damit Sie am
6. November auf der Pressekonferenz eine adäquate,
umfassende und kompetente politische Bewertung des
Luftschlages vornehmen konnten. Sie haben gesagt, Ihnen seien wesentliche Informationen vorenthalten worden. Es kann nicht beides richtig sein. Einer hat die
Wahrheit gesagt, und einer hat die Unwahrheit gesagt.
Das wird im Untersuchungsausschuss festgestellt, notfalls auch durch Gegenüberstellung von Ihnen und Herrn
Schneiderhan. Darauf sollten Sie sich schon einmal einstellen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Ich bin sicher,
({0})
dass Sie, wenn Sie nicht die Wahrheit gesagt haben, am
Ende von sich aus Ihren Platz räumen. Ein Verteidigungsminister muss die Wahrheit sagen. Ein Verteidigungsminister, der nicht die Wahrheit sagt, ist nicht tragbar.
({1})
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Kollege Oppermann, bevor ich
darlege, welche Motive ich hinter Ihren Ausführungen
sowie denen des Kollegen Arnold und des Kollegen
Steinmeier vermute, möchte ich zunächst auf eines hinweisen: Ihre Argumentation war nicht nur an einer Stelle
etwas brüchig. Sie ist genauso wie die des Kollegen
Arnold insbesondere in dem Moment wie ein Kartenhaus zusammengestürzt, als der Bundesaußenminister
auftauchte. Eben wollten Sie ihn noch hierher rufen bzw.
haben Sie sehnlichst erbeten, dass er kommt.
({0})
Jetzt ist er zur Unterstützung da. Insofern muss ich schon
sagen, dass Sie sich an dieser Stelle zum ersten Mal hätten korrigieren können. Die Chance dazu haben Sie in
Ihrer Rede allerdings, wie ich finde, gerade vertan.
({1})
Ein Zweites: Sie haben gerade Schneiderhan quasi als
Ihren Mann beschrieben und ihn als aufrichtig usw. charakterisiert. Das sind alles Dinge, die ich mir aufgrund
der wenigen Begegnungen, die ich in den vergangenen
Jahren mit ihm hatte, nicht zutraue, abschließend zu beurteilen. Aber vor dem Hintergrund, dass er zurückgetreten ist und die Verantwortung übernommen hat, wundere
ich mich, dass Sie jetzt sagen, er trage doch nicht die
Verantwortung. Diesen Argumentationswechsel müssten
Herr Schneiderhan und eigentlich auch Sie erklären können, wenn Sie hier so für ihn sprechen. Das haben Sie
aber letztendlich nicht geschafft. Ich glaube, dass an dieser Stelle deutlich wird, dass hier einige Dinge nicht zueinanderpassen.
({2})
Eine Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: Da
Sie, Herr Steinmeier, Herr Arnold und Herr Oppermann,
voller Neid die Fernsehauftritte in relevanten Sendungen
des deutschen Fernsehens bemängelt haben,
({3})
möchte ich Ihnen zumindest an dieser Stelle das Motiv
Neid unterstellen. Das kam auf jeden Fall gerade deutlich heraus.
({4})
- Der Minister steht hier seit Wochen bei jeder wichtigen
Debatte, auch über die Mandatsverlängerungen, Rede
und Antwort.
({5})
Das Ministerium gibt an allen Stellen Auskunft. Der Minister geht auch in die Talkshows. Stellen Sie sich nun
einmal umgekehrt vor, er würde sich vor all diesen Auftritten drücken, hier im Parlament wie auch in den Talkshows! Was würden Sie für einen Zirkus aufführen! Deshalb sage ich, dass es richtig ist, dass sich der Minister
an jeder Stelle der Debatte gestellt hat, dass er das auch
in dieser Aktuellen Stunde sehr gut gemacht hat und dass
er dafür unsere Unterstützung verdient.
({6})
Herr Arnold, Sie haben am Ende Ihrer Rede - das ist
das zweite Motiv, auf das ich eingehen möchte, warum
ich vermute, dass Sie sich hier so aufführen, wie Sie es
tun - noch pflichtschuldig erwähnt, warum die SPD dafür ist, sich in Afghanistan zu engagieren. Ich möchte,
damit das nicht in Vergessenheit gerät, zitieren, wie Sie
sich noch im vergangenen Jahr angehört haben. Vergleichen Sie das einfach einmal mit Ihren Äußerungen. Sie
sind ja heute ein vielgefragter Mann. Jeder hat
15 Minuten Ruhm im Leben; Sie haben heute versucht,
diese für sich zu nutzen und in den Medien auszuspielen.
({7})
Ich habe ja gerade gesehen, wie Sie den Journalisten vor
der Tür hinterhergerannt sind. Aber das ist das Problem:
Wenn Sie so im Fokus der Öffentlichkeit stehen, ist für
uns die Versuchung groß, nachzulesen, was Sie schon
einmal gesagt haben. Sie haben am 17. September 2008
im Plenum des Hohen Hauses gesagt:
Bei unserem Einsatz in Afghanistan können wir uns
natürlich nicht aussuchen, ob deutsche Soldaten
kämpfen oder Aufbauhilfe leisten. Das wird uns
von Aufständischen aufgezwungen. Damit das ganz
klar ist: Das ist ein Kampf gegen Aufständische.
Das ist die richtige Begrifflichkeit. Das ist kein
Krieg.
({8})
Die Bundeswehr ist aber auch kein bewaffnetes
Technisches Hilfswerk.
Wenn Sie das mit den Äußerungen der Sozialdemokratie in den vergangenen Tagen vergleichen,
({9})
dann sehen Sie, dass das die rhetorische Vorbereitung
dessen ist, was Sie in den nächsten Monaten vollführen
wollen, nämlich sich von der Verantwortung für Afghanistan und die Menschen in Afghanistan zu verabschieden.
({10})
- Sie sagen „Worthülsen“, Herr Kollege Kelber. Wir haben den Untersuchungsausschuss mit initiiert, und dort
werden alle Dinge geklärt.
({11})
Bei einem Einsatz wie diesem gibt es auch Dokumente,
die als Geheim eingestuft sind, selbst wenn sie teilweise
im Internet kursieren.
({12})
Es gibt auch viele Informationen, die tatsächlich zum
Schutz der Soldaten und der NATO insgesamt geheim
bleiben sollen. Deshalb gibt es diesen Untersuchungsausschuss.
({13})
- Der Schneiderhan-Brief ist etwas ganz anderes. - Deshalb sage ich Ihnen an dieser Stelle: Hier liegt ja die Vermutung nahe, dass eine gewisse Inszenierung und Skandalisierung von Ihnen bewusst herbeigeführt wird, die
aber mit dem Thema Afghanistan nichts zu tun hat.
Wenn es Ihnen aber mit Afghanistan ernst ist, dann fordere ich Sie dazu auf - Herr Steinmeier hat sich hier gerade schon verabschiedet -, über Ihre eigene Verantwortung nachzudenken. Dazu hätte ich mir von Herrn
Steinmeier deutliche Worte gewünscht. Was hat er gewusst? Das wird der Untersuchungsausschuss auch klären.
Vielen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Ernst-Reinhard Beck
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die mediale Hysterie der letzten
Tage
({0})
hat einmal mehr, Frau Künast, deutlich gemacht, dass in
der deutschen Öffentlichkeit doch ein erheblicher Nachholbedarf bezüglich des Einsatzes militärischer Mittel
besteht.
({1})
Was in anderen demokratischen Ländern unaufgeregt
und sachlich bewertet wird, führt bei uns gleich zu einem politischen Erdbeben. Selbstverständlich stehen militärische Einsätze unter dem Primat der Politik und unter einem Mandat des Deutschen Bundestages. Aber das
Militär ist immer auch Mittel der Politik. Wer dieses
Mittel einsetzt, muss wissen, dass damit auch die Anwendung von Gewalt verbunden sein kann.
Wir sollten nach mehr als 50 Jahren Bundeswehr als
demokratische Armee in einem demokratischen Staat
genügend Vertrauen in unsere militärischen Verantwortlichen haben, um ihnen zuzutrauen, dass sie sich an
Recht und Gesetz halten. Unsere Soldaten sind keine
Hasardeure oder seelenlose Killer, wie man nach der
Lektüre mancher Medien in diesen Tagen vermuten
könnte. Unsere Soldaten sind rechtsstaatlich erzogen
und stehen auf dem Boden des Grundgesetzes. Wer dies
infrage stellt, sollte dies bitte öffentlich erklären.
({2})
Wir befinden uns in Afghanistan in einer zunehmend
schwierigeren Situation. Ja, das ist wahr. Die Lage vor
allem im Westen von Kunduz, in der Region Chahar
Darreh, ist alles andere als stabil. Die andauernden Angriffe auf unsere Soldatinnen und Soldaten gehörten hier
fast zur täglichen Realität und bleiben nicht ohne Wirkung auf die Verfassung der zuständigen Verantwortlichen vor Ort. Mit anderen Worten: Die Erfahrungen mit
verwundeten und getöteten Kameraden führen dazu,
dass unsere Kommandeure dünnhäutiger, vielleicht auch
nervöser werden. Ich finde es deshalb schon abenteuerlich, wenn Politiker, Journalisten und manch andere aus
dem sicheren Berlin heraus ihre Lagebeurteilung anstellen, nachdem ein Ereignis erfolgt ist. Das ist verdammt
einfach.
({3})
Unsere Kommandeure vor Ort haben es leider nicht so
einfach. Sie müssen unter hoher physischer und psychischer Belastung mit der Verantwortung für die ihnen anvertrauten Soldatinnen und Soldaten auf der Basis der ihnen vorliegenden, mitunter unklaren Lageerkenntnisse
entscheiden. Diese Entscheidung muss oft sehr schnell
innerhalb von Minuten erfolgen. Das dabei auch Fehler
vorkommen, dürfte jedem einleuchten, auch jenen, die
der Bundeswehr nicht wohlgesonnen sind. Wer für sich
selbst Fehlerfreiheit beansprucht, mag ein Recht auf KriErnst-Reinhard Beck ({4})
tik verspüren. Die meisten jedoch sollten zurückhaltender
sein. Wer sich jetzt darüber aufregt, dass in einem kriegsähnlichen Umfeld auf Menschen geschossen wird, muss
sich fragen lassen, in welcher Art von Realität er eigentlich lebt.
Aufständische und Terroristen gefährden nicht nur die
Soldaten in Afghanistan, sondern auch die Sicherheit der
afghanischen Bevölkerung. Um den Auftrag der ISAFTruppen und um den Auftrag unserer Soldaten vor Ort
durchzusetzen, ist nach dem gültigen vom Bundestag beschlossenen ISAF-Mandat auch der Einsatz von Gewalt
ausdrücklich vorgesehen.
({5})
Andererseits sage ich Ihnen ganz offen: Mich beruhigt, dass man sich in einem rechtsstaatlichen Land wie
Deutschland schwer damit tut - auch ich tue dies -, auf
Menschen zu schießen. Angesichts der großen Anzahl
von Opfern, die dieser Luftschlag am 4. September gefordert hat, müssen wir uns den ethischen Fragen stellen
und dürfen sie nicht leichtfertig abtun. Deshalb muss es
vor einem Militäreinsatz immer einen Abwägungsprozess geben. Es ist ein Kennzeichen dieses Hauses, dass
wir bei allen Einsätzen, die wir der Bundeswehr im Ausland zumuten, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
berücksichtigen. Dafür steht uns vergleichsweise viel
Zeit zur Verfügung, die Soldaten vor Ort haben jedoch
oft nur wenig Zeit, um diese Bewertung durchzuführen.
Gestatten Sie mir diese Anmerkung: Die veränderte
Sicherheitslage muss sich auch in der Ausrüstung der
Truppe in Afghanistan niederschlagen. Deshalb rege ich
an, Überlegungen zum Einsatz schwerer Waffen nicht
mehr auszuweichen. Dies gehört mit dazu, wenn wir unsere Bevölkerung mit der Wahrheit konfrontieren wollen, wenn diese auch nicht immer einfach zu verkraften
ist. Wir sind in Afghanistan nicht nur zum Brunnenbohren und Brückenbauen, wie man lange Zeit geglaubt und
vermittelt hat. Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen
im Raum Kunduz in einem Kampfeinsatz. Darüber eine
offene Debatte zu führen, ist längst überfällig.
Alles andere wird in aller gebotenen Sachlichkeit im
heute eingerichteten Untersuchungsausschuss zu bewerten sein. Dabei appelliere ich ausdrücklich an alle in diesem Hohen Haus, jeden Schaden von der Bundeswehr
abzuwenden. Darauf haben die Soldatinnen und Soldaten, die in unserem Auftrag - ich betone: in unserem
Auftrag - ihren schwierigen Dienst im Einsatzland versehen, ein Anrecht.
Herzlichen Dank.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Steinmeier, das Thema dieser Aktuellen Stunde lautet: „Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan“. Dieser
Einsatz hat nicht erst nach der Bundestagswahl angefangen, sondern ist zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung
begonnen worden. Er ist zu Zeiten der Großen Koalition
fortgesetzt worden und ist unter der neuen Bundesregierung im Rahmen einer Mandatsbestätigung weiter fortgesetzt worden.
({0})
Ich betone das deshalb, weil man sowohl aufgrund des
Klimas in der Fragestunde wie auch teilweise in der Aktuellen Stunde den Eindruck gewinnen konnte, dass Sie
zu diesem Thema hier nicht reden wollten. Sie wollten
zu anderen Themen in dieser Aktuellen Stunde reden. Es
kann ja jeder reden, worüber er will. Aber heute geht es
um dieses Thema.
Sie haben sich vorhin in der Fragestunde viel Mühe
gegeben, herauszubekommen, ob es eine Art Strategiewechsel gegeben habe - vielleicht mit der Absicht, wenn
ja, die Möglichkeit zu haben, diesen dann nicht mehr
mitzutragen. Ich sage Ihnen: Das Mandat ist über all die
Jahre im Kern unverändert geblieben.
({1})
Die militärische und die Sicherheitslage haben sich verändert. Im Rahmen des vom Mandat vorgegebenen Auftrages hat die Bundeswehr angemessen zu reagieren.
Es war von Anfang an klar - das muss man auf manche
der Beiträge sagen -, dass die Bundeswehr ermächtigt
war und ist, alle notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung
des Mandats zu ergreifen, einschließlich militärischer
Gewalt. Sie hat Befugnisse, die über bloße Notwehr und
Nothilfe hinausgehen. Es handelt sich auch um ein Mandat zur Aufstandsbekämpfung, Herr Arnold, allerdings
- das ist der Kern der jetzigen Diskussion, die sich an
dem Vorfall in Kunduz festmacht - natürlich nicht über
die Maßstäbe des humanitären Völkerrechts hinaus. Ziel
des humanitären Völkerrechts ist der Schutz unbeteiligter
Zivilisten in bewaffneten Konflikten.
Man muss allerdings festhalten, dass die Taliban diesen Schutz durch die Art ihrer Kriegsführung systematisch und absichtlich verletzen. Sie geben sich nicht als
Kämpfer zu erkennen. Sie wenden gezielt Gewalt gegen
unbeteiligte Zivilisten an; denken Sie an die Selbstmordattentate auf belebten Marktplätzen oder das gezielte
Umbringen von Lehrern. Sie benutzen Zivilisten als
menschliche Schutzschilde, und sie werden dabei teilweise von der Zivilbevölkerung unterstützt - sei es freiwillig, sei es gezwungenermaßen. Warum trage ich das
vor? Um Ihnen zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen gegnerischen Kämpfern und unbeteiligten Zivilisten in Afghanistan außerordentlich schwierig ist und
dass wir uns natürlich trotzdem an das Kriegsvölkerrecht
halten müssen.
({2})
Ich erwarte vom Untersuchungsausschuss, dass er
diese Frage beleuchtet und in die Bewertung ebenso einbezieht, wie es kommt, dass in allen jedenfalls mir zur
Verfügung stehenden Berichten aus Afghanistan anders
als bei sonstigen Vorkommnissen, bei denen zivile Opfer
zu beklagen waren, nicht die Bundeswehr verantwortlich
gemacht wird. Vielmehr ist in all dem, was ich bisher
habe lesen können, gesagt worden: Dies war im Großen
und Ganzen ein Schlag, der den Taliban gegolten hat.
({3})
Herr Arnold, zur Studie „Rechtssicherheit im Auslandseinsatz“. Ich möchte noch etwas zu den zivilen Opfern sagen; denn vorhin wurde vonseiten der Linken mit
gezielten Todesschüssen und Ähnlichem argumentiert.
Die Verursachung ziviler Opfer
- ich zitiere wörtlich aus dieser Studie als Nebenfolge eines militärischen Angriffs stellt
nicht in jedem Fall eine Verletzung humanitären
Völkerrechts dar. Entscheidend ist das Prinzip der
Verhältnismäßigkeit.
Dafür gibt es keine objektiven Maßstäbe; das muss man
vor Ort in der Abwägung beurteilen.
Herr Trittin, Sie haben schon lange davon gesprochen, dass es sich in Afghanistan aufgrund der Veränderung der Lage auch im Norden, wo wir Verantwortung
tragen, eher um einen Krieg handelt. Der Verteidigungsminister hat von kriegsähnlichen Zuständen gesprochen.
Welche rechtlichen Folgen das hat, wird der Generalbundesanwalt klären. Die Frage ist aber, ob wir den politischen Folgen der Feststellung, Deutschland befinde sich
mit seinen Soldaten in Afghanistan in kriegsähnlichen
Zuständen, gerecht werden. Diese Frage muss sich hier
jeder selber stellen. Natürlich müssen wir eine Untersuchung durchführen, um Fehler aufzudecken und Konsequenzen zu ziehen. Zumindest manche Beiträge haben
aber am heutigen Tag den Eindruck erweckt, es mache
keinen großen Unterschied, ob man versucht, einen - in
Anführungszeichen - vermeintlichen innenpolitischen
Skandal aufzudecken, oder ob man sich einer Untersuchung widmet, bei der es wichtig ist, auf welche Art und
Weise man sie führt, ob man beispielsweise darauf
drängt, dass geheime Dinge öffentlich werden, und damit möglicherweise unsere Soldaten gefährdet.
Wir müssen uns einmal überlegen, ob wir, das Parlament, damit der Demokratie und ihren Aufgaben gerecht
werden, in einem Zustand, den Sie als „Krieg“ bezeichnen und der Verteidigungsminister als „kriegsähnlich“
beschreibt. Ich meine, das macht einen Unterschied.
({4})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814
({0}) vom 15. Mai 2008, 1816 ({1}) vom
2. Juni 2008, 1838 ({2}) vom 7. Oktober 2008,
1846 ({3}) vom 2. Dezember 2008, 1897
({4}) vom 30. November 2009 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 10. November
2008 und dem Beschluss 2009/907/GASP des
Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2009
- Drucksache 17/179 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.
({6})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich habe beim Hineinkommen gehört, dass Herr Kollege Oppermann
mich vermisst hat. Jetzt vermisse ich Sie. Ich würde
mich enorm freuen, wenn Sie der Debatte weiter folgen
möchten.
({0})
Es ist allgemein bekannt, dass die Bundesregierung
ein Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Länder
hatte, das schon vor einem Jahr vereinbart worden ist.
Viele von Ihnen sind dabei gewesen.
({1})
- Weniger als früher, aber immerhin. - Ich bitte um Ihr
Verständnis. Ich bin, nachdem ich ein Telefonat geführt
und eine unvertretbare Handlung vorgenommen habe,
direkt zu Ihnen gekommen.
({2})
- Eine persönlich unvertretbare Handlung.
({3})
Vor einem Jahr hat der Bundestag den Einsatz der
deutschen Marine im Rahmen der EU-Operation Atalanta mandatiert. Seither hat die deutsche Marine mit
substanziellen Kräften an der europäischen Operation
teilgenommen. Wir Deutsche, unsere Bundeswehr, haben den Auftrag erfüllt. Der Einsatz der europäischen
und deutschen Seestreitkräfte ist nach Auffassung der
Bundesregierung sinnvoll; er ist kurzfristig die einzige
Möglichkeit, die internationale Schifffahrt vor Piraterie
zu schützen. Deswegen bittet die Bundesregierung das
Hohe Haus, den Deutschen Bundestag, eine Fortsetzung
des im Wesentlichen unveränderten Atalanta-Mandats
zu ermöglichen.
Piraterie ist eine ernsthafte Bedrohung für unsere
Handelsschiffe. Zugleich ist sie aber auch eine ernsthafte
Bedrohung der humanitären Hilfe für Somalia. Hier
kann man wieder einmal erkennen: Wer jeden Einsatz
von Soldaten fundamental ablehnt, sorgt auch dafür, dass
humanitäre Hilfe zugunsten von Hungernden, die es
auch zu schützen gilt, unmöglich gemacht wird.
({4})
Das ist insbesondere in Somalia von großer Bedeutung.
Im ersten Jahr des Einsatzes ist es gelungen, dass alle
Schiffe des Welternährungsprogramms, die mit Hilfsgütern für Somalia beladen waren, sicher in somalische
Zielhäfen einfahren konnten. Das ist ein bemerkenswerter Erfolg. Deswegen möchte ich zu Beginn, vielleicht
auch in Ihrer aller Namen, den Frauen und Männern der
Bundeswehr sehr herzlich danken, die diese Leistungen
unter großen Entbehrungen vollbracht haben.
({5})
Es wurden zahlreiche Angriffe auf Handelsschiffe abgewehrt. Denjenigen, die vielleicht nur die Zahl von
190 Vorfällen sehen, möchte ich kurz vor Augen führen,
dass sich in dieser Region etwa 20 000 Schiffe pro Jahr
bewegen. Wir wissen, dass wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, unsere Schiffe, unsere Bürgerinnen und Bürger vor Piraterie zu schützen.
Darüber hinaus haben wir Piraten festgenommen. Sie
wurden von Atalanta an die Behörden zur Strafverfolgung übergeben. Kenia hat dabei Verantwortung übernommen, und auch die Seychellen haben sich dazu bereit erklärt. Die Zusammenarbeit mit Staaten dieser
Region ist wichtig für den Erfolg der Pirateriebekämpfung; denn Straflosigkeit schreckt keinen potenziellen
Piraten ab.
Es ist ohne Zweifel, dass man auch über die Ursachen
reden muss.
({6})
Es besteht auch kein Zweifel daran, dass es zivile Aufgaben gibt. Aber die einfache Erklärung, die Piraterie sei
entstanden, weil dort eine Überfischung stattgefunden
habe, ist, mit Verlaub gesagt, zu simpel, und sie ist
falsch. In Wahrheit ist es so, dass der rechtsfreie Raum in
Somalia zu viel Raum für organisierte Kriminalität gelassen hat. Jemand, der sein Auskommen als Fischer
nicht mehr bestreiten kann, wird deswegen nicht zu einem mordenden Piraten. Das muss man festhalten. Das
ist eine Verkehrung der Tatsachen.
({7})
Deutschland und Europa sind unmittelbar vom Staatszerfall in Somalia betroffen. Über die Anschläge wird
gelegentlich, wenn sie besonders traurig und dramatisch
waren, in den deutschen Medien berichtet. Am 3. Dezember beispielsweise hat es einen furchtbaren Anschlag
mit zahlreichen Opfern, unter anderem mehrere Minister, gegeben.
Wir wollen den Wiederaufbau des Staates unterstützen. Die somalische Übergangsregierung wird von der
internationalen Gemeinschaft anerkannt und bei ihrem
Bemühen um Frieden unterstützt. Deswegen finden Sie
entgegen anderslautenden Bemerkungen entsprechende
Hinweise in der Begründung des Mandates. Die Regierung ist fortwährenden Angriffen islamistischer Extremisten ausgesetzt. Deswegen ist Staatsaufbau und Entwicklung eine Aufgabe in unserem gemeinsamen
Interesse, die wir für unsere eigene Sicherheit, aber auch
für die Verhältnisse vor Ort unterstützen wollen.
Um das Ziel zu erreichen, plant die Europäische
Union gemeinsam mit afrikanischen Partnern die Ausbildung von somalischen Soldaten in Uganda. Auch
politisch bleiben wir engagiert, unter anderem als Mitglied der internationalen Somalia-Kontaktgruppe. Wir
unterstützen außerdem die Erarbeitung einer neuen somalischen Verfassung, in der die berechtigten Interessen
aller Beteiligten berücksichtigt werden sollen und berücksichtigt werden müssen. Atalanta ist also fest in ein
politisches Konzept für Somalia eingebettet. Jeder, der
behauptet, es sei eine ausschließlich militärische Lösung, die die Bundesregierung verfolgt, liegt falsch. Wir
wissen, dass beides unbedingt notwendig ist.
({8})
Ich möchte nachdrücklich unterstreichen: Es geht um
unseren Schutz, um den Schutz unserer Schiffe und unserer Handelsrouten, aber es geht auch um den Schutz
der Menschen in Somalia und die Gewährleistung, dass
humanitäre Hilfsleistungen sie erreichen können. Das
Mandat ist aus unserer Sicht nicht nur politisch geboten,
sondern auch moralisch und ethisch richtig, und ich
hoffe, dass der Bundestag dem Antrag der Regierung mit
großer Mehrheit folgt.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Günter
Gloser das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn wir heute über die Bekämpfung von Piraterie sprechen, dann sollten wir uns klar vor Augen führen, worum es wirklich geht. Friedliche Handelsschiffe
werden auf einem der verkehrsreichsten internationalen
Handelswege, dem Golf von Aden, unvermittelt mit modernen, großkalibrigen Waffen beschossen. Mannschaften gekaperter Schiffe werden monatelang in Geiselhaft
gehalten und nur gegen die Zahlung von Millionenbeträgen freigegeben. Auch Supertanker sind vor Piraten
nicht sicher. Selbst Schiffe mit Lebensmitteln für die Not
leidende Bevölkerung Somalias oder den Sudan werden
gekapert. Die Lebensmittel landen dann auf dem
Schwarzmarkt und nicht bei denjenigen, die sie bitter
nötig haben.
Gegen diese Attacken organisierter Krimineller setzt
sich die internationale Gemeinschaft mit der EU-geführten Operation Atalanta gemeinsam mit anderen zu Recht
zur Wehr. Die vor der Küste Somalias und im Golf von
Aden kreuzenden Kriegsschiffe bieten durchfahrenden
Schiffen Schutz oder kommen angegriffenen Schiffen zu
Hilfe. Durch ihre Präsenz wirken sie abschreckend, auch
auf mögliche Angreifer. Sie können dadurch häufig,
wenn auch nicht immer, Attacken von Piraten verhindern. Auch deshalb werden wir dem von der Bundesregierung vorgelegten Antrag zustimmen.
Ich möchte noch einmal auf den Hintergrund des Einsatzes hinweisen und dabei über die Frage der Piraterie
hinausgehen und auf die Probleme der Gesamtregion
eingehen. Eines will ich festhalten - das sage ich vor allem den Kolleginnen und Kollegen von der Linken, weil
sie heute Morgen im Ausschuss gleich zu Beginn gesagt
haben: Wir stimmen dem Antrag nicht zu -: Ich weiß,
dass man über den Einsatz streitig diskutieren kann, aber
seit Anfang 2008 konnten alle Schiffe mit Lebensmitteln
unbehelligt ihr Ziel in Somalia erreichen. Sie haben
285 000 Tonnen Nahrungsmittel für die leidende Bevölkerung ausgeliefert. Meine Damen und Herren, das ist
ein Erfolg. Dieser Erfolg ist aber eng an die Präsenz der
Kriegsschiffe gebunden.
Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang: Die
Piraten weichen einfach in weniger bewachte Gebiete,
Richtung Osten, aus. Sie gehen also weiter weg von der
Küste Somalias. Daraufhin wurde auch das Aktionsgebiet ausgeweitet. Jetzt ist es aber so groß, dass es nicht
mehr wirklich überwacht werden kann. Schiffe, die nicht
auf einen von Kriegsschiffen geleiteten Konvoi warten
können oder wollen, gehen nach wie vor ein großes Risiko ein, angegriffen zu werden.
Deshalb erwähne ich einen anderen Punkt: Herr Außenminister, Sie haben völlig recht, dass es zu kurz gegriffen ist, wenn man sagt, dass die Piraterie entstanden
ist, weil man nicht länger ausreichende Einkommen erzielen konnte. Darauf möchte ich schon eingehen: Das
ist nicht der ausschließliche Grund; Sie haben den Zerfall des Landes angesprochen. Wir dürfen aber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die Überfischung
des Meeres vor der Küste Somalias verdrängen; denn die
somalischen Fischer wurden ihrer Existenzgrundlage beraubt, und manchen bleibt eben - das kennen wir auch
aus anderen Ländern - keine andere Erwerbsquelle als
die Zusammenarbeit mit Kriminellen.
Nach Schätzungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen entsteht Somalia durch die sogenannte
Fischereipiraterie ein jährlicher Schaden von 300 Millionen Dollar. Quellen sprechen von bis zu 220 illegalen
Fischtrawlern am Horn von Afrika, die trotz massiver internationaler Militärpräsenz weiterhin vor Somalias
Küsten aktiv sind. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich
die nunmehr erfolgte Erweiterung des Mandats auf die
Überwachung der Fischereitätigkeit. Das war überfällig.
Wir verbinden damit aber die Forderung, dass man die
erfassten Daten nicht nur speichert, sondern sich auch an
die Ausarbeitung von Regeln, an die Ausarbeitung eines
internationalen Fischereiabkommens macht; denn es
kann nicht Aufgabe der Mission Atalanta sein, den
Trawlern Schutz zu bieten, die das Meer überfischen und
letztendlich die Einkommensquellen rauben. Deshalb
lautet unsere herzliche Bitte, hier aktiv zu werden.
({0})
Unser Ziel kann es auch nicht sein, mit der Bundesmarine und den anderen Partnern dauerhaft vor dem
Horn von Afrika zu patrouillieren. Unser Ziel muss die
Stabilisierung der gesamten Region sein, um die Sicherheit in den Gewässern vor Somalia zu verbessern und sie
schließlich auch ohne Präsenz ausländischer Streitkräfte
zu gewährleisten.
Mein Hauptkritikpunkt an dem Antrag der Bundesregierung ist: Er enthält neben dem allgemeinen Ziel der
Pirateriebekämpfung keinerlei überprüfbare Zielvorgaben. Es fehlt bislang an einer regelmäßigen, transparenten Berichterstattung. Wie sollen wir in einem Jahr denn
beurteilen können, ob der Einsatz erfolgreich ist, wenn
wir jetzt nicht klar benennen, was wir erreichen wollen,
und zwar nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und
langfristig?
Die Erfolge, die ich genannt habe, haben auch Schattenseiten: Der VN-Sonderbeauftragte für Somalia,
Ahmedou Ould-Abdallah, hat im November festgestellt
- ich zitiere -:
Die erhöhte maritime Präsenz hilft uns, die Situation
auf See zu stabilisieren, aber die Zahl der Piratenangriffe ist nicht gesunken. - Er hat unterstrichen, dass
eine langfristige Lösung des Piraterieproblems nur
durch funktionierende staatliche Institutionen an
Land erreicht werden kann.
Damit sind wir beim Kern des Problems: In Somalia
ist über fast 20 Jahre hinweg die Staatlichkeit zerfallen.
Seither toben Bürgerkriege mit wechselnden Fronten,
Millionen von Menschen fliehen vor Krieg, Dürre und
Not. Dieses staatliche und institutionelle Vakuum hat das
Entstehen von Piraterie massiv begünstigt.
Nur wenn legitime, staatliche Institutionen in Somalia
wieder Rechtssicherheit gewährleisten können, wird ein
Abzug der internationalen Schiffe möglich sein. Nur
wenn die organisierte Kriminalität, die sich mittlerweile
weit in die Region hinein auswirkt, erfolgreich bekämpft
wird, wird eine erfolgreiche Beendigung der Mission
möglich sein. Nur wenn die Menschen in Somalia wieder alternative Existenzgrundlagen finden, werden sie
sich nicht weiter als Piraten anheuern lassen. Aus diesen
Gründen muss der Kampf gegen Piraterie Hand in Hand
gehen mit der Unterstützung des politischen Prozesses
mit dem Ziel einer handlungsfähigen, legitimierten ZenGünter Gloser
tralregierung, der Schaffung von staatlichen Strukturen
und Rechtssicherheit.
Die Anfänge sind gemacht. Die Übergangsregierung
von Sheikh Ahmed ist international anerkannt. Im April
hat die internationale Gemeinschaft konkrete finanzielle
und personelle Unterstützung zugesagt. Aber dies ist ein
langer Prozess, und erst wenn im Land mehr Sicherheit
herrscht, kann der Aufbau dieses zerstörten Landes beginnen.
Herr Außenminister, ich weiß, wir haben viele Mandate, ich weiß auch, dass manches nicht allein zu schultern ist. Aber weil wir wissen, dass es zwischen Äthiopien und Somalia einerseits und zwischen Eritrea und
Somalia andererseits Konflikte gibt, rege ich an, dass wir
Deutschen, die einen guten Ruf in dieser Region haben,
den einen oder anderen Anstoß zur Beseitigung dieser
Grenzkonflikte geben. Ich glaube, das wäre auch ein
Beitrag zur inneren Stabilität dieses Landes.
Herr Außenminister, Sie haben vorhin die europäische Ebene angesprochen. Wenn es denn so ist, dass der
Entwurf eines Papiers über die Lage und Entwicklung
am Horn von Afrika vorliegt, unterstützen wir diesen
ausdrücklich. Ich hoffe, dass sich die Europäische Union
dieser Verantwortung bewusst ist und nicht wie bei anderen Missionen monatelang über entsprechende Beiträge
debattiert, anstatt ein wirksames Zeichen in dieser Region zu setzen. Ich glaube, eine geschlossene Europäische Union in dieser Region ist ein gutes Zeichen für Somalia.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Thomas Kossendey.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als wir vor einem Jahr beschlossen haben, uns an der
EU-Operation Atalanta zu beteiligen, hatten wir uns
zwei Ziele gesetzt. Das erste Ziel war die Gewährung
von Schutz vor allem für die Schiffe des Welternährungsprogramms. Das zweite Ziel war die Abschreckung
gegen Piraterie, um so einen signifikanten Beitrag zur
Sicherung der zivilen Seeschifffahrt zu leisten. Heute
können wir mit Fug und Recht feststellen: Auftrag im
letzten Jahr ausgeführt. Die Bilanz von Atalanta kann
sich sehen lassen.
({0})
Im vergangenen Jahr wurden 69 Schiffe mit über
300 000 Tonnen Lebensmittel für das Welternährungsprogramm nach Somalia eskortiert und weit über 30 Geleitoperationen ziviler Handelsschiffe durchgeführt. Um
Ihnen die Wirkung zu verdeutlichen: 300 000 Tonnen
Lebensmittel waren im letzten Jahr die Lebensgrundlage
für 3,3 Millionen Menschen in Somalia. Ich glaube, da
wird sehr deutlich, dass diese Aktion einen zutiefst humanitären Aspekt hat.
Atalanta-Einheiten haben seit Beginn der Operation
mehr als 120 Piratenangriffe erfolgreich abgewehrt.
Mehr als 70 Piraten konnten der Strafverfolgung in Kenia übergeben werden. Dass die Zahl der erfolgreichen
Piratenangriffe gesunken ist, ist auch ein Beweis dafür,
dass wir dort ordentlich gearbeitet haben.
({1})
Lieber Herr Gloser, über den Fortschritt und Fortgang
dieser Operation werden die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss regelmäßig informiert. Wir informieren
darüber hinaus mittels der Unterrichtung des Parlamentes alle Abgeordneten sehr sorgfältig. Als wir das vor einem Jahr beschlossen haben, als wir diese Regelungen
festgelegt haben, waren Sie Staatsminister im Auswärtigen Amt. Daher sollten Sie sich daran erinnern.
({2})
Atalanta liegt ein doppeltes Rational zugrunde. Zunächst einmal ist dies das Humanitäre; ich habe das eben
verdeutlicht. Der Marineeinsatz ist zudem für uns Deutsche als Exportweltmeister und Betreiber der weltweit
drittgrößten Handelsflotte von ganz elementarem Interesse. Ich glaube, mit der erfolgreichen Durchführung
dieser ersten maritimen EU-Operation haben wir ein
sehr deutliches Signal gesandt, dass die Europäische
Union handlungsfähig ist.
Man darf durchaus mit Stolz darauf hinweisen, dass
das gemeinsame Ziel der Pirateriebekämpfung weit über
die Grenzen der EU hinaus einen verbindenden Charakter
hat. Vor Ort sind mittlerweile 30 Schiffe aus über 20 Nationen im Einsatz, weit über NATO und EU hinaus, unter
anderem aus China, Russland, den Vereinigten Staaten
und Pakistan. Über die gemeinsam bewältigten Aufgaben
wächst auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer
möglichst engen politischen Zusammenarbeit in diesem
Problemfeld.
Die internationale Kontaktgruppe zur Piraterie vor der
Küste von Somalia ist ein wichtiges Forum, wenn es darum geht, zu einem hohen Grad an Abstimmung aller relevanten Akteure zu gelangen. Auf allen Seiten herrscht
über Bündnisgrenzen hinweg eine sehr große Kooperationsbereitschaft. Vor Ort finden regelmäßige operative
Koordinierungs- und Abstimmungsbesprechungen mit
allen Partnern - ich will einschränkend sagen: mit Ausnahme des Irans - statt. Auf der taktischen Ebene ermöglicht ein allen Akteuren zugängliches Informationsnetz,
Chrystal, die Kooperation.
Wir sollten von Atalanta freilich keine Wunder erwarten. Wir können punktuell schützen - ja, das ist richtig -,
wir können die Fläche überwachen, und wir können
auch abschrecken. Mit rund 30 Schiffen kann man Piratenangriffe in diesem riesigen Gebiet von der 15-fachen
Größe Deutschlands aber auch in Zukunft nicht ausschließen. Pirateriebekämpfung, so erfolgreich sie im
Augenblick, nach diesem einen Jahr, auch sein mag, ist
immer nur die Bekämpfung von Symptomen. Sie muss
durch Anstrengungen zum Aufbau von Sicherheits- und
Verwaltungsstrukturen an Land in Somalia flankiert werden.
Hierfür gibt es zwei Ansätze. Innerhalb des Mandatsrahmens - das ist die eigentliche Neuerung - wollen wir
somalische Behörden künftig durch Informationen über
Fischereiaktivitäten unterstützen. Dadurch tragen wir
dazu bei, dass die somalische Eigenkontrolle der Territorialgewässer wiederhergestellt werden kann. Es wäre
auch fatal, wenn diese Informationen, die die EU-geführte Operation Atalanta erarbeitet, nicht dazu beitragen könnten, dass auch Fischer, die unberechtigt vor der
somalischen Küste arbeiten, innerhalb der EU Konsequenzen zu befürchten hätten.
Außerhalb des Mandatsrahmens - dazu hat sich Minister Westerwelle sehr deutlich geäußert - werden wir
auch die Anstrengungen an Land verstärken, um Somalia die Chance zu geben, vor der eigenen Küste selbst für
Ordnung zu sorgen. Dazu wird die spanische Präsidentschaft im nächsten Jahr sicherlich konkrete Vorschläge
vorlegen.
Als Mandatsobergrenze haben wir 1 400 Soldatinnen
und Soldaten angegeben. Diese Zahl mag für den einen
oder anderen sehr hoch klingen. Ich glaube, wir sollten
ermöglichen, dass durchfahrende Verbände der deutschen Marine auch unter diesem Mandat aktiv werden.
Hierfür wollen wir einen möglichst großen Spielraum
zur Verfügung haben. Das ist sehr wichtig.
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich
denke, die Fortführung der Operation Atalanta ist humanitär geboten, sie liegt in unserem sicherheitspolitischen
Interesse, sie fördert die Kooperation von unterschiedlichsten Partnern, sie basiert auf einer klaren Rechtsgrundlage, und sie zeigt deutliche Erfolge. Allerdings
- lassen Sie mich dies zum Schluss sagen - fordert sie
von unseren Soldatinnen und Soldaten auch einen überdurchschnittlichen Einsatz.
Im letzten Jahr sind dort mehrere unserer Schiffe weit
über 200 Tage am Stück im Seegebiet geblieben. Das ist
für junge Menschen und deren Familien nicht ganz leicht.
Ich will daran erinnern, dass viele Soldatinnen und Soldaten an Bord der Schiffe Weihnachten auf See verbringen. Das ist weiß Gott nicht so romantisch wie auf einer
Kreuzfahrt. In diesem Jahr feiern über 7 200 deutsche
Soldatinnen und Soldaten Weihnachten fern der Heimat.
Wir sollten ihnen von hier aus ein herzliches Dankeschön
sagen und an ihre Familien denken.
({3})
Ich bitte Sie alle um Zustimmung zu dieser Mandatsverlängerung und um ein klares Votum. Damit würden
wir unsere Soldatinnen und Soldaten unterstützen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Niema Movassat für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wenn wir alle Schiffe, die das Gebiet durchfahren,
effektiv schützen wollten, dann wären alle Armeen
dieser Welt nicht ausreichend.
Dieses Zitat stammt nicht etwa aus einem Antrag der
Linksfraktion, sondern aus einer Präsentation der EU. Es
verdeutlicht die ganze Sinnlosigkeit der Operation Atalanta. Laut dem International Maritime Bureau ist die
Zahl der Piratenangriffe trotz Militärpräsenz weiter gestiegen. Die Piraten haben ihre Angriffe regional ausgeweitet und sind gewaltsamer geworden. Die Gewaltspirale dreht sich demnach mit zunehmender Militärpräsenz
weiter.
({0})
Anstatt weiter Geld in eine sinnlose Militäroperation
zu pumpen, sollte sich die Bundesregierung endlich mit
den Ursachen der Piraterie beschäftigen.
({1})
Selbst das von der EU ins Leben gerufene Maritime Security Center benennt die Überfischung somalischer Gewässer durch internationale, oft illegale Fischfangflotten
sowie die Giftmüllverklappung als auslösende Faktoren
für die Piraterie am Horn von Afrika. So wird den somalischen Fischern jeden Tag ein weiteres Stückchen ihrer
Existenzgrundlage entzogen. Machen wir es konkret: Da
ist ein Fischer, der muss Frau und Kinder versorgen.
Fangen tut er nichts mehr; denn das Meer ist leergefischt
oder die Fische sind vergiftet. Wovon sollen er und seine
Familie morgen leben? So erscheint Piraterie einigen tragischerweise als ein Ausweg. Natürlich ist Piraterie ein
Verbrechen, die Zerstörung der Existenzgrundlage von
Zehntausenden Fischern aber ebenfalls.
({2})
450 Millionen Dollar hat Somalia im Jahr 2008 durch
Raubfischerei verloren. Hinzu kommen finanzielle
Schäden durch illegale Giftmüllentsorgung. Laut UN
geht es hierbei sogar um radioaktive Stoffe und Schwermetalle. Viele der Raubfischer und Giftmüllentsorger
sind Staatsbürger der EU. Wenn Sie, Herr Westerwelle
- er ist nicht mehr da - tatsächlich etwas für die Sicherheit und die Menschen am Horn von Afrika tun wollen,
dann gehen Sie endlich gegen diese Kriminellen vor.
({3})
Im April dieses Jahres kündigte die EU-Kommission an,
sich verstärkt um die Strafverfolgung von Raubfischern
aus EU-Ländern zu kümmern. Was ist daraus geworden?
Was treibt die EU und die Bundesregierung also um,
Kriegsschiffe im Rahmen einer zum Scheitern verurteilten Militärmission zu entsenden?
({4})
Mir scheint, dass die Sicherung von Handelswegen für
die Bundesregierung zum Verteidigungsfall Nummer
eins geworden ist und dass sie Angriffe von Piraten auf
deutsche Handelsschiffe als Kriegserklärung wertet. Angeblich geht es bei Atalanta ja um den Weltfrieden.
Doch dass ein bettelarmes Land ein Vielfaches dessen,
was europäische Handelsschiffe durch die Zahlung von
Lösegeld verlieren, durch illegalen Fischfang verliert,
scheint für die Bundesregierung ohne Belang zu sein.
({5})
Sie mögen einwenden, dass die Schiffe des Welternährungsprogrammes geschützt werden müssen. Diese
Schiffe ließen sich besser durch zivilen Geleitschutz sichern. Investieren Sie die Gelder für den Militäreinsatz
lieber in die Regenerierung der Gewässer und in Unterstützung für die somalischen Fischer. Sie werden sehen:
Wenn die Menschen wieder die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt legal zu verdienen, wird die Piraterie nachlassen.
({6})
Ein letzter Punkt. Bei Atalanta geht es um die weitere
Vorantreibung der Übernahme polizeilicher Aufgaben
durch das Militär, also um die Auflösung der grundgesetzlich verankerten strikten Trennung dieser beiden
Kräfte. Dies lehnen wir kategorisch ab. Wir bezeichnen
den Militäreinsatz schon heute als unangemessen. Wir
fordern das Ende der deutschen Beteiligung an Atalanta.
Deshalb wird die Linke gegen den Antrag der Bundesregierung stimmen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Kollege Movassat, das war Ihre erste Rede im Hohen
Hause. Dazu gratuliere ich Ihnen im Namen aller Kolleginnen und Kollegen herzlich.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der Kollege Omid Nouripour.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Piraterie ist ein sehr ernsthaftes und ein zunehmendes Problem. Durch die Piraterie wird - das, lieber Herr Staatssekretär, ist für uns der Kern der Debatte - die
Versorgung von über 3 Millionen Menschen in Somalia
gefährdet, die auf die Schiffe des Welternährungsprogrammes angewiesen sind. Deshalb erachte ich persönlich Atalanta und die Bekämpfung der Piraterie für notwendig. Das ist auch der Grund, warum die Mehrheit
meiner Fraktion der Verlängerung dieses Mandats zustimmen wird. Allerdings beschränkt sich dieses Mandat
- das ist etwas, was wir zu kritisieren haben - auf die
Bekämpfung von Symptomen.
Meine Damen und Herren, wir führen in diesen Zeiten viele Diskussionen über die Bundeswehr an sich. Ich
durfte in der letzten Woche mit den Kolleginnen und
Kollegen Obleuten und dem Minister in Kunduz sein.
Ich kann Ihnen versichern: Die Truppe ist tief verunsichert. Gerade weil die Truppe so verunsichert ist, müssen wir darauf achten, dass wir Mandate formulieren, die
von Klarheit und von Wirksamkeit geprägt sind. Ich bin
mir nicht sicher, ob das bei diesem Mandat in allen
Punkten gewährleistet ist.
({0})
Ich war letztes Jahr am 23. Dezember auf einer Fregatte und habe gesehen, dass das nicht unbedingt die
schönste Art und Weise ist, wie man Weihnachten feiern
kann. Gerade deswegen möchte ich den Soldatinnen und
Soldaten, die an Weihnachten nicht zu Hause sein werden, für den Dienst, den sie dort erbringen, von dieser
Stelle aus herzlich danken.
({1})
Es ist mehrfach gesagt worden: Es ist selbstverständlich richtig, die Ursachen der Piraterie zu bekämpfen.
Wir reden hier über Staatlichkeit, die in Somalia nahezu
komplett fehlt. Lieber Herr Außenminister, in dem Zusammenhang möchte ich auch für meine Fraktion sagen:
Wir haben immer gesagt, dass in Somalia natürlich die
Ausbildung der Armee erforderlich ist, damit dort Sicherheit gewährleistet werden kann. Ich kann Ihnen aber
jetzt schon sagen: Durch die Art und Weise, wie die
ESVP-Mission dafür derzeit „gestrickt“ wird, werden
bei uns eher Fragen aufgeworfen. Wir werden hier wahrscheinlich noch gesondert darüber diskutieren, aber aufgrund der Art, wie man das zurzeit organisiert und vorbereitet, sind wir eher skeptisch.
Staatlichkeit, wie gesagt, fehlt. Dazu wird meine Kollegin Kerstin Müller in der zweiten Lesung noch mehr
sagen. Wir brauchen einen regionalen Ansatz, wenn es
darum geht, Frieden in Somalia herzustellen. Wir erleben seit Jahren, dass Somalia ein Spielball der Interessen
verschiedener Nachbarstaaten ist. Es ist mehrfach gesagt
worden: Die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort
muss gewährleistet, und sie müssen vor Raubfischerei
geschützt werden. Sie müssen vor der Vermüllung der
Meere geschützt werden, die bewirkt, dass Fischerei
nicht mehr möglich ist. Das ist ein zentraler Punkt, den
man nicht getrennt von dieser Diskussion betrachten
darf. Deshalb noch einmal: Der Schutz der Lebensgrundlage der Menschen muss natürlich mit im Zentrum
stehen.
Die Verwirrung bei den Mandaten ist offensichtlich;
das ist der nächste Kritikpunkt. Es gibt OEF, Atalanta
und die NATO-Mission. Unsere Meinung zu OEF ist bekannt: Wir halten die völkerrechtliche Grundlage für
OEF mittlerweile nicht mehr für gegeben. Deshalb hätte
sich die Regierung aus unserer Sicht schon längst daransetzen müssen, eine Überprüfung der Zahl der Mandate
einzuleiten. In diesem Jahr findet sie leider nicht statt.
Wir haben OEF abgelehnt. Ich kann nur dringendst appellieren, dass das nächste Mal nur noch Atalanta zur
Abstimmung steht und nicht mehr verschiedene Mandate nebeneinander. Ich kann nur sagen: Schauen Sie
bitte auf den Text in Ihrem eigenen Koalitionsvertrag!
Was dort steht, ist richtig.
Der letzte Punkt. Es geht um Klarheit und um Wirksamkeit, und es ist für die Soldatinnen und Soldaten auf
den Fregatten nicht unbedingt motivierend, wenn sie
nicht genau wissen, was mit den Personen passiert, die
sie festsetzen. Wir haben erlebt, dass Festgesetzte freigelassen werden mussten, denen man selber ein paar Tage
später wieder begegnen konnte. Wir haben ferner erleben müssen, dass sie nach Kenia überstellt worden sind
und Kenia später erklärt hat, man werde sie nicht belangen. Es gibt also eine riesige Lücke bei der Antwort auf
die Frage, was eigentlich mit denjenigen passiert, die bei
Operationen festgesetzt werden. Das haben wir von Anfang an angemerkt und auch kritisiert. Ich sehe weiterhin
keine Lösung. Das ist ein großes Problem.
Der Hinweis darauf, dass man einen internationalen
Gerichtshof gegen Piraterie braucht, ist zweifelsfrei richtig; das steht jetzt aber nicht unbedingt sofort an. Deshalb habe ich die feste Bitte an die Bundesregierung:
Sorgen Sie dafür, dass die Soldatinnen und Soldaten
Klarheit darüber haben, was mit den Personen passiert,
die sie festsetzen! Diese Klarheit gibt es zurzeit nicht.
Kollege Nouripour, das ist eindeutig nicht Ihre erste
Rede. Ich bitte also wirklich um Beachtung der Zeichen.
Das geht auch auf Kosten der Wirksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Anknüpfend an das, was Kollege Nouripour gesagt hat: Auch wir wollen natürlich, dass in Somalia
Rechtsstaatlichkeit möglich wird. Deshalb ist eine unserer entwicklungspolitischen Aktivitäten - das möchte ich
zu dem Zwischenruf von Herrn Kollegen Ströbele vom
Anfang der Debatte noch einmal anmerken; ich habe
mich bei den Kollegen Fischer und Haibach, die ja besondere Kenner dieser Materie sind, extra noch einmal
vergewissert - die Unterstützung der Bildung von
Rechtsstaatlichkeit. Wir leisten hier einen besonderen
Beitrag.
({0})
- Dies geschieht zum Beispiel durch die Ausbildung somalischer Polizisten in Äthiopien.
Herr Kollege Ströbele, das wissen Sie auch: Leider
müssen die Ausbildungsmaßnahmen im Moment in
Äthiopien durchgeführt werden, weil dies in Somalia
aufgrund der Sicherheitslage gerade nicht möglich ist.
Selbstverständlich würden wir uns in dieser Beziehung
auf Dauer mehr wünschen, aber aufgrund der Sicherheitslage geht dies eben nicht. Deshalb ist es natürlich
auch wichtig - es ist gut, dass das auch in dieser Debatte
angesprochen wurde -, die Situation in Somalia und in
der Region insgesamt zu betrachten. Es ist im Übrigen
einer der Erfolge dieser Mission, dass wir damit zumindest ein Stück weit zur Stabilisierung in der Region - sie
muss selbstverständlich auch mit anderen Maßnahmen
fortgesetzt werden - beitragen.
Eines der Ziele möchte ich noch einmal besonders herausheben. Wenn es um Außenpolitik geht, reden wir oft
über Interessen. Was sind die deutschen Interessen? Als
Handelsnation haben wir Deutschen selbstverständlich
ein Interesse daran, dass die Seewege geschützt werden,
und deshalb ist es in ureigenem deutschen Interesse und
auch im Interesse der Unternehmen und der Arbeitsplätze, die damit zusammenhängen, diesen Einsatz fortzusetzen.
({1})
Es gibt allerdings ein viel wichtigeres Ziel. Herr
Ströbele, Sie haben als Fischfangexperte mit vielen Zwischenrufen nicht unrecht, aber gerade weil die Probleme
in Somalia so groß sind, ist die humanitäre Hilfe ein extrem wichtiger Beitrag für die Menschen dort. Es ist ein
hundertprozentiger Erfolg dieser Mission - über welche
Politikfelder kann man das noch sagen? -, dass alle
Schiffslieferungen im Rahmen der Welternährungsprogramme erfolgreich ausgeführt werden konnten. Das ist
angesichts des Ausmaßes von Armut und Hunger in Somalia ein großer Erfolg.
Vergegenwärtigen Sie sich noch einmal, dass mittlerweile mindestens 3,7 Millionen und damit 50 Prozent
der Bevölkerung in Somalia hilfebedürftig sind und über
20 Prozent aller Kinder dort unter Mangelerscheinungen
leiden. Deshalb ist es richtig, dass die Bundeswehr mit
ihrem Einsatz einen großen Beitrag dazu leistet, dass die
Lieferungen der Welternährungsprogramme bei den
Menschen ankommen.
Ich möchte mit einer Mär aufräumen, die zwar nicht
hier verbreitet wurde, die aber teilweise in der Berichterstattung zu finden ist. Es ist keinesfalls so, dass Piraten
dort eine Art Robin-Hood-Funktion wahrnehmen, Schiffe
kapern, plündern und das Erbeutete den Armen in Somalia geben. Dahinter stehen rein ökonomische und eigennützige Interessen. Das Geld wird in anderen Ländern in
Afrika für ganz andere Zwecke ausgegeben. Es geht
nicht darum, dass irgendein Pirat etwas raubt, um es den
Armen geben zu können. Das Gegenteil ist der Fall: Die
Piraterie ist gegen die Menschen in Somalia und der Region insgesamt gerichtet.
({2})
Die Mission ist auch aus einem weiteren Grund ein
Erfolg. Denn angesichts der rund 20 000 Schiffe, die
jährlich den Golf von Aden passieren, mag zwar die
Zahl der Piratenangriffe, die schon mehrmals genannt
worden ist, relativ gering wirken. Die finanziellen Forderungen bei Entführungen zeigen allerdings, welche
Dimensionen das Ganze hat. Auch die verheerenden Erfahrungen der entführten Crews machen deutlich, wie
wichtig es ist, auch die Menschen, die in der Schifffahrt
arbeiten, zu schützen.
Deshalb ist der Einsatz der Bundeswehr auch in Zukunft notwendig, damit der Schutz dieses wichtigen
Wirtschaftsbereichs insgesamt gewährleistet wird. Ein
Erfolg ist zumindest, dass sich das Operationsgebiet der
Piraten verändert hat. Die Piraten sind jetzt nicht mehr
im direkten Küstenbereich aktiv, sondern auf hoher See.
Das ist in jedem Fall ein Erfolg, weil es die Aktionen der
Piraten wesentlich erschwert und den Handlungsradius
so stark ausgedehnt hat, dass sie keine so eklatante Gefahr mehr sein können wie in den vergangenen Jahren.
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion danken wie
die Vertreter der Regierung und der Opposition unseren
Soldatinnen und Soldaten, die dort im Einsatz sind. Gerade auch jetzt in der Adventszeit möchte ich im Namen
meiner Fraktion den Soldatinnen und Soldaten und ihren
Familien unsere volle Unterstützung zusichern und ihnen unsere Sympathie aussprechen. Wir wollen ihnen
mit der Mandatsverlängerung den Rücken stärken und
deutlich machen, dass wir hinter ihnen stehen.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/179 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation „Althea“ zur weiteren Stabilisierung des
Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Implementierung der
Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier
Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage
der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1575 ({0}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1895 ({1}) vom
18. November 2009
- Drucksache 17/180 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Kolleginnen und Kollegen! Andere Einsätze der
Bundeswehr - das haben wir heute schon bemerkt - mögen derzeit stärker im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen. Ich rede jetzt über einen Antrag, den wir in
diesem Hohen Hause einbringen, weil Deutschland ein
vitales Interesse an der Stabilisierung Bosniens und Herzegowinas in unserer unmittelbaren Nachbarschaft hat.
Die Bundesregierung unterstützt Bosnien und Herzegowina auf dem Weg zu einem friedlichen, demokratischen
Rechtsstaat, einem Staat, der selbstständig die Freiheit
und die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten kann und
der sich in Richtung Integration in europäische und euroatlantische Strukturen bewegt. Selbsttragende gesamtstaatliche Strukturen dort bleiben unser Ziel. Die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft
engagieren sich für dieses Ziel, und zwar - dies sei nachdrücklich unterstrichen - politisch, militärisch und zivil.
Die militärische Sicherheitslage in der Region kann derzeit als grundsätzlich ruhig und stabil eingestuft werden.
Das zeigt, wie viel wir erreicht haben. Unser Dank dafür
gilt abermals den Frauen und Männern der Bundeswehr,
die vor Ort ihren verantwortungsvollen Dienst tun.
({0})
Die innenpolitische Lage ist jedoch nach wie vor fragil. Das ist auch der Grund, warum wir jetzt diese
Debatte führen und dann in dieser Woche entscheiden
wollen. Die Parteien mit ihren ethnisch bestimmten
Agenden blockieren weitere Reformen und verhindern
die Funktionalität des Gesamtstaates. Das fragile Machtgleichgewicht zwischen den drei staatsbildenden Volksgruppen - Bosniaken, Serben und Kroaten - bleibt das
allbestimmende Thema in der politischen Diskussion.
Angesichts dieser innenpolitischen Lage bleibt es das
Ziel von Althea, ein sicheres und geschütztes Umfeld
aufrechtzuerhalten, gerade auch mit Blick auf die anstehenden Wahlen. Außerdem unterstützt die Mission den
Hohen Repräsentanten mit seinen exekutiven Vollmachten.
Ich darf für die Bundesregierung nicht nur um Zustimmung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation
Althea sowie an dem NATO-Hauptquartier in Sarajevo
bitten. Ausdrücklich darf ich auch darauf hinweisen,
dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner
Resolution vom 18. November 2009 die Mitgliedstaaten
für zwölf Monate zur Fortführung von Althea autorisiert
hat. Da wir derzeit grundsätzlich von einer stabilen
Sicherheitslage vor Ort ausgehen können, kann die
Obergrenze für die deutsche Beteiligung von 2 400 auf
900 Soldatinnen und Soldaten abgesenkt werden. Ich
sage ausdrücklich: Das Ziel jedes unserer militärischen
Einsätze ist, sich selber überflüssig zu machen. Wenn
wir hier in der richtigen Richtung auf dem Weg sind,
dann, glaube ich, ist das etwas, das den ganzen Deutschen Bundestag erfreuen kann.
({1})
Militär alleine ist keine Lösung. Das wissen Sie alle;
das muss man niemandem hier noch einmal nachdrücklich sagen. Das Land benötigt dringend Reformen. Am
vergangenen Wochenende hat eine Konferenz in Berlin
stattgefunden. Ich selbst habe im Vorfeld dieser Konferenz verschiedene Amtskollegen persönlich zum Gespräch getroffen. Ich will aus Gründen des Respekts und
der Vertraulichkeit, die zu solchen Gesprächen dazugehören, nicht alles berichten, was dort - auch von uns gesagt worden ist. Ich habe gar keinen Zweifel daran,
dass das hier allgemein genauso gesehen wird. Die Gespräche, die seitens der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft und der Vereinigten Staaten von Amerika seit
Oktober geführt worden sind, sollen von der Bundesregierung ausdrücklich erwähnt und auch begrüßt werden. Dass wir gleichzeitig bedauern - das sagen wir natürlich auch unseren Gesprächspartnern immer wieder -,
dass es noch keinen Durchbruch geben konnte, sei nur
der Ordnung halber aufgeführt.
Die Entwicklung Bosniens und Herzegowinas bleibt
natürlich zuerst die Aufgabe der Verantwortlichen vor
Ort. Die Bundesregierung - das sage ich mit großem Bedacht, nachdem ich sowohl bei der Außenministerkonferenz der NATO-Staaten in Brüssel als auch letzte Woche
ausführlich bei der Konferenz der Außenminister im Allgemeinen Rat und im Außenpolitischen Rat darüber beraten habe und weil wir uns als Deutsche, durch mich
vertreten, so eingelassen haben - wird auch in Zukunft
in ihren Gesprächen deutlich machen, dass es weitere
Schritte der EU- und NATO-Annäherung nicht geben
kann, solange die notwendigen Reformen im Land nicht
mit Nachdruck angegangen werden. Da besteht für die
Bundesregierung ein zwingender Zusammenhang.
({2})
Klar ist auch, dass wir Schritte in die richtige Richtung
möglich machen wollen. Damit das gelingen kann, bitte
ich um Zustimmung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Althea. Das ist der
Grund, warum ich diesen Antrag hier begründet habe.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Gernot
Erler das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ivo Andric, der jugoslawische Literaturnobelpreisträger
und Autor des berühmten Buches Die Brücke über die
Drina hat Bosnien in einer Erzählung einmal „das Land
der Angst, das Land des Hasses“ genannt, eines Hasses
zwischen seinen Völkern und Religionen, der zum Instrument des Vernichtungswillens und des Selbstvernichtungstriebes werde. Nirgendwo, so schrieb er, gebe
es - ich zitiere - „mehr Menschen, die aus verschiedenen Motiven und mit den verschiedensten Ausreden in
den Ausbrüchen dieses unbewussten Hasses bereit sind,
zu töten und sich töten zu lassen …“. Diese Beschreibung hat in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine schreckliche Bestätigung erhalten. In Bosnien
fand der blutigste und der verlustreichste der vier Balkankriege dieser Jahre statt. Der Ortsname Srebrenica
verursacht bis heute ein Schaudern überall, wo der tragische Hintergrund bekannt ist.
Das Dayton-Abkommen vom Dezember 1995 hat das
Blutvergießen beendet und die Grundlage für das Zusammenleben von Bosniaken, Kroaten und Serben in einem neuen Staat Bosnien-Herzegowina zu legen versucht. Seit 1995 bemüht sich die Weltgemeinschaft, in
den letzten Jahren immer mehr die EU, um eine gesicherte Existenz für Bosnien-Herzegowina und alle seine
Bewohner - mit großem Aufwand, mit sehr viel Geduld,
auch mit Erfolg. Allerdings kommt er sehr langsam, im
Schneckentempo. Die Mission EUFOR Althea löste im
Dezember 2004 ihre Vorgänger IFOR und SFOR ab. Sie
umfasste damals noch 7 000 Soldaten und war mit einem
starken Kapitel-VII-Mandat der Vereinten Nationen ausgestattet. Heute befinden sich nur noch 2 000 Soldaten
vor Ort. Allerdings werden Reservekräfte in Bereitschaft
gehalten, um diese notfalls zu verstärken. Wie der Außenminister eben schon gesagt hat: Der Auftrag lautet,
ein sicheres Umfeld aufrechtzuerhalten und die Einhaltung des Dayton-Vertrages abzusichern und dabei auch
die Arbeit des Hohen Repräsentanten der internationalen
Gemeinschaft, der zugleich Sonderbeauftragter der EU
ist, zu unterstützen, der sich wiederum dabei auf die sogenannten Bonn-Powers stützt, also das Recht, notfalls
exekutiv in die Innenpolitik Bosnien-Herzegowinas einzugreifen.
Längst sehnt die internationale Gemeinschaft den Tag
herbei, an dem Bosnien-Herzegowina auf eigenen Füßen
stehen kann. Längst denkt die EU über eine Umwandlung von Althea in eine reine Beratungs- und Unterstützungsoperation mit nicht mehr als 200 bewaffneten
Kräften nach. Längst ist die Auflösung des OHR, also
des Büros des Hohen Repräsentanten mit seinen exekutiven Vollmachten, beschlossene Sache. Damit es aber
dazu kommt, muss es ein Mindestmaß an politischer Stabilität geben und müssen einige strittige und sensible
Fragen geklärt sein, zum Beispiel die Aufteilung des
Vermögens des Staates und der Streitkräfte.
Trotz aller internationaler Bemühungen, zuletzt im
September und Oktober dieses Jahres im Rahmen des sogenannten Butmir-Prozesses, schnappt immer wieder die
politische Blockade zu und setzt sich immer wieder die
Reformverweigerung gegen alle Vernunft durch. Es ist
eine bittere Erkenntnis, dass die europäische Integrationsperspektive, die mit dem Stabilisierungs- und Assoziierungsprogramm und mit dem Visumerleichterungsabkommen schon im Jahr 2008 wichtige Hürden genommen hat,
diese Blockade allein nicht überwindet, obwohl sie unverzichtbar bleibt, dass dies auch nicht die Konditionalität bei dem gewünschten NATO-Beitritt leistet und dass
auch die Zusagen des IWF, großvolumige Kredite zu gewähren, immerhin über 1,2 Milliarden Euro - von Bosnien-Herzegowina in der Wirtschaftskrise übrigens dringend benötigt -, als Anreiz für die notwendigen
Reformen nicht ausreichen.
Wir werden aber weitermachen, mit unserer Geduld,
mit unserem Nachdruck und mit unserer Klarheit. Dazu
gehört die Botschaft: Bosnien-Herzegowina wird den
Weg in die EU und in die NATO entweder als gemeinsamer Staat oder gar nicht gehen. Diese Botschaft richtet
sich ganz besonders an den Ministerpräsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, der in den innerstaatlichen Auseinandersetzungen immer wieder - offen oder
angedeutet - die Karte der Sezessionsdrohung zieht und
dabei gefährliche Illusionen bei seinen serbischen Anhängern nährt.
Ich nutze die Gelegenheit hier in diesem Hause zu einer Klarstellung: Eine große Mehrheit im Deutschen
Bundestag hält an der europäischen Perspektive für alle
Westbalkanstaaten fest, wie sie zuerst vom Europäischen
Rat von Thessaloniki im Juni 2003 verkündet wurde.
Diese verbindliche Perspektive gilt trotz aller Schwierigkeiten und Probleme auch für Bosnien-Herzegowina,
aber auf keinen Fall für eine sich abspaltende Republika
Srpska.
({0})
Die Fraktion der SPD stimmt der Fortsetzung der EUMission Althea zur weiteren Absicherung des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina zu, weil sie leider
noch immer notwendig ist und weil die längst überfälligen Voraussetzungen für ihre Reduzierung auf eine, wie
ich es beschrieben habe, reine Beratungs- und Unterstützungsfunktion leider noch immer nicht gegeben sind.
Wir verbinden diese Zustimmung mit der Vorlage eines Entschließungsantrages, der die politischen Implikationen des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina
im Detail beschreibt, der die Bedeutung der europäischen Perspektive für jede politische Stabilisierung in
der Region noch einmal unterstreicht und der in 15 Einzelpunkten Erwartungen an die Bundesregierung formuliert, Erwartungen zu politischen Schritten, von denen
wir uns einen Fortschritt bei den seit 15 Jahren andauernden Bemühungen der internationalen Gemeinschaft
in Bosnien-Herzegowina erhoffen, einen Fortschritt, der
dazu führen soll, dass wir hier nicht noch einmal über
eine Verlängerung von EUFOR Althea mit dem bisherigen Auftrag debattieren müssen und dass die Beschreibung von Ivo Andric, Bosnien sei ein Land der Angst
und des Hasses, endgültig zu einer Beschreibung der
Vergangenheit wird.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Erler, der Einstieg und Ausstieg Ihrer Rede
mit Blick auf Ivo Andrics Schlüsselroman Die Brücke
über die Drina hat in der Tat nachdenklich gestimmt.
Diesen Roman haben sicherlich nicht nur Sie und ich zu
Beginn der 1990er-Jahre gelesen. Ich darf daran erinnern, dass am 1. März 1992 die erste Delegation des
Deutschen Bundestages nach Sarajevo fuhr, damals noch
mit der Vorstellung, es gehe sozusagen nur um ein technisches Arrangement zwischen drei verschiedenen
Ethnien. Dabei war bei der Konferenz von Brioni fälschlicherweise unterstellt worden, es gehe um Minderheitenschutz. Es gab allerdings keine Mehrheit, sondern nur
verschiedene ethnische Gruppen.
In den Jahren darauf entluden sich dann die Spannungen in gewalttätigen militärischen Aktionen der brutalsten Art. Nach den ganzen Vorspielen in den Jahren zuvor
- das ist eigentlich eine falsche Bezeichnung für das,
was zum Beispiel in Sarajevo stattgefunden hat - war
Srebrenica der brutale, schlimme und menschenverachtende Höhepunkt der Menschenjagd einer Ethnie auf die
andere - eine für Europa und in Europa untragbare Situation.
Ich finde, heute ist auch Anlass dazu, darauf hinzuweisen, dass unser militärisches Engagement, das im
Jahr 1995 begonnen hat und das niemandem leichtfiel,
über das wir auch sehr intensiv gerungen haben, doch
ein großes Maß an Erfolg gebracht hat, wenn auch nicht
die Lösung in allen Fragen. Sie haben ja darauf hingewiesen, dass die Politik von Herrn Dodik, die wir nach
wie vor in der Republika Srpska erleben, uns nicht zufriedenstellen kann. Dennoch ist die Operation Althea,
bei der sich die Bundesrepublik Deutschland militärisch
engagiert und für deren Fortsetzung die Bundesregierung den Deutschen Bundestag um Zustimmung bittet,
eine erfolgreiche Mission. Das kann man nicht nur quantitativ feststellen - es ist ja erfreulich, wenn die Zahl derer, die notwendig sind, um militärischen Schutz und Sicherheit zu bieten, verringert werden kann; das ist ja hier
signifikant der Fall -, sondern auch an der Abwesenheit
von Gewalttätigkeiten. Dies gibt zwar noch nicht die Sicherheit für ein gutes und konfliktfreies Zusammenleben
im Staat, aber schafft doch die Voraussetzung dafür.
Dank des militärischen Eingreifens kam es dann auch
zum Dayton-Vertrag und anderen guten Ergebnissen.
Ich möchte uns aber auch noch einmal die dramatische
Situation von damals in Erinnerung rufen: Massenvergewaltigungen und -tötungen, die in serbischen Lagern
stattfanden, und Missachtung der Existenzberechtigung
von ethnischen Gruppen machte uns Europäern unsere
moralische Verantwortung bewusst und musste uns auf
den Plan rufen. Diese Zeiten gehören Gott sei Dank der
Vergangenheit an. Die Fragen, die heute zu lösen sind,
sind anderer Natur; sie sind aber trotzdem sehr wichtig.
Wir halten es für sehr wichtig, dass der Hohe Repräsentant, über den schon gesprochen worden ist, weiterhin seine Funktion wahrnimmt; der Bundesaußenminister hat ja auch ausführlich darauf hingewiesen. Natürlich
hätten auch wir es sehr gerne, wenn diese Mission in
eine Beobachtungsmission überführt werden könnte, die
keine exekutiven Kompetenzen mehr hat, und die BonnPowers nicht mehr zur Anwendung kommen müssten.
Allein, die Verhältnisse sind noch nicht so. Deswegen
stehen wir dazu, dass Inzko nicht nur als EU-Sonderbeauftragter, sondern auch in seiner anderen Funktion als
Hoher Repräsentant einen Beitrag dafür leistet, dass der
Staat Bosnien-Herzegowina, wenn er im Jahre 2011
nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen werden will, diese Aufgabe als ein Land
wahrnehmen kann, das ohne militärische Unterstützung
von außen seine eigenen inneren Angelegenheiten regeln
kann.
Die Fragestellungen haben also sehr viel mit politischem und wenig mit militärischem Druck zu tun. Dennoch ist es gut und wichtig, dass wir in diesen Zeiten mit
circa 130 Soldaten der Bundeswehr in diesem 2 000 Soldaten umfassenden Althea-Kontingent präsent sind, aber
für den Fall, dass der eine oder andere bzw. die eine oder
andere übermütig werden, auch mit Reserveeingreifkräften tätig werden können. Wir halten ja gemeinsam mit
den österreichischen Partnern ein Eingreifkontingent bereit, sogenannte Over-the-Horizon-Forces, das wir zur
Verfügung stellen können, wenn Not am Mann bzw. am
Volke ist.
Ich erwarte nicht, dass es dazu kommt. Ich hoffe, dass
mit Druck, übrigens auch vonseiten Belgrads - man hört
das eine oder andere sehr Positive aus dieser Richtung -,
und mit Angeboten klargemacht wird, dass die Zukunft
Bosnien-Herzegowinas in einer föderativen Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Staat liegt. Wir sind seit
1992 bereit, unseren Beitrag zu leisten, seit 1995 auch
einen militärischen Beitrag. Nun würden wir die militärische Mission gerne erfolgreich abschließen, um sagen
zu können: Auftrag erfüllt! - So weit sind wir noch nicht
ganz. Deswegen bitten wir um Zustimmung zur Verlängerung.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor
14 Jahren wurde mit dem Friedensabkommen von Dayton die Grundlage des militärischen und politischen Status quo in Bosnien-Herzegowina gelegt. Das Land
scheint oberflächlich befriedet; aber es bleiben Zweifel,
ob der Dayton-Prozess, den die Bundeswehr dort absichert, wirklich zu einer stabilen Neuordnung des Landes
geführt hat.
Die Arbeitslosigkeit liegt in manchen Regionen bei
über 40 Prozent. Konkret bedeutet das: Eine halbe Million Menschen sind erwerbslos. Andererseits kommen
auf 4,6 Millionen Menschen in Bosnien-Herzegowina
100 Minister. Die Wirtschaftsleistung stagniert bei 60 Prozent des Vorkriegsniveaus. Internationale Zuwendungen
sind nach wie vor die Haupteinnahmequelle des Staates.
Die Privatisierung von Staatsunternehmen hat die ungleiche Verteilung von Vermögen massiv befördert.
Die Verantwortung für diese Zustände ist keineswegs
allein in Bosnien-Herzegowina und in den Folgen des
Bürgerkrieges zu suchen. Mitverantwortlich ist die sogenannte internationale Gemeinschaft durch von außen
diktierte Reformen. So wurde zum Beispiel die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik an den Internationalen Währungsfonds übergeben. Die Regierung hat so
keine Möglichkeit zur Gestaltung einer eigenständigen
Geldpolitik. Neoliberale Konzepte sind kein Weg zur
Armutsbekämpfung.
({0})
Sie sind es weder in Bosnien-Herzegowina noch in
Deutschland.
({1})
Die eigentliche Macht im Lande liegt nach wie vor
beim EU-Sonderbeauftragten, der zugleich Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen ist; wir hörten es
schon. Das Fortbestehen einer solchen Protektoratsverwaltung bringt wenig Vorteile, aber viele Probleme mit
sich. Der Hohe Repräsentant trifft bei allen politischen
Prozessen die letzte Entscheidung.
({2})
Dies ermöglicht es regionalen Politikern, alle Probleme
auf die Einflussnahme von außen zu schieben und sich
selbst der Verantwortung zu entziehen. Die vor allem
von der EU vorangetriebene Form des Staatsaufbaus
kann wohl nur als gescheiterter Versuch eines neuen Kolonialismus beschrieben werden.
({3})
Was funktioniert, ist die Heranführung der bosnischen
Armee an die Militärstrukturen der NATO und der EuroInge Höger
päischen Union. Die Bundesregierung nennt dies euro-atlantische Integration. So beteiligen sich immerhin bereits ein
Dutzend Soldaten der Armee von Bosnien-Herzegowina
an dem Kriegseinsatz der NATO in Afghanistan. Die
Linke sieht darin keine positive Entwicklung. Sinnvoller
wäre in jedem Fall eine weitere Demilitarisierung des
Landes, statt auch in Bosnien Militärs für Auslandseinsätze auszubilden und auszurüsten.
({4})
Die Linke sieht die Herausbildung einer Militärmacht
Europäische Union sehr kritisch. Mit der Militärmission
Althea in Bosnien bekam die EU bereits 2004 ihr erstes
großes Pilotprojekt für die Umsetzung militärischer Ordnungspolitik.
({5})
Jenseits dieser grundsätzlichen Kritik an der Militarisierung der europäischen Politik bleibt das Fazit für die
konkrete Situation in Bosnien-Herzegowina ernüchternd. Das Land ist nach wie vor nicht souverän, sondern
ein hauptsächlich von der Europäischen Union abhängiges Protektorat. Ein Weg aus der Sackgasse ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Risikofaktoren wie Armut, Korruption und ethnische Spannungen nehmen zu.
Es wird Zeit, endlich ehrlich Bilanz über die Erfolge
und Misserfolge der internationalen Präsenz in BosnienHerzegowina zu ziehen. Nur dann wird es möglich sein,
ein tragfähiges Konzept für die zivile Entwicklung der
Region auf den Weg zu bringen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Anders als ISAF und OEF ist die
Operation Althea heute im Bewusstsein der Öffentlichkeit wenig präsent. Seit 1995 befinden sich deutsche
Soldaten in Bosnien, schon fast doppelt so lange wie in
Afghanistan. Dennoch sind sie dort leider noch nicht
überflüssig; denn der Vertrag von Dayton hat zwar den
Krieg beendet, aber nicht den Frieden gesichert. Bis
heute leben die Volksgruppen in Bosnien in getrennten
Entitäten, in denen die wichtigsten Verwaltungsposten
nach ethnischen Kriterien verteilt werden. Hier wächst
nicht zusammen, was zusammen gehört. Im Gegenteil:
Die nationalistische Rhetorik politischer Amtsträger
stellt die Existenz des Staates Bosnien-Herzegowina immer wieder infrage.
Im Oktober haben die EU und die USA ein Reformpaket vorgelegt, das die Funktionalität der staatlichen Institutionen verbessern soll. Dieses wurde von allen Parteien
Bosnien-Herzegowinas aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Allein der Hohe Repräsentant, Valentin Inzko,
verhindert mit seinen exekutiven Vollmachten, den sogenannten Bonn Powers, die gegenseitige Blockade der ethnisch besetzten staatlichen Institutionen. Die Schließung
des Büros des Hohen Repräsentanten kann daher frühestens dann erfolgen, wenn eine multiethnische Verfassung
die Überlebensfähigkeit des Gesamtstaates Bosnien garantiert.
Europa muss den Versuchen benachbarter Staaten zur
Spaltung des Landes entschieden entgegentreten. Vor allem der Ministerpräsident der Republika Srpska, Milorad
Dodik, profiliert sich mit separatistischen Äußerungen
immer wieder als Gegner der angestrebten Verfassungsreform. An dieser Stelle wirkt es sich leider kontraproduktiv aus, dass die EU die Visumspflicht nur für die angrenzenden Balkanstaaten aufgehoben hat. Serbien hält
sich nicht damit zurück, den Bewohnern der Republika
Srpska Pässe auszustellen. Mit ihrer doppelten Staatsbürgerschaft genießen die bosnischen Serben so die EU-Freizügigkeit, während die bosnischen Muslime mal wieder
die Leidtragenden sind. Hinsichtlich der Beitrittsvoraussetzungen zum Schengen-Abkommen sind bereits ausreichende Fortschritte erzielt worden. Wir fordern daher die
Abschaffung der Visumspflicht für alle Bürger BosnienHerzegowinas.
({0})
Die anstehenden Wahlen im nächsten Jahr und der
festgefahrene Verfassungsreformprozess lassen die nationalistischen Töne wieder lauter werden. Beobachter sprechen von einer konkreten Eskalationsgefahr. Kroatiens
Präsident Stjepan Mesic warnte Ende November sogar
vor einem Zerfall Bosniens. Das Auseinanderbrechen des
Staates mit seiner bosniakischen, kroatischen und serbischen Bevölkerung würde eine „Kriegsgefahr“ bedeuten,
so seine Worte, Frau Höger.
Wir können und wollen aber in Europa nicht erneut
einen Ausbruch der Gewalt riskieren. An dieser Stelle
muss ich an die Ermordung von 8 000 muslimischen
Männern und Jungen durch serbische Soldaten im Juli
1995 in Srebrenica erinnern. Wer heute leichtfertig einen
Zerfall des fragilen Staatsgebildes in Kauf nimmt, akzeptiert nicht nur im Nachhinein die durch Vertreibung
und Ermordung der muslimischen Bevölkerung geschaffenen Fakten, sondern demütigt die Opfer und ihre Angehörigen von neuem.
({1})
Das menschliche Leid, das durch die jugoslawischen
Nachfolgekriege entstanden ist, stellt ein Erbe dar, das in
der Bevölkerung über Generationen weitergereicht wird.
Die meisten Verbrechen sind bis heute nicht aufgeklärt
und strafrechtlich nicht geahndet. Das behindert massiv
die Versöhnung der Volksgruppen; denn ohne Aufklärung gibt es keine Vergangenheitsbewältigung und ohne
Vergangenheitsbewältigung keine Versöhnung.
Zu all dem kommt der wirtschaftliche Schaden hinzu,
den die kriegerischen Auseinandersetzungen verursacht
haben. Der Friedensimplementierungsrat ringt noch
heute, 14 Jahre nach Kriegsende, um die Aufteilung des
Staatsvermögens und die Schaffung eines funktionierenden Wirtschaftsraumes. Vor allem aber die Verankerung
des Rechtsstaatsprinzips ist unabdingbare Voraussetzung
dafür, dass die Bevölkerung Bosniens langfristig in Frieden und Freiheit leben kann.
Ziel muss es sein, die 4 Millionen Menschen in die
EU zu integrieren und den nationalistischen Sonderinteressen einen Riegel vorzuschieben. Solange die Parteien
aber nicht in der Lage sind, sich auf eine europarechtskonforme, multiethnische Verfassung zu einigen, halten
wir sowohl die Präsenz des Hohen Repräsentanten als
auch die Präsenz der EUFOR-Truppen für erforderlich.
Daher werden wir dem vorgelegten Mandat überwiegend zustimmen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich ergreife das Wort für meine Fraktion nicht routinemäßig - obwohl ich das dritte Mal an diesem Tag rede und auch nicht deshalb, weil wir erneut ein Mandat verlängern; die Kollegen der Sozialdemokratie haben sich
ja gerade gefreut, dass ich auch bei dieser Mandatsverlängerung das Wort ergreife. Ich möchte eingangs darauf
hinweisen, dass kein Mandat - egal wie brenzlig es ist,
egal wie umstritten es in der Öffentlichkeit ist oder wie
positiv es von der Öffentlichkeit begleitet wird - ein
Routinemandat ist. Insofern hat der Parlamentsvorbehalt
die besondere Bedeutung - wir beraten jedes Mandat
nicht nur in einer Lesung, sondern in zwei Lesungen -,
dass wir hiermit die Gelegenheit haben, in der Öffentlichkeit, also unter Anteilnahme der Bürgerinnen und
Bürger und einer gewissen Anzahl von Parlamentariern,
deren Zahl hätte höher sein können, darüber zu diskutieren, was unsere Beweggründe sind. Es gibt also keine
Routine.
Ich möchte auf den Verlauf der Debatte mit einer Bemerkung eingehen, die dem gerecht wird, was wir in Zukunft mit dieser Mission anstreben und erreichen wollen;
es ist nämlich nicht nur eine rein militärische Mission,
sondern eine Mission, bei der viele andere Komponenten
- Aufbau der Sicherheitskräfte, weiteres Engagement
und diplomatisches Geschick - gefragt sind. Daher
möchte ich meinen Dank - dies ist heute schon mehrmals erwähnt worden - den Soldatinnen und Soldaten
aussprechen und darin auch unsere Diplomatinnen und
Diplomaten, die in allen Teilen der Welt im Einsatz sind,
einbinden - an dieser Stelle vor allem deswegen, weil sie
dort gefragt sind, Lösungskomponenten zu entwickeln
und sich zu engagieren. Auch ihnen gelten unser Respekt und unsere Anerkennung am Ende dieses Jahres
und anlässlich dieser Mandatsverlängerung.
({0})
Es ist tatsächlich so, dass sich zwar die militärische
Lage massiv verbessert hat, aber nicht die politische
Lage. Alle Unterrichtungen, die Befassung seitens der
Öffentlichkeit, die Beschäftigung mit Berichten aus dieser Region seitens unserer Stiftungen und anderer zeigen
deutlich: Das Engagement in dieser Region, vor der
Haustür der Europäischen Union, bleibt nach wie vor
notwendig, und zwar - ich schließe mich der Kollegin
Keul an - weit über das Maß hinaus, das wir mit diesem
konkreten Beitrag heute leisten. Dies bleibt für die deutsche Außenpolitik ein ganz wichtiger Faktor; hier müssen wir uns weiterhin engagieren. Die Lage ist fragil. Es
ist keinesfalls so, dass die angestrebten Ziele - um nur
eines zu nennen: einen stabilen, lebensfähigen, friedlichen und multiethnischen Staat zu bilden - bereits erreicht sind. Daher ist es notwendig, sich weiter zu engagieren.
Ich bitte Sie an dieser Stelle um Unterstützung für die
Mandatsverlängerung; denn neben diesem konkreten
Beitrag ist für die Bosniaken die psychologische Komponente wichtig, dass der militärischen Präsenz an sich
fast schon eine Bestandsgarantie für ihren Gesamtstaat
zukommt. Insofern ist es wichtig, dass wir unser Engagement dort weiterhin einbringen.
Einer der größten Erfolge der Befriedung in Bosnien
und Herzegowina ist die Reform des Verteidigungssektors. Auch dies ist im Rahmen der EUFOR-Mission insgesamt ein ganz wichtiger Beitrag. Wir sehen, dass es
gelungen ist, im Rahmen dieser europäischen Mission
sukzessive dazu beizutragen, eigene spezifisch militärische Aufgaben wie das Räumen von Minen bis zur Luftraumkontrolle an die neuen Streitkräfte, die mitausgebildet werden, zu übertragen. Der militärische Auftrag des
Dayton-Abkommens ist somit heute weitgehend erfüllt.
Die verbliebenen Risiken sind, wie ich gerade sagte,
nicht vordringlich militärischer Natur, sondern politischer, ökonomischer und polizeilicher Natur. Dem wird
das Mandat aus meiner Sicht gerecht.
Vor diesem Hintergrund bitte ich im Namen meiner
Fraktion darum, dieses Mandat zu verlängern. Wir sollten die Diskussion weit über diese Debatte und die Debatte am Donnerstag hinaus fortführen und dazu beitragen, dass dieses wichtige Thema auf der Tagesordnung
der deutschen Außenpolitik bleibt.
Herzlichen Dank.
({1})
Kollege Mißfelder, ich gebe dem Plenum ausdrücklich zur Kenntnis, dass Sie mehr als eine Minute Redezeit eingespart haben. Ihre Vorredner haben sich nicht so
diszipliniert an die vereinbarten Redezeiten gehalten.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/180 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. Dezember
2009, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen und vielleicht auch
erfolgreichen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.