Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: deutsches Stabilitätsprogramm 2011.
Das Wort für den einleitenden Beitrag, der fünf Minuten dauern soll, hat der Bundesminister der Finanzen,
Herr Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung hat in ihrer heutigen Kabinettssitzung
die Aktualisierung des deutschen Stabilitätsprogramms
für 2011 beschlossen. Sie wissen: Ein Bericht über dieses Stabilitätsprogramm ist gemäß dem europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspakt jährlich zu erstatten. Darin ist darzulegen, wie die Verpflichtungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts eingehalten werden.
Nach Überschüssen auf gesamtstaatlicher Ebene in
den Jahren 2007 und 2008 - im Zusammenhang mit dem
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt geht es ja
um das gesamtstaatliche Defizit bei Bund, Ländern, Kommunen und den gesetzlichen Sozialversicherungen - haben wir in Deutschland im Jahr 2009 den Referenzwert
für die Neuverschuldung in Höhe von 3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts infolge der schweren Finanz- und
Wirtschaftskrise überschritten; 2010 haben wir ihn mit
einem gesamtstaatlichen Defizit von 3,3 Prozent noch
einmal überschritten. Anfang des letzten Jahres wurde ja
erwartet, dass wir ein gesamtstaatliches Defizit von
5,5 Prozent haben. Insofern waren wir bei der Reduzierung des zu hohen Defizits im vergangenen Jahr schon
ziemlich erfolgreich.
Wir können den europäischen Institutionen jetzt mitteilen - das haben wir beschlossen -, dass wir die Defizitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bereits in diesem Jahr unterschreiten werden und gemäß
der voraussehbaren Entwicklung in diesem Jahr ein gesamtstaatliches Defizit von zweieinhalb Prozent haben
werden.
Wir haben ja als Lehre aus der Krise um die europäische Währung den Stabilitäts- und Wachstumspakt im
vergangenen Jahr mit den Beschlüssen des Europäischen
Rats geschärft: In Zukunft spielt nun auch der Schuldenstand eine stärkere Rolle; der Gesamtschuldenstand ist
gemäß der präventiven Komponente des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes in Zukunft in 20 gleichen Jahresschritten um den Teil zu reduzieren, der die Gesamtverschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
überschreitet.
Der deutsche Gesamtschuldenstand hat sich durch die
Anrechnung der Maßnahmen, die infolge der Ereignisse
von 2008 für die Rettung des Bankensektors ergriffen
wurden, von 73,4 auf 83,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht. Wir müssen also den Schuldenstand in den
kommenden Jahren um jeweils rund 0,5 Prozent reduzieren. Auch dieser Anforderung werden wir mehr als gerecht: Wir werden den Gesamtschuldenstand nach der
Projektion, die wir den europäischen Institutionen übermitteln, bis 2015 - also bis zum Ende des Projektionshorizonts - von jetzt rund 83 Prozent auf 75,5 Prozent
zurückgeführt haben.
Im Übrigen werden wir das mittelfristige Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, nämlich nach der Reduzierung der zu hohen Defizite dafür zu sorgen, dass das
gesamtstaatliche Defizit in normalen Zeiten dauerhaft
nicht mehr als ein halbes Prozent beträgt, nach der jetzt
absehbaren Entwicklung bereits 2014 erreichen. Wir gehen also über die Anforderungen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes hinaus.
Wir leisten mit dieser nachhaltigen Finanzpolitik erstens unseren Beitrag zu einem nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstum und damit zu nachhaltiger sozialer Leistungsfähigkeit. Denn das Wichtigste ist, dass als Folge
dieser Finanz- und Wachstumspolitik die soziale Stabilität unseres Landes, insbesondere die des Arbeitsmarktes,
gewährleistet ist.
Redetext
Wir leisten zweitens unseren Beitrag zur Stabilität unserer europäischen Währung, wozu neben dem Stabilitäts- und Wachstumspakt auch andere Maßnahmen gehören: die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der
Europäische Stabilisierungsmechanismus.
Indem wir die Stabilität unserer Währung verteidigen
und uns für sie einsetzen, leisten wir im Übrigen den
wichtigsten Beitrag für nachhaltige, soziale Gerechtigkeit und auch dafür, dass unsere Fähigkeit zu Wachstum,
das auf dem Außenhandel beruht und damit auf eine stabile Währung angewiesen ist, nachhaltig gewährleistet
ist. Dazu hat Deutschland als größtes Land in Europa
eine besondere Verpflichtung.
Wir erfüllen zugleich auch eine Ankerfunktion: Indem wir unseren Verpflichtungen für nachhaltiges
Wachstum und nachhaltige Stabilität nachkommen, können wir zugleich glaubwürdig dafür eintreten, dass das
überall in Europa geschieht.
Die erste Frage kommt von Kollegen Kindler.
Sehr geehrter Herr Bundesminister! Bei meiner Frage
geht es um den Komplex Bundesagentur für Arbeit. Es
ist ja wichtig, dass die Bundesregierung die Schuldenbremse einhält und gleichzeitig ein deutsches Stabilitätsprogramm auflegt. Wie erklärt es sich die Bundesregierung, dass der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit
sagt, dass wir in den nächsten Jahren aufgrund vermehrter Belastung, auch durch den neuen ALG-II-Kompromiss, ein Defizit von bis zu 10 Milliarden Euro haben
werden, während das BMF davon spricht, dass das nicht
zu erwarten sei und die Bundesagentur eine schwarze
Null schreiben könne?
Herr Minister.
Die Haushaltsplanung für die Bundesagentur für Arbeit ist innerhalb der Bundesregierung zwischen dem
Bundesfinanzministerium und dem Arbeitsministerium
abgestimmt. Sie ist im Übrigen auch mit der Führung der
Bundesagentur für Arbeit besprochen und abgestimmt
worden. Im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit gibt es allerdings drei Bänke: Deren Vertreter
verhalten sich gelegentlich in ihren öffentlichen Äußerungen so, wie sich auch die Vertreter anderer Interessenverbände in unserer pluralistischen Gesellschaft verhalten. Die von diesen verbreiteten Zahlen entsprechen
aber nicht immer der Realität. Die tatsächlichen Zahlen
werden innerhalb der Bundesregierung und am Ende
durch den Haushaltsgesetzgeber - das ist der Deutsche
Bundestag - beschlossen.
Herr Schneider, bitte.
Herr Minister, Sie haben die Vorbildwirkung und die
Ankerfunktion Deutschlands genannt. Ich teile diese
Auffassung. Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, alle
konjunkturellen Mehrerlöse, die sowohl durch höhere
Steuereinnahmen als auch durch geringere Arbeitsmarktausgaben entstehen, zur Senkung der Kreditaufnahme zu nutzen. Wenn ich mir das Stabilitätsprogramm
und auch den Entwurf des Haushalts 2012 anschaue,
dann stelle ich fest, dass Sie über 10 Milliarden Euro
Steuermehreinnahmen und im Bereich Arbeitsmarkt
3,5 Milliarden Euro Minderausgaben haben. Das macht
13,5 Milliarden Euro. Die Kreditaufnahme sinkt aber
laut Planung im Jahr 2012 nur von 40 Milliarden Euro
- das war in der alten Finanzplanung vorgesehen - auf
31 Milliarden Euro, das heißt, 4,5 Milliarden Euro sind
irgendwo verloren gegangen. Ich würde gerne wissen,
wie Sie es gegenüber Ihren europäischen Partnern, aber
auch dem Deutschen Bundestag gegenüber begründen
wollen, dass die zusätzlich zur Verfügung stehenden
Mittel eben nicht zu 100 Prozent zur Senkung der Kreditaufnahme genutzt werden.
Herr Kollege Schneider, die Bundesregierung hat am
16. März in dem neuen Verfahren zur Haushaltsaufstellung, dem sogenannten Top-down-Verfahren, die Eckwerte, die wir der Haushaltsaufstellung zugrunde legen
wollen, beschlossen. Ich habe diese Eckwerte zuerst, wie
es meine altmodische Art ist, im Haushaltsausschuss des
Deutschen Bundestages vorgestellt, bevor ich sie der
Bundespressekonferenz erläutert habe. Ich habe am
16. März - Sie waren dabei anwesend - zugleich darauf
hingewiesen, dass diese Eckwerte natürlich immer unter
dem Vorbehalt stehen, dass sich die tatsächliche Lage
ein Stück weit anders entwickelt.
Schon damals - das war ein paar Tage nach der
schrecklichen Katastrophe in Japan - habe ich darauf
hingewiesen, dass sich aus den schrecklichen Ereignissen in Japan für die Finanzpolitik und für die gesamtwirtschaftlichen Annahmen erhebliche Veränderungen
ergeben werden, die heute noch keiner kennt. Niemand
kann Ihnen genau sagen, wie sich die Weltenergiemärkte
entwickeln werden. Morgen fahre ich zu der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank nach Washington. Dort
wird diese Frage wieder ein wichtiger Beratungspunkt
sein. Deswegen habe ich damals gesagt: Ich bin froh,
dass wir in der Haushaltsplanung ein Stück weit auf der
sicheren Seite sind.
Im Übrigen werden wir den Haushalt - das war ja
Ihre Frage -, wenn er im Detail aufgestellt ist, im Deutschen Bundestag erläutern. Der von uns vorzulegende
Regierungsentwurf wird dann in erster Lesung im September und danach in intensiven Ausschussberatungen
behandelt.
Der Internationale Währungsfonds hat gerade in diesen Tagen die Industrieländer aufgefordert, die Politik
der Schuldenreduzierung konsequent fortzusetzen. Dabei hat er einige wichtige Industrieländer sehr kritisch
beleuchtet und ein Land als vorbildlich dargestellt. Das
war die Bundesrepublik Deutschland. Ich muss da meinen europäischen Partnern nicht viel sagen. Wenn ich
mehr sagen würde, entstünde eher die Sorge, dass wir
Deutschen uns zu sehr auf die Schulter klopfen, was
auch nicht hilfreich wäre.
Die Zahlen sprechen für sich. Wenn sich alle die deutschen Zahlen zum Vorbild nehmen, ist mir um die Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung nicht
Bange.
Herr Schwanitz, bitte.
Herr Minister, ich möchte eine Frage zum Bereich der
sozialen Sicherungssysteme stellen. Ich habe noch einmal in das Stabilitätsprogramm von 2010 geschaut, das
noch im Januar aktualisiert worden ist. Dabei habe ich
einen ausdrücklichen Hinweis zur finanziellen Ausgestaltung der Pflegeversicherung gefunden, nämlich dass
für die Pflegeversicherung eine ergänzende Kapitaldeckung eingeführt werden soll. Ich möchte Sie fragen,
ob dieses Projekt auch noch im Stabilitätsprogramm
2011 enthalten ist und, wenn ja, was hierzu geplant ist.
Herr Kollege Schwanitz, ich muss ein bisschen um
Nachsicht bitten, wenn ich nicht alle Fragen zu allen
Themen mit der Verlässlichkeit, die Sie als Parlamentarier zu Recht an Antworten der Bundesregierung stellen,
beantworten kann.
Derzeit befinden wir uns in Diskussionen - innerhalb
der Bundesregierung und auch im Parlament - über die
weitere Ausgestaltung der Pflegeversicherung. Wir sind
nicht am Ende aller Arbeiten für diese Legislaturperiode.
Dem kann ich jetzt nicht vorgreifen, zumal ich mich
auch mit dem Kollegen Rösler abstimmen muss.
Herr Kindler.
Herr Minister, die Bundesregierung plant ja, ab 2012
2 Milliarden Euro aus der Finanztransaktionsteuer einzunehmen. Jetzt frage ich Sie, wie der Verhandlungsstand zwischen den europäischen Partnern ist und wann
es konkrete Maßnahmen und Schritte gibt, damit dieses
Geld im Haushalt 2012 realisiert werden kann.
Herr Kollege, Sie erinnern sich vielleicht - was Sie
nicht müssen, Sie können es auch in den Protokollen des
Deutschen Bundestages nachlesen -, dass ich bei verschiedenen Gelegenheiten wieder und wieder darauf hingewiesen habe, dass wir in der Tat ab 2012 in unserer
Finanzplanung Einnahmen von 2 Milliarden Euro jährlich aus einer Finanztransaktionsteuer eingestellt haben,
ich aber zugleich auch darauf hingewiesen habe, dass
keineswegs sicher ist, ob wir sie auch bekommen werden. Ich habe nämlich immer gesagt: Wir können sie
nicht alleine beschließen und in einem nationalen Alleingang einführen. Dass wir sie global nicht eingeführt bekommen, wissen wir seit dem G-20-Gipfel in Toronto im
vergangenen Jahr. Wir treten dafür ein, dass sie auf europäischer Ebene zustande kommt, haben aber noch kein
Ergebnis erzielt.
Ich habe auch immer hinzugefügt: Persönlich bin ich
dafür, dass wir es für den Fall, dass sie in der Europäischen Union nicht zustande kommt, etwa in der EuroZone versuchen sollten. Das ist aber eine Position - das
habe ich auch immer betont -, die innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmt ist, weil zunächst versucht werden soll, es in der Europäischen Union insgesamt zustande zu bringen.
Jetzt zum konkreten Verhandlungsstand. Das Europäische Parlament hat die Kommission aufgefordert,
Vorschläge zu machen. Die Kommission ist in dieser
Frage außergewöhnlich zurückhaltend. Ich habe dem zuständigen Kommissar Semeta bei jeder Gelegenheit mit
der mir eigenen Mischung aus Freundlichkeit und
Klarheit gesagt, dass ich das erwarte. Die Staats- und
Regierungschefs haben im Europäischen Rat am 24. und
25. März die Kommission aufgefordert, Vorschläge vorzulegen. Erst gestern - das war meine bisher letzte Initiative - habe ich ein Mitglied der Kommission, Herrn
Lewandowski, darum gebeten, dass die Kommission
nicht ständig neue Initiativen für alles Mögliche unterbreitet, etwa für eine europäische Dieselbesteuerung, die
die Bundesrepublik Deutschland nicht akzeptieren wird
- in diesem Fall gilt übrigens das Prinzip der Einstimmigkeit -, sondern endlich einmal Vorschläge bezüglich
einer Finanztransaktionsteuer vorlegt, die der Europäische Rat und das Europäische Parlament von der Kommission erbeten haben; denn die Kommission hat bei
solchen Initiativen das Monopol.
Beim informellen Treffen der Finanzminister am vergangenen Freitag und Samstag in Gödöllö ist über dieses
Thema intensiv gesprochen worden. Insbesondere die
französische Kollegin hat die Kommission nachdrücklich aufgefordert, bis zur nächsten Sitzung der Finanzminister im Rahmen des Ecofin-Treffens am 16. Mai
2011 entsprechende Vorschläge vorzulegen. Ich bin zuversichtlich und gehe davon aus, dass uns bis dahin Vorschläge vorgelegt werden. Dann werden wir sehen, ob
eine Chance besteht, in Europa eine entsprechende Regelung zustande zu bringen. Sollten sie nicht bestehen,
werden wir uns innerhalb der Regierung dahin gehend
abstimmen, ob wir für eine Regelung innerhalb der
Euro-Gruppe eintreten. Das ist der Stand der Dinge.
Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob wir bereits im
Jahr 2012 Einnahmen aus der Finanztransaktionsteuer in
Höhe von 2 Milliarden Euro realisieren werden. Was ich
aber sagen kann, ist Folgendes - das habe ich auch schon
am 16. März 2011 gesagt -: Auch wenn wir diese Einnahmen nicht realisieren können, sind wir dank der Erfolge unserer Finanzpolitik
({0})
derzeit trotzdem in der Lage, den Verpflichtungen, die
sich aus der Schuldenbremse des Grundgesetzes und
dem Stabilitäts- und Wachstumspakt ergeben, gerecht zu
werden; aber wir treten mit aller Kraft und mit aller Entschiedenheit für eine Regelung ein.
Frau Kollegin Kudla, bitte.
Herr Bundesfinanzminister, können Sie bitte einige
Ausführungen zu der sogenannten 1/20-Regel machen.
Was bedeutet diese Regel, die künftig beim Schuldenabbau gilt, mittelfristig für Deutschland?
Die Regelungen zur Verschärfung des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes, die im Oktober des vergangenen Jahres vom Europäischen Rat beschlossen wurden als Konsequenz der Krise um den Euro, die von Griechenland
ausgegangen ist - die sogenannte Van-Rompuy-Taskforce hat diese Beschlüsse vorbereitet -, enthalten als ein
Element zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes die Bestimmung, dass nicht nur die jährliche Defizitgrenze von 3 Prozent, sondern schon im Zusammenhang mit den präventiven Komponenten des Stabilitätsund Wachstumspakts auch der Gesamtschuldenstand
berücksichtigt wird, und zwar in der Form, dass, wenn
ein Land eine Gesamtverschuldung von 60 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes überschreitet, korrigierende
Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Die Regelung sieht so aus: Der Teil der Gesamtverschuldung eines Landes, der 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreitet, muss innerhalb von
zwanzig Jahren in gleichen Teilen zurückgeführt werden. Die Bundesrepublik Deutschland wies Ende des
vergangenen Jahres einen Gesamtschuldenstand von
83,2 Prozent aus, weil - das habe ich bereits erwähnt die Maßnahmen, die wir im Zusammenhang mit der Bankenrettung unternommen haben, nach den Regeln von
Eurostat auf den Gesamtschuldenstand angerechnet werden. Der Gesamtschuldenstand der Bundesrepublik
Deutschland liegt also etwas mehr als 20 Prozentpunkte
über der 60-Prozent-Grenze. Geteilt durch 20 bedeutet
das: Wir müssen unseren Schuldenstand jährlich um
1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts reduzieren.
Auf Basis der finanzpolitischen Vorausschau, die wir
heute beschlossen haben, erfüllen wir diese Anforderungen. Wir reduzieren den Schuldenstand sogar um mehr als
1 Prozent jährlich, sodass wir am Ende des Zeitraums, für
den wir eine Prognose abgeben müssen - Ende 2015 -,
bei einer Gesamtverschuldung von - ich muss nachschauen - 75 Prozent ankommen. Innerhalb von vier
Jahren kann die Gesamtverschuldung also immerhin um
8 Prozentpunkte zurückgeführt werden.
Wenn wir unterstellen, dass wir 2016 den Normalzustand, den die Schuldenbremse des Grundgesetzes
vorsieht, erreicht haben und einhalten, nämlich eine jährliche Neuverschuldung in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wobei die Länder ab
2020 überhaupt keine Neuverschuldung vornehmen dürfen, und wir langfristig ein durchschnittliches Wachstum
von 1,5 Prozent haben, dann können wir, wie Sie leicht
erkennen, die Anforderungen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts zur Reduzierung unseres Gesamtschuldenstandes ohne weitere Anstrengungen erfüllen.
Frau Hagedorn, bitte.
Herr Minister, ich komme noch einmal auf die erste
Frage des Kollegen Kindler zur Bundesagentur für Arbeit zurück. Sie haben in Ihrer Antwort dargestellt, dass
es - so habe ich Sie verstanden - bezüglich des im
Finanzplan festgestellten Defizits der BA zwischen der
Spitze der BA, dem BMAS und dem BMF Einvernehmen gibt. An dieser Stelle würde ich Ihnen gerne widersprechen bzw. Ihnen damit verknüpft eine Frage stellen.
Ein Einvernehmen haben wir ja schon im Dezember
2010 nicht erlebt, als es um die 1,1 Milliarden Euro Insolvenzgeldumlage zwischen BA, BMAS und BMF
ging. Danach kam es zum Kompromiss bei den Regelsätzen, der nach dem Willen der Mehrheit dieses Hauses,
die das beschlossen hat, zur Folge hat, dass die Bundesagentur für Arbeit mit ungefähr 4 Milliarden Euro pro
Jahr zur Finanzierung der Grundsicherung belastet wird.
Vor diesem Hintergrund gibt es Prognosen, die zeigen,
dass die Bundesagentur für Arbeit, egal wie positiv sich
die Konjunktur entwickeln wird, nicht in der Lage sein
wird, aus dem Defizit herauszukommen. Darauf bezog
sich die Prognose von 10 Milliarden Euro Defizit bis
2015, die Herr Kindler genannt hat; diese ist nach meinem Kenntnisstand unstrittig. Insofern handelt es sich
nun, Herr Minister, bei den Geldern, die die BA zum
Ausgleich des Defizits bekommt, eigentlich nicht mehr
um ein Darlehen; denn die Bundesagentur für Arbeit
wäre ja auch in Zukunft nicht in der Lage, sie zurückzuzahlen, wenn Sie und die Regierung nicht eine Anhebung der Beiträge auf über 3 Prozent zulassen. Hier wäre
übrigens die Gelegenheit, zu sagen, dass Sie dies nicht
ausschließen.
Wären unter dem Aspekt der Schuldenbremse und der
Stabilität in Deutschland - damit beschäftigen wir uns ja
heute - diese Gelder, da die BA realistisch nicht in der
Lage ist, sie zurückzuzahlen, nicht eher wie ein Zuschuss statt wie ein Darlehen zu bewerten?
Frau Kollegin Hagedorn, ich habe versucht, in der
Antwort auf die Frage des Kollegen Kindler zunächst
einmal darauf aufmerksam zu machen, dass der Bundeshaushalt und damit auch der Haushalt der Bundesagentur
für Arbeit nach den Regeln unseres Grundgesetzes vom
Gesetzgeber, also vom Deutschen Bundestag, beschlossen wird. Der Deutsche Bundestag entscheidet natürlich
durch Mehrheit; aber es ist dann keine Entscheidung der
Mehrheit, sondern eine Entscheidung des Deutschen
Bundestages. Ich bin dafür, dass wir als Mitglieder eines
Verfassungsorgans die Institutionen unserer Verfassung
sorgfältig behandeln und nicht im politischen Meinungsstreit diskreditieren. Wir alle werden einen Schaden
davontragen, wenn wir mit den Institutionen unserer
Verfassung nicht sorgfältig umgehen. Das Budgetrecht
ist das vornehmste Recht des Parlamentarismus; damit
hat der Parlamentarismus in der westeuropäischen Geschichte einmal angefangen.
({0})
In der Bundesagentur für Arbeit gibt es in der Tat einen
Verwaltungsrat, in dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer und
die öffentliche Hand vertreten sind. Es gibt nun einen
Brief, der die Unterschriften von zwei Mitgliedern trägt,
und zwar von Herrn Clever und von Frau Buntenbach.
Darauf hat sich meine Bemerkung bezogen, dass sich die
Beteiligten im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit in öffentlichen Äußerungen so verhalten, wie es
auch viele Vertreter von Verbänden und Institutionen zur
Wahrnehmung ihrer berechtigten oder nichtberechtigten
Interessen tun. Das ist so im Pluralismus einer freiheitlichen Demokratie; aber das hat nichts mit der Verbindlichkeit von Entscheidungen von Verfassungsorganen zu
tun. Der Haushalt 2011 ist festgestellt, und die Bundesregierung wird den Haushaltsentwurf für den Haushalt
2012 im Juli dieses Jahres aufstellen. Über den Entwurf
wird innerhalb der Regierung sorgfältig beraten. Das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist hierbei
für den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit federführend.
Meine Bemerkung bezog sich nun darauf, dass die
mittelfristigen Linien, die wir bei der Klausurtagung des
Bundeskabinetts im Juni des vergangenen Jahres zur
Vorbereitung des Zukunftspaktes beschlossen haben, in
Anwesenheit des Bundesministers für Arbeit und Soziales und des Präsidenten der Bundesagentur für Arbeit besprochen wurden. Ein Einvernehmen darüber brauchen
wir nicht, sondern wir brauchen Entscheidungen des für
den Haushalt zuständigen Gesetzgebers. Die Bundesregierung legt Entwürfe vor, der Bundestag berät sie,
streitet darüber, und am Schluss entscheidet er mit Mehrheit. Dies sind dann verbindliche Entscheidungen, nicht
der Mehrheit, sondern des Deutschen Bundestages; nicht
mehr und nicht weniger.
({1})
- Ihre Frage werden wir im Zuge der Haushaltsberatungen zum Haushalt 2012 behandeln. Am 16. März 2011
haben wir nur die Eckwerte aufgestellt. Diese habe ich
im Haushaltsausschuss des Bundestages mitgeteilt.
Der parlamentarischen Beratung führen wir einen
Haushaltsentwurf zu. Diesen stellt die Bundesregierung,
wenn sie pünktlich ist, Anfang Juli eines Jahres auf.
Heute ist der 13. April. Wir haben den Haushalt für 2012
noch nicht vorgestellt. Die mittelfristige Finanzplanung
schreiben wir im Zuge der Haushaltsaufstellung fort.
Das letzte Mal haben wir sie bei der Beratung des
Haushalts 2011 im Juli 2010 fortgeschrieben.
Der Kollege Schneider, bitte.
Herr Minister, Sie haben vorhin das Nationale Reformprogramm Deutschland angesprochen, das ebenfalls Beratungsgegenstand ist. Wenn ich mir das ansehe,
dann habe ich zunächst einmal den Eindruck, dass Sie,
was die Steuereinnahmen und die gute konjunkturelle
Lage betrifft, die Lorbeeren vergangener Regierungen
einsammeln.
({0})
Wenn es nun um das Euro-Plus-Paket zur Herstellung
der Wettbewerbsfähigkeit in anderen Ländern Europas
geht, zeigen Sie mit dickem Finger auf diese Länder. Im
Nationalen Reformprogramm Deutschland ist aber als
neue Maßnahme struktureller Art nur folgender Vorschlag enthalten: die Liberalisierung der Fernbuslinien.
({1})
Ich würde gern wissen, ob dies alles ist, was die Bundesregierung zu tun beabsichtigt, um die Binnennachfrage
zu stärken und auch Deutschland ein Stück weit wettbewerbsfähiger zu machen.
Herr Kollege Schneider, der Spaß wird ja dadurch,
dass er wiederholt wird, nicht größer.
Es ist so: Beim Pakt für den Euro zur Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer der EuroZone geht es vor allen Dingen darum, die Länder, deren
Wettbewerbsfähigkeit nicht so hoch ist wie die anderer
Länder, ein Stück weit zu stärken; das ist sein Ziel. Viele
sagen, ein Problem unserer gemeinsamen Währung sei,
dass sich nicht alle Länder an die Leitlinien der verabredeten Finanzpolitik halten. Ich sage deswegen: Es ist
gut, dass sich die Bundesrepublik Deutschland an diese
Leitlinien hält und die Bundesregierung heute ein so
überzeugendes Stabilitätsprogramm, das ich dem Deutschen Bundestag nun vorstellen kann, beschlossen hat.
Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass wir uns
auch der Herausforderung, die Wettbewerbsfähigkeit anderer Länder zu verbessern, stellen müssen. Zu diesem
Zweck haben wir einen Vorschlag gemacht. Er sieht im
Prinzip vor, dass jedes Land selbst geeignete Vorschläge
unterbreitet und umsetzt und sich im nächsten Jahr an
den Ergebnissen messen lässt.
Ich habe allerdings auch eine andere Debatte zu führen. Ich musste beim Treffen der EU-Finanzminister am
vergangenen Wochenende in Gödöllö wieder einmal
Versuche abwehren, die darauf zielen, dass Ungleichgewichte, die daraus resultieren, dass manche Länder einen
Überschuss und andere Länder ein Defizit haben, symmetrisch behandelt werden. Es gibt eine Reihe von euro11880
päischen Ländern und Institutionen, die Ungleichgewichte am liebsten gleichbehandeln würden. Dies würde
allerdings bedeuten, dass Deutschland als Land mit
Überschuss genauso behandelt würde wie Länder, für
die Deutschland aus seinem Überschuss - in richtig verstandener Solidarität - Hilfeleistungen geben muss. Dies
kann nicht richtig sein. Deswegen haben wir Wert darauf
gelegt, dass Überschussländer, von denen letzten Endes
die Leistungsfähigkeit der Euro-Zone insgesamt abhängt, und Defizitländer im Zuge der Imbalances bei den
Defiziten in Europa nicht gleichbehandelt werden.
Wenn sich das so verhält, wäre im Rahmen des Pakts
für den Euro zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit
allerdings auch nicht in erster Linie die Bundesrepublik
Deutschland gefordert. Denn Deutschland verzeichnet
bereits einen relativ großen Überschuss, der in anderen
Zusammenhängen teilweise sogar als problematisch betrachtet und hinterfragt wird.
({0})
Ich glaube, dass wir die Anforderungen im Sinne einer
realistischen Betrachtungsweise nicht überspannen sollten.
Die Binnennachfrage ist ein ganz anderes Thema. Es
geht um Folgendes - das werde ich meinen Partnern im
Rahmen der IWF- und der G-20-Tagung morgen wieder
einmal sagen können und müssen -: Die bestehenden
Ungleichgewichte führen auch in einem Überschussland
wie Deutschland dazu, dass die Binnennachfrage gesteigert wird, und zwar auf marktwirtschaftlich einwandfreie Art und Weise.
Wenn Sie das Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom Ende vergangenen Jahres lesen, dann
stellen Sie fest, dass dort für 2011 prognostiziert wird,
dass das Wachstum in diesem Jahr - wir alle sind im Augenblick zuversichtlich und gehen davon aus, dass es
noch ein bisschen höher ausfallen wird als Anfang des
Jahres vorhergesagt - zu 90 Prozent durch eine Steigerung der Binnennachfrage getrieben wird. Die aktuellen
Entwicklungen im Rahmen der Tarifverhandlungen
- wir verteidigen gemeinsam die Tarifautonomie - spiegeln dies ja auch wider.
Schauen Sie sich etwa an, was wir heute auch im Kabinett beraten und behandelt haben - Sie haben von Lorbeeren früherer Regierungen gesprochen; ich habe der
letzten Regierung angehört; auch Sie waren als haushaltspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion, also in einer
wichtigen Funktion, daran beteiligt -: Wir haben in der
letzten Legislaturperiode im Zuge der Rentenanpassung
die Rentenformel ein Stück weit, wenn Sie so wollen,
ausgesetzt, indem wir gesagt haben: Wir wollen als
Folge des schweren wirtschaftlichen Einbruchs keinen
Rückgang der Renten haben, sondern die Rentenformel
wird bei null gekappt. Aber der Rückgang, der den Rentnern nach der Rentenformel eigentlich hätte zugemutet
werden müssen, wird nachgeholt, sobald wir wieder
Rentensteigerungen haben. - In diesem Jahr sind wir in
der erfreulichen Lage, dass wir dies nachholen können
und es trotzdem zu einer Rentensteigerung um knapp
1 Prozent kommt. Sie wissen, dass wir alle 2008/2009
befürchtet haben, es würde die ganze Legislaturperiode
über keine Rentensteigerung geben. Es zeigt sich aber,
dass die Binnennachfrage als Folge der guten wirtschaftlichen Entwicklung anzieht.
Auch dies ist ein gutes Argument, dass die Finanzund Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung außergewöhnlich erfolgreich und außerdem richtig ist.
Herr Brandner, bitte.
Herr Minister, stimmen Sie mir im Rückblick zu, dass
der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren ganz deutlich zur
Entlastung des Bundeshaushalts beigetragen hat, sodass
sich angesichts dieser erheblichen Einsparungen die Leitung der Bundesagentur für Arbeit Sorgen über die zukünftige finanzielle Ausgestaltung macht, und stimmen
Sie mir zu, dass die Vertreter der Arbeitgeber und der
Versicherten nicht allgemeine Interessenvertreter, sondern eher Sachwalter der Beitragszahler sind?
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gerne auf
zwei Dinge konkret ansprechen: Die Regierung plant
zum einen, die Instrumente ganz erheblich zu vereinfachen mit dem Hinweis, einen konkreteren Ermessensspielraum für die Personen organisieren zu wollen, die
Leistungen zur Verfügung stellen. Man kann einem solchen Prozess durchaus positiv beitreten, wenn das auf
der anderen Seite nicht ein frommes Versprechen ist,
sondern für die Gewährung solcher Ermessensleistungen
auch ausreichend finanzielle Mittel vorhanden sind. Ansonsten bleibt es bei Ankündigungen, und die vorgesehene Qualität der Leistungen wird nicht erbracht werden
können.
In diesem Zusammenhang gibt es einen weiteren
Schritt, nämlich dass die Mehrwertsteuerzuwendung
halbiert werden soll. In Bezug darauf frage ich Sie: Sind
Sie bereit, auf den Aussteuerungsbetrag, der im Arbeitsmarktprozess nachweislich keine politische Steuerungswirkung hat, zu verzichten, sodass auch die Bundesregierung einen Beitrag zur Vereinfachung der
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen praktisch umsetzt?
Herr Kollege Brandner, wir sind wieder ein wenig an
dem Punkt, bei dem ich vorhin den Kollegen Schwanitz
um Nachsicht bitten musste. Ich kann aus Anlass der
Regierungsbefragung zu einem Tagesordnungspunkt der
heutigen Kabinettssitzung nicht auf alle Fragen der
Regierungspolitik insgesamt erschöpfend und verantwortlich Auskunft geben. Ich verstehe sehr wohl das Interesse vonseiten der Opposition, nicht über die erfolgreiche Finanzpolitik der Bundesrepublik, die sich aus der
heute beschlossenen Aktualisierung des deutschen Stabilitätsprogramms erschließt, zu reden, sondern über
andere Themen. Das ist aus Sicht der Opposition auch
legitim. Aber legitim aus der Sicht des BundesfinanzBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
ministers ist, dass er sich auf seine Zuständigkeit beschränkt.
Wenn Sie bei nächster Gelegenheit mit der Kollegin
von der Leyen, der Arbeitsministerin, über die Einzelheiten der Arbeitsmarktpolitik reden, wird sie Ihnen sicher darlegen können, dass die Tatsache, dass wir jetzt
eher bei 3 Millionen als bei 5 Millionen Arbeitslosen
sind, zwangsläufig und glücklicherweise erhebliche Entlastungsspielräume für die Beitragszahler, aber auch für
die Steuerzahler mit sich bringt. Das ist eine Politik, die
nicht in dieser Legislaturperiode begonnen wurde; da hat
der Kollege Schneider recht. Jede Regierung und jede
Legislaturperiode steht im Übrigen im Guten wie im
Schlechten auf dem, was in früheren Legislaturperioden
gewesen ist. Wir sind bei allem Neuen und Vorhersehbaren in einer Kontinuität von politischen Entwicklungen.
Das alles ist in Ordnung.
Es ist schon richtig, dass sich die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Bundesagentur für
Arbeit für die Interessen der Beitragszahler einsetzen. In
der Bundesagentur für Arbeit ist aber auch die öffentliche Hand vertreten. Sie muss zum Beispiel die Interessen der Arbeitslosen vertreten - das sind nicht Beitragszahler, sondern Dritte -, und sie muss die Interessen der
Steuerzahler vertreten. Durch eine ordnungspolitisch
richtige Arbeitsmarktpolitik müssen wir dafür sorgen,
dass wir denjenigen, die Hilfe brauchen, auch Hilfe leisten. Zugleich müssen wir die Anreizwirkung aber so gestalten, dass es zu möglichst viel Beschäftigung kommt.
Ich glaube, in dieser Richtung sind wir in den anderthalb Jahren seit der Bildung dieser Bundesregierung
noch erfolgreicher als in früheren Legislaturperioden gewesen. Die Zahlen am Arbeitsmarkt sprechen in dieser
Hinsicht jedenfalls eine eindeutige Sprache. Sie sind ein
Zeichen dafür, dass unsere Finanz- und Wirtschaftspolitik den Menschen in diesem Lande nützt, und das ist das
Ziel unserer Politik.
Frau Hagedorn.
Herr Minister, ich muss auf meine letzte Frage zurückkommen, die Sie leider nicht beantwortet haben.
Diese Frage fällt in Ihre Zuständigkeit.
Herr Minister, ich darf noch einmal kurz darauf hinweisen, um was es ging: Es ist objektiv so, dass erst
jetzt, in diesem Jahr, und damit deutlich nach der Aufstellung des letzten Finanzplans und nach der Haushaltsaufstellung entschieden wurde, die Zuschüsse an die
Bundesagentur für Arbeit in der Perspektive bis 2015 im
Umfang von über 4 Milliarden Euro pro Jahr zu kürzen,
sodass sich ihre Finanzsituation verschlechtern wird. Allein aufgrund dieser Beschlusslage vom Februar wird es
bei der Bundesagentur für Arbeit bis 2015 zu einem
Defizit von über 12 Milliarden Euro, also zu einer Wegnahme von finanzieller Kapazität, kommen. Dadurch
- diese Situation ist auf Vorschlag des Kabinetts und mit
Ihrer Zustimmung herbeigeführt worden - wird die Bundesagentur für Arbeit dauerhaft nicht in der Lage sein,
aus der Darlehenssituation, in die sie ab diesem Jahr
planmäßig kommt, wieder herauszukommen.
Herr Minister, es gibt nur zwei Möglichkeiten, dem
zu entkommen: Entweder gibt man der Bundesagentur
für Arbeit wieder einen finanziellen Rahmen, indem
man als Kabinett bereit ist, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von jetzt 3 Prozent wieder anzuheben - dazu habe ich Sie um eine Stellungnahme gebeten -, oder man akzeptiert dieses Defizit.
({0})
Wir beschäftigen uns hier mit der Schuldenbremse und
mit einem strukturellen Defizit, und wir reden nicht von
einem konjunkturellen Defizit. Herr Minister, ein Darlehen, das faktisch realistischerweise nicht zurückgezahlt
werden kann, ist eigentlich wie ein Zuschuss zu bewerten, womit es relevant für die Schuldenbremse ist.
Hierzu habe ich Sie um eine Stellungnahme gebeten.
Ich glaube, diese Frage sollten Sie hier doch noch beantworten.
({1})
Herr Kollege Koppelin, ich will Sie nicht in die Versuchung bringen, Ihre begrenzten Bezüge zu verschwenden, da wir ja eher fürs Sparen sind.
({0})
Frau Kollegin Hagedorn, das Problem liegt darin: Sie
haben in Ihrer Frage eine Fülle von Voraussetzungen unterstellt und behauptet, dies sei der Sachverhalt. Ich habe
versucht, Ihnen so höflich und zurückhaltend, wie ich
nur kann, zu sagen, dass ich Ihre Unterstellungen nicht
teile und dass deswegen die Grundlage für Ihre Frage
aus meiner Sicht nicht gegeben ist.
Ich habe Ihnen auch gesagt: Die Bundesregierung
wird bei der Aufstellung des Haushalts 2012 darauf achten - da können Sie ganz sicher sein -, dass die Unterstellungen, die Sie Ihrer Frage zugrunde gelegt haben,
nicht eintreten. Hinsichtlich der Antworten müssen Sie
sich gedulden, bis die Bundesregierung den Haushalt
2012 aufgestellt hat. Ich habe darauf hingewiesen: Das
wird Anfang Juli der Fall sein. Wenn der Deutsche Bundestag seine Planungen nicht ändert, wird er seine Beratungen darüber im September dieses Jahres aufnehmen.
Dann werden wir viel Gelegenheit haben, freundschaftlich und kontrovers darüber miteinander zu diskutieren.
({1})
Es gibt noch eine Frage des Kollegen Schwanitz zu
dem Bereich der sonstigen Fragen an die Bundesregierung.
Meine Frage richtet sich an das Bundeskanzleramt. Herr von Klaeden, ich habe eine Frage im Zusammenhang mit den Diskussionen über den sogenannten ESM,
den neuen, zu erwartenden Rettungsschirm im Bereich
der Euro-Länder ab 2013.
Ich denke, zu Ihren Aufgaben gehört auch, die Koordinierung zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag im Blick zu haben. Sie wissen, dass wir im
Bundestag intensiv darüber diskutieren, welche Beteiligungsmöglichkeiten das Parlament im Zusammenhang
mit dem neuen Rettungsschirm ab 2013 haben wird.
Deshalb frage ich Sie, ob das Bundeskanzleramt bzw.
die Bundesregierung eine Ausweitung der Beteiligungsrechte gegenüber dem bereits bestehenden Gesetz zum
Europäischen Stabilisierungsmechanismus plant und,
wenn ja, in welche Richtung die Überlegungen gehen.
Herr Kollege Schwanitz, wenn Sie gestatten, wird der
Bundesfinanzminister darauf eingehen.
Herr Finanzminister, bitte schön.
Da nach den Regeln des Grundgesetzes die Mitglieder der Bundesregierung ihren Geschäftsbereich innerhalb der Richtlinien des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin eigenständig verantworten und für diesen
Bereich der Bundesfinanzminister zuständig ist, habe ich
dem Kollegen von Klaeden angeboten, zuständigkeitshalber die Frage zu beantworten.
Ich weise darauf hin, dass ich ab 14 Uhr die Freude
habe, an der Sitzung des Haushaltsausschusses dieses
Hohen Hauses teilzunehmen, um über diese Fragen zu
berichten. Wir stehen ganz am Anfang der Beratungen.
Denn wir haben jetzt mit Beschluss des Europäischen
Rates den Rahmen für den Stabilisierungsmechanismus.
Die Einzelheiten, insbesondere die Übergangsregelung - das spielt heute in einer völlig verzerrenden medialen Darstellung eines Gutachtens des Bundesrechnungshofs eine gewisse Rolle -, müssen noch in einem
Vertrag ausgehandelt werden, der der Ratifizierung
durch den deutschen Gesetzgeber bedarf. Im Zusammenhang mit dem Ratifizierungsverfahren werden wir
auch die Parlamentsbeteiligung bei diesen Beschlüssen
regeln. Dazu wird die Bundesregierung Vorschläge machen, die sie aber im Vorfeld, vielleicht schon in der Sitzung des Haushaltsausschusses, die um 14 Uhr beginnen
soll, mit dem Parlament erörtern wird.
Ich weise darauf hin, dass in dem Bericht, den der
Haushaltsausschuss in der vergangenen Woche vom
Rechnungshof angefordert hat und der inzwischen erstattet worden ist, wie man den Medien entnehmen kann,
ausdrücklich empfohlen worden ist, die Regelungen, die
wir für die Parlamentsbeteiligung im Zusammenhang
mit der Finanzierungsfazilität getroffen haben, auch für
den ESM fortzuschreiben. Diesen Empfehlungen des
Bundesrechnungshofs möchte ich ausdrücklich nicht widersprechen.
Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksachen 17/5421, 17/5468 Zu Beginn rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf
Drucksache 17/5468 auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk bereit.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 der Kollegin
Dr. Dagmar Enkelmann auf:
In welchem Umfang entgehen dem Bundeshaushalt Gelder durch den Zahlungsstopp der vier Atomkraftwerksbetreiber an den Fonds für erneuerbare Energien, und was wird die
Bundesregierung tun, um der gesetzlichen Zahlungspflicht
voll Geltung zu verschaffen?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Enkelmann, ich beantworte Ihre dringliche Frage wie folgt: Die Betreiber der Kernkraftwerke
haben erklärt, die nach dem Förderfondsvertrag zu leistenden Vorauszahlungen einzustellen. Dem Energie- und
Klimafonds würden im Jahr 2011 hierdurch monatlich
25 Millionen Euro entgehen. Der Bundeshaushalt ist davon nicht direkt berührt.
Das angekündigte Vorgehen entspricht nach Auffassung der Bundesregierung zum jetzigen Verfahrensstand
nicht den Regelungen des Vertrages. Ich bitte um
Verständnis, dass die Bundesregierung vor diesem Hintergrund keine Stellungnahme zu in diesem Zusammenhang gegebenenfalls relevanten Auslegungsfragen abgeben wird.
Sie haben eine Nachfrage, Frau Enkelmann? - Bitte
sehr.
Das bedauere ich natürlich außerordentlich. Sie haben
die Zahlen genannt. Ich finde, es sind keine Peanuts, um
die es hier geht. Es geht um das Sondervermögen für erneuerbare Energien. Aus Ihrem Hause war dennoch zu
vernehmen, dass das Ganze als Vertragsbruch bewertet
wird. Ich teile diese Bewertung ausdrücklich und unterstütze in diesem Fall das Finanzministerium.
Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Was tut die
Bundesregierung gegen einen offenkundigen VertragsDr. Dagmar Enkelmann
bruch? Welche Chancen rechnet sie sich dabei aus? Das ist meine erste Nachfrage. Meine zweite stelle ich
später.
Verehrte Frau Kollegin, die Bundesregierung wird die
notwendigen rechtswahrenden Schritte einleiten. Eine
endgültige Klärung zum Förderfondsvertrag wird aber
erst möglich sein, wenn die Entscheidungen über die
Laufzeiten der Kernkraftwerke abschließend getroffen
sind.
Frau Enkelmann, eine zweite Nachfrage.
Gut, da dürfen wir gespannt bleiben. - Aus dem Sondervermögen sollten im Jahr 2011 etwa 60 Millionen
Euro für die Gebäudesanierung ausgegeben werden.
Diese Mittel können jetzt offenkundig nicht ausgegeben
werden. Gibt es für die Gebäudesanierung bereits Förderzusagen der Bundesregierung, die wegen der Nichtzahlungen der AKW-Betreiber nicht eingehalten werden
können?
Davon, Frau Kollegin, geht die Bundesregierung
nicht aus; denn der Fonds verfügt zurzeit über ein Liquiditätspolster. Zum einen haben die Unternehmen bislang
pünktlich gezahlt. Zum anderen sind bislang keine
Fondsmittel abgeflossen. Das liegt daran, dass der Fonds
erst kürzlich gestartet ist und die über den Fonds finanzierten Programme vielfach bereits bestehende Programme des Bundeshaushalts verstärken sollen. In
diesen Fällen ist geregelt, dass zunächst die im Bundeshaushalt verfügbaren Mittel einzusetzen sind.
Bitte schön, Herr Kollege.
Wäre es gerade vor dem Hintergrund der Unsicherheiten, die jetzt auftauchen - es wird geklagt, weil man
der Auffassung ist, dass die Nichtzahlung nicht in Ordnung ist -, vor drei, vier Wochen, als das schreckliche
Unglück in Japan passierte, nicht wichtig gewesen, nicht
ein Moratorium zu beschließen, sondern ein ordnungsgemäßes gesetzliches Verfahren durchzuführen? Immerhin weiß man aus anderen Bereichen, dass solche gesetzlichen Verfahren durchaus innerhalb von vier, fünf
Tagen durchgeführt werden können.
Herr Kollege, ich bin fest davon überzeugt, dass am
Ende des Moratoriums konkrete Vorschläge, auch Gesetzgebungsvorschläge der Bundesregierung, stehen
werden. Für die wird es selbstverständlich ein ordentliches parlamentarisches Verfahren geben.
Frau Höll.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, in § 4
Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ - Einnahmen des Sondervermögens und Ermächtigungen - steht:
Dem Sondervermögen fließen folgende Einnahmen
zu: 1. Einnahmen nach Maßgabe einer vertraglichen Vereinbarung gemäß Absatz 3 zwischen dem
Bund und den Betreibergesellschaften von Kernkraftwerken und ihren Konzernobergesellschaften
in Deutschland, …
Nun ist es so, dass der Bundestag und seine Mitglieder diesen Vertrag nie zu Gesicht bekommen haben.
({0})
Wir möchten gerne wissen: Was steht nun tatsächlich in
diesem Geheimvertrag? Was heißt „nach Maßgabe einer
vertraglichen Vereinbarung“? Der Spiegel hat hierzu andere, mehr Informationen als wir. Wie ist es zu verstehen, dass das Ganze nicht nur am Parlament vorbei beschlossen wurde - ein Skandal -, sondern dass offenbar
auch beim Vertragsabschluss geschludert wurde und Sie
noch nicht einmal auf der rechtssicheren Seite sind,
wenn Sie nun versuchen, die Gelder von den Kernkraftwerksbetreibern einzutreiben?
Frau Kollegin, ich möchte für die Bundesregierung
zurückweisen, dass dieser Vertrag, wie Sie gesagt haben,
in schludriger Weise abgeschlossen worden ist. Ich wiederhole: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass
für die Zahlungen bzw. Zuweisungen der Kernkraftwerksbetreiber zu diesem Fonds eine hinreichend klare
rechtliche Grundlage besteht. Die Ankündigung, jetzt
keine weiteren Zahlungen zu leisten, nachdem man bislang seinen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen
ist, steht für die Bundesregierung nicht im Einklang mit
diesem Vertrag. Deshalb prüft die Bundesregierung derzeit die Einleitung rechtswahrender Schritte.
Frau Höger, bitte.
Vielen Dank. - In der Presse konnten wir lesen, dass
es Schutzklauseln in dem Geheimvertrag gibt. Verhindern die Schutzklauseln, dass die Bundesregierung in
gerichtlichen Auseinandersetzungen erfolgversprechend
handeln kann?
Frau Kollegin, ich möchte zurückweisen, dass es sich
hierbei um einen Geheimvertrag handelt. Ich darf nochmals sagen: Die Bundesregierung ist der Auffassung,
dass sie diesen Vertrag auf einer einwandfreien Rechtsgrundlage abgeschlossen hat. Das bedeutet, dass das angekündigte Verhalten der KKW-Betreiber nicht dem
Vertrag entspricht. Die Bundesregierung prüft zurzeit,
rechtswahrende Schritte einzuleiten.
Frau Dağdelen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte die Bundesregierung fragen: Mit welchen langfristigen Folgen
für die erneuerbaren Energien rechnen Sie mit Blick auf
das Sondervermögen?
Frau Kollegin, ich habe schon erläutert, dass dieser
Fonds über ein Liquiditätspolster verfügt.
({0})
Zunächst einmal werden entsprechende Programme, die
im Haushalt vorgesehen sind, durchgeführt. Die endgültige Klärung, was den Förderfondsvertrag angeht, wird
erst möglich sein, wenn nach Abschluss des Moratoriums Entscheidungen über die endgültigen Laufzeiten
von Kernkraftwerken zu treffen sein werden.
Bitte, Herr Wunderlich.
Herr Koschyk, ich habe noch eine Frage. Sie bestreiten vehement, dass der Vertrag schludrig ist. Im Spiegel
steht: „Regierung schlampt bei AKW-Geheimvertrag“.
Hinsichtlich der Ökoabgabe heißt es, es sei etwas geregelt, dies solle aber nicht so bleiben, da der Strompreis
und damit auch die Marge der Energiekonzerne
schwanke. Im Spiegel heißt es weiter - ich zitiere -:
Also werde die Ökoabgabe ab 2017 angepasst, steht
im Abkommen. Und zwar auf der Basis eines Index’ an der Strombörse EEX: des „German Baseload Future“. Noch genauer: auf der Basis von dessen volumengewichteten 12-Monats-Durchschnitt.
Das klingt erst einmal in sich konsistent. Das Problem
ist nur: Es gibt an der EEX keinen solchen Index; der ist
nicht existent. Eine Sprecherin der Strombörse hat das
mit den Worten kommentiert: Der Begriff ist völlig unpräzise. - Was sagen Sie denn dazu?
Ich bitte um Verständnis, dass wir zu Presseäußerungen, die nicht unbedingt den wirklichen Sachverhalt
wiedergeben, nicht Stellung nehmen.
({0})
Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass die angekündigte Zahlungsaussetzung
der Kernkraftwerksbetreiber nicht mit dem abgeschlossenen Vertrag in Einklang steht. Deshalb prüft die Bundesregierung die Einleitung rechtswahrender Schritte.
Ich rufe die dringliche Frage 2 der Kollegin Höhn auf:
Wie wirkt sich der Zahlungsstopp der Atomkraftwerksbetreiber auf die Leistungsfähigkeit des Energie- und Klimafonds aus, und mit Einbußen in welcher Höhe rechnet die
Bundesregierung für das Jahr 2011 ({0})?
Bitte.
Frau Kollegin Höhn, Sie und Kollegin Dr. Enkelmann
haben Fragen zum gleichen Sachverhalt gestellt. Die im
Förderfondsvertrag geregelten Zahlungen der Kernkraftwerksbetreiber basieren auf der gesetzlichen Regelung
der Laufzeitverlängerung. Solange diese noch nicht gesetzlich verändert wurde, bleibt die Verpflichtung zur
Einzahlung in den Energie- und Klimafonds und damit
das bisher vorgesehene Mittelvolumen bestehen. Ich
habe schon ausgeführt, dass derzeit keine Liquiditätsprobleme beim Energie- und Klimafonds bestehen.
Frau Höhn, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hatte nach den furchtbaren Geschehnissen in Japan
öffentlich verkündet, dass sie eine wesentlich andere
Energiepolitik, auch Atompolitik, betreiben will. Nun
steht in dem Vertrag, den Sie abgeschlossen haben und
der auch uns vorliegt - er lag am Anfang nicht vor; jetzt
aber liegt er vor -, dass die Vertragspartner ein Kündigungsrecht haben, wenn es zu wesentlichen Änderungen
kommt. Ist denn die Änderung der Atompolitik eine wesentliche Änderung, die zur Kündigung des Vertrags
führen könnte?
Frau Kollegin Höhn, bis jetzt ist es noch nicht zu Änderungen von Beschlüssen der Bundesregierung oder
des Parlaments im Hinblick auf die Laufzeiten von
Kernkraftwerken gekommen. Deshalb sind wir der Auffassung - ich darf das wiederholen -, dass im Hinblick
auf die momentane Situation, bei der es keine Rechtsänderung gibt, die Zahlungsaussetzung nicht mit dem
Vertrag in Einklang steht, weswegen wir die Einleitung
rechtswahrender Schritte prüfen.
Sie haben eine weitere Nachfrage, Frau Höhn? - Bitte
schön.
Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Aufgrund der
Laufzeitverlängerung wurden den Atomkraftwerkbetreibern zusätzliche Strommengen zur Verfügung gestellt.
Wie sieht das die Bundesregierung? Ist durch die zusätzlichen Strommengen ein Eigentumsschutz im Sinne des
Art. 14 Grundgesetz entstanden? Ist Ihnen bekannt, ob
Investitionen vorgenommen worden sind? Sie haben ja
gesagt, man wolle sofort in Sicherheit investieren; nun
ist ein halbes Jahr vergangen. Können aus dem Eigentumsschutz und den möglicherweise getätigten Investitionen Entschädigungsansprüche der Atomkraftwerkbetreiber erwachsen?
Frau Kollegin Höhn, ich bitte um Verständnis. Das ist
eine sehr schwierige Frage, die auch verfassungsrechtliche
Aspekte berührt. Sie fragten nach dem Eigentumsschutz.
Ich muss die Beantwortung dieser Frage nachreichen, weil
sie nicht allein vom Bundesfinanzministerium, sondern
auch in Abstimmung mit anderen Ressorts geprüft und
beantwortet werden müsste. Ich reiche sie aber gern
nach.
Dann rufe ich die dringliche Frage 3 der Kollegin
Höll auf:
Stimmen Meldungen des Wirtschaftsmagazins des Bayerischen Rundfunks Geld & Leben vom 11. April 2011, wonach
der Bund Riester-Zulagen ohne Vorwarnung bei mehr als
1,5 Millionen Vorsorgesparern und Vorsorgesparerinnen in
Höhe von insgesamt einer halben Milliarde Euro zurückgeholt
hat, und wie teilt sich die Anzahl der Rückforderungen auf die
drei möglichen Gründe - vorzeitig gekündigte Verträge, falsche Angaben sowie veränderte Lebensumstände - auf?
Frau Kollegin Höll, eine genaue Aufschlüsselung der
Rückforderungsfälle ist nicht möglich. In den allermeisten Fällen erfolgten Rückforderungen von Altersvorsorgezulagen in Fällen, in denen der Anleger sein Guthaben
schädlich verwendet hat. Das heißt, der Anleger hat sein
steuerwirksam gefördertes Altersvorsorgevermögen in
diesen Fällen abgehoben und zu anderen als zu Altersvorsorgezwecken verwendet, etwa zum Erwerb eines
Kfz oder für eine Urlaubsreise. Die Rückforderung der
Zulagen und der sonstigen steuerlichen Förderung ist in
einem solchen Fall natürlich unausweichlich. Auf sie
kann schon aus Gerechtigkeitserwägungen anderen Anlegern gegenüber nicht verzichtet werden. Unabhängig
vom Grund der Rückforderung der Zulage kann sich der
Anleger gegen die Rückforderung wehren. Er kann eine
Überprüfung der Rückforderung bei der Zulagenstelle
beantragen; im Erfolgsfall wird die Zulage dann wieder
ausgezahlt.
Bei den genannten 1,5 Millionen Fällen handelt es
sich nicht um die Anzahl der von einer Rückforderung
betroffenen Anleger, sondern um die Anzahl der zurückgeforderten jährlichen Altersvorsorgezulagen. Die Altersvorsorgezulage bzw. Teile davon werden bei Fehlen
der Voraussetzungen für den Anspruch auf die Zulagenzahlung vom Altersvorsorgekonto ebenso automatisch
abgebucht, wie sie zuvor automatisch zugebucht wurden.
Auch wenn die Rückforderung in den allermeisten
Fällen gerechtfertigt ist und kein Anlass zur Kritik besteht, erweist sich allerdings das Riester-Verfahren für
zahlreiche Eltern doch an einer Stelle als offenbar zu
kompliziert: Mütter oder Väter, die einige Zeit über ihren Ehegatten mittelbar zulagenberechtigt waren und
deshalb keine eigenen Beiträge leisten mussten, werden
bei der Geburt ihres Kindes aufgrund der damit automatisch verbundenen Rentenversicherungspflicht unmittelbar förderberechtigt. Sie müssten nun eigene Beiträge in
Höhe des Mindesteigenbeitrags von 60 Euro leisten,
übersehen diese Verpflichtung aber häufig. Damit verfällt dann auch der Anspruch auf die Zulagen. Hier wird
das Bundesministerium der Finanzen gemeinsam mit
dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales umgehend prüfen, wie das Verfahren vereinfacht werden
kann.
Außerdem wollen wir prüfen, wie den in der Vergangenheit von diesem Problem betroffenen Eltern geholfen
werden kann. Dabei sind wir mit dem zuständigen anderen Ressort in enger Abstimmung. Ich kann heute zusagen, dass es dafür eine kulante und bürgerfreundliche
Lösung geben wird - sowohl in Zukunft für die genannten Fallkonstellationen als auch durch die Möglichkeit
der Betroffenen, Versäumnisse in der Vergangenheit zum
Beispiel durch eine Nachentrichtung des Mindesteigenbeitrags in Höhe von 60 Euro auszugleichen. Hier befinden wir uns in Abstimmung mit dem Arbeitsministerium. Wir gehen davon aus, dass wir die Betroffenen und
die Öffentlichkeit alsbald sowohl über künftige Vereinfachungen als auch über Nachentrichtungsmöglichkeiten
bei dieser Konstellation informieren.
Sie sehen: Wir befinden uns an einem Punkt, an dem
man durchaus einräumen muss, dass die Betroffenen
dies nicht durchschaut haben. Wir sind bereit, dafür zu
sorgen, dass das Ganze in Zukunft einfacher zu handhaben ist und dass die vergangenheitsbezogenen Fälle bürgernah und kulant geregelt werden können.
Frau Höll, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Bitte sehr.
Danke, Herr Staatssekretär. - Ich bin über Ihre Antwort erfreut, dass Sie bemüht sind, in den von Ihnen beschriebenen Fällen eine Lösung zu finden. Trotzdem
drängt sich mir eine bestimmte Frage auf. Wir reden jetzt
über den Veranlagungszeitraum 2005 bis 2007. Was ist
in den Jahren vorher gewesen? Wird das, was geplant ist,
auch dafür gelten? Noch steht die Prüfung für das Jahr
2008 aus. Mit welcher Gesamthöhe an Rückforderungen
rechnen Sie überhaupt?
Ich hatte Sie gebeten, in etwa die Größenordnung der
Fallgruppen zu benennen. Dem sind Sie leider nicht
nachgekommen. Die automatische Überweisung und die
automatische Rückbuchung des Geldes sind im Hinblick
auf die dargestellten Fälle - sie können über das Problem
der fehlenden Voraussetzungen für die Zahlung der Altersvorsorgezulage im Rahmen der Elternschaft hinausgehen - schwierig. Die Betroffenen bekommen von der
Versicherung, bei der sie einen Riester-Vertrag abgeschlossen haben, einen Brief. Das Geld wird dann einfach abgebucht. Diese Menschen haben jetzt überhaupt
keine Möglichkeit, selbst zu überprüfen, wo es ihrerseits
Fehler gab. Aus all dem ergibt sich die Frage: Fallen für
den, der merkt, dass es einen Fehler gegeben hat und der
vielleicht nachzahlen möchte, dann noch einmal Gebühren an? Wie ist das? Maklergebühren sind ja relativ
hoch. Wie wird das alles überhaupt gehandhabt? Mit
welcher Größenordnung, was die Rückforderungen angeht, rechnen Sie?
Frau Kollegin, wir sind zurzeit dabei, Zahlen über
diejenigen Fälle, über die wir gerade diskutieren, zu erheben.
Ich darf noch einmal sagen: Wir befinden uns in der
Abstimmung mit dem mitzuständigen Arbeitsministerium und streben eine bürgerfreundliche, kulante Regelung an. Das schließt ein, Frau Kollegin, dass wir entsprechend informieren und dass wir die Handhabbarkeit
für alle Beteiligten so gestalten, dass das Ganze so einfach, bürgerfreundlich und kulant wie möglich ist. Darüber kann ich Ihnen heute noch nicht abschließend berichten, weil wir uns noch in Ressortabstimmungen
befinden. Sobald hier Entscheidungen getroffen worden
sind, werden wir die entsprechenden Ausschüsse und damit das Parlament detailgenau unterrichten.
Sie haben eine weitere Nachfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich bitte um eine zeitnahe Unterrichtung bezüglich des Zeitraums 2008; denn da ist die
Anzahl der abgeschlossenen Riester-Verträge um ein
Drittel gestiegen.
Sie sagen, Sie wollen für eine bürgerfreundliche Regelung sorgen. Dies war allerdings schon immer Ihr Ansinnen. Das Wollen ist das eine, das Tun das andere. In
der Financial Times Deutschland ist eine grundsätzliche
Bewertung nachzulesen. Dabei geht es nicht um die
hohe Anzahl der fehlerhaft ausgefüllten Anträge; vielmehr liegt der Fehler offensichtlich im System der
Riester-Rente. Wie verhalten Sie sich dazu? Ich glaube,
mit einem bisschen Nachbessern - so gut es für die einzelnen Betroffenen ist - wird das Problem des riesigen
Aufwandes und der Fehlleitung von Steuergeldern überhaupt nicht behoben.
Die Bundesregierung sieht, anders als Sie, keine systematischen Fehler, wie Sie sie uns vorwerfen. Ich sage
noch einmal - das werden die Fallzahlen sicherlich deutlich machen -: Die Fallkonstellation, bei der wir uns für
die Zukunft und auch rückwirkend um eine kulante und
auch bürgerfreundliche Regelung bemühen, betrifft nach
unseren ersten Erhebungen im Hinblick auf die Gesamtzahl der Rückzahlungsfälle einen eher kleineren Teil.
Die Masse der Rückzahlungsfälle betrifft diejenigen
Fallkonstellationen, Frau Kollegin, bei denen ich davon
gesprochen habe, dass Versicherte ihr Riester-Konto für
andere, nicht mit der Altersvorsorge in Einklang stehende Maßnahmen verwendet haben. Da, glaube ich,
müssen wir uns doch einig sein, dass man die vom Staat
geförderte Altersvorsorge nicht für Urlaubsreisen, Motorradkauf oder Kfz-Kauf verwenden kann und dass hier
überhaupt kein Anlass zur Kulanz besteht.
Für die Fälle, in denen wir jetzt auch einräumen müssen, dass den Betroffenen in dieser Fallkonstellation
vielleicht nicht klar war, dass zwar eine Fördermöglichkeit besteht, aber natürlich 5 Euro pro Monat eingezahlt
werden müssen, wollen wir für die Zukunft nach einer
einfacheren, bürgernahen Lösung suchen, auch im Hinblick auf die notwendige Information; die Fälle aus der
Vergangenheit wollen wir möglichst kulant heilen.
Frau Enkelmann, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben mehrfach von bürgerfreundlicher, kulanter Regelung gesprochen. Wir werden
uns das in der Umsetzung sicher sehr genau anschauen.
Ich will Sie jetzt einmal ernst nehmen. Deswegen eine
ganz konkrete Frage: Müssen die Betroffenen mit einer
Verzinsung der Rückzahlungsforderungen rechnen, ja
oder nein?
Auch diese Frage wird zurzeit geklärt. Ich bitte um
Verständnis: Diese Frage können wir ebenfalls erst dann
beantworten, wenn wir die Ressortabstimmung abgeschlossen haben.
Herr Wunderlich, bitte.
Herr Koschyk, Geld & Leben im Bayerischen Rundfunk berichtete am 11. April davon, dass 1,5 Millionen
Konten von Riester-Sparern geprüft worden sind und
Rückzahlungen eingefordert werden sollen. Sie sprachen
in Ihren Antworten insgesamt fünfmal von „Kulanz“ und
sechsmal von „Bürgerfreundlichkeit“, wenn ich richtig
mitgezählt habe. Sehen Sie im Rahmen dieser Kulanz
und Bürgerfreundlichkeit die Möglichkeit, bei dieser
Vielzahl von Fällen im Wege einer Billigkeitsprüfung
auf Rückzahlungsforderungen zu verzichten, gerade
auch angesichts des bürokratischen Aufwandes?
Ich habe gerade angedeutet, Herr Kollege, dass wir
für diese Fallkonstellation, die im Fokus der Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks stand - Mütter
und Väter haben fälschlicherweise angenommen, über
ihre Ehegatten mittelbar zulagenberechtigt zu sein und
keine eigenen Beiträge leisten zu müssen -, für die Zukunft eine bürgernahe und für die Vergangenheit eine
kulante Regelung anstreben.
Verehrter Herr Kollege, ich habe auch darauf hingewiesen - ich möchte das unterstreichen -, dass diese
Fallkonstellation nach unserer bisherigen Kenntnis nur
bei einem kleinen Teil der von den Rückzahlungsforderungen betroffenen Fällen gegeben ist, dass es sich in der
Masse um Fälle handelt, in denen Versicherte ihr
Riester-Konto für nicht der Altersvorsorge dienende
Maßnahmen im wahrsten Sinne des Wortes zweckentfremdet haben. Ich sage noch einmal: Es kann nicht hingenommen werden, schon allein aus Gerechtigkeitsgründen, dass jemand staatlich geförderte Altersvorsorge für
Urlaubsreisen oder einen Kfz-Kauf verwendet.
({0})
Es kann keine Kulanz geben, wenn staatlich geförderte
Altersvorsorge zweckentfremdet worden ist.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Die Kollegin Staatsministerin Cornelia Pieper
steht für die Beantwortung zur Verfügung.
Die dringliche Frage 4 stellt der Kollege Günter
Gloser:
Welche vorherige Kenntnis hatte die Bundesregierung genau von der Reise des ehemaligen Staatsministers und Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer letzte Woche
nach Libyen, und welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus den Ergebnissen seiner Gespräche ziehen?
Lieber Kollege Gloser, ich möchte Ihre dringliche
Frage wie folgt beantworten: Herr Schmidbauer hat die
Regierung lediglich telefonisch über seine Absicht in
Kenntnis gesetzt, nach Tunesien, nach Djerba, zu reisen,
wo er sich mit im Einzelnen nicht bekannten Libyern
treffen wollte. Er hat seine Reise auf eigene Initiative
unternommen. Er ist nicht im Auftrag der Bundesregierung oder nach irgendeiner Art inhaltlicher Abstimmung
mit der Bundesregierung gereist. Daraus ergibt sich, dass
es eine Antwort auf Ihre Frage nach Konsequenzen nicht
geben kann.
Herr Gloser, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Vielen Dank. - Frau Staatsministerin, ich darf dann
noch fragen: Hält denn die Bundesregierung den Besuch
des ehemaligen Geheimdienstkoordinators und Staatsministers Schmidbauer in dieser Situation für hilfreich?
Ich will wiederholen: Herr Schmidbauer ist nicht im
Auftrag der Bundesregierung oder nach irgendeiner Art
inhaltlicher Abstimmung mit der Bundesregierung in
Libyen unterwegs gewesen. Wie ich schon sagte, hat er
uns dahin gehend informiert, dass er lediglich nach Tunesien, nach Djerba, fährt. Er war auf private Initiative
dort. Das haben wir nicht zu bewerten. Mir ist auch der
Inhalt der Gespräche nicht bekannt.
Sie haben eine weitere Nachfrage, bitte schön.
Sie haben gesagt, Sie hätten keine Kenntnisse. Gibt es
andere Stellen der Bundesregierung bzw. nachgeordnete
Stellen, die von den Ergebnissen der Reise des Herrn
Schmidbauer Kenntnis erlangt haben?
Mir wurde heute mitgeteilt - da ich von einer Auslandsreise komme, konnte das eben erst geschehen -,
dass Sie sich bezüglich Informationen über den Inhalt
der Gespräche an die Geheimschutzstelle des Bundestages wenden können. Dort können Sie weitere Auskünfte
erbitten.
Herr Kollege Mützenich, bitte.
Vielen Dank. - Frau Staatsministerin, wenn Sie hier
sagen, dass die Bundesregierung vorab lediglich telefonisch über die Reise von Herrn Schmidbauer informiert
worden ist, und wenn es auch keine berichtenswerten Ergebnisse gibt, wie erklären Sie sich dann, dass Herr
Nooke, der Afrika-Beauftragte der Bundeskanzlerin,
heute in Zeitungen in der Weise zitiert wird, dass die
Bundesregierung sich durchaus vorstellen könne, in diesem Zusammenhang als Vermittler tätig zu werden, und
würden Sie der Bundesregierung eine solche Rolle zutrauen und sich dem dann auch nicht mehr widersetzen?
Erstens kenne ich diese Worte des Afrika-Beauftragten Herrn Nooke nicht. Ich kommuniziere in der Regel
mit Herrn Nooke persönlich und nicht über die Zeitung.
Deswegen seien die Zitate seiner Aussagen heute in den
Zeitungen einmal dahingestellt. Zweitens sage ich ausdrücklich noch einmal: Der Regierungssprecher der
Bundesregierung hat sich bereits in der Pressekonferenz
in dieser Woche dazu geäußert, dass wir uns über den
Besuch kein Urteil erlauben werden, da es sich um einen
privaten Besuch handelt. Ich ergänze, dass es lediglich
eine Nachfrage von Herrn Schmidbauer am Flughafen in
Djerba in Tunesien bezüglich logistischer Unterstützung
gab. Darüber hinaus hat es keinen Kontakt mit der Bundesregierung gegeben.
Was sich aus dem Besuch von Herrn Schmidbauer in
Libyen im Weiteren ergibt, kann ich Ihnen an dieser
Stelle nicht sagen. Sie als Abgeordneter, der verantwortungsbewusst im Auswärtigen Ausschuss arbeitet, wissen, dass Informationen, wenn es denn welche gibt, vertraulich behandelt werden und von Abgeordneten in der
Geheimschutzstelle des Bundestages eingesehen werden
können.
Herr Kollege Ströbele, bitte.
Frau Staatsministerin, wie kommen Informationen
über die Reise der Privatperson Schmidbauer in die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages, und über
wen? Wem hat er etwas mitgeteilt, oder welche Stelle
der Bundesregierung oder der Bundesregierung nachgeordnete Stelle hatte Kenntnisse darüber, die jetzt in der
Geheimschutzstelle niedergelegt worden sind? Warum
können Sie uns hier nicht sagen, erstens, mit wem er geredet hat, und zweitens, was er geredet hat, wenn auch
nicht im Detail? Das würde mich interessieren.
({0})
Lieber Herr Kollege Ströbele, das würde uns wahrscheinlich alle sehr interessieren, welche Gespräche er
geführt und welche Informationen er erhalten hat. Ich
kann nur immer wieder sagen: Wenn es diese gibt, sind
sie vertraulich zu behandeln, und Sie können sie bei der
Geheimschutzstelle erhalten. Mehr kann ich dazu nicht
sagen.
({0})
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 5 des Kollegen Wieland
auf:
Wird die Bundesregierung die anlässlich des in dieser Woche stattfindenden EU-Justiz- und Innenministerrates vorgetragene Bitte des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten
Nationen, UNHCR, António Guterres, unterstützen, einen
Teil der vom UNHCR als Flüchtlinge anerkannten 8 000 palästinensischen, irakischen, sudanesischen, äthiopischen, somalischen und eritreischen Flüchtlinge, die sich noch in Libyen befinden, in Deutschland aufzunehmen?
Herr Kollege Wieland, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung unterstützt die in der Sitzung
des Rates der Justiz- und Innenminister der Europäischen Union am Montag, dem 11. April dieses Jahres,
verabschiedeten Schlussfolgerungen. Nach Auffassung
der Bundesregierung sollte humanitäre Hilfe für die
Flüchtlinge zunächst in der Region erfolgen. Die Bundesregierung hat daher bisher 5 Millionen Euro an humanitärer Soforthilfe für Versorgung und Schutz von Betroffenen in Libyen zur Verfügung gestellt. Mit diesen
Mitteln wird sowohl die medizinische Notversorgung
von Betroffenen in Libyen als auch die Betreuung und
die Repatriierung von aus Libyen nach Tunesien geflohenen Menschen ermöglicht.
Zugleich begrüßt Deutschland, dass die EU umfangreiche Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen bereitgestellt hat - bislang 40 Millionen Euro. Wie die meisten
Mitgliedstaaten hat Deutschland zwar kein jährliches
Neuansiedlungsprogramm mit festgelegten Quoten. Bis
in die jüngste Vergangenheit hat Deutschland jedoch
sein humanitäres Engagement durch verschiedene Aufnahmeaktionen wiederholt in großem Umfang unter Beweis gestellt. Ich mache darauf aufmerksam, dass nach
den Zahlen Deutschland im Jahr 2009 Spitzenreiter innerhalb der EU war, was die Zahl der Aufnahmen betrifft.
Auch in der gegenwärtigen Lage hat sich Deutschland
zur Aufnahme von weiteren 100 nach Malta geflüchteten
Personen bereit erklärt. Angesichts der hohen Zahl von
rund 41 000 Asylbewerbern im vergangenen Jahr, was in
der EU die zweitgrößte Zugangszahl war und gegenüber
2009 beinahe eine Verdopplung bedeutete, besteht allerdings nur wenig Spielraum für weitere Aufnahmen.
Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung in
Libyen und seinen Nachbarstaaten weiterhin sehr aufmerksam und wird im Einklang mit den Beschlüssen des
Europäischen Rates die nach Entwicklung der Lage angemessenen notwendigen Schritte unternehmen.
Herr Wieland, Ihre erste Nachfrage.
Das war wieder einmal eine klassische Nichtantwort.
Die Frage war, ob die Bundesregierung bereit ist, Transitflüchtlinge aus Libyen aufzunehmen und ob diese Bereitschaft auf dem EU-Justiz- und Innenministerrat erklärt wurde. Sie sagen: Wir beobachten aufmerksam; wir
waren in der Vergangenheit Wohltäter.
Können Sie mir denn wenigstens sagen, ob andere
europäische Staaten, wenn schon nicht die Bundesrepublik Deutschland, aus Anlass des JI-Rates am Montag
ihre Bereitschaft erklärt haben, Flüchtlinge, die zurzeit
in Libyen sind, aber ursprünglich aus anderen afrikanischen Ländern stammen, aufzunehmen?
Es haben bereits im Vorfeld des Rates Mitgliedstaaten, in denen es Neuansiedlungsprogramme gibt, ihre
Aufnahmebereitschaft im Rahmen der von ihnen vorgegebenen Quoten erklärt. Das sind Schweden mit
200 Personen, Belgien mit 25 Personen und die Niederlande mit circa 40 Personen.
Mir war es zunächst einmal wichtig, mit meiner Antwort zu verdeutlichen, dass unsere Zurückhaltung nicht
etwa auf Ignoranz gegenüber den humanitären Herausforderungen zurückzuführen ist. Wir geben aber gegenwärtig einer Lösung in der Region selbst den Vorrang.
Eine weitere Nachfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, Sie gehen auch bei den Flüchtlingen, die es nach Lampedusa geschafft haben, davon aus,
dass es nicht nur vorrangige, sondern alleinige Aufgabe
des italienischen Staates sei, diese Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Welche Haltung nimmt da
eigentlich die Bundesregierung ein? Ihre Nachbarin auf
der Regierungsbank, Frau Pieper, hat nämlich exakt das
Gegenteil erklärt, indem sie die Behandlung der Flüchtlinge in Italien zu einer europapolitischen Frage und zu
einer Menschenrechtsfrage gemacht hat. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Herr Löning,
ging sogar noch weiter und machte den Vorschlag, für
zwei Jahre den Flüchtlingen den Aufenthalt in Europa
und eine Ausbildung zu ermöglichen.
Der Innenminister, wie ein Elefant im europäischen
Porzellanladen, macht Italien-Bashing; Italien ist immerhin ein Signatarstaat der Römischen Verträge. Er muskelt auf und sagt, Italien solle gefälligst selbst damit
klarkommen. Das Auswärtige Amt sagt: Eigentlich gibt
es hier eine Zuständigkeit Europas. Wir müssen hier solidarisch sein. - Welche Haltung hat denn nun die Bundesregierung?
Ich will erstens die Diskussionslage im JI-Rat dahin
gehend beschreiben, dass Italien, was seinen Umgang
mit diesem Problem angeht, innerhalb der Mitgliedstaaten isoliert war.
Zweitens. Es gibt keine Diskrepanz zu der Feststellung, dass es sich hier um eine europäische Herausforderung handelt, dahin gehend, dass Italien vom Europäischen Flüchtlingsfonds Mittel beantragt hat und sie nach
meiner Kenntnis in Höhe von 9 Millionen Euro erhalten
hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es allerdings verwunderlich, dass sich Italien zu einer Lösung versteigt,
den betroffenen Flüchtlingen gewissermaßen nationale
Aufenthaltsdokumente zu erteilen, die teilweise auch
noch mit dem Hinweis übergeben werden: Damit könnt
ihr innerhalb des Schengen-Raums auch in andere Länder gehen.
Das kann nicht die richtige Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union sein. Sie kann es vor allen
Dingen deshalb nicht sein, weil die bisher eingetroffene
Zahl von Flüchtlingen in Italien eine besondere Umverteilung in andere EU-Länder nicht rechtfertigt.
Aber ich sage noch einmal: Es besteht kein Widerspruch zu der Feststellung meiner Nachbarin auf der
Regierungsbank, dass es in diesem Zusammenhang europäische Solidaritätspflichten gibt. Der Europäische
Flüchtlingsfonds ist in diesem Zusammenhang zu Recht
beansprucht worden.
({0})
Frau Müller, bitte.
Also, selbst das Innenministerium ist der Meinung,
dass es europäische Solidaritätspflichten gibt; hört, hört!
({0})
Es gibt auf europäischer Ebene eine Richtlinie, die ermöglicht, Bürgerkriegsflüchtlinge vorübergehend aufzunehmen. Lege ich die Analyse des Ministeriums Ihrer
Nachbarin auf der Regierungsbank zugrunde, herrscht in
Libyen ein Bürgerkrieg. Ich frage jetzt die Bundesregierung, warum sie sich auf dem JI-Rat nicht dafür einsetzt,
dass sich die EU zur Aufnahme von Kontingenten im
Rahmen eines solchen Bürgerkriegsstatus oder zur vorübergehenden Schutzgewährung bereit erklärt. Das
wäre europäische Lastenteilung. Sie haben hier nur von
humanitärer Hilfe geredet. Das ist ein ganz anderes Kapitel.
Ich will zunächst einmal sagen, dass die Diskrepanz
innerhalb der EU-Mitgliedstaaten über das sogenannte
Resettlement-Programm darin besteht, ob die Aufnahme
von Flüchtlingen auf der Basis vorfestgelegter Quoten
- was nicht die Meinung von Deutschland ist - oder auf
der Basis von Ad-hoc-Entscheidungen erfolgen soll was die Position Deutschlands und, wenn ich es richtig
sehe, der Mehrheit der Mitgliedstaaten ist. Ich halte den
flexiblen Umgang, der auf der Basis von Ad-hoc-Entscheidungen erfolgt, für den angemesseneren Umgang
mit der Vielfalt der unterschiedlichen zu erwartenden
Probleme.
Ich sage noch einmal: Ich halte es für absolut unangemessen, der Bundesregierung aufgrund dieser gegenwärtigen Position - ich habe darauf hingewiesen, dass die
weitere Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit ver11890
folgt wird - gewissermaßen Ignoranz gegenüber der
humanitären Herausforderung zu unterstellen.
Frau Dağdelen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - In der letzten Woche
- wir haben das schon vorher erfahren - konnte man in
der Presse nachlesen, dass die EU im Ministerrat im
schriftlichen Verfahren einen Vorratsbeschluss zu einer
Militäroperation der Europäischen Union, EUFOR
Libya, gefasst hat. Zunächst einmal soll eine Anfrage
des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung
humanitärer Angelegenheiten unter Herrn Ban Ki-moon
abgewartet werden. Dies wurde zur Voraussetzung für
die Mission erklärt. In diesem Zusammenhang wurde
bereits im Vorfeld, aber auch danach seitens der Bundesregierung erklärt, dass dieser Vorratsbeschluss zur Unterstützung der humanitären VN-Hilfeleistungen gefasst
worden ist, zum Teil auch als Beitrag zum sicheren
Transport und zur Evakuierung von Flüchtlingen.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gern fragen: In diesem Krisenmanagementkonzept für die Mission ist eine enge Kooperation mit Einsätzen von Frontex als notwendig erachtet worden. Das Anhalten, Entern
und Durchsuchen von Schiffen ist vorgesehen. Für wie
vereinbar halten Sie eigentlich die Unparteilichkeit als
wichtigstes Prinzip humanitärer Hilfe - auch laut Ärzte
ohne Grenzen - damit, dass Sie auf der einen Seite Soldaten hinschicken werden und auf der anderen Seite vorgeben, Flüchtlingen in Libyen und den humanitären
Hilfsorganisationen, die dort im Moment helfen, humanitäre Hilfe zu leisten?
Frau Kollegin, zunächst einmal folgender Hinweis:
Ich behandle die Frage nach dem EUFOR-Einsatz und
dem entsprechenden Votum nur aus der begrenzten Perspektive des von mir zu vertretenden Ressorts.
Ich will darauf aufmerksam machen, dass gerade die
angesprochene Entscheidung als ein Zeichen der Bereitschaft zu werten ist, sich auch im Falle einer weiteren
Zuspitzung für den humanitären Einsatz, wenn nötig,
auch mit einer entsprechenden militärischen Absicherung, einzusetzen. Das heißt: Gerade diese Entscheidung
belegt, dass wir die humanitären Herausforderungen, die
im Zuge der Entwicklungen in Libyen einstweilig auftreten, ernst nehmen und angemessen darauf reagieren wollen.
Herr Ströbele, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Frage der Kollegin
Müller leider nicht beantwortet. Deshalb frage ich nach:
Ist die Bundesregierung bereit, ein bestimmtes Kontingent der Flüchtlinge für eine bestimmte Zeit aufzunehmen? Sie können die Frage namens der Bundesregierung
mit „Ja“ oder „Nein“ oder „Weiß nicht“ beantworten.
({0})
Herr Kollege Ströbele, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die rechtlichen Voraussetzungen des § 23 Aufenthaltsgesetz eine Einbeziehung der Bundesländer notwendig macht; diesen Hinweis wollte ich geben.
Ansonsten glaube ich, die Frage mit dem Satz, den
ich gern wiederhole, beantwortet zu haben: Nach Auffassung der Bundesregierung soll die humanitäre Hilfe
für die Flüchtlinge zunächst in der Region erfolgen. Das
ist keine Antwort nach dem Ja-oder-Nein-Schema; aber
es ist trotzdem eine Antwort auf die gestellte Frage.
Der Kollege Schmidt, bitte.
Herr Staatssekretär, vonseiten der Bundesregierung
ist angekündigt worden: Wenn Italien Reisedokumente
für Flüchtlinge ausstellt, könnten wieder Kontrollen an
den deutschen Grenzen eingeführt werden. An den
Grenzen zu welchen Ländern gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls solche Kontrollen einzuführen: an
den EU-Binnengrenzen zu Frankreich oder Tschechien
oder an der Grenze zur Schweiz? Gibt es schon Gespräche mit den betroffenen Ländern darüber, dass man das
jetzt - ich sage einmal: mitten in der Osterreisezeit - erwägt?
Zunächst einmal ein Hinweis: Sie berufen sich auf die
Äußerungen eines Landesinnenministers.
({0})
Ich betrachte die Einführung von Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums als eine Ultima Ratio, für
die gegenwärtig kein Anlass besteht. Die Bundespolizei
arbeitet mit erhöhter Aufmerksamkeit. Ansonsten wissen wir angesichts der engen Regelungen des Schengener Durchführungsübereinkommens, dass wir nicht von
einer dauerhaften Wiedereinführung eines Grenzregimes
ausgehen können.
({1})
Herr Kollege Fischer, bitte.
Herr Staatssekretär, die Innenminister der EU sollen
Gespräche mit dem Übergangsrat in Tunesien zu einem
möglichen Rückführungsabkommen geführt haben, da
es sich in dem Bereich weitestgehend um Wirtschaftsflüchtlinge handelt. Können Sie etwas über den Stand
dieser Verhandlungen sagen?
Mir ist bekannt, dass mit Italien, dem hauptsächlich
betroffenen Land - in Lampedusa sind überwiegend tunesische Flüchtlinge angekommen -, ein Rückübernahmeabkommen geschlossen wurde, das die Rückführung
von 60 Flüchtlingen pro Tag vorsieht. Dies kann im Rahmen der EU-rechtlichen Voraussetzungen getan werden.
Ich will darauf aufmerksam machen, dass es sich hier
vielfach um Personen handelt, bei denen zu erwarten ist,
dass sie nach den erfolgreichen revolutionären Bewegungen in Tunesien für den Aufbau des demokratischen
Gemeinwesens vor Ort gebraucht werden.
Frau Keul.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich möchte auf
die EU-Richtlinie zurückkommen, die die Kollegin
Müller vorhin erwähnt hat. Nach dieser Richtlinie ist es
möglich, Ausländern vorübergehend Schutz in Europa
zu bieten. Ich möchte Sie fragen: Was sind denn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen
Schutz? Sind sie in diesem Falle nicht gegeben und
wenn nein, warum nicht?
Sie wissen, dass es über diese Frage Diskussionen
gibt. Die Voraussetzungen sind letztlich diejenigen, die
in der Flüchtlingskonvention niedergelegt sind. Die Entscheidung über die Aufnahmequote liegt beim jeweiligen Mitgliedstaat.
({0})
Frau Jelpke, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, wie
wollen Sie als unparteiisch gelten und als humanitärer
Helfer wahrgenommen werden, wenn Sie Soldaten nach
Libyen schicken und gleichzeitig in der Grenzregion
Frontex einsetzen? Gerade das sind doch Symbole der
Abschottung.
({0})
Zunächst einmal habe ich auf Folgendes aufmerksam
gemacht: Sofern es sich um den Einsatz deutscher Soldaten handelt, geht es um einen Vorratsbeschluss bzw. um
eine Vorabsprache, der bzw. die militärische Einsatzmittel zur Absicherung humanitärer Maßnahmen vorsieht.
Aus zahlreichen Beispielen wissen wir, dass eine solche
humanitäre Absicherung notwendig sein kann. Die
große Mehrheit des Hauses hat sie in vergleichbaren Fällen entsprechend unterstützt.
Es hat wenig mit Parteilichkeit oder Nichtparteilichkeit zu tun, wenn Sie einen Versorgungstransport mit
medizinischen Gütern oder mit Lebensmitteln vor Angriffen einer gegnerischen Partei schützen, die die humanitäre Versorgung der betroffenen Gruppe nicht will.
Dann sind Sie höchstens parteiisch für die Humanität.
Herr Kollege Ott, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
manchmal scheint es, als ob sich die Bundesregierung
das Motto eines sehr bekannten Autobauers zu eigen gemacht hat: „Nichts ist unmöglich“; ob es nun um
Guttenberg oder die Atomfrage geht.
Ich habe Ihrer Antwort auf die Frage unseres Kollegen Ströbele sehr genau zugehört. Sie haben gesagt, Sie
hätten nicht vor, ein dauerhaftes Grenzregime einzuführen. Was ist bei Ihnen ein nicht dauerhaftes Grenzregime, das Sie vielleicht einführen wollen? Haben Sie
angesichts des bevorstehenden Osterreiseverkehrs Vorsorge dafür getroffen, dass die Bevölkerung genügend
informiert und gewappnet ist?
Herr Kollege, ich empfehle - auch wenn Sie die Neigung haben, mit Blick auf das Osterfest irgendwelche
Grenzkontrollen anzukündigen ({0})
einen Blick in die Regelungen des Schengener Durchführungsübereinkommens.
({1})
Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns an diese Regelungen gebunden fühlen. Da sind die Voraussetzungen und
die Zeitdauer für die Einführung von Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raumes sehr eng definiert. Insofern
sind manche der Äußerungen, die in diesem Zusammenhang getan werden, und auch die Spekulation, die in Ihrer
Frage liegt, aus meiner Sicht völlig unbegründet.
Frau Scheel, bitte.
Herr Staatssekretär, was der Kollege Ott Sie gerade
gefragt hat, ist mehr als begründet, und zwar deswegen,
weil Ihr Minister in den letzten Tagen mehrmals im Zusammenhang mit dem Schengener Abkommen öffentlich darüber gesprochen hat, Grenzkontrollen einzuführen. Dadurch zwingt sich regelrecht der Eindruck auf,
dass sich der Minister von der einen oder anderen Überlegung, die im Schengener Abkommen formuliert ist,
distanziert hat.
Zur konkreten Frage. Sie sprachen von Grenzkontrollen nur als Ultima Ratio, einen Halbsatz später hieß es
aber, dass Grenzkontrollen nicht dauerhaft eingesetzt
werden sollen. Deswegen würde uns in diesem Zusammenhang interessieren, inwieweit die Bundesregierung
zum einen derartige Grenzkontrollen erwogen hat und
ob sie uns zum anderen jetzt endlich einmal sagen kann,
wie sie sich im Zusammenhang mit den Flüchtlingen
überhaupt verhalten will.
Frau Kollegin, zunächst einmal: Für vertiefende Auskünfte empfehle ich das Gespräch mit Ihren Kolleginnen
und Kollegen aus dem Innenausschuss. Der Innenminister hat erst vor einer Stunde im Innenausschuss hierzu
Rede und Antwort gestanden.
({0})
Ich denke, jeder, der ihn gehört hat, weiß, dass er gegenwärtig nicht von der Einführung von Grenzkontrollen
ausgeht.
({1})
Gleichwohl bestand im Innenausschuss Einigkeit darüber - und ich hatte den Eindruck, fraktionsübergreifend -, dass das Verhalten der italienischen Regierung in
dieser Frage nicht akzeptabel ist und dass es geeigneter
Instrumente braucht, darauf hinzuweisen.
Man kann seinen Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen nicht dadurch gerecht werden, dass man ihnen
plötzlich Aufenthaltstitel gibt und die Weiterreise innerhalb des Schengen-Raums empfiehlt. Das ist unangemessen und entspricht nicht den Loyalitätsverpflichtungen innerhalb der Europäischen Union. Die eine oder
andere Äußerung, die als Reaktion darauf in der Öffentlichkeit festzustellen ist, deute ich in dieser Hinsicht. Es
gibt aber keine ernsthafte Absichtsbezeichnung des Bundesinnenministers, unmittelbar jetzt Grenzkontrollen im
Schengen-Raum einzuführen.
Jetzt bitte der Kollege Schick.
Ich würde gern auf Ihre Antwort auf die Frage des
Kollegen Fischer zurückkommen, auch wenn die Frage,
was denn „gegenwärtig“ in Bezug auf die Grenzkontrollen heißt, ebenfalls noch einer Vertiefung bedürfte. Ich
möchte wissen, welche konkreten Erkenntnisse und Informationen die Bundesregierung zu der Frage hat, ob
unter den Bootsflüchtlingen Bürgerkriegsflüchtlinge
sind oder ob es sich um andere Flüchtlinge handelt. Das
ist für die Frage der rechtlichen Einordnung von Bedeutung. Welche konkreten Informationen liegen Ihnen vor?
Zunächst einmal: Die große Mehrheit der Flüchtlinge,
die in Italien ankommt, stammt aus Tunesien, wo man
gerade erst eine diktatorische Herrschaft abgeschüttelt
und den Status der Freiheit erreicht hat. Von den ungefähr 23 000 Flüchtlingen, die nach Italien gekommen
sind, haben 10 Prozent einen Asylantrag gestellt. Das
legt die Vermutung nahe, dass für das Gros der Flüchtlinge - ich spreche jetzt wohlgemerkt nur von den
Flüchtlingen aus Tunesien - andere als asylsuchende
Gründe für die Übersiedlung nach Italien entscheidend
waren.
Herr Kollege Montag.
Herr Staatssekretär Bergner, Sie haben davon gesprochen, dass die Bundesregierung bzw. das Bundesinnenministerium grundsätzlich nicht an eine Grenzüberwachung im Schengen-Raum an den deutschen Grenzen
denkt. Auf die zweite Frage haben Sie geantwortet:
„Konkret“ und „unmittelbar“ wird daran nicht gedacht.
Ihre Wortwahl verleitet uns zu der Überlegung, dass
doch irgend etwas zwischen „grundsätzlich nicht“ und
„unmittelbar jetzt nicht“ im Schwange sein könnte.
Deswegen stelle ich eine ganz konkrete Frage mit der
Bitte um eine möglichst klare und konkrete Antwort:
Gibt es für den Fall, dass die italienische Regierung das
wahrmacht, was Sie angedeutet haben, und mit der Ausstellung von Ausweisen beginnt, die zur Ausreise und
freien Bewegung im Schengen-Raum berechtigen - Sie
haben das kritisiert; wir kritisieren das auch -, in Ihrem
Ministerium Pläne zur Durchführung von Kontrollen an
deutschen Grenzen, quasi als Notfallmaßnahme?
Die mit der Grenzsicherung beauftragte Bundespolizei muss prinzipiell auch Lagen einkalkulieren, in denen
aus unterschiedlichsten Anlässen im Rahmen des nach
dem Schengener Durchführungsübereinkommen Möglichen Grenzkontrollen durchgeführt werden müssen. Ich
will in diesem Zusammenhang einmal einen anderen
Fall als die Flüchtlingsproblematik nennen: Sie wissen,
dass wir bei der Fußballweltmeisterschaft - das ist konkret - an der Grenze zu Nachbarstaaten Kontrollen
durchgeführt haben, um unter anderem bezogen auf
Hooligans Prüfungen zu ermöglichen. Diese Kontrollen
fanden im Einklang mit den Schengen-Regelungen statt.
In diesem Sinne muss man darauf eingestellt sein, in beParl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
stimmten Situationen solche Regelungen vornehmen zu
müssen.
Ich sage aber noch einmal: Das Schengener Übereinkommen setzt einen engen Rahmen, und wir haben nicht
die Absicht - ich sprach von der Ultima Ratio -, diesen
Rahmen in irgendeiner Weise zu verletzen. Wir haben
nicht die Absicht, uns in irgendeiner Weise nicht konform zum Schengener Übereinkommen zu verhalten.
({0})
Frau Haßelmann zur Geschäftsordnung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär
Bergner, insbesondere Ihre Antworten auf die Fragen
nach der Konkretisierung des Flüchtlingsstatus, zur Bereitschaft Deutschlands zur Aufnahme von Flüchtlingen
sowie zu den Quoten und Ihre Antwort, was das Schengener Durchführungsübereinkommen und die Grenzkontrollen angeht - Sie haben sich diesbezüglich öffentlich hinreichend geäußert -, machen uns deutlich, dass
Sie nicht in der Lage oder nicht bereit sind, die Fragen
meiner Kolleginnen und Kollegen zutreffend und umfangreich zu beantworten. Deshalb beantrage ich gemäß
Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung
unter anderem wegen der Aktualität des Themas eine
Aktuelle Stunde nach § 106 Abs. 1.
({0}): Das wusstet ihr
vorher schon!)
- Er hätte uns ja überzeugen können!
Frau Kollegin!
Entschuldigung, das war ein Beitrag zur Geschäftsordnung. Insofern ist das jetzt mein Part. Aber Sie können auch gerne etwas dazu sagen. Sie können sich gerne
zu Wort melden, wenn Sie das möchten.
Ich will bloß sagen, dass mich dieser Antrag nicht
überrascht.
({0})
Das entspricht den Richtlinien für die Aktuelle
Stunde. Das entspricht, wie deutlich gemacht, Anlage 5
Nr. 1 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung. Die Aussprache zu diesem Thema findet nach der Fragestunde
statt.
Ich rufe jetzt die dringliche Frage 6 des Abgeordneten
Kilic auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund
der erfolgten Aufnahme von 100 anerkannten Flüchtlingen
aus Malta ({0}) die weitere Übernahme von in
Malta ankommenden Flüchtlingen, und ist sie dazu bereit, die
Rückschiebungen von Asylsuchenden nach Malta im Rahmen
des Dublin-II-Verfahrens auszusetzen?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege Kilic, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Bund und Länder sind bereit, 100 Flüchtlinge, die
sich derzeit auf Malta aufhalten, zu übernehmen.
Darüber hinaus sind derzeit keine weiteren Übernahmeaktionen geplant. Im Rahmen der Anwendung der
Dublin-Verordnung wird bereits seit 2009 zugunsten besonders schutzbedürftiger Personen, für die eine Zuständigkeit Maltas gegeben ist, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht. In den vergangenen 15 Monaten
wurden lediglich 13 Personen nach Malta überstellt.
Eine Aussetzung von Überstellungen nach der DublinVerordnung ist vor dem Hintergrund der geringen Fallzahl nicht angezeigt. Die Bundesregierung beobachtet
die Lageentwicklung in Malta weiterhin mit großer Aufmerksamkeit.
Herr Kilic, Sie haben eine Nachfrage?
Frau Präsidentin, ich habe eine Nachfrage.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, manchmal ist auch eine nicht gegebene Antwort eine Antwort, so in diesem Fall.
({0})
Ich war im Mai 2010 mit Kolleginnen und Kollegen
vom Innenausschuss in Libyen und Malta, um Flüchtlingsströme zu beobachten und Gespräche zu führen.
Damals haben wir Verbindungsbeamte vom Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge in Malta getroffen. Sie
sagten, dass man zur Notlinderung 100 Flüchtlinge aus
Malta aufnehmen wolle. Da Ihre Antwort nicht konkret
war, gehe ich davon aus, dass Deutschland immer noch
dabei ist, dieses alte Versprechen einzulösen und
100 Flüchtlinge aufzunehmen. Ich frage konkret: Wie
viele Asylsuchende wurden in den Jahren 2007 bis 2010
von Deutschland im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens
an Malta rücküberstellt?
Herr Kollege Kilic, ich kann Ihnen die Zahl nennen,
die in meiner Antwort steht. In den vergangenen
15 Monaten handelte es sich um 13 Personen. Ich bin
gern bereit, Ihnen, wenn Sie die Jahre 2007, 2008 und
2009 in den Blick nehmen wollen, schriftlich eine Auskunft darüber zu geben.
Ich sage noch einmal: Zur solidarischen Lösung des
Problems in Malta muss man, glaube ich, zwei Instrumente betrachten. Das eine ist der Selbsteintritt, den wir
mit der Übernahme der 100 Personen ausüben, das andere ist die Dublin-Verordnung, die ein prinzipielles Verfahren zur Aufnahme von Asylsuchenden vorsieht und
nach Auffassung der Bundesregierung keinen Verteilungsmechanismus für Asylsuchende innerhalb der
Europäischen Union vorsieht. Aus diesem Grunde kann
ich auf Ihre Nachfrage - ich glaube, dass meine Antwort
gerade deutlich genug war - nur noch einmal antworten,
dass wir im Rahmen des Selbsteintritts 100 Personen
aufnehmen und dass wir die Dublin-Regelung nicht aussetzen wollen. Dazu sehen wir jedenfalls gegenwärtig
keinen Anlass.
Herr Kilic, Sie haben noch eine weitere Nachfrage? Bitte sehr.
Ich habe eine weitere Nachfrage, Herr Staatssekretär.
Haben sich andere Mitgliedstaaten der EU bereit erklärt,
Flüchtlinge aus Malta aufzunehmen? Wenn ja, welche
Staaten und welche Anzahl?
Ich habe in meinen Unterlagen keine Angaben über
die Aufnahmebereitschaft anderer Staaten. Auch das
müsste ich Ihnen schriftlich nachliefern.
Danke.
Nach den dringlichen Fragen rufe ich jetzt die Fragen
auf Drucksache 17/5421 in der üblichen Reihenfolge
auf.
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher bereit.
Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Garrelt Duin werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Wicklein:
Welche konkreten Ergebnisse haben der „Neun-PunktePlan für den Mittelstand“ sowie die Initiative für den Mittelstand „Auf den Mittelstand setzen: Verantwortung stärken Freiräume erweitern“ gebracht?
Verehrte Frau Kollegin Wicklein, mehr als 3,7 Millionen kleine und mittlere Unternehmen sind der Motor für
Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Das haben wir insbesondere am Ausgang der Krise gesehen.
Deshalb verfolgt die Bundesregierung eine Wirtschaftspolitik, die sich für die Belange des deutschen Mittelstands einsetzt. Hierzu hat das Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie im Januar 2010, also kurz
nach dem Regierungswechsel, in dem von Ihnen genannten „Neun-Punkte-Plan für den Mittelstand“ erste
konkrete Vorschläge vorgelegt.
Lassen Sie mich beispielhaft auf zwei Ergebnisse des
Neun-Punkte-Plans eingehen. Um die Innovationsfähigkeit des Mittelstands zu fördern, hat die Bundesregierung das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand,
besser bekannt unter ZIM, trotz Sparzwängen und
Schuldenbremse fortgeführt und auf hohem Niveau stabilisiert. Es umfasst in diesem Jahr ein Gesamtvolumen
von 389 Millionen Euro. Das Bundeswirtschaftsministerium hat im vergangenen Jahr Innovationsgutscheine
eingeführt, um in kleinen Unternehmen Anreize zur verstärkten Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu setzen.
Anfang Februar 2011 hat Bundeswirtschaftsminister
Rainer Brüderle die neue Mittelstandsinitiative unter
dem Titel „Auf den Mittelstand setzen: Verantwortung
stärken - Freiräume erweitern“ auf den Weg gebracht.
Diese Mittelstandsinitiative stellt den Status quo und
weitere konkrete Ergebnisse des Neun-Punkte-Plans umfassend dar und identifiziert sieben zentrale Themenfelder für die deutsche Mittelstandspolitik der kommenden
Jahre. Das ist sicherlich das, was Sie als Sieben-PunktePlan bezeichnen.
Zur Sicherung des Fachkräftebedarfs der deutschen
Wirtschaft wurde bereits der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2010 bis 2014 unterzeichnet. Mit dem neuen Ausbildungspakt, dessen Aufgabenstellung gegenüber dem früheren sehr stark verändert
worden ist, sollen vermehrt leistungsstarke Schulabgänger für eine betriebliche Berufsausbildung gewonnen
werden. Zudem werden verstärkt auch solche Jugendliche in den Blick genommen, die bisher Schwierigkeiten
beim Übergang in eine Ausbildung hatten. Die Mittelstandsinitiative des BMWi wurde, wie Sie nachrechnen
können, vor zehn Wochen veröffentlicht. Deshalb ist es
zum heutigen Zeitpunkt sicher noch zu früh, ganz konkrete Ergebnisse zu benennen.
Frau Wicklein, Sie haben eine Nachfrage. - Bitte
schön.
Herr Staatssekretär, ganz herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Frage. - Ich möchte Sie noch um
eine Stellungnahme zu der im Koalitionsvertrag angekündigten steuerlichen Forschungsförderung bitten, die
gerade für die kleinen und mittelständischen UnternehAndrea Wicklein
men sehr wichtig ist. Bis jetzt ist eine Umsetzung ausgeblieben, und es gibt verschiedene Aussagen von Mitgliedern der Regierungsfraktionen, die sich gegenseitig
widersprechen. Die Forschungspolitiker sagen, dass sie
an diesem Vorhaben festhalten; andere sagen, dass es
sich dabei um Subventionen handelt, die man abbauen
will. Mich würde interessieren, wie die Haltung der Bundesregierung zu diesem aus meiner Sicht sehr wichtigen
Instrument ist.
Frau Kollegin Wicklein, eine ganz klare Aussage: Wir
haben zu diesem Thema im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung getroffen. Die Bundesregierung hat deutlich
gemacht: Oberste Priorität hat die Haushaltskonsolidierung. Sie alle kennen die angespannte Finanzlage und
die Sondertatbestände, die so nicht zu kalkulieren waren.
Deshalb haben wir klar festgelegt: Oberste Priorität hat
die Haushaltskonsolidierung. Wenn sich im Rahmen der
Haushaltskonsolidierung Freiräume ergeben, dann werden andere Themen wie die steuerliche Entlastung und
die steuerliche Forschungsförderung wieder auf den Plan
kommen. Im Augenblick aber hat die Haushaltskonsolidierung, wie gesagt, Vorrang, weil unsere Zukunftsfähigkeit insgesamt dadurch am ehesten garantiert werden
kann.
Sie haben keine weitere Nachfrage zu dieser Frage.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Wicklein auf:
Mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung die innovativen Gründungen in Deutschland unterstützen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Wicklein, mit der Initiative „Gründerland Deutschland“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie setzt sich die Bundesregierung
dafür ein, dass mehr Menschen in Deutschland den
Schritt in die Selbstständigkeit wagen und die Gründungskultur in Deutschland gestärkt wird. Im Rahmen
dieser Initiative kommt innovativen Gründungen eine
besondere Bedeutung zu. Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Unterstützung innovativer Gründungen
konzentrieren sich auf einen erleichterten Zugang dieser
Unternehmen zu Finanzierungen.
Ich möchte zwei Bereiche ansprechen.
Erstens. Das Programm „Existenzgründungen aus der
Wissenschaft“, abgekürzt EXIST, hat zum Ziel, das
Gründungsklima und den Gründungsprozess an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland zu
verbessern. Mit den entsprechenden Teilmaßnahmen zur
Unterstützung von Ausgründungen mobilisiert das BMWi
im Jahr gut 200 Ausgründungsprojekte mit einem Volumen von gut 20 Millionen Euro pro Jahr. Ergänzend
richtet sich die Maßnahme „GO-Bio“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung an gründungsbereite
Forscherteams in den Lebenswissenschaften und hat dort
seit 2005 bereits 28 Gründerteams gefördert.
Zweitens. Der High-Tech-Gründerfonds investiert Risikokapital in neu gegründete deutsche Technologieunternehmen. Seit seiner Auflage im Jahre 2005 hat der
High-Tech-Gründerfonds bereits 220 Technologiegründungen finanziert. 2 000 zukunftsfähige Arbeitsplätze
sind entstanden. Die Bundesregierung bereitet einen Anschlussfonds vor, der im Sommer 2011 an den Start gehen soll und wiederum unter deutlicher Beteiligung der
privaten Wirtschaft aufgelegt werden wird.
Gerade wachstumsstarke Gründungen sind auch über
die Gründungsphase hinaus auf ein ausreichendes Finanzierungsangebot angewiesen. Deshalb mobilisiert das
Wirtschaftsministerium mit seiner Förderarchitektur für
Wagniskapital in diesem Bereich erhebliches privates
Kapital, etwa mit dem ERP-Startfonds und dem ERP/
EIF-Dachfonds. Darüber hinaus setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Rahmenbedingungen für Venture Capital und Business Angels zu verbessern und international wettbewerbsfähig zu gestalten.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Hier werden die Fragen 5 und 6 der Kollegin Anette
Kramme schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 7 der Kollegin Dittrich:
Wo genau beantragen die Empfänger von Arbeitslosengeld II bis Ende April 2011 Leistungen aus dem sogenannten
Bildungspaket für Kinder rückwirkend zum Jahresanfang,
und welche Behörde ist zuständig - die Jobcenter, die Sozialämter, die Familienkasse oder die Jugendämter?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Fuchtel steht
zur Beantwortung bereit.
Verehrte Frau Kollegin, es gibt drei verschiedene Kategorien von Betroffenen: Das sind zum Ersten Betroffene nach dem Sozialgesetzbuch II, zum Zweiten Betroffene nach dem Sozialgesetzbuch XII und zum Dritten
Betroffene nach dem Bundeskindergeldgesetz.
Die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem Sozialgesetzbuch II wird von den Jobcentern
durchgeführt. Die Leistungen - auch die rückwirkend zu
erbringenden - aus dem Bildungspaket nach SGB II sind
im Jobcenter zu beantragen. Ob und in welchem Umfang
und unter welchen Voraussetzungen eine Übertragung
der Aufgabenwahrnehmung auf eine andere Stelle - zum
Beispiel kommunale Träger - rechtlich zulässig ist, wird
das BMAS unter Beteiligung der Länder klären und prüfen.
Zur zweiten Kategorie: Leistungsberechtigte nach
SGB XII, die Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, sowie
diejenigen, die Grundsicherung im Alter sowie Sozialhilfe wegen Erwerbsminderung bekommen, erhalten die
Leistungen aus dem Bildungspaket von den örtlichen
Trägern der Sozialhilfe. Das sind im Regelfall die Kreise
oder kreisfreien Städte.
Zur dritten Kategorie: Die für die Kinderzuschlagsund Wohngeldbezieher zuständigen Stellen müssen von
den jeweiligen Ländern benannt werden. Dies ist im Augenblick zum Teil noch nicht geschehen. Daher gibt es
hier zur Erleichterung eine Sonderregelung. Bis zum
31. Mai 2011 können Kinderzuschlags- und Wohngeldbezieher die Anträge auf Leistungen aus dem Bildungspaket bei ihrer örtlich zuständigen Familienkasse beantragen. Diese leitet die Anträge an die zuständige Stelle
weiter.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber noch auf etwas Grundsätzliches hinweisen. Der Staat erwartet vom
Bürger nicht, dass er diffizile Kenntnisse in Bezug auf
die Frage hat, wo er einen Antrag zur Erreichung einer
Sozialleistung stellen soll. Deshalb gibt es eine Grundsatznorm, die sich im Sozialgesetzbuch I § 13 ff. befindet. Diese Norm besagt, dass ein Antrag, der an eine
nichtzuständige Stelle geleitet wird, unverzüglich von
dieser Stelle an den zuständigen Leistungsträger weiterzugeben ist. Oder der Antragsteller muss ersatzweise
eine Auskunft erhalten, wer die zuständige Stelle ist und
wo sie sich befindet. Insoweit ist gesichert, dass der Bürger nicht alleingelassen wird.
Sie haben noch eine zweite Frage zu Informationen
gestellt. Die beantworte ich später. Auf jeden Fall ist die
Grundlage gegeben, dass auch zum jetzigen Zeitpunkt
für alle Betroffenen eine Anlaufstelle gesichert ist.
Frau Dittrich, Sie haben eine Nachfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Fuchtel, ich habe
mich gefreut, dass Sie eine so ausführliche Beantwortung vornehmen konnten. Auch hoffe ich, dass viele
Bürger nun in Bezug auf Staatsbürgerkunde gelernt haben. Man kann also bei jeder Behörde, auch wenn sie
nicht zuständig ist, einen Antrag - notfalls auch formlos abgeben. Das finde ich gut.
Ich habe aber noch eine Frage: Müssen für die rückwirkende Nachzahlung ab 1. Januar von den Menschen
gesonderte Nachweise erbracht werden? Es war ja einmal eine Behauptung Ihres Ministeriums, dass dem so
sei. Die Arbeitslosengruppen der Gewerkschaften haben
gesagt, das sei nicht der Fall. Was sagen Sie denn dazu?
Ich kann nur darauf hinweisen, dass die Antragsunterlagen natürlich schlüssig sein müssen. Wenn sie nicht
vollständig sind, dann werden, wie bei all diesen Fällen,
entsprechende Nachfragen gestellt. Die Anträge müssen
dann vervollständigt werden.
Sie haben eine weitere Nachfrage, Frau Dittrich.
Bitte.
Meine weitere Nachfrage zu diesem Punkt ist: Reden
wir jetzt von einem Antrag - auf jedem Antrag steht ja,
was beiliegen muss -, oder reden wir davon, dass in dem
Gesetz ja geregelt wurde, dass es Nachzahlungen gibt?
Was meinen Sie denn mit „Beilagen zum Antrag“? Kann
es sein, dass erst einmal etwas ausgegeben werden kann,
was die Menschen nachher nachweisen müssen?
Diese Frage würde ich Ihnen gerne schriftlich dezidiert beantworten, weil ich doch noch einmal meine Abteilungen fragen möchte, damit wir in der Öffentlichkeit
keine Aussagen machen, die revidiert werden müssen.
Dafür haben Sie sicher Verständnis.
Wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Heidrun
Dittrich:
Wie will die Bundesregierung die Bevölkerung über den
Anspruch auf die Auszahlung von Bildungspaketen/Bildungsgutscheinen in der Kürze der Zeit informieren - Antragsfrist
läuft am 30. April 2011 aus -, wenn die zuständige Behörde
nicht feststeht?
Bitte schön.
Die zuständige Behörde für die Anträge auf Leistungen aus dem Bildungspaket für Kinder von Arbeitsuchenden in der Grundsicherung ist nach dem SGB II,
wie ich vorhin schon ausgeführt habe, das Jobcenter. Arbeitslosengeld- und Sozialgeldbezieher können ihre Anträge dort stellen. Diese allgemeine Information hat das
BMAS unter anderem im Rahmen einer Informationskampagne, in Anzeigen, auf Plakaten und im Internet,
verbreitet. Durch alle Elemente dieser Kampagne wird
auf vertiefende Informationen beispielsweise durch das
Bürgertelefon des BMAS verwiesen.
Ich möchte in dieser Sache gleich auch etwas Werbung machen und die Nummer bekannt geben, die dieses
Bürgertelefon hat, damit man sie nicht erst noch suchen
muss. Die Telefonnummer lautet: 01805 676721.
({0})
- Wenn Sie das genau wissen wollen: Das habe ich jetzt
gerade noch kurz im Internet ermittelt.
Im Übrigen möchte ich generell darauf hinweisen,
dass die Bürgerinnen und Bürger im Lande, die Informationen benötigen, dieses Bürgertelefon auch für andere
Fragen zur Sozialpolitik nutzen können, für die das
BMAS zuständig ist. Wenn ich das richtig in Erinnerung
habe, gab es im letzten Jahr 700 000 Anrufe. Daraus ist
ersichtlich, dass wir mit diesem Bürgertelefon eine sehr
wichtige Aufgabe erfüllen.
Darüber hinaus sind wir natürlich auch im Internet
aktiv. Unter www.bildungspaket.bmas.de können Sie
sich ebenfalls die entsprechenden Informationen besorParl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
gen. Daneben haben wir für die verschiedenen Zielgruppen Informationsmaterialien entwickelt, die nicht nur
heruntergeladen, sondern auch bestellt werden können.
Diese Materialien werden auch über die Verantwortlichen für die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets vor Ort als Erstinformation kostenlos angeboten.
Darüber hinaus hat das BMAS am 29. März 2011 in
einer Pressemitteilung nochmals auf die Möglichkeit der
Antragstellung und die Ende April ablaufende Frist für
die rückwirkende Beantragung hingewiesen und auf
diese Weise in den Medien umfassend darauf aufmerksam gemacht.
Ähnliche Informationen gibt es auch noch bezüglich
der anderen beiden Segmente, die ich vorhin angesprochen habe. Kinderzuschlags- und Wohngeldbezieher informiert das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend in Broschüren, in Infobriefen und
über das Serviceprotal www.familien-wegweiser.de über
die Leistungen. Darüber hinaus informieren die zuständigen Familienkassen im Rahmen des Verwaltungsvollzugs zum Kinderzuschlag über die Möglichkeit, vor der
endgültigen Feststellung der zuständigen Stellen durch
die Länder übergangsweise bis zum 31. Mai 2011 bei
den örtlich zuständigen Familienkassen Anträge einzureichen. Bezieher von Kinderzuschlag und Wohngeld
werden auch über das Informationsmaterial des BMAS
angesprochen.
Das sind alle Kategorien, die ich am heutigen Tage zu
benennen habe.
Ihre Nachfrage. - Sie werden sicherlich prüfen, inwieweit die Telefonnummer, die der Staatssekretär angegeben hat, richtig ist. Bitte teilen Sie ihm auch mit, wie
oft aus der Fraktion angerufen wurde.
({0})
Bitte schön.
Vielen Dank, dass Sie mich für so gründlich halten.
Ich hoffe, auch die Arbeitslosengeldempfänger werden
zu schätzen wissen, was Herr Fuchtel ausgeführt hat.
Meine Frage ist: Wenn das Gesetz erst Ende März öffentlich bekannt gegeben worden ist, halten Sie dann
trotz aller Informationsversuche durch Internet und
Presse die Fristen von einem Monat für die einen bzw.
bis Ende Mai für die anderen nicht für etwas kurz? Halten Sie sie nicht gerade für diejenigen, die das Geld am
dringendsten brauchen, nämlich die Arbeitslosengeld-IIEmpfänger und die Empfänger der Grundsicherung
- das sind oft Frauen mit Kindern unter drei Jahren, die
nicht arbeiten gehen können und dies auch nicht müssen -, für sehr kurz?
In diesem Zusammenhang habe ich einen Verbesserungsvorschlag. Wäre es nicht besser, allen Leistungsempfängern, die ohnehin halbjährlich überprüft werden,
bei der nächsten Überprüfung ganz individuell den
Rückzahlungs- und Nachzahlungsantrag auszuhändigen? Denn sie haben einen Rechtsanspruch auf die entsprechenden Leistungen. Warum soll man es vom individuellen Anstrengungsvermögen der Menschen abhängig
machen, ob dieser Anspruch wahrgenommen wird? Unabhängig, ob sie einen Internetzugang haben, die von
Ihnen genannte Telefonnummer anrufen wollen oder zufällig die Reklame gelesen haben: Wenn sie einen Anspruch haben, dann wäre es viel einfacher, den Antrag
auf Nachzahlung in die halbjährliche Überprüfung der
Leistungsbescheide mit aufzunehmen. Dann könnten die
Betroffenen gleich hineinschreiben: Ja, natürlich,
möchte ich. - Dann hätten Sie weniger Verwaltungsaufwand, und alle kämen flächendeckend zu ihrem Recht.
({0})
Zunächst möchte ich sagen, dass die Bundesregierung
immerhin die gesamte Jobcenterreform in sehr kurzer
Zeit realisiert hat. In den Jahren zuvor gab es ja lange
Diskussionen ohne Ende.
Zweitens ist die Hartz-IV-Reform inklusive Bildungspaket in einer sehr kurzen und intensiven Beratungszeit
bewältigt worden. Das Verfahren im Vermittlungsausschuss hat das Ganze eher in die Länge gezogen. Anderenfalls wäre der Vorlauf zur Umsetzung größer gewesen.
Drittens sind, denke ich, durch die Beratung die neu
geschaffenen Möglichkeiten bis in jeden Haushalt hinein
bekannt geworden. Wenn ich als Abgeordneter in meiner
Sprechstunde mit diesem Thema zu tun habe, stelle ich
immer wieder fest, dass die Betroffenen sehr gründlich
informiert sind.
Im Übrigen arbeiten wir in unserem Hause daran, wie
wir die weitere Entwicklung möglichst unbürokratisch,
ohne zusätzlichen Aufwand und möglichst bürgerfreundlich gestalten können. Dazu sind alle Vorschläge
auf dem Tisch, die es abzuwägen gilt. Dazu gehören
auch die von Ihnen jetzt gemachten Vorschläge.
Insoweit ist das keine völlig neue Erkenntnis. Aber es
ist zu begrüßen, wenn sich Mitglieder des Parlaments
mit konkreten Vorschlägen an die Regierung wenden.
Wie ich nicht nur Ihrem Gesichtsausdruck entnehme,
sind Sie mit der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs zufrieden.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung.
Die Frage 9 des Kollegen Rolf Schwanitz und die
Fragen 10 und 11 der Kollegin Sabine Zimmermann
werden schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Eduard Oswald
Wir kommen damit zur Frage 12 der Kollegin Rita
Schwarzelühr-Sutter:
Wie viele Referenten sind im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit der Erarbeitung einer Strategie zur Eindämmung von Spekulationen
mit Agrarrohstoffen beschäftigt, und hält die Bundesregierung
diese personelle Ausstattung für ausreichend?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank. - Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter,
Ihre Frage beantworte ich natürlich gerne. Es geht um
Spekulationen auf den Agrarrohstoffmärkten und darum,
welche personellen Konsequenzen die Bundesregierung
daraus zieht.
Mit der Erarbeitung einer Strategie zur Eindämmung
von Spekulationen mit Agrarrohstoffen sind im BMELV
abteilungsübergreifend mehrere Organisationseinheiten
befasst. Da sich in den betroffenen Organisationseinheiten mehrere Referentinnen und Referenten mit unterschiedlichen Zeitanteilen mit diesem Thema beschäftigen, kann eine präzise Stellenzahl nicht genannt werden.
Die Aufgabe kann grundsätzlich unter Einbindung des
Forschungsbereichs mit dem vorhandenen Personal bewältigt werden.
Zusätzlich wird derzeit eine externe Ausschreibung
zur befristeten Einstellung einer Referentin/eines Referenten durchgeführt. Die Referentin/der Referent soll
über wissenschaftlich-theoretische und berufspraktische
Erfahrungen im Bereich Warenterminmärkte und Derivatehandel verfügen. Damit soll die Fachkompetenz im
Referat „Strategie und Koordinierung“ der Abteilung
„Ländliche Entwicklung, Agrarmärkte“ verstärkt werden. Dieses Referat ist mit der Erarbeitung von Strategien und Analysen der Agrarmärkte befasst.
Eine Nachfrage, bitte schön.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wenn damit verschiedene Referate befasst sind: Weiß man, wie viele
Experten außerhalb der Ministerien, also aus der Wirtschaft, mitarbeiten?
Selbstverständlich werden alle möglichen Experten,
deren Rat wir einholen können, befragt. Diese Ratschläge werden in die Bewertung aufgenommen.
Zusatzfrage.
Ja. - Sind denn auch aus den Finanzmärkten bzw. aus
dem Bankenbereich Experten mit dabei?
Wir haben das verstärkte Engagement außerlandwirtschaftlicher Finanzinvestoren auf den Märkten jetzt zum
ersten Mal registriert. Deswegen haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben, das diesen Komplex beleuchten soll. Wenn es vorliegt, werden wir entsprechend bewerten und informieren.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. - Die Fragen 13
und 14 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 unserer Kollegin Cornelia Behm
von Bündnis 90/Die Grünen auf:
Bis wann plant die Bundesregierung die vom Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Peter Bleser auf
der Regionalkonferenz des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz „Die Zukunft
des ländlichen Raumes“ am 22. März 2011 angekündigten
neuen Fördermaßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, GAK, wie
einen Demografiecheck zur Bewältigung des demografischen
Wandels, eine verstärkte kommunale Innenentwicklung sowie
flexible regionale Finanzierungsinstrumente wie Regionalfonds,
Regionalbudgets oder Mikrofinanzierung in den Planungsausschuss für Agrarstruktur und Küstenschutz einzubringen, und
inwieweit liegen der Bundesregierung Informationen über die
Bereitschaft der Länder vor, die Aufnahme der neuen Fördermaßnahmen in die GAK mitzutragen?
Herr Staatssekretär.
Auf der Regionalkonferenz in Sankt Wendel wurde
auf Überlegungen im BMELV verwiesen, zur Bewältigung des demografischen Wandels einen Demografiecheck sowie mehrere Maßnahmen in die Regelförderung
der GAK einzubauen; das wurde von mir dort vorgestellt. Diese Überlegung geht einher mit einem Beschluss des Planungsausschusses für Agrar- und Küstenschutz, PLANAK, vom Januar 2011. Auf Initiative des
BMELV wurde beschlossen, die GAK im Lichte der
Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik nach
2013 in ihrer Ausgestaltung zu überprüfen. Der Beschluss sieht unter anderem vor, dass die zur Überprüfung der GAK erforderlichen Schritte im partnerschaftlichen Dialog von Bund und Ländern gemeinsam
erarbeitet und untereinander abgestimmt werden. In diesem Beratungsprozess wird erörtert, ob und inwieweit
Fördermaßnahmen der GAK und des Rahmenplans mit
dem Demografiecheck verbunden werden können. Darüber hinaus wird die Fachebene über die bereits im
Herbst 2010 angestellten Überlegungen zu geeigneten
Finanzinstrumenten beraten. Die Überprüfung der GAKMaßnahmen für den Rahmenplan 2014 bis 2017 soll
Ende 2012 abgeschlossen sein.
Vielen Dank. - Eine Nachfrage. Bitte schön, Frau
Kollegin.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Das alles hört sich
leider sehr vage an. Alles wird auf die nächste Förderperiode der EU geschoben. Was den zweiten Teil der
laufenden Förderperiode betrifft, scheint es keine Reaktion zu geben. Wir beobachten nicht nur, dass sich
strukturschwache ländliche Räume entleeren, sondern
auch, dass sich der Bevölkerungsanteil der älteren, der
ärmeren und der bildungsfernen Menschen erhöht.
Hinzu kommt, dass der Anteil der Kranken steigt. Es ist
eine Abwehrpolitik nötig, um das Auseinanderdriften
der Lebensverhältnisse in diesen Regionen zu verhindern. Eine Anpassungspolitik genügt nicht. Deswegen
frage ich Sie: Wie sind denn die Empfehlungen der interministeriellen Arbeitsgruppe zur ländlichen Entwicklung
aus der letzten Legislaturperiode dazu von den Ländern
aufgenommen worden? Sind sie schon in den Förderkanon der GAK eingebaut worden?
Sehr verehrte Frau Kollegin Behm, insbesondere
Finanzierungsinstrumente wie Regionalbudgets oder revolvierende Fonds können eine ergänzende Möglichkeit
für Landkreise oder Kommunen sein, öffentliche Mittel
für eine nachhaltige und zielgerichtete regionale Entwicklung einzusetzen. Sie können dazu beitragen, das
finanzielle Engagement auch von Unternehmen, Stiftungen oder Verbänden zu steigern. Über die Anwendung
dieser Instrumente entscheiden natürlich die Länder. Ich
weise darauf hin, dass dies ein Prozess ist, der gemeinsam mit den Ländern und Kommunen in Gang gesetzt
werden muss. Die Beachtung des Grundsatzes „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ und die Schaffung
einer wirtschaftlichen Existenz für die Bürger in den
ländlichen Räumen sind die entscheidenden Voraussetzungen dafür, um die Menschen vor Ort zu halten.
Sie haben eine Nachfrage, Frau Kollegin Behm.
Da haben Sie meines Erachtens ganz recht, aber das
Instrument wird bisher unzureichend eingesetzt. Es gibt
schon die Möglichkeit, Regionalbudgets einzusetzen.
Wir hatten unlängst in der Fraktion dazu ein Fachgespräch. Es hat sich gezeigt, dass das relativ wenig genutzt wird. Deswegen eine weitere Frage zu Ihren Gesprächen mit den Ländern: Wie verliefen diese in Bezug
auf die Frage, wie man den Regionen im Rahmen der
GAK mehr Entscheidungskompetenz und vor allen Dingen mehr Finanzhoheit übertragen kann?
Frau Kollegin Behm, Sie wissen, dass die Verteilung
der GAK-Mittel an die entsprechenden Interessenten
über die Länder erfolgt. Dort ist auch die Gestaltung der
Programme vorzunehmen. Wir stellen lediglich einen
gemeinsamen Rahmen zur Verfügung, in dem die Mittel
angefordert und verwendet werden können. Ich weise
aber auch darauf hin, dass die Mittel, die im Rahmen der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ zur Verfügung gestellt werden,
vorzugsweise im ländlichen Raum Verwendung finden.
Dazu gehören Mittel für Dorfentwicklungsprogramme.
Auch Investitionen im Agrarbereich dienen der Beschäftigungssicherung im ländlichen Raum.
Sie sind zufrieden, Frau Kollegin? - Gut.
Die Fragen 16 und 17 des Abg. Dr. Wilhelm
Priesmeier werden schriftlich beantwortet. Damit ist der
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erledigt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Die Frage 18 der Frau Kollegin Ulrike Höfken wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Paul Schäfer auf:
Was war die Ursache für den Absturz des US-amerikanischen Kampfflugzeuges vom Typ A-10 Thunderbolt am
1. April 2011 in der Nähe von Laufeld?
Bitte schön, Herr Kollege Schmidt.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Schäfer,
ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die zuständige
Dienststelle für die Untersuchung von Unfällen mit militärischen Luftfahrzeugen in Deutschland - das ist der
General Flugsicherheit der Bundeswehr - steht bezüglich dieses Flugunfalls in engem Kontakt mit der US Air
Force und ist mit einem Experten an der US-Untersuchung des Flugunfalls beteiligt. Die Unfalluntersuchung
wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Zurzeit liegen zur Unfallursache und zum Unfallhergang noch
keine belastbaren Erkenntnisse vor.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Kollege Schäfer?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
lieber Kollege Schmidt, in der Presse war von einem
Trainingsflug zu lesen. Das muss ja nicht stimmen. Flugzeuge vom Typ A-10 werden gegenwärtig auch aktiv
eingesetzt. Hat die Bundesregierung bereits Erkenntnisse über Sinn und Zweck des Fluges, die Hinweise auf
die Absturzursache geben könnten?
Solche Hinweise habe ich nicht.
Nachfrage, Herr Kollege?
Eine Nachfrage: Ist diese Maschine nach Ihrem jetzigen Erkenntnisstand auf einer genehmigten Flugroute
unterwegs gewesen, oder etwa nicht?
Herr Kollege Schäfer, ich muss Sie bezüglich dieser
Frage, die - mittelbar oder unmittelbar - für die Unfallursache relevant sein kann, darauf verweisen, dass ich
Ihnen noch keine gefestigten Informationen vortragen
kann. Ich möchte auch darauf verzichten, in halbspekulativer Art und Weise zu berichten oder zu räsonieren.
Ich bitte darum, dass wir dann, wenn der Bericht vorliegt, die entsprechende Information nachreichen dürfen,
soweit das nicht sowieso Gegenstand von Berichterstattungen im Bundestag sein wird.
Es gibt eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Frau
Kollegin Höger.
Herr Staatssekretär Schmidt, können Sie ausschließen, dass dieses Flugzeug im Rahmen des NATO-Einsatzes in Libyen unterwegs war?
Frau Kollegin, ich liebe Fragen, die mit „Können Sie
ausschließen, dass …“ beginnen. Wir haben keinerlei
Erkenntnisse dazu. Sie wissen, dass Flugzeuge des Typs
A-10 Thunderbolt - das referiere ich jetzt aus meiner eigenen Kenntnis - sehr niedrig fliegende Erdkampfflugzeuge sind, die vulgär mit dem Namen „Warzenschwein“ belegt werden und für Langstreckenflüge,
soweit mir das bekannt ist, nicht geeignet sind. Aber das
ist mein persönlicher Informationsstand.
Sie wollten noch eine Nachfrage stellen? - Das ist
nicht der Fall.
Dann ist rufe ich jetzt die Frage 20, ebenfalls vom
Kollegen Paul Schäfer, auf:
In welcher Form ist die Bundesregierung bzw. sind Bundesbehörden an der Untersuchung der Absturzursache und der
Beseitigung der verursachten Schäden beteiligt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Nach der NATO-STANAG 3531 - das sind standardisierte Vereinbarungen über alle technischen und organisatorischen Vorgänge in der NATO - ist in Verbindung
mit der ZDv - Zentrale Dienstvorschrift - 19/6 der Bundeswehr - diese betrifft die Behandlung von Unfällen
und Zwischenfällen mit militärischen Luftfahrzeugen der amerikanischen Luftwaffe das Recht eingeräumt, als
Eigentümer des Luftfahrzeugs die Unfallursache zu ermitteln. Es ist eine grundsätzliche Regelung, dass das
Herkunftsland des Flugzeugs innerhalb der NATO die
Federführung bei der Ermittlung der Unfallursache hat.
Innerhalb der Bundesregierung gibt es eine Ressortvereinbarung zwischen dem Bundesminister der Verteidigung und dem Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Stadtentwicklung. Danach ist der Bundesminister der
Verteidigung für die Untersuchung aller Flugunfälle mit
militärischen Luftfahrzeugen in Deutschland zuständig;
hierum handelt es sich ja unstreitig. Die Untersuchungskompetenz wiederum wird in der Bundeswehr vom General Flugsicherheit ausgeübt. Der General Flugsicherheit steht im Augenblick im engen Kontakt mit den
amerikanischen Luftstreitkräften und ist mit einem Experten an der Flugunfalluntersuchung beteiligt.
Die Erhebung und die Beseitigung von durch das verunglückte Luftfahrzeug verursachten Schäden, wonach
Sie ebenfalls gefragt haben, fallen in die Zuständigkeit
der Landesbehörden. Deswegen liegen der Bundesregierung keine Informationen über Höhe und Ausmaß der
Schäden vor. Wenn ich recht informiert bin, ist die zuständige Kreisverwaltungsbehörde aus Rheinland-Pfalz
in diesem Bereich tätig.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schäfer.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese Information. - Sie scheint sich damit zu decken, dass unmittelbar am Unfallort nur amerikanische Experten die Untersuchung durchgeführt haben. Sie sagen, der General
Flugsicherheit sei beteiligt; ein Experte sei irgendwie dabei. Das wirft für mich die Frage auf: Wie gewährleistet
die Bundesregierung, dass sie alle nötigen Informationen
über Sicherheitsrisiken und Gesundheitsrisiken, die
eventuell durch den Unfall ausgelöst werden können, erhält? Schließlich hat sie eine gewisse Informationspflicht der Bevölkerung vor Ort gegenüber, die mit
Sicherheit ziemlich beunruhigt ist: Gehen von dieser abgestürzten Maschine eventuell Gefahren aus? Meine
Frage ist also: Sind Sie angesichts der Tatsache, dass das
in der NATO so geregelt ist, dass in diesem Fall exklusiven Zutritt nur Vertreter der US-Behörden haben, so umfassend informiert, dass Sie der Bevölkerung angemessene Informationen weitergeben können?
Herr Kollege, vielen Dank für die Nachfrage. - Meine
Antwort darauf ist sehr ähnlich meinen Antworten auf
die nachfolgenden Fragen der Kollegin Höger. Frage 21
bezieht sich darauf, ob sich an Bord des Kampfflugzeuges, das in der Eifel abgestürzt ist, gesundheits- oder umweltgefährdende Substanzen wie etwa Munition aus abgereichertem Uran, Hydrazin oder der NATO-Treibstoff
JP-8 befanden und worauf sich die diesbezüglichen Erkenntnisse der Bundesregierung stützen.
Wir haben die Auskunft der zuständigen Dienststelle
der US-Luftstreitkräfte - das ist in diesem Fall der 52nd
Fighter Wing in Spangdahlem - erhalten. Wir hatten
Kontakt mit einem Ingenieur der Umweltabteilung des
52. US-Jagdgeschwaders. Von den Proben, die entnommen worden sind, ist uns berichtet worden. Das Beproben der kontaminationsverdächtigen Flächen fällt nicht
mehr in die Zuständigkeit der US-Streitkräfte; das ist
vielmehr Landesangelegenheit.
Ich darf darauf hinweisen, dass die Absicherung der
Absturzstelle nicht Angelegenheit der amerikanischen
Streitkräfte, sondern der deutschen Seite ist. Diese Absicherung ist vorgenommen worden. Der Zugang zur Unfallstelle ist ausschließlich mit deutschen Absicherungskräften geregelt worden. Wir haben bisher keinerlei
Veranlassung, an der vertrauensvollen Zusammenarbeit
bei der Aufklärung der Umstände des Unfalls zu zweifeln.
Die Auskunft wird erteilt. Wenn die Proben entsprechend ausfallen, können erforderliche Leistungen, wie
etwa die Dekontaminierung, durch die Landesbehörden
selbst erbracht werden. Gegebenenfalls können Gegenproben entnommen werden. Bisher haben wir da keine
Diskrepanzen, von denen ich Ihnen berichten kann.
Herr Schäfer, möchten Sie eine Zusatzfrage stellen?
Ja, ich möchte eine Zusatzfrage stellen.
Bitte schön.
Wir werden die Materie ja gleich weiter vertiefen
können.
Mir ist bekannt, dass deutsche Behörden an der Absicherung der Unfallstelle beteiligt waren. Ich verstehe,
weshalb der Zugang zu dem US-Flugzeug sehr exklusiv
ist. Meine Frage ist - Sie haben das Thema Kontamination angesprochen -, ob ein deutscher Experte direkt an
der Unfallstelle Ermittlungen aufnehmen konnte, ja oder
nein.
Die Untersuchung kann von den Landesbehörden
vorgenommen werden. Es entzieht sich meiner Kenntnis, in welchem zeitlichen und inhaltlichen Rahmen das
de facto in diesem konkreten Fall stattgefunden hat.
Auch dieses müsste ich nachliefern, wobei ich darauf
hinweisen möchte, dass wir, da es eine Landesangelegenheit ist, einer entsprechenden Information durch das
Land Rheinland-Pfalz bzw. der zuständigen Behörden
dort bedürfen.
Wenn ich noch etwas ergänzen darf, Herr Präsident:
Ich habe die Frage, die Herr Kollege Schäfer gestellt hat,
nämlich wer denn eigentlich Zugang hat, nicht in in concreto beantwortet, habe allerdings einiges vorbereitet,
Frau Kollegin Höger, um die Frage 21 zu beantworten.
Vielleicht ergibt sich das eine oder andere aus der konkreten Beantwortung dieser Frage.
Genau so werden wir es machen.
Jetzt kommen wir zu der Frage 21 der Frau Kollegin
Inge Höger:
Kann die Bundesregierung ausschließen, dass sich an
Bord des US-Kampfflugzeuges vom Typ A-10, das in der Eifel bei Laufeld am Freitag, dem 1. April 2011, abstürzte, gesundheits- oder umweltgefährdende Substanzen wie etwa Munition aus abgereichertem Uran - DU-Munition -, Hydrazin
oder der NATO-Treibstoff JP-8 befanden, und worauf stützen
sich die diesbezüglichen Erkenntnisse der Bundesregierung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die amerikanischen Luftstreitkräfte haben im Rahmen der Zusammenarbeit mitgeteilt, dass keine Munition mit abgereichertem Uran, sogenanntes Depleted
Uranium, an Bord des verunfallten Luftfahrzeugs war. In
diesem Luftfahrzeug wurde der angesprochene Treibstoff Hydrazin nicht verwendet.
Es wurden Boden- und Luftproben genommen, die
Kontaminationen zeigen sollten, die durch den Treibstoff JP-8, der in dem Flugzeug Verwendung fand, verursacht sein könnten. Alle Ergebnisse haben sich laut den
uns übermittelten Informationen innerhalb der diesbezüglichen Normen befunden.
Eine zusätzliche Beprobung der Absturzstelle durch
die Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich erfolgte in zeitlicher Absprache mit den US-Dienststellen vor Ort. Aber
ich muss auch hierzu sagen: Das kann ich im Detail erst
dann nachliefern, wenn wir Rücksprache mit dem Land
Rheinland-Pfalz genommen haben. Wir haben gegenwärtig noch keine Erkenntnisse darüber, was diese Beprobung ergeben hat.
Nachfrage, Frau Kollegin Inge Höger.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär
Schmidt, der Treibstoff JP-8 ist hochgiftig. Es kann sicherlich nicht ausgeschlossen werden, dass davon etwas
in den Boden gelangt ist. Soweit ich gehört habe, waren
die am Aufräumen beteiligten Feuerwehrleute sowie
Polizei und Militär, also das Personal der Landesbehörden - Sie sagten eben, die seien für die Räumung zuständig -, nicht mit entsprechender Schutzkleidung ausgestattet. Wie beurteilen Sie das? Wie wollen Sie in
Zukunft für die Sicherheit dieser Menschen sorgen?
Frau Kollegin Höger, ich kann Ihnen auf diese Frage
aus meiner Zuständigkeit heraus keine Antwort geben.
Das ist, bei allem Respekt, Angelegenheit der Vorsorge
und der Arbeit der zuständigen Landesbehörden. Ich
muss deswegen darauf verweisen, dass wir uns diese Informationen geben lassen müssen. Es ist aber auch möglich, dass sie nicht erbracht werden können. Dies ist
dann eine Thematik in Rheinland-Pfalz bzw. im Kreis
Bernkastel-Wittlich.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Höger. Die
Wortmeldung der Frau Kollegin Dağdelen habe ich notiert. - Bitte schön, Frau Kollegin Höger.
Entschuldigung, ich würde gern noch etwas ergänzen. Es gab die Frage: Wer hat die Munition gesichert? Das
war nicht Munition, sondern Übungsmunition. Nach Information der Amerikaner befand sich ausschließlich
Übungsmunition an Bord des Flugzeuges. Sie ist durch
den Kampfmittelräumdienst der US-Airbase Spangdahlem sichergestellt worden. Das ist ein Standardverfahren. Verunglückte Luftfahrzeuge werden zuerst entmunitioniert. Das ist eine aus nachvollziehbaren Gründen
geübte Praxis.
Jetzt die Nachfrage.
Es bestand der Verdacht, dass sowohl DU-Munition
als auch, wie ich eben sagte, das Flugbenzin, das ebenfalls hochtoxisch ist, an Bord war. Wie wollen Sie dafür
sorgen, dass Menschen und Umwelt im Falle des Absturzes eines solchen Flugzeugs geschützt werden?
Die bisherigen Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen haben keinen Hinweis auf eine relevante
Gefährdung von Mensch und Umwelt durch unbeschädigte Munition mit abgereichertem Uran, die geräumt
worden ist, ergeben. In Bezug auf die allgemeinen Regelungen darf ich darauf hinweisen, dass der Einsatz von
Munition mit abgereichertem Uran auf Truppenübungsplätzen und Luftbodenschießplätzen in Deutschland
nicht erlaubt ist, auch nicht amerikanischen Streitkräften.
({0})
Vielen Dank. - Als Nächste hat Frau Kollegin
Dağdelen eine Nachfrage. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär
Schmidt, Sie sagten auf die Frage meines Kollegen
Herrn Paul Schäfer, dass Sie nicht wissen, ob das Land
Rheinland-Pfalz, das den Zugang zur Absturzstelle sichern sollte, wirklich Ermittlungen eingeleitet hat, und
auf die Frage meiner Kollegin Höger sagten Sie, Hydrazin sei laut entnommenen Proben nicht vorhanden gewesen. Ich möchte gerne von Ihnen wissen: Wer, welche
Stelle, hat die Proben entnommen? Waren das deutsche
Stellen - wenn ja, welche genau -, oder waren es USamerikanische Stellen? Und wo wurden die Proben analysiert: in US-amerikanischen Labors oder in deutschen
Labors?
Frau Kollegin, ich habe auf meine fehlende Detailkenntnis hingewiesen, was die Landesarbeit betrifft, vor
allem hinsichtlich der Ausrüstung der dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreisverwaltung oder
welcher in Rheinland-Pfalz dafür zuständigen Landesbehörde auch immer. Die Ergebnisse liegen uns noch nicht
komplett vor; aber in Bezug auf das Hydrazin kann ich
Ihnen sagen: Das Flugzeug - dafür muss der Boden gar
nicht untersucht werden - fliegt ohne Hydrazin. Man
kann natürlich nie ausschließen, dass irgendjemand mit
böser Absicht - ({0})
- Ich gehe davon aus, dass die Proben von den zuständigen Stellen, wohl auch von den Landesbehörden, genommen worden sind. Aber ich werde Ihnen das nachliefern.
Das ist eine gute Regelung.
Damit der Sinnzusammenhang gewahrt bleibt, rufe ich,
bevor wir diesen Geschäftsbereich und auch die Fragestunde beenden, noch die Frage 22 der Kollegin Höger auf:
Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den
Umfang der von US-amerikanischen und britischen Streitkräften in Deutschland gelagerten DU-Munition vor, und ist es beabsichtigt, eine solche Lagerung sowie Flüge mit dieser Munition im deutschen Luftraum zukünftig zu untersagen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär Schmidt.
Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es
besteht keine Pflicht der mit Einverständnis der Bundesrepublik Deutschland im Bundesgebiet stationierten ausländischen Streitkräfte, die Bundesregierung nach dem
Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in
der Bundesrepublik Deutschland über Waffen und Munition zu informieren. Ein Verbot der Lagerung oder des
Überflugs mit solcher Munition ist weder auf der Grundlage des allgemeinen Völkerrechts noch aus besonderen
Vertragsverpflichtungen heraus geboten. Über die fehlende Berechtigung zur Nutzung solcher Munition auch
auf deutschen Übungsplätzen habe ich Sie bereits informiert.
Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte schön, Frau
Kollegin Höger.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Schmidt, Sie sagen, es bestehe keine Pflicht der US-amerikanischen
Streitkräfte, die Bundesregierung darüber zu informieren, ob DU-Munition auf deutschem Boden vorhanden
ist oder in Flugzeugen, die hier fliegen, mitgeführt wird.
Sie glauben, dass bei dem Übungsflug des abgestürzten
Flugzeuges keine DU-Munition an Bord war. Haben Sie
unabhängige Informationen, die belegen, dass das wirklich der Fall war?
Wir haben das Problem, dass in der Eifel in den letzten Jahren 50 amerikanische Flugzeuge abgestürzt sind.
Die Bevölkerung ist aufgrund der Explosionen, die es
gegeben hat, sehr beunruhigt. Diese lassen nämlich darauf schließen, dass entsprechende Munition an Bord
war. Es gab in der Folgezeit auch eine Häufung von
Krebserkrankungen, die ebenfalls darauf schließen lässt,
dass DU-Munition an Bord war.
Ich kann keinen Beitrag dazu leisten, Ihre Vermutungen zu bekräftigen; denn solche Informationen liegen
nicht vor. Wir haben auch keine Veranlassung, an der
Solidität der Informationen hinsichtlich der Nichtnutzung von Übungsmunition mit DU seitens der amerikanischen Streitkräfte zu zweifeln. Wenn es Zweifel gäbe,
wäre diesen nachzugehen. Die Informationen hinsichtlich des Kampfflugzeugs vom Typ A-10 Thunderbolt,
das am 1. April abgestürzt ist, sind sehr plausibel gewesen.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär
Schmidt, für jeden Gefahrguttransporter gibt es mit
Blick auf mögliche Unfälle umfangreiche Vorschriften
zur Sicherung und zum Schutz der Bevölkerung. Der
Absturz dieses US-amerikanischen Flugzeugs bringt
weitaus höhere Gefahren mit sich. Sie verlassen sich
aber ausschließlich auf die Angaben der US-amerikanischen Streitkräfte. Wie sieht es mit einer freiwilligen
Selbstkontrolle aus? Wie will man Schaden für Mensch
und Umwelt zukünftig abwenden?
Frau Kollegin, die gesundheitlichen Gefährdungen,
die aus einer Nutzung von bestimmten militärischen
Kampfmitteln entstehen - diese Nutzung ist allerdings
nicht zu erwarten -, waren vor mehreren Jahren Gegenstand einer intensiven Erörterung und gründlichen Nachforschung. Damals ist bekräftigt worden, diese Munition
auf deutschen Übungsplätzen nicht einzusetzen. Sie werden sich möglicherweise noch an die Diskussion erinnern.
Ich will noch auf eines hinweisen: Wir alle sollten uns
nicht an Spekulationen, sondern an Fakten orientieren.
Wir sollten uns auch verpflichtet fühlen, die Ergebnisse
der Beprobung durch die zuständigen Behörden des Landes Rheinland-Pfalz abzuwarten. Diese Ergebnisse können wir dann mit amerikanischen Informationen vergleichen, bei denen wir grundsätzlich davon ausgehen, dass
sie glaubwürdig sind. Wir sollten also keine Schädigungen grundlos herbeireden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Ende der Fragestunde. Die Beantwortung der noch nicht
erledigten Fragen erfolgt, wie nach unserer Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die dringliche Frage 5 auf Drucksache 17/5468
Es geht um die Aufnahme von vom UNHCR anerkannten Flüchtlingen aus Libyen in Deutschland.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat unsere Kollegin Renate Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort. - Bitte schön, Frau Kollegin Renate
Künast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sehen
es jeden Abend in den Fernsehbildern. Jeden Abend sehen wir, wie Boote in Lampedusa und Malta ankommen.
Wir hören von Rettungsmaßnahmen; wir sehen Erschöpfte an Land kommen. Wir hören aber auch von
Rettungsmaßnahmen, die am Ende leider nicht erfolgreich waren. Und dann hören wir von einem EU-Innenministertreffen, das eigentlich nichts anderes hervorgebracht hat als das erklärte und bewiesene Scheitern der
EU-Flüchtlingspolitik.
Anfang der 90er-Jahre hat Deutschland noch laut gerufen und eine Lastenverteilung gefordert. Jetzt fällt
Deutschland wirklich nichts anderes ein, als dass sich
der Außenminister bei der Freiheitsbewegung in Kairo
einmal auf dem Tahrir-Platz feiern lässt, aber danach
gibt es nichts als ein Nein? Das Nein gegenüber Italien
meint: Nein, es wird nicht verteilt; ihr müsst mit den täglich per Schiff ankommenden Flüchtlingen alleine fertigwerden. Meine Damen und Herren, das ist ein nicht akzeptables Vorgehen dieser Regierung.
({0})
Ich will durchaus zugeben: Man könnte, wenn man
die Zahlen vergleicht, sagen: Italien könnte mit diesen
26 000 Flüchtlingen alleine zurechtkommen und das
Thema menschenwürdig bearbeiten. Ich sage Ihnen
aber: Wir alle wissen, dass es nicht bei 26 000 bleiben
wird. Wir haben eine Umbruchsituation im Norden Afrikas. Vorher gab es einen fast unanständigen Deal zwischen Berlusconi bzw. Italien und Gaddafi, den heute
keiner mehr kennt und keiner getroffen haben will. Im
Jahr 2010 hatte Italien keine nennenswerten Asylbewerberzahlen, weil sich Berlusconi dies millionenschwer erkauft hat. Das muss man kritisch gegenüber Berlusconi
anmerken. Es ist aber auch zu fragen: Was heißt eigentlich für uns Flüchtlingspolitik in Europa: Abschottung,
die man sehenden Auges hinnimmt? Wir müssen zugeben, dass die EU ja auch überlegt hat, Geld zu geben,
damit die Menschen da bleiben. Diese Art des Außengrenzenschutzes, diese Abschottung, ist ein großer menschenrechtlicher Makel der Europäischen Union. Das
Nein können wir nicht akzeptieren.
({1})
Sie haben ein C in Ihrem Parteinamen, Herr Bundesinnenminister Friedrich. Das soll die gesamteuropäische
Solidarität gewesen sein, das Nein im Chor mit den Landesinnenministern und am Ende, passend zu Ostern und
dem Reiseverkehr, nichts anderes als Abschottung und
der fröhliche Hinweis: „Wir setzen Schengen außer
Kraft und machen Grenzkontrollen“? Ich wünsche gute
Verrichtung, Herr Friedrich!
Zur FDP kann man hier gar nichts sagen. Sie setzt
sich sowieso null durch, auch wenn sie hin und wieder
den Versuch macht, etwas Humanes zu sagen. Alles, was
diese Bundesregierung gesamteuropäisch und humanitär
zu bieten hat, ist sozusagen zur Kenntnis zu nehmen.
Wir lassen uns bei den Umwälzungen feiern, aber Tausende von Menschen in ihren überfüllten Booten und in
den Lagern in Italien alleine. Ich sage Ihnen: Es ist nicht
akzeptabel, sich über Demokratisierungsprozesse zu
freuen, aber dann die Folgen nicht tragen zu wollen. Wir
verlangen Hilfsbereitschaft.
({2})
Ich erwarte das vornean auch von Frau Merkel, die hier
gestanden und gesagt hat: Solidarität mit den Flüchtlingen aus Nordafrika. Sie hat es gesagt. Aber wo ist
denn diese Solidarität? Wo sind die humanitären Unterstützungen? Ich sehe davon nichts. Allein damit,
100 Flüchtlinge, die in Malta gestrandet sind, hier aufzunehmen, ist diesem Versprechen nicht Genüge getan; das
ich keine Solidarität. Es geht auch um die Frage, ob man
weitere Menschen aus Malta aufnehmen wird.
Ich sage Ihnen: Bei 26 000 Flüchtlingen in Italien
wird es nicht bleiben. Es sind sicherlich viele Menschen
darunter, die sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den
Weg machen. Aber gehen wir einmal differenziert heran.
Was ist mit den mehr als 3 000 Menschen, die aus Eritrea, aus Äthiopien, aus Somalia und vielen anderen
Ländern kommen und vorher schon in anderen Ländern,
zum Beispiel in Libyen, gestrandet waren? Wie gehen
wir mit diesen Menschen um? Wer humanitär vorgehen
will, muss an dieser Stelle sagen: Ja, wir sind zumindest
bei diesen Flüchtlingen zu einer europaweiten Verteilung
bereit; wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Das ist der Satz, den ich von Ihnen erwarte.
({3})
Wir erwarten, dass es jetzt endlich Vorschläge gibt,
wie wir mit besonders Belasteten umgehen: Wie gehen
wir mit Frauen und kleinen Kindern um? Gibt es Angebote für Kranke? - Wir fordern jetzt, wo die Welt in
Nordafrika im Umbruch ist, dass es Kreativität gibt,
nicht Abschottung. Das heißt: faire Verfahren für diejenigen, die tatsächlich Asylsuchende sind. Das heißt:
Aufbauhilfe für Tunesien und Ägypten. Das heißt aber
auch, endlich kreativ zu überlegen: Kann es in Europa so
etwas wie eine vorübergehende Anwesenheit für diese
Menschen geben, damit sie zum Beispiel in Deutschland
für einen gewissen Zeitraum Ausbildungs-, Arbeits- und
Qualifizierungsmöglichkeiten nutzen und nach ihrer
Rückkehr den Aufbau - wir haben versprochen, ihn zu
unterstützen - mit mehr Kompetenz und einer besseren
Qualifikation vorantreiben können?
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass den humanitären Worten endlich Taten folgen: nicht Abschottung durch Frontex-Einsätze, sondern Rettung von
Flüchtlingen, humanitäre Hilfe, gegebenenfalls Gewährung eines vorübergehenden Bleiberechts, keine Rückschiebungen nach Italien. Es geht hier um wirklich existierende Menschen. Die Weise, wie wir jetzt mit ihnen
umgehen, beeinflusst nicht nur deren Zukunft, sondern
unser aller gemeinsame Zukunft. Wir warten auf den humanitären Einsatz der Bundesregierung.
({4})
Als Nächster hat Herr Bundesminister Dr. Hans-Peter
Friedrich das Wort. Bitte schön, Herr Bundesminister.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr verehrte Frau Künast, natürlich bewegen
uns alle die Bilder, die man jeden Abend im Wohnzimmer im Fernsehen sieht. Man erkennt: Diese Menschen
sind in Not; sie wollen ein besseres Leben haben. Wir
alle verstehen das; wir wollen ihnen helfen. Aber die
Antwort muss sein: Wir können ihnen nur dadurch helfen, dass wir Nordafrika stabilisieren, dass wir vor Ort,
in ihren Heimatländern, etwas für den Aufbau der Wirtschaft und der Demokratie tun. Das ist der Ansatz, den
ich für dringend notwendig halte.
Zuletzt kam es zur Ausreise von etwa 25 000 Personen in Richtung Europa; diese Zahl wurde vom UNHCR
bestätigt. Davon sind etwa 22 000 bis 23 000 Personen
in Italien angekommen. Man schätzt, dass die Hälfte davon schon in weitere Länder gereist ist. Das Interessante
ist: Von den gut 22 000 Personen haben gerade einmal
10 Prozent einen Asylantrag gestellt. Das heißt im Rückschluss: Die anderen wissen möglicherweise von vornBundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
herein, dass sie einem Asylantragsverfahren gar nicht
standhalten, sondern gleich zurückgeschoben würden.
Man kann also davon ausgehen, dass es sich überwiegend um Wirtschaftsflüchtlinge handelt.
Natürlich ist es richtig, dass auch Wirtschaftsflüchtlinge arme Menschen sind, die sich ein besseres Leben
wünschen; das ist keine Frage. Man muss aber ganz klar
sagen: Wir können nicht alle Menschen, die irgendwo in
der Welt in Not sind, aufnehmen; wir müssen doch gemeinsam den Ansatz wählen, ihnen dort zu helfen, wo
sie leben, also in ihren Ländern.
({0})
Italien hat am Montag im Rat gesagt: „Wir brauchen
eine Verteilung der Flüchtlinge“. Es gibt einen Verteilungsmechanismus nach der sogenannten Massenfluchtrichtlinie. Nur ist die Massenfluchtrichtlinie zu einem Zeitpunkt erlassen worden, als Hunderttausende
von Flüchtlingen in Europa unterwegs waren. Wir reden
jetzt von rund 22 000 Flüchtlingen. Es wäre das falsche
Signal, jetzt diese Richtlinie zu aktivieren und damit
deutlich zu machen: Ihr müsst nur irgendwie Europa erreichen; dann werdet ihr schon verteilt. - Das wäre im
Übrigen eine Aufforderung an alle Schleuserorganisationen, ganz schnell tätig zu werden und ihr Geschäft blühen zu lassen.
Nein, Italien ist nicht überfordert. Ich will gar nicht
daran erinnern, dass wir 1992 in Deutschland
430 000 Flüchtlinge oder mehr hatten. Ich möchte an die
Zahlen erinnern, die letztes Jahr im kleinen Land Belgien erreicht wurden: In Belgien gab es im letzten Jahr
20 000 Asylbewerber. In Italien, einem wesentlich größeren Land, gab es nur 8 200 Asylbewerber. Das bedeutet, dass Belgien im Jahr 2010, umgerechnet auf die
Einwohnerzahl, zehnmal so stark mit Asylbewerbern belastet war wie Italien. Deswegen sagen wir - das habe ich
auch meinem Kollegen aus Italien am Montag gesagt -:
Solidarität in Europa heißt auch, dass man seiner eigenen Verantwortung - in diesem Fall Italien - gerecht
wird. Auch das gehört zur Solidarität.
({1})
Die Italiener haben inzwischen eine Vereinbarung mit
Tunesien getroffen. Nach dieser Vereinbarung werden
60 Personen pro Tag nach Tunesien zurückgebracht.
Was die Italiener allerdings auch gemacht haben, was die
Partner in Europa unter dem Stichwort Solidarität richtig
gegen sie aufgebracht hat, ist, Aufenthaltsgenehmigungen zu erteilen, und zwar nicht, damit die Menschen in
Italien bleiben, was eigentlich der Sinn von Aufenthaltsgenehmigungen wäre, sondern die ihnen nach SchengenRecht erlauben, in andere Länder zu gehen. Die Art und
Weise, mit der Italien hier vorgegangen ist, ist für uns
nicht akzeptabel; denn man hat unzulässigerweise versucht, Druck auf die europäischen Partner auszuüben.
Auch das ist kein Ausweis von Solidarität.
({2})
Wir werden selbstverständlich keine Kontrollen an den
Grenzen einführen und somit das Schengen-Abkommen
nicht rückgängig machen. Das geht rechtlich auch gar
nicht; denn dazu müsste die Sicherheit Deutschlands gefährdet sein. Aber wir müssen die Wachsamkeit verstärken und beobachten, was jetzt in Italien passiert. Ich
denke, das ist eine allzu normale und richtige Reaktion.
({3})
Sie haben Malta angesprochen. Malta ist ein kleines
Land mit 400 000 Einwohnern. Schon jetzt leben dort
1 000 Flüchtlinge. Ich habe mit meinem maltesischen
Kollegen letzte Woche telefoniert. Er hat mir gesagt: Wir
haben überwiegend Flüchtlinge aus Somalia, dem Sudan
und aus Eritrea. Zum Teil wurden Asylverfahren durchgeführt, zum Teil noch nicht. - Er hat um Hilfe gebeten.
Ich habe in Absprache mit den Innenministern der Länder zugesagt, dass wir 100 Flüchtlinge aufnehmen. Wir
Deutschen waren die ersten, die eine solche Zusage gemacht haben. Das ist für unsere Partnerländer in Europa
ein Signal gewesen. Dieses Signal ist sowohl von der
Kommission als auch vom UNHCR positiv aufgenommen worden.
({4})
Ich freue mich, dass das vorbildliche Verhalten Deutschlands am Montag dazu geführt hat, dass Ungarn und die
Slowakei spontan erklärt haben, dass auch sie Flüchtlinge aufnehmen werden. Wir haben natürlich die Hoffnung, dass sich andere Staaten anschließen werden.
Wichtig ist die humanitäre Hilfe. Sie findet statt. Es
sind bereits 5 Millionen Euro für Soforthilfe in Libyen
bereitgestellt. Es gibt ein EU-Programm. Es geht im
Übrigen nicht um die Finanzierung, sondern darum, ob
es vor Ort Strukturen gibt, mit denen wir zusammenarbeiten können, um die Länder aufzubauen und zu stabilisieren. Es geht darum, dass wir gemeinsam mit den
Regierungen Perspektiven erarbeiten. Das ist Sinn und
Zweck aller Verhandlungen, die die Europäische Union
jetzt führt.
Auf Bitten der Italiener haben wir zugestanden - das
ist die Schlussfolgerung des Rates -, dass die Europäische Union mit Tunesien verhandeln wird, damit Frontex, die Grenzschutzagentur der Europäischen Union,
schon in den Gewässern Tunesiens dafür sorgen kann,
dass keine weiteren Wirtschaftsflüchtlinge das Risiko
auf sich nehmen,
({5})
auf das Meer hinauszugehen und sich in Gefahr zu begeben. Sie sollen sofort auf das tunesische Festland zurückgebracht werden. Gleichzeitig soll das Europäische
Unterstützungsbüro für Asylfragen in Tunesien und auch
in anderen Ländern seine Arbeit aufnehmen, um Hilfebedürftige vor Ort aufzunehmen und regionale Schutzprogramme umzusetzen. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist.
Ich sage es noch einmal: Selbstverständlich verhalten
wir uns als Europäer solidarisch und helfen den Kolle11906
gen in anderen Ländern, wenn sie überfordert sind. Das
sind die Italiener aber nicht.
({6})
Das sind die Malteser; deswegen mein klares Angebot
an Malta. Aber in allererster Linie muss es darum gehen,
dass wir in Afrika den Menschen vor Ort eine Perspektive bieten. Das ist der Ansatz der Bundesregierung. Ich
halte das, mit Verlaub, für den richtigen Ansatz.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Bundesminister. Als Nächster hat
das Wort unser Kollege Rüdiger Veit für die Fraktion der
Sozialdemokraten. Bitte schön, Kollege Rüdiger Veit.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Um das vorab klar und deutlich zu sagen: Das
Bild, das Europa angesichts dieses Flüchtlingselends
bietet, ist erbärmlich,
({0})
das Verhalten der Regierung Berlusconi mit Blick auf
die Lega Nord mindestens als schändlich zu bezeichnen,
auch angesichts dessen, was vorher von dort aus an Aktivitäten in Richtung Libyen zum großen Freund Gaddafi
entfaltet worden ist. Aber auch - ich bitte um Nachsicht das Verhalten dieser Koalition und der Regierung sowie
einiger CDU-Länderinnenminister ist aus der Sicht von
Sozialdemokraten keineswegs immer nur begeisterungswürdig.
({1})
Ich registriere ja, dass wenigstens einige FDP-Politiker - dazu gehören der Europaabgeordnete Lambsdorff,
der Kollege Wolff, aber auch Frau Pieper - das anders
sehen als zum Beispiel die Länderinnenminister Herr
Schünemann und Herr Herrmann. Man muss aber auf
Folgendes deutlich hinweisen: Wir reden nicht nur in
mehr oder weniger abwertender Weise von sogenannten
Wirtschaftsflüchtlingen. Im Juni letzten Jahres fand eine
Delegationsreise des Innenausschusses nach Libyen und
Malta statt, um sich - lange vor der jetzigen Entwicklung - ein Bild über die örtlichen Verhältnisse zu machen. Von dieser Reise will ich Ihnen berichten und es
beschreiben, obwohl das, was wir dort gesehen haben,
fast unbeschreiblich war.
In der Nähe von Tripolis haben wir ein gerade einmal
anderthalb Jahre altes Flüchtlingslager - man könnte
auch Abschiebegewahrsam dazu sagen -, besucht. Dort
waren in einem Raum mit den Abmessungen 10 mal
12 Meter, 4 Meter hoch - oben ein Lichtband, die Scheiben zum Teil zerschlagen - 40 Somalis untergebracht. In
diesem Raum gab es keinen Tisch, keinen Stuhl, keinen
Schrank, kein Bett. Für diese 40 Personen gab es Sanitäreinrichtungen, die bestanden aus zwei Abtritten, die
zugleich als Dusche dienten, und zwei mittlerweile
schon reichlich beschädigten Waschbecken. Das war die
Unterbringung, die wirklichen Flüchtlingen aus dem Osten Afrikas, die an Leib und Leben bedroht waren, durch
Herrn Gaddafi in Libyen geboten wurde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts
dieses Elends kann man, so glaube ich, vielen Menschen, die ihr Leben zweimal riskieren - einmal, indem
sie die Wüste durchqueren, und dann möglicherweise
noch einmal auf dem Weg über das Mittelmeer -, die
Berechtigung ihres Fluchtanliegens kaum versagen. Ich
beklage die undifferenzierte Art und Weise, mit der in
Deutschland schon jetzt mit einer Abschottungsrhetorik
erwidert wird. Ebenso beklage ich das völlig unmögliche
und nicht akzeptable Verhalten der Regierung
Berlusconi - wie gesagt, mit Rücksicht auf ihren Koalitionspartner Lega Nord, wie ich annehme -, nun zu sagen: Um Himmels Willen, jetzt sind 23 000 Flüchtlinge
gekommen; damit sind wir völlig überfordert. Wir lassen
die alle durchreisen, oder wir schieben sie am besten alle
ab.
Gerade Berlusconi hat in Abkommen bilateraler Art
mit Herrn Gaddafi Zusagen über 250 Millionen Euro
jährlich auf die Dauer von 25 Jahren gemacht, tituliert
und angeblich mit dem Zweck und der Absicht, koloniales Unrecht wiedergutzumachen, unausgesprochen aber
mit der Erwartung, dass Gaddafi möglichst keine Flüchtlinge mehr über das Mittelmeer lässt. Außerdem wurden
ihm noch sieben Schnellboote zur Verfügung gestellt,
zum Teil mit italienischer Besatzung. Diese Art von Verlagerung europäischer Flüchtlingspolitik wollen wir als
Sozialdemokraten nicht.
({2})
Wir wollen die Menschen nicht an den Küsten der
Herkunfts- und Fluchtländer zurückhalten, auch nicht,
indem etwa Frontex-Einheiten die entsprechende Rolle
in Tunesien übernehmen. Was wir verlangen, sagen wir
Ihnen klipp und klar: Wir sollten versuchen, denjenigen,
die aus wirtschaftlichen Gründen, vielleicht aus Tunesien, zu uns kommen wollen - dort sind, wie wir hören,
vier von fünf Akademikern arbeitslos -, eine vernünftige
Perspektive für einen meinetwegen befristeten, aber geordneten Aufenthalt in der EU, beispielsweise auch in
Deutschland, zu bieten. - Das ist das eine.
Zum anderen sollten wir uns bemühen, politische
Fluchtursachenbekämpfung zu betreiben, auch dort, wo
noch Diktaturen am Werk sind, wo die Menschen durch
bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen an Leben
und Leib gefährdet sind. Auch das ist unsere Aufgabe.
Im Übrigen - das ist das Wichtigste - haben wir alle Veranlassung, darauf hinzuwirken, dass es zu einer realen
Lastenteilung bei der europäischen Flüchtlingspolitik
kommt.
Herr Minister Friedrich, die Massenzustrom-Richtlinie hilft uns da überhaupt nicht weiter; unter anderem,
weil wir es zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch gar
nicht mit Massen zu tun haben, mit denen Italien nicht
fertig werden könnte. Die Schwachstelle dieser Richtlinie liegt in Art. 25 - ich bitte Sie, das nachzulesen -,
weil hierin gar kein Verteilungsmechanismus für die
Flüchtlingswellen, die auf uns zukommen werden, enthalten ist. Es ist vielmehr so, dass die einzelnen Mitgliedstaaten sagen dürfen, wie viele sie aufzunehmen bereit sind.
Dieses Versagen der EU und der Bundesregierung
wiegt für mich umso schwerer, da wir alle, die wir jetzt
auf den Mittelmeerraum schauen, die Augen lange vor
der unverhältnismäßig großen, immensen Belastung
Griechenlands verschlossen haben. Es ist richtig, dass
Griechenland die Asylverfahren nicht ordentlich bearbeitet. Griechenland, wo wir 2009 zu Besuch waren,
sieht sich aber einer riesigen Zuwanderungswelle gegenüber - darunter sind auch viele illegale Flüchtlinge -:
Zwischen 500 000 und 1,5 Millionen Menschen sind zugewandert, bei einer Bevölkerungszahl von ungefähr
11 Millionen. Dieser Welle kann Griechenland nicht
Herr werden. Griechenland bemüht sich nach Kräften,
die Menschen im Land zu behalten, obwohl es allen
Grund hat, zu sagen: Einfach weiter mit ihnen nach Zentraleuropa.
Deutschland und die gesamte EU haben vor dieser
verhängnisvollen Entwicklung, die wirklich mit einem
Massenzustrom vergleichbar und mit der entsprechenden Belastung verbunden ist, die Augen verschlossen.
Ich wäre allen Beteiligten sehr dankbar, wenn sie endlich
begreifen würden, dass wir eine faire Lastenverteilung
brauchen, dass wir nicht zulassen dürfen, dass einige
Staaten mit ihrer Hausmeisterrolle für Zentraleuropa
völlig überlastet werden. Das betrifft im Augenblick und
seit Jahren Griechenland. Das wird vermutlich in ebenfalls erheblichem Maße Malta betreffen, und das wird
auch Italien betreffen. Es besteht Handlungsbedarf. Ich
bitte um mehr Aktivitäten auch seitens der deutschen
Bundesregierung.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächster spricht
unser Kollege Hartfrid Wolff für die Fraktion der FDP.
Bitte schön, Kollege Wolff.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation der Menschen in Nordafrika bedarf unserer großen
Aufmerksamkeit. Flüchtlinge dürfen aber nicht zum
Spielball innenpolitischer Interessen werden.
({0})
Sie haben ein verbrieftes Recht auf ein faires Verfahren.
Das Asylrecht steht nicht zur Disposition.
Weil mancherorts womöglich ein anderer Eindruck
erweckt wurde, sage ich: Der bayerische Innenminister
Herrmann hat keine Verfügungsgewalt über die Schengen-Grenzen.
({1})
Über Grenzkontrollen entscheidet die Bundesregierung
auf der Basis geltenden Rechts. Das Schengen-Abkommen sieht die zeitweilige Wiedereinführung von Grenzkontrollen zu Recht nur unter strengen Voraussetzungen
vor. Wir haben innerhalb Europas und innerhalb des
Schengen-Raums eine Reisefreiheit und Freizügigkeitsregelungen, die beachtet werden müssen. Von diesen Regelungen profitiert insbesondere Deutschland. Die Voraussetzungen für Einschränkungen der Reisefreiheit
liegen nicht vor.
Ich empfinde es als außerordentlich unerfreulich, dass
die italienische Regierung Berlusconi offensichtlich die
schwierige Lage auf Lampedusa für innenpolitische Manöver nutzt. Eine Überbelastung Italiens ist nicht wirklich erkennbar. Laut UNHCR ist im Jahr 2010 die Zahl
der Asylanträge in Südeuropa um 33 Prozent gesunken,
während sie in Deutschland um 49 Prozent gestiegen ist.
Deutschland hat im vergangenen Jahr sechsmal so viele
Asylbewerber aufgenommen wie Italien. Die italienische Regierung ist verpflichtet, den Status dieser Menschen zu klären und hierzu europäisches Recht anzuwenden.
({2})
Die automatische Erteilung von Durchreisevisa für diese
Personen ist ein klarer Verstoß gegen die europäischen
Abmachungen. Das ist ein antieuropäischer Affront
Berlusconis. Wenn die EU-Mitgliedsländer mit EU-Außengrenzen über einen Fonds Geld erhalten, um die
Grenzen zu schützen, um Flüchtlinge zu integrieren oder
zurückzubringen, wird Italiens Verhalten besonders problematisch.
({3})
Offenbar ist der Grund für Berlusconis Manöver mit
den Durchreisevisa eher innenpolitischer Natur. Schade
ist, dass Links-Grün-Rot ihm bereitwillig folgen will.
Nationale Egoismen helfen nicht, wenn es darum geht,
europäische Herausforderungen gemeinsam zu lösen.
Die FDP meint: Das Schicksal Nordafrikas und der
Menschen dort darf nicht zum Vorwand für innenpolitische Machtspiele werden, weder in Italien noch anderswo.
({4})
Deutschland ist seiner humanitären Verpflichtung im
Rahmen der europäischen Solidarität gerecht geworden.
Der Bundesinnenminister hat in der letzten Woche richtigerweise angeboten, 100 Flüchtlinge aus dem besonders belasteten Malta aufzunehmen; das sagte er gerade
eben noch einmal. Dies zeigt, dass Deutschland durch11908
Hartfrid Wolff ({5})
aus sensibel mit dem Thema umgeht. Die Europäische
Union sollte aber eine gemeinsame Regelung finden,
weil die Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen ankommen.
Eine gerade aus humanitären Gründen notwendige,
nüchterne und sachliche Betrachtung ist erforderlich. Es
ist besser, die Ursachen der Flüchtlingsproblematik vor
Ort in den betreffenden Ländern zu bekämpfen, als sich
hinterher mit den Folgen auseinanderzusetzen. Die Bundesregierung hat die notwendigen Schritte eingeleitet,
damit mit finanziellen Hilfen vor Ort der Flüchtlingsstrom aus Nordafrika verringert werden kann.
Die Bundesrepublik wird nach wie vor ihren Teil tun,
das Leid der Flüchtlinge zu mildern. Dazu gehört auch
die Aufnahme einer angemessenen Anzahl von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsregionen und Flüchtlingen aufgrund politischer Verfolgung. Es kann aber nicht sein,
dass sich immer wieder dieselben europäischen Partner
ihrer Verantwortung für Europa entziehen und ihre Probleme mit großem Lärm auf die Nachbarn abwälzen. Ein
solches Verfahren bringt Europa und auch die betroffenen Menschen in Misskredit.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächste spricht unsere Kollegin Frau Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. Bitte
schön, Frau Kollegin Jelpke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Horrorbilder der Flüchtlingsboote aus Nordafrika und insbesondere aus Libyen, die hier schon beschrieben wurden,
kennen wir alle. Ich möchte betonen, dass inzwischen
mehrere Hundert Menschen dabei ums Leben gekommen sind. Erst am letzten Wochenende ist ein Boot mit
170 Menschen an Bord gesunken; wahrscheinlich sind
alle tot.
Die meisten Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet steuern
derzeit Malta und Italien an. Diese Flüchtlinge kommen
meistens aus Eritrea und Somalia; diese hatte im Übrigen der Diktator Gaddafi nicht nach Europa durchgelassen. Es war das EU-Mitglied Italien, das mit Gaddafi
einen schmutzigen Deal zulasten dieser Menschen geschlossen hat, und zwar mit dem Segen aller EU-Staaten
- das muss man hier einmal ganz deutlich sagen -, die
Gaddafi ständig aufgefordert haben, die Flüchtlinge aufzuhalten, wohl wissend, dass diese Flüchtlinge dann Opfer von Gewalt und Willkür in den Haftanstalten, die der
Kollege Veit eben beschrieben hat, würden. Auch ich
war mit in Libyen und konnte sehen, wie dort die Flüchtlinge untergebracht wurden. Die EU-Abschottungsagentur Frontex hat Italien im Übrigen aktiv dabei unterstützt. Die Bundespolizei hat sich an diesen skandalösen
Verletzungen des internationalen Flüchtlingsrechts beteiligt.
Es ist an Zynismus nicht zu überbieten, dass sich der
Bundesinnenminister heute dafür preisen lässt, ganze
100 Flüchtlinge aus Malta in Deutschland aufzunehmen.
Es war das BMI, also das Bundesinnenministerium, das
sich auf den EU-Ratstagungen regelmäßig gegen solidarische Verteilungsmechanismen für Schutzsuchende aus
nordafrikanischen Ländern zur Wehr gesetzt hat. Es waren die deutschen Innenminister, die jede weitere Verbesserung des Asylrechts in der EU blockiert haben. Es
ist dasselbe Ministerium, das mit Folterstaaten, zum Beispiel mit Syrien, Rückabnahmeabkommen abschließt
und somit erleichtert, dass die Menschen abgeschoben
werden können. Ich denke, Herr Minister, Humanität
sieht wirklich anders aus.
({0})
Auch an die Grünen: Es ist natürlich ehrenwert, jetzt
hier diese Debatte zu führen. Ich halte sie auch für ausgesprochen notwendig. Aber wenn jemand auf der einen
Seite danach schreit, Soldaten nach Libyen zu schicken,
und damit die Eskalation des Krieges vorantreiben will
- denn Krieg ist eine Ursache für viele Flüchtlinge -,
und auf der anderen Seite hier in Deutschland danach
ruft, mehr Humanität für Flüchtlinge walten zu lassen,
dann hat das für mich einen gewissen Zynismus; das
muss ich ganz ehrlich sagen.
({1})
Doch wie sieht jetzt die neueste Antwort der EU aus?
Ganz einfach: Es soll so weitergehen wie bisher. Unter
der Koordination von Frontex liegt der Schwerpunkt im
Abfangen und Zurückweisen der Flüchtlingsboote. Ich
empfinde es schon als ein Armutszeugnis, dass Ihnen angesichts der nicht einmal besonders großen Zahl - da
haben Sie durchaus recht; aber man muss natürlich auch
sehen, dass Italien, weil es Grenzland ist, seit Jahren
davon betroffen ist, dass viele Flüchtlinge dort ankommen - nichts anderes einfällt, als jetzt Debatten zum Beispiel darüber zu führen, die Grenze zu schließen, wie es
in Bayern der Fall war, oder Schengen außer Kraft zu
setzen, und hier abwertend von Wirtschaftsflüchtlingen
zu sprechen.
Wie wir schon gehört haben, hätten viele der Flüchtlinge, die jetzt von Gaddafi oder anderen Diktatoren verfolgt werden, natürlich ein Recht auf Asyl. Ich meine,
dass es mit der viel beschworenen Solidarität mit den
Menschen aus Tunesien, Ägypten und Libyen, die sich
gegen die Diktatur gewandt haben und hier bejubelt wurden, nicht allzu weit her ist. Warum ist es nicht möglich,
in Europa großzügig eine angemessene Zahl von Menschen aus dieser Region aufzunehmen, ihnen Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten zu geben?
Ich will den Unionskollegen eines sagen: Es heißt immer wieder, die Menschen würden in ihren Herkunftsländern gebraucht. Das ist wirklich das unsinnigste Argument, das ich je gehört habe.
({2})
Jeder weiß: In diesen Ländern herrscht im Moment eine
hohe Arbeitslosigkeit. Es gibt dort große Krisen und
keine Zukunftschancen. In Deutschland könnte man dieUlla Jelpke
sen Menschen Arbeit geben und sie so in die Lage versetzen, ihre Region zu unterstützen. Dies wäre, abgesehen von der Aufnahme der Menschen, ein weiterer
Schritt zur Hilfe.
({3})
Die Linke hat in diesem Haus schon vor langer Zeit
ganz klare Forderungen vorgetragen - es ist von anderen
Kollegen bereits gesagt worden, dass sie insbesondere
von dieser Regierung ignoriert werden -: Wir wollen
endlich ein solidarisches System der Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge in der gesamten EU, und zwar
nach Wirtschaftseinkommen und Bevölkerungsgröße.
Da sieht es nämlich nicht so gut aus, Herr Innenminister;
das habe ich Ihnen heute schon im Innenausschuss gesagt. Unter den ersten zehn Ländern wird man Deutschland nicht finden.
Kurz und knapp: Wir fordern offene Grenzen für
Menschen in Not. Das ist, glaube ich, das, was im Moment angesagt ist.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster hat unser
Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die Fraktion der CDU/
CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Es ist richtig: Wir waren in Tripolis und haben
uns ein Flüchtlingslager angeschaut. Es ist richtig, dass
autokratische Regierungen in der arabischen Welt bekämpft werden - sicher zu Recht bekämpft werden - und
vielleicht durch andere Regierungen, von denen wir
noch nicht wissen, wie sie sich entwickeln werden, abgelöst werden. Es ist richtig, dass deswegen die Migrationsströme in großem Stil zunehmen werden. Die Frage
ist: Wie reagieren wir darauf? Was die Linke will, haben
wir gerade gehört. Wir sollen die Tore großzügig aufmachen nach dem Motto: Macht hoch die Tür, die Tor
macht weit! Sie sagten: „Wir müssen helfen“ und sprachen von Humanität und Solidarität.
({0})
Es sei doch lächerlich, diesen Menschen hier in Deutschland keine Arbeit zu geben.
({1})
Es ist gut, dass die Integrationsministerin gerade gekommen ist. Die Große Koalition hat nämlich eine
Ministerin berufen, die nur eine Aufgabe hat: die Fehlentwicklungen jahrzehntelanger massenhafter falscher
Zuwanderung nachträglich zu reparieren. Das ist der
Punkt.
({2})
Wer sieht, dass wir Hunderttausende von Menschen
durch Alphabetisierungskurse schleppen
({3})
- die Kosten belaufen sich auf 218 Millionen Euro im
Jahr -, und wer die Flüchtlinge aus Afrika sieht, die in
den Lagern dort warten und natürlich gerne zu uns kämen, wenn man sie ließe, der weiß, dass wir uns auf
diese Weise das nächste Massenproblem verschaffen
würden. Wir reden in diesem Haus ununterbrochen davon, was wir brauchen: hochqualifizierte Fachkräfte für
unsere Wirtschaft. Schauen Sie sich die Flüchtlinge doch
einmal an! Es sind Analphabeten und ungelernte Hilfsarbeiter.
({4})
- Ich rede von den Flüchtlingen im Lager in Tripolis;
({5})
zu denen aus Tunesien komme ich später. - Ich rede von
den Flüchtlingen im Lager in Tripolis, die Frau Jelpke,
Herr Veit, andere Kollegen und ich dort gesehen haben.
Das sind genau die Menschen, denen wir in Deutschland
garantiert keine Arbeit verschaffen können.
({6})
Insofern hat ein alter Weltreisender - so möchte ich ihn
bezeichnen - wie Peter Scholl-Latour recht,
({7})
wenn er angesichts des Elends auf dieser Welt zu der
Conclusio kommt: Wir können Kalkutta nicht retten, indem wir Kalkutta zu uns holen. ({8})
Wir sagen: Wer wie die Linke und vielleicht auch Sie,
Frau Künast - ({9})
Wir geben dem Redner eine Chance.
Wenn Sie, Frau Künast, die ganze Welt umarmen
wollen und dabei Ihre eigenen Mitbürger vernachlässigen, versündigen Sie sich an Ihrem eigentlichen Auftrag
als Politikerin in Deutschland. Das ist der Punkt, um den
es geht.
Nein, Solidarität und Humanität müssen in der Region stattfinden. Es muss Hilfe für die Menschen der Region sowie eine vernünftige Unterbringung geben.
({0})
- Warum plärren Sie denn da so rum?
({1})
- Reisen Sie das nächste Mal mit uns, und schauen Sie
sich die Flüchtlingslager an! Dann wissen Sie, wovon
wir reden, Sie aber offensichtlich keine Ahnung haben.
({2})
Meine Damen und Herren, wie können wir Tunesien
helfen? In Tunesien ist die Situation völlig anders. Dort
gibt es viele hochqualifizierte junge Menschen, die keine
Arbeitsplätze bekommen. Hier heißt es, in Tunesien zu
helfen. Ich halte es für völlig falsch, jetzt 1 000 Wirtschaftsflüchtlinge aus Tunesien aufzunehmen. Wenn
100 000 Deutsche in Tunesien Urlaub machen, helfen
wir Tunesien mehr. Das ist meine Antwort.
({3})
Wir können mit Europa und der GTZ ganz andere
Wege beschreiten, als sie bisher beschritten wurden. Mir
als Innenpolitiker ist auch völlig klar: Durch eine reine
Abschottungspolitik werden wir die Probleme nicht lösen.
({4})
Wenn wir aber einen Automatismus der Weiterverteilung
der Flüchtlinge in Europa auf die verschiedenen Mitgliedstaaten organisieren, heißt das nichts anderes, als
das kriminelle Werk von Schlepperorganisationen durch
uns zu vollenden. Das ist nicht unsere Aufgabe.
({5})
Wir wollen auch nicht an 20 000 Menschen, die hier
angekommen sind, das Signal aussenden: Alles wird gut,
alle werden in Europa weiterverteilt. - Das wird dazu
führen, dass es bald nicht 20 000, sondern 200 000 sein
werden. Wer will das denn außer den Linken? Das können auch Sie nicht wollen, Herr Veit. Denn wir können
das Problem nicht lösen. Wir können unseren Wohlstand
und unser Wohlstandsniveau nicht mit dem Rest der
Welt teilen.
({6})
Ich finde es auch nicht richtig und ungerecht, Herr
Veit, wie Sie das Flüchtlingslager beschrieben haben. Es
war eine Station der medizinischen Versorgung, die wir
besucht haben. So etwas haben diese Flüchtlinge in ihrem Herkunftsland noch nie erlebt. Es gehört dazu, auch
so etwas hier mit zu berichten, wenn man schon einen
Reisebericht abgibt.
({7})
Nein, meine Damen und Herren, wir werden eine gemeinsame europäische Lösung finden müssen. Die heißt
einerseits natürlich, den Schlepperorganisationen nicht
zu helfen. Andererseits muss es Hilfe in der Region geben. Die Menschen müssen in der Region bleiben. Wir
müssen ihnen dort eine Perspektive bieten. Alles andere
wäre eine völlig falsche Reaktion.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächste hat unsere
Kollegin Frau Kerstin Griese für die Fraktion der Sozialdemokraten das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Kerstin
Griese.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Uhl, ich bin schon ziemlich entsetzt, welche Bilder Sie malen und welches Bild Sie von
Menschen haben, die auf ihrer Flucht und auch vorher
schon Schlimmes erlebt haben. Wir sollten uns doch
wohl einig sein, dass wir hier die Fluchtursachen und
nicht die Flüchtlinge bekämpfen.
({0})
Mit dieser Vereinfachung, bei der Sie alles durcheinandergeworfen haben, kommen wir, glaube ich, nicht
weiter. Sie haben - auch der Bundesinnenminister hat
das am Montag im Kreis der europäischen Innenminister
getan - der Idee eine Absage erteilt, in Europa gemeinsam Verantwortung für Flüchtlinge zu übernehmen. Wir
erleben gerade, wie im nordafrikanischen Raum viele
junge Menschen auf die Straße gehen, mutig für Freiheit
und Menschenrechte demonstrieren und, wie sie selber
sagen, die Mauer der Angst durchbrechen. Sie demonstrieren natürlich für Menschenrechte, aber auch für eine
gute soziale und wirtschaftliche Entwicklung ihrer Länder.
Es gibt einige Tausend, die aus ihren Ländern fliehen,
sei es, weil es Bürgerkriegsflüchtlinge sind, wie aus
Libyen, sei es, weil es Flüchtlinge sind, besonders aus
Eritrea und Somalia, die von Gaddafi äußerst schlimm
behandelt wurden. Es handelt sich aber auch um Leute,
die aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen fliehen.
Auch das gibt es natürlich. Die werden nicht alle einen
Asylantrag stellen. Aber das heißt doch nicht, dass man
sich nicht um sie kümmern soll.
Die Fluchtursachen zu bekämpfen, heißt doch nicht,
das andere - nämlich sich anständig um die Flüchtlinge
zu kümmern - sein zu lassen.
({1})
Ich denke auch, dass wir für viele dieser Flüchtlinge
gar keine Alphabetisierungsmaßnahmen brauchen; denn
sie sind sehr gut ausgebildet. In diesen Ländern sind
90 Prozent der 20- bis 30-Jährigen sehr gut ausgebildet
und arbeitslos. Sie suchen natürlich nach ganz anderen
Dingen, zum Beispiel nach Entwicklung. Dabei nehmen
sie es auf sich, über das Mittelmeer zu fahren, wobei
schon Hunderte zu Tode gekommen sind. Deshalb sollte
es uns auch aus humanitären Gründen beschäftigen, wie
wir mit dieser Situation umgehen.
Ich glaube, deshalb sind eine differenzierte Betrachtung der Situation, eine Unterstützung der Demokratiebewegung in Nordafrika und natürlich auch humanitäre
Hilfe wichtig. Deswegen muss die europäische Politik
gegenüber den arabischen Nachbarn davon geprägt sein,
dass wir beim Aufbau der Demokratie mit ihnen zusammenarbeiten und dass wir die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen verbessern. Dazu gehört aber eben,
dass wir ein offenes Europa brauchen und nicht neue
Mauern bauen dürfen.
Die SPD hat schon sehr früh sehr deutlich gesagt: Der
demokratische Aufbruch in Nordafrika und die Menschen dort brauchen unsere Unterstützung. Wir haben
eine Art Marshallplan für die arabische Welt vorgeschlagen. Es geht um eine umfassende Förderung von Demokratisierung, Modernisierung und wirtschaftlicher Entwicklung. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat
einen Pakt für Arbeit, Ausbildung und Energie vorgeschlagen. Ich denke, es geht tatsächlich darum, die
Fluchtursachen und nicht die Flüchtlinge selbst zu bekämpfen. Deshalb brauchen wir eine neue Flüchtlingsund Migrationspolitik, um gerade den Menschen zu helfen, die sich dort auf den Weg machen.
Es ist allerdings reiner Populismus - das haben wir
heute wieder gehört; aus den Reihen der CSU haben wir
das öfter gehört -, dass Sie neue Mauern und neue
Grenzanlagen aufbauen wollen. Abgesehen davon, dass
es praktisch gar nicht geht, ist das reiner Populismus, mit
dem Sie den Stammtisch bedient haben.
({2})
- Sie haben angekündigt, dass Sie wieder Grenzkontrollen einführen wollen. Sie haben dann zwar gesagt, das
ginge eigentlich doch nicht, aber wegen der Wirkung haben Sie es erst einmal angekündigt.
({3})
Deshalb sage ich noch einmal deutlich: Unsere Antwort auf die Flüchtlinge aus Nordafrika darf keine neue
Mauer sein, sondern muss eine gemeinsame europäische
Lösung für Hilfen und für den Aufbau der Demokratie in
Nordafrika sein.
({4})
Die europäische Nachbarschaftspolitik muss sich zum
Ziel setzen, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Bürgergesellschaft in den Ländern Nordafrikas zu fördern.
Dazu gehört eben auch eine gleichmäßige und solidarische Verteilung innerhalb der Europäischen Union. Auf
der einen Seite müssen wir den Menschen ein Angebot
machen, damit sie nicht fliehen wollen oder müssen
- auch das gibt es ja -, sondern damit sie in ihren Ländern demokratische Strukturen aufbauen können. Auf
der anderen Seite müssen wir aber eine faire innereuropäische Teilung der Verantwortung für die Flüchtlinge
ermöglichen, die sich in Europa aufhalten. Ja, es geht
auch um Quoten für die Verteilung.
({5})
Daneben brauchen wir Resettlement-Programme für
Flüchtlingsgruppen aus Nordafrika, damit hilfesuchende Menschen aus einem Staat, in dem sie Schutz gesucht haben, auch in einen anderen transferiert werden
können, der ihrer Aufnahme als Flüchtlinge zustimmt
und in dem sie sich dann zeitweise oder dauerhaft niederlassen können. Damit können übrigens auch illegale
Einwanderung und Schlepper verhindert werden. Die Situation, in der sich diese Menschen befinden, ist häufig
lebensgefährlich.
Die Europäische Union braucht aber nicht nur eine
bessere und gerechte Verteilung von Flüchtlingen, sondern sie braucht auch gemeinsame Schutzstandards.
Auch das ist mir ganz wichtig; denn wir haben ja zuletzt
anhand der katastrophalen Situation für Asylbewerber in
Griechenland oder auch anhand der Situation in Italien,
wo es keinerlei soziale Versorgung gibt, gesehen, dass
die Schutzstandards nicht angeglichen sind. Auch das ist
eine Aufgabe der Europäischen Union.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen ein offenes Europa, eine Partnerschaft mit der Region Nordafrika, die Unterstützung von Demokratie und Menschenrechten und die Unterstützung beim Austausch
besonders von Bildung und Arbeit. Dafür sollte sich
Europa einsetzen. Ich denke, das ist allemal besser, als
neue Mauern zu bauen und sich politisch abzuschotten.
Danke schön.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster hat unser
Kollege Dr. Djir-Sarai, Fraktion der FDP, das Wort. Bitte
schön, Herr Kollege Dr. Djir-Sarai.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir
haben die Bilder der Menschen vor Augen, die nach einer leidvollen Reise als Flüchtlinge Europa erreicht haben. Der Bundesregierung nun aber fehlende Solidarität
oder gar fehlende Hilfsbereitschaft oder Nächstenliebe
vorzuwerfen, ist nicht richtig.
({0})
Das zielt auf eine mediale Wirkung, und das ist auch
sachlich völlig falsch.
({1})
Wenn man so argumentiert, bleibt man an der Oberfläche der Diskussion über ein komplexes Thema, das
die gesamte Europäische Union betrifft.
Wir als Bundesrepublik Deutschland haben dem Staat
Malta spontan und direkt angeboten, Flüchtlinge aufzunehmen, Flüchtlinge vor Bürgerkriegen, die einen Anspruch auf internationalen Schutz haben. Wir sind das
erste Land gewesen, das ein solches Angebot unterbreitet hat. Für die Bundesregierung ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir helfen. Ein Flüchtling, der bedroht wird und Unterstützung braucht, wird nicht
alleingelassen.
Es ist trotzdem wichtig, dass wir sehr genau
hinschauen und differenziert diskutieren. Denn über
20 000 auf Lampedusa angekommene Menschen sind in
erster Linie Wirtschaftsflüchtlinge. Die meisten haben
kein Asyl beantragt. Zu einem großen Teil sind es junge
Menschen auf der Suche nach Perspektiven. Es sind
junge Menschen, die völlig falsche Vorstellungen von einem Leben in Europa haben. Sie sind über Schleuserkriminalität nach Lampedusa gekommen, über Schleuserbanden, die ihnen Wohlstand und Glück in Aussicht
gestellt haben.
({2})
Wenn wir hier kein Zeichen setzen, wird eine Welle
von Wirtschaftsflüchtlingen auf Europa zurollen. Wenn
Italien Identitätspapiere ausstellt, ist das ein klares Signal an potenzielle Einwanderer: Italien steht als Durchgangsland in die EU offen. Einen solchen Staubsaugereffekt können und wollen wir uns nicht leisten.
({3})
Es ist völlig klar: Italien ist gegenwärtig besonders
beansprucht. Diese besondere Situation wird vermutlich
noch etwas andauern. Das ist völlig richtig; diese Problematik müssen wir sehr sensibel handhaben. Trotzdem
muss Italien sachlich mit dieser Situation umgehen und
darf das Thema nicht für andere, innenpolitische Zwecke
missbrauchen. Dazu eignet sich dieses Thema unserer
Meinung nach nicht, meine Damen und Herren.
({4})
Wir wissen: Wenn wir diese Frage jetzt diskutieren,
dann müssen wir die Gesamtlage der Flüchtlinge in
Nordafrika und Europa im Blick haben. So hat das Land
Tunesien in den letzten Wochen über 220 000 Flüchtlinge aufgenommen. Das Land Ägypten hat über
180 000 Flüchtlinge aufgenommen. Jeden Tag kommen
fast 2 000 Flüchtlinge nach Ägypten und ungefähr
3 000 nach Tunesien. Hier spielt sich das eigentliche
Drama ab.
Man muss sich die verschiedenen Länder in Nordafrika sehr genau anschauen. Die Situationen sind unterschiedlich. Gerade Tunesien ist ein sehr gutes Beispiel.
Die Menschen dort erleben zum ersten Mal in ihrem Leben die Freiheit. Das Land ist im Umbruch. Das Land
steht vor großen Herausforderungen.
Gerade jetzt werden die jungen Tunesier, die jungen
Menschen vor Ort, zu Hause in ihrem Land gebraucht.
Sie müssen dieses Land aufbauen. Sie müssen das Land
gestalten. Ihre Zukunft ist zu Hause, nicht in Italien,
nicht in Frankreich und nicht in Deutschland. Sie werden
in Tunesien händeringend gebraucht.
({5})
Deshalb bin ich felsenfest davon überzeugt, dass es
die richtige Antwort ist, wenn wir ein Hilfsprogramm,
ein Entwicklungsprogramm - gerade für Tunesien - zur
Verfügung stellen. Es ist außenpolitisch unsere Aufgabe,
die Bedingungen für die Menschen in dieser Region mit
zu verändern. Wir müssen den Menschen vor Ort helfen.
Das Problem der Flüchtlingsströme muss an der Wurzel
gepackt werden, aber nicht erst dann, wenn es dafür zu
spät ist. Diese Region selbst unterstützen: Das ist die
Antwort, statt Wirtschaftsflüchtlinge auf den verdammt
gefährlichen Weg nach Lampedusa zu schicken.
Unsere Hilfe muss viel nachhaltiger sein. Die Situation in Tunesien, aber auch in Ägypten und anderen
nordafrikanischen Ländern ist schwierig. Diese Länder
können alle den Weg zu Demokratie jetzt intensivieren.
Das ist eine Chance.
Aber genau diese Bewegung müssen wir auch unterstützen. Wir dürfen nicht wie ein Staubsauger die Menschen nach Deutschland oder Europa locken. Das wäre
die völlig falsche Antwort. Wir müssen in Ländern wie
Tunesien dafür sorgen, dass sich die Situation konkret
vor Ort verbessert. Deutschland und die EU müssen in
den Bereichen Bildung und Arbeit, Wirtschaftsförderung
und beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Ordnung Hilfe
leisten.
Es muss durch deutsche Außen- und Entwicklungspolitik in einem gemeinsamen europäischen Kontext
möglich sein, die Bedingungen in dieser Region der
Welt zu verbessern. Die Jugend in Nordafrika braucht
das Signal, dass sie von Europa nicht unerwünscht ist,
sondern dass wir an ihrer Seite stehen. Dann müssen wir
uns aber auch ehrlich über Wege unterhalten, junge
Menschen im Rahmen einer bestimmten Frist auszubilden, um sie auf die Aufgaben in ihrer Heimat vorzubereiten.
Dann müssen wir uns aber auch ehrlich über Wege
unterhalten, wie wir Erzeugnissen und Waren aus Nordafrika den Zugang zu europäischen Märkten erleichtern.
Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion, wenn wir über
Handelserleichterungen für Textil- und Agrarprodukte
aus Nordafrika in die EU reden.
Ich finde es richtig, dass wir uns offen über dieses
komplexe Thema im Deutschen Bundestag unterhalten.
Konstruktive Lösungen sind jetzt gefragt.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächster hat das
Wort unserer Kollege Memet Kilic für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Herr Kollege.
Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem
Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei
euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch,
und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr
seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.
So spricht das kollektive Bewusstsein der Menschen,
weil jeder von uns irgendwann auch ein Flüchtling sein
kann. Davor ist keiner gefeit.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In dieser Diskussion vermisse ich von
der Regierungsseite den richtigen Fokus auf die Flüchtlinge. Ich habe die Sorge, dass, während die Elefanten
streiten, die Flüchtlinge wie zarte Grashalme zertrampelt
werden. Seit Wochen fordert die Bundesregierung lauthals eine Demokratisierung in Nordafrika und sagt den
Aufständischen ihre Unterstützung zu. Wenn aber außer
schönen Worten praktische Hilfe im Umgang mit Flüchtlingen notwendig wird, will sie nichts mehr von ihren
Versprechen wissen. Das ist nicht gut.
({1})
Als Herr Berlusconi mit Herrn Gaddafi eine völkerrechtswidrige Vereinbarung einging, damit Herr Gaddafi
den Flüchtlingen den Weg nach Europa versperren kann,
war die Bundesregierung mit dieser berlusconischen Lösung anscheinend zufrieden. Herr Bundesinnenminister
Friedrich hat sogar letzte Woche gesagt, dass Italien die
Probleme alleine lösen soll. Anscheinend hoffte Herr
Friedrich reflexartig auf eine berlusconische Lösung, mit
der auch die Bundesrepublik Deutschland leben kann.
Die berlusconische Lösung sah diesmal aber anders aus.
Herr Berlusconi will wieder gesetzwidrig handeln und
den Flüchtlingen Schengen-Visa ausstellen.
Diese berlusconische Lösung empört unter anderem
unseren Bundesinnenminister. Die Antwort der Bundesregierung ist aber genauso unintelligent wie die berlusconische Lösung, nämlich die Freizügigkeit im Schengen-Raum kurzfristig aufzuheben. Damit wird eine der
Grundsäulen der Europäischen Union zerrüttet. Die
Bundesregierung will offenbar Millionen von Osterurlaubern eine Passkontrolle an der Grenze zumuten.
Das ist die falsche Richtung. Der europäische Geist und
die Kreativität der Bundesregierung sind erbärmlich.
({2})
Sie haben das zurückgenommen. Herr Wolff hat bereits die rechtlichen Grundlagen erklärt und auch, warum das nicht geht. Aber man kann von einem Bundesinnenminister erwarten, dass er zuerst die rechtlichen
Grundlagen prüft und dann Sprüche klopft. Tatsächlich
ist es umgekehrt: Er klopft kantige Sprüche und prüft
erst dann die rechtliche Grundlage. Das ist der falsche
Weg. Wir brauchen offenbar einen anderen Bundesinnenminister.
({3})
Die Regierung handelt realitätsfern, wenn sie glaubt,
mit dem Motto „Schotten dichtmachen und Grenzkontrollen verschärfen“ ließen sich die Probleme lösen. So
einfach ist es nicht. Wir müssen den Flüchtlingen aus
Nordafrika, die sich in größter Not befinden, endlich helfen. Sie reden davon, Herr Friedrich, dass man den Menschen vor Ort helfen soll. Ja, gerne! Wir reden aber auch
über die Menschen, die nicht mehr vor Ort sind, sondern
bereits in Europa gelandet sind. Wir müssen auch diesen
Menschen helfen. Darüber reden wir heute hier.
({4})
Unsere größte Sorge gilt den in Libyen gestrandeten
Flüchtlingen aus Staaten wie Somalia, Eritrea, Sudan
und Äthiopien. Sie können nicht in ihre Herkunftsländer
zurück und sind in Libyen akut bedroht. Es gibt Meldungen, wonach regelrechte Hetzjagden auf die Flüchtlinge
veranstaltet werden. Einigen von ihnen ist es geglückt,
sich in Auffanglager an den Grenzen zu Tunesien und
Ägypten durchzuschlagen. Die beiden Nachbarländer
befinden sich aber selbst im Umbruch und sind mit dieser Situation völlig überfordert. Sie brauchen dringend
Unterstützung von europäischer Seite.
Wir fordern daher eine humanitäre Evakuierung dieser Flüchtlinge aus Libyen. Die Bundesregierung muss
sich dafür einsetzen, dass die Menschen sicher europäischen Boden erreichen und EU-weit verteilt werden.
Darüber hinaus muss die EU sicherstellen, dass Bootsflüchtlinge nicht zurückgewiesen oder abgedrängt werden. Die Menschenrechte gelten an der EU-Grenze, vor
der Grenze, in internationalen Gewässern, aber auch in
den Gewässern von Drittstaaten. Die Flüchtlinge brauchen eine rechtsstaatliche Prüfung ihrer Asylanliegen.
Nur dann können wir feststellen, ob sie Wirtschaftsflüchtlinge oder Asylbewerber sind. Aber das muss erst
einmal geprüft werden.
Auf der Tagesordnung steht auch die Übernahme von
Flüchtlingen aus besonders stark betroffenen Ländern
Europas wie Malta in andere EU-Staaten. Bisher hat sich
die Bundesregierung lediglich dazu bereit erklärt,
100 Flüchtlinge aus Malta aufzunehmen. Gleichzeitig
werden aber im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens
Flüchtlinge nach Malta zurückgeschickt. Das ist nicht
der richtige Weg; das ist falsch. Das ist nur Symbolpolitik und schädlich. Wir sollten diese historische Chance
wahrnehmen und auf allen Ebenen die Menschen unterstützen, die versuchen, in ihrem Land demokratische und
rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen. Dazu gehört die
Unterstützung der Freiheitsbewegung vor Ort, eine verantwortungsvolle Entwicklungshilfe, aber auch die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa. Wir als Europäer
sollten uns unserer Stärke und Aufnahmefähigkeit bewusst sein und unseren Freunden, die für Menschenrechte und Demokratie kämpfen, die Hand ausstrecken.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächster spricht für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Reinhard
Grindel. Bitte schön, Kollege Reinhard Grindel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Kilic, Sie haben Ihre Rede mit nachdenklichen Worten begonnen. Ich finde es aber unfair, den
Bundesinnenminister anzugreifen, obwohl er exakt das
Gegenteil von dem gesagt hat, was Sie ihm hier vorgeworfen haben.
({0})
Es wäre anständig, zumindest zuzuhören.
({1})
Frau Kollegin Künast, bei Ihrer Rede habe ich mich
an eine andere Rede erinnert, die Sie im Rahmen einer
Aktuellen Stunde gehalten haben, in der es um Integration ging. Sie haben damals nicht zu Unrecht allen Bundesregierungen vorgeworfen, dass sie keine hinreichenden Maßnahmen für die Integration getroffen hätten,
dass es Integrationsprobleme gebe und dass wir kraftvoll
diejenigen ausländischen Mitbürger, die bei uns sind, integrieren müssten. Glauben Sie ernsthaft, dass wir die
Integration in Deutschland erleichtern, wenn wir für eine
völlig ungesteuerte Zuwanderung zusätzlicher Ausländer in unser Land sorgen würden? Ich glaube das nicht.
Den hier lebenden Ausländern würden wir einen Tort antun, wenn wir so vorgehen würden, und die Integrationsprobleme würden dadurch nicht gelöst werden.
({2})
Es ist mehrfach davon gesprochen worden, wir würden uns abschotten und es gebe keine Lastenverteilung.
Wir haben im Jahr 2010 in der Europäischen Union
250 000 Asylbewerber gehabt. Knapp 50 000 davon, jeder fünfte, ist nach Deutschland gekommen, er wird hier
anständig untergebracht und bekommt ein faires Asylverfahren.
({3})
Angesichts von knapp 50 000 Asylbewerbern zu sagen,
wir als Deutsche würden uns abschotten und unsere gerechte Last im Rahmen der EU nicht tragen, ist mit den
Zahlen, um die es hier geht, nicht zu vereinbaren. Das ist
ein falscher Vorwurf.
({4})
Wir müssen auch einmal differenzieren, über welche
Flüchtlinge wir reden. Es gibt die Gruppe der politischen
Flüchtlinge aus Libyen und der Flüchtlinge aus ethnischen Gründen aus Somalia und Eritrea, die sich vor allen Dingen in Malta aufhalten. Wir werden unsere
Verantwortung gegenüber den Freunden in Malta wahrnehmen. Der Bundesinnenminister hat das vorgetragen.
Durch sein Vorbild haben andere Innenminister in eine
europäische Lastenverteilung eingewilligt. Ich schließe
auch nicht aus, dass wir als Deutsche uns an humanitären Aktionen beteiligen, die auf den Personenkreis in
Libyen abzielen.
Auch wenn man die Vergangenheit betrachtet, muss
man feststellen: Wir haben Flüchtlinge aus dem Iran aufgenommen, wir haben in großem Umfang Flüchtlinge
aus dem Irak aufgenommen, und wir haben in der Vergangenheit nun wirklich unseren Beitrag geleistet, als es
darum ging, Flüchtlinge vom Balkan aufzunehmen. Insofern ist der Hinweis auf Lastenverteilung angesichts
der Zahlen wirklich nicht berechtigt.
Auch wir haben dieses Wort von der Lastenverteilung
in der politischen Diskussion gebraucht, Frau Künast.
Damals haben wir binnen kürzester Frist
350 000 Flüchtlinge alleine aus Bosnien aufgenommen.
Die Situation damals, gerade für unsere Kommunen und
Städte, war eine völlig andere als die, die heute in Italien
existiert.
({5})
Eine zweite Gruppe sind die Arbeitsflüchtlinge aus
Tunesien, die zum überwiegenden Teil gar keinen Asylantrag gestellt haben. Eine dritte Gruppe sind die Armutsflüchtlinge aus afrikanischen Ländern wie dem
Sudan, dem Tschad, aus Sierra Leone und vielen anderen
Ländern. Letztere sind - die Kollegin Griese hat uns inzwischen verlassen; sie hat das angesprochen - nicht die
Ärmsten der Armen; vielmehr wird im Dorf für diejenigen zusammengelegt, die zu den klugen Köpfen gehören
und die die Dörfer, Gemeinden und Regionen voranbringen könnten. Denn nur sie verkörpern die Hoffnung,
dass sie nach Europa durchkommen und dann die Familie und womöglich das Dorf ernähren können. Das Geld
wird den Schleppern und Schleusern gegeben. Meinen
Sie, dass es entwicklungspolitisch eine gute Linie ist,
wenn wir in dieser Form den Braindrain unterstützen
und nebenbei noch das Geschäft der Schlepper und
Schleuser befördern? Ich halte das nicht für den richtigen Weg.
({6})
Es gibt in Birmingham mehr Krankenschwestern aus
Malawi als in ganz Malawi selbst. Das ist eines der
schlechten Beispiele, von denen wir viele bekommen
würden, wenn wir entwicklungs- und flüchtlingspolitisch so vorgehen würden. Man kann darüber reden. Sie
wissen, dass der frühere Bundesinnenminister Wolfgang
Schäuble in die Diskussion eingebracht hat, innerhalb
der EU über zirkuläre Migration nachzudenken.
({7})
Aber ich sage Ihnen: Jede Ankündigung, die Grenzen
unkontrolliert zu öffnen, eine umfangreiche Lastenverteilung vorzunehmen, führt nur dazu, dass Schlepper und
Schleuser vor Ort sagen können: Es macht wieder Sinn,
sich auf den Weg nach Europa zu begeben - mit all den
tödlichen Risiken, die das hat. Ich halte das nicht für den
richtigen Weg.
Wir müssen vor Ort helfen. Wir brauchen in unserem
Land angesichts all der Asylbewerber, Ausländer, die
über Familienzusammenführungen und vieles andere ohnehin jedes Jahr zu uns kommen, vor allen Dingen eine
Atmosphäre, in der Integration noch möglich ist und
auch gelingen kann.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächste hat das
Wort unsere Kollegin Frau Daniela Kolbe für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Frau Kollegin
Kolbe.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! - Verehrte Damen und
Herren! Ich gebe zu, mir stecken die Bilder von Anfang
April noch in den Knochen - Sie erinnern sich, das war
sogar das Topthema bei den heute-Nachrichten -: Einer
dieser „Seelenfänger“ mit mehr als 200 Flüchtlingen aus
Afrika ist vor wenigen Tagen gesunken; an die 200 Flüchtlinge sind dabei ertrunken: Männer, Frauen und viele
Kinder. Was hat diese Menschen angetrieben, dass sie
unbedingt nach Europa wollten? Das ist die Frage, die
sich fest in meinem Kopf verankert hat.
Gleichzeitig erleben wir ein aufgeregtes Italien. Es
geriert sich als absolut überfordert, weist jegliche Verantwortung von sich und stattet Personen, die kein Asyl
beantragt haben, derzeit mit Aufenthaltserlaubnissen
aus, auf dass sie weiterziehen mögen. Mir ist deshalb
wichtig, festzustellen: Italien ist in dieser Angelegenheit
nicht das Opfer.
({0})
Wenn ich mir die Zahlen anschaue - 26 000 Menschen, davon relativ wenige, die Asyl beantragt haben,
auf ein Land mit derzeit 60 Millionen Einwohnern -,
finde ich es empörend, dass Berlusconi in diesem Zusammenhang von einem „menschlichen Tsunami“
spricht. Es ist wirklich unglaublich, wie bei einer Zahl,
die derzeit nicht besonders groß ist, Angstbilder produziert werden. Ich möchte daran erinnern - Herr Grindel
hatte es erwähnt -: Deutschland hat allein in der Bosnienkrise 345 000 Personen aufgenommen. Ich möchte
aber auch daran erinnern, dass wir damals sehr wohl und
sehr laut danach gerufen haben, doch endlich ein System
der Lastenteilung in Europa hinzubekommen.
({1})
Ich finde es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass
Italien kein unschuldiges Opfer ist, was man sieht, wenn
man sich anschaut, welchen Deal Herr Berlusconi mit
Gaddafi abgeschlossen hat: 3,6 Milliarden Euro dafür,
dass keine Flüchtlinge mehr aus Libyen in Europa
ankommen. Das war sehr erfolgreich. Wo sind die
Flüchtlinge geblieben? Zum Teil auf dem libyschen Arbeitsmarkt, aber auch in der Wüste und in Lagern, in
Erdlöchern, unter unmenschlichsten Bedingungen - und
Europa hat weggesehen.
In der Gesamtschau muss ich allerdings sagen: Auch
wenn Italien im Moment noch nicht überfordert ist
- wenn wir uns die Lage in Nordafrika, die Lage in Griechenland in Richtung Türkei und die Lage in Malta anschauen -, finde ich, dass es an der Zeit ist, endlich wieder über faire Lastenteilung in Europa zu sprechen. Das
gehört auf der Agenda der Europäischen Union ganz
nach oben; denn Solidarität ist das Gebot der Stunde. Ich
glaube nicht, dass es bei diesen 26 000 Menschen auf
Lampedusa in Italien bleibt.
({2})
Auch über die Türkei in Richtung Griechenland werden
weiterhin Menschen kommen.
Daniela Kolbe ({3})
Im Moment regiert aber eher „Jeder ist sich selbst der
Nächste“, sowohl in Italien als leider auch in Deutschland. Das, was wir vom Innenminister aus Bayern hören,
ist blanker Populismus und bedient Ängste. Die Forderung, wieder Grenzkontrollen einzuführen, geht komplett am Thema vorbei und wird definitiv nicht zur Problemlösung beitragen.
Noch einmal: Wir brauchen eine faire Lastenteilung;
sich abzuschotten, ist der falsche Weg. Wenn wir,
Europa, bei unseren hochgehaltenen Werten bleiben
wollen - beim Schutz der Menschenrechte, beim Recht
auf Asyl -, wenn wir eine gesteuerte Migration nach
Europa wollen, dann kann Frontex allein sicherlich nicht
die Antwort sein, dann müssen wir endlich Deals wie
die, die zwischen Italien unter Berlusconi und Libyen
unter Gaddafi geschlossen worden sind, international
ächten, und wir müssen endlich mit den nordafrikanischen Ländern auf Augenhöhe sprechen. Wir brauchen
dabei wirtschaftliche Unterstützung. Die SPD hat dazu
Vorschläge gemacht.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die nordafrikanischen Länder selber durch große Flüchtlingsströme
belastet sind. Eine ganz plausible Möglichkeit der Problemlösung erscheint mir Resettlement: die Aufnahme
von Flüchtlingen, die bereits in einem anderen Land Zuflucht gefunden haben, um die Zufluchtsländer zu entlasten und sie zu befähigen, ein Asylsystem aufzubauen
und mit Europa zu kooperieren.
Hier ist mehrfach von „Wirtschaftsflüchtlingen“ gesprochen worden. Herr Uhl meinte, sie seien alle Analphabeten.
({4})
Wenn man sich die Lage in Nordafrika anschaut, sieht
man: Die Arbeitslosigkeit steigt mit dem Bildungsgrad.
Das heißt, es gibt dort sehr viele gut ausgebildete junge
Leute, die von Europa träumen - auch wenn sie dort
vielleicht nicht dauerhaft bleiben wollen - und die sich
derzeit noch auf diese „Seelenfänger“ begeben müssen,
weil es keine andere Möglichkeit der legalen Migration
nach Europa gibt.
Ich finde, die Frage der legalen Migration nach
Europa gehört wieder auf die Agenda. Wir müssen darüber sprechen, wie wir diesen jungen Leuten die Möglichkeit geben, gegebenenfalls nach Europa zu kommen,
um Geld nach Hause schicken und mit Berufserfahrung
zurückkehren zu können. Die Augen davor zu verschließen, dass diese Menschen - ich habe es eingangs erwähnt - unbedingt und dringend nach Europa wollen,
bedeutet, dass sich immer mehr Menschen auf diese
„Seelenfänger“ begeben und im Mittelmeer ertrinken.
Hier stehen wir in der Verantwortung. Davor sollte man,
gerade wenn das Wort „christlich“ zum Parteinamen gehört, nicht die Augen verschließen.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster hat das
Wort für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege
Arnold Vaatz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe
davon aus, dass kein Einziger in diesem Saal einem
Menschen, der in Not, in Lebensgefahr geraten ist, seine
Hilfe verweigern oder dafür plädieren wird, dass das getan wird. Das unterstelle ich persönlich keinem hier im
Saal, und ich wünsche gleichzeitig, dass das auch mir
und meiner Regierung nicht unterstellt wird.
({0})
Worüber wir hier reden, ist das, was dem folgt, nachdem die Elementarvorsorge bereits geleistet worden ist:
über die Entscheidung, wie es mit den in Not geratenen
Menschen zukünftig weitergeht. Das ist eine andere
Stufe der Diskussion. Ich wünsche, dass wir diese beiden
Dinge sauber voneinander trennen und unterscheiden.
({1})
Ich habe die Debatte von Anfang an verfolgt, auch die
heutige Fragestunde. In mir ist der Wunsch aufgekommen, dass Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, einen Bruchteil der Energie, die Sie für Ihre Kritik
an der Bundesregierung verwendet haben, darauf verwenden, diejenigen mit Ihrer Kritik zu bedenken, die
Verhältnisse geschaffen haben, die zur Folge haben, dass
Menschen flüchten.
({2})
Die ganze Sache wird dann unaufrichtig, wenn sie
den Schwerpunkt Ihrer Kritik auf diejenigen lenken, die
helfen wollen, und nicht auf diejenigen, die den Notstand verursacht haben.
({3})
- Sie haben die Bundesregierung ganz entschieden kritisiert. Das habe ich doch gehört. Oder war das nicht so
gemeint? Haben Sie sich vielleicht versprochen, Frau
Künast?
({4})
Der Kollege Veit und die Kollegin Kolbe haben berechtigterweise darauf hingewiesen, dass es unannehmbar ist, wie die Regierung Berlusconi diesen Fall inszeniert, um die Flüchtlinge nach Möglichkeit schnell
loszuwerden. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Das
verurteile ich auch, und ich gehe davon aus, dass die
meisten aus meiner Fraktion, aus unserer Koalition genauso denken.
Ich verstehe aber nicht, liebe Kollegen, dass Sie einerseits das Verhalten der Regierung Berlusconi verurteilen und andererseits von der Bundesregierung verlangen, genau dieser Regierung Berlusconi auf den Leim zu
gehen.
({5})
Das verstehe ich überhaupt nicht,
({6})
weil Sie nämlich dadurch ein Signal nach Italien senden,
sodass man dort sagen kann: Freunde in Europa, was
wollt ihr denn? Wir handeln doch genau richtig. Schaut
nach Deutschland! Lest die Debattenbeiträge der Opposition im Bundestag!
({7})
- Ich rede von Italienern. Im Übrigen teile ich nicht die
Meinung, dass alle Flüchtlinge Analphabeten sind. Das
habe ich nicht gesagt, und ich wünsche auch nicht, dass
mir Behauptungen, die ich nicht aufgestellt habe, vorgeworfen werden.
({8})
Das ist nie geäußert worden. Dass es unter den Flüchtlingen Menschen gibt, die Analphabeten sind, dürften auch
Sie, Frau Künast, nicht bestreiten. Oder doch?
In Italien kann die Regierung also sehr gut auf diese
Debatte verweisen und sagen: Freunde, die gesamte Opposition in Deutschland unterstützt unsere Bemühungen,
die Flüchtlinge nach Möglichkeit nach Norden weiterzuleiten.
({9})
Das wird man genau in dieser Weise auslegen, und Sie
tragen dazu bei.
({10})
Als Nächstes komme ich zu der Frage: Was ist Solidarität? Das ist der Punkt, auf den es mir ganz besonders
ankommt. Meine Damen und Herren, ich halte Ihre Diskussion über Solidarität für unaufrichtig. Wir haben auf
dem Höhepunkt der Balkankrise - ich war frisch im
Bundestag - ausführlich darüber diskutiert, wie wir uns
angesichts des Ansturms von Flüchtlingen aus dieser Region verhalten. Wir haben damals gesagt und sagen auch
heute, dass wir für eine solidarische europäische Lösung
sind. Damals ist uns von dieser Opposition vorgeworfen
worden, wir wollten auf diese Weise versuchen, den
Druck zulasten von anderen loszuwerden;
({11})
wir sind moralisch diskreditiert und beschimpft worden.
({12})
Hätte ich vorausahnen können, dass diese Diskussion
heute stattfindet, hätte ich ein paar Redebeiträge aus den
Archiven herausgesucht. Sie können das alles nachlesen. - Das zur Unaufrichtigkeit in der Diskussion.
({13})
Solidarität heißt nach meiner Auffassung, dass der
stärker Belastete vom weniger Belasteten Hilfe empfängt, damit er mit seiner Last besser zurechtkommt.
Was Sie verlangen, ist genau das Gegenteil. Unter dem
Eindruck der Rhetorik in Italien - man spricht von einem
Flüchtlingstsunami und ähnlich absurden Geschichten,
davon, dass das alttestamentarische Ausmaße hat - versuchen Sie, Lasten vom im Augenblick relativ wenig belasteten Italien nach Nordeuropa, das in das Flüchtlingsproblem weit stärker involviert ist, zu leiten. Ich denke
an Belgien, ich denke an Schweden, ich denke an
Deutschland.
({14})
Malta ist eine ganz andere Frage. Zu Malta haben wir
uns übrigens eindeutig geäußert.
Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen. Wenn
hier zugerufen wird, dass unsere Position unchristlich
sei,
({15})
muss man erwidern: Unchristlich ist in erster Linie,
wenn man Signale sendet, dass Flucht ein Allheilmittel
sein kann.
({16})
Wenn man die Illusion, dass man sich durch Flucht verbessern kann, in den Menschen immer weiter stärkt, ist
das unchristlich,
({17})
weil man auf diese Weise den Menschen falsche Signale
und falsche Ziele gibt und mit dazu beiträgt, dass die
Verhältnisse in den Ländern, aus denen diese Menschen
kommen, von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und von
Jahr zu Jahr unerträglicher werden.
({18})
Das erreichen Sie mit der Einladungsrhetorik, die Sie
hier präsentieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass Ihnen in Deutschland diese Rhetorik niemand mehr abnehmen wird, je schlimmer das Problem für uns alle wird.
Vielen Dank.
({19})
Der letzte Redner auf unserer Rednerliste ist der Kollege Hartwig Fischer für die Fraktion der CDU/CSU.
Bitte schön, Kollege Hartwig Fischer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde es einigermaßen enttäuschend, wenn wir bei einem
solch ernsten Thema, bei dem es um Menschenleben, um
Überleben geht,
({0})
keine Alternativen aus der Opposition aufgezeigt bekommen.
({1})
Am 17. Dezember 2010 begann die Jasmin-Revolution in Tunesien, am 25. Januar 2011 in Ägypten, im Februar in Libyen. Wir reden heute über die Flüchtlingsströme, was auch notwendig ist; aber niemand nimmt
zur Kenntnis, was innerhalb dieser kurzen Zeit auch von
der christlich-liberalen Koalition geleistet worden ist,
sowohl in der EU als auch in Deutschland.
({2})
Es geht nicht um die Anträge, die wir hier verabschiedet haben, sondern es geht ums Handeln. Wir könnten
über den Antrag „Die arabische Welt - Region im Aufbruch, Partner im Wandel“ der Koalition sprechen. Aber
ich möchte über die Punkte sprechen, die dem Aufbau in
den Ländern dienen sollen. Bei einigen Rednern wurde
ja schon deutlich: Es geht darum, den Menschen in ihrer
Heimat eine bessere Perspektive zu geben, damit sie
nicht fliehen.
({3})
Wir haben einen Fonds für Demokratie und strukturund ordnungspolitische Beratung für die reformorientierten Kräfte aufgelegt. Wir haben den Fonds „Regionalvorhaben zur Qualifizierung und Beschäftigungsförderung Jugendlicher“ für diese Länder aufgelegt. Wir
haben mit 20 Millionen Euro zur Finanzierung eines
europäischen Regionalfonds beigetragen, um dort in den
beschäftigungsintensiven Bereichen kleinste, kleine und
mittlere Unternehmen zu unterstützen. Wir haben zusätzlich 2 Millionen Euro für PPP-Projekte und 2,25 Millionen Euro für Hochschulförderung und Ähnliches zur
Verfügung gestellt.
Es ist schon bedauerlich, dass keine Entwicklungspolitiker aus den Oppositionsfraktionen zu diesem
Thema, durch das die Menschen eine Zukunftsperspektive erhalten, reden durften;
({4})
denn wir brauchen Möglichkeiten, damit sich die Menschen dort Existenzgrundlagen schaffen können.
Ich möchte einen Punkt ansprechen, den ich für so
wichtig halte, dass ich die Regierung bitte, dafür einen
Sonderfonds aufzulegen. Wir haben ein hervorragendes
Informationsinstrument, nämlich die Deutsche Welle.
Die Deutsche Welle ist auch in der Maghreb-Region führend beim Rundfunk, insofern er dort alle erreicht, aber
auch beim Internet, das bei der Revolution eine große
Rolle gespielt hat. Ich erwarte, dass wir die Deutsche
Welle in die Lage versetzen, über die Situation der
Flüchtling zu sprechen, die aus diesen Ländern stammen, um den Menschen die Realität vor Augen zu führen. Die Schlepperorganisationen gaukeln ihnen ja etwas
ganz anderes vor, und zwar mit negativen Folgen: Sie
verlieren das Hab und Gut der ganzen Familie, weil sie
meinen, ins gelobte Land zu kommen.
Ich finde es übrigens schlimm, dass sich Frau Künast
jetzt einfach aus der Diskussion verabschiedet und geht.
Damit stimmt genau das, was Herr Schily am 27. September 2000 gesagt hat: Sie glänzt durch die Pose der
Überheblichkeit.
Meine Damen und Herren, wir brauchen auch in der
Opposition Freundinnen und Freunde, die diese Projekte
mitgestalten.
({5})
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mich
betroffen macht. Sie sehen die Bilder, über die wir hier
sprechen, im Fernsehen; ich habe sie in der Realität erlebt. Ich habe mit meiner Frau Urlaub auf Lanzarote gemacht. An unserem zweiten Urlaubstag, am 16. Februar
2009, ist 20 Meter vor dem Urlaubsort Costa Teguise in
einer Sturmböe ein Boot gekentert, auf dem 30 Boatpeople aus Afrika waren. Nur sechs haben überlebt, obwohl viele Urlauber versucht haben, zu retten. Die meisten der ums Leben Gekommenen waren Kinder.
Das ist das, was wir den Menschen in den Ländern,
aus denen sie fliehen wollen, deutlich machen müssen:
Sie dürfen nicht glauben, dass es ihnen, wenn sie zu uns
nach Europa kommen, hier auf jeden Fall besser geht.
Das ist keine echte Perspektive. Vielmehr müssen wir
den Menschen, die in ihren Heimatländern verbleiben,
eine Chance geben, zum Beispiel in Form eines AustauHartwig Fischer ({6})
sches mit unseren Unternehmen, damit sie, hier gebildet,
in ihre Heimatländer zurückkehren können.
({7})
Wenn wir da gemeinsam an einem Strang ziehen, dann
können wir dazu beitragen, dass die Menschen nicht ihre
Länder verlassen und sich auf den Weg machen, sondern
Perspektiven in ihrer Heimat sehen.
({8})
- Herr Kollege, da es in der Aktuellen Stunde keine Zwischenfragen gibt, aber ich trotzdem zugehört und noch
24 Sekunden Redezeit habe, sage ich Ihnen: Das ist für
mich überhaupt keine Frage. Der Kollege Grindel hat
ganz klar begründet, dass wir die Asylanträge derjenigen, die aus Asylgründen zum Beispiel aus Eritrea oder
Somalia über Libyen kommen oder aus dem Bürgerkriegsgebiet Libyen kommen, prüfen. Wir nehmen ja
auch 100 auf, die aus diesen Gründen nach Europa gekommen sind. Das ist überhaupt keine Frage.
Aber ich möchte, dass den Menschen deutlich gemacht wird, was sie erwartet, wenn sie sich auf die
Flucht begeben. Wir alle sollten die Möglichkeiten nutzen, ihnen dieses über die Deutsche Welle oder auch direkt vor Ort, wenn wir in diese Länder fahren, deutlich
zu machen.
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Die Aktuelle Stunde ist
damit beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. April 2011,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.