Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Berufsbildungsbericht 2011.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Helge Braun. Herr Braun, Sie haben das Wort, bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Kabinett hat heute den Berufsbildungsbericht 2011 beraten. Danach hat sich die Ausbildungslage
in Deutschland deutlich verbessert. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsstellen beträgt 579 000. Sie hat sich
gegenüber der Prognose, die von 563 000 Ausbildungsstellen ausgegangen ist, um rund 16 000 erhöht. Am
Ende des Zeitraums waren mehr unbesetzte Ausbildungsplätze vorhanden als unversorgte Bewerber.
Der demografische Wandel trägt hierzu einiges bei.
Die Zahl der Schulabgänger in Ostdeutschland ist um
13,5 Prozent gesunken. Die Angebots-Nachfrage-Relation, die im Jahr 2004 noch bei 90 Prozent lag, liegt im
Jahr 2009/2010 bei 99,9 Prozent. Das heißt, dass die
Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze leicht unter der
der unversorgten Bewerber liegt.
Die Zahl der sogenannten Altbewerber - das sind diejenigen, die sich auch in den Vorjahren beworben haben ist ebenfalls stark gesunken. Im Jahr 2008 haben
262 000 Altbewerber einen Ausbildungsplatz angestrebt. Derzeit sind es 184 745. Das entspricht einem Minus von rund 30 Prozent.
Auch im Übergangssystem befinden sich weniger
Ausbildungssuchende und sozusagen auf eine Ausbildung Wartende, als das früher der Fall war. In den letzten
fünf Jahren ist diese Quote um 22,5 Prozent zurückgegangen. Im letzten Jahr hat sich die Zahl derjenigen, die
sich im Übergangssystem befinden, um 24 000 verringert. Das entspricht einem Anteil von 7 Prozent.
Laut Prognose des Berufsbildungsberichts können
wir - das wird auch von der Halbjahresbilanz der Bundesagentur für Arbeit bestätigt - davon ausgehen, dass
im Jahr 2011 die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze weiter steigt, möglicherweise - das zeigt die
Halbjahresbilanz der BA - um 48 000; das wäre ein Plus
von 14 Prozent.
Aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Dynamik, verbunden mit dem demografischen Wandel, verzeichnen wir insgesamt also eine Entspannung auf dem
Ausbildungsmarkt. In einigen regionalen Bereichen werden wir in Zukunft sogar über einen Mangel an Auszubildenden sprechen können. Andererseits gibt es sicherlich auch einige Regionen in Deutschland, in denen es
hinsichtlich des Angebots an Ausbildungsstellen nach
wie vor Engpässe gibt. Betrachtet man die Situation in
Deutschland insgesamt, ist aber festzustellen, dass die
Bilanz ausgeglichen ist.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen. Zunächst fragt der Kollege Brase.
Herr Präsident! Herr Staatssekretär, es ist sicherlich
richtig, dass die Ausbildungsstellensituation regional unterschiedlich bewertet werden muss. Trotzdem möchte
ich einmal nachfragen, wie Sie angesichts von 300 000
Jugendlichen im Übergangsbereich zu dieser positiven
Betrachtung kommen. Muss man bei all diesen Jugendlichen von einer geringen Ausbildungsreife ausgehen?
Gibt es nicht auch Bereiche, in denen genügend gut ausgebildete Jugendliche zur Verfügung stehen, die aber
aufgrund der Marktbenachteiligung keinen Ausbildungsplatz erhalten?
Es gibt nach wie vor - das haben Sie kürzlich in einer
Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion zur Kenntnis gegeben - fast 1,5 Millionen junge Leute zwischen
Redetext
20 und 29 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben.
Angesichts dieser Zahl glaube ich, dass erhöhte Anstrengungen und größere Aktivitäten notwendig sind, sowohl
im Hinblick auf die demografische Entwicklung als auch
im Hinblick auf den Fachkräftebedarf. Meine Frage ist:
Was will die Bundesregierung tun?
Sehr geehrter Herr Kollege Brase, ich bedanke mich
für diese Frage. Die Daten aus dem Berufsbildungsbericht zeigen eine in der Summe positive Entwicklung.
Nichtsdestotrotz gibt es noch Menschen im Übergangssystem. Es gibt noch Altbewerber. Es gibt auch immer
noch das Problem nicht ausreichender Ausbildungsreife
am Ende einer Schullaufbahn. Das sind drei Probleme,
die die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen bekämpft.
Als eine dieser Maßnahmen haben wir im letzten Jahr
die sogenannten Bildungsketten gestartet. Im Rahmen
dieser Bildungsketten wollen wir uns darum kümmern,
dass diejenigen Jugendlichen, die in der Gefahr sind, am
Ende ihrer Schullaufbahn nicht ausbildungsreif zu sein,
frühzeitig an die Berufswelt herangeführt werden. Die
Maßnahme beginnt in der siebten Klasse mit einer Potenzialanalyse, in der die jeweiligen Stärken und Schwächen der Schüler untersucht werden. In der achten
Klasse geht es mit einem allgemeinen Berufsorientierungsprogramm weiter, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über die BA angeboten
wird. Im Rahmen dieses Programms können sich junge
Menschen unterschiedliche Berufe in außerbetrieblichen
Bildungsstätten ansehen und diese ausprobieren. Dies
kann dann in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit
münden, zum Beispiel in Form der vertieften Berufsvorbereitung. Dort haben die Jugendlichen die Möglichkeit,
sich die Betriebe vor Ort anzusehen.
Die genannten Maßnahmen sind in dieser Konzentration im letzten Jahr gestartet worden. Wir erhoffen uns
dadurch für die Zukunft, dass der Übergang von der
Schule in den Beruf, insbesondere bei den Jugendlichen,
die Schwierigkeiten mit der Ausbildungsreife haben,
noch besser gelingt als in der Vergangenheit.
In Bezug auf das Übergangssystem gibt es noch weitere Maßnahmen. In Meseberg ist vom Kabinett eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden. In dieser Arbeitsgruppe
arbeiten das Wirtschaftsministerium, das Arbeitsministerium, das Familienministerium und das Bildungsministerium gemeinsam an einem lückenlosen Angebot des
Bundes im gesamten Bereich des Übergangssystems, indem die Bildungsketten - das sagt der Name schon - ineinander verzahnt werden. All den Problemgruppen, die
Sie angesprochen haben, können dann noch mehr Angebote gemacht werden als in der Vergangenheit. Das Ziel,
Deutschland zur Bildungsrepublik zu entwickeln, haben
wir dabei fest im Blick.
Vielen Dank. - Ich gebe die Namen derjenigen, die
Fragen stellen wollen und die ich auf meiner Liste aufgenommen habe, bekannt: Frau Dr. Hein, Herr Kamp,
Dr. Feist, Herr Rossmann, Frau Alpers, Frau Hinz, Swen
Schulz, Herr Schummer, Herr Kaczmarek und Herr
Kretschmer.
Frau Dr. Hein.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, die positiven Zahlen, die Sie genannt haben, stehen in einem gewissen
Widerspruch zu dem, was ich in meinem Bundesland erlebe - zumindest was die Ausbildungschancen für Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss und die
Altbewerberinnen und Altbewerber betrifft.
Sie haben auf die demografische Rendite hingewiesen. Diese ist vor allem für den Osten des Landes von
Bedeutung. Dort ist tatsächlich eine Entlastung entstanden. Ich frage mich allerdings, wieso es trotz dieser Entlastung nicht möglich ist, den Berg von Altbewerberinnen und Altbewerbern endlich abzubauen und ihnen eine
entsprechende Ausbildung zu ermöglichen.
Sie haben auch auf die Ausbildungsfähigkeit verwiesen. In vielen Diskussionen und Artikeln zur Berufsausbildung wird immer wieder gesagt, dass die Ausbildungsfähigkeit fehle. Ist denn in dem Berufsbildungsbericht
der Versuch unternommen worden, zu erklären, was Ausbildungsfähigkeit überhaupt heißt? Woran misst man
das?
Sehr geehrte Frau Hein, ich glaube nicht, dass man
davon sprechen kann, dass sich bei den Altbewerberinnen und Altbewerber nichts getan hat. Ich habe gerade
darauf hingewiesen, dass in diesem Bereich die Zahl
dramatisch gesunken ist, und zwar im Zeitraum von
2008 bis jetzt um 30 Prozent. Sie nennen das demografische Rendite; aber von dieser Entwicklung profitieren
die Altbewerber sehr.
An der hohen Zahl der noch offenen Ausbildungsstellen zeigt sich klar, dass das Problem nicht darin besteht,
dass es für die Gruppe der Altbewerberinnen und Altbewerber ebenso wie für diejenigen, die unversorgt bleiben, keine Angebote gibt, sondern eher darin, dass es offenkundig an Ausbildungsreife oder Mobilität mangelt.
Diese Probleme müssen wir beseitigen. Dabei helfen
eine höhere Qualifikation der Auszubildenden sowie
eine entsprechende Förderung ihrer Mobilität. Diese Ansätze stehen aus meiner Sicht im Mittelpunkt. Dass sich
da nichts tue, kann ich wirklich nicht bestätigen.
Vielen Dank. Herr Kollege Kamp.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
für mich gibt Ihr Bericht Anlass zur Hoffnung. Das sage
ich ganz klar, wenngleich Sie - neben den Handlungsfeldern, die Sie bereits angegangen sind - verschiedene
Handlungsfelder dargestellt haben, die es noch zu bearbeiten gilt.
Ein Handlungsfeld ist mit Sicherheit die Ausbildungsbeteiligung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Wie beurteilt die Bundesregierung deren
Ausbildungsbeteiligung? Und wie tragen Sie als Bundesregierung dafür Sorge, dass die duale Ausbildung im
zunehmenden Wettbewerb mit den Hochschulen um
gute Nachwuchskräfte weiterhin ein attraktiver Bildungsweg bleibt?
Lieber Herr Kamp, das Thema Migration und Ausbildung ist in der Tat eines, bei dem es noch große Herausforderungen gibt, wie die Zahlen des Berichts veranschaulichen: 13,8 Prozent der hier lebenden Migranten
haben keinen Schulabschluss. Im Verhältnis zu den
5,8 Prozent bei den Deutschen ohne Schulabschluss ist
die Zahl damit fast doppelt so hoch. Das zieht Konsequenzen in der Ausbildung nach sich. Während die Ausbildungsquote bei den deutschen Jugendlichen bei
64,3 Prozent liegt, beträgt die Ausbildungsquote bei Migranten nur 31,4 Prozent. Das heißt, hier ist noch eine
Menge von Aufgaben zu bewältigen.
Im Nationalen Ausbildungspakt haben wir mit den
Beteiligten der Wirtschaft und den Sozialpartnern festgelegt, dass wir genau diese Zielgruppe, nämlich Altbewerber und Benachteiligte, mit Blick auf die Ausbildung
besonders berücksichtigen wollen. Das schließt an das
an, was ich gerade zu Frau Hein gesagt habe. Es geht im
Nationalen Ausbildungspakt nicht einfach nur darum,
die Wirtschaft zu bitten, mehr Ausbildungsplätze zur
Verfügung zu stellen; vielmehr soll sich die Wirtschaft
stärker als bisher bereit erklären, auch die Jugendlichen,
deren Ausbildungsreife nicht perfekt ist, in die Betriebe
zu integrieren.
Darüber hinaus ist eine weitere Aufgabe zu nennen.
Wir sehen, dass insbesondere in Unternehmen, deren
Unternehmensführer nicht deutscher Herkunft sind - in
vielen anderen Ländern gibt es kein duales Ausbildungssystem wie bei uns -, die Quote der angebotenen Ausbildungsplätze viel geringer ist. Deshalb verfolgen wir mit
unserem Jobstarter/KAUSA-Programm zwei Punkte:
Zum einen sollen Berufseinstiegsbegleiter speziell Migranten helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Zum
anderen kümmern wir uns - das ist, wie ich finde, ein
sehr intelligentes Instrument - darum, dass Firmen, die
von Migranten geleitet werden, ihre Ausbildungsquote
gegenüber früher erhöhen. Das halte ich für sehr wichtig.
Wir müssen das Übel an der Wurzel packen. Das
heißt, wir müssen unbedingt erreichen, dass die Zahl der
Migranten, die keinen Schulabschluss als Voraussetzung
für ihre Ausbildungsreife haben, deutlich reduziert wird.
Das vorhin von mir erwähnte Instrument der Bildungsketten kommt, glaube ich, insbesondere dieser Gruppe
zugute.
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege
Dr. Feist.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
ich möchte an das, was mein Vorredner gefragt hat, anschließen. Es gibt eine sehr erfreuliche Entwicklung der
Zahlen der Bewerber und der Studienplätze; bis vor kurzem hat wohl noch niemand geglaubt, dass es einmal
diese erstaunlichen Zahlen geben wird.
({0})
- Frau Hinz, wenn auch Sie etwas fragen möchten, dann
melden Sie sich doch einfach.
({1})
- Gesundheit. - Ich wollte angesichts der Tatsache, dass
der Wettbewerb um die immer weniger werdenden
Schulabgänger ja nun noch härter wird, fragen: Wie will
die Bundesregierung erreichen, dass gute Leute einen
Ausbildungsberuf ergreifen? Denken Sie, dass eine
Imagekampagne wie „Das Handwerk. Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan“, die das deutsche Handwerk gestartet hat, ein geeignetes Instrument ist, um junge Menschen an einer Ausbildung zu interessieren und sie
darauf vorzubereiten?
Ja, in der Tat. 46 Prozent des letzten Jahrgangs - Herr
Kamp hat das schon angesprochen; ich hatte vergessen,
das zu erwähnen - haben ein Studium aufgenommen.
Das ist - auch absolut - die höchste Zahl an Studienanfängern, die es je gab. Noch nie haben so viele Menschen in Deutschland ein Studium begonnen. Deshalb ist
klar, dass weniger Menschen mit Hochschulreife auf
dem Ausbildungsmarkt zur Verfügung stehen.
Wir gehen davon aus, dass sich das in den nächsten
ein bis zwei Jahren durch die doppelten Abiturjahrgänge
- jetzt drängen zwei Jahrgänge auf den Ausbildungsund Studienmarkt - und durch die Aussetzung der Wehrpflicht ein wenig nivelliert. Derzeit haben ungefähr
17 Prozent derer, die eine Ausbildung machen, die
Hochschulreife. Ich glaube, dass es in Zukunft gelingen
wird, insbesondere diejenigen Ausbildungsstellen, die
ein besonders hohes Anspruchsniveau haben und heute
unbesetzt bleiben, zu besetzen. Wir gehen davon aus,
dass es am Ausbildungsmarkt durch die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht keine
Engpässe geben wird. Vielmehr wird es uns sogar besser
gelingen, die hochspezialisierten Ausbildungsberufe mit
Bewerbern zu versorgen.
Nichtsdestotrotz wird der Wettbewerb um die Höherqualifizierten in der Zeit, in der diese beiden Effekte
nicht mehr wirken, ein relevantes Thema sein. Deshalb
wird im Juli dieses Jahres, wenn die nächste Sitzung
zum Ausbildungspakt stattfindet, eine entsprechende
Kampagne begonnen werden, um deutlich zu machen,
dass es in Deutschland viele tolle Ausbildungsberufe
gibt, die teilweise in anderen Ländern sogar als akademisches Studium angeboten werden. Wir müssen das mit
Maßnahmen der Aufstiegsmöglichkeiten flankieren. Es
muss klar sein, dass demjenigen, der sich zunächst für
eine Lehre entscheidet, der akademische Weg nicht für
alle Zeiten verschlossen ist. Derjenige, der sich zunächst
für den Weg einer Lehre entscheidet, soll, gerade als
Hochqualifizierter, attraktive Angebote vorfinden und
auch im weiteren Leben Aufstiegsmöglichkeiten haben.
Vielen Dank. - Das Fragerecht geht jetzt an den Kollegen Rossmann.
Herr Staatssekretär, manche der Probleme, die Sie
aufwerfen, sind ja regierungsunabhängig und haben
auch schon früher die Jugend- und Bildungspolitik beschäftigt. Sie haben den Rückgang der sogenannten Altbewerber angesprochen und bemerkenswerte Prozentzahlen genannt. Dies wirft eine Frage auf: Was sind die
konkreten berufsbildungspolitischen Maßnahmen jenseits der demografischen Entwicklung, die seitens der
Regierung und seitens der Wirtschaftspartner ergriffen
worden sind? Wenn diese Maßnahmen so erfolgreich
waren, sollten sie jetzt noch deutlich verstärkt werden,
damit in Zukunft nicht noch 180 000 junge Menschen
länger als ein Jahr auf eine Ausbildungsgelegenheit, eine
vollwertige Ausbildungsstelle warten müssen. Können
Sie aus der Analyse heraus sagen, dass Sie diese besonders effektiven Maßnahmen auch in Zukunft weiter ausbauen wollen?
In diesem Übergangssystem gibt es eine Reihe von
Maßnahmen. Neben den Altbewerbern geht es übrigens
auch um viele andere Gruppen, zum Teil um Personen,
die eine Ausbildung abgeschlossen haben, aber nicht den
Weg in die Berufstätigkeit finden. Hier setzen die Arbeitsmarktprogramme der Bundesregierung an. Wir
versuchen, diesen Menschen durch Nachqualifizierungsmaßnahmen in unterschiedlichster Weise Hilfestellungen zu geben.
Wichtig ist, dass wir auch nach erfolgreicher Vermittlung in eine Ausbildung das Konzept der sogenannten
Senior Experts verfolgen. Dabei handelt es sich um Ehrenamtliche, die Menschen mit besonderen Problemen
zum Beispiel bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützen, wobei jeweils ein Ehrenamtlicher für
einen Jugendlichen zuständig ist. Wenn im Rahmen
einer Ausbildung Probleme auftauchen und möglicherweise ein Ausbildungsabbruch droht, kann die Unterstützung in der Form fortgesetzt werden, dass sich der
Ehrenamtliche dafür einsetzt, dass die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen werden kann. Ich denke, unser
Instrumentenkasten im Bereich der Arbeitsmarktförderung ist an dieser Stelle außerordentlich groß. Dies wird
auch in Zukunft der Fall sein.
Vielen Dank. - Die nächste Frage hat die Kollegin
Alpers.
Herr Staatssekretär, ich freue mich sehr, dass wir
heute über den Berufsbildungsbericht sprechen. Mich
hat allerdings verwundert, dass Sie die Befragung der
Bundesregierung zu diesem Thema so schnell angesetzt
haben; denn der Berufsbildungsbericht liegt uns noch
gar nicht zur Einsicht vor. Da schon Stellungnahmen
vonseiten der Arbeitgeber, des BIBB und des DGB vorliegen, bitte ich Sie, dafür zu sorgen, dass auch uns der
Berufsbildungsbericht bald zukommt.
Nun zu meiner Frage. Sie sagen sehr häufig, dass es
schon heute viele Bereiche gibt, in denen die Zahl der
Ausbildungsplätze größer ist als die Zahl der Jugendlichen, die dafür infrage kommt, dass also teilweise sogar
ein Überangebot an Ausbildungsplätzen besteht. Sie
weisen außerdem darauf hin, dass die Gründe dafür, dass
diese Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können,
darin liegen, dass nicht die notwendige Ausbildungsfähigkeit vorhanden ist oder die erforderlichen schulischen
Qualifikationen nicht ausreichend sind. So lauten Ihre
Begründungen.
Wenn wir uns einen großen Ausbildungsbereich wie
das Hotel- und Gaststättengewerbe ansehen, dann stellen
wir fest, dass Ausbildungsplätze in diesem Bereich nicht
aufgrund der von Ihnen genannten Gründe nicht besetzt
werden. Die Gründe sind vielmehr die schlechte Vergütung, die nicht ausreichende Qualität - Frau von Obernitz
vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag hat
dies schon gerügt - und die sehr geringen Übernahmequoten. Im Hotel- und Gaststättenbereich zum Beispiel
werden nach Arbeitgeberangaben nur 14 Prozent der
Auszubildenden übernommen, und ein Koch verdient
nach dem Ende seiner Ausbildung zwischen 780 und
840 Euro netto. Im BIBB-Expertenmonitor ist hervorgehoben worden, dass die Ursachen nicht in der Leistungsfähigkeit der Auszubildenden, sondern in hohen Abbruchquoten, schlechter Qualität und schlechten
Perspektiven liegen. Vor diesem Hintergrund lautet
meine Frage an Sie, Herr Braun: Wie steht die Bundesregierung zu den Ausbildungsbereichen, in denen Ausbildungsplätze häufig nicht besetzt werden?
Liebe Frau Kollegin Alpers, zum Ersten. Das Kabinett hat den Berufsbildungsbericht 2011 heute Morgen
beschlossen. Nun wird er dem Bundestag förmlich zugeleitet. Dies entspricht dem normalen Verfahren. Deshalb
habe ich Ihnen die wesentlichen Ergebnisse des Berichts
zu Beginn der heutigen Befragung der Bundesregierung,
wie es üblich ist, kurz vorgestellt.
Zum Zweiten. Natürlich verbietet sich im Hinblick
auf die Frage: „Warum gelingt es bei einer so hohen Zahl
offener Ausbildungsstellen nicht, jedem unversorgten
Bewerber einen Ausbildungsplatz zukommen zu lassen?“ jede monokausale Erklärung.
Die erste mögliche Erklärung ist, dass ein Missverhältnis zwischen den hohen Ansprüchen in den Ausbildungsberufen auf der einen Seite und der Qualifikation
der Bewerber auf der anderen Seite besteht. Die zweite
mögliche Erklärung ist die mangelnde Attraktivität der
Ausbildungsberufe; darauf haben Sie hingewiesen. Es
gibt aber noch eine dritte mögliche Erklärung - ich habe
sie eingangs erwähnt -: Es gibt sehr große regionale Unterschiede. Deshalb ist es primär Aufgabe der Wirtschaft, dort, wo sie Bedarf an Arbeitskräften hat, attraktive Ausbildungs- und Beschäftigungsbedingungen zu
schaffen. Es ist die Aufgabe der Politik, die Mobilität der
Menschen zu fördern und ihre Ausbildungsreife zu verbessern, um auf diesem Wege möglichst auch die beiden
anderen genannten Probleme zu lösen. Ich denke, dann
ist in den kommenden Jahren ein weiterer Abbau der
Probleme im Bereich des Übergangssystems und hinsichtlich der Altbewerber möglich.
Vielen Dank. - Die nächste Frage hat die Kollegin
Hinz.
Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage des Kollegen Rossmann und Ihre Antwort anschließen, die mich
etwas verblüfft hat. Sie haben gesagt, der arbeitsmarktpolitische Instrumentenkasten der Bundesregierung
bleibe so breit. Seit kurzem wissen wir aber, dass das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Instrumentenkasten verändern und zum Beispiel ein wesentliches Element in der jetzigen Form abschaffen will, nämlich die Einstiegsqualifizierung, die vor allen Dingen
von der Koalition und der Bundesregierung immer ganz
besonders gelobt worden ist. Wir haben auch gehört, das
sei mit den Paktpartnern überhaupt noch nicht abgesprochen; das heißt, die Betriebe, die ebenfalls damit zufrieden waren, wissen noch gar nichts davon.
Deswegen stellen sich mir schon die Fragen: Sprechen die Regierungsmitglieder miteinander? Haben Sie
eine Strategie dafür, wie man den Übergang von der
Schule zur Ausbildung tatsächlich gut gestalten kann?
Warum sagen Sie, der Instrumentenkasten bleibe, obwohl wir schwarz auf weiß haben, dass etliche Abstriche
geplant sind? Wie passt das zusammen, und wo ist hier
eigentlich Ihre Konzeption?
Liebe Frau Kollegin Hinz, in der Vergangenheit gab
es gerade von denjenigen, die versucht haben, jungen
Menschen entsprechende Unterstützungsmaßnahmen
zuteilwerden zu lassen, viele Beschwerden, dass das
Sammelsurium an Maßnahmen im Übergangssystem so
groß ist, dass es schwer überschaubar ist.
Deshalb hat das Kabinett beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, an der das Wirtschaftsministerium,
das Arbeitsministerium, das Familienministerium und
das Bildungsministerium beteiligt sind. In dieser Arbeitsgruppe, die noch zu keinem Ergebnis gekommen
ist, sondern ein Ergebnis im Sommer dieses Jahres vorlegen wird, versuchen wir, die Maßnahmen im Übergangssystem möglichst so zu straffen, dass sie verzahnt
ineinandergreifen, damit sie handhabbar und für die
Menschen plausibel sind.
Zur Analyse gehört aber auch, anzuerkennen, dass der
kritisierte breitgefächerte Instrumentenkasten im Kern
nicht deshalb existiert, weil etwa die Bundesregierung so
breit, so differenziert und so undurchschaubar aufgestellt
wäre, sondern deshalb, weil wir es hier mit einem relativ
großen und breiten Engagement auch der Länder und
zum Teil der Kommunen sowie privater Initiativen zu
tun haben. Dieses private Engagement will und wird,
denke ich, niemand beschneiden wollen.
Hinsichtlich der Neustrukturierung im Übergangssystem des Bundes muss ich Sie also auf das Ergebnis der
Arbeitsgruppe vertrösten, das Mitte des Sommers vorliegen wird.
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Swen Schulz.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
hieran will und muss ich doch noch einmal anschließen,
weil wir natürlich eine ganze Menge darüber hören
- auch aus Regierungskreisen und durch öffentliche Verlautbarungen -, welche großartigen Veränderungen des
Instrumentenkastens, wie Sie das genannt haben, im Bereich der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen man
durchführen werde. Jetzt sagen Sie: Das alles ist noch
nicht so weit; man wird erst einmal sehen müssen, zu
welchen Ergebnissen die Arbeitsgruppe im Sommer
kommt.
Auch in der Beantwortung der Frage von Herrn
Rossmann haben Sie gesagt, dass der Instrumentenkasten erhalten bleibt. Das haben Sie auf Nachfrage von
Frau Hinz relativiert. Entnehme ich dem richtigerweise,
dass sich das Ministerium für Bildung und Forschung in
dieser Arbeitsgruppe und in der Bundesregierung dafür
einsetzen wird, dass es keine Einschnitte bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, keine Abschaffung des
Rechts auf das Nachholen eines Schulabschlusses und
keine Einschnitte im Bereich der Berufseinstiegsbegleitung geben wird?
Lieber Herr Kollege, Sie können von mir nicht erwarten, dass ich hier vonseiten der Regierung irgendwelche
Vermutungen anstellen werde; vielmehr sollten wir das
Verfahren einhalten. Zu den Fragen in Bezug auf das
Übergangssystem gibt es eine Arbeitsgruppe. Daneben
gilt das Prinzip der Ressortabstimmung. Ergebnisse gibt
es noch keine, und deshalb kann ich sie Ihnen hier auch
nicht irgendwie vorab oder in Form von Vermutungen
oder Ähnlichem kundtun. Die Bundesregierung spricht
auch an dieser Stelle mit einer Stimme. Zu den in der
Ressortabstimmung befindlichen Einzelmeinungen von
Ministerien werde ich mich hier nicht äußern.
Die nächste Frage stellt der Kollege Schummer.
Herr Staatssekretär, das Ziel einer frühzeitigen Berufsorientierung beim Übergang von der Schule in den
Beruf liegt auch darin, die Motivation für den Schulabschluss zu erhöhen. Dann weiß ein Jugendlicher, dass er
eine Perspektive hat: Er wird einen guten Beruf finden,
statt Hartz-IV-Empfänger zu werden. Das heißt, es geht
darum, die Abbrecherquote bei der Schulausbildung zu
reduzieren.
Das zweite Ziel besteht darin, die Suche nach einem
geeigneten Ausbildungsberuf so zu verbessern, dass
auch die Abbrecherquote bei der Berufsausbildung reduziert wird.
Wie werden sich Ihrer Ansicht nach in den nächsten
drei bis vier Jahren die Abbrecherquoten innerhalb der
Schule und in der Berufsausbildung weiter reduzieren
lassen?
Was die Schule angeht, hat sich die Bundesregierung
das Ziel gesetzt, die Zahl der Schulabbrecher zu halbieren. Da sind wir auf einem guten Weg. Allerdings ist
sehr stark nach Bundesländern zu differenzieren. In einigen Bundesländern ist es in den letzten Jahren gelungen,
die Zahl der Schulabbrecher sehr deutlich zu reduzieren.
In anderen Bundesländern ist sie in den letzten Jahren
sogar teilweise gestiegen.
({0})
Insofern besteht die Aufgabe fort. Die Bundesregierung
ist bereits mit der KMK über dieses Thema im Gespräch.
Unser Ziel bleibt die Halbierung der Schulabbrecherzahl. Die Europäische Union strebt an, dieses Ziel in die
Europa-2020-Strategie zu übernehmen. Das heißt, dieses
zentrale Bildungsziel wird in Zukunft auch auf europäischer Ebene verfolgt. Die Berechnungsweise der Europäischen Union unterscheidet sich ein bisschen von unserer, aber wir sind auf einem guten Weg. Wenn das Ziel
in den nächsten Jahren auf europäischer Ebene festgelegt
wird, wollen wir auch das erreichen.
Was die Abbrecherzahl bei der Berufsausbildung angeht, wollen wir insbesondere mit dem Instrument der
schon genannten Senior Experts arbeiten, indem wir in
den jeweiligen Berufen erfahrene Personen einsetzen,
wenn im Lehrbetrieb die Zeit nicht ausreicht, um sich
um individuelle Probleme des Auszubildenden zu kümmern, und es um Vermittlung und Motivation geht. Auf
diese Weise sollen einzelne von einem Ausbildungsabbruch bedrohte Jugendliche unterstützt werden, damit es
möglichst nicht zu diesem Schritt kommt. Wir haben
dazu keine konkreten Ziele formuliert, aber ich denke,
die Zahl der Abbrecher wird auch in den nächsten Jahren
rückläufig sein.
Wir kommen zur nächsten Frage des Kollegen
Kaczmarek.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
ich möchte noch einmal auf das Problem der regionalen
Ungleichgewichte und die Frage der Ausbildungsreife
zu sprechen kommen. In meinem Wahlkreis im östlichen
Ruhrgebiet und auch anderorts sind wir mit der Situation
konfrontiert, dass statistisch gesehen bis zu zwei Bewerber auf einen Ausbildungsplatz kommen. Das führt zu
Verdrängungseffekten, die nicht nur Schülerinnen und
Schüler ohne Schulabschluss betreffen, sondern auch
diejenigen mit einem qualifizierten Schulabschluss. Wie
sieht die Bundesregierung ihre Zuständigkeit bei der Beseitigung der regionalen Ungleichgewichte? Sieht sie
überhaupt eine Zuständigkeit, oder habe ich die Antwort
auf die Frage der Kollegin Alpers richtig verstanden,
dass sie sich auf Ratschläge an die Länder beschränken
will, die regionale Mobilität zu fördern?
Letzteres haben Sie falsch verstanden; denn wir sehen
selbstverständlich diese Aufgabe. Mehrere unserer Initiativen wie das Programm „Perspektive Berufsabschluss“ oder das Jobstarter-Programm können auch
zielgerichtet von Regionen in Anspruch genommen werden, die verschärfte Problemlagen haben.
Die letzte Frage stellt der Kollege Kretschmer.
Herr Staatssekretär, Sie haben die erfreulichen Zahlen
genannt, was die Ausbildungsplätze und die Tatsache
angeht, dass nicht mehr so viele junge Leute ohne Ausbildungsstelle dastehen. Das ist überall spürbar, auch bei
uns in den neuen Bundesländern. Darüber freuen wir uns
sehr.
Meine Frage ist, welche Entwicklung die Bundesregierung in Gesamtdeutschland in den nächsten Jahren
prognostiziert.
Vielen Dank. - Der vorliegende Berufsbildungsbericht 2011 geht davon aus - die statistischen Zahlen sind
bekannt -, dass die Zahl der Schulabgänger in den
nächsten Jahren weiter zurückgeht. In Ostdeutschland ist
sie schon auf einem relativen Tiefststand. In Westdeutschland wird in wenigen Jahren noch einmal ein
deutlicher Rückgang zu verzeichnen sein. Des Weiteren
sehen wir, dass die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen
aufgrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklung
momentan deutlich steigt.
Wir gehen daher davon aus, dass in den kommenden
Jahren die Lücke zwischen unversorgten Bewerbern und
denjenigen, die Ausbildungsplätze anbieten, verringert
werden kann, dass ein numerisches Überangebot an
Ausbildungsplätzen wahrscheinlich ist. Angesichts der
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit im letzten Halbjahresbericht - ich hatte sie bereits genannt - kann davon
ausgegangen werden, dass im Vergleich zu 2010/2011
48 000 zusätzliche Ausbildungsplätze angeboten werden
- das wäre ein Plus von 14 Prozent -, bei einer leicht geringeren Bewerberzahl in diesem Jahr. Es handelt sich
also um einen sehr stark nachfrageorientierten Markt,
was ganz im Sinne der Auszubildenden ist.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Gibt es Fragen zu
anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das
ist nicht der Fall.
Gibt es darüber hinausgehende Fragen? - Die Kollegin Inge Höger hat eine Frage angemeldet. - Bitte.
Vielen Dank. - Ich habe eine Frage an die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Absturz eines
US-Kampfflugzeuges in der Eifel. Am 1. April ist ein
Kampfflugzeug vom Typ A-10 in der Eifel bei Laufeld
abgestürzt. Uns wurde heute im Verteidigungsausschuss
gesagt, dass das Verteidigungsministerium nicht zuständig ist und dazu nichts sagen kann. Deshalb lautet meine
Frage - an wen auch immer in der Bundesregierung -: Ich
möchte gerne wissen, welche Maßnahmen die Bundesregierung in Absprache mit dem US-Militär unternommen
hat, um die Bevölkerung und die Umwelt vor Gefahren zu
schützen, die durch den Einsatz von uranhaltiger Munition und des Treibstoffes JP - das ist ein Spezialtreibstoff,
der die Umwelt verschmutzen kann - entstehen können.
Zur Beantwortung erhält Herr Staatsminister von
Klaeden das Wort. - Bitte schön.
Frau Kollegin, zunächst darf ich darauf hinweisen,
dass es sich hier um eine dringliche Frage handelt, die
vom Präsidium nicht zur Beantwortung zugelassen worden ist. Es ist eigentlich nicht meine Aufgabe, über die
Einhaltung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu wachen. Ich finde aber, dass es sich um eine
Umgehung der Regelungen der Geschäftsordnung handelt, wenn Sie jetzt eine dringliche Frage, die nicht zugelassen worden ist, stellen.
Gleichwohl will ich Ihnen kurz vortragen, was dazu
vorbereitet worden ist. Das am 1. April 2011 gegen
15.50 Uhr in der Nähe des rheinland-pfälzischen Ortes
Laufeld abgestürzte Flugzeug der US Air Force vom
Typ Thunderbolt II hatte nach Auskunft der US Air
Force ausschließlich Übungsmunition ohne abgereichertes Uran - Depleted Uranium - an Bord. Eine Kontamination der Absturzstelle durch sehr schwach radioaktives
DU kann daher ausgeschlossen werden. Die Bergung
und Sicherung der Übungsmunition erfolgte durch ein
Team des Kampfmittelräumdienstes der Air Base Spangdahlem. - Ich glaube, das beantwortet auch Ihre Fragen
im Hinblick auf die Gefahrenabwehr.
Danke schön. - Damit beende ich die Regierungsbefragung.
Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksachen 17/5321, 17/5356 Wir beginnen mit den dringlichen Fragen.
Es handelt sich zunächst um den Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Oliver
Krischer auf:
Wie begründet die Bundesregierung ihre unzureichende
Antwort auf meine schriftliche Frage 172 auf Bundestagsdrucksache 17/5016, wonach Brennelementekugeln aus dem
AVR Jülich nur in den 152 Castoren im Forschungszentrum
lagern, vor dem Hintergrund der aktuellen Aussagen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in der Antwort auf die
Kleine Anfrage ({0}), wonach über
den Verbleib von 2 285 Brennelementekugeln Unklarheit
herrscht, über die seit dem Wochenende diverse Medien ({1}) berichteten, und kann sie es ausschließen, dass die laut der Landesregierung von NordrheinWestfalen fehlenden Brennelementekugeln illegal in der Asse
eingelagert waren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Die Antwort auf die Frage des Abgeordneten Krischer lautet wie folgt: Die in der Antwort
angegebene Zahl von 288 161 Brennelementen, welche
in den 152 Castoren im AVR-Behälterlager des Forschungszentrums Jülich lagern, ist korrekt. Bezüglich
der in der dringlichen Frage angesprochenen Gesamtzahl
verweise ich auf meine Antwort auf die Frage 42, die ich
gleich geben werde.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat am 4. April
dieses Jahres mitgeteilt - ich zitiere -:
Die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung als vermisst gemeldeten 2 285 Brennelementekugeln aus dem früheren Forschungsreaktor in
Jülich befinden sich nicht in der Asse.
Weiterhin teilt das BfS, das Bundesamt für Strahlenschutz, mit - Zitat -:
Zwar sind 1976 in der Schachtanlage zwei Fässer
mit Brennelementekugeln aus dem Forschungszentrum Jülich eingelagert worden, dabei handelt es
sich jedoch um mittelradioaktive Abfälle und nicht
um hochradioaktive Abfälle. Diese Fässer liegen in
der 511 Meter tiefen sogenannten MAW-Kammer.
Diese Lieferungen sind der Atomaufsicht des Landes Nordrhein-Westfalen bekannt und auf der
Homepage des Bundesamtes für Strahlenschutz
veröffentlicht.
Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich gleich die
thematisch dazugehörende Frage 42 beantworten.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Oliver
Krischer auf:
Wie viele radioaktive Brennelementekugeln wurden insgesamt in der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich während seiner gesamten Betriebszeit über die 288 161 Kugeln
plus 124 Absorberkugeln, die derzeit in den 152 Castorbehältern in Jülich lagern ({0}), hinaus noch eingesetzt, und wo lagern diese Kugeln heute - bitte
exakte Zahlenangaben inklusive Kugelbruch?
Insgesamt wurden im Betrieb der AVR 290 705 Brennelementekugeln eingesetzt. Davon befinden sich
288 161 Brennelemente verpackt in 152 Castorbehältern
im AVR-Behälterlager des Forschungszentrums Jülich,
62 Brennelemente in den Heißen Zellen des Forschungszentrums Jülich. 197 Brennelemente befinden sich im
Reaktorbehälter. Diese sind größtenteils zerbrochen und
nicht mehr entnehmbar. Darüber hinaus gab es laut Aussage der AVR GmbH und des Forschungszentrums
Jülich 2 285 Brennelemente. Davon wurden die Bestandteile von 359 Kugeln als Kugelbruch aus dem
AVR-Reaktor entfernt und in Fässer einzementiert. Die
restlichen 1 926 Brennelemente wurden für Forschungszwecke genutzt und dabei größtenteils beschädigt oder
zerstört. Daher wird nicht die Anzahl von Kugeln, sondern werden die vorhandenen Kernbrennstoffmengen bilanziert.
Die bei diesen Versuchen genutzten Brennelemente
bzw. der entstandene Kugelbruch wurden ebenfalls in
Fässer einzementiert. Alle diese Fässer befinden sich - im
Gegensatz zu der Annahme in der Frage des Fragestellers - im Zwischenlager des Forschungszentrums Jülich.
Das Bundesministerium für Umwelt hat gestern nach einem aufsichtsrechtlichen Gespräch mit der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen,
dem Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen,
Folgendes amtlich festgestellt - Zitat -:
Nach Darstellung der Landesatomaufsicht lagern
diese 2 285 beim Betrieb oder bei nachfolgenden
Versuchen zerbrochenen Kugeln einzementiert im
Zwischenlager des Forschungszentrums Jülich.
Und weiter - Zitat -:
Die Darstellung der nordrhein-westfälischen Atomaufsicht zum Verbleib der Brennelementekugeln
wird durch die Prüfungen von Euratom, der Europäischen Atomgemeinschaft, belegt. Demnach weist
die Bilanzierung des Kernmaterials keine Lücken
auf.
Vielen Dank. - Haben Sie Nachfragen? - Bitte schön,
Herr Krischer.
Danke für die Ausführungen, Herr Kollege Rachel. Es ist schön, zu hören, dass Sie nunmehr eine Bilanz
über den Verbleib der Kugeln vorlegen können. Sie haben aber leider meine Frage nicht beantwortet, nämlich
warum Sie im Namen der Bundesregierung auf meine
Frage 2/411, in der ich genau nach dieser Bilanz gefragt
habe, nicht geantwortet haben. Sie haben mir lediglich
mitgeteilt, welche Kugeln in den Castoren liegen. Das
war vor etwa drei Wochen. Ich habe in der Vergangenheit schon mehrfach nach dieser Thematik gefragt und
habe darum gebeten, dass eine Bilanz bezüglich dieser
Kugeln gezogen wird, um endgültig zu klären, was in
der Asse gelandet ist und was nicht. Diese Frage ist von
Ihnen nie beantwortet worden. Deshalb meine Nachfrage: Warum haben Sie darauf bisher keine Antwort gegeben? Schließlich ist Ihr Ministerium in dieser Angelegenheit zuständig. Der Bund ist Mehrheitsgesellschafter
des Forschungszentrums Jülich mit 90 Prozent und sollte
daher über dezidierte Informationen verfügen.
Die in Ihre Frage eingebaute Unterstellung weise ich
zurück, Herr Kollege Krischer. Selbstverständlich hat
die Bundesregierung Ihre Frage korrekt beantwortet:
288 161 Brennelementekugeln sind im Forschungszentrum Jülich gelagert, und zwar in den entsprechenden
Castoren.
Ich glaube, dass jeder, der in den letzten Tagen mit
Spekulationen, dass über 2 000 Brennelementekugeln
verloren gegangen seien, für Unruhe in der Bevölkerung
gesorgt hat, Anlass hat, darüber nachzudenken, ob dies
die richtige Art und Weise ist, mit einem so ernsten
Thema umzugehen.
({0})
Zweite Nachfrage, Herr Kollege Krischer.
Ich möchte feststellen, dass Sie meine Frage wieder
nicht beantwortet haben. Sie haben lediglich gesagt, wie
viele Kugeln in den Castorbehältern sind. Sie haben aber
die Öffentlichkeit und den Bundestag, das Parlament,
über Monate hinweg im Unklaren darüber gelassen, wo
sich die weiteren Kugeln befinden. Das ist uns jetzt
erläutert worden. Ich muss leider feststellen: Sie sind
offensichtlich nicht bereit, diesen Punkt nach Ihrer vorherigen Verunklarung - ich möchte so weit gehen, hier
von Vertuschung zu sprechen ({0})
zu nennen.
Ich möchte eine weitere Frage stellen. Sie haben gesagt: 197 Kugeln befinden sich im Reaktorbehälter.
Nach meinen Informationen ist der Reaktorbehälter einbetoniert. Er ist derart stark verstrahlt, dass man ihn
nicht auseinanderbauen kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand in ihn gekrochen ist, um diese Kugeln
zu zählen. Ich möchte Sie um Auskunft darüber bitten,
wie die Anzahl der Kugeln im Reaktorbehälter - 197 ermittelt worden ist.
Ich stelle als Erstes fest, dass ich Ihnen gerade präzise
gesagt habe, dass insgesamt 290 705 Brennelementekugeln in der AVR Jülich in der Vergangenheit eingesetzt worden sind. Ich wiederhole: 288 161 Kugeln liegen in 152 Castorbehältern, 62 in Heißen Zellen, 197 in
Reaktorbehältern, und die anderen werden für Forschungsversuche verwandt und sind per Kugelbruch zerkleinert worden. Sie liegen einzementiert in Fässern des
Forschungszentrums Jülich. Diese Information ist ausreichend und im Übrigen präzise.
Sie und auch die Landesregierung von NordrheinWestfalen haben in den letzten Tagen den Eindruck erweckt, dass mehrere Tausend Brennelementekugeln fehlen. Ich möchte Sie daher damit konfrontieren, dass das
Bundesamt für Strahlenschutz am 3. April dieses Jahres
Folgendes festgestellt hat - Zitat -:
Statt über den möglichen Verbleib der Brennelementekugeln in der Asse öffentlich zu spekulieren,
hätte der Weg einer Klärung zusammen mit dem
BfS jederzeit offengestanden.
Ich glaube, das sollte in Ihren Ohren und auch in denen
der Landesregierung klingen.
({0})
Im Übrigen verwundert es mich sehr, wie Sie vorgehen. Ich kann nur feststellen, dass das Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen dem Bundesumweltminister über die vorhandenen und die zerbrochenen Kugeln
und ihre Lagerung im Forschungszentrum Jülich sehr
korrekt und präzise Auskunft gegeben hat. Deswegen
möchte ich Sie fragen, wie Sie in Ihrer Pressemitteilung
vom 2. April zu der Aussage kommen - Zitat Oliver
Krischer -:
Möglicherweise sind sie illegal und falsch deklariert in der Asse entsorgt worden und sind nun ein
wesentliches, milliardenschweres Problem dort.
Ich weise ausdrücklich zurück, wie hier dem Forschungszentrum und seinen über 4 000 Mitarbeitern Illegalität unterstellt wird.
({1})
Darüber hinaus schreiben Sie in Ihrer Pressemitteilung - Zitat Oliver Krischer -:
Ganz zu schweigen davon, wenn die Kugeln in die
Hände von Terroristen oder anderen gelangt sind.
({2})
Ich finde es unerhört, wie hier über den Zugang von Terroristen zu Kernbrennstoffen spekuliert und schwadroniert wird. Ich würde mir wünschen, dass Sie mit diesen
Themen ernsthaft umgehen, so wie sich das gehört.
({3})
Herr Krischer, Sie können keine Nachfrage mehr stellen.
({0})
- Sie haben schon zwei Nachfragen gestellt.
({1})
- Ach so, verstehe. - Bitte schön, dann haben Sie das
Wort zu einer weiteren Nachfrage.
Herr Kollege Rachel, zunächst einmal muss ich auch
hierzu wieder feststellen, dass ich danach gefragt habe,
wie Sie die Zahl der Kugeln im Reaktor, der mit Beton
ausgeschäumt wurde, ermittelt haben. Auch diese Frage
haben Sie jetzt nicht beantwortet. Sie beantworten hier
gar keine Fragen, sondern stellen Behauptungen auf, die
absolut nicht der Wahrheit entsprechen.
({0})
Deshalb möchte ich Sie noch einmal fragen. Ich habe
mehrfach - über Monate hinweg - das Bundesamt für
Strahlenschutz angeschrieben und um Auskunft bzw. um
eine Bilanz der Kugeln gebeten. Das alles ist dokumentierbar. Warum haben weder das Bundesamt für Strahlenschutz noch Sie klare Zahlen geliefert? Selbst auf
eine schriftliche Anfrage hier im Parlament - das liegt
alles vor - haben Sie eine nicht zutreffende, im günstigsten Falle unvollständige Antwort geliefert. Warum haben
Sie nicht für Aufklärung in dieser Frage gesorgt, und
warum unterstellen Sie anderen, dass sie Verunsicherung
betreiben,
({1})
wenn diese Nachfragen stellen und darüber nachdenken,
wo die Kugeln geblieben sein könnten? Ich erbitte von
Ihnen eine klare Auskunft, warum Sie meine Fragen in
der Vergangenheit nicht beantwortet haben.
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Präsident, Herr Abgeordneter Krischer, die Fragen sind genau beantwortet worden. Es ist genau das beantwortet worden, wonach gefragt wurde. Im Übrigen
weise ich darauf hin: Zuständige Aufsichtsbehörde ist
nicht das Bundesministerium für Bildung und Forschung, sondern das in der Verantwortung der rot-grünen
Landesregierung liegende Wirtschaftsministerium in
Nordrhein-Westfalen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie eigentlich
eine amtierende Wissenschaftsministerin dazu kommen
kann, die auch von Ihnen hier aufgeworfene Frage in den
Raum zu stellen, wenn sie gleichzeitig am Kabinettstisch
in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die
Möglichkeit hätte, den Wirtschaftsminister des Landes
Nordrhein-Westfalen um Auskunft zu bitten, der ganz
offensichtlich in der Lage ist, Auskunft zu geben.
Abschließend weise ich darauf hin, dass das Wirtschaftsministerium eine genaue Inventarliste vorliegen
hat und diese auch entsprechend überprüft.
Sie fragten nach der technischen Betrachtung bzw.
danach, wie viele Kugeln sich noch im Reaktor befinden. Dies ist mithilfe einer Videoinspektion im Behälter
erfolgt.
Sie haben noch eine Nachfrage, bitte.
Da Sie jetzt plötzlich die Zahlen sehr genau kennen
- das hatten Sie mir vorher trotz klarer und eindeutiger
Nachfragen nicht beantwortet -,
({0})
möchte ich Sie fragen, wie viele Kugeln beim Betrieb
des Reaktors zu Bruch gegangen sind, das heißt, wie
viele Kugeln beim Betrieb des Reaktors zerstört worden
sind und wie viele aktiv zerstört worden sind, um daran
Forschung zu betreiben.
Weiterhin möchte ich fragen, wo diese Daten dokumentiert sind und wo sie gegebenenfalls im Forschungszentrum einsehbar sind.
({1})
Herr Staatssekretär.
Ich freue mich, dass Sie weitere drei bis vier Fragen
gestellt haben.
({0})
Für die Auskunft ist das entsprechende Aufsichtsgremium, das Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen, zuständig. Ich darf wiederholen - daraus können
Sie ersehen, welche Kugeln vorhanden sind und welche
sich mittlerweile in einem anderen Zustand befinden -:
Es handelt sich um insgesamt 290 705 Brennelementekugeln. Davon befinden sich 288 161 in 152 Castoren.
Darüber hinaus gibt es 62 Brennelementekugeln in den
Heißen Zellen des Forschungszentrums Jülich. 197 Brennelementekugeln befinden sich im Reaktorbehälter. Im
Rahmen des Kugelbruchs sind 359 Kugeln aus dem
AVR-Reaktor entfernt und in Fässern zementiert worden.
Weiterhin gibt es 1 926 Kugeln, die für die Forschung
benutzt worden sind. Davon sind 197 kaputt.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Ott.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich bin schon erstaunt
darüber, mit welcher Unverfrorenheit hier behauptet
wird, dass unser Kollege selber Behauptungen aufstellt.
({0})
Ich finde, Sie sollten sich etwas zurückhalten, gerade angesichts der doch etwas dubiosen Verflechtungen, die da
zum Teil existieren.
Meine Frage ist: Kann die Bundesregierung ausschließen, dass neben den 86 Fässern mit bestrahlten
AVR-Absorberelementekugeln und den 8 Fässern mit im
Forschungsreaktor testweise bestrahlten AVR-Brennelementekugeln, die zwischen 1974 und 1978 in der Asse
eingelagert wurden, weitere radioaktive Abfälle in diesem Zwischenlager oder in anderen Zwischenlagern eingelagert wurden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege, ich weise darauf hin, dass das zuständige Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen gegenüber dem Bundesumweltministerium eindeutig belegt und erläutert hat, dass 2 285 beim Betrieb oder bei
nachfolgenden Versuchen zerbrochene Kugeln einzementiert im Zwischenlager des Forschungszentrums liegen.
Eine weitere Frage, und zwar des Kollegen
Kretschmer.
Herr Staatssekretär, ich möchte erst einmal zur Kenntnis geben, dass Sie unserer Meinung nach die Fragen,
die hier gestellt worden sind, ausführlich und zutreffend
beantwortet haben
({0})
und dass man sich auch in einer Fragestunde nicht in
dieser Weise beschimpfen lassen muss.
({1})
Ich habe eine Frage. Es gibt diejenigen, die eigentlich
dafür verantwortlich sind und die im Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen sitzen, und diejenigen, die
diese Diskussion losgetreten haben und über Tage in der
deutschen Öffentlichkeit Angst und Besorgnis ausgelöst
haben, was aber ganz offensichtlich unbegründet ist. Ist
der Grund dafür Unkenntnis und Unfähigkeit, die Dinge
im eigenen Hause aufzuklären, oder ist der Grund vielleicht der, dass viel Bösartigkeit und Propaganda im
Spiel sind? Was halten Sie für wahrscheinlicher?
Ich glaube, die Zuschauer können sich ihr eigenes Urteil an dieser Stelle bilden. Ich will nur ergänzen, dass
sich seit Jahren, seit zwei Jahrzehnten an dem Verbleib
der Kugeln und der bei Kugelbruch zerbrochenen Kugeln in der Gesamtzahl, die ich vorhin genannt habe, im
Forschungszentrum Jülich nichts verändert hat;
({0})
nicht vor einer Woche, nicht vor einem Monat, nicht vor
einem Jahr, nicht vor mehreren Jahren hat sich da etwas
verändert. Insofern ist es schon sehr auffällig, dass plötzlich eine Debatte über eine Frage angestoßen wird, die
durch eine einfache Rückfrage
({1})
des Landeswissenschaftsministeriums beim zuständigen
Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen oder
beim Bundesamt für Strahlenschutz zu klären gewesen
wäre.
Eine weitere Frage, und zwar der Kollegin Undine
Kurth.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
völlig unabhängig von der Zuordnung von Eigenschaften zu unseren Fragen müssen Sie verstehen - ich
glaube, das können alle verstehen -, dass ein hohes Interesse an der Belastbarkeit der Informationen
({0})
und auch an der Beantwortung der Frage besteht: Wohin
sind die Kugeln denn nun wirklich gekommen? Da es
eine Pressemitteilung des Forschungszentrums Jülich
gibt, nach der bis auf Milligramm genau zu dokumentieren ist und auch dokumentiert werden könne, wo die
Kugeln verblieben sind, frage ich hier: Sind diese Dokumente einsehbar? Sind sie öffentlich zugänglich?
Können wir sie einsehen und, wenn ja, wo? Das frage
ich vor dem Hintergrund, dass auch Ruß und Staub entstanden sind. Wenn es um Milligramm geht, müssen wir
wissen, wo was geblieben ist.
Ich habe großes Verständnis für das Informationsbedürfnis - ich teile das im Übrigen -, aber es sollte um
das Informationsbedürfnis gehen;
({0})
in diesem Falle werden wir gern behilflich sein. Die zuständige Behörde, an die Sie Ihre diesbezügliche Anfrage richten können, ist das zuständige Landeswirtschaftsministerium in Düsseldorf.
({1})
Es gibt zwei weitere dringliche Fragen, und zwar der
Kollegin Dorothee Menzner, die im gleichen Sachzusammenhang stehen. Herr Staatssekretär, wollen Sie die
zusammen beantworten?
Wenn das der Fragestellerin recht ist, würde ich sie
zusammen beantworten.
Dann rufe ich die dringlichen Fragen 2 und 3 auf:
Lässt sich anhand der der Bundesregierung vorliegenden
Inventarlisten der Verbleib von Brennelementen und hochradioaktiven Abfällen aus Forschungsreaktoren generell lückenlos darstellen, und welche Informationen hat sie diesbezüglich
über den Verbleib des radioaktiven Inventars des Forschungsreaktors Jülich?
Welche Unternehmen bzw. Behörden sind nach Auffassung der Bundesregierung zuständig für die lückenlose Dokumentation des Verbleibs von radioaktivem Inventar aus dem
Forschungsreaktor Jülich?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Meine Antwort auf die erste Frage der Kollegin
Menzner lautet: Der Bestand an Kernbrennstoffen und
hochradioaktiven Abfällen unterliegt strengen Dokumentationspflichten. Die rechtliche Grundlage für die
Dokumentation und Meldung radioaktiver Abfälle stellt
§ 70 Strahlenschutzverordnung dar. Zudem wird der Bestand an Kernbrennstoffen unabhängig von Euratom und
der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEO überwacht. Nach § 24 Atomgesetz üben die Länder über Anlagen oder den Umgang mit Kernbrennstoffen die atomrechtliche Aufsicht aus und sind damit auch für die
Überwachung der Dokumentations- und Meldepflicht
zuständig. Das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Strahlenschutz führen die Aufsicht über die
Länder.
Nach Angaben des Forschungszentrums Jülich, in
dessen Zwischenlager die Brennelemente bzw. deren
Kernbrennstoffe aus dem Betrieb des AVR lagern, ist der
Gesamtbestand an spaltbarem Material lückenlos dokumentiert. Dieser Bestand wird regelmäßig dem Ministe11564
rium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf
sowie der Euratom, Ersterer als atomrechtlicher Aufsichtsbehörde, gemeldet. Das Wirtschaftsministerium in
Nordrhein-Westfalen hat inzwischen gegenüber der
Bundesregierung bestätigt, dass die vom FZJ gegenüber
Euratom erklärte Kernbrennstoffbilanzierung keine
Lücken aufweist.
Meine Antwort auf die zweite Frage, die Kollegin
Menzner gestellt hat, lautet: Die in den AVR-Brennelementekugeln enthaltenen und im Zwischenlager des FZJ
lagernden Kernbrennstoffe bedürfen zur Aufbewahrung
einer Genehmigung nach § 6 Atomgesetz. Für die Erteilung einer solchen Genehmigung ist nach § 23 Atomgesetz das Bundesamt für Strahlenschutz zuständig. Vollzug und Überwachung der Genehmigung obliegen nach
§ 24 Atomgesetz den Landesbehörden, also in Nordrhein-Westfalen dem bereits genannten Ministerium für
Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr. Dies
schließt auch die Pflicht zur Dokumentation mit ein; das
war ja der Kern Ihrer Frage.
Die während des Betriebs des AVR sowie bei Nachuntersuchungen zerstörten Kugeln lagern zementiert im
Zwischenlager des FZJ, das nach § 3 Strahlenschutzverordnung ({0}) durch die Landesbehörden in
Nordrhein-Westfalen genehmigt ist und auch beaufsichtigt wird. Auch hier ist die Pflicht zur Dokumentation
eingeschlossen.
Nachfragen?
Herr Staatssekretär, Sie haben die letzten Tage klären
können, wo diese Kugeln abgeblieben sind. Am Wochenende war die Unruhe nicht unerheblich und, so sage
ich einmal, deswegen nicht ganz so schnell zu beheben,
({0})
weil nicht nachweisbar war, dass sie nicht in der Asse lagern. Es war ja der Verdacht aufgetaucht, dass sie ähnlich wie die Moderatorkugeln in der Asse abgeblieben
sein könnten.
({1})
Man konnte das auch dort anhand der Inventarlisten
nicht im Umkehrschluss ausschließen. Wie bewerten Sie
das?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke schön, Herr Präsident. - Die am Wochenende
geäußerten spekulativen Bemerkungen haben tatsächlich
- das ist auch sehr zu bedauern - zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Das ist auch der Grund
gewesen, warum der Bundesumweltminister sofort am
Montag veranlasst hat, dass das zuständige Wirtschaftsministerium als Aufsichtsbehörde klarstellt - das ist ja
dann am Dienstag geschehen -, ob es, und in dem Fall,
dass es Kenntnis über den genauen Zustand bzw. den genauen Aufenthalt sämtlicher Kernbrennstoffe und
Brennelemente in Kugelform und anderer Form in Jülich
hat.
Im Übrigen hat das Bundesamt für Strahlenschutz
- das zu der These, die in Ihrer Frage enthalten ist noch einmal ausdrücklich klargestellt - ich zitiere -:
Die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung als vermisst gemeldeten 2 285 Brennelementekugeln aus dem früheren Forschungsreaktor in
Jülich befinden sich nicht in der Asse.
Ich will es noch einmal betonen: „nicht in der Asse“.
Weitere Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, geben Sie mir recht, wenn ich als
Niedersächsin nach den Vorkommnissen im Umfeld der
Asse, die wir dort erleben müssen, und auch nach den
Dingen, die in den letzten Jahren ans Tageslicht gekommen sind, anmerke, dass die Inventarlisten in der Vergangenheit offensichtlich nicht immer in einer Weise geführt wurden, die dem Sachverhalt angemessen ist? So
ist nach meinem Kenntnisstand der Verbleib der Moderatorkugeln aus Jülich in der Asse erst durch die Arbeit
des Untersuchungsausschusses des Niedersächsischen
Landtages bekannt geworden.
Ihre persönliche und gefühlsmäßige Wahrnehmung,
die Sie beschrieben haben, ist so, wie sie ist. Sie verstehen sicherlich, dass ich sie nicht kommentieren möchte.
Generell will ich sagen: Heute legen wir in diesem
Bereich richtigerweise sehr viel strengere Maßstäbe an
die Dokumentation an, als dies in früheren Jahren - in
diesem Fall geht es um Vorgänge, die vor 40 Jahren
stattgefunden haben - der Fall gewesen ist. Ich finde es
richtig, dass unsere heutigen Ansprüche höher sind.
Für die Menschen, aber auch für die Abgeordneten,
die aus dieser niedersächsischen Region kommen, ist die
Stellungnahme des Bundesamtes für Strahlenschutz sicherlich hilfreich, dass sich keine der 2 285 Brennelementekugeln aus dem früheren Forschungsreaktor in
Jülich in der Asse befindet. Ich freue mich, wenn Sie zur
Klarstellung dieses Sachverhaltes beitragen.
Weitere Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, es ist durchaus richtig, dass diese
Sachverhalte einige Jahre zurückliegen. Stimmen Sie
mir aber zu, dass sowohl die Landesregierung als auch
die Bundesregierung gefordert sind, diese Versäumnisse
der Vergangenheit schnellstmöglich und mit größtmöglicher Transparenz aufzuarbeiten?
Das Bemühen, hier für Transparenz und für ein geordnetes Verfahren zu sorgen, ist bei allen Beteiligten
auf lokaler, regionaler sowie auf Landes- und Bundesebene inklusive des Bundesumweltministers erkennbar.
Die Probleme müssen selbstverständlich gelöst werden.
Danke schön. - Jetzt eine Zusatzfrage des Kollegen
Krischer.
Ich will jetzt nicht darauf eingehen, dass meine Fragen, die genau diesen Sachverhalt betreffen, über Monate nicht beantwortet wurden, jetzt aber ohne Weiteres
beantwortet werden können.
Ich habe den Zahlen, die Sie genannt haben, entnommen, dass es einen Kugelbruch bei 395 Brennelementekugeln gibt. Hinzu kommt eine relevante Anzahl von
Kugeln - nämlich 197 -, die sich nach wie vor im Reaktor befinden. Ich komme also insgesamt auf knapp
600 Kugeln. Bisher wurde im Zusammenhang mit dem
Kugelbruch immer von 200 Brennelementekugeln gesprochen. Es handelt sich jetzt um eine deutlich höhere
Zahl.
Wenn ich mir vor Augen führe, dass das Problem
beim Betrieb sowohl des THTR in Hamm-Uentrop als
auch des Versuchsreaktors in Jülich der Kugelbruch war
und dieses Problem im Fall von Hamm-Uentrop letztendlich zur Stilllegung führte, dann muss ich schon die
Frage an Sie stellen: Sollte möglicherweise nicht bekannt werden, dass das Ausmaß des Kugelbruchs in der
Vergangenheit wesentlich höher war? Die ehemalige
Wirtschaftsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen,
Frau Thoben von der CDU, hat nämlich im Jahr 2006
sehr deutlich eine Wiederbelebung der Kugelhaufentechnik gefordert:
Wir haben uns, nach meiner Überzeugung in einer
Kurzschlussreaktion, aus der THTR-Technik verabschiedet. Dieser Ausstieg war ein Fehler!
Deshalb meine Frage an Sie: Sollte die Zahl der Kugelbruchfälle möglicherweise deshalb kleingerechnet
werden, damit dieses Problem, woran die damalige
Technik gescheitert ist, zukünftigen Projekten der mittlerweile abgewählten CDU/FDP-Landesregierung nicht
im Wege stand?
Ich glaube, spätestens jetzt hat jeder erkennen können, was der Hintergrund Ihrer Fragestellung und Ihrer
Angriffe ist.
({0})
Ich kann die von Ihnen vorgetragenen Zahlen eindeutig nicht bestätigen. Ich verweise vielmehr auf die im
Protokoll festgehaltenen Zahlen, die ich nicht ein drittes
Mal anführen möchte. Diese Zahlen unterscheiden sich
deutlich von den von Ihnen genannten Zahlen. Das sind
die amtlich festgestellten Zahlen, wie sie auch vom Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen der übrigens
von Ihnen mitgetragenen rot-grünen Landesregierung
ausdrücklich bestätigt werden.
Sie fragen nach der Technologie. Ich weise darauf
hin, dass diese Reaktorlinie mit der Schließung des
THTR vonseiten der Bundesregierung nicht weiter verfolgt worden ist.
Es gibt eine weitere Frage des Kollegen Dr. Ott.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, angesichts dieser
doch sehr absurden Geschichte von Tausenden von kleinen Kügelchen, die irgendwo in irgendwelchen Ritzen
stecken oder zu Staub zermahlen sind, frage ich: Ist die
Bundesregierung nicht der Ansicht, dass es im Nachhinein eine richtige Entscheidung war, nicht nur diese
Atomtechnologie nicht weiter zu verfolgen, die noch gefährlicher ist als alles andere, was wir in diesem Land
sowieso schon am Netz haben?
Herr Präsident, zur Frage der Technologie habe ich
gerade alles gesagt.
Sie sprechen von Staub in Ritzen usw. Ich will darauf
hinweisen: Wir haben es hier mit Brennelementekugeln
zu tun. Ein Teil dieser Brennelementekugeln ist im Betrieb zerstört worden. Ein Teil ist somit zerkleinert worden, um es einmal bildlich zu sagen. Ein Teil der Brennelementekugeln ist seit den 60er-Jahren im Rahmen der
Forschungsversuche bewertet worden und anschließend
vonseiten der Wissenschaftler zerkleinert und zerstört
worden, um diese nicht mehr in andere Hände kommen
zu lassen. Sie sind anschließend einzementiert worden.
Jeder kann sich vor Augen führen, wie lange dies her ist.
Sowohl die Kugeln an sich als auch die zerkleinerten
Kugeln sind also in einer Art und Weise behandelt worden, die dem Material angemessen ist. Die Einlagerung
in ein deutsches Zwischenlager mit den höchsten Sicherheitsstandards, die wir haben, stellt sicher, dass damit
ordnungsgemäß umgegangen wird.
({0})
Sie hatten eine Frage. Jetzt hat der Kollege Fischer
das Fragerecht.
Herr Staatssekretär! Haben Sie gerade vor dem Hintergrund der jetzt gestellten Frage zum Verschwinden
von Staub und Ähnlichem in Ritzen mit mir den Eindruck, dass man alle diese Fragen der eigenen Regierung
und den eigenen Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen hätte stellen können und
dass man sie ohne das Stellen einer Dreiecksfrage hätte
klar beantwortet bekommen können? - Hätte man damit
nicht die Chance gehabt, eine ehrliche Diskussion zu
führen und nicht nur eine Verängstigung der Bevölkerung herbeizuführen?
({0})
Meine Antwort lautet: Ja.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin
Cornelia Pieper zur Verfügung. Es handelt sich um die
dringliche Frage 4 der Kollegin Sevim Dağdelen:
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung am
1. April 2011 im Rat der Europäischen Union einer Militäroperation der Europäischen Union, EUFOR Libya, im schriftlichen Verfahren zugestimmt, und beabsichtigt die Bundesregierung die Entsendung von Bundeswehreinheiten im
Rahmen dieser Militäroperation?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr verehrte Frau
Abgeordnete Dağdelen, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Nach dem Beschluss des Rates vom 21. März
2011 und der Annahme des Krisenmanagementkonzepts
war ein weiterer Ratsbeschluss erforderlich, um Planungen der Europäischen Union weiterführen zu können.
Dieser Ratsbeschluss bedeutet allerdings nicht, dass es
automatisch zu einer Operation kommt. Der Beginn einer Operation setzt nämlich die Vorlage und Billigung
eines Operationsplanes durch den Rat voraus sowie eine
separate Entscheidung des Rates, die Operation auch tatsächlich zu beginnen.
Dies kann im konkreten Fall einer militärischen Operation zur Unterstützung von humanitärer Hilfe erst dann
finalisiert und beschlossen werden, wenn eine Anfrage
des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung
humanitärer Angelegenheiten - in Kurzform OCHA vorliegt. Die geplante Operation EUFOR Libya soll,
wenn OCHA darum ersuchen sollte, die Mandate der
Resolutionen 1970 und 1973 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen untermauern, indem sie erstens einen
Beitrag zum sicheren Transport und zur Evakuierung
von Staatsangehörigen dritter Staaten leistet und zweitens die humanitären Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit durch die Bereitstellung von spezifischen militärischen Fähigkeiten unterstützt.
Im Laufe der Eventualfallplanung wird das mit den
operativen Planungen beauftragte Hauptquartier in Rom
bei den EU-Mitgliedstaaten abfragen, ob und gegebenenfalls welche Kräfte sie zur Verfügung stellen würden.
Für eine Antwort würde den Mitgliedstaaten natürlich
eine gewisse Zeitspanne gegeben werden. Eine offizielle
Anfrage nach Kräften würde voraussichtlich erst nach
Annahme eines Operationskonzepts durch den Rat im
Rahmen der Streitkräftegenerierungskonferenz stattfinden.
Die Bundesregierung würde sich einer Anfrage von
OCHA zur Absicherung und Unterstützung von humanitären VN-Hilfsleistungen durch die EU nicht verschließen. Auch die Nutzung der in Bereitschaft stehenden
Verbände zur schnellen Krisenreaktion, der sogenannten
EU-Battle-Groups, oder von Teilfähigkeiten ist möglich.
Mit der Frage eines deutschen Beitrags wird sich die
Bundesregierung im Lichte der zum Zeitpunkt einer
eventuellen OCHA-Anfrage durch die EU anzustellenden Risiko- und Bedrohungsanalyse befassen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist daher noch nicht klar, ob es sich dabei gegebenenfalls um einen mandatierungspflichtigen
Einsatz handelt. Sollte dies der Fall sein, wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag zeitgerecht um
Erteilung eines Mandates ersuchen.
Gibt es Nachfragen, Frau Dağdelen? - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Pieper,
wir haben heute im Auswärtigen Ausschuss ganz kurz
über Libyen gesprochen. Staatssekretär Born ist in diesem Zusammenhang auch kurz auf die EU-Battle-Groups
eingegangen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer möchte
ich darauf hinweisen, dass Battle Group wörtlich übersetzt Schlachtgruppe heißt. Das ist ein Kampfverbund,
also eine militärische Einheit.
In meiner dringlichen Frage habe ich vor allen Dingen gefragt, aus welchen Gründen die Bundesregierung
dem Vorratsbeschluss, der besagt - das haben Sie richtig
dargestellt -, dass erst einmal eine Anfrage vorliegen
muss, im schriftlichen Verfahren, was sehr ungewöhnlich ist, zugestimmt hat. Sie haben noch nicht erklärt,
warum man das gemacht hat.
Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, um folgende Nachfrage zu stellen: Gibt es konkretere Planungen bezüglich des Einsatzes einer EU-Battle-Group? Bisher wurden sie ja noch nie eingesetzt, sondern sie waren
immer nur im Stand-by-Modus. Wenn überhaupt, welche
Battle Group soll dann zum Einsatz kommen? Laut Vorratsbeschluss kann es mit Zustimmung der Bundesregierung auch zu Einsätzen in Grenzregionen - Ägypten oder
Tunesien - kommen. Ist aber auch ein militärischer Einsatz in Libyen in Erwägung gezogen worden, und wie
steht die Bundesregierung zu dieser Frage?
Frau Abgeordnete, zu den Gründen will ich noch einmal ganz klar sagen: Wir wollen nicht, dass es zu einer
humanitären Katastrophe in Libyen kommt. Ich glaube,
dass Sie das auch nicht wollen. Es geht hier nicht um die
Zustimmung zu einer militärischen Aktion, die Sie hinterfragen. Wir wollen die Durchführung einer humanitären Aktion ermöglichen. Der Weg bis dahin ist aber noch
weit. Ich habe Ihnen das Verfahren gerade vorgestellt.
Ich könnte das jetzt auch noch einmal vorlesen. Ich will
an dieser Stelle aber daran erinnern, dass sich die UN
eindeutige Richtlinien gegeben haben, die Sie kennen:
die Osloer Richtlinie und die Richtlinie für „Military and
Civil Defence Assets“. Darin heißt es, dass der Einsatz
militärischer Mittel „the last resort“ ist. Es ist also das
letzte Mittel, um humanitäre Katastrophen zu verhindern. Das will ich noch einmal eindeutig herausstellen.
Zu Ihrer Bemerkung, „Battle Group“ einfach wörtlich
zu übersetzen, möchte ich Folgendes sagen: Eine Battle
Group besteht aus insgesamt 2 000 Personen. Deutschland stellt für eine der beiden derzeit aktiven Battle
Groups umfangreiche Komponenten zur Verfügung, insgesamt 990 Soldaten, darunter für den humanitären Einsatz besonders geeignete Kräfte wie Sanitäter und Pioniere.
Ich möchte noch einmal ausdrücklich sagen: Die
OCHA hält eine Anfrage nach militärischer Unterstützung für humanitäre Aktionen für derzeit nicht erforderlich, da eine ausreichende Bewegungsfreiheit der Helfer
gegeben ist. Dennoch kann es eine solche Anfrage geben. Daher befasst man sich nun vorsorglich mit diesen
Planungen. Das bedeutet nicht, dass diese dann auch umgesetzt werden. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es
bedarf eines Operationskonzeptes und vieles andere
mehr; aber das wissen Sie auch, Frau Abgeordnete. Deswegen stellen sich diese Fragen aktuell nicht.
Frau Kollegin Dağdelen, eine zweite Nachfrage. Bitte
schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin,
wir als Fraktion legen selber fest, ob eine Frage sinnvoll
ist oder nicht. Sie sagen, die OCHA hält einen militärischen Einsatz mit Blick auf die humanitäre Situation im
Moment für nicht notwendig. Da fragt man sich schon,
warum ein Ministerrat, bevor er überhaupt zusammenkommen kann, im schriftlichen Verfahren einen solchen
Vorratsbeschluss für einen Militäreinsatz fasst. Diese
Frage ist durchaus legitim. Sie meinten, der Grund dafür
wäre, dass man eine humanitäre Katastrophe verhindern
wolle; das ist auch in unserem Sinne; da haben Sie recht.
Es ist in unser aller Interesse, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden.
Ich möchte dennoch gern wissen, inwiefern für die
Bundesregierung dieser Vorratsbeschluss und ein eventueller militärischer Einsatz zur Unterstützung der Umsetzung humanitärer Hilfe vereinbar ist mit der alltäglichen
Zurückweisung von Flüchtlingen an der Seegrenze durch
die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX - sofern sie nicht
völlig seeuntüchtige Boote verwenden - und mit der Tatsache, dass mehrere EU-Mitgliedstaaten zeitgleich Luftangriffe auf Libyen durchführen, bei denen Menschen
getötet werden, dabei die Lebensgrundlagen dieser Menschen zerstören, zu einer Eskalation und Verlängerung
des Bürgerkrieges beitragen, was wiederum mehr Flüchtlinge und Hilfsbedürftige erzeugt.
Frau Abgeordnete, Sie wissen, dass sich die Bundesregierung, was die Flugverbotszone anbelangt, im
UN-Sicherheitsrat bewusst der Stimme enthalten hat.
Trotzdem sage ich Ihnen eindeutig: Wir werden nicht
wegschauen, wenn es zu einer humanitären Katastrophe
kommt. Die Lage der Flüchtlinge macht uns sehr betroffen. Wir haben das im Auge. Und weil wir das im Auge
haben, hat der Außenministerrat vom 21. März 2011 Planungen für eine gemeinsame Unterstützung von humanitären Hilfsmaßnahmen der Vereinten Nationen und der
OCHA aufgenommen; auch die Hohe Vertreterin Ashton
wurde ersucht, Schlussfolgerungen zu ziehen. Das steht
im Vordergrund unserer Bemühungen.
Ich bitte Sie, nicht immer wieder zu unterstellen, dass
die Bundesregierung dort militärische Aktionen beabsichtigt. Das ist nicht unser Ziel. Das haben wir bereits
mehrmals deutlich gemacht.
Jetzt gibt es eine Frage der Kollegin Kolbe.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Nachfrage, die
sich mir aufdrängt, betrifft die Strategie der Bundesregierung im Fall von Libyen. Die Bundesregierung hat
sich im UN-Sicherheitsrat enthalten, und zwar mit der
Begründung, dass man sich nicht in diesen Konflikt einmischen möchte und auch nicht mit Truppen dort eingreifen will. Ich habe es so verstanden, dass es bei dem
Beschluss zur Flugverbotszone und dem dort erteilten
Mandat darum geht, humanitäre Katastrophen und Massaker des Diktators Gaddafi am eigenen Volke zu verhindern. Die Bundesregierung hat sich enthalten. Jetzt aber
gibt es einen Vorratsbeschluss. Ich habe Sie so verstanden, dass eine militärische Beteiligung, also eine Beteiligung von deutschen Soldaten in Libyen, nun doch denkbar ist. Kann ich daran erkennen, dass sich die
Bundesregierung in ihrer Strategie zum Thema Libyen
korrigiert?
Nein. Wir haben deutlich gemacht - und das sage ich
jetzt noch einmal -, dass wir nicht wollen, dass es dort
zu einer humanitären Katastrophe kommt. Wir werden
uns aber nicht an der internationalen Flugverbotszone
beteiligen. Das zum einen.
Zum anderen ist es auch wichtig, dass die Bundesregierung den Bündnispartnern zeigt, dass wir entsprechend unseren Möglichkeiten alles tun werden, um humanitäre Hilfe zu leisten. Wir haben die notwendigen
Mittel dafür aufgestockt; das wissen Sie, Frau Abgeordnete. Sie wissen auch, dass die Bundesregierung sehr
deutlich gemacht hat, dass Gaddafi weg muss, dass wir
mit Sanktionen, die wir von Anfang an eingefordert haben, Druck auf Gaddafi und sein Regime ausgeübt haben. Die Bundesregierung hatte in Europa hier eine Vorreiterrolle eingenommen. Ich glaube, das ist der beste
Weg, um Gaddafi zum Rücktritt zu zwingen. Sie können
sicher sein, dass wir das auch weiter im Auge behalten
werden.
Eine Frage der Kollegin Inge Höger.
Frau Pieper, meines Erachtens haben Sie die Frage
meiner Kollegin Dağdelen immer noch nicht beantwortet. Im UN-Sicherheitsrat hat sich die Bundesregierung
enthalten und bewusst gesagt, sie wolle nicht militärisch
in den Konflikt in Libyen eingreifen, sondern sehe, ganz
im Gegenteil, andere außenpolitische Maßnahmen als
sehr viel wichtiger und erfolgversprechender an. Jetzt
stimmen Sie einem EU-Einsatz zu. Das erschließt sich
mir nicht. Für mich ist das ein Widerspruch. Ist das ein
Strategiewechsel, oder gibt es eine konkrete Anforderung vonseiten der UN, dass sich nicht nur die NATO,
sondern jetzt auch die EU militärisch an diesem Projekt
beteiligen soll? Will sich die Bundesregierung an einer
Militäroperation beteiligen?
Nein, es gibt keine konkreten Anforderungen. Die
Bundesregierung wird sich auch nach diesem Vorratsbeschluss nicht zwangsläufig an militärischen Aktionen beteiligen. Hier geht es nicht um einen Automatismus. Ich
will Ihnen noch einmal ganz klar sagen, was die VN-Leitlinien vorsehen: Diese fordern unter anderem, dass alle
zivilen Möglichkeiten ausgeschöpft sein müssen, bevor
überhaupt militärische Unterstützung für humanitäre Aktionen gewährleistet wird; das habe ich bereits gesagt.
Militärische Unterstützung ist erst als letztes Mittel anzuwenden. Dafür - das habe ich auch schon gesagt - gibt es
derzeit keine Anfragen.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin.
Wir kommen jetzt zu den übrigen Fragen auf Drucksache 17/5321 in der üblichen Reihenfolge. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht zur Verfügung der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Hermann Kues.
Zunächst rufe ich die Frage 1 der Kollegin Caren
Marks auf:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, und wenn
ja, welche, ob das im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz,
BEEG, angegebene Einsparvolumen von 10 Millionen Euro
für die Begrenzung des Elterngeldes nach Einkommenshöhe
erreicht werden kann, insbesondere vor dem Hintergrund der
Stellungnahme des Bundesrechnungshofes an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vom 16. Februar 2011
zum BEEG, wonach die Festlegung der neuen oberen Einkommensgrenzen zu einem „nicht unerheblichen, nur schwer
bezifferbaren Verwaltungsaufwand führen“ werde?
Frau Kollegin Marks, unser Ausgangspunkt war, dass
sich bei Wirksamkeit der Regelung Minderausgaben in
Höhe von maximal 10 Millionen Euro pro Jahr ergeben
würden. Wir haben keinerlei Erkenntnisse, dass dieses
Einsparvolumen seit Inkrafttreten dieser Regelung, die
ja erst seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt, nicht erreicht
wird. Wenn man bereits jetzt im April konkrete Erkenntnisse haben wollte, müsste man von den Ländern entsprechende Daten erheben lassen. Das wäre bei den Ländern mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden,
der unseres Erachtens nicht tragbar ist, weil wir keinen
Anhaltspunkt dafür haben, dass dieses Einsparvolumen
nicht erreicht wird.
Nachfrage, Frau Marks?
Die Antwort stellt mich keineswegs zufrieden. Für
mich ist es unbefriedigend, etwas in Aussicht zu stellen,
aber die Überprüfung der Maßnahme nicht einzuleiten.
Meine erste Nachfrage bezieht sich darauf, ob eine
Überprüfung der Kürzung des Elterngeldes bei den
Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern - eigentlich
müsste man von einer kompletten Streichung reden - tatsächlich vorgesehen ist.
Die Frage habe ich nicht verstanden.
Ich frage Sie, ob eine Evaluation bezüglich der Auswirkungen der kompletten Streichung des Elterngeldes
bei den ALG-II- und den Hartz-IV-Familien vorgesehen
ist. Welche Auswirkungen hat diese Streichung in diesen
Familien?
Sie wissen ja, dass das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger nicht gestrichen worden ist,
({0})
sondern dass das Elterngeld bei der Berechnung des
Hartz-IV-Satzes mit berücksichtigt wird.
({1})
Es geht dabei um die Frage, welches Einkommen bei der
Festlegung des Hartz-IV-Satzes berücksichtigt wird. Darüber liegen uns keine Erkenntnisse vor. Das müsste,
wenn überhaupt, das Sozialministerium wissen.
({2})
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass man auch dort
noch keine Erkenntnisse dazu hat; es ist ja erst April.
Weitere Nachfrage? Bitte.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, da das Ministerium ja eigentlich die Interessen von Kindern und Familien vertreten sollte ({0})
- ich habe die Formulierung „sollte“ bewusst gewählt -,
wäre es, denke ich, auch im Interesse des Ministeriums,
sich mit dem BMAS kurzzuschließen und diese Auswirkung zu prüfen. Ihre Anmerkung, dass es angerechnet
wird und keine Streichung erfolgt, halte ich für süffisant
und gegenüber den betroffenen Familien - in deren Lebenswirklichkeit ist es definitiv eine komplette Streichung - für nicht angemessen.
Im Zusammenhang mit den Veränderungen des Elterngeldes, die Sie vorgenommen haben, hatte die Bundesregierung, hatte Ihr Ministerium in Aussicht gestellt,
das Elterngeld positiv und partnerschaftlich weiterzuentwickeln; dies wurde im letzten Jahr auf Eis gelegt. Haben Sie angesichts der Einsparmaßnahmen, die Sie hier
nicht in Abrede gestellt haben - Sie sagen, dass Sie von
solchen ausgehen -, zumindest vor, das Elterngeld partnerschaftlich weiterzuentwickeln?
Es gibt eine Koalitionsvereinbarung, in der klar festgelegt ist, wie mit dem Elterngeld umgegangen werden
soll. Aber auch Sie wissen, dass es eine dramatische Entwicklung auf den Finanzmärkten gab, was erhebliche
Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte hatte. Es
wäre völlig unverantwortlich, wenn die Bundesregierung das nicht in irgendeiner Form berücksichtigt hätte.
Sie wird zu gegebener Zeit über die Haushaltssituation
und das weitere Verfahren zu befinden haben. Dann wird
man sich alle Projekte ansehen, die jetzt unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen.
Wir kommen zur Frage 2 der Kollegin Marks:
Wie begründet es die Bundesregierung, dass der ursprünglich von ihr angekündigte Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit nicht in ihren Referentenentwurf aufgenommen wurde,
und welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen,
um den Anteil der pflegenden männlichen Personen in der Familienpflege zu erhöhen, in Anbetracht der Tatsache, dass in
der aktuellen „COMPASS-Befragung“ ({0}) nur 11 Prozent der männlich befragten Personen angaben, von der neuen Regelung Gebrauch
machen zu wollen - bitte einzeln darstellen und begründen?
Herr Kollege Kues.
Dazu kann ich gern etwas sagen. Aus unseren Untersuchungen geht hervor, dass über 80 Prozent der Unternehmen die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf als
wichtig ansehen und der Auffassung sind, dass diese zu
erleichtern ist und dass durch eine Flexibilisierung der
Arbeitszeit die Möglichkeit besteht, einen substanziellen
Beitrag dazu zu leisten. Wir wissen außerdem, dass die
Bereitschaft und das Interesse bei der Bevölkerung, bei
Frauen und bei Männern, vorhanden sind. Deswegen
glauben wir, dass die Familienpflegezeit - ähnlich wie
die Altersteilzeit - ein Erfolgsmodell wird; denn die Familienpflegezeit ist nach einem ähnlichen Muster organisiert.
Die gesetzlichen Regelungen, die jetzt getroffen worden sind, sollen einen unterstützenden Rahmen bieten,
den Arbeitgeber und Beschäftigte auf vertraglicher
Grundlage ausfüllen können. Das ist im Grunde genommen eine Anregung für die Tarifpolitik, Fantasie zugunsten derjenigen, die pflegen wollen, und derjenigen, die
pflegebedürftig sind, walten zu lassen. Arbeitgeber und
Arbeitnehmer schließen eine Vereinbarung, und auf dieser Grundlage kann man dann den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten und der Arbeitgeber Rechnung
tragen. Die Erfahrung mit der Altersteilzeit zeigt, dass
derartige Fördermodelle sowohl bei Beschäftigten als
auch bei Arbeitgebern auf hohe Akzeptanz stoßen. Deswegen sind wir bezüglich der Familienpflegezeit optimistisch.
Es wird auch nach einer verstärkten Beteiligung der
Männer gefragt. Ich glaube, es geht generell darum
- auch dazu soll die Familienpflegezeit dienen -, überholte Rollenmuster abzubauen. Die Pflege ist kein Frauenthema, sondern die Pflege hat die gesamte Bevölkerung,
die Männer also in gleicher Weise, zu interessieren. Wir
wissen aus Untersuchungen, dass sich jede zweite berufstätige Frau vorstellen kann, in einer konkreten Situation Familienpflegezeit zu nehmen und sich der Pflege
zu widmen. Bei den Männern sind es weniger, ungefähr
ein Drittel, die sich dies vorstellen können.
Ich glaube, dass wir darauf hinarbeiten müssen - das
Konzept der Familienpflegezeit setzt ja auf Beibehaltung
der Beschäftigung, auf Kontinuität der Erwerbsbiografie -, dass sie die größte Wirkung bei Vollzeitbeschäftigten erzielt, die ihre Arbeitszeit vorübergehend reduzieren
wollen. Deswegen glauben wir, dass gerade Männer in
die Familienpflegezeit mit einbezogen werden müssen.
Wie sie sich exakt entwickelt, müssen wir abwarten. Wir
sind aber zuversichtlich, dass sie eine ähnliche Wirkung
wie die Altersteilzeit entfalten wird. Hier hat es ge11570
klappt, weil die Betriebe ein Interesse daran hatten, weil
aber auch die Beschäftigten ein Interesse daran hatten.
Eine Nachfrage, Frau Marks?
Ja.
Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
ich möchte richtigstellen, dass sich nach einer aktuellen
Befragung, der COMPASS-Befragung, nur 11 Prozent
der befragten männlichen Personen annähernd vorstellen
können, von der neuen Regelung Gebrauch zu machen.
Insofern liegen mir scheinbar andere Ergebnisse und
Studien zu diesem Thema vor als Ihnen; Sie beziehen
sich offensichtlich auf andere Studien. Ich denke, es
wäre wichtig, dass das Ministerium auch diese Analysen
mit einbezieht. Sie sollten, was die Gleichstellungsperspektive betrifft, nicht nur zuversichtlich sein, sondern
Sie haben hier auch noch Hausaufgaben zu machen.
Bevor ich in meine erste Nachfrage einsteige, möchte
ich Sie bitten, auch auf den anderen Bereich meiner
schriftlich eingereichten mündlichen Frage einzugehen.
Auf den angekündigten Rechtsanspruch, der ursprünglich vorgesehen war, im Referentenentwurf aber nicht
mehr enthalten ist, sind Sie bei der Beantwortung meiner
schriftlich eingereichten mündlichen Frage nämlich
noch nicht eingegangen.
Es gibt einen solchen Anspruch, wenn Arbeitgeber
und Beschäftigte im Hinblick auf die Familienpflegezeit
Vereinbarungen getroffen haben. Das ist eine bestimmte
Art von Rechtsanspruch. Er gilt dann, wenn es eine Einigung zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten gibt. Darauf haben wir uns verständigt. Ich habe gesagt: Dieses
Konzept haben wir analog zu dem der Altersteilzeit gestaltet. Man könnte diesen Bereich natürlich auch anders
regeln. Wir haben allerdings ein Konzept gewählt, das
vorsieht, dass in Betrieben geworben wird.
Aufgrund der Ergebnisse der uns vorliegenden Untersuchungen wissen wir, dass die Betriebe selbst daran interessiert sind. Natürlich werden nicht alle Unternehmen
diese Regelungen in gleicher Weise in Anspruch nehmen. Aber ich denke, dies kann ein Stück moderne Sozialpolitik sein. Es wird nämlich nicht von vornherein
gefragt: „Was muss der Staat dem Einzelnen vorgeben?“, sondern der Staat sagt: Wir setzen einen Rahmen
und geben den Bürgern - in diesem Fall den Arbeitgebern und Arbeitnehmern - die Chance, diesen Rahmen
konstruktiv auszufüllen.
Jetzt, Herr Präsident, würde ich gerne zu meiner ersten Nachfrage kommen.
Bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich bin über Ihre
Auffassung von einem Rechtsanspruch sehr erstaunt. Erlauben Sie mir bitte die Bemerkung: Es handelt sich bei
den im Kabinettsentwurf vorgesehenen Regelungen
noch nicht einmal um einen ableitbaren Anspruch, geschweige denn um einen tatsächlich verankerten Rechtsanspruch. Kann es sein, dass das Ministerium eher die
Interessen der Arbeitgeber als die Interessen der pflegenden Angehörigen vertritt und dies in einem krassen Widerspruch zu den bisherigen Ankündigungen des Ministeriums steht?
Frau Kollegin, ich glaube, im Jahre 2011 sollten wir
langsam, aber sicher überholte Gegensätze, von denen
wir uns eine Antwort auf die Fragen, die uns beschäftigen, erhoffen, überwinden. Ich denke, es gibt Interessen,
die sowohl von der Arbeitgeberseite als auch von der Arbeitnehmerseite nachvollzogen werden. Darum geht es
beim Thema Pflege. Hier geht es auf der einen Seite um
die Interessen der Betriebe und der Arbeitgeber, auch öffentlicher Betriebe, und auf der anderen Seite um die Interessen der Arbeitnehmer. Es gibt einen individuellen
Rechtsanspruch. Wenn es eine betriebliche Vereinbarung
gibt, haben Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, einen
entsprechenden Antrag zu stellen und ihn bewilligt zu
bekommen. Insofern können Sie den Begriff „Rechtsanspruch“ definieren, wie Sie wollen.
({0})
Im Übrigen sage ich Ihnen - es wird bestimmt noch
verschiedene Expertisen von Ihrer Seite geben -: Ich
glaube, dass sich die Familienpflegezeit durchsetzt. Es
wird allerdings eine Zeit lang dauern, bis sie sich im Bewusstsein der Menschen festsetzt.
Vielen Dank.
Darf ich meine zweite Nachfrage stellen?
Sie hatten zwei Nachfragen.
Das war die erste.
Nein, das war die zweite. Ich führe eine Strichliste.
Nein. Die erste Frage musste ich stellen, weil die
schriftlich eingereichte Frage im Hinblick auf den
Rechtsanspruch nicht beantwortet wurde.
Frau Kollegin, Sie hatten zwei Fragen und vier Nachfragen. Sie sind alle gestellt.
Gut.
Nun kommen wir zu den nächsten Fragen.
Die Fragen 3 und 4 der Kollegin Aydan Özoğuz und
die Fragen 5 und 6 der Kollegin Dagmar Ziegler werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Sönke Rix auf:
Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Kabinettsbeschlusses zu den Eckwerten des Regierungsentwurfs
des Bundeshaushalts 2012 und zum Finanzplan bis 2015 an
der auf der Homepage des Bundesprogramms „Toleranz fördern - Kompetenz stärken“ getroffenen Aussage fest, dass für
die beiden bisherigen Bundesprogramme „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ und „kompetent.
für Demokratie - Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ bis 2013 jährlich 24 Millionen Euro an Bundesmitteln
zur Verfügung stehen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die auf der Website „Toleranz fördern - Kompetenz
stärken“ getroffene Aussage, dass für die Umsetzung
dieses Bundesprogramms bis 2013 jährlich 24 Millionen
Euro an Bundesmitteln zur Verfügung stehen werden,
entspricht der mittelfristigen Finanzplanung des Bundesministeriums. Die Präventionsprogramme für Demokratie und Toleranz haben weiterhin einen sehr hohen Stellenwert. Daran werden wir uns mit allen weiteren
Maßnahmen orientieren.
Ihre Nachfragen, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
halten Sie die Bekämpfung von Extremismus und die
Förderung von Demokratie und Toleranz für eine dauerhafte Aufgabe?
Ich gehe davon aus, dass das eine dauerhafte Aufgabe
ist. Sie wird zumindest so lange bestehen, wie sie durch
die mittelfristige Finanzplanung abgedeckt ist. Wir haben uns ja verschiedentlich darüber unterhalten. Es gibt
keinen Anlass, anzunehmen, dass das von irgendeiner
politischen Gruppierung des Deutschen Bundestages anders gesehen wird.
Würden Sie mir dann zustimmen, dass es sinnvoll
wäre, von der Projektfinanzierung und Projektarbeit zu
einer strukturellen Finanzierung der Bekämpfung von
Extremismus überzugehen?
Dem kann ich so nicht zustimmen, weil die Akzente
immer unterschiedlich gesetzt werden. Sie wissen ja,
dass in dieser Legislaturperiode ausdrücklich gesagt
worden ist: Wir wollen Rechtsextremismus und Antisemitismus bekämpfen. - Aufgrund der uns vorliegenden
Fakten halten wir es aber auch für nötig, etwas gegen
Linksextremismus und gegen Islamismus zu tun.
Wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Daniela Kolbe:
In welcher Art hat die Bundesregierung ihre Förderrichtlinien im Bundesprogramm „Toleranz fördern - Kompetenz
stärken“ hinsichtlich der Anforderungen an die Zuwendungsempfänger, die Abstimmung ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit
den Landeskoordinierungsstellen betreffend, im Vergleich zu
den Vorgängerprogrammen verändert?
Herr Staatssekretär, es steht Ihnen frei, die Fragen 8
und 9 zusammen zu beantworten. - Wir kommen damit
gleichzeitig zu Frage 9 der Kollegin Daniela Kolbe:
Gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend im Bundesprogramm „Toleranz fördern - Kompetenz stärken“ den jeweiligen Landeskoordinierungsstellen
vor, dass diese die Zuwendungsempfänger im Zuwendungsbescheid dazu verpflichten, ihre Pressemitteilungen den jeweiligen Landeskoordinierungsstellen zur Abstimmung vorzulegen?
Frau Kollegin Kolbe, die Landeskoordinierungsstellen - so steht es auch in der Förderrichtlinie - müssen
die Öffentlichkeitsarbeit über das landesweite Beratungsnetzwerk und die mobilen Beratungsteams in Zusammenarbeit mit der Regiestelle sicherstellen. Es
gehört auch zu den Aufgaben der Landeskoordinierungsstellen, dies entsprechend zu begleiten. Hier sind keine
Änderungen vorgenommen worden.
Mit Bezug auf Frage 9 darf ich gleichzeitig etwas zur
Genehmigung von Pressemitteilungen bzw. zur Verpflichtung, Pressemitteilungen abzustimmen, sagen.
Auch hier gibt es keine Veränderung. Es ist in der Tat so,
dass die Aufforderung besteht, aktive Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und die Wirksamkeit des Programms
zu erhöhen. Was das heißt, ist im Einzelnen festgelegt:
von der Internetpräsenz bis hin zu werblichen Maßnahmen.
Auch hier haben die Landeskoordinierungsstellen
eine koordinierende Funktion - wie in den vergangenen
Jahren im Übrigen auch. Sie sollen die Projektträger beraten usw. Dazu gibt es einen Leitfaden für Öffentlichkeitsarbeit, der sich nicht geändert hat.
Sie haben jetzt insgesamt vier Nachfragen, die Sie
aber nicht alle stellen müssen. Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank für den Hinweis. - Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. Verstehe ich Sie richtig, dass vonseiten
Ihres Ministeriums - gerade auch durch die Förderrichtlinie - nicht vorgeschrieben wird, dass Pressemitteilungen von geförderten Initiativen vor der Veröffentlichung
den Landeskoordinierungsstellen zur Verfügung gestellt
und von diesen abgesegnet werden müssen?
Es gibt keine Hinweise, wie die Regelungen im Einzelnen auszusehen haben. Es gibt aber den Hinweis, dass
die Landeskoordinierungsstellen die Öffentlichkeitsarbeit zu koordinieren haben. Das heißt nicht unbedingt,
dass jede einzelne Pressemitteilung vorgelegt wird. Hier
gibt es aber einen großen Ermessensspielraum in der jeweiligen Landeskoordinierungsstelle.
Bislang ist das kein Problem gewesen. Ich sage aber
ausdrücklich dazu: Die Geldmittel, die vom Bund eingesetzt werden, sind dafür vorgesehen, für diese Programme zu werben. Falls Ihre Frage in diese Richtung
gehen sollte: Sie sind nicht für einen allgemeinen politischen Aktionismus vorgesehen.
Nein, meine Frage geht in folgende ganz konkrete
Richtung: In Sachsen - deswegen dürfte Sie das auch interessieren - besteht die konkrete Forderung gegenüber
Initiativen, Pressemitteilungen, die sich auf die Programme und Projekte, die gefördert werden, beziehen,
vor der Veröffentlichung vorzulegen. Dabei wird darauf
verwiesen, es sei eine Forderung seitens des Bundesministeriums, so zu verfahren; es gebe also eine Richtlinie bzw. Anweisung, so zu verfahren. Sie sagen, dass das
sozusagen ein Missverständnis ist, oder wie würden Sie
das bewerten?
Wenn das so gesagt worden ist, dann würde ich es als
Missverständnis bezeichnen; denn die Förderrichtlinie
ist nicht geändert worden. Hier hat sich keine neue Situation ergeben.
Dann lautet meine dritte Frage: Gibt es seitens des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend neben den Förderbescheiden noch andere
Schriftstücke, die sich auf diesen Umstand beziehen
könnten, etwa Anweisungen oder Anleitungen für die
Öffentlichkeitsarbeit oder dergleichen mehr in Richtung
der Landeskoordinierungsstellen, bei denen es um Pressemitteilungen und Pressearbeit gehen könnte, und wenn
ja, wie wären diese rechtlich zu bewerten? Wären sie
rechtlich bindend?
Es gibt eine Leitlinie zur Förderung von Beratungsnetzwerken, die auch etwas über die Öffentlichkeitsarbeit in der Weise enthält, wie ich es eben beschrieben
habe. Das ist aber bislang immer im Einvernehmen geregelt worden.
Keine Nachfrage.
Dann kommen wir zur Frage 10 der Kollegin Petra
Crone:
Inwiefern und durch welche besonderen Maßnahmen
plant die Bundesregierung, auch nach den neuen Regelungen
der Mitfinanzierung von 10 000 Euro pro Jahr durch die
Kommunen die Mehrgenerationenhäuser insbesondere in finanzschwachen Kommunen nicht zu benachteiligen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich will die Frage gerne beantworten. Wir sind uns
darüber im Klaren, dass es finanzschwache Kommunen
gibt, die sich schwertun, und dass gerade in strukturschwachen Regionen der Bedarf an Mehrgenerationenhäusern häufig sehr hoch ist.
Wir legen im Hinblick auf das neue Aktionsprogramm Wert darauf, dass es einen kommunalen Eigenanteil gibt. Denn wir wissen, dass für das Gelingen und
Funktionieren von Mehrgenerationenhäusern ein kommunaler Eigenanteil wichtig ist. Aber wir gehen davon
aus, dass die Kommunen ihren Eigenanteil auch dadurch
erbringen können, dass sie etwa die Räumlichkeiten unentgeltlich zur Verfügung stellen. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Wir halten daran fest, dass die 10 000 Euro, um die es
geht, auf irgendeine Weise zu erbringen sind. Wir sind
aber auch bereit, im Einzelnen mitzuhelfen und mit zu
überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, wenn es daran
scheitern würde. Die Einzelheiten werden derzeit erarbeitet. Wenn das Programm läuft, wird es einen Förderleitfaden geben, bei dem auch auf die finanzschwachen
Kommunen Rücksicht genommen wird.
Ihre Nachfrage, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, muss
bei dem neuen Modellprojekt von den einzelnen Häusern in ihrer Bewerbung nachgewiesen werden, dass sich
die Kommunen beteiligen, und werden sie, falls sie das
nicht nachweisen können, nicht in das Programm aufgenommen?
Wir haben eindeutig gesagt, und das haben auch unsere Untersuchungen ergeben, die Ihnen bekannt sind,
dass dort, wo sich die Kommunen beteiligen und ein Eigeninteresse haben, die Mehrgenerationenhäuser besser
funktionieren. Insofern muss das klar artikuliert werden.
Wie im Einzelnen verfahren wird, wird sich zeigen.
Das Programm wird ausgeschrieben. Dann besteht die
Möglichkeit, sich zu bewerben. Wenn es noch Unklarheiten gibt, wird sich das im Einzelnen abstimmen lassen. Letztlich wird man dann, wenn ein Haus aufgenommen wird, einen Weg finden müssen, die Kommune
angemessen zu beteiligen. Das halte ich für richtig und
notwendig. Denn was über die Mehrgenerationenhäuser
geleistet wird, ist in nicht unerheblichem Maße eine
kommunale Aufgabe.
Wie Sie wissen, sind durch die Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates auch erhebliche finanzielle Mittel an die Länder bzw. Kommunen geflossen,
um bestimmte Aufgaben besser bewältigen zu können.
Ein Teil der Aufgaben, die mit den Mehrgenerationenhäusern angegangen werden sollen, sind Bestandteil des
Paketbeschlusses von Bundesrat und Bundestag.
Sie haben eine zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie wissen genauso gut wie ich,
dass es sich dabei um freiwillige Leistungen der Kommunen handelt, die von sehr finanzschwachen Kommunen nicht geleistet werden dürfen. Daher sind auch die
Länder gefragt. In Bayern zum Beispiel hat der Sozialausschuss entschieden, die Kommunen nicht zu unterstützen, was die Mehrgenerationenhäuser angeht.
Welche Überlegungen gibt es bei Ihnen, wie Sie nicht
nur auf Bayern, sondern auf die Länder insgesamt einwirken können, sich zu beteiligen?
Wir sind mit den Bundesländern im Gespräch. Was
das Programm angeht, werden die Häuser immer in Abstimmung mit allen Bundesländern ausgesucht. Anders
ist das gar nicht praktikabel. Dabei sind wir auch mit
Bayern im Gespräch. Das wird dann im konkreten Fall
entschieden werden. Ich bin nicht pessimistisch, dass wir
das hinbekommen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Daniel
Bahr zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 11 der Kollegin Crone:
Zu welchen Ergebnissen kommt die Bund-Länder-Kommission zur Erarbeitung der Pflegeausbildungsreform, und
wann werden diese veröffentlicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich beantworte im Namen der Bundesregierung die Frage wie folgt: Die BundLänder-Kommission zur Weiterentwicklung der Pflegeberufe hat den Auftrag, Eckpunkte zur Vorbereitung eines neuen Berufsgesetzes zu entwickeln. Die Arbeiten
sind noch nicht abgeschlossen. Vorrangiges Anliegen der
Bundesregierung ist es, dass in der Kommission eine
möglichst weitreichende Verständigung über die wesentlichen Aspekte einer Zusammenführung der Pflegeausbildung erfolgt. Ich kann derzeit noch nicht mitteilen,
wann Ergebnisse vorgelegt werden können.
Eine Nachfrage, Frau Kollegin Crone.
Danke schön. - Bundesministerin Schröder hat gemeinsam mit dem Präsidenten des Deutschen Pflegerates
im Januar 2011 eine gemeinsame Erklärung abgegeben,
dass sich die Bundesregierung auf eine Generalisierung
der Pflegeausbildung festlegt. Auf welche Erkenntnisse
und Annahmen stützt sie sich dabei, wenn die Erkenntnisse der Bund-Länder-Kommission noch nicht vorliegen?
Frau Kollegin, wir warten zunächst einmal die Beratungen in der Kommission ab. Diese brauchen Zeit, weil
das Ergebnis gut sein muss. Trotz vieler Gemeinsamkeiten bei den Ausbildungen zu Krankenpflegerinnen und
Krankenpflegern, Kinderkrankenpflegerinnen und
Kinderkrankenpflegern sowie Altenpflegerinnen und Altenpflegern gibt es beachtliche Unterschiede in der theoretischen und praktischen Ausbildung sowie den organisatorischen Strukturen und der Finanzierung. Wir wollen
ergebnisoffen beraten und zu einem guten Ergebnis
kommen. Ich kann aber das Ergebnis nicht vorwegnehmen, weil die Beratungen noch nicht abgeschlossen sind.
Eine weitere Nachfrage.
Wie gesagt, die Familienministerin hat sich schon auf
eine generalisierte Pflegeausbildung festgelegt. Daher
frage ich noch einmal nach: Auf welche Erkenntnisse
stützt sie sich dabei?
Die Bundesregierung befindet sich in Beratungen mit
den Ländern. Das Ergebnis ist noch nicht absehbar.
({0})
Wir arbeiten an einer Verbesserung der Ausbildungen
der verschiedenen Pflegeberufe. Wir wollen zu einer
Ausbildungsstruktur kommen, die die theoretischen und
praktischen Gemeinsamkeiten besser berücksichtigt. Ich
kann aber das Ergebnis - ich betone das noch einmal nicht vorwegnehmen, weil wir mit den Ländern noch intensiv beraten. Das Ergebnis ist abzuwarten und erst,
wenn es vorliegt, politisch zu beurteilen.
({1})
Vielen Dank. - Die Fragen 12 und 13 der Kollegin
Mattheis werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 14 und 15 der Kollegin
Elisabeth Scharfenberg:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
jüngst öffentlich geäußerten Forderungen nach einer Erhöhung des Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung um
bis zu 0,5 Prozentpunkte, mit der unter anderem Leistungsverbesserungen, eine bessere Entlohnung von Pflegekräften
und der Aufbau eines kollektiven Kapitalstocks refinanziert
werden sollen ({0})?
Ist vor diesem Hintergrund die Aussage seitens der Bundesregierung, dass die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung nicht zur Diskussion stehe und man lediglich über
den Leistungsumfang spreche ({1}), so
zu verstehen, dass Leistungsverbesserungen nur dann umgesetzt werden, sofern dafür keine zusätzlichen Finanzmittel in
der sozialen Pflegeversicherung bereitzustellen wären?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Scharfenberg,
Sie beziehen sich in Ihren Fragen unter anderem auf einen Artikel der Tageszeitung Die Welt vom 30. März
2011 mit dem Titel „Pflegeversicherung wird deutlich
teurer“. Dazu möchte ich Folgendes betonen: Zur Frage
der genauen Ausgestaltung der künftigen Finanzierung
der sozialen Pflegeversicherung gibt es noch keine Festlegung. Bei der Erarbeitung der Eckpunkte für die Reform wird sowohl über die künftige Ausgestaltung der
Leistung als auch über den sich daraus ergebenden Finanzierungsbedarf entschieden werden.
Eine Nachfrage.
Vielen Dank. - Wie ich höre, diskutiert die Bundesregierung über Leistungsausweitungen. Wenn über Leistungsausweitungen diskutiert wird, dann kommt man
nicht daran vorbei, zusätzliche Finanzmittel zu realisieren, es sei denn, Leistungen werden an anderer Stelle gekürzt. Ich frage Sie: Wenn man zusätzliche Finanzmittel
braucht, wie soll man sie generieren, wenn nicht über
eine Erhöhung des Beitragssatzes?
Frau Kollegin Scharfenberg, ich habe eben betont,
dass wir zuerst darüber diskutieren, welche Leistungen
und Strukturen verbessert werden sollen. Erst danach
werden wir über die Finanzierung entscheiden. Der
Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP sieht eine ergänzende Kapitaldeckung vor, die vor allem Vorsorge
für kommende Leistungssteigerungen aufgrund der demografischen Entwicklung darstellen soll. Ob und wie
die Schaffung einer solchen zusätzlichen Säule mit Verbesserungen der Leistungen verbunden wird, ist noch
nicht entschieden, weil über die Finanzierungsfragen
erst entschieden wird, nachdem die Sondierungen über
die Struktur und Verbesserung der Leistungen im Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung stattgefunden
haben.
Zweite Nachfrage.
Sie haben eben die kapitalgedeckte Säule angesprochen. Da möchte ich nachhaken. Sie haben erwähnt, dass
diese im Koalitionsvertrag verankert ist. Dennoch: Auch
wenn Sie bekräftigen, dass über die Finanzierung nicht
gesprochen wird, so dringt doch viel von der Finanzierungsdiskussion nach außen.
Es wird über Finanzierung gesprochen.
Die Union macht klar, dass sie diese kapitalgedeckte
Säule nicht haben will, sondern für einen kollektiven
Kapitalstock ist. Wie wird dies diskutiert, und womit
können wir rechnen?
Frau Kollegin Scharfenberg, Sie behaupteten gerade,
dass über Finanzierung nicht gesprochen und entschieden würde. Das stimmt nicht. Ich habe nur den Prozess
dargestellt. Erst unterhalten wir uns über die Leistungen
und Strukturen, anschließend über die Finanzierung. Die
Maßgabe für die Bundesregierung ist der Koalitionsvertrag, den CDU, CSU und FDP gemeinsam beschlossen
haben. Er ist Grundlage und Vorgabe zugleich für alle
Beratungen über die Verbesserungen im Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung. Natürlich sind wir in intensiven Gesprächen mit Betroffenen, mit Verbänden
und auch innerhalb der Koalition über die Frage, wie wir
nach der Einigung über Strukturen und Leistungen diese
finanzieren. Dies geschieht vor dem Hintergrund steigender Kosten durch eine alternde Bevölkerung. Über
die konkrete Ausgestaltung ist aber noch nicht entschieden.
Herr Staatssekretär, haben Sie damit die Frage 15 mitbeantwortet, oder wollen Sie dazu noch etwas anmerken?
Die Frage ist mitbeantwortet. Über die Fragen des
Leistungsspektrums und der langfristigen Finanzierung
ist noch nicht entschieden.
Dann haben Sie noch zwei Nachfragen.
Auch wenn immer wieder beteuert wird, dass noch
nicht entschieden ist, so dringen doch Informationen
über kontroverse Diskussionen nach außen. Ich würde
gerne wissen, welche Haltung die Bundesregierung zu
den Forderungen aus den Reihen der Regierungsparteien, die öffentlich erhoben werden, einnimmt, nämlich
dass es nicht zu Beitragserhöhungen kommen dürfe und
man Leistungsausweitungen gegebenenfalls durch Einsparungen an anderer Stelle gegenfinanzieren müsse.
Welche Einsparungen könnten denn damit gemeint sein?
Es bewegt sich im Rahmen des üblichen Diskussionsprozesses, dass es, wenn wir ein Gesetzgebungsverfahren auf den Weg bringen, auch innerhalb der Koalition
unterschiedliche Meinungen gibt. Für die Bundesregierung ist das Maßgabe, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist und was wir in der Koalition als Verfahren vereinbart haben. Wir verschaffen uns zunächst in
Dialogforen mit Betroffenen, mit Verbänden und Experten ein Bild darüber, was verbessert werden muss, und
unterhalten uns danach darüber, wie das Ganze finanziert wird. Ich kommentiere nicht Einzelstimmen aus der
Koalition, die sich möglicherweise nicht auf der Grundlage des Koalitionsvertrages und des vereinbarten Verfahrens befinden. Für uns ist die Maßgabe der Koalitionsvertrag und das vereinbarte Verfahren.
Eine weitere Nachfrage?
Ja, danke. - Laut Presseberichten wollte sich gestern
Abend der Koalitionsausschuss auf einen Fahrplan für
die Pflegereform verständigen. Dazu möchte ich nachfragen, wie dieser Zeitplan aussehen wird. Wann wird es
nach den Eckpunkten einen Gesetzentwurf geben, wann
ist mit den parlamentarischen Beratungen und der Pflegereform zu rechnen? Welche Aspekte werden dabei
eine Rolle spielen?
Wir sind noch mitten in den Beratungen mit Wissenschaftlern, Experten und Betroffenen in den Dialogforen, die eine breite Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden haben. Diese Beratungen sind noch nicht
abgeschlossen. Wir werden in den nächsten Wochen
weitere solcher Dialogforen haben. Wir rechnen damit,
dass wir innerhalb der Koalition in den nächsten Monaten Eckpunkte für eine Reform vorlegen, sodass wir
nach unserer jetzigen Zeitplanung zu Beginn des Sommers einen konkreten Gesetzestext formulieren können.
In der zweiten Jahreshälfte können wir dann intensiv
hier im Parlament über einen Gesetzentwurf für eine
Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung beraten.
Wir kommen zur Frage 16 des Abg. Markus Kurth:
Gedenkt die Bundesregierung, den Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung zu erhöhen, wie jüngst öffentlich
gefordert ({0}), oder wird die Bundesregierung vielmehr der Forderung folgen, die umlagefinanzierte
Pflegeversicherung sei durch eine Kapitaldeckung zu ergänzen, wie es in der Koalition zwischen CDU, CSU und FDP
vereinbart sei, um eine Erhöhung des lohnbezogenen Beitrags
zu vermeiden ({1})?
Ich beantworte die Frage des Kollegen Kurth wie
folgt: Die Bundesregierung wird dafür sorgen, dass die
Pflegebedürftigen auch zukünftig angemessene Pflegeleistungen zu bezahlbaren Preisen erhalten. Weitere
Festlegungen werden im Rahmen eines Eckpunktepapiers erfolgen.
Bitte schön, Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, stimmen
Sie mit mir überein, dass aufgrund einer die Pflegeversicherung ergänzenden Kapitaldeckung sich frühestens in
einigen Jahren Ausschüttungen ergeben? Wenn ja, was
gedenkt die Bundesregierung in der Zwischenzeit, bis es
zu einer solchen Ausschüttung kommen kann, zu tun,
um etwa die steigenden Kosten für Leistungsausweitungen oder Personal zu begleichen?
Nein, Herr Kollege Kurth, ich stimme Ihnen nicht zu.
Wir haben Erfahrungen beim Aufbau einer Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung, nämlich in der privaten Pflegeversicherung. Die private Pflegeversicherung,
die 1994 als kapitalgedeckte Pflegeversicherung aufgebaut wurde, war innerhalb kürzester Zeit in der Lage,
Leistungen zu finanzieren. Das zeigt: Auch bei einer kapitalgedeckten Pflegeversicherung ist es möglich, dass
Leistungen unmittelbar und nicht erst in einigen Jahrzehnten finanziert werden.
Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte schön, Herr
Kurth.
Inwiefern ist es aus Ihrer Sicht mit Ihrem Ziel „Mehr
Netto vom Brutto“ vereinbar, wenn von den Versicherten
ein zusätzlicher Beitrag erhoben wird?
Herr Kollege Kurth, ich schätze Ihre Taktik der Fragestellung: Sie wollen erneut herausfinden, ob es schon
eine Einigung über eine konkrete Ausgestaltung einer
solchen Kapitaldeckung im Bereich der Pflegeversicherung gibt. Ich betone noch einmal: Es gibt noch keine
Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung. Das Ziel
„Mehr Netto vom Brutto“, das sich diese Koalition gesetzt hat, bezieht sich auf die Kombination aus Steuerzahlungen und Sozialabgaben. Die Sozialabgaben als
Abzüge direkt vom Lohn, als Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil, in Kombination mit Steuerzahlungen sind
dafür entscheidend, ob man mehr Netto vom Brutto hat.
Dabei kann man auch noch eine zusätzliche Vorsorge in
den Blick nehmen.
Ich erinnere daran, dass wir auch in einem anderen
Bereich Erfahrungen haben - ich bitte fairerweise darum, das nicht in Bezug zur konkreten Ausgestaltung der
Pflegeversicherung zu setzen -: Die damalige rot-grüne
Koalition hat bei der Riester-Rente einen Kapitalstock
auf freiwilliger Basis aufgebaut. Das war nötig.
Um eine Botschaft kommen wir nicht herum - das haben auch die Grünen immer vertreten -: Gerade auf dem
Gebiet der Pflege kommen durch eine alternde Bevölkerung steigende Kosten auf uns zu. Deswegen streiten wir
hier im Parlament um die konkrete Ausgestaltung. Es
geht darum, wie wir diese steigenden Kosten fair und generationengerecht in der Gesellschaft verteilen.
Wir kommen zur Frage 17 des Abgeordneten Kurth:
Gedenkt die Bundesregierung, die von der Koalition vereinbarte Kapitaldeckung allein über zusätzliche Beiträge der
Versicherten zu finanzieren, oder wird die Bundesregierung
öffentlich geäußerten Forderungen folgen, eine paritätische
Erhöhung des lohnbezogenen Beitrags anzustreben ({0})?
Meine Antwort ist, wie Herr Kurth es wahrscheinlich
erahnt, recht kurz: Die Einzelheiten der vereinbarten Kapitaldeckung werden im Rahmen der anstehenden Reform der Pflegeversicherung zu klären sein.
Herr Kurth, Sie haben womöglich eine Nachfrage. Bitte schön.
Ich möchte versuchen, herauszufinden, ob die Koalition wenigstens in einem Punkt eine politische Einigung
herbeigeführt hat. Würde ein Zusatzbeitrag paritätisch
erhoben, oder wäre er allein von den Arbeitnehmern,
von den Versicherten, zu tragen? Denkbar ist ja, einen
kollektiven Kapitalstock über eine paritätische Beitragssatzerhöhung aufzubauen.
Herr Kollege Kurth, Sie fragen erneut geschickt, um
herauszufinden, ob es eine Einigung gibt. Da es noch
keine Einigung gibt, kann ich Ihnen eine solche Einigung nicht präsentieren, egal wie geschickt Sie fragen.
Es gibt keine Festlegung auf eine konkrete Ausgestaltung der Finanzierungsmodalitäten. Wir sind noch in den
Beratungen. Sie werden noch einige Zeit dauern. Sobald
diese Beratungen abgeschlossen sind, werden wir die Ergebnisse dieser Beratungen dem Parlament vorlegen,
und wir werden im üblichen parlamentarischen Verfahren darüber diskutieren können.
Haben Sie noch eine weitere geschickte Zusatzfrage?
Ich fühle mich zwar geschmeichelt, aber angesichts
der Situation verzichte ich auf eine weitere Zusatzfrage.
Danke.
Dann kommen wir zur Frage 18 der Kollegin Britta
Haßelmann:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung angesichts der derzeitigen Diskussionen zur Finanzierungsreform der sozialen Pflegeversicherung aus der öffentlich geäußerten Kritik, die Regierungskoalition habe bei ihrem
Antreten mehr Netto vom Brutto zugesagt und dürfe keine gegenteiligen Beschlüsse fassen ({0}), vor dem Hintergrund von öffentlich geäußerten Forderungen, eine Erhöhung des Beitragssatzes zur
sozialen Pflegeversicherung sei unter anderem deswegen notwendig, um Leistungsverbesserungen zu finanzieren ({1})?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Über die genaue
Ausgestaltung der künftigen Finanzierung der sozialen
Pflegeversicherung gibt es noch keine Festlegungen.
Deshalb kann in diesem Zusammenhang auch über mögliche Auswirkungen auf die Beitragsbelastung der Versicherten keine Aussage gemacht werden.
Frau Haßelmann, Sie haben eine Nachfrage. Bitte
schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Ähnliches klang gerade schon in den Antworten auf die
Fragen meiner Kollegin Scharfenberg und meines Kollegen Kurth an. Sie haben in Beantwortung der Frage meines Kollegen Kurth das Thema „steigende Kosten“ sowie die faire und gerechte Verteilung der zusätzlichen
Kosten selbst angesprochen. Deshalb meine Frage:
Schließen Sie aus, dass es bei der Neukonzeption der sozialen Pflegeversicherung zu einer Beitragserhöhung
kommt?
Da wir noch nicht über die Leistungen diskutiert und
entschieden haben, haben wir folglich auch noch nicht
über die Finanzierung entschieden. Deswegen kann ich
Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt weder das eine noch das
andere konkret darlegen. Ich kann Ihnen weder darlegen,
ob und in welchem Umfang es zu Leistungsausweitungen, noch, ob und in welchem Umfang es zur Erhöhung
der Beitragssätze für die Versicherten kommt.
Frau Haßelmann, haben Sie eine zweite Nachfrage? Bitte schön, dann haben Sie das Wort dafür.
Vielen Dank für die Beantwortung der Frage, mit der
Sie deutlich gemacht haben, dass Sie eine Beitragserhöhung zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen können.
Meine zweite Frage lautet: Schließen Sie bei der Neukonzeption der sozialen Pflegeversicherung eine Einschränkung des Leistungskatalogs aus?
Frau Haßelmann, jetzt haben Sie mir etwas in den
Mund gelegt. Dem muss ich erst einmal widersprechen.
Ich habe in meiner Antwort klargestellt, dass weder über
die Leistungen noch über die Finanzierung entschieden
worden ist - weder in die eine noch in die andere Richtung. Das heißt, ich kann hier heute überhaupt keine
Festlegungen - weder in Bezug auf die Fragen der Ausweitung und der Struktur der Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung noch hinsichtlich der Frage
notwendiger Veränderungen bei der Finanzierung - treffen, weil sie in der Koalition noch nicht getroffen worden sind.
Bitte schön, Frau Scharfenberg, zu einer weiteren
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass die
Aussagen, die Sie dazu treffen, und die Antworten, die
Sie uns heute geben, im April dieses Jahres, das vom
Gesundheitsminister als Jahr der Pflege ausgerufen worden ist, doch relativ dürftig sind?
Frau Kollegin Scharfenberg, 2011 ist das Jahr der
Pflege. Das bedeutet aber nicht, dass es nur im Jahr 2011
um Fragen der Pflegeversicherung geht. Vielmehr soll
das in diesem Jahr der Schwerpunkt der Arbeit des Gesundheitsministeriums sein. Ein Viertel des Jahres ist
um, sodass noch drei Viertel des Jahres vor uns liegen
und wir deshalb noch ausreichend Zeit haben, die Fragen
zu beantworten und zu entscheiden.
Das bedarf natürlich auch im Jahr der Pflege einer
gründlichen Vorbereitung. Ich habe die bisherigen Dialogveranstaltungen mit den Wissenschaftlern, Experten,
Betroffenen und Verbänden als sehr informativ, gewinnbringend und erkenntniserweiternd empfunden. Übrigens gehen in diese Richtung auch die Rückmeldungen,
die wir von den Verbänden bzw. Teilnehmern erhalten
haben. Insofern ist es ein kluger Prozess, sich zunächst
zu verständigen und sich ein Bild zu verschaffen und danach die nötigen politischen Entscheidungen zu treffen.
Wir haben in diesem Jahr keine Hektik, stehen unter
keinem Zeitdruck und müssen keine übereilten Entscheidungen treffen. Vielmehr sollten wir uns in der politischen Debatte die nötige Zeit nehmen, damit wir danach
kluge Entscheidungen treffen können.
Jetzt kommen wir zur Frage 19 der Kollegin
Haßelmann:
Wie gedenkt die Bundesregierung, das Leistungsspektrum
der sozialen Pflegeversicherung zu reformieren, sofern nach
öffentlichen Forderungen eine Reform so auszugestalten sei,
dass es nicht zu Beitragserhöhungen komme und Leistungserhöhungen durch Einsparungen an anderer Stelle gegenfinanziert werden müssten ({0}),
und welche Einsparungen könnten dies sein?
Die Frage beantworte ich wie folgt: Derzeit wird im
Rahmen einer Reihe von Dialogveranstaltungen des
Bundesgesundheitsministers mit Wissenschaftlern, Betroffenen und Beteiligten diskutiert, wie eventuelle Veränderungen im Rahmen der Pflegeversicherung ausge11578
staltet sein müssten. Festlegungen hierzu gibt es bislang
nicht. Sie werden in den nächsten Monaten erfolgen.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte Sie
gerne noch einmal fragen: Schließen Sie aus, dass es
beim Aufbau des Kapitalstocks zu einer einseitigen Belastung der Arbeitnehmerseite kommt?
Frau Kollegin Haßelmann, auch wenn Sie weiter versuchen, geschickt zu fragen: Ich gebe noch einmal die
Antwort: Es ist über die Frage der Finanzierung nicht
entschieden worden, erst recht nicht über die konkrete
Ausgestaltung der Finanzierung. Deswegen kann ich
weder das eine noch das andere ausschließen und bitte
Sie, eine solche Antwort jetzt nicht wieder umzudeuten,
so wie Sie es mit der Frage vielleicht gern implizieren
möchten.
Noch eine weitere Frage?
Ja. - Herr Staatssekretär, Sie sind ja der Fachmann in
diesem Bereich. Wenn wir über die soziale Pflegeversicherung sprechen, wissen wir, dass wir angesichts des
demografischen Wandels und der Generationenverteilung sicherlich nicht zu einer Entlastung in der Pflegeversicherung kommen. Oder möchten Sie es mit Ihrer
Antwort anders intendieren?
Ausgehend von den heutigen Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung ist selbstverständlich nicht damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahrzehnten der
Beitragssatz sinken kann. Die demografische Entwicklung führt dazu, dass wir mehr Pflegebedürftige und
gleichzeitig weniger junge Beitragszahler als heute haben werden. Das ist das demografische Problem, das wir
in der Renten-, in der Pflege- und auch in der Krankenversicherung haben.
Deswegen diskutieren wir in der Koalition über Reformen. Solche Reformen sind in den letzten Jahren teilweise nicht angegangen worden, weshalb wir die Zeit in
dieser Legislaturperiode nutzen müssen, zu Entscheidungen darüber zu kommen, wie wir die Lasten einer alternden Bevölkerung bei einer nachhaltigen und sozial
gerechten Finanzierung der Pflege fair auf die Generationen verteilen. In diesen Beratungen sind wir gerade.
Wir als Bundesregierung sind optimistisch, Ihnen, dem
Parlament, in diesem Jahr ein gutes Ergebnis vorlegen
zu können.
Der Kollege Rix mit einer Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben bei der Beantwortung der Frage 18 und gerade
wieder von den Dialogforen sowie davon gesprochen,
dass es dort zu guten und zahlreichen Erkenntnissen gekommen ist. Auch wenn Sie noch keine Festlegung getroffen haben, frage ich Sie: Welches waren denn die
wichtigsten Erkenntnisse dort?
Wir haben uns in den bisherigen Dialogveranstaltungen - das ist noch nicht abgeschlossen - mit der Unterstützung der Angehörigen in der Pflege beschäftigt. Die
Angehörigen haben uns klar zurückgemeldet, dass ihre
Arbeit bisher zu wenig wahrgenommen wurde. Dazu haben wir nach ersten Diskussionen noch keine Entscheidung getroffen, aber doch festgestellt, dass wir mehr
werden tun müssen, um die Angehörigen von Pflegebedürftigen besser zu unterstützen, zu begleiten, zu informieren und auch zu entlasten. Über die konkrete Ausgestaltung, also darüber, wie das funktioniert, ist in der
Koalition noch nicht entschieden worden.
Frau Kollegin Marks, Sie haben eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
mich als Seniorenpolitikerin hat sehr betroffen gemacht,
dass Sie auf eine sehr deutliche Art und Weise und sehr
einseitig von den Problemen und - so wörtlich - Lasten
einer alternden Bevölkerung gesprochen haben. Ganz
egal, ob es um das Ressort Gesundheit oder das Ressort
BMFSFJ geht: Ich finde, unsere politische Aufgabe und
Verantwortung ist es - ich will Sie fragen, ob Sie das
nicht ebenfalls so einschätzen -, auch von den Potenzialen, von den Vorteilen einer älter werdenden und dabei insgesamt gesünder bleibenden Bevölkerung zu sprechen und dieses Land darauf auszurichten,
Generationensolidarität zu leben.
Auch wenn es vielleicht nicht so gemeint war - Vokabular ist sehr verräterisch und kommt in der Gesellschaft
entsprechend an. Ich möchte Sie sehr bitten, solches
Vokabular zu vermeiden, weil es ein falsches Bild von
älteren Menschen in der Gesellschaft zeichnet.
Frau Kollegin Marks, die Unterstellung und die Zuspitzung in der Frage weise ich zurück; das entspricht
auch nicht dem, was ich eben geantwortet habe. Die
Frage war, ob es zu Beitragsbelastungen für die Versicherten oder zu Leistungskürzungen kommt. Ich habe
dann im Zusammenhang mit der Finanzierungsdiskussion lediglich darauf hingewiesen, dass eine alternde Bevölkerung logischerweise zusätzliche Pflegebedürftige
und Leistungsempfänger mit sich bringt. Damit haben
wir zu rechnen; das wissen Sie als Seniorenpolitikerin.
Gleichzeitig wissen wir - wir kennen den Altersaufbau
der Gesellschaft -, dass immer weniger junge Beitragszahler nachkommen. Das bedeutet natürlich, dass, ausgehend von dem heutigen Leistungsniveau der sozialen
Pflegeversicherung, die Ausgaben steigen. Deswegen
habe ich in diesem Zusammenhang - das war die Ausgangsfrage - von einer finanziellen Last für die Beitragszahler gesprochen.
Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, wo notwendige Entscheidungen aufgeschoben wurden, arbeiten
wir daran, die Lasten fair, gerecht und solidarisch auf die
Generationen zu verteilen. Wir wollen eben nicht, dass
eine Generation zulasten anderer Generationen lebt. Uns
geht es darum, die Kosten der Pflege und der Teilhabe in
der Gesellschaft fair auf die Generationen zu verteilen
und damit insgesamt zur Solidarität der Generationen
untereinander beizutragen. Das ist das Ziel dieser Koalition.
Ich bitte Sie deshalb, nicht mit solchen Unterstellungen in der Debatte zu arbeiten, und zwar insbesondere
mit Blick auf diejenigen, die über ein zukunftsfähiges
Pflegewesen in Deutschland debattieren und das Problem so lösen wollen, dass die Pflege auch zukünftig finanzierbar, solidarisch und gerecht dargestellt werden
kann.
Frau Scharfenberg.
Vielen Dank. - Ich habe auch noch eine Nachfrage zu
diesen Dialogveranstaltungen. Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie im Dialog mit den pflegenden Angehörigen Erkenntnisse gewonnen haben und Ihnen dabei
klar geworden ist, dass pflegende Angehörige stärkere
Unterstützung brauchen und von unserer Seite mehr Augenmerk auf sie gerichtet werden muss. Ich frage Sie
jetzt: Wussten wir das nicht vorher? Darüber wird doch
seit mehreren Jahren diskutiert. Das ist doch keine neue
Erkenntnis.
Wenn ich diese Dialogveranstaltungen in diesem
Licht betrachte, stellt sich für mich die Frage: Sind das
nicht eher Show-Veranstaltungen, die das Ministerium
ins rechte Licht rücken sollen, ein Ministerium, das dabei nur Dinge erkennt, die eigentlich alle schon lange
wussten? Muss man letztendlich nicht anders an die Sache herangehen?
Frau Kollegin Scharfenberg, es ist völlig korrekt, dass
wir schon seit Jahren wissen, dass Angehörige im Bereich der Pflege eine bessere Unterstützung brauchen.
Ich will nur daran erinnern, dass diese Legislatur gerade
anderthalb Jahre dauert und vorher andere Verantwortung für das Gesundheitsressort getragen haben. In vergangenen Legislaturperioden, in denen beispielsweise
Ihre Fraktion hier Regierungsverantwortung getragen
hat, sind solche Entscheidungen aufgeschoben worden.
Wir gehen sie jetzt an. Ich würde vorschlagen, erst dann
zu beurteilen, ob etwas für die Angehörigen erreicht
worden ist oder nicht, wenn der Gesetzentwurf vorliegt
oder, besser noch, wenn das Gesetz beschlossen worden
ist.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir im Zuge des anstehenden Gesetzgebungsvorhabens Verbesserungen für
pflegende Angehörige erreichen können. Zu einem guten Gesetz haben dann auch die Dialogveranstaltungen
einen wertvollen Beitrag geleistet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer bereit.
Die Frage 20 des Kollegen Beckmeyer, die Frage 21
des Kollegen Groß, die Fragen 22 und 23 des Kollegen
Burkert und die Fragen 24 und 25 des Kollegen Herzog
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 26 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter:
Welches Ressort hat welche Beratungsfirma für 17 200 Euro
beauftragt, eine Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages zu protokollieren ({0})?
Bitte schön, Herr Scheuer.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mich wirklich gefreut, die Frage 25 des
Kollegen Herzog zu beantworten. Da geht es nämlich
um die Nassbaggerei.
Ich komme aber jetzt zu den Fragen 26 und 27 des
Kollegen Hofreiter, die ich, wenn Sie erlauben, im Sachzusammenhang beantworten möchte. Es geht hier um
die Protokollierungskosten einer Sitzung.
Dann rufe ich auch die Frage 27 des Kollegen
Hofreiter auf:
In welcher Verkehrsausschusssitzung wurde zu welchem
Thema im Auftrag der Bundesregierung protokolliert?
Meine Antwort auf beide Fragen lautet wie folgt: Der
Bericht des Bundesrechnungshofs an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags nach § 88 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung vom 23. März 2011 zum Einsatz
externer Berater bei Normsetzungsverfahren wird derzeit noch in Zusammenarbeit mit dem BMF geprüft.
Diese Prüfung konnte noch nicht abgeschlossen werden,
da die Prüfungsfeststellung des Bundesrechnungshofs
auf einer anonymisierten Querschnittsprüfung mehrerer
Ressorts beruht, sodass Details insbesondere beim BMF
erst aufwendig ermittelt werden müssen.
Eine Nachfrage, Herr Hofreiter? - Bitte sehr.
Das heißt, Sie wissen in der Bundesregierung schlichtweg nicht, welche Aufträge Sie vergeben haben, und können nicht beantworten, ob Sie tatsächlich 17 000 Euro für
die Protokollierung einer Sitzung ausgegeben haben, wie
der Bundesrechnungshof vermutet, oder nicht. Ihre Aussage, das sei vom Zeitpunkt des Einreichens der Frage bis
jetzt nicht recherchierbar, kann ich nicht ohne Weiteres
nachvollziehen.
Ich kann Ihnen nur sagen, was ich in der Antwort
schon gesagt habe: dass intensiv geprüft wird. Das
BMVBS hat einen Auftrag für solche Arbeiten nicht erteilt.
Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte sehr.
Das heißt, der Auftrag kommt nicht aus dem Bundesverkehrsministerium?
So habe ich das gerade gesagt, Herr Kollege
Hofreiter.
({0})
Wir kommen zur Frage 28. - Die Kollegin Lühmann
ist allerdings nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in
der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 29 des Kollegen Süßmair wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zur Frage 30 der Kollegin Behm:
Wie bewertet die Bundesregierung die Einigung der Fluglärmkommission zu den Flugrouten für den Airport Berlin
Brandenburg International, BBI, und inwieweit ist diese Einigung relevant für die endgültige Festlegung der Flugrouten?
Bitte schön.
Frau Kollegin Behm, die gesetzliche Rolle der Fluglärmkommission liegt nach § 32 b des Luftverkehrsgesetzes in der Beratung unter anderem des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und der Flugsicherungsorganisation.
Beratungsergebnisse der Kommission haben daher empfehlenden Charakter.
Die besondere Bedeutung von Ausschussempfehlungen hat der Gesetzgeber unter anderem dadurch deutlich
gemacht, dass die Beratenen der Kommission bei etwaigen Abweichungen die Gründe mitteilen müssen, warum
die vorgeschlagenen Maßnahmen für nicht geeignet oder
für nicht durchführbar gehalten werden. Die Einigung
der Fluglärmkommission auf Maßnahmen, die fachlich
umsetzbar sind, ist daher zu begrüßen.
Frau Behm, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.
Vielen Dank für die Beantwortung dieser Frage. - Es
freut mich, dass die Nichtbeachtung der Empfehlungen
begründet werden muss. Es gibt mittlerweile eine ganze
Reihe von Empfehlungen. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung - man könnte auch sagen: Empfehlung - der Bürgerinitiative „Fluglärmfreie Havelseen“
nach einem sogenannten Mandatory-Fly-Over-Wegpunkt
südwestlich des Autobahndreiecks Werder über dünn besiedeltem Gebiet? Mit diesem Punkt, der für die Einfädelung und für freie Anflüge von Bedeutung ist, soll die
Verlärmung dieses hinsichtlich Lärm sehr sensiblen Gebietes südwestlich von Berlin - die Bürgerinitiative ist da
sehr aktiv - verhindert werden.
Die Ergebnisse werden - wir haben uns schon in einer
der letzten Fragestunden damit beschäftigt - von der Genehmigungsbehörde genau angesehen. Eine Nichtbeachtung muss, wie gesagt, begründet werden. Ich gehe davon aus, dass die gegebenen Hinweise - deswegen gibt
es ja die Fluglärmkommission - entsprechend berücksichtigt werden. Für die Genehmigung sind aber die Behörden in Berlin und Brandenburg zuständig. Wir werden die Ergebnisse der Fluglärmkommission auswerten.
Frau Behm, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte
schön.
Bedauerlicherweise ist es so - daran wird sich bei diesem Flughafen wahrscheinlich nichts mehr ändern -,
dass die Bundesbehörden, also das Bundesaufsichtsamt
für Flugsicherung und auch das Umweltbundesamt, die
im Benehmen miteinander die Flugrouten im Rahmen
einer Rechtsverordnung festlegen, erst sehr spät, nämlich im Grunde genommen dann, wenn die Planung abgeschlossen ist, einbezogen werden.
Am 28. Februar ist in Kleinmachnow ein Gutachten
vorgestellt worden, in dem davon ausgegangen wird, dass
nicht, wie bisher angenommen, ungefähr 60 000 Bürger
vom Fluglärm betroffen sein werden, sondern weitaus
mehr Berliner und Brandenburger. Statt der knapp
60 000 Menschen, die die Flughafenplaner im künftigen
55-dB-Schutzgebiet verortet haben, sind nach diesem
Gutachten 102 550 Menschen betroffen. Diese Zahl kann
noch auf 620 000 Bürgerinnen und Bürger steigen.
Angesichts der Tatsache, dass sich Bundesbehörden
so spät an diesem Verfahren beteiligen, frage ich Sie:
Kennen Sie das Gutachten, und wie bewerten Sie es?
Halten Sie es nicht für erforderlich, dass man in den Planungen einen Schritt zurückgeht, um die Betroffenheiten
entsprechend zu würdigen?
Frau Kollegin Behm, ich mache aus meinem Herzen
keine Mördergrube, wenn ich sage: Wir bauen zwar den
Flughafen BBI, aber wir können ihn nicht anfliegen. Das
ist schon bemerkenswert. Wir begleiten diesen Dialogprozess als Bund schon sehr lange. Ihren Worten entnehme ich: Alle Vorschläge, die gemacht wurden, werden entweder mit neuen Versuchen verzögert, oder es
werden Ablenkungsmanöver von verschiedenen Ebenen
auf den Bund gestartet und vieles mehr.
Fakt ist - das habe ich in einer der letzten Fragestunden ja schon beantwortet -, dass die Genehmigungsbehörden in Berlin und in Brandenburg sitzen. Unsere Behörden sind zwar in den Sachverhalt eingebunden, aber
die genauen Abläufe beim BBI liegen in den Händen der
Genehmigungsbehörden. Ich denke, dass die Fluglärmkommission sehr engagiert auf Gutachten eingeht und
auf Bürgerinitiativen zugeht. Der eine oder andere mag
dies anders sehen, aber ich bewerte das so. Wir müssen
versuchen, eine Lösung zu finden. Das Motto „Einen
Schritt vor, aber drei zurück“ bringt uns nicht weiter. Wir
wollen diesen Flughafen ja irgendwann einmal in Betrieb nehmen. Dafür ist es notwendig, dass wir den Flughafen auch anfliegen können. Alle Bürgerinitiativen und
alle Bürger sind eingeladen, sich an diesem Prozess zu
beteiligen. Aber noch einmal: Die für die Genehmigung
zuständige Ebene ist nicht der Bund.
Vielen Dank.
Nun sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Frau Heinen-Esser zur Verfügung. Die
Kolleginnen Wagner und Lühmann, die die Fragen 31
und 32 gestellt haben, sind nicht anwesend; es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die
Fragen 33 und 34 der Kollegin Menzner wurden zurückgezogen. Die Fragen 35 und 36 der Kollegin KottingUhl werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 37 des Kollegen Hans-Josef
Fell:
Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass bei dem geplanten europäischen Stresstest auch Kriterien für die Untersuchung von Terrorszenarien wie dem gezielten Absturz von
großen Passagierflugzeugen festgelegt werden?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Fell! Die Durchführung von Stresstests für Kernkraftwerke in der Europäischen Union ist das Ergebnis des Europäischen Rates
vom 24. und 25. März 2011. Das Vorgehen ist in den
Schlussfolgerungen zu Japan festgehalten. Ein koordinierter Rahmen für diese Stresstests soll von der europäischen Hochrangigen Gruppe für nukleare Sicherheit und
Abfallentsorgung festgelegt werden. Umfang der Tests
und Durchführungsmodalitäten sollen dort festgelegt
werden. Auf das Fachwissen der Europäischen Regulatorenvereinigung soll zurückgegriffen werden.
Die Bundesregierung wird in beide Gremien alle Szenarien einbringen, die bei den Stresstests berücksichtigt
werden sollen. Hierzu gehören auch absichtliche oder
zufällige Flugzeugabstürze. In den Schlussfolgerungen
zum Rat finden Sie unter Punkt 31 sehr ausführlich dargestellt, um welche Maßnahmen es sich handeln soll.
Herr Fell, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie sagen, man
könne alles nachlesen. Vielleicht können Sie mir auch
sagen, ob es bereits gelungen ist, den Einfluss der Bundesregierung geltend zu machen, sodass bei diesen
Stresstests tatsächlich auch die unterschiedlichen Szenarien in Bezug auf terroristische Angriffe untersucht werden?
Sie wissen wahrscheinlich, dass der erforderliche
Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter wie Sabotage- oder Terrorszenarien eine rein
nationale Angelegenheit ist und nicht Bestandteil des Euratom-Vertrags. Daher sind diese Szenarien auch nicht
Bestandteil der Stresstests, aber - das habe ich vorhin
schon gesagt - der zufällige und der absichtliche Flugzeugabsturz gehören zu den Szenarien zur Anlagensicherheit und werden daher auch von den Stresstests abgedeckt.
Herr Fell, Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte
schön.
Danke, Frau Präsidentin. - Es ist schon beruhigend,
wenn bei diesem Stresstest Flugzeugabstürze untersucht
werden. Wir wissen aber, dass es weitere terroristische
Attacken geben kann, die hochgefährlich für die Sicherheit von Atomreaktoren sind. Wenn Sie nun sagen, die
Untersuchung dieser Frage sei ausschließlich eine nationale Angelegenheit, frage ich: Welche Aktivitäten unternimmt die Bundesregierung, um Szenarien mit solchen
Attacken zu untersuchen und die betreffenden Atomreaktoren einem solchen Stresstest zu unterziehen? Es
würde nichts nützen, wenn wir nur die deutschen Atomkraftwerke untersuchen würden. Sie wissen, dass beispielsweise das Kernkraftwerk in Fessenheim und auch
das Kernkraftwerk in Tschechien ganz nah an der deutschen Grenze liegen. Wir müssen im Interesse der
deutschen Bevölkerung sicher sein, dass auch diese
Kernkraftwerke bezüglich möglicher Attacken einem
Stresstest unterzogen werden. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um dies sicherzustellen?
Wir werden uns in beiden Gruppen, die sich auf europäischer Ebene mit dem Stresstest befassen - ich habe
sie vorhin genannt -, einbringen und Schadensszenarien
aufzeigen. Wir werden auch die Anforderungen einbringen, die die Reaktor-Sicherheitskommission für Stresstests der deutschen Kernkraftwerke erarbeitet. Sie können davon ausgehen, dass wir wirklich mit aller Kraft
daran arbeiten, all das genau untersuchen zu lassen. Ich
möchte hier aber auch noch einmal auf die geltenden Regelungen in Europa hinweisen. Ich bin zuversichtlich,
dass wir mit den Stresstests ein weites Feld abdecken
können.
Frau Behm.
Ich möchte nachfragen, ob neben den Kernkraftwerken, die der Stromversorgung dienen - über diese reden
wir im Allgemeinen -, auch der Versuchsreaktor in Berlin-Wannsee einem Stresstest unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen von versehentlich oder aus
terroristischen Gründen erfolgenden Flugzeugabstürzen
unterzogen wird.
Wir haben entschieden, dass zunächst einmal unsere
Kernkraftwerke einem Stresstest unterzogen werden.
Darüber hinaus werden wir auch Forschungsreaktoren,
Zwischenlager etc. in die Untersuchung einbeziehen. Im
ersten Schritt geht es aber um die Kernkraftwerke. Alles
Weitere wird ebenfalls berücksichtigt werden. Ob diese
Untersuchung im Laufe des dreimonatigen Moratoriums
erfolgen kann, kann ich nicht sagen; aber sie wird auf jeden Fall durchgeführt werden.
Herr Kollege Fischer, bitte.
Frau Staatssekretärin, bin ich richtig informiert, dass
es im Rahmen des Atomkonsenses von Rot-Grün, also
zu der Zeit, als Herr Trittin Umweltminister war, eine
Vereinbarung über die Begrenzung von Laufzeiten gegeben hat, in der man am Parlament vorbei beschlossen
hat, dass keine neuen Sicherheitsvorkehrungen getroffen
werden? Ist es richtig, dass Stresstests und Flugzeugabstürze bei der Frage der Sicherheit keinerlei Rolle gespielt haben?
Ja, Herr Kollege Fischer, das ist richtig.
({0})
Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Bärbel Höhn und
die Frage 40 des Kollegen Klaus Hagemann sind zur
schriftlichen Beantwortung vorgesehen. Die Frage 41
des Kollegen Oliver Krischer wurde zurückgezogen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Die Frage 42 des
Kollegen Oliver Krischer wurde vorgezogen. Die
Frage 43 des Kollegen Klaus Hagemann wird schriftlich
beantwortet.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf. Die Frage 44 der Kollegin Heike
Hänsel und die Frage 45 des Kollegen Alexander Ulrich
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin
und des Bundeskanzleramtes auf. Die Frage 46 der Kollegin Marlene Rupprecht ({0}) wird schriftlich
beantwortet.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Cornelia Pieper bereit.
Schriftlich beantwortet werden die Frage 47 des Kollegen Alexander Ulrich, die Frage 48 der Kollegin
Sevim Dağdelen, die Fragen 49 und 50 des Kollegen
Niema Movassat sowie die Frage 51 des Kollegen
Andrej Hunko.
Ich rufe die Frage 52 der Abgeordneten Heike Hänsel
auf:
Welche Ziele verfolgen nach Auffassung der Bundesregierung die gegen Laurent Gbagbo und zahlreiche seiner mutmaßlichen Unterstützer verhängten Sanktionen, und wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzungen humanitärer
Organisationen wie von Ärzte ohne Grenzen, dass diese Sanktionen das Wirtschaftsleben und das Gesundheitssystem in
Côte d’Ivoire zum Zusammenbruch gebracht und damit die
humanitäre Lage drastisch verschlechtert hätten?
Bitte schön.
Frau Abgeordnete, mit den gegen Laurent Gbagbo
und seine Unterstützer verhängten Sanktionen wird das
Ziel verfolgt, politischen und wirtschaftlichen Druck
auszuüben, um auf diese Weise gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern bzw. rascher zu beenden und
weiteres Leid von der Zivilbevölkerung abzuwenden.
Die Sanktionen haben nicht zur aktuellen Eskalation des
Konflikts beigetragen, sondern haben nach Auffassung
der Bundesregierung den Ausbruch gewaltsamer Auseinandersetzungen zunächst abgewendet, da Staatspräsident Ouattara deren Wirksamkeit abgewartet hat.
In der Abwägung hat aus meiner Sicht eine rasche
Beendigung der gewaltsamen Auseinandersetzung Priorität, um eine Rückkehr zur Normalität zu ermöglichen.
Die Bundesregierung setzt sich gemeinsam mit den europäischen Partnern dafür ein, dass die Lieferung humanitärer Hilfsgüter nicht durch die Sanktionen behindert
wird.
Sie haben eine Nachfrage, Frau Hänsel?
Ja.
Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Sie haben gesagt,
dass die Sanktionen auch dem Schutz der Bevölkerung
dienen sollen. Ich möchte aus einem Bericht der Humanitarian Country Teams der Vereinten Nationen zitieren.
Dort heißt es:
Aufgrund der Entscheidung der EU, das Anlaufen
von Schiffen zu unterbinden, wurden medizinische
Güter und notwendige Medikamente für Kinder,
Mütter und Aids-Kranke sowie Impfstoffe knapp.
Insgesamt wird beklagt, dass die Lebensmittelpreise
durch die Sanktionen seit Dezember 2010 massiv angestiegen sind. Die Ärzte ohne Grenzen sprechen von einer
humanitären Katastrophe. Deswegen meine Frage: Wie
kommen Sie zu der Einschätzung, durch diese Sanktionen werde die Zivilbevölkerung geschützt?
Frau Abgeordnete, wir müssen davon ausgehen, dass
ein Andauern des Konflikts nach den Wahlen zu einem
Bürgerkrieg führen würde und damit zu sehr hohen Opferzahlen in der Bevölkerung. Das wollen wir natürlich
nicht. Die massive Hasspropaganda des früheren Präsidenten Gbagbo und seines Lagers hat die Verbitterung in
der Bevölkerung und die Gewaltbereitschaft multipliziert. Das belegen die zahlreichen Übergriffe.
Wir haben ein sehr großes Interesse daran, dass die
humanitären Aktionen ohne Behinderungen durchgeführt
werden können. Wir sehen anhand der Berichte, dass
sich die humanitäre Lage, wie Sie es beschrieben haben,
dramatisch verschlechtert hat. Es gibt bis zu 1 Million
Vertriebene im Land. Es gibt über 100 000 Flüchtlinge,
unter anderem in Liberia. Zum Glück wurde die humanitäre Hilfe durch die Bundesregierung aufgestockt. Natürlich sehen wir die vorhandenen Schwierigkeiten. Ich
sage deshalb noch einmal: Vorrang hat für uns, dass es
zu einem Ende des Konflikts kommt und es keinen Bürgerkrieg gibt.
Zunächst Frau Dağdelen, dann wieder Frau Hänsel.
Bitte schön.
Frau Staatsministerin Pieper, Sie haben gesagt: bevor
es zu einem Bürgerkrieg kommt. Nun ist die Situation
aber so, dass es in der Elfenbeinküste - das war heute
auch Thema im Auswärtigen Ausschuss - bereits einen
Bürgerkrieg gibt, und zwar seit der umstrittenen Wahl
Ende letzten Jahres, seitdem zwei Präsidentenanwärter
für sich beanspruchen, der gewählte Präsident zu sein.
Seit Tagen gibt es Gefechte und auch Bombenangriffe
seitens der UN und der französischen Truppen auf den
Präsidentenpalast.
In diesem Zusammenhang würde ich gerne wissen:
Hat die Bundesregierung überhaupt Kenntnis von dem
momentanen Aufenthaltsort von Gbagbo? Wie schätzen
Sie seine Chancen, das Land überhaupt noch lebend zu
verlassen, ein? Stand oder steht die Bundesregierung eigentlich hinsichtlich des Konfliktes in Côte d’Ivoire in
Kontakt mit der Konrad-Adenauer-Stiftung?
({0})
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die
Konrad-Adenauer-Stiftung ihre durch das Regionalprogramm Politischer Dialog Westafrika gewonnenen Kontakte genutzt hat, die Möglichkeiten eines Putsches in
Côte d’Ivoire gegen Gbagbo, der sich als Präsident versteht, in ihrem Länderbericht zu erörtern?
Das sind mehrere Fragen auf einmal, deren Beantwortung sicher nicht in einer Minute zu erledigen ist.
Vielleicht darf ich vorwegnehmen, dass heute nicht
nur im Auswärtigen Ausschuss über dieses Thema gesprochen wurde. Der Bundesaußenminister hat natürlich
auch über die Lage an Côte d’Ivoire informiert.
In den letzten Tagen ist es zu einer beschleunigten
Entwicklung gekommen. Die Truppen des gewählten
und international anerkannten Präsidenten Ouattara sind
überraschend schnell aus dem Norden vorgedrungen und
sind seit dem 31. März 2011 in Abidjan. Man kann sagen, dass die bewaffneten Kräfte des abgewählten Präsidenten Gbagbo weitgehend kollabiert sind. Sie leisten
aber zurzeit noch an wenigen Örtlichkeiten in Abidjan
fanatischen Widerstand. Gbagbo hält sich nach unserer
Auffassung in Abidjan auf. Er selbst ist nicht kompromiss- oder verhandlungsbereit.
Wie Sie wissen, wurde vonseiten der internationalen
Gemeinschaft, insbesondere von der Europäischen
Union und der Afrikanischen Union, in den letzten vier
Monaten seit der Wahl alles getan, um diesen Konflikt
friedlich zu lösen. Das gesamte Instrumentarium des
Krisenkonfliktmanagements ist eingesetzt worden, um
hier zu vermitteln. Das hat alles nichts geholfen. Selbst
das Vermittlungspanel von fünf afrikanischen Staatschefs hat nichts gebracht. Das Regime Gbagbo hat sich
den Initiativen entzogen. Die Regierung von Ouattara
sah keine Alternative zu einem Angriff. Sogar die Afrikanische Union hielt hier eine politische Lösung nicht
mehr für möglich. Deswegen ist die Lage - das sehen
auch wir so - ziemlich prekär und zugespitzt. Ich sage
aber noch einmal: Es sollte jetzt alles darangesetzt werden, dass es zu keiner Ausbreitung des Bürgerkrieges,
sondern sehr schnell zu einer Beendigung des Konfliktes
kommt. Da ist sich die internationale Gemeinschaft einig; davon können Sie ausgehen.
Sie hatten noch eine Nachfrage zur KonradAdenauer-Stiftung, die bereits einer Ihrer Kollegen gestellt hat; ich weiß nicht mehr, wer es war. Der KonradAdenauer-Stiftung wurde vorgeworfen, dass sie die militärische Intervention vorgeschlagen hat, die aber nicht
notwendigerweise fremde Soldaten auf ivorischem Territorium bedeuten müsste. Ich will festhalten: Nach unseren Informationen hat die Konrad-Adenauer-Stiftung
keinen derartigen Vorschlag unterbreitet oder gefördert.
Nach Angaben der Stiftung wurden lediglich theoretisch
mögliche Vorteile erörtert, zum Beispiel ein Übereinkommen führender Militärs über eine gemeinsame Position im Hinblick auf eine friedliche Konfliktbeilegung,
die sich aus der Tatsache, dass sich Generalstabsoffiziere
aus den Projektländern auf einer Stiftungsveranstaltung
persönlich kennengelernt haben, ergeben könnte. Nach
Angaben der Stiftung hat zu keinem Zeitpunkt ein Mitarbeiter des Politischen Dialogs Westafrika Gespräche
oder Telefonate im Sinne der Frage geführt oder anderweitig eine aktive Kontaktaufnahme außerhalb der jährlichen Veranstaltung gefördert oder begünstigt.
Die Bundesregierung selbst hat von Beginn des Konfliktes an die Vermittlungsbemühungen von der Afrikanischen Union und ECOWAS für eine friedliche Konfliktbeilegung unterstützt.
Frau Hänsel, Sie haben nach wie vor eine Nachfrage? - Es hätte ja sein können, dass sich das erledigt
hat. Bitte schön.
Frau Staatsministerin, ich möchte noch einmal festhalten, dass wir bereits viele Tote zu beklagen haben.
Hier war die UNO überhaupt nicht präsent. Es sollen bis
zu 1 000 Ouattara-Anhänger niedergemetzelt worden
sein. Insofern kann man nicht von einem effektiven
Schutz sprechen. Es entsteht vielmehr der Eindruck, als
werde nur eine Seite geschützt. Ich denke, die UNO
muss neutral sein und in diesem Konflikt vermitteln. Sie
soll zu einem Ende der Gewalt beitragen und darf nicht
Teil dieses Krieges sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
zur Konrad-Adenauer-Stiftung nachfragen. Sie schreibt
in ihrem Länderbericht, dass eine militärische Intervention nicht notwendigerweise von fremden Soldaten auf
dem ivorischen Territorium durchgeführt werden
müsste, sondern dass auch eine Beeinflussung der bereits vorhandenen Militärs der Elfenbeinküste durch Militärkameraden der benachbarten Länder denkbar sei.
Das hört sich meines Erachtens nach einer militärischen
Strategie an, wie man diesen Konflikt in der Elfenbeinküste schüren kann. Insofern würde ich gern die Position
der Bundesregierung zu dieser Einschätzung der
Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrem Länderbericht 2010
hören.
Frau Abgeordnete, ich hatte schon zitiert, was der
Konrad-Adenauer-Stiftung vorgeworfen worden ist. Ich
sage noch einmal ausdrücklich, dass die Bundesregierung durch das Auswärtige Amt mit der KonradAdenauer-Stiftung Kontakt aufgenommen hat und dass
diese die ihr gemachten Vorwürfe nicht bestätigt hat. Wir
können insofern davon ausgehen, dass das, was Sie jetzt
beschrieben haben, nicht beabsichtigt war. Ich will aber
meine Antwort von vorhin nicht wiederholen.
Herr Fischer.
Frau Staatsministerin, in Anbetracht der Aussagen
von Frau Hänsel frage ich Sie: Wenn ich richtig informiert bin, umfasst die Fläche von Côte d’Ivoire etwa
322 000 Quadratkilometer; die Fläche der Bundesrepublik Deutschland beträgt etwa 357 000 Quadratkilometer. 7 000 UN-Soldaten sind in der Elfenbeinküste im
Einsatz. Können Sie mir erklären, wie an jedem Ort dieses Landes, dessen Fläche etwa der der Bundesrepublik
entspricht, die verschiedenen ethnischen Konflikte verhindert werden sollen?
Die zweite Frage bezieht sich auf die Sanktionen. Ist
Ihnen bekannt, dass die Häfen in den letzten Wochen
weitestgehend unter der Kontrolle von Gbagbo gestanden haben? Wenn die Häfen weiterhin angelaufen worden wären, hätte dies zu einer Stabilisierung der Regierung, die nicht mehr im Amt ist, geführt, und dadurch
hätte sich der Bürgerkrieg deutlich verschärft.
Herr Abgeordneter, auf Ihre erste Frage kann ich nur
mit Nein antworten. Ich nehme an, dass dies eher eine
rhetorische Frage war. Wir sehen die Entwicklung in
Côte d’Ivoire mit großer Sorge.
Das, was Sie zuletzt nannten, beobachtet natürlich
auch die Bundesregierung sehr intensiv. Genau deswegen muss alles darangesetzt werden, dass wir die humanitären Maßnahmen und insbesondere die UNOCI unterstützen; darauf wird auch in Punkt 6 der Resolution 1975
der Vereinten Nationen vom 30. März 2011 hingewiesen. Der Bürgerkrieg muss schnell eingedämmt werden.
Ihr Beispiel zeigt, dass wir hier handeln müssen und
nicht einfach nur zusehen dürfen.
({0})
Die Fragen 53 und 54 der Kollegin Katrin Werner, die
Fragen 55 und 56 der Kollegin Erika Steinbach, die
Frage 57 der Kollegin Ute Kumpf, die Frage 58 des Kollegen Hans-Christian Ströbele und die Frage 59 des Kollegen Tom Koenigs werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Die Frage 60 des Kollegen Tom
Koenigs, die Frage 61 des Kollegen Andrej Hunko und
die Frage 62 des Kollegen Konstantin von Notz werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Die Fragen 63 und 64 des Kollegen Willi Brase werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Die Fragen 65 und 66 der Kollegin
Christel Humme werden schriftlich beantwortet. Die
Frage 67 der Kollegin Marlene Rupprecht wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Schriftlich beantwortet werden die Fragen 68 und 69 der Kollegin
Ulla Burchardt, die Fragen 70 und 71 des Kollegen René
Röspel sowie die Fragen 72 und 73 des Kollegen HansJoachim Hacker. Die Frage 74 des Kollegen Sönke Rix
wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Weil wir uns über die Ankunft des Parlamentarischen
Staatssekretärs freuen, wollen wir die Frage 75 der Kollegin Höll trotz der überschrittenen Zeit der Fragestunde
noch behandeln:
Welche finanziellen Auswirkungen ergeben sich nach
Schätzungen der Bundesregierung infolge der Ausweitung
des Anwendungsbereichs der körperschaftsteuerlichen Organschaft gemäß Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen, BMF, vom 28. März 2011, und wird die Ausweitung des
Anwendungsbereichs auch gesetzlich geregelt werden?
Charmante Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Frau Kollegin Höll, ich darf Ihnen darauf
wie folgt antworten: Finanzielle Auswirkungen aufgrund
der Ausweitung des Anwendungsbereichs gemäß dem in
der Frage genannten BMF-Schreiben sind nicht zu erwarten, da aufgrund der weiteren Voraussetzungen für
die Anerkennung einer steuerlichen Organschaft, insbesondere des Vorliegens eines Gewinnabführungsvertrages, derzeit keine Fälle vorliegen dürften, die ohne zusätzliche Anpassung eine steuerliche Organschaft bilden
könnten. Eine isolierte gesetzliche Anpassung der von
der Europäischen Kommission beanstandeten Regelung
des § 14 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes
und des § 17 des Körperschaftsteuergesetzes ist nicht geplant. Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien ist
die Prüfung der Einführung eines Gruppenbesteuerungssystems anstelle der bisherigen Organschaft vorgesehen.
In diesem Zusammenhang wird auch die angesprochene
Problematik aufgegriffen.
Frau Höll, eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. - Danke, Herr Staatssekretär. Ich habe zwei Nachfragen. Welche weiteren Vertragsverletzungsverfahren bzw. anhängigen Verfahren
beim EuGH zur körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft existieren derzeit, und gilt das, was in diesem
BMF-Schreiben steht, analog auch für gewerbesteuerliche Organschaften?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Höll, diese Fragen haben mit Ihrer Ursprungsfrage eigentlich nichts zu tun. Ich bin aber gerne
bereit, auf die Suche zu gehen und Ihnen diesen Sachverhalt schriftlich zu beantworten.
Ihre zweite Nachfrage.
Sehr gern, Herr Staatssekretär.
Zu meiner zweiten Nachfrage. Die Frage der Ausweitung bzw. Begrenzung der Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Verlustverrechnung würde sich durch eine
EU-weite Einführung einer gemeinsamen konsolidierten
Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage erledigen; dann
wäre dies in allen Ländern gleich. Die Europäische
Kommission hat hierzu im März dieses Jahres einen
Richtlinienvorschlag vorgelegt. Mich interessiert: Welche Haltung hat die Bundesregierung zu diesem Vorschlag, und welche finanziellen Auswirkungen für
Deutschland impliziert der Vorschlag, der von der EUKommission vorgelegt wurde?
Wir befinden uns derzeit noch in der Phase der Prüfung des Richtlinienvorschlages. Von daher kann ich Ihnen weder über das Ergebnis einer noch nicht abgeschlossenen Prüfung berichten noch die finanziellen
Auswirkungen beschreiben, Frau Kollegin Höll.
Jetzt sind wir am Ende der Fragestunde angekommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Gründe des Bundeswirtschaftsministers gegen ein Verbot von Klonfleisch
Ich rufe als ersten Redner den Kollegen Ulrich Kelber
für die SPD-Fraktion auf.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher werden es auch in Zukunft nicht genau wissen:
Sie werden nicht wissen, ob die Milch, die sie trinken,
oder das Fleisch, das sie essen, von geklonten Tieren
stammt oder nicht. Die Bundesregierung aus CDU/CSU
und FDP hat mit ihrer Stimmabgabe in der Europäischen
Union dafür gesorgt, dass Fleisch, Milch und andere
Produkte von geklonten Tieren oder deren Nachkommen
nicht gekennzeichnet werden müssen. Man kann mit anderen Worten sagen: Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist der Meinung, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher nicht wissen dürfen, was auf ihrem Teller
liegt, damit sie sich nicht gegen bestimmte Produkte entscheiden können.
({0})
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind
der Überzeugung, dass Verbraucherinnen und Verbraucher das Recht haben, zu wissen, woher Lebensmittel
stammen, wie sie produziert wurden, welche Techniken
dabei zum Einsatz kommen und welche Folgen sie haben.
Es gibt eine Reihe von Gründen, das Klonen von Tieren zur Produktion von Lebensmitteln abzulehnen.
Erstens. Es ist und bleibt Tierquälerei, weil bei den
geklonten Tieren eine Reihe von Defekten entsteht. Über
die Hälfte stirbt frühzeitig oder hat vermehrt Krankheiten.
({1})
Zweitens. Die genetische Vielfalt der Herden wird reduziert, verbunden mit den entsprechenden Problemen
im Hinblick auf Krankheiten und Seuchen.
Drittens. Es ist keineswegs geklärt, ob Gendefekte,
die aus dem Klonverfahren resultieren, den Tieren oder
den Konsumenten dauerhaft Schaden zufügen können,
übrigens auch Defekte, die mit herkömmlichen Methoden nicht zu entdecken sind.
Viertens - nicht am unwichtigsten -: Es ist ein weiterer Beitrag zur Industrialisierung der Landwirtschaft und
zur Abkehr von den Produktionsstrukturen, die wir im
Deutschen Bundestag bereits debattiert haben.
({2})
Es war Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle,
der mit seiner Stimmabgabe das Vermittlungsverfahren
zwischen dem Europäischen Parlament und der EUKommission hat platzen lassen. Das EU-Parlament war
mit breiter Mehrheit für eine Kennzeichnung. Aber Herr
Brüderle hat den Interessen amerikanischer Lebensmittelkonzerne Vorrang vor den Wünschen der deutschen
Verbraucherinnen und Verbraucher gegeben. Am Ende
war seine Stimmabgabe bzw. die von ihm angewiesene
Stimmabgabe, Herr Staatssekretär, wegen des besonders
großen Stimmanteils Deutschlands in der Europäischen
Union die ausschlaggebende.
Es sind nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, die dies kritisieren. Ich darf den Vorsitzenden der
zuständigen DGB-Gewerkschaft, den NGG-Vorsitzenden Franz-Josef Möllenberg, zitieren:
Dass Wirtschaftsminister Brüderle bei den jüngsten
Verhandlungen mit dem EU-Parlament ein Verbot
und eine Kennzeichnung von Klontierprodukten
blockiert hat, grenzt an vorsätzlichen Verbraucherbetrug. Herrn Brüderle ist noch nicht aufgegangen,
dass die Verbraucher weder Klonfleisch noch einen
Minister wollen, der sich dafür hergibt, die Menschen mit nicht gekennzeichneten Produkten …
über den Tisch zu ziehen.
Das lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig.
({3})
Die deutschen Lebensmittelkonzerne und die deutschen Bauern haben deutlich gemacht: Sie wollen keine
Klonprodukte. Ich bin froh, dass zahlreiche Kolleginnen
und Kollegen auch aus CDU/CSU und FDP im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag deutlich
gemacht haben, dass sie die Stimmabgabe von Rainer
Brüderle ablehnen. Vielleicht braucht die Bundesregierung auch hier eine Ethikkommission, die sie auf den
Stand der Diskussion im Rest der Gesellschaft bringt.
Herr Otto, das wäre doch eine Idee: Schalten Sie die Kameras an, und richten Sie eine Ethikkommission zum
Klonen von Tieren ein.
({4})
Ich glaube, das Thema muss wieder auf den Tisch.
Das Platzen-Lassen durch Rainer Brüderle darf nicht das
Ende dieser Debatte sein. Wer wie die schwarz-gelbe
Bundesregierung immer gerne von den mündigen Verbraucherinnen und Verbrauchern spricht, der darf diesen
Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht die Informationen vorenthalten, durch die diese eine mündige Entscheidung treffen können. Die Verbraucherinnen und
Verbraucher haben einen Anspruch darauf, zu wissen, ob
das Fleisch, die Milch und die anderen Produkte von geklonten Tieren stammen. Die Bundesregierung darf ihnen nicht die Entscheidung verweigern, ob sie sie haben
wollen oder nicht.
({5})
Letzter Punkt. Der Wirtschaftsminister - ich betone
es: der Wirtschaftsminister - hat nicht nur gegen Verbraucherschutzinteressen verstoßen, sondern auch die
wirtschaftlichen Interessen Deutschlands massiv geschädigt. Wir, die wir im Landwirtschaftsbereich politisch tätig sind, wissen: Jeder Vertrauensverlust in die Qualität
deutscher Lebensmittel hat automatisch einen Verlust an
Arbeitsplätzen zur Folge. Dieser Minister hat versagt. Es
wird Zeit, dass ihm jemand nachhaltig erklärt, dass er
vorrangig die Interessen der Menschen in Deutschland
und nicht die von amerikanischen Lebensmittelkonzernen zu vertreten hat.
Vielen Dank.
({6})
Franz-Josef Holzenkamp hat das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Kelber, in einigen Passagen war Ihre Rede
gar nicht so schlecht. Zum Schluss gab es dann aber
eben doch wieder Klamauk.
Zum inhaltlichen Teil. Ich spreche für mich persönlich, und, denke ich, auch für meine Fraktion, wenn ich
sage: Wir wollen keine künstliche Reproduktion und damit kein Klonen von Tieren. Wir lehnen das aus ethischen Gründen - sie sind schon ausgeführt worden - und
auch aus Gründen des Tierschutzes ab. Wir kennen die
Folgen: frühe Sterblichkeit, Missbildungen auch bei den
Organen und eine zunehmende Krankheitsanfälligkeit.
Wir wollen das nicht; ich würde solche Produkte auch
nicht essen. Wir müssen uns das nicht antun.
Trotzdem gibt es in der Politik eine Selbstverständlichkeit, die ich in Erinnerung rufen möchte, nämlich
Kompromisse.
({0})
Ein Kompromiss bedeutet, dass man versucht, miteinander zu Ergebnissen zu kommen.
({1})
Leider konnten sich das EU-Parlament und der Ministerrat nicht einigen. Ich persönlich bedauere das sehr.
({2})
Welches Angebot lag denn nach drei Jahren Verhandlung auf dem Tisch? Auf dem Tisch lag folgendes Angebot: erstens ein EU-weites Verbot des Klonens,
({3})
zweitens ein Vermarktungsverbot von Nahrungsmitteln
aus Klonfleisch,
({4})
drittens Rückverfolgbarkeitssysteme für Sperma und
Embryos von geklonten Tieren,
({5})
viertens Kennzeichnungspflicht für Klonfleisch - es geht
um frisches Fleisch - der ersten Generation
({6})
und fünftens eine Machbarkeitsstudie zur Kennzeichnungspflicht von geklonten Tieren. - Die Forderung des
EU-Parlaments war eine Kennzeichnungspflicht sämtlicher tierischer Erzeugnisse, die aus geklonten Tieren und
deren Nachkommen hergestellt worden sind.
({7})
Damit hat das EU-Parlament gesagt: Die Vorschläge des
Europäischen Rates gehen uns nicht weit genug.
({8})
Jetzt stellt sich die Frage: Ist das umsetzbar, ist das
praktizierbar? Hier gehen die Meinungen auseinander.
Deshalb hat man eine Machbarkeitsstudie in Aussicht
gestellt. Letztendlich gibt es auch eine ganze Menge
Leute, die sagen: Es ist sehr schwierig, insbesondere die
Kennzeichnung von Produkten aus der Nachkommenschaft zu kontrollieren.
({9})
- Schön, dass Sie fragen, was ich möchte. Ich persönlich
hätte mir eine Umsetzung der Vorstellungen des EU-Parlaments gewünscht.
({10})
Ich muss aber auch feststellen, dass wir nicht alleine auf
der Welt sind.
({11})
Die entscheidende Frage ist: Was haben wir jetzt? Wir
haben jetzt eine Situation, die schlechter ist als vorher.
Das bedauere ich in besonderem Maße. Ich habe vorhin
alle fünf Vorschläge genannt, die vorgelegen haben und
die wir bis heute hätten umsetzen können. Leider ist das
nicht gelungen.
Ich bin froh, dass die Einführung von Erzeugnissen
aus geklontem Fleisch in Europa einer Zulassung bedarf,
dass keine Zulassung vorliegt und wir somit in Deutschland und Europa nicht Gefahr laufen, dass Lebensmittel
von geklonten Tieren in den Märkten liegen. Letztendlich ist es aber ungenügend, finde ich, dass man sich zumindest für den Übergang nicht auf diesen Kompromiss
hat einigen können. Ich finde, der Kompromiss wäre
besser gewesen als der jetzige Zustand.
Deshalb hoffe ich, dass die Kommission schnellstmöglich einen neuen Vorschlag erarbeitet, und fordere
sie dazu auf. Es sollte nicht auf Dauer in der NovelFood-Verordnung geregelt werden; hierbei soll es sich
lediglich um eine Übergangslösung handeln. Wir wollen
eine gesonderte Rechtsvorschrift, in der wir das Klonen
regeln.
({12})
Um das abschließend noch einmal klar zu sagen: Ich
bin gegen Klonen. Ich will keine Nahrungsmittel von geklonten Tieren essen. Ich bin aus ethischen Gründen und
aus tierschutzrechtlichen Gründen davon überzeugt, dass
wir uns das in unserer Gesellschaft nicht antun müssen,
und dazu stehen wir.
({13})
Aber der vorgeschlagene Kompromiss hätte uns weiter
gebracht als der Zustand, in dem wir uns im Moment befinden.
Herzlichen Dank.
({14})
Karin Binder hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Drei von vier Bürgerinnen
und Bürgern in der EU lehnen Fleisch oder Milch von
geklonten Tieren ab. Sie halten das Kopieren von Lebewesen aus ethischen Gründen für nicht vertretbar. Deshalb sagen wir, die Linke: Verbraucherinnen und Verbraucher haben den Anspruch, zu erfahren, was auf ihren
Teller kommt.
({0})
Klonfleisch muss gekennzeichnet sein,
({1})
damit jeder und jede selbstbestimmt entscheiden kann,
ob er oder sie das kaufen möchte. Aber die Bundesregierung interessiert das nicht wirklich. Man muss es sich
vor Augen halten: Vertreten durch unseren Wirtschaftsminister, Herrn Brüderle von der FDP
({2})
- das ist richtig: durch den Wirtschaftsminister -, hat die
Regierung dafür gesorgt, dass Klonfleisch auch weiterhin unkontrolliert und ohne Kennzeichnung auf den
Markt und in die Verkaufsregale kommen darf.
Deutschland hätte sich mit seinem Stimmengewicht
für die Belange der Bürgerinnen und Bürger einsetzen
können.
({3})
Aber das Gegenteil wurde getan. Das ist Verbrauchertäuschung XXL.
({4})
Für einen glaubwürdigen Verbraucherschutz ist eine
Klonkennzeichnung unerlässlich. Mit dem Kopieren haben schon frühere Regierungsmitglieder ihre eigenen Erfahrungen gemacht.
({5})
Aber hier geht es nicht um die Erhaltung eines einzelnen
Regierungsmitglieds. Im Fall von Wirtschaftsminister
Brüderle hat sich gezeigt, dass zwischen den Regierungsmitgliedern offensichtlich keinerlei Abstimmung
stattgefunden hat und Schwarz-Gelb offensichtlich kein
Interesse am Verbraucherschutz hat und sich auch weiterhin lieber als Steigbügelhalter der Agrarindustrie betätigt, frei nach dem Motto „Wessen Klonfleisch ich ess,
dessen Lied ich sing“.
Tatsache ist: Um den weltweiten Absatz deutscher
Schweinehälften und deutscher Milch zu sichern, ist die
Bundesregierung einmal mehr vor den USA eingeknickt.
Die Vereinigten Staaten bringen Klonfleisch unkontrolliert und ohne Kennzeichnung auf den internationalen
Markt. Eine Kennzeichnungspflicht in Europa käme also
einem Importstopp für US-amerikanische Steaks gleich.
Die USA drohen im Gegenzug mit einem Handelsstreit.
Damit gerät die unsinnige Exportstrategie der deutschen
Regierung, deutsche Schweinehälften über die ganze
Welt zu verbreiten, in Gefahr.
Diese Haltung ist nach meiner Auffassung ethisch
ebenso unvertretbar wie das Klonen von Lebewesen. Die
Verbraucherorganisation Foodwatch bringt es auf den
Punkt: „Sichere Exportmärkte für europäische Agrarüberschüsse sind offenbar wichtiger als Transparenz für
den Verbraucher.“
In der Folge wird nun der europäische Markt mit geklontem Tiermaterial überschwemmt. Der vielfach kopierte Zuchterfolg, made in USA, kommt in Form von
Bullenspermien und tiefgefrorenen Embryonen ungekennzeichnet auch nach Deutschland. Die Nachkommen
der geklonten Tiere landen auf unseren Tellern. Mahlzeit, Herr Brüderle! Nicht einmal wenn wir Biofleisch
kaufen, können wir sicher sein, dass es sich nicht um
Nachwuchs von geklonten Tieren handelt.
Aber warum ist das alles so schlimm, meine Damen
und Herren? Weil es die genetische Vielfalt und damit
langfristig auch die Artenvielfalt gefährdet. Wie der informierte Verbraucher und die informierte Verbraucherin
wissen, ist die Vielfalt ein wichtiger Aspekt zur Erhaltung jeder Art. Sie ist auch ein wichtiger Bestandteil des
gesamten Systems, wenn es darum geht, sich vor Krankheiten zu schützen oder vor anderen Unbillen, die die Erhaltung der Art gefährden könnten, weil mit dem Klonen
auch negative genetische Merkmale transportiert und
vielfach verbreitet werden. Es geht darum, die genetische Vielfalt zu erhalten, aber das wird gefährdet durch
das Klonen von Tieren. Deshalb sagen viele Menschen:
Mit uns nicht.
Es gibt in Europa keine Notwendigkeit, Lebensmittel
durch das Kopieren von Lebewesen zu erzeugen. Einzig
und allein für die Agrarkonzerne ist das von Interesse,
weil es Profit bringt. Das kann für mich nicht der Grund
für eine solche Form der Erzeugung von Lebensmitteln
sein.
Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht
darauf, zu erfahren, was auf ihren Teller kommt. Sie
müssen auch die Möglichkeit haben, ihr Essen nach ökologischen, sozialen und ethischen Grundsätzen auszuwählen. Deshalb sage ich: Machen Sie endlich Schluss
mit der Klientelpolitik, und machen Sie Verbraucherschutz!
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan hat das
Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Kelber hat im ersten Satz seiner Rede bereits deutlich gemacht, worum es in dieser Debatte geht.
Es geht darum, die unternehmerische Landwirtschaft in
Deutschland zu diskreditieren, um nichts anderes, und es
geht ebenfalls darum, einen erfolgreichen Wirtschaftsminister zu diskreditieren. Das allein ist Ziel des Antrages der SPD-Fraktion.
({0})
Im Übrigen darf ich einmal darauf hinweisen: Jeder
Wirtschaftsminister der SPD hätte genauso gehandelt,
wie diese Bundesregierung gehandelt hat.
({1})
- Machen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas fragen wollen!
({2})
- Danke. - Mit der Formulierung Ihres Antrages haben
Sie sehr deutlich gemacht, dass es Ihnen nicht um eine
Debatte über das Klonen geht, sondern dass es Ihnen darum geht, ein Mitglied der Bundesregierung zu diskreditieren; denn natürlich hat die Bundesregierung in Brüssel
mit abgestimmter Position verhandelt.
({3})
Es ist leider nicht gelungen - Kollege Holzenkamp hat
es gesagt -, den erarbeiteten Kompromissvorschlag tatsächlich durchzusetzen, weil das Europäische Parlament
es verhindert hat.
({4})
Wir als FDP wollen einen eigenen Rechtsakt für das
Klonen. Wir wollen Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
({5})
Wir waren dafür, den Tatbestand des Klonens vorübergehend in die Novel-Food-Verordnung aufzunehmen. Leider hat das Europäische Parlament das verhindert, und
ich bedauere außerordentlich, dass ein Abgeordneter, der
dazu beigetragen hat, dass es verhindert wurde, sich anschließend am Bundeswirtschaftsminister schadlos hält.
Das ist enttäuschend - das will ich ganz deutlich sagen -,
und es ist menschlich absolut nicht in Ordnung.
({6})
Wir sollten beim Klonen zur Sachlichkeit zurückkehren. In Deutschland gibt es seit etwa 50 Jahren eine wissenschaftliche Tierzucht. Die entsprechenden Methoden
sind inzwischen anerkannt. Dazu gehört beispielsweise
die künstliche Besamung. 90 Prozent der Rinder werden
künstlich besamt. Die hierfür notwendigen Verfahren
sind wichtig für den Arbeitsschutz und die Sicherheit der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in der Landwirtschaft arbeiten. Der Embryonentransfer ist ebenfalls
wichtig. Die Züchterverbände haben sich entsprechend
geäußert. Die Medizin und die Züchterverbände setzen
darauf, dass die Technologie des Klonens weiterentwickelt wird. Wir alle sind uns einig, dass dieses Verfahren
aus Tierschutzgründen noch nicht anwendungsreif ist.
Aber jeder, der davon redet, dass irgendwo auf der Welt
auch nur ein Gramm Fleisch von geklonten Tieren auf
dem Teller landet, der glaubt auch an den Weihnachtsmann oder den Osterhasen; denn das ist viel zu teuer.
Das passiert nicht; da können wir sicher sein.
Wir als FDP wollen eine zukunftsorientierte, moderne
Landwirtschaft, die den Landwirten sowie den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugutekommt. Wir wollen,
dass Technologien in Deutschland möglich sind und gefördert werden; denn wir sind der Meinung, dass wir uns
nicht vom wissenschaftlichen Fortschritt abkoppeln dürfen. Herr Kelber, ich darf Ihnen deutlich sagen: Die SPD
entfernt sich von ihrem Markenkern.
({7})
Denn ursprünglich war auch die SPD eine Partei, die darauf gesetzt hat, dass wir nur mit wissenschaftlichem
Fortschritt die Arbeitsplätze hier bei uns in Deutschland
halten können, die notwendig sind, damit die Menschen
in Wohlstand leben können.
({8})
- Es tut mir schrecklich leid, dass ich Ihnen als Informatiker tatsächlich solches Basiswissen vermitteln muss.
({9})
Das Klonen ermöglicht gerade im Bereich der Medizin großen Fortschritt. Ich erinnere nur an die Produktion von pharmazeutischen Eiweißstoffen. Es ermöglicht
außerdem den Erhalt genetischer Vielfalt, beispielsweise
des Mufflonwilds. Wir sollten uns auf keinen Fall wissenschaftlich isolieren. Vielmehr müssen wir daran mitwirken, dass die Menschen in Deutschland die modernen
landwirtschaftlichen Methoden begreifen. Wir müssen
sie dafür öffnen. Dazu gehört auch, ihnen die Tierzucht
begreiflich zu machen und sie auf dem Weg mitzunehmen. Dies kommt den landwirtschaftlichen Betrieben
genauso zugute wie den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Das ist Ziel der FDP-Politik.
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
({10})
Friedrich Ostendorff hat das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! In Deutschland gibt es einen ethischen Grundkonsens, ein gemeinsames Wertefundament, das unsere
Gesellschaft auszeichnet und auf das wir stolz sind.
({0})
Dieser ethische Grundkonsens spiegelt sich zum Beispiel im Umgang mit dem Mitgeschöpf Tier wider. Der
Schutz der Tiere steht genau deshalb in unserem Grundgesetz. Ich glaube, unsere Gesellschaft hat ein sehr genaues Empfinden dafür, was man mit einem Tier tun darf
und was man nicht tun darf.
({1})
Das Klonen von Tieren widerspricht - das ist spätestens seit dem Klonschaf Dolly klar - den Werten unserer
Gesellschaft. Im Kern geht es immer um die eine Frage:
Dürfen wir das Tier zur Minimierung der Produktionskosten willkürlich der billigsten, arbeitsparendsten Haltungsform anpassen, oder haben wir auch noch einen
ethischen Anspruch an unseren Umgang mit den Tieren?
Klonen bedeutet das tausendfache Kopieren zum Beispiel ein und derselben Hochleistungskuh. Zahllose
Tiere werden mit schweren Missbildungen geboren, erleiden Schmerzen und sterben frühzeitig, ehe ein einziger Klonversuch gelingt, der nur ein Ziel hat: die Industrialisierung der Tierhaltung voranzutreiben.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer will denn das?
Bäuerinnen und Bauern ebenso wenig wie Verbraucherinnen und Verbraucher, die Produkte von geklonten Tieren und deren Nachfahren ablehnen, weil wir sie nicht
brauchen, weil die gesundheitlichen Folgen bis heute
völlig unklar sind und weil es ethisch schlicht nicht zu
vertreten ist.
({3})
Die Anti-Klonfleisch-Koalition ist breit und reicht
vom Deutschen Bauernverband über die Umweltverbände und die Kirchen bis hin zu Foodwatch. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, Herr Abraham, erklärte: „Wir lassen uns
dieses Thema nicht von EU-Bürokraten und Tierzüchtern aufzwingen.“
({4})
Aufgezwungen hat es uns am Ende vor allem NochFDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle.
({5})
Es ist beschämend, dass ausgerechnet die deutsche Bundesregierung ein Verbot von Produkten geklonter Tiere
und deren Nachkommen und selbst eine Kennzeichnung
von Klonfleisch in der EU zu Fall gebracht hat.
({6})
Noch-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle oder seine
Abgesandten haben in Brüssel verhindert, dass der Kompromissvorschlag seiner Kabinettskollegin Ilse Aigner
angenommen wurde, der wenigstens für eine Kennzeichnung gesorgt hätte. Brüderle hat auch dafür gesorgt, dass
Lebensmittel, die mittels Nanotechnologie produziert
werden, weiterhin ungekennzeichnet auf den Markt
kommen. Wieder einmal war es Herr Brüderle, der die
Interessen von Europas Verbraucherinnen und Verbrauchern den wirtschaftlichen Interessen Amerikas und anderer untergeordnet hat.
({7})
Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa und
Deutschland werden künftig Klonfleisch und Klonmilch
auf dem Tisch haben, ohne es zu wissen, weil Herr
Brüderle nicht will, dass sie es wissen, schlimmer noch,
weil auch die Bundeskanzlerin nicht will, dass wir es
wissen; denn Herr Brüderle handelte offenbar mit voller
Rückdeckung des Kanzleramtes. „Klarheit und Wahrheit“ lautet die selbstgerechte Überschrift schwarzgelber Verbraucherpolitik. Die Bild-Zeitung nennt es
„Verbraucher-Verarsche“. Das ist Wahrheit und Klarheit
Ihrer Politik, meine Damen und Herren. Die Demontage
der eigenen Verbraucherschutzministerin nimmt die
Bundeskanzlerin dabei billigend in Kauf, so wie sie auch
tatenlos zusieht, wie die eigenen Leute jeden richtigen
Vorstoß von Ilse Aigner beim Tierschutz und Verbraucherschutz hinterrücks sabotieren, anstatt der eigenen
Ministerin den Rücken zu stärken. Wir erlebten heute
morgen im Ausschuss dafür ein Beispiel.
({8})
Das Klonfleischergebnis ist ein weiteres Desaster für
den Tierschutz, ein weiteres Desaster für den Verbraucherschutz in Europa. Herr Brüderle trägt dafür die Verantwortung. EU-Gesundheitspolitiker Peter Liese von
der CDU kommentierte das wie folgt, liebe Christel
Happach-Kasan:
Das Verhalten von Bundeswirtschaftsminister
Rainer Brüderle in der Klonfleischfrage ist neben
seiner unglücklichen Rolle in der Energiepolitik ein
weiterer Grund für einen Rücktritt.
({9})
Peter Liese hat recht, und das wissen Sie genau. Wir
fordern daher die Bundeskanzlerin auf: Entlassen Sie
Herrn Brüderle, informieren Sie das Parlament darüber,
welche Rolle das Kanzleramt bei diesem schmutzigen
Klonfleischdeal gespielt hat und was Deutschland für
diesen Verrat an den Verbraucherinnen und Verbrauchern geboten wurde! Sorgen Sie dafür, dass in Brüssel
neu verhandelt wird, um endlich ein Verbot für Produkte
von geklonten Tieren und deren Nachfahren in der EU
durchzusetzen!
Schönen Dank.
({10})
Alois Gerig hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
mich meine wichtigste Botschaft zu dieser Aktuellen
Stunde gleich an den Anfang meiner Rede setzen. Die
heutige Debatte zum Klonfleisch ist nach meiner Meinung zum jetzigen Zeitpunkt so unnötig - das sage ich
sehr bewusst in Richtung der Antragsteller - wie das
Klonfleisch selber, zumal wir beim Ziel alle einer Meinung sind.
({0})
- Herr Kelber, ich habe nicht feststellen können, dass jemand bei Ihrer Rede sich ähnlich rüde verhalten hätte.
Vielleicht sollten wir eine Debatte über Anstandsregeln
führen.
({1})
Diese Debatte kann wieder einmal nur dazu dienen,
dass die Verbraucher verunsichert werden. Deshalb kurz
zur Klarstellung: Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass durch den Verzehr von Lebensmitteln aus
geklonten Tieren keine gesundheitlichen Risiken entstehen können. Außerdem ist die Herstellung von Klonfleisch, wie wir bereits gehört haben, aufwendig und
teuer, sodass eine Massenproduktion glücklicherweise
nicht zu erwarten ist. Aber jetzt der Reihe nach.
In der vergangenen Woche erreichte uns ohne Frage
eine schlechte Nachricht aus Brüssel: Rat, Kommission
und Europäisches Parlament konnten sich nicht auf eine
Novellierung der Novel-Food-Verordnung einigen, obwohl ein Erfolg in greifbarer Nähe war. Was dieses
Scheitern bedeutet, haben wir ja gehört. Aus Sicht der
CDU/CSU ist das Scheitern der Verhandlungen - hören
Sie bitte genau hin! - sehr bedauerlich. Das Klonen von
Tieren ist ein höchst bedenklicher Eingriff in die Schöpfung, den viele Bürger als eine Vorstufe zum Klonen von
Menschen ansehen. Gegen das Klonen von Tieren
spricht neben diesen ethischen Bedenken der Tierschutz:
Viele geklonte Embryonen werden gar nicht erst geboren, und viele geklonte Tiere sterben kurz nach der Geburt, mitunter qualvoll. Deshalb ist nach unserer Überzeugung ein umfassendes Klonverbot notwendig.
({2})
- Danke.
Neben dem Klonverbot muss geregelt werden, wie
wir in der EU mit den Erzeugnissen von Nachkommen
geklonter Tiere umgehen. Wir können leider nicht verhindern, dass außerhalb der EU Tiere geklont werden
und Erzeugnisse aus geklonten Tieren auf den europäischen Markt gelangen. Die Forderung des Europäischen
Parlaments nach einer umfassenden Pflicht zur Kennzeichnung von Erzeugnissen von Nachkommen geklonter Tiere ist aus meiner Sicht nachvollziehbar. Der europäische Verbraucher steht dem Klonfleisch zu Recht sehr
kritisch gegenüber, und deshalb ist eine weitgehende
Transparenz für uns alle unbedingt erstrebenswert.
Die Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und
dem Europäischen Parlament haben uns klar gezeigt,
dass die Forderung nach einer umfassenden Kennzeichnungspflicht schnell an ihre Grenzen stößt. Sie ist deshalb nicht praktikabel, weil nicht bei allen tierischen Erzeugnissen eine lückenlose Rückverfolgbarkeit - darum
geht es - möglich ist.
({3})
Zudem ist zu befürchten, dass eine umfassende Kennzeichnungspflicht zu einem faktischen Verbot der Einfuhr von Erzeugnissen aus Drittstaaten führt und dadurch Grundsätze der WTO verletzt werden.
({4})
Dies ist doch der Knackpunkt des Ganzen. Das Europäische Parlament muss einsehen, dass es sich nicht über
eine bestehende Handelsvereinbarung hinwegsetzen
kann.
Aus den genannten Gründen war es richtig, dass sich
die Bundesregierung in Brüssel für eine WTO-konforme
Lösung eingesetzt hat.
({5})
Hervorzuheben ist, dass sich neben Deutschland andere
Mitgliedstaaten und die EU-Kommission für die Einhaltung internationaler Handelsverpflichtungen eingesetzt
haben. Deshalb ist es völlig falsch, das Scheitern der
Novel-Food-Verordnung Herrn Bundesminister Rainer
Brüderle in die Schuhe zu schieben.
({6})
Die Ansetzung der heutigen Aktuellen Stunde und bestimmte Beiträge offenbaren, dass die Opposition eine
Kampagne gegen die Person des Wirtschaftsministers
führen möchte. Dies führt aber ins Leere.
({7})
Die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen über
die Novel-Food-Verordnung konstruktiv an Lösungen
gearbeitet. Frau Bundesministerin Ilse Aigner hat sich
dafür eingesetzt, dass zumindest die Kennzeichnung von
Lebensmitteln aus der ersten Generation von Nachkommen geklonter Tiere Pflicht wird. Es ist sehr bedauerlich,
dass sich im Rat zu wenige Mitgliedstaaten fanden, die
diesen Weg mitgehen wollten.
Statt ungerechtfertigte Kampagnen gegen die Mitglieder der Bundesregierung zu führen, sollten wir gemeinsam die Frage in den Mittelpunkt stellen, wie wir das
Klonverbot und eine vernünftige Kennzeichnungsregelung zustande bringen.
({8})
Herr Kollege, kommen Sie zum Ende, bitte.
Jawohl. Ich bin gleich am Ende. - Kommission, Rat
und das Europäische Parlament fordern wir auf, umgehend weiter an einer verbraucherfreundlichen, tierschutzgerechten und WTO-konformen Lösung zu arbeiten.
Herr Kollege!
Auch beim Thema Klonfleisch will die CDU Klarheit
und Wahrheit. Nur durch mehr Transparenz wird es gelingen, das Vertrauen der Verbraucher zu erhalten und
die Wahlfreiheit zu garantieren.
Danke schön.
({0})
Kerstin Tack hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist schon interessant, was wir hier heute erleben. Man könnte meinen, dass das in der letzten Woche
in Europa erzielte Ergebnis über uns gekommen ist,
ohne dass wir an irgendeiner Stelle die Möglichkeit
gehabt hätten, es zu beeinflussen. Der Kollege
Holzenkamp stellt sich hier hin und sagt: Wir erwarten
von der EU, dass sie jetzt etwas Neues vorlegt. Die hatte
ja vorgelegt, Herr Kollege Holzenkamp, und es hat einen
Kompromissvorschlag gegeben.
({0})
Dass wir jetzt Fleisch von geklonten Tieren ohne Kennzeichnung in den Supermärkten zulassen, hat etwas mit
dem Verhalten der deutschen Bundesregierung zu tun.
Das müssen wir doch viel stärker in den Mittelpunkt
stellen. Sich hier hinzustellen und zu sagen: „Das hat
Europa mal eben so beschlossen, nun finden wir das
ganz schlimm“, ist, finde ich, geheuchelt, um das auch
einmal deutlich zu sagen.
({1})
Der 29. März ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher ein schwarzer Tag gewesen. Wir sehen, dass es
eine Abstimmung mit einer Regierung gab, die dieses
Thema so wenig ernst nimmt, dass sie hier heute noch
nicht einmal Stellung zu ihrem Verhalten nimmt. Sie ist
noch nicht einmal in allen Teilen anwesend. Von daher
sehen wir, wie ernst die Regierung diesen Teil nimmt.
Wir wissen auch, dass es innerhalb der Koalition mal
wieder eine Situation gibt, die dazu führt, dass die einen
bedauern, dass wir diese Lösung haben, während die anderen sagen: Wir können gar nicht schnell genug noch
weiter in die Klondebatte kommen. - Ich empfehle IhKerstin Tack
nen: Machen Sie an dieser Stelle auch hier einmal ein
Moratorium, gehen Sie miteinander ins Gericht und klären Sie, wie denn eigentlich Ihre Position zum Thema
Klonfleisch ist! Die Verbraucherinnen und Verbraucher
erwarten jedenfalls mehr Antworten als das, was wir hier
heute gehört haben.
({2})
Um einmal etwas anderes zu machen, als Herrn
Brüderle hier vorzuführen, will ich Ihnen sagen: Wir haben das Pech, dass wir eine Verbraucherministerin haben, die ein so schwaches Glied dieses Kabinetts ist,
dass ihr Vermittlungsvorschlag, nämlich eine Kennzeichnung vorzunehmen, dort keine Mehrheit gefunden
hat. Auch das ist ein Skandal. Wir haben eine Verbraucherministerin, die derart schwach ist, dass sie hilflos zusehen muss, wie ihr Kollege innerhalb dieser Debatte einen Scherbenhaufen an Verbraucherrechten hinterlässt.
Wir müssen deutlich sagen: Eine solche Ministerin, die
die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht in der Art
und Weise schützen kann, wie es erforderlich ist, darf
diesem Kabinett eigentlich auch nicht mehr angehören.
({3})
Egal was Frau Aigner anfasst: Wenn sie nicht allein
zuständig ist, kriegt sie in diesem Kabinett nichts durch.
Ob es mit dem Finanzminister um den Anlegerschutz
geht, mit dem Umweltminister um die Waldstrategie, mit
dem Innenminister um den Datenschutz und mit der
Kanzlerin um Google,
({4})
diese Verbraucherministerin ist nicht in der Lage, die
Verbraucherinnen und Verbraucher in der Art zu schützen, dass sie als Marktteilnehmer ernst genommen werden und mit ihrem Kaufverhalten dazu beitragen können, wie die Angebotsseite im Supermarkt aufgestellt ist.
Dazu brauchen sie aber eine Information und eine Kennzeichnung, die sie in die Lage versetzt, diese Entscheidung abzuwägen und nach bestem Wissen und Wollen
auch treffen zu können.
In Bezug auf Ihre Kampagne „Klarheit und Wahrheit“
will ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Oppositionsfraktionen die Einzigen sind, welche die Frau
Ministerin bei der Internetplattform „Klarheit und Wahrheit“ überhaupt unterstützt haben. Denn Sie als Regierungskoalition sind diejenigen, die ihre eigene Ministerin vorgeführt haben und das von ihr Vorgeschlagene um
Gottes willen mit allen Mitteln verhindern wollten.
Auf der einen Seite macht die Ministerin die Kampagne „Klarheit und Wahrheit“ bei den Lebensmitteln,
aber in der eigenen Politik sorgt sie für Intransparenz
und Irreführung. Auch das ist Teil einer Verbraucherpolitik, wie sie Deutschland, im Moment vertreten durch
die Bundesregierung und deren Mitglied Frau Ministerin
Aigner, hier vorführt.
Es ist so, dass Verbraucherinnen und Verbraucher
jetzt zu hilflosen Teilnehmern des Marktes erklärt werden. Durch das Verhalten der Bundesregierung kommt
es nicht zu einer Kennzeichnung, die die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzt, im Supermarkt und an der Ladentheke gemäß ihren eigenen Wertvorstellungen in der Frage „Welches Fleisch will ich mir
denn auf den Teller legen?“ zu handeln und eine Entscheidung zu treffen. Aufgrund vernünftiger Kennzeichnungsregelungen könnten sie eine solche Entscheidung
aber legitimerweise treffen. Dass das nun nicht so ist, dafür ist diese Bundesregierung verantwortlich.
Dass die Verantwortung nicht übernommen wird, sondern gesagt wird: „Das schieben wir mal eben nach
Europa; die sollen neu verhandeln“, und dass die Bundesregierung hier nicht selber Stellung nimmt, zeigt,
finde ich, dass die Bundesregierung die Verbraucherpolitik wenig ernst nimmt. Daher muss man sagen: Verbraucherinnen und Verbraucher, es tut uns leid, dass man in
diesem Land Verbraucherrechte deutlich hinter die wirtschaftlichen Interessen gestellt hat. Schade für dieses
Land!
Herzlichen Dank.
({5})
Hans-Michael Goldmann hat das Wort für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich würde einfach einmal empfehlen, zu lesen. Wenn man das tut, dann sieht man: Die Aktuelle
Stunde hat das Thema „Gründe des Bundeswirtschaftsministers gegen ein Verbot von Klonfleisch“.
({0})
- Herr Kelber, Sie sind vielleicht dieser Meinung. - Ich
finde es schade, dass man eine so wichtige Diskussion
über ein Thema, das die Menschen bewegt, im Grunde
genommen auf eine Person reduziert und die grundsätzliche Frage „Wie gehen wir mit dem Klonen um?“ dabei
in eine Ecke schiebt, die die Sache wirklich nicht verdient hat.
Die Ausrichtung auf den Bundeswirtschaftsminister
in dieser Frage ist im Grunde genommen auch Ausdruck
von politischer Unwissenheit. Sie sollten wissen, dass in
Europa nicht die Position des Bundeswirtschaftsministers, sondern die Position der Bundesregierung zum Tragen kommt. Deswegen will ich Ihnen einmal sagen, was
die Bundesregierung erklärt hätte, wenn wir heute im
Ausschuss zügiger gearbeitet hätten:
Die Bundesregierung bedauert das Scheitern des Vermittlungsverfahrens.
({1})
- Herr Kelber, sind Sie wenigstens so nett und hören zu,
oder wollen Sie nur dazwischenbrüllen?
({2})
- Danke. Herr Kelber, Sie sind immer so angenehm. Berichte in den Medien, so sagt die Bundesregierung,
die Verhandlungen seien an Deutschland gescheitert,
sind falsch. - Herr Kelber, das wissen Sie auch. - Bei
den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament
und der Kommission - Frau Tack, man sollte wissen, dass
die Dinge nicht nach Europa geschoben werden, sondern
dass sie auf europäischer Ebene verankert sind; Sie wissen
auch, dass das Europäische Parlament neue Mitspracherechte hat und dass es im Moment eine ungarische Präsidentschaft gibt - hat die ungarische Präsidentschaft die
vorher mit allen Mitgliedstaaten abgestimmte Position
des Rates vertreten. Die Bundesregierung hat die Position des Rates nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern unterstützt und war bereit, eine darüber hinausgehende Kennzeichnung von Lebensmitteln der ersten
Nachkommensgeneration geklonter Tiere mitzutragen
- jetzt kommt es! -, wenn die Europäische Kommission
dies ebenfalls als WTO-konform mitgetragen hätte.
({3})
Da die Europäische Kommission das nicht als WTOkonform mitgetragen hat, sind dort die Gespräche gescheitert.
Das bedauert die Bundesregierung. Wir werden versuchen, das Scheitern zu korrigieren.
({4})
Ich glaube, dass Sie, Frau Tack, und andere einfach
einmal überlegen sollten - ich will jetzt nicht klugscheißerisch sein -, was Sie eigentlich wollen. Wollen Sie die
Kennzeichnung von geklontem Fleisch, oder wollen Sie
überhaupt kein Klonen?
({5})
- Moment! Langsam! Sie haben eben davon geredet, es
sei ganz schlimm, dass dieses geklonte Fleisch auf dem
Markt nicht gekennzeichnet sei.
({6})
Sie müssen sich schon entscheiden: Sind Sie ganz generell gegen jede Form des Klonens, oder wollen Sie nur
die Ergebnisse des Klonens dem Verbraucher kenntlich
machen, sodass er sich entscheiden kann?
({7})
- Herr Kelber, langsam! Ich höre Sie auch, wenn Sie
nicht so brüllen.
({8})
Da gibt es, finde ich, einen Sprung. Sie sagen, dass
Sie einen Ethikrat wollen. In Ordnung! Ich bin dabei!
({9})
Vor kurzem hat der Ethikrat die Position zur Präimplantationsdiagnostik im Deutschen Bundestag vorgestellt.
Wo waren Sie, als wir über dessen Haltung zur Präimplantationsdiagnostik diskutiert haben? Wo waren Sie da?
Ich bin sehr gerne bereit, mit Ihnen eine intensive
Diskussion über das Klonen zu führen, aber, Herr
Kelber, dann mit ein bisschen mehr Fachlichkeit.
Manchmal ist es nicht verkehrt, auf die zu hören, die
sich bei ihrem Tiermedizinstudium auch mit Genetik beschäftigt haben. Wissen Sie überhaupt, worüber wir reden?
({10})
Herr Kelber, wissen Sie überhaupt, dass sehr viele Menschen froh darüber sind, dass es therapeutisches Klonen
gibt?
({11})
Wissen Sie, dass Klone natürlich vorkommen? Menschen zum Beispiel, die eine Zwillingsgeburt haben, haben Klone.
({12})
Wissen Sie, dass Klone nicht automatisch immer etwas
Schlechtes sind? Wissen Sie, dass sich Pflanzen zum
Beispiel im Grunde genommen im Klonverfahren vermehren, dass man das also nicht einfach so diskreditieren darf? - Nein, Sie wissen es nicht.
({13})
Nein, Herr Kelber, Sie sprechen davon, dass Klonen etwas mit Gendefekten zu tun hat. Genau daran wird Ihre
Absicht deutlich: Sie wollen Klonen in den Bereich der
Gentechnik schieben und damit deutlich machen, dass es
sich dabei um eine Form von Genmanipulation handelt.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Im deutschen
Markt gibt es keinen geklonten schwarzbunten Bullen.
Im deutschen Markt gibt es keinen geklonten Fleckviehbullen. Im deutschen Markt gibt es aber möglicherweise
geklontes Fleisch, weil es Sperma von Bullen aus amerikanischer Züchtung gibt, die im Grunde genommen geklont sind. Wir müssen uns nun darum kümmern, dass
gekennzeichnet wird, wenn solches Fleisch verbreitet
wird. Deswegen bin ich dafür, dass wir einen erneuten
Anlauf unternehmen, dieses Problem vom Tisch zu bekommen, und dafür sorgen, dass der Verbraucher noch
besser darüber informiert wird.
Hören Sie aber damit auf, zu erklären, dass geklontes
Fleisch von minderer Qualität ist! Das Problem - das hat
Herr Ostendorff völlig richtig beschrieben - entsteht im
Grunde genommen in der Klonphase. Hier sind erhebliche Mängel beim Tierschutz vorhanden.
Herr Kollege!
Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen,
dass zum Beispiel die Effizienzrate bei Rindern - das
wissen Sie, Herr Kelber, ja auch - bis zu 87 Prozent beträgt. Etwas mehr Fachlichkeit bei diesem Thema würde
uns also helfen.
Herzlichen Dank.
({0})
Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat jetzt das
Wort für die SPD-Fraktion.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es immer wieder
schön, wenn Herr Goldmann uns hier in einer Art VHSKurs noch einmal informiert, was das alles bedeutet.
Vielen Dank, Herr Kollege Goldmann!
({0})
Gerne hätte ich den Herrn Staatssekretär Bleser als
Vertreter der Ministerin, die ja heute wie auch der Herr
Brüderle leider fehlt, gefragt, ob ihm heute Morgen sein
Glas Milch geschmeckt hat oder das Stück Fleisch, das
er heute Mittag gegessen hat. Hier wird ja vielfach nach
dem Motto verfahren: Was ich nicht weiß, macht mich
nicht heiß. Denn - Sie, sehr verehrte Damen und Herren
oben auf den Rängen, haben es ja schon vielfach gehört -:
Es gibt kein Verbot von Fleischprodukten oder anderen
Nahrungsmitteln, die aus Klontieren bzw. deren Nachkommen gewonnen werden.
({1})
Es gibt nicht einmal eine Kennzeichnungspflicht. Diese
hat jetzt ja sogar Frau Aigner gefordert. In diesem Fall
ist sie tatsächlich einmal ihrem Titel als Verbraucherschutzministerin gerecht geworden.
Wie wir alle wissen - Frau Kollegin Tack hat es ja
auch ausgeführt -, konnte sie sich aber gegen ihren Ministerkollegen Brüderle, der ja jetzt auch von der FDPSeite als Vielgescholtener bedauert wird, nicht durchsetzen.
({2})
Herr Brüderle hatte sich ja, wie wir alle wissen, quergestellt und dafür gesorgt, dass eine verbraucherfreundliche Regelung nicht zustande kam.
({3})
Diesem Minister sind nämlich die Verbraucherinnen und
Verbraucher völlig egal; auch das ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Ihn interessieren letztendlich
doch nur die Interessen der Wirtschaft. Bedauerlicherweise stellt er sich hier im Parlament nicht der Diskussion, was ich außerordentlich schade finde. Ansonsten
könnte er doch hier bestätigen, dass es ihm nur um die
Durchsetzung der Interessen der Industrie geht, die Verbraucherinnen und Verbraucher ihm dagegen egal sind.
Möglicherweise fürchtet er allerdings die Stenografen,
die protokollieren, was er wieder einmal nicht gesagt
hat.
({4})
Auch aus Sicht der Fleischproduzenten muss doch
klar sein, dass die Haltung der Bundesregierung sehr
kurzsichtig ist.
({5})
Denn der Vertrauensverlust bei den Verbraucherinnen
und Verbrauchern in Sachen Fleisch bedeutet auch ein
ökonomisches Risiko, wenn damit eine Verhaltensänderung einhergeht. Das ist der Fall, wenn der Verbraucher
nicht weiß, ob das Fleisch an der Fleischtheke von Nachkommen geklonter Tiere stammt.
({6})
Das Ganze hat aber noch eine viel grundlegendere
Ebene. Es stellt sich nämlich die Frage: Ist Ihre Politik
mit Ihren ethischen Maßstäben vereinbar? Die Ethikberatergruppe der EU sagt, es gebe keine überzeugenden
Argumente, um die Produktion von Nahrung aus Klontieren und ihren Nachkommen zu rechtfertigen.
({7})
Was macht eine christlich-liberale Bundesregierung im
Kern noch aus, wenn es ein ethisches Fundament offensichtlich nicht mehr gibt? Was die Menschen betrifft,
gibt es dieses Fundament nicht. Es ist aber auch nicht
vorhanden, wenn es um den Tierschutz geht. Auch das
ist hier schon mehrfach ausgeführt worden. Denn ein
nennenswerter Anteil der Klontiere ist gesundheitlich
beeinträchtigt. Die Vizepräsidentin des Deutschen Tierschutzbundes hat gefragt, ob es jetzt freie Fahrt für Tierquälerei gebe. Wir dürfen nicht einfach darüber hinwegsehen, dass Tiere großem Leiden ausgesetzt sind.
Bemerkenswert ist auch, dass nicht nur das Europäische Parlament - es hat Gott sei Dank mehr Rechte bekommen -, sondern auch meine Kolleginnen und Kolle11596
gen von der konservativen Seite dieses Hauses das
Ergebnis bedauern. Ich finde es aber schade, dass Sie,
Herr Kollege Holzenkamp, der Sie das, was beschlossen
worden ist, total ablehnen, nicht auf Ihren Koalitionspartner in Person des Wirtschaftsministers Brüderle einwirken konnten. An dieser Stelle hätten Sie zu einem
echten Verbraucherschutz beitragen können. Selbst der
Kollege Goldmann, der Vorsitzender des Ausschusses
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
ist, hat bedauert, dass es „im Interesse von Wahrheit und
Klarheit im Markt“ keine Kennzeichnung gibt.
({8})
Geholfen hat es allerdings nichts; denn selbst der vom
Europäischen Parlament vorgeschlagene Kompromiss,
Fleisch und andere Produkte von Nachkommen geklonter Tiere zwar zuzulassen, aber entsprechend zu kennzeichnen,
({9})
wurde von deutscher Seite im Rat einfach abgebügelt.
Auch das muss gesagt werden.
({10})
Nicht nur beim Klonfleisch lässt die Bundesregierung
die Verbraucherinnen und Verbraucher im Regen stehen.
Zum Beispiel ist auch eine Einigung über eine Kennzeichnungs- und Zulassungspflicht für Nanomaterialien
in Lebensmitteln hinten heruntergefallen.
({11})
Ich erwähne in diesem Zusammenhang nur die NovelFood-Verordnung, die ebenfalls hinten heruntergefallen
ist. Über die Grüne Gentechnik könnten wir auch noch
diskutieren.
Ihr Motto lautet: Was interessieren mich die Menschen, was interessieren mich die Verbraucherinnen und
Verbraucher? Gar nichts. Und da wundern wir uns über
Politikverdrossenheit. Wir brauchen diese Technologie
nicht; denn sie dient nicht dem Kampf gegen den Hunger
in der Welt, sondern sie wird lediglich dazu genutzt, besonders viel Geld zu verdienen.
Wir wollen wissen, was wir essen. An die Adresse
von Herrn Brüderle - auch wenn er jetzt nicht anwesend
ist - sage ich: Sie haben eine entsprechende Regelung
verhindert. Ich kann die Forderung des konservativen
Kollegen aus dem Europäischen Parlament sehr gut verstehen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank.
({12})
Der Kollege Obermeier spricht für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn
man die Debatte verfolgt,
({0})
dann verzweifelt man über die Art und Weise, wie die
Opposition mit einem so wichtigen, für die Schöpfung
existenziellen Thema umgeht.
({1})
Ich nehme den Kollegen Ostendorff aus, der in seiner
Rede der Sache gerecht wurde. Aber was beispielsweise
die Frau Tack und andere Kolleginnen und Kollegen
vorgetragen haben, dient meines Erachtens nur der Diskreditierung der Mitglieder der Bundesregierung und der
Mitglieder der sie tragenden Fraktionen dieses Hauses.
Sie sagen nichts aus zur Sache und zur Problematik,
die uns bei der Thematik beschäftigen sollten. Es gibt
nur persönliche Anwürfe, Beschimpfungen und Ähnliches und nichts zur Problemstellung, vor der die Bundesregierung stand, als es um die Frage ging: Wie positionieren wir uns zu der europäischen Verordnung?
Kolleginnen und Kollegen, die Haltung der Bundesregierung wird im Kabinett festgelegt. Dort haben sich die
Kabinettsmitglieder, Frau Aigner und Herr Brüderle, zu
Wort gemeldet und auf die unterschiedlichen Formen
und Interessen hingewiesen. Die Frau Verbraucherschutzministerin hat sehr wohl auf die ethischen Dinge
und auf die Tierschutzfragen hingewiesen. Dem Herrn
Bundeswirtschaftsminister muss man zugestehen, dass
er auf rechtliche Belange hinweist, die für meine Begriffe nicht vernachlässigt werden dürfen.
({2})
So gelten für lebende Tiere, für tierische Erzeugnisse
wie Samen und Embryonen, aber auch Wolle und Leder
sowie für Lebensmittel multilaterale Übereinkommen
der Welthandelsorganisation, der WTO. Diese sind zu
beachten. Ich habe es genau verfolgt: Von Ihnen aus der
Opposition wurde auf diese Belange der WTO mit keinem Wort hingewiesen. Das ist der schlagende Beweis
dafür, dass es Ihnen eigentlich nicht um die grundlegenden Themen der Schöpfungsbewahrung geht, sondern
dass es Ihnen nur um die Diskreditierung der Mitglieder
der Bundesregierung geht
({3})
und dass es Ihnen darum geht, die Verbraucher mit Worten wie beispielsweise der Aussage zu verunsichern,
dass wir geklontes Fleisch auf unseren Tellern nicht
mehr ausschließen können.
({4})
Kolleginnen und Kollegen, es geht um die Fragen:
Wie beachten wir das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, GATT? Was ist mit dem Übereinkommen über
die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen und dem Übereinkommen
der technischen Handelshemmnisse? Was sagen Sie
dazu? Nichts. Mit keinem Wort erwähnen Sie diese Problematik, vor der wir stehen. Sie machen nur persönliche
Anwürfe.
Kolleginnen und Kollegen, ein mehrheitsfähiger Vorschlag des Rates war es, schrittweise vorzugehen. Zunächst sollte das Fleisch von geklonten Tieren und auch
das von den Nachkommen geklonter Tiere gekennzeichnet werden. Über weitere Kennzeichnungen von Lebensmittelprodukten von Nachfahren geklonter Tiere, zum
Beispiel von Milch, und über alle noch offenen Fragen
der Kennzeichnung, der Erfassung etc. sollte erst binnen
zwei Jahren ein Bericht verfasst werden. Auf dieser Basis sollte die Kommission sodann Regeln vorschlagen.
Im Gegensatz dazu wollte das Europäische Parlament
eine sofortige Kennzeichnung von der ersten Generation
an.
({5})
Deutschland hat im Rat die durchsetzbaren Positionen
sorgfältig „abgetastet“ und alles versucht, um dem gefundenen Kompromissvorschlag zum Durchbruch zu
verhelfen.
({6})
Das ist leider an der Mehrheit des Europäischen Parlaments gescheitert. Die Folge ist nun, dass die alte Regelung fortbesteht, wonach die Nachkommen geklonter
Tiere nicht erfasst werden.
({7})
Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Konsens
dahin gehend, dass wir geklonte Tiere nicht wollen. Wir
haben einen Konsens, dass wir dies auch aus ethischen
Gründen verhindern wollen.
({8})
Wir wollen verhindern, dass sich das Klonen weiter verbreitet und dass wir am Ende doch Interessen nachgeben
müssen, die wir nicht verantworten können. Auf dieser
Basis schlage ich vor, dass wir auf europäischer Ebene
die Diskussion fortsetzen, um zu besseren Regelungen
zu kommen als denen, die wir jetzt haben.
Vielen Dank.
({9})
Die Kollegin Doris Barnett hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit 2008 gibt es Klonfleisch. Damals hat die FDA in
den USA den Verkauf von Produkten von geklonten Rindern und Schweinen erlaubt, ohne Kennzeichnungspflicht. Die EU musste darauf reagieren. Sie hat sich
überlegt, wie sie im Rahmen ihrer Handelsbeziehungen
mit der Kennzeichnungspflicht umgeht. Nebenbei bemerkt: Das Europäische Parlament hat darauf sofort reagiert. Es hat eine wissenschaftliche Forschung und vor
allem die Kontrolle und Kennzeichnung verlangt.
({0})
Zugegeben, man kann Minister Brüderle nicht die alleinige Schuld geben. Das wäre unfair.
({1})
- Passen Sie auf. - Schon im Juni 2009 hat nämlich die
Bundesregierung - soviel ich weiß, war damals ein Herr
von und zu Guttenberg Wirtschaftsminister; die Verbraucherministerin hieß schon damals Aigner - den Widerstand gegen den Verkauf von Fleisch, das von Nachkommen von Klontieren stammt, in der EU aufgegeben. So
viel zur Richtigstellung.
Vor ungefähr neun Tagen - das wurde schon gesagt wurde der deutsche Widerstand in Brüssel endgültig aufgegeben. Man hat das alles durchgehen lassen. Das Europäische Parlament wollte ein komplettes Klonverbot.
Der Ministerrat hingegen wollte weder ein Verbot noch
eine Kennzeichnung. Für Europa gibt es daher keine Regelung in Sachen Klonfleisch. Das ist das Schlimmste,
was dem Verbraucher passieren konnte.
({2})
Dass selbst der Europa-Abgeordnete der CDU das kritisiert, darauf wurde schon hingewiesen.
({3})
Aber es hilft nichts, der Dissens bleibt, und somit bleibt
alles beim Alten.
Der EU-Kommissar John Dalli beschwichtigt. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten ergeben, dass Produkte der Nachfahren völlig ungefährlich seien.
({4})
Er hat bestätigt, dass es in Europa keine Kontrollen hinsichtlich der Klontechniken und der Klone in Europa geben wird. Die Kommission argumentiert damit, dass
Kontrollen und Kennzeichnungen zur Ermittlung der
Herkunft geklonter Tiere und deren Nachfahren sehr
aufwendig seien. Damit bestätigt die Kommission die
deutschen Bedenken, dass EU-Klonfleischregeln gegen
WTO-Regeln verstoßen könnten, und niemand will einen Handelskrieg mit den USA, weil das auch Auswirkungen auf Exporte europäischer Agrarüberschüsse
hätte. Man muss immer fragen: Wem nützt was?
({5})
Also haben unsere deutschen Minister Aigner und
Brüderle eine abgestimmte, hinweisende Position: In
Deutschland ist man für ein Klonverbot, aber wegen des
zu beachtenden multilateralen Handelssystems der WTO
kann man nicht einmal für eine Kennzeichnung und ein
System der Rückverfolgung in Europa sein. Ich frage
Sie: Seit wann sind denn WTO-Regeln in Stein gemeißeltes Naturrecht? Immerhin haben wir es beim Hormonfleisch 25 Jahre lang geschafft, die Barriere hochzuhalten.
In Deutschland oder Europa werden keine geklonten
Tiere bzw. deren Produkte verkauft - das wissen wir, das
wäre auch viel zu teuer -, also streitet man sich wegen
der Produkte aus dem Fleisch von Klonnachkommen.
Aber, liebe Landsleute, beruhigt euch. Man sagt uns,
dass der Verzehr des Fleisches der Nachkommen unbedenklich ist. Es geht aber auch um den Tierschutz und
die Ethik; denn Klone haben - darauf wurde hingewiesen - bestimmte Auffälligkeiten. Diese findet man bei
deren Nachfahren aber angeblich nicht mehr. Deshalb ist
es auch wesentlich einfacher, über diese zu reden. Man
kann sagen: Alles nicht schlimm. Ihr könnt das essen, es
passiert nichts.
Ärgerlich ist Folgendes: Der Aufwand, den man betreiben muss, um die Herkunft der Nachfahren von
Klontieren nachzuvollziehen, ist angeblich zu groß.
({6})
Natürlich gibt es in den USA kein System zur Erfassung.
Wenn die EU diesbezüglich etwas einführen wollte,
würde dies wiederum gegen die WTO-Regeln verstoßen.
Liebe Leute, seltsam ist, dass diese ganzen Bedenken
wegen der WTO-Regeln bei dem BSE- und dem DioxinSkandal gar keine Rolle spielten. Da konnte man alles
zurückverfolgen, und jeder konnte die Information verlangen.
({7})
Für mich ist folgende Feststellung wichtig: Wir verfügen über die Methoden. Wir haben die entsprechenden
Datenbanken. Die Transparenz muss also nur gewollt
sein. Jetzt ist das Ganze aber auf Eis gelegt worden. In
zwei Jahren will der Ministerrat die Frage erneut prüfen.
Toll! Wir werden sehen, ob dieses Vorhaben nicht doch
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird.
Für Fragen der Energiesicherung bemühen wir eine
neu eingerichtete Ethikgruppe. Der Ethikrat, den wir seit
ein paar Jahren haben, könnte sich mit diesen Fragen ja
einmal befassen. Wenn er das nicht tut, bedeutet das für
mich: Wir haben keine Kennzeichnung in Deutschland.
Wir haben keinen Verbraucherschutz. Wir haben keinen
Tierschutz. Wir haben keine ethische Prüfung. Wie weit
soll denn die Marktmacht der interessierten Dritten reichen?
({8})
Gibt es - vielleicht vonseiten der WTO - eine Pflicht,
Produkte zu kaufen, ohne zu wissen, woher sie kommen
und wie sie gemacht wurden? Wo endet die Transparenz? Was darf ich als Verbraucher noch wissen? Die
EU-Ethikgruppe stellte bereits 2009 fest: Für die Nahrungsmittelerzeugung mithilfe geklonter Tiere gibt es
keine überzeugenden Argumente. Dem ist nichts hinzuzufügen.
({9})
Dieter Stier hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Klonen kann sich lohnen.
Erst kommt die Kuh dran, dann, mein Schatz, bist du
dran.
({0})
Mit diesem von mir - ich gebe das zu - frei interpretierten Zitat begrüßt der Sänger Max Raabe in einem seiner
Lieder unzählige Zuschauer, von denen nicht ein Einziger geklont ist.
Aber Spaß beiseite: Wie emotional über das Thema
Klonfleisch und über seine Kennzeichnung derzeit diskutiert wird, konnten wir in den letzten Tagen der Tagespresse entnehmen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem
Europäischen Rat über die strittige Frage der Kennzeichnung von frischem Fleisch der Nachkommen geklonter
Rinder der ersten Generation kann die Neufassung der
Novel-Food-Verordnung leider nicht verabschiedet werden.
Dies ist außerordentlich bedauerlich; das haben einige
Vorredner bereits deutlich gemacht. Denn damit sind
auch die in dieser Verordnung vorgesehenen Übergangsregelungen vom Tisch. Diese Regelungen hätten ein
temporäres Verbot des Klonens zu Lebensmittelzwecken
für zunächst fünf Jahre bedeutet. Nach diesen fünf Jahren hätte eine erneute Evaluierung angestanden. Die geplante Entwicklung nationaler und internationaler Rückverfolgungsmechanismen im Hinblick auf Importe von
Samen und Embryonen ist damit erst einmal ausgebremst. Ausgebremst sind mit dem Nichterlass der Novel-Food-Verordnung auch die wichtigen Regelungen im
Zusammenhang mit der Nanotechnologie.
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen hätte
ich mir vonseiten des EU-Parlaments ein engagierteres
und vor allem kompromissbereiteres Vorgehen gewünscht. Aber wir müssen auch erkennen, wie schwierig
es ist, den Königsweg zu finden, wenn man dem Klonen
erst einmal die Tore geöffnet hat. Wir brauchen eine eindeutige Rechtslage, bevor wir dem Einsatz von Klonverfahren bei der Lebensmittelproduktion sowie der Kennzeichnung von geklonten Lebensmittelprodukten grünes
Licht geben.
({1})
Einen Schwerpunkt im Zusammenhang mit dem Klonen möchte ich auf das Wohlergehen der Tiere legen.
Der zu beobachtende hohe Anteil der Sterberate von geklonten Tieren - das wurde heute schon gesagt - entspricht bei weitem nicht unserem Maßstab von Tierschutz und Tiergesundheit. Die Mehrheit der Klone kann
sich gar nicht erst bis zur Geburt entwickeln. Die Sterberate ist signifikant höher als bei normal reproduzierten
Tieren. Ein japanisches Forschungsprojekt, das zwischen Juli 1998 und September 2009 durchgeführt
wurde, zeigte: Von 575 geklonten Rindern starben
55 Prozent kurz nach der Geburt.
Eine hohe Quote von Fehlbildungen bei Klonen ist
aus unserer Sicht mit den ethischen Zielen des Tierschutzes und der Tiergesundheit nicht vereinbar. Eine Fehlbildung, die bei Rindern häufig auftritt, ist das Large-Offspring-Syndrom, bei dem nicht nur der Klon, sondern
auch das Trägertier in Mitleidenschaft gezogen werden
kann. Bei diesem Syndrom sind geklonte Kälber und
Schafe bei der Geburt außerordentlich groß, sodass eine
unnatürliche, künstliche Geburtsmaßnahme, zum Beispiel ein Kaiserschnitt, vorgenommen werden muss.
Weitere Beeinträchtigungen können erst dann zutage treten, wenn die Tiere unter Leistung belastet werden.
Meine Damen und Herren, das Klonen zu Lebensmittelzwecken sollte unter der Prämisse der Tiergesundheit
und des umfassenden Tierschutzes nicht ernsthaft angestrebt werden. Meiner Meinung nach sollte das Klonen
zu Forschungs- und Erhaltungszwecken in den nächsten
Jahren teilweise weiterhin zugelassen bleiben. Ein Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, der EFSA, aus dem Jahre 2009 kommt zu
dem Ergebnis, dass durch eine verbesserte Technik des
Klonens die Anzahl von Krankheits- und Todesfällen
verringert werden kann. Forschungen in dieser Richtung
sollten also weiterhin erlaubt bleiben. Sie versuchen,
dem deutschen Bürger weiszumachen, dass in Deutschland fast alle Menschen von Klonfleisch ernährt werden.
Dem ist nicht so. Ein verschwindend geringer Bruchteil
gelangt auf die Ladentheke.
Persönlich bin ich davon überzeugt, dass in der Zukunft das Klonen in der Lebensmittelproduktion keine so
ausgeprägte Rolle spielen wird, wie das hier zum Teil
dargestellt wird; denn es ist nicht wirtschaftlich, es mangelt an Rentabilität, und das Verfahren ist sehr teuer. Die
negativen Begleitumstände des Klonens stellen zudem
im Hinblick auf den Tierschutz nicht nur eine Nebenwirkung dar, sondern sie stehen auch außerhalb jeder ethischen und moralischen Rechtfertigung.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, mir
erschließt sich allerdings nicht, warum das Thema
„Klonen“ am heutigen Tag in einer Aktuellen Stunde im
Deutschen Bundestag politisch derart hoch aufgehängt
wird.
({3})
- Lieber Herr Kelber, in meiner Kinderstube habe ich
gelernt, mein Gegenüber ausreden zu lassen. Von Ihnen
habe ich lernen dürfen, dass Sie das überhaupt nicht können. Das darf ich Ihnen jetzt einmal sagen.
({4})
Ich denke vielmehr, dass die heutige Veranstaltung
ein Nebenkriegsschauplatz ist. Sie erwecken den Anschein, die gesamte deutsche Bevölkerung würde von
Klonfleisch ernährt. Sie treiben Mitglieder der Bundesregierung durchs Haus und benutzen dieses wichtige
Thema lediglich als Vorwand,
({5})
um Wirtschaftsminister Brüderle hier im Plenum vor den
Augen der gesamten deutschen Öffentlichkeit vorzuführen und zu diskreditieren.
({6})
Wir haben diese Absicht durchschaut.
({7})
Herzlichen Dank.
({8})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 7. April, 9 Uhr,
ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.