Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/25/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zur 100. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages in der laufenden Legislaturperiode. ({0}) - Frau Künast, das ist die natürliche Erklärung für die überraschende Kostümierung einzelner Mitglieder anderer Fraktionen. Das trägt dem besonderen Anlass Rechnung. Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan ({2}) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 ({3}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1943 ({4}) vom 13. Oktober 2010 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksachen 17/5190, 17/5251 ({5}) Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({6}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/5252 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Wir werden über die Beschlussempfehlung nach Abschluss der Debatte namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion. ({8})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden heute über eine weitere Teilnahme deutscher Soldatinnen und Soldaten an einem NATO-Einsatz abstimmen. Ich möchte mir an dieser Stelle eine sehr persönliche Bemerkung erlauben, gerade vor dem Hintergrund der Diskussion der letzten Tage. Über eine mögliche Teilnahme deutscher Soldatinnen und Soldaten in Libyen hat es eine heftige Diskussion gegeben. Ich bin der Meinung, dass man auch über das Vorgehen der Bundesregierung unterschiedlicher Auffassung sein kann. Man kann zu unterschiedlichen politischen Bewertungen kommen. Das geht quer durch die Fraktionen. ({0}) Ich finde, das ist ein Zeichen für eine gesunde demokratische Auseinandersetzung. Was mich persönlich in den letzten Tagen aber sehr befremdet hat, sind Äußerungen von Mitgliedern dieses Hauses und von Kommentatoren, ({1}) in denen die Bündnistreue unseres Landes in Zweifel gezogen worden ist. ({2}) Redetext Angesichts der Tatsache, dass über 20 000 Soldatinnen und Soldaten Jahr für Jahr in europäischen Missionen und in NATO-Missionen einen zum Teil lebensgefährlichen Dienst leisten, angesichts der Tatsache, dass Deutschland im RC North in Afghanistan das Kommando führt, und angesichts der Tatsache, dass wir auf dem Balkan seit vielen Jahren und Jahrzehnten einen hervorragenden Dienst tun, möchte ich persönlich diesen Vorwurf mit aller Entschiedenheit zurückweisen. ({3}) - Frau Künast, es wäre schön, wenn Sie innerhalb Ihrer Fraktion bei der Frage, welche Position Bündnis 90/Die Grünen einnimmt, für Klarheit sorgen würden. ({4}) Heute reden wir über die Teilnahme deutscher Soldatinnen und Soldaten am AWACS-Einsatz. Der Bundesminister der Verteidigung hat in der ersten Lesung die Ziele dieses gemeinsamen Einsatzes sehr gut, sogar ausgezeichnet beschrieben. Insbesondere für die Sicherheit des Luftraums über Afghanistan, aber auch für die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten auf dem Boden ist AWACS eine wichtige Fähigkeit der NATO. Wir beteiligen uns seit vielen Jahren daran. Wir sind Host Nation für AWACS in Geilenkirchen. Insofern darf ich auch im Namen meiner Fraktion um eine breitere Unterstützung bitten. Ich glaube, dass wir hier einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des Bündnisses in Afghanistan leisten. Vor dem Hintergrund, dass wir heute über ein gesondertes Mandat entscheiden, möchte ich an dieser Stelle doch noch einen Gedanken in die Diskussion bringen, wenn wir Ende des Jahres über eine Verlängerung dieses Mandats und des ISAF-Mandats reden. Da wir gemeinsam das Ziel teilen, im Jahr 2014 die komplette Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte anzupeilen, sollten wir auch darüber nachdenken, ob wir die beiden Mandate sinnvollerweise im nächsten Jahr zusammenführen. Wir als FDP-Fraktion werden uns an der Abstimmung positiv beteiligen. Wir haben einen breiten Konsens in der Fraktion. Das hatten wir bereits bei der ersten Abstimmung über AWACS ins Bild gesetzt. Der Minister hat noch einmal versichert, dass wir mit Blick auf die Soldaten, die jetzt an dieser schwierigen Mission teilnehmen, darüber nachdenken müssen, ob die langen Anreisewege für unsere Soldaten - über acht Stunden - dazu führen, dass eine zu große Belastung erfolgt. Wir sollten die Möglichkeit einer dauerhaften Stationierung in Masar-i-Scharif für die Dauer des Einsatzes erwägen. Ich darf Sie herzlich bitten, diesem Einsatz eine breite Zustimmung in diesem Hause zu erteilen und damit zu beweisen, dass wir hinter dem wichtigen und gefährlichen Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan stehen. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir entscheiden heute über das AWACS-Mandat für Afghanistan. Jedenfalls aus meiner Sicht hat es der Verlässlichkeit der deutschen Politik in der Vergangenheit ganz gut getan, dass solche Entscheidungen von einer breiten Mehrheit hier im Hause getragen wurden. Diejenigen, die in Afghanistan als Soldaten oder als zivile Helfer ihren Dienst tun, dürfen das jedenfalls erwarten. Die SPD - das haben Sie in den letzten Monaten erfahren - hat sich auch in ihrer Rolle in der Opposition nicht aus der Verantwortung gestohlen. ({0}) Aber auch das sei ganz am Anfang meiner Rede in Richtung der Regierungsfraktionen gesagt: Diese Regierung unternimmt alles, um auch diese gute Tradition in der Außenpolitik zu gefährden. Man muss entweder auf der einen Seite verwegen oder auf der anderen Seite panisch sein, um drei Tage vor wichtigen Landtagswahlen wie Zieten aus dem Busch zu kommen und einen solchen Gegenstand in die Tagesordnung des Bundestages zu pressen. ({1}) Ich sage ganz ehrlich an Ihre Adresse: Viele von uns hatten den Eindruck, dass Sie im Grunde genommen gar nicht nach einer breiten parlamentarischen Mehrheit suchen, sondern dass Sie eine Ablehnung provozieren wollten. Meine Meinung ist anders: So viel Strategie traue ich Ihnen in diesen Tagen gar nicht zu. ({2}) Aber es ist mir in der Tat ernster. Es geht mir gar nicht um die Provokation von Konflikten mit der Opposition. Denn mir fällt in den letzten Monaten nicht nur bei der Diskussion in diesem Hause auf: Es geht eigentlich um etwas, was schlimmer ist. Es geht um die seit Monaten immer wieder deutlich werdende Missachtung des ParlaDr. Frank-Walter Steinmeier ments. Heute werden wir einmal mehr gezwungen, weitreichende Entscheidungen in einem für das Parlament, finde ich, völlig unwürdigen Schweinsgalopp über die Bühne zu bringen. ({3}) Das Ganze scheint mittlerweile System zu haben. Das fällt nicht nur uns auf. Wenn Sie - das sage ich an die Damen und Herren der Regierung gerichtet - schon nicht auf uns hören, dann hören Sie zumindest auf den Bundestagspräsidenten. Er hat es Ihnen in der vorvergangenen Woche einmal mehr ins Stammbuch geschrieben. ({4}) Wenige Beispiele. Beim Euro-Rettungsschirm hat die Bundesregierung jede Auskunft, die wir verlangt haben, so lange verweigert, bis die wesentlichen Entscheidungen in Brüssel eingetütet waren. Bei der Wehrpflicht - sie hatte eine ausgezeichnete Tradition in dieser Republik - waren sich die großen Parteien über lange Zeit einig. Nun wird die gesetzliche Verankerung der Grundlagen der Bundeswehr mit einem politischen Ukas auf einmal ausgesetzt. Die gerade erst per Gesetz verlängerten Laufzeiten der Kernkraftwerke werden mit politischem Beschluss ohne Beteiligung des Parlamentes einfach so zurückgenommen. Heute legen Sie auf die Schnelle einen Antrag zur Beteiligung an einem AWACS-Einsatz vor, nicht weil die Lage in Afghanistan das erfordert, nicht weil die Bedrohungslage in Deutschland über Nacht eine andere geworden wäre, nicht weil die NATO-Anforderung in den letzten Tagen dringlicher geworden wäre, sondern weil der Bundesregierung das Wasser bündnispolitisch bis zum Hals steht. Darum geht es und um nichts anderes. ({5}) Das wissen nicht nur die, die jetzt Beifall geklatscht haben; die Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen reden genauso darüber. Ich weiß, dass es Ihnen genauso wie uns auf die Nerven geht, dass ohne begründeten Ausnahmefall mit dauerndem, sich immer wiederholendem unzulässigem Druck auf die Beratungsmöglichkeiten hier in diesem Hohen Hause eingewirkt wird. Das geht allen auf die Nerven. Es geht nicht nur auf die Nerven, sondern rüttelt auch an den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie. ({6}) Ich darf an die Adresse der Regierung sagen: Die Regierung kann sich nicht beschweren, hier im Parlament würde das Verständnis für notwendige und zeitgerechte Entscheidungen fehlen. Aber der Umgang der Regierung mit dem Parlament wird mehr und mehr eine Frage der Selbstachtung. Auch das muss am Anfang dieser Debatte gesagt werden. ({7}) Aus meiner Sicht hat die Geringschätzung parlamentarischer Gepflogenheiten, Usancen und Verfahren in der Frage der AWACS einen ganz einfachen Grund. Der Grund heißt nicht Afghanistan, der Grund heißt Libyen. Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie in den Regierungsfraktionen über die Wertung eines Militäreinsatzes nachdenken, gegebenenfalls auch streiten. Das tun auch wir; ich verschweige das nicht. Aber Sie sind in der Regierung. Sie konnten sich zwischen Friedensfürst auf der einen Seite und Bündnistreue auf der anderen Seite nicht entscheiden. Sie haben es fahrlässig zu dieser engen Alternative kommen lassen. Nachdem Fehler gemacht worden sind, nachdem Wunden geschlagen worden sind, wird das Parlament jetzt über Nacht zur Wundheilung verdonnert und soll die Trostpflaster für die Verbündeten kleben. Das ist unsere Aufgabe in dieser Stunde. ({8}) Jetzt auf einmal werden wir als Parlament gebraucht, weil die Bündnistreue der Deutschen in Zweifel steht, und das drei Tage vor wichtigen Wahlen. Herr Westerwelle - Sie haben eben etwas kritisch dazwischengemurmelt -, ich kann mich, vielleicht besser als jeder andere hier in diesem Hause, an manchen hämischen, manchen unverschämten Kommentar aus dem Jahre 2003 erinnern, zum Beispiel „Ruin der transatlantischen Beziehungen“. Frau Merkel gab damals den Hinweis Richtung USA, dass der Bundeskanzler nicht für alle Deutschen sprechen könne. Das vergesse ich zwar nicht, aber es beeinflusst auch nicht mein Abstimmungsverhalten; das will ich Ihnen sagen. ({9}) Würde ich es danach ausrichten, wäre das nicht die Verantwortung, wie ich sie und wie ich sie auch für die SPD-Fraktion verstehe. Glaubwürdigkeit - das ist meine Überzeugung - haben wir als Deutsche nur, wenn wir in den langen Linien denken, an denen wir uns orientieren. Trotz der ganzen Chaotisiererei in den letzten Tagen lassen wir uns nicht auf einen Pfad führen, der die Entscheidung von wechselnden innenpolitischen Stimmungen abhängig macht. Mit einer solchen Politik - das ist meine Überzeugung - gewinnt man kein Vertrauen. Wenn man das Vertrauen kurzfristig zerstört - das haben wir in den letzten Tagen bei Herrn Brüderle in Fragen der Energiepolitik gemerkt - und wenn ein Minister dieser Bundesregierung gegenüber den Verbänden mal eben erklärt, dass man das mit den Lehren, die aus der Reaktorkatastrophe gezogen werden sollen, nicht so ernst nehmen soll, dann hat man dieses Vertrauen nicht verdient. Ich glaube, das werden Sie am Sonntag spüren. ({10}) Heute geht es um Afghanistan, und es geht um grundsätzliche Prinzipien, nämlich Verlässlichkeit, Verantwortung und Gradlinigkeit. Wir haben uns in der Vergangenheit nicht populistisch vom Acker gemacht. Auch wenn es heute aufgrund dieser Vorwahlsituation verlockend wäre, auf Konfrontation zur Regierung zu gehen, gebe jedenfalls ich dieser Versuchung nicht nach, weil ich davon überzeugt bin, dass der Einsatz, über den wir reden, vernünftig ist. Wer sich in der Vergangenheit darauf vorbereitet hat, der weiß: Die Entscheidung darüber wäre in wenigen Monaten ohnehin auf uns, auf dieses Parlament zugekommen, nämlich dann, wenn die dreimonatige Phase endet, in der AWACS in Afghanistan ohne deutsche Beteiligung läuft. Ich sage: Auch wenn die Bundesregierung schlingern mag, kommen jedenfalls wir nach nüchterner Erwägung zu der Auffassung, dass wir diesem Einsatz mehrheitlich zustimmen können und dass wir ihn mittragen werden. Wir werden nicht etwas ablehnen, dem wir 2009 zugestimmt haben, und nicht etwas ablehnen, dem wir in zwei Monaten zugestimmt hätten. Das wäre keine Politik der Gradlinigkeit. Wir wollen sie. Daran, ob sie die Regierung will, habe ich allerdings meine Zweifel. ({11}) Darum unterstützen wir diesen Einsatz. Mein letzter Satz. Herr Westerwelle und meine Damen und Herren der Regierung, klar muss auch sein: Wenn die Bundesregierung jetzt mit diesem Mandat und der Entsendung von Soldaten für den Einsatz von AWACS nah an die Gesamtobergrenze für das Einsatzkontingent in Afghanistan heranrückt, dann wird sie das nicht von der Zusage entbinden, noch in diesem Jahr substanzielle erste Schritte beim Rückzug aus Afghanistan einzuleiten. Es bleibt dabei: Davon, ob das gelingt, wird unsere weitere Unterstützung für das deutsche Afghanistan-Mandat abhängen. Herzlichen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ernst-Reinhard Beck ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Das vorliegende Mandat zur Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz von NATO-AWACS - ausgesprochen: Airborne Warning and Control System -, also Luftüberwachung und Kontrollsysteme, ist wichtig, richtig und zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch notwendig. AWACS-Operationen stehen beispielhaft für die integrierte Verteidigung der Allianz. Unsere Entscheidung für diesen Einsatz ist auch ein Stück gelebte Bündnissolidarität. Wir unterstützen den konzeptionellen Ansatz der internationalen Staatengemeinschaft, die afghanische Regierung alsbald zur eigenständigen Wahrnehmung ihrer Sicherheitsverantwortung zu befähigen. Erst am Dienstag hat Präsident Karzai verkündet, dass Provinzen und Städte in die Sicherheitsverantwortung der afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden sollen und auch übergeben wurden. Leider ist diese Meldung in der medialen Berichterstattung fast untergegangen. Dabei handelt es sich um einen Meilenstein für die Entwicklung des Landes. Zum ersten Mal in der zehnjährigen Geschichte unseres Einsatzes werden afghanische Behörden selbst die Sicherheit in Teilen ihres Landes verantworten, darunter übrigens auch in Masar-i-Scharif, im deutschen Zuständigkeitsbereich im Norden. Dies stimmt mich hoffnungsfroh. Die Unterstützung bei der Luftraumüberwachung, die wir mit AWACS zu leisten bereit sind, stärkt das Konzept der Übergabe der Sicherheitsverantwortung und trägt erheblich zur Sicherheit des zivilen Luftverkehrs bei. Mit der Entflechtung des zivilen und militärischen Flugverkehrs sind die afghanischen Behörden derzeit noch überfordert. Diesen Zustand zu überbrücken und gefährliche Situationen zu verhindern, das kann AWACS leisten. Parallel setzen wir uns dafür ein, dass eigene afghanische Luftraumüberwachungskapazitäten aufgebaut werden. Das wird aber noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Mit der heutigen Entscheidung kommen wir nur einer Debatte zuvor - Herr Kollege Steinmeier, Sie haben darauf hingewiesen -, die ohnehin in wenigen Tagen angestanden hätte. ({0}) Mitte April läuft die 90-Tage-Frist aus, in der AWACS ohne deutsche Beteiligung eingesetzt wird. Dass dies kein Dauerzustand bleiben würde, war und ist uns allen klar. Klar ist, dass AWACS ohne deutsches Personal nicht dauerhaft eingesetzt werden kann. Als Anfang Januar dieses Jahres die Anfrage an die Bundesregierung gerichtet wurde, die AWACS-Flüge zu unterstützen, haben wir aus mehreren, wie ich meine, nachvollziehbaren Gründen zunächst Nein gesagt. Zum einen waren unsere Partner in der Lage, den Auftrag auch ohne deutsche Unterstützung mit nationalen Mitteln durchzuführen. Zum anderen wollten wir unsere Kapazitäten auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte am Boden konzentrieren. Zumindest das erstgenannte Argument hat sich geändert. Unsere Verbündeten können durch unsere Soldatinnen und Soldaten in den AWACS-Maschinen entlastet werden, um ihre Kräfte an anderer Stelle, nämlich in Libyen, einsetzen zu können. Diese Art von Burden Sharing ist, wie ich meine, übliche Praxis unter Verbündeten. Das Mandat ist so konzipiert, dass wir innerhalb der bestehenden Obergrenze von 5 350 Soldaten für ISAF den Auftrag erfüllen können. Ich begrüße dies ausdrücklich, zeigt es doch, dass es klug war, diese Flexibilität in das ISAF-Mandat einzubauen. Den Vorwurf, es handele sich um ein Ablenkungsmanöver oder um eine Befriedigung des schlechten Gewissens gegenüber unseren Partnern, weise ich mit Nachdruck zurück. Ernst-Reinhard Beck ({1}) ({2}) Ich glaube, dass wir diese Art von Nachhilfeunterricht in Sachen Bündnissolidarität wirklich nicht nötig haben. Es gibt keinen Grund, unsere Beteiligung an AWACS zu kritisieren. Ich freue mich deshalb, dass die SPD jenseits aller der Oppositionsrolle geschuldeten Gefechtsfeldlyrik ihre Zustimmung zu diesem Mandat heute bekundet hat. Ich würde mich freuen, wenn sich auch andere Fraktionen in diesem Hohen Hause der Vorlage und diesem Vorgehen anschließen könnten. ({3}) Oftmals wird in diesen Tagen eine Verbindung zwischen dem AWACS-Einsatz in Afghanistan und der Operation gegen Libyen konstruiert. Dieses Junktim, so meine ich, führt in die Irre. Die Eskalation in Libyen bewegt uns alle. Wenn ein Diktator Krieg gegen sein eigenes Volk führt, kann dies niemanden kaltlassen. Die Position der Bundesregierung zu Libyen war immer klar: wirtschaftlicher und diplomatischer Druck ja, militärisches Eingreifen nein. Diese souveräne Entscheidung steht jedem NATO-Mitglied zu, damit auch uns. ({4}) Es ist, meine ich, übrigens gelebte Praxis in der Allianz, dass nicht immer alle Staaten an der Umsetzung militärischer Maßnahmen teilnehmen müssen. Von einem deutschen Sonderweg oder von einer Isolierung Deutschlands zu sprechen, halte ich deshalb für verfehlt. Die Forderungen für ein energisches militärisches Eingreifen kommen dabei gerade oft von jenen, die sich ansonsten nicht gerade durch ein besonderes Interesse an der Bundeswehr auszeichnen. Ich frage diejenigen, die am lautesten nach deutschen Kampfflugzeugen rufen: Wenn es 2003 aus deutscher Sicht falsch war, Saddam Hussein aus dem Amt zu bomben, warum soll ein deutscher Einsatz dann in Libyen richtig sein? Haben wir daraus nichts gelernt? Der Dissens in der NATO und Bedenken in vielen Ländern der Welt zeigen doch, dass ein politisches Konzept fehlt, was nach den Luftschlägen folgen soll. Wir waren uns immer darin einig, dass militärische Einsätze nur im Rahmen politischer Konzepte sinnvoll und richtig sind. Die Devise „fangen wir erst einmal an“ überzeugt mich ebenso wenig wie offenkundig die Bundesregierung. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Beitrag dort einbringen, wo wir es für richtig halten und wo es nach meiner Einschätzung auch Sinn macht. Genau das tun wir mit dem AWACS-Einsatz in Afghanistan. Das Signal ist klar: Deutschland ist und bleibt ein verlässlicher, starker Bündnispartner. Wir engagieren uns in einer Vielzahl von Einsätzen, von Afghanistan über den Balkan bis zum Horn von Afrika. Aber wir müssen nicht, Automatismen folgend, überall militärisch beteiligt sein. Man muss uns die Souveränität der eigenen Entscheidung schon zubilligen, wenn man es auch anderen Staaten zugesteht. Dies ist in einem Bündnis souveräner Staaten selbstverständlich. ({5}) In diesem Sinne bitte ich Sie um eine breite Zustimmung zu einem Einsatz, der unsere Fähigkeiten zur Geltung bringt und die Entwicklung in Afghanistan weiter stabilisiert. Das ist im Übrigen auch ein Zeichen für unsere Solidarität im Bündnis. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jan van Aken ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal glaube ich wirklich, ich bin hier im falschen Film. ({0}) Es soll darüber abgestimmt werden, dass nochmal 300 deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt werden. Es wird gleich hier darüber entschieden, dass der Afghanistan-Einsatz weiter verschärft wird, ({1}) und Sie streiten sich hier wie die Kesselflicker um die Frage, ob das nun in einer Woche oder in zwei Wochen entschieden werden soll. Sie werfen sich hier Wahlkampf vor und reden von Gradlinigkeit und Bündnistreue. Aber keiner von Ihnen redet davon, worum es geht: Es geht hier um Krieg, um die Ausweitung des Krieges in Afghanistan, und den finden wir falsch. ({2}) Herr Westerwelle hat sich vor zwei Tagen hier sogar dazu hinreißen lassen zu sagen, der Einsatz der AWACSFlugzeuge in Afghanistan dient auch der Sicherung der zivilen Luftfahrtwege nach Südostasien. Das ist doch kompletter Blödsinn. Es geht nicht darum, dass die Lufthansa-Maschine von Frankfurt sicher in Hongkong ankommt. Das tut sie seit zehn Jahren, während der Krieg dort läuft. Es geht doch einzig und allein um eine Ausweitung des Krieges. Das steht ja auch schwarz auf weiß in dem Antrag der Bundesregierung drin. Da steht nämlich drin, dass die Daten aus den AWACS-Aufklärungsmaschinen an die militärischen Flugzeuge und Hubschrauber in Afghanistan weitergegeben werden. Das benutzen sie nicht nur, um von A nach B zu fliegen, sondern das be11482 nutzen sie natürlich auch, um ihre Bombenangriffe, ihre Fliegerangriffe gezielter zu koordinieren. Was diese Bombenangriffe heißen, das wissen wir hier in Deutschland spätestens seit Kunduz. ({3}) Das wissen wir seit anderthalb Jahren, als damals über 100 unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten durch einen Bombenangriff getötet worden sind. Jetzt glaube niemand, das sei ein Einzelfall. Darüber wird hier in Deutschland kaum noch berichtet. Aber solche Bombenangriffe finden regelmäßig statt, mit vielen, vielen zivilen Toten. Gerade erst vor drei Wochen wurden ganz im Osten von Afghanistan, in der Provinz Kunar, neun Kinder beim Holzsammeln durch einen Bombenangriff getötet. Das passiert natürlich bei Luftangriffen besonders häufig. Ich selber habe damals die Videos gesehen, die aus den Flugzeugen heraus aufgenommen worden sind. Da sieht man nur kleine schwarze Punkte, die da unten herumlaufen. Da kann kein Pilot sagen, ob das nun Taliban oder kleine Kinder beim Holzsammeln sind. Es gibt gerade bei Luftangriffen besonders viele Tote. Das ändert sich auch mit den AWACS-Aufklärungsflugzeugen nicht. Dadurch kriegen Sie keine besseren Bilder. Dadurch kriegen Sie aber eine größere Dichte an solchen Bombenangriffen. Das wird sich ausweiten, und das finden wir falsch. ({4}) Ein zweites Beispiel. Mitte Februar sind, wiederum in der Provinz Kunar, 65 Zivilistinnen und Zivilisten bei einem Bombenangriff getötet worden. Die Dorfbewohner waren geflüchtet, als sie das Dröhnen der Flugzeuge und der Hubschrauber hörten, und haben sich in einem Unterstand versammelt. Dort sind sie mit Raketen- und Bombenabwürfen gezielt getötet worden. Das passiert regelmäßig in Afghanistan und hat dazu geführt - hier müssen Sie jetzt einmal zuhören -, dass Präsident Karzai vor zwei Wochen, am 12. März 2011, vor NATO-Offizieren gesagt hat: Ich bitte die NATO und die USA in aller Demut darum, ihre Operationen in unserem Land zu beenden. Herr Steinmeier, ich frage Sie jetzt einmal: Wissen Sie, dass Herr Karzai, Ihr Bündnispartner Karzai, vor zwei Wochen gesagt hat, diese Operationen müssten beendet werden? Wenn Sie es wissen: Wie können Sie dann jetzt, zwei Wochen später, zustimmen, dass diese Operationen ausgeweitet werden? Das ist unlogisch. Sie sind doch auf Einladung von Karzai da. Da er jetzt die Beendigung dieser Operationen fordert, dürfen Sie diesem Mandat nicht zustimmen. ({5}) Es ist ein Hohn und wirklich auch eine Missachtung der Menschen in Afghanistan, dass sich Herr Westerwelle vor zwei Tagen hierhin gestellt und gesagt hat: Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge ist militärisch notwendig, weil er die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung erhöht. Das Gegenteil ist der Fall. Schauen Sie sich nur einmal die Zahlen der Vereinten Nationen an: Im letzten Jahr hat es wieder 2 777 zivile Opfer bei Gefechten in Afghanistan gegeben. Ich betone: Das sind Zahlen der Vereinten Nationen. ({6}) Das ist wieder eine Steigerung, nämlich um 15 Prozent, gegenüber dem Jahre 2009. Das beweist doch nur, dass es richtig war, dass wir von Anfang an gesagt haben: Je mehr Soldaten Sie nach Afghanistan schicken, desto mehr Tote, Leid und Zerstörung gibt es dort. ({7}) Ich finde, Sie verharmlosen, was diese Flugzeuge tun. Das gilt für Libyen genauso wie für Afghanistan. Man tut immer so, als ob da ein paar Flugzeuge kreisen. Auch in Deutschland haben viele Menschen bei der Einrichtung der Flugverbotszone in Libyen gedacht: Na ja, ein paar NATO-Flugzeuge sorgen dafür, dass die Flugzeuge von Gaddafi nicht mehr aufsteigen können. - Nein, es geht um flächendeckendes Bombardement. Deswegen ist es richtig, dass Deutschland da nicht mitmacht. Niemand soll jetzt aber glauben, dass CDU/CSU und FDP zu Friedensengeln mutiert sind; denn Sie tauschen hier einen Krieg gegen den anderen Krieg, Herr Westerwelle. Sie tauschen den Libyen-Krieg gegen den Afghanistan-Krieg, und das geht so nicht. Wir müssen beide Kriege ablehnen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege van Aken, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hoff?

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber gerne. Das ist die erste Zwischenfrage, die mir gestellt wird.

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr van Aken, wären Sie so fair und so freundlich, dem Plenum mitzuteilen, wie viele tote Zivilisten auf das Konto von Taliban gehen? Wenn Sie hier schon eine Relation herstellen: Wären Sie auch so freundlich, mitzuteilen - so zynisch sich das anhört -, wer mehr zivile Tote verursacht: Taliban oder ISAF? ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In den letzten vier Jahren gab es nach UNO-Angaben über 8 000 zivile Opfer. Davon gehen im Schnitt der letzten Jahre ungefähr zwei Drittel auf das Konto der Taliban oder der Aufständischen, ein Drittel geht auf das der Alliierten. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diesen Krieg beenden, dann gibt es auf beiden Seiten keine Toten mehr. Das ist doch die richtige Argumentation. ({0}) Jetzt noch einmal zur Erinnerung: ({1}) Im Januar haben Sie alle von der Kriegskoalition aus SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP hier über den Abzug geredet. Ich konnte das Wort „Abzugsperspektive“ schon gar nicht mehr hören. Irgendwie hat sich in Deutschland dann der Eindruck verfestigt, dass alle für den Abzug sind. Jetzt, nur drei Monate später, schicken Sie noch einmal 300 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan. Das beweist doch, dass Sie überhaupt kein Interesse an einem Abzug haben. ({2}) Ich sage Ihnen: Wenn es irgendwann einmal Frieden in Afghanistan geben soll, wenn nicht wieder zehnjährige Kinder beim Holzsammeln bombardiert werden sollen, dann müssen Sie dieses AWACS-Mandat heute ablehnen und endlich einmal auf das hören, was Ihr Bündnispartner Karzai dieses Mal gesagt hat. Stellen Sie Ihre Operation ein, ziehen Sie die deutschen Soldaten zurück, und beenden Sie den Krieg in Afghanistan! ({3}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr irgendwohin auf der Welt exportieren sollte. Auch damit könnten wir heute anfangen. Ich bedanke mich bei Ihnen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Grünen haben es uns, was Einsätze angeht, angewöhnt, jeden Einsatz für sich zu betrachten und dann unsere Position an dieser Stelle zu bestimmen. Wir haben unsere Position nicht davon abhängig gemacht, ob wir Opposition oder Regierung sind. Wir tragen in der Opposition bis heute die Einsätze im Sudan mit. Wir haben - anders als die FDP, Herr Westerwelle - in der Opposition den Einsatz an der Küste des Libanon zur Beendigung des Krieges zwischen Libanon und Israel mitgetragen. ({0}) Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass es richtig ist, den Einsatz zur Bekämpfung der Piraterie vor Somalia mitzutragen. Wir haben übrigens auch 2009 in diesem Hause einem Mandat für den Einsatz von AWACS-Flugzeugen zugestimmt. Anders als 2009 können wir dem heutigen Mandat aber nicht zustimmen. Wer zu bestimmten Dingen Ja sagt, muss auch die Freiheit haben, zu bestimmten Dingen, weil sie falsch sind, Nein zu sagen. ({1}) Das hat etwas mit den Unterschieden zwischen dem Mandat damals und dem Mandat heute zu tun. Das Mandat, um das es heute geht, bezieht sich explizit - so steht es, anders als 2009, im Antrag der Bundesregierung - auf die Unterstützung bei der Durchführung von Operationen ISAF-geführter Bodenkräfte. Sie nimmt explizit Bezug auf die neue Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung, die seinerzeit nicht vorgesehen war, Herr Kollege. Diese Form der Kriegsführung, die wir, meine Fraktion, mehrfach und zuletzt bei der Verabschiedung des ISAF-Mandates im Januar kritisiert haben, ist Bestandteil der Begründung für AWACS. Das ist der Grund, warum die Mehrheit meiner Fraktion, die dem ISAF-Mandat im Januar nicht zugestimmt hat, auch diesem aus demselben Mandat erwachsenen Mandat nicht zustimmen kann. ({2}) Das Mandat ist aber nicht nur inhaltlich falsch; es kommt auch zur falschen Zeit. Herr Kollege Beck hat darauf hingewiesen: Alles, was wir heute über dieses Mandat wissen, wussten wir schon im Januar. Sie haben es im Januar aus anderen Gründen nicht vorgelegt. Sie haben nämlich befürchtet, dass Sie die Obergrenze Ihres Mandates reißen. Deswegen haben Sie angekündigt, es im Juni vorzulegen. Jetzt präsentieren Sie es uns mit nur drei Tagen Vorlauf. Mit der Situation in Afghanistan hat das gar nichts zu tun. ({3}) Sie versuchen mit diesem Mandat, den bündnispolitischen Scherbenhaufen, der entstanden ist, zu kitten. Wenn Sie in dieser Woche ein zustimmungsfähiges Mandat hätten vorlegen wollen, dann hätten Sie ein anderes Mandat vorlegen müssen, und Sie hätten es rechtzeitig vorlegen müssen. Ich teile Ihre Skepsis, Herr Westerwelle, was die mit Luftschlägen einhergehende Strategie angeht. Es war richtig, dass sich Deutschland nicht daran beteiligt. Es ist richtig, sich mit den Vereinten Nationen für einen Waffenstillstand in Libyen einzusetzen. ({4}) Es ist richtig, sich für Hilfe für die Flüchtlinge einzusetzen, statt sich in einer Festung Europa abzuschotten. Es ist richtig, sich für ein totales Ölembargo einzusetzen. Es ist auch richtig, zu einem Waffenembargo Ja zu sagen, wie es in der Resolution des Sicherheitsrates enthalten ist. ({5}) Die Kanzlerin hat sich gestern uneingeschränkt für die UN-Resolution 1973 ausgesprochen. Lieber Herr Westerwelle, wenn das Ihre Zustimmung findet, frage ich Sie: Warum haben Sie uns heute kein Mandat zur Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Durchsetzung des Waffenembargos vorgelegt? Das wäre konsequent gewesen. ({6}) Man kann sich doch nicht erst für das Waffenembargo aussprechen und sich dann, wenn es beschlossen wird, aus der NATO zurückziehen. ({7}) - Kollege Schockenhoff, ich weiß, dass Ihnen das wehtut; aber Sie müssen nicht in Verzweiflungsschreie ausbrechen. Ich weiß, dass es Sie trifft; aber Sie sollten ruhig bleiben. Ich will Sie nicht einmal dafür kritisieren, dass Sie die deutschen Truppen vom Kommando der NATO kurzfristig abgezogen haben. Das war notwendig, weil Sie kein Mandat des Deutschen Bundestages hatten. Aber wenn Sie es heute mit Ihrer Position zu einem Waffenembargo ernst meinen, dann müssen Sie auf den Deutschen Bundestag zukommen und sagen: Ja, wir beteiligen uns daran und geben uns nicht die Blöße, dass alle mitmachen - selbst die Türkei, die Sie nicht in die Europäische Union lassen wollen - und nur wir Deutschen nicht dabei sind. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Trittin, darf der Kollege Schockenhoff Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Herr Schockenhoff, Sie werden zur Erwiderung gleich noch Gelegenheit haben, wenn ich die Rednerliste richtig lese. Herr Kollege Schockenhoff, wir erleben von Ihrer Seite erstaunliche Volten in der Energiepolitik. Ich warte eigentlich nur noch darauf, dass Sie als CDU vor dem Hintergrund dieser Entwicklung gemeinsam mit der Linkspartei erklären, Sie erwarteten ein dreimonatiges Moratorium der Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO. ({0}) Was Ihre Außenpolitik angeht, empfehlen wir das Gleiche wie bei dem anderen Moratorium: endgültige Stilllegung dieser Regierung. Ich glaube, das kommende Wochenende wird ein großer Schritt in diese Richtung sein. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Schockenhoff das Wort.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Trittin, Sie haben gerade gesagt, dass die Resolution 1973, nachdem sie bei deutscher Enthaltung im Sicherheitsrat eine Mehrheit gefunden habe, jetzt auch die Resolution der Bundesregierung sei, die sich aber nicht an der Durchsetzung des darin enthaltenen Waffenembargos beteilige. So haben Sie es soeben dargestellt. ({0}) Richtig ist, lieber Herr Kollege Trittin, dass das Waffenembargo nicht in der Resolution 1973 verankert ist, sondern in der Resolution 1970, der die Bundesregierung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zugestimmt hat. ({1}) Richtig ist auch, dass es bislang keine Anfrage der NATO an die Bundesrepublik Deutschland gibt, sich an der Durchsetzung des Waffenembargos auf Grundlage der Resolution 1970 zu beteiligen, dass diese Frage deshalb nicht endgültig zur Entscheidung anstand und dass sich die Bundesregierung diesbezüglich nicht abschließend festgelegt hat.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Schockenhoff, ich bin Ihnen dankbar. In der Tat ist das Waffenembargo in der Resolution 1970 festgelegt. Was steht in der Resolution 1973? Dort wird Bezug genommen auf Resolution 1970. Man hat sich mit Resolution 1973 den Inhalt von Resolution 1970 zu eigen gemacht. Die Kanzlerin hat gesagt: Obwohl sich Deutschland enthalten hat, ist Resolution 1973 jetzt auch unsere Resolution. ({0}) Damit bleibt die Frage unbeantwortet, sehr geehrter Herr Schockenhoff, ob Sie dafür sind, dass das Waffenembargo auf Grundlage der Resolution 1970, von der Sie sagen, dass Sie ihr zugestimmt haben, auch tatsächlich durchgesetzt wird. ({1}) Die NATO hat beschlossen, dieses Waffenembargo durchzusetzen. Was passiert? Die deutsche Bundesregierung nimmt ihre Soldatinnen und Soldaten in diesem Bereich aus den NATO-Strukturen heraus. Das ist falsch. Herr Kollege Schockenhoff, wenn Sie darauf abheben, dass für die Durchsetzung des Waffenembargos keine NATO-Anfrage vorliegt, dann kann ich Ihnen nur sagen: Eine solche liegt bezüglich des Einsatzes der AWACSFlugzeuge ebenfalls nicht vor. Damit sind wir wieder an dem Punkt, wo Sie in der Sache argumentieren müssen. Sind Sie dafür, dass dieses Waffenembargo, auch unter deutscher Beteiligung, von der NATO durchgesetzt wird? Ja oder nein? Um diese Frage kommen Sie mit Ihren Zahlenfilibustereien nicht herum. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab einige Bemerkungen an die Adresse der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion machen. Ich weiß, dass es bei Ihnen einen schwerwiegenden Abwägungsprozess gibt, und zwar nicht erst in dieser Woche, sondern schon seit den Debatten, die wir Anfang des Jahres über das Afghanistan-Mandat insgesamt geführt haben. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass es mir schon Anfang des Jahres immer darum gegangen ist - auch als wir den Antrag zu diesem Mandat in den Deutschen Bundestag eingebracht haben -, eine möglichst breite Mehrheit für das Afghanistan-Mandat zu erzielen. Ich halte das aber für nicht sachfremd, sondern für richtig. Ich glaube, je breiter die Mehrheit hier im Deutschen Bundestag für den Einsatz unserer Frauen und Männer der Bundeswehr in Afghanistan ist, desto mehr Rückendeckung bekommen sie von der Politik. Das ist angemessen, notwendig und auch richtig. Wir sollten nie vergessen: Dieser Einsatz ist unter anderen politischen Verhältnissen begonnen worden. Wir haben jetzt verantwortungsvoll eine gemeinsame Abzugsperspektive erarbeitet. ({0}) Ich möchte vorab eine zweite Bemerkung machen, weil mir der Umgang hier in diesem Hause, im Deutschen Bundestag, von großer Wichtigkeit ist. Es ist nicht so, als seien Sie in die Gespräche nicht einbezogen worden. Der Verteidigungsminister hat in dieser Woche Gespräche mit den Oppositionsfraktionen gesucht. Er hat die für Sicherheitsfragen zuständigen Arbeitsgruppen der Oppositionsfraktionen aufgesucht. Er hat Gespräche mit den Fraktionsspitzen geführt. Auch ich habe vor der Entscheidung in New York selbstverständlich meine Auffassung und meine Tendenz nicht nur in der Regierungserklärung am Mittwoch letzter Woche vorgetragen, sondern auch in einem Vieraugengespräch mit den jeweiligen Fraktionsspitzen erörtert. Zu sagen, das Parlament sei bei einer so bedeutsamen Entscheidung nicht einbezogen worden, halte ich für unangemessen. Es ist eher ein Getümmel und ein Getöse, das für den kommenden Sonntag herhalten soll. In der Sache ist das aber nicht angemessen. Ich weiß noch, wie es war, als wir in der Opposition waren. Wir, die Regierung, haben uns vorgenommen, Gespräche mit der Opposition zu führen. So wie wir mit der Opposition in diesen Fragen umgehen und uns austauschen, habe ich es umgekehrt in all den Jahren in der Opposition nicht ein einziges Mal bei Ihnen erlebt. ({1}) Dritte Bemerkung. Es ist überraschend, dass die Redner der Opposition viermal in ihren Ausführungen erklären, das habe etwas mit den Landtagswahlen am Sonntag zu tun. Sie sagen, vor den Landtagswahlen am Sonntag hätte man das hier im Deutschen Bundestag nicht durchbringen dürfen. Herr Kollege Steinmeier, wenn Sie sagen, es sei unangemessen, dass man drei Tage vor den Landtagswahlen am Sonntag den Bundestag mit so etwas eilig befasst, dann muss ich sagen, dass Sie die Entwicklung in der Welt nicht zur Kenntnis genommen haben. Ich kann bei solchen Entscheidungen nicht auf den Wahlsonntag warten, wenn international Entscheidungen zu treffen sind. ({2}) Was die AWACS-Entscheidung angeht, will ich hier ganz klar sagen: Die Entscheidung ist in der Sache richtig; sie ist aber auch unter Bündnisgesichtspunkten richtig. Beides kommt zusammen. Sie ist in der Sache richtig, weil der Flugverkehr über Afghanistan geregelt, kontrolliert und auch überwacht werden muss. Das gilt für den militärischen und den zivilen Flugverkehr. Es ist aber auch in der Bündnispolitik notwendig, so zu handeln. Wir haben entschieden: Wir schicken keine deutschen Soldaten in Kampfeinsätze nach Libyen. Weil wir das entschieden haben, müssen wir dementsprechend auch unseren Einsatz im Rahmen von AWACS zurückziehen. Alles andere wäre mit der Verfassung nicht vereinbar. Das würde aber bedeuten, dass die AWACS-Flugzeuge vor Libyen nicht fliegen könnten, weil unser Personal derzeit gebraucht wird. Es soll durch Personal ersetzt werden, das derzeit in Afghanistan eingesetzt wird. Wir beteiligen uns nicht mit Soldaten an einem Kampfeinsatz in Libyen. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Verbündeten in Libyen in Gefahr bringen. Wir wollen natürlich nicht zum Ausdruck bringen, wir seien neutral. Wir werden sie entlasten, auch wenn wir selber keine deutschen Kampfhandlungen in Libyen vornehmen werden. Das ist Bündnispolitik der Vernunft. ({3}) Die vorletzte Bemerkung, die ich machen möchte, betrifft die Frage der Obergrenze. Den Eindruck zu erwecken, das Mandat für Afghanistan von Anfang des Jahres sei verändert worden, ist falsch. Das trifft einfach nicht zu. Wir bleiben bei der Obergrenze. Es werden keine zusätzlichen Kontingente von Soldaten nach Afghanistan geschickt. Das Mandat, das der Bundestag beschlossen hat, bleibt gewahrt. Das ist aus unserer Sicht richtig und notwendig. Aber wir werden in Afghanistan natürlich unseren Beitrag leisten, damit dieser notwendige AWACS-Einsatz erfolgreich sein kann. Insgesamt sind wir sehr besorgt über die weitere Entwicklung. Ich kann uns alle nur davor warnen, jetzt eine Diskussion darüber zu beginnen, wie es, auch in anderen Ländern, weitergehen soll. Wir haben eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen und eine Abwägung vorgenommen. Wir setzen auch auf zivile Sanktionen. Es ist ein großer Erfolg der Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzlerin, dass bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU gestern eine Ausweitung der Sanktionen einschließlich solcher, die den Ölexport betreffen, beschlossen worden ist. Das ist gute Politik, und die sollte die Rückendeckung dieses Hohen Hauses haben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Gernot Erler für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Außenminister Westerwelle, ich habe den Eindruck, dass Sie ein Problem nicht verstehen. Wir alle haben in der Vergangenheit versucht, miteinander eine auf möglichst breitem Konsens gestützte Afghanistan-Politik zu verabreden. Das ist für sich schon ein schwieriges Thema. Das, was wir Ihnen vorwerfen, ist, dass Sie uns im Grunde genommen dazu zwingen, jetzt bei einer so wichtigen Abstimmung wie dieser über den AWACSEinsatz zu überlegen, ob unsere Zustimmung nicht auch als eine Zustimmung zu Ihrer völlig verfehlten LibyenPolitik missverstanden werden kann. Das ist es, worum es hier eigentlich geht. Für viele unserer Mitglieder ist das ein großes Problem. ({0}) Herr Westerwelle, merken Sie eigentlich nicht, wie peinlich es ist, dass wir heute hier im Deutschen Bundestag über Bündnissolidarität sprechen müssen? Das ist immer eines der Grundprinzipien der deutschen Politik gewesen: Treue zu den Vereinten Nationen, Unterstützung der Vereinten Nationen und, so weit es überhaupt möglich ist, gemeinsames Vorgehen im Bündnis mit unseren wichtigsten Partnern. Das haben Sie ohne jede Not aufgegeben. ({1}) Sie verstricken sich immer mehr in eine abenteuerliche Politik. Herr Kauder hat gestern in der Bild-Zeitung die UNO angegriffen und gesagt, sie habe ein unklares Mandat erteilt. Es fehlten die Bodentruppen zur Bekämpfung der libyschen Streitkräfte. Herr Niebel hat im Tagesspiegel von gestern die Verbündeten angegriffen und gesagt, sie hätten überhaupt kein Konzept für die Zukunft. ({2}) Das ist das, was Sie aus Bündnissolidarität machen. Das ist völlig unverantwortlich. ({3}) Wir bleiben dabei: Der Schaden, den Sie jetzt anrichten, der schon fast ein GAU für die deutsche Politik ist, wenn man sich das auf internationaler Ebene betrachtet, ist der kurzfristigen, taktischen Überlegung geschuldet, einen Vorteil durch die Nichtbeteiligung zu erlangen. Wir werden noch lange den Preis für das bezahlen, was Sie hier mit den Verbündeten gemacht haben. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Florian Hahn ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition versucht offensichtlich, unsere Bündnisfähigkeit und unsere Solidarität im Bündnis infrage zu stellen. ({0}) Das tut sie, obwohl sie selber völlig uneinig ist. Herr Steinmeier hat mehrfach geäußert, dass er die Haltung der Bundesregierung, die Haltung des Vizekanzlers in der Frage der Resolution versteht und damit auch - damit zeigt er sein Verständnis - unterstützt. Aber weg von diesem Geplänkel. Seit Januar dieses Jahres fliegt der NATO-AWACS-Verband von Konya aus, allerdings ohne deutsche Beteiligung. 13 andere Nationen nehmen diese Aufgabe im Augenblick wahr. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es eben an der Zeit, Verantwortung zu zeigen und unsere Verbündeten und Partner zu entlasten - das ist das, was Bündnis ausmacht -, die durch das Engagement in Nordafrika zusätzlich belastet sind. Das entspricht auch meinem Verständnis von einem dauerhaften, verlässlichen und ehrlichen Bündnis. Wir müssen gemeinsam Verantwortung tragen und uns gegenseitig unterstützen. Gerade wir in Deutschland wisFlorian Hahn sen um die hohe Bedeutung von multinationalen Bündnissen wie der NATO, die unserem Land, aber auch Europa Frieden und Sicherheit über Jahrzehnte gegeben haben und heute noch geben. In Europa müssen wir aber näher zusammenrücken und mittelfristig in der Lage sein, gemeinsame außenpolitische Positionen zu vertreten, und auf nationale Alleingänge oder ein Vorpreschen - beides mussten wir leider erleben - verzichten. Zum Charakter eines Bündnisses gehört auch, dass sich Partner dann zusätzlich unterstützen, wenn bei gemeinsamen Mandaten Durchhaltefähigkeit gewährleistet werden muss. Mit Blick auf die Entwicklung in Libyen ist dies beim Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan klar der Fall. Unterstützung muss vor allem dann sein, wenn wir grundsätzlich auch noch alle dasselbe wünschen - bei aller unterschiedlichen Bereitschaft, was die einzusetzenden Mittel angeht -, nämlich den Sturz des Diktators Gaddafi. Deutschland unterstützt die politischen Ziele der UN-Resolution 1973 in vollem Umfang. So forcieren wir die Durchsetzung von Sanktionen gegen das Regime mit aller Kraft und wollen unsere Partner an anderer Stelle entlasten. Kolleginnen und Kollegen, der Einsatz von AWACS in Afghanistan dient gerade unserem vernetzten Ansatz aus zivilen und militärischen Komponenten zur Übergabe in Verantwortung. Mit einer verbesserten Luftraumkoordinierung schützen wir überdies Leib und Leben von Piloten und Flugzeugbesatzungen ebenso wie von Soldatinnen und Soldaten am Boden, die in Notsituationen auf Unterstützung aus der Luft angewiesen sind. Daneben ist natürlich in besonderem Maß der Schutz der Zivilbevölkerung ein wichtiger Aspekt der Mandatierung. Diesen Schutz zu gewährleisten, ist unsere Verantwortung; denn hier hat die afghanische Bevölkerung ganz konkret die Erwartung von Hilfestellung, und dies allein sollte schon reichen, dass auch die Grünen hier diese Verantwortung teilen. Insgesamt leisten die AWACS-Flugzeuge einen wichtigen Beitrag zur Erreichung unseres Ziels für Afghanistan: Übergabe in Verantwortung durch den vernetzten Ansatz. Wir unterstützen die Afghanen in der Ausbildung von Flugsicherungspersonal. Das muss noch viel stärker vorangetrieben werden. Es ist zu begrüßen, dass die Beteiligung am AWACSEinsatz unter Einhaltung der geltenden Mandatsobergrenze von 5 000 Soldaten zuzüglich einer flexiblen Reserve von 350 Soldaten erfolgt. Die flexible Reserve wird nur ausgeschöpft, wenn deutsche Soldaten für den AWACS-Einsatz benötigt werden. Das zeigt deutlich, dass wir dem Ziel, nämlich dem schrittweisen Abzug unserer Soldatinnen und Soldaten bis zum Jahre 2014, abhängig von der Lage vor Ort, verpflichtet bleiben. Das Nein der Grünen, das Sie heute angekündigt haben, Herr Trittin, ist aus meiner Sicht bedauernswerterweise offenbar ein weiterer durchschaubarer Schritt aus diesem ISAF-Einsatz. Sie selber wollen sich aus diesem Einsatz herausziehen. Sie haben das schon mit Ihrer Enthaltung im Februar bei der Verlängerung des letzten Mandats getan. Ich bedauere das sehr. Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie alle, das Mandat für unseren Beitrag auf dem Weg hin zu Frieden und Sicherheit im Interesse unseres Landes heute zu unterstützen. Unseren Soldatinnen und Soldaten sowie allen Einsatzkräften wünsche ich von dieser Stelle Gottes Segen und danke ihnen für ihren vorbildlichen Einsatz. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Jan van Aken noch einmal das Wort. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich finde diese Debatte absolut unwürdig. Hier wird gleich über Krieg und Frieden abgestimmt, und Herr Westerwelle und Herr Steinmeier buhlen darum, wer heute Abend die 10 Sekunden in der Tagesschau bekommt. So machen Sie aus einer Entscheidung, 300 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken, hier reinen Wahlkampf. (Zuruf der Abg. Renate Künast ({0}) Ich muss Ihnen sagen: Wenn ich jetzt als Bundeswehrsoldat dieser Debatte zuschauen würde, würde ich mich in Grund und Boden schämen und würde mir wirklich die Frage stellen: Für wen werde ich eigentlich nach Afghanistan geschickt, für wen halte ich eigentlich meinen Kopf hin? - Ich finde das absolut unwürdig. ({1}) Noch eine Bemerkung an Ihre Adresse, Herr Trittin: Sie versuchen jetzt auch - wieder mit Blick auf den Wahlsonntag -, in letzter Sekunde die Kurve zu kriegen. Aber es war Ihr Joschka Fischer, es war Ihr Daniel Cohn-Bendit, es waren viele aus Ihrer Partei, die sich für den Militäreinsatz in Libyen ausgesprochen haben. Das wird immer ganz beschönigend als Flugverbotszone dargestellt. Da darf sich niemand täuschen; denn Flugverbotszone heißt: flächendeckendes Bombardement. Flugverbotszone heißt auch: Angriffe direkt in den Städten, etwa in Tripolis. Da fliegen die Granatsplitter und Trümmer durch die Luft, und dort gibt es natürlich zivile Tote. Da darf es überhaupt keine Relativierung geben. Mir wird angst und bange, wenn ich jetzt Sarkozy sagen höre: Jetzt sollen alle arabischen Herrscher wissen, dass es ihnen genauso ergeht wie Gaddafi. - Heißt das denn jetzt, dass die NATO bald auch in Syrien einmarschieren wird? Heißt das, dass sie auch im Jemen einmarschieren wird? Wo wollen Sie eigentlich die Grenze ziehen, wenn Sie jetzt für den Einmarsch und die Bombardierung in Libyen sind? Es geht nicht, dass, wenn es irgendwo auf der Welt eine Krise gibt, deutsches oder europäisches Militär dorthin geschickt wird. Wir können nicht jedes Mal zur Waffe greifen - auch nicht Sie von den Grünen. Sie müssen doch endlich irgendwann wieder einmal Nein zu Kriegen sagen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Dr. Djir-Sarai hat jetzt für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Heute stimmen wir über die Beteiligung deutscher Soldaten am NATO-AWACS-Einsatz in Afghanistan ab. Ich sage Ihnen am Anfang auch ganz bewusst: Es geht heute in erster Linie um Afghanistan, es geht heute um die Sicherung des Erfolges unserer AfghanistanStrategie, es geht um die Zukunft der afghanischen Bevölkerung, und es geht um die Sicherheit unserer Soldaten im Einsatz. Ich finde es beschämend, dass diese Punkte heute bei Ihnen überhaupt keine Rolle gespielt haben. ({0}) Herr Kollege van Aken, Sie haben heute schon zweimal geredet, das hat die Sache nicht viel besser gemacht. ({1}) Ich will Ihnen das an dieser Stelle ganz deutlich sagen und extra für Sie noch einmal die Erfolge und Fortschritte ins Gedächtnis rufen: Präsident Karzai hat diese Woche die Übernahme der Sicherheitsverantwortung in sieben Regionen angekündigt. Die Entschlossenheit der Afghanen zur selbstständigen Gewährleistung von Sicherheit ist ein gutes Zeichen dafür, dass sich die internationale Gemeinschaft auf dem richtigen Weg befindet. Unsere internationale Strategie hat uns in Afghanistan schon ein großes Stück weitergebracht. So müssen wir weitermachen, so müssen wir unserem Konzept treu bleiben, und so müssen wir alle uns möglichen Ressourcen zur Zielerreichung ausschöpfen. Dazu gehört auch der Einsatz von AWACS. NATO-AWACS unterstützen bereits seit Anfang des Jahres sehr erfolgreich den Einsatz der ISAF-Mission sowie die Implementierung der neuen ISAF-Strategie. Die AWACS-Mission in Afghanistan hat sich bewährt. Sie ist effektiv, sie ist zivil und sie ist militärisch notwendig, um die Sicherheit der steigenden Zahl von Flugbewegungen zu gewährleisten. Der Flugverkehr über Afghanistan hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Eine Kontrolle des Luftraumes ist in dem gebirgigen Land vom Boden aus allerdings fast unmöglich. Die Luftraumüberwachung hilft darüber hinaus, die Lage am Boden zu stabilisieren. Somit wird der angestrebte Plan der Truppenreduzierung unterstützt. Ohne einen AWACS-Einsatz kann also der Erfolg, den wir mit der neuen Afghanistan-Strategie erreicht haben, nicht für die Zukunft gesichert werden. Ohne eine deutsche Beteiligung kann diese Mission allerdings nicht wesentlich länger andauern als die Anfang des Jahres zunächst festgesetzten 90 Tage. Ein Drittel der AWACS-Besatzungen wird von unserer Bundeswehr gestellt. Wir sind ein Teil von NATO-AWACS und können nicht hauptsächlich unsere amerikanischen und britischen Freunde die Arbeit über einen so langen Zeitraum alleine ausführen lassen. Aus diesem Grunde hat die FDP-Fraktion bereits im Juni 2009, damals noch in der Opposition, der deutschen Beteiligung am AWACSEinsatz in Afghanistan zugestimmt. Auch heute stimmen wir für diese Mission. ({2}) Ich kann verstehen, dass einige geschätzte Kollegen in diesem Haus die deutsche Beteiligung am NATOAWACS-Einsatz in Afghanistan mit der Entscheidung zur Resolution des UN-Sicherheitsrats in Verbindung bringen. Das ist auch völlig legitim; denn zusätzlich zu der zivilen und militärischen Notwendigkeit unserer Beteiligung gibt es einen weiteren Grund für unser Engagement: Das ist die Bündnissolidarität - das Wort ist ja mehrmals auch in einem anderen Zusammenhang von Ihnen gebraucht worden - mit unseren NATO-Partnern. Zum einen betreiben wir ganz klar die AWACS-Flotte als NATO gemeinsam. Zum anderen entlasten wir natürlich unsere Bündnispartner an anderer Stelle, so gut wir es vermögen, auch wenn wir uns nicht mit deutschen Soldaten in Libyen beteiligen. Das ist werteorientierte Außenpolitik. ({3}) Wir entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Dabei vergessen wir - auch wenn das einige hier anders sehen mögen - in keinem Moment die Partner, mit denen wir gemeinsam für Frieden und Sicherheit in der Welt eintreten. Die zeitweise Übernahme der Luftüberwachung durch AWACS sowie der Aufbau afghanischer Kräfte und Infrastruktur in der zivilen Luftverkehrskontrolle stellen ein schlüssiges Konzept zur Sicherung der Afghanistan-Strategie dar. Wir werden dort nicht unendlich mit unseren Aufklärungsflugzeugen bleiben; auch das ist klar. Wir werden auch die Einsatzobergrenze für den gesamten Afghanistan-Einsatz, der hier im Haus schon beschlossen wurde, nicht zusätzlich erhöhen. Meine Damen und Herren, die Situation in Libyen hat die Gesamtlage verändert. Das ist hier ja auch mehrmals betont worden. Unsere Hilfe wird jetzt an dieser Stelle gebraucht. Damit ermöglichen wir es unseren NATOFreunden, in Libyen flexibel und schnell zu handeln. Aus diesem Grund müssen wir schon jetzt über die Zukunft von AWACS-Flugzeugen in Afghanistan diskutieren und nicht erst in einigen Monaten. Das hat viel mit Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein zu tun.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren, am Ende dieser Überlegungen steht auch die Beendigung des militärischen Einsatzes in Afghanistan bis zum Jahr 2014, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen stimmen. Ich begrüße es, dass die Argumente für dieses Mandat in diesem Haus große Zustimmung finden. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Notwendigkeit dieses Einsatzes anerkannt wird. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr van Aken, ich weiß nicht, ob Sie richtig zugehört haben. Die Mehrheit meiner Fraktion hat im Januar dem ISAF-Mandat nicht zugestimmt. Viele haben mit Nein gestimmt, viele haben sich enthalten. Genauso wird sich diese Fraktion heute wieder verhalten, und zwar aus den Gründen, die ich Ihnen hier genannt habe. Aus einer Geschichte aber, Herr van Aken, kommen Sie nicht heraus. Sie sind da in merkwürdiger Weise spiegelbildlich, geradezu brüderlich vereint mit dieser Koalition. ({0}) - Ja, brüderlich passt gut zur Koalition des Herrn Brüderle. ({1}) Sie sind in einem Punkt mit denen einer Meinung. Sie reden davon, dass man in Konfliktgebiete keine Waffen liefern darf. Wenn es aber dazu kommt, dieses Reden in Handeln umzusetzen und wirklich dafür zu sorgen, dann taucht die Linkspartei genauso ab wie die Koalition. ({2}) Diese Haltung „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ stellt eine Gemeinsamkeit zwischen Links und Schwarz-Gelb dar. Das ist doch bemerkenswert. ({3}) Sie stellen sich hier hin und sagen: Wir lehnen ein solches Mandat ab. Was aber macht die Bundesregierung? Genau dasselbe. Dafür müssten Sie ihr eigentlich Beifall klatschen. Denn in dem Moment, wo die NATO beschließt, auf der Basis von UN-Resolutionen ein Waffenembargo durchzusetzen, zieht die deutsche Bundesregierung die deutschen Soldaten aus dem Kommando der NATO heraus. CDU/CSU und FDP haben nicht die Traute, sich hier hinzustellen und zu sagen: Jawohl, wir wollen, dass das weitergeht. Lieber Bundestag, stimme dem zu! - Unsere Zustimmung hätten Sie von den Koalitionsfraktionen an dieser Stelle, aber Sie tauchen aus dem einfachen Grund weg, weil Sie Angst vor dem kommenden Sonntag haben. Das ist der Punkt. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Trittin, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich zum dritten Mal zu Wort gemeldet haben. Das hat, so glaube ich, den Zuschauerinnen und Zuschauern sowie den Gästen im Deutschen Bundestag noch einmal die Möglichkeit gegeben, hier einen Einblick in Ihre nicht konsistente außenpolitische Konzeption zu bekommen. ({0}) Denn einerseits werfen Sie uns vor, wir argumentierten nicht einheitlich genug. Andererseits sagen Sie, ein Teil Ihrer Fraktion stimme dagegen, ein anderer Teil stimme dafür, und die anderen enthielten sich. Wofür die Grünen außenpolitisch stehen, ist mir in dieser Debatte, was AWACS angeht, nun überhaupt nicht klar. ({1}) Ich danke aber allen Fraktionen und allen einzelnen Bundestagsabgeordneten, die heute dem AWACS-Mandat hier zustimmen. Auch mir ist es ganz besonders wichtig, unseren Soldatinnen und Soldaten, die wir auf der Grundlage des Mandats in den Einsatz schicken, mit auf den Weg zu geben - Kollege Hahn hat es bereits gesagt -, dass es auch bei diesem Einsatz eine breite Unterstützung ihres Tuns gibt. Meine Damen und Herren, das gehört trotz aller Polemik in dieser Debatte dazu: Dieses Hohe Haus steht hinter den Soldaten, die wir in eine schwierige Mission schicken. ({2}) Die NATO braucht deutsche Streitkräfte bei AWACS. Im Juni 2011 wäre es voraussichtlich so weit gewesen, dass die AWACS-Flugzeuge hätten am Boden bleiben müssen. Insofern wäre diese Debatte ohnehin auf uns zugekommen. Auch hier machen wir es uns nicht leicht und schicken nicht leichtfertig deutsche Soldaten in eine schwierige Mission. Sie ist natürlich nicht so gefährlich wie andere Aufgaben, die die Bundeswehr übernimmt. Es ist trotzdem eine verantwortungsvolle Entscheidung, die wir heute hier zu treffen haben. Damit leisten wir erneut einen Beitrag zur Bündnissolidarität in der NATO. Wir treffen diese Entscheidung, obwohl wir wissen, dass ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland aufgrund sehr vieler begründeter und auch unbegründeter Aspekte den Afghanistan-Einsatz ablehnt. Die Unterstellung, wir hätten hier irgendetwas aus Wahlkampfüberlegungen gemacht, ist falsch; denn uns ist natürlich vollkommen bewusst, dass man mit dem Thema Afghanistan keine Wählerstimmen mobilisieren kann. Fakt ist vielmehr: Wir werden mit dieser Entscheidung unserer Verantwortung gerecht und nehmen auch keine Rücksicht darauf, dass zwei wichtige Wahltermine unmittelbar vor uns liegen. ({3}) Warum sind wir in Afghanistan? Auch wegen unserer eigenen Sicherheit. Es gab viele Gründe, die immer wieder angeführt wurden. Etliche Gründe sind verworfen worden. Der Grund, unsere eigene Sicherheit, bleibt bestehen. Deshalb werben wir dafür, die Übergabe in Verantwortung in Afghanistan früher abzuschließen, als es bisher möglich zu sein schien. Da gibt es zum Teil gute Ansätze, zum Teil aber auch große Schwierigkeiten. Dies haben wir im „Fortschrittsbericht Afghanistan“ benannt. Wir haben Klartext gesprochen sowie über Licht und Schatten des Einsatzes in Afghanistan hier im Plenum und in der deutschen Öffentlichkeit ausführlich diskutiert. Unsere eigene Sicherheit muss nach wie vor gewährleistet bleiben. Deswegen gibt es keinen kopflosen Abzug aus Afghanistan. Deshalb sehen wir uns in der Verantwortung, die Abzugsperspektive, die diese Regierung - ich nenne den Außenminister, den früheren Verteidigungsminister und den aktuellen Verteidigungsminister entwickelt hat, konsequent und maßvoll umzusetzen. Wir wollen die Übergabe der Verantwortung bis 2014 erreichen und, wenn die Sicherheitslage es zulässt, schon in diesem Jahr damit beginnen. Ein zweiter Aspekt, der zum Afghanistan-Mandat dazugehört, ist die Solidarität mit den Verbündeten. Die Afghanistan-Mission beinhaltet viele Schwierigkeiten. Es zeigt sich aber, dass sich das Bündnis und die Weltgemeinschaft an dieser Stelle bewähren. Trotz der deutlichen Ablehnung und trotz der Wahlniederlagen, die manche unserer Verbündeten wegen dieses Mandats schon haben einstecken müssen, ist es immer noch so, dass sich 48 Nationen solidarisch an dieser Mission beteiligen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick, Herr Kollege Mißfelder. - Ich darf die Kolleginnen und Kollegen, die nachher an der Abstimmung teilnehmen wollen, bitten, die Plätze einzunehmen und dem verbleibenden Rest der Debatte mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu folgen. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

48 Länder beteiligen sich, wie gesagt, solidarisch an diesem Einsatz. Das macht deutlich, dass die Weltgemeinschaft und die NATO Afghanistan noch nicht aufgegeben haben. ({0}) Unsere Erfolge in Afghanistan bleiben bestehen. Wir haben teilweise Menschenrechte durchgesetzt, von denen man zu Zeiten der Talibanherrschaft in Afghanistan weit entfernt war, insbesondere die Rechte der Frauen, den Zugang zu Bildung, zu einem besseren Gesundheitswesen usw. Wir haben auf der Londoner Konferenz deutlich gemacht, welche zivile Perspektive wir Afghanistan bieten wollen. Wir werden auch in diesem Jahr einen politischen Beitrag dazu leisten: Auf einer erneut stattfindenden Petersberger Konferenz wollen wir uns dafür einsetzen, die zivile Perspektive Afghanistans nicht aus dem Blick zu lassen. ({1}) Die Perspektive Afghanistans - das möchte ich hier und heute deutlich sagen - hängt in erster Linie nicht von der militärischen Option ab, sondern von unserem politischen Engagement, das die westliche Welt hier einbringt. Da leistet die Bundesregierung - neben der militärischen Komponente - sehr gute Dienste: mit einer Aufstockung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, mit der Vertiefung der Zusammenarbeit in nahezu allen Bereichen der Bürgergesellschaft und der damit verbundenen Schaffung einer zivilen Perspektive Afghanistans. Das bleibt unser Ziel und kein kopfloses Heraus aus einem Einsatz, mit dem wir es uns wirklich nicht leicht machen. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/5251 ({0}), den Antrag der Bundesregierung auf der Drucksache 17/5190 anzunehmen. Hierzu liegen mir zahlreiche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir dem Protokoll der Sitzung beifügen.1) Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na- mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich er- öffne die Abstimmung.2)

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der 1) Anlagen 2 bis 5 2) Ergebnis Seite 11492 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Beratungen nun fort. - Liebe Kollegin- nen und Kollegen, ich bitte herzlich, Platz zu nehmen, damit wir in der Tagesordnung fortfahren können. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Abgeltungsteuer abschaffen - Kapitaler- träge wie Löhne besteuern - Drucksache 17/4878 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder erheben - Drucksachen 17/453, 17/4594 Berichterstattung: Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Barbara Höll für die Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Jetzt haben alle Kolleginnen und Kollegen noch die Chance, sich zu entscheiden, ob sie sich hinsetzen und zuhören oder doch lieber den Saal verlassen wollen. Danke schön. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eklige Toiletten, teilweise zugenagelte Fenster und veraltete Leitungen, so beschrieb gestern die Leipziger Volkszeitung den Alltag vieler Lehrer und Schüler - nicht in einem Entwicklungsland, sondern an Leipziger Schulen. Wenn es jetzt wieder wärmer wird, empfängt auch meine Tochter in ihrer Grundschule jeden Morgen intensiver Abortgestank - ein toller Schulbeginn. Allein in Leipzig fehlen 570 Millionen Euro zur Sanierung der Schulen. Die Stadt hat nicht einmal genug Eigenmittel, um die Fördergelder des Landes abrufen zu können. Verkürzte Öffnungszeiten und die Schließung von Museen und Jugendklubs, Schlaglöcher in den Straßen, die gesundheitsbedrohlich sind und uns bis zum nächsten Winter erhalten bleiben werden, verarmte Kommunen und auf staatliche Hilfe angewiesene Menschen, allein über 1,4 Millionen Aufstocker, also Menschen, die zwar arbeiten, deren Geld aber nicht reicht, ihr tägliches Leben bewältigen und Brot, Butter, Milch, Wasser, Strom und Miete bezahlen zu können - das ist die Realität in Deutschland. 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche, die auf Hartz IV angewiesen sind, die häufig von Kultur und Sport ausgeschlossen sind, die in Perspektivlosigkeit aufwachsen, die die Erfahrung machen, dass ihre Eltern von Arbeit ausgeschlossen sind oder dass sich die Arbeit ihrer Eltern nicht lohnt, weil sie von dem Lohn ihre Familie nicht ernähren können - das ist die Realität in Deutschland. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse vom Wischmopp bis zum Laptop, von den Reinemachefrauen bis zu den jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern - das ist die Realität in Deutschland. Private und öffentliche Armut sind die Kehrseite des angehäuften Reichtums in den Händen einiger weniger. Das ist ein Skandal. ({0}) Beginnend mit der Aussetzung der Vermögensteuer 1997, erleben wir eine politisch gewollte und durchgesetzte Entlastung hoher Einkommen und Vermögen in bis dahin ungeahntem Ausmaß, durchgesetzt von RotGrün, fortgesetzt zunächst von der Großen Koalition und nun von Schwarz-Gelb. Ich nenne nur einige Stichpunkte: Aufhebung der Vermögensteuer, Absenkung der Körperschaftsteuer von 25 auf 15 Prozent, Absenkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 bzw. 45 Prozent, Einführung der Abgeltungsteuer, Privilegierung von Kapitaleinkünften. Das ist die Realität. Als Ergebnis ist festzuhalten: Ja, Deutschland ist ein reiches Land. Das Nettovermögen der privaten Haushalte wächst stetig, zum Beispiel zwischen 2002 und 2007 um 10 Prozent. 2009 betrug nach einer Studie des DIW das Vermögen etwa 7 370 Milliarden Euro. Das entspricht dem dreifachen Wert der Jahreswirtschaftsleistung unseres Landes. 2010 ist dieser Wert weiter angewachsen. Aber wie ist das Vermögen verteilt? Das ist die Frage. Zwei Drittel aller Erwachsenen verfügen über kein oder nur ein äußerst geringes Vermögen. Dagegen verfügen die reichsten 10 Prozent über wesentlich mehr. 2002 lag ihr Anteil am Gesamtvermögen bei 57,9 Prozent, 2007 bereits bei 61,1 Prozent. Das reichste eine Prozent der Bevölkerung verfügt über ein Viertel des Gesamtvermögens der Bundesrepublik Deutschland. Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist ein skandalöser Zustand. ({1}) Die Zahl der Vermögensmillionäre lag 2006 noch bei knapp 800 000, 2008 bei 810 000, und 2009 verfügten trotz Krise 861 000 Menschen über ein Vermögen von mehr als 1 Million Euro. Dieser Zustand, die öffentliche und die private Armut auf der einen Seite und das Anhäufen des Vermögens auf der anderen Seite, ({2}) ist unhaltbar. ({3}) Deshalb begrüßen wir es, dass es verschiedene Initiativen gibt, die Druck machen. Ich begrüße es, dass SPD und Grüne die Vermögensteuer mittlerweile wieder einsetzen wollen. Ich begrüße es, dass es die Initiative „Vermögensteuer jetzt!“ gibt. Es gibt sogar einen Club von 50 deutschen Millionären, die eine gerechte Besteuerung verlangen. Sie wollen mehr Geld an den Staat in Form von Steuern abführen. ({4}) Sie wollen nicht einfach eine Stiftung gründen, sondern die Gesellschaft unterstützen. Das heißt, die demokratisch gewählten Gremien sollen darüber entscheiden, wie dieses Geld ausgegeben wird, und das ist ein wesentlicher Unterschied zu der Gründung von Stiftungen. Das ist eine Initiative des Clubs der Millionäre. Wir legen Ihnen heute zwei Anträge vor. Wir möchten, dass die Vermögensteuer so geändert wird, dass das Vermögen der Vermögensteuerpflichtigen individuell besteuert wird. Das ist ganz wesentlich. Wir möchten, dass die Regierung einen ordentlichen Gesetzentwurf vorlegt, in dem sie das aufgreift. Wir sagen: Zum Stichtag 31. Dezember wird die Summe der privaten Geldvermögen und der Verkehrswerte der privaten Immobilienund Sachvermögen zusammengerechnet. Private Kredite sind natürlich abzuziehen. Wir schlagen Ihnen vor, dass jeder einzelne Vermögensmillionär 1 Million Euro steuerfrei für sich behalten kann. Aber das, was darüber liegt, wird mit 5 Prozent besteuert. ({5}) Wir schlagen Ihnen die Abschaffung der Abgeltungsteuer vor, weil die Abgeltungsteuer grob ungerecht ist. Kapitaleinkünfte werden nämlich nur noch mit 25 Prozent besteuert und unterliegen nicht dem persönlichen Steuersatz, der im Einzelfall - das ist der Spitzensteuersatz - bei 42 Prozent liegen kann. Das wäre ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit in unserem Land. Damit lässt sich der eben von mir beschriebene Zustand - eklige Toiletten, zugenagelte Fenster und verschlissene Leitungen - an den Schulen in Leipzig und in Städten anderer Bundesländer, in denen die Zustände ähnlich sind, verbessern. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungsgruppe in Afghanistan“ bekannt: abgegebene Stimmen 552. Mit Ja haben gestimmt 407, mit Nein haben gestimmt 113, Enthaltungen 32. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 553; davon ja: 407 nein: 113 enthalten: 33 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann ({0}) Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({5}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({6}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Bettina Kudla Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({7}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({8}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({9}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({10}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({11}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({12}) Anita Schäfer ({13}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({14}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({15}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({16}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Dieter Stier Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({17}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({18}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({19}) Peter Weiß ({20}) Sabine Weiss ({21}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller SPD Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Dirk Becker Uwe Beckmeyer Gerd Bollmann Klaus Brandner Edelgard Bulmahn Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({22}) Kerstin Griese Michael Groschek Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({23}) Hubertus Heil ({24}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({25}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({26}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Carola Reimann Karin Roth ({27}) Michael Roth ({28}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({29}) Marianne Schieder ({30}) Ulla Schmidt ({31}) Carsten Schneider ({32}) Ottmar Schreiner Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Peer Steinbrück Christoph Strässer Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Dagmar Ziegler FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({33}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({34}) Michael Link ({35}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({36}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({37}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({38}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({39}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({40}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({41}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Priska Hinz ({42}) Tom Koenigs Undine Kurth ({43}) Jerzy Montag Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Krista Sager Manuel Sarrazin Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({44}) Norbert Schindler SPD Klaus Barthel Bärbel Bas Willi Brase Michael Groß Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({45}) Daniela Kolbe ({46}) Aydan Özoğuz Dr. Wilhelm Priesmeier Gerold Reichenbach Sönke Rix René Röspel Marlene Rupprecht ({47}) Swen Schulz ({48}) Stefan Schwartze Sonja Steffen Kerstin Tack Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({49}) DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Nicole Gohlke Diana Golze Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Dorothee Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({50}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Katja Dörner Bettina Herlitzius Winfried Hermann Dr. Anton Hofreiter Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Stephan Kühn Monika Lazar Agnes Malczak Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Enthalten CDU/CSU Manfred Kolbe SPD Ulla Burchardt Christel Humme Burkhard Lischka Ewald Schurer Frank Schwabe FDP Joachim Günther ({51}) Dr. h. c. Jürgen Koppelin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck ({52}) Viola von Cramon-Taubadel Kai Gehring Britta Haßelmann Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Katja Keul Oliver Krischer Renate Künast Markus Kurth Kerstin Müller ({53}) Dr. Konstantin von Notz Dr. Hermann Ott Tabea Rößner Claudia Roth ({54}) Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Markus Tressel Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Nun setzen wir die Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({55})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist erstaunlich: Es gibt viele Anträge im Bundestag, aber mit diesen Anträgen, die die Linken heute hier vorgelegt haben, ziehen Sie sich selbst die Maske vom Gesicht und zeigen, dass Sie einen Großteil der deutschen Bevölkerung enteignen wollen. ({0}) Sie sind und bleiben Kommunisten. ({1}) Der Vorschlag der Linken lautet: Alle Besitzer von Immobilien, Geld- und Sachvermögen, das 1 Million Euro überschreitet, sollen durch die Besteuerung mit einem Steuersatz von 5 Prozent systematisch enteignet werden. ({2}) - Hören Sie bitte zu. Da ist der Handwerksmeister mit dem kleinen Betrieb in Stuttgart, der vielleicht ein Haus mit einem guten Grundstück im Innenstadtbereich geerbt hat. Eine solche Immobilie erreicht schnell einen Wert von 1 Million Euro, wenn man sie pflegt. Ein anderes Beispiel: Ein Meister, der wahrscheinlich nicht solche Pensionsansprüche wie die linke Gruppe hier vorn hat, hat für seine Altersversorgung ein Mehrfamilienhaus gebaut, das vielleicht einen Wert von 1 Million Euro erreicht hat und aus dem er 3 bis 4 Prozent Ertrag zieht, die er natürlich versteuert. Die Linke schlägt nun vor, dass dieser Hausbesitzer im Jahr 50 000 Euro an Vermögenssteuer abgibt. Das ist Enteignung! Das ist eine Gefahr für die Demokratie, meine liebe Kolleginnen und Kollegen! ({3}) Woher soll dieser Handwerksmeister diese 50 000 Euro überhaupt nehmen? Soll er einen Kredit aufnehmen? Wahrscheinlich wird er versuchen, dieses Haus zu verkaufen. Aber wer kauft ein Haus, wenn klar ist, dass der neue Besitzer ebenso enteignet wird? ({4}) Was passiert mit dem Mietwohnungsbau in Deutschland? Wird es überhaupt noch Mietwohnungen in Deutschland geben, oder werden diese Kosten auf den Mieter umgeschlagen? Viele werden das Land verlassen, solange noch keine neue Mauer da ist. Sie von den Linken kennen die Wohnsituation der ehemaligen DDR bestens. Sie wollen den Wohnungsmarkt hier wie in der DDR runterwirtschaften. Dabei fühlen Sie sich offensichtlich wohl. ({5}) Was ist, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken, mit den Kapitalwerten aus Pensionen? Unter Ihnen sind viele, die einen hohen Pensionswert haben, der sehr schnell, wenn Sie vorher als Beamte tätig waren, 1 Million Euro erreicht. Werden Sie diesen Kapitalwert auch versteuern wollen, oder halten Sie sich selbst aus der ganzen Sache heraus? Die Krise hat gezeigt, dass eine kluge Steuerpolitik in Deutschland entscheidend wichtig ist. ({6}) Eine kluge Steuerpolitik haben wir damals noch gemeinsam betrieben, als wir die Körperschaftsteuer gesenkt und damit die Betriebe in Europa wettbewerbsfähig gemacht haben. Das war eine kluge Politik. ({7}) Wir haben Anfang des letzten Jahres Familien und Arbeitnehmer entlastet. ({8}) Und wir haben die Kurzarbeit eingeführt. Dadurch konnten viele Arbeitsplätze gehalten werden. In meinem Wahlkreis unterlagen 15 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Fulltimejobs der Kurzarbeit. Glauben Sie, die Firmen hätten überall Kredit bekommen, um den Betrieb zu retten? Die Eigentümer haben zu einem großen Teil ihr gesamtes Privatvermögen eingesetzt, um die Betriebe zu retten, die Arbeitsplätze zu erhalten und wieder eine Zukunft in der Region zu haben. Ich danke diesen Menschen, die ihr Privatkapital eingesetzt haben, um die Zukunft in meiner Region zu retten. ({9}) Sie betreiben mit Ihrem Antrag einen Anschlag auf einen großen Teil der Leistungsträger in dieser Gesellschaft, ({10}) die durch ihre Steuern im Wesentlichen das Sozialsystem mitfinanzieren. Moderat dagegen ist Ihr Antrag auf Abschaffung der Abgeltungsteuer. Sie beschreiben, dass das Volumen der Einnahmen von 13,5 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf 8,7 Milliarden Euro in diesem Jahr zurückgegangen ist. Sie sind zu einem großen Teil auch Finanzpolitiker. Sie wissen natürlich auch, dass die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen von 5,36 Prozent auf unter 3 Prozent ge11496 sunken ist. Schauen Sie sich einmal die Festgelder von vor drei Jahren an, und vergleichen Sie die Zinsen mit dem heutigen Stand. ({11}) Natürlich sind mit dem Rückgang der Zinserträge auch die Einnahmen aus der Abgeltungsteuer zurückgegangen. Jetzt kommt ein wunderbarer Satz aus Ihrem Antrag, in dem es heißt: Aber dann steigen doch die Kurse bei den einzelnen Wertpapieren, sodass die zinsbedingten Mindereinnahmen doch kompensiert worden sein müssten. Erstes Semester: Wenn die Kurse steigen, wird nur dann Abgeltungsteuer gezahlt, wenn Papiere veräußert werden. Also: Wenn keine Papiere veräußert werden, gibt es keine Steuern. Jetzt kommt das Besondere: Wenn sie veräußert worden wären, hätte bei den meisten das alte Gesetz mit dem Stand vor der Abgeltungsteuer gegolten. Danach sind diese Veräußerungen steuerfrei. Also ist der gesamte Inhalt Ihres Antrags auch fachlich völlig daneben. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Kollege, wenn ich hier in der Diskussion Belehrungen wie „erstes Semester“ höre, dann kann ich nur sagen: Lesen bildet. Wenn Sie unseren Antrag richtig gelesen hätten, wüssten Sie, dass darin steht, dass wir zwar die Abschaffung der Abgeltungsteuer fordern, aber die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage beibehalten wollen. Das unterscheidet uns. Wir fordern nicht einfach eine Rückkehr zum alten Zustand, sondern wir wollen eine Beibehaltung der vorgenommenen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Das von Ihnen Beschriebene könnte daher nicht eintreten. Diese Unterstellung hätten Sie wohl nicht gemacht, wenn Sie den Antrag richtig gelesen hätten.

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kollegin Höll, Sie müssen nicht nur Ihren eigenen Antrag lesen, Sie müssen auch die Beschlüsse der Großen Koalition von damals lesen. Das ist ganz wichtig. Damals sind all die Schlupflöcher, die es gab, von der Großen Koalition geschlossen worden. Das war der ganz große Unterschied. Warum haben wir den Steuersatz auf 25 Prozent gesenkt? Zum damaligen Zeitpunkt waren alle Kursgewinne nach einem Jahr steuerfrei, und vor allem große Vermögen haben insbesondere über Kursgewinne große Erträge erzielt. Das war einer der wichtigsten Punkte. Wir haben die Dividenden zu 100 Prozent besteuert; früher waren es nur 50 Prozent. ({0}) Es gab diskontierte Rentenpapiere, die überhaupt keinen Zinsertrag abwarfen; das ist übrigens auch ein Problem der Zinsrichtlinie gewesen. Im Ausland wurden Papiere kreiert, die überhaupt keine Zinsen abwarfen; diese wurden dort legal angelegt. Wir sind diese Punkte angegangen, damit auch die Hochverdiener in diesem Staat Steuern zahlen. Das war uns damals in der Großen Koalition sehr wichtig. ({1}) Ich danke Ihnen für Ihre Zwischenfrage. ({2}) Für Bezieher großer Einkommen war es damals wichtig, große steuerfreie Erträge zu erzielen. Je höher der Steuersatz ist, desto interessanter wird es. Bezüglich der Abgeltungsteuer gibt es den legendären Ausspruch des damaligen Finanzministers Steinbrück, der hier deutliche Worte gefunden hat. Er hat damals aufgezeigt, dass ein großer Teil des Kapitals in Deutschland nicht angelegt wird. Er hat hier im Bundestag am 25. Mai 2007 gesagt: Kein Zins, keine Dividende, keine Kapitalerträge. Da gibt es eben nichts für uns. Es ist doch logisch: Es ist besser, 25 Prozent auf X zu haben statt 42 Prozent auf gar nix. So simpel ist die Rechnung. Er hatte recht. ({3}) Er hat damals auch gesagt, dass es besser gewesen wäre, wenn Hans Eichel im Jahre 2004 neben der Steueramnestie - diese wurde ja von der rot-grünen Koalition eingeführt - eine Abgeltungsteuer eingeführt hätte. Das wäre wahrscheinlich der richtige Weg gewesen. - Auch damit hatte er damals recht. Deswegen kann ich an die Grünen und an die SPD immer nur appellieren: Arbeiten Sie mit uns zusammen. Wir hätten auch beim Schwarzgeldbekämpfungsgesetz viel besser zusammenarbeiten können, wenn Sie unserem Antrag zugestimmt hätten. Wir haben damals den richtigen und konsequenten Weg der Besteuerung fortgesetzt. Dem hätten Sie zustimmen sollen. ({4}) Bei der von der Linken geplanten Enteignung, der geforderten Besteuerung von Vermögen ab 1 Million Euro, stellt sich natürlich auch die Frage nach den Eigentumsrechten. Art. 14 des Grundgesetzes beginnt: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“ Eigentum ist die wirtschaftliche Basis von bürgerlichen Freiheiten. Ohne Eigentum ist unsere Gesellschaftsordnung nicht zu verstehen. Dies ist auch Grundvoraussetzung für die Wirtschaft. ({5}) Privates Eigentum hat auch mit persönlicher Verantwortung zu tun. Eigentum verpflichtet. Wir alle kennen diesen Ausspruch. Eigentum heißt aber auch Nachhaltigkeit. Wenn beispielsweise ein Handwerksmeister eine Immobilie als Altersvorsorge hat, dann wird er diese Immobilie hegen und pflegen; denn er muss sein Einkommen im Alter, seine Rente nachhaltig daraus schöpfen. Das Problem bei Ihnen, Frau Höll, ist, dass Sie mit dem Privateigentum nichts zu tun haben wollen. ({6}) Das war doch auch einer der Gründe für den Untergang der DDR. Sie haben das doch alles selbst erlebt. Sie haben die Substanz der Immobilien verbraucht. Sie haben die Substanz der Umwelt verbraucht. Ich spreche gar nicht von der Unterdrückung und Freiheitsberaubung. Sie haben in der DDR im Grunde das Material und die Umwelt ausgebeutet und auch noch die Menschen unterdrückt. ({7}) Frau Höll, Sie haben auch die Steuerbelastung insgesamt angesprochen. Es ist ganz interessant - wir haben all die Datensammlungen zur Steuerpolitik aus dem Finanzministerium; darin wird das deutlich gezeigt -: Im Jahr 2000 hatten wir einen Spitzensteuersatz von noch 51 Prozent plus Solidaritätszuschlag plus Kirchensteuer und Einnahmen - so wird es ausgewiesen - aus Einkommen und Vermögen von 240 Milliarden Euro. Im Jahr 2008 - das ist die letzte Zahl - hatten wir einen Steuersatz von nur noch 42 Prozent und Einnahmen aus Einkommen und Vermögen von 285 Milliarden Euro. Wir haben also 45 Milliarden Euro mehr, obwohl der Steuersatz von 51 auf 42 Prozent gesenkt worden ist. Das zeigt: Entscheidend ist doch nicht der Steuersatz, sondern entscheidend ist, dass die Wirtschaft funktioniert, dass wir viele Akteure am Markt haben, dass wir gute Firmen haben und dass wir vor allen Dingen gut verdienende Arbeitnehmer haben. Das gehört zusammen. Das schafft Stärke für diesen Standort und für unsere Sozialsysteme. ({8}) Der Kollege Koch, der in der ersten Lesung hier gesprochen hat, wird am 15. Januar im Focus folgendermaßen zitiert: „Der demokratische Sozialismus“ könne „nur die Vorstufe zum Kommunismus sein.“ - Er bekennt sich auch dazu. Ich kann deshalb den Kolleginnen und Kollegen der SPD für die weiteren Beratungen nur empfehlen: Machen Sie keinen Pakt mit den Kommunisten, nicht in den Ländern, nicht hier! Die Geschichte hat gezeigt, dass Sie dabei schlecht fahren. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Schick? Damit verlängern Sie Ihre Redezeit. ({0})

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Flosbach, ich möchte Sie noch etwas fragen. Sie haben jetzt die absoluten Steuererträge der Jahre 2000 und 2008 verglichen. Wenn ich mich an mein erstes Semester richtig erinnere, dann muss ich sagen, dass man diesen Vergleich nur dann ziehen kann, wenn man gleichzeitig zumindest die Inflation in dieser Zeit dazu nennt ({0}) und wenn man berücksichtigt, wie sich das Volumen der Einnahmen im Vergleich zum Wirtschaftswachstum verändert hat. Entscheidend für den Vergleich ist ja wohl die Steuerquote. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns nach diesem bewusst irreführenden Vergleich vielleicht die tatsächlichen Zahlen geben könnten oder zumindest eingestehen, dass Ihr Vergleich arg schief war. ({1})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich finde diesen Hinweis sehr gut. Herr Kollege, Sie haben inhaltlich recht. Ich werde Ihre Reden, die Sie hier im Parlament gehalten haben, sehr aufmerksam nachlesen. Wann haben Sie zum letzten Mal das Wort „Inflation“ in den Mund genommen? Wir müssen zunächst immer die absoluten Zahlen vergleichen. Die Inflationssrate von 2000 bis 2008 in Deutschland lag im Durchschnitt unter 1,5 Prozent. Das wissen Sie. ({0}) - Da kommt man in der Summe vielleicht auf 15 Prozent, wenn man überhaupt so hoch kommt, und zwar kumuliert plus Zinseszinsfaktor. ({1}) Aber darüber können wir uns im Finanzausschuss gerne weiter streiten. Ich will Ihre Reden gerne nachlesen, um zu prüfen, wann Sie das letzte Mal das Wort „Inflation“ in den Mund genommen haben. Ansonsten bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Carsten Sieling für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nach den beiden Beiträgen als Erstes gerne daran erinnern, dass wir uns hier heute in einer Debatte über die Abgeltung- und Vermögensteuer befinden. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass die wichtigste Zahl, die die Rednerin und den Redner vor mir bewegt hat, die Zahl 62 ist; denn in 62 Stunden schließen die Wahllokale in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen. Nachdem wir uns beide Reden angehört haben, ist ziemlich deutlich, dass die Sachdebatte leider etwas in den Hintergrund getreten ist. Die Anträge der Linkspartei sind bedauerlicherweise bestenfalls geeignet, in diesem Wahlkampf vielleicht die Litfaßsäulen und die Laternenpfähle zu schmücken, aber sie zeigen nicht die wirklichen Probleme und entsprechende Lösungspunkte auf. ({0}) Dem Kollegen Flosbach muss man sagen: Man hat das Gefühl, dass Sie, wenn Sie hier durch den Saal gehen, immer gucken, ob nicht gerade ein kleiner Kommunist an Ihrem Hosenbein hochkriecht. ({1}) So agieren und so reden Sie hier. Ich kann Sie beruhigen: Das Einzige, was Ihnen die klugen Wählerinnen und Wähler vor allem in Baden-Württemberg bringen werden, ist hoffentlich eine gute rot-grüne Regierung. Das wird etwas Ordentliches und Solides. Da können Sie Ihre Ängste zurückstellen. ({2}) Zur Sache: Die Linkspartei legt hier zwei Anträge vor. Im ersten Antrag geht es um eine Vermögensteuer und die Vermögensbesteuerung. Ich möchte darum bitten, dass wir, damit wir in der Diskussion weiterkommen - denn wir haben es hier mit realen Problemen zu tun -, eine sehr nüchterne Bestandsaufnahme der Lage in diesem Land machen, gerade im Hinblick auf die fundamentalen Verteilungsfragen, die eine Grundvoraussetzung auch dafür bilden, dass wir wieder ordentliche Wachstumsraten bekommen. Selbst der Bundeswirtschaftsminister, der zurzeit für jede Aussage gut ist, ist schon so weit, dass er sagt: Die Binnennachfrage muss gestärkt werden. - Herr Flosbach, wenn Sie die Binnennachfrage stärken wollen, müssen Sie etwas im Bereich der Einkommen tun, die eine geringe Sparquote haben, also bei denjenigen, die nur über geringes Vermögen verfügen und ganz normale Einkommen haben. Gerechtigkeit und Wachstum hängen eng zusammen. Darum ist es eine wichtige Feststellung, dass es in Deutschland eine deutliche Schieflage gibt, eine Schieflage dahin gehend, dass die Besteuerung der Vermögen aus dem Ruder gelaufen ist, und zwar nach unten. Das ist nicht mehr hinnehmbar. Wir brauchen eine Erhöhung der vermögensbezogenen Steuern. ({3}) Damit spreche ich mich deutlich dafür aus, dass wir die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ins Auge fassen. Wir als SPD haben die entsprechende Beschlussfassung: Wir brauchen die Wiedereinführung der Vermögensteuer. ({4}) Wir müssen allerdings jedes Konzept in seiner Gesamtheit betrachten. Dabei müssen wir vor Augen haben, dass wir auch bei der Erbschaftsteuer und der Schenkungsteuer mehr werden tun müssen. ({5}) Schauen Sie sich doch einmal die Daten der OECD an. In Deutschland beträgt das Aufkommen vermögensbezogener Steuern nur 0,9 Prozent des BIP, im internationalen Vergleich 2 Prozent des BIP. Warum können wir als reiches Land es uns nicht endlich leisten, hier anders vorzugehen? Ich würde mich freuen, wenn auch die Koalition zu dieser Einsicht gelangen würde. Es geht schließlich um Leute - ich darf das einmal in einem Ihrer Slogans sagen -, die mehr dazu beitragen können, dass in diesem Land stabile Verhältnisse herrschen, dass die Schulden der öffentlichen Haushalte abgebaut werden, dass wichtige Investitionen getätigt werden können. Darum muss es uns doch gemeinsam gehen. Wenn diese Leute am Ende etwas weniger Netto vom Brutto haben, dann werden sie es aushalten. Für das Gemeinwesen wäre das ein Fortschritt. Darum sagen wir zur Vermögensbesteuerung Ja. ({6}) Ich greife die Frage, warum zu diesem Thema kein Antrag von uns vorliegt, gerne auf. Das ist deshalb der Fall, weil wir eine solide Steuerpolitik machen müssen, der ein Gesamtkonzept zugrunde liegt. ({7}) - Natürlich. - Wir haben dazu bereits erste Beschlüsse gefasst. Dabei geht es um eine Korrektur bei Erbschaftsteuer, Schenkungsteuer und Grundsteuer. Die Wiedereinführung der privaten Vermögensteuer - ich sage gleich noch etwas zu diesem wichtigen Adjektiv - ist ein weiteres Element. Ich füge hinzu: Auch die moderate Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent ist bei uns Beschlusslage. ({8}) Bevor es bei Ihnen jetzt zu falschen Zuckungen und Reflexen kommt: Ich erinnere daran, dass der Spitzensteuersatz in diesem Lande zu Zeiten von Bundeskanzler Kohl, Außenminister Genscher und Wirtschaftsminister Lambsdorff bei 56 respektive 53 Prozent lag. ({9}) Ein Spitzensteuersatz von 49 Prozent ist also moderat. Das ist ein Steuersatz, den Deutschland verträgt, der Deutschland nützt und dient. ({10}) Mit diesen Themen muss man sich, wie gesagt, in ihrer Gesamtheit befassen. Man muss sich aber auch mit den Details beschäftigen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, gehen an dieser Stelle aber nicht mit dem Florett, sondern mit dem Vorschlaghammer vor. Es kann nicht angehen, dass Sie sich bei Ihren Vorschlägen zur Vermögensbesteuerung unnötige Fehler erlauben. Kollege Flosbach hat in diesem Zusammenhang bereits auf die Besteuerung von eigengenutzten Wohnungen, Versorgungsvermögen etc. hingewiesen. Außerdem ist es wichtig, saubere Regelungen im Hinblick auf das Betriebsvermögen zu treffen. Wir wollen, dass auch dann, wenn es eine Vermögensteuer gibt, gewährleistet ist, dass Betriebsfortführungen möglich sind und es nicht zu einem Abzug von Kapital aus Unternehmen kommt. Wir wollen mit unserer Steuerpolitik vielmehr dafür sorgen, dass mit Unternehmensgewinnen nicht spekulativ umgegangen wird, sondern dass sie im Unternehmen verbleiben und für vernünftige Investitionen eingesetzt werden. Das ist vernünftige Wirtschaftspolitik und Gesellschaftspolitik. ({11}) Jetzt zur Abgeltungsteuer. Ich darf Ihnen sagen: Man merkt, dass Sie Ihren Antrag kurzfristig nachgeschoben haben, weil Ihnen Ihre vermögenspolitischen Vorstellungen wohl doch etwas zu dünn schienen, um 62 Stunden vor Schließung der Wahllokale noch für ein bisschen Furore zu sorgen. Leider gelingt Ihnen dies aber auch mit Ihrem Antrag zur Abgeltungsteuer nicht. Auch bei diesem Thema muss man nämlich den Gesamtzusammenhang im Auge haben. Allerdings konzediere ich, dass sich die Erwartungen, die wir alle im Hinblick auf die Abgeltungsteuer hatten, nicht in dem Maße erfüllt haben, wie wir es uns erhofft haben. Zunächst ist ganz wichtig, dass mit der Einführung der Abgeltungsteuer die Bemessungsgrundlage verbreitert worden ist. Kollege Flosbach hat darauf hingewiesen. Wenn wir da einer Meinung bleiben, ist das gut. Mit der Einführung verbunden war ferner, dass die Versteuerung von Veräußerungsgewinnen nicht mehr einer Spekulationsfrist und der große Bereich der Dividenden jetzt der Steuerpflicht unterliegt. Das ist ein Erfolg und ein richtiger Schritt bei dieser Steuerform. ({12}) Selbst bei diesem kurzen Erfahrungszeitraum - darauf komme ich gleich - müssen wir allerdings feststellen, dass die Abgeltungsteuer auf Zinsen nicht zu den entsprechenden Wirkungen geführt hat. Ich bin sehr gespannt darauf, ob jemand in den weiteren Debatten darlegen kann, ob dieser Einbruch mit dem reduzierten Satz zu tun hat oder ob er nicht doch damit zu tun hat, dass die Zinseinkommen in der Finanzkrise gesunken sind und damit ein geringeres Aufkommen zur Verfügung gestanden hat. Diese Frage muss geklärt werden, bevor man Rezepte vorschlägt und sagt, wie es denn weitergehen soll; denn wir brauchen ein solides Konzept zur Heranziehung der Einnahmen, die die Menschen aus Vermögen und Kapitalanlage erzielen. Das wollen wir jedenfalls. ({13}) Ich will in dem Zusammenhang auch klar und deutlich die Richtung angeben; da haben wir innerhalb der Sozialdemokratie einen breiten Konsens. Ich freue mich ja, Herr Kollege Flosbach, dass Sie nach der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin nicht die Bundeskanzlerin, sondern Peer Steinbrück zitiert haben. Ich glaube, das passt auch zur Presseberichterstattung des heutigen Tages und zu dem, was wir hier gestern erlebt haben. Das ist der richtige Bezugspunkt. Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten wissen - Peer Steinbrück tut dies ganz explizit -, dass wir dann, wenn wir den Spitzensteuersatz anheben, auch den Satz der Abgeltungsteuer anheben müssen, damit wir die Wirkung, die wir damals gemeinsam in der Großen Koalition gewollt haben, auch wirklich erzielen. Man wird dann an den Punkt kommen, an dem man sich die Frage beantworten muss - für uns ist das eine Frage, mit der wir uns im Zusammenhang mit unseren steuerpolitischen Überlegungen sehr ernsthaft auseinandersetzen -, ob wir nicht doch wieder zu einer synthetischen Besteuerung kommen, also auch die Zins- und Kapitaleinkünfte der normalen Einkommensbesteuerung unterwerfen sollten. ({14}) Aber bitte: Seit 1. Januar 2009 gilt diese Regelung. Man muss sich erst einmal die Effekte und Wirkungen anschauen. Erst dann kann man an dieses Thema herangehen. So ist mittlerweile auch die Beschlussfassung der SPD. All denjenigen, die sich nicht die Mühe machen, SPD-Parteitagsbeschlüsse zu lesen, kann ich sagen, dass wir uns genau diesen Punkt vorgenommen haben und bis Ende des Jahres zu einem vernünftigen Ergebnis kommen werden. Meine Damen und Herren, die beiden Anträge der Linken sind ({15}) erste Klasse, aber leider nur erste Schulkasse. Wir aber brauchen etwas, was einem hohen Niveau entspricht. ({16}) Die beiden Anträge sind leider nur den Wahlterminen an diesem Wochenende geschuldet. Sie enthalten nicht die Substanz, die wir in dieser Frage brauchen. Darum lehnen wir sie ab. Ich sage Ihnen: Die Frage, ob wir eine gerechte, leistungsfähige und ordentliche Steuerpolitik in Deutschland bekommen, entscheidet sich in der Tat am Wochenende. Ich setze darauf, dass wir nach dem Sonntag neue Verhältnisse in diesem Land haben, die dafür sorgen werden, dass eine wachstumsorientierte, aber auch auf Gerechtigkeit ausgerichtete Politik in diesem Land Raum greift. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für all die Bürgerinnen und Bürger, die uns an den Bildschirmen oder hier im Saal zuhören, möchte ich zunächst zur Aufklärung beitragen. Die Ausführungen des Herrn Kollegen Sieling waren nicht zutreffend. Die Wahllokale schließen nicht nach 62 Stunden. ({0}) Sie können in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nicht bis Montagvormittag wählen, sondern die Wahllokale schließen nach exakt 55 Stunden, am Sonntag um 18 Uhr. Ich hoffe, dass viele Bürgerinnen und Bürger zur Wahl gehen und ihre Stimme abgeben. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie haben ein klares Feindbild. Das bringen Sie in Ihren Anträgen auch zum Ausdruck. Sie bekämpfen den Wohlstand in Deutschland. ({2}) Sie gönnen auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Wohlstand nicht. Sie wollen hohe Einkommensteuern in Deutschland haben. Diejenigen, die es zu etwas gebracht haben, die Kapitalerträge haben, sollen hohe Kapitalertragsteuern bezahlen. Über die Vermögensteuer wollen Sie den Menschen das Geld, das sie sich erarbeitet haben, schleichend wieder abnehmen. Das bringt im Wesentlichen auf den Punkt, was in Ihren Anträgen steht. ({3}) Wenn Sie es könnten, dann würden Sie den Wohlstand in Deutschland unter Strafe stellen. ({4}) Weil das nicht geht, wollen Sie wenigstens Strafsteuern für Wohlhabende in Deutschland einführen, es sei denn, es geht um die Herren Ernst und Lafontaine. Dann werden Sie dialektisch und sagen: Wir predigen nicht nur Wein, wir trinken ihn auch. Dass das bei Ihnen der Fall ist, kann man Ihren Anträgen entnehmen; denn ganz nüchtern können Sie bei der Formulierung der Anträge nicht gewesen sein. ({5}) Die Abgeltungsteuer ist eine Kapitalertragsteuer, aber keine Vergeltungssteuer, und sie ist auch keine Neidsteuer in Deutschland, sondern durch sie soll sichergestellt werden, dass sich Bezieher von Kapitalerträgen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. Das funktioniert auf einfache Weise auch sehr gut. Wir sind froh, dass wir die Abgeltungsteuer haben. Sie ist international wettbewerbsfähig. Das ist eine gute Form der Kapitalertragsbesteuerung. Sie wundern sich jetzt, dass in Zeiten der Finanzkrise das Aufkommen zurückgegangen ist. Das Gegenteil müsste einen wundern. Wenn die Kapitalerträge sinken und sich die Zinsen im freien Fall befinden, dann darf man sich doch nicht ernsthaft wundern, dass das Aufkommen der Kapitalertragsteuer zurückgeht. Was rechnen Sie denn da eigentlich? Deswegen glaube ich, dass Sie Ihren Antrag selbst gar nicht so ernst meinen. Sie brauchen ihn vielleicht für Ihre Basisarbeit, aber dem Deutschen Bundestag solche Anträge ernsthaft zur Abstimmung vorzulegen: ({6}) Ich muss schon bitten. ({7}) Nun kann man über Ihre Neiddebatten lange diskutieren, aber fest steht doch, dass Sie mit Ihrer Politik eines niemals erreichen können, nämlich einen Beitrag zu einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zu leisten. Ein Sozialstaat funktioniert nicht nur über das Geldverteilen, sondern er beinhaltet auch das Erwirtschaften von Geld. Wenn Sie die Anreize dafür nehmen, dann können Sie auch keinen Sozialstaat finanzieren. Das sollte Ihnen eigentlich zu denken geben. ({8}) Herr Kollege Flosbach hat Herrn Steinbrück ja schon zitiert, der gesagt hat: „25 Prozent von X ist besser als 45 Prozent von nix.“ Wir haben bei diesem Satz ja auch applaudiert. Das ist einer der wenigen klugen Sätze von Herrn Steinbrück, den man auch unterstreichen kann. Deswegen möchte ich Herrn Steinbrück einmal weiter zitieren. Sie hätten sich bei Ihrem Antrag zur Vermögensteuer nämlich auch einmal mit seinen Thesen zur Vermögensteuer auseinandersetzen können. Das hätte Ihnen, Herr Kollege Sieling, vielleicht auch geholfen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das brauchen wir nicht; wir haben von Frau Höll genug gehört. ({0}) Herr Sieling, ich glaube, wenn Sie sich mit den Thesen von Herrn Steinbrück, den ich gleich noch einmal zitiere, intensiver auseinandergesetzt hätten, dann könnten Sie auch die Fragen für sich selbst beantworten, warum er als Finanzminister die Vermögensteuer in Deutschland nicht eingeführt hat und warum er die Abgeltungsteuer so mit eingeführt hat, wie sie heute ausgestaltet ist. ({1}) Zu dem Zitat. Auf die Frage: „Wie halten Sie es mit dem Firmenvermögen“, sagte Herr Steinbrück - ich zitiere ihn -: Wenn wir es voll besteuern, schwächen wir den Mittelstand. Klammern wir es aus, schaffen wir viele Umgehungsmöglichkeiten nach dem Motto: Der Picasso hängt bei mir nicht mehr im Wohnzimmer, sondern im Besucherzimmer meines Betriebs. Das sagte der sozialdemokratische Finanzminister. Sehr geehrte Frau Höll, Sie finden in Ihrem Antrag keine einzige Antwort auf diese Problematik. Deswegen wollte ich auch Ihre Frage nicht zulassen. Wenn man keine Antworten auf die zentralen Fragen geben kann, dann braucht man hier auch keine weiteren Fragen zu stellen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können die Problematik der Trennung von betrieblichem und privatem Vermögen bei der Vermögensteuer nicht einfach ausklammern. Wenn Sie das tun, dann zeigen Sie damit nur eines, nämlich dass Sie uns keinen Antrag vorlegen, der einen ernsthaften Hintergrund hat. Sie wollen die politische Diskussion der letzten Jahre nicht nacharbeiten, die Sie selbst verschlafen haben, und legen uns nur Schlagwörter wie „Millionärsteuer“ vor, ohne dass Sie wirklich eine sachgerechte Lösung haben. Durch Ihren Antrag ergeben sich mehr Fragen, als Sie Antworten geben. Ich will sie einmal formulieren: Wie wollen Sie das Grundvermögen in der Landwirtschaft bewerten? Wie gehen Sie mit dem Produktionsvermögen von Personengesellschaften um? Wie wollen Sie verhindern, dass das Betriebsvermögen in der Substanz reduziert wird und dann die Investitionsfähigkeit von Betrieben leidet und Arbeitsplätze verloren gehen? Die Vermögensteuer, die Ihnen vorschwebt, ist eine Substanzbesteuerung. Ihre Form der Besteuerung würde dazu führen, dass ein Betrieb, der das Pech hat, im Großraum München angesiedelt zu sein, allein aufgrund seiner Flächenwerte Vermögensteuer zahlen müsste, während andere davon verschont blieben, obwohl beide am gleichen Markt miteinander im Wettbewerb stehen. Auf diese einfachen ökonomischen Fragen finden Sie keine Antwort. Deshalb brauchen wir über Ihren Antrag nicht seriös zu entscheiden. Man kann ihm nicht zustimmen, wenn man Verantwortung für dieses Land tragen möchte. ({3}) Es ist ein Antrag für die Einführung der Vermögensteuer, der eine Kriegserklärung an den deutschen Mittelstand und an die deutschen Personengesellschaften darstellt. Er ist eine Kriegserklärung an all diejenigen, die den Wohlstand erwirtschaften, den wir zur Finanzierung des Sozialstaates brauchen. Ein Staat, der neben der Verteilungsgerechtigkeit nicht auch immer die Belastungsgerechtigkeit im Blick hat, kann auf Dauer kein sozialer Staat sein. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Kollege Wissing, Herr Flosbach hat vorhin gesagt, Vermögen sei die Voraussetzung für bürgerliche Freiheit. Sie haben diese Auffassung bestätigt, indem Sie uns eine pure Neiddebatte unterstellen. Ich halte noch einmal fest, was ich vorhin schon gesagt habe: Zwei Drittel aller Erwachsenen in Deutschland haben gar kein oder nur ein sehr geringes Vermögen. Das heißt, zwei Drittel sind nach Ihrer Auffassung sowieso weit weg von Freiheit und Mitbestimmung. So regiert diese Regierung: Sie praktiziert einen Lobbyismus zugunsten derjenigen, die viel Geld haben. Dabei geht es nicht um 1 Million oder 2 Millionen Euro, sondern um viel größere Vermögen. Denn sonst könnten diese Menschen nicht Zehntausende von Euro an Ihre Partei spenden. Das sind diejenigen, die Politik machen. Das zeichnet ein klares Bild von dem Zustand, in dem sich unsere Demokratie leider befindet. Wir sind dagegen. ({0}) Ich kann nicht alle Ihre Fragen beantworten - das ist nicht Sinn einer Kurzintervention -, aber ich will auf das Stichwort „Kriegserklärung“ eingehen. Danach hätten wir bis 1997 einen Kriegszustand gehabt. Bis dahin hatten wir nämlich eine Vermögensteuer, komischerweise unter der Regierung Kohl und mit Ihnen als kleinem Koalitionspartner. Das Bundesverfassungsgericht hat 1995 nicht festgestellt, dass die Vermögensteuer verfassungswidrig ist; es hat nur die Art und Weise der Erhebung bemängelt, weil es eine Ungleichbehandlung bzw. Bevorzugung von Immobilienvermögen gab. Durch die Neuregelung der Erbschaftsteuer ist eine Grundlage entstanden, auf der wir eine Neubestimmung vornehmen und die von Ihnen genannten Probleme beheben werden können. Eine ernsthafte Diskussion über die Ungleichverteilung von Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland, die wir damit anstoßen, ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Ungleichverteilung bei der Teilhabe am politischen Leben endlich wieder ändern kann und Menschen wieder ihre Rechte wahrnehmen, damit wir nicht zu einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent kommen. Dass die Menschen denken, viele seien sowieso gekauft und es habe keinen Sinn, zur Wahl zu gehen, ist leider auch ein Nährboden für solche Entwicklungen, die wir alle nicht begrüßen können. Deshalb ist die Verteilungsfrage eine immanent demokratische Frage. Wir haben Ihnen dazu einen sehr fundierten Vorschlag vorgelegt. Es ist notwendig und es lohnt sich, ihn zu diskutieren. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Wissing, bitte schön.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau Kollegin Höll, es ist eine Zumutung, von einem fundierten Antrag zu sprechen, wenn Sie die zentralen Fragen, die ich Ihnen in meiner Rede gestellt habe, nicht beantworten können. Sie führen eine reine Neiddebatte, ({0}) solange Sie nicht in der Lage sind, einen verfassungskonformen Antrag vorzulegen, der beispielsweise beantwortet, wie landwirtschaftliche Vermögen besteuert werden sollen. Sie lassen alle zentralen Fragen aus und sprechen immer nur abstrakt von Millionären. Glauben Sie ernsthaft, einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit in Deutschland leisten zu können, indem Sie Kapitalvermögen höher besteuern, als es Erträge bringt? Das ist in Wirklichkeit eine Substanzbesteuerung. Sie hätten in Ihrer Kurzintervention sagen können, was Sie tatsächlich wollen. Sie wollen, dass die Menschen schrittweise Kapital, das sie sich erarbeitet haben, an den Staat abgeben. Das können Sie doch klar zum Ausdruck bringen. Dann wissen wir, was Sie wirklich wollen. Wir lehnen das ab. Dafür gibt es in Deutschland keine Mehrheit. Das ist gut so. In Deutschland sind nicht mehr Gerechtigkeit und bessere Lebensverhältnisse zu erreichen, wenn es allen gleich schlecht geht. Deswegen sind Sie auf einem Irrweg. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was haben wir bisher erlebt? Wir haben eine Linke erlebt, die wie wir und völlig zu Recht die dramatisch weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland beklagt und anklagt, die mit ihrem Antrag zur Vermögensteuer selbst aber mehr zum Problem als zur Problemlösung beiträgt, weil er handwerklich einfach richtig schlecht ist. ({0}) Wir haben eine Koalition erlebt, die sich genüsslich über die erheblichen ökonomischen und juristischen Schwächen des Linkenantrages zur Vermögensteuer hermacht, um nicht über die erheblichen ökonomischen und juristischen Schwächen ihrer eigenen, real existierenden Gesetze zur Abgeltungsteuer, die heute ebenfalls Thema sind, reden zu müssen. Schließlich haben wir eine SPD erlebt, von der wir aktuell vor allem wissen, dass sie sich noch immer in einem steuerpolitischen Programmrevisionsprozess befindet - mit offenem Ausgang. Da ist noch viel Luft nach oben in dieser Debatte. Heute wird es wohl nicht gelingen, alle Probleme zu lösen, aber ich möchte ein paar Denkanstöße geben. Worum geht es? Ich zitiere einmal einen Kronzeugen aus Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der Koalition. Der konservative Premierminister von Großbritannien, David Cameron, hat gesagt - ich übersetze für Sie auf Deutsch -: ({1}) „Im Herzen wissen wir alle, dass, solange tiefe Armut neben großem Reichtum existiert, wir alle ärmer bleiben.“ - Recht hat der Mann. ({2}) Jetzt müssen Sie von der Koalition nicht gleich vom Stuhl fallen. In der Tat hapert es bei Herrn Cameron noch bei den Taten. Aber immerhin spricht er deutlich aus, dass wachsende Ungleichheit ein ernstes gesellschaftliches Problem ist, dass sie nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden vieler verletzt, sondern dass sie auch krank macht, dass wachsende Ungleichheit auch ein wirtschaftliches Problem ist, weil sie zum Beispiel ein treibender Faktor der Finanz- und Wirtschaftskrise geLisa Paus wesen ist, und dass wachsender privater Reichtum bei gleichzeitig wachsender öffentlicher Verschuldung das Gemeinwesen in seinem Kern gefährdet. Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen, meine Damen und Herren von der Koalition. Aber wie sieht es bei Ihnen aus? - Egal ob CDU/CSU oder FDP, Sie bekommen sofort Pickel, wenn zum Beispiel das Wort „Vermögensbesteuerung“ fällt. Sie schwadronieren - wie Sie, Herr Wissing, gerade noch einmal gezeigt haben - gleich von Neiddebatten, wenn wir Grünen oder andere darüber reden, warum es angesichts der dramatisch angestiegenen öffentlichen Verschuldung richtig und notwendig ist, dass die Reichen in diesem Lande sich stärker als bisher an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. ({3}) Sie von der FDP setzen sogar noch eins drauf. Christian Lindner, Ihr Generalsekretär, hält in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel mit der Parole „Ungleichheit ist besser“ dagegen. Nicht faul, setzen Sie diese Parole sogleich in den Haushaltsbeschlüssen um, indem Sie auf der einen Seite Hoteliers, reiche Erben und Atomkonzerne beschenken und auf der anderen Seite bei den Sozialausgaben, bei den Investitionen in die soziale und ökologische Infrastruktur - Stichwort „Soziale Stadt“, Stichwort „CO2-Gebäudesanierungsprogramm“ - streichen. ({4}) Das DIW hat 2010 noch einmal festgestellt: Die Mittelschicht in Deutschland wird immer dünner, die Armen in diesem Land werden immer ärmer und die Reichen immer reicher. Wissenschaftler haben außerdem nachgewiesen, dass zumindest ein Drittel dieser Ungleichheit von der Steuerpolitik verursacht wird. Daran können, sollten und müssen wir etwas ändern. ({5}) Wir Grüne schlagen deshalb neben anderen wichtigen steuerpolitischen Reformen wie der Abschaffung der Abgeltungsteuer vor, eine zeitlich befristete Vermögensabgabe einzuführen. Wir wollen damit die Kosten der Krise, die aktuell auf gut 100 Milliarden Euro geschätzt werden, finanzieren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat für uns errechnet, dass diese Summe wegen der bestehenden hohen Vermögenskonzentration bereits in zehn Jahren zusammenkommen könnte, und zwar bei einem Freibetrag von 2,5 Millionen Euro für Familien mit zwei Kindern und einem Steuersatz von lediglich 1,4 Prozent. Von den 30 Millionen Steuerpflichtigen in Deutschland würde das lediglich 340 000 Menschen betreffen. Das ist zumutbar und überfällig. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzter Satz, Herr Präsident. Wir werden unser Konzept in den nächsten Wochen mit Fachleuten aus Wirtschaft und Gesellschaft vertieft erörtern und dann einen entsprechenden Antrag im Parlament einbringen. Freuen Sie sich schon jetzt darauf. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Peter Aumer für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Frau Paus, wir haben jetzt einen Wettbewerb um die Einführung neuer Steuern - eine begrenzte Vermögensteuer und eine Finanztransaktionsteuer -, mit denen die Kosten der Krise bewältigt werden sollen. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg, den Sie hier einschlagen. Wir stehen für eine nachhaltige Politik, für eine Politik für die kommenden Generationen. Angela Merkel hat vor einiger Zeit in einer Regierungserklärung gesagt, dass unser Staat in den letzten Jahrzehnten über die Verhältnisse gelebt hat. Angesichts einer Staatsverschuldung von 1,8 Billionen Euro hat sie recht. Für meine Generation und alle folgenden Generationen ist es wichtig, dass wir nicht über Gebühr mit Steuern belastet werden und dass sich der Staat auf die Dinge beschränkt, die wichtig und notwendig sind, um die staatliche Existenz zu sichern und die Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Wir diskutieren über zwei Anträge der Linken mit den Titeln „Die Abgeltungsteuer abschaffen - Kapitalerträge wie Löhne besteuern“ und „Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder erheben“. Wir haben heute schon sehr viel über den Wahlkampf gesprochen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken, das, was Sie machen, ist Wahlkampf pur. Ihnen geht es nicht darum, verlässliche Politik für unsere Bevölkerung zu machen. ({0}) Ihnen geht es nur um Populismus und darum, unser Land in eine andere Richtung zu lenken. Das wollen wir nicht. ({1}) Wie meine Vorredner schon gesagt haben, wollen wir keine Neiddebatte, sondern eine verlässliche Politik für die Menschen in unserem Land. Sie von der Linken bekennen sich ganz klar zur Einführung des Kommunismus. ({2}) - Ihre Parteivorsitzende hat das ganz klar gefordert. Sie wollen in der Folge wahrscheinlich auch den real existierenden Sozialismus. ({3}) In Deutschland wurde bewiesen, dass das nicht geht, dass das nicht zukunftsfähig ist. Wir halten an der sozialen Marktwirtschaft fest. ({4}) Wir wollen das, was unser Land in den letzten 60 Jahren stark gemacht hat, in eine gute Zukunft führen. Es liegt an uns, die sozialen Leitplanken in der sozialen Marktwirtschaft einzuziehen. Wir sind dabei, aus der Krise zu lernen und die Konsequenzen zu ziehen. Wir wollen auf dem Kapitalmarkt neue Wege gehen und neue Instrumente einsetzen, sodass auch der soziale Anspruch in unserem Wirtschaftssystem erfüllt werden kann. Das ist der Anspruch, den wir von der Union an das Wirtschaftssystem stellen. ({5}) Es geht um ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft. Dazu trägt die heutige Debatte nicht bei; denn Sie wollen nicht das, was unsere soziale Marktwirtschaft stark gemacht hat. ({6}) Wir wollen die Anerkennung des privaten Eigentums. Wir wollen Vertragsfreiheit. Weitere wesentliche Pfeiler sind freier Wettbewerb, offene Märkte und eine stabile Währung. Angela Merkel hat in den letzten beiden Tagen in Brüssel zugunsten einer stabilen Währung verhandelt. ({7}) Wer das nicht will, der steht für das, was die DDR in wirtschaftspolitischer Hinsicht falsch gemacht hat. Volkseigentum in der Hand von Parteifunktionären stand dort an oberster Stelle, genauso wie Beschränkungen bei Konsumentscheidungen und der Eingriff des Staates in den Wettbewerb. ({8}) All diese Dinge bringen unser Land im internationalen Wettbewerb nicht weiter. ({9}) Wir haben aus der Geschichte gelernt. Wir wollen kein anderes Denken, sondern eine moderne soziale Marktwirtschaft, die uns in eine gute Zukunft führt. ({10}) Die Erfolge der sozialen Marktwirtschaft haben Deutschland in den letzten Jahrzehnten starkgemacht. Wir wollen, dass sich das auch in unserer Gesellschaft widerspiegelt. Die Leistungsfähigkeit ist der Maßstab unseres Steuersystems. Das Leistungsfähigkeitsprinzip der Besteuerung spiegelt sich in unserem Steuersystem wider. Sicherlich - da gebe ich Ihnen recht - gibt es Unwuchten im Steuersystem. Gerade bei der Besteuerung der Leistungsträger in unserer Gesellschaft, bei den jungen Familien, die einigermaßen gut verdienen, schlägt der Spitzensteuersatz voll zu. Deswegen wollen wir von der Union die kalte Progression abmildern. Wir wollen auch den Mittelstandsbauch verringern. Die sozialen Aspekte müssen sich in unserer Steuerpolitik widerspiegeln. ({11}) In Ihrem Antrag schreiben Sie, es sei ein Gebot der Gerechtigkeit und ein Gebot zur Bewältigung der Krise, die Vermögensteuer einzuführen. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, Sie haben wahrscheinlich noch nicht bemerkt, dass wir die Krise schon längst bewältigt haben. ({12}) Wir in Deutschland haben eine Wirtschaftsentwicklung, an der sich andere Länder in Europa ein Beispiel nehmen können. Das liegt vor allem daran, dass es einen Schulterschluss der Bevölkerung, insbesondere der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Politik und der Wirtschaft gegeben hat, um Verantwortung für das Allgemeinwohl zu übernehmen. Ihr Vorschlag, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, eine Vermögensteuer zu erheben, ist populistisch und irreal. ({13}) In fünf Sätzen legen Sie Ihre steuerpolitischen Vorschläge dar. Sie wollen Vermögen von über 1 Million Euro mit einer Millionärsteuer belegen. Herr Kollege Flosbach hat vorhin gesagt, wann man nach Ihren Vorstellungen schon Millionär wäre. Das kann nicht sein. Das ist kein Weg zu einer sozialen und gerechten Steuerpolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken. ({14}) - Ich bin heute im Dialog mit Ihnen und muss mich mit Ihnen auseinandersetzen. - Peer Steinbrück hat in einer seiner Reden gesagt, wie hoch die Einnahmen aus der Vermögensteuer 1996, als sie zum letzten Mal erhoben worden ist, waren. Sie betrugen 4,5 Milliarden Euro. ({15}) Sie sprechen von über 100 Milliarden Euro. Das ist irreal. ({16}) Das hat nichts mit der Höhe des Steuersatzes zu tun. Das hat etwas mit Realismus zu tun. Wir sind von den Menschen gewählt worden, um realistische Politik zu betreiben. Die Menschen vertrauen darauf, dass wir eine soziale und gerechte Politik machen. ({17}) Diese Politik besteuert nach Leistungsfähigkeit. Auch bei der Abgeltungsteuer verkennen Sie die Realitäten. Wir leben in einer Zeit der globalen FinanzPeter Aumer märkte, in der es keine Grenzen gibt. Die deutsche Steuergesetzgebung muss darauf Rücksicht nehmen, wie sich Menschen in unserem Land, die Kapital besitzen, verhalten. Deswegen war es richtig, dass man seinerzeit die Abgeltungsteuer eingeführt hat. Auch ich finde es nicht unbedingt gerecht, wenn auf Kapitaleinkünfte nur 25 Prozent Steuern bezahlt werden müssen, auf alle anderen Einkünfte gegebenenfalls mehr. Aber bevor Kapitalbesitzer überhaupt nichts zahlen, ist es mir lieber, wenn sie 25 Prozent zahlen. ({18}) Sie kennen doch die Zahlen und wissen, wie viele Milliarden Euro in das Ausland geflossen sind. Leugnen Sie doch nicht die Tatsachen. Das war so, das ist so, und das wird so bleiben. Wir haben gemeinsam mit der SPD die Abgeltungsteuer eingeführt, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Es ist die Aufgabe des Staates, seine Lenkungsfunktion wahrzunehmen. ({19}) Ihre Überzeugung, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, spiegelt die Vergangenheit wider. Wir stehen für die Zukunft. Die Menschen haben uns in diesem Land gewählt und uns die Verantwortung übertragen, damit wir dieses Land in eine gute Zukunft führen. Wir wollen das mit einer starken sozialen Marktwirtschaft, mit einer Marktwirtschaft, die den Menschen in unserem Land Zukunftschancen bietet, die Arbeit schafft, die Bildung als oberste Priorität hat und vor allem die Chancengerechtigkeit als oberstes Ziel betrachtet. Wir als christlich-liberale Koalition sind an der Regierung, weil die Menschen uns das zugetraut haben. Wir arbeiten in dieser Legislaturperiode für dieses Ziel. Wir bitten Sie: Machen Sie konstruktive Vorschläge, arbeiten Sie mit an der Gestaltung der Zukunft, aber verharren Sie nicht in der Vergangenheit! Wir lehnen Ihren Antrag ab. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vermögensteuer zählt zu den ältesten Steuern der Welt. Schon in Babylonien und im alten Ägypten hat es Abgaben auf das Vermögen gegeben. ({0}) Die Steuern dienten damals allerdings hauptsächlich der Kriegsfinanzierung. Vieles hat sich seitdem geändert, einiges ist gleichgeblieben, zum Beispiel die Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit. Unser Steuersystem muss gerechter werden. Dazu gehört nach Auffassung der Sozialdemokraten eine Vermögensteuer. ({1}) Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Die Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland ist ungerecht. Das obere Zehntel in Deutschland besitzt circa 61 Prozent des gesamten Vermögens. Der Anteil der vermögensbezogenen Steuern in Deutschland am Bruttoinlandsprodukt beträgt ungefähr 0,9 Prozent. Damit ist deren Anteil am gesamten Steueraufkommen im internationalen Vergleich deutlich geringer als in anderen Staaten. Lieber Kollege Aumer, das hat nichts mit einer Neiddebatte zu tun, sondern das bedeutet, die gesellschaftliche Realität anzuerkennen. Das ist die wichtigste Voraussetzung, um eine vernünftige Politik machen zu können. ({2}) Die Struktur des Steueraufkommens in Deutschland ist zu stark am Lohneinkommen ausgerichtet. Dies hat auch wirtschaftspolitische Konsequenzen. Es bedeutet, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu gering ist. Sie zu steigern, ist auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Eine Vermögensteuer ist wirtschaftspolitisch richtig, und sie ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. ({3}) Wir brauchen sie, um den Staat handlungsfähig zu halten. Eine Vermögensteuer steht den Ländern zu. Viele Bundesländer haben erhebliche Liquiditätsprobleme; einige bewegen sich fast am Rande der Insolvenz. ({4}) Liebe Kollegin Höll, das hat natürlich auch etwas mit den Kommunen zu tun. Ich komme aus Wuppertal. Ich will jetzt keine Ost-West-Debatte aufmachen, aber doch anmerken: Wir zahlen pro Jahr 25 Millionen Euro in Richtung neue Bundesländer ({5}) - gerne - und müssen das alles mit Krediten finanzieren. - Das aber nur am Rande. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Situation erinnert mich fatal an eine Diskussion, die wir in den 70er-Jahren unter der Überschrift „Privater Reichtum - öffentliche Armut“ geführt haben. Das Gebot der sozialen Gerechtigkeit und die ökonomische Vernunft sprechen für eine Vermögensteuer in Deutschland. Werfen wir doch einen kurzen Blick auf die Steuerpolitik von Schwarz-Gelb! Sie beschließen Steuergeschenke für Hoteliers, reiche Erben und große Unternehmen in Höhe von 5,6 Milliarden Euro. Das ist eine reine Klientelpolitik. ({6}) Sie diskutieren weiter über mögliche Steuersenkungen, ohne die Konsequenzen für Länder und Kommunen zu bedenken. Sie versuchen, sich mit fadenscheinigen Argumenten der Einführung einer Vermögensteuer zu widersetzen. ({7}) Lassen Sie mich festhalten: Eine Vermögensteuer in Deutschland ist verfassungsrechtlich selbstverständlich möglich; überhaupt kein Problem. ({8}) Die ungerechtfertigte Besserbehandlung von Immobilien gegenüber anderen Vermögensteilen muss aufgehoben werden. ({9}) Das ist mit der Reform der Erbschaftsteuer wirklich möglich. Das ist kein Problem. Lieber Herr Wissing, schauen Sie sich das doch einfach einmal an! Die Bewertungsprobleme sind lösbar. Herr Kollege Flosbach, auch vor 1997 war die Bundesrepublik Deutschland keine Wüste. Es hat Vermieter gegeben, es hat Häuser gegeben, es hat Mieter gegeben, es hat den Mittelstand gegeben, ({10}) und es hat eine Vermögensteuer gegeben. ({11}) Erzählen Sie uns hier also bitte nicht solche Märchen! ({12}) Warum können wir jetzt dem Antrag der Linken nicht zustimmen? Der Kollege hat eben schon einiges dazu gesagt. Sie verstehen die Vermögensteuer praktisch als konfiskatorische Steuer. Ein Steuersatz von 5 Prozent bedeutet wirklich eine Politik mit dem Vorschlaghammer. ({13}) Eine solche Substanzbesteuerung ist nicht akzeptabel. Deswegen haben wir Sozialdemokraten ein realistisches Gesamtkonzept für mehr Steuergerechtigkeit gegenüber den Besserverdienenden in dieser Republik vorgelegt. Wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode die Reichensteuer eingeführt, und wir fordern neben der Vermögensteuer eine Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 Prozent auf 49 Prozent. Dies ist ein guter Schritt insgesamt in Richtung mehr Steuergerechtigkeit. Dies ist ein Gesamtkonzept. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Daniel Volk für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke Ihnen. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie hier und an den Bildschirmen die Debatte verfolgen! Es ist sehr erhellend, eine solche Debatte über die Steuerpolitik zu führen; denn man sieht: Die Opposition ist sich einig. Es wird ein Strauß von Steuererhöhungen vorgeschlagen. Man ist sich nur noch nicht ganz einig darüber, in welcher prozentualen Höhe. Aber man ist sich einig darüber: Vermögensabgabe, Vermögensteuer usw. usf. Es wird hier insgesamt das Lied der weiteren Steuererhöhungen gesungen. Es interessiert die Opposition offenbar überhaupt nicht, dass wir ohnehin schon eine absolut überzogene Steuerbelastung in Deutschland haben. Die Opposition malt hier auch das Bild, dass nur durch Steuererhöhungen die öffentlichen Haushalte saniert werden könnten. Dem möchte ich doch mal ganz deutlich widersprechen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in Deutschland in einem sehr großen Bundesland einen gerichtlich festgestellten Verfassungsbruch in der Haushaltspolitik. Dieses Bundesland ist Nordrhein-Westfalen. ({0}) Nordrhein-Westfalen hat nach dem Regierungswechsel und der damit verbundenen Regierungsübernahme durch Rot-Grün, geduldet durch die dunkelrote Linkspartei, einen verfassungswidrigen Landeshaushalt vorgelegt, ({1}) und zwar deswegen verfassungswidrig, weil die Neuverschuldung so rasant angestiegen ist. Die Begründung dieser Landesregierung dafür lautete, es sei das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört. Während in ganz Deutschland aufgrund der Finanz-, Wirtschafts- und Steuerpolitik der schwarz-gelben Koalition ({2}) die Wirtschaft wächst und die Steuereinnahmen ansteigen, ist in Nordrhein-Westfalen das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört. - Es kann nur an der dortigen Landesregierung liegen, dass dort dieses Gleichgewicht gestört ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Paus?

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte gerne fortfahren. ({0}) Ich möchte Ihnen nur einen zusätzlichen Hinweis geben: Sie werden durch nominale Steuererhöhung - durch die Einführung neuer Steuern - nicht die Gesamtsteuereinnahmen des Staates erhöhen, vielmehr werden Sie damit ein Sinken der Gesamtsteuereinnahmen in absoluten Zahlen verursachen. ({1}) Das liegt einerseits daran, dass eine weitere Steuererhöhung die Wirtschaft insgesamt eben nicht wachsen lässt. Nur eine wachsende Wirtschaft kann auch zu einer Erhöhung der Gesamtsteuereinnahmen führen. ({2}) Andererseits werden Sie beobachten können, dass, wenn Sie eine substanzreduzierende Vermögensteuer einführen, die Vermögen Deutschland verlassen werden. ({3}) Das wäre übrigens auch ein Weg der Angleichung der Vermögen in Deutschland, allerdings nicht nach oben, sondern nach unten. Es würden dann nur noch wenige vermögende Personen in Deutschland bleiben, alle anderen würden dieses Land verlassen haben. ({4}) Dann werden Sie Ihr Ziel erreicht haben: Es geht allen gleich, und zwar allen gleich schlecht. Und das kann nicht Sinn und Zweck einer verantwortungsvollen Wirtschafts- und Steuerpolitik in diesem Land sein. ({5}) Die schwarz-gelbe Koalition hat gezeigt, wie man die Wirtschaft gerade auch in Krisenzeiten durch eine Steuerentlastungspolitik insgesamt voranbringt, eine solide Haushaltspolitik betreibt und damit auch der generationengerechten Verantwortung, nämlich durch den Abbau der Verschuldung, Rechnung trägt. Die schwarz-gelbe Regierung hat zum 1. Januar 2010 eine Steuerentlastung allein der Familien in Höhe von 4,6 Milliarden Euro vorgenommen. ({6}) Des Weiteren wurden für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Steuerentlastungen vorgenommen, die sich auf insgesamt mehr als 20 Milliarden Euro summieren. Gleichzeitig hat der Bundesfinanzminister die mittel- und langfristige Finanzplanung des ehemaligen SPD-Finanzministers bezüglich der Neuverschuldung halbiert: ({7}) Die Neuverschuldung, die Peer Steinbrück noch für das Jahr 2010 vorgesehen hatte, betrug mehr als 80 Milliarden Euro; dagegen wurde die Neuverschuldung im schwarz-gelben Bundeshaushalt 2010 auf 40 Milliarden Euro gesenkt. ({8}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist eine vernünftige Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik für Deutschland. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich diesem Kurs in der Wirtschafts- und Finanzpolitik anzuschließen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Michael Schlecht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die spannende Frage ist, ob wir uns weiterhin den Luxus leisten können, dass die Reichen und Vermögenden immer reicher werden, oder nicht. Ich sage Ihnen klipp und klar: Diesen Luxus kann man sich deshalb nicht mehr leisten - ich sage das nicht, weil ich einen Neidkomplex hätte -, weil auf der anderen Seite der Einkommensskala in unserem Land große Not herrscht und weil im Bereich von Erziehung und Bildung - das wird ja in allen Diskussionen anerkannt - riesige Missstände herrschen. Diesen nur mit strukturellen Maßnahmen zu begegnen, reicht nicht aus, sondern hierfür muss man richtig viel Geld in die Hand nehmen. Um allein im Bereich Erziehung und Bildung in Deutschland auf einen vernünftigen Stand zu kommen, der uns vielleicht der Weltspitze näher bringt, brauchen wir jedes Jahr Mehrausgaben in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Euro. Wir gehen davon aus, dass wir in dem Bundesland, aus dem ich komme, in Baden-Württemberg, jedes Jahr ungefähr 3 Milliarden Euro mehr benötigen, um vernünftige Bildung zu ermöglichen. In Baden-Württemberg besteht das Problem, dass der CDU-Ministerpräsident, der berühmte Atom-Mappus, in der Bildungspolitik abbauen will: Er will in den nächsten Jahren - vorausgesetzt, er bleibt an der Macht - 6 500 Lehrerstellen abbauen. Das wollen wir nicht. Wir wollen eher 6 500 Lehrerstellen in Baden-Württemberg schaffen. ({0}) Nur, das kostet Geld. Deshalb sagen wir: Dieses Geld sollen die Reichen und Vermögenden in diesem Lande aufbringen; denn die können es am leichtesten erübri11508 gen. Wir wollen eine Millionärsteuer. Wir wollen mit der Millionärsteuer auf Bundesebene 80 Milliarden Euro mehr einnehmen. ({1}) Das können die locker bezahlen. Wir sind ja sogar großzügig und lassen ihnen einen Freibetrag in Höhe von 1 Million Euro. Mit dieser Millionärsteuer hätte Baden-Württemberg Steuermehreinnahmen in Höhe von 10 Milliarden Euro. ({2}) Mit diesen 10 Milliarden Euro könnten wir locker die 3 Milliarden Euro, die wir für Erziehung und Bildung benötigen, finanzieren. ({3}) Wir könnten darüber hinaus in Baden-Württemberg mit diesen Mehrerträgnissen problemlos einen starken Aufwuchs bei den erneuerbaren Energien finanzieren, der notwendig ist, damit wir in Baden-Württemberg innerhalb sehr kurzer Zeit aus der Atomenergie aussteigen können. ({4}) Es gibt im Übrigen auch bei den Grünen in BadenWürttemberg seit kurzem einen Gesinnungswandel. Der Kandidat Kretschmann sagt, er sei dafür, sich bis 2018 bzw. 2019 eher noch mehr zu verschulden, um erneuerbare Energien aufzubauen. Dafür bin ich gar nicht. Ich bin vielmehr dafür, Reiche und Vermögende durch eine Millionärsteuer massiv zu besteuern, damit gerade in Baden-Württemberg, aber auch in anderen Bundesländern der Haushalt konsolidiert werden kann und darüber hinaus auch massiv in Erziehung und Bildung sowie in den Ausbau erneuerbarer Energien und in Energieeinsparmaßnahmen investiert werden kann. Damit kann unser Land vorangebracht werden. Es ist ja so - das wissen viele wahrscheinlich gar nicht -, dass die Millionärsteuer eine Landessteuer ist. Sie wäre ein gutes Instrument, um den desolaten Zustand der Finanzen in den Ländern zu beenden und damit die Länder in die Lage zu versetzen, die ihnen obliegenden wichtigen Aufgaben der Daseinsvorsorge gerade auch im Bereich von Erziehung und Bildung ohne Verschuldung sauber durchzufinanzieren. Deshalb ist die Millionärsteuer eine zentrale Aufgabe. Dass SPD und Grüne unserem Antrag nach wie vor reserviert gegenüberstehen, halte ich für sehr bedenklich. ({5}) Ich habe aber nicht die Hoffnung aufgegeben, dass auch hier eines Tages ein Umdenken einsetzt

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- einen Satz noch - und ein entscheidender Fortschritt erreicht werden kann, jetzt am Sonntag in BadenWürttemberg durch die Abwahl von Mappus, ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- und weitere Fortschritte in den folgenden Jahren. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man gegen einen Vorschlag ist, sollte man sich auch überlegen, welche Alternativen es gibt. ({0}) Wir haben deswegen die Einführung einer Vermögensabgabe vorgeschlagen, weil wir wissen, dass der Riesenberg Schulden, den Deutschland in der Finanzkrise angehäuft hat, irgendwie abgetragen werden muss. Wenn Sie nicht erklären, wer das tragen soll, wird es genauso geschehen wie bei der Wiedervereinigung: Sie werden es über große Staatsverschuldung in die Zukunft schieben und unser Land für die Zukunft stark belasten. Letztendlich müssen es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Das wollen wir nicht. Geben Sie einmal zu, wer denn bei Ihrer Politik die Lasten tragen wird. Dann wird das Unsoziale Ihrer Politik erst richtig deutlich. ({1}) Herr Volk, ich finde, Lautstärke sollte Wahrheit nicht ersetzen. Sie reden groß von Steuersenkungen. Sagen Sie doch einmal dazu, dass auch unter Ihrer Regierungsbeteiligung Steuern erhöht worden sind. Hier nenne ich nur die Kernbrennstoffsteuer, die Luftverkehrsabgabe und die Tabaksteuer. ({2}) Machen Sie den Menschen doch nicht immer vor, es gäbe in der Steuerpolitik nur eine Richtung. ({3}) Auch wenn Wahlkampf ist, sollte die Wahrheit bei Ihren Reden nicht ständig unter die Räder kommen. ({4}) Der Sachverständigenrat hat das Kapitel zur Abgeltungsteuer in seinem Gutachten 2008/2009 mit den Worten „Nach der Reform ist vor der Reform“ überschrieben, und zwar aus folgendem Grund: Diese Abgeltungsteuer hat so, wie sie eingeführt worden ist, massive Probleme verursacht. Das muss man einfach auch einmal zur Kenntnis nehmen. Es ist schon interessant, dass Sie zu der Frage, was Sie in diesem Bereich eigentlich machen wollen, heute nichts gesagt haben - gar nichts. ({5}) Ich zitiere das manager magazin, das ja nicht gerade als linksradikales Kampfblatt bekannt ist: Die seit 2009 geltende Abgeltungsteuer sorgt nicht nur für mehr Ärger und Bürokratie bei der Mehrzahl der Steuerzahler, sondern auch für weniger Einnahmen für den Staat. Sie ist ein Rohrkrepierer. Weiter heißt es dort: Die Abgeltungsteuer ist … ein riesiges Steuergeschenk für sehr vermögende Bürger. Das muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Es war ein Fehler, sie einzuführen, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens wurde versprochen: Die Abgeltungsteuer hilft uns im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Fakt ist: Dass der Steuerverwaltung über die anonymisierte Vereinnahmung der Kapitalerträge ein wichtiges Indiz fehlt, macht es schwieriger, Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Das Gegenteil dessen, was bei der Einführung gesagt wurde, ist der Fall. ({6}) Zweitens wurde gesagt: Das Ganze wird einfacher. Das stimmt nicht. Die Bundesregierung hat auch auf eine Anfrage meiner Kollegin Lisa Paus erklärt: Nur für wenige Leute ist es komplizierter geworden. - Nach Aussage des Sachverständigenrats haben es aber über die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger durch die Abgeltungsteuer komplizierter und nicht einfacher. Das Gegenteil dessen, was erreicht werden sollte, ist erreicht worden. Da muss man sich einfach einmal sagen: Das war nichts. Das war ein Fehler, den man korrigieren muss. ({7}) Drittens ist es ein typischer Steinbrück gewesen: guter Spruch, schlechte Substanz. Es stimmt einfach nicht, dass die Einnahmen größer geworden sind. Im Endeffekt sind sie gesunken. Das war auch schon bei der Einführung klar. Der Finanzminister hat mit dem schönen Spruch „Lieber 25 Prozent von X als 45 Prozent von garnix“ behauptet: Die Einnahmen werden steigen. - Gleichzeitig war in dem Finanztableau schon enthalten, dass die Einnahmen sinken werden. Die Gründe sind genau die von mir genannten: Die Abgeltungsteuer brachte nicht nur an vielen Stellen eine Verkomplizierung mit sich, sondern war auch ein Steuergeschenk für sehr Vermögende. Vor diesem Hintergrund muss man einfach einmal konstatieren - ich nehme wahr, dass die Sozialdemokraten auf diesem Weg sind -: Es war ein Fehler, die Abgeltungsteuer einzuführen. Dieser Fehler muss korrigiert werden. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Christian Freiherr von Stetten für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in dieser Debatte schon erwähnt worden - die Medien haben Anfang dieses Jahres auch sehr ausführlich darüber berichtet -, dass es in der Linksfraktion eine neue Kommunismusdebatte gibt. Nach meiner persönlichen Meinung haben Sie sich zwar nie aufrichtig vom Kommunismus distanziert. ({0}) Aber wenn es noch eines Beweises bedarf, dass der Kommunismus wieder in Ihrer Partei angekommen ist, dann sollte man ruhig Ihren heutigen Antrag zur Wiedererhebung der Vermögensteuer lesen; denn darin steht einiges, was dem sehr nahe kommt. ({1}) Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind der Auffassung, dass starke Schultern mehr tragen müssen als schwache. Das, was Sie heute hier durchsetzen wollen, kommt aber - das haben alle Redner unserer Koalition deutlich gemacht, glaube ich - einer Enteignung der Bürger nahe. Das ist doch sehr nah am Kommunismus, liebe Kollegen. ({2}) Sie fordern heute allen Ernstes, nach Abzug eines Freibetrages eine Steuer von 5 Prozent auf das gesamte private Geldvermögen, auf die Verkehrswerte aller privaten Immobilien und Sachvermögen zu erheben. Das heißt: Wenn ein Familienvater über den Freibetrag hinaus eine Eigentumswohnung besitzt, in der er mit seiner Familie und seinen Kindern wohnt, wird er nach Ihrem Vorschlag nach spätestens 20 Jahren enteignet. Es kann doch nicht der Sinn und Zweck Ihres Gesetzes sein, Wohnungen nach spätestens 20 Jahren staatlich einzuziehen; das ist doch absurd. ({3}) Wir legen Wert darauf, festzustellen, dass das nicht nur die Wohnungseigentümer betrifft. Nicht dass Sie hier nachher als Robin Hood der Wohnungsmieterverbände auftreten: Sie treffen damit auch die Wohnungsmieter. Gerade die Mieterverbände müssen ein Interesse daran haben, dass Sie sich heute nicht durchsetzen. Überlegen Sie einmal, welche Folgen es auf dem deutschen Wohnungsmarkt hätte, wenn wir heute eine Vermögensteuer von 5 Prozent auf Immobilien beschließen würden. Nehmen wir hier das Beispiel eines vielleicht von Ihnen nicht geliebten, aber sehr vermögenden Immobilienbesitzers, der heute mit seiner Immobilie eine Rendite von 4 Prozent erreicht: Er müsste, nachdem er seine Ertragsteuer an das Finanzamt überwiesen hat, auch noch eine Substanzsteuer von 5 Prozent auf den Verkehrswert der Immobilien zahlen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Ich möchte jetzt nicht so weit gehen wie der Vorsitzende des Finanzausschusses, der den Verdacht geäußert hat, dass Sie bei der Formulierung des Antrages völlig besoffen waren. Sie sollten aber den Referenten, der Ihnen das aufgeschrieben hat, zumindest einmal überprüfen. ({4}) Nehmen wir einmal an, dass Sie wirklich ernst meinen, was Sie uns zur Abstimmung stellen. Im Falle der Einführung einer solchen Steuer würde der Immobilienbesitzer versuchen - das ist völlig klar -, seine Immobilie zu verkaufen. Das Problem wäre nur: Er würde keinen Käufer finden, der ihm diese Immobilie abkauft; denn wer kauft schon eine Immobilie, die eine Rendite von 4 Prozent abwirft, wenn er 5 Prozent Substanzsteuer zahlen muss. Die Substanzsteuer in Höhe von 5 Prozent muss der Immobilienbesitzer übrigens auch dann zahlen, wenn er gar keinen Mieter hat oder die Wohnung gerade renoviert wird. Was wird er also machen, wenn er niemanden hat, der ihm die Wohnung abkauft? Er wird die zusätzlichen Kosten auf den Mieter übertragen. Hier müssen wir wissen, worüber wir reden: Eine zusätzliche Belastung von 5 Prozent des Verkehrswertes würde bei uns in der Bundesrepublik Deutschland eine glatte Verdopplung der Miete bedeuten. Das heißt, die Familie, die heute 300 Euro im Monat zahlen muss, müsste dann 600 Euro im Monat zahlen; die Familie, die heute 500 Euro zahlen muss, müsste dann 1 000 Euro Miete berappen. Das ist nicht die Sozialpolitik, die wir uns vorstellen. Sie von der Linken sollten sich schämen, hier solche Anträge einzubringen. Wir wollen, dass in Deutschland auch in Zukunft billiger Wohnraum zur Verfügung steht. ({5}) - Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen. Die Vorschläge, die Sie hier vorlegen, sind so weit am Thema vorbei, dass sogar die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, die mit einer privaten Vermögensteuer inhaltlich sympathisieren, diesen Antrag im federführenden Finanzausschuss abgelehnt haben. Diese Maßnahme ist konjunkturpolitisch völlig falsch: Sie fördert nicht private Investitionen im Wohnungsbau, sondern verhindert sie. Wir werden sie heute mit einem klaren Nein verhindern. Meine Damen und Herren, vorhin wurde vom Kollegen der Linken angesprochen, über welches Volumen wir reden: Sie reden von „Steuermehreinnahmen in Höhe von 10 Milliarden Euro“ allein in Baden-Württemberg und von insgesamt 80 Milliarden Euro in der Bundesrepublik Deutschland, und das nicht einmalig, sondern jährlich. Da frage ich mich schon, in welchem Land Sie leben bzw. in welches Land Sie uns führen wollen. Sie zeigen mit dem Antrag wieder deutlich: Sie betreiben die Politik des Neides und des Klassenkampfes. Seit heute wissen wir: Sie betreiben auch die Politik der Enteignung. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich finde Ihre Ausführungen interessant. Ich habe vorhin gesagt, dass man sich den Luxus leisten könnte, den Reichen ihren Reichtum zu lassen, wenn es keine Probleme gäbe. Nur können wir uns diesen Luxus nicht leisten. Das gilt auch für Baden-Württemberg; ich habe es Ihnen eben aufgezeigt. Mappus will natürlich nicht die Reichen besteuern, sondern massive Einsparungen im Bildungsbereich vornehmen: Er will 6 500 Lehrerstellen streichen. Wollen Sie das wirklich verantworten? Wie passt das zu den Sonntagsreden, die auch von Politikern der CDU/CSU gehalten werden, dass man mehr für Bildung tun muss? Wie passt das zusammen? Das ist doch ein vollkommen abenteuerlicher Kurs. Ich frage mich manchmal wirklich, ob die in den letzten Jahren erfolgten Großspenden in Höhe von 30 Millionen Euro an die Parteien der Regierungskoalition Ihre Gehirne so vernebelt haben, dass Sie nur noch Besitzansprüchen das Wort reden und die Interessen der breiten Bevölkerung mit Füßen treten. ({0})

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ihre Frage macht deutlich, dass es höchste Zeit ist, dass der Wahlkampf zu Ende geht. Dann müssen wir uns solche Zwischenfragen auch nicht mehr gefallen lassen. Aber gerade Baden-Württemberg - das werden Sie sicherlich verstehen - hat unheimlich viel Geld in die Bildungspolitik investiert. Ich möchte Ihnen aber auch sagen: Ich bin Berichterstatter der Regierungsfraktionen zu diesem Gesetzentwurf. Sie haben Ihren Antrag vor gut 13 Monaten in den Bundestag eingebracht. Wenn es Ihnen wirklich um die inhaltliche politische Diskussion gegangen wäre, hätten Sie in diesen 13 Monaten wenigstens einmal zum Telefonhörer greifen und einen von uns anrufen können, um die inhaltlichen Punkte zu diskutieren. ({0}) Aber Sie haben kein einziges persönliches Gespräch geführt. Auch mit dieser Zwischenfrage machen Sie deutlich, dass es Ihnen nur um den Wahlkampf gegangen ist. - Jetzt dürfen Sie sich gerne wieder setzen. Danke schön. ({1}) Sie haben vorhin in Ihrer Rede deutlich gemacht, dass Sie wollen, dass auf die privaten Geldvermögen, Immobilienvermögen und Sachvermögen 5 Prozent Steuern erhoben werden. Sie haben uns allerdings bis heute nicht erklärt: Was passiert mit dem Betriebsvermögen oder mit dem landwirtschaftlichen Vermögen, vor allem vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Erbschaftsteuer? Nach diesem Urteil würde Ihr Antrag, selbst wenn wir ihn beschließen würden, vor dem Bundesverfassungsgericht ganz sicher nicht bestehen, weil Sie zu diesen Vermögensarten überhaupt keine Ausführungen machen. Aber, liebe Kollegen von den Linken, eines muss man euch zumindest zugutehalten: ({2}) Ihr habt einen Antrag zu dem Thema eingebracht. Der ist aus meiner Sicht zwar völlig falsch, aber er zeigt, dass Sie wenigstens einen Standpunkt haben - ganz im Gegensatz zu den Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. ({3}) Sie haben zwar zahlreiche Parteitagsbeschlüsse gefasst, und Sie haben auch in allen Reden heute deutlich gemacht, dass Sie zu dem Thema eine Meinung haben und diese auch kundtun wollen. Aber auch Sie haben hier in den letzten 13 Monaten - spätestens seitdem wissen Sie, dass wir über dieses Thema im Bundestag eine Debatte führen bzw. darüber abstimmen müssen - keinen Antrag eingebracht. Das ist bezeichnend. ({4}) - Wir hätten dem Antrag ganz sicher nicht zugestimmt. ({5}) Aber die Bevölkerung hätte Ihre Auffassung zu diesem Thema kennenlernen können. Beschlüsse für die Bundesrepublik Deutschland werden nicht auf Ihren Parteitagen getroffen, sondern hier im Deutschen Bundestag, und das ist auch gut so. Auch beim Thema Steuervereinfachungen, das heute noch im Bundestag zu behandeln ist, haben Sie nicht viel anzubieten. Die Bundesregierung bringt dazu heute einen Gesetzentwurf ein. ({6}) Allerdings haben wir bereits in der internen Abstimmung mit Ihren rot-grün regierten Bundesländern gemerkt, dass keine besondere Steuervereinfachungseuphorie und nicht einmal der Wunsch danach zu spüren sind. ({7}) Ich glaube, das sollten wir uns für die Zeit nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg aufsparen. Die Bürger haben verstanden, dass sie in diesem Jahr keine großen steuerlichen Entlastungen zu erwarten haben. Aber die Bürger wollen verdammt noch mal wieder ein Steuerrecht, das sie verstehen. Wir haben als Parlamentarier die Pflicht, dies umzusetzen. Da ist Ihr Antrag zur Wiedereinführung der Vermögensteuer sicherlich der falsche Weg. Wir brauchen ein einfaches Steuerrecht und nicht solche kommunistischen, sozialistischen oder in dem Fall linkspropagandistischen Anträge. Deswegen werden wir den Antrag - das wird Sie nicht wundern heute ablehnen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bernd Scheelen für die SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Volk hat vorhin auf die Situation in Nordrhein-Westfalen und auf das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das Schwarz-Gelb im Bund durchgesetzt hat, hingewiesen. Sie haben sich hier ge11512 rühmt, Herr Kollege Volk, dass Sie die Menschen mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz entlastet hätten. Richtig ist, dass das Gesetz Bund, Länder und Gemeinden 8 Milliarden Euro gekostet hat, davon allein 1,6 Milliarden Euro die Gemeinden. Das ist eine Politik, die wir nicht mitgemacht haben; denn Sie verteilen Geschenke immer nur zulasten anderer. In dem Paket war zum Beispiel auch die Milliarde für die Hotelbesitzer enthalten. Das ist aus unserer Sicht eine falsche Politik. ({0}) Sie haben kritisiert, dass die neue rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen einen Nachtragshaushalt verabschiedet hat, in dem die Neuverschuldung höher angesetzt wurde als ursprünglich gedacht. ({1}) Es ist richtig, dass die Neuverschuldung höher war als angesetzt. Das hing damit zusammen, dass Sie in fünf Jahren Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen beispielsweise im Zusammenhang mit den Problemen bei der Westdeutschen Landesbank überhaupt keine Vorsorge getroffen haben. ({2}) Aufgrund der politischen Verantwortung war es also geboten, Geld zurückzustellen für die sehr schwierige Lage der Westdeutschen Landesbank. ({3}) Dafür wurden 1,3 Milliarden Euro im Haushalt vorgesehen. Trotzdem kommen Sie mit dem Argument, das sei verfassungswidrig. ({4}) Die Begründung für die höhere Neuverschuldung haben auch Sie, Herr Kollege Volk, angeführt, nämlich: Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist gestört. Wenn das so ist, ist eine Neuverschuldung, die die Summe der Investitionen übersteigt, möglich. Diesen Passus hat die Landesregierung genutzt. Das Gericht hat gemeint, dass das in diesem Fall nicht richtig war. Okay, das nehmen wir demütig zur Kenntnis. Man muss aber auch feststellen, dass Schwarz-Gelb in den fünf Jahren, in denen Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen regiert hat, genau diesen Passus genutzt hat. Sie haben in jedem Haushaltsjahr mehr Schulden aufgenommen, als Sie für Investitionen eingeplant haben. ({5}) Insofern ist das, was Sie hier von sich geben, ziemlich schräg. Auch bei den Haushaltsentwürfen, die Sie in dieses Haus einbringen, nutzen Sie genau diesen Passus, um die höhere Neuverschuldung zu rechtfertigen. Damit ist Ihnen eigentlich jedes Recht entzogen, das zu kritisieren. ({6}) Eigentlich wollte ich etwas zur Abgeltungsteuer sagen. Vorher noch eine Bemerkung zur Vermögensteuer. Ich glaube nicht, dass sie Teufelswerk ist. Sonst wäre die Regierung Kohl/Genscher ja eine Regierung des Teufels gewesen; denn damals gab es eine Vermögensteuer. Sie haben die Vermögensteuer damals durch einen Trick abgeschafft. Das Bundesverfassungsgericht hatte festgestellt, dass die Vermögensteuer in der Form, in der sie erhoben wurde, nicht verfassungsgemäß war. ({7}) Das Bundesverfassungsgericht hatte nicht gesagt, dass die Vermögensteuer an sich verfassungswidrig ist. Sie haben diese Steuer einfach auslaufen lassen. Unsere Angebote, eine neue Regelung für die Vermögensteuer zu finden, haben Sie damals nicht angenommen. Die Frage, warum wir in der Zeit von Rot-Grün keinen Antrag eingebracht haben, ist relativ einfach zu beantworten: Es gab eine andere Mehrheit im Bundesrat. In Steuerfragen - das wissen Sie - brauchen wir den Bundesrat. Jede Regierung ist schlecht beraten, wenn sie sich Niederlagen selbst organisiert. Das heißt, eine Initiative in Steuerdingen geht nur dann, wenn Bundestag und Bundesrat in diesem Punkt einer Meinung sind. Darauf warten wir, und darauf arbeiten wir hin. Jetzt noch eine Bemerkung zur Abgeltungsteuer, die hier vehement kritisiert worden ist. Der Satz von Peer Steinbrück ist mehrfach zitiert worden; ich will ihn nicht auch noch wiederholen. Die damals angeführte Kritik an der Abgeltungsteuer, dass sie nur einen einheitlich niedrigen Satz vorsieht, während andere Einkommen unterschiedlich hoch besteuert werden, ist gerechtfertigt. Das hat Peer Steinbrück damals zugestanden. Er hat aber auch gesagt: Wir müssen die Realitäten zur Kenntnis nehmen. - Die Realität ist, dass eine Menge Kapital ins Ausland fließt, um dort und nicht im Inland angelegt zu werden. ({8}) Die Idee war, den Anlegern ein Angebot zu machen, damit sie ihr Geld im Inland und nicht im Ausland investieren, damit es hier arbeitet, hier Erträge bringt und auch hier der Besteuerung unterliegt. Ob das eingetreten ist oder nicht, können wir, glaube ich, jetzt überhaupt noch nicht beurteilen. Die Abgeltungsteuer ist zum 1. Januar 2009 eingeführt worden. Wir erinnern uns: Das war die Hochzeit der Krise. Ich halte es für verfrüht, aus den Daten von 2009 und 2010 zum Aufkommen der Abgeltungsteuer den Schluss zu ziehen, das hätte alles nicht funktioniert. Lassen wir doch noch ein, zwei Jahre ins Land gehen, um zu sehen, wie sich das entwickelt. Die Steuerschätzung geht ja auch wieder von steigenden Erträgen aus. Wenn sich in zwei Jahren herausstellen sollte, dass das alles nicht geklappt hat, sind wir gegebenenfalls bereit, zur synthetischen Besteuerung der Einkünfte zurückzukehren. Wir sind ebenfalls bereit, einen Vorschlag für eine Vermögensteuer in dieses Hohe Haus einzubringen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/4878 an den Finanzausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder erheben“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4594, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/453 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 5 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steuervereinfachungsgesetzes 2011 - Drucksachen 17/5125, 17/5196 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Hartmut Koschyk das Wort. ({1})

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ein zentrales Ziel der Politik der christlich-liberalen Koalition ist der Bürokratieabbau. Selbstverständlich darf der Bürokratieabbau auch nicht vor unserem Steuerrecht kapitulieren. Deshalb haben wir dieses Steuervereinfachungsgesetz eingebracht und damit eine wichtige Zielsetzung aus unserem Koalitionsvertrag abgearbeitet. Der Rahmen, in den sich unsere Entscheidungen für Vereinfachungsmaßnahmen im Steuerrecht einfügen müssen, ist klar gesteckt. Die verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse erfordert die Rückführung der gesamtstaatlichen Schuldenquote, begrenzt die Kreditaufnahme in Bund und Ländern und trägt im Zusammenwirken mit dem jetzt auch dank der Durchsetzungskraft unserer Bundeskanzlerin ertüchtigten Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt maßgeblich zur zwingend notwendigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei. Mit dem Entwurf des Steuervereinfachungsgesetzes haben wir jetzt ein Maßnahmenpaket vorgelegt, das die Zielsetzung der weiteren Vereinfachung und Modernisierung des Besteuerungsverfahrens mit der Notwendigkeit verbindet, den eingeschlagenen Konsolidierungskurs konsequent fortzuführen. Die finanziellen Entlastungen sind mit rund 590 Millionen Euro auf ein verkraftbares Maß begrenzt, und sie werden allein vom Bund getragen. Den Schwerpunkt haben wir ganz bewusst auf die Einkommensbesteuerung gelegt. Mit rund 40 Maßnahmen wollen wir den Erklärungs- und Prüfaufwand im Einkommensteuerrecht reduzieren. Es ist unser Ziel, Anspruchsvoraussetzungen zu straffen und den Dokumentationsaufwand zu verringern. Das Besteuerungsverfahren soll für alle Beteiligten transparenter und nachvollziehbarer werden; denn Steuerpflichtige profitieren von kürzeren und übersichtlicheren Erklärungsvordrucken sowie von einem Weniger an Belegsammelei. Auch die Unternehmen werden dadurch von Bürokratiekosten entlastet. Aber auch die Finanzverwaltung gewinnt, weil schwierige und zeitaufwändige Prüffelder künftig entfallen und Verfahrensabläufe einfacher und weniger arbeitsintensiv werden. Die Länder, denen die Verwaltung der aufkommensstarken Steuern obliegt, haben uns aktiv bei den Vorarbeiten unterstützt und ihren praktischen Erfahrungsschatz in den Prozess eingebracht. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf berücksichtigt natürlich auch die 13 Vorschläge, auf die sich die Finanzminister der Länder bei ihrer Konferenz im letzten Jahr in Dresden verständigt haben. Aber selbstverständlich war es der Ehrgeiz dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen, über die Ländervorschläge hinaus eigene Vorschläge zur Steuervereinfachung zu erarbeiten und heute in diesem Gesetzentwurf vorzulegen. Wir haben daher zunächst unser Augenmerk auf Vereinfachungen und Verbesserungen bei der steuerlichen Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten und bei der Gewährung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen für volljährige Kinder gelegt. Die vorgesehene Neuregelung der Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten ist ein deutlicher Vereinfachungsschritt. Einerseits werden die besonderen persönlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um Kinderbetreuungskosten steuerlich geltend machen zu können, deutlich reduziert. Wer Kinderbetreuungskosten hat, soll diese auch unabhängig von Berufstätigkeit oder Krankheit steuerlich geltend machen können. Zudem soll die Berücksichtigung der Kosten in der Systematik der Einkommensteuer zusammengeführt und somit einfacher und transparenter werden. Dafür haben wir den einheitlichen Abzug als Sonderausgaben vorgesehen. Unerwünschte außersteuerliche Wirkungen, zum Beispiel auf Kitagebühren, werden durch eine Anpassung in § 2 des Einkommensteuergesetzes vermieden. Auch der zukünftige Wegfall der Einkünfte- und Bezügegrenze für die steuerliche Berücksichtigung von volljährigen Kindern vereinfacht das Besteuerungsverfahren. Die Neuregelung erspart Eltern Ermittlungs- und Erklärungsaufwand gegenüber Familienkasse und Finanzamt. Eine deutliche Vereinfachung sehen wir auch in der Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages von 920 auf 1 000 Euro. Für eine halbe Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich wird so der Einzelnachweis entbehrlich. Das heißt, zukünftig wird für rund 22 Millionen Arbeitnehmer - das sind 60 Prozent aller steuerpflichtigen Arbeitnehmer - kein Einzelnachweis der Werbungskosten mehr erforderlich sein. Das ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ein wichtiger Schritt zur Steuervereinfachung. ({0}) Eine weitere Steuervereinfachung besteht darin, dass im Bereich der verbindlichen Auskünfte bei Bagatellfällen zukünftig auf eine Gebührenerhebung verzichtet wird. Damit können wir den Steuerpflichtigen bereits im Vorfeld einer Investitionsentscheidung mehr Rechtssicherheit geben und die damit verbundenen steuerlichen Folgen besser abschätzbar machen. Die Unternehmen profitieren insbesondere von den in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Erleichterungen bei der elektronischen Rechnungsstellung; durch diese Erleichterungen werden die hohen Anforderungen im Bereich des Umsatzsteuerrechts reduziert. Ansprechen möchte ich auch das neue Wahlrecht für die Abgabe der Einkommensteuererklärung, das den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit einer verlängerten Abgabefrist eröffnet. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Länder im Bundesrat die Bundesregierung am vergangenen Freitag aufgefordert haben, sich diesen Vereinfachungsansatz noch einmal anzuschauen. Das werden wir tun. Wir sind aber der Auffassung, dass die Option zur gleichzeitigen Abgabe von Einkommensteuererklärungen für zwei Jahre für Steuerpflichtige eine Erleichterung darstellt. ({1}) Die gesetzlichen Neuregelungen werden von einer Reihe von Maßnahmen auf Ebene der Steuerverwaltung flankiert, die die Bürgerinnen und Bürger bei der Erfüllung ihrer Erklärungspflichten unterstützen. Dazu gehören die Einführung einer elektronischen vorausgefüllten Steuererklärung bei der Einkommensteuer als freiwillig nutzbares Serviceangebot und die schrittweise Einführung der papierlosen Kommunikation mit den Finanzämtern. Darüber hinaus haben wir in diesem Gesetzentwurf die Zusage gegeben, die Vereinfachung des Steuerrechts fortzuführen. Dazu gehört, dass wir den Wunsch der Unternehmen nach mehr Rechts- und Planungssicherheit aufgreifen, das Institut der zeitnahen Betriebsprüfung erstmals definieren und einen bundeseinheitlichen Standard in der Betriebsprüferordnung festlegen werden. Dazu gehören auch die Vorhaben, die steuerrechtlichen und sozialrechtlichen Vorschriften zu harmonisieren sowie das steuerliche Reisekostenrecht und das Unternehmensteuerrecht zu vereinfachen. ({2}) Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass wir durch den Dialog mit dem Parlament, mit den Koalitionsfraktionen bereits im Vorfeld eine Reihe von wichtigen Punkten in den Gesetzentwurf aufnehmen konnten. Ich möchte mich dafür bedanken, dass dieser Dialog auch mit den Ländern möglich war. Ich bitte um eine zügige Beratung im Parlament. Ich appelliere an dieser Stelle auch an den Bundesrat: Wenn wir schon die Maßnahmen in den Mittelpunkt gestellt haben, auf die sich die Länder parteiübergreifend auf der Finanzministerkonferenz verständigt haben, und wir als Bund die Lasten der Steuermindereinnahmen, die durch dieses Steuervereinfachungspaket entstehen, alleine tragen, dann sollte der Bundesrat, dann sollten die Bundesländer einer zügigen Beratung und Umsetzung dieses ersten Steuervereinfachungspakets nicht im Wege stehen. Weitere werden und müssen mit Sicherheit folgen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ingrid Arndt-Brauer für die SPDFraktion. ({0})

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Steuervereinfachungsgesetz 2011 - der Titel deutet an, dass es in Zukunft jedes Jahr eines geben wird. So, wie es in der Vergangenheit jährlich ein Jahressteuergesetz gegeben hat, wird es in Zukunft jährlich ein Steuervereinfachungsgesetz geben. Ziel ist - dies wurde schon gesagt -, die Bürokratie abzubauen und den Haushalt zu konsolidieren. Angefangen hat es aber eigentlich anders. Als man am 2. Februar den Beschluss im Kabinett gefasst hat, hat man den Wählern doch noch ein bisschen die Hoffnung gegeben, sie könnten nicht nur eine Steuervereinfachung, sondern vielleicht auch eine Steuerentlastung erwarten. Man hat sich dann die Vorschläge angeschaut, und es gab sofort Kommentare. Die Wirtschaftsverbände haben gesagt: Von den 41 Punkten betreffen zehn Punkte Streichungen von Tatbeständen, die ohnehin nicht mehr existieren. Weitere zehn Punkte dienen lediglich der Umsetzung von Gerichtsurteilen. Nur zehn Punkte betreffen marginal die Wirtschaft, sind aber auch nicht so existenziell nötig. - Das war die Kritik der Wirtschaftsverbände. Egal, hat man sich gedacht, dann sind jetzt eben die Bürger dran, endlich entlastet zu werden oder mit einem vereinfachten Steuerrecht klarzukommen. Aber auch das ist nur auf den ersten Blick so. Wenn wir uns die Sache einmal genauer anschauen, dann sehen wir: Der Gesetzentwurf - dies wurde schon gesagt - basiert auf 13 Vorschlägen der Finanzminister, wurde aber doch ein Stück weit verfälscht. Schauen wir uns die Sachen einmal einzeln an, und beginnen wir mit der zweijährigen Steuererklärung. Das dürfen nicht alle. Selbstständige, auch Abgeordnete gehören gar nicht zu den Begünstigten. Die zweijährige Steuererklärung ist eigentlich für Menschen vorgesehen, die vom Finanzamt etwas zurückbekommen würden. Jetzt fragt sich natürlich jeder: Warum soll man eine zweijährige Steuerklärung abgeben und zwei Jahre auf die Rückerstattung warten? Bei der zweijährigen Steuererklärung muss man auch berücksichtigen, dass sich das Steuerrecht innerhalb der zwei Jahre vielleicht geändert hat. Es wird also nicht einfacher; es wird komplizierter, und es wird unangenehmer, weil man länger auf die Rückzahlung warten muss. ({0}) Nun zu der tollen Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages. Das kostet zwar ein bisschen Geld; aber wenn es gut wäre, dann wäre es okay. Die Anhebung kostet ungefähr 330 Millionen Euro im Jahr. Aber was bedeutet das? Statt 920 Euro haben wir demnächst 1 000 Euro Arbeitnehmerpauschbetrag. Der Staatssekretär sagte, dass eine halbe Million Menschen davon betroffen seien; das mag sein. Aber diese halbe Million Menschen müssen Belege sammeln, um zu schauen, ob sie unter oder über dem Pauschbetrag liegen. Nur 2 000 Menschen liegen dazwischen. 2 000 Menschen also werden diesen Pauschbetrag zu ihren Gunsten bekommen. Ich denke, das ist nicht der große Wurf. Ich finde, der Ausdruck „Cappuccino-Erhöhung“ - 3 Euro im Monat mehr beim Spitzensteuersatz - trifft die Sache ganz gut. ({1}) Eine weitere gute Idee ist auf dem Weg von der Finanzministerkonferenz zum Steuervereinfachungsgesetz leider auf der Strecke geblieben. Meine Kollegin wird nachher noch etwas dazu sagen. So wird es keine Anhebung des Behindertenpauschbetrages geben. Es ist schade, dass Sie ihn gar nicht mehr erwähnt haben. Was Sie erwähnt haben, ist die Vereinfachung des Abzugs der Kinderbetreuungskosten. Dies war vorher als Werbungskosten geregelt. Das hatte gute Gründe, weil wir gesagt haben: Wer berufstätig ist und seine Kinder betreuen lassen muss, sollte das steuerlich geltend machen können. Jetzt haben Sie gesagt, nicht nur die Berufstätigen, sondern alle sollten ihre Kinderbetreuungskosten steuerlich geltend machen können. Das hört sich erst einmal gut an. Viele haben sich schon darüber gefreut, bis einige gedacht haben: Holla, die Kita könnte teurer werden, weil bei der Kita die Werbungskosten Grundlage für die Berechnung der Beiträge sind. - Das haben Sie jetzt repariert. Diese Reparatur bedeutet allerdings das Gegenteil von Bürokratieabbau und wird bei der Beantragung wahrscheinlich nicht zu irgendeiner Vereinfachung führen. Auch das hätte man sich also sparen können. ({2}) Für eines, was ich für grenzwertig halte, sind 200 Millionen Euro veranschlagt - aber das wird mit Sicherheit teurer werden -, und zwar für den Wegfall der Einkommensprüfung bei volljährigen Kindern für den Kindergeldbezug. Ich bin grundsätzlich dafür, möglichst viel Geld in die Familien zu pumpen. Jeder, der mich kennt, weiß das. Aber hier sind wir an einem Punkt, an welchem dem Missbrauch schon ein bisschen die Tür geöffnet wird. Ich weiß - ich habe vier Kinder, die studieren -, dass ich den Einkommensnachweisen hinterherrennen muss. Ich war in der Situation, dass ich es im dritten Ausbildungsjahr unserer Tochter zur Krankenschwester, die viel Geld verdient hat, eigentlich nicht mehr gerecht gefunden hätte, wenn ich da Kindergeld bekommen hätte. Ich würde es gerechter finden, jetzt, da sie wieder studiert, Kindergeld zu bekommen. Wenn Kinder selbst hohe Einkünfte haben, kann ich es aber nicht gut finden, dass die Eltern dann Kindergeld erhalten. Ich glaube auch, dass der Betrag von 200 Millionen Euro nicht ausreichen wird. Der Deckel wird sich ziemlich weit nach oben öffnen. Über diese Regelung sollten Sie noch einmal nachdenken. ({3}) Was Sie nicht erwähnt haben - ich will es nur kurz ansprechen -: Demnächst gibt es bei der Ehegattenveranlagung die Möglichkeit der Reduzierung der Varianten. Man wollte aber vermeiden, dass sich die Ehegatten am Ende schlechtergestellt fühlen als Nichtverheiratete. Deswegen wird es eine neue Günstigerprüfung und damit verbunden einen gigantischen Bürokratieaufbau vor allem bei den Finanzämtern geben. Zur Situation bei den Finanzämtern möchte ich noch eines sagen: Wenn Sie mit dem Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Herrn Ondracek, sprechen würden, würde er Ihnen erzählen, dass die Steuerverwaltung 15 000 Beschäftigte zu wenig hat und dass jeder neue Betriebsprüfer 1 Million Euro mehr Einnahmen erzielen würde. Ich möchte Sie bitten, bevor Sie uns solch unausgegorene Steuervereinfachungsgesetze vorlegen, einmal darüber nachzudenken, wie wir in diesem Land wieder zu mehr Steuerehrlichkeit kommen ({4}) und wie wir vielleicht auch dazu beitragen können, dass sich mehr Bürger mit ihren Fragen an ihr Finanzamt wenden und wir dadurch die Bearbeitung ihrer Steuererklärung vereinfachen. Ich denke, dies wäre der richtige Weg. Wir sollten zwischen der ersten und der zweiten und dritten Lesung ernsthaft über diesen Gesetzentwurf dis11516 kutieren. Ich denke, er ist extrem verbesserungswürdig. Ich biete Ihnen vonseiten der SPD an, dass wir uns daran beteiligen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Scheelen hat vorhin gesagt, dass die Sozialdemokraten unter Rot-Grün das in der Steuerpolitik nicht machen konnten, weil sie keine Mehrheit im Bundesrat hatten. Vielleicht lag das aber eher daran, Herr Scheelen, dass Sie keine guten Konzepte hatten ({0}) und den Bundesrat deswegen nicht überzeugen konnten. ({1}) Auch wir haben gegenwärtig keine Mehrheit im Bundesrat. ({2}) Trotzdem bringen wir ein Steuervereinfachungsgesetz auf den Weg. Wir sind der Überzeugung, dass man, wenn man vernünftig mit den Ländern verhandelt - das hat die Bundesregierung im Vorfeld getan, Herr Staatssekretär Koschyk -, auch in diesen schwierigen Zeiten gute Steuergesetze auf den Weg bringen kann. ({3}) Das tun wir mit dem vorliegenden Steuervereinfachungsgesetz. ({4}) Pauschalen vereinfachen das Steuerrecht; das ist eine Binsenweisheit. Sie ersparen den Finanzbehörden die Prüfung des Einzelfalls. Sie können Beispiele anführen, solange Sie wollen, Frau Kollegin Arndt-Brauer, aber Sie werden es nicht schaffen, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Einzelbelegsammlung besser ist als eine Pauschale. Das ist nicht möglich. Die Pauschale ist der Weg zur Vereinfachung. Die Koalition bekennt sich ganz klar zu diesem Steuervereinfachungskonzept. Pauschalen vereinfachen die Besteuerung, sowohl für die Menschen als auch für die Finanzverwaltung. ({5}) Deswegen ist diese Regelung ein richtiger Schritt. ({6}) Die Art und Weise, in der Sie mit Pauschalen umgegangen sind, zeigt doch ganz klar, dass Sie diesen politischen Schritt hin zur Steuervereinfachung nicht wichtig finden. Mir ist noch gut in Erinnerung, wie Sie beim Thema Pendlerpauschale herumgehampelt sind, und beim Sparerfreibetrag haben Sie nichts als eine Kürzung und somit eine versteckte Steuererhöhung zustande gebracht. ({7}) Die Initiativen, die von Ihnen ausgingen, waren immer fiskalpolitisch, vom Haushalt her geprägt. ({8}) Sie haben sich in Ihrer Gesetzgebung aber nie zu einer Vereinfachung durch Pauschalen bekannt. Die Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrages ist ein wichtiger Akzent. Der Arbeitnehmerpauschbetrag soll die Kostenbelastung eines typischen Arbeitnehmerhaushaltes berücksichtigen. ({9}) Es ist deshalb paradox, ihn zu kürzen, wie Sie es getan haben. Sie haben den Arbeitnehmerpauschbetrag trotz steigender Kosten gekürzt. Das war Ihre Politik. Wir machen jetzt das Gegenteil. Wir passen den Arbeitnehmerpauschbetrag der Kostenstruktur der Arbeitnehmerhaushalte an. Im Grunde genommen müssten Sie diesem Gesetzentwurf, wenn Sie wirklich Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen wollten, mit wehenden Fahnen zustimmen. ({10}) Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur ein Schritt hin zu einem einfacheren Steuerrecht, sondern auch ein Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit. Es ist bezeichnend, dass die Sozialdemokraten dies kritisieren. Das sagt viel über den Zustand Ihrer Partei. Ihnen fehlt der innere Kompass für eine arbeitnehmerfreundliche Steuerpolitik. ({11}) Wer wissen will, was die SPD vom Arbeitnehmerpauschbetrag hält, der brauchte heute nicht einmal Frau Arndt-Brauer zuzuhören, sondern der kann sich auch an die sogenannte Koch/Steinbrück-Liste erinnern. Es war die eine Sache, dass der damalige Ministerpräsident der CDU den Arbeitnehmerpauschbetrag der Kategorie Subvention zugeordnet hat. Dass die SPD unter Peer Steinbrück dies aber genauso gesehen hat, zeigt deutlich, dass Sie alle möglichen Interessen vertreten, aber nicht die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. ({12}) Sie haben überall gekürzt. Sie haben den Arbeitnehmerpauschbetrag gekürzt, und Sie haben den Sparerfreibetrag für die Menschen gekürzt. Sie reden immer viel über Vermögensteuer und Finanztransaktionsteuer. Aber wenn Sie regieren, dann holen Sie das Geld vor allen Dingen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Das drehen wir jetzt um. Wir haben bei diesem Steuervereinfachungsgesetz ganz gezielt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Blick. ({13}) Herr Staatssekretär Koschyk hat es gesagt: Es geht uns um die Einkommensteuer; es geht uns um die Verbesserung der Besteuerung des durchschnittlichen Arbeitnehmers und der durchschnittlichen Arbeitnehmerin. Sie haben das in elf Jahren Regierungszeit nicht hingekriegt. Wir sind jetzt auf dem Weg, das zu korrigieren und all das nachzuholen, was Sie ausgelassen haben. ({14}) Es ist höchste Zeit, dass wir uns im Steuersystem umorientieren. Wir müssen weg von sozialdemokratischer Ausgabenpolitik hin zu arbeitnehmerfreundlicher Steuerpolitik. Hier gehen wir in die richtige Richtung. Vereinfachen ist schwierig; das ist wahr. Das hat Ihre frühere Staatssekretärin Barbara Hendricks in einem Beitrag in der Financial Times einmal breit ausgeführt. Sie erleben heute, dass Steuervereinfachung vielleicht schwierig, aber nicht unmöglich ist. Wenn ich einmal an den damaligen Beitrag von Frau Hendricks erinnern darf: Sie hat messerscharf analysiert, dass eine Vereinfachung vor allen Dingen an den Bürgerinnen und Bürgern scheitern würde, aber auch an den Richtern. Dass es damals vielleicht an der SPD gescheitert sein könnte, darauf sind Sie nicht gekommen. Es lag nämlich in Wahrheit daran, dass Sie nicht den Gestaltungswillen hatten, dass Ihnen das Thema Steuervereinfachung nicht wirklich wichtig war. Die damalige Staatssekretärin sagte, dass typisierende Regelungen den Anforderungen eines Massenverfahrens am besten gerecht werden. Das waren die Reden der SPD. Beim Handeln sah es anders aus. Wir greifen das auf. Diese typisierenden Regelungen wollen wir als Vereinfachungsmaßnahme nutzen. Der Arbeitnehmerpauschbetrag ist ein ideales Beispiel dafür. Meine Damen und Herren, Pauschalen bzw. typisierende Regelungen sind ein wesentlicher Bestandteil eines einfachen Steuersystems. Sie werden dort eingesetzt, wo es darum geht, berechtigte Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu wahren. Inflation führt zu einer schleichenden Entwertung der Pauschalen. Deshalb müssen sie angepasst werden. Das mit diesem Cappuccino-Gerede kleinzureden, ({15}) ist nichts anderes als der Beleg dafür, dass Sie sich nicht mit uns gemeinsam um eine Vereinfachung des Steuerrechts für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bemühen wollen. ({16}) Das sollten Sie dann auch so klar sagen. Uns kommt es darauf an, uns mit diesem Gesetz klar zu dem Weg der Pauschalierung, der Vereinfachung zu bekennen. Wer das tut, der muss auch eine inflationsbedingte Anpassung durchführen und darf nicht in die falsche Richtung gehen und die Pauschalbeträge kürzen. ({17}) Es ist schlichtweg unlauter, als Sozialdemokraten typisierende Regelungen zu fordern, dann aber tatenlos dabei zuzusehen, wie Pauschalbeträge von der Inflation entwertet werden, oder diese sogar aktiv zu kürzen. Im Bereich der Steuervereinfachung gibt es dicke Bretter zu bohren. Wenn man, wie mit diesem Gesetz, einen Durchbruch schafft, dann kann man sich, wie Sie es tun, hinstellen und sagen: Das ist ganz schlecht. Das Loch ist nicht groß genug. - Wir sagen Ihnen: Das ist eine Wende in der Steuerpolitik. Wir haben dicke Bretter gebohrt. Wir haben einen Durchbruch erreicht, und wir sehen Licht. Das ist ein guter Weg. Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, dass Sie heute gesagt haben, dass das der Anfang von Steuervereinfachungen ist. In diesen schwierigen finanzpolitischen Zeiten ist nicht alles auf einmal möglich. Da wir für die Stabilisierung der Euro-Zone und für die Haushaltskonsolidierung Verantwortung übernehmen müssen, gleichzeitig aber unsere Ziele nicht aufgeben, sondern sie Schritt für Schritt verfolgen, sind wir mit diesem Gesetz auf einem guten Weg. Weitere Schritte werden folgen. ({18}) Sie werden sehen, dass die Menschen dankbar sein werden, wenn sich die Besteuerung für sie verbessert, und dass Sie mit Ihrer Kleinrederei auf dem Holzweg sind. Jeder Schritt in die richtige Richtung ist ein guter, ein wichtiger Schritt. Deswegen laden wir Sie ein, etwas für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu tun und diesen Gesetzentwurf aktiv zu unterstützen. Das wäre ein Weg zu mehr Ehrlichkeit in Ihrer eigenen Politik. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Barbara Höll für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Wissing, Herr Westerwelle sagte im Januar 2009 über die Steuerentlastung durch das Konjunkturpaket: „Das ist eine Currywurst mit Majo - ohne Pommes“. Ihre Ankündigung klang nun so: Jetzt kommen die Pommes dazu, und aus der Currywurst wird eine Riesencurrywurst. Jetzt wird alles ganz toll. 90 Vorschläge waren im Gespräch, geblieben sind 37 Vereinfachungsvorschläge. Zieht man davon einmal die Rechtsbereinigungen und Absichtserklärungen ab, bleiben noch 25. Davon sind letztlich nur ganze drei Vorschläge finanzwirksam. Ich glaube, die Kritik von allen Seiten, ob aus der Opposition, der Wirtschaft, von Steuerberatern, von den Finanzbehörden oder von Bürgerinnen und Bürgern, ist berechtigt. Das sind 94 Seiten mit wenig brauchbaren Ergebnissen. ({0}) Das, was Sie als Entlastung in Höhe von 3,3 Milliarden Euro verkaufen, sind im Wesentlichen geplante Erleichterungen bei der elektronischen Rechnungsstellung im Umsatzsteuerrecht. Sie wissen genauso gut wie ich: Das ist hochgepuscht worden. Man sollte die Bürokratiekosten hier nicht derart in den Vordergrund stellen, auch weil man überhaupt noch nicht weiß, was herauskommt. Sprechen wir über die Maßnahmen, die finanzwirksam sind. Laut Ihrem Tableau beträgt die Jahresentlastungswirkung 585 Millionen Euro. 330 Millionen Euro davon sollen den Bürgerinnen und Bürgern durch eine Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages zukommen. Gut! ({1}) In Ihrem Gesetzentwurf stehen zwölf Maßnahmen, zum Beispiel Rechtsbereinigungen bzw. Absichtserklärungen. Ich finde es schon ein bisschen daneben, eine Absichtserklärung als Steuervereinfachung und tolle Leistung zu verkaufen. Zu den Kinderbetreuungskosten. Gut, Sie versuchen, etwas zu regeln. Dann merken Sie aber - ich hatte Ihnen am 26. Januar 2011 hier im Plenum eine Frage dazu gestellt -, dass das so, wie Sie es wollen, nicht geht, weil Mütter und Väter dann zum Teil wesentlich höhere Betreuungskosten zahlen müssten. Sie versuchen, darauf zu reagieren. Das, was herauskommt, ist aber wieder Murks. Es ist steuerrechtlich bedenklich, ob das überhaupt durchzuhalten sein wird. Die Mütter und Väter sind jetzt wieder verunsichert, was mit ihrem Geld passiert. Viele von ihnen können Ihrem Vorschlag, ihre Steuererklärung nur alle zwei Jahre abzugeben, auch gar nicht folgen, weil sie zum Beispiel aufgrund der Kinderbetreuungskosten einen jährlichen Entscheid brauchen. Das Gleiche gilt hinsichtlich des BAföG-Antrags. Vor allem aber - meine Kollegin sagte das bereits -: Warum soll ich dem Staat eigentlich zwei Jahre einen Kredit gewähren, wenn ich über die Steuererklärung Geld zurückbekomme, was ich schon jetzt ein Jahr mache? Das ist unlogisch. Ich glaube, das wird niemand tun. ({2}) - Wenn Sie etwas wissen wollen, dann fragen Sie mich. Bleiben wir einmal beim Arbeitnehmerpauschbetrag. Sie sprechen von einer riesengroßen Entlastung. Sie beträgt im Monat 2 bis 3 Euro. Das ist alles; mehr kommt nicht heraus. Die Entlastung einer alleinstehenden Sozialarbeiterin ohne Kind mit einem Jahresbruttoeinkommen von vielleicht 30 000 Euro wird also sehr übersichtlich sein; das sind 25 Euro im Jahr. ({3}) Die Frau kann aber sicher rechnen. Sie sieht dann: Die Entlastung in Höhe von 25 Euro durch die kleine Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages ist zwar schön; aber meine Sozialbeiträge sind in diesem Jahr gestiegen. Meine Krankenversicherung möchte monatlich 8 Euro mehr haben. ({4}) Mit der Politik von CDU/CSU und FDP kommt für diese meine Sozialarbeiterin im Gegenzug eine Mehrbelastung von 96 Euro im Jahr heraus. Das heißt: Sie hat weniger Netto vom Brutto. Das wollten Sie ja wohl nicht, aber das ist Ihre Politik. ({5}) Wir brauchen eine Steuervereinfachung und eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen - diesen Satz unterschreibt hier im Haus wahrscheinlich jede und jeder. Die Frage ist aber, welchen Inhalt die Regelungen haben. Unser Antrag für eine wirkliche Einkommensteuerreform, die automatisch zu Vereinfachungen führen würde, lag Ihnen vor. Sie haben ihn abgelehnt. Wir haben Ihnen einen linear-progressiven Einkommensteuertarif vorgeschlagen, durch den der Mittelstandsbauch, die überproportionale Belastung im mittleren Einkommensbereich, abgebaut würde. Das würde für alle Bürgerinnen und Bürger mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von bis zu 70 000 Euro eine Entlastung bei der Einkommensteuer bedeuten. So weit wollen wir entlasten. ({6}) Das wäre natürlich aufgrund der Individualisierung des Steuerrechts eine wesentliche Vereinfachung. Ihr Vorhaben ist weder Pommes noch Currywurst; selbst die Mayo geht völlig verloren. Es bleibt der leere Pappteller. Danke. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich erinnere mich an das Zitat von Guido Westerwelle. Es ist gerade einmal zwei Jahre her, als er, damals wie heute Vorsitzender der FDP, ({0}) im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket II über die damals immerhin 9 Milliarden Euro teure Einkommensteuerentlastung, die an der Spitze 400 Euro Steuerersparnis für Ledige bedeutete, spottete, das sei wie Currywurst mit Mayo, aber ohne Pommes. Heute legen Sie von der Koalition den Entwurf eines sogenannten Steuervereinfachungsgesetzes vor. ({1}) Wie sieht es denn nun mit der zusätzlichen Portion Pommes aus? Das fragen wir uns alle am heutigen Tag. Wir müssen leider feststellen, dass es damit schlecht aussieht. ({2}) Nicht 9 Milliarden, sondern ganze 330 Millionen Euro hat die Currywurst-und-Mayo-Partei dem Koalitionspartner abgetrotzt, ({3}) um damit den Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 auf 1 000 Euro zu erhöhen. Das bringt für den einzelnen Arbeitnehmer oder die einzelne Arbeitnehmerin maximal 36 Euro pro Jahr. Da muss man sich schon entscheiden, ob es einmal im Monat der Luxus einer Tasse Kaffee oder doch die lang ersehnte Portion Pommes sein soll. Das ist wirklich lächerlich. ({4}) Man könnte sagen: „Schwamm drüber“, wenn man den Eindruck hätte, dass selbst die FDP endlich verstanden hat: Steuersenkungsversprechen sind von gestern; die will keiner mehr hören, auch FDP-Anhänger nicht mehr. ({5}) Aber so ist es leider nicht. Im Gegenteil: Es ist viel schlimmer. Die Frage, ob die 36 Euro im Jahr 2012 oder doch schon im Jahr 2011 an die Beschäftigten ausgeschüttet werden sollen, war Herrn Westerwelle und seiner Currywurst-und-Mayo-Partei tatsächlich die Androhung eines Koalitionsbruches wert. Sie haben außerdem noch für diese 36 Euro der Erhöhung der Tabaksteuer um 4 bis 8 Cent pro Schachtel zugestimmt. Also gibt es keine Zigarette mehr zur Extratasse Kaffee. Das begrüße ich zwar aus gesundheitspolitischer Sicht, aber wir sollten nun zu einer ernsthaften Debatte zurückkehren. ({6}) Trotz allen Steuersenkungsgeredes müssen wir festhalten: Wir haben nicht mehr Netto vom Brutto, sondern weniger. Die 36 Euro, die Sie spendiert haben, werden schon heute von den bis zu 115 Euro aufgefressen, die alle Beschäftigten seit dem 1. Januar zusätzlich in die Sozialkassen einzahlen müssen. ({7}) Sie argumentieren, es gehe nicht um Steuersenkung, sondern um Steuervereinfachung. So heißt es im Titel des Gesetzentwurfs. Dazu meint Horst Vinken, der Präsident der Bundessteuerberaterkammer, das Gesetz konterkariere in weiten Teilen sein Ziel und verschlimmbessere das Steuerrecht. ({8}) Ähnlich äußert sich die Deutsche Steuer-Gewerkschaft, deren Mitglieder das Gesetz in der Steuerverwaltung umzusetzen haben. Ich kann mich dieser Einschätzung nur anschließen. ({9}) Allein Ihr Beharren darauf, den Arbeitnehmerpauschbetrag rückwirkend zu erhöhen, führt nicht zu weniger, sondern zu mehr Bürokratiekosten bei den Unternehmen. Sie weigern sich bis heute, die Frage zu beantworten, auf welche Höhe sich die Kosten belaufen werden. Kinderbetreuungskosten gelten jetzt als Sonderausgaben. Das ist schön, aber leider steht in diesem Bereich noch ein Urteil aus, das die komplette Regelung hinfällig machen könnte. Des Weiteren wollen Sie auf die Prüfung der Einkünfte erwachsener Kinder verzichten - das finden wir so weit in Ordnung. Aber Sie wollen das nur dann, wenn diese noch in der ersten Ausbildung sind. Was soll der Azubi dazu sagen, der später noch Abitur machen will? Die zweijährige Steuererklärung ist das beste Beispiel, wie berechtigt die Einschätzung von Herrn Vinken von der Bundessteuerberaterkammer ist. Erstens lohnt sie sich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht, weil sie nur noch alle zwei Jahre eine Rückzahlung erhalten. Damit geben sie nicht nur einen Kredit, sondern es kommt de facto einer Steuererhöhung gleich. Zweitens ist es keine Erleichterung, wenn man alle zwei Jahre nicht eine Steuererklärung machen kann, sondern zwei machen muss. Das muss dann aber mit einem Zusatzformular beantragt werden. ({10}) - Genau. Das soll einfach sein? ({11}) Aber damit nicht genug; denn drittens hätten die Finanzämter, wenn diese Möglichkeit tatsächlich massenhaft genutzt würde, ein gewaltiges Problem, allein schon wegen ihrer derzeit miserablen Personalausstattung. Stellen Sie sich einmal vor, in diesem Jahr würden alle keine Einkommensteuererklärung abgeben, sondern beide Steuererklärungen im nächsten Jahr gemeinsam einreichen. In Baden-Württemberg haben wir zurzeit 123 Finanzbeamte auf 100 000 Einwohner; das ist eine deutliche Unterausstattung. Stellen Sie sich einmal vor, in welchem wunderbaren Chaos unsere Finanzämter versinken würden, wenn tatsächlich von diesem von Ihnen neu eingeräumten Recht Gebrauch gemacht werden würde. Auch der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat sich zu diesem Gesetzentwurf zu Wort gemeldet. Er hat uns dringend aufgerufen, den gesamten Gesetzentwurf noch einmal zu überprüfen. Dem Beirat ist insbesondere nicht ersichtlich, inwiefern Ihre Vorschläge den sozialen Zusammenhalt stärken und die Generationengerechtigkeit fördern. Als Berichterstatter hat Herr Aumer, ({12}) CSU-Mitglied und Mitglied im Finanzausschuss, die Stellungnahme des Beirats unterzeichnet. Herr Aumer, ich bin gespannt, wie Sie Ihre Empfehlungen in den eigenen Reihen einbringen und durchsetzen werden. Wenn Sie Unterstützung brauchen, dann kommen Sie gerne zu uns. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Auch der Normenkontrollrat spricht fehlende Informationen über die Kosten dieses Gesetzes an. Der Bundesrat fordert, die Pläne zu überdenken. Sie stellen sich stur. Herr Volk kritisiert den Bundesrat - ich zitiere -: Es scheint, als hätte der Bundesrat den Begriff Steuervereinfachung nicht wirklich verstanden … Ich sagen Ihnen, Herr Volk: Der Bundesrat hat das sehr wohl verstanden, wir haben es alle richtig verstanden, nur Sie wollen es nicht verstehen, sondern wollen das Problem vertuschen. Wir alle wissen, Ihr Gesetzentwurf ist kein Steuervereinfachungspaket, sondern ein Placebowerk zum Erhalt des Koalitionsfriedens. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Wir sind heute in der ersten Lesung zu einem Steuervereinfachungsgesetz. Das scheint in der Debatte ein bisschen untergegangen zu sein. Wir haben noch hinreichend Gelegenheit zur Diskussion all der guten Vorschläge zu dem, was wir nicht tun sollten. Ich hoffe, dass Sie die Diskussion dann aber auch durch positive Steuervereinfachungsvorschläge anreichern. ({0}) Diesbezüglich werden wir in den nächsten Wochen gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen. Der Focus titelte im vergangenen Jahr: „Kirchhof dampft Steuerrecht ein“. Aus mehreren Tausend Paragrafen sollen so 400 werden. Ein großer Vorwurf im Zusammenhang mit diesem Steuervereinfachungsgesetz ist, dass es nur ein kleiner Schritt und nicht der große Wurf ist. Da wir vonseiten der Koalition aus CDU/CSU und FDP aber ziemlich sicher sind, dass von Ihnen auch zu dem KirchhofKonzept nur Kritik, aber keine positive Resonanz kommen würde, ({1}) haben wir uns entschieden anzufangen, und zwar mit ganz vielen - zugegebenermaßen jeweils für sich genommen kleinen - Schritten, die mit Steuersenkungen allerdings nichts zu tun haben. Unser Auftrag war von Anfang an, eine Vereinfachung durchzusetzen, die den Bundeshaushalt nicht belastet; denn wir sind überzeugt von der Richtigkeit des Mottos „Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen“. Angesichts der Ergebnisse des EU-Rats sind wir fest entschlossen, den Bundeshaushalt zu konsolidieren und Vereinfachungen zu schaffen, die nicht zu Steuerausfällen in größerem Umfang für den Bundeshaushalt führen. ({2}) Auf die Frage, ob 3 Euro nichts weiter als Pommes mit Mayo sind, antworte ich Ihnen: Wir sind in der Fastenzeit. ({3}) Das gilt nicht nur im Privaten, sondern auch für den Bundeshaushalt. Es geht nicht um Steuersenkungen. Deswegen ist es auch völlig egal, ob es 3 Euro, 13 Euro oder 100 Euro sind. Es geht nicht um Steuersenkungen, sondern um ein einfacheres Steuerrecht, weil das als gerechtere Variante von den Bürgern eher akzeptiert wird. Der wesentliche Teil der Entlastungen, die wir in diesem Vereinfachungsgesetz vorsehen, kommt den Familien zugute. Das gilt insbesondere für die Frage, ob wir die eigenen Einkünfte von volljährigen Kindern in Ausbildung prüfen. Die Abschaffung dieser Prüfung ist ein Vorschlag, den die Steuerverwaltung selbst gemacht hat, weil sie festgestellt hat, dass die Prüfung in 98 Prozent der Fälle zu dem Ergebnis führt, dass die Kinder und Jugendlichen unter dem Freibetrag von 8 004 Euro liegen. ({4}) In Zukunft werden natürlich einige höhere Einkünfte haben. Aber unter dem Aspekt der Vereinfachung glauben wir, dass das akzeptabel ist. Wir wollen künftig insbesondere vermeiden - Frau Arndt-Brauer, Sie haben Ihre Kinder angesprochen -, dass zum Beispiel ein leistungsbereiter 18-Jähriger, der stolz ist, einen Ferienjob ergattert zu haben, und sich während der Ferien sechs Wochen engagieren will, von seinen Eltern zu hören bekommt: Engagier Dich mal ein bisschen weniger; denn sonst bekommen wir kein Kindergeld mehr. ({5}) Wir erziehen mit der jetzigen Regelung eine ganze Generation junger Menschen dazu, weniger zu leisten und lieber Sozialleistungen in Form des Kindergeldes zu beziehen, statt ihnen zu sagen: Es ist gut, wenn ihr euch engagiert; es ist gut, wenn ihr eigene Einkünfte erzielt. ({6}) Deshalb glauben wir, dass die wenigen Fälle, in denen es zu höheren Einkünften kommt, durchaus akzeptabel sind. So gar nicht verstanden habe ich in der bisherigen Debatte die Aussagen zu den Kinderbetreuungskosten. Frau Höll, Sie beschimpfen das Finanzministerium, weil es im Gesetzgebungsverfahren einen Vorschlag von Bürgern aufgreift. Ihren Debattenbeitrag zur Bürgerbeteiligung habe ich bisher völlig anders verstanden. Es gibt nun einmal Bürger, die die Referentenentwürfe lesen - schon das finde ich sehr beeindruckend - und die dann auf uns zukommen und sagen: Habt ihr eigentlich bedacht, dass es Probleme bei den Kindergartengebühren gibt? ({7}) - Nein, das haben Sie nicht eingebracht. Das hatten wir lange vor Ihnen geklärt. Nun reagiert das Finanzministerium auf die Vorschläge von Bürgern, und Sie sagen: So ein Mist! Jetzt habt ihr reagiert, und das Problem ist vom Tisch. - Ich kann nur sagen: Gott sei Dank gibt es Bürger, die die Gesetzgebungsverfahren verfolgen. Es hat Folgen, wenn uns Bürger auf Probleme hinweisen. Sie werden ernst genommen, sowohl vom Ministerium als auch von der Koalition. Wir wollen, dass sich die Bürger beteiligen, Sie offensichtlich nicht. ({8}) Ein weiteres Problem, Frau Arndt-Brauer, ist die Ehegattenveranlagung. Wir haben gemeinsam für das Faktorverfahren gekämpft. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das nicht sehr erfolgreich war. Es gibt nun mindestens fünf verschiedene Varianten für die Ehegattenbesteuerung. Das ist mittlerweile so unübersichtlich geworden, dass der eigentliche Effekt, Einkünfte zwischen den Ehegatten gerecht zu verteilen, nicht mehr erzielt wird. Ich bin sehr gerne bereit, in den folgenden Wochen mit Ihnen über den entsprechenden Passus im Gesetz zu sprechen und nach besseren Lösungen zu suchen. Wenn wir bessere Lösungen finden, sind wir gerne bereit, sie aufzugreifen. Ich glaube, dass das mittlerweile ein Komplex ist, der für Ehegatten nicht mehr überschaubar ist und den Finanzbeamten nur unnötige Mehrarbeit bereitet. Wenn wir andere Lösungen finden: herzlich gerne. Ich freue mich über die Steuerfreiheit von Stipendien. Hier haben wir erhebliche Rechtssicherheit für Familien geschaffen. Es ist jetzt unerheblich, ob das Stipendium unmittelbar für eine wissenschaftliche oder eine künstlerische Ausbildung gewährt wird. Die Gelder sind nun immer steuerfrei. Das Gleiche gilt für die Bereitstellung von verbilligtem Wohnraum innerhalb von Familien. Wenn die Oma, die keine sehr hohe Rente hat, von ihren Kindern durch verbilligten Wohnraum unterstützt wird, dann kann das künftig mit wesentlich weniger bürokratischem Aufwand steuerlich berücksichtigt werden; darüber bin ich froh. Das ist eine echte Vereinfachung für alle betroffenen Fälle. ({9}) Zur steuerlichen Absetzbarkeit von Spenden. Aktuell fließen Spenden aus der deutschen Bevölkerung sehr rege. Es ist aber ausgesprochen ärgerlich für den Spender, wenn er aufgrund eines Fehlers, den er in Unkenntnis der gesetzlichen Regelungen begangen hat, seine Spende nicht steuerlich absetzen kann. Es gibt nun Vereinfachungen, die das vermeiden helfen. Das alles sind Themen aus dem Bereich der Einkommensteuer; darum geht es in erster Linie in diesem Gesetz. Deshalb verwundert es mich gar nicht, dass die Wirtschaftsverbände noch nicht glücklich sind. Aber wir hatten den Auftrag, Einkommensteuervereinfachungen vorzunehmen. Im vorliegenden Gesetzentwurf steht ausdrücklich, dass wir zusammen mit dem Ministerium bis September einen Gesetzentwurf zur Vereinfachung der Unternehmensteuern vorlegen werden; das kommt noch. Trotzdem haben wir diesbezüglich schon einige Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffen, weil sie technisch schon so weit ausgereift waren, dass wir sie in Kraft setzen können. Da geht es zum Beispiel um die elektronische Rechnungstellung. Hier kommt immer die Diskussion auf: Wo ist denn der Entlastungseffekt? Ich glaube, es ist völlig wurscht, ob ich 50 Euro weniger Steuern zahle, wenn ich auf der anderen Seite über 1 000 Euro Bürokratiekosten habe. Für Unternehmen ist wesentlich wichtiger, dass wir sicherstellen, dass wir technisch auf dem neuesten Stand sind. Insbesondere müssen wir sicherstellen - der Staatssekretär hat das eben gesagt -, dass das Sozialversicherungsrecht und das Steuerrecht miteinander harmonieren. Momentan wird in den beiden Ausschüssen noch nicht einmal über das Gleiche diskutiert. So soll ein neues IT-System zur Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge neben dem des Steuerrechts eingeführt werden. Dadurch fallen in der Wirtschaft Bürokratiekosten in Milliardenhöhe an. Das kann nicht richtig sein. Das Gleiche gilt für den Komplex „Konsens“. Es ist für den Bürger ausgesprochen interessant, vieles, was er steuerlich mit den Finanzbehörden zu klären hat, demnächst über den Rechner zu erledigen. Elster.de kommt gut an; das ist ein gutes Programm. Die Bürgerinnen und Bürger nutzen es zahlreich. Wir müssen es auf die Unternehmen ausweiten und zum Beispiel für Zerlegungsbescheide für die Körperschaftsteuer nutzen. Das bringt den Unternehmen erheblichen Zeitgewinn und natürlich auch erhebliche Einsparungen. Zeitnahe Betriebsprüfungen und die E-Bilanz sind schon genannt worden. Im Rahmen der E-Bilanz müssen wir sicherstellen, dass auch auf dem Rückweg von der Steuerverwaltung zum Steuerberater oder zum Bürger die Vereinfachungseffekte wirken und dass der Steuerberater die berichtigte E-Bilanz zurückbekommt. Auch das spart erhebliche Kosten und hat für den Bundeshaushalt keine negativen Auswirkungen. Da wir heute erst mit der Debatte starten, lassen Sie mich sagen: Es gibt Probleme, die wir noch nicht gelöst haben. Eines der größten und leider auch teuersten Probleme, die wir noch nicht gelöst haben, ist die Istbesteuerung. Die Umsatzgrenze bei der Istbesteuerung von 500 000 Euro gilt nur noch bis zum 31. Dezember 2011. Danach fällt sie wieder auf 250 000 Euro zurück. Der Bundesrat hat das in seiner Stellungnahme beanstandet. Der Vereinfachungseffekt liegt darin, dass jetzt Buchführungsgrenzen und Istbesteuerungsgrenzen identisch sind, sodass bis 500 000 Euro Umsatz keine Bilanz zu erstellen ist, wenn man unter der Gewinngrenze bleibt. Wir suchen eine Lösung. Das kostet leider 1,95 Milliarden Euro. Daher kann es keine Lösung sein, dass der Bundesrat das einfach mit in dieses Gesetz packen will; denn bei diesem Gesetz waren die Finanzverwaltung und wir uns einig, dass der Bundeshaushalt die kompletten Kosten trägt, weil wir Länder und Kommunen nicht zusätzlich belasten wollen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle zu: Wir wollen das Problem lösen und werden es angehen. Den Kolleginnen und Kollegen der Länder, die das Protokoll nachlesen, kündige ich schon einmal gute kameradschaftliche Verhandlungen an. Ich glaube, wir werden im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens gemeinsam eine Lösung finden. Das wäre ein zusätzlicher Punkt bei echter Vereinfachung. Ich danke an dieser Stelle dem Zentralverband des Deutschen Handwerks, der gleichzeitig Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht hat. Ich danke auch anderen Verbänden, die unseren Konsolidierungskurs Gott sei Dank unterstützen und bei ihren Vorschlägen zur Steuervereinfachung immer auch die Finanzierung berücksichtigen. Jeder Vorschlag, der gegenfinanziert ist, wird von uns gerne in die Verhandlungen aufgenommen. Ich freue mich auf die Beratungen der nächsten Wochen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat das Wort die Kollegin Sabine BätzingLichtenthäler für die SPD-Fraktion. ({0})

Sabine Bätzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle meine Reden in dieser Legislaturperiode enthielten bisher immer den Aufruf an die Regierungsfraktionen: Machen Sie Schluss mit Ihrer Klientelpolitik! - Leider geben Sie mir mit Ihren Gesetzentwürfen immer wieder Gelegenheit, genau diesen Ausruf anzustimmen. Dabei hören sich Ihre Gesetzentwürfe und die Behauptung dessen, was Sie eigentlich tun wollen, ganz gut an, auch heute. Steuervereinfachungsgesetz - wer könnte dem nicht zustimmen? Es gibt zwar keine Steuersenkungen, die Sie den Menschen vor der Wahl eigentlich versprochen haben, aber Steuervereinfachungen, Vereinfachungen für die Bürger, Vereinfachungen für die Verwaltung. Wer wollte das nicht? Aber setzen Sie das auch um? ({0}) Daran hat nicht nur meine Fraktion Zweifel. Ich darf dazu einige Stimmen zitieren. „Das ist eine Luftnummer der Politik, ein PR-Gag, der niemandem was bringt“, so Herr Ondracek von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft. „Reförmchen“, sagt der Bund der Steuerzahler. „Mogelpackung“, sagt Horst Vinken, der Präsident der Bundessteuerberaterkammer. Der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine erklärt, dass die gemeinsame Abgabe von Steuererklärungen für mehrere Jahre in der jetzigen Form nicht zu Ende gedacht und deshalb abzulehnen sei. Shakespeare hat es schön formuliert: „Much Ado about Nothing“. Auf Deutsch: Viel Lärm um nichts. ({1}) Genau das trifft es auf den Punkt. Ich gehe gerne auch in die Einzelkritik. Kommen wir zur Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrages. Sie wollen etwas für Arbeitnehmer tun. Das finden wir richtig. Besser gesagt: Wir fänden es richtig, wenn Sie es denn richtig tun würden. Das tun Sie aber nicht. Sie erhöhen zwar die Arbeitnehmerpauschale. Nur, wem nützt das? Die Arbeitnehmer können ihre Werbungskosten pauschal oder tatsächlich absetzen. Wer also höhere Kosten als die hat, die von der Pauschale abgedeckt werden, wird diese Kosten in voller Höhe absetzen und muss weiter Belege sammeln. Von der Neuregelung profitiert also nur derjenige, der gar keine höheren Kosten hat. Sie verteilen also Geschenke, nämlich einen steuerlichen Ausgleich für nicht angefallene Kosten. Da frage ich mich, Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP: Haben Sie es tatsächlich so üppig, dass Sie sich erlauben können, solche Geschenke zu machen? Oder hätte man die dafür vorgesehenen 330 Millionen Euro nicht besser verwenden können? Wäre die Anhebung der Behindertenpauschale vielleicht nicht doch die bessere Alternative gewesen? ({2}) Schon bei den Verhandlungen zu Hartz IV haben Sie die Interessen der Menschen mit Behinderungen hinten runterfallen lassen, und Sie tun das jetzt schon wieder, obwohl viele die Erhöhung dieser Pauschale gefordert haben: die Länderfinanzminister, der Bundesfinanzminister. Aber diesen Forderungen wollten Sie nicht Folge leisten. Dabei wurden diese Pauschbeträge seit langem nicht angehoben, und sie decken die tatsächlichen Aufwendungen in den meisten Fällen nicht mehr. Hier wäre Klientelpolitik also einmal lobenswert gewesen. Aber anscheinend ist das nicht Ihre Klientel. ({3}) Glücklicherweise haben Sie dennoch die Interessen des kleinen Bürgers auf Ihrem Plan; schließlich muss er seine Steuererklärung, wenn es nach Ihnen geht, nur noch alle zwei Jahre machen. ({4}) Das klingt vordergründig ja ganz gut. Denn wer macht schon gern eine Steuererklärung? Nur derjenige, der Geld zurückbekommt oder das erwartet! Das sind nach Herrn Ondracek 21 Millionen von 22 Millionen Arbeitnehmern. Wenn ich richtig rechne, ist diese Gesetzesänderung, die Sie vorhaben, für 21 Zweiundzwanzigstel der Arbeitnehmer uninteressant. Gute Quote! Alle Achtung! ({5}) Da frage ich mich, wen Sie damit entlasten. Die Steuerverwaltung? Nein, die auch nicht; denn die muss die Steuererklärungen von 1 Million Arbeitnehmern dann noch besonders im Auge behalten. Somit, liebe Kolleginnen und Kollegen - damit komme ich auch zum Schluss -, habe ich nicht nur recht damit, dass Sie immer wieder eine Klientelpolitik betreiben, sondern ich habe auch recht mit meiner Behauptung, dass Sie die Expertenmeinungen konsequent ignorieren, so geschehen beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz und beim Schwarzgeldbekämpfungsgesetz. Hier geschieht das schon wieder. Steuervereinfachung? Entlastung der Bürger? Entlastung der Verwaltung? Der große Durchbruch? Fehlanzeige! Auf all das werden wir dann wohl bis 2013 warten müssen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/5125 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Hilde Mattheis, Dr. Karl Lauterbach, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einführen Chancen zu nötigen Veränderungen nutzen - Drucksache 17/2480 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({0}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Hilde Mattheis von der SPD-Fraktion. ({1})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere anfangs aus den Empfehlungen des Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Da heißt es in der Präambel: Unsere Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie Menschen, Menschen mit Pflegebedarf und/ oder Behinderung begegnet und insbesondere deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht. Weiter heißt es: Menschen mit Pflegebedarf haben ein Recht auf qualitätsgesicherte, an ihrem persönlichen Bedarf ausgerichtete, Fähigkeiten fördernde und menschenwürdige Pflege, Unterstützung und Zuwendung bis zum Lebensende. Ich meine, diesen Sätzen kann man nur zustimmen. ({0}) Die Konsequenz daraus muss heißen: Wir wollen die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs sehr schnell und ganz gezielt. ({1}) Denn der geltende Pflegebedürftigkeitsbegriff steht seit langem in der Kritik. ({2}) Er gilt als zu eng, zu verrichtungsbezogen und zu einseitig somatisch ausgerichtet. Die frühere Bundesregierung, die damalige Bundesministerin Ulla Schmidt, hat einen Beirat zur Überprüfung und Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs eingesetzt, damit eine Grundlage für eine gesetzliche Verankerung eines solchen Begriffs geschaffen wird. Dieses Vorgehen stand nicht unter dem Motto: Jetzt setzen wir einen Beirat ein, und dann sehen wir einmal, was wir mit dem Ergebnis machen. - Dieser Beirat wurde eingesetzt, um die Reform anzugehen! Für uns war die Einsetzung des Beirats mit dem erklärten Ziel verbunden: Wir wollen die Ungerechtigkeiten bei der Einschätzung der Beeinträchtigungen von Menschen und die Ungleichbehandlung von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen abbauen. Wir wollen weg von der Minutenpflege hin zu einem Pflegebedürftigkeitsbegriff, der auch die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Menschen mit psychischen und kognitiven Beeinträchtigungen berücksichtigt. Wir fordern diesen Paradigmenwechsel hin zu einer ganzheitlichen Sicht auf pflegebedürftige Menschen, um ihrem Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe gerecht zu werden. Daher war der von Ulla Schmidt eingesetzte Beirat in unseren Augen erfolgreich. Seit 2009 liegen die Vorschläge vor. Fast vier Jahre haben sich eine Vielzahl von Sachverständigen, von Vertreterinnen und Vertretern von Fachverbänden und Vereinen sowie Gewerkschaften, der Deutsche Pflegerat bis hin zu den kommunalen Spitzenverbänden dieser Aufgabe gewidmet. Mit großer Einigkeit wurden die Empfehlungen ausgesprochen. Es sei an dieser Stelle erlaubt, zu sagen: Deshalb formulieren und fordern wir in unserem Antrag auch - und damit sehen wir uns bei dem Ergebnis des Beirates nicht nur in Einigkeit mit diesen Verbänden und Vereinen sowie mit den kommunalen Spitzenverbänden, sondern erfahren auch Zustimmung von einer breiten Öffentlichkeit -: Wir wollen nicht weiter warten, sondern der Pflegebedürftigkeitsbegriff muss jetzt geändert werden. ({3}) Die jetzige Regierung hätte auf diese gute Vorarbeit seit anderthalb Jahren aufbauen können. ({4}) Und ich frage dazu einmal: Wann war es im Bereich der Gesundheits- und Pflegepolitik mal der Fall, dass es seitens der unterschiedlichsten Akteure eine breite Zustimmung zu einem Ergebnis gegeben hat? Oder ist dies dem FDP-Bundesminister einfach zu viel Konsens, dass er auf diese gute Vorarbeit nicht zurückgreifen mag? Das muss man einmal fragen. Will er sich in diesem Bereich der Gesundheitspolitik lieber auf einzelne Lobbygruppen verlassen als auf ein breites, von der Öffentlichkeit getragenes Ergebnis? Das muss man an dieser Stelle schon fragen, Frau Widmann-Mauz. ({5}) Jetzt ist 2011. Der Minister lädt weiterhin zu Gesprächsrunden ein, aber ohne sichtbares Ergebnis. Auch der Beirat wird wieder ins Ministerium geladen, schön. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, endlich einen Gesetzentwurf einzubringen. ({6}) Wir fordern, dass die Teilhabe als ganzheitliche Herausforderung gesehen wird. Wir fordern auch, dass es eine Verbesserung im Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure und Zuständigkeiten gibt. Wir fordern mehr Durchlässigkeit zwischen diesen einzelnen Systemen. Uns ist auch klar, dass, weil alles mit allem zusammenhängt, jetzt die Frage nach der Finanzierung kommt: Wir fordern die Bürgerversicherung Pflege, um diese Reform finanzieren zu können. ({7}) Wir wollen, dass Sie endlich handeln. Dazu gehe ich auch auf die Große Anfrage der Linken ein, die vermutlich mit dem gleichen Ziel formuliert worden ist. Darauf hat die Bundesregierung geantwortet: Ziel ist es, die Pflegeversicherung und die Rahmenbedingungen für die pflegerische Versorgung so weiterzuentwickeln, dass auch in Zukunft das Recht auf eine würdevolle Pflege und Betreuung eingelöst werden kann und Versorgungsdefizite vermieden werden. Dazu kann ich nur sagen: Lassen Sie diesen Worten Taten folgen! Ich danke. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Willi Zylajew von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst ganz herzlich bei der SPD-Fraktion bedanken, namentlich bei der Kollegin Mattheis: Mit diesem Antrag haben Sie uns wieder einmal die Chance gegeben, deutlich zu machen, wie gut wir im Bereich der Pflege arbeiten. ({0}) Sie geben uns damit die Chance, zu sagen, wo wir stehen und wie schnell wir zu konkreten Ergebnissen gekommen sind. ({1}) Wie immer in den letzten 20 Jahren können sich die Menschen im Land darauf verlassen: Wenn eine christlich-liberale Koalition regiert, ({2}) gibt es Fortschritte in der Pflege, kommen wir weiter und wird das Leistungsspektrum den Erfordernissen angepasst. ({3}) Auf die SPD ist auch Verlass: Nämlich immer dann, wenn Sie in der Opposition sind, entwickeln Sie forsche Forderungen, stellen sie in den Raum ({4}) - dazu komme ich noch - und verbrauchen die Energie, die Sie in der Zeit aufgespart haben, als Sie in der Regierung waren. ({5}) Mehr haben Sie doch bislang nicht zu bieten. Ich wiederhole - das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Die SPD steht für Ruhephasen bei der Pflege immer dann, wenn sie das Ministerium innehat und die Ministerin stellt. ({6}) Sie haben darauf hingewiesen, dass die Ministerin Schmidt den Beirat 2006 eingesetzt hat. ({7}) Das ist wahr; das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass die Ministerin ganz präzise den Auftrag erteilt hat, bei der Pflegereform nicht schon 2007/2008 zu einem Ergebnis zu kommen, sondern frühestens 2009, zum Ende ihrer Amtszeit. Das heißt, Sie haben planmäßig den Beirat beauftragt, bis zum Ende - ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich bitte jetzt, dem Kollegen Zylajew das Wort zu lassen, sodass alle anderen wenigstens zuhören können. Bitte schön. ({0})

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben planmäßig darauf hingewirkt, dass erst am Ende der Wahlperiode die Ergebnisse des Beirates für eine Pflegereform vorgelegt wurden. Ich darf auch noch darauf hinweisen, dass Frau Schmidt diesen Auftrag Herrn Wilhelm Schmidt gegeben hat, dem Beiratsvorsitzenden und Bundesvorsitzenden der AWO. Der ist ihr dann allerdings abhandengekommen. ({0}) Am 26. April 2008 - das Schreiben habe ich dabei; ich stelle es Ihnen gerne zur Verfügung - hat Herr Schmidt sein Amt niedergelegt und seine Position im SPD-Vorstand aufgegeben, ({1}) weil er sich durch einen Artikel im Vorwärts sehr beleidigt fühlte. Im SPD-Vorwärts wurden in einem Bericht über Pflegeskandale die Leistungserbringer als „PflegeMafia“ bezeichnet. ({2}) So stand es im Vorwärts. Ich habe, wie gesagt, die Briefe dabei. Wilhelm Schmidt, SPD-Mitglied immerhin seit 1964, wollte sich nicht als „Pflege-Mafioso“ von der SPD beschimpfen lassen und legte sein Amt als Beiratsvorsitzender nieder. So weit also zum Herzensanliegen Pflege und den hier von der SPD erzielten Fortschritten. ({3}) Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP und die Kolleginnen und Kollegen von der Union sind Herrn Dr. Gohde, aber auch den anderen Damen und Herren, die im Beirat waren, ausgesprochen dankbar, dass es am Ende ein einstimmiges Votum gab, wie Sie ja schon hervorgehoben haben. ({4}) - Auch bei einer Enthaltung ist das Ergebnis in Deutschland normalerweise immer noch einstimmig; ich weiß natürlich nicht, wie das bei der SPD ist. ({5}) Es herrschte also Einstimmigkeit zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern, Pflegewissenschaft, Arbeitgebern und Gewerkschaften. Sie alle haben zusammen einen Vorschlag entwickelt, der fünf Pflegestufen vorsieht und auch Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die man bisher - da gebe ich Ihnen recht - noch nicht in ausreichendem Umfang erfasst hatte, erfasst, und zwar, ohne die anderen zu vernachlässigen. Das ist eine großartige Leistung, was diese Damen und Herren erreicht haben. Sie sind auch planmäßig zu diesem Ergebnis gekommen, so wie von Ulla Schmidt und der SPD gewünscht, nämlich zum Ende der letzten Wahlperiode. Nun hat unsere Koalition sich vorgenommen, diesen Pflegebegriff in dieser Wahlperiode einzuführen. Die Wahlperiode ist jetzt anderthalb Jahre alt. Derzeit arbeiten wir intensiv daran. Wir wollen dieses Modell umsetzen und Verbesserungen erreichen; denn die Erarbeitung von Versorgungsplänen und Pflegeberichten kann über diesen Weg erleichtert werden. Wir sind auch der Auffassung, dass wir mit den neuen fünf Pflegestufen nicht zu einem Bürokratieaufwuchs, sondern zu einem Bürokratieabbau kommen müssen. Dies verlangt erhebliche Anstrengungen. ({6}) Wir wissen, dass die Situation von Kindern mit Behinderungen über den neuen Pflegebegriff besser berücksichtigt wird. Wir wollen die sogenannte Minutenpflege ersetzen. Hier wollen wir einen Paradigmenwechsel. ({7}) - Ja, Frau Schmidt wollte das. Sie ist in den Ruhestand gegangen. Es macht doch keinen Sinn, dass Sie viel wollen, wenn Sie nicht gestalten können. Das wissen wir. Es kommt eben auch darauf an, dass wir das, was wir wollen, auch umsetzen, wenn wir die Chance haben. ({8}) All dies braucht Sorgfalt und Zeit. Diese Zeit nehmen wir uns. Wir danken insbesondere Herrn Minister Rösler und seinem Ministerium; ({9}) denn erstmals seit Norbert Blüm hat Pflege im Ministerium einen Stellenwert. ({10}) Das halten wir für durchaus bedeutsam. ({11}) Ich will auf Folgendes hinweisen: Uns ist das Thema Pflege wichtig. Bei dieser Gelegenheit müssen wir auch den Fachkräftebedarf im Auge haben. Dort gibt es einiges zu tun. ({12}) Ausbildung pflegender Angehöriger, Bürokratieabbau sowie Ausbau der Angebote für Menschen mit Demenz sind uns wichtig. Sobald die Inhalte aufgearbeitet sind, müssen wir über die Kosten reden. Dies wird in den nächsten Monaten geschehen. Dann stehen wir auch vor einer spannenden gesellschaftlichen Befassung. Das wird nicht allein das Parlament erledigen können. ({13}) Wir brauchen Verlässlichkeit und Transparenz in der Pflege. Dort sind wir auf einem guten Weg. Ergebnisse liegen vor. ({14}) Das Thema Familienpflegezeit ist diese Woche im Kabinett behandelt worden. Wer hat Sie jemals daran gehindert, so etwas einzuführen? Wir haben es erledigt. ({15}) In Bezug auf die Ausbildung kommen von Ihnen forsche Anforderungen im Bund. Uns wäre es lieber, wenn Sie einmal mit Ihren zuständigen Landesministerinnen und Landesministern sprächen, damit wir hier weiterkommen. ({16}) Wir sind dort zu einer Kooperation mit den Ländern bereit. Lassen Sie mich noch einen letzten Blick auf die Bereiche werfen, die über die Zuständigkeit des Gesundheitsministeriums hinausgehen. Bereich Bildung und Forschung: Frau Schavan stellt die Mittel für Demenzforschung bereit. Dort kommen wir weiter. ({17}) Frau Schavan kümmert sich um den Bildungsbereich. Bereich Familie und Senioren: Kristina Schröder ist die Ministerin, mit der die Einführung von Familienpflegezeit immer verbunden sein wird. ({18}) Sie hat hier die Dinge erreicht, die Sie sich vielleicht einmal gewünscht haben. ({19}) Im Bereich Arbeit können wir uns auf Frau von der Leyen mit ihrem Engagement verlassen, ({20}) im Bereich Soziales ebenfalls. ({21}) Ich denke, wir machen deutlich, dass wir in einem regelrechten Pflegepakt weiterkommen ({22}) und konkrete Ergebnisse erwirken. Wir formulieren nicht nur das, was wir uns wünschen, sondern handeln auch entsprechend. Wenn Sie das an den Stellen mittragen, an denen Sie bereit sind, einsichtig zu werden, wären wir Ihnen sehr dankbar. Am Jahresende sieht die Welt deutlich besser aus als heute, glaube ich. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Kathrin Senger-Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Senger-Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004154, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Pflege liegt uns allen am Herzen; da sind wir uns fraktionsübergreifend einig. Der neue Pflegebegriff liegt bereits seit Anfang 2009 vor. Aber was ist seither im Interesse der Betroffenen passiert? Nichts. Die Linke brachte das Thema Pflegebegriff zuletzt im Januar dieses Jahres auf die Tagesordnung; aber leider gilt noch immer der alte Pflegebegriff: still, satt und sauber. Ich muss sagen: Das ist eine Katastrophe. ({0}) Wir fordern, dass der neue Pflegebegriff mit seinen wesentlichen Elementen endlich umgesetzt wird. Statt Pflege im Minutentakt müssen Selbstbestimmung und Teilhabe für pflegebedürftige Menschen endlich Wirklichkeit werden. Wir meinen, es ist höchste Zeit, das endlich umzusetzen. Die Bundesregierung muss zugeben, dass eine Umsetzung ohne mehr Geld nicht möglich ist - das klang eben bei Ihnen, Herr Zylajew, an - und man die Situation der Betroffenen mit Schmalspurvarianten nicht wirklich verbessern kann. ({1}) Auf den Punkt gebracht: Es darf am Ende keine Kürzungen bei den Pflegebedürftigen geben. ({2}) Eine Pflegeversicherung, die sich „sozial“ nennt, hat die Aufgabe, gute und hochwertige Pflege für alle Betroffenen zu garantieren. Dabei ist der heutige Stand der Pflegewissenschaft entscheidend. Noch immer bekommt ein erheblicher Teil der Menschen, die es bräuchten, nicht einmal die Pflegestufe I zugestanden. Ich denke da insbesondere an Menschen mit Demenz. Sie brauchen enorm viel Zeit der Zuwendung und Betreuung. Die Angehörigen kommen in erster Linie für die anspruchsvolle Betreuung auf; das sind vor allem die Ehefrauen, Schwiegertöchter und Töchter. Sie haben meine allerhöchste Wertschätzung, denn sie kennen keine Freizeit, ganz zu schweigen von Urlaub. Sie sind im allerhöchsten Maße krankheitsgefährdet. Sie sind schlicht überlastet, häufiger von Armut bedroht und in der Folge oft frühzeitig selbst pflegebedürftig. Das wird seit Jahr und Tag billigend in Kauf genommen; das geht doch nicht. ({3}) Im Übrigen macht das Familienpflegezeitgesetz von Ministerin Schröder die Situation der Frauen kein bisschen besser. Herr Dr. Gohde, der Vorsitzende des Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, hat zwei Dinge gesagt: Erstens. Mit dem neuen Pflegebegriff - Sie haben das vorhin schon angesprochen - muss auch die öffentliche Diskussion um den Stellenwert guter Pflege angeregt werden. Zweitens. Mit dem Begriff muss Akzeptanz dafür geschaffen werden, dass wir mehr Geld für die Pflege brauchen. Er hat recht. Ich fordere Sie auf, die Kosten gerecht zu verteilen, ({4}) und zwar nach dem bewährten Prinzip, dass starke Schultern mehr tragen müssen als schwache. ({5}) Das wäre im höchsten Maße sozial und übrigens auch christlich. Wir brauchen dafür eine solide und gerechte Finanzierung. Wir, die Fraktion Die Linke, stehen für die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, in die alle nach ihren finanziellen Möglichkeiten einzahlen, die Schwester und der Pfleger in der Altenpflege genauso wie der Chefarzt im Krankenhaus. Außerdem müssen die Leistungen der Pflegeversicherung deutlich angehoben und zukünftig jährlich angepasst werden. Unser Ziel muss es sein, dass pflegebedürftige Menschen in Zukunft das bekommen, was sie wirklich brauchen. Dieser Aspekt fehlt uns leider im Antrag der SPD. ({6}) Ich finde es sehr gut, dass Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege ausgerufen hat. ({7}) Heute diskutieren wir bereits zum zweiten Mal über das Thema des neuen Pflegebegriffs, und mir scheint, dass man es hiermit nicht so ernst meint. ({8}) Wir sagen: Es müssen endlich Fakten zum neuen Pflegebegriff auf den Tisch gelegt werden. ({9}) Fehlanzeige haben wir auch in Sachen „Finanzierung der Pflegeversicherung“. Bekannt ist nur, dass insbesondere die FDP eine Pflegekopfpauschale einführen will. Das belastet in erster Linie wieder einmal Menschen mit geringen und mittleren Einkommen. Anstatt das den Menschen klipp und klar zu sagen, wird vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg der Ball so lange flach gehalten, bis alles halbwegs in trockenen Tüchern ist. Aber glauben Sie mir: Die Menschen merken das. Im sogenannten Jahr der Pflege ist das nicht nur mir ein Dorn im Auge. Herr Minister Rösler - er ist nicht anwesend, aber Sie werden es ihm ausrichten - soll nicht von einem Pflegedialog zum nächsten hetzen, was ohnehin nichts anderes ist als ein gut inszeniertes Ablenkungsmanöver. Meine Aufforderung an Minister Rösler lautet: Handeln Sie! ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine AschenbergDugnus von der FDP-Fraktion. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff erinnert mich stark an die Debatte über die UPD. Wir alle sind uns, wenn wir die Detailfragen einmal außen vor lassen, im Grunde einig, was wir wollen. Sowohl bei der UPD als auch beim Pflegebedürftigkeitsbegriff hatte das Ulla-Schmidt-Ministerium schon einmal ein paar Gedanken skizziert - und uns dann, wie immer, eine Baustelle hinterlassen, für die wir jetzt verantwortlich gemacht werden ({0}) und die wir, wie Frau Mattheis fordert, ganz schnell abräumen müssen, obwohl die Sozialdemokraten selbst es waren, die in der letzten Wahlperiode bei so vielen Projekten erst schwach angefangen und dann doch stark nachgelassen haben. ({1}) Unser Gesundheitsminister hingegen hat sich von Anfang an mit dem Thema Pflege befasst; denn das ist ihm persönlich ganz besonders wichtig. ({2}) Philipp Rösler hat das Jahr 2011 nicht ohne Grund zum Jahr der Pflege ausgerufen. ({3}) Sie werden sehen - wenn Sie einmal zuhören -: Am Ende der konzeptionellen Arbeit werden wir Ihnen etwas vorlegen, an dem Sie wahrscheinlich nicht einmal Kommafehler kritisieren können. Also keine Aufregung bitte. ({4}) Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt ins Detail gehen. Wir wollen eine neue, differenzierte Definition der Pflegebedürftigkeit. Wir wollen die Pflegebedürftigkeit neu klassifizieren ({5}) und dabei nicht nur Betreuungsbedarf bei körperlichen Beeinträchtigungen berücksichtigen, sondern auch anderweitigen Betreuungsbedarf, zum Beispiel aufgrund von Demenz. Da sind wir uns doch hoffentlich einig. Der Mensch muss in seiner Gesamtheit betrachtet und auch gepflegt werden. Das ist uns besonders wichtig. Dieser neue Ansatz des Pflegebedürftigkeitsbegriffs wird auch von allen Beteiligten auf Bundes- und Länderebene begrüßt. Auf dieser Basis können wir also arbeiten. ({6}) Denn durch die Einbeziehung von demenziell und psychisch erkrankten Menschen erreichen wir eine gerechtere Pflege. Auch darüber sind wir uns hier hoffentlich einig. ({7}) Das ist - jetzt würde ich an Ihrer Stelle zuhören auch ein Ergebnis der Arbeit von Ulla Schmidt; das gebe ich hier offen und gerne zu. ({8}) - Na sehen Sie, Applaus von der SPD. - Doch, meine Lieben, freuen Sie sich nicht zu früh: Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff kann nicht ohne Systemveränderungen eingeführt werden, und gratis gibt es ihn auch nicht. Genau dazu hat die SPD nichts gesagt. Das ist die von Frau Ulla Schmidt hinterlassene Baustelle, die ich eingangs erwähnt habe. ({9}) Das Einzige, was uns bleibt, ist der Umsetzungsbericht des Beirates. Damit befassen wir uns jetzt. ({10}) Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff hat erhebliche Auswirkungen auf die Sozialversicherungssysteme insgesamt; das müssen wir berücksichtigen. ({11}) Die Frage nach der Finanzierung muss daher ganz neu gestellt werden. ({12}) Insofern ist es erforderlich, ganz offen über Mehrkosten oder Leistungskürzungen zu sprechen. Das ist eine Wahrheit, die wir den Menschen nicht vorenthalten dürfen. Alles andere wäre Augenwischerei. Wir sind uns wohl auch darüber einig, dass wir Leistungskürzungen nicht wollen. ({13}) Wenn wir das System der Pflege insgesamt verbessern wollen, müssen wir langfristig denken. Das System muss insgesamt auf einer soliden Grundlage stehen. ({14}) Dazu gehört auch, dass wir die Finanzierung so zukunftsfest gestalten, dass wir nicht nach kurzer Zeit nachbessern müssen. Die von Pflegebedürftigkeit und Behinderung betroffenen Menschen haben Anspruch darauf, zu erfahren, wie sich das Verständnis der Pflege an sich auf ihre Unterstützungssysteme auswirken wird. ({15}) Klar muss sein: Eine gänzlich unveränderte Weiterführung der heutigen Leistungsstrukturen nur mit neuen oder mehr Bedarfsgraden kann es nicht geben. Das wäre neuer Wein in alten Schläuchen, und das wollen wir nicht. ({16}) Pflege darf aber auch keine rein betriebswirtschaftlich getaktete Veranstaltung sein. Deshalb wollen wir weg vom verrichtungsbezogenen Ansatz. Das ist doch wohl konkret genug; ({17}) denn der wird den berechtigten Ansprüchen der pflegebedürftigen Menschen nicht gerecht. Insbesondere durch den weitergefassten Personenkreis entstehen zusätzliche Kosten. Damit darf man nicht leichtfertig umgehen. Seien Sie sich sicher: Die Länder und Kommunen werden die Umsetzung nur dann unterstützen, wenn die Folgen für ihre eigenen Haushalte geklärt sind. Deshalb machen wir hier keine Schnellschüsse, sondern arbeiten sachlich, zielorientiert und mit Bedacht an einem Gesamtkonzept. ({18}) Leider waren Sie während Ihrer Regierungszeit nicht in der Lage, so ein Konzept vorzulegen, aber das sind wir ja gewohnt. ({19}) Notwendig ist eine strukturelle und systematische Unterscheidung zwischen dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen; denn die unterschiedlichen Leistungsträger brauchen praktikable und leistungsrechtliche Abgrenzungen, an denen sie sich entlanghangeln können. Das können wir nicht ignorieren. Wir betrachten die Pflege aus einer neuen Perspektive. Wir nehmen die Lebenslage von pflegebedürftigen Menschen umfassend in den Blick. Im Ergebnis werden wir die Pflegebedürftigkeit neu definieren. Wir brauchen eine professionelle Pflegepraxis, die wir neu installieren müssen. Wir brauchen also die Abkehr von der Minutenpflege, und wir müssen offen sein für neue Praktiken. ({20}) Das heißt, wir brauchen neue Formen der Leistungserbringung, bezogen auf die ambulante sowie die stationäre Pflege, bezogen auf das persönliche Budget und das betreute Wohnen. All diese Begriff müssen weiterentwickelt werden. ({21}) Daran arbeiten wir in der Koalition. Daran arbeitet auch der Minister intensiv. Er führt viele Gespräche. Zum Schluss kann ich mich nur meinem Kollegen Lanfermann anschließen, ({22}) der am 28. Januar 2011 von dieser Stelle aus sagte: … erst reden, dann denken und prüfen, dann entscheiden und dann handeln. ({23}) In dieser Reihenfolge wird das gemacht. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elisabeth Scharfenberg von Bündnis 90/Die Grünen.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn der Kollege Zylajew während seiner Rede weitgehend nur die Szenen aufgearbeitet hat, die sich hinsichtlich der Pflegepolitik in der schwarz-roten Ehe abgespielt haben, ({0}) muss ich doch betonen, dass es im Bereich der Pflegepolitik wenig gibt, bei dem wir uns so einig sind. Wir alle in diesem Haus fordern die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Die SPD unterstreicht das mit ihrem Antrag zu Recht. Die Pflegeversicherung muss endlich weg von der körperorientierten Ausrichtung. Dieser einseitige Blick schließt sehr viele Menschen aus. Der Blick muss geweitet werden. Demenzielle Störungen und kognitive Veränderungen müssen genauso gesehen werden wie die Potenziale von Pflegebedürftigen. ({1}) Pflege bedeutet nicht nur Versorgung. Das müssen wir endlich begreifen und umsetzen. Pflege bedeutet auch, den Betroffenen die Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu eröffnen. Pflege ist übrigens keine Frage des Alters, und Pflege ist auch nicht die Endstation des Lebens. ({2}) Die Betroffenen - ich meine zum Beispiel Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen - stehen unter einem ungeheuren Druck. Diese Menschen warten seit Jahren auf wirkliche Leistungsverbesserungen. Das sieht die Bundesregierung im Kern eigentlich auch so. Laut dem Koalitionsvertrag ({3}) wollen CDU/CSU und FDP „eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit“ und „mehr Leistungsgerechtigkeit in der Pflegeversicherung“ schaffen. ({4}) Aber seit über zwei Jahren liegen die Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs auf dem Tisch des Bundesgesundheitsministeriums. Passiert ist seitdem nichts. Außer vielen warmen Worten hören wir von Herrn Rösler nichts darüber. ({5}) Wir hören nicht, wie sich der Gesundheitsminister die Umsetzung eines überarbeiteten Pflegebedürftigkeitsbegriffs vorstellt. Ich finde das unglaublich und unbegreiflich. Gerade ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff bietet die Chance, ganz neue Wege zu beschreiten sowie die pflegerische Versorgung neu auszurichten. Uns allen ist klar: Das ist kein einfaches Projekt. Dennoch: Dieses ambitionierte Projekt muss jetzt endlich angepackt werden. ({6}) Der Gesundheitsminister wird diese Aufgabe nicht durch seine Strategie des Nichtstuns bewältigen können. Da helfen auch die sicherlich gut gemeinten Pflegedialoge nicht weiter. Er muss jetzt endlich handeln, anstatt ständig nur blumige Reden zu halten. An seinen Taten werden wir und alle Pflegebedürftigen in diesem Land den Minister messen. Wir stehen vor der schwierigen Frage, welche Leistungen die Pflegebedürftigen in Zukunft von der Pflegeversicherung bekommen sollen. Die Lösung kann nicht sein, manchen Betroffenen mehr Leistungen zu geben und anderen dafür Leistungen zu streichen ({7}) und das vor dem Hintergrund, nicht mehr Geld auszugeben. Ich sage ganz klar: Umsonst ist gute Pflege nicht zu haben. ({8}) Das scheint aber die FDP zumindest anders zu sehen. ({9}) Herr Lanfermann und Herr Solms haben am 18. Februar in der WELT ganz unmissverständlich erklärt, die FDP wolle und werde eine Beitragserhöhung in dieser Legislaturperiode verhindern. ({10}) Liebe FDP-Kolleginnen und -kollegen, was haben Sie sich dabei gedacht? Eine Beitragserhöhung ist schon deshalb nötig, um kurzfristig zu verhindern, dass die Pflegeversicherung 2014 ins Defizit rutscht. Das gilt erst recht, wenn man die Leistungen verbessern muss. Das muss man tun, wenn man die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ernst meint. Die private Kapitaldeckung, die die FDP unbedingt will, hilft kurzfristig überhaupt nicht. Diese Kapitaldeckung wird erst in vielen Jahren greifen. Wenn die Liberalen also gegen eine Beitragserhöhung sind, kann das nur eines bedeuten: Die FDP will die Leistungen der Pflegeversicherung kürzen, anstatt sie zu verbessern. ({11}) Denn, wie gesagt: Der Beitragssatz muss erhöht werden, allein um die jetzigen Leistungen auf dem derzeitigen Niveau zu halten. Bei diesen Aussagen der FDP können wir die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs - ich sage das ganz salopp - einfach nur in die Tonne treten. Erfreulicherweise gibt es Stimmen aus der Union, die die Kapitaldeckung strikt ablehnen. Da kann ich nur in Richtung von Herrn Singhammer sagen: Bleiben Sie stark; unsere Unterstützung haben Sie. ({12}) Es kann nicht sein, dass sich diese Koalition von parteipolitischer Ideologie leiten lässt. Ich befürchte: Das lässt eine Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum Opfer von Ideologien werden. Herr Rösler führt seine medienwirksamen Dialoge. Er sollte sich bei diesen Dialogen jedoch weniger selbst inszenieren. Er sollte stattdessen zuhören, was die wirklichen Bedürfnisse der Menschen sind, und diese ernst nehmen. ({13}) Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff ist notwendig, bevor überhaupt irgendetwas anderes Pflegepolitisches angepackt wird. Der Herr Minister selbst hat das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege ausgerufen. Ich nehme ihn hier beim Wort. ({14}) Vielen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in unserem Land werden zum Glück immer älter. Innerhalb eines Jahrhunderts hat sich die Lebenserwartung verdoppelt. Wer heute beispielsweise mit 65 Jahren in den Ruhestand geht, hat meistens noch viele Jahre vor sich: Männer durchschnittlich 17 Jahre, Frauen etwa 20 Jahre. Ein immer größerer Teil dieser Jahre wird in guter Gesundheit verbracht. Hierzu beigetragen hat sicherlich auch das gestiegene Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung. Viele Menschen nutzen diese Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben kreativ mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen. Sie engagieren sich in Vereinen und Verbänden, betreuen ihre Enkel oder pflegen Angehörige. Sie leisten damit einen unschätzbaren Beitrag für die Gesellschaft, erbringen eine soziale Rendite, die im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar ist, nicht nur für die anderen, sondern vor allem für sich selbst. Denn die Lebenszufriedenheit steigert sich dadurch; dies hat viel mit sozialer Einbindung zu tun. ({0}) Gesundes Älterwerden ist also nicht allein eine Frage körperlicher oder seelischer Gesundheit, sondern wird maßgeblich mitbestimmt durch die Lebenseinstellung und Lebensgestaltung. Dazu, dass dies gelingt, kann der Einzelne, aber auch die Gesellschaft viel beitragen, vor allem durch die Botschaft: Jeder Einzelne ist wichtig, jeder Einzelne wird gebraucht und ist wertvoll, so, wie er ist. ({1}) Das gilt besonders dann, wenn im höheren Alter die eigenen Kräfte nachlassen, es zu verstärkten gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt und insbesondere Hochbetagte nun selbst auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Die Pflegeversicherung ist ungeachtet aller Reformnotwendigkeiten ein wichtiger Baustein der sozialen Sicherung in Deutschland. Sie genießt hohe Akzeptanz, nicht nur bei den Versicherten, sondern vor allem auch bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Die Leistungen der Pflegeversicherung tragen zur finanziellen Entlastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen bei. ({2}) Dabei nutzt eine isolierte Betrachtung von Einzelaspekten, wie es die SPD in ihrem Antrag fordert, nicht. Pflege ist vielschichtig. Pflege ist vielgestaltig. Wir wollen vor allem eine Stärkung pflegender Angehöriger und eine verbesserte Einbeziehung von Demenzkranken erreichen und eine finanzielle Grundlage schaffen, die stabil, sozial gerecht und zukunftsfest ist. ({3}) In Bayern leben rund 300 000 pflegebedürftige Menschen. 203 000 davon leben zu Hause. 70 Prozent davon werden ausschließlich von Familienangehörigen, Nachbarn und Freunden gepflegt. ({4}) Dies zeigt: Die Familie ist der größte Pflegedienst in Deutschland. ({5}) Das wird in diesem Land leider viel zu wenig wahrgenommen, viel zu wenig beachtet und anerkannt. Familie hat, wie so oft, keine Lobby in dieser Gesellschaft. Das wollen wir ändern, und das werden wir ändern. ({6}) Das, was Angehörige leisten, ist enorm. Hier wird die Partnerschaft zwischen Jung und Alt gelebt; dies gilt es zu unterstützen. Deshalb werden wir die pflegenden Angehörigen stärken. Ein sinnvoller Ansatz ist die Einführung einer Familienpflegezeit, die wir als christlichliberale Koalition auf den Weg gebracht haben. Die Familienpflegezeit trägt zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf bei. Sie ist gut und hilfreich. ({7}) Die pflegenden Angehörigen wünschen sich zudem mehr Beratung und Hilfestellung bei der Bewältigung der anspruchsvollen täglichen Aufgaben und einfach auch einmal - zumindest zeitweise - eine Entlastung. Dabei kann, wie vorgeschlagen, der Ausbau der Tagespflege, jedenfalls eingestreut in stationäre Einrichtungen, und eine flexiblere Kombination von Leistungen, beispielhaft von Pflegegeld und Leistungen für die Tagespflege bzw. den ambulanten Dienst, helfen. Diese Vorschläge sind gut. Wir werden prüfen, welche umsetzbar sind. Neben der Stärkung der Pflege durch Angehörige wollen wir insbesondere eine bessere Einbeziehung der Demenzkranken erreichen. 1 Million Demenzkranke lebt derzeit in Deutschland. ({8}) Infolge der demografischen Entwicklung ist davon auszugehen, dass in Zukunft mehr Menschen an Demenz erkranken werden, als es bisher der Fall ist. Dieser Entwicklung ist Rechnung zu tragen. Der heute geltende Begriff der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt Menschen mit Demenzerkrankung in der Pflegeversicherung nur sehr unzureichend. Denn der Begriff der Pflegebedürftigkeit zielt auf bestimmte Alltagsverrichtungen ab. Dies wirkt sich insbesondere für Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen nachteilig aus. Das wollen wir ändern. ({9}) Es gibt eine Reihe von Vorschlägen zur Neuregelung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit. Das, was hierbei diskutiert wird, ist ein sozialpolitischer Fortschritt; denn im Kern geht es darum, von der Verrichtungsbezogenheit des derzeitigen Pflegebedürftigkeitsbegriffes, der sogenannten Minutenpflege, wegzukommen und die Betrachtung der Selbstständigkeit und ihrer Einschränkungen in den Blick zu nehmen. Dies fördert ein teilhabeorientiertes Verständnis von Pflege. ({10}) Klar ist, dass mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff das Leistungsrecht neu differenziert und neu definiert werden muss. Dabei müssen auch die Schnittstellen zur Sozialhilfe neu verknüpft werden. All dies ist zu bedenken. All dies geht nicht hopplahopp, wie die einen oder anderen hier, vor allem vonseiten der Opposition, zu meinen glauben. All dies zeigt, dass wir den Mittelbedarf zur Finanzierung der Mehrleistungen und der Schnittstellen, die durch die Weiterentwicklung des Pflegebegriffs entstehen, nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Es gilt, sorgfältig abzuwägen, was notwendig ist und was finanzierbar ist. Dabei steht die bessere Einbeziehung von Demenzkranken im Fokus. Neben der Weiterentwicklung des Leistungsrechts geht es vor allem darum, dass für die Finanzierung der Pflegeversicherung ein sozial gerechtes und zukunftsfestes Fundament gelegt wird; denn in den kommenden Jahrzehnten wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen annähernd verdoppeln. Die rein umlagefinanzierte Pflegeversicherung stößt damit an ihre Grenzen. Sie muss daher um eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt werden. ({11}) All dies zeigt, dass Pflege äußerst vielschichtig ist und einen erheblichen Bedarf auslöst. Das hat man hier zu bedenken. Deswegen werden wir zusammen mit dem Koalitionspartner, mit Minister Rösler und seinem Ministerium sehr zielgerichtet, sehr genau vorgehen und die notwendigen Schritte vollziehen. Ich fordere Sie auf, sich hieran konstruktiv zu beteiligen. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun die Kollegin Mechthild Rawert von der SPDFraktion das Wort. ({0})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Stracke, ich danke für die Aufforderung, dass wir uns beteiligen. Die Frage ist nur: Woran? ({0}) Das blieb bei all Ihren Ausführungen ziemlich unklar. Wir alle haben herausgestellt, dass wir einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff wollen. Schon bei der Einführung der Pflegeversicherung durch Norbert Blüm war klar, dass wir verrichtungsbezogene, rein somatische Pflegeleistungen nicht wollen, dass es hiermit Probleme gibt, dass es zu Ungleichbehandlungen von Pflegebedürftigen und somit zu eklatanten Gerechtigkeitslücken kommt. ({1}) Vor diesem Hintergrund hat Ulla Schmidt die Initiative ergriffen, einen anderen Maßstab zu schaffen. Mit diesem Maßstab wird berücksichtigt, dass, erstens, nicht mehr der Zeitaufwand, sondern der Grad der Selbstständigkeit entscheidend ist und dass, zweitens, andere Inhalte in den Mittelpunkt gestellt werden. Es sollte nicht mehr nur um die Begrenzung auf die Alltagsverrichtungen gehen, sondern darum, dass ein umfassender Pflegebedürftigkeitsbegriff Wirklichkeit wird. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag, unterzeichnet im Oktober 2009, auf diese gute Arbeit Bezug genommen und festgeschrieben - ich glaube, es war auf Seite 93 -: Es liegen bereits gute Ansätze vor, die Pflegebedürftigkeit so neu zu klassifizieren, dass nicht nur körperliche Beeinträchtigungen, sondern auch anderweitiger Betreuungsbedarf ({2}) berücksichtigt werden können. Es ist richtig, dass Bürger und Bürgerinnen und nicht nur die Opposition fragen: Was haben Sie zu der Zeit gedacht? ({3}) Ich frage nicht nur, was Sie gedacht haben, sondern ich frage auch, was Sie in der Zeit geredet haben. Sie prüften, haben Sie gesagt. Aber was prüfen Sie, wenn wir schon aufgefordert werden, uns zu beteiligen? Bis dato liegt diesem Hohen Haus nichts außer einer Ankündigung vor. ({4}) Ankündigungen sind das Letzte, was die Menschen, die Pflegebedürftigen und insbesondere auch ihre Angehörigen brauchen. Wir brauchen keine Ankündigungspolitik, sondern Handlungspolitik. Das ist das, was bei Ihnen fehlt. ({5}) Man wäre natürlich ein Schelm, würde man als böse Opposition vermuten, dass Sie noch keine Vorschläge gemacht haben, weil am Sonntag Wahlen sind und Sie sich vor der Frage: „Wie bringen wir die Pflegebedürftigkeit mit der Finanzreform in Einklang?“ drücken wollen. Dass diese Themen zusammengehören, ist seit Jahren bekannt. ({6}) Frau Aschenberg-Dugnus hat gesagt: Es kommt zu Mehrausgaben. ({7}) Wir wissen aber noch nicht, zu welchen und wie hoch sie sein werden. Das ist allerdings eine Frage, die die Bürger und Bürgerinnen sehr interessiert: Wie hoch werden die Beitragssätze in Zukunft sein? Wofür wird das Geld, das man einnimmt, verwendet? ({8}) Es ist zu befürchten, dass Sie das Lebensrisiko Pflege individualisieren und privatisieren und somit den Ausstieg aus der sozialen, auf Solidarität aufbauenden Pflegeversicherung starten wollen. ({9}) Ich sage Ihnen hierzu ganz klar - ich denke, an dieser Stelle kann ich für die gesamte Opposition sprechen -: Mit uns nicht! Hier haben wir die Bürger und Bürgerinnen auf unserer Seite. ({10}) Ich möchte noch in Kürze auf einzelne Punkte eingehen. ({11}) Pflege ist nicht nur eine Begleiterscheinung des Alters. Übersehen wird zumeist, dass 20 Prozent der Pflegebedürftigen junge Menschen sind. Was wird aus deren Teilhabe und Selbstständigkeit? Ich freue mich - das ist vorhin schon erwähnt worden -, dass wir eine Schnittstellenklärung vorzunehmen haben. Morgen jährt sich zum zweiten Mal das Inkraft11534 treten der UN-Behindertenrechtskonvention. Es handelt sich dabei um eine Herausforderung, die uns alle betrifft. Wer 8,7 Millionen Menschen, die in Betroffenenverbänden organisiert sind, nicht beachtet - das gilt auch für den Bereich der Pflege -, handelt nicht verantwortungsvoll. ({12}) Wir brauchen mehr interkulturelle Pflege. Wir brauchen auch mehr gleichgeschlechtliche Pflege. Davon haben wir von Ihnen noch nichts gehört. Eines sei gesagt: Heute ist Equal Pay Day. ({13}) Daher: Die Pflege in die Familie, in den unbezahlten Raum, in die Hände von Frauen zurückzuverweisen, ist das Schlimmste, was einer guten Pflege passieren kann. ({14}) Frauen, die in der Pflege tätig sind, sind unterbezahlt, und ihre Arbeitsbedingungen sind in der Regel schlecht. Deswegen stimmen sie häufig mit den Füßen ab und geben ihren Beruf sehr schnell auf. ({15}) Es stellen sich die Fragen: Wo sind Ihre Pläne zur Pflegeausbildung? Wie wollen Sie für eine bessere Qualität in der Pflege sorgen? Wie wollen Sie gewährleisten, dass für diesen Bereich mehr Geld zur Verfügung steht? Eines ist klar: Wir alle, die wir heute etwa 50 Jahre alt sind, müssen uns um akzeptable Rahmenbedingungen für die Pflege kümmern. Tun wir dies nicht, werden wir selbst die Leidtragenden sein. Dann wird es nämlich, wenn der eine oder andere von uns im Alter auf Pflege angewiesen sein wird, keine Hauptamtlichen mehr geben. Auch fachgerechte Pflege, die von der Fachwissenschaft anerkannt wird, wird es dann nicht mehr geben. Daher sage ich insbesondere Ihnen, meine Herren: Stimmen Sie einem Entgeltgleichheitsgesetz zu! Sorgen Sie für bessere Rahmenbedingungen in der Pflege! Dann haben auch Sie die Chance, in 30 Jahren eine gute Pflege zu erhalten. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2480 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis d sowie Zu- satzpunkt 13 auf: 8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Intensive Nutztierproduktion überprüfen - Drucksache 17/5047 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth ({2}), Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung von Wildtieren im Zirkus verbieten - Drucksachen 17/2146, 17/5197 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Undine Kurth ({3}) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Tierschutz bei Katzen verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth ({5}), Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tierschutz stärken - Tierheime entlasten - Drucksachen 17/3653, 17/3543, 17/4491 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Dr. Christel Happach-Kasan Alexander Süßmair Undine Kurth ({6}) d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms ({8}), Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schenkelbrand bei Pferden verbieten - Drucksachen 17/4438, 17/5058 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Dr. Christel Happach-Kasan Alexander Süßmair Undine Kurth ({9}) ZP 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Tierheime entlasten - Einheitliche Regelungen schaffen - Drucksachen 17/4851, 17/5198 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Dr. Christel Happach-Kasan Alexander Süßmair Undine Kurth ({11}) Interfraktionell wird vorgeschlagen, dass die Reden zu Protokoll genommen werden. - Ich sehe, Sie sind da- mit einverstanden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Dieter Stier und Dr. Max Lehmer, CDU/CSU, Heinz Paula, SPD, Hans-Michael Goldmann, FDP, Alexander Süßmair, Die Linke, und Undine Kurth, Bünd- nis 90/Die Grünen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5047 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann kommen wir zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Haltung von Wildtieren im Zirkus verbieten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5197, den An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 17/2146 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. 1) Anlage 6 Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/4491. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3653 mit dem Titel „Tierschutz bei Katzen verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3543 mit dem Titel „Tierschutz stärken - Tierheime entlasten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - In diesem Fall ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/5058. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4438 mit dem Titel „Schenkelbrand bei Pferden verbieten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5058 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Zusatzpunkt 13. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Tierheime entlasten - Einheitliche Regelungen schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5198, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4851 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. April 2011, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.