Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008
- Drucksache 16/5377 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Eine Aussprache dazu ist heute nicht vorgesehen. Damit kommen wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf
Drucksache 16/5377 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von
Missbräuchen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Es gibt circa 1 Million GmbHs in
Deutschland. GmbHs sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Das heißt, der Chef haftet nicht mit
seinem gesamten Vermögen, sondern nur mit dem Vermögen, das Teil der GmbH ist.
Das GmbH-Gesetz ist seit 1892 nicht mehr reformiert
worden. Dieses Gesetz hat also sehr lange, bis ins
21. Jahrhundert, Bestand. Nun müssen wir aber feststellen, dass es in anderen Staaten, insbesondere in England,
Rechtsformen gibt, die für Unternehmensgründer in
Deutschland attraktiver zu sein scheinen, namentlich die
englische Limited. Das ist eine Gesellschaft, die man
sehr einfach gründen kann. Man braucht dazu kein Kapital. Man beantragt sie und hat innerhalb von 24 Stunden
die Zulassung. Viele, die in Deutschland eine solche Gesellschaft gründen wollen, erkennen aber nicht, dass die
Nachteile der Limited erst später zum Tragen kommen:
Die Rechnungslegung muss auf Englisch sein und in
London eingereicht werden. Das ist für viele Unternehmer sehr schwierig, weil sie das nicht beherrschen.
Wir haben uns gedacht: Wir müssen die psychologische Barriere, die teilweise besteht, um die GmbH anzunehmen, aufheben und die GmbH für den deutschen
Mittelstand wieder attraktiver machen. Deshalb haben
wir im Kabinett heute eine Reform beschlossen. Es ist
vorgesehen, dass man künftig nicht mehr 25 000 Euro
Startkapital braucht, sondern nur noch 10 000 Euro. Es
ist ferner vorgesehen, die verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahren - wenn man beispielsweise eine
Gaststätte eröffnen will, muss man ein Gesundheitszeugnis beiholen - parallel laufen zu lassen. Man könnte
dann an einem Tag parallel die GmbH und das Gesundheitszeugnis beantragen. Das geht schneller, als wenn
man es nacheinander beantragen muss. Im Moment ist es
so, dass man erst einmal das Gesundheitszeugnis besorgen muss und die GmbH erst dann eintragen lassen
kann.
Wir haben auch beschlossen, dass es künftig eine
sogenannte Mustersatzung geben soll, die wir mit dem
Gesetz veröffentlichen werden. Jeder kann sie fotokopieren, seine Daten eintragen und muss dann nur
noch die Unterschriften beglaubigen lassen. Es bedarf
nicht mehr einer generellen Beratung und Beurkundung
durch den Notar. Selbstverständlich kann der Notar die
Redetext
Unterschriften weiterhin beurkunden, aber man kann
auch nur beglaubigen lassen. Das sind enorme Erleichterungen. Für Unternehmensgründer wird es deshalb sehr
viel einfacher.
Wir haben parallel dazu einen Gedanken des Abgeordneten Gehb aufgegriffen; er ist freundlicherweise gerade anwesend. Wir sehen eine Unternehmergesellschaft, die haftungsbeschränkt ist, vor. Das ist nichts
anderes als eine weitere Einstiegsform der GmbH für
solche Gründer, die keine 10 000 Euro aufbringen können oder wollen. Das heißt, sie können die GmbH künftig sozusagen mit gar nichts gründen, aber sie müssen
sich im Gegenzug verpflichten, 25 Prozent ihres Gewinns in eine Rücklage einzustellen. Ansonsten bleibt es
dabei, dass es eine ganz normale GmbH ist mit derselben
Haftung der Geschäftsführer, mit derselben Satzungspflicht, mit derselben Registerpflicht und mit derselben
Steuerpflicht. Da ändert sich nichts.
Wir waren davon ausgegangen, dass ungefähr
10 000 Euro die Summe ist, die jeder, der ein kleines
Unternehmen gründen will, braucht. Denn selbst wenn
man ein Dienstleistungsunternehmen gründet, braucht
man Geld für einen Computer, ein Telefon, einen Anrufbeantworter, und meistens braucht man auch ein Auto.
Das heißt, bestimmte Grundkosten fallen an. Das Gründungskapital der GmbH, die 10 000 Euro, kann dafür
verwandt werden.
Wir haben uns den Vorschlägen des Kollegen Gehb
nicht verschlossen. Es mag ja sein, dass es Gründer gibt,
die so gut wie gar kein Geld brauchen, weil sie zum Beispiel zu Hause nur vom Telefon aus arbeiten. Da kann
man sich die eine oder andere Möglichkeit vorstellen.
Deswegen haben wir gesagt: Das machen wir parallel.
Durch das Ansparen von 25 Prozent des Gewinns jedes
Jahres wird sich die „Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt“ - so haben wir sie genannt - zu einer GmbH
entwickeln. Sie kann dann ohne Probleme umfirmiert
werden.
Wir werden die Kapitalaufbringung und die Kapitalerhaltung der GmbH optimieren bzw. erweitern. Als
Stichwort will ich nur das sogenannte Cash Pooling nennen. Das heißt, wenn eine Holding mehrere GmbHs hat,
ist es künftig zulässig, dass man alles - die Aktiva und
die Passiva - gegeneinander aufrechnet. Wir haben neue
Vorschläge zur sogenannten verdeckten Sacheinlage gemacht. Das heißt, die Problematik, dass man Auto und
Geld im Grunde gegeneinander austauscht, ist neu geregelt. Es gibt weitere Vorschriften über die sogenannten
Bestattungsfälle, die Pleiten verhindern sollen. Da haben
wir Defizite, die schon länger bekannt sind, aufgegriffen
und einer Regelung zugeführt. Ich denke, damit können
wir zufrieden sein.
Der Gesetzentwurf ist mit den Bundesländern abgestimmt. Er ist auch mit den Verbänden abgestimmt und
hat allenthalben eine große Resonanz gefunden. Wir
werden jetzt noch über den zuletzt eingebrachten Vorschlag zur „Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt“
in den Anhörungen diskutieren müssen. Aber ich denke,
auch dabei wird es keine großen Probleme geben. Die
Bundesregierung geht davon aus, dass der Gesetzentwurf verabschiedet wird und das Gesetz Anfang nächsten Jahres in Kraft treten kann.
Vielen Dank, Frau Minister. - Ich bitte, zunächst Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen.
Frau Dyckmans, bitte sehr.
Frau Ministerin, zunächst freuen wir uns sehr, dass
der Gesetzentwurf nun endlich vorliegt. Es wird schon
sehr lange über die Reform des GmbH-Rechts debattiert.
Wir haben auch viel über die Absenkung des Mindestkapitals diskutiert. Wie Sie wissen, hat der Deutsche
Juristentag die Senkung der Höhe des Stammkapitals abgelehnt. In dieser Diskussion wurde aber immer argumentiert, dass diese Senkung notwendig sei, um die
GmbH auf europäischer Ebene insbesondere im Vergleich zur Limited, die Sie erwähnt haben, wettbewerbsfähiger zu machen.
In Ihrem Gesetzentwurf ist die Möglichkeit der Gründung einer Mini-GmbH - so wird die von Ihnen geschaffene Variante schlagwortartig in der Presse bezeichnet vorgesehen, für deren Gründung überhaupt kein Mindestkapital benötigt wird. Vor dem Hintergrund der juristischen und der wissenschaftlichen Diskussion hätte man
aber die Seriositätsschwelle in Höhe von 25 000 Euro
beibehalten können, wenn man schon die Möglichkeit
der Schaffung einer Mini-GmbH eröffnet. Mich würde
interessieren: Wieso sind Sie dabei geblieben, die Höhe
des Mindestkapitals zu senken?
Frau Abgeordnete, darüber haben wir ausführlich diskutiert. Letztlich waren wir der Auffassung, dass im
Hinblick auf den Gläubigerschutz weder 10 000 Euro
noch 25 000 Euro ausreichend sind. Selbst eine GmbH,
die mit einem Stammkapital von 25 000 Euro gegründet
wird, kann die Forderungen gegen sie im Zweifel nicht
erfüllen. Der Schutz der Gläubiger ist durch diese Regelung so oder so nicht zu gewährleisten.
Wir haben uns dafür entschieden, die Höhe des
Stammkapitals auf 10 000 Euro zu senken. Das ermöglicht uns, eine ganz bestimmte Gruppe von Mittelständlern, die sich selbstständig machen wollen, zu erfassen.
Dabei ist es geblieben. Der andere Vorschlag, den Sie erwähnt haben, ist unabhängig davon hinzugekommen.
Herr Kollege Grosse-Brömer, bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin,
wir alle, die wir Jura studiert haben, haben einmal gelernt, dass Formvorschriften wichtige Funktionen haben.
Das gilt nicht nur für die Schriftform. Auch dadurch,
dass an gewissen Rechtsvorgängen ein Notar zu beteiligen ist, soll sichergestellt werden, dass die Beteiligten
geschützt und aufgeklärt werden.
Vorhin habe ich gehört, dass die Beteiligung eines
Notars bei zukünftigen GmbH-Gründungen weithin
überflüssig werden soll. Selbst die erforderlichen Beglaubigungen müsste man, wenn ich Ihre Eingangsworte
richtig verstanden habe, nicht mehr bei einem Notar vornehmen lassen. Meine erste Frage ist: Wo sollen Beglaubigungen in Zukunft durchgeführt werden, etwa bei der
Gemeinde?
Meine zweite Frage lautet: Können Sie meine Bedenken dahin gehend teilen, dass der Verzicht auf die notarielle Beurkundung unter Umständen bestimmte Nachteile haben könnte bzw. dass sich der Verzicht auf die
dem Notar auferlegten Mitteilungspflichten - Stichwort:
Geldwäschegesetz - künftig auch für die öffentliche
Hand als nachteilig erweisen könnte? Denn wenn man
auf notarielle Beurkundung verzichten würde, dann
würde zum Beispiel niemand mehr bemerken, dass das
zur Gründung einer GmbH benötigte Stammkapital vielleicht aus Ecuador überwiesen wird.
Teilen Sie meine Auffassung, dass der vollständige
Verzicht auf Beteiligung eines Notars eventuell mangelnde Rechtsberatung zur Folge haben könnte, was
vielleicht sogar zu einer verstärkten Inanspruchnahme
der Gerichte führen würde, und dass durch den Wegfall
der Mitteilungspflichten bei der Gründung einer GmbH
zu viele Nachteile entstehen würden, die es nicht rechtfertigen, die Notwendigkeit der notariellen Beurkundung
zu streichen?
Herr Abgeordneter, in Ihrer Frage kommt zum Ausdruck, dass Sie dem Wegfall der Pflicht zur Beurkundung durch einen Notar sehr skeptisch gegenüberstehen.
Diese Einschätzung teilt übrigens auch der Deutsche
Notarverein.
Wir haben im Zuge unserer Bemühungen das Ziel
verfolgt, GmbH-Gründungen einfacher, schneller und
unkomplizierter zu gestalten. Daher ist der Wegfall der
Pflicht zur notariellen Beurkundung in unserem Gesetzentwurf nur bei der Gründung bestimmter GmbHs vorgesehen. Das wird an gewisse Anforderungen geknüpft.
Diese Regelung gilt nicht für jede GmbH, sondern nur
für GmbHs mit höchstens drei Gesellschaftern. Es geht
also um kleinere Betriebe. Ich sage ganz deutlich: Wir
sprechen in diesem Zusammenhang nicht über die großen GmbHs in Deutschland. Es geht wirklich um kleine
Neugründungen und um die Vorstellung, dass es dann
einfacher ist und schneller geht. Wir haben eine Mustersatzung beigefügt, in der quasi nur der Name, der Sitz,
der Gegenstand und das Stammkapital sowie die Vertretung abgefragt werden. Das würde reichen.
Die Unterschriften können vor dem Notar und vor
Konsularbeamten geleistet werden und - das vermute
ich - zumindest in Hessen auch vor den Ortsgerichten,
weil die ja auch beglaubigen dürfen. Da bin ich jetzt aber
nicht hundertprozentig sicher. Insofern wird die meiste
Arbeit nach wie vor beim Notar liegen.
Ich kann nur sagen: Ich würde jedem, der eine GmbH
gründen will, empfehlen, sich trotz der Mustersatzung
vom Notar beraten zu lassen; denn wir wissen inzwischen, dass es vielfach auch Unverständnis gibt. Für die
Beteiligung der Notare gilt ebenso wie für die GmbHGründung, dass viele Menschen, die sich selbstständig
machen wollen, Vorstellungen unterliegen, die nicht real
sind. Für meine Begriffe werden die Schwierigkeiten bei
der Gründung einer GmbH im Verhältnis zur Gründung
einer Limited völlig falsch eingeschätzt. Ich glaube, dass
die Limited als Rechtsform für eine Firma auf der
Strecke sehr viel problematischer ist.
Das Gleiche gilt für die Notarkosten. Viele denken
immer, die Notare seien so teuer. Dabei ist bekannt - Sie
wissen es wahrscheinlich besser als ich -, dass die
Gebühren für eine einfache Beurkundung eines GmbHVertrages mit 10 000 Euro Gegenstandswert 80 bis
100 Euro betragen.
Deswegen kann ich eigentlich nur jedem, der sich
selbstständig machen will, empfehlen, sich vom Notar
beraten zu lassen, auch wenn wir jetzt die Möglichkeit
geschaffen haben, es auch ohne Beratung zu tun. Mit Beratung durch den Notar ist man auf alle Fälle auf der sicheren Seite, und zumindest ich werde auch Werbung
dafür machen.
Es ist aber ein Unterschied, ob ich etwas empfehle
und Werbung dafür mache oder ob ich jemanden gesetzlich verpflichte. Wir wollten eben keine gesetzliche Verpflichtung, sondern wir haben den Bürgern die Freiheit
gelassen. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und soll
dann sehen, wie es geht.
({0})
- Das Problem Geldwäsche sehe ich, ehrlich gesagt,
nicht, weil ja alle GmbHs beim Register angemeldet
werden müssen. Bei der Anmeldung wird auch das
Grundkapital angegeben. Ich wüsste nicht, weshalb der
Notar eher etwas von Geldwäsche mitkriegen sollte. Es
kann ja höchstens ein vager Verdacht sein, weil vielleicht jemand mit dicken Autos vorfährt. Aber einen solchen Verdacht kann er natürlich auch weiterhin melden.
Gibt es von Ihrer Seite weitere Fragen zu diesem Themenbereich? - Herr Kollege Gehb.
Frau Ministerin, erst einmal herzlichen Dank, dass
Sie mich als Spiritus Rector dieser Mini-GmbH sehen.
Der Begriff allerdings tut mir in den Ohren weh, er hört
sich so geringschätzig an. Aber die Neuregelung ist ja
auch sehr abgespeckt. Glauben Sie, dass Sie mit der Aufnahme in den § 5 a und den sehr abgespeckten Voraussetzungen, die hier zu finden sind, tatsächlich eine wirksame Abwehrwaffe gegenüber der Limited - sie ist ja
der Hauptgegner oder das Motiv für die Neuregelung gewesen - geschaffen haben, oder muss man da vielleicht
noch mehr draufsatteln? Teilen Sie die zum Teil geäußerten Befürchtungen, die in zwei Richtungen gehen?
Die einen sagen: Jetzt laufen uns alle von der GmbH
weg. Die anderen sagen: Diese Gesellschaft ist so
unattraktiv, die wird gar keiner annehmen. Das ist das
Spannungsfeld. Ich weiß, dass das eine prognostische
Frage ist, aber wir werden ja auch noch eine Anhörung
durchführen. Mich interessiert jetzt nur einmal Ihre Einschätzung.
Herr Abgeordneter, ich habe noch nie von einer MiniGmbH gesprochen, sondern ich spreche von der „Unternehmergesellschaft - in Klammern: haftungsbeschränkt“. Das hat schon zu großen Lacherfolgen bei der
Pressekonferenz geführt. Dabei soll es auch bleiben.
Bei der Frage, wie wir die Annahme unseres veränderten GmbH-Rechts gerade gegenüber der Limited prognostizieren, haben wir alle gemeinsam eine Aufgabe,
und zwar auch gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern sowie mit
anderen Verbänden, die sich darüber Gedanken machen,
inzwischen auch mit den Vertretungen der freien Berufe.
Wir müssen deutlich machen, dass die Limited nur
scheinbar ein Vorteil für Neugründungen ist und dass die
Verpflichtung, Bilanzen auf Englisch in London vorzulegen, für viele kleine Unternehmen ein riesiges Problem
darstellt und auch kostenintensiv ist; denn sie müssen
dann ja jemanden haben, der diese Arbeit für sie macht,
und das kostet natürlich Geld. Deswegen kann man im
Grunde jedem deutlich machen - da sollten wir uns auch
überlegen, wie wir das werbewirksam mit den Industrieund Handelskammern und anderen verbreiten -, dass wir
sowohl mit dieser „Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt“ als auch mit den Vereinfachungen bei der
GmbH-Anmeldung im Übrigen nunmehr hinreichende
Alternativen zur Verfügung stellen können, damit jeder
in Deutschland die Firma, die er braucht, schnell gründen kann, um seinen Interessen und seinem Wirtschaftsstreben nachzugehen. Das muss - so sehe ich das wenigstens - vor allen Dingen durch eine entsprechende
Werbung vermittelt werden. Ich hoffe, dass uns das gelingt.
Ich sage es einmal so: Es gab in der Vergangenheit
eine Vielzahl an Aufsätzen, in denen sich die Verfasser
Gedanken darüber gemacht haben, wie viele Limiteds
wir in Deutschland haben und ob eine Limited nicht
doch besser ist. Ich glaube, wir müssen langsam dazu
übergehen, die Autoren zu bitten, auch darüber zu
schreiben, wie viele Limiteds in England bereits automatisch gelöscht werden, weil die Leute es nicht schaffen,
ihre Bilanzen rechtzeitig vorzulegen, und welche Nachteile daraus entstehen, damit diese andere Debatte in
Deutschland endlich auch öffentlich und nicht mehr hinter verschlossenen Türen geführt wird.
Gibt es weitere Fragen zum Themenbereich GmbHRecht? - Nein. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen.
Gibt es Ihrerseits Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung? - Auch das ist nicht der Fall. Damit ist
die Befragung hinsichtlich der in der Kabinettssitzung
behandelten Themen beendet.
Gibt es Ihrerseits sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Ich sehe, dass auch das nicht der Fall ist. Damit
beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Bis zum Beginn der Fragestunde um 13.35 Uhr unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wiedereröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/5372, 16/5399 Zu Beginn unserer Fragestunde rufe ich zunächst gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde
und für die schriftlichen Einzelfragen die dringlichen
Fragen auf Drucksache 16/5399 auf.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin
Dr. Dagmar Enkelmann auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
verheerenden Selbstmordattentat auf die Bundeswehr am
19. Mai 2007 in der afghanischen Stadt Kunduz?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin, Ihre
Frage beantworte ich wie folgt: Zuerst möchte ich an
dieser Stelle nochmals unserer Trauer um die Verstorbenen und unserem tiefen Mitgefühl mit den Familien und
Freunden der Toten Ausdruck verleihen. Unsere Gedanken gelten aber auch den bei diesem hinterhältigen Anschlag verletzten deutschen Soldaten und afghanischen
Bürgern. Die sterblichen Überreste werden heute nach
Deutschland überführt. Wir werden heute Abend um
19.30 Uhr in Köln eine Trauerfeier mit den Angehörigen, den Vorgesetzten sowie Vertretern der Bundesregierung und der Länder, in denen die zu Tode gekommenen
Soldaten ihren Dienstsitz hatten, begehen.
Die bei diesem feigen Anschlag getöteten und verletzten Angehörigen der Bundeswehr leisteten - ebenso
wie alle weiteren in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der verschiedensten Ressorts und Organisationen - mit Risiko für Leib und Leben einen wichtigen
Dienst zur Stabilisierung und Friedenssicherung in diesem Land.
Sie fragen nun nach den Konsequenzen aus diesem
Attentat. Wir haben vor Ort alle Maßnahmen getroffen,
um weiterhin den Schutz bestmöglich zu gewährleisten.
Fahrten außerhalb des Lagers werden grundsätzlich in
geschützten Fahrzeugen durchgeführt. Fahrtwege und
-zeiten werden fortlaufend geändert und angepasst, um
keine Indizien über die eigene Absicht zu geben. Dies
wurde im Übrigen schon vor dem Anschlag durchgeführt.
Wie Sie wissen, ermittelt die Generalbundesanwältin.
Parallel dazu führt das Bundesministerium der Verteidigung eine eingehende eigene Untersuchung durch. Daher kann ich zu weiteren sich daraus ergebenden Konsequenzen für die in Afghanistan eingesetzten Soldaten am
heutigen Tage, an dem wir in wenigen Stunden der getöteten deutschen Angehörigen der Bundeswehrverwaltung in einem Trauergottesdienst gedenken, verständlicherweise nicht mehr ausführen. Zur Befindlichkeit ihrer
Kameradinnen und Kameraden in Afghanistan kann ich
sagen, dass es ein angespanntes, aber der Situation angemessenes und von der Entschlossenheit zur Fortführung
des Dienstes geprägtes Klima gibt. Das konnte gestern
der Bundesminister des Auswärtigen wahrnehmen.
Wir halten Äußerungen von Mitgliedern dieses Hauses, namentlich des Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Oskar Lafontaine, der den Dienst der Soldaten der
Bundeswehr in Afghanistan in die Nähe von Terrorismus
gesetzt hat, im Hinblick auf die Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst völlig korrekt und engagiert leisten,
für inakzeptabel und eine unzumutbare Position. Es wäre
sicherlich hilfreich, wenn sich der genannte Kollege zu einer förmlichen Entschuldigung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr durchringen könnte.
Fest steht, dass ein Verzicht auf die Hilfe für das afghanische Volk beim Wiederaufbau seines Landes auch
unter Einsatz der Bundeswehr eine völlig falsche Konsequenz wäre, die den Terrorismus ermutigen würde.
Frau Kollegin, haben Sie eine Nachfrage?
Ja.
Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, zunächst einmal möchte ich sagen, dass meine Fraktion das
Mitgefühl mit den Angehörigen teilt. Es werden selbstverständlich auch Kollegen meiner Fraktion heute
Abend an der Trauerfeier teilnehmen.
Aufgrund der deutlichen Zunahme von Selbstmordattentaten in Afghanistan stellt man sich nicht nur in der
Bundesrepublik die Frage, ob der Einsatz tatsächlich gerechtfertigt ist. Es gibt unter anderem den Rückzug kanadischer Truppen, Frankreich hat angekündigt, Soldaten zurückzuziehen, und in Großbritannien gibt es
ähnliche Überlegungen. Auch der Chef des Bundeswehrverbandes hat eine radikale Änderung der Gesamtstrategie von der Bundesregierung gefordert. Bringt das
nicht auch die Bundesregierung dazu, über diesen Einsatz neu nachzudenken?
Ich habe noch eine zweite Frage, Frau Vizepräsidentin.
Wenn Sie die gleich anschließen und der Staatssekretär einverstanden ist, bitte.
Der Generalsekretär der Welthungerhilfe, HansJoachim Preuß, hat in einem Interview ebenfalls einen
Strategiewechsel gefordert. Er sagte: Mit Militär wird
dieses Land nicht zu befrieden sein. - Das heißt, friedliche Aufbauhilfe wird letzten Endes durch den Einsatz
von Militär behindert. Ist nicht auch hier die Bundesregierung gefordert, im Interesse einer friedlichen Aufbauhilfe in Afghanistan ihre Strategie zu überdenken?
Frau Kollegin, Sie fragen nach den Konsequenzen aus
den Ankündigungen anderer Staaten. Von solchen Ankündigungen oder Entscheidungen anderer Staaten ist
mir nichts bekannt. Ganz im Gegenteil ist die Zusammenarbeit mit den Staaten, die Sie genannt haben, sehr
gut. Wir sind uns mit diesen Ländern - wir befinden uns
übrigens im Rahmen von ISAF nicht in einer kriegerischen Auseinandersetzung, sondern in einer Stabilisierungsaktion, die wir zur Unterstützung des zivilen Aufbaus leisten - in dieser Frage einig.
Zur Aufforderung des Bundeswehrverbandes, namentlich von Herrn Oberst Gertz, zum Strategiewechsel
ist zu sagen, dass der Strategiewechsel spätestens seit
dem Gipfel in Riga stattgefunden hat, und zwar nicht
ganz ohne Zutun der Bundesregierung, die am 13. September letzten Jahres ihr Afghanistankonzept verabschiedet hat. Dieses umfasst nicht nur militärische
Aspekte, sondern auch entwicklungspolitische Fragen
und Fragen der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen. In dem ausführlichen Bericht, der dem
Hause vorliegt, wird sehr deutlich gemacht, dass wir auf
Stabilisierung im militärischen Bereich setzen. Das ist
aber nur ein Schritt auf dem Wege dahin, dass die afghanische Seite langfristig die Fähigkeit erwirbt, sich eigenständig und mit zivilen Mitteln um die Situation in ihrem
Lande zu kümmern. Insofern ist die Strategie, die angewandt wird, genau diejenige, deren Umsetzung öffentlich gefordert wird.
Könnten Sie mir ein Stichwort zu Ihrer zweiten Frage
sagen?
Die zweite Frage betraf den Generalsekretär der Welthungerhilfe, der kritisiert hat, dass die militärische Beteiligung die friedliche Aufbauhilfe nicht unterstützt.
Es ergibt sich zwangsläufig ein Spannungsverhältnis
zwischen den Tätigkeiten der Nichtregierungsorganisationen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
und der Stabilisierungsaktion des Militärs. Dies wird im
Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr im Norden und
darüber hinaus berücksichtigt.
Ich will an einem Beispiel deutlich machen, dass beides ineinandergreifen muss. Wir - damit meine ich ISAF haben im Rahmen einer infrastrukturellen Stabilisierung
den Erhalt, den Ausbau und die Nutzbarmachung eines
Staudamms im mittleren Afghanistan nur dadurch erfolgreich bewerkstelligen können, dass es gelungen ist,
gegnerische militärische Kräfte, namentlich Angehörige
der Taliban, davon abzuhalten, diese Infrastruktur zu
zerstören. Ohne eine solche Infrastruktur wären allerdings - zum Beispiel im Hinblick auf Drogenbekämpfung - keine alternativen Erwerbsmöglichkeiten gegeben. Das müsste nachvollziehbar machen, dass zwar die
Sichtweise unterschiedlich sein mag, dass aber das Zusammenspiel von zivilen und militärischen Elementen
der Stabilisierung in der gegenwärtigen Lage Afghanistans völlig unverzichtbar ist.
Eine weitere Zusatzfrage? - Herr Kollege Gehrcke,
bitte.
Herr Staatssekretär, ich weiß sehr genau, dass der
Zeitpunkt einer tieferen politischen Erörterung außerordentlich schwierig ist. Ich nutze mein Fragerecht, um
klarzustellen, dass kein Mitglied dieses Hauses und meiner Fraktion unsere politischen Differenzen - auch in
Bezug auf Afghanistan - auf dem Rücken von Soldatinnen und Soldaten austragen will. Ich bin mir sicher, dass
das Haus eine geeignete Möglichkeit, zu kondolieren,
noch in dieser Woche suchen sollte. Ich erlaube mir,
diese Anregung zu geben.
Meine Frage bezieht sich auf die politischen Differenzen. Ist es nicht notwendig, jetzt endlich darüber nachzudenken, ob der Bündnisfall nach Art. 5 des Nordatlantikvertrages - er besteht seit 2001 - aufgehoben werden
sollte, um von der Vorgabe „Krieg gegen den Terror“
- das wird ja betont - Abstand zu nehmen und um zu einer anderen Politik zu kommen?
Herr Kollege Gehrcke, ich darf Ihren Hinweis aufnehmen: Zuallererst möchte ich mich im Namen des Bundesministeriums der Verteidigung bei all den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die es heute auf sich
nehmen, nach Köln zu reisen, um dort den Verstorbenen
und ihren Angehörigen ihre Referenz zu erweisen.
Ihre Frage zielt auf die OEF, auf die Operation
Enduring Freedom. Diese Operation ist nicht nur auf
Afghanistan konzentriert; vielmehr wird sie auch am
Horn von Afrika seeseitig durchgeführt. Sie ist dem
Kampf gegen den Terror und die ihn tragenden Organisationen gewidmet.
Was Afghanistan betrifft, wird es darum gehen, dass
das Zusammenspiel der beiden Operationen ISAF und
OEF auch in Zukunft mit einer gewissen Trennschärfe
notwendig sein wird. Die Zielsetzung muss natürlich
sein, diese militärischen Operationen zu beenden, wenn
der Auftrag erfüllt ist. Gegenwärtig sehe ich das noch
nicht als gegeben an.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung dieser Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen
steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Christoph
Bergner zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen HansChristian Ströbele auf:
Wie wird die Bundesregierung bei den bevorstehenden
Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm angesichts
der großräumigen Versammlungsverbote rund um den Tagungsort sowie der angekündigten und bundesweit bereits
durchgeführten Vorkontrollen von Gipfelkritikern sicherstellen, dass die politische Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin beachtet wird, welche sich vergangenen Freitag laut
Tagespresse in Samara gegenüber Präsident Wladimir Putin
nachdrücklich zur Demonstrationsfreiheit - sie sei „besorgt,
wenn jemand gar nichts gemacht hat, sondern nur auf dem
Weg zu einer Demonstration ist“, dann dürften Behörden ihm
keine „Schwierigkeiten bei der Anreise“ machen, sondern
müssten Demonstrationen in einer am Tagungsort „sichtbaren
Form“ zulassen - bekannt hat?
Herr Kollege Ströbele, Ihre beiden dringlichen Fragen
widmen sich den bevorstehenden Protesten anlässlich
des G-8-Gipfels in Heiligendamm, die Sie im Zusammenhang mit dem Bekenntnis der Bundeskanzlerin zur
Demonstrationsfreiheit gegenüber Präsident Wladimir
Putin bewertet wissen wollen.
Ich beantworte Ihre erste dringliche Frage wie folgt:
Im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel in Heiligendamm wird es friedliche Demonstrationen mit einer großen Zahl von Teilnehmern geben. Es steht außer Frage,
dass das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Ausübung des Versammlungsrecht gewährleistet werden.
Dies ist im Übrigen auch ein vorrangiges Ziel aller
Sicherheitsmaßnahmen anlässlich des bevorstehenden
G-8-Gipfels. Deutschland will und wird ein guter Gastgeber sein, sowohl für die Teilnehmer des G-8-Gipfels
als auch für diejenigen, die ihren Protest friedlich vortragen werden. Schließlich wollen wir, dass über die Inhalte des G-8-Gipfels gesprochen und auch kontrovers
debattiert wird.
Die Bundesregierung setzt sich für Hilfen für Afrika
sowie für verstärkten Klimaschutz ein und wird die soziale Dimension der Globalisierung in Heiligendamm
thematisieren. Diese Themen bewegen auch viele der
Gipfelkritiker.
Die originäre Zuständigkeit für die notwendigen
Sicherheitsmaßnahmen liegt aufgrund unserer grundgesetzlich geregelten Kompetenzordnung bei der Polizei
des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Diese ist deshalb für alle allgemeinpolizeilichen Maßnahmen zur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und damit auch für erforderliche Maßnahmen im
Zusammenhang mit Demonstrationen im Rahmen des
G-8-Gipfels zuständig.
Wenn Sie gestatten, möchte ich die Antwort auf die
nächste Frage, die ja den gleichen Themenkomplex berührt, gleich anschließen.
Dann rufe ich auch die dringliche Frage 3 des Kollegen Ströbele auf:
Wie tritt die Bundesregierung nach den Bekenntnissen der
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zur Demonstrationsfreiheit am vergangenen Freitag in Russland und ihrer Kritik an
deren dortiger sicherheitsbehördlicher Einschränkung dem
dort bereits von Präsident Wladimir Putin geäußerten und sich
im Ausland möglicherweise verbreiternden Eindruck entgegen, der massive Einsatz von Sicherheitsbehörden auch hierzulande gegen Proteste zum G-8-Gipfel in Heiligendamm unter anderem mit 1 100 Bundeswehrkräften nebst Gerät
({0}) sowie weiträumige Versammlungsverbote beeinträchtigten die Demonstrationsfreiheit und könnten das Ansehen
sowie die internationale Position der Bundesrepublik
Deutschland als verlässlicher Partner nicht nur im Verbund
der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich schädigen?
Die Antwort lautet: Deutschland wird, wie bereits gesagt, ein guter Gastgeber für alle Teilnehmer des G-8Gipfels sein. Die Bundesregierung sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass durch die Sicherheitsmaßnahmen, die
zum Schutz des G-8-Gipfels in Heiligendamm durchgeführt werden, das Ansehen oder die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland beschädigt werden
können.
Ihre Nachfragen bitte, Herr Ströbele.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. - Meine erste
Nachfrage ist von meiner Besorgnis um das Ansehen der
Bundesrepublik Deutschland in der Welt und insbesondere bei den G-8-Staaten geprägt. Sie lautet: Welche Erklärung beabsichtigt die Bundesregierung, insbesondere
die Frau Bundeskanzlerin, gegenüber dem russischen
Staatspräsidenten abzugeben, wenn dieser auf dem G-8Gipfel am 7. Juni im Tagungsgebäude aus dem Fenster
schaut und keine Demonstranten sieht, obwohl er in der
Zeitung gelesen hat und auch aus anderen Medien weiß,
dass mehrere Zehntausend Demonstranten am Tagungsort demonstrieren wollen?
Ich kann die Antwort der Bundeskanzlerin auf eine
solch fiktive Situation natürlich nicht vorwegnehmen.
Ich glaube, der Umstand, dass es im Zusammenhang mit
dem G-8-Gipfel angemeldete Demonstrationen gibt, die
die unterschiedlichen Positionen auch eindrucksvoll zum
Ausdruck bringen werden, und der Umstand, dass die
Sicherheitsmaßnahmen, die das Land Mecklenburg-Vorpommern veranlasst hat, als verhältnismäßig gelten können, werden sie nicht in Erklärungsnot bringen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Wie hält es die Bundesregierung, insbesondere die
Frau Bundeskanzlerin, mit ihrer eigenen Äußerung zum
demokratischen Grundsatz - den ich durchaus anerkenne - dass am Tagungsort Proteste und Demonstrationen
in sichtbarer Form zugelassen werden sollen - ich füge
hinzu: nicht nur in Samara, sondern auch in Heiligendamm -, für vereinbar, dass gleichzeitig eine Sperrzone
um den Tagungsort von 200 Metern angelegt wird und
für die Tage des eigentlichen Gipfels, für den 7. und
8. Juni, sogar eine Bannmeile von 6 bis 8 Kilometern
eingerichtet werden soll? Dann muss sich der russische
Staatspräsident ja ein Fernglas besorgen, um überhaupt
Demonstranten ausmachen zu können. Ich vermute, er
wird dann immer noch keine Demonstranten sehen können, weil sie einfach zu weit vom Tagungsort entfernt
gehalten werden. Wie also kann die Bundesregierung die
Bannmeilen, die dort eingerichtet werden sollen, mit der
Auffassung der Frau Bundeskanzlerin, die ich, wie gesagt, sehr unterstütze, vereinbaren?
Herr Kollege Ströbele, ich mache zunächst einmal
darauf aufmerksam, dass die mir bekannten verfügten
Maßnahmen des Landes Mecklenburg-Vorpommern hinsichtlich des Versammlungsrechtes einen Abstand vom
Tagungsort vorsehen, der sehr viel geringer ist; die
größte Entfernung beträgt 2 Kilometer.
({0})
Das ist jedenfalls die Entscheidung, die mir bekannt ist.
Ich glaube aber, dass es, auch vor dem Hintergrund der
Erfahrung früherer G-8-Gipfel - ich denke an Gleneagles oder Genua -, den Tagungsteilnehmern leicht erklärbar sein wird, dass bedauerlicherweise aufgrund
eines Gewaltpotenzials, das neben den ansonsten friedlichen Demonstrationen mobilisiert wird, Sicherheitsvorkehrungen notwendig sind, bei denen wir jedenfalls
nicht unterstellen müssen, dass das Land MecklenburgVorpommern sie überbewertet.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, wozu
- ich habe dazu schon eine schriftliche Anfrage an die
Bundesregierung gerichtet - 1 100 Angehörige der Bundeswehr, also Soldaten, am Tagungsort bzw. in Heiligen10086
damm und Umgebung eingesetzt werden? Wird es so
sein, dass der russische Staatspräsident, den ich vorhin
schon erwähnt habe, wenn er aus dem Fenster schaut, im
Wesentlichen Einheiten der Bundeswehr in Uniform
sieht und keine, wie Sie zu Recht sagen, friedlichen Demonstranten?
Herr Kollege Ströbele, die Bundeswehr wird ausschließlich auf der Grundlage von Art. 35 Grundgesetz
für logistische Maßnahmen, also Transport von Tagungsteilnehmern und Ähnliches, gebraucht. Sie wird
keine repressive Funktion wahrnehmen.
Herr Ströbele, noch eine Zusatzfrage?
Ja, eine letzte Frage. - Herr Staatssekretär, hält die
Bundesregierung eine Polizeistärke von, wie in den Medien genannt wird, 16 000 Beamten, die in und um Heiligendamm eingesetzt werden sollen, nicht für äußerst
bedenklich und vom Einsatzkonzept her auch für völlig
falsch, wenn man keine Demonstranten näher als 2 Kilometer - wie Sie sagen; die bisher bekannte Zahl ist 6 Kilometer - an den Tagungsort heranlässt?
Herr Kollege Ströbele, es gibt, beispielsweise in
Rostock, angemeldete Demonstrationen mit einer beeindruckenden Teilnehmerzahl.
({0})
Es besteht überhaupt kein Zweifel an der Möglichkeit,
dass auch die Tagungsteilnehmer die Willensbekundungen, die bei diesen Demonstrationen zum Ausdruck gebracht werden, zur Kenntnis nehmen können. Ich will
aber gleichzeitig, nur um die Schwierigkeit der Sicherheitsbehörden deutlich zu machen, auch darauf hinweisen, dass beispielsweise eine Demonstration der NPD in
Schwerin angemeldet ist. Allein aufgrund dieser Tatsache dürften Sie vielleicht verstehen, dass die Polizei hier
vor einer erheblichen Aufgabe der Wahrung der öffentlichen Sicherheit steht. Die Zahl der Einsatzkräfte ergibt
sich, wie gesagt, aus den Erfordernissen, die vor Ort
festgestellt werden. Ich denke, dass das eine hinreichende Begründung für die Sicherung der Demonstrationen wie der Tagungsteilnehmer ist.
Herr Kollege Beck, Sie haben eine Zusatzfrage.
Ich hätte sogar zwei, wenn das aufgrund der beiden
gestellten Fragen möglich ist. - Auf die erste Frage von
Christian Ströbele haben Sie geantwortet, dass die Bundeskanzlerin bezüglich der Demonstranten wahrscheinlich keine Erklärungsprobleme gegenüber Herrn Putin
haben wird. Habe ich das richtig verstanden, dass Sie davon ausgehen, dass er die Demonstranten wahrnehmen
können wird, weil auch Sie der Meinung sind, dass diese
demonstrationsfreie Zone unverhältnismäßig ist und genauso wenig zu Heiligendamm passt, wie eine Bannmeile mit einem absoluten Demonstrationsverbot zum
Bundestag passen würde?
Herr Kollege Beck, die Frage der Verhältnismäßigkeit
stellt sich ja auch im Lichte des Gefährdungspotenzials.
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass es im Vorfeld des G-8-Gipfels insgesamt bereits über 219 Straftaten gab, unter anderem Brandanschläge und Sachbeschädigungen, und dass schon von daher erkennbar ist, dass
wir es hier neben den friedlichen Demonstranten, deren
Recht wir respektieren möchten, mit einem Gewaltpotenzial zu tun haben, vor dem wir sowohl die friedlichen Demonstranten als auch die Tagungsteilnehmer
schützen müssen.
Insofern haben die Verantwortlichen eine schwierige
Abwägung zu treffen. Ich bitte, die Frage der Verhältnismäßigkeit auch im Lichte der Gefährdungspotenziale zu
sehen.
Herr Kollege Beck, es sind zwei Fragen zu beantworten gewesen. Sie können gern auch eine zweite Frage
stellen, da zwei Fragen die Grundlage waren.
Ich glaube, niemand hier im Hohen Hause stellt infrage, dass es Sicherheitsmaßnahmen braucht, dass man
die Veranstaltung schützen muss und dass man auch die
Demonstranten vor gewalttätigen Aktionen anderer
schützen muss. Das ist Konsens. Trotzdem muss man
sich die Frage stellen: Was ist für die Sicherheit unbedingt notwendig, und wo greift man über Gebühr in die
Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein? Ich habe
gegenwärtig den Eindruck, dass man nur noch die eine
Seite sieht und nicht mehr die andere. Das hat schlechte
Signalwirkungen. Ich finde allerdings, dass Samara und
Heiligendamm nicht vergleichbar sind; das will ich ganz
deutlich machen. Dort geht es um ganz andere Einschränkungen der Grundrechte. Ich mache gerade unmittelbare Erfahrungen mit den russischen Behörden in der
Frage, wie man mit Grundrechtspositionen der eigenen
Bürger und denen ausländischer Gäste umgeht.
Ich habe noch eine Frage zu dem Komplex, den der
Herr Bundesinnenminister heute zum Thema Geruchsproben angesprochen hat. Er hat diese für richtig erachtet. Meine kriminalistische Fantasie hat sich bei den
Überlegungen, wozu diese Proben gut sein sollen, erschöpft. Welche kriminalistischen Maßnahmen leiten
sich im Einzelnen aus der Sammlung der Geruchsproben
bei der Gefahrenabwehr oder bei der Strafverfolgung
Volker Beck ({0})
ab? Auf Deutsch gesagt: Wozu ist das gut? Ich habe es
nicht verstanden.
Herr Kollege Beck, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass
Sie auf die weitgehenden Unterschiede zwischen der
versammlungsrechtlichen Situation in Samara und der in
der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen haben.
Die Entscheidung des BKA zu den Geruchsproben ist
Teil eines Ermittlungsverfahrens, das die Generalbundesanwaltschaft durchgeführt hat. Diese Maßnahmen
stehen im Zusammenhang mit den Exekutivmaßnahmen
vom 9. Mai 2007 und wurden bei fünf Beschuldigten
vorgenommen. Die Maßnahmen erfolgten in Absprache
mit der Generalbundesanwaltschaft im Zusammenhang
mit bereits begangenen Straftaten. Das heißt, hier handelt es sich um ein Ermittlungsinstrument bei einem Tatbestand, zu dem die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren durchführt.
Es handelt sich um ein Instrument der Strafprozessordnung, nämlich Vergleichsgeruchsproben von vorhandenen Gegenständen, die an verschiedenen Tatorten
sichergestellt wurden, als eine Ermittlungsmöglichkeit
zu nutzen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich zu einem laufenden Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft nicht Stellung nehme. Wir legen allerdings großen
Wert darauf, festzustellen, dass die Maßnahme des Bundeskriminalamtes ausschließlich einem Ermittlungsverfahren für eine begangene Straftat dient und nicht präventiv im Zusammenhang mit der Vorbereitung des G-8Gipfels eingesetzt wird.
Herr Kollege Gehrcke, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung, um es
freundlich zu formulieren, nicht zumindest die Gefahr,
dass ein Teil der eingeleiteten Maßnahmen im Zusammenhang mit einer öffentlichen Diskussion, bei der auch
solche Begriffe wie „Vorbeugehaft“ fallen - diese wecken keine guten Erinnerungen -, erst zu einer Provokation militanter Auseinandersetzungen führen können und
dass so nicht geschieht, was aus meiner Sicht wünschenswert wäre, nämlich die ganze Stimmung zu entspannen? Sollte man nicht besser sagen: „Wir freuen uns
über alle Menschen, die ihr Recht auf Meinungsäußerung und Demonstration vor Ort in Heiligendamm friedlich wahrnehmen“?
Herr Kollege, wenn Sie den Anfang meiner Antwort
auf die Frage des Kollegen Ströbele noch in Erinnerung
haben, dann dürfte Ihnen klar sein, dass die Bundesregierung in keiner Weise das Demonstrationsrecht anzweifelt. Im Gegenteil: Friedliche Willensäußerungen
von Demonstranten im Zusammenhang mit dem G-8Gipfel werden von ihr vor dem Hintergrund, dass sie die
öffentliche Aufmerksamkeit auf die dort behandelten
Gegenstände richten, die ja für die Zukunft der Menschheit relevant sind, durchaus begrüßt.
Wir müssen uns allerdings mit Straftaten aus der Vergangenheit auseinandersetzen. Dazu gibt es ein Ermittlungsverfahren - darauf will ich aufmerksam machen -,
das von der Bundesanwaltschaft eigenverantwortlich
eingeleitet wurde. Wir haben keinen Grund, an der
Seriosität dieser Entscheidung zu zweifeln.
Was die Instrumente im Zusammenhang mit dem Versammlungsrecht und das Unterbindungsgewahrsam angeht - das wurde von Ihnen ebenfalls angesprochen -, so
muss man sagen, dass dies landesrechtliche Instrumente
sind, deren Anwendung ausschließlich in der Verantwortung der Länder, in diesem Fall des Landes Mecklenburg-Vorpommern, liegt.
Wir haben keinen Anlass - weder mit Blick auf die
Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft noch mit
Blick auf die Entscheidungen des Landes MecklenburgVorpommern -, an der Seriosität der getroffenen Entscheidungen zu zweifeln.
Frau Kollegin Stokar von Neuforn.
Ich habe zwei Fragen an die Bundesregierung.
Meine erste Frage. Niemand hat die Absicht, zwischen den Hotelbauten in Heiligendamm zu demonstrieren. Teilen Sie die Auffassung des Bundesinnenministers
Schäuble, dass das Versammlungsrecht noch gewahrt ist,
wenn diejenigen, gegen die sich die Kundgebungen richten, von dem Demonstrationsgeschehen nur abends im
Fernsehen Kenntnis nehmen können? Dies würde eklatant dem Brokdorf-Urteil widersprechen.
Meine zweite Frage. Wenn Geruchsproben nur als Indizienbeweis gelten sollen, was schon absurd genug ist
- ich frage mich, ob Hunde demnächst als Sachverständige vor Gericht auftreten sollen -, muss ich fragen, warum man dann eine solch große Anlage aufbaut, Hunde
entsprechend abrichtet und spezielle Metallstäbe für Geruchsproben anschafft. Wäre es hilfreich - diese Frage
ist nicht ganz ernst gemeint -, wenn wir alle Bundesbürger auffordern würden, ihre dreckigen Socken an das
BMI zu schicken, damit ausreichend Vergleichsgeruchsproben vorhanden sind?
({0})
- Ich wollte nicht von Unterhosen sprechen.
Frau Kollegin Stokar, ich beantworte zunächst Ihre
erste Frage. Sie wissen genauso wie ich, dass jede Entscheidung zum Versammlungsrecht auch einer gerichtlichen Überprüfung standhalten muss. Ich gehe davon aus,
dass sich das Land Mecklenburg-Vorpommern bei
seinen Entscheidungen hinsichtlich der Handhabung des
Versammlungsrechts dessen bewusst war - die Entscheidung über die Lage des Zaunes wurde schon von der
vorherigen Landesregierung getroffen -, dass sie möglicherweise einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen
werden.
Hinsichtlich Ihrer Frage der Geruchsprobe möchte ich
mich auf den Hinweis beschränken, dass es ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gibt. Im Zuge
dieses Ermittlungsverfahrens ist von diesem in § 81 b
der Strafprozessordnung vorgesehenen Instrument Gebrauch gemacht worden. Mir steht es nicht an, eine Bewertung an dieser Stelle vorzunehmen.
Ich muss mich allerdings dagegen verwahren, dass
man eine Entscheidung von Polizeibeamten, auf deren
Schultern ja auch eine Verantwortung liegt, in einer
Weise karikiert, die geeignet ist, das gesamte Handeln
der Polizei in Misskredit zu bringen.
Herr Kollege Nouripour.
Ein Film aus Deutschland hat in diesem Jahr den
Oscar gewonnen. Viele Menschen haben diesen Film gesehen, in dem die Praxis, Geruchsproben zu nehmen,
dargestellt wurde. Es ist kein Wunder, dass man heute in
den Tickermeldungen und morgen in allen Zeitungen lesen kann, dies sei eine Stasimethode.
Vor diesem Hintergrund möchte ich die Frage stellen:
Wie bewerten Sie die Einschätzung, dass das dem Ansehen dieser Republik schadet? Meine zweite Frage bezieht sich auf Folgendes: Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte heute, das sei eine gängige Methode.
Mir war das nicht bekannt. Ist das eine gängige Methode? Werden wir schon die ganze Zeit im wahrsten
Sinne des Wortes beschnüffelt? Gibt es Erkenntnisse der
Bundesregierung, dass in dieser Republik schon immer
Geruchsproben entnommen werden?
Ich beginne mit dem letzten Teil der Frage. Dies ist
ein Verfahren, das der Gesetzgeber in der Strafprozessordnung vorgesehen hat. Ich will jetzt keine Bewertung
darüber abgeben - ich habe dazu unterschiedliche Urteile gehört -, ob ein solches Verfahren tatsächlich irgend… - - bzw.
({0})
wie bedeutend die Ermittlungstragweite dieses Verfahrens ist. Dazu will ich jetzt nicht Stellung nehmen. Aber
dies ist ein Verfahren, für das in der Strafprozessordnung
eine rechtliche Grundlage besteht.
Was den ersten Teil Ihrer Frage betrifft, Herr Kollege,
möchte ich zum einen feststellen: Ich selbst bin im System der DDR groß geworden. Zu meiner Person existieren operative Vorgänge in den Staatssicherheitsakten.
Ich muss von daher klar zum Ausdruck bringen, dass ich
Ihren Vergleich, auch wenn er in der öffentlichen Debatte von dem einen oder anderen Journalisten gezogen
wird, für ausgesprochen unpassend halte. Allein schon
der Umstand, dass wir in diesem Parlament über die
Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen, für die es eine rechtliche Grundlage gibt und die von einer parlamentarischen Mehrheit beschlossen wurden, kritisch diskutieren
können, stellt einen wesentlichen Unterschied zu dem
System dar, zu dem Sie jetzt irgendeine Parallele ziehen
wollen.
Zum anderen muss ich darauf aufmerksam machen,
dass das Verfahren, das hier zur Anwendung kommt
- ich wäre dankbar, wenn wir als Parlamentarier, als
politische Meinungsträger das so kommunizieren würden -, bei der Staatssicherheit der DDR - auch in dem
von Ihnen genannten Film - als präventives und zugleich
repressives Verfahren angewandt wurde, während es
heute ausschließlich zur Ermittlung einer begangenen
Straftat eingesetzt wird. Wir sollten allerdings ein Interesse daran haben, dass Straftaten in der Bundesrepublik
Deutschland aufgeklärt werden können.
({1})
Nein, Herr Kollege. Wir haben das jetzt sehr intensiv
besprochen. Wir werden diesen Themenbereich auch
noch nicht verlassen.
Nach den dringlichen Fragen rufe ich nämlich jetzt
zum gleichen Themenkreis die Frage 17 des Kollegen
Volker Beck ({0}) aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf, da diese nach unseren
Richtlinien für die Fragestunde vorgezogen wird:
Welche Maßnahmen und Einschränkungen der Rechte der
Bürgerinnen und Bürger bezüglich der Versammlungsfreiheit,
Grenzkontrollen zu Lande, zur See und an Flughäfen plant die
Bundesregierung im Vorfeld und während des G-8-Gipfeltreffens in Heiligendamm?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Herr Kollege Beck, auch Ihre Frage berührt, wie die
Präsidentin schon sagte, den Themenkomplex G-8-Gipfel. Sie sprechen das Thema der Versammlungsfreiheit
und der Grenzkontrollen an. Ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Aufgrund der erhöhten Sicherheitsanforderungen anlässlich des G-8-Gipfels 2007 in Heiligendamm,
Mecklenburg-Vorpommern, sollen an den Schengenbinnengrenzen der Bundesrepublik Deutschland vorübergehend wieder Grenzkontrollen aufgenommen werden.
Der Schengener Grenzkodex sieht diese Möglichkeit der
Durchführung von Personenkontrollen in Konsultation
mit den EU- und den Schengenpartnern ausdrücklich
vor. Mehrere Schengenländer haben im Zusammenhang
mit vergleichbaren Großereignissen bereits von diesem
Instrument Gebrauch gemacht.
Grenzkontrollen an den Land- und Seegrenzen sowie
an Flughäfen sollen wieder aufgenommen werden, um
insbesondere die Einreise potenzieller Gewalttäter aus
dem und über das benachbarte europäische Ausland zu
verhindern. Reisende werden damit rechnen müssen, an
den Binnengrenzen kontrolliert zu werden. Dies wird
aber lageabhängig entschieden werden. Beeinträchtigungen für den grenzüberschreitenden Verkehr sind daher
nur punktuell zu erwarten und werden sich auf das für
die Sicherheit erforderliche Maß beschränken. Die Maßnahmen hinsichtlich der Versammlungsfreiheit obliegen
ausschließlich dem Land Mecklenburg-Vorpommern
und unterliegen deshalb nicht unserer unmittelbaren Bewertung.
Herr Beck, Ihre Nachfrage bitte.
Um ein genaueres Bild zu bekommen, in welcher
Intensität die Grenzkontrollen auf Flughäfen und an unseren Außengrenzen für die Bürgerinnen und Bürger Beeinträchtigungen mit sich bringen, würde ich gerne wissen, wie viel zusätzliches Personal im Umfeld der
Veranstaltung in Heiligendamm mobilisiert wird. Wie
verändern sich die Einsatzpläne gegenüber dem Normalzustand, dann nämlich, wenn das Schengenregime in der
Weise nicht aktiviert ist? Gibt es Hinweise, dass das an
allen Grenzen gleichzeitig stattfindet, oder wie muss
man sich das genau vorstellen? Und: Ab wann greifen
diese Maßnahmen?
Kollege Ströbele hat bereits unter Hinweis auf die
schriftliche Frage auf die Zahl der Einsatzkräfte Bezug
genommen. Der Einsatz erfolgt lageabhängig. Ich bitte
um Verständnis - denn das ist ja für die Effizienz der
Maßnahmen von entscheidender Bedeutung -, dass die
Einsatzplanungen im Vorfeld nicht bekannt gemacht
werden können und sinnvollerweise auch nicht sollten.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ich finde, Sie sind gegenüber dem Parlament in gewissem Maße auskunftspflichtig. Denn wir müssen uns
ein Bild davon machen können, ob die Maßnahmen, die
die Bundesregierung in diesem Zusammenhang einleitet,
in einem Verhältnis zur tatsächlichen Gefahrenlage stehen oder ob sie übertrieben sind. Ich kann mir kein Bild
davon machen, wenn Sie uns hier die Antwort verweigern. Ich möchte wissen, wie viel zusätzliches Personal
in dieser Zeit mobilisiert wird und für welchen Zeitraum
die Bürger unseres Landes mit Beeinträchtigungen des
Reiseverkehrs rechnen müssen.
Was die Zahl des Personals betrifft, kann ich Ihnen
gern - ich habe sie jetzt nicht verfügbar - in Ergänzung
zu der von Kollegen Ströbele schon erwähnten schriftlichen Frage schriftlich Auskunft geben.
Ich will darauf aufmerksam machen - das trägt vielleicht zu Ihrer Beruhigung bei -, dass wir im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft einen ganz
ähnlichen Umgang mit dem Schengenkodex hatten. Die
Ereignisse sind nicht vergleichbar; doch es sind beides
Großereignisse. Die Wahrnehmung der Fußballweltmeisterschaft war jedenfalls nicht dadurch gekennzeichnet, dass Leute darüber geklagt hätten, an der Einreise
gehindert worden zu sein; die Wahrnehmung der Fußballweltmeisterschaft war auch dadurch nicht gekennzeichnet, dass irgendjemand von unseren Gästen das
Schengenregime als unverhältnismäßig wahrgenommen
hätte. Die Wahrnehmung der Fußballweltmeisterschaft
war vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass Deutschland
ein gastfreies,
({0})
offenes, Gäste willkommen heißendes Land ist. Das,
Herr Kollege Beck, ist genau die Wahrnehmung, um die
wir uns im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel bemühen.
Herr Kollege Nouripour.
Herr Staatssekretär, nur einen Satz zu dem, was vorhin gesagt wurde: Ich bin selber in einem anderen Land
aufgewachsen, in einem Land, in dem Schnüffelei normal ist. Ich wollte diesen Vergleich nicht ziehen, ich
habe eine andere Frage gestellt.
Noch einmal zur Sicherung - vor allem zur Seesicherung - des Gipfels in Heiligendamm. Können Sie uns
bitte beschreiben, welche Ordnungskräfte, Streitkräfte,
Sicherheitsbehörden, Organe verschiedenster Art im
Einsatz sein werden? Ich meine nicht nur die deutschen,
sondern auch internationale; da die irgendwie koordiniert sein müssen, müssen Sie ja einen Überblick haben,
wer alles dabei ist.
Ich kann Ihnen jetzt - das hängt mit der Vorbereitung
auf die Fragestunde zusammen - keine verbindlichen
Zahlen zur seeseitigen Sicherung nennen. Ich bin aber
auch hier gern bereit, Ihnen die entsprechenden Zahlen
schriftlich zu liefern; dies sind in der Sache keine Geheimnisse.
Frau Kollegin Stokar von Neuforn.
Ich frage konkret nach: Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie im Vorfeld des G-8-Gipfels die Rei10090
sefreiheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger einschränken
will. Aufgrund welcher europäischen Gesetzeslage und
aufgrund welcher Datenlage wird die Bundespolizei an
den deutschen Außengrenzen im Zeitraum des G-8-Gipfels Personen zurückweisen? Ich frage das vor dem Hintergrund, dass die Wahrnehmung des Versammlungsrechts, zum Beispiel in Form einer Fahrradkarawane in
Belgien, kein hinreichender Grund sein kann, Personen
an der Grenze zurückzuweisen. Ein europäisches Datenschutzabkommen ist mir nicht bekannt. Ganz im Gegenteil: Die Sicherheitsbehörden haben im Zusammenhang
mit dem Acquis eine Beteiligung abgelehnt. Meines Erachtens fehlen sowohl die europäische Rechtsgrundlage
als auch eine konkretisierte Datenlage, um Zurückweisungen, also schwere Eingriffe in die Reisefreiheit,
rechtfertigen zu können.
Frau Kollegin, ich weiß nicht genau, ob ich Ihre Frage
richtig verstanden habe.
Sie wissen wie ich, dass der Schengener Grenzkodex
die Möglichkeit zur Durchführung von Grenzkontrollen
nach Konsultation der Partner vorsieht. Das ist genau
das, was geplant ist. Es gibt, glaube ich, keinerlei
Probleme, den Schengenpartnern das plausibel zu machen.
Ich bitte, bei diesen Diskussionen nicht zu vergessen,
dass wir im Zusammenhang mit den G-8-Gipfeln
- Stichwort: Genua - auf Erfahrungen verweisen können, die uns allein aufgrund unserer Fürsorgepflicht zu
entsprechenden Vorkehrungen zwingen. Diese Vorkehrungen müssen wir treffen, wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen.
Damit sind die dringlichen Fragen und die zu diesem
Themenkomplex gehörenden Fragen beantwortet. Wir
kommen nun zu den übrigen Fragen in der üblichen Reihenfolge. Herr Staatssekretär, zunächst danke ich Ihnen
für die Beantwortung der Fragen zu diesem Komplex.
Ihr Geschäftsbereich wird später noch einmal aufgerufen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 1 der Kollegin Erika
Steinbach wird schriftlich beantwortet.
Die Fragen 2 und 3 der Kollegin Christine Scheel
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Finanzen werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf. Für die Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd
Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Dr. Edmund Peter
Geisen auf:
Warum sieht die Bundesregierung keinen Bedarf, Kleinstunternehmen von der Anwendung der Grundsätze nach
HACCP, Hazard Analysis and Critical Control Points, freizustellen, wie es die Europäische Kommission in ihrem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und
des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 11 ({0}) und der
Verordnung ({1}) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene
vom 6. März 2007 ({2}) vorsieht?
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung unterstützt natürlich die Ziele des Vorschlags der Kommission zur Entbürokratisierung im Lebensmittelsektor,
insbesondere im Hinblick auf kleine Unternehmen. Wir
haben aber natürlich auch die Lebensmittelsicherheit
und die Lebensmittelhygiene im Blick. Bezüglich der
Verordnung, die in der Frage angesprochen wurde, sind
Ausnahmeregelungen deshalb nur risikobezogen zu treffen. Diese Auffassung wurde in den Beratungen der für
Fragen des Lebensmittelhygienerechts zuständigen Ratsarbeitsgruppe in Brüssel - Veterinärsachverständige von den übrigen Mitgliedstaaten mit breiter Mehrheit
nicht geteilt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen wurden konkret veranlasst, um die kleinen Unternehmen in dieser
Hinsicht zu entlasten?
Ich betone noch einmal, dass es hier um die Einrichtung bestimmter Eigenkontrollsysteme bei Lebensmittelunternehmen geht. Hier können keine generellen Ausnahmeregelungen geschaffen werden, vielmehr werden
wir risikobezogene Einzelentscheidungen treffen müssen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ich frage noch einmal: Weshalb plädiert die Bundesregierung für Entbürokratisierung, Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Verordnungen und Harmonisierung, ohne
konkrete Maßnahmen zu veranlassen, obwohl das in diesem Fall ohne größere Probleme möglich wäre?
Das ist eine Frage der Abwägung. Das muss ich noch
einmal betonen. Kleinstunternehmen sollen von Bürokratieauflagen natürlich weitestgehend entlastet werden.
Im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher
- hier geht es, bezogen auf die Lebensmittelhygiene, um
den Aufbau und die Anwendung von Eigenkontrollsystemen - ist es immer notwendig, den einzelnen Betrieb
im Rahmen einer Risikoabschätzung zu bewerten.
Ich nenne einmal das aktuelle Stichwort: Salmonellenvergiftung. Damit setzt sich gegenwärtig ein Unternehmen auseinander. Daran sehen Sie, wie kompliziert
und schwierig es ist und welche Dimensionen ein solches Problem haben kann. Es kann deshalb keine generellen Ausnahmegenehmigungen geben.
Wir kommen zur Frage 5 des Kollegen Dr. Geisen:
Sieht die Bundesregierung grundsätzlich im Rahmen des
Bürokratieabbaus die Notwendigkeit, Kleinstunternehmer bei
Verfahrens- und Berichtspflichten zur Lebensmittelhygiene zu
entlasten, und welche Maßnahmen hält sie in diesem Zusammenhang für geeignet?
Die Frage 5 habe ich im Grunde bereits mitbeantwortet.
Besteht noch zusätzlicher Informationsbedarf? Eigentlich ist die Frage 5 gerade bereits beantwortet worden. Herr Kollege Geisen, sind Sie damit zufrieden? Ja.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Für die Beantwortung
steht Herr Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Die Frage 6 der Kollegin Dr. Lötzsch wird schriftlich
beantwortet.
Ich rufe Frage 7 des Kollegen Alexander Bonde auf:
Warum hat die Bundesregierung erst im Mai 2007 eigene
Studien über in Deutschland entstehende Risiken durch Trümmerteile, elektromagnetische Impulse und Fallout durch die
mögliche Stationierung von Teilen des US-amerikanischen
Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien in Auftrag
gegeben, und wer genau hat diese beauftragt?
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Bonde,
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Hauptabteilung
Rüstung des Bundesministeriums der Verteidigung hat
im April 2007 eine Studie zur Untersuchung der Gefährdung durch Kernwaffendetonationen in großen Höhen
hinsichtlich elektromagnetischer Impulse und Fallout sowie im Mai 2007 eine weitere Studie zur Untersuchung
der Risiken durch Trümmer in Auftrag gegeben. Beide
Studien sind auf die Untersuchung der Auswirkungen
der Bekämpfung ballistischer Flugkörper größerer
Reichweite, wie sie der Schutz des eigenen Territoriums
erfordert, ausgerichtet. Die Studien wurden aufgrund offener Fragen initiiert, die sich aus der NATO-Machbarkeitsstudie zum Aufbau eines territorialen Flugkörperabwehrsystems ergeben haben, die im Nachgang zum
Gipfel der NATO in Prag erarbeitet worden ist und zwischenzeitlich vorliegt. Sie werden auch die Auswirkungen einer möglichen Stationierung von Komponenten
des US-Flugkörperabwehrsystems in Polen und Tschechien berücksichtigen.
Im Rahmen der Bewertung dieser NATO-Machbarkeitsstudie wurde deutlich, dass die Risiken durch
Trümmerteile und eine mögliche Gefährdung durch
elektromagnetische Impulse bei der Bekämpfung weitreichender ballistischer Flugkörper entsprechender Untersuchungen bedürfen. Deswegen wurden diese Untersuchungen durch die Staats- und Regierungschefs auf
dem NATO-Gipfel 2006 in Riga in Auftrag gegeben.
Es war insbesondere die Bundesregierung, die auf
eine Untersuchung dieser Sachverhalte hingewirkt hat.
Die Bundesregierung hat parallel zu den laufenden Untersuchungen in der NATO die angesprochenen eigenen
Untersuchungen beauftragt, um zusätzlich nationale Erkenntnisse zu gewinnen.
Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, weshalb
die Bundesregierung erst zu einem so späten Zeitpunkt
eigene Untersuchungen zur Gefährdung Deutschlands
angestellt hat, obwohl es beispielsweise im Rahmen des
Prozesses in der NATO, den Sie beschrieben haben,
schon zu einem frühen Zeitpunkt notwendig gewesen
wäre, dass die Bundesregierung klare Informationen
über die Gefahren, die auf Deutschland zukommen
könnten, gehabt hätte? Es wäre ja auch eine politische
Frage für die Regierung gewesen, die an diesen Plänen
nur sehr verhaltene Kritik geäußert hat. Meine Frage lautet konkret: Warum sind erst zu einem so späten Zeitpunkt eigene Untersuchungen in Auftrag gegeben worden?
Herr Kollege, die NATO-Machbarkeitsstudie ist, wie
Sie wissen, auf dem NATO-Gipfel in Prag im Jahre 2002
- damals unter Bundeskanzler Gerhard Schröder - beschlossen worden und hat die Rahmenbedingungen gesetzt. Dass sich bei den Ergebnissen nun weiterer Klärungsbedarf ergeben hat, hat zur Entscheidung der
jetzigen Bundesregierung geführt. Die zeitlichen Rahmenbedingungen sind so, dass auf die zu gewinnenden
Erkenntnisse rechtzeitig reagiert werden kann bzw. diese
in die weiteren Planungen einbezogen werden können.
Auf NATO-Ebene halten wir dies für einen angemessenen Zeitrahmen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wir entnehmen unter anderem
dem „Spiegel“ dieser Woche, dass es bei der Mehrheit
im US-Kongress erhebliche Zweifel an der technischen Machbarkeit und der Sicherheit des Systems
gibt. Die Kollegin Tauscher - Ihnen wie mir persönlich bekannt - äußert sich in diesem Zusammenhang
sehr eindeutig.
Nimmt die Bundesregierung diese Kritik ernst, und
gibt es seitens der Bundesregierung Bestrebungen, über
die genannten Studien hinaus weitere Studien zur Gefährdung Deutschlands durchführen zu lassen, beispielsweise zur nicht vollständigen Vernichtung von Flugkörpern und zur Veränderung von Flugbahnen?
Herr Kollege, die grundsätzlichen Fragen werden in
den Studien, die ich genannt habe, behandelt. Sie werden
auch zu beantworten sein. Natürlich wissen wir, dass die
Planungen technischer Art außerordentlich anspruchsvoll und ambitioniert sind und dass sie eine große Herausforderung darstellen. Bei solchen Planungen kann
natürlich im Fortgang der Entwicklung noch die eine
oder andere Frage auftauchen, die dann begleitend geprüft werden müsste.
Nach unserer Auffassung besteht gegenwärtig kein
konkreter Bedarf an weiteren Studien. Ich will aber nicht
ausschließen, dass weitere Studien durchzuführen sind,
zum Beispiel falls sich Hinweise ergeben, die nicht nur
für das Bündnis, sondern auch für die Bundesrepublik
Deutschland Relevanz haben, sei es auf multinationaler
oder auf nationaler Ebene.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 8 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die
Fragen 9 und 10 der Kollegin Cornelia Hirsch werden
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf.
Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karin Kortmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Dr. Karl Addicks
auf:
Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um vorzubeugen, dass Gelder der bilateralen deutschen
Entwicklungszusammenarbeit auch ihren Bestimmungsort erreichen und nicht durch Veruntreuung in den Empfängerländern „versickern“?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Addicks, ich antworte wie folgt: Die
Bundesregierung verfolgt im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit einen umfassenden Ansatz zur Korruptionsbekämpfung. Dieser Ansatz der Bundesregierung
umfasst insgesamt vier Säulen: Erstens unterstützen wir
die Einrichtung und die Implementierung internationaler
Rahmenbedingungen. Zweitens unterstützen wir Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption in den Entwicklungsländern. Drittens treffen wir Vorkehrungen bei
der Durchführung der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit und viertens auch im Rahmen der Korruptionsbekämpfung in Deutschland.
Im Hinblick auf die dritte Säule, die Sie insbesondere
interessiert, sieht es folgendermaßen aus: Seit zehn Jahren befassen wir uns im Rahmen des politischen Dialogs
mit der Korruptionsproblematik. In die Protokolle der
Regierungsverhandlungen, die alle zwei Jahre stattfinden, wird eine Antikorruptionsvereinbarung aufgenommen. Die Haftung unserer staatlichen Partner bezieht
sich dabei auch auf die Fehlverwendung der Mittel, zum
Beispiel aufgrund von Korruption.
Im Rahmen der technischen Zusammenarbeit werden
in der Regel Direktleistungen erbracht und den Organisationen der Partnerländer nur in beschränktem Umfang
direkt Gelder zur Verfügung gestellt. Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hat im Zuge
eines Integritätsmanagements eine Reihe von Maßnahmen zur Sicherstellung integren Verhaltens innerhalb der
Belegschaft der GTZ wie auch in Geschäftsbeziehungen
mit Auftragnehmern ergriffen.
Was die Verfahren der finanziellen Zusammenarbeit
durch die KfW betrifft, ist vorgesehen, dass generell erst
nach erbrachter Leistung gezahlt wird. Die Leistungen
werden sowohl vom Auftragnehmer, in der Regel vom
Projektträger im Partnerland, als auch - zumindest meistens - zusätzlich von einem unabhängigen Consultant
abgenommen. Die Zahlung erfolgt direkt an den Lieferer
bzw. Ersteller der Leistung. Der Bundesrechnungshof
und auch unabhängige Wirtschaftsprüfer kontrollieren
regelmäßig die ordnungsgemäße Verwendung der Mittel
für finanzielle Zusammenarbeit. Der Wirtschaftsprüfer
bestätigt dem BMZ bzw. der KfW als Durchführungsorganisation für die FZ regelmäßig, über angemessene
Auszahlungsverfahren zu verfügen.
Vielleicht sollte man bei der Gelegenheit erwähnen,
dass glaubwürdiges Eintreten für die Prävention von
Korruption und für die Schaffung von Transparenz in der
Entwicklungspolitik voraussetzt, dass auch Deutschland
die international vereinbarten Standards umsetzt. So hat
Deutschland im Jahr 1999 die OECD-Konvention zur
Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger
im internationalen Geschäftsverkehr ratifiziert und im
Jahr 2003 die VN-Konvention gegen Korruption unterzeichnet.
Herr Kollege, Ihre Zusatzfrage bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Kortmann. - Die
Bundesregierung hat die United Nations Convention
against Corruption zwar unterzeichnet, aber nach wie
vor nicht ratifiziert. Das nur nebenbei.
Ich frage Sie: Haben Sie konkrete Anhaltspunkte für
die Erfolgsträchtigkeit der Maßnahmen, die Sie uns gerade dargestellt haben, um die Korruption de facto vor
Ort zu bekämpfen?
Wir sind in etwas mehr als 80 Partnerländern im Rahmen der Korruptionsbekämpfung tätig. Das setzt voraus,
dass wir sie auch beim Aufbau der Rechtsstaatlichkeit
beraten. Dabei geht es um das Beschaffungswesen, um
Integritätsstandards, um den Aufbau von Rechnungshöfen. Bei all diesen Projekten, die wir in diesem Zusammenhang geprüft haben, wurde sowohl bei der internen BMZ-Prüfung als auch bei der Prüfung unserer
Durchführungsorganisationen von einem hohen Standard ausgegangen, und es gab nichts zu kritisieren.
Wir haben zusätzlich die Prüfungen über den Bundesrechnungshof - ich habe es erwähnt - und über externe
Wirtschaftsprüfer. Darüber hinaus gibt es weitere externe Untersuchungen, zum Beispiel aus dem Jahr 2005
eine Studie von Arthur D. Little, in der es heißt, dass die
Verfahren der GTZ sowohl bei der Beschaffung als auch
bei der Vergabe einwandfrei sind und Korruptionsfreiheit und Transparenz sichergestellt sind. Insofern kann
ich Ihnen kein Beispiel nennen, wo wir Anzeichen für
eine nicht ordnungsgemäße Verwendung von Steuermitteln für die armutsorientierte Hilfe im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit haben.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Wie beurteilt denn die Bundesregierung die Äußerungen ihres Menschenrechtsbeauftragten, Herrn Günter
Nooke, der nach einem Pressebericht gesagt hat, eine effektivere Kontrolle vor Ort sei wünschenswert, in der
Entwicklungshilfe bzw. bei Investitionen in Afrika gehe
man davon aus, dass das Geld zur Hälfte bei einer korrupten Führungselite lande?
Nun findet dies tatsächlich in einer Grauzone statt.
Die Bundesregierung will die Maßnahmen der Budgethilfe in Zukunft aber deutlich ausweiten. Wenn von den
Behauptungen von Herrn Nooke nur die Hälfte richtig
ist: Wie wollen Sie verhindern, dass von den Mitteln der
Budgethilfe, die dann mehr oder weniger kontrolliert in
die Haushalte der afrikanischen Staaten fließen werden,
auch wieder die Hälfte verdunstet, versickert oder wie
immer man das nennen will?
Ich habe die Behauptungen von Herrn Nooke in der
Zeitung gelesen. Herr Nooke hat sich bis heute aber
nicht an das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gewandt und diese Vorwürfe, die
in der Zeitung als seine nachzulesen sind, an uns gerichtet und um Überprüfung gebeten. Insofern weiß ich gar
nicht, ob sie zutreffen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, was die Budgethilfe
angeht, kann ich Ihnen Folgendes sagen: Wir geben die
Budgethilfe in staatliche Haushalte und haben damit den
gleichen Referenzrahmen der Überprüfung wie beim
Bundeshaushalt. Das heißt, der Haushalt des Partnerlandes wird offengelegt. Genauso wird offengelegt, wie
über die Mittel der allgemeinen Budgethilfe befunden
wird; auch da gibt es die gleichen Kontrollansätze wie in
unserem Bundesministerium. Es gibt bisher an keiner
Stelle bei den Partnerländern, bei denen wir in kleinerem
Rahmen in die Budgetfinanzierung eingestiegen sind,
Verfahren, die eine - wie Sie es eben gesagt haben - Versickerung oder Veruntreuung von Geldern nachweisen.
Im Gegenteil, wir beraten sie auch weiterhin.
Wir sind beispielsweise in Ruanda mit einem kleinen
Betrag in der Budgetfinanzierung und haben jetzt noch
einmal für drei Jahre eine Fachkraft ins dortige Finanzministerium entsandt, die bei der Rechenschaftspflicht,
auch was die Umsetzung im institutionellen Bereich angeht, beratend zur Seite steht.
Es handelt sich also um ein hohes Aufkommen an Sicherungsfaktoren, die in sehr viel größerer Zahl vorhanden sind, als man das manchmal vermutet.
Herr Kollege Beck, bitte sehr.
Ich weiß leider nicht, ob die Bundesregierung auch
Geld nach Uganda gibt. Im letzten Jahr war ich mit dem
Menschenrechtsausschuss in Uganda. Die Budgethilfe
der Europäischen Union für den ugandischen Haushalt
beträgt 50 Prozent; das ist zumindest indirekt auch Geld
der Bundesrepublik Deutschland. Man konnte dort den
Eindruck gewinnen, dass von unserer Seite überhaupt
kein Controlling hinsichtlich der Frage durchgeführt
wird, wo die ugandische Seite ihre Haushaltsschwerpunkte setzt.
Es gibt einen ganzen Landstrich, nämlich Norduganda, in dem Sie keinen einzigen Richter finden.
Wenn dort eine Frau vom Militär vergewaltigt wird,
kann sie zwar zur Polizei gehen und das anzeigen, aber
es passiert nichts, weil jegliche Gerichtsbarkeit fehlt.
Deshalb meine ich, dass hinter dem, was Sie gerade so
beruhigend vorgetragen haben, nämlich dass die Kontrolle fast so gut ist wie beim Bundeshaushalt, ein Fragezeichen gesetzt werden muss.
Brauchen wir mit den Ländern, denen wir eine Budgethilfe geben, nicht eine konkrete Vereinbarung über
Entwicklungsstrategien, durch die auch die Menschenrechte gewahrt werden? Stimmen Sie mir nicht zu, dass
das sowohl bei der Europäischen Union als auch bei der
Bundesrepublik Deutschland bislang noch nicht geschieht und dass wir noch einmal darüber nachdenken
Volker Beck ({0})
sollten, ob wir nicht genauer hinschauen müssen, was
mit unserem Geld in diesen Ländern passiert? Denn der
Zweck, für den wir das Geld geben, nämlich Gutes zu
tun, wird oftmals leider verfehlt.
Ich kann Ihnen nicht zustimmen, Herr Kollege Beck.
Ich will aber einmal die beiden Ansätze deutlich machen: Zum einen geht es um unsere Budgethilfe innerhalb der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit und
zum anderen um das, was durch die Europäische Union
vergeben wird. Es gibt da Unterschiede und auch einen
leichten Dissens, wie Sie gleich feststellen werden.
Wir geben nur dann eine Budgetfinanzierung, wenn
erstens gesichert ist, dass in den jeweiligen Partnerländern ein Armutsbekämpfungsprogramm existiert, sodass diese Mittel auch genutzt werden, um die Armutsbekämpfung voranzutreiben. Zweitens muss es sich um
demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente
handeln, die auch einer Haushaltskontrolle unterliegen,
ähnlich wie hier im Deutschen Bundestag; das ist für uns
ein wichtiger Punkt.
Wir beraten diese Länder beim Aufbau des Finanzwesens und auch des Rechtsstaates. Wir unterstützen sie
bei der Korruptionsbekämpfung und sorgen dafür, dass
sie Berater an die Seite bekommen. Es handelt sich also
nicht nur um eine finanzielle Hilfe, sondern in ganz erheblichem Maße auch um die Bereitstellung von Fachpersonal. Aufgrund dessen werden für die Budgetfinanzierung jährlich bestimmte Mittel in den Haushalt
eingestellt. Wir kontrollieren den gesamten Haushalt,
wir sorgen für die Geberharmonisierung, und wir kontrollieren das Budgetmanagement. Wir ziehen auch jährlich Schlussfolgerungen, ob Erfolge oder Misserfolge erzielt wurden und welche Mittel im kommenden Jahr zur
Verfügung gestellt werden.
Bei der Europäischen Union - mit knapp 25 Prozent
leisten wir tatsächlich den größten Anteil in diesem Bereich - verhält es sich etwas anders, Herr Kollege Beck.
Die Europäische Union will die Dauer der Zusagen hinsichtlich der Budgetfinanzierung auf bis zu acht Jahre
ausweiten. Wir sind strikt dagegen, weil dann kaum
noch Mechanismen vorhanden sind, um die Bereitstellung von Mitteln, die vielleicht nicht einwandfrei verwendet werden, zu stoppen. Wir wünschen uns, dass es
bei jährlichen Zusagen bleibt. Wir befinden uns mit der
Europäischen Union im Diskussionsprozess darüber;
denn es ist dringend notwendig, diese Gelder sauber zu
verwenden.
Ich will aber im Rahmen der gesamten Debatte über
die Parisdeklaration und die Geberharmonisierung hinzufügen - ich glaube, das muss man bedenken -, dass
die deutsche Seite bei Budgetfinanzierungen sowieso
sehr verhalten ist; es müssen sehr viele Komponenten
übereinstimmen. Andere Länder wie Frankreich oder
Großbritannien haben zu fast 70 bzw. 80 Prozent auf
Budgetfinanzierung umgestellt. Von daher ist der Druck
innerhalb der Europäischen Union sehr groß.
Ich habe eben auf die beiden Durchführungsorganisationen auf deutscher Seite hingewiesen, auf die GTZ und
die KfW. Wir haben hier Sicherungsmechanismen eingebaut, sodass es nicht zu einer Veruntreuung der Gelder
kommen kann. Dass in manchen Fällen Gelder nicht zu
100 Prozent entsprechend den Vorgaben verwendet werden, ist menschlich; das gibt es überall einmal. Aber ich
warne davor, davon auszugehen, dass die Budgetfinanzierung dafür einen besonderen Zugang bietet. Das ist
nicht der Fall.
Herr Kollege Nouripour.
Frau Staatssekretärin, ich entnehme Ihren Ausführungen, dass die Kommunikation mit dem Beauftragten der
Bundesregierung für Menschenrechtsfragen zum einen
über die Presse und zum anderen über das Protokoll des
Bundestages stattfindet. Deshalb frage ich Sie: Gibt es
irgendeine andere institutionalisierte Art der Kommunikation? Gibt es einen Jour fixe zwischen Ihrem Haus und
dem Beauftragten der Bundesregierung? Telefonieren
Sie miteinander? Gibt es irgendeine Art, miteinander zu
reden?
Herr Kollege, Sie setzen voraus, dass die Aussage, die
in der Presse zitiert wird, dem Originalton von Herrn
Nooke entspricht. Das kann ich, wie gesagt, nicht überprüfen; ich werde auch nicht darüber spekulieren. Sie
können aber sicher sein, dass der Bericht der Bundesregierung zur Menschenrechtssituation, der jährlich vorgelegt wird, zwischen den einzelnen Bundesministerien
und dem Beauftragten der Bundesregierung sauber abgestimmt ist.
({0})
- Sie wissen es doch besser, auch wenn Sie einen etwas
despektierlichen Zwischenruf machen. Dieser Bericht
setzt regelmäßige Gespräche und Abstimmungen voraus. Wir verfügen über Länderberichte, in denen das
Thema der Menschenrechtslage in der Regel an prominenter Stelle vertreten ist. Es ist auch selbstverständlich,
dass regelmäßige Treffen mit dem Beauftragten der Bundesregierung für diesen Bereich stattfinden, um sich auszutauschen, und dass man versucht, zu gemeinsamen
Einschätzungen zu kommen.
Herr Dr. Addicks.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Ihre Antwort
auf meine Frage war sehr formal. Sie haben bestimmte
Maßnahmen ergriffen, aber wenn nicht im Einzelnen
nachgeprüft werden kann, was an den zitierten AusfühDr. Karl Addicks
rungen von Herrn Nooke dran ist, dann ist wahrscheinlich auch der Erfolg der von Ihnen ergriffenen Maßnahmen nicht nachprüfbar. Vor diesem Hintergrund frage
ich Sie, ob die Bundesregierung geneigt ist, den Informationen bzw. Gerüchten nachzugehen? Es hat tatsächlich den Charakter von Gerüchten, aber als jemand, der
lange Jahre in Afrika tätig war, kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass es keine Gerüchte, sondern Tatsachen sind, dass im großen Stil Gelder veruntreut bzw.
abgezweigt werden. Ist die Bundesregierung geneigt,
diese Gerüchte aufzugreifen, um sicherzustellen, dass
die von den Steuerzahlern mühsam erwirtschafteten Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich den
von uns gewollten Zwecken zugutekommen und nicht
auf irgendwelchen Nummernkonten in der Schweiz oder
in anderen Steuerparadiesen landen?
Herr Dr. Addicks, Sie haben als Abgeordneter zwei
Möglichkeiten, den Gerüchten nachzugehen. Wenn Ihnen Erkenntnisse oder auch Unterlagen darüber vorliegen, dass Gelder versickern, dann bitte ich Sie herzlich,
diese zum einen der Bundesregierung mitzuteilen, damit
wir die Informationen überprüfen können und nicht länger auf Mutmaßungen angewiesen sind, und sie zum anderen den Mitgliedern des Haushaltsausschusses vorzulegen, damit sie auch durch die Aufsichtsratsgremien der
KfW Entwicklungsbank und der GTZ entsprechend geprüft werden können.
Da mir keine Unterlagen vorliegen, die über das Gerücht in einer Zeitungsmeldung hinausgehen, konnten
wir keine entsprechende Überprüfung vornehmen. Deswegen ist meine Antwort auf Ihre erste Frage formal; es
war eine formal gestellte Frage, die sich nicht auf ein
konkretes Ereignis bezieht.
Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr
Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 12 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke:
Gedenkt die Bundesregierung, im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft auf die Regierungen Estlands und Polens sowie gegebenenfalls weiterer Mitgliedstaaten einzuwirken, die
Entfernung von Mahn- und Denkmälern, die an den Beitrag
der Sowjetunion zur Befreiung Europas vom Faschismus erinnern, zu unterlassen, und, wenn ja, wie?
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Gehrcke, meine Antwort auf Ihre Frage lautet: Die EU
hat in dieser Frage keine Zuständigkeit. Die Bundesregierung beabsichtigt daher nicht, im Rahmen der EURatspräsidentschaft in einem solchen Sinne tätig zu werden.
Ihre Nachfrage, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, dieses Thema hat aber zumindest
am Rande des Gipfeltreffens zwischen der EU und Russland eine bedeutende Rolle gespielt. Ich nehme zur
Kenntnis, dass die Frau Bundeskanzlerin offensichtlich
außerhalb ihrer Kompetenz, aber sinnvoll gehandelt hat.
Meinen Sie nicht auch, dass bei aller nationaler Verantwortung, die eigene Geschichte aufzuarbeiten - und
zwar durchaus differenziert -, auch ein europäisches Interesse vorhanden ist, diese Probleme in einem vernünftigen Sinne zu regeln?
Herr Kollege Gehrcke, meine Aussage bezog sich
darauf, dass es bei der nationalen Politik hinsichtlich der
Fragen, wohin Denkmäler gehören und ob sie bewegt
werden, keine EU-Zuständigkeit gibt, denn dies berührt
nicht Gemeinschaftsrecht. Das heißt nicht, dass es in einem solchen Konflikt keine Handlungsnotwendigkeit
gibt.
Sie wissen, dass sich die EU-Ratspräsidentschaft und
damit Deutschland erfolgreich bemüht hat, in diesem
konkreten Fall zu deeskalieren. Wir haben uns hier erhebliche Mühe gegeben, und es hat am Schluss auch
funktioniert. Bei dem EU-Russland-Gipfel in Samara
haben wir uns ebenfalls bemüht, zu einer weiteren
Deeskalation bei diesem Thema beizutragen. Insofern
besteht natürlich eine allgemeine politische Zuständigkeit.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Nachdem wir uns einig sind, dass es eine allgemeine
politische Zuständigkeit der Europäischen Union gibt,
möchte ich ferner wissen, wie die Europäische Union
über das hinaus, was in Samara in Bezug auf das Verhältnis zu Russland debattiert worden ist, versucht, diese
Problematik jetzt auf der politischen Ebene weiter zu erörtern. Es ist völlig klar, dass diese Denk- und Ehrenmäler - es handelt sich ja nicht um allgemeine Denkmäler,
sondern solche mit Bezug auf die Befreiung vom Faschismus - eine hohe Symbolkraft und in Auseinandersetzungen einen hohen Rang haben. Bleibt das Thema
auf der Tagesordnung, und wird gerade mit Polen das
Gespräch hierüber gesucht, da das entsprechende Gesetz
von Polen noch nicht verabschiedet ist?
Herr Kollege Gehrcke, die Zuständigkeit oder die
Mitverantwortung besteht hinsichtlich der politischen
Folgen von solchen Vorgängen. Dies ist von der nationalen Zuständigkeit für Einzelmaßnahmen zu trennen. Es
ist richtig, dass seit dem 15. Mai auch im polnischen
Parlament ein entsprechendes Gesetz beraten wird, wobei es allerdings zu früh ist, hierzu irgendeine Bewertung vorzunehmen; denn die Verhandlungen darüber haben gerade erst begonnen.
Insgesamt hat sich die Ratspräsidentschaft sehr darum
bemüht, zu verhindern, dass solche Einzelprobleme zwischen Russland und EU-Staaten unser Bestreben, zur
Entwicklung einer strategischen Partnerschaft zwischen
der EU und der Russischen Föderation zu kommen, blockieren. Das werden wir auch weiterhin tun, ohne dabei
zuzulassen, dass wiederum von der russischen Seite versucht wird, bestimmte Themen als in ihre bilaterale Zuständigkeit fallend zu regeln und zu sagen: Lasst euch in
eurer europäischen Politik nicht von solchen bilateralen
Problemen beeinträchtigen! Das kann nicht zugelassen
werden. Wir haben die Gesamtverantwortung für Probleme jedes einzelnen EU-Staates mit einem so wichtigen Nachbarn wie der Russischen Föderation.
Herr Kollege Beck, bitte.
Der Vorgang insgesamt zeigt, wie kompliziert europäische Geschichte gerade im osteuropäischen Raum ist,
auch hinsichtlich dessen, was die Denkmäler für die einen oder für die anderen bedeuten. Zeigt dieser Vorgang
nicht auch nach Ansicht der Bundesregierung, dass man
bei solchen geschichtspolitischen Fragen sehr sensibel
und behutsam sein muss? Ist vor diesem Hintergrund die
Überlegung, von der ich höre, dass sie in der Bundesregierung und in der Koalition besteht, nicht äußerst gefährlich, an dem Gesetz über die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ dahin gehend zu
drehen, dass man sie von einer internationalen Stiftung
unter Beteiligung der Osteuropäer faktisch zu einer deutschen Stiftung umgründet, bei der alle Autorität und
Entscheidungsgewalt an deutsche Abgeordnete, die
deutsche Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft
übergehen?
Ich habe gerade in der letzten Woche in Warschau Gespräche darüber geführt; die Leute dort sind enorm alarmiert. Das ist gegenüber Polen und gegenüber der Russischen Föderation eine genauso kitzlige Geschichte wie
gegenüber den anderen beteiligten osteuropäischen Staaten, sodass es ratsam wäre, hier nicht noch mehr Porzellan zu zerschlagen, wodurch noch mehr Probleme entstünden, als auf dem internationalen Parkett ohnehin
schon aufgetürmt sind.
Herr Kollege Beck, ich weiß eigentlich nicht, welchen konkreten Vorwurf Sie machen bzw. welche konkrete Sorge Sie in diesem Zusammenhang haben.
({0})
Ich denke - das geht im Übrigen auch aus der Frage des
Kollegen Gehrcke hervor -, dass die Bundesrepublik
bisher die notwendige Sensibilität im Umgang mit Geschichtsfragen zeigt, und das mit keinem schlechten Ergebnis. Hier ist ein gewisses Maß an Vertrauen zwischen
Deutschland und den Nachbarn gewachsen, auf das man
in Zukunft weiter aufbauen kann.
Wir kommen damit zur Frage 13 des Kollegen
Gehrcke:
Können nach Auffassung der Bundesregierung die Erfahrungen der staatlichen Vereinbarung zwischen Deutschland
und Russland über die Pflege russischer Soldatenfriedhöfe,
Ehrenmale und deutscher Soldatenfriedhöfe in Russland geeignet sein, einem solchen Geschichtsrevisionismus entgegenzuwirken?
Herr Kollege Gehrcke, meine Antwort auf Ihre Frage
lautet: Sofern andere Partnerstaaten dies wünschen, ist
die Bundesregierung bereit, ihre Erfahrungen bei der
Pflege der russischen Soldatenfriedhöfe und Ehrenmale
in Deutschland sowie der deutschen Soldatenfriedhöfe in
Russland auf der Grundlage des bilateralen Kriegsgräberabkommens zu teilen. Die Umsetzung des bilateralen
Abkommens durch Deutschland entspricht der besonderen deutschen Verantwortung für die Aufarbeitung der
Vergangenheit.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Diesmal habe ich nur eine Zusatzfrage. Gerade weil
ich die Regelung in Deutschland für sehr vernünftig
halte - wenn man sich in Berlin umschaut, dann stellt
man fest, dass das eine Signalwirkung hat, was nicht
heißt, dass alle Probleme gelöst sind -: Resultiert nicht
aus der Tatsache, dass es sich zumeist um Ehrenmale
zum Gedenken an den faschistischen Krieg, dessen Urheber Deutschland war, handelt, eine besondere bilaterale Verantwortung Deutschlands gegenüber anderen
Staaten, die es anders handhaben oder möglicherweise
anders handhaben, und in der Europäischen Union, das
notwendige politische Problembewusstsein wachzuhalten?
Herr Kollege Gehrcke, ich empfehle hier, eine Alltagserfahrung zu nutzen. Ich bin gerne bereit, zuzugeben,
dass wir gute Erfahrungen gemacht haben und dass das
ein guter Ansatz ist. Das in dem Abkommen enthaltene
Prinzip, wonach man die Verantwortung für den Schutz
der Kriegsgräber übernimmt, ein dauerhaftes Ruherecht
einräumt und sich verpflichtet, die Würde der Umgebung zu wahren, ist nicht schlecht. Die Erfahrungen
13 Jahre nach Inkrafttreten dieses Abkommens sind sicherlich gut. Aber sollen wir in einer solchen Situation
sagen: „Hier haben wir ein tolles Beispiel; richtet euch
einmal danach“? Das kann derjenige, der beispielgebend
ist, schlecht machen. Es wäre eigentlich die Aufgabe von
anderen, zu sagen: Es gibt doch gute Beispiele, die zeigen, wie man das regeln kann. - Wir sollten jedenfalls
nicht so nach vorne gehen und sagen: Wir wissen, wie es
gemacht wird; schaut euch das einmal an. Auf diese Idee
sollten vielleicht andere kommen.
Wenn ich das sagen darf: Sie werden schon einen
Weg finden, das bei aller notwendigen Bescheidenheit
deutlich zu machen.
Ich danke für Ihr Vertrauen, Herr Kollege.
Damit rufe ich die Frage 14 des Kollegen Omid
Nouripour auf:
Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft zur Unterstützung der Bemühungen zur Freilassung der US-amerikanischen Staatsbürgerin iranischer Herkunft H. E., die seit über
vier Monaten im Iran festgehalten wird?
Herr Kollege Nouripour, meine Antwort lautet: Über
den Fall einer im Iran festgehaltenen iranischstämmigen
US-Amerikanerin ist zwischen Beamten des Auswärtigen Amtes und des US-amerikanischen Außenministeriums auf Arbeitsebene gesprochen worden. Die Bundesregierung ist bislang weder direkt noch in ihrer
Funktion als Ratspräsidentschaft der Europäischen
Union von amerikanischer Seite in dieser Frage um Unterstützung gebeten worden. Schutzmachtvertretung der
USA im Iran ist die Schweiz.
Die islamische Republik Iran kennt das Institut der
Doppelstaatsbürgerschaft nicht. Der Iran entlässt seine
Bürger fast nie aus seiner Staatsbürgerschaft. Personen,
die sowohl die iranische als auch eine andere Staatsangehörigkeit besitzen, werden bei Aufenthalt im Iran ausschließlich als iranische Staatsangehörige behandelt. Die
Möglichkeiten einer Unterstützung in Konsularangelegenheiten sind für den jeweils anderen Staat, dessen
Staatsangehörigkeit der Doppelstaatler besitzt, äußerst
beschränkt.
In den Reisehinweisen der Bundesregierung zu Iran
ist deshalb eine entsprechende Warnung für deutsche
Staatsangehörige iranischer Abstammung enthalten.
Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, der Fall, nach dem ich frage, ist
nicht der einzige, den es zurzeit gibt. Können Sie bestätigen, dass es derzeit seitens der aktuellen iranischen Regierung eine stärkere Tendenz gibt, menschliche Geiseln
zu nehmen, um möglicherweise eine bessere Position bei
all den Auseinandersetzungen, die es zwischen dem Iran
und der EU bzw. den USA gibt, beispielsweise in der
Atomfrage, zu erreichen?
({0})
Herr Kollege Nouripour, uns sind die Gründe für das
Festhalten der besagten Person im Einzelnen nicht bekannt. Wir kennen die Vorwürfe, die erhoben worden
sind, und wir wissen, dass diese Vorwürfe von amerikanischer Seite und auch von der Institution, dem
Woodrow Wilson Center, in der die besagte Person arbeitet, zurückgewiesen worden sind. Da wir die wahren
Gründe nicht kennen, ist es schwierig, einen Zusammenhang mit der allgemeinen iranischen Politik in belastbarer Weise herzustellen.
Herr Kollege, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Es gibt den Vorwurf, dass die betreffende Person für
ihre wissenschaftlichen Projekte Geld von der SorosStiftung bekommen hat. Meines Wissens hat die SorosStiftung ihren Hauptsitz in Brüssel, wenn ich mich nicht
irre. Teilen Sie die Auffassung und wären Sie als Bundesregierung bereit, den Iranern mitzuteilen, dass die
Soros-Stiftung keine Einrichtung ist, die Umsturzversuche im Iran beabsichtigt, sondern dass es eine rein karitative und wissenschaftliche Vereinigung ist, und würden Sie die Soros-Stiftung dazu bewegen, dass sie sich
dazu äußert?
Herr Kollege Nouripour, solche Bemühungen, der betroffenen Person zu helfen, können überhaupt erst dann
stattfinden, wenn wir in irgendeiner Weise um Hilfe gebeten werden. Ich hatte schon ausgeführt, dass dies nicht
der Fall ist. Die Vereinigten Staaten haben die Schweiz
gebeten, vermittelnd tätig zu werden. Sie wissen auch,
dass die berühmte Nobelpreisträgerin Schirin Ebadi angeboten hat, die betroffene Person juristisch zu vertreten.
Das ist leider nicht zugelassen worden. Das, was Sie andeuten, was man möglicherweise tun könnte, können wir
erst in Erwägung ziehen, wenn wir tatsächlich von den
Betroffenen in irgendeiner Weise angesprochen werden,
was bisher nicht der Fall gewesen ist.
Wir haben zu diesem Geschäftsbereich keine Fragen
mehr. Herr Staatsminister, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen. Ich schließe den Geschäftsbereich
des Auswärtigen Amtes.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.
Die Frage 15 der Kollegin Erika Steinbach wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Omid
Nouripour auf:
Was ist der konkrete Auftrag der der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex zur Verfügung gestellten deutschen
Boote, die derzeit in der Ostsee stationiert sind?
Ich antworte auf die Frage wie folgt: Deutschland hat
im Rahmen der Errichtung des technischen Zentralregisters nach Art. 7 der Verordnung ({0}) Nr. 2007/2005 des
Rates vom 26. Oktober 2005 unter anderem ein Schiff
ausschließlich für den Einsatz im Bereich der Nord- und
Ostsee gemeldet. Das Schiff wird nur mit dem erforderlichen Bedienpersonal zur Verfügung gestellt. Die Bereitstellung ist freiwillig und steht unter dem Vorbehalt
der nationalen Einsatz- und Haushaltslage.
Ein Schiff der Bundespolizei kann ausschließlich in
der Nord- und Ostsee auf Grundlage des Art. 7 der genannten Verordnung des Rates vom 26. Oktober 2005
einem anderen Mitgliedstaat oder Frontex für Einsatzmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Der Einsatzauftrag wird in diesen Fällen durch den anfordernden
Mitgliedstaat oder durch Frontex festgelegt. Ansonsten
nehmen die Schiffe der Bundespolizei die gesetzlich zugewiesenen Überwachungsmaßnahmen in der Nord- und
Ostsee wahr.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Ich möchte meine schriftlich eingereichte Frage wiederholen: Worin besteht der Auftrag dieses einen Schiffes? Was hat das mit Grenzschutz zu tun? Warum besteht
dort Bedarf für Grenzschutz auf hoher See?
Herr Kollege, zunächst einmal: Das technische Zentralregister regelt insgesamt die Bereitstellung für die
Europäische Grenzschutzagentur. Die Mitgliedstaaten
werden dem im Rahmen ihrer Möglichkeiten gerecht.
Was die Schiffe der Bundespolizei betrifft: Das Angebot ist in dem geschilderten Umfang gemacht worden.
Diese Schiffe stehen für Einsätze zur Verfügung, die gemäß dem zugrunde liegenden Abkommen von den Mitgliedstaaten bzw. von der Europäischen Grenzschutzagentur durchgeführt werden können.
Ich müsste etwas konstruieren, um einen Fall zu nennen, in dem dieses Mittel gegenwärtig eingesetzt werden
könnte. Das hindert aber nicht daran, im Rahmen der
Übereinkunft eventuell auf das technische Zentralregister zurückzugreifen. Diese Entscheidung müsste natürlich im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland, was den Einsatz von Schiffen
der Bundespolizei betrifft, getroffen werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Der Direktor von Frontex nennt als Hauptrouten für
illegale Migration in die EU: die südliche Seeaußengrenze, die östliche Landesaußengrenze über den Balkan, bedeutende internationale Flughäfen. Das alles sind
keine Ostseerouten. Wir wissen, dass die Aufgabe von
Frontex in erster Linie darin besteht, dazu beizutragen,
dass die EU gegen illegale Einwanderung abgeschottet
wird. Die Gefahr illegaler Einwanderung ist in diesem
Fall nicht gegeben. Wie will die Bundesregierung ausschließen, dass Frontex beim Schutz des G-8-Gipfels in
Heiligendamm zum Einsatz kommt, was nicht ihre Aufgabe ist?
Herr Kollege, ich will zunächst einmal darauf aufmerksam machen, dass die Bereitstellung der Bundesregierung für Frontex sich nicht auf den Einsatz von
Schiffen beschränkt. Beispielsweise werden auch Hubschrauber zur Verfügung gestellt, die zum Einsatz auf
den von Ihnen beschriebenen Gebieten durchaus geeignet sind.
Darüber hinaus muss ich darauf aufmerksam machen,
dass die hochseetüchtigen Schiffe der Bundespolizei
sich auch für die besondere Einsatzlage im Mittelmeerraum, die Sie geschildert haben - im Regelfall ist sie mit
Aktionen zur Rettung von in Seenot Geratenen verbunden -, vergleichsweise wenig eignen. Eine Verlagerung
des Einsatzes in den Mittelmeerraum ist aus verschiedenen Gründen nicht infrage gekommen. Die deutschen
Boote werden der Europäischen Grenzschutzagentur
Frontex für einen Einsatz zur Verfügung gestellt, der
- jedenfalls aus meiner Sicht - gegenwärtig noch nicht
absehbar ist.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Volker Beck
({0}) auf:
Wie stellt die Bundesregierung durch vertragliche Vereinbarungen mit externen Dienstleistern und Controlling die Bezahlung des tariflichen Mindestlohns an die dort beschäftigten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicher?
Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 der Verdingungsverordnung für Leistungen, Teil A ({0}) werden bei der
Auswahl der Angebote nur Bieter berücksichtigt, die
auch die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen. Sofern
ungewöhnlich niedrige Preise angeboten werden, ist gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A nachzufragen, wie die
Preise zustande kamen. Verweigert das Unternehmen die
Aufklärung oder werden im Rahmen der Offenlegung
der Kalkulation Verstöße beanstandet, wird dies in der
Vergabeentscheidung durch einen Ausschluss des Angebots berücksichtigt.
Generelle Regelungen im Rahmen des Controllings
zu dieser Frage existieren nicht.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Dazu sage ich nur: Gebrannte Kinder scheuen das
Feuer. Wir haben das Gleiche im Bundestag schon einmal erlebt: Wir haben gedacht, wir könnten uns auf solche Regelungen verlassen, um dann erleben zu müssen,
dass die Realität zum Teil im Widerspruch zur vermeintlichen Vertragssituation stand. Deshalb möchte ich Sie
schon fragen, ob Sie ausschließen können, dass Dienstleister, die im Auftrag der Bundesregierung handeln, untertariflich bezahlen, oder wie Sie sich diesbezüglich in
Zukunft Sicherheit verschaffen wollen.
Herr Kollege, wie ich bereits gesagt habe, ist das Instrument, auf das wir in diesem Zusammenhang verweisen können, die sachgemäße Auftragsvergabe nach der
VOL/A. Ich hatte ein bisschen die Sorge, dass Sie mich
mit einem Fall aus einem Geschäftsbereich konfrontieren,
({0})
der mich da in Verlegenheit bringt und tatsächlich den
Nachweis führt, dass an einer Stelle die Dinge so unbefriedigend gelaufen sind wie in dem Fall, den Sie mit
Blick auf den Bundestag genannt haben. Das scheint nun
nicht der Fall zu sein, sodass ich jetzt allen Grund habe,
davon auszugehen, dass sich das genannte Instrument
für die Bundesregierung bisher als hinreichend erwiesen
hat.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Ich möchte Sie tatsächlich noch einmal fragen, ob Sie
nicht meinen, dass die Bundesregierung angesichts der
Erfahrung, die wir im Hohen Hause machen mussten
- ich glaube, unsere Verwaltung arbeitet bei solchen Sachen auch sehr zuverlässig und entsprechend den
Rechtsgrundlagen -, überlegen muss, zu einem Controllingsystem zu kommen, mit dem sie das sicherstellt, und
sich nicht darauf verlassen darf, dass Paragrafen in irgendwelchen Verordnungen über Ausschreibungsbedingungen die Sache schon richten werden. Man muss eben
manchmal kontrollieren, obwohl ich mich nicht im
Sinne der Linksfraktion dazu versteigen will, zu sagen,
dass Kontrolle immer besser sei als Vertrauen; aber ein
bisschen Kontrolle schadet ja vielleicht nicht.
Herr Kollege Beck, alle parlamentarischen Debatten
und auch Fragestunden haben Rückwirkungen auf die
Entscheidungsprozesse in den Häusern. Ich schließe
nicht aus, dass auch Ihre Frage Anlass dazu sein kann,
über solche Instrumente nachzudenken.
Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass wir andererseits gehalten sind, auch vom Parlament, den Bürokratieaufwand durch Entscheidungen der Bundesregierungen so gering wie möglich zu halten. Unter diesem
Gesichtspunkt müssen gesonderte Controllingmaßnahmen, wenn für ihre Etablierung kein konkreter Anlass
besteht, sorgfältig bedacht werden.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen
beantwortet die Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Dagmar Wöhrl.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
Wie verteilten sich die 700 Gemeinden bzw. 1 Million
Haushalte, die in Deutschland laut Breitbandatlas und nach
Angabe der Bundesregierung ({0}) keine kostengünstige Breitbandanschlussmöglichkeit besitzen, ungefähr auf die einzelnen Bundesländer,
und wie hoch ist die Breitbandverfügbarkeit in den jeweiligen
Bundesländern?
Frau Kollegin Zimmermann, die regionale Verteilung
der bisher nicht mit Breitband versorgten Gebiete - zurzeit sind das circa 700 Gemeinden und circa 1 Million
Haushalte - wird von der Bundesregierung nicht ermittelt. Auf der Basis des BMWi-Breitbandatlas sind regionale Breitbandinitiativen der Bundesländer bei der
Erfassung der konkreten Versorgungslage und der Feststellung des Handlungsbedarfs aktiv.
Im Allgemeinen gilt, dass es in dünnbesiedelten Regionen wie etwa im Nordosten von Deutschland mehr
Breitbandlücken gibt als im dichtbesiedelten Südwesten.
Aber auch in Ballungsgebieten gibt es - oft technisch bedingt - teilweise unversorgte Haushalte.
Nichtsdestoweniger ist die Verfügbarkeit von Breitband generell hoch. Nach der jüngsten Erhebung zum
Breitbandatlas vom Herbst 2006 können etwa 97 Prozent der deutschen Haushalte mit Breitband, also DSL,
Kabel, Funk und UMTS, versorgt werden. Dominierend
ist dabei DSL mit circa 95 Prozent.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke schön. - Der Breitbandatlas, von dem Sie sprachen, zeigt deutlich weiße Flecken, vor allen Dingen in
Mecklenburg-Vorpommern oder auch in Ostsachsen
- diese zwei Regionen darf ich einmal nennen -, Gebiete, die noch wenig mit Breitband versorgt sind. Sind
Sie mit mir einer Meinung, vor allen Dingen vor dem
Hintergrund der Herbeiführung gleichwertiger Lebensbedingungen zum Beispiel für Familien mit Kindern,
dass alle Zugang zu DSL erhalten sollten, da die alternativen Breitbandverfügbarkeiten natürlich teurer sind als
DSL und viele Menschen aufgrund der niedrigen Löhne
zum einen und der hohen Arbeitslosigkeit zum anderen
- ich nenne nur Hartz IV als Stichwort - nicht in der
Lage sind, sich diese alternativen Breitbandbedingungen
zu leisten?
Frau Kollegin, wenn Sie auf eine Verpflichtung des
Universaldienstes hinauswollen, ist dazu auszuführen,
dass von unserer Seite nicht angestrebt wird, ein Unternehmen zu verpflichten, flächendeckend Breitband zur
Verfügung zu stellen. Das würde nämlich zusätzliche
Kosten bedeuten, die auch von den Verbrauchern zu zahlen wären. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass - wir
sind jetzt bei 97 Prozent und erwarten im nächsten Jahr
98 Prozent; allein im letzten Jahr haben 300 neue Gemeinden einen Anschluss bekommen - aufgrund der
marktwirtschaftlichen Prinzipien eine volle Versorgung
erreicht wird.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Wäre es nicht möglich und auch in Ihrem Interesse
- zum Beispiel in einer Stadt werden solche Leitungen
gelegt, um mehrere Haushalte anzuschließen; das ist einfach; im ländlichen Bereich ist das schwieriger -, dass
die Gewinne, die in der Stadt und in den Ballungszentren
erzielt werden, dazu verwendet werden, im ländlichen
Raum neue Anschlüsse zu schaffen?
Hier sind auch die Länder und die Kommunen gefordert, die teilweise schon sehr aktiv sind. In SchleswigHolstein wird momentan ein Breitbandförderprogramm
aufgelegt. Das Bundeswirtschaftsministerium ist bei dieser Förderung mittels des Europäischen Strukturfonds
unterstützend und mitberatend tätig. Inzwischen gibt es
auch eine Initiative unseres Landwirtschaftsministeriums zur Förderung gerade der Versorgung des ländlichen Bereichs.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Bellmann.
Frau Staatssekretärin, ich möchte die Frage der Kollegin Zimmermann ergänzen. Ich möchte nicht nur den sozialen Aspekt sehen, nicht nur die Bürger und die Haushalte, sondern auch auf die Unternehmen zu sprechen
kommen. In meinem Wahlkreis gibt es einige Gemeinden, die noch keinen DSL-Anschluss haben. Es ist zu
verzeichnen, dass einige Unternehmen das als Standortnachteil sehen und dort weggehen. Mein Wahlkreis liegt
in Sachsen. Da es dort relativ viele strukturschwache Regionen gibt, ist das natürlich ein zusätzlicher Nachteil.
Nun haben Sie davon gesprochen, dass eine volle Versorgung das Ziel sei. Können Sie sagen, in welchem
Zeithorizont das zu erwarten ist?
Uns liegen keine Erkenntnisse darüber vor, wann hier
eine Vollversorgung erreicht werden kann. Wir sehen
aber momentan das Problem einer sehr starken Fokussierung auf DSL; die anderen technologischen Möglichkeiten sind viel zu wenig bekannt. Es werden auch Kabel
und Funk wie WiMAX oder HSDPA angeboten. Wir sehen unsere Aufgabe auch darin, diese anderen technologischen Möglichkeiten viel stärker publik zu machen.
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Zimmermann auf:
Auf wie hoch beziffert die Bundesregierung die „erheblichen Zusatzkosten“, die laut ihrer Antwort auf Bundestagsdrucksache 16/5070 für eine flächendeckende Vollversorgung mit DSL nötig wären, und welche Spannbreite können
die Kostenunterschiede zwischen einem herkömmlichen
DSL-Anschluss und alternativen Lösungen für die einzelnen
Haushalte annehmen?
Die in der Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/5070 genannten „erheblichen Zusatzkosten“ sind nach Ansicht der Bundesregierung nur
schwer quantifizierbar. Experten gehen davon aus, dass
eine 100-prozentige Erschließung der deutschen Haushalte mit der herkömmlichen DSL-Technik in etwa so
viel kosten würde wie das bisher installierte DSL-Netz.
Die Preisunterschiede zwischen DSL und alternativen
Lösungen sind mittlerweile gering. Kabel- oder Funkangebote sind in Preis und Leistung heute durchaus wettbewerbsfähig mit DSL. Anders sieht es bei den flächendeckend verfügbaren Satellitenangeboten aus, die in
Abhängigkeit von der Technologie - Satellit für Up- und
Downstream oder Upstream über ISDN - zum Teil teurer sind. Danach richten sich die unterschiedlichen
Preise und Übertragungsraten. Beim Satellit können hier
zu den monatlich bereits erhöhten Kosten noch Einmalkosten in Höhe von mehreren hundert Euro für die Installation hinzukommen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Meine Zusatzfrage geht in die Richtung der Frage der
Kollegin Bellmann. Ich komme auch aus Sachsen. Sie
wissen, dass es deutschlandweit über 2000 Bürgerinitiativen gibt, die sich gegründet haben, um DSL-Anschlüsse zu bekommen. Ich denke, diese Anschlüsse
sind gerade für die Unternehmen wichtig. Sie sprechen
für das Wirtschaftsministerium. Wie wollen Sie den Unternehmen klar machen, dass sie die Möglichkeit eines
DSL-Anschlusses nicht haben? Wir diskutieren im Telekommunikationsbereich jetzt schon über VDSL. Für
mich wäre es wichtig, zu wissen, was Sie den Unternehmen sagen, die diese Möglichkeit nicht haben.
Wir streben natürlich eine Vollversorgung an. Ich
habe das vorhin erwähnt. DSL ist zum größten Teil verfügbar. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass
die Deutsche Telekom hier keine deutschlandweite Versorgung leisten wird. Das ist Fakt. Deswegen müssen
wir schauen, dass wir mit den anderen verfügbaren technologischen Möglichkeiten durch andere Anbieter, die
es schon gibt, zu einer Versorgung kommen. Wir führen
natürlich Gespräche mit den Unternehmen. Die Entscheidung über diese Einrichtungen obliegt allerdings
den Unternehmen selbst.
Sie haben noch eine Zusatzfrage? - Nein. Dann folgt
jetzt eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Bellmann.
Frau Staatssekretärin, meine Zusatzfrage richtet sich
wieder auf den Zeithorizont. Sie haben vorhin angemerkt, dass mehrere Förderprogramme in der Diskussion sind, und zwar sowohl des Landwirtschaftsministeriums als auch des ESF, um zur Schließung der
Versorgungslücke Alternativangebote der Technik und
entsprechende Versorgungsangebote zu nutzen. Welchen
Zeithorizont sehen Sie hier, den man den Kommunen
und den Unternehmern nennen könnte, damit diese sich
zusammenschließen und eine Initiative gründen können?
Man könnte dann versuchen, über einen entsprechenden
Antrag und über ein Förderprogramm die zum Beispiel
im Vergleich von Satellitentechnik zu DSL bestehende
Kostendiskrepanz zu überbrücken.
Die Förderprogramme bestehen größtenteils bereits,
zum Beispiel das des Europäischen Strukturfonds. Hier
geht es auch um Aufklärungsarbeit, die wir jetzt schon
über das Ministerium leisten. Wir bemühen uns natürlich
auch um eine begleitende Unterstützung der Parlamentarier in den Wahlkreisen. Ein neues Förderprogramm ist
vom Landwirtschaftsministerium für den ländlichen
Raum angedacht. Angestrebt ist eine 98-prozentige Versorgung im nächsten Jahr. Wann 100 Prozent erreichbar
sein werden, können wir Ihnen nicht sagen.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Alexander Bonde
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Warnung der indischen Botschafterin, Meera Shankar, in Berlin vor dem Verkauf von drei hochmodernen deutschen U-Booten an das in
einem Krisengebiet liegende, innenpolitisch instabile Pakistan, die diese in einem Schreiben an den Haushaltsausschuss
des Deutschen Bundestages, welches der Bundesregierung im
Haushaltsausschuss sowie im Unterausschuss Abrüstung des
Auswärtigen Ausschusses zur Kenntnis gebracht wurde, mit
der eindringlichen Aufforderung zur Verhinderung des Exports formuliert hat?
Herr Kollege Bonde, generell gilt, dass die Bundesregierung wie auch die europäischen Partner bei Rüstungsexporten, auch bei solchen nach Südasien, auf Basis
des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren entscheiden. In Deutschland gelten zusätzlich die politischen
Grundsätze der Bundesregierung für Rüstungsexporte
aus dem Jahr 2000. Wesentliches Kriterium für eine Genehmigungsentscheidung sind gemäß Kodex sowie den
Grundsätzen die möglichen Auswirkungen eines Rüstungsexports auf die regionale Sicherheitslage. Diese
müssen wir überprüfen. Insofern werden in dem von
Ihnen angeführten Schreiben von der indischen Botschafterin Gesichtspunkte angesprochen, die von der Bundesregierung sowie von unseren EU-Partnern bei Genehmigungsentscheidungen generell berücksichtigt werden.
Ich möchte noch hinzufügen, dass die Artikel aus dem
„Spiegel“ und der „Financial Times“, die die indische
Botschafterin beigelegt hat, der Bundesregierung bekannt waren.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, meine Frage war, wie die Bundesregierung die Aussagen der Botschafterin in ihrem
Schreiben an den Haushaltsausschuss bewertet. Die Botschafterin spricht von der Besorgnis der indischen Regierung über die Absicht Deutschlands, diese U-Boote
an Pakistan zu verkaufen. Sie spricht auch von einer negativen Auswirkung auf die sicherheitspolitische Situation in der Nachbarschaft und von schwerwiegenden
Auswirkungen auf die laufenden Prozesse der Vertrauensbildung und des Dialoges.
Wie sind diese von der indischen Botschafterin genannten Auswirkungen mit dem einzigen Kriterium vereinbar, das Ihnen nach den von der Bundesregierung
selbst aufgestellten Grundsätzen eine Exportgenehmigung erlaubt, nämlich einem außen- und sicherheitspolitischen Interesse der Bundesrepublik? Wirtschafts- und
arbeitsmarktpolitische Erwägungen sind, wie Sie wissen,
ausdrücklich ausgeschlossen. Wie bewertet also die
Bundesregierung die Aussagen der indischen Botschafterin, die erkennbar nicht im Einklang mit der Entscheidung der Bundesregierung stehen?
Sie können davon ausgehen, dass bei der Entscheidung über diesen Rüstungsexport auch das Verhältnis
zwischen Indien und Pakistan eine Rolle gespielt hat. Im
Übrigen möchte ich auf die Beratungen im Haushaltsausschuss und im Unterausschuss Abrüstung des Deutschen Bundestages vor zwei Wochen verweisen. Als dort
dieses Thema erörtert wurde, waren auch Sie anwesend.
Zu weiteren Details kann ich jetzt nichts sagen, weil
darüber der Bundessicherheitsrat in geheimer Sitzung
befindet.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich habe an diesen Sitzungen teilgenommen; Sie haben auf die dort gegebenen Antworten auf meine Fragen
verwiesen. Aber eine Frage ist bis heute noch unbeantwortet, nämlich die Frage, welches außen- und sicherheitspolitisches Interesse die Bundesregierung beim Export von U-Booten, die von Pakistan atomar bestückbar
sind, in das Krisengebiet sieht, auch unter Berücksichtigung der von der indischen Seite genannten Konsequenzen. Vielleicht können Sie mir diese Frage, die bis heute
noch nicht beantwortet wurde, beantworten.
Herr Kollege Bonde, ich wundere mich ein wenig
über Ihre Fragen. Sie wissen ganz genau - ich habe es
vorhin schon erwähnt -, dass es hier um geheime Beratungen des Bundessicherheitsrates geht. Im Haushaltsausschuss ist das, wie Sie wissen, schon angesprochen
worden.
Nichtsdestoweniger wird ein vertraulicher Bericht
über U-Boot-Lieferungen an Pakistan für die Berichterstatter im Haushaltsausschuss vorbereitet. Ich hoffe,
dass durch diesen Bericht Ihre Fragen beantwortet werden.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich. Vielen Dank,
Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Die
Beantwortung der Fragen übernimmt Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth.
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Veronika Bellmann
auf:
Welche Projekte im Bundesfernstraßenbau werden in diesem Jahr in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern,
Sachsen-Anhalt und Thüringen neu begonnen, und welches
Finanzvolumen steht hinter diesen Neubeginnen?
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin
Bellmann, folgende Maßnahmen werden in 2007 begonnen, bei denen der Baubeginn bereits im Jahr 2006 verabredet worden ist:
Mecklenburg-Vorpommern: Autobahn A 14, Jesendorf - nördlich Schwerin, Gesamtkosten 88,4 Millionen
Euro.
Sachsen-Anhalt: Bundesstraße B 81, Ortsumgehung
Kroppenstedt, Gesamtkosten 8,5 Millionen Euro.
Thüringen: Baubeginne beschränken sich auf die Maßnahmen, die im Rahmen der VDE-Projekte finanziert
werden. Dazu gehören: die Autobahn A 4, Erweiterung
Ronneburg-Schmölln, Gesamtkosten 58,9 Millionen
Euro; die Autobahn A 4, Erweiterung Umfahrung Hörselberge - A-Modell; Sie wissen, das ist noch in der Diskussion -, Gesamtkosten 161 Millionen Euro; Autobahn
A 71, Landesgrenze Sachsen-Anhalt/Thüringen-Artern,
Gesamtkosten 26,3 Millionen Euro.
Dabei handelt es sich um Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“. Deshalb werden sie jetzt sukzessive umgesetzt.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich habe vor dem Hintergrund
gefragt, dass in Sachsen im Hinblick auf die Mittel eine
Absenkung der Länderquote von, glaube ich, 7,4 auf
5,8 Prozent erfolgt ist. Das macht dieses Jahr ungefähr
300 Millionen Euro aus. Auf Fragen dazu wurde aus Ihrem Hause immer geantwortet, dass der Abarbeitungsstand in Sachsen überdurchschnittlich hoch ist, sodass es
zu dieser Absenkung der Länderquote kommt.
Nun habe ich in entsprechenden Übersichten gesehen,
dass sich die Abarbeitungsstände in anderen Bundesländern - zumindest in drei Bundesländern; Sachsen nimmt
hier Platz vier ein - auch in dieser Größenordnung bewegen; deswegen habe ich die Frage nach den Neubeginnen des Baus von Bundesfernstraßen gestellt. Auch in
anderen Bundesländern gibt es also Abarbeitungsstände
in vergleichbarer Größenordnung wie in Sachsen, und
trotzdem finden dort Neubeginne statt, auch wenn es
sich um Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ handelt. In
Sachsen finden solche aber nicht statt. Wie begründen
Sie, dass in Sachsen keine Neubeginne möglich sind? Ihr
Hauptargument, dass der Abarbeitungsstand sehr hoch
ist und deswegen keine Neubeginne stattfinden können,
möchte ich an dieser Stelle in Zweifel ziehen.
Frau Präsidentin, vielleicht könnten Sie jetzt die
Frage 23 aufrufen. Denn in meiner Antwort auf die
Frage 23 ist die Antwort auf die Frage, die gerade gestellt wurde, enthalten.
Frau Kollegin Bellmann, sind Sie damit einverstanden? Sie haben dann im Zusammenhang mit der
Frage 23 drei Zusatzfragen.
({0})
- Gut.
Dann rufe ich die Frage 23 der Kollegin Veronika
Bellmann auf:
Wie wird im Hinblick auf gekürzte Hauptbautitel, durch
die beispielsweise in Sachsen 2007 keinerlei Neubeginne im
Bundesfernstraßenbau stattfinden können, mit Maßnahmen
verfahren, bei denen Baurecht besteht und die als absolute
Unfallschwerpunkte gelten, und warum werden Planungsaufgaben für den Bundesfernstraßenbau hauptsächlich über die
Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH an
einen von ihr definierten Stamm von Planungsbüros übertragen?
Jetzt nehme ich Bezug auf die Frage 23. Hat ein Land
für mehrere Maßnahmen bestandskräftige Planfeststellungsbeschlüsse erlangt, so wird gemeinsam mit der
Auftragsverwaltung eine Reihung für die bauliche Realisierung vereinbart. In der Erörterung zur Reihung haben
Kenntnisse wie das Vorliegen von Unfallschwerpunkten
ein hohes Gewicht. Unabhängig hiervon können Maßnahmen in der vereinbarten Reihenfolge aber nur im
Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel
finanziert und somit baulich realisiert werden.
Nach den Art. 90 und 85 des Grundgesetzes planen,
bauen, unterhalten und verwalten die Länder im Auftrag
des Bundes die Bundesfernstraßen. Den Ländern obliegen daher auch alle Aufgaben im Zusammenhang mit
der Planung von Vorhaben. In diesem Rahmen haben
Auftragsverwaltungen der Länder die DEGES, eine
privatrechtlich organisierte Projektmanagementgesellschaft, als sogenannten Dienstleister ohne hoheitliche
Funktionen mit der Planung und Baudurchführung von
bestimmten Vorhaben betraut.
Bei der DEGES werden Planungsaufträge, die von
freiberuflich Tätigen erbracht werden sollen, grundsätzlich nach einem Auswahlverfahren vergeben, indem
mehrere freiberuflich Tätige zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert werden. Bei der Auswahl der zu beteiligenden Büros wird auf Qualifikation des Personals, auf
Erfahrung und Fachkenntnis, Personalkapazität, Zuverlässigkeit und technische Ausstattung besonderer Wert
gelegt. Einen festgelegten Stamm an Planungsbüros gibt
es nicht. - So weit zu Ihrer Frage 23.
Jetzt zu dem, was Sie gerade ergänzend gefragt haben. Es ist klar: Sachsen hat, bezogen auf den Etat 2007,
keinen finanziellen Spielraum. Es ist nicht davon auszugehen, dass in Sachsen 2007 ein Baubeginn stattfinden
kann, weil noch die Mittel für Maßnahmen, die im Rahmen der Unterhaltung oder der Neubeginne des Baus
von Bundesfernstraßen, die 2005/2006 stattgefunden haben, abgearbeitet werden müssen. Das ist eine klare Sache. Dies ist auch in anderen Ländern der Fall. Es ist
nicht außergewöhnlich, dass in Sachsen in 2007 wahrscheinlich kein Neubeginn mehr stattfinden kann, weil
die Haushaltsmittel für 2007 durch die bereits im Bau
befindlichen Maßnahmen und durch Unterhaltungsinvestitionen gebunden sind. Von daher ist Sachsen nicht
benachteiligt.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frage eins von drei Fragen: Frau Staatssekretärin, Sie
haben jetzt auf die besondere Verantwortung der Länder
bei der Priorisierung der Maßnahmen abgestellt, was
Umbau-, Ausbau- und Erhaltungstitel betrifft. Nun ist es
aber in Sachsen so, dass wir gerade bei diesen Erhaltungs- und Umbaumaßnahmen ein begründetes Defizit
von 30 Millionen Euro haben; das hat Ihr Haus, glaube
ich, auch so aufgenommen. Es ist natürlich schwierig, zu
sagen, die Länder müssen entscheiden, was für sie Priorität hat; denn sie haben laufende Maßnahmen zu finanzieren. Wie gehen Sie mit diesem Defizit um, insbesondere beim Unfallschwerpunkt Großschirmaer Delle? Das
ist mein Lieblingsthema, wie Sie wissen.
Liebe Kollegin, die Situation, die Sie schildern - dass
es viele Bundesstraßen-Bauprojekte gibt, wir aber letztlich dafür sorgen müssen, dass auch die Erhaltungsinvestitionen getätigt werden -, betrifft nicht nur Sachsen,
sondern auch andere Bundesländer. Diesen Spagat zwischen Neubeginn- und Erhaltungsinvestitionen müssen
wir im Sinne von Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit
realisieren. Dass es hierbei in den Ländern zu Konflikten
kommen kann und auch kommt - weil man eigentlich
mehr Neubeginne möchte, andererseits aber die Erhaltung nicht vernachlässigen darf -, ist keine Spezialität
von Sachsen. Baden-Württemberg und andere Länder
befinden sich in der gleichen Situation. Insofern würde
es uns helfen, vonseiten des Bundestages noch ein bisschen mehr Geld für die Realisierung des Investitionsrahmenplans zugestanden zu bekommen. Diese Diskussionen haben wir im Rahmen der Haushaltsberatungen
noch vor uns. Wenn Sie uns dabei unterstützen, freuen
wir uns darüber.
Sie haben trotzdem noch zwei Zusatzfragen.
Sie haben den Investitionsrahmenplan angesprochen.
Der Entwurf von 2006 und die momentan vorliegende
Fassung unterscheiden sich für Sachsen in einem Punkt.
Wir haben in der Zwischenzeit Bitten, Forderungen
- wie immer man das nennen möchte - formuliert, welche planfestgestellten Verfahren oder Maßnahmen aus
der Sicht Sachsens in den Investitionsrahmenplan aufgenommen werden. Einer Ihrer Grundsätze beim Investitionsrahmenplan war, dass der Vorzug den Maßnahmen
zu geben ist, die planfestgestellt sind, für die also Baurecht besteht. Nun ist für Sachsen eine Maßnahme hinzugekommen, die noch nicht planfestgestellt ist und bei
der erst für 2008 mit entsprechendem Baurecht gerechnet werden kann, während es sechs andere Maßnahmen
gibt, für die schon Baurecht besteht. Das ist der dritte
Bauabschnitt der Ortsumgehung Pirna, mit 30 Millionen
Euro. Diese Maßnahme soll von der DEGES durchgeführt werden.
Meine Frage an dieser Stelle lautet: Ist die Aufnahme
dieser Maßnahme in dem Zusammenhang zu sehen, dass
sie durch die DEGES durchgeführt werden soll, oder
woran liegt es, dass ausgerechnet dieses Projekt in den
Investitionsrahmenplan aufgenommen worden ist?
Liebe Kollegin Bellmann, wie Sie richtig angeführt
haben, ist zu erwarten, dass für diese Maßnahme 2008
Baurecht besteht. Wir gehen davon aus, dass diese Maß10104
nahme im Rahmen des IRP umgesetzt und durchgeführt
werden kann. Insofern haben wir diese Baumaßnahme
auf Initiativen sicherlich nicht nur der Staatsregierung
Sachsens, sondern wahrscheinlich auch diverser Abgeordneter in den Investitionsrahmenplan aufgenommen.
Das hat nichts damit zu tun, dass die DEGES Projektplaner ist, sondern liegt einfach daran, dass wir davon ausgehen, dass 2008 Baurecht besteht. Dann muss man allerdings mit Sachsen über die Priorisierung verhandeln.
Ich gehe davon aus, dass wir das im Konsens machen.
Sie hätten noch eine Zusatzfrage.
Mit Vergnügen; das nutze ich natürlich. - Ich freue
mich - das ist vollkommen klar - über jede Maßnahme,
die in den Investitionsrahmenplan aufgenommen wird,
auch wenn der Investitionsrahmenplan, wie Sie immer
wieder betonen, keine Finanzierungszusage ist. Trotzdem habe ich die Frage, inwieweit dieses Projekt finanziell gedeckelt werden kann. Haben Sie schon Finanzierungsmöglichkeiten im Hinterkopf, beispielsweise über
den EFRE?
Kollegin Bellmann, das ist eine schwierige Frage. Ich
gehe nicht davon aus, dass wir über die Kosten einer
Baumaßnahme nach dem Prinzip der Deckelung verhandeln können - dann müssten wir die Baumaßnahme als
solche verändern. Entweder gibt es eine Baumaßnahme,
für die bestimmte Kriterien und Anforderungen an die
Qualität und damit auch an Ausbau und Beginn gelten,
oder wir müssten die Maßnahme völlig umplanen. Da,
glaube ich, werden Sie in Sachsen keine großen Freunde
finden. Ich gehe davon aus, dass die Firma DEGES die
Planung im Auftrag Sachsens und des Bundes ordentlich
durchführt. Wenn wir Geld einsparen können, dann tun
wir das.
Wir sind damit am Ende unserer Fragestunde. Die
noch nicht beantworteten Fragen werden nach unserer
Geschäftsordnung schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Beschäftigungspolitische Verantwortung der
Bundesregierung bei der Deutschen Telekom AG
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Klaus Ernst, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir stehen in dieser Republik zurzeit vor einem
sehr harten Arbeitskampf, den wir von diesem klimatisierten Raum unter der Kuppel aus beobachten können.
Um was geht es dabei? Die Arbeitsplätze von
50 000 Menschen sollen ausgegliedert werden, und zwar
mit dem Ziel, ihre Löhne um bis zu 40 Prozent zu senken und ihre Arbeitszeit auf mehr als 40 Stunden pro
Woche zu erhöhen.
Um gleich Klarheit zu schaffen: Das ist nicht nur eine
Angelegenheit des Herrn Obermann und seines Vorstandes, sondern auch eine Angelegenheit der Bundesregierung - die bei der Debatte über diesen Tagesordnungspunkt „zahlreich“ vertreten ist -, weil sie mit 30 Prozent
Anteilseigner der Telekom ist.
({0})
Wer 30 Prozent Anteile an einem Unternehmen besitzt,
der schaut auch, was seine Vertreter im Aufsichtsrat dieses Unternehmens machen. Mir braucht keiner das Gegenteil zu erzählen. Wir wissen, dass die Vertreter der
Bundesregierung einem Konzept zugestimmt haben,
dessen Ergebnis es ist, dass bei den Personalkosten jährlich 900 Millionen Euro eingespart werden. Aus meiner
Sicht ist das ein Skandal.
Damit wir wissen, über welche Löhne wir reden:
Lohngruppe 1, circa 1 700 Euro; Lohngruppe 3 - ein
Monteur -, 2 162 Euro. Ich halte es für unverantwortlich, diese Löhne - letztendlich mit Zustimmung dieser
Bundesregierung - weiter nach unten zu drücken. So sehen die Sozialpolitik und die Arbeitsmarktpolitik dieser
Regierung aus!
({1})
Ist das, was hier geplant wird, notwendig? Nein. Fakt
ist, dass 3,1 Milliarden Euro an die Aktionäre ausgeschüttet werden und gleichzeitig bei den Beschäftigten
gespart werden soll. Es gibt offensichtlich nur ein Ziel:
Der Aktienkurs dieses Unternehmens soll auf Kosten der
Beschäftigten erhöht werden. Wenn man die „Financial
Times Deutschland“ vom 15. Mai 2007 liest, stellt man
fest, dass das nicht nur bei uns so gesehen wird. Dort
heißt es - Zitat -:
Der Ausgliederungsplan ist ein schlichter Versuch,
durch Senkung der Personalkosten ein wenig mehr
Gewinn herauszuholen.
Das ist die Realität. Ich füge hinzu: mit Zustimmung und
Billigung der Bundesregierung.
({2})
Es gibt ein schönes Argument für dieses Vorgehen:
Man verliert Kunden, und deshalb muss man das machen. Ziel der Zerschlagung dieses Monopols war es
doch, dass mehr Unternehmen in den Markt eintreten.
Dass das Unternehmen, das zuvor das Monopol hatte,
dabei Kunden verliert, ist doch selbstverständlich. Das
ergibt sich aus der Logik.
Es ist überhaupt nicht zu akzeptieren, dass Managementfehler von den Beschäftigten ausgebügelt werden
sollen. Der schlechte Service bei der Telekom kommt
unter anderem daher, dass die Menschen innerhalb kürKlaus Ernst
zester Zeit 16 Umorganisationen über sich ergehen lassen mussten. Ich frage mich, warum die Vertreter der
Bundesregierung im Aufsichtsrat in diesem Fall ihrer
Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sind. Haben sie
nicht gemerkt, dass sie dieses Unternehmen mitruinieren?
({3})
Das Klima in diesem Unternehmen ist vergiftet. Ich
habe gestern an einer Veranstaltung teilgenommen. Ich
habe selten erlebt, dass die Beschäftigten so sauer auf ihren Vorstand sind. Diese Menschen reagieren zu Recht
mit Aggression. Und in einer solchen Situation werden
an die Streikenden auch noch Schreiben mit folgendem
Wortlaut verschickt - Zitat -: Ihr Verhalten stellt daher
einen schwerwiegenden Verstoß gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Wir weisen Sie darauf hin, dass
wir dieses Verhalten in Form der Arbeitsverweigerung
nicht akzeptieren können. Wir ermahnen Sie daher und
fordern Sie hiermit auf, Ihrer arbeitsvertraglichen Pflicht
entsprechend der Notdienstbestellung künftig nachzukommen. Wir betonen noch einmal, dass wir weitere arbeitsrechtliche Schritte vermeiden. - Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ich weiß, wie so etwas bei einem Streik
wirkt. Man sagt: Der Obermann hat sie nicht mehr alle.
Mit so etwas kann man Öl ins Feuer gießen und die Beschäftigten einschüchtern.
({4})
Wenn das Streikrecht in dieser Republik noch etwas
gilt, dann muss die Bundesregierung auf diesen
Obermann einwirken. Dazu fordere ich die Bundesregierung auf. So kann man die Sache nun wirklich nicht lassen.
({5})
Ein Unternehmen, in dem Belegschaft und Vorstand so
zerstritten sind, hält nicht mehr zusammen. Da kommt
nichts mehr bei raus.
Die Bremer Stadtmusikanten haben die Räuber in die
Flucht schlagen können, solange sie einheitlich aufgetreten sind. Allerdings stand bei den Bremer Stadtmusikanten der Esel zuunterst. Das scheint mir bei diesem Konzern anders zu sein.
({6})
Es ist die Verantwortung dieser Regierung, Personalpolitik zu betreiben und Herrn Obermann schnellstmöglich
abzulösen. Er ist aus meiner Sicht nicht in der Lage, dieses Unternehmen gemeinsam mit den Beschäftigten zu
führen.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Martina
Krogmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
sprechen heute über ein ernstes Thema.
({0})
Das Klima zwischen Belegschaft und Vorstand bei der
Telekom ist sehr aufgeheizt. Deshalb hätte ich mir gewünscht, Herr Ernst, dass Sie hier mit mehr Sachlichkeit
argumentiert hätten. Ihre unwahren Behauptungen und
marktschreierischen Töne sind fehl am Platz. Damit
richten Sie Schaden an.
({1})
Deshalb möchte ich einen Beitrag dazu leisten, dass die
Debatte im Rahmen dieser Aktuellen Stunde sachlich
und mit Argumenten geführt wird.
({2})
Ich möchte den Rahmen dafür abstecken. Selbstverständlich hat der Bund eine Verantwortung für die Deutsche Telekom AG; das ist völlig klar. Wir können nicht
so tun, als ginge uns das alles nichts an.
({3})
Ebenso klar ist aber auch, wofür wir keine Verantwortung haben und auch nicht haben dürfen, nämlich für die
operativen Entscheidungen im Unternehmen selbst. Die
unternehmerischen Entscheidungen werden vom Vorstand getroffen, und er trägt dafür die Verantwortung. So
funktioniert Marktwirtschaft. Das, was Sie eben gesagt
haben, zeigt, dass Sie von der Linken das immer noch
nicht begriffen haben.
({4})
Natürlich kann man die Sorgen der vielen Tausend
Beschäftigten verstehen und nachvollziehen. Es ist ja
nicht die erste Umstrukturierung bei der Telekom. Es ist
klar, dass nach so vielen Umstrukturierungen in den letzten Jahren die Verunsicherung bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern - die Sorge um den Arbeitsplatz und
die Sorge um die Existenz - groß ist.
({5})
Auf der anderen Seite steht die Unternehmensleitung,
die Interesse an Kostenoptimierung haben muss, um im
knallharten Wettbewerb zu bestehen und Arbeitsplätze
langfristig zu sichern.
({6})
Deshalb wäre es in der jetzigen Situation wünschenswert, wenn die Beschäftigten und das Management ihre
Drohkulissen abbauen, gemeinsam zum Verhandlungstisch zurückkehren und einen Ausgleich ihrer Interessen
finden würden.
Noch einmal: Dies ist nicht die Aufgabe der Politik,
sondern der Unternehmensführung und der Belegschaft.
Ich will Ihnen aber sagen, wofür wir als Politiker die
volle Verantwortung tragen: Wir tragen die Verantwortung für den Regulierungsrahmen, das heißt für die
Spielregeln, die zwischen dem ehemaligen Monopolisten Deutsche Telekom und den Wettbewerbern auf den
Telekommunikationsmärkten bestehen. Hier war uns immer wichtig, eine faire Balance herzustellen. Es ist in unserem Interesse, dass wir eine starke Deutsche Telekom
haben. Genauso ist es in unserem Interesse, dass wir
starke Wettbewerber haben. Denn nur dann können wir
das Wertschöpfungspotenzial dieser dynamischen Branche für Innovationen und sichere Arbeitsplätze in unserem Land nutzen.
({7})
Deshalb ist es völlig absurd, dass Sie gesagt haben,
Regulierung und Liberalisierung seien die Wurzel allen
Übels.
({8})
Die Regulierung auf den TK-Märkten war ein unverzichtbares Instrument, um die ehemaligen Monopole
aufzubrechen und einen funktionsfähigen Wettbewerb
zu schaffen.
({9})
Ohne Regulierung hätten wir den Prozess der Privatisierung und Liberalisierung gar nicht durchführen können.
Die Liberalisierung ist eine Erfolgsgeschichte, Herr
Ernst.
({10})
Die Verbraucher profitieren davon.
({11})
Wenn wir uns die Verbraucherpreise ansehen, dann erkennen wir, dass die Preise im Vergleich zu 1998 in vielen Bereichen, zum Beispiel die Preise für Auslandstelefonate, um über 90 Prozent gesunken sind. Auf dem
Mobilfunk- und dem Breitbandmarkt beispielsweise erleben wir einen Boom. Mittlerweile gibt es 83 Millionen
Handyverträge - das sind mehr, als Deutschland
Einwohner hat - und 15 Millionen Breitbandinternetanschlüsse.
Die Liberalisierung war auch für die Deutsche Telekom positiv.
({12})
Ohne die Marktöffnung wäre sie nie ein solch erfolgreicher Global Player geworden, wie sie es heute ist, sondern sie wäre immer noch die alte graue Post. Auch deshalb ist die Behauptung der Linken, die Liberalisierung
sei an allem schuld, einfach falsch und absurd.
({13})
Im Kern muss es uns darum gehen - das liegt in unserer Verantwortung -, die zukünftigen Rahmenbedingungen der Regulierung zu gestalten. Hier stehen im Rahmen des Review-Prozesses auf europäischer Ebene
wichtige Entscheidungen an. Es ist an der Zeit, zu überlegen, ob die alten Grundsätze auch noch in Zukunft gelten können.
Unsere Positionen waren immer - dafür haben wir
uns auch in der Großen Koalition stark gemacht -: Es
darf keine europäische Superregulierungsbehörde geben.
Es darf keine zusätzliche Bürokratie geben. Regulierung
darf es nur noch dort geben, wo sie unbedingt erforderlich ist. Sie darf kein Selbstzweck werden.
({14})
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Erlauben Sie mir bitte noch einen Schlusssatz, Frau
Präsidentin. - Das ist die Verantwortung, die wir haben,
der wir uns stellen und die wir übernehmen, anstatt mit
marktschreierischen Parolen zur Unsachlichkeit beizutragen und Schaden anzurichten.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Martin Zeil, FDPFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Ernst, sowohl der Titel als auch
der Zeitpunkt der von Ihnen beantragten Aktuellen
Stunde sind verräterisch. Der Titel lautet „Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung bei
der Deutschen Telekom AG“. Hier schwingt ein bisschen Nostalgie angesichts der Staatswirtschaft in Ihrem
früheren Verantwortungsbereich mit.
({0})
Dort hatte die Regierung nämlich eine beschäftigungspolitische Verantwortung für die Staatsunternehmen.
Das war aber, wie wir heute wissen, mit vielen ScheinMartin Zeil
arbeitsplätzen und maroden Unternehmensstrukturen
verbunden.
({1})
- Man muss die Demokratie leben. Ihnen mag das vielleicht schwerfallen. ({2})
Für diese staatswirtschaftliche Politik haben die Menschen in Ost und West im doppelten Sinne des Wortes
teuer bezahlt.
({3})
Es ist nicht zu verkennen, dass Marktwirtschaft und
Wettbewerb nicht immer einfach sind. Sie bringen für
viele Menschen und ihre Schicksale auch Härten mit
sich, gerade im Zeitalter der Globalisierung. Aber sie
sind dem von Ihnen vertretenen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell sowohl moralisch als auch am Erfolg gemessen haushoch überlegen, weil sie den Menschen
trotz aller Widrigkeiten ihre Freiheit und Selbstbestimmung lassen und sie auffangen, wenn sie in Not geraten.
Auch der Zeitpunkt Ihres Antrags spricht Bände. Da
befindet sich das Unternehmen Deutsche Telekom inmitten des immer härter werdenden Wettbewerbs in einer
schwierigen Konsolidierungsphase, da finden Auseinandersetzungen statt, und da haben Sie nichts Besseres zu
tun - das gilt vor allen Dingen für die Art und Weise, in
der Sie es getan haben -, als diese Aktuelle Stunde zu
beantragen. Damit schaden Sie dem ohnehin von Imageproblemen geplagten Unternehmen. Darüber hinaus gefährden Sie dadurch genau die Arbeitsplätze, die Sie zu
schützen vorgeben.
({4})
Noch schlimmer, Herr Ernst, ist: Sie gaukeln den betroffenen Menschen Lösungen und politische Handlungsspielräume vor, die es gar nicht gibt.
({5})
Ich sage Ihnen ganz klar: Mit dieser Art der Argumentation verabschieden Sie sich aus der seriösen Debatte.
Damit stellen Sie sich in die schlimme Tradition politischer Rattenfänger.
({6})
Nein, wir Liberalen können und wollen nicht zurück
zur Staatswirtschaft. In fast allen Fällen sind staatlich
geführte oder staatlich beeinflusste Unternehmen den
Beweis schuldig geblieben, dass sie erfolgreicher als private Unternehmen sind. Das muss auch Ihr Parteivorsitzender in spe erkannt haben, als er - damals noch als
Finanzminister - den zweiten Börsengang der Telekom
vorbereitet und auf den Weg gebracht hat.
({7})
Natürlich gehen Privatisierungen von Unternehmen
und die Liberalisierung von Märkten nicht ohne Probleme vonstatten. Aber wenn es eine Erfolgsstory auf
diesem Gebiet gibt, dann ist es der Telekommunikationsmarkt. Wir haben und wir hatten durch diese Liberalisierung einen ungeheuren Innovationsschub, und es sind
auch neue Arbeitsplätze entstanden. Ich bin ganz sicher:
Nicht einmal die ganz eingefleischten Linken wünschen
sich das Einheitstelefon bei schlechtem Service und
überhöhten Preisen zurück.
({8})
Leider ist auch die Position der Bundesregierung in
dieser Frage nicht ganz klar. Lässt sie nun die Unternehmensleitung unabhängig agieren, oder will sie zumindest
einen anderen Eindruck erwecken? Gerade der Finanzminister sendet hier widersprüchliche Signale. Da gab es
das bekannte Treffen mit der Telekom-Unternehmensleitung und der Gewerkschaft,
({9})
an dem pikanterweise Ihr Chef, Herr Kollege Wend, für
die SPD-Fraktion teilgenommen hat. Interessant ist die
Pressemitteilung des Ministeriums, die lautete:
Das Treffen diente der Information des Hauptanteilseigners durch die Gewerkschaften und das Unternehmen.
Für mich war das interessant. Ich wusste gar nicht, dass
nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung die Interessen des Bundes durch den Finanzminister zusammen mit dem Chef der SPD-Bundestagsfraktion vertreten werden.
({10})
Es ist schon bemerkenswert, wie hier ungeniert Staatsund Parteiinteressen vermengt werden. Was gilt nun?
Unabhängigkeit der Unternehmensleitung oder doch
politische Einflussnahme?
({11})
Wir sollten übrigens den Blick nicht immer nur auf
das Großunternehmen richten, sondern auch auf die vielen mittelständischen Unternehmen, die inzwischen in
diesem Markt tätig sind. Gerade diese Unternehmen
nehmen oft eine ganz andere soziale Verantwortung
wahr, als dies Großunternehmen tun bzw. tun können.
Wer - wie die Linken, Herr Kollege Ernst - staatswirtschaftliche Strukturen und Monopole verteidigt, der gefährdet dadurch eine Vielzahl von Arbeitsplätzen im
Mittelstand und handelt unsozial.
({12})
Sorgen wir für fairen Wettbewerb, ob im Telekommunikations-, Bahn-, Energie- oder Postmarkt, und entlarven wir die Kampagne der Linken als das, was sie ist:
hemmungsloser Populismus in bewusster Verantwortungslosigkeit.
({13})
Das hat in Deutschland noch nie etwas gebracht, vor allen Dingen keinen einzigen Arbeitsplatz.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Martin Dörmann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Deutsche Telekom AG ist mit rund 160 000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 32,5 Milliarden
Euro im Inland einer der größten Arbeitgeber in
Deutschland. Zum Vergleich: Alle Wettbewerber der Telekom zusammen beschäftigen insgesamt nur rund
56 000 Menschen, und das bei einem inzwischen sogar
höheren Gesamtumsatz von 35,2 Milliarden Euro im
Jahr 2006. Die beschäftigungspolitische Bedeutung der
Telekom kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Zugleich verdeutlichen diese Zahlen, in welch
schwieriger Lage sich die Telekom in einem Wettbewerb
befindet, der von einem harten Preiswettkampf geprägt
ist. Wir wissen das. Die Kosten für ein Telefongespräch
im Festnetz sind zum Teil um 96 Prozent gefallen. Allein
im Jahr 2006 hat die Telekom 2 Millionen Kunden in
diesem Bereich verloren.
Die Politik kann und darf es also nicht kalt lassen,
welche Entwicklung das Unternehmen nimmt - einerseits weil es um viele betroffene Menschen geht, andererseits weil die Telekom weiterhin der wichtigste Motor
für Innovation und Investition im Telekommunikationsbereich ist. Wir wollen deshalb eine starke Telekom,
übrigens auch als Global Player. Deshalb ist es in der Tat
wichtig, dass die Regierungspolitik - ich sage: auch die
Regierungspraxis - so ausgestaltet wird, dass faire Wettbewerbsbedingungen herrschen und Investitionen der
Telekom gefördert und nicht behindert werden.
({0})
Es ist bereits angesprochen worden, dass der Bund
zusammen mit der KfW derzeit 31,7 Prozent der Aktien
hält und damit immer noch größter Anteilseigner bei der
Telekom ist. Diese Tatsache hat sicherlich in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass der notwendige Personalumbau bei der Telekom in den letzten Jahren stets sozialverträglich erfolgt ist. Die SPD ist deshalb übrigens
der Ansicht, dass der Bund auf absehbare Zeit weiterhin
mehr als 25 Prozent der Anteile halten sollte, um für stabile Rahmenbedingungen zu sorgen und um die Gefahr
von Übernahmen durch Finanzinvestoren, die ja nicht
unrealistisch ist, zu verringern.
({1})
Zudem sind wir nach wie vor sehr daran interessiert, die
Telekom als integrierten Konzern zu erhalten.
Auf der anderen Seite ist aber auch klar - das ist an
die Fraktion Die Linke gerichtet -, dass der Bund nicht
direkt in Unternehmensentscheidungen eingreifen darf.
Das wird schon durch das Aktienrecht verboten. Es ist in
keiner Weise seriös, solche unrealistischen Erwartungen
zu wecken.
({2})
Ich bedauere es sehr, dass es der früheren Unternehmensleitung in den vergangenen Jahren nicht gelungen
ist, die Telekom im Wettbewerb besser zu positionieren.
Durch insgesamt 16 Umorganisationen wurden in der
Vergangenheit nicht die gewünschten Effekte erzielt.
({3})
Hierdurch ging - das muss man konstatieren - bei den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchaus zu Recht
viel Vertrauen verloren, was sich jetzt rächt;
({4})
denn nun wird das Unternehmen zusätzlich durch einen
Streik erschüttert. Es ist bedauerlich, dass hierdurch die
bisherige Konsenskultur bei der Telekom ein Stück weit
infrage gestellt wird; denn in der Vergangenheit haben
beide Parteien bei den Tarifvertragsverhandlungen auch
unter schwierigen Rahmenbedingungen zu Lösungen gefunden, die dann auch gemeinsam getragen wurden.
Nun hat der Vorstand der Telekom ein umfangreiches
Umstrukturierungs- und Sparpaket vorgelegt, das von
Verdi vehement abgelehnt wird. Wenn man gerecht ist,
muss man konstatieren, dass sich beide Seiten in einer
schwierigen Lage befinden, für die man jeweils Verständnis haben muss. Auf der einen Seite will der Unternehmensvorstand die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens nachhaltig verbessern, um eine langfristige
Perspektive, auch für Beschäftigung, aufzubauen. Auf
der anderen Seite ist es aber auch mehr als verständlich,
dass die Belegschaft und die Gewerkschaft insbesondere
der vorgeschlagenen drastischen Lohnabsenkung von
9 Prozent nicht zustimmen können. Für einen Familienvater, der womöglich noch sein kleines Haus abzahlen
muss, sind solche Einschnitte letztendlich nämlich kaum
verkraftbar.
Ich denke, die Politik ist gut beraten, sich bei den
möglicherweise wieder anstehenden Tarifverhandlungen
und dem jetzigen Streik in der Öffentlichkeit ein Stück
weit zurückzuhalten, um die Tarifautonomie auch an
dieser Stelle zu wahren. Auf der anderen Seite sage ich
aber auch deutlich, dass wir als SPD ein großes Interesse
daran haben - und wir alle haben sollten -, dass möglichst bald eine gute Kompromisslösung gefunden wird.
Deshalb hat die SPD gerade in den letzten Wochen im
Hintergrund versucht, Gespräche mit beiden beteiligten
Tarifvertragsparteien zu führen, um diese wieder näher
zusammenzubringen; denn es kann weder im Interesse
des Unternehmens noch der Beschäftigten sein, wenn
die Kunden durch einen langen Streik zusätzlich verunsichert werden.
Ich hoffe deshalb sehr, dass am Ende beide Seiten wieder zusammenfinden und zu einer tragfähigen Lösung
kommen, die einerseits den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Unternehmens, andererseits aber auch den
berechtigten Interessen der Beschäftigten auf dauerhafte
Beschäftigung und gerechte Löhne gerecht wird. Beide
Seiten, Vorstand und Verdi, tragen hier eine große Verantwortung - um die sie wahrlich nicht zu beneiden sind
und die ihnen auch niemand abnehmen kann - für die Zukunft des Unternehmens Telekom und für die vielen
Menschen, die dort arbeiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Dörmann, es stimmt: Die Telekom befindet sich in einer
außerordentlich schwierigen Situation. Es ist auch richtig, dass der Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt
extrem hart geworden ist. Im Jahr 2006 hat die Telekom
allein im Festnetzbereich 2 Millionen Kunden verloren.
Im ersten Quartal dieses Jahres ist das leider überhaupt
nicht besser geworden.
Ich bezweifle also an keinem Punkt, dass es bei der
Telekom einen großen Sanierungsbedarf gibt. Es stellt
sich aber die Frage, ob die Einsparung im Personalbudget tatsächlich die einzige Schraube ist, an der man sinnvollerweise drehen kann. Ich glaube fest daran, dass sich
auch durch die Verbesserung der Dienstleistungsqualität
Marktanteile gewinnen lassen. Dass die Telekom hier
noch einen Nachholbedarf hat, kann ich Ihnen aus eigener schildern. Um die Dienstleistungsqualität wirklich
zu verbessern, braucht man aber gut qualifizierte und
motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die kommen der Telekom aufgrund des Vorgehens des Vorstandes jetzt gerade abhanden. Das werden Sie nicht bezweifeln.
({0})
Die Beschäftigten haben in den letzten Jahren erhebliche Solidarbeiträge geleistet. Sie haben ein Einsehen in
die Schwierigkeit der Situation gezeigt. Sie haben eine
Reduzierung der Arbeitszeit auf 34 Stunden und damit
eine Reduzierung ihres Lohnes hingenommen. Aber
jetzt sollen sie nicht nur 38 Stunden oder mehr für diesen
abgesenkten Lohn arbeiten, sondern auch eine weitere
Lohnkürzung um 9 Prozent in Kauf nehmen. Dass das
auf Widerstand stößt, ist sicherlich verständlich.
Nach den Vorstellungen des Telekom-Vorstands soll
eine neu eingestellte Mitarbeiterin im Callcenter zukünftig 1 150 Euro brutto verdienen. Das sind die Armutslöhne, gegen die die SPD-Fraktion auf der Straße Unterschriften sammelt.
({1})
Das sind die Armutslöhne, gegen die Minister Müntefering
und auch der Finanzminister Unterschriften sammeln.
Damit will die Telekom bis zum Jahr 2010 4,5 Milliarden
Euro einsparen. Aber gleichzeitig verspricht die Telekom
ihren Aktionären, dass die Rekorddividende von 3 Milliarden Euro im Jahr 2006 auch 2007 gezahlt wird. Die
Rendite steigt, die Löhne sinken. Dass das dazu führt,
dass die Beschäftigten auf die Barrikaden gehen, kann
doch niemanden verwundern.
Nun stellt sich die Frage, was die Bundesregierung
macht. Hat sie wirklich keine Rolle zu spielen? Sie sitzen im Aufsichtsrat
({2})
und haben genau diesem Sanierungsprogramm zugestimmt.
({3})
Jetzt machen Sie sich einen schlanken Fuß und gucken
einfach zu, wie der Karren an die Wand fährt.
Zusätzlich haben Sie zur Sanierung des Bundeshaushaltes noch Aktien verkauft, und zwar an genau die
„Heuschrecken“, die Sie angeblich regulieren wollen.
Sie haben so viele Marktanteile an den Finanzinvestor
Blackstone verkauft, dass dieser einen Aufsichtsratsposten bekommen hat und das Sanierungsprogramm unterstützt. Dafür trägt die Bundesregierung Verantwortung.
Das können Sie nicht leugnen, Herr Dörmann und Frau
Krogmann.
({4})
Jetzt halten Sie sich heraus, ziehen den Kopf ein und
lassen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Strategie ausbaden.
({5})
Ich verlange nicht von Ihnen, dass Sie quasi staatsdirigistisch die Vorstandsaufgaben übernehmen. Aber die
Gleichgültigkeit, die Sie gegenüber einem ehemaligen
Staatsunternehmen, bei dem Sie Mehrheitsanteilseigner
sind, an den Tag legen, ist unverantwortlich. Ich finde,
so können Sie sich Ihren Verpflichtungen nicht entziehen.
({6})
Der Konflikt zerreißt den Konzern. Dabei können Sie
nicht einfach zugucken. Dann gibt es nur Verlierer. Das
können wir nicht wollen.
Wenn es so weitergeht, besteht die Gefahr, dass es am
Ende bei der gesamten Telekom heißt: „Kein Anschluss
unter dieser Nummer“. Bei den Beschäftigten bliebe
dann der Eindruck hängen: Sie haben sich verwählt. Für
die Große Koalition gilt das in jedem Fall.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin
Pothmer, ich war fast geneigt, festzustellen, dass in diese
Debatte etwas Objektivität zurückgekehrt ist und dass
sie nach dem Beitrag von Herrn Ernst wieder in Ruhe
und Besonnenheit geführt wird. Nach Ihrem Beitrag ist
das aber leider nicht mehr möglich. Sie haben im Prinzip
die Hetze, die Herr Ernst begonnen hat, fortgesetzt, indem Sie falsche Tatsachen verkünden und die Menschen
verunsichern.
({0})
Sie haben, was die Löhne angeht, nicht die Wahrheit
gesagt. Sie haben nur einen Teil dessen beschrieben, was
die Telekom tatsächlich angeboten hat. Des Weiteren haben Sie mit Blackstone einen Investor angesprochen, der
hier durchaus erwähnt werden kann. Herr Ernst, Sie sind
Gewerkschaftssekretär. Dem Vernehmen nach scheint
die Gewerkschaft nicht unerhebliche Mittel bei Blackstone geparkt zu haben. Vielleicht ist es an der Zeit, nachzufragen, welchen Einfluss Sie dabei eigentlich haben.
({1})
Dennoch ist es ausgesprochen positiv, sich hier mit einem der immer noch großen deutschen Vorzeigeunternehmen und dessen Mitarbeitern zu beschäftigen, vor
allem dann, wenn dieses Unternehmen in einer Neuausrichtung begriffen ist und es natürlich unser aller Ziel
sein muss, dass sie letztlich dazu führt, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben, dass die Menschen, die dort arbeiten,
({2})
nicht im Regen stehen gelassen werden. Selbstverständlich sollte die Neuausrichtung auch dazu führen, dass
neue Beschäftigungsverhältnisse entstehen.
Wir haben natürlich mit der Telekom ebenfalls Gespräche geführt. Auch die Deutsche Telekom muss wissen, wie die Position des Bundestages und seiner Abgeordneten ist. Wir haben der Deutschen Telekom eine
ganze Reihe von Aufgaben mitgegeben, die wir gern erfüllt sähen.
Einer der wichtigen Punkte hierbei ist für uns die
Standortsicherung. Viele unserer Kollegen haben in ihren Wahlkreisen Standorte der Deutschen Telekom;
diese Standorte wollen wir natürlich erhalten. Wir wollen nicht, dass sich die Telekom in die Städte, in die Metropolen zurückzieht. Die Telekom muss auch auf dem
Land als Marke und als Arbeitgeber präsent sein. Wegen
der von ihr dort zur Verfügung gestellten Arbeitsplätze
ist uns auch die zukünftige Struktur der Callcenter ganz
besonders wichtig. Deswegen haben wir die Deutsche
Telekom wissen lassen: Wir wollen, dass die Deutsche
Telekom in ihrer Breite, auch die Callcenter, im ländlichen Raum weiterhin vertreten ist.
Ein zweiter wichtiger Punkt: Beschäftigungssicherung hat für uns ganz besonderen Vorrang. Man muss
sich unter diesen Umständen einmal vor Augen führen,
dass dieses Unternehmen nicht mehr wie in alten Monopolzeiten keinem Wettbewerb ausgesetzt ist; vielmehr
hat inzwischen wohl fast jeder begriffen, dass die Deutsche Telekom mit Preisen arbeitet, die sich im Markt so
nicht mehr durchsetzen lassen. Die von meinen Vorrednern dargelegten Zahlen, wie viele Kunden die Deutsche
Telekom täglich verliert, müssen genannt werden und
sind Anlass für das Unternehmen, zu handeln und sich
neu auszurichten. Deswegen ist es ein weiterer entscheidender Punkt, dass sich dieses Unternehmen, das in vielen Bereichen leider Gottes viel zu teuer geworden ist, so
aufstellt - übrigens in Verantwortung gegenüber den
Mitarbeitern; denn nur ein Unternehmen, das heute dem
Wettbewerb standhalten kann, ist auch in der Lage, weiterhin Beschäftigung für Mitarbeiter zur Verfügung zu
stellen - und dafür sorgt, dass es wettbewerbsfähig ist
und somit Beschäftigungssicherung betreibt.
({3})
Als dritten Punkt haben wir angesprochen, dass dieses
Unternehmen auch nach unserer Auffassung nur dann
rentabel bleiben kann, wenn es eine Qualitätsoffensive
durchführt. Eine solche Offensive ist angekündigt. Nach
unserer Überzeugung ist es notwendig, dass das Unternehmen wieder näher an die Kunden heranrückt. Das
versucht es. Daneben sind wir der Überzeugung, dass
diese Offensive nur dann wirklich funktionieren kann
und eine Steigerung der Qualität möglich ist, wenn man
eine Umorganisation gemeinsam mit den Mitarbeitern
vornimmt. In diesem Zusammenhang haben wir der
Deutschen Telekom unsere Forderung mitgeteilt, sie
solle sich in Abstimmung mit den Mitarbeitern in einen
Veränderungsprozess begeben - die Fähigkeit hierzu hat
die Telekom bereits oftmals gezeigt -, der letztlich zur
Verbindung von Qualitätsoffensive und Offensive zur
Stärkung im Wettbewerb führt.
Ich bin überzeugt - Anzeichen dafür gibt es -, dass
sich vielleicht schon in den nächsten Tagen eine Lösung
finden wird, dass man auf beiden Seiten bereit ist, sich
ein Stück weit entgegenzukommen. Meines Erachtens
ist es für uns alle notwendig, dass dieses Unternehmen
mit möglichst vielen Mitarbeitern und seinen Standorten
draußen im ländlichen Raum erhalten bleibt, dass es
nicht in eine Situation gerät -
Herr Kollege!
Das ist mein letzter Satz: Das Unternehmen sollte
nicht in eine Zerschlagungssituation geraten, in der es
unter Umständen zu Verkäufen kommt, in deren letzter
Konsequenz es für das Unternehmen hinsichtlich Beschäftigung, Standorte und Wettbewerb schlechter wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kornelia Möller,
Fraktion die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wieder
einmal muss sich das Parlament mit den sozialen Folgen
befassen, die durch Gier und Unfähigkeit von Managern
eines Großkonzerns entstanden sind. Ich finde, die Bundesregierung ist feige. Keiner ihrer Vertreter spricht in
dieser Aktuellen Stunde. Sie kommt damit nicht ihrer
Verantwortung nach, die sie als Anteilseigner von
30 Prozent hat.
({0})
Aber heute steht auch der Bundestag in der Verantwortung. Mit seiner neoliberalen Mehrheit hat er
schließlich in den 90er-Jahren den Weg für die Privatisierung frei gemacht. Das war der Beginn des sozialen
Abstiegs Tausender Kolleginnen und Kollegen der Telekom. Was folgte, ist bekannt: Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Druck auf Löhne und Arbeitszeiten
sowie Entlassungen von Beschäftigten.
Bereits 2004 haben fast 100 000 Kolleginnen und
Kollegen der Telekom ihre Arbeitsplätze verloren. Nun
soll es weitergehen. 50 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen in neue Tochtergesellschaften ausgelagert
werden, in denen sie für weniger Geld länger arbeiten
müssten. Wenn nach den Plänen des Telekom-Managements fast jeder Dritte ausgegliedert wird, dann bedeutet
das nicht 9 Prozent Lohneinbußen. Vielmehr handelt es
sich um Einkommensverluste von bis zu 44 Prozent. Das
können Sie nicht verschleiern.
({1})
Was tun nun die Vertreter der Regierung und der Regierungskoalition? Sie verstecken sich nicht nur hinter
den angeblich notwendigen unternehmerischen Entscheidungen der Telekom und lassen arbeitsmarkt-, regional- und sozialpolitische Erwägungen völlig unberücksichtigt. Schlimmer noch: Die Große Koalition
weigert sich, ihre soziale Verantwortung für die Kolleginnen und Kollegen der Telekom wahrzunehmen. Sie
behauptet, es handle sich um ein operatives Geschäft, in
das man nicht eingreifen dürfe. Das ist Quatsch. Das ist
vielmehr eine strategische Entscheidung.
({2})
In Zeiten eines von Regierung und Unternehmerverbänden als beispiellos gepriesenen wirtschaftlichen Aufschwungs und bei gleichzeitig von den Aktionären der
Telekom angepeilten Dividenden in Höhe von über
3 Milliarden Euro betreiben Management und Bundesregierung einen gigantischen Personalabbau zum Zwecke
kurzfristiger Gewinnmaximierung. Das ist ein Skandal,
und Sie, meine Damen und Herren von der Großen
Koalition, decken ihn.
({3})
Umso mehr unterstützt die Linksfraktion den von
Verdi organisierten Streik der Kolleginnen und Kollegen
der Telekom. Wir sagen Nein zur Auslagerung, Nein
zum Abbau sozialer Standards und Nein zu Arbeitszeitverlängerungen und Lohnkürzungen. Aus dem Bundestag heraus sage ich als Vertreterin der Linken meinen
Kolleginnen und Kollegen der Telekom: Wir stehen an
eurer Seite und unterstützen euch. Ihr könnt euch auf unsere Solidarität verlassen.
({4})
Wir erneuern unsere Forderung nach Schaffung des
Rechts auf politischen Streik. Ihre verantwortungslose
Politik, meine Damen und Herren der Koalition, macht
einmal mehr deutlich, wie wichtig der politische Streik
ist. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich
gegen den neoliberalen Zusammenschluss von Großkapital und Politikern in ihrem Kampf um Arbeit und soziale Gerechtigkeit artikulieren können,
({5})
wenn die Demokratie ernst genommen werden soll. Das
scheint Sie nicht mehr zu interessieren, liebe Kollegen
von der SPD.
({6})
Bei den Kolleginnen und Kollegen der Telekom heucheln einige von Ihnen Solidarität. Aber gleichzeitig
wird im Aufsichtsrat beschlossen, die Arbeitsplätze von
Kolleginnen und Kollegen auszulagern und sie für bis zu
44 Prozent weniger Einkommen arbeiten zu lassen.
({7})
Ich lasse nun Kolleginnen und Kollegen der Telekom
zu Wort kommen, zum Beispiel Gustav Schwab aus
München, unterstützt von Günter Schleicher, Betriebsrat
in Berlin:
Ich arbeite seit 25 Jahren - damals noch bei der
Post und jetzt - bei der Telekom. Ich habe über
Jahrzehnte SPD gewählt, da sie in der Vergangenheit für Arbeitnehmerrechte stand. Was im Moment
bei der Telekom mit Unterstützung der Bundesregierung passiert, kann ich nur als Verkaufen meiner
Existenz und der Zukunft meiner Kinder betrachten.
Da meine Redezeit fast zu Ende ist, kann ich nicht auf
alle Zitate eingehen. Wenn es Sie interessiert, gebe ich
sie Ihnen gerne. Nur noch ein Zitat von einer Betriebsrätin, die zusammen mit anderen Kollegen in sieben Bussen von München nach Nürnberg zur Demonstration gefahren ist:
Für die Beschäftigten der Telekom ist es wichtig,
die Politiker bei der Ehre zu packen.
Sie tragen die Verantwortung und sind nicht Opfer,
sondern Täter. Wer, wie die SPD, im Aufsichtsrat
mit entscheidender Stimme für die Ausgliederung
gestimmt hat, ist Täter.
Ich danke Ihnen.
({8})
Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus den Ausführungen der Vorrednerinnen und Vorredner ist eines
deutlich geworden - ich glaube, die Meinung teilen wir
alle -: Das, was zurzeit bei der Telekom passiert, ist ein
sehr ernstes Thema. Es herrscht ein frostiges Klima. Zu
der Frage, wie man einwirken kann, um zu Lösungen zu
kommen, gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen.
Herr Kollege Ernst, ich will Ihnen eines deutlich machen. Es geht aus Ihrer Biografie hervor, dass Sie als Gewerkschaftssekretär von den Aufgaben eines Aufsichtsrates und von dem, was im Aktiengesetz steht, Kenntnis
haben.
({0})
Wenn dem nicht so sein sollte, will ich es Ihnen in aller
Deutlichkeit sagen; denn Sie haben hier so getan - ich
will Ihnen da keine Absicht unterstellen ({1})
- ich bin da sehr vorsichtig -, als wenn die Aufsichtsräte
in das operative Geschäft eingreifen könnten.
({2})
- Immer dann, wenn sich die Linke ertappt fühlt, wird
sie laut.
({3})
Genau das ist der Punkt, auf den man hier in aller Deutlichkeit hinweisen muss.
({4})
So heißt es ganz klar in einer Antwort der Bundesregierung in Bezug auf das Aktiengesetz:
Die unternehmerischen Aufgaben der Telekom sind
nach Aktienrecht dem Vorstand übertragen, der
diese in seiner Gesamtverantwortung gegenüber
Kunden, Aktionären und Beschäftigten erfüllt.
Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Auf die operativen Vorstandsbeschlüsse darf der
Bund, wie alle anderen Aktionäre auch, gemäß Aktiengesetz keinen Einfluss nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, auch das sollten Sie sich in aller Deutlichkeit vor
Augen führen.
({5})
- Dass Sie schon wieder laut werden, zeigt wieder einmal, dass Sie sich getroffen fühlen.
Ich will Ihnen einen zweiten Punkt deutlich machen.
Für die Arbeit des Aufsichtsrates gilt § 116 des Aktiengesetzes, der Sorgfalt, gewissenhafte Aufgabenerfüllung und Verschwiegenheit von den Mitgliedern des
Aufsichtsrates verlangt. Ich bin schon ein bisschen erstaunt, dass die Rednerinnen der Linken und auch zum
Teil die Kollegin Pothmer von den Grünen anscheinend
Dinge wissen, über die in Aufsichtsratssitzungen Verschwiegenheit und Vertraulichkeit vereinbart wurden.
Auch das ist ein ernst zu nehmender Vorgang. Man muss
irgendwann einmal herausfinden, wer die Informanten
waren oder wer absichtlich oder unabsichtlich falsch informiert hat.
({6})
Herr Ernst, das, was Sie hier vorgetragen haben, nützt
den Beschäftigten nichts.
({7})
Sie spielen mit den Ängsten der Beschäftigten aus rein
populistischen Gründen.
({8})
Darum wird diese durchsichtige Aktion keinen Erfolg
haben.
Gehen Sie doch einmal zu denen - das hat der Kollege von der Union ausgeführt -, die vor Ort bei den Telekom-Einrichtungen Verantwortung tragen! Ich habe
dies getan und mehrere Gespräche mit dem zuständigen
Verdi-Geschäftsführer gehabt.
({9})
Das, was Sie der staunenden Öffentlichkeit suggerieren,
hat eines zum Ziel - das wird sich irgendwann als absolut durchsichtig herausstellen -: Die Einzigen, die sich
um die Probleme bei der Telekom kümmern, ist die PDS,
die Linke, die WASG - oder wie auch immer. Das sind
sie nicht. Auch die Bundesregierung und die SPD kümmern sich darum. Die Gespräche, die im Hintergrund geführt worden sind, werden dazu führen, dass es zu einem
vernünftigen Kompromiss kommt. Wir jedenfalls wünschen uns das, und wir werden Ihre populistischen Attacken mit aller Entschiedenheit zurückweisen.
({10})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Peter Rauen, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 50 000 Mitarbeiter der Telekom sollen 9 Prozent weniger Lohn
oder Gehalt bekommen; gleichzeitig sollen sie statt
34 Stunden 38 Stunden arbeiten. Das ist für die Betroffenen ein ganz harter und brutaler Einschnitt. Um sich das
klarzumachen, muss man sich nur einmal vorstellen, was
das für die privaten Planungen bedeutet. Umso verantwortlicher finde ich es
({0})
- unverantwortlicher -, dass Sie, Frau Möller, Herr Ernst
und auch Frau Pothmer, hier so tun, als wenn die Politik
an diesem Umstand etwas ändern könnte.
({1})
Ich bin Herrn Brinkmann sehr dankbar dafür, dem
Ernst dieses Themas gerecht geworden zu sein, indem
er festgestellt hat - auch die Kollegin Krogmann hat es
zu Beginn ihrer Rede getan -, welche Möglichkeiten der
Bund insgesamt hat. Herr Brinkmann hat völlig zu Recht
zitiert, dass die unternehmerischen Aufgaben der Deutschen Telekom nach dem Aktienrecht dem Vorstand
übertragen sind, der diese in seiner Gesamtverantwortung gegenüber Kunden, Aktionären und Beschäftigten
erfüllen muss.
({2})
- Ich komme darauf noch zu sprechen. Es ist wirklich
so: Wenn man sich ertappt fühlt, dann wird man hier laut
und schreit in den Plenarsaal hinein.
({3})
Vielleicht können Sie noch einen Moment ruhig sein.
Es ist ferner festgehalten, dass die Mitglieder des
Aufsichtsrates allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind. Sie haben gezielt auf Maßnahmen hinzuwirken, die für das Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll
oder erforderlich sind. Auf die operativen Vorstandsbeschlüsse will und darf der Bund wie alle anderen Aktionäre auch gemäß Aktiengesetz keinen Einfluss nehmen.
Ich wiederhole das, weil ich es für unverantwortlich
halte, so zu tun, als könnte die Politik an dieser Sache etwas ändern.
({4})
Frau Matthäus-Maier von der KfW, die gemeinsam
mit dem Bund 33,1 Prozent der Anteile an der Telekom
hält, ist dem Gesetz nach verpflichtet, sich so zu verhalten, wie sie es tut.
Ich will mit aller Ernsthaftigkeit sagen: Wir in
Deutschland können eigentlich stolz sein, dass die Telekom das größte Telekommunikationsunternehmen in
Europa ist. Ich lese einmal vor, wer welche Umsätze erzielt: Die Deutsche Telekom hat 2005 einen Umsatz in
Höhe von 74 Milliarden Dollar erzielt, Vodafone 65 Milliarden, France Télécom 60 Milliarden, die spanische
Telefónica 48 Milliarden Dollar; ich könnte die Liste
fortführen. Die ausländischen Telekommunikationsunternehmen haben weitaus weniger Beschäftigte als die
Telekom. Die Telekom erzielt 60 Prozent ihrer Umsätze
im Inland. Außerdem arbeitet die Hälfte der Beschäftigten der Telekom im Inland. Ich hoffe, dass das so bleibt.
Für mich steht völlig außer Frage, dass das Management der Telekom in den letzten Jahren große Fehler gemacht hat. Das will ich überhaupt nicht leugnen. Aber
ich frage mich schon, warum es keine Annäherung zwischen Management und Betriebsrat gibt; schließlich sind
die Betriebsräte in der Regel sehr interessiert und wissen
genau, was im Unternehmen notwendigerweise getan
werden muss.
({5})
Wenn einer Firma die Kunden weglaufen, wenn die
Umsätze und damit auch die Zahl der Aufträge zurückgehen und wenn deswegen weniger Menschen beschäftigt werden können, dann macht sich in der Regel der
Betriebsrat die meisten Gedanken darüber, wo es denn
eigentlich klemmt.
Da ich praktisch veranlagt bin, habe ich mir einmal
angeschaut, was 9 Prozent weniger Lohn oder Gehalt
und vier Stunden mehr Arbeit eigentlich bedeuten; mich
interessieren die absoluten Größen, die Zahlen. Ein bei
der Telekom angestellter Callcenteragent mit Berufserfahrung, der 34 Stunden in der Woche arbeitet, verdient
38 800 Euro im Jahr. Wenn er 38 Stunden in der Woche
arbeitet, dann verdient er 41 500 Euro. Frau Pothmer, die
Reduzierung der Löhne und Gehälter um 9 Prozent bezieht sich auf den Betrag von 38 800 Euro.
({6})
- Sagen Sie nicht Nein. Wenn Sie hier so tolle Dinge von
sich geben, dann müssen Sie sich vorher schon informiert haben. Sie haben eben von 1 150 Euro gesprochen;
das ist völliger Unfug.
({7})
Es wird zwar gedroht, dass Mitarbeiter zu T-Mobile
versetzt werden, wenn es zu keinem Abschluss kommt.
({8})
Bei T-Mobile verdient ein Berufsanfänger 20 000 Euro
im Jahr - Sie können das nachlesen -; nach drei Jahren
verdient er dann 26 100 Euro. Das Angebot des Arbeitgebers besteht darin, das Jahresgehalt von 38 800 Euro
bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34 Stunden um
9 Prozent zu kürzen. Nach der Reduzierung um
9 Prozent liegt der Stundenlohn immer noch bei über
20 Euro. Ich sage das nur deshalb, weil Sie und andere
Redner so tun, als wenn bei den Betroffenen nichts als
Elend Einzug halten würde.
Bei allen Schwierigkeiten, die es für die Arbeitnehmer gibt, frage ich mich, warum auf dieser Basis nicht
eine Regelung erreicht werden kann. Ich persönlich habe
den Eindruck, dass die Mitarbeiter dies möglicherweise
mittrügen, wenn sie bei der Telekom ein Gesamtkonzept
sähen, bei dem der Konzern aus den negativen Schlagzeilen herauskäme. Statt scheibchenweise immer wieder
neue Hiobsbotschaften zu verkünden, sollte man hier
reinen Wein einschenken, und zwar nicht nur bezogen
auf die 50 000 Mitarbeiter, die in andere Gesellschaften
ausgegliedert werden sollen, sondern auch bezogen auf
die Frage: Wie sieht die Konzeption der großen, stolzen
Telekommunikations-AG aus, um zukünftig aus den
Schlagzeilen herauszukommen, vor allen Dingen den
Aktienwert zu erhalten - 1,7 Millionen Aktien haben immerhin die Arbeitnehmer der Telekom - und nicht Riesenverluste beim Aktienwert einzufahren, wie wir es bei
der Telekom schon erlebt haben?
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Gregor Amann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe mich vor einigen Wochen im Wahlkreis
mit Mitarbeitern und Betriebsräten der Telekom getroffen - dies haben wahrscheinlich auch weitere Kollegen
aus dem Hause getan -, und sie haben mir ihre Ängste
und Sorgen geschildert.
Die Pläne des Managements sehen vor - ich mache das
im Schnelldurchlauf; es wurde schon mehrmals wiederholt - die Ausgliederung von knapp 50 000 Mitarbeitern
in drei neue Gesellschaften mit dem Ziel der Verschlechterung der Tarif- und Arbeitsbedingungen - verbunden
mit der Angst der Mitarbeiter vor einem späteren Verkauf dieser Gesellschaften -, eine Anhebung der Wochenarbeitszeit von 34 auf 38 Stunden bei gleichzeitiger
Lohnsenkung, die für einzelne Mitarbeiter 500 Euro
oder mehr im Monat ausmachen kann, und das vor dem
Hintergrund eines riesigen Überhangs von Überstunden
und ständiger Umstrukturierungen in den vergangenen
Jahren.
Die Arbeitnehmer haben in den vergangenen Jahren
bereits zahlreiche Zugeständnisse gemacht. So haben
sich der Vorstand und Verdi 2004 auf einen Lohnverzicht
von 6,5 Prozent bei Einführung der 34-Stunden-Woche
geeinigt. Jetzt soll die Arbeitszeit wieder auf 38 Stunden
angehoben werden.
Es ist kein Wunder, so sagten mir die Arbeitnehmer,
dass es bei all diesen Belastungen bei der Telekom zu einem hohen Krankenstand kommt. Ich kann den Ärger,
die Ängste und die Befürchtungen der Telekom-Beschäftigten mehr als nachvollziehen. Wir sollten das
ernst nehmen.
Die Folge ist bekannt: der erste Streik seit Gründung
der Telekom AG. Seit einiger Zeit sind Zigtausende von
Telekom-Mitarbeitern auf der Straße.
Die andere Seite der Medaille ist, dass die Marktsituation des Unternehmens schwierig ist. Der Marktanteil
sinkt ständig. Allein in den ersten drei Monaten dieses
Jahres hat die Telekom knapp 600 000 Kunden verloren.
Der Telekommunikationsmarkt ist von einem harten
Preiswettbewerb geprägt - das wurde schon genannt -;
Inlandsgespräche kosten heute nur noch ein Dreißigstel
von dem, was sie noch vor zehn Jahren gekostet haben.
Das ist gut für uns als Verbraucher. Das war auch so gewollt. Der Internetboom der letzten Jahre war nur dadurch möglich. Aber natürlich ist es ein Problem für das
Unternehmen und setzt das Management unter Druck.
Seit 1995 wurden 120 000 Stellen gestrichen, übrigens sozialverträglich. Es gab keinen Streik deswegen.
Der Vorstand der Deutschen Telekom steht in der Tat vor
der großen Herausforderung, die bestehenden Arbeitsplätze auf Dauer zu sichern - in einem sehr schwierigen
Markt- und Wettbewerbsumfeld.
Wahr ist aber auch: Die Telekom ist kein Pleitekandidat. Sie macht Milliardengewinne. Anfang Mai wurde
bekannt gegeben - darauf wurde schon hingewiesen -,
dass 3 Milliarden Euro Konzerngewinn komplett als Dividende an die Anteilseigner ausgezahlt werden. Die
Einspareffekte der geplanten Maßnahmen beim Personalumbau betragen einige Hundert Millionen Euro. Ich
stelle das den 3 Milliarden Euro Dividende für die Anteilseigner gegenüber.
Dennoch glaube ich, dass ein Kompromiss möglich
ist. In den Zeitungen werden bereits Lösungen diskutiert.
Ich will das weder darstellen noch kommentieren. Das
wäre ein Eingriff in die Tarifautonomie. Ein Eingriff von
der Bundesregierung oder gar vom Bundestag in das
operative Geschäft ist nicht möglich; das wurde nun
wirklich ausgiebig dargestellt. Wer das fordert oder
suggeriert, dass das möglich ist, wirft Nebelkerzen. Die
Lösung muss von den Tarifparteien ausgehandelt werden. Die Politik schafft nur die Rahmenbedingungen.
Ich will im Folgenden einige Eckpunkte formulieren,
die aus meiner Sicht dazu notwendig sind:
Erstens. Die Lösung muss sowohl den Interessen der
Beschäftigen als auch der Wettbewerbssituation der Telekom gerecht werden.
Zweitens ist es unrealistisch, anzunehmen, dass dabei
alles so bleiben wird, wie es ist.
Drittens. Eine Berücksichtigung der Gesamtertragslage des Unternehmens ist dabei notwendig. Neben dem
Shareholder-Value-Denken hat das Management auch
eine soziale Verantwortung für die Arbeitnehmer.
Viertens. Wir wollen eine Standortsicherung, kein Zurückziehen aus der Fläche.
Fünftens sind wir für eine Beibehaltung des integrierten Konzerns und gegen eine Zerschlagung. Die Erfahrung zeigt: Teile eines Konzerns haben auf Dauer nur
wenig Überlebenschancen.
Sechstens wollen wir eine Berücksichtigung der Vorleistungen der Arbeitnehmer. Nach so vielen Umstrukturierungen brauchen wir eine Lösung, die eine Zeit lang
trägt.
Siebtens. Wenn es zu Ausgliederungen kommt, dann
müssen sie tarifvertraglich ausgestaltet werden; nicht gegen die Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften,
sondern mit ihnen gemeinsam muss eine Lösung möglich sein. Qualitätsoffensive und Serviceverbesserung
sind nur mit motivierten Mitarbeitern möglich. Ich fordere daher das Management auf, kein Porzellan zu zerschlagen. Dazu gehört auch, dass Streikende nicht unter
Druck gesetzt werden.
Achtens. Wir wollen kein Lohndumping. Ein Lohnwettbewerb nach unten ist nicht das, was wir in diesem
Land brauchen. Der Wettbewerb der Telekom soll auf
den Feldern der Qualität und der technischen Innovation
stattfinden.
Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen; nur noch ein
letzter Satz. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie notwendig
in unserem Land die Einführung von Mindestlöhnen ist.
Ich denke dabei nicht in erster Linie an die Gehälter der
Telekom-Mitarbeiter, sondern an manche der Konkurrenten, die Preise bezahlen, die diesen scharfen Lohnwettbewerb erst möglich gemacht haben. Ich will nicht,
dass die Firmen in Deutschland mit niedrigen Löhnen
konkurrieren müssen, sondern möchte einen Wettbewerb
auf dem Gebiet der Qualität und der Innovation.
Danke.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Peter Weiß, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Situation der Telekom ist ernst. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen sich große Sorgen.
Aber zum Abschluss der mittlerweile zweiten Aktuellen
Stunde, die die Linken zu diesem Thema beantragt haben, muss man sich fragen: Haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas von dem, was die Linken
hier inszeniert haben? Meine Behauptung: Sie haben
null und nichts davon.
({0})
Das vermeintliche Rezept, das die Linken - leider mit
Ihrer Unterstützung, Frau Pothmer ({1})
hier vorgeschlagen haben, ist, kurzgefasst, Staatsinterventionismus: Der Staat, die Bundesregierung, möge
bitte direkt bei Telekom eingreifen.
({2})
Die Frage ist: Was sind die Wirkungen und Nebenwirkungen dieses Rezeptes? Alle Erfahrung zeigt doch: Direkter Staatsinterventionismus hat noch nie ein Unternehmen wettbewerbsfähiger gemacht.
({3})
Direkter Staatsinterventionismus hat noch nie dafür gesorgt, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Stellen Sie sich
doch einfach die Frage: Glauben Sie, dass durch direkten
Staatsinterventionismus morgen der Aktienkurs von Telekom steigen würde? Gewinnt Telekom durch direkten
Staatsinterventionismus irgendeinen zusätzlichen Kunden?
Wer sich das recht überlegt, wird sehr schnell sehen:
Dieses Rezept aus der alten DDR
({4})
- das ist es; die Linken sind in der Gegenwart und in der
Demokratie nicht angekommen -,
({5})
das heute in der Aktuellen Stunde zum wiederholten Mal
in Bezug auf Telekom vorgetragen worden ist, ist kein
Rezept, das zur Arbeitsplatzsicherung beiträgt, sondern
in Wahrheit ein Rezept zur Arbeitsplatzvernichtung.
({6})
Allerdings, meine sehr geehrten Damen und Herren,
haben wir als Bund, der nach wie vor einer der großen
Anteilseigner ist, ein massives Interesse daran, dass die
Telekom wieder ein erfolgreiches Unternehmen wird,
dass sie wettbewerbsfähiger wird, dass sie neue Kundinnen und Kunden dazugewinnt, dass der Service besser
wird, dass der Service der Telekom der beste der Telekommunikationsunternehmen in Deutschland ist. Wir
haben ein Interesse daran, dass dieses Unternehmen
nicht - wie von den Linken - niedergeredet wird, sondern wieder zu einem erfolgreichen Unternehmen in
Deutschland und weltweit wird.
Das ist unser Interesse. Dazu muss dieses Unternehmen Fehler der Vergangenheit ausmerzen, sich neu positionieren und sich neu aufstellen. Dafür verdient dieses
Unternehmen - sowohl die Unternehmensleitung als
Peter Weiß ({7})
auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - unsere
politische Unterstützung.
({8})
Wenn wir bei der Telekom von beschäftigungspolitischen Aspekten sprechen, dann möchte ich bei allem
Streit, der zur Zeit herrscht, die feste Absicht hervorheben, die wir politisch nur begrüßen können. Es ist die
Absicht, bei diesem Umbau Beschäftigungssicherung
auszusprechen und es nicht zu Entlassungen kommen zu
lassen. Es ist die feste Absicht des Unternehmens, dass
das hohe Ausbildungsniveau erhalten bleibt. Unter den
deutschen DAX-Unternehmen ist die Telekom ein Superbeispiel. Sie hat unter allen deutschen Unternehmen,
die im DAX notiert sind, das höchste Ausbildungsplatzangebot für junge Menschen.
({9})
Viele deutsche Großunternehmen sollten sich an der Telekom und an der dortigen Ausbildungsleistung ein Beispiel nehmen.
({10})
Man muss auch einmal von den positiven Seiten sprechen. Die Telekom ist ein Unternehmen, das seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine durchaus attraktive Altersversorgung garantiert. Es gibt die feste
Zusage, dass diese Altersversorgung auch in Zukunft auf
dem jetzigen Niveau fortgeführt wird. Das ist ein Standortvorteil der Telekom und ein Vorteil für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort arbeiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, derzeit
herrscht bei Telekom dicke Luft, weil für diese Umbaumaßnahmen neue Vereinbarungen zwischen der Betriebsleitung, dem Vorstand, und den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern notwendig sind. Diese Vereinbarungen
sind zwischen dem Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auszuhandeln, und zwar in
Wahrnehmung unserer grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie. Wir alle sitzen nicht am Verhandlungstisch. Wenn es heute einen politischen Wunsch oder einen politischen Rat geben kann, dann lautet dieser:
Vorstand und Gewerkschaften, setzt euch möglichst
schnell wieder an den Verhandlungstisch und versucht,
ein vernünftiges Ergebnis hinzubekommen, damit Telekom aus dem Gerede herauskommt und sich für die
Zukunft zur Sicherung der Arbeitsplätze bei Telekom
wieder neu aufstellen kann. Das ist unser politischer
Wunsch, den ich heute aussprechen will.
Vielen Dank.
({11})
Letzter Redner dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Klaus Barthel von der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung; als Linkspartei darf man natürlich immer danach rufen, denn Sie wissen ganz genau, dass wir diesen
Ruf hier nicht erhören dürfen. Dass sich hier kein Vertreter des Finanzministeriums hinstellen darf, macht für Sie
ja gerade den Charme dieser Debatte aus.
({0})
Wir könnten diesen Ruf zumindest dann nicht erhören, wenn es uns ernsthaft darum gehen würde, die Zukunft des Unternehmens und die Arbeitsplätze zu sichern. Uns geht es ernsthaft darum. Ich gehöre nicht zu
denen, die öffentliche und politische Verantwortung immer für Teufelszeug halten. Es wurde aber schon gesagt:
Was würde denn passieren, wenn sich das Finanzministerium als Verwalter der Anteile hier hinstellen und sagen würde: Jetzt gehen wir in den Aufsichtsrat und sagen
dem Vorstand einmal, was hier Sache ist, weil wir eine
beschäftigungspolitische Verantwortung haben? Es ist
bereits dargestellt worden, dass dies schon rechtlich
nicht geht. Sie müssen sich aber die Frage stellen: Was
würde sonst noch passieren? Das, was Sie hier aufführen, hilft nämlich weder den Beschäftigten noch den Gewerkschaften. Sie hören doch, welche Geister Sie hier
rufen, wenn Sie so diskutieren, wie Sie es tun. Sie sind
doch immer diejenigen, die vor der Brutalität der
Finanzmärkte warnen. Sie geben doch vor, zu wissen,
was die Analysten und Geldanleger von Gewerkschaften, von politischem Einfluss und von beschäftigungspolitischer Verantwortung halten.
({1})
Sie wissen doch, wie die Börsen auf den Rat der Analysten reagieren, wenn es in einem Unternehmen auch nur
nach politischem Einfluss zugunsten der Beschäftigten
riecht.
({2})
Sie wissen doch auch aus der Berliner Erfahrung, wie
das mit dem politischen Einfluss auf privatisierte oder zu
privatisierende Betriebe aussieht.
Wenn ich es mir so leicht machen würde wie die
Linkspartei, deren Repräsentanten jetzt von einer Streikkundgebung zur anderen laufen, dann müsste ich mir ein
paar Geschichten vorhalten lassen, wie es damals war,
als ihr designierter Vorsitzender Bundesfinanzminister
war.
({3})
Er hat damals dafür gesorgt, dass sich zum Beispiel in
den Aufsichtsräten und in den Unternehmens- und AnKlaus Barthel
staltsetagen gegenüber Schwarz-Gelb nicht wirklich etwas geändert hat. Dafür mag es sogar gute Gründe gegeben haben. Aber mit Blick auf den Berliner Senat und
seinen Wirtschaftssenator sowie mit Blick auf die Erfahrungen von damals würde ich der Linkspartei hier zu
mehr Zurückhaltung raten.
({4})
Sie haben auch im letzten Jahr immer auf der gegnerischen Seite gestanden, wenn es darum ging, Probleme
im Telekommunikationssektor zu lösen. Ob es nun um
die Vorruhestandsregelung oder um die Lockerung der
Regulierung für die neuen Märkte ging: Sie waren immer dagegen. Anstatt also die falschen Vorwürfe an die
falsche Adresse zu richten, würde es sich einmal lohnen,
in der Sache zu argumentieren.
Das Tragische im letzten halben Jahr ist, dass zwar
der Vorstand mit vernünftigen Vorschlägen gestartet ist:
Durchbrechung des Säulensystems, Serviceorientierung, Kunden- und Marktorientierung, Investitionen in
neue Märkte. Das war wohl auch der Beschluss des Aufsichtsrates, soweit er mir bekannt ist. Ich weiß nicht, ob
Lohnsenkungen, wie Sie erzählen, in dem Beschluss
überhaupt enthalten waren.
Die Frage ist aber: Was ist von diesen Plänen übrig
geblieben? In vielen Reden, Papieren und Interviews
vonseiten des Vorstandes der Telekom kommt außer
Schlagworten leider nichts mehr davon vor. Ich kann
nicht erkennen, wo diese Vokabeln, wo diese Ziele operativ unterlegt sind. Das ist das Problem. Es drängt sich
mir immer mehr der Verdacht auf, dass die Umorganisation und die Austöchterung der Servicegesellschaften
nichts anderes als ein Vehikel sind, um massiv an die Arbeitsbedingungen heranzugehen und die Beschäftigten
unter Druck zu setzen.
({5})
Deswegen sage ich hier ganz deutlich: Die SPD-Bundestagsfraktion wird nicht zusehen, wie es einen Großangriff auf die Arbeitsbedingungen eines der wichtigsten
Unternehmen in Deutschland gibt.
({6})
Wir werden auch nicht zusehen, wie die Durchschnittseinkommen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
als Besitzstände tituliert werden, die man endlich beseitigen müsse. Wir werden nicht zulassen, dass
Niedriglöhne zum Maßstab aller Arbeitsbedingungen
gemacht werden. Wir werden nicht zusehen,
({7})
wie in den neuen Bundesländern - davon war heute
überhaupt noch nicht die Rede - in strukturschwachen
Gebieten vorrangig Standorte in der Fläche geschlossen
werden, nur weil es dort kaum Beamte gibt.
({8})
Wir wollen mit Blick auf die Debatte um die Dividendenzahlung und um die Einsparungen seitens des Personals nur so viel sagen: Anstatt 3 Milliarden Euro an Dividende auszuschütten und beim Personal einzusparen,
wäre es für den Aktienkurs wichtiger, in die Zukunft des
Unternehmens zu investieren. Denn im Personal liegt die
Zukunft des Unternehmens. Für das Team Telekom gilt:
Doping für die Radfahrer und für die Aktionäre schadet
genauso viel wie Dumping für die Beschäftigten.
({9})
Die Telekom braucht deswegen einen besonnenen und
konsensualen Modernisierungsprozess.
Wir haben sehr viel Verständnis für den Streik und
unterstützen seine Ziele. Wir fordern den Vorstand auf
- das haben wir schon lange öffentlich getan, bevor die
Linkspartei aufgewacht ist -, ein neues Angebot zu unterbreiten und die wichtigsten Probleme, die dieses Unternehmen hat, gemeinsam mit den Beschäftigten und
ihren Vertretungen anzugehen.
Wir wollen in der Öffentlichkeit deutlich machen,
dass es kein Streik gegen die Kundinnen und Kunden ist.
Diese haben nämlich mehr davon, wenn die Strukturprobleme gelöst werden und motivierte und gut bezahlte
Beschäftigte im Unternehmen sind.
Herr Kollege Barthel, denken Sie an Ihre Redezeit.
Ein letzter Satz, Frau Präsidentin.
Bitte.
All das sind Gegenstände von unternehmerischen, betrieblichen und tariflichen Verhandlungen und Entscheidungen. Es sind keine Probleme, die wir so lösen können, wie Sie von der Linken es vortragen, die uns aber
auch nicht so egal sind wie der FDP.
({0})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. Mai 2007,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.