Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, recht herzlich.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Frau Dr. Annette Schavan. Bitte schön, Frau Ministerin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes beschlossen. Die
Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes ist Ausdruck
einer Politik für größere Selbstständigkeit, mehr Gestaltungsspielraum und mehr Freiheit an den Universitäten
und an unseren Hochschulen insgesamt. Wir wissen,
dass in den vergangenen Jahren in den Bundesländern in
unterschiedlicher Weise Hochschulgesetze auf den Weg
gebracht wurden, die mehr Freiheit und mehr Autonomie für die Hochschulen mit sich bringen. Dem soll die
Aufhebung der Rahmengesetzgebung Rechnung tragen.
Die Rahmengesetzgebung ist eine Idee des letzten
Jahrhunderts. Anreize setzen, Wettbewerb ermöglichen
und Gestaltungsspielraum vor Ort stärken - das ist die
Philosophie zur Modernisierung des Wissenschaftssystems heute. Es geht nicht um Steuerung des Wissenschaftssystems über Detail und Verwaltung, sondern um
Modernisierung des Wissenschaftssystems über Freiheit
und Autonomie. Sämtliche Regelungsnotwendigkeiten
des Hochschulrahmengesetzes sind bereits in den vergangenen Jahren auf die Landesgesetzgebung übertragen
worden. Das entspricht im Übrigen auch der Intention
des Föderalismus.
Zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes gehört auch die Frage, wie sich dies auf arbeitsrechtliche
Befristungsregelungen und arbeits- und besoldungsrechtliche Fragen auswirkt. Wir haben bereits in den vergangenen Monaten die arbeitsrechtlichen Regelungen
für das wissenschaftliche Personal der Hochschulen und
Forschungseinrichtungen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt, das im April dieses Jahres in Kraft gesetzt worden ist.
Das Zweite: Es wird keine hochschulrechtliche Regelungslücke entstehen, auch nicht in den Bereichen, in denen der Bund weiterhin über eine Gesetzgebungskompetenz verfügt. Das betrifft die Hochschulzulassung und
Hochschulabschlüsse. Sie wissen, dass wir in diesen Bereichen längst über die nationale Ebene hinaus im Rahmen des Bolognaprozesses neue Regelungen der Akkreditierung haben. Darüber wird in der kommenden Woche
in London eine Zwischenbilanz gezogen.
Dies wird keine unmittelbaren Auswirkungen auf die
Hochschulen, die Hochschulmitarbeiter oder Studierenden haben. Bisherige rahmenrechtliche Vorgaben des
HRG sind in den Hochschulgesetzen der Länder umgesetzt. Das unmittelbar geltende Hochschulrecht ergibt
sich also nicht aus dem HRG, sondern aus den Landeshochschulgesetzen.
Regelungen der Hochschulzulassung sind bereits im
vergangenen Jahr von den 16 Ländern in einem Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen vereinbart
worden, sodass die Bundesregierung auch hier keinen
weiteren Regelungsbedarf sieht.
Des Weiteren gab es noch Fragen im Zusammenhang
mit dem versorgungsrechtlichen Besitzstand für emeritierungsberechtigte Professorinnen und Professoren sowie deren Hinterbliebene zu klären, die in den §§ 76 und
76 a des jetzigen HRG geregelt sind. Diese Regelungen
bleiben erhalten und werden in das Beamtenversorgungsgesetz verlagert.
Das waren die Informationen zur Aufhebung des
Hochschulrahmengesetzes und zu den damit verbundenen Konsequenzen, die deutlich machen - davon bin ich
überzeugt; das soll auch das Signal sein -, dass wir eine
Redetext
Modernisierung des Wissenschaftssystems gemeinsam
mit den Ländern wünschen. Wir geben die Rahmengesetzgebung mit dem Ziel auf, mehr Wettbewerb, mehr
Selbstständigkeit und Anreizsysteme wie die Exzellenzinitiative oder den Hochschulpakt zu ermöglichen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde.
Das Wort hat die Kollegin Hirsch.
Frau Ministerin, besten Dank für Ihre Ausführungen.
Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass mir die Logik,
warum wir ausgerechnet jetzt zu einem solchen Gesetz
zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes kommen
müssen, nicht einleuchtet.
Deshalb möchte ich erstens nachfragen, ob ich Sie
richtig verstanden habe, dass sich durch die kürzlich beschlossene Föderalismusreform, die wir auch schon für
einen falschen Schritt halten, kein unmittelbarer Aufhebungsbedarf für das Hochschulrahmengesetz ergibt.
Zweitens. Ist es wirklich Ihr ganz klarer politischer
Wille, das Hochschulrahmengesetz aufzuheben, obwohl
Sie wissen, dass dadurch eine verstärkte Ungleichheit
eintreten wird? Sie setzen auf Wettbewerb zwischen den
unterschiedlichen Bundesländern - das haben Sie in Ihrem einleitenden Beitrag ganz klar gesagt -, was automatisch dazu führen wird, dass die Bundesländer unterschiedliche Regeln anwenden werden.
Es gibt keine Notwendigkeit zu einer solchen Änderung. Was dabei am Ende herauskommt, wäre schlechter
und weniger gut vergleichbar. Von daher lautet meine
Frage: Warum also soll dieses Gesetz kommen?
Frau Kollegin, es ist in der Tat politischer Wille - keine
Zwangsläufigkeit aus bisherigen Beschlüssen, gleichwohl die logische Konsequenz nicht nur aus einem föderalen System, sondern auch aus der dahinter steckenden
Philosophie -, dass ein Wissenschaftssystem im 21. Jahrhundert nicht über Detailsteuerung und über die Vorstellung, dass eine Hochschule wie die andere ist, weiterentwickelt und modernisiert werden kann, sondern nur über
Anreizsysteme und Wettbewerb, wie das auch international üblich ist. Schon die Exzellenzinitiative hat ja gezeigt,
dass es sehr unterschiedliche Entwicklungen in den
Hochschulen gibt.
Zur nächsten Frage hat der Kollege Gehring das Wort.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, angesichts der Tatsache, dass das Hochschulrahmengesetz abgeschafft werden soll - was wir für falsch halten -, stellt sich für mich
die Frage, wie es die Bundesregierung beurteilt, dass einige Bundesländer - Nordrhein-Westfahlen, Bayern,
Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz - zahlreiche Bestimmungen des Hochschulrahmengesetzes bisher nicht in
Landesrecht übernommen haben. Somit können durch
die Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes in den
nächsten Monaten teilweise Regelungslücken und ein
rechtliches Vakuum entstehen.
Diese Frage halte ich auch deshalb für berechtigt,
weil sie nichts mit Detailversessenheit zu tun hat, sondern zum Beispiel auch mit der Fragestellung, wie wir
die Mobilität von Studierenden in unserem Land sichern.
Es wird keine Regelungslücken und keine Zeiten der
Rechtsunsicherheit geben, weil die Aufhebung des
Hochschulrahmengesetzes zum 1. Oktober 2008 vorgesehen ist. Das ist das Ergebnis der Gespräche mit den
Ländern. Damit haben sie genügend Zeit, die Übertragung wichtiger Regelungen zu leisten.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Enkelmann.
Frau Ministerin, ich gehe davon aus, dass wir beide
eine moderne Wissenschaftslandschaft wollen. Halten
Sie eine solche feudale Kleinstaaterei, wie Sie sie jetzt
mit der Aufhebung der Hochschulrahmengesetzgebung
festschreiben wollen, nicht für einen Widerspruch zu der
modernen Struktur, die eigentlich erforderlich wäre?
Ganz im Gegenteil, ich bin nicht der Überzeugung,
dass der Föderalismus in Deutschland Kleinstaaterei ist.
Ich bin der Überzeugung, dass Modernisierung des Wissenschaftssystems heute bedeutet, sich an internationalen
Maßstäben auszurichten. Sie werden heute schwerlich
eine wissenschaftsstarke Nation finden, die mit Rahmengesetzgebung diesen Modernisierungsprozess durchführt.
Die nächste Frage stellt der Kollege Krummacher.
Frau Ministerin, am kommenden Wochenende wird in
Stuttgart ein internationaler Kongress für den wissenschaftlichen Nachwuchs eröffnet, der von Ihrem Haus
mit vorbereitet worden ist. Deswegen die Frage: Welche
Bedeutung hat denn die Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes für die internationale Wettbewerbsfähigkeit
unserer Hochschulen?
Die Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes richtet sich an die Landesgesetzgeber. Vor Ort - das betrifft
die Landesgesetzgebung, aber mehr noch die Hochschulen selbst - soll für die Förderung der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr Spielraum geschaffen werden. Sie wissen, dass die Bundesregierung
hier etwa im Bereich der Begabtenförderung schon eine
Menge getan hat. Letztlich wird wichtig sein, dass neben
erfolgten Schritten wie der Einrichtung der Juniorprofessur in den nächsten Jahren verstärkt über den TenureTrack nachgedacht wird, also über wirkliche Perspektiven für wissenschaftliche Karrieren.
Insgesamt gilt: Wir müssen unseren Universitäten, unseren Hochschulen die Freiräume geben, die in anderen
Ländern vorhanden sind. Deshalb verbindet die Bundesregierung mit der Aufhebung der Hochschulrahmengesetzgebung die Erwartung, dass sich die Landesgesetzgeber gleichermaßen auf diese Philosophie der größeren
Selbstständigkeit und Freiheit vor Ort einlassen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Schneider.
Frau Ministerin, Sie haben eben ausgeführt, dass Sie
die Auffassung vertreten, dass die Abschaffung des
Hochschulrahmengesetzes insoweit ganz passend sei, als
dieser Prozess in den letzten Jahren durch den Übergang
der Kompetenz auf die Länder, insbesondere durch die
Schaffung rechtlicher Regelungen, bereits weitestgehend
abgeschlossen sei. Das kann ich nur bedingt nachvollziehen. Ich möchte daher ausdrücklich fragen: Wie stehen
Sie zu Ihrer eigenen Aussage in Bezug auf die Akkreditierungsverfahren? Eine Ergänzungsfrage in diesem
Zusammenhang: Wie können Sie eine mögliche Zersiedelung der Akkreditierungslandschaft mit den grundsätzlichen Zielen des Bolognaprozesses - Vergleichbarkeit und Vereinbarkeit - vereinbaren?
In Deutschland sind heute etwa 48 Prozent aller Studiengänge im Sinne des Bolognaprozesses umgestellt.
Die Zahl der Studierenden, die davon betroffen sind, ist
nicht so hoch, weil große Fachbereiche wie Medizin
oder Jura noch nicht in der Umstellungsphase sind, hier
noch Fragen zu klären sind.
Akkreditierung heißt nach meiner Überzeugung:
Transparenz und Vergleichbarkeit, aber nicht zu viel Bürokratie. Wir werden in der nächsten Woche in London
in diesem Zusammenhang auch über die Erfahrungen
anderer Länder sprechen. Danach wird sich die Frage
stellen, ob es in Deutschland noch Bedarf für Feinjustierung und Weiterentwicklung gibt. Aber generell gibt es
keine Zersiedelung. Das Ziel, das wir erreichen wollen,
ist Mobilität in Europa, das heißt für alle Studiengänge
Transparenz, was an Kompetenzen erworben und an Studien absolviert wird, übrigens - auch das ist ein Ziel des
Bolognaprozesses - auch mit Blick auf künftige Berufsfelder.
Die nächste Frage geht an die Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie
haben in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen von
der CDU im Nebensatz die Juniorprofessuren erwähnt.
Ich habe in Ihrer Einleitung das Wort „Juniorprofessuren“ vermisst. Ich würde Sie gern um eine Einschätzung bitten.
Erstens. Sie haben viele Dinge aufgezählt, die jetzt
geregelt seien. Wie ist aus Ihrer Sicht die Frage der
Juniorprofessuren geregelt?
Zweitens. Ich habe Ihrer Antwort entnehmen dürfen,
dass Sie Juniorprofessuren für eine gute Angelegenheit
halten. Wie wollen Sie die Einrichtung und Förderung
von Juniorprofessuren weiter unterstützen? Wie wollen
Sie mit den Bundesländern umgehen, in denen gegen die
Juniorprofessuren geklagt wurde?
Erstens. Ich halte die Juniorprofessur für einen von
verschiedenen möglichen Wegen für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich weiter zu qualifizieren.
Zweitens. Die Einrichtung Juniorprofessur hat auch in
die Landesgesetzgebung Eingang gefunden.
Drittens. Es ist nicht generell gegen die Juniorprofessur geklagt worden. Vielmehr ging es um die Frage des
Zusammenspiels von Bund und Ländern im Prozess der
Einführung. Die Auseinandersetzung darum war damals
nicht friedlich; heute gibt es aber überhaupt keinen
Grund, gegen jemanden vorzugehen. Die Juniorprofessur ist etabliert. Damit sie für die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ergiebig ist, muss gewährleistet sein, dass vonseiten der Länder Forschungsmittel
zur Verfügung gestellt werden. Auch hierzu gibt es in
einzelnen Ländern erste Initiativen.
Der Zug fährt also; ich glaube, er fährt in die richtige
Richtung.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kretschmer.
Frau Bundesministerin, das HRG ist vonseiten des
Bundesrates nicht zustimmungspflichtig. Dennoch
würde ich gern wissen: Wie sind die Gespräche mit den
Ländern zur Frage der HRG-Abschaffung verlaufen?
Wie wird das von den Bundesländern gesehen? Wie
möchte man die Spielräume ausnutzen, die sich durch
die Abschaffung eröffnen? Die Forderung nach einer
HRG-Abschaffung ist ja schon seit vielen Jahren im
Raum; sie wurde immer wieder von den Ländern erhoben.
Die Gespräche mit den Ländern verliefen sehr positiv.
Die Aufhebung der Rahmengesetzgebung wird begrüßt,
weil sie über alle politischen Richtungen hinweg nicht
mehr als aktuelle Philosophie verstanden wird. Der
Wunsch der Länder war, für die Aufhebung den Zeitpunkt Oktober 2008 zu wählen, damit dort, wo sich auf
der Ebene der Länder Handlungsbedarf ergibt, noch Regelungen getroffen werden können.
Mit der Aufhebung der Rahmengesetzgebung wird
die Gesetzgebung dem gerecht, was längst Praxis ist. Ich
erinnere zum Beispiel daran, dass das entsprechende Gesetz in Nordrhein-Westfalen sogar Hochschulfreiheitsgesetz heißt. Auch viele andere Ländergesetze verfolgen
den Grundgedanken, keine Detailsteuerung mehr vorzunehmen, sondern neue Instrumente einzuführen. Bei der
Exzellenzinitiative haben wir gesehen, dass neue Instrumente der Steuerung eine enorme Dynamik in den Hochschulen auslösen.
Das Wort hat der Kollege Barth.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Bevor ich meine
Frage stelle, möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen,
dass ich es sehr unglücklich finde, dass diese Befragung
zu einem Zeitpunkt stattfindet, zu dem der betreffende
Ausschuss, nämlich der Bildungsausschuss, eine öffentliche Anhörung zum Thema Stammzellenforschung
durchführt.
({0})
Dadurch müssen sich die Mitglieder entscheiden, ob sie
hier an der Befragung der Bundesregierung oder an der
Anhörung im Ausschuss teilnehmen.
Zu meiner Frage. Sie haben die Zuständigkeiten des
Bundes bereits mehrfach erwähnt. Ich möchte wissen, ob
es bereits konkrete Überlegungen oder Planungen gibt,
wie Sie mit den restlichen Zuständigkeiten des Bundes,
insbesondere bezüglich der Hochschulabschlüsse - Sie
selbst haben Bologna erwähnt -, in Zukunft umgehen
werden.
Ich sehe keinen zusätzlichen Regelungsbedarf, weil
die Frage der Abschlüsse, die zunehmend zu einer europäischen Angelegenheit wird, im Rahmen des Bolognaprozesses zu regeln ist und die Frage der Hochschulzulassung in einem Staatsvertrag über die Vergabe von
Studienplätzen geregelt ist. Nach meiner festen Überzeugung muss in den nächsten zehn Jahren der Anteil der
Studienplätze, die die Hochschulen durch entsprechende
Auswahlverfahren selbst vergeben, wachsen. Es muss
ein Bestandteil der neuen Philosophie sein, dass einerseits Studierende ihre Hochschulen und andererseits die
Hochschulen ihre Studierenden wählen.
Das Wort hat der Kollege Rossmann.
Frau Ministerin, im Rahmen der Föderalismusreform
ist die Rahmengesetzgebung abgeschafft worden. Ich
darf daran erinnern, mit welchem Pathos dieses Faktum
generell behandelt wird.
Meine Frage bezieht sich auf die Äußerung des Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Herrn Zöllner, am
30. April 2007 in der „Süddeutschen Zeitung“, er sehe
den dringenden Bedarf, dass die Hochschulzulassung
und -abschlüsse bundeseinheitlich geregelt werden.
Stimmen Sie dieser Einschätzung auf Landesebene zu,
dass es in dem existentiellen Bereich der Zulassung und
Abschlüsse zwingend einer bundeseinheitlichen Regelung bedarf?
Ich habe noch eine weitere Frage. Wir streben ein effizientes Bewerbungsmanagement für alle Studierenden
an, damit sie nicht von Hochschule zu Hochschule geschickt werden. Würden Sie so weit gehen, den Hochschulen die Freiheit zuzugestehen, sich von diesem offiziellen und einheitlichen Bewerbungsmanagement
auszuschließen? Reicht die Freiheit so weit, oder bedarf
es einer bundeseinheitlichen Verpflichtung, sich zum
Beispiel an einem gemeinsamen Bewerbungsmanagement zu beteiligen?
Zu den Aussagen des Kollegen Zöllner kann ich angesichts der im Rahmen des Bolognaprozesses einerseits
und des bereits erwähnten Staatsvertrages der 16 Länder
andererseits existierenden Regelungen erst dann Stellung nehmen, wenn er konkretisiert, was seines Erachtens zu regeln ist. Ich bin gesprächsoffen, sehe aber zurzeit nicht, was über die bestehenden Regelungen - der
Staatsvertrag einerseits, übrigens bei Weiterentwicklung
der Rolle der ZVS als Servicestation, und der Bolognaprozess andererseits - hinaus notwendig wäre. Nach den
bestehenden Regelungen beteiligen sich die Hochschulen an dem Bewerbungsmanagement. Meine persönliche
Überzeugung ist, dass wir uns in Deutschland über einen
längeren Zeitraum an Verhältnisse gewöhnen sollten,
wie sie in der übrigen Welt bereits existieren. Insofern
gehört zur Selbstständigkeit der Hochschule dazu, dass
sie ihre Studierenden auswählt.
({0})
Inwieweit es dann noch für Gruppen von Hochschulen oder für die Hochschulen eines Landes Servicestationen gibt - auch was das Management von Auswahlverfahren angeht -, ist davon unberührt. Vermutlich wird
sich auch die ZVS in diese Richtung entwickeln. Wer
aber die Philosophie der Autonomie ernst nimmt, der
muss sie nach meiner persönlichen Überzeugung auch
dann ernst nehmen, wenn es um die Auswahl der Studierenden geht.
Das Wort hat die Kollegin Pieper.
Frau Ministerin, Sie haben bewusst die Abschaffung
des Hochschulrahmengesetzes des Bundes in Erwägung
gezogen, weil Sie - wie auch wir als Liberale - auf mehr
Autonomie, Wettbewerb und Mobilität in Europa setzen.
Das begrüßen wir zwar, aber wenn der Bund diesen
Schritt geht, dann muss er nach unserer Auffassung auch
dafür sorgen, dass die Länder nicht über ihre Landesgesetze mehr Regulierung zulassen.
Autonomie bedeutet in der Tat - Sie haben auf Nordrhein-Westfalen hingewiesen - mehr Freiheit für die
Hochschulen. Leider haben nicht alle Länder ein so freiheitliches Hochschulgesetz. Insofern frage ich Sie: Was
tun Sie als Bundesministerin im Zuge der Verhandlungen mit den Kultusministern der Länder, damit es nicht
bei der Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes
bleibt, sondern durch den Abbau entsprechender Überregulierungen auch in den Landesgesetzen insgesamt mehr
Autonomie erreicht wird?
Der Bund hat in diesem wie in allen anderen Bereichen keinen unmittelbaren Einfluss auf die Landesgesetzgebung. Ich bin aber ebenso wie die Liberalen zutiefst davon überzeugt, dass die Frage, wie viel
Autonomie es in einem Land gibt, zu einem Wettbewerbsfaktor im Wissenschaftssystem wird. Wo die
meiste Autonomie ist, werden die Universitäten die besten Möglichkeiten zur Gestaltung haben, auch bei der
Personalauswahl und in der Frage, ob ein Ministerium
beteiligt wird oder nicht. Deshalb setze ich nicht auf
Mischsysteme mit ein bisschen Regulierung, sondern
konsequent auf Anreize und Selbstständigkeit vor Ort;
das wird sich durchsetzen. Alles andere ist Philosophie
von gestern.
Das Wort zur nächsten Frage hat der Kollege
Weinberg.
Zuerst eine Anmerkung zum Kollegen Barth: Ich bin
erstaunt, dass die Opposition das Angebot der Bundesregierung kritisiert, im Rahmen der Regierungsbefragung ein aktuell wichtiges Thema zu besprechen. Ich
finde es jedenfalls gut, dass wir uns mit diesem Thema
hier befassen, genauso wie das Angebot der Bundesregierung an die Opposition, durch Nachfragen Themen zu
vertiefen.
Ich möchte noch einen Kommentar zu dem Vorwurf
der Kleinstaaterei von der Linken abgeben. Ich bin sehr
überrascht, dass man Nordrhein-Westfalen, BadenWürttemberg oder Bayern als Kleinstaaten bezeichnet,
insbesondere wenn ich das im Vergleich zu Belgien und
Finnland sehe. Daran schließt sich meine Frage an, Frau
Ministerin: Wie bewerten Sie angesichts der weiteren
Entwicklung der Hochschullandschaft insgesamt im internationalen Vergleich die Möglichkeiten der Bundesländer, mehr Verantwortung nach unten - also den Hochschulen - zu geben? Es gibt in einigen Bundesländern
Bestrebungen, die darauf abzielen, die Autonomie der
Hochschulen zu stärken. Einige Bundesländer sind
schon sehr weit. Wie ist der Prozess, die Autonomie und
die Verantwortung der Hochschulen zu stärken, mitteloder längerfristig im Hinblick auf die Rahmengesetzgebung auf europäischer Ebene und die internationale
Konkurrenzfähigkeit der deutschen Hochschullandschaft
zu bewerten?
Ich bin davon überzeugt, dass mehr Transparenz,
Wettbewerb und Autonomie eine Stärkung des deutschen Wissenschaftssystems bedeuten. Damit sind auch
viele andere Veränderungen verbunden. Ich denke etwa
an strategische Allianzen von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Dort ist im Moment vieles im Fluss.
Auf europäischer Ebene wird es keinen Rahmen geben. Der Bolognaprozess ist kein Prozess der Harmonisierung, sondern ein Prozess, bei dem Instrumente geschaffen wurden, die eine Übersetzung innerhalb einer
vielfältigen Hochschullandschaft ermöglichen. Vielfalt
stärkt und hilft den Universitäten und Hochschulen vor
Ort bei der Profilierung. Im Sinne der Studierenden ist
wichtig - das ist die politische Verantwortung -, dass die
Übersetzung gelingt, dass Mobilität ermöglicht wird,
dass der europäische Hochschulraum von den Studierenden besser genutzt werden kann als in der Vergangenheit. Bei der Wahrnehmung politischer Verantwortung
muss man sich an der Situation der Studierenden, der erwarteten Mobilität und dem Qualitätsbewusstsein an den
Hochschulen orientieren sowie daran, dass der europäische Hochschulraum mit seinen nationalen Einheiten international attraktiv wird und dass die Universitäten Entwicklungen machen können, die zu exzellenter
Forschung und Lehre führen. Derzeit gibt es weltweit
kein Beispiel dafür, dass Exzellenz wächst, wenn möglichst viel Detailsteuerung seitens der Politik praktiziert
wird.
Die Kollegin Hirsch hat noch eine Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie
haben vorhin davon gesprochen, dass keine Regelungslücken entstünden. Hier möchte ich konkret nachfragen.
Wie Sie wissen, ist in § 9 Abs. 2 des Hochschulrahmengesetzes geregelt, dass die Bundesländer gemeinsam
verpflichtet sind, die Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen und Prüfungsleistungen sicherzustellen. Auf
der Grundlage dieser gemeinsamen Verpflichtung der
Bundesländer gibt es seit 2002 ein Akkreditierungssys9758
tem, an dem sich bislang alle 16 Bundesländer beteiligen.
Wenn wir davon ausgehen, dass Sie Ihr Gesetz zur
Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes durchsetzen
und das Hochschulrahmengesetz zum 1. Oktober 2008
aufgehoben wird: Wie können Sie unter dieser Prämisse
sicherstellen, dass sich nicht einzelne Bundesländer entschließen, aus diesem bisher noch bestehenden gemeinsamen Akkreditierungssystem auszutreten?
Das schließe ich aus, weil alle Bundesländer - übrigens ebenso wie neben Deutschland noch 44 andere
Nationen - am Bolognaprozess beteiligt sind. Jedes
Land, das schon die Vergleichbarkeit innerhalb Deutschlands für nicht wichtig hält, katapultiert sich damit
gleichsam automatisch aus dem Bolognaprozess heraus.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Rossmann.
Frau Ministerin, wir haben uns im Koalitionsvertrag
auf eine Bundesinitiative verpflichtet, wonach der Zugang von Menschen mit einem berufsqualifizierenden
Abschluss und beruflicher Qualifikation zu allen Hochschulen in Deutschland bundeseinheitlich zu befördern
ist. Sehen Sie Chancen, dies ohne die Länder oder mit
den Ländern zusammen über die nächste Hochschulreform hinaus zu befördern, und, wenn ja, in welcher
Form?
Ja, diese Chancen sehe ich, denn wir werden - ich
glaube, sogar heute schon - eine Arbeitsgruppe einsetzen, die nach der Arbeit an dem europäischen Qualifikationsrahmen jetzt am nationalen Qualifikationsrahmen
arbeiten wird, der keineswegs nur den Bereich der beruflichen Bildung betrifft, sondern auch die Durchlässigkeit
des Systems in den tertiären Bereich. Es ist im Vorfeld
besprochen worden, dass dieser Aspekt von mehr
Durchlässigkeit in den tertiären Bereich, von mehr Möglichkeiten für diejenigen und einer deutlichen Erhöhung
der Zahl derer, die nicht auf dem klassischen Weg des
Abiturs zum Studium kommen, stärker beachtet werden
soll.
Das Wort hat der Kollege Schneider.
Zunächst noch eine kurze Anmerkung zu dem, was
Kollege Weinberg gesagt hat: Es ist nicht so, dass wir
uns nicht freuten, dass die Frau Ministerin hier ist.
({0})
Wir wünschen uns viele weitere Gelegenheiten zu Befragungen. Wir haben nur bedauert - insoweit kann ich
mich dem Kollegen Barth anschließen -, dass die Regierungsbefragung und die Anhörung gleichzeitig stattfinden. Vielleicht bedauert auch die Frau Ministerin, dass
sie als Forschungsministerin wegen dieser Überschneidung an einer der im Bereich der Forschung wichtigsten
Anhörungen nicht teilnehmen kann.
({1})
Noch eine kurze Anmerkung zur Antwort auf die
Frage meiner Kollegin Hirsch: Frau Ministerin, in Bayern wird sehr wohl darüber diskutiert, aus dem Akkreditierungssystem auszusteigen, aber das ist bei Ihnen vielleicht noch nicht angekommen.
Aber jetzt zu meiner eigentlichen Frage: Wenn ich Sie
bei Ihren bisherigen Ausführungen richtig verstanden
habe, sind alle Vorbereitungen zur Aufhebung des Gesetzes bislang mit den Ländern abgesprochen worden.
Ich habe allerdings eine Absprache mit den Hochschulen
vermisst. Habe ich das nur überhört? Falls ich es nicht
überhört haben sollte, frage ich weiter: Ist im Zuge des
weiteren Verfahrens geplant, die Hochschulen in dieser
doch nicht unwichtigen Frage noch einzubeziehen?
Da Sie jetzt gleich drei Themen angesprochen haben,
erlaube ich mir, auch auf alle drei einzugehen. - Erstens.
Ich nehme nicht deswegen an der Anhörung nicht teil,
weil ich hier stehe, sondern weil das Parlament Wert darauf gelegt hat, dass die Forschungsministerin möglichst
keinen Einfluss auf das Parlament nimmt und sich zurückhält. Daran halte ich mich.
({0})
- Ihr müsst schon wissen, was ihr wollt.
Zweitens, zur Akkreditierung. Selbstverständlich
kommt auch bei mir an - darüber gibt es viele Debatten
und Stellungnahmen -, dass man aufgrund der bisherigen Erfahrung mit der Akkreditierung überlegt, ob es
noch andere Varianten gibt. Dazu gibt es Stellungnahmen von Hochschulen, die äußern, sie seien so groß,
dass sie dies selbst leisten könnten. Außerdem wird nach
der Systemakkreditierung gefragt. Das alles wird in London besprochen werden, und deshalb habe ich eben gesagt: Man sollte beim weiteren Voranschreiten die Wege
wählen, die mit möglichst wenig Bürokratie verbunden
sind. Aber das Ziel der Akkreditierung ist doch völlig
klar - da steigt auch Bayern nicht aus -: Transparenz,
Vergleichbarkeit und im europäischen Kontext gelingende Übersetzung. Im Vorfeld der Vorbereitung der
Bolognakonferenz ist übrigens deutlich geworden, dass
Deutschland mit seinen Wegen der Akkreditierung sehr
anerkannt ist.
Drittens. Adressat der Aufhebung der Rahmengesetzgebung sind die Länder, weil Regelungsbedarf im Zweifelsfall auf der Ebene der Länder besteht. Mir ist nicht
bekannt, dass es an den Hochschulen die Philosophie
gäbe, dass wir eine Rahmengesetzgebung brauchen. Es
war für die Hochschulen und auch für einige Berufsverbände wichtig, dass versorgungsrechtliche Regelungen
für emeritierte Professoren getroffen werden. Was im Interesse von Hochschulangehörigen zu regeln war, ist geregelt.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Gehring.
Frau Ministerin, die Mobilität innerhalb Europas erfordert auch Mobilität innerhalb Deutschlands, nicht
aber Kleinstaaterei und einen Flickenteppich. Ich will
Sie ganz klar fragen: Will die Bundesregierung die ihr
infolge der Föderalismusreform I bei Hochschulzulassung und -abschlüssen zugebilligten Kompetenzen
wahrnehmen und künftig bundesweit einheitliche Mindeststandards, zum Beispiel im Rahmen eines Staatsvertrags, mit den Ländern vereinbaren, oder soll das alles
entfallen? Es ist im Übrigen sowohl für die deutschen
Studierenden als auch für ausländische Studierende, die
zu uns kommen, sehr wichtig, zu wissen, auf welche Regelungen bei Zugängen und Abschlüssen man sich künftig verlassen kann.
Ich wiederhole, dass es einen Staatsvertrag zwischen
16 Ländern gibt, der die Hochschulzulassung regelt. Er
tut dies, weil in dieser Frage Transparenz wichtig ist.
Hinsichtlich der Mindeststandards verweise ich auf
meine Antwort auf die Frage, die mir Kollege Rossmann
eben gestellt hat. Wir wollen vor allem mehr Durchlässigkeit in den tertiären Bereich. Die Frage, welche Standards erfüllt sein müssen, damit jemand erfolgreich diesen oder jenen Studiengang belegen kann, wird nach
meiner festen Überzeugung am ehesten die Hochschule
selbst entscheiden können. So weit sind wir aber noch
lange nicht, weil es einen Staatsvertrag, eine ZVS und
alles, was damit verbunden ist, gibt und das mit Mindeststandards zu tun hat.
Was die Abschlüsse betrifft, so befinden wir uns in
dem Prozess der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge. Wir haben Einrichtungen, Akkreditierungsagenturen, die damit verbundene Standards überprüfen. Studiengänge werden nur anerkannt und damit
zugelassen, wenn Standards, die international wettbewerbsfähig sind, erfüllt sind. Insofern sage ich: Ich bin
offen für das Gespräch darüber, sehe aber nicht, dass
über diese Instrumente hinaus, die geschaffen worden
sind, weitere Instrumente notwendig wären. Ich weiß
auch nicht, wo sonst in der Welt darüber hinausgehende
Regelungen getroffen sind.
Mir liegen noch eine Frage zu dem Themenbereich
und eine Frage zu weiteren Themen der heutigen Kabinettssitzung vor. Ich möchte beide noch zulassen. Das
geht auf Kosten der nachfolgenden Fragestunde.
Das Wort hat die Kollegin Pieper.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich
wollte zur Ehrenrettung der Kolleginnen und Kollegen
aus dem Bildungs- und Forschungsausschuss und für die
deutsche Öffentlichkeit, die sich immer wundert, warum
der Plenarsaal nicht voller ist, sagen, dass wir zeitgleich
zu dieser Befragung der Bundesministerin für Forschung
die Anhörung zum Stammzellgesetz haben.
({0})
Sie sind, wie auch ich, gegen das Klonen, und wir können uns nicht gleichzeitig hier und dort aufhalten. Ich
bitte, das zu respektieren, was mein Kollege hier dazu
gesagt hat.
Wegen der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands halte
ich es für wichtig, dass wir eine stärkere Autonomie der
Hochschulen, aber auch Mobilität in unserem Land und
in Europa für die jungen Leute durchsetzen. Wir wollen
europäische Standards bei den Hochschulabschlüssen
und natürlich auch ein dementsprechendes Niveau bei
den Hochschulzulassungen. Während das anderenorts in
Europa realisiert wird, ist es für einen jungen Deutschen,
der in Baden-Württemberg die Fachhochschulreife erworben hat, immer noch unmöglich, zum Studium an einer Fachhochschule in Berlin zugelassen zu werden.
Halten Sie das für gerechtfertigt?
In Deutschland ist die volle Mobilität von Lehrern
noch immer nicht gewährleistet, weil jedes Bundesland
eine andere Lehrerausbildung vorhält. Das widerspricht
aus meiner Sicht dem europäischen Gedanken des
Bolognaprozesses und auch dem Gedanken der freien
Mobilität, die nicht nur in den anderen europäischen
Ländern, sondern vor allen Dingen auch in Deutschland
notwendig sind. Hier müssen wir unsere Hausaufgaben
machen. Ist es Ihr politisches Anliegen, die Hausaufgabe
in dieser Frage, die der Bund und die Länder nicht gemacht haben, zu erledigen, um dem europäischen Wettbewerb standhalten zu können?
Ich gehe auf beide Teile der Frage ein.
Was die Anerkennung von Hochschulabschlüssen angeht: Das wird über den Bolognaprozess zu regeln sein.
Aber dann muss eben auch klar sein - da stimme ich Ihnen zu -, dass die Länder das, was damit einhergeht,
zum Beispiel Transparenz, akzeptieren.
Das Thema Lehrerausbildung drängt; denn wir wollen Mobilität in Deutschland. Übrigens wird sich auch in
diesem Bereich - vor allen Dingen in Grenzregionen die Frage stellen, inwieweit wir die Mobilität auf europäischer Ebene im Sinne des europäischen Bildungsraumes stärken wollen. Insofern appelliere ich an die Länder, dieses Thema bald abschließend zu behandeln.
Damit sollte die Frage nach der Art der Umstellung beantwortet werden, sodass wir auch hier international vergleichbare und anerkannte Abschlüsse haben. Ich wie9760
derhole: Dieses Thema drängt, und es muss in den
nächsten Monaten abschließend behandelt werden.
Danke, Frau Ministerin. - Ich lasse, wie angekündigt,
noch eine Frage zu anderen Themenbereichen der heutigen Kabinettssitzung zu.
Bitte, Kollege Beck.
Leider ist das Innenministerium hier nicht vertreten.
Nach der heutigen Kabinettssitzung vermelden die
Agenturen, dass Bundesinnenminister Wolfgang
Schäuble angekündigt hat, die Sicherheitsvorkehrungen für das Treffen der G 8 Anfang Juni im Ostseebad
Heiligendamm nochmals zu verschärfen: Für die Zeit
dieser Konferenz sollen die Grenzkontrollen an den
Schengenbinnengrenzen wieder eingeführt werden. Ich
möchte von der Bundesregierung gerne wissen, wann
und in welcher Form der Bundesinnenminister das Kabinett darüber informiert hat, wie die Bürgerinnen und
Bürger der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der
Sicherheitsvorkehrungen für das G-8-Treffen Einschränkungen hinnehmen müssen. Welche Flughäfen werden
betroffen sein? Werden nur die Landgrenzen und die
Seegrenzen betroffen sein? In welcher Form muss man
mit zusätzlichen Kontrollen gegenüber dem heutigen
Zustand rechnen?
Wer kann für die Bundesregierung antworten? - Herr
Dr. Beus, bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter
Beck, dieses Thema war nicht Gegenstand der heutigen
Kabinettssitzung. Insofern kann ich die detaillierten Fragen, die Sie hier gestellt haben, jetzt nicht beantworten.
Aber ich werde mich selbstverständlich bemühen, Ihnen
eine entsprechende Auskunft zukommen zu lassen.
Herzlichen Dank, Herr Dr. Beus. - Ich beende damit
die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/5213, 16/5236 Zu Beginn der Fragestunde behandeln wir gemäß
Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/5236.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Gernot Erler zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 4 des Kollegen Volker
Beck ({0}) auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, der am 6. Mai
2007 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ damit zitiert
wird, er sehe in Bezug auf Usbekistan Lichtblicke, die es erlauben könnten, dass die Europäische Union in der nächsten
Woche zu der Entscheidung gelangt, die Sanktionen gegen
Usbekistan auslaufen zu lassen, und wird die Bundesregierung die Aufhebung oder Lockerung der Sanktionen gegen
Usbekistan vorantreiben?
Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Volker Beck,
auf Ihre Frage antworte ich wie folgt: Die im
November 2005 auch auf Initiative der Bundesregierung
verhängten Sanktionen der EU gegenüber Usbekistan
wurden im November 2006 modifiziert. Der Visabann
wurde um sechs Monate, das Waffenembargo um zwölf
Monate verlängert. Die Aussetzung technischer Gremiensitzungen im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens ist im November 2006 nicht weiter
verlängert worden. Die nächste Überprüfung des Visabanns als Teil der EU-Sanktionen gegenüber Usbekistan
steht nun am 14 Mai 2007 an. Dabei geht es ausschließlich um die Reisebeschränkungen. Das Waffenembargo
läuft bis November 2007 weiter. Der Gemeinsame
Standpunkt und die Ratsschlussfolgerungen zu Usbekistan sollen auf dem Rat für Allgemeine Angelegenheiten
und Außenbeziehungen am 14. Mai 2007 verabschiedet
werden.
Die Bewertung der bisherigen Entwicklungen in Usbekistan durch die EU mit Blick auf die Überprüfung der
Sanktionen ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Die
Bundesregierung als EU-Präsidentschaft hat zur Kenntnis genommen, dass das Meinungsbild in der EU zur
Frage der Sanktionen nicht einheitlich ist. Die Diskussionen in den entsprechenden Gremien laufen noch und
werden wohl spätestens auf dem Rat finalisiert werden.
Bislang ist von keinem Mitgliedstaat die Aufhebung der
Sanktionen gefordert worden.
Die Bundesregierung sieht in einigen Bereichen
durchaus Bewegung auf usbekischer Seite. So gab es im
Dezember 2006 und im April 2007 zwei Runden der Andijan-Expertengespräche. Am 8. und 9. Mai 2007, also
gerade in diesen Tagen, findet in Taschkent die erste
Runde eines institutionalisierten Menschenrechtsdialogs
statt. Vor wenigen Tagen hat Usbekistan außerdem
schriftlich zugesagt, dem Internationalen Komitee vom
Roten Kreuz die Wiederaufnahme von Gefangenenbesuchen nach den vereinbarten Prinzipien zu gestatten. Das
unverhältnismäßige Urteil gegen Frau Nijazowa, die am
1. Mai zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, wurde
gestern von einem Taschkenter Gericht in drei Jahre auf
Bewährung umgewandelt, und Frau Nijazowa wurde
umgehend freigelassen.
Die Bundesregierung bedauert jedoch gleichzeitig die
anhaltenden Repressalien gegen Menschenrechtsverteidiger und Oppositionelle in Usbekistan. Die Bundesregierung hat als EU-Präsidentschaft ihre Haltung hierzu
in der Erklärung vom 4. Mai 2007 unmissverständlich
zum Ausdruck gebracht. Sie hat diese Haltung der usbekischen Regierung auch mehrfach auf hoher politischer
Ebene deutlich gemacht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatsminister, es ist nicht so richtig deutlich geworden, was nun die Haltung der Bundesregierung zu
einer Lockerung der Sanktionen ist. Sie haben beschrieben, dass die anderen Staaten kein einheitliches Meinungsbild hätten. Die Frage war aber eigentlich, was die
Haltung der Bundesregierung ist. Halten Sie es für angemessen, dass man in Europa und auch in der zentralasiatischen Region - wir hatten gestern Besuch von Menschenrechtlern aus allen zentralasiatischen Staaten, ohne
Turkmenistan, wo so etwas nicht möglich ist - der Meinung ist, dass die Haltung der Bundesregierung zur Lockerung der Sanktionen gegenüber Usbekistan alle Menschenrechtler in Zentralasien in ihrem Kampf um
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in ihren Ländern schwächt? Die EU verlangt im Zusammenhang mit
den Sanktionen gegenüber Usbekistan eine unabhängige
Untersuchung der Vorfälle von Andijan - da ist die Expertenkommission kein Ersatz, zumal die Berichte alle
geheim sind -, den Zugang des Internationalen Roten
Kreuzes - nicht nur ein Versprechen des Zugangs - und
natürlich, dass der Menschenrechtsdialog auf einer festgelegten Agenda stattfinden muss. Keine dieser Forderungen wurde bis jetzt erfüllt. Würden Sie nicht auch
meinen, dass es vor dem Hintergrund, dass noch
14 Menschenrechtsverteidiger in Haft sind und es noch
8 000 politische Gefangene gibt, völlig unangemessen
wäre, dem usbekischen Regime durchgehen zu lassen,
dass man die Sanktionen gegen warme Worte aufhebt?
In warmen Worten - das werden Sie bei dem Dialog dort
erleben - sind die sehr geübt.
Herr Kollege Beck, ich werde heute auch noch ein
Gespräch mit dieser Delegation führen. Ich werde dort
genauso wie hier zum Ausdruck bringen, dass wir natürlich noch längst nicht an dem Punkt angekommen sind
- ich habe das auch eben in der Antwort deutlich gemacht -, wo alle berechtigten Forderungen der Weltgemeinschaft in Richtung Usbekistan erfüllt sind. Aber
man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass anderthalb
Jahre - Andijan war im Mai 2005 - überhaupt nichts an
Bewegung festzustellen war, sondern es einen völligen
Stillstand gab - nur Prozesse gegen angeblich Verantwortliche und hohe Strafen -, während es danach doch
zu dem, was ich hier durchaus als Bewegung bewertet
habe, gekommen ist. Dass dieses natürlich besser ist als
gar keine Bewegung, ist unbestreitbar. Wir beide sind
uns doch darüber einig, dass entscheidend ist, ob für bestimmte Personen etwas erreicht werden kann oder
nicht; das hängt davon ab, ob der Kanal, um etwas zu erreichen, offen bleibt oder nicht. Das wird auch bei der
Entscheidung über das Auslaufenlassen der Sanktionen
eine entscheidende Rolle spielen.
Sie, der Sie sich ja lange auch hier im Bundestag
kompetent mit Rechtspolitik beschäftigt haben, werden
mir nicht widersprechen, wenn ich feststelle, dass es berechtigt ist, von Bewegung auch im Sinne der Betroffenen zu sprechen, wenn die Strafe von Frau Nijazowa, die
am 1. Mai zu sieben Jahren Haft verurteilt worden ist,
am 8. Mai auf drei Jahre Haft auf Bewährung reduziert
und sie sofort freigelassen wird, nachdem am 3. Mai der
deutsche Botschaft demarchiert und am 4. Mai Deutschland eine EU-Ratserklärung dazu abgegeben hatte. Ich
könnte jetzt andere Fälle anführen: So haben wir uns
zum Beispiel erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Büroleiterin des Büros von Human Rights Watch in Taschkent jetzt doch eine Akkreditierung in Aussicht gestellt
worden ist, nachdem sie ihr vorher schon versagt worden
war. Das heißt ganz konkret, dass sie ihre Arbeit fortsetzen kann.
Wir sind zwar mit den Beratungen innerhalb der EUStaaten zur Vorbereitung der Sitzung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen noch
nicht fertig, für uns ist aber entscheidend, ob es weiterhin möglich ist, durch Umgang mit der Regierung in
Taschkent etwas für die betroffenen Menschen zu tun.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Ich will die Veränderungen in diesem Einzelfall gar
nicht in Abrede stellen. Das Entscheidende ist aber doch,
dass es keine generelle Lösung gibt, sondern die Strategie der usbekischen Regierung offenbar darin besteht,
mit einer solchen Einzelfalllösung Beweglichkeit zu signalisieren, während die große Zahl der politischen
Gefangenen und Menschenrechtsverteidiger von dieser
Lockerung nichts spürt.
Welchen Zusammenhang gibt es einerseits zwischen
der etwas auffälligen Strategie ausgerechnet der Bundesregierung, für eine Lockerung des Sanktionsregimes einzutreten, und andererseits dem ehrgeizigen Vorhaben
von Herrn Steinmeier und dem Leiter der Politischen
Abteilung, Herrn Schaefer, auf Biegen und Brechen eine
Zentralasienstrategie der EU-Ratspräsidentschaft auf
den Weg zu bringen? Das frage ich vor dem Hintergrund, dass sowohl die Menschenrechtsverteidiger, die
Sie nachher sehen werden, als auch Vertreter von Human
Rights Watch, mit denen ich heute Vormittag gesprochen
habe, sagen, die jetzige Handlungsweise der usbekischen
Regierung trage keine Lockerung des Sanktionsregimes.
Vielmehr sei eine Lockerung des Sanktionsregimes gerade das falsche Signal und werde bei Karimow eher den
Eindruck erwecken, dass man sich nur lange genug zäh
verhalten muss und im Wesentlichen auf die Forderungen nicht eingehen muss, sondern sich nur ein wenig bewegen muss, um die Europäische Union letztendlich
doch in die Knie zu zwingen.
Herr Kollege Beck, was die Reaktionen der Menschenrechtsorganisationen angeht, wird Sie vielleicht ein
Zitat aus einem Schreiben der Direktorin des Deutschlandbüros von Human Rights Watch, Frau Marianne
Heuwagen, an Minister Steinmeier interessieren. Sie
schrieb in ihrem Brief vom 20. April 2007:
Zunächst einmal möchte ich Ihnen versichern, dass
wir das Engagement der Bundesregierung für unsere Büroleiterin in Taschkent, Frau Dr. Andrea
Berg, ... zu schätzen wissen und dem Auswärtigen
Amt dafür äußerst dankbar sind, zumal, da die Bundesregierung sich als einzige für unser Verbleiben
in Usbekistan einsetzt.
Ich glaube, das ist ein Beleg dafür, dass durchaus gewürdigt wird, was wir hier in Einzelfällen nicht nur versuchen, sondern auch erreichen.
Auf Ihre Frage möchte ich Ihnen weiterhin sagen: Für
uns ist die Frage von Sanktionen keine Frage sui generis,
sondern es geht bei dieser Frage darum, was man mit
Sanktionen, insbesondere auch im Sinne der einzelnen
Betroffenen, erreicht.
Nachdem Sie auch die Zentralasienstrategie angesprochen haben, möchte ich Sie darüber informieren,
dass es sich dabei ausdrücklich nicht um irgendein Privatvergnügen von Bundesminister Steinmeier und des
Politischen Direktors handelt, sondern wir bei der Vorbereitung der Zentralasienstrategie im Rahmen eines
Mandates, das uns von den 27 EU-Staaten einstimmig
gegeben worden ist, handeln. Diese Zentralasienstrategie
schlägt unter anderem den Rechtsstaatsdialog, den Menschenrechtsdialog mit allen fünf zentralasiatischen Staaten vor; dieser wurde gestern und heute mit Taschkent
sogar schon begonnen. Insofern ist das, was Sie eben angesprochen haben, eine offizielle Strategie der EU. Im
Übrigen bin ich sehr optimistisch, dass wir hier am
21./22. Juni zu einem guten Ergebnis kommen. Wir werden ganz im Sinne des Mandates eine Zentralasienstrategie vorlegen und auf dem die deutsche Ratspräsidentschaft abschließenden EU-Gipfel beschließen. Darin ist
zu einem großen Teil genau das, was Sie sich wünschen,
enthalten, und zwar in Form eines gemeinsamen Strebens nach einer Verbesserung von Rule of Law, Good
Governance und Menschenrechten in den zentralasiatischen Republiken.
({0})
Danke, Herr Staatsminister. - An den Kollegen Beck
der Hinweis für den Fall, dass er heute noch weitere Fragen zum Tagesordnungspunkt „Fragestunde“ stellen
möchte: Mein Vorrat an Geduld, zumindest was die
Länge und Ausführlichkeit Ihrer Fragen betrifft, ist für
heute aufgebraucht. Ich bitte also um kurze Fragen.
Wir kommen zu den dringlichen Fragen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke auf:
Wie begründet die Bundesregierung, dass der Einsatz von
sechs deutschen Soldaten in Südafghanistan entsprechend einer Information des Bundesministers der Verteidigung an die
Obleute des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses vom 4. Mai 2007, insbesondere „ein Team mit
drei deutschen Soldaten mit einem geschützten Fahrzeug als
Lautsprecherträger ({0}) sowie einem US-Verbindungsoffizier im Raum RC Süd einzusetzen“, durch das Mandat des
Deutschen Bundestages gedeckt sei?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, auf die dringliche Frage 1 des Kollegen Gehrcke antworte ich wie folgt: Gemäß Mandat
des Deutschen Bundestages ist ein zeitlich und im Umfang begrenzter Einsatz deutscher Kräfte als Unterstützungsmaßnahme in ganz Afghanistan zulässig, sofern
dies zur Erfüllung des Gesamtauftrags der ISAF - International Security Assistance Force - unabweisbar ist.
Das Team mit drei deutschen Soldaten und einem geschützten Fahrzeug als Lautsprecherträger sowie einem
US-Verbindungsoffizier gehört zum Aufgabenbereich
„operative Information“. Operative Information ist das
Mittel der Kommunikation des örtlichen militärischen
Führers mit der Bevölkerung im Einsatzgebiet. Nur
durch eine hinreichende Information über Absicht und
Maßnahmen der eingesetzten ISAF-Kräfte sowie über
Maßnahmen des Wiederaufbaus und der Entwicklung
lassen sich Falschinformation und Gerüchtebildung
durch oppositionelle Kräfte entgegenwirken, Verständnis für die eigene Operationsführung bei der betroffenen
Bevölkerung erreichen und eine Einbettung der Operation in die Unterstützung durch die Bevölkerung fördern.
Verständnis und Akzeptanz der Bevölkerung tragen - da
waren wir uns hier im Hause bei allen Debatten einig maßgeblich zum Schutz der eingesetzten ISAF-Soldaten
und zum Erreichen der Operationsziele bei.
Da das ISAF-Regionalkommando Süd derzeit über
keine geeigneten Kräfte der operativen Information verfügt, ist der zeitlich begrenzte Einsatz der deutschen Soldaten durch ISAF beantragt worden. Für die geplante
Schwerpunktoperation von ISAF, welche der Stabilisierung wie auch der Vorbereitung von Wiederaufbaumaßnahmen dient, ist die zeitnahe, gezielte und wirksame Information der Bevölkerung von entscheidender
Bedeutung. Ohne den Einsatz der deutschen Soldaten
des Aufgabenbereichs „operative Information“ könnte
dies so nicht erfolgen.
Deswegen ist im Hinblick auf den ISAF-Gesamtauftrag der Einsatz der deutschen Soldaten unabweisbar und
damit im Rahmen des Mandats, Herr Kollege.
Der Kollege Gehrcke hat das Wort zur ersten Nachfrage.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, fänden Sie es nicht besser oder zumindest klüger
vonseiten der Bundesregierung, solche Fragen wie den
Einsatz sechs deutscher Soldaten im Süden Afghanistans
- die FDP-Kollegin hat geschrieben, an der Grenze des
Mandates; ich bin der Auffassung, außerhalb des Mandates - vorher mit den Abgeordneten zu besprechen und
zu diskutieren, damit man nicht immer den Informationen hinterherlaufen muss?
Herr Kollege Gehrcke, Sie wissen, dass die Bundesregierung und das Bundesministerium der Verteidigung
intensiv Sorge dafür tragen, dass die Information der
Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages,
insbesondere der Obleute beider Ausschüsse, des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses
- Sie sind ja Obmann im federführenden Ausschuss -,
erfolgt.
Für diese konkrete Maßnahme - den Begriff „Operation“ zu verwenden, ist zwar technisch, aber von der
Dimension her eher nicht angezeigt - hat es eine entsprechende Unterrichtung durch den Staatssekretär
Dr. Wichert im Auftrag des Bundesministers der Verteidigung gegeben. Wir werden auch in Zukunft über die
Einsätze und die weiteren Entwicklungen zeitnah und
sobald verlässliche Informationen möglich sind, informieren und unserer Pflicht nachkommen. Ich darf darauf
hinweisen, dass heute im Verteidigungsausschuss eine
entsprechende vertiefende Information durch den Bundesminister der Verteidigung erfolgt ist.
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe eigentlich etwas anderes
gefragt, und ich wiederhole die Frage in einer anderen
Form. Die schriftliche Unterrichtung, die Sie zu Recht
erwähnen, ist am vergangenen Freitag um 16 Uhr in den
Büros der Obleute eingegangen. Zu der Zeit war die Entscheidung der Bundesregierung bereits gefallen. Es ist
also eine Information nach der Entscheidung.
Ich frage: Ist es nicht besser, zumindest mit den zuständigen Abgeordneten zu sprechen, bevor eine solche
Entscheidung fällt, damit man die eigenen Bedenken mit
den Argumenten der Bundesregierung abgleichen und
einbringen kann?
Herr Kollege, ich denke, dass ich die erste Zusatzfrage, die Sie gestellt hatten, durchaus richtig verstanden
habe. Ich darf Ihnen bestätigen und noch einmal versichern, dass es uns ein Anliegen ist, mit der Information
des Parlaments den Abgeordneten auch die Möglichkeit
zu geben, Abwägungen vorzunehmen. Allerdings kann
und wird immer wieder der Fall eintreten, dass über Anforderungen im Rahmen des genehmigten Mandats und
des ihm zugrunde liegenden Operationsplanes entschieden werden muss, zumal sie auch nicht im engeren Sinne
eine Entscheidungsmaterie des Bundestages darstellen,
sondern Teil der Gesamtmandatierung sind. So werden
wir das von Fall zu Fall auch weiterhin halten. Wir wissen, dass das Parlament einen Informationsanspruch hat,
den wir erfüllen wollen.
Bevor wir zur dringlichen Frage 2 kommen, hat der
Kollege Koppelin für eine Nachfrage das Wort.
Herr Staatssekretär, da Sie den Informationsanspruch
des Parlaments eben zu Recht angesprochen haben, darf
ich Sie fragen, aus welchen Gründen das Verteidigungsministerium das Parlament nicht darüber informiert hat,
dass der Treibstoff für unsere Tornados in Afghanistan
über circa 2 500 Kilometer transportiert wird, nämlich
von Pakistan über zwei schwierige Pässe bis hin zu den
Flugzeugen. Halten Sie das für effektiv?
Herr Kollege, ich denke, dass wir alle immer an der
effizienten Ausnutzung der Möglichkeiten des Mandats
arbeiten sollten. Allerdings kann ich mich nicht entsinnen, dass im Mandat eine Kilometerbegrenzung beim
Transport von Treibstoff vorgesehen worden war.
({0})
Damit kommen wir zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Gehrcke.
Wieso ist „dieser Einsatz für den Erfolg der ISAF-Gesamtoperation von hoher Bedeutung“ und insofern „unabweisbar“?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die dringliche Frage 2 des Kollegen Gehrcke, in der
es um die Unabweisbarkeit und die hohe Bedeutung dieses Einsatzes geht, den Sie, Herr Kollege, mit der ersten
Frage angesprochen haben, beantworte ich wie folgt:
Da das ISAF Regional Command South, also das südliche Regionalkommando, derzeit über keine geeigneten
Kräfte der operativen Information aus eigenen Fähigkeiten verfügt, ist der zeitlich begrenzte Einsatz der deutschen Soldaten durch ISAF beantragt worden. Für die
geplante Schwerpunktoperation von ISAF, auf die ich
bereits Bezug genommen habe, ist das von entscheidender Bedeutung, und ohne den Einsatz der deutschen Soldaten des Aufgabenbereichs „Operative Informationen“
könnte diese Information nicht erfolgen. Deswegen ist
im Hinblick auf den ISAF-Gesamtauftrag dieser Einsatz
deutscher Soldaten unabweisbar.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, bitte erklären Sie einem militärischen Laien, wie ich es einer bin - ich habe Ihren Antrag
mehrfach gelesen, konnte es mir aber nicht zusammenreimen -, einmal in verständlichen Worten Folgendes:
Aus der Tatsache, dass ein Dingo als Lautsprecherträger
eingesetzt werden soll, schließe ich, dass es sich um eine
Propagandakompanie handelt, die den Bürgern oder anderen etwas mitteilen soll. Ich weiß nicht, ob diese
Schlussfolgerung richtig ist.
Sind Sie wirklich der Auffassung, dass ein solcher
Propagandaeinsatz „unabweisbar“ und „von hoher Bedeutung“ für den Gewinn des Krieges ist?
({0})
Herr Kollege, herzlichen Dank für diese Nachfrage.
Ich muss allerdings gestehen, dass auch ich ein militärischer Laie bin; denn ich trage ebenfalls keine Uniform.
Ich darf Ihnen unterstellen, dass Sie bei Ihrer Frage
auf die eigene Erfahrung zurückgreifen. Die Auffassung,
dass man mit solchen Fahrzeugen Propaganda unters
Volk streuen kann, mag der eine oder andere insbesondere auf der linken Seite des Hauses aufgrund jahrelanger Erfahrungen haben. Ich kann Ihnen aber versichern,
dass dieses Modell, das Ihnen aus eigener Erfahrung mit
der PDS oder mit der Vorgängerpartei vorschwebt, in
Afghanistan nicht zum Zuge kommt.
Es handelt sich zwar um Fahrzeuge mit der Möglichkeit zur Kommunikation. Aber der Ansatz ist, die Bevölkerung über die geplanten Maßnahmen im Rahmen von
ISAF zu informieren. Zudem geht es um Kommunikation vor Ort. Die Truppe soll in Erfahrung bringen, welche Befindlichkeiten sich in der Bevölkerung entwickeln.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es wäre natürlich eine reine
Freude, hier mit Ihnen über die Bedeutung des gesprochenen Wortes und die Möglichkeiten zu seiner Verbreitung zu streiten.
Wenn es erlaubt ist, Sie zu unterbrechen: In dieser
Form streite ich gerne mit Ihnen über diese Frage.
Das können Sie gern tun, allerdings zu einer anderen
Zeit und an einem anderen Ort. Jetzt sind wir in der Fragestunde, und ich bitte um die Formulierung der Frage.
Ich stelle meine Frage. Die zweite Gruppe von drei
Soldaten, die im Rahmen einer Ausbildungskompanie
eine afghanische Armeeeinheit begleiten, hat einen
Dienstreiseauftrag erhalten. Diese Formulierung habe
ich dem entsprechenden Schreiben entnommen. Glauben
Sie im Ernst, dass ein Einsatz im Süden Afghanistans
über einen Dienstreiseauftrag dauerhaft geregelt werden
kann? Könnte sich dadurch bei mir der Eindruck ergeben, dass das Mandat für Afghanistan scheibchenweise
ausgeweitet werden soll?
Herr Kollege, es handelt sich zum einen um drei Soldaten, die in der angesprochenen Funktion tätig sind,
und zum anderen um drei Soldaten des deutschen Operational Mentor Liaison Teams - das sind die Ausbilder für
afghanische Einheiten -, die zur Begleitung der Angehörigen des Stabs des 209. Korps der afghanischen Nationalarmee aus Masar-i-Scharif zur Verbindungsaufnahme mit dem 205. Korps gereist sind.
Das ist eine zeitlich und im Umfang begrenzte Maßnahme. Sie ist gemäß Mandat zulässig. Diese einige
Tage dauernde Dienstreise ist zwischenzeitlich beendet.
Mit ihr wurde nur der Zweck verfolgt, Informationen
darüber zu gewinnen, mit welchem Ausbildungs- und
Ausrüstungsstand ein afghanisches Bataillon welchen
Einsatz in Südafghanistan durchführen kann.
Auch wenn die zeitlich begrenzte Teilnahme der drei
deutschen Soldaten an der Verbindungsaufnahme aufgrund der Sicherheitslage in Südafghanistan ein erhöhtes
Sicherheitsrisiko bedeutete, so haben wir dies doch für
eine notwendige Maßnahme gehalten, um die Einbindung der Afghan National Army in die Operation der
ISAF zu organisieren. Wir wollen nun gerade die afghanische Komponente stärken. Das ist ein Teil davon. Deswegen ist für uns diese zeitlich, örtlich und zahlenmäßig
begrenzte Verbindungsaufnahme unabweisbar gewesen.
Danke. - Es ist schade, dass uns die Frau Präsidentin
nicht über die andere Frage hat weiter streiten lassen.
Das klären wir dann an anderer Stelle. Das Wort zu
einer Nachfrage hat der Kollege Bonde.
Herr Staatssekretär, die Aufgabe der Op-Info-Soldaten ist ja, Vertrauen durch Kommunikation mit und genaue Information der örtlichen Bevölkerung zu schaffen.
Bedeutet diese Aufgabenübertragung, dass die Bundesregierung und die Bundeswehr über eine aktuelle detailgenaue Information über die laufenden Operationen und
weitere Planungen der ISAF im Süden Afghanistans verfügen?
Aufgabe dieser Op-Info-Kräfte ist die Informationsmitteilung und die Verständnisschaffung. Aufgabe ist es
natürlich nicht, per Lautsprecher die kompletten Operationsplanungen weiterzugeben.
Ihre Frage, ob diese bekannt sind, würde sich eher
darauf beziehen, inwieweit die ISAF-Führung die nationalen Armeen und die Truppenstellerstaaten informiert.
Dies ist gewährleistet. Sie wissen ja, dass der Chef des
Stabes des ISAF-Kommandos ein deutscher General ist.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zur dringlichen Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller beantwortet nun die dringliche Frage 3 der Kollegin
Dr. Barbara Höll:
Wie wird die Bundesregierung die am Wochenende - noch
vor der offiziellen Steuerschätzung - durch den Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, verlautbarten voraussichtlichen Steuermehreinnahmen in Höhe von 80 bis 100 Milliarden Euro bis zum Jahr 2011 verwenden?
Frau Kollegin Dr. Höll, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat sich
dieser Tage zum Schätzvorschlag, den das Ministerium
in den zurzeit tagenden Schätzerkreis einbringen wird,
geäußert. Wie das endgültige Ergebnis aussehen wird,
werden wir am 11. Mai, also noch in dieser Woche, erfahren. Das müssen wir abwarten. Wir werden dieses Ergebnis, wie es traditionell üblich ist, in der darauffolgenden Sitzung des Haushaltsausschusses des Bundestages
- das wird wegen der sitzungsfreien Woche leider Gottes
erst am 23. Mai sein - vorstellen und es dann erläutern.
Nun gibt es vielfältige Diskussionen über die Verwendung dieser Steuermehreinnahmen. Ich möchte das zum
Anlass nehmen, auch Ihnen gegenüber darzustellen
- Minister Peer Steinbrück hat das schon vor kurzem in
einer Sitzung des Haushaltsausschusses deutlich gemacht -, wie die finanzpolitische Ausgangslage des
Bundes ist. Sie ist nicht so, dass wir schon zur Schuldentilgung übergehen könnten. Das setzt einen Haushaltsausgleich voraus. Sie ist vielmehr noch immer zusätzlich
von der Notwendigkeit geprägt, zum einen Einmalerlöse
einzusetzen und zum anderen eine Nettoneuverschuldung einzugehen.
Wenn man die mittelfristige Finanzplanung als Ausgang der Betrachtung heranzieht - die gültige erstreckt
sich ja bis zum Jahre 2010 - und sie in das Jahr 2011
fortschreibt, so kommt man zu dem Ergebnis, dass eine
finanzielle Unterdeckung von gut 80 Milliarden Euro
- in der Planung durch eine Neuverschuldung gedeckt und von über 20 Milliarden Euro - durch Einmalerlöse
gedeckt - besteht. Das heißt, die Differenz zwischen den
laufenden Einnahmen und den laufenden Ausgaben beträgt mehr als 100 Milliarden Euro, sodass die sich möglicherweise einstellenden Steuermehreinnahmen von
90 Milliarden Euro bei weitem nicht ausreichen, diese
Summe zu decken.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Minister Steinbrück hat in einem Interview im „Tagesspiegel“
die Debatte, die jetzt über die Steuermehreinnahmen geführt wird, als irrational bezeichnet und gleichfalls betont, dass er sich von Begehrlichkeiten umzingelt sieht.
Mich würde interessieren, worin seiner Meinung nach
die Irrationalität dieser Debatte besteht und welche Begehrlichkeiten konkret angesprochen sind.
Frau Kollegin, zunächst einmal spiegelt sich die Irrationalität der Debatte darin wider, dass sie ausblendet,
was ich Ihnen gerade geschildert habe, nämlich dass die
gültige mittelfristige Finanzplanung bis 2010 und deren
Fortschreibung bis 2011 zunächst einmal eine finanzielle
Unterdeckung aufweisen. Dabei sind die Dinge noch
nicht berücksichtigt, die der Deutsche Bundestag beschlossen hat, beispielsweise die Beteiligung an der
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die 2,5 Milliarden Euro für nächstes Jahr, die 4 Milliarden Euro für übernächstes Jahr, die 5,5 Milliarden
Euro für 2010 und die 7 Milliarden für 2011 sind nicht in
der Finanzplanung abgebildet. Das sind 19 Milliarden
Euro, die „on top“ kommen und ein weiteres Problem
darstellen.
Außerdem haben wir ein Problem, das aus einer ganz
erfreulichen Entwicklung entstanden ist: Die Bundesagentur für Arbeit ist in der Lage, sehr viele Menschen,
die arbeitslos werden, direkt wieder in Arbeit zu vermitteln. Deswegen stimmen unsere in der mittelfristigen
Finanzplanung enthaltenen Annahmen über einen Aussteuerungsbetrag in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro nicht mehr. Wir müssen ihn um 3 Milliarden
Euro pro Jahr vermindern. Sie, also der Deutsche Bundestag, haben beschlossen, dass der Bund sich im Bereich Hartz IV an den Kosten der Unterkunft in diesem
Jahr mit 4,3 Milliarden Euro beteiligt. Dies sind gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung, die 2 Milliarden
Euro als völlig ausreichend angesehen hat, circa 2 Milliarden Euro mehr in der Fortschreibung. All das und
vieles mehr muss noch berücksichtigt werden.
Es gibt auch noch interessante Ressortanmeldungen.
Die Probleme sind also nicht so, dass man sagen kann,
das alles sei eine Quantité négligeable. Wir müssen uns
in der Tat sehr sorgfältig überlegen, welche Prioritäten
wir setzen. Dazu sage ich Ihnen ganz deutlich: Erste
Priorität muss sein, das, was schon beschlossen oder als
Mehrbelastung erkennbar ist, aus diesen Mehreinnahmen zu finanzieren. Die zweite Priorität ist, die Nettoneuverschuldung deutlich zu senken. Dann gilt es noch
abzuwägen, welche der angemeldeten Wünsche so hoch
prioritär sind, dass man sie vielleicht - in welchem Umfang auch immer - noch berücksichtigt. Aber darüber
muss die Regierung erst noch intern beraten.
Zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, die Regierung hat ja unter anderem schon darüber nachgedacht, wie sie die Unternehmen
in Deutschland weiter entlasten will, obwohl das nicht
notwendig ist. Sie selbst planen Steuermindereinnahmen
in Höhe von 5 Milliarden Euro ein. Sie handeln also entgegen dem Prinzip, das Sie eben dargelegt haben, dass
man die Mindereinnahmen begrenzen muss. Inzwischen
fanden drei Anhörungen im Finanzausschuss statt, bei denen offensichtlich wurde, dass die von Ihnen angegebene
steuerliche Mehrbelastung des Bundes, der Länder und
der Kommunen mit 5 Milliarden Euro bei weitem zu
niedrig angesetzt ist. Inwieweit sehen Sie sich veranlasst,
Ihre Schätzungen im Sinne einer realistischen mittelfristigen Finanzplanung anzupassen? Wie hoch schätzen Sie
die Ausfälle bei der Unternehmensteuerreform nun real
ein?
Meine erste Bemerkung: Wir bleiben bei unseren
Schätzungen. Meine zweite Bemerkung: Ich bitte, auf einen feinen Unterschied zu achten. In der mittelfristigen
Finanzplanung ist die Unternehmensteuerreform mit ihren anfänglichen Mindereinnahmen schon abgebildet,
während das, was die Steuerschätzer in dieser Woche als
Ergebnis verkünden werden, dies noch nicht abbildet,
weil es noch keine Rechtskraft hat und die Steuerschätzer
nur das berücksichtigen, was bereits Rechtskraft erlangt
hat. Die anfänglichen Mindereinnahmen im Bereich der
Unternehmensteuerreform sind in der mittelfristigen Finanzplanung bereits enthalten.
Es gibt weitere Nachfragen. Das Wort hat die Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben schon angesprochen, dass die Ministerien bestimmte Wünsche haben - Sie sind dabei nicht ins Detail
gegangen, wofür wir ein gewisses Verständnis haben,
aber kein großes. Ich möchte gern wissen, mit welchen
Bundesministerien das Bundesfinanzministerium beim
Haushaltsentwurf 2008 im Großen und Ganzen bereits
einig ist und bei welchen Ministerien es gravierende Abweichungen im Vergleich zu den Vorstellungen Ihres
Hauses gibt.
Frau Dr. Lötzsch, zunächst einmal bedanke ich mich
für Ihr Verständnis. - Es ist in der Tat Staatspraxis - egal,
wer die Regierung stellt -, nicht über regierungsinterne
Anmeldungen gegenüber dem Parlament zu berichten,
weil das eine Momentaufnahme darstellt, die am nächsten Tag schon wieder korrigiert werden kann.
Wir führen unsere Beratungen jetzt auf der Ebene der
Referatsleiter, aber noch nicht auf der Ebene der Abteilungsleiter, erst recht nicht auf der Ebene der Staatssekretäre und schon gar nicht auf der Ebene der Minister.
Deswegen gilt es abzuwarten, was die sogenannte Arbeitsebene schon alles abräumen kann. Dort wird das
eine oder andere zusätzlich gewünscht; anderes wird dagegen zurückgezogen. Das ist ein Kommen und Gehen,
ein Geben und Nehmen.
Zuerst einmal muss man diese Gespräche auf der Arbeitsebene abwarten und anschließend die Ergebnisse
der Beratungen auf der Ebene der Abteilungsleiter. Ich
weise darauf hin, dass in der Vergangenheit, bei den Beratungen für die Haushalte 2006 und 2007, keine umfangreichen Ministergespräche mehr notwendig waren.
Die Kollegin Enkelmann hat die nächste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, so intern ist das alles gar nicht;
denn der eine oder andere kann ja offensichtlich nicht
das Wasser halten.
Meine Frage lautet: Welche Einnahmen aus der Lohnsteuer waren zu Beginn des Jahres geplant? Und wie
hoch sind die Lohnsteuereinnahmen tatsächlich ausgefallen?
Wir verzeichnen auch bei den Lohnsteuereinnahmen
erfreuliche Zuwächse. Da Ihre Frage in dieser Form
nicht angemeldet war, bin ich jetzt allerdings überfragt
und kann Ihnen die präzisen Zahlen nicht nennen.
Ich gebe Ihnen aber gerne folgenden Hinweis: Das
Bundesministerium der Finanzen veröffentlicht allmonatlich einen Band,
({0})
in dem ausführlich dargelegt wird, in welcher Weise sich
welche Steuereinnahme entwickelt hat und was geplant
war. Daher bitte ich Sie, einfach die letzte Ausgabe zur
Hand zu nehmen. Dort finden Sie alles.
({1})
- Vielen Dank für diesen Hinweis. In der Tat können Sie
das auch im Internet nachlesen.
Nach diesem Werbeblock hat der Kollege Koppelin
das Wort zur nächsten Nachfrage.
({0})
Herr Staatssekretär, können Sie uns erklären, warum
der Bundesfinanzminister am Wochenende Zahlen seiner anscheinend persönlichen Steuerschätzung oder der
Steuerschätzung Ihres Hauses genannt hat,
({0})
obwohl die Steuerschätzung doch erst am kommenden
Freitag bekannt gegeben wird? Was hat den Bundesfinanzminister zu dieser Mitteilsamkeit veranlasst, wodurch die Begehrlichkeiten der Ministerien ja noch gefördert wurden? Und teilen Sie die Auffassung des Kollegen
Kampeter, der diese Mitteilsamkeit als Geschwätzigkeit
bezeichnet hat?
({1})
Herr Kollege Koppelin, es steht mir nicht zu, Äußerungen eines Mitglieds des Deutschen Bundestages, die
ich nicht selbst gehört habe, hier zu kommentieren.
({0})
Deswegen sollten wir das vielleicht später im Haushaltsausschuss debattieren. Wir haben ja beide noch Gelegenheit, mehrere Stunden im Haushaltsausschuss zu verbringen. Dann ist auch der Kollege Kampeter anwesend.
Minister Steinbrück hat gegenüber der Öffentlichkeit
die Schätzung des Finanzministeriums des Bundes erläutert. Jeder der Steuerschätzer wird mit seiner Schätzung
in die Gespräche gehen. Bis Freitag werden sie sich darüber unterhalten, wie die Schätzungen zu gewichten
sind. Natürlich wird sich dort auch herausstellen, dass
bestimmte Erfahrungen aus dem einen Bundesland bestimmten Erfahrungen aus einem anderen Bundesland
ein wenig widersprechen.
Das alles muss miteinander abgewogen werden. Die
Sachverständigenrunde ist ja sehr groß. Dort gehen aus
vielen Quellen Erfahrungen ein.
Von daher ist das, was von Minister Steinbrück am
Wochenanfang vorgestellt wurde, die Einschätzung des
Ministeriums des Bundes.
Zur nächsten Nachfrage hat der Kollege Dreibus das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich will einen Moment bei den Begehrlichkeiten bleiben,
von denen der Minister öfters, nicht nur in einer Zeitung,
gesprochen hat. Eine aktuelle Begehrlichkeit dieses
Frühjahrs, der ja ein Frühsommer war, lautete: praktische Erkenntnis, wissenschaftliche Erkenntnis zum Klimawandel.
Welche Aktivitäten und Ausgaben in diesem Bereich
sind in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen?
Und welche zusätzlichen Anforderungen erwarten Sie
vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen für
den Haushalt 2008?
Herr Kollege, Sie dürfen den Begriff nicht ausschließlich auf die Anmeldungen der Ressorts beziehen. Es gab
daneben im parlamentarischen Bereich, beispielsweise
durch Ihre Fraktion, entsprechende Vorstöße.
({0})
Frau Kollegin Dr. Lötzsch hat im Haushaltsausschuss
zwar zugestimmt, dass man viel Geld aufwenden soll,
um die Neuverschuldung zu minimieren. Aber sie hat
gleichzeitig darauf hingewiesen, es gebe eine große Investitionslücke. Ihre Kollegin Frau Dr. Höll wird die
Diskussion der Fragen hier wahrscheinlich zum Anlass
nehmen, eine Aktuelle Stunde zu beantragen, in der sie
die Forderung erheben wird, nun massiv irgendwelche
Steuern zu senken.
Dazu sage ich nur Folgendes: Sie müssen wissen, wir
haben es hier mit Schätzungen zu tun. Diese Schätzungen sind relativ genau für das nächste Jahr, aber auch da
nur relativ genau. Kollege Koppelin weiß als erfahrener
Haushälter: Grundlage des Regierungsentwurfs für das
nächste Jahr ist die Mai-Schätzung. Im Herbst berät
dann das Parlament. Im November tritt der Steuerschätzerkreis noch einmal zusammen und berät, ob die MaiSteuerschätzung für das nächste Jahr korrekt war oder ob
es Abweichungen gibt. Die dort vorgeschlagenen Abweichungen nehmen wir im Haushaltsausschuss wiederum als Grundlage für die Aufstellung des Haushalts.
Die Prognose vom letzten November wich - halten Sie
sich fest! - von der vom Mai um 9 Milliarden Euro ab.
Das heißt, selbst bei der Betrachtung eines relativ kurzen
Zeitraums muss man sich immer fragen, wie lange die
Prognose trägt. Deswegen kann man eine Steuersenkung
- die sofort kassenwirksam würde und dauerhaft kassenwirksam wäre - nur mit ganz großer Vorsicht ins Auge
fassen; die jetzige Situation erlaubt so etwas jedenfalls
nicht. Deswegen, Frau Dr. Höll, sehen wir, so leid mir
das tut, für weitere Steuersenkungen keinen Raum.
Was den Klimawandel angeht, so betrifft das eine
Ressortanmeldung. Minister Gabriel hat in der letzten
Sitzungswoche bei der Vorstellung seiner Regierungserklärung ausdrücklich gesagt, er führte im Moment im
Plenum keine Haushaltsverhandlungen mit dem Minister. Natürlich gibt es Bedarfsanmeldungen. Wir werden
abwägen, welche Prioritäten wir innerhalb der Anmeldungen setzen, die wir dann auch erfüllen können; das
wird Gegenstand der regierungsinternen Beratungen
sein. Wir präsentieren Ihnen das Ergebnis noch vor der
Sommerpause - wenn das Kabinett endgültig beschlossen hat.
Danke. - Die Kollegin Enkelmann hat sich zu einem
Geschäftsordnungsantrag zur Wort gemeldet. Bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was die
Bundesregierung hier in Beantwortung der dringlichen
Frage und der Zusatzfragen geboten hat, ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten: Viel geredet, nichts gesagt. Dabei sind die Steuermehreinnahmen in der Öffentlichkeit
ein Thema.
({0})
Sie haben vorhin über Irritationen und Begehrlichkeiten gesprochen. Diese Begehrlichkeiten und Irritationen
sind ja vor allen Dingen durch die Bundesregierung entstanden. Nun bieten Sie an, im Haushaltsausschuss zu
informieren. Das reicht uns nicht. Wir sind der Auffassung, dieses Thema gehört hier ins Plenum. Deswegen,
Frau Präsidentin, beantrage ich nach Anlage 5 Nr. 1 der
Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde genau zu diesem
Thema.
({1})
Wir wollen uns hier darüber verständigen.
Die Fraktion Die Linke hat zur Antwort der Bundesregierung auf die dringliche Frage der Kollegin
Dr. Barbara Höll eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde.
Damit findet die Aussprache im Anschluss an die Fragestunde statt.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Ich stelle fest,
dass Sie im Gegensatz zu mir prophetische Fähigkeiten
hatten, weil Sie diese Aktuelle Stunde vorhin schon vorausgesagt haben.
({0})
Als Hinweis an die Kolleginnen und Kollegen: Die
Aktuelle Stunde wird, unabhängig vom Verlauf der Fragestunde, um 15.35 Uhr beginnen.
Nach dieser dringlichen Frage kommen wir jetzt zu
den Fragen 9 und 10 aus demselben Geschäftsbereich,
nämlich dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen, da diese nach Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen ebenfalls vorgezogen werden. Es antwortet
wiederum der Parlamentarische Staatssekretär Karl
Diller.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Koppelin auf:
Wie hoch sind die zusätzlichen Ausgabenforderungen der
einzelnen Bundesministerien für den Haushaltsentwurf 2008?
Herr Kollege Koppelin, im Prinzip habe ich Ihre
Frage schon bei der Antwort auf die Frage von Frau
Dr. Höll mitbeantwortet.
Ich bitte um Verständnis dafür, dass die Bundesregierung aufgrund langjähriger Staatspraxis solche Einzelanmeldungen nicht bekannt gibt.
Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, dass ich die Anforderungen der Ministerien zukünftig auch weiterhin den Medien entnehmen muss?
Herr Kollege, in den Medien kursieren manche Zahlen, die ich weder bestätigen noch dementieren will.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, da erst am Freitag die offiziellen
Zahlen der Steuerschätzung bekannt gegeben werden,
möchte ich Sie fragen, aus welchem Grund morgen im
Kanzleramt - das habe ich zumindest einer Agenturmeldung von AFP entnommen - ein sogenannter Minifinanzgipfel stattfinden wird, an dem die Kanzlerin, der
Vizekanzler Müntefering, der Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück und der Kanzleramtsminister de Maizière teilnehmen.
In der Agenturmeldung heißt es, dass in dieser Runde
die Ausgabenschwerpunkte diskutiert werden sollen.
Darf ich Sie fragen, wieso man zu einer solchen Runde
zusammenkommt und Ausgabenschwerpunkte festlegt,
nachdem Sie uns vorhin dargestellt haben, welche Haushaltsrisiken existieren?
Herr Kollege, auch diese Pressemeldung werde ich
weder dementieren noch bestätigen. Ich weise lediglich
darauf hin, dass die Haushaltsaufstellung ein fortwährender interner Abstimmungsprozess innerhalb der Regierung ist, an dem sich unterschiedliche Persönlichkeiten beteiligen.
Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Koppelin:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen vollständig zum Abbau der Verschuldung zu verwenden?
Herr Kollege Koppelin, auch diese Frage habe ich im
Prinzip schon beantwortet. Ich will noch einmal betonen: Erste Priorität hat die Finanzierung der bereits feststehenden, weil beschlossenen, oder sich gegenüber der
Finanzplanung von Mai 2006 ergebenden Veränderungen. Zweite Priorität hat die Verminderung der Nettokreditaufnahme. Dann gilt es noch abzuwägen, ob der eine
oder andere Wunsch politisch vielleicht so prioritär ist,
dass er praktisch unabweisbar ist.
({0})
Sie haben das Wort zur ersten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bei Ihren Darstellungen fehlt mir,
dass Sie auch einmal auf die Ausgabenseite schauen und
prüfen, ob nicht die eine oder andere Ausgabe reduziert
werden könnte. Stattdessen sprechen Sie immer von
Mehrausgaben. Wäre es nicht notwendig, unsere Steuerzahler hinsichtlich der von ihnen zu leistenden Steuern
und Abgaben zu entlasten, damit die Konjunktur stabilisiert wird?
Herr Kollege Koppelin, ich habe der Presse von heute
entnommen, dass Sie sich dahin gehend geäußert haben,
dass Sie glauben, man könne die Nettokreditaufnahme
schon im nächsten Jahr auf null reduzieren.
({0})
- Nein, der Bundesbankpräsident hat den Gesamtstaat
gemeint.
({1})
Wir sind jetzt wieder an dem Punkt, an dem ich daran
erinnern muss, dass wir uns in der Fragestunde befinden.
Ich bitte darum, nicht in einen Dialog einzusteigen,
sondern, wenn das noch nicht geschehen sein sollte, die
Frage zu Ende zu formulieren und dem Staatssekretär
dann die Chance zu geben, zu antworten.
({0})
- Gut.
Die Frage des Kollegen Koppelin, welche Kürzungen
auf der Ausgabenseite möglich sind, ist in der Beratung
des Haushaltes 2007 im Herbst 2006 in intensiven Debatten hinlänglich erörtert worden. Ihrer Fraktion ist zur
Ausgabenkürzung die Streichung der Kohlesubventionen
eingefallen, die aber nicht möglich ist; denn es bestehen
Rechtsansprüche, die übrigens auf der Ministerentscheidung eines Wirtschaftsministers Ihrer Partei aus den 90erJahren fußen. Nach dem alten Spruch „Pacta sunt servanda“ gilt es, diese Verträge zu bedienen. Deswegen ist
der Vorschlag, die Kohlesubventionen von heute auf morgen um 1,5 Milliarden Euro zu kürzen oder gar zu streichen, nicht umsetzbar. Ich bin sehr gespannt, ob Ihnen bei
den Beratungen des nächsten Haushaltes ein solider und
umsetzbarer Streichungsvorschlag einfällt.
Wenn Sie sich auf das dicke Buch beziehen, das Sie
im Plenum vorgezeigt haben, dann möchte ich darauf
hinweisen, dass dieses Buch nur deswegen so dick ist,
weil unglaublich viel Papier mit Streichungsvorschlägen
in einer Größenordnung von 1 000 oder 2 000 Euro bedruckt wurde. Nur auf diese Weise kommt ein solch dickes Buch zustande.
({0})
Ihre Vorschläge waren nicht solide durchgerechnet.
Deswegen sind Sie nach wie vor in der Pflicht, konkrete
Vorschläge zu erarbeiten. Im Übrigen ist es eine allgemeine Erkenntnis der Haushälter, dass auf der Ausgabenseite fast alle Messen gelesen sind.
Bitte.
Herr Staatssekretär, ich merke, dass ich Ihnen das
Streichungsbuch der FDP noch einmal vorlegen sollte.
Sie haben es anscheinend nicht gelesen.
Ist Ihnen bekannt - um diesen Punkt aufzugreifen -,
dass in diesen Vorschlägen unter anderem vorgesehen
war, die Entwicklungshilfe für China zu streichen, weil
China gleichzeitig selber Entwicklungshilfe gewährt?
Oder was halten Sie von dem Programm der Ministerin
Wieczorek-Zeul zur Haltung von Legehennen durch alleinstehende Frauen in Afghanistan? Ich könnte auch die
Wagner-Festspiele in Bayreuth und viele andere Ausgaben anführen. Es gibt einiges zu streichen.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie: Sind Sie bereit, auf
der Ausgabenseite Streichungen vorzunehmen? Sind sie
des Weiteren bereit, die Bürger in unserem Land zu entlasten, die jetzt sogar noch einen höheren Mehrwertsteuersatz zahlen müssen? Man kann nicht immer wieder bei
den Bürgern abkassieren, das Geld munter ausgeben und
gleichzeitig von Haushaltskonsolidierung sprechen.
Herr Kollege Koppelin, die von Ihnen aus dem Stegreif genannten Beispiele belegen auch für Laien nachdrücklich, wie unseriös Ihre Vorschläge sind.
({0})
Die Entwicklungshilfe für China, die wir noch leisten,
liegt im unteren zweistelligen Millionenbereich.
({1})
Insofern können Sie nicht das Ziel erreichen, die Ausgaben in einer Größenordnung von mehreren Milliarden
Euro zu kürzen. Wenn Sie Kürzungen in Milliardenhöhe
vorschlagen, dann sollten Sie auch nachweisen, dass
diese Vorschläge umsetzbar sind. Die von Ihnen vorgeschlagenen Kürzungen waren rechtswidrig.
({2})
Diesbezügliche Anträge entsprachen nicht dem Haushaltsrecht.
Es gibt noch eine Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung,
dass die Äußerungen des Kollegen Koppelin zur Entwicklungszusammenarbeit insbesondere für die Kollegen aus der FDP desavouierend sind, die ernsthafte Bestrebungen an den Tag legen, in diesem Bereich
Schwerpunkte zu setzen?
({0})
Herr Kollege, es steht mir nicht zu, die einzelnen Kollegen zu bewerten,
({0})
aber ich schätze wie Sie Kollegen, die sich ernsthaft bemühen.
Danke, Herr Staatssekretär.
Nachdem die dringlichen Fragen und die Fragen zum
selben Fragenkreis aufgerufen und beantwortet worden
sind, rufe ich nun die übrigen Fragen auf Drucksache 16/5213 auf.
Wir verfahren in der üblichen Reihenfolge und kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Hirsch auf:
Welche Gründe führen aus Sicht der Bundesregierung zu
dem hohen Anteil - 60 Prozent - von Studierenden in den
ersten vier Semestern unter den Studienkreditnehmerinnen
und -nehmern der KfW-Bankengruppe, und welche Konsequenzen für ihre Politik zieht sie daraus, damit das Studium
nicht für immer mehr Studierende zur Schuldenfalle wird?
Frau Präsidentin, die Frage der Abgeordneten Hirsch
nach einer Zwischenbilanz des Studienkredits der Kreditanstalt für Wiederaufbau beantworte ich wie folgt:
Der KfW-Studienkredit ist erst seit einem Jahr für Studierende im Erststudium zugänglich. Schlussfolgerungen aus dem Inanspruchnahmeverhalten der Studierenden in den unterschiedlichen Stadien des Studiums sind
vor diesem Hintergrund nur sehr bedingt möglich und
sollten nicht spekulativ getroffen werden.
Das Programm wurde bewusst flexibel konzipiert, um
den Studierenden je nach Studienphase und im Anschluss daran, beim Start in das Berufsleben, den nötigen
Spielraum zu bieten. So kann in der Auszahlungsphase
des Darlehens jedes Semester der monatliche Darlehensbetrag neu festgelegt werden. In der Rückzahlungsphase
können halbjährlich die Annuitäten angepasst werden.
Die Rückzahlungsphase ist auf maximal 25 Jahre dehnbar.
Die KfW-Förderbank informiert in ihrem Internetauftritt zum Studienkredit umfassend und weist auf die
günstigeren Finanzierungsmöglichkeiten durch das
BAföG und den Bildungskredit hin. Ferner steht online
ein Tilgungsrechner zur Verfügung, mit dem Darlehensverläufe simuliert werden können und die Belastung hinreichend verdeutlicht wird.
Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. Ihre
erste Nachfrage, bitte.
Danke schön. - In meiner ersten Nachfrage möchte
ich die ursprünglich gestellte Frage etwas deutlicher formulieren. 60 Prozent der Studierenden in den ersten vier
Semestern nehmen einen Studienkredit in Anspruch.
Wenn man sich die Zahlen vollständig anschaut, stellt
man fest, dass jeder dritte Student bzw. jede dritte Studentin, der bzw. die im Wintersemester letzten Jahres ein
Studium begonnen hat, einen KfW-Studienkredit in Anspruch nimmt. Meine Nachfrage an Sie lautet daher: Inwiefern ist es Spekulation, zu sagen, dass die Möglichkeiten der öffentlichen Studienfinanzierung, die die
Bundesregierung durch das BAföG bietet, ausreichend
sind, wenn wir vor der Tatsache stehen, dass jeder dritte
Student bzw. jede dritte Studentin, der bzw. die ein Studium aufnimmt, offensichtlich keine andere Möglichkeit
hat, als einen KfW-Studienkredit in Anspruch zu nehmen? Würden Sie mir recht geben, dass Anpassungen
beim BAföG vorgenommen werden müssen?
Frau Abgeordnete Hirsch, es ist natürlich Spekulation. Wie Ihnen bekannt ist, wird bei der Kreditgewährung weder nach parallel gestellten BAföG-Anträgen
noch nach den eigenen Einkommensverhältnissen oder
den Einkommensverhältnissen der Eltern gefragt. Insofern ist das alles Spekulation. Im Übrigen darf ich darauf
verweisen, dass nach der Zwischenbilanz im April
23 000 Studierende von dem Instrument des Studienkredits, das vor einem Jahr eingeführt wurde, Gebrauch machen. Die Verteilung macht deutlich, dass der Anteil mit
etwa 20 Prozent im ersten Semester am höchsten ist und
dass die Prozentsätze bis einschließlich des fünften Semesters zweistellig bleiben, dass dann aber eine langsame Abnahme erfolgt. Daher sind eine Spekulation
über die verstärkte Inanspruchnahme in den ersten Semestern und die Gründe dafür im Moment sicherlich
noch wenig zielführend.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Danke schön. - Offensichtlich ist die Bundesregierung insgesamt doch zum Schluss gekommen - das finden wir sehr erfreulich -, dass eine BAföG-Anpassung
nun vorgenommen werden sollte. Zu diesem Themenbereich stelle ich meine zweite Nachfrage: In der Presse
war zu lesen, dass ein neuer Spielraum im Bundeshaushalt in Höhe von 290 Millionen bis 300 Millionen Euro
für eine Erhöhung der BAföG-Sätze und der Freibeträge
geschaffen werden solle. Inwieweit sind Sie der Auffassung, dass mit einem solchen Betrag wirklich der Forderung des BAföG-Beirats entsprochen werden könnte, die
Freibeträge und die Bedarfssätze um 10 Prozent zu erhöhen? Wie will die Bundesministerin vorgehen: Versucht
sie einfach, ein paar Euro mehr zu bekommen, oder sagt
sie ganz klar: „Es ist notwendig, um 10 Prozent zu erhöhen“?
Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung hat
gemeinsam mit den Bundesländern während der Beratungen im Bundesrat festgestellt, dass im Lichte der Ergebnisse der Steuerschätzung, der Einschätzung der
künftigen wirtschaftlichen Entwicklung und der daraus
resultierenden Festlegung der Haushaltsplanung für das
kommende Jahr sowie der mittelfristigen Finanzplanung
eine Neubewertung im Bereich des BAföG erfolgen soll
und dass dabei eine Anpassung der Leistungssätze beim
BAföG geregelt werden soll.
Zunächst einmal müssen wir aber die von mir genannten Termine - die Steuerschätzung in dieser Woche
und die Festlegung der Haushaltsplanung der Bundesregierung bis zum Juni - abwarten. Bis dahin ist eine Aussage über eine mögliche BAföG-Erhöhung und deren
Größenordnung nicht möglich.
Der Kollege Barth hat das Wort zu einer weiteren
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie schon Erkenntnisse
darüber, wie viele der Studienanfänger, die bislang diesen Kredit in Anspruch genommen haben, sich ohne die
Möglichkeit dieses Kredits eventuell nicht zu einem Studium entschlossen hätten bzw. hätten entschließen können, oder planen Sie, falls Sie dies noch nicht getan haben, diese Frage bei eventuellen statistischen
Erhebungen zu stellen?
Herr Abgeordneter, hierüber hat die Bundesregierung
keine Erkenntnisse. Das ist insbesondere der Tatsache
geschuldet, dass die Kreditgewährung an sehr wenige
formale Voraussetzungen gekoppelt ist. Daher wäre eine
Antwort auf die Frage, welche Motive die Kreditnehmer
geleitet haben, ein Stück weit spekulativ.
Sie haben nach unserer Geschäftsordnung leider nur
die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Es gibt eine weitere Nachfrage der Kollegin Dr. Höll.
Bitte.
Herr Staatssekretär, mir erschließt sich die Logik
nicht ganz, dass Sie einerseits sagen, Sie müssten hinsichtlich des BAföG noch auf weitere Zahlen warten, um
den Handlungsspielraum ermessen zu können. Grundlage für die BAföG-Höhe sollte das Existenzminimum
für Studierende sein. Meines Erachtens hängt dies nicht
von der konjunkturellen Entwicklung ab; vielmehr stellt
sich die Frage, wie die Einzelnen in die Lage versetzt
werden, studieren zu können. Andererseits rechnet die
Bundesregierung bei der Unternehmensteuerreform mit
Mindereinnahmen in Höhe von 5 Milliarden Euro, obwohl viele Experten sagen, das seien Luftnummern, real
müsse man von 8 bis 13 Milliarden Euro an Mindereinnahmen ausgehen. Da warten Sie nicht auf neue Zahlen.
Frau Abgeordnete, ich weise Sie darauf hin, dass die
Bundesregierung bei der Vorlage des BAföG-Berichtes
zu Beginn dieses Jahres deutlich gemacht hat, dass im
Haushalt für das Jahr 2007 zunächst kein Spielraum für
eine generelle Anpassung der BAföG-Sätze gesehen
wird, weil vor dem Hintergrund der finanziellen und der
gesamtwirtschaftlichen Lage eine allgemeine BAföGAnpassung nicht gewährleistet werden könne. Die Bundesregierung wird diese Betrachtung aber im Hinblick
auf die weitere Entwicklung der öffentlichen Finanzen
und der gesamtwirtschaftlichen Lage regelmäßig überprüfen. Ich habe vorhin, in meiner vorletzten Antwort,
deutlich gemacht, dass eine solche Überprüfung im
Lichte der Steuerschätzung dieser Woche und der dann
festzulegenden Haushaltsplanung für den Haushalt 2008
in den Folgewochen erfolgen wird.
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt der Kollege Hoyer.
Ich beziehe mich noch einmal auf die Überprüfung.
Herr Staatssekretär, stellen Sie nicht die Sinnhaftigkeit
der Operation infrage, wenn Sie hinterher nicht messen,
welchen Erfolg Sie erzielt haben, gegebenenfalls auch
durch Befragung der Studierenden?
Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, dass sich Ihre
Frage nicht auf den Bereich BAföG, sondern auf den ursprünglichen Themenkomplex des Studienkredites der
KfW bezieht.
({0})
Dieser Studienkredit ist als neues Finanzierungsinstrument vor einem Jahr eingeführt worden und wird unabhängig davon vergeben, ob über BAföG oder andere
Finanzierungsquellen hinaus ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf der Studierenden gesehen wird. Wir verfolgen aufmerksam sowohl das Inanspruchnahmeverhalten
der Studierenden im Hinblick auf diesen Studienkredit
als auch mögliche Verteilungswirkungen. Es ist aber zu
diesem Zeitpunkt, 13 Monate nach Einführung eines solchen Studienkredites, noch zu früh - es liegt auch keine
ausreichende Datenbasis vor -, um weitergehende
Schlussfolgerungen ziehen zu können.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Die Fragen beantwortet die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Kortmann.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Ute Koczy auf:
Hält die Bundesregierung angesichts der Vielzahl von
Rücktrittsforderungen an den Weltbankpräsidenten Paul
Wolfowitz - für die stellvertretend der offene Brief hochrangiger ehemaliger Weltbankmitarbeiter vom 22. April 2007, die
Aufforderung ehemaliger lateinamerikanischer Weltbankgouverneure ({0}) sowie der Vertretung der Weltbankmitarbeiter, die Rücktrittsforderung von Nichtregierungsorganisationen ({1}) sowie die Aufforderung zum Rücktritt durch
das Europäische Parlament stehen - dessen Verbleib an der
Spitze der Weltbank für vertretbar, und wird sie im Lichte der
Untersuchungsergebnisse über seine Missachtung von Verhaltensrichtlinien bei der umstrittenen Beförderung seiner Freundin den deutschen Vertreter im Exekutivdirektorium der Weltbank anweisen, formal den Weltbankpräsidenten zum
Rücktritt aufzufordern?
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat als
deutsche Gouverneurin der Weltbank bereits auf der
Frühjahrstagung der Weltbank gegenüber Paul Wolfowitz
ihre tiefe Besorgnis über die zukünftige Glaubwürdigkeit und die Handlungsfähigkeit der Bank zum Ausdruck
gebracht und ihm gegenüber deutlich gemacht, dass ein
freiwilliger Rücktritt seinerseits für die Bank und für die
von ihr verfolgten Ziele die beste Lösung ist.
Die Bundesregierung verfolgt die Arbeit des bei der
Weltbank eingerichteten Untersuchungsausschusses intensiv. Der Entwurf des abschließenden Untersuchungsberichts wurde Paul Wolfowitz am 7. Mai dieses Jahres
zugestellt. Zusammen mit einer Stellungnahme von Paul
Wolfowitz und den Empfehlungen des Untersuchungsausschusses wird der Bericht voraussichtlich noch in
dieser Woche dem Exekutivdirektorium vorgelegt. Auf
Grundlage des Berichts wird das Direktorium das weitere Vorgehen bestimmen. Ziel ist es, zeitnah und im
Konsens zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke für diese Antwort. - Jetzt hat sich Frankreich
gemeldet und eine Verwaltungsratssitzung zum Verbleib
von Wolfowitz gefordert. Wie steht die Bundesregierung
dazu? Welchen Zeitfaktor gibt es?
Die Bundesregierung erwartet zunächst einmal aufgrund des Berichts und der Stellungnahme von Paul
Wolfowitz, dass sich das Exekutivdirektorium mit diesem Sachverhalt beschäftigt. Dieses wird weitere Entscheidungen darüber treffen, welche Gangart man im
weiteren Verfahren für sinnvoll und angemessen hält.
Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte.
Ich möchte meine Frage zuspitzen: Wird die Bundesregierung an der Seite Frankreichs die Forderung aufstellen, eine Sondersitzung des Verwaltungsrates einzuberufen?
Die Frage kann ich Ihnen nicht mit Ja oder Nein beantworten. Uns ist daran gelegen, gerade im Rahmen der
EU-Ratspräsidentschaft dafür zu sorgen, dass sich die
europäischen Mitgliedstaaten einvernehmlich dazu verhalten. Wir haben ein großes Interesse daran, dass die
zuständigen Gremien der Weltbank zunächst einmal die
Möglichkeit haben, sich entsprechend den Vorgaben zu
beraten und entsprechende Handlungen zu vollziehen.
({0})
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Koczy:
Vizepräsidentin Petra Pau
Welche Initiativen wird die Bundesregierung anregen, um
angemessene Auswahlkriterien und -prozesse einzuführen,
die sich auf die Besetzung hochrangiger Positionen in der
Weltbank - einschließlich der des Weltbankpräsidenten - beziehen und die sicherstellen, dass nach Qualifikation besetzt
wird und grundsätzlich Bewerbungen aus allen Mitgliedstaaten der Weltbank erfolgen können?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Die Bundesregierung antwortet wie folgt: Bei der
Auswahl von Führungspersonal müssen nach Ansicht
der deutschen Bundesregierung die Qualifikation und
die Eignung im Vordergrund stehen. Dies gilt auch für
die Stelle des Weltbankpräsidenten bzw. der Weltbankpräsidentin. Besonders wichtig ist, dass die Auswahl und
die Ernennung transparent gestaltet werden.
Ihre erste Nachfrage. Bitte.
Nun wissen wir, dass bei der Auswahl des Weltbankpräsidenten die USA den Vorrang haben und die von ihnen gewünschte Person einsetzen können. Wie stellt sich
die Bundesregierung eine solche Initiative angesichts
dessen vor, dass George Bush an der Person festhält und
nicht bereit ist, weiter über die Qualifizierungsfrage
nachzudenken?
Frau Kollegin Koczy, es geht der Bundesregierung
und ihren europäischen Partnern in dieser Sache nicht
um eine Konfrontation mit den USA. Eine Lösung gegen
die USA wird nur schwer durchsetzbar sein. Das Interesse der USA an der Benennung des Weltbankpräsidenten wird daher zu diesem Zeitpunkt von der Bundesregierung nicht infrage gestellt. Vielmehr sollte den
USA Spielraum gewährt werden, auf die gegenwärtige
Führungskrise in der Bank zu reagieren.
Was die Auswahlkriterien für das Führungspersonal
angeht, so habe ich Ihnen in der Beantwortung der vorangegangenen Frage schon gesagt, dass wir auf Qualität
und Transparenz setzen.
Ihre zweite Nachfrage.
Wird sich die Bundesregierung auf der nächsten Sitzung des Verwaltungsrates zu diesem Punkt verhalten
und sich dafür aussprechen, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen?
Wenn der Punkt auf der Tagesordnung steht, wird die
Bundesregierung selbstverständlich Stellung dazu beziehen.
Danke, Frau Staatssekretärin. Damit schließe ich diesen Geschäftsbereich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 4 und 5
des Kollegen Hans-Joachim Otto ({0}) werden
schriftlich beantwortet.
Wir gehen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern über. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung.
Die Frage 6 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Wann beginnend haben Bundesbehörden jeweils heimlich
fremde Datenverarbeitungsanlagen inhaltlich überprüft - sogenannte Onlinedurchsuchung -, und waren davon Berufsgeheimnisträger gemäß § 53 der Strafprozessordnung, StPO, betroffen, insbesondere Journalisten?
Bitte, Herr Altmaier.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Ströbele, Ihre Frage
beantworte ich wie folgt: Was das Bundesamt für Verfassungsschutz angeht, so ist die Ergänzung der Dienstvorschrift „Nachrichtendienstliche Mittel des Bundesamtes“
auf Grundlage von § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 9
Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes mit Zustimmung des Bundesministeriums des Innern vom
21. Juni 2005 in Kraft getreten. Die Unterrichtung des
Parlamentarischen Kontrollgremiums erfolgte mit
Schreiben vom 27. Juli 2005. Vor diesem Zeitpunkt, also
vor der Unterrichtung des PKGr, hat das Bundesamt für
Verfassungsschutz keine der in Rede stehenden Maßnahmen durchgeführt.
Was das Bundeskriminalamt betrifft, gilt, dass es bislang überhaupt keine derartigen Durchsuchungen durchgeführt hat.
Ich kann Ihnen versichern, dass Berufsgeheimnisträger im Sinne von § 53 StPO von den vorgenommenen
Maßnahmen nicht betroffen waren. Im Übrigen waren
davon auch keine Journalisten, die, wie Sie wahrscheinlich wissen, keine Berufsgeheimnisträger im Sinne dieser Vorschrift sind, betroffen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung. Gleichwohl frage ich nach. Ich habe nicht nur
gefragt, wann solche Maßnahmen vor Juli 2005 durchgeführt worden sind. Vielmehr wollte ich wissen, wann
sie überhaupt ergriffen worden sind. Es ist nämlich
durchaus von Interesse, zu erfahren, ob solche Maßnahmen nach dem Juli 2005, etwa im August, September,
Oktober 2005 oder erst im Jahr 2006 ergriffen worden
sind. Sie wissen, dass dieses Thema in der Presse sehr
intensiv behandelt wird und dass der Zeitpunkt, wann
das gemacht worden ist, nicht geheimhaltungsbedürftig
ist.
Herr Kollege Ströbele, ich denke, dass das aus meiner
Antwort eigentlich klar hervorgegangen ist: Aus dem
Umstand, dass sie nicht vor dem 21. Juni 2005 durchgeführt worden sind, ergibt sich, dass sie nur nach dem
21. Juni 2005 durchgeführt worden sind. Das PKGr ist
darüber informiert worden.
Ihre zweite Nachfrage.
Auch mir ist schon aufgefallen, dass es nach dem
21. Juni 2005 gewesen sein muss, wenn es vorher nicht
der Fall war.
Mich interessiert konkret, wann genau danach es gewesen ist, in welchem Monat.
({0})
Ich bitte herzlich um Verständnis dafür, dass diese
Detailfragen in dem dafür vorgesehenen Kontrollgremium, im PKGr, beantwortet werden. Das ist nach meiner Kenntnis auch geschehen.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben schon zwei Nachfragen gestellt.
Wir kommen zu Frage 8 des Kollegen Ströbele:
Auf welche Weise genau sind die betreffenden Bundesbehörden jeweils in fremde Datenverarbeitungsanlagen eingedrungen, und wie räumt die Bundesregierung die Befürchtung
von Herstellern oder Vertreibern von IT-Produkten glaubwürdig aus, Bundesbehörden könnten deren Produkte heimlich
etwa mit „trojanischen Pferden“ zwecks Weiterverbreitung
versehen, oder muss die potenzielle Kundschaft derlei jedenfalls nun befürchten?
Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht - das betrifft
die technische Vorgehensweise und die nachrichtendienstliche Methodik -: Es wird Sie nicht überraschen,
dass sich die Bundesregierung zu diesem Punkt aus
nachvollziehbaren Geheimhaltungsgründen nur im zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium äußert.
Wie Sie ebenfalls wissen, hat sie das auch am 25. April
2007 ausführlich getan.
Zum zweiten Teil der Frage kann ich Ihnen sagen,
dass die Bundesregierung die Befürchtungen von Herstellern oder Vertreibern von IT-Produkten ernst nimmt.
Allerdings sind diese Befürchtungen in der Sache unbegründet. Die Bundesbehörden werden keine sogenannten Bundestrojaner auf dem freien Markt verbreiten. Die
Bundesbehörden haben ein starkes Eigeninteresse daran,
dass die von ihnen verwendete Software nicht von Dritten analysiert und die Ergebnisse veröffentlicht werden
können. Ferner beabsichtigt die Bundesregierung nicht,
derartige Operationen in Kooperation mit privaten Herstellern durchzuführen. Es liegt im Übrigen gerade nicht
im Interesse der Bundesregierung, das Vertrauen der
Kunden in die leistungsfähigen deutschen Wirtschaftsunternehmen zu beschädigen. Es ist vielmehr das ausdrückliche Ziel dieser Bundesregierung, die breite Verwendung von IT-Sicherheitssoftware zu fördern. Die
Erreichung dieses Ziels würde durch eine solche Kooperation möglicherweise gefährdet.
Bitte schön, eine Nachfrage, Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, verstehen Sie die Besorgnis in der
Bevölkerung, dass auf diese Art und Weise - durch den
Einsatz von Trojanern und durch Onlinedurchsuchungen auch in die ganz private, geheime Gedankenwelt der
Nutzer von PCs eingedrungen wird? Kann die Bundesregierung sagen, ob ein Schutz vor diesem Eindringen
möglich ist, indem man eine bestimmte Technik, wie
zum Beispiel Firewalls, benutzt?
Herr Kollege Ströbele, zu der Frage hinsichtlich der
benutzten Technik habe ich Sie darauf hingewiesen, dass
wir derartige Fragen im PKGr beantworten, aber aus Geheimhaltungsgründen nicht vor dem Forum des Deutschen Bundestages.
Zu der Frage bezüglich der Befürchtungen: Ich
glaube, dass die von Ihnen angesprochenen Befürchtungen der Produzenten und Vertreiber auch durch die
Antwort der Bundesregierung auf Ihre Frage nun in weitestmöglichem Umfange ausgeräumt sein dürften. Im
Übrigen ist es so, dass die Bundesregierung bei all diesen Maßnahmen Wert auf ein hohes Maß an rechtsstaatlichen Verfahren und Garantien legt, was dazu angetan
ist, auch den Sorgen und Befürchtungen von Bürgern
entgegenzukommen und sie auszuräumen.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, verstehen Sie die Besorgnis
- nicht der Hersteller; von den Herstellern reden wir
jetzt einmal nicht - der ganz normalen Bürgerinnen und
Bürger, dass die Bundesregierung in die jeweiligen persönlichen Computer eindringt, obwohl ganz offensichtlich eine gesetzliche Grundlage für dieses Eindringen
- das haben Sie auch eingestanden - bis heute nicht besteht?
Die Bundesregierung, Herr Kollege Ströbele, bemüht
sich in ihrer Arbeit, Besorgnisse und Befürchtungen, die
bestehen, ernst zu nehmen und sie auszuräumen. Dies
ist, denke ich, in den letzten Tagen auch im Hinblick auf
das weitere Vorgehen bei Onlinedurchsuchungen deutlich geworden. Sie werden festgestellt haben, dass derartige Durchsuchungen im Augenblick nicht stattfinden,
bis die Frage der Rechtsgrundlage zweifelsfrei geklärt
ist.
({0})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Altmaier.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Uwe Barth auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass infolge der Einführung der Besteuerung von Biodiesel in Reinkraftstoff dessen
Absatz stark abgenommen hat, weshalb sich die wirtschaftliche Situation der Landwirte und Biodieselproduzenten derart
dramatisch verschlechtert hat, dass bereits in Kürze mit ersten
Insolvenzen zu rechnen ist, und was plant die Bundesregierung hiergegen zu unternehmen?
Herr Kollege Barth, der Bundesregierung liegen keine
belastbaren Informationen vor, dass es zu Insolvenzen in
der Biodieselbranche aufgrund der Einführung der Besteuerung kommen wird. Tatsache ist, dass angesichts
der derzeitigen Preise für Biodiesel einerseits und fossilen Diesel andererseits positive Margen in der Branche
erwirtschaftet werden können. Im Übrigen sind die Produktionskapazitäten für Biodiesel in Deutschland weiterhin im Auf- und Ausbau begriffen. Eine Aufgabe von Investitionsvorhaben ist nicht zu beobachten.
Nachfrage, Kollege Barth?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
eine ähnliche Antwort hatten Sie ja bereits vor einigen
Monaten auf unsere Kleine Anfrage gegeben. Sie können zunächst einmal, wie ich denke, unterstellen, dass
die Frage ernst gemeint ist und auch auf Informationen
beruht, die aus der entsprechenden Branche kommen,
und ich sie mir nicht einfach so ausgedacht habe, um Sie
zu ärgern. Deswegen wäre es aus meiner Sicht eine angemessene Reaktion, wenn sich die Bundesregierung,
sobald sie mehrfach von einer Entwicklung Kenntnis bekommt, sei es auch von einer Oppositionsfraktion, um
die Erlangung belastbarer Daten bemühte. Deswegen zunächst die Frage: Beabsichtigt die Bundesregierung, die
Hinweise, die der Opposition vorliegen - ich stelle Ihnen
die mir dazu vorliegenden Schreiben gerne zur Verfügung -, aufzugreifen und sich um belastbares Datenmaterial zu kümmern? Wann könnte man dann mit dem
Vorliegen eines solchen Materials rechnen?
Herr Kollege, wenn die Informationen des Verbandes
tatsächlich zuträfen, wäre ja davon auszugehen, dass Investoren, die noch vorhaben, eine neue Investition zu tätigen, diese Investition zurückstellen. Wie ich Ihnen
gerade ausführte, ist dies nicht zu beobachten. Gegenwärtig ist der Preisunterschied zwischen Biodiesel und
normalem Diesel so, dass Margen erzielt werden können. Wir können also die Befürchtungen in Bezug auf
Insolvenzen nicht teilen.
Gewiss wird es so sein, dass sich mit dem Greifen der
nächsten laut Gesetz vorgesehenen Stufe die Marge wieder ein Stück weit verschlechtern wird - das hängt natürlich von der Preisentwicklung an den Tankstellen ab -,
aber ab 2009 greift dann der Beimischungszwang, der
wiederum neue Absatzmöglichkeiten eröffnet.
Zweite Nachfrage? - Keine Nachfrage mehr.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Hier sollen die Fragen 12, 13, 14 und 15 schriftlich beantwortet
werden.
Das Gleiche gilt für die Fragen 16, 17 und 18 zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend.
Deswegen kommen wir gleich zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung.
Zunächst die Frage 19 der Kollegin Daniela Raab:
Liegen der Bundesregierung die bereits für das Jahr 2006
angekündigten Verkehrsprognosen aus Deutschland, Österreich und von der Europäischen Kommission über die Auswirkungen des Baus des Brennerbasistunnels vor, und, wenn
ja, wie sehen diese aus?
Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin Raab, Sie haben gefragt, ob es schon einen neuen Stand bezogen auf
die Prognosen über die Auswirkungen des Baus des
Brennerbasistunnels gibt. Ich muss Ihnen leider sagen:
Nein, diese Prognosen liegen der Bundesregierung bisher nicht vor. Seit längerem will Österreich zur Abstimmung von aktualisierten Verkehrsprognosen einladen.
Diese Einladung steht noch aus. Sie wird für Mitte dieses Jahres erwartet.
Nachfrage? - Bitte schön.
Verehrte Frau Staatssekretärin, vielen Dank. - Bemüht sich denn die Bundesregierung um den zügigen Erhalt dieser Prognosen?
Herr Präsident! Liebe Kollegin, wir sind sehr daran
interessiert, dass das Ganze möglichst schnell geschieht;
denn wir sind ja auf die entsprechenden Fragen vorbereitet. Insofern können Sie davon ausgehen, dass wir mit
großem Engagement bei der Sache sind. Aber jetzt warten wir auf Österreich.
Weitere Nachfrage?
Eine kurze hätte ich noch. - Darf ich, wenn Sie sagen,
Sie seien vorbereitet, davon ausgehen, dass Sie in groben
Zügen auch schon an der Regierungsvereinbarung zwischen Deutschland und Österreich arbeiten, die ja für die
Planung der Zulaufstrecken notwendig ist?
Herr Präsident! Liebe Kollegin, wir werden natürlich
zunächst einmal die Ergebnisse der Verkehrsprognosen
abwarten müssen. Wir sind aber im Rahmen unserer
Vorbereitungen natürlich in der Lage, ein Abkommen zu
vereinbaren. Wichtig ist, dass dies auf der Grundlage der
Prognosen geschieht. Deshalb ist es so entscheidend,
dass wir diese möglichst bald bekommen.
Damit kommen wir zur Frage 20 der Kollegin Raab:
Wird die Bundesregierung mit konkreten Planungen zum
Nordzulauf des Brenners auf bayerischer Seite umgehend beginnen, wenn die Finanzierung des Brennerbasistunnels auf
österreichischer/italienischer Seite geklärt und damit der Baubeginn absehbar ist?
Hier kann ich an meine vorige Antwort anschließen:
Die Bundesregierung wird auf der Basis abgestimmter
aktualisierter Verkehrsprognosen eine Studie über Ausbaubedarf und Ausbauvarianten des Nordzulaufs vergeben. Das ist genau der Punkt, zu dem Sie gerade nachgefragt haben. Die Ergebnisse dieser Studie werden Basis
für eine Ressortvereinbarung zwischen Deutschland und
Österreich über den weiteren Ausbau des nördlichen Zulaufes sein. Entsprechend einer sich abzeichnenden Fertigstellung des Brennerbasistunnels erfolgt dann eine
schrittweise Kapazitätserweiterung im nördlichen Zulauf. Von unserer Seite wird der Gleichklang der Planungen zwischen Deutschland und Österreich somit gewahrt.
Nachfragen? - Bitte schön.
Eine Nachfrage hätte ich noch. Frau Staatssekretärin,
wir wissen, dass in Bezug auf die Anteile am Brennerbasistunnel die Finanzierungsverhandlungen zwischen Österreich und Italien laufen. Ist Ihnen bekannt, wie diese
Verhandlungen derzeit verlaufen und inwieweit sich die
Europäische Union an der Finanzierung beteiligen wird?
Wir sind, liebe Kollegin Raab, in die Verhandlungen
natürlich nicht mit einbezogen. Wir sind sehr gespannt,
in welcher Weise die Europäische Union dieses Projekt
im Rahmen der TEN-Mittel unterstützt. Natürlich gibt es
Konkurrenzen, was die Strecken angeht, nicht nur bei
uns, sondern auch zwischen Österreich und Italien. Insofern sind wir darauf gespannt, zu welchem Ergebnis die
Verhandlungen zwischen Italien und Österreich führen
werden.
Wir wissen, dass, wenn alles gut geht - Baubeginn
2007, Verhandlungen usw. -, der Brennerbasistunnel erst
2022 fertig sein wird. Wir haben also noch ein bisschen
Zeit, um die Planung voranzubringen. Aber Sie können
davon ausgehen, dass wir darauf achten, welche Beiträge
die EU leistet und dass nicht alles zu unseren Lasten
geht.
Vielen Dank.
Wir kommen jetzt zur Frage 21 des Kollegen
Dr. Anton Hofreiter - er ist gerade eingetroffen; deswegen kann diese Frage auch beantwortet werden -:
Warum hält die Bundesregierung an der Neu- und Ausbaustrecke Nürnberg-Erfurt fest, obwohl andernorts, beispielsweise bei den Hafenhinterlandverkehren, größere Kapazitätsengpässe und größerer Handlungsbedarf bestehen, und
welches Wachstum müssen die Hafenhinterlandverkehre erreichen, damit die Bundesregierung ihre Prioritätensetzung im
Bereich des Schieneninfrastrukturausbaus überprüft?
Lieber Kollege Hofreiter, ich habe schon gedacht,
heute würden Sie mir keine Frage stellen; aber Sie stellen immer Fragen, und das ist auch gut so.
Das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ 8.1, die Strecke Nürnberg-Erfurt, ist Bestandteil des transeuropäischen Netzes für Verkehr.
({0})
Der Ausbau und Neubau der Strecke Nürnberg-Ebensfeld-Erfurt ist darüber hinaus ein vorrangiges Vorhaben
gemäß Anhang 3 der gemeinschaftlichen Leitlinien für
den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes. Sie
müssen das Ganze im Zusammenhang mit Projekt 1,
Eisenbahnachse Berlin-Verona/Mailand-Bologna-Neapel-Messina-Palermo, sehen. Die Bundesregierung hat
daher ein besonderes Interesse an einer zügigen Fortführung und Fertigstellung des VDE-Projektes 8.1.
Die ebenfalls im Bedarfsplan Schiene als vordringlicher Bedarf enthaltenen Vorhaben zur Verbesserung der
Hafenhinterlandanbindung werden derzeit geplant. Ihre
Frage war ja, ob diese Vorhaben in Konkurrenz zueinander stehen oder nicht. Wir planen beides und realisieren
das auch. Nach Vorlage des Baurechts wird unter Beachtung der Prioritätensetzung mit deren Bau begonnen.
Das derzeitige Wachstum der Hinterlandverkehre bestätigt die Notwendigkeit des zügigen Ausbaus der hierfür
relevanten Schienenprojekte. Es freut mich, dass auch
Sie das so sehen.
Nachfrage, Herr Kollege Hofreiter?
Kann auch die zweite Frage gleich beantwortet werden?
Wenn Sie das gerne möchten, kann ich auch die
zweite Frage beantworten - mit Ihrem Einverständnis,
Herr Präsident.
Dann rufe ich auch die Frage 22 auf:
Wann untersucht die Bundesregierung - wie vom Bundesrechnungshof gefordert - systematisch, welche Investitionen
für eine Inbetriebnahme der Neu- und Ausbaustrecke Nürnberg-Erfurt noch erforderlich sind, wie diese finanziert werden und wann mit einer Fertigstellung gerechnet wird, und
wann stellt die Bundesregierung die Untersuchungsergebnisse
den politischen Entscheidungsträgern vor?
Bitte schön.
Die für eine Inbetriebnahme des Vorhabens noch erforderlichen Investitionen sind hinlänglich bekannt und
werden vorrangig durch den Bundeshaushalt finanziert.
In Abstimmung mit dem Vorstand der Deutschen
Bahn AG werden die Investitionen in dem VDE 8.1 verstärkt, um zumindest die Neubaustrecke Ebensfeld-Erfurt bis 2016 fertigzustellen. Zur Beschleunigung der
Fertigstellung werden unter anderem im Programmzeitrahmen 2007 bis 2013 EFRE-Mittel eingesetzt. Die Bundesregierung hat diese Vorgehensweise bei der Realisierung des VDE-Projekts 8.1 in der Vergangenheit bereits
öffentlich dargestellt und mehrmals darüber berichtet.
({0})
Jetzt kommen wir zu den Nachfragen. Herr Hofreiter.
Ich nehme an, dass auch dem Verkehrsministerium
bekannt ist, dass ein Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Wenn Sie einen Großteil der Gelder für die
eine Strecke ausgeben, dann haben Sie kein Geld mehr,
um den kapazitätsgestützten Ausbau der Hafenhinterlandverkehre zu betreiben. Sie haben auf eine Anfrage
selbst geantwortet, dass auf der Strecke nur mit eineinhalb Zügen pro Stunde zu rechnen ist, das heißt mit fast
gar nichts. Wie können Sie angesichts dieser Tatsache
den Ausbau wirklich rechtfertigen, auch vor dem Hintergrund, dass Sie wahrscheinlich keinen einzigen Bahnmanager finden, der Ihnen im Gespräch unter vier Augen erklären wird, dass er dieses Projekt für
wirtschaftlich vertretbar hält?
Herr Präsident! Kollege Dr. Hofreiter, ich habe sehr
deutlich gemacht, dass das Projekt 8.1 ein VDE-Projekt
ist. Es ist im Rahmen der transeuropäischen Netze zu sehen und wird natürlich in Zukunft auch Güterverkehre in
Richtung Nord-Süd und Süd-Nord abnehmen. Deshalb
ist es vernünftig, dass wir das Projekt 8.1, das wir im
Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ verankert haben,
möglichst schnell realisieren. Mit der Realisierung des
Projektes 8.1 unterstützen wir auch die Entwicklung in
den neuen Bundesländern, und auch das gehört zur deutschen Einheit.
({0})
Eine weitere Nachfrage.
Wie wollen Sie den Güterverkehr auf der Strecke abwickeln, wenn Sie beide Gleise in einen Tunnel verlegen? Denn laut EU-Richtlinie ist es nicht gestattet,
Güterverkehr und Personenverkehr gleichzeitig abzuwickeln.
Das ist bekannt, und deshalb wird es auch nicht passieren.
Doch. Nach Ihren Planungen sollen die Gleise in einen Tunnel verlegt werden, um Kosten zu sparen.
Aber es gibt im Rahmen des Verkehrsmanagements
die Möglichkeit, den Verkehr begegnungsfrei durchzuführen. Ich glaube, in diesem Sinne haben wir Ihnen
schon einmal eine entsprechende Frage beantwortet.
Güterverkehr ist dann nur über Nacht möglich, und
damit liegen Sie bei den zu erwartenden Kostensteigerungen weit unter dem Nutzen/Kosten-Faktor von 1 und
haben, wie in vielen Fällen, das Geld zum Fenster hinausgeworfen.
Auf die Frage, ob wir Geld zum Fenster hinauswerfen, sollten wir in der Zukunft noch einmal zurückkommen. Im Übrigen möchte ich bei diesem Hin und Her,
Herr Dr. Hofreiter, bemerken, dass Sie inzwischen schon
die zweite oder die dritte Frage gestellt haben.
Er kann vier Fragen stellen.
Sie dürfen vier Fragen stellen. - Auf Ihre letzte Bemerkung will ich Ihnen sagen: Bei diesen Verkehrsprojekten haben wir natürlich ein Auge darauf, dass sie
wirtschaftlich sind, und wir wissen auch, dass im Bereich des VDE-Projekts 8.1 noch Zukunftsperspektiven
vorhanden sind. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass
auch ein Teil der Hinterlandanbindungen über diese
Straße gehen wird, über diese Trasse gehen wird.
({0})
- Ein Teil wird über diese Trasse gehen, Herr Kollege
Dr. Hofreiter, und insofern sollten wir die Potenziale
nutzen und nicht vorn vornherein unterstellen, das Geld
werde von der Bundesregierung zum Fenster hinausgeworfen. Da widerspreche ich Ihnen vehement.
Wollen Sie noch eine Frage stellen?
Man könnte noch sehr viele Fragen stellen. Ich stelle
noch eine: Wie schaut denn die Nutzen/Kosten-Bewertung aus, wenn man die üblichen Preissteigerungen bei
DB-Projekten berücksichtigt? Bei DB-Projekten, bei
Neubaustrecken in schwierigem Terrain, rechnen wir ja
in der Regel mit dem Faktor 2. Ich nenne als Beispiel die
Strecke München-Ingolstadt-Nürnberg, die ursprünglich für 1,5 Milliarden Euro projektiert war, dann für
2 Milliarden Euro exakt geplant und schließlich für
3,5 bis 3,6 Milliarden Euro gebaut wurde. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass Ausbaumaßnahmen für 300 Millionen Euro nicht durchgeführt wurden, die ursprünglich
in dem Nutzen/Kosten-Faktor enthalten waren. Wie
schaut der Nutzen/Kosten-Faktor für dieses Projekt aus,
wenn man die durchschnittliche Preissteigerung bei DBNeubauprojekten zugrunde legt? - Wir wollen gar nicht
vom Hauptbahnhof Berlin ausgehen; denn da sprechen
wir von einem ganz anderen Faktor.
Wir gehen davon aus, dass der Kostenrahmen von
5,1 Milliarden Euro für das Gesamtprojekt eingehalten
wird.
({0})
Im Übrigen bin ich auch nicht dazu da, mit Ihnen Spekulationen in die Zukunft zu machen.
Vielen Dank. - Wir haben noch eine Frage der Kollegin Iris Gleicke.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die klaren
Worte für die Bundesregierung, wonach das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ 8.1 zügig weitergebaut und
auch verstärkt wird. Halten Sie es, Frau Staatssekretärin,
wie ich auch für eine Unzumutbarkeit, nachdem schon
enorme Investitionsmittel in dieses Verkehrsprojekt geflossen sind, das ja nicht nur ein Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ ist, sondern auch im Rahmen der transeuropäischen Netze zu sehen ist, wenn man dort - das ist
offensichtlich die Ansicht der Opposition - Investitionsruinen in Größenordnungen schaffen würde, weil man
das Projekt nicht zügig zu Ende baut und dem Verkehr
zur Verfügung stellt?
Vielen Dank für die Frage. - Ich kann Ihnen da nur
beipflichten. Wir haben im Bereich dieser Strecke bereits mehrere Tunnels und Brücken gebaut. Wenn ich
mich recht erinnere, dann war es so, dass diese Maßnahmen schon zur Zeit der vorherigen Regierung durchgeführt wurden. Man sollte Planungen, die man abgesegnet
hat, nicht vergessen, wenn man in der Opposition ist.
({0})
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsiVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
cherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Dr. Edmund
Geisen auf:
Welchen Anteil am Ausstoß der Treibhausgase N2O
- Lachgas - und CH4 - Methan - rechnet die Bundesregierung in Deutschland der Landwirtschaft zu?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Dr.
Geisen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Gemäß den
nach internationalen Vorgaben zur Treibhausgasberichterstattung erstellten Emissionsinventaren haben die Methan- und Distickstoffoxidemissionen der Landwirtschaft in 2005 63,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente
betragen. Das waren 6,3 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland. Die Emissionen sind
bis 2005 gegenüber 1995, also dem Kioto-Basisjahr für
Methan- und Distickstoffoxidemissionen, um 5 Prozent
gesunken.
Nachfragen?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ich habe zwei Nachfragen.
Erstens. Ist der Bundesregierung bekannt, welchen
Anteil am Ausstoß der genannten Gase die Landwirtschaft in Europa und weltweit hat?
Zweitens. Ist der Bundesregierung ferner bekannt,
wie sich der Ausstoß der genannten klimarelevanten
Gase durch die Landwirtschaft in den letzten 50 Jahren
in Deutschland, in Europa und weltweit entwickelt hat? Danke schön.
Das waren zwei Nachfragen auf einmal.
Ich kann dazu nur sagen, dass es keine weltweiten Berichtspflichten zu den Treibhausgasemissionen gibt. Es
gibt zwar statistische Erhebungen in den Staaten, die
sich der Klimarahmenkonvention unterworfen haben.
Aber da noch die Entwicklungs- und Schwellenländer
hinzukommen, in denen die Daten nicht so exakt wie bei
uns erhoben werden, lässt sich eine verlässliche Datenbasis für die gesamte Welt nicht erstellen.
Ich kann auf detailliertere Angaben aus verschiedenen Studien verweisen. Eine Antwort auf eine Kleine
Anfrage der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
wird in den nächsten Tagen fertiggestellt. Darin sind die
Daten, nach denen Sie jetzt fragen, enthalten. Allerdings
gibt es Datenunsicherheiten, die durch die statistischen
Erhebungen, die nicht überall so zuverlässig sind wie bei
uns, gegeben sind.
Wir kommen zur Frage 24 des Kollegen Dr. Edmund
Geisen:
Welche Maßnahmen, bezogen auf die Landwirtschaft,
plant die Bundesregierung bzw. hat sie schon ergriffen, um
- wie im Achtpunkteplan zur Senkung der Treibhausgasemissionen vom 26. April 2007 erwähnt - Minderungen um
40 Millionen Jahrestonnen bei den oben genannten Treibhausgasen zu erreichen?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Minderung
um 40 Millionen Jahrestonnen, von denen in der von Ihnen angesprochenen Regierungserklärung die Rede war,
bezieht sich auf den gesamten Bereich nicht energiebedingter Emissionen. Für den Sektor Landwirtschaft
strebt die Bundesregierung grundsätzlich eine Reduktion
der Treibhausgasemissionen an, sie hat aber keine quantitativen Reduktionsziele festgelegt.
Zahlreiche Maßnahmen der aktuellen Agrarpolitik
haben auch eine treibhausgasemissionsmindernde Wirkung. Im nationalen Klimaschutzprogramm 2005 hat die
Bundesregierung die Klimaschutzmaßnahmen im Bereich Landwirtschaft dargestellt.
Nachfragen?
Frau Staatssekretärin, ich möchte mit Erlaubnis des
Präsidenten zwei Nachfragen anschließen.
Bitte.
Erstens. Teilt die Bundesregierung die Aussage einer
Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz im „Handelsblatt“ vom 23. Februar 2007, wonach weniger Fleisch
gegessen werden sollte, um das Klima zu schützen?
Zweitens. Liegen der Bundesregierung Informationen
über die Klimaeffizienz der ökologischen Landwirtschaft im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft
in Deutschland vor? Wenn ja, welche?
Die Bundesregierung gibt keine Empfehlung bezüglich der Ernährung mit Fleisch. Aber es ist völlig klar,
dass es einen Zusammenhang zwischen der Tierhaltung
und dem Klimaschutz gibt, dass die Landwirtschaft also
Auswirkungen auf das Klima hat.
Es gibt auch einen Unterschied zwischen dem konventionellen Anbau und dem Ökolandbau. Aus den Zahlen im damaligen Bericht der Enquete-Kommission
„Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestages
geht hervor, dass die Treibhausgasemissionen in der
Landwirtschaft im Ökolandbau bei etwa 39 Prozent im
Vergleich zum konventionellen Anbau liegen. Ich gebe
zwar zu, dass die Datenlage hierzu durchaus unterschiedlich ist und es verschiedene Angaben über Einsparungen gibt. Aber diese Größenordnung wurde damals in
den Bericht der Enquete-Kommission aufgenommen.
Die Frage 25 des Kollegen Uwe Barth soll schriftlich
beantwortet werden. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum letzten Geschäftsbereich in dieser
Fragestunde, zu dem des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 26 der Kollegin Dr.
Dagmar Enkelmann auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Aufforderung des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, der anlässlich der Vorstellung des monatlichen Arbeitsmarktberichts am 2. Mai 2007
von der Politik Lösungen für Langzeitarbeitslose verlangt und
sich vom Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz
Müntefering, Aussagen dazu erhofft hat, was zur Besserung
der Situation dieser Gruppe geschehen muss?
Ich gebe Ihnen auf Ihre Frage folgende Antwort: Wer
den Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit am 2. Mai genaue Aufmerksamkeit geschenkt hat, konnte leicht feststellen, dass Herr
Weise weder Anforderungen an die Politik gerichtet
noch Lösungen verlangt hat. Stattdessen hat er richtigerweise darauf hingewiesen, dass derzeit in beiden Fraktionen der Regierungskoalition noch die Debatte darüber
geführt wird, was für die weitere Verbesserung der Lage
auf dem Arbeitsmarkt getan werden muss. Diese Aussage, so wie er sie getroffen hat, kann ich bestätigen. Die
Vorschläge der Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“, die in den
vergangenen Monaten getagt hat, wurden heute im Kabinett behandelt.
Nachfrage?
Ja, vielen Dank. - Herr Staatssekretär, zumindest hat
Kollege Weise darauf aufmerksam gemacht, dass es
ganz offenkundig ist, dass der derzeitige Aufschwung an
den Langzeitarbeitslosen vorbeigeht. Insofern fordert er
Konsequenzen der Bundesregierung. In diesem Zusammenhang möchte ich eine erste Frage stellen: Nach wie
vor sind erhebliche Mittel des Eingliederungstitels gesperrt. Das sind Mittel, die eigentlich vor allen Dingen
für Langzeitarbeitslose vorgesehen sind. Wäre es nicht
an der Zeit, endlich zu einer Entsperrung zu kommen,
um Langzeitarbeitslosen mit diesen Mitteln zu helfen?
Wir haben im Bundeshaushalt im Bereich des SGB II
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit in Höhe von
5,5 Milliarden Euro für das Jahr 2007 zur Verfügung. Es
ist in den einzelnen Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen - jedenfalls bislang - nicht zu einem derartigen Ausgabeverhalten gekommen, dass keine weiteren
Mittel zur Eingliederung der betroffenen Menschen zur
Verfügung stehen würden.
Im Übrigen will ich auf Folgendes hinweisen - damit
das Bild ein bisschen klarer wird; denn Sie implizieren
in Ihren Ausführungen, dass der Aufschwung an den
Langzeitarbeitslosen vorbeigeht -: Wir sollten uns zunächst darüber freuen, dass im Februar 2007 im Vergleich zum Februar 2006 650 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden sind und wir
gut 824 000 Arbeitslose weniger haben. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist um 14,6 Prozent gesunken: diejenige
der Älteren ab 50 Jahre um 14 Prozent, diejenige der im
Bereich des SGB II Betroffenen um 12 Prozent und diejenige der Jugendlichen unter 20 Jahre - das freut besonders - um 27,6 Prozent.
Ich will damit sagen - dies ist eigentlich allen klar -:
Wir freuen uns über den Aufschwung, die konjunkturelle
Entwicklung. Diese trägt auf dem Arbeitsmarkt natürlich
zuerst dazu bei, dass die leicht vermittelbaren Arbeitslosen in Beschäftigung kommen. Je länger aber der Aufschwung andauert - wir freuen uns sehr, dass die Prognosen jetzt zeigen, dass er von Dauer ist -, umso stärker
wird sich die Chance auf die Integration derjenigen
Menschen erhöhen, die schon lange Jahre arbeitslos
sind. Im SGB II ist das notwendige Instrumentarium
vorhanden, um hier eine Verbesserung herbeizuführen.
Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass die Mittel dafür ausreichen dürften.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Enkelmann.
Über die Tatsachen, die hinter der Statistik stehen,
werden wir garantiert morgen noch reden. Aber ich hätte
eine zweite Frage: Der Landtag Brandenburg hat beschlossen, die Landesregierung aufzufordern, sich auf
Bundesebene dafür einzusetzen, dass eine eindeutige
Rechtsgrundlage dafür geschaffen wird, dass passive Arbeitsmarktmittel mit aktiver Arbeitsmarktförderung verbunden werden können, um unter anderem für Projekte
wie das Bürgergeld und die öffentlich geförderte Beschäftigung eine Grundlage zu schaffen.
Wie stehen Sie zu dieser Forderung, die von allen demokratischen Parteien des Landtages Brandenburg getragen wird?
Die Mittel der aktiven und passiven Unterstützung
der Menschen, die arbeitslos sind, müssen weiterhin fein
und klar getrennt behandelt werden. Würden wir die pasParl. Staatssekretär Franz Thönnes
siven Mittel zum Ersatz für die aktiven machen, würden
Sie als Abgeordnete hier im Deutschen Bundestag nicht
mehr die Entscheidungshoheit darüber haben, wie und
für wen die Mittel verteilt werden. Ich glaube nicht, dass
man dieses Entscheidungsrecht aus den Händen geben
kann. Dann könnte allein vor Ort entschieden werden.
Ich glaube, das geht nicht.
Jetzt hat der Kollege Dreibus noch eine Frage. - Bitte.
Herr Staatssekretär, zum Problem Bekämpfung der
Langzeitarbeitslosigkeit: Wir hatten am Montag im Ausschuss für Arbeit und Soziales eine Anhörung zu den
Anträgen der Linken und der Grünen für einen öffentlich
geförderten Beschäftigungssektor. Können Sie meinen
Eindruck bestätigen, dass alle Sachverständigen bis auf
einen einzigen und auch die Fraktionsvertreterinnen und
-vertreter der Regierungskoalition darin übereinstimmten, dass drängender Handlungsbedarf besteht, neue
Konzepte zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit
systematisch zu entwickeln? Wenn Sie diesen Eindruck
bestätigen können, können Sie mir sagen, wann die Bundesregierung ihre seit eineinhalb Jahren überfälligen
Konzepte endlich vorstellen wird?
Kollege Dreibus, in der heutigen Kabinettssitzung hat
der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz
Müntefering, einen Bericht über die Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“, die zwischen den Koalitionsfraktionen in
den letzten Wochen getagt hat, gegeben. Man hat sich in
einem sehr wesentlichen Bereich, der bei den Beratungen eine Rolle gespielt hat, darauf verständigt, dass man
für die Menschen, die langzeitarbeitslos sind und bei denen man davon ausgehen kann, dass sie in den nächsten
24 Monaten wahrscheinlich keine Chance haben, auf
dem regulären Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden, einen neuen Programmbereich auflegt, der diese
Gruppe in eine Beschäftigung einbeziehen soll, und
zwar in der Form, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes, sozialen Betrieben oder Integrationsunternehmen organisiert werden soll. Es muss sich dabei um
Personen handeln, die länger als ein Jahr arbeitslos sind,
bei denen die bisherigen arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente erfolglos gewesen sind und die besondere
Vermittlungshemmnisse haben.
Die Unternehmen, die derartige Arbeitsplätze schaffen, also soziale Betriebe, Integrationsunternehmen oder
Unternehmen im ersten Arbeitsmarkt, erhalten eine angemessene Förderung in Abhängigkeit von der Höhe des
berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts, um die Produktivitätsnachteile auszugleichen. Gleichzeitig wird dadurch ein Zuschuss zu den Sozialversicherungsbeiträgen
geleistet. Der Umfang der Beschäftigung soll einer Vollzeittätigkeit entsprechen. Sie muss jedoch bei mindestens 50 Prozent der regulären Arbeitszeit liegen. Das Kabinett hat das BMAS damit beauftragt, jetzt die
entsprechenden Gesetzesvorbereitungen zu treffen, sodass wir über dieses Vorhaben hier in diesem Haus und
im Ausschuss für Arbeit und Soziales mit Sicherheit
sprechen werden.
Vielen Dank. - Die Frage 27 der Kollegin Hirsch soll
schriftlich beantwortet werden.
Jetzt haben wir noch die zwei Fragen des Kollegen
Dreibus. Eigentlich ist die Zeit für die Fragestunde nahezu abgelaufen. Doch wenn wir sie schnell beantworten, können wir auch das noch leisten.
Ich rufe die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dreibus
auf:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung - mit Blick
auf die in der Vergangenheit wiederholt von Regierungsvertretern geäußerte Notwendigkeit existenzsichernder Löhne aus der Weigerung der Arbeitgeber der Fleischindustrie, sowohl einen Mindestlohn als auch flächendeckende Tarifverträge, die eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf die
Branche mit dann verbindlichen Löhnen ermöglichen würden,
zu vereinbaren?
Stimmt die Bundesregierung der Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs Gerd Andres vom 3. Mai 2007 zu, dass
eine Weigerung von Arbeitgeberverbänden, an der Vereinbarung von allgemein verbindlichen Branchenmindestlöhnen
mitzuwirken, die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne nach
sich ziehen muss?
Herr Präsident, ich lese jetzt nicht die Fragen vor. In
Anbetracht der Zeit gebe ich nur die Antwort.
Herr Kollege Dreibus, die in dem Gespräch bei Herrn
Parlamentarischen Staatssekretär Andres vertretenen
Verbände der Fleischindustrie haben nach ihren Satzungen keine Befugnis zum Abschluss von Tarifverträgen.
Deshalb sollen die Chancen für den Abschluss entsprechender Tarifverträge zunächst in einem weiteren Gespräch mit den führenden Großunternehmen der Branche
ausgelotet werden. Die Bundesregierung strebt auf jeden
Fall eine Einigung in der Frage des Mindestlohns an.
Das ist die Antwort auf beide Fragen, 28 und 29.
Nachfragen? - Bitte schön, Herr Dreibus.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
stimmen Sie mit mir überein, dass für die Fleischindustrie dann, wenn sie sich auf Dauer weigern würde, tarifvertragliche Regelungen zustande zu bringen, alle anderen Optionen, für die beispielsweise auch der Minister
Ihres Hauses eintritt, zur Schaffung von branchenbezogenen oder tariflichen Mindestlöhnen ausscheiden und
es in diesem Fall unabweisbar ist, für diese Branche einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen?
Herr Dreibus, meines Erachtens sollten wir nicht so
pessimistisch darangehen. Ich habe Ihnen dargestellt,
wie diese Branche zurzeit strukturiert ist und dass wir
die Absicht haben, mit den dortigen Verbänden zu sprechen.
Ich denke auch, dass die Branche auf Dauer kein Interesse an den Negativschlagzeilen haben wird, wie wir
sie in manchen Zeitungsartikeln zur Kenntnis nehmen
mussten.
Bei denjenigen Unternehmen dieser Branche, die angemessene Einkommen bezahlen, dürfte auch kein Interesse daran vorhanden sein, dass sie von Dumpinganbietern vom Markt gedrängt werden.
Wir setzen also auf die Gespräche, die stattfinden sollen. Die andere Diskussion über die Frage eines Mindestlohns oder der Verhinderung von sittenwidrigen
Löhnen ist Ihnen bekannt.
Weitere Nachfragen?
Wer mich kennt, weiß, dass Pessimismus mir sehr
fremd ist. Ich bin ein sehr optimistischer Mensch. Vor allen Dingen bin ich aber auch jemand, der an die Menschen in dieser Branche denkt.
Herr Staatssekretär, wie lange, glauben Sie, halten die
Menschen in dieser Branche diese skandalösen Zustände
aus? Und wie lange halten die Unternehmen das aus?
Wann handelt die Bundesregierung?
Wir handeln mit Nachdruck. Sie wissen, dass dieses
Thema in der nächsten Woche im Koalitionsausschuss
auf der Tagesordnung steht. Uns geht es auch darum, mit
den Vertretern der Branche zügig zu einem Ergebnis zu
kommen. Die dort vorhandenen Zustände wollen wir
nicht dauerhaft akzeptieren.
Haben Sie noch eine Nachfrage, Herr Dreibus?
Meine zweite Frage bezog sich auf eine konkrete
Aussage Ihres Staatssekretärskollegen Andres. Ich
schätze Sie aus unserer Vergangenheit sehr, Herr Staatssekretär. Vielleicht wäre es im Sinne einer guten Kommunikation aber sinnvoll, dass der betreffende Staatssekretär eine solche Frage dann auch selbst beantworten
kann.
Wie beurteilen Sie die Aussage Ihres Staatssekretärskollegen Andres, der bezogen auf die Fleischindustrie gesagt hat - so schrieb jedenfalls dpa am 3. Mai um
15.06 Uhr -: „Wer das nicht macht, bekommt irgendwann einen gesetzlichen Mindestlohn“?.
Im Rahmen unserer Arbeitsorganisation haben wir
festgelegt, dass wir uns in den Sitzungswochen abwechseln. Sie wissen auch aus dem Ausschuss, wer Plenumsdienst hat. Das werden wir auch in Zukunft so praktizieren.
Die von Herrn Andres getroffene Aussage deckt sich
im Kern mit dem, was ich gerade gesagt habe: dass wir
das auf Dauer nicht akzeptieren werden. Unsere Position
ist, dass wir in diesen Bereichen zu Mindestlöhnen kommen müssen. Wir versuchen, mit den Tarifvertragsparteien Wege zu finden, um in dieser Branche zu einer Regelung zu kommen.
Die anderen Fragen sind im Koalitionsausschuss diesbezüglich zu klären.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe nun Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die dringliche Frage 3 auf Drucksache 16/5236
Das war die Frage der Kollegin Dr. Barbara Höll zu
Steuermehreinnahmen. Zur Begründung und Einführung
hat als erste Rednerin die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
das Wort.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! In der Fragestunde war die Bundesregierung nicht gewillt, uns Auskunft über die Verwendung der Steuermehreinnahmen zu geben. Insgesamt
werden 200 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen für
Bund und Länder prognostiziert. Davon sollen ungefähr
90 Milliarden Euro auf den Bund entfallen.
Bei dieser Summe hätten wir schon erwartet, dass die
Bundesregierung weiß, ob sie - was dringend notwendig
wäre - mehr Geld für Bildung, für Krippenplätze oder
für öffentliche Investitionen aufwendet.
({0})
- Den Zwischenruf „Fragen Sie doch erst einmal die
Steuerschätzer!“ nehme ich gerne auf. Ich rege an, dass
Sie innerhalb der Koalition eine Diskussion darüber führen. Denn Herr Steinbrück wird seine private Steuerschätzung nicht ohne Grund vor der der Steuerschätzer
verkündet haben. Aber das ist Ihre Sache, meine Damen
und Herren.
({1})
Nun wollen von diesem Kuchen der Steuermehreinnahmen alle etwas abbekommen. Sinnvolle VerwendunDr. Gesine Lötzsch
gen habe ich gerade benannt: Krippenplätze, Bildung,
öffentliche Investitionen. Einige werden etwas abbekommen - dieses Beispiel ist fast dramatisch -: Die
Empfänger von Arbeitslosengeld II bekommen vom
1. Juli an 2 Euro mehr - nicht pro Tag, sondern pro Monat. Umgerechnet auf den Tag sind das weniger als
7 Cent. Was kann man mit 7 Cent pro Tag so alles anfangen? Ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger bekommt am
Tag 3,33 Euro für Lebensmittel. Ab Juli kann er dann
schon 3,40 Euro für Frühstück, Mittag und Abendbrot
ausgeben, also 1,13 Euro pro Mahlzeit. Aber man muss
die 7 Cent nicht verprassen, man kann sie auch anlegen,
zum Beispiel für die Altersvorsorge. Ich will damit sagen, dass die Steuermehreinnahmen in diesem Land insbesondere zur Stärkung der Menschen, denen es sozial
schlecht geht, verwendet werden sollten und nicht in
eine sinnlose Unternehmensteuerreform investiert werden dürfen.
({2})
Um bei den Zahlen zu bleiben: In Anbetracht dieser
sozialen Wohltaten kann man sich über die schlechten
Umfragewerte der SPD nur wundern. Doch offensichtlich sind immer mehr Menschen der Meinung, dass diese
Politik nicht sozial, sondern zynisch ist. Ich kann Ihnen,
meine Damen und Herren von SPD und CDU, nur empfehlen, in Bremen mit diesen 7 Cent pro Tag für Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu werben. Die Bremerinnen
und Bremer werden dann verstehen, dass der Aufschwung an ihnen nicht vorbeigeht.
Insgesamt kostet die Erhöhung des Arbeitslosengeldes II um 2 Euro rund 150 Millionen Euro. Das ist
- um das ins Verhältnis zu setzen - weit weniger als die
175 Millionen Euro, die der geplante, überdimensionierte Prestigebau des Bundesinnenministeriums kosten
soll. Die Bundesregierung setzt also, wenn es um die
Geldverteilung geht, eindeutige Prioritäten. Diese Prioritäten halten wir für falsch und unsozial.
({3})
Noch ein letztes Wort zum Arbeitslosengeld II. Gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden würden wir eine
Erhöhung auf mindestens 420 Euro im Monat als einen
ersten Schritt betrachten. Damit wird niemand reich;
aber immerhin wäre ein etwas würdevolleres Leben
möglich. Diese 420 Euro pro Monat würden für den
Bund Mehrausgaben von rund 5,8 Milliarden Euro
bedeuten. Doch der Bundesfinanzminister hat für
6 Milliarden Euro eine ganz andere Idee: Diese Summe
will er im Zuge der Unternehmensteuerreform den Unternehmen schenken, die will er ihnen hinterherwerfen.
Dabei kann wirklich keiner erklären, warum wir in
Deutschland die Unternehmensteuern schon wieder senken müssen, wo doch die Wirtschaft brummt wie schon
lange nicht mehr.
Das Problem ist doch, dass nicht mehr die alte Regel
gilt: Geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen
gut. Wir erleben einen geteilten Aufschwung: Sagenhafte Gewinne der DAX-Unternehmen und absurde Gehälter für deren Manager auf der einen Seite, eine zunehmende Verarmung von Menschen, die durch die Politik
der Bundesregierung von jeder Entwicklung abgekoppelt werden, auf der anderen Seite. Das dürfen wir nicht
länger hinnehmen.
({4})
Die Diskussion über die Finanzierung der notwendigen Krippenplätze zeigt, dass der Finanzminister eine
Umverteilung von oben nach unten mit allen Mitteln
verhindern will. Die zusätzlichen Mittel für Krippenplätze sollen nicht aus Steuermehreinnahmen finanziert
werden, nein, der sozialdemokratische Finanzminister
will lieber innerhalb des Systems umverteilen und dafür
das Kindergeld nicht erhöhen. Ich möchte hier in aller
Deutlichkeit sagen, dass sich der Finanzminister nicht zu
schade ist, in dieser Diskussion mit falschen Zahlen zu
hantieren. Was wird da alles zu den Leistungen für Familien gerechnet! Dabei hat zum Beispiel das Ehegattensplitting mit Leistungen für Familien mit Kindern nichts
zu tun.
({5})
Abschließend möchte ich darauf verweisen, dass der
Abbau der Neuverschuldung eine wichtige Aufgabe ist,
aber kein Selbstzweck. Ein ausgeglichener Haushalt ist
kein Zweck an sich. Es wäre wichtig, dass in einem der
reichsten Länder der Welt, in Deutschland, keine Armut
mehr möglich ist.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die offiziellen Zahlen der Steuerschätzung
liegen noch nicht einmal auf dem Tisch, da beantragen
die Linken bereits eine Debatte darüber, wie sie diese
Mehreinnahmen verwenden wollen.
({0})
Ich glaube, das spricht schon für sich und zeigt, dass an
dem in der Öffentlichkeit immer wieder vorhandenen
Vorurteil, die Linken könnten nicht mit Geld umgehen,
ganz offensichtlich doch etwas dran ist.
({1})
Sie tun alles dafür, dieses Vorurteil zu unterfüttern. Ich
danke dennoch, dass es diese Aktuelle Stunde gibt; denn
so haben wir Gelegenheit, einige Sachverhalte vielleicht
doch einmal zu klären.
({2})
Kurz nachdem aus dem Finanzministerium kundgeworden ist, wie die Zahlen in etwa aussehen könnten,
gab es Einlassungen des Bundesfinanzministers, die da
lauteten - so Peer Steinbrück im Deutschlandfunk -,
man dürfe jetzt nicht besoffen werden und die Bodenhaftung verlieren.
({3})
- Wen er damit gemeint hat, weiß ich nicht genau,
({4})
aber bezogen auf die heutige Debatte könnte es sein,
dass es ein bestimmter Teil dieses Hauses war.
({5})
Nun will ich den Linken nicht vorwerfen, dass sie die
Bodenhaftung verloren haben. Wenn man dies nämlich
behauptet, dann würde das voraussetzen, dass sie überhaupt welche hatten. Diesen Vorwurf will ich Ihnen also
nicht machen. Ich will auch keine weiteren Schlussfolgerungen aus diesem Zitat ziehen. Das verbietet der Anstand. Ich kann nur vermuten, dass die Tatsache, dass Sie
heute über dieses Thema diskutieren wollen, ein stückweit Ihrem Mantra geschuldet ist, das Sie immer vor sich
hertragen. Dieses Mantra lautet: Nehmt den Reichen und
gebt den Armen.
({6})
So flach und so platt darf man nicht an jedes politische
Sachthema herangehen. Das ist grundverkehrt. Gerade
bei diesem Thema ist das grottenfalsch, weil kontraproduktiv.
({7})
Warum? Das will ich Ihnen mit einem Zitat des ehemaligen Finanzministers, Herrn Eichel, belegen, der
zwar noch unter uns weilt, aber nicht mehr im Amt ist.
Wenn ein Unionspolitiker einen SPD-Finanzminister zitiert, dann hat das auch eine Bedeutung. Da heißt es:
Nur ein finanziell gesunder Staat kann ein handlungsfähiger Staat sein. Diesen handlungsfähigen,
aktivierenden Staat benötigen gerade die Bedürftigen in dieser Gesellschaft. Haushaltssanierung ist
also ein Gebot der Gerechtigkeit.
({8})
Nur Reiche können sich einen hoch verschuldeten
und damit handlungsschwachen Staat leisten.
({9})
Ein eng begrenzter Ausgabenkurs, niedrige öffentliche Defizite und eine erfolgreiche Rückführung der
Zinszahlungsverpflichtungen sind die notwendige
Voraussetzung für eine dauerhafte Rückführung der
Steuer- und Abgabenlast und mehr Generationengerechtigkeit. Schulden von heute sind Steuern und
Abgaben von morgen.
Ich könnte noch weiter zitieren. Diese lesenswerte
Rede wurde im Jahre 2000 hier in Berlin an der
Humboldt-Universität gehalten. Diese Sätze kann man
nur unterstreichen. Ich empfehle jedem Finanzminister,
sich diese Rede unter das Kopfkissen zu legen und immer wieder nachzulesen.
Was lernen wir daraus? Erstens lernen wir daraus,
dass es nichts nutzt, wenn man sich nur die richtigen
Zielsetzungen gibt. Man muss auch richtig handeln. Es
ist also wichtig, sich die richtigen Ziele vorzunehmen
und die richtigen Sätze zu formulieren. Die daraus resultierenden Handlungen müssen aber genauso richtig sein.
Deshalb sind wir jetzt aufgerufen, entsprechend vorsichtig mit eventuellen Steuermehreinnahmen umzugehen.
Zweitens lernen wir daraus: Diese Rede ist ein typisches Beispiel dafür, wie sehr man geneigt ist, in Zeiten
des Aufschwungs Fehleinschätzungen auf den Leim zu
gehen. Wer die Situation nämlich verkennt und in guten
Zeiten das neue, frisch hereinkommende Geld sofort
verjubelt, der steht in schlechten Zeiten mit leeren Taschen da. Das rächt sich bitterlich.
Allein der Bund hat immer noch 950 Milliarden Euro
Schulden. Gemäß der mittelfristigen Finanzplanung nehmen wir Jahr für Jahr neue Schulden auf. Für diese
Schulden der Vergangenheit bezahlen wir bereits jetzt jedes Jahr 40 Milliarden Euro an Zinsen. Bis zum Ende
dieser Legislaturperiode wird das ein Betrag von 44 Milliarden Euro sein. 4 Milliarden Euro mehr an Zinsen und
nicht für die Tilgung zahlen wir allein in dieser Periode.
Bei einem normalen privaten Haushalt, durch den ein
Haus abbezahlt wird, addieren sich Zins- und Tilgungszahlungen. Hier sind es nur Zinsen ohne Tilgung. Das
heißt, wir bezahlen pro Monat 3,5 Milliarden Euro nur
für Zinsen der Vergangenheit. Das entspricht in etwa
dem Betrag, den die Familienministerin gerne hätte
- nicht pro Monat, sondern insgesamt -, um die Kinderbetreuung zu verbessern. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Insofern verbieten sich vorschnelle
Ausgabefantasien per se.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zur Vergangenheit. Der Saldo der Vergangenheit zeigt, dass wir in
den vergangenen Jahren mehr Geld für Zinszahlungen
ausgegeben als neue Schulden aufgenommen haben.
({10})
Man erhält also durch neue Schulden auch keine neuen
Spielräume für Politik; vielmehr muss man weiter Schulden machen, um die alten und neuen Zinsen zu bezahlen.
Das ist eine widersinnige Politik, die mit der Union bzw.
der Koalition nicht zu machen ist. Wir stehen für Konsolidierung; das ist vernünftig.
Danke.
({11})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin von der
FDP-Fraktion.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
war zunächst etwas in Sorge, als die Linken eine
Aktuelle Stunde zum Thema „Steuerliche Mehreinnahmen zur Entlastung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen und kleinen und mittleren Betrieben“ beantragt haben. Ich habe schon befürchtet, die Linken
wollten jetzt im Programm der FDP wildern und bei uns
abschreiben. Gott sei Dank habe ich bei den Ausführungen der Kollegin Lötzsch schnell gemerkt, dass von
dem, was Sie beantragt haben, nicht mehr die Rede war;
Sie wollen vielmehr neue Wohltaten verteilen. Dafür ist
allerdings kein Geld da.
Wir sollten uns insgesamt freuen, dass die Konjunktur
läuft und Steuermehreinnahmen erzielt werden. Wir haben als FDP bzw. als Opposition allerdings auch festzustellen, dass die Bundesregierung zu der jetzigen Konjunkturlage nicht einen einzigen Beitrag geleistet hat.
({0})
Im Gegenteil: Sie haben die Konjunktur mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer noch gebremst; Sie haben bei
den Bürgern noch weiter abkassiert. Die Steuereinnahmen sprudeln jetzt. Trotzdem haben Sie kein Problem
damit, weiter bei den Bürgern abzukassieren.
Für uns ist entscheidend - das sollte die Lehre aus der
gut laufenden Konjunktur sein -, dass die Regierung alles unternimmt, um die Konjunktur zu stützen und weiter zu verbessern. Doch auch an dieser Stelle sind keine
Maßnahmen der Bundesregierung zu verzeichnen. Wir
haben aber in den Haushaltsberatungen immer wieder
festgestellt: Je besser die Konjunktur läuft - dafür muss
man allerdings etwas tun -, desto höher sind die Steuereinnahmen; dann muss der Bundesfinanzminister nicht
mehr beim Bürger abkassieren.
({1})
Nun ist festzustellen, dass das Koalitionsprogramm
zur Haushaltssanierung längst im Papierkorb gelandet
ist; denn von Schuldenabbau ist nicht mehr die Rede.
Das hat auch der Beitrag eben gezeigt. Es gibt nur noch
Begehrlichkeiten. Wenn der Bundesfinanzminister vorab
mit großem Hurra verkündet, welche Steuereinnahmen
zu erwarten sind, dann muss man sich nicht wundern,
wenn die Kanzlerin wie bei der Gesundheitsreform
plötzlich munter Gelder verteilt, die sie noch gar nicht
hat. Wer so Ausgabenpolitik und Haushaltspolitik betreibt, der muss sich nicht über Begehrlichkeiten der
Bundesministerien wundern und diese kritisieren.
Die Haushaltsrisiken dauern aber nach wie vor an. Allein für den nächsten Bundeshaushalt belaufen sie sich
auf weit über zehn Milliarden Euro. Ich darf bei dieser
Gelegenheit noch einmal darauf hinweisen, dass die
Koalition eine Gesundheitsreform verabschiedet hat, die
zu einer Belastung von 14 Milliarden Euro im Jahr führt,
von denen sie noch nicht weiß, wie sie sie finanzieren
soll.
({2})
Von Haushaltssanierung kann insofern bei Ihnen keine
Rede sein.
Ich will noch eines deutlich machen. Nach Angaben
des Bundesfinanzministers sind für den Bund bis 2011
Mehreinnahmen in Höhe von 100 Milliarden Euro zu erwarten. Ich weise aber darauf hin, dass wir bis 2011 auch
200 Milliarden Euro Zinsen zahlen müssen. Insofern
muss man doch alles unternehmen, um die Schulden des
Bundes abzubauen, die wir alle zu verantworten haben
({3})
und die wir nicht den kommenden Generationen übergeben können.
({4})
Die Koalition streitet zurzeit darüber, wer in welchem
Ministerium das meiste ausgeben kann, und macht sich
gegenseitig Vorwürfe. In diesem Zusammenhang würde
ich gerne etwas mehr zu einem Zitat erfahren, das ich
heute mit großem Genuss gelesen habe. Herr Kauder erklärt:
Während wir uns bemühen, den Haushalt zu konsolidieren,
- er meint die Union wird nebenan mit vollen Händen Geld ausgegeben.
Kauder sagte nach Teilnehmerangaben in der Sitzung
der CDU/CSU-Fraktion, die SPD solle nicht wieder in
alte rot-grüne Verhaltensmuster zurückfallen. Vielleicht
kann der Kollege Carsten Schneider, Obmann der SPD
im Haushaltsausschuss, der nach mir sprechen wird, etwas zu diesen Äußerungen sagen.
Aus der Sicht der freien Demokraten gibt es in einigen Punkten dringenden Handlungsbedarf. Erstens müssen Maßnahmen für den Arbeitsmarkt ergriffen werden,
damit endlich mehr Menschen - auch Langzeitarbeitslose - in Arbeit kommen. Das wäre auch positiv für den
Bundesfinanzminister und würde die öffentlichen Kassen entlasten.
({5})
Zweitens müssen mit den Steuermehreinnahmen die
Schulden des Bundes abgebaut werden. Da gibt es kein
Vertun. Ich habe bereits darauf hingewiesen, wie hoch
die Zinslast ist: 40 Milliarden Euro. Davon müssen wir
herunterkommen. Das sind Verpflichtungen, die wir zu
verantworten haben. Das dürfen wir nicht auf kommende Generationen schieben.
Drittens müssen endlich diejenigen entlastet werden,
die Steuern zahlen. Es sind diejenigen im Mittelstandsbereich, die am meisten durch die hohen Steuern und
Abgaben belastet sind. Ich finde, sie haben es endlich
verdient, entlastet zu werden. Im Übrigen stützte es den
Aufschwung ab, wenn es hier eine Entlastung gäbe.
({6})
Was die Koalition völlig vergisst, ist die Ausgabenseite des Haushalts. Ich wäre sehr dankbar, wenn sich
die Koalition bei den kommenden Haushaltsberatungen
einmal die Ausgabenseite anschaute. Es gehört sich, zu
sehen, dass manches Zierpflänzchen auf der Ausgabenseite ausgerissen werden muss, weil wir es uns nicht
mehr leisten können, dafür Steuergelder auszugeben.
Die Steuerzahler sind so sehr belastet, dass wir auf der
Ausgabenseite etwas tun müssen, um sie zu entlasten.
Dazu war die Koalition bislang nicht in der Lage. Der
Haushalt 2007 sieht im Vergleich zum Haushalt 2006 sogar Mehrausgaben in Höhe von 9 Milliarden Euro vor.
Ich sehe, dass Sie auch für den kommenden Haushalt
weitere Ausgaben planen. Ziel muss aber sein - das ist
machbar -, bereits im kommenden Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Der Bundesbankpräsident
hat darauf hingewiesen. Auch er sagt, das sei möglich.
Wir wollen keine Schulden mehr aufnehmen - das ist
das Entscheidende - und dann Schulden abbauen, um
die Bürger zu entlasten.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Schneider von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die anberaumte Aktuelle Stunde steht unter dem Eindruck der
Steuerschätzung, die diese Woche stattfindet. Der Bundesfinanzminister hat bereits darauf hingewiesen, dass
sich die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen sehr gut
entwickeln. Wir haben zudem sowohl 2006 als auch
2007 ein Wachstum von deutlich über 2 Prozent zu verzeichnen. Das soll sich auch in den Folgejahren fortsetzen. Herr Kollege Koppelin, Sie haben gesagt, das sei
kein Verdienst dieser Regierung. Ich meine hingegen,
dass dies auch ein Verdienst dieser Regierung ist, aber
auch der Vorgängerregierung. Ich weiß nicht, ob Sie gemeint haben, dass es das Verdienst der Vorgängerregierung gewesen sei. Aber klar ist, dass die finanzpolitischen Rahmenbedingungen, die wir unter anderem mit
dem 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm gesetzt
haben, Vertrauen geschaffen und zu einer sehr guten,
nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik geführt haben. Der Bundesregierung ein
Verdienst daran gänzlich abzusprechen, fände ich ein
wenig keck. Aber ich bin mir sicher, dass Sie das noch
einsehen werden.
({0})
Sie wollen die Schulden reduzieren. Hier bin ich auf
Ihrer Seite. Der Bund ist aber noch lange nicht in der
Lage - das hat der Kollege Barthle eindrucksvoll beschrieben -, die Schulden zu reduzieren. Im Gegenteil:
Eine Tilgung ist bisher nicht vorgesehen.
({1})
Seit 1969 macht der Bund Schulden. Derzeit geht er auf
1 Billion Euro Schulden zu. Die Einschränkungen, die
sich aus 40 Milliarden Euro Zinsen jährlich - bei steigenden Zinssätzen - ergeben, sind eindrucksvoll. Daher
kann unser Ziel nur sein, die Mittel, die wir nun konjunkturell bedingt zusätzlich einnehmen - jede gute konjunkturelle Phase geht auch einmal zu Ende; hoffen wir,
dass diese sehr lange dauert -, zu nutzen, die Nettokreditaufnahme, die in diesem Jahr noch bei 19 Milliarden
Euro liegt, zu reduzieren.
({2})
Nun kann man darüber streiten, wie schnell man die
Nettokreditaufnahme herunterfahren soll, wie schnell
man die Null erreichen soll. Sehen Sie es mir als Haushälter nach, dass ich sie gerne sehr schnell hätte. Es gibt
hier sicherlich konkurrierende Interessen. Aber es ist
möglich, im nächsten Finanzplanungszeitraum - wenn
wir uns sehr anstrengen, sogar bis 2009 - unter bestimmten Bedingungen die Milliarden, die wir der gesetzlichen
Krankenversicherung zuführen, im Haushaltsentwurf
2008 gegenzufinanzieren. Herr Koppelin, Sie haben
Herrn Kauder zitiert. Sehen Sie mir nach, dass ich nicht
auch noch die Sitzungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion besuchen kann.
({3})
Klar ist, dass jeder Minister im Rahmen der Ressortanmeldung für die kommenden Jahre sehr viel machen
will. Im Endeffekt muss man alles miteinander abstimmen. Dabei hat der Abbau der Neuverschuldung ganz
klar die höchste Priorität. Für diese Große Koalition, die,
wie viele sagen, keine Liebesheirat war
({4})
- wir haben uns doch schon recht lieb gewonnen, aber es
gibt natürlich immer noch unterschiedliche Auffassungen -, wäre es auch im Sinne einer nachträglichen Legitimation und für eine spätere Sichtweise in Bezug auf die
Qualität der Staatsausgaben in den nächsten Jahrzehnten
ein sehr großer Erfolg, wenn es uns gelänge, hier den
Turnaround zu schaffen.
Wir werden bereits 2008, so vermute ich - zumindest
sagt das der Bundesbankpräsident; ich denke, damit geht
er nicht ganz fehl -, für den Gesamtstaat, also für Bund,
Länder und Gemeinden, eine Neuverschuldung von nahezu null haben. Das heißt, aufgrund der sehr guten Entwicklung der Steuereinnahmen werden auch die Länder
und vor allen Dingen die Kommunen, die jetzt schon
- auch durch die Politik dieser Bundesregierung - Überschüsse haben, in der Lage sein, ihre Kreditaufnahme zu
reduzieren und auf null zu bringen. Meines Erachtens ist
das kein Selbstzweck, so wie Staat an sich kein Selbstzweck ist.
Frau Lötzsch, ich glaube, Sie wollten neben den hier
von Ihnen genannten Ausgaben auch eine Steuersenkung
haben. Beides gleichzeitig mit der Reduzierung der
Schulden - aber das wollten Sie ja auch nicht - geht nun
gar nicht.
Carsten Schneider ({5})
({6})
Da würde mich interessieren, wie Sie das machen wollen.
Ganz klar ist allerdings Folgendes - und das sage ich
Ihnen gerade als Sozialdemokrat -: Derjenige, der einen
Staat haben will, der auch für die Schwachen da ist - die
Zitate, die Herr Barthle aus der Rede von Hans Eichel
gebracht hat, sind vollkommen richtig und nur zu unterstreichen -, muss dafür sorgen, dass die Einnahmen und
die Ausgaben in Einklang gebracht werden.
({7})
Da haben Sie eine Glaubwürdigkeitslücke. Ich bin mir
sicher, dass der Bundesfinanzminister gemeinsam mit
der Kanzlerin einen sehr guten Entwurf für das Jahr
2008 vorlegen wird.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann heute nur feststellen: Der Finanzminister muss endlich seine Strategie ändern, und das ist
gut. Er hat immer gesagt, er werde einen Teufel tun und
nicht sagen, wann der Bundeshaushalt ausgeglichen sein
werde. Angesichts der Steuerschätzung, deren Ergebnis
er nun schon selber ein bisschen vorweggenommen hat,
wird er damit nicht mehr zurechtkommen.
Meines Erachtens kann der Bundeshaushalt am Ende
dieser Legislaturperiode, also 2009, ausgeglichen sein;
alles andere wäre wirklich eine schwache Leistung.
Diese Auffassung will ich Ihnen auch begründen. Ich
hoffe, dass sich insbesondere die Große Koalition, die
hier die Mehrheit hat, dem dann auch stellt.
({0})
Aber bevor ich von dem ausgeglichenen Haushalt
rede, möchte ich noch einmal deutlich machen, warum
das nicht nur so dahergeplaudert ist. Ich gönne auch als
Oppositionsabgeordnete insofern der Regierung die guten Daten, als dies der Gesellschaft zugutekommt. Aber
wenn wir einmal beurteilen, was ein ausgeglichener
Haushalt und das Hinsteuern darauf bedeuten, dann
müssen wir heute zur Kenntnis nehmen, dass wir uns in
ziemlich guten Jahren befinden - das gilt für 2006 und
2007; für 2008 und 2009 wird Gutes vorausgesagt -,
aber schon ein Dutzend europäischer Nachbarländer bereits Überschüsse erwirtschaften.
({1})
Wir hingegen brauchen vier fette Jahre, wenn wir alles
richtig machen, damit wir überhaupt auf die Nulllinie
kommen.
({2})
Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie den Haushalt für
2008 vorlegen, dann brauchen Sie, wenn man damit zufrieden sein soll, die Perspektive, dass im Jahre 2008 nur
noch eine geringe einstellige Milliardennettokreditaufnahme erfolgt und dass der Haushalt 2009 ausgeglichen
sein muss.
Ich sage das vor folgendem Hintergrund. Wenn ich
Carsten Schneider richtig verstanden habe, geht es jetzt
darum, mit dem Finanzminister auszuhandeln, ob
15 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme im nächsten
Jahr ein ausreichendes Ziel ist oder nicht. Bei Steuermehreinnahmen von 90 Milliarden Euro in den nächsten
vier Jahren wäre dies lächerlich und ein Armutszeugnis;
Sie wissen das. 15 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme
im nächsten Jahr trotz eventueller Privatisierungseinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich bedeuteten immer noch eine strukturelle Lücke von 25 Milliarden
Euro. Sie sind noch nicht auf dem richtigen Weg. Sie haben sehr günstige Bedingungen, aber Sie sind bisher
nicht zielstrebig genug, zumindest Herr Steinbrück
nicht.
({3})
Ich will das einmal transparent machen. Wir Grünen
haben immer gesagt, dass es Quatsch ist, in diesem Jahr
19,5 Milliarden Euro Schulden zu machen, und dass
man mehr als 13 Milliarden Euro Schulden gar nicht
aufzunehmen braucht. Das war vor der Steuerschätzung.
Sie wissen selber, dass Sie mit den aktuellen steuerlichen
Mehreinnahmen in diesem Jahr locker an die 10-Milliarden-Grenze herankommen können. Freundlicherweise
rechne ich schon einige Mehrbelastungen durch den Arbeitsmarkt ein. Das heißt, dieses Jahr wird die Nettokreditaufnahme tatsächlich bei 10 bis 12 Milliarden Euro
liegen. Man könnte die Summe bei einiger Anstrengung
schon in diesem Jahr auf einen einstelligen Milliardenbetrag drücken. Das wissen Sie.
Was muss denn dann 2008 passieren? Dann muss die
Zielsetzung für 2008 besser als das Ergebnis von 2007
sein. Sonst sind Sie in den berühmten fetten Jahren auf
einem falschen Kurs. Wir werden die Große Koalition ab
Juni daran messen, ob sie diese gar nicht ehrgeizigen,
sondern selbstverständlichen Konsolidierungsziele stringent verfolgt oder nicht.
({4})
Ich möchte noch ergänzen, dass man sich natürlich
auch fragen muss, warum wir eine so wilde Diskussion
über die Verteilung dieser Steuermehreinnahmen haben,
anstatt sie zur Konsolidierung zu verwenden. Das haben
sich in der Großen Koalition namentlich Herr Steinbrück
und Frau Merkel an den Hut zu stecken. Sie haben nie
den Konsolidierungsbedarf für die nächsten Jahre formuliert. Sie haben in der Finanzplanung einfach 60 bis
80 Milliarden Euro - 80 Milliarden Euro hat der Finanzminister genannt - als Nettokreditaufnahme, also neue
Schulden hineingeschrieben. Sie haben sich letztes Jahr
geweigert, einen Schuldenabbaupfad zu beschreiben.
({5})
Wenn man das macht, dann braucht man sich nicht zu
wundern, dass die anderen Fachminister bei Steuermehreinnahmen denken, ihr Job sei es, diese oder jene Steuermilliarde zu verlangen. Die Strategie, keine langfristige
Konsolidierungslinie beschrieben zu haben, hat erst zu
diesem Wirrwarr geführt.
Ich will Ihnen eines zum Abschluss sagen: Auch wir
Grünen wollen inhaltliche Prioritäten setzen. Wir ruhen
uns nicht darauf aus, nur Konsolidierung zu betreiben.
Für uns steht es außer Frage, dass es Kinderbetreuungsplätze in dem Ausmaß geben muss, wie es Frau von der
Leyen mittlerweile auch erkannt hat. Wir können die
Kinderbetreuung durch eine Veränderung des Ehegattensplittings gegenfinanzieren, wir können sie verfassungsfest machen, und wir können dafür sorgen, dass nicht nur
die Gebäude für Kindergärten gebaut, sondern auch die
Betriebskosten finanziert werden können.
({6})
Dafür brauchen wir Grüne nicht diesen steuerlichen Segen.
Wir halten auch nichts von der aktuellen Streitrunde,
die es gerade zwischen Herrn Steinbrück und Frau von
der Leyen gibt. Wir haben ein gegenfinanziertes Konzept, und wir können deshalb die Steuermehreinnahmen
in die Konsolidierung stecken, also dahin, wohin sie gehören. Das ist das Mindeste, was auch Sie leisten müssten.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Willsch
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss
mich bei diesen Diskussionen immer wieder zwicken,
wenn wir wirtschaftspolitische Ratschläge von denen bekommen, die für das DDR-Regime - hinter uns verlief
die Mauer ({0})
Verantwortung trugen bzw. die die direkten Nachfolger
sind und gezeigt haben, wie man eine Volkswirtschaft
erfolgreich zugrunde richtet.
({1})
Sie kommen jetzt mit Ratschlägen.
({2})
Das ist ein bemerkenswerter Vorgang.
Ich will aber durchaus auf das, was Sie, Frau Lötzsch,
gesagt haben, eingehen. Frau Lötzsch, Sie beantragen,
dass wir das Einkommen von Arbeitslosen erhöhen. Das
halten wir für den falschen Weg. Wir sorgen mit unserer
Politik dafür, dass Menschen in Arbeit kommen und dadurch ihr Brot verdienen. Das ist der Weg, den wir einschlagen, und dafür stellen wir die Rahmenbedingungen.
({3})
Wir sind nicht für das Modell, dass wir möglichst viele
Menschen zu Kostgängern des Staates machen, sondern
wir wollen, dass freie und selbstbestimmte Menschen
am Arbeitsmarkt ihr Einkommen erzielen und davon leben und ihre Familien ernähren können.
({4})
Um hierfür die Weichen zu stellen, werden wir uns
daranmachen, die Unternehmensteuerreform durch dieses Parlament und damit in trockene Tücher zu bringen;
denn es ist wichtig für den Standort Deutschland, dass
hier investiert wird. Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass am Standort Deutschland Arbeit
geschaffen und diese nicht verlagert wird. Dafür ist es
erforderlich, dass wir die nominalen Sätze der Unternehmensteuer senken und eine gewisse Entlastung bringen.
Man kann darauf verweisen, dass nicht alle Mitglieder der Fraktion Die Linke in der SED waren; vielmehr
seien auch neue hinzugekommen. Wenn man sich umschaut, stellt man fest, dass einer dabei ist - man muss
das immer wieder erwähnen, weil es sonst in Vergessenheit gerät -, der selbst Finanzminister war.
({5})
Nach langen Jahren in der Opposition hatte er endlich
eine machtvolle Position inne. Ich meine Ihren Kopiloten Lafontaine. Kaum war er im Amt, hat er „ordentlich
einen draufgemacht“ und ein paar Milliarden Euro ausgegeben. Nach fünf Monaten ist er dann von Bord gegangen; er war kläglich gescheitert. Die neuen Partner,
die Sie sich ausgesucht haben, sind schon kluge Ratgeber.
({6})
Ich will den Blick in die Vergangenheit richten und
auf eine Zeit zu sprechen kommen, an die ich angesichts
der Diskussionen in diesem Hause und in der Öffentlichkeit immer wieder denken muss. In der „taz“ - das ist
nicht mein bevorzugtes Medium - vom 10. November
2000 steht - ich zitiere -:
Kommenden Mittwoch wird die neue offizielle
Steuerschätzung Mehreinnahmen in Milliardenhöhe
verkünden. Einige Politiker in der Koalition sind
nicht davon überzeugt, dass weiter im bisherigen
Tempo gespart werden muss. Eichel gilt so manchem bloß noch als Sparer aus Prinzip.
Auch Eichel selbst wird zitiert: „Die nächste Sparrunde
wird schon schwieriger.“ Das Ziel wird außerdem folgendermaßen beschrieben: „Ab 2007 soll ein Überschuss
in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet werden, um damit die Schulden abzubauen.“
({7})
- Das war in diesem Jahrhundert.
Frau Hajduk, Sie wissen, dass diesen Appellen nicht
gefolgt worden ist. Dadurch sind wir dahin gekommen,
wohin wir gekommen sind: Wir Finanzpolitiker haben
eine desaströse Situation vorgefunden. Im Staatshaushalt
gab es keine Überschüsse; vielmehr mussten wir uns mit
Defizitquoten herumschlagen. Dieses Defizit war von
3,5 Prozent über 3,7 Prozent auf 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gestiegen.
({8})
Jetzt - ich muss sagen: schneller, als ich erhofft und erwartet habe - kommen wir dank der Unterstützung durch
eine gute Konjunktur in eine Phase, die es uns ermöglicht, entschieden daranzugehen, die Schulden abzubauen und diese unerträgliche Last, die wir unseren Kindern aufgebürdet haben, perspektivisch zu verringern.
Frau Lötzsch, Sie haben gesagt, ein ausgeglichener
Haushalt sei kein Selbstzweck. Sie müssen das einfach
einmal auf die häuslichen Verhältnisse kleiner Leute herunterbrechen: Wenn man nicht in guten Zeiten etwas
beiseitelegt, sondern sich am obersten Limit bewegt,
dann fällt man in der erstbesten schwierigen finanziellen
Lage um. Die jetzige konjunkturelle Situation ist nicht
gottgegeben und hält auch nicht ewig an; vielmehr gibt
es immer wieder konjunkturelle Berge und Täler. Das
macht deutlich, dass wir jetzt die Aufgabe bewältigen
müssen, die Staatsausgaben entschieden zurückzufahren,
die Neuverschuldung auf null zu reduzieren und darüber
hinaus die in 30 Jahren aufgetürmten Schulden abzutragen.
({9})
Diesen Weg gehen wir weiter. Wir werden Ihren
Schalmeienklängen nicht folgen. Wir halten es für
falsch, Politik nach dem Motto „Freibier für alle“ zu machen. Wir wollen die Menschen ertüchtigen. Wir wollen
den Arbeitsmarkt dahin gehend unterstützen, dass mehr
Menschen in Arbeit kommen. 860 000 Menschen, die
vor einem Jahr arbeitslos waren, haben Arbeit gefunden.
Das ist ein gutes Zeichen. Diesen Trend wollen wir fortsetzen. Wir wollen weiter daran arbeiten, dass unser
Land zukunftsfähig und fit für eventuell wieder auf uns
zukommende Krisen wird. Wenn wir jetzt, in diesen
konjunkturell guten Zeiten, nicht sparen, dann wird es
uns nie gelingen und dann haben wir unser Ziel verfehlt.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Diskussion, die wir bisher erleben durften, ist schon eigentümlich. Es wird hier mit Milliarden jongliert. Man
betreibt ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger
Konsolidierung. Meine Kollegin Gesine Lötzsch war die
Einzige, die wirklich darüber geredet hat, worum es
geht: um die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
Es ist Fakt: Wir werden einen unwahrscheinlichen Steuerzuwachs haben; Mehreinnahmen von bis zu 200 Milliarden Euro bis 2010 werden vorausgesagt.
({0})
Aber fragen Sie doch einmal: Woher kommt denn dieses Geld? Es kommt aus den Taschen der Bürgerinnen
und Bürger - 3 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung.
({1})
Tun Sie doch nicht so, als ob das irgendwelche Geschenke wären!
Die zweite große Quelle der Steuermehreinnahmen ist
die Lohnsteuer.
({2})
Die dritte Quelle sind die konjunkturellen Belebungen.
Obwohl ich ein gewisses Verständnis für Herrn Minister Steinbrück habe, finde ich es schon etwas eigentümlich, wenn er jetzt vor Begehrlichkeiten warnt. Ich
habe wirklich Verständnis; denn er hat sich selber ein
riesengroßes Überraschungsei gelegt: eine vermurkste,
verkorkste Unternehmensteuerreform. Eines wird diese
Reform aber auf alle Fälle bewirken: eine große Entlastung für große Unternehmen, für die Vermögenden in
diesem Lande.
({3})
Sie sprechen heute davon, dass es durch die Unternehmensteuerreform zu Steuereinbußen von wahrscheinlich
6 Milliarden Euro kommen wird. Die Anhörungen im Finanzausschuss haben aber eindeutig gezeigt, dass das
Wunschdenken ist: Wir müssen mit 10 bis 13 Milliarden
Euro Steuerverlust rechnen. Für diese Steuersenkung haben Sie das Geld, und das in der Situation, dass Deutschland Exportweltmeister ist.
({4})
Wir hatten im vergangenen Jahr eine Steigerung der Exportquoten um 11 Prozent; für dieses Jahr werden mindestens 6 Prozent vorausgesagt. Aber unsere Wettbewerbsfähigkeit ist ja bedroht, und deshalb müssen wir
wieder den großen Unternehmen Steuergeschenke hinterherschmeißen.
Ich sage Ihnen: Die Linksfraktion ist für eine gute
wirtschaftliche Entwicklung,
({5})
und wir sind für Steuersenkungen. Wir waren nicht nur
für die Beibehaltung des Mehrwertsteuersatzes von
16 Prozent, also gegen Ihre Steuererhöhung,
({6})
wir sind auch für Steuersenkungen, um eine gute wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten;
({7})
denn für eine gute wirtschaftliche Entwicklung muss
sich die Bundesrepublik mit ihrer Wirtschaft aus der absoluten Exportabhängigkeit befreien. Sie wissen um die
Risiken, die die Entwicklung in den USA beinhaltet.
Wir brauchen auf alle Fälle eine Stärkung der Binnennachfrage.
({8})
Deshalb begrüßen wir als Linksfraktion ausdrücklich
den Tarifabschluss der IG Metall,
({9})
der aber auch nicht vom Himmel gefallen ist, sondern
der nur durch das entschlossene Handeln der in der Metallindustrie beschäftigten Frauen und Männer erreicht
wurde. Wir fordern deshalb zur Stärkung der Binnennachfrage - und weil man eben von Arbeit leben können
muss - die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.
Herr Minister Steinbrück hat am Wochenende im
Deutschlandradio ausgeführt - ich zitiere -:
Steuereinnahmen eröffnen Gestaltungsspielräume.
Wir müssen gestalten, sonst verlieren wir Zuspruch
und Vertrauen.
Da kann ich ihm nur zustimmen. Sie haben jetzt die
Chance, sofort die Kürzung der Entfernungspauschale
zurückzunehmen und damit vielleicht auch noch ganz
knapp einer Riesenklatsche durch das Bundesverfassungsgericht zu entgehen.
({10})
Sie haben jetzt auch die Chance, an den Einkommensteuertarif zu gehen. Wir werden Ihnen einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten. Der Mittelstandsbauch
muss weg. Wir brauchen einen linear-progressiv gestalteten Einkommensteuertarif, der nach unseren Vorstellungen dann auch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes
beinhaltet. Wir wollen nicht so ein bisschen Reichensteuer, wie die SPD es durchgesetzt hat, sondern die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 50 Prozent. Damit
hätten wir eine reale Steuersenkung, aber nicht für die
großen Unternehmen, sondern für die abhängig beschäftigten Frauen und Männer in diesem Land.
({11})
Wir hätten dann auch eine Steuersenkung für die vielen
kleinen Unternehmer und Unternehmerinnen, die als
Personenunternehmen in diesem Lande viele Arbeitsplätze schaffen und noch sehr gut dastehen, was die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen betrifft.
Wir fordern auch - das sage ich Ihnen in aller Klarheit -, dass man endlich an die Berechnung des soziokulturellen Existenzminimums realitätsnah herangeht, so
wie es sein muss. Wir hatten vorhin in der Fragestunde
des Bundestages die Möglichkeit, den Parlamentarischen Staatssekretär Storm dazu zu hören. Ich finde es
nicht nur abenteuerlich, grotesk, eigentlich zynisch,
wenn er begründet, dass man aufgrund der konjunkturellen Entwicklung im Rahmen der Haushaltsberatungen
für 2008 über eine BAföG-Erhöhung reden kann. Was ist
denn BAföG? Das ist doch kein Spielball, den wir hier
benutzen können, so wie Geld in der Kasse ist. Das ist
das Existenzminimum, das sicherstellen soll, dass junge
Menschen, deren Eltern sich die finanzielle Unterstützung nicht leisten können, überhaupt studieren können.
Brot, Butter und die Miete kosten etwas; das hängt doch
nicht davon ab, ob die Weltkonjunktur läuft oder nicht.
Ihr Bericht zum Existenzminimum - den wir zum
Glück immer bekommen - ist wirklich schöngerechnet
bis zum Gehtnichtmehr. Es ist notwendig - das sagen Ihnen alle Verbände sowie viele ernsthafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler -, das Existenzminimum neu
und realitätsnah zu ermitteln.
Das betrifft auch das Kindergeld. Es ist doch einfach
nur widersinnig, wenn Herr Steinbrück immer wieder
die Überlegung in die Öffentlichkeit trägt, eine Verbesserung der Kinderbetreuungsinfrastruktur durch eine
Nichterhöhung des Kindergeldes vorzunehmen. Kindergeld ist vom Ansatz her das steuerfrei zu stellende Existenzminimum von Kindern. Da kann man doch nicht
einfach sagen, wir lassen das mit der Erhöhung um
10 Euro und bauen stattdessen mehr Kinderkrippen.
Nein, dieser Betrag steht den Eltern zu; er darf nicht zum
Spielball des Finanzministers werden.
({12})
Wir schlagen Ihnen folgendes Vorgehen vor: Machen
Sie da Steuersenkungen, wo es notwendig ist! Beseitigen
wir gemeinsam den Mittelstandsbauch! Dafür haben wir
jetzt auch kurzfristig die Möglichkeiten. Wir können dadurch die Binnennachfrage stärken. Dann sollten Sie
sich daranmachen - das ist aus unserer Sicht wirklich
notwendig -, die Schieflage in der Steuererhebung zu
beseitigen, damit endlich auch wieder Vermögende und
Besitzende in diesem Land entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zum Steuerzahlen herangezogen werden.
Sprich: Wir brauchen eine wirkliche Reform der Erbschaftsbesteuerung und die Wiedereinführung der VerDr. Barbara Höll
mögensteuer. Bei der Tarifgestaltung mit einem Spitzensatz von 50 Prozent wird natürlich nicht - dafür stehen
wir - die Verkäuferin oder der Facharbeiter betroffen
sein. Diese wollen wir entlasten. Mehr belasten wollen
wir die Manager,
({13})
die ja selbst laut „Handelsblatt“ keinen richtigen Anteil
an dem konjunkturellen Aufschwung haben, da sie für
sehr viel Geld sehr schlecht arbeiten.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ortwin Runde von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer die finanzpolitischen Debatten der letzten zwei
Jahre Revue passieren lässt, kann sich ein Schmunzeln
nicht verkneifen. Ich denke da zum Beispiel an die FDP.
Wer von Ihnen hätte erwartet, dass ein solcher Aufschwung der deutschen Wirtschaft und ein solcher
Wachstumsschub zustande kommen, ohne dass ein einziger Vorschlag der FDP bedacht worden ist?
({0})
Wer hätte das wirklich für möglich gehalten? Das sollte
einen doch nachdenklich stimmen: ein Aufschwung
ohne einen einzigen Impuls vonseiten der FDP,
({1})
ohne Kündigungsschutzabbau, ohne zusätzliche Deregulierung des Arbeitsmarktes, ohne ein riesiges Unternehmensteuersenkungsprogramm in einer Größenordnung
von 20 bis 30 Milliarden Euro.
({2})
Das ist doch ganz erstaunlich: Der Aufschwung ist da der stärkste Wachstumsschub seit der deutschen Einheit
und damit einhergehend sprudelnde Steuermehreinnahmen.
Wer von denen, die in der PDS-Nachfolge stehen, hätte
erwartet, dass man mit wachstumsorientierter Haushaltspolitik und mit solider Finanzpolitik eine Politik machen
kann, die ohne zusätzliche steuerliche Anschübe im
Portemonnaie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ankommt? Die Verbesserung der Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Sie hier zum
Thema gemacht haben, wird doch durch Tarifabschlüsse
realisiert. Der im Baubereich ist zwar noch umstritten,
weil sich die Arbeitgeber streiten und noch zögern, aber
der im Metallbereich mit 4,1 Prozent ist doch sehr erfreulich. Das ist die richtige Form der Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an unserem Wirtschaftssystem.
({3})
Es handelt sich schon um eine merkwürdige Staatsfixierung, die hier bei Ihnen durchschlägt.
({4})
Es ist wahrscheinlich auch nicht ohne Grund so, dass
weder Oskar Lafontaine noch Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitiker hier reden, sondern Ihre Verteilungspolitiker. Das unterscheidet diesen Zyklus von früheren, wo
wir noch ganz andere Reden gehört haben. Die Lehre
von Keynes muss man also in beide Richtungen anwenden. Das heißt, in Krisen- bzw. Rezessionszeiten bedarf
es gewisser Wachstumsimpulse; aber dann, wenn man
entsprechendes Wachstum hat, bedarf es auch entsprechender Konsolidierung.
({5})
Dies vergessen Sie. Davor büxen Sie aus.
Dabei muss ich aber fairerweise sagen: Die rot-rote
Koalition in Mecklenburg-Vorpommern hat schon im
Jahre 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt.
Auf die Jungs und Mädchen hatten Sie offenbar nicht
den richtigen Einfluss, wie es scheint.
({6})
Da hat sich Sigrid Keler durchgesetzt. Dort ist vernünftige Finanzpolitik im System des solidarischen Föderalismus gemacht worden. Das ist wirklich eine erstaunliche
Leistung. Dazu herzliche Gratulation! Die nachfolgende
rot-schwarze Koalition hat das für 2007 nachgemacht,
unter etwas leichteren Bedingungen. Insofern sind wir da
in einem Boot.
Wenn man zurückdenkt: Wer hätte in der Union, speziell 2005, erwartet, dass man mit einer kalkulierten Gratwanderung in Bezug auf die Maastrichtkriterien - Sie
werden sich an unsere Maastrichtdiskussionen erinnern und auf Art. 115 Grundgesetz erfolgreiche Wachstumspolitik machen kann? Auch da muss man bei der Selbstbetrachtung ins Schmunzeln geraten.
Ganz nebenbei mit einem gewissen Augenzwinkern:
Wer unter den Koalitionskollegen hätte ernsthaft erwartet, dass der CSU-Bundeswirtschaftsminister mit der
PDS-Nachfolge kuschelt, was die Auswahl des Themas
der Aktuellen Stunde angeht?
Damit aber zu dem, was wir im Auge behalten müssen, wenn wir weiterhin erfolgreiche Finanzpolitik machen wollen. Dazu gehört natürlich auch der Umgang
mit der erfreulichen Steuerentwicklung. Haushaltskonsolidierung ist nie allein durch Sparen möglich gewesen,
sondern sehr viel mehr durch Wachstumsimpulse und
die daraus folgenden sprudelnden Steuereinnahmen. Das
muss uns allen sehr deutlich sein. Es darf zukünftig
keine Politik der ungedeckten Schecks geben. In dem
Zusammenhang ist an die Gesundheitsreform zu erinnern; was da nicht abgedeckt ist, gilt es abzudecken.
({7})
Das nächste Stichwort: Kitaplatzausbau und Krippenplatzausbau. Angesichts der Finanzsituation auch der
Länder sind diese durchaus in der Lage, ihren Anteil
beim Krippenausbau zu leisten. Das müssen sie auch
tun. In dem Zusammenhang verweise ich auf die Erbschaftsteuer. Das ist aus Gründen der Generationengerechtigkeit eine solide Finanzierungsquelle, die eine
weitere Neuverschuldung verhindert, wodurch die solide
Haushaltspolitik gewahrt bleibt.
Herr Kollege Runde, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir müssen in die Zukunft investieren. Das gilt für
den Bereich Bildung und für die Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, damit wir unsere
Nachfrage nach Arbeitskräften aus dem einheimischen
Reservoir der Arbeitslosen decken können. Das gilt natürlich auch für solche Themen wie Umweltkatastrophen.
Herr Kollege Runde, bitte!
Wenn wir eine solche solide Politik machen, dann
werden wir mit Sicherheit auch bald einen ausgeglichenen Haushalt haben,
({0})
sofern sich die Konjunktur weiterhin so erfolgreich entwickelt.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Fuchs von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrte
Frau Höll, auf Bundesebene die Ratschläge einer Partei,
die im Berliner Senat massive soziale Einschnitte mitgetragen hat, zu hören, fällt mir ein bisschen schwer.
({0})
Ich habe vor kurzem mitbekommen, dass der von Ihnen getragene Senat beschlossen hat, die Senatspost jetzt
durch eine Privatfirma austragen zu lassen. Diese Firma
zahlt Löhne in der Größenordnung von Hartz IV.
({1})
Deshalb wird noch eine Aufstockung in Anspruch genommen. Damit nutzen Sie obendrein auch noch den
Bundeshaushalt aus.
({2})
Das hat Ihre Partei in Berlin zu verantworten. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weswegen sich die
WASG von Ihnen abgespalten und neu gebildet hat. Eine
solche Politik konnte sie anscheinend nicht mittragen.
Aber Ihre Ratschläge auf Bundesebene brauchen wir
nicht.
({3})
Verehrte Frau Kollegin Lötzsch, geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen gut. Das ist völlig richtig.
({4})
Sie sehen es in diesem Jahr. Wenn es der Wirtschaft gut
geht, schafft sie Arbeitsplätze. Wir haben innerhalb eines
Jahres rund 800 000 neue Arbeitsplätze geschaffen, die
meisten im sozialversicherungspflichtigen Bereich. Damit geht es den Menschen gut. Den Menschen Arbeitsplätze zu verschaffen, das ist die beste Politik, die man
machen kann.
({5})
Geht es der Wirtschaft gut, dann zahlt sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch deutlich höhere
Löhne.
({6})
Wir haben Lohnerhöhungen, wie wir sie seit Jahren nicht
kannten: im Metallbereich 4,1 Prozent, im Chemiebereich rund 4 Prozent. Diese Lohnerhöhungen kommen
nur zustande, weil es der Wirtschaft endlich wieder gut
geht.
Die Wirtschaft zahlt Steuern, wenn es ihr gut geht.
({7})
Ich will als Beispiel die Stadt Frankfurt nennen. Sie hatte
für das letzte Jahr mit 900 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen geplant, hat aber mehr als 1,5 Milliarden Euro eingenommen. Wer zahlt denn diese Steuern?
Diese Steuern zahlt ausschließlich die Wirtschaft. Frankfurt ist nur ein Beispiel, die gleiche Situation haben wir
in ganz Deutschland. Viele Kommunen schwimmen auf
einmal wieder im Geld. Das haben sie doch seit Jahren
nicht mehr gekannt, und das liegt daran, dass es der
Wirtschaft gut geht. Die gute wirtschaftliche Entwicklung trägt dazu bei, dass die Gesamtlage in Deutschland
so gut ist wie schon seit langer Zeit nicht mehr.
({8})
- Das können Sie nicht hören. Ich kann verstehen, dass
Sie den Saal verlassen müssen, weil Sie die Wahrheit
nicht hören können. Sie machen den Leuten mit Ihrem
gnadenlosen Populismus die ganze Zeit nur etwas vor
und verlangen Dinge, von denen Sie genau wissen, dass
sie nicht finanzierbar sind.
({9})
Wir wollen endlich wieder eine solide Haushaltspolitik. Wir wollen endlich wieder Haushalte ohne Neuverschuldungen und Nettokreditaufnahmen. Das ist
notwendig, weil wir allein auf Bundesebene 950 Milliarden Euro Schulden haben. Was das bedeutet, hat der
Kollege Barthle schon angesprochen. Dieser hohe
Schuldenstand birgt gewaltige Zinsrisiken. Wenn als
Folge der jetzt gut laufenden europäischen Konjunktur
die Europäische Zentralbank gezwungen sein könnte
- das steht zu befürchten -, den Eckzins weiter anzuheben, hätten wir gewaltige Mehrausgaben im Haushalt.
Deshalb können wir uns zusätzliche Geschenke aus der
Wunderkiste oder das Wunschkonzert der Linken nicht
leisten, und wir werden entsprechende Forderungen
auch nicht erfüllen. Wir wollen die bisherige Politik
nach dem Motto „Kinder haften für ihre Eltern“ nicht
mehr.
({10})
Neue Nettokreditaufnahmen bedeuten nichts anderes als
eine Politik, bei der die Kinder für ihre Eltern haften
müssen. Wir müssen doch alle einsehen, dass wir so
nicht mehr agieren können.
Ich weiß aber, wo wir etwas tun können. Ich weiß,
wie wir sowohl den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch den Arbeitgebern Entlastung bringen können. Durch die gute Konjunktur läuft natürlich auch die
Sozialversicherung deutlich besser. Die Bundesagentur
für Arbeit in Nürnberg hat Einnahmen wie seit langer
Zeit nicht mehr. Sie hat im letzten Jahr einen Überschuss
von 11,3 Milliarden Euro erzielt. Wir haben die Beiträge
von 6,5 auf 4,2 Prozent gesenkt und gingen davon aus,
liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Nürnberg deshalb
in diesem Jahr 4,3 Milliarden Euro Verlust machen
würde, dass also die 11,3 Milliarden Euro auf 7 Milliarden Euro abschmelzen würden. Was ist passiert? Die
neuesten Zahlen zeigen, dass die Bundesagentur in diesem Jahr sogar einen weiteren Gewinn in der Größenordnung von annähernd 3 Milliarden Euro erzielen wird,
was bedeutet, dass wir die Beiträge weiter senken können.
({11})
Wir sollten das Geld nicht in irgendwelche Programme
stecken, sondern die Beiträge in Nürnberg deutlich weiter senken. Das kommt den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ebenso wie den Arbeitgebern zugute, und
das ist die beste Wirtschaftspolitik, die wir machen können. Wir sollten dieses Ziel gemeinsam anstreben. Ich
weiß, dass wir solche vernünftigen Konzepte in der Großen Koalition auch fahren werden.
({12})
Das Wort hat der Kollege Andreas Steppuhn von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hört sich zugegebenermaßen gut an, wenn man
den Menschen im Land suggeriert, man wolle Steuermehreinnahmen dazu verwenden, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie kleine und mittelständische
Unternehmen zu entlasten. Das hat aber schon etwas mit
Populismus zu tun. Ich glaube, diese Politik wäre nicht
nur falsch, sondern sie würde, falls man sie umsetzt, den
Menschen auf Dauer mehr schaden als nutzen.
Meine Damen und Herren von der Linkspartei, anscheinend blenden Sie die Staatsverschuldung komplett
aus. Ich finde das schade; denn die Folge Ihrer Forderung wäre - das ist schon gesagt worden -, dass die
Staatsverschuldung weiter zunehmen und damit zukünftigen Generationen aufgebürdet würde. Es gäbe keine
weiteren Spielräume für wichtige Zukunftsinvestitionen.
({0})
Besser ist es, dass wir klug investieren und die positive
konjunkturelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sinnvoll flankieren, damit der Aufschwung, unser Aufschwung, weitergeht.
Zum ersten Mal seit vier Jahren haben wir weniger als
4 Millionen arbeitslose Menschen in Deutschland. Hierauf sind wir stolz. Ich möchte an dieser Stelle betonen:
Das ist ein Erfolg sozialdemokratischer Politik.
({1})
- Sie können ja mitwirken. - Diese positiven Zahlen
sind für uns gemeinsam Bestätigung und Ansporn zugleich. Es ist unser Ziel, dass dieser Aufschwung ein
Aufschwung für alle wird.
Die Menschen in Deutschland sollen und müssen an
diesem Aufschwung teilhaben. Die beste Teilhabe ist es,
dass es in diesem Jahr in möglichst vielen Branchen zu
kräftigen Einkommenszuwächsen kommt.
({2})
Schließlich sind es die Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die in den Fabrikhallen, in den
Büros, in den Dienstleistungsunternehmen und in den
Handwerksbetrieben tätig sind, die diesen Aufschwung
maßgeblich mit erarbeitet haben. Es waren nicht die Unternehmer alleine.
Wir Sozialdemokraten wollen in dieser Regierungskoalition dafür sorgen, dass die Menschen mit ihren
Familien von ihrem Lohn eigenständig leben können.
Deshalb brauchen wir in Deutschland dringend Mindestlöhne. Aber wir brauchen auch verbesserte tarifliche
Einkommensbedingungen.
({3})
Das ist Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Beim
Thema Mindestlöhne liegen die Fakten auf dem Tisch,
meine Damen und Herren von der Union. Wir Sozialdemokraten sind für Mindestlöhne. Jetzt muss auch unser Koalitionspartner endlich klar sagen, was er will, und
nicht ständig, was er nicht will.
({4})
Die Zeit, meine Damen und Herren von der Union, ist
dafür reif.
Wir als Sozialdemokraten wissen - hören Sie gut
zu! -, dass die übergroße Mehrheit der Menschen in
Deutschland beim Ruf nach Mindestlöhnen hinter uns
steht. Meine Damen und Herren von der Union, Sie sollten jetzt mit uns gemeinsam handeln. Es wäre schlimm
für die Menschen in Deutschland, wenn es erst eines
Wahlkampfes bedürfte, um Mindestlöhne in Deutschland politisch umzusetzen.
({5})
Trotz der erfreulichen Mehreinnahmen wächst unser
Schuldenberg noch immer weiter an. Dies ist eine Tatsache, die wir nicht vergessen sollten. Wir sind noch weit
davon entfernt, Schulden abzubauen.
({6})
Klar ist aber auch, dass wir noch weiter in Zukunftsbereiche investieren wollen und dies auch tun werden. Der
Ausbau der Kinderbetreuungsplätze - das ist schon genannt worden - und die Erhöhung der BAföG-Sätze sind
nur zwei Politikbereiche, die für uns als Sozialdemokraten höchste Priorität haben. Allein für das BAföG - unser Fraktionsvorsitzender hat es gestern öffentlich schon
deutlich gemacht - wollen wir im kommenden Jahr
290 Millionen Euro in die Hand nehmen, um die Studienförderung zu erhöhen. Das ist für uns Zukunftsinvestition. Wir investieren in die Bildung unserer Jugend und
damit auch in die Zukunft unseres Landes.
Aber auch das Programm zur energetischen Gebäudesanierung macht deutlich, wie man mit steuerlichen Erleichterungen Investitionen auslösen
({7})
und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen kann.
({8})
Auch denken wir beispielsweise zurzeit darüber nach
- Laurenz Meyer nickt -, im Bereich der energetischen
Gebäudesanierung die Möglichkeit zu eröffnen, mithilfe
neuer Fördermechanismen öffentliche Gebäude wie
Schulen und Rathäuser zu sanieren.
({9})
Das bisherige Programm wird jetzt um 500 Millionen
Euro aufgestockt.
Im Übrigen unterscheidet dies uns Sozialdemokraten
vom Bundeswirtschaftsminister, der einen abenteuerlichen Osterausflug in die Steuerpolitik unternommen hat.
({10})
Damit wir uns hier nicht falsch verstehen. Ich stimme
mit Herrn Glos in einem Punkt überein: Die Politik hat
dafür Sorge zu tragen, dass das Geld bei den Bürgern in
der Tasche bleibt; denn sie verdienen und erwirtschaften
es. Ich stimme mit Herrn Glos aber nicht darin überein,
dass dies durch Steuersenkungen mit der Gießkanne geschehen muss. Wer behauptet, es sei höchste Zeit dafür,
den möchte ich daran erinnern, dass die letzte Lohn- und
Einkommensteuersenkung noch unter der rot-grünen Regierung gemacht wurde, also noch gar nicht so lange her
ist.
Was Deutschland braucht, sind Investitionen in Forschung und Bildung, aber auch in Arbeitsplätze. Sichere
Arbeitsplätze und gute Bezahlung sind das, was sich die
Menschen in unserem Lande wünschen und was sie von
uns und von der Politik insgesamt erwarten. Wir Sozialdemokraten werden hierzu - hoffentlich gemeinsam mit
der Union - die Weichen stellen. Deshalb danke ich der
vereinigten Linken herzlich dafür, dass sie uns die Gelegenheit gegeben hat, heute diese Diskussion zu führen
und deutlich zu machen, wo wir politisch stehen.
({11})
Meine Damen und Herren, der Aufschwung ist da.
Wir wollen, dass er ein Aufschwung für alle Menschen
in Deutschland wird.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Frau Höll: Sie haben eindrucksvoll ausgeführt, dass es Steuermehreinnahmen gebe. Das ist unbestritten, auch wenn wir die genaue Schätzung noch
nicht kennen. Sie haben richtigerweise auch gesagt, dass
die Arbeitnehmer - ich ergänze: auch die Arbeitgeber,
also die Unternehmen - für diese Steuermehreinnahmen
verantwortlich sind. Dabei bleibt es aber auch schon,
wozu ich Ihnen recht geben möchte.
Stefan Müller ({0})
Ich will feststellen - denn es ist wichtig, zu sagen,
warum es so ist, dass wir in diesem Jahr Steuermehreinnahmen haben -:
({1})
Dass wir in diesem Jahr Steuermehreinnahmen haben,
liegt in erster Linie daran, dass 600 000 Menschen mehr
als im letzten Jahr Arbeit haben. Dies liegt auch daran,
dass die Unternehmen wieder in Deutschland investieren.
({2})
Ich finde, die Tatsache, dass wir 600 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr
haben, ist ein Grund, sich zu freuen. Es stände Ihnen gut
zu Gesicht, wenn Sie hier einmal sagen würden, dass Sie
sich mit diesen 600 000 Menschen freuen, die endlich
wieder von eigener Arbeit leben können.
({3})
Lieber Kollege Koppelin, ich muss mich über die
FDP manchmal wundern. Auf der einen Seite sagen Sie,
die Steuermehreinnahmen müssten den Menschen zurückgegeben werden,
({4})
man brauche Steuersenkungen. Auf der anderen Seite sagen Sie, natürlich müsse auch der Haushalt konsolidiert
werden.
({5})
Gleichzeitig fragen FDP-Kollegen in den Ausschüssen,
ob man nicht im Haushalt für dieses oder jenes, zum
Beispiel für die Kindertagesbetreuung, Geld bereitstellen könne: der Bund solle nicht so kleinlich sein, er
könne die Länder und Kommunen nicht im Regen stehen
lassen.
({6})
Das geht so nicht.
({7})
Lieber Kollege Steppuhn, ich gebe zu, ich wäre geneigt, zu dem einen oder anderen Punkt Ihrer Ausführungen etwas zu sagen. Ich will dies aufgrund der großkoalitionären Klimapflege nicht tun, darf Ihnen aber
versichern: Ich persönlich stimme nicht mit allem überein, was Sie hier vorgetragen haben.
({8})
Lieber Kollege Koppelin, ich möchte einräumen, dass
auch ich mich über das Thema der heutigen Aktuellen
Stunde, wie die steuerlichen Mehreinnahmen zur Entlastung von Arbeitnehmern und kleinen und mittleren Betrieben genutzt werden sollen, gewundert habe. Es ist
richtig, dass die Linke bisher nicht durch besonders
große Initiativen zugunsten der deutschen Wirtschaft
aufgefallen ist - mir jedenfalls nicht. Insofern wäre es
unglaubwürdig gewesen, wenn man dazu dem Thema
entsprechend etwas gesagt hätte. Daher war es natürlich
völlig konsequent, dass Sie, Frau Kollegin Lötzsch, wieder Ihr Lieblingsthema vorgebracht haben, nämlich zu
sagen: Wir brauchen eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II.
({9})
Jede Aktuelle Stunde wird von Ihnen dazu missbraucht
- auch wenn das Thema ein ganz anderes ist -, dies aufzugreifen. Das zeigt Ihre Denkweise: Ihnen ist es wichtiger, dass die Menschen von staatlicher Fürsorge abhängig bleiben, als dafür zu sorgen, dass die Menschen
wieder Arbeit haben und von ihrer eigenen Arbeit leben
können.
({10})
Richtig ist: Wer Arbeitsplätze schaffen will, braucht
dafür Arbeitgeber. Damit Arbeitgeber wieder Arbeitsplätze anbieten können, brauchen wir eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft.
({11})
In diesem Zusammenhang hat die Große Koalition schon
einiges in die Wege geleitet, und es wird noch einiges
passieren. Ich will nicht all das aufführen, was wir gemacht haben: Das reicht von der Entbürokratisierung bis
hin zur Senkung der Lohnzusatzkosten. Auch da haben
wir im vergangenen Jahr entsprechende Weichen gestellt.
({12})
Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung ist von
6,5 Prozent im letzten Jahr auf 4,2 Prozent in diesem
Jahr gesunken.
({13})
Es ist ja so: Wir haben aufgrund dessen, dass die gute
Arbeitsmarktlage und die gute wirtschaftliche Entwicklung dafür sorgen, dass wir tatsächlich Steuermehreinnahmen haben werden, natürlich ein Luxusproblem.
Es ist immer die Rede von 200 Milliarden Euro. Man
sollte vielleicht einmal dazusagen, wie sich diese
200 Milliarden Euro zusammensetzen und welchen Zeitraum das betrifft: 200 Milliarden Euro kumuliert bis
2011. Es ist noch zu berücksichtigen, dass die Steuermehreinnahmen nicht für alle gleich hoch sind. Der
Bund profitiert jedenfalls im Verhältnis zu den anderen
Gebietskörperschaften gar nicht so viel davon. Am meisten profitieren die sozialen Sicherungssysteme.
Ich möchte an das anschließen, was Kollege Fuchs
schon angesprochen hat. Besonders die gute Arbeitsmarktentwicklung sorgt dafür, dass bei der Bundesagentur für Arbeit die Ausgaben weiter sinken und die Einnahmen weiter steigen. Ich kann mich dem nur
Stefan Müller ({14})
anschließen: Die Bundesagentur für Arbeit ist keine Vermögensverwaltung. Wenn es auch in diesem Jahr und in
den nächsten Jahren finanziellen Spielraum dafür gibt,
die Beiträge zu senken, dann sollten wir das auch tun.
({15})
Das Geld gehört nicht irgendeiner Organisation wie der
Bundesagentur, sondern den Beitragszahlern, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Arbeitgebern. Denen ist es zurückzugeben.
({16})
In dieser Debatte ist eines klar geworden: Es gibt
keine großen Wohltaten zu verteilen. Jeder Euro mehr
Steuereinnahmen muss dazu verwendet werden, die
Neuverschuldung des Bundeshaushaltes zu reduzieren.
({17})
Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile
ich das Wort dem Kollegen Garrelt Duin von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bayerischer Philosoph
({0})
- Sie werden gleich wissen, wen ich meine - hat vor einigen Jahren die Frage gestellt: Ja, ist denn heute schon
Weihnachten? Ich bin Peer Steinbrück sehr dankbar, dass
er heute im „Tagesspiegel“ - es steht schon in der Überschrift des Artikels; Sie können es nachlesen, sofern Sie
es noch nicht gelesen haben - deutlich gemacht hat: „Es
ist nicht Weihnachten.“
({1})
Man hat in dieser Diskussion manchmal den Eindruck, als ob es einen Wettbewerb gebe, wer die schöneren Geschenke aussucht.
({2})
Wenn jemand hoch verschuldet ist und zu ein bisschen Geld kommt, dann sollte er es zum Schuldenabbau
verwenden und keine teuren Geschenke kaufen.
({3})
Das würde zwar die Beschenkten freuen, die Situation
des Schenkenden aber leider überhaupt nicht verbessern.
({4})
Trotz des Aufschwungs hat sich die Lage, in der wir
sind, nicht wirklich verändert. 1 500 Milliarden Euro
Schulden bleiben. Wir können nur, sobald es geht, eine
Senkung der Nettoneuverschuldung auf null erreichen.
Wer jetzt Geschenke in Aussicht stellt, wird nicht nur
diesem Ziel nicht gerecht, sondern erweckt auch Erwartungen, die er am Ende nicht erfüllen kann.
({5})
Damit produziert er unnötige Enttäuschungen.
Wer diesen Aufschwung zu verantworten hat, ist eine
vieldiskutierte Frage. Die einen sagen, dass es die Große
Koalition ist. Wir finden, zu Recht darauf hinweisen zu
dürfen, dass auch die Vorgängerregierung vieles auf den
Weg gebracht hat. Aber vor allem - da stimme ich meinen Kollegen Ortwin Runde und Andreas Steppuhn zu waren es die Bürgerinnen und Bürger selbst, waren es
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem
Land, die durch manche hier nach schwierigen Diskussionen getroffene Entscheidung, aber vor allen Dingen
durch Lohnzurückhaltung dazu beigetragen haben. Dass
sie jetzt im Rahmen von Tarifverhandlungen und entsprechenden Ergebnissen an diesem Aufschwung teilhaben, ist mehr als richtig.
Wir als Sozialdemokraten wollen Aufschwung für
alle und Geld ins Portemonnaie.
({6})
Da gibt es zwei Varianten, Herr Koppelin; das ist wahr.
Die eine Variante ist die, die vorhin schon beschrieben
wurde. Diese halten wir für die richtige. Im Rahmen von
Tarifverhandlungen sollen ordentliche Löhne ausgehandelt werden. Dadurch haben die Menschen mehr Geld
im Portemonnaie.
({7})
Die falsche Variante wäre, es über Steuersenkungen zu
machen und damit die Handlungsfähigkeit des Staates
nachhaltig zu beschädigen.
({8})
Ich darf Ihnen noch einmal sagen, was Bundesbankpräsident Weber dazu gesagt hat. Er hat gesagt - ich zitiere -:
Das Gebot der Stunde ist: unbedingt auf Konsolidierungskurs bleiben und hierbei den Rückenwind
der guten Konjunktur stärker nutzen.
Der Weg zu nachhaltig soliden Staatsfinanzen sei
noch weit, sagte Weber. Raum für finanzpolitische
Wohltaten wie etwa Steuersenkungen gebe es nicht. Diesen Worten des Bundesbankpräsidenten kann man sich
nur anschließen. Alles andere wäre unverantwortlich.
({9})
Ich bin zurzeit 39 Jahre alt. Vielleicht sehe ich heute
ein bisschen älter aus; das liegt dann an der Spargelfahrt.
Der Kollege Carsten Schneider ist ja noch viel jünger.
Unsere Generation steht der Tatsache gegenüber, dass
Generationen von Verantwortungsträgern in Deutschland uns bereits eine immense Menge an Schulden aufGarrelt Duin
gebürdet haben. Wir, die wir jetzt in Verantwortung
kommen, müssen damit umgehen.
Wir dürfen diese Fehler, die in der Vergangenheit
- völlig egal, von welcher Partei - gemacht worden sind,
aber nicht wiederholen. Man kann es auch anders formulieren: Man darf den gleichen Mist nicht noch einmal
bauen.
({10})
Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass wir
jährlich rund 40 Milliarden Euro Zinsen zahlen. Das ist
mehr Geld, als die Bundesministerien des Innern, für
Wirtschaft und Technologie, für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, für Gesundheit, für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie für Bildung und Forschung zusammen ausgeben.
Dieses Ungleichgewicht dürfen wir nicht noch steigern. Hier müssen wir in der Tat der Konsolidierung unseres Haushaltes im Sinne der Handlungsfähigkeit des
Staates Vorrang einräumen.
Einen letzten Punkt möchte ich hier zum Abschluss
noch einmal deutlich machen. Seit der Föderalismusreform haben wir klare Regeln, wer was machen darf, wer
was machen soll und wer was machen muss. Die Länder
wollten das so haben, wie es jetzt geregelt ist.
({11})
Vor diesem Hintergrund kann ich manche Klagen und
Forderungen nicht nachvollziehen. Der Aufschwung findet ja nicht nur im Bund statt, sondern genauso in den
Ländern und Kommunen. Deren Aufgaben können nicht
immer wieder zulasten des Bundes bei uns abgeladen
werden. Vielen Dank.
({12})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 10. Mai 2007, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.