Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/28/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union beschlossen. Mit diesem Gesetzentwurf sollen elf EURichtlinien umgesetzt werden. Im Wesentlichen geht es um die Harmonisierung des Asylrechts auf EU-Ebene. Den Bundestag möchte ich schon jetzt bitten, die parlamentarischen Beratungen möglichst zügig durchzuführen, da wir bei der Umsetzung einiger EU-Richtlinien verfristet sind. Ich glaube, dass wir mit der heutigen Beschlussfassung auf Regierungsebene einen wichtigen Schritt unternommen haben. Mit diesem Gesetzentwurf fördern wir die Integration, und zwar vor allem, indem wir den Zugang zum Arbeitsmarkt für die Menschen verbessern, die bereits in Deutschland leben. In Zukunft können Menschen, die keinen rechtlichen Aufenthaltstitel haben, die sogenannten Geduldeten, ohne Vorrangprüfung eine Arbeit aufnehmen, wenn sie vier Jahre in Deutschland leben. Wir fördern die Integration, indem wir das Instrumentarium der Arbeitsmarktförderung und der Integration bei diesen Menschen zur Anwendung bringen. In diesen Gesetzentwurf sind die Erkenntnisse aus der Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes eingeflossen. Sie wissen, dass das Zuwanderungsrecht in der letzten Legislaturperiode zum 1. Januar 2005 novelliert worden ist. Die vereinbarte Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes ist im vergangenen Jahr durchgeführt worden. Wir haben eine Praktikeranhörung durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Evaluierung haben wir, soweit sie gesetzgeberische Konsequenzen erfordern, in den Gesetzentwurf aufgenommen. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung und der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vom Beginn dieser Legislaturperiode ist die Integration ein Schwerpunkt der Regierungsarbeit. Dementsprechend versuchen wir mit diesem Gesetz, die Integration zu fördern. Mit diesem Gesetz, mit den begrenzten Möglichkeiten, die der Gesetzgeber hat, treten wir den arrangierten Ehen entgegen, die sich bei einem bestimmten Teil unserer Bevölkerung mit Migrationshintergrund als Integrationshindernis erwiesen haben. Wenn junge Menschen türkischer Abstammung, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, in einer Größenordnung von bis zu 50 Prozent keinen Partner heiraten, der ebenfalls in Deutschland aufgewachsen ist, gleich welcher Staatsangehörigkeit oder Abstammung, dann spricht das dafür, dass die arrangierten Ehen Integration nicht befördern, sondern behindern. Mit der Einführung eines Mindestalters und der Einführung von Mindestsprachkenntnissen wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die Menschen, die im Zuge des Ehegattennachzugs nach Deutschland kommen, gut integrieren können, damit sie bessere Lebenschancen haben. Wir haben beim Gesetzentwurf auch die Beschlussfassung der Innenministerkonferenz vom Sommer vergangenen Jahres zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechtes berücksichtigt, die gesetzgeberische Konsequenzen erfordert. Wir haben schließlich Erkenntnisse verwertet, was die Sicherheit dieses Landes anbetrifft, die wir im Zuge der Ermittlungen im Zusammenhang mit den glücklicherweise nicht explodierten Kofferbomben gefunden haben. Wir haben in der Zusammenarbeit zwischen SicherheitsRedetext und Ausländerbehörden Verbesserungen mit diesem Gesetzentwurf vorgesehen, sodass dieser Gesetzentwurf insgesamt das friedliche und tolerante Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und der Mehrheitsgesellschaft in diesem Lande verbessert. Deswegen ist es ein Gesetzentwurf, der die Integration in diesem Lande fördert. Es hat unter anderem in der Innenministerkonferenz eine Debatte - auch das will ich mit einem Satz erwähnen - über die Bleiberechtsregelung und Altfallregelung gegeben. Ich glaube, dass die Regelung, die wir gefunden haben, den Interessen aller gerecht wird. Es gibt nicht mehr Zuzug in dieses Land. Es gibt mehr Möglichkeiten für Menschen, die seit langem in diesem Lande leben, Arbeit zu bekommen und den Sozialversicherungssystemen damit weniger zur Last zu fallen als bisher. Indem die Länder davon Gebrauch machen können, ist sichergestellt, dass die Menschen, solange sie keine Arbeit finden - auch wenn sie in den Genuss der gesetzlichen Altfallregelung kommen -, nicht mehr Sozialleistungen erhalten, als sie bis zum 1. März dieses Jahres erhalten haben. Dadurch gibt es keinen Zuzug in die Sozialversicherungskassen. Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang: Wir haben - das respektiere ich - viel Kritik erfahren, zum Beispiel durch einen offenen Brief der Verbände von Migranten. Das ist in unserer pluralistischen, offenen Debatte in Ordnung. Wer Integration wirklich fördern will, muss den Missbrauch von gesetzlichen Angeboten bekämpfen und dafür sorgen, dass denen geholfen wird, die der Integration, der Förderung und auch Forderung bedürfen, darüber hinaus muss er dafür sorgen, dass sich die Mehrheitsgesellschaft von Migranten nicht bedroht fühlt und dass das friedliche Miteinander von Mehrheit und Minderheit gefördert wird. Nur wem dies gelingt, schafft es im Ergebnis und nicht nur in Absichtsbekundungen, die Integration von Migrantinnen und Migranten zu verbessern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort zur ersten Frage hat der Kollege Josef Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Minister Schäuble, Sie sind in Ihrer Eingangsbemerkung auf die Themen arrangierte Ehe und Zwangsheirat eingegangen. Mich würde interessieren, wieso die in den verschiedenen Vorentwürfen enthaltenen Regelungen jetzt nicht mehr im Gesetzentwurf stehen, nach denen Frauen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen können und eine Rückkehroption haben, wenn sie zum Beispiel ins Ausland zwangsverheiratet werden, auch wenn eine Frist von sechs Monaten überschritten wurde. Das wurde in der Anhörung im zuständigen Familienausschuss von allen Sachverständigen gefordert. ({0}) Sie haben bisher nur die Erhöhung der Hürden hinsichtlich der Sprache angesprochen. Aber über ein eigenständiges Aufenthaltsrecht und eine Rückkehroption haben Sie nichts gesagt. Wie erklären Sie sich das?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Erstens. Ich habe nicht zu allem etwas gesagt, Herr Winkler, weil die Regeln der Regierungsbefragung vorsehen, dass man einen fünfminütigen einleitenden Bericht gibt. Es überschreitet meine Fähigkeiten, Ihnen diesen Gesetzentwurf im Detail in fünf Minuten vorzustellen. Zweitens. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen alle Stufen der Beratung und die verschiedenen Entwürfe zu rekapitulieren. Das kann ich in der Verantwortung als Mitglied der Regierung nicht tun. Ich lege Ihnen als Mitglied der Regierung vor, was das Kabinett heute einvernehmlich beschlossen hat. Dem sind gründliche Vorarbeiten vorausgegangen. Wir haben immer versucht, dabei eine richtige Linie zu finden; das ist in Koalitionsverhandlungen notwendig. Von der Sache her ist es wichtig, den Missbrauch zu verhindern. Wir möchten, dass diejenigen, die hier leben, möglichst gute Chancen haben, ihr Leben durch Arbeitsaufnahme zu gestalten. Wir möchten die Missbrauchsmöglichkeiten bekämpfen, weil die Bekämpfung der Missbrauchsmöglichkeiten eine Voraussetzung dafür ist, dass die Mehrheitsgesellschaft in diesem Lande auch weiterhin bereit ist, dazu beizutragen, dass in Deutschland große Offenheit und Toleranz herrschen. Man muss bei diesen Überlegungen immer im Hinterkopf haben: 20 Prozent unserer Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Seit 20 Jahren sage ich in diesen Debatten immer wieder: Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land und muss es bleiben. Gerade deswegen muss man bei der Bekämpfung der Missbrauchsmöglichkeiten behutsam vorgehen. Wir haben uns bemüht, entsprechende Lösungen zu finden. Dies gilt auch für die Frage, die Sie angesprochen haben. Wir werden alle einzelnen Punkte in den parlamentarischen Beratungen intensiv erörtern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, Sie haben in Ihrem kurzen Bericht davon gesprochen, dass mit diesem Gesetzentwurf nicht nur mit Blick auf die elf EU-Richtlinien, die jetzt umgesetzt werden sollen, die Harmonisierung gefördert werden soll, sondern auch im Wesentlichen die Integration. Das ist sehr interessant. Gestern wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Integrationsgipfels ein offener Brief, der an Frau Bundeskanzlerin Merkel gerichtet ist, veröffentlicht. Die Verfasser kommen zu dem Schluss: Die aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen in dem Gesetzentwurf, den Sie als integrationsfördernd dargestellt haben, stehen im krassen Gegensatz zu den Intentionen des von Ihnen initiierten Integrationsgipfels und stellen den Sinn und Zweck des Integrationsgipfels infrage. Darüber hinaus gab es im März 2007 eine Stellungnahme von Amnesty International, vom Deutschen Caritasverband, von Pro Asyl, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, vom DGB und vielen anderen Organisationen, in der dieser Gesetzentwurf als rückwärtsgewandt, integrationshemmend und flüchtlingsunfreundlich bezeichnet wurde. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Erstens. Was den offenen Brief betrifft, so werte ich ihn zunächst einmal als einen Ausdruck fortschreitender Integration. Denn die Teilhabe von Organisationen von Migranten an unserem öffentlichen Diskurs und an einer pluralistisch streitigen öffentlichen Debatte ist genau das, wozu wir immer einladen, im Rahmen des Integrationsgipfels wie auch im Rahmen der Islamkonferenz. Man kann und soll in einer pluralistischen Demokratie streiten, allerdings mit Argumenten und nicht mit Drohungen und Gewalt. Deswegen ist das gut so. Zweitens. Wenn man sich mit einem so komplexen Gesetzgebungsvorhaben befasst - ich habe versucht, das in meinen kurzen einleitenden Bemerkungen zu erläutern -, muss man mehrere Aspekte gleichzeitig im Auge haben: die Lebenssituation von Betroffenen, auch die von längerfristig Geduldeten, aber auch die Lebenssituation der anderen Menschen, die in diesem Lande leben und beispielsweise Sorge haben, weil Sozialleistungen gekürzt werden oder weil als Folge aller möglichen Entwicklungen die Situation auf dem Arbeitsmarkt problematisch ist. Gelegentlich beschäftigen wir uns auch mit der Bekämpfung des Extremismus, des Linksextremismus und des Rechtsextremismus. In diesem Zusammenhang sprechen wir darüber, was wir tun können, um Tendenzen zur Ausländerfeindlichkeit von Anfang an zu ersticken. Wir brauchen Regelungen, die all diesen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Nur dann kann Integration wirklich gelingen. Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Gesetzentwurf die Integration im Ergebnis fördern; darum haben wir uns bei der Formulierung des Gesetzentwurfes bemüht. Allerdings kann damit nicht allen Erwartungen Rechnung getragen werden, die von Migrantenorganisationen oder von Organisationen, die Ausländer betreuen - Sie haben einige genannt -, zum Beispiel von den beiden Kirchen, vom Caritasverband oder von der Diakonie, formuliert werden. ({0}) - Ja, das gilt auch für die Gewerkschaften. - Das liegt in der Natur unserer pluralistischen Debatte und ist in der Art und Weise begründet, wie die Vertretung von Interessen stattfindet: Jeder Verband muss seine eigene Position vertreten. Im Vorfeld der Beschlussfassung der Koalition war zu erleben, dass an unserem Gesetzentwurf auch die genau gegenteilige Kritik geübt wurde, und zwar aus mindestens genauso ernst zu nehmenden Kreisen. Das ist nun einmal so. In der pluralistischen Demokratie gibt es nie hundertprozentige Lösungen, sondern man muss für einen Interessenausgleich sorgen. Das drückt sich unter anderem auch darin aus, dass ein solcher Gesetzentwurf aus unterschiedlichen Gründen kritisiert wird, weil er in vielerlei Hinsicht hinter den hundertprozentigen Erwartungen aus der einen oder anderen Richtung zurückbleiben muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Burgbacher.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie haben gesagt, eigentlich geht es bei diesem Gesetzentwurf um die Umsetzung von elf EURichtlinien. Wenn man Richtlinien umsetzt, ist immer auch interessant, wie andere das tun. Mich überrascht übrigens immer wieder, auch bei Fragen an die Bundesregierung, wie wenig die Bundesregierung von der Umsetzung weiß - aber das muss jetzt hier nicht so sein. Ich will auf einen konkreten Punkt eingehen. Sie haben gesagt, in dem Gesetzentwurf steht jetzt, dass Geduldete nach vier Jahren Aufenthalt arbeiten dürfen. Mich würde interessieren, ob Ihnen bekannt ist, wie die Richtlinien in anderen Ländern in diesem Punkt umgesetzt werden. Zweitens würde mich interessieren: Warum eigentlich eine Frist von vier Jahren? Wir waren schon immer der Meinung: Wenn Menschen hier geduldet sind, dann sollten sie auch arbeiten dürfen. Wir würden damit gerade bei dem Problem, das Sie angesprochen haben, bei dem Problem der Akzeptanz, vieles erleichtern, wenn wir das zulassen würden. Warum ziehen Sie da also die Schwelle von vier Jahren wieder ein?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Burgbacher, die Frage des Arbeitsaufnahmeverbots bzw. der Voraussetzungen, unter denen Ausländer mit welchem aufenthaltsrechtlichen Status arbeiten dürfen, ist eine Frage, die mit der Umsetzung der elf EU-Richtlinien nichts zu tun hat. Insofern kann ich Ihnen keine Antwort geben, wie das in anderen Ländern ist. Wir setzen nicht nur elf EU-Richtlinien um, sondern wir haben auch eine Menge anderer Punkte. Ich kenne das Problem, um das es bei dieser Frage geht, schon aus den 70er-Jahren: Zur Zeit der Regierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt - die Koalitionspartner waren, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, SPD und FDP, Innenminister ist im Zweifel Herr Baum, vielleicht auch noch Herr Maihofer gewesen; das müsste man prüfen -, hatten wir die große Zuwanderung von Asylbewerbern. Schon damals ging es um diese Frage. Man hat, um die Attraktivität für die Organisatoren illegaler Migration zu Sevim Daðdelen verringern, für Menschen, die noch keinen rechtlichen Aufenthaltsstatus haben, das Arbeitsaufnahmeverbot eingeführt. Dann hat man lange diskutiert: Ein Jahr? Zwei Jahre? Dann hat man es weiter verlängert. Im Zuwanderungsrecht ist es noch einmal verlängert worden. Die Regelungen, die wir heute haben - de lege lata -, sind so, dass ein Geduldeter - also jemand, der keinen rechtlichen Aufenthaltsstatus hat, aber hier ist, nicht abgeschoben werden kann, aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen - Zugang zum legalen Arbeitsmarkt hat, wenn das Arbeitsamt bescheinigt, dass für diesen Arbeitsplatz kein deutscher Bewerber bzw. kein Bewerber aus der EU zur Verfügung steht. Diese Vorrangprüfung wirkt sich in den einzelnen Teilen der Bundesrepublik Deutschland - auch wegen der jeweiligen Arbeitsmarktsituation - sehr unterschiedlich aus. Der Arbeitsminister sagt in seiner Verantwortung: Ich kann das nicht völlig aufgeben. - Es gibt auch starke Argumente dafür. Deswegen, glaube ich, ist es ein guter Weg, dass wir uns verständigt haben und mit diesem Gesetzentwurf vorschlagen, dass in Zukunft nach vier Jahren Aufenthalt keine Vorrangprüfung mehr erfolgt; das ist schon mal ein Schritt. Es gibt gute Argumente, zu fragen: Warum überhaupt? Aber dann haben wir das Problem wieder, dass sofortiger Zugang zum Arbeitsmarkt, ohne Arbeitsaufnahmeverbot, zu einer Verstärkung der illegalen Migration führt. Die weltweit operierenden Schleuserbanden sind sehr aktiv, und das ist für die Attraktivität dieses Geschäfts ein starkes Element. Deswegen muss man da - das gilt wie für andere Argumente auch - versuchen, eine vermittelnde Linie zu fahren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, als jemand, der überhaupt keine 100-Prozent-Erwartungen hatte und auch keine der Organisationen vertritt, von denen Sie gesprochen haben, sondern der lediglich als Teil eines Gesetzgebungsorganes die Erwartung hatte, das man hier nun einmal eine großzügige Regelung für einen Personenkreis bekommt, der seit langem auf eine Bleiberechtsregelung wartet, frage ich Sie: Erstens. Warum war es nötig, eine Klausel aufzunehmen, nach der - ähnlich einer Sippenhaft - keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn auch nur ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied straffällig wurde und dafür eine bestimmte Mindeststrafe erhielt, sodass also durchaus beispielsweise auch Eltern für ihren Sohn aufenthaltsrechtlich haften? Zweitens. Warum soll eine Familie, die beispielsweise ergänzender Sozialhilfe bedurfte, am Ende keine Aufenthaltserlaubnis erhalten, obwohl der Vater in der Zeit gearbeitet und zum Familieneinkommen beigetragen hat, dies aber - beispielsweise bei einer großen Familie - nicht in ausreichender Höhe? Drittens. Warum gibt es eine Klausel, wonach derjenige, der seine Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich verzögert hat, nicht unter diese Regelung fällt, ohne dass dabei „rechtsmissbräuchlich“ gefordert wird, sodass auch ein legales Verzögern - jedenfalls nach der Interpretation von kleinlichen Ausländerbehörden, die es in diesem Land gibt - darunter subsumiert werden könnte?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Wieland, Sie reden von der Altfallregelung, die in diesem Gesetzentwurf enthalten ist. Ich muss darauf hinweisen, dass es bei dem Gesetzentwurf insgesamt - zu weit mehr als 90 Prozent - um andere Fragen als um die Altfallregelung geht. ({0}) Bei der Altfallregelung geht es um Menschen, die mindestens sechs Jahre - wenn sie verheiratet sind - bzw. mindestens acht Jahre - wenn sie nicht verheiratet sind hier leben, ohne einen rechtlichen Titel dafür zu besitzen, hier sein zu dürfen, aber aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen von den Ländern nicht abgeschoben werden können. Für diese haben wir nun eine begrenzte Regelung gefasst. Darüber gab es viele Diskussionen - auch mit den Innenministern der Länder, die diese Gesetze vollziehen müssen. Es ist ganz selbstverständlich, dass man bei solchen Gesetzen ein Einvernehmen mit denen anstreben muss, die beim Gesetzesvollzug auch die tatsächliche Last tragen. Deswegen muss man aber trotzdem noch über einige Punkte diskutieren und sachlich richtige Lösungen finden. Hierbei haben wir eine Regelung gefunden, durch die die Lage gegenüber dem heutigen Zustand wesentlich verbessert wird. Als jemand, der - ich darf Sie zitieren - niemanden, also keinen Verband, vertritt, sagen Sie, es reiche Ihnen nicht aus und Sie hätten sich eine weitergehende Regelung gewünscht. Das ist legitim. Da Sie aber Angehöriger einer Fraktion sind, die in der letzten Legislaturperiode Regierungsverantwortung getragen hat, sage ich Ihnen: Gemessen an dem, was Sie nicht getan haben, ist das schon einmal ganz gut. ({1}) Das muss ich Ihnen wirklich sagen. Sie wissen das auch. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind in der Regierungsbefragung. Die Debatte darüber bleibt uns ja erhalten. - Die nächste Frage stellt der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Falls Zeugenschaft zu diesem Punkt verlangt wird: Ich stehe gerne als Zeuge zur Verfügung, um zu klären, an wem es gelegen hat. An der SPD-Fraktion hat es auch Volker Beck ({0}) nicht gelegen, aber unter anderem an einem Mitglied der SPD-Fraktion. Ich möchte Sie aber zu einem weiteren Punkt fragen: Mir macht die Einbürgerungsregelung für junge Erwachsene, die Sie in diesem Entwurf geändert haben, ein wenig Sorge. Bislang gab es für unter 23-Jährige ja Erleichterungen bei der Einbürgerung. Diese Erleichterungen werden jetzt gestrichen. Sie müssen bei der Einbürgerung zukünftig nämlich auch nachweisen - so ist zumindest die Information; wenn Sie das richtigstellen können, würde ich mich freuen -, dass sie den Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Das ist bei dieser Altersgruppe natürlich besonders unsinnig, weil diejenigen, die eine weitergehende Ausbildung machen bzw. studieren, diesen Nachweis natürlich gerade nicht erbringen können. Deshalb fände ich es bildungs- und integrationspolitisch verfehlt, wenn man diese Ausnahme, diese erleichterte Einbürgerungsregelung, für diese Gruppe zurücknähme. Ich frage Sie nach der Begründung dafür. Falls Sie mit mir übereinstimmen, dass das integrationspolitisch keinen Sinn macht, bitte ich Sie um den Hinweis, dass Sie das genau so sehen wie die grüne Fraktion.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Minister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Kollege Beck, dann haben Sie nach der Streichung der Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes gefragt, wonach Jugendliche bis zu ihrem 23. Lebensjahr de lega lata eingebürgert werden können, wenn sie den Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme staatlicher Leistungen bestreiten können. ({0}) Darauf lautet die Antwort: Auch nach der neuen Regelung können solche Jugendlichen eingebürgert werden, obwohl sie Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des SGB beziehen, wenn sie den Bezug dieser Leistungen nicht zu vertreten haben; wenn sie zum Beispiel trotz Bemühens keine Arbeits- oder Ausbildungsstelle finden. Lediglich die Verweigerung von Arbeit oder Ausbildung soll nicht mehr privilegiert werden. ({1}) Damit verwirklicht unser Vorschlag das Prinzip „Fördern und Fordern“. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Beck, Sie haben im Moment nicht das Wort zur Debatte und auch nicht zur Klarstellung. Wir sind in der Befragung der Bundesregierung. Ich nehme Ihre Wortmeldung gerne auf, wenn Sie noch eine Nachfrage stellen möchten. - Ansonsten hat jetzt die Kollegin Jelpke das Wort.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister Schäuble, ich würde Sie gerne fragen, warum Sie in Deutschland wo es allein 2005 etwa 6 000 Widerrufsverfahren gegen anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge mit irakischer Staatsangehörigkeit gab, weiterhin an diesen Verfahren festhalten. Sie wissen wahrscheinlich, dass in keinem anderen EU-Staat eine Regelüberprüfung stattfindet; Widerrufe gibt es ohnehin kaum. Ich würde darüber hinaus gerne wissen, inwiefern berücksichtigt worden ist, was der Widerruf für die gesamte Familie bedeutet ({0}) und warum Sie an jeder rationalen Rechtssystematik vorbei im Asylverfahrensgesetz die Frage des Asylstatus mit dem Einbürgerungsverfahren verknüpfen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Jelpke, wie Sie vielleicht wissen, gehöre ich diesem Haus schon relativ lange an. Deshalb habe ich auch an die 70er-Jahre erinnert. Sie spielen auch bei der Antwort auf Ihre Frage eine große Rolle. Nach Deutschland sind mehr Menschen gekommen als in jedes andere europäische Land. In den 70er-Jahren war die Regierung des Bundeskanzlers Schmidt - ich habe bereits darauf hingewiesen - mit einem starken Andrang von Asylbewerbern konfrontiert. Unser Land war aufnahmebereiter und hat mehr Asylbewerber aufgenommen als alle anderen europäischen Länder zusammen. Wir haben uns immer bemüht, zu verhindern, dass daraus ein Agitationspotenzial für ausländerfeindliche Bestrebungen bzw. für Rechts- oder Linksextremisten wird. Von Ihrer Partei habe ich aus dem Wahlkampf in Erinnerung, dass Sie von „Fremdarbeitern“ gesprochen haben. Diesen Sprachgebrauch kenne ich, und den verabscheue ich. ({0}) Es ist eine Versuchung, solche brisanten Situationen politisch zu missbrauchen. Gegen diese Versuchung ist Ihre Partei jedenfalls offenbar nicht gefeit. Wir haben beispielsweise Mitte der 90er-Jahre mehr Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen als der Rest der Welt; mehr als die Hälfte der Flüchtlinge kamen nach Deutschland. Damals wurden Turnhallen belegt und vieles andere. Wenn Menschen hier aufgenommen werden, muss man das der Bevölkerung erklären. Wir haben gesagt: „Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land und muss es auch bleiben.“ Wir haben der Bevölkerung gesagt: „Das sind arme Menschen, in deren Heimatland Krieg herrscht oder in dem sie - wie in den 70er-Jahren - verfolgt werden; wir müssen sie aufnehmen. Seid großzügig!“ Auch wir Deutschen haben in früheren Zeiten Großzügigkeit erfahren, und wir wollen sie beibehalten. Wir haben aber auch darauf hingewiesen, dass die Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren werden, wenn die Aufnahmevoraussetzungen wegfallen. Die Asylbewerber aus dem Irak haben politisches Asyl bekommen, weil sie zu Zeiten Saddam Husseins politisch verfolgt wurden. ({1}) Inzwischen ist diese Voraussetzung weggefallen. ({2}) Infolgedessen ist es doch logisch: Wenn man die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung erhalten und Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus bekämpfen will - und zwar nicht nur durch Akademieprogramme, an denen keiner der Betroffenen teilnimmt, sondern auch unter Einbeziehung ihrer Lebenswirklichkeit -, dann darf man die Menschen nicht belügen. Man muss ihnen vielmehr sagen: „Helft diesen armen Menschen und nehmt sie auf!“ Wenn sie nicht mehr verfolgt sind, können sie wieder nach Hause gehen. Wenn wir dieses Prinzip aufgeben, fördern wir Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit. Mit mir ist das nicht zu machen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kollegen, wir haben noch sieben Minuten. Mir liegen noch fünf Wortmeldungen vor. Ich möchte sie alle zulassen, appelliere aber, Fragen zu stellen und nicht mit der Fragestellung schon Zeit für die Beantwortung wegzunehmen. Das Wort hat der Kollege Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie der Zuwachs beim Rechtsextremismus im letzten Jahr auf die Anzahl der Iraker in Deutschland zurückzuführen sein soll, die nun keinen Flüchtlingsstatus mehr haben, können Sie vielleicht ein anderes Mal erklären. Ich möchte auf die Frage zurückkommen, die ich Ihnen eben vielleicht nicht versiert genug gestellt habe. Finden Sie es richtig, dass in dem Gesetzentwurf - im Gegensatz zu den allerersten Entwürfen, die Ihr Haus vorgelegt hat - keinerlei aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für Opfer von Zwangsverheiratung, also für Frauen, die in Deutschland zwangsverheiratet wurden oder die ins Ausland zwangsverheiratet wurden, vorgesehen sind? Die von Ihnen für richtig gehaltenen Sprachbarrieren bzw. Sprachkenntnisse gelten erst für Zwangsverheiratete, die in Zukunft kommen, und nicht für diejenigen, die schon hier sind. Finden Sie es richtig, dass denjenigen, die bereits hier sind, mit dem Gesetz wider besseres Wissen nicht geholfen wird?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Meine Antwort lautet: Ja. ({0}) Es ist aber nicht wider besseres Wissen. Insofern lautet meine Antwort: Nein. Aber auf die Frage, ob ich es richtig finde, was wir vorschlagen, lautet meine Antwort: Ja. Ich habe versucht, der Kollegin vorher zu erklären, dass wir bei der Behandlung dieser Frage eine Abwägung im Hinblick auf die Missbrauchsmöglichkeiten vorzunehmen hatten, Aufenthaltsrechte zu erwerben, für die es ansonsten keinen gesetzlichen Grund gibt. Ich behaupte nicht, dass wir in 100 Prozent der Einzelfälle zielgenau treffen. Das gelingt bei keiner Gesetzgebung. Aber ich behaupte - deswegen lautet meine Antwort: Ja -, dass wir eine gute Regelung gefunden haben, die die verschiedenen Gesichtspunkte berücksichtigt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Erlauben Sie mir eine Anmerkung, weil Sie meine Partei so angegriffen haben, Herr Minister. Das Boot ist voll - diese Logik und Mentalität kommen nicht aus unserer Partei, genauso wenig wie die von Abgeordneten Ihrer Fraktion und Ministern mitgetragenen Sprüche „Wir brauchen Ausländer, die uns nutzen, und nicht Ausländer, die uns ausnutzen“ oder „eine durchrasste Gesellschaft“. Das stammt nicht aus meiner Partei, sondern von Herrn Stoiber und Herrn Beckstein. Ich hoffe, dass Sie sich darüber im Klaren sind, dass das von der CDU/CSU kommt und entsprechende Auswirkungen hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Jetzt stellen Sie eine Frage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union ist von einem „besonders integrationsfeindlichen Charakter“ und einem „verwerflichen Verhalten“ die Rede. Damit begründen Sie Ihre Sanktionsverschärfungen. Ich möchte fragen, ob darunter auch solche Menschen wie Herr Stoiber und Herr Beckstein fallen, die mit der Willkommenskultur nichts anfangen können und mit ihren Äußerungen in der Öffentlichkeit nicht besonders integrationsfördernd sind, und ob man diese, wie es Herr Wiefelspütz so nett formuliert hat, mit einer Integrationspolizei im Lande verfolgt und dann sanktioniert?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ich glaube, diese Frage beantworte ich am besten mit Nein. Das ist so nicht gemeint. Ich habe ein bisschen Mühe, die Art, wie Sie den Gesetzentwurf missverstehen und missinterpretieren, ({0}) nachzuvollziehen. Ich wollte Ihnen mit dem Hinweis auf das Wort „Fremdarbeiter“ nur sagen: Die Versuchung, Ressentiments gegenüber Ausländern zu miesen politischen Zwecken auszubeuten, ist offensichtlich groß. Deswegen bemühen wir uns - weil wir die Integration fördern wollen - ({1}) - Ich dachte, ich soll Ihre Frage nach den Regeln der Regierungsbefragung beantworten. Ich sage Ihnen: Meine Überzeugung ist - diese liegt dem Gesetzentwurf zugrunde -, dass wir Integration nur erreichen, wenn wir nicht nur gute Absichten unterstellen, sondern wenn wir auch an die Möglichkeit des Missbrauchs denken. Ich gebe zu - ich habe das auch gegenüber dem Kollegen Winkler zugegeben -, dass wir nicht erreichen werden, dass dies in 100 Prozent aller Einzelfälle treffgenau sein wird. Aber wir bemühen uns, in möglichst vielen Einzelfällen eine vernünftige Lösung in alle Richtungen zu erreichen. Sie ist Voraussetzung dafür, dass Integration, Ausländerfreundlichkeit und Toleranz in unserem Lande erhalten bleiben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Burgbacher.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ich komme auf meine vorhergehende Frage zurück. Das Gesetz heißt „Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union“; Sie haben auch bestätigt, dass es darum geht. Da heute vieles - manches auch unberechtigterweise - auf Europa geschoben wird, noch eine Nachfrage: Zu dem einzigen von mir angesprochenen Punkt haben Sie gesagt, dass es sich nicht um eine Umsetzung handele. Können Sie andere Punkte nennen, die über die europarechtlichen Vorgaben hinausgehen? Es ist nämlich schon hochinteressant, wo wir umsetzen und wo wir Dinge unter der Vorspiegelung einer Umsetzung in Gesetze schreiben. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Burgbacher, ich bitte um Nachsicht, falls ich mich nicht klar genug ausgedrückt haben sollte. Dieser Gesetzentwurf setzt nicht nur elf EU-Richtlinien um. Vielmehr ziehen wir auch Konsequenzen aus der Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes, die wir im letzten Jahr vorgenommen haben. Sie kennen die Praktikeranhörung, und wir haben einen umfangreichen Bericht dazu vorgelegt und diskutiert. Ferner ziehen wir gesetzgeberische Konsequenzen aus der Entscheidung der Konferenz der Innenminister der Länder vom Frühsommer vergangenen Jahres in Garmisch-Partenkirchen zur Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts. Außerdem ziehen wir Konsequenzen aus den Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren wegen der glücklicherweise nicht explodierten Kofferbomben. Das alles habe ich zum Ausdruck zu bringen versucht. Insofern ist der Titel des Gesetzes einer Ergänzung bedürftig. Deswegen habe ich dies in meinem einleitenden Vortrag ausdrücklich ergänzt. Am liebsten wäre es mir, wenn wir uns darauf verständigen könnten - das ist eine Anregung für die parlamentarische Beratung -, zu sagen, es sei ein Gesetz zur Verbesserung der Integration. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Möller.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Minister, mit dem Gesetzentwurf wird der Familiennachzug eines ausländischen zu seinem oder ihrem inländischen, deutschen Ehe- oder Lebenspartner an den finanziellen Nachweis der Lebensunterhaltssicherung geknüpft. Dies bedeutet, dass einem Hartz-IV-Beziehenden von Staats wegen verweigert wird, mit dem Lebens- oder Ehepartner oder der Lebensoder Ehepartnerin in Deutschland zusammenzuleben. Warum haben nach Ihrer Auffassung Menschen mit einem Arbeitsplatz ein Recht auf Ehe und Familie, Hartz-IV-Beziehende dagegen nicht? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, wir wollen mit dem Gesetzentwurf erreichen, dass wir Instrumente zur missbräuchlichen Zuwanderung in Sozialversicherungssysteme nicht ausweiten, sondern sie nach Möglichkeit zurückführen. Das ist der Sinn dieser von uns im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelung. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Beck, Sie haben das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nur eine Nachfrage zu meiner Grundfrage von vorhin - es ging um den Begriff Bildung und Ausbildung -: Ausbildung im Sinne des Rechtes ist kein Studium an der Universität oder der Fachhochschule. Was gilt im Hinblick auf eine erleichterte Einbürgerung bei der Gruppe derjenigen, die studieren oder einen anderen Bil9072 Volker Beck ({0}) dungsweg als den eines Ausbildungsberufes eingeschlagen haben? Dies bezieht sich auf Personen unter 23.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Es gilt das, was ich Ihnen vorgetragen habe, Herr Kollege Beck. ({0}) - Soweit sie es nicht zu vertreten haben, dass sie Leistungen bezogen haben, können sie weiterhin von der Ausnahme Gebrauch machen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Ich lasse noch die Frage der Kollegin Enkelmann zu den übrigen Themen der Kabinettssitzung zu.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, in dieser Woche wurde bekannt, dass zwei der Regierung zumindest nahestehende Organisationen, die SPD und die CDA, gegenwärtig eine Unterschriftenkampagne für den Mindestlohn gestartet haben. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass zum Beispiel den vom Hungerlohn Betroffenen eher durch eine entsprechende Gesetzesinitiative, über die wir hier abstimmen könnten und zu der es eine klare Mehrheit geben könnte, geholfen wäre?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wer von der Bundesregierung möchte antworten? Bitte, Herr Minister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Da ich wachen Ohres und Verstandes an der Kabinettssitzung teilgenommen habe, kann ich Ihnen wahrheitsgemäß versichern, dass über diesen Punkt in der Kabinettssitzung heute nicht gesprochen worden ist. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank. - Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 16/4802 Ich rufe die Fragen auf Drucksache 16/4802 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Dr. Uschi Eid werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung hätte der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung gestanden, aber die Frage 3 des Kollegen Jan Mücke wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Barth werden gemäß Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien schriftlich beantwortet. Somit wird der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach hier im Plenum nicht Rede und Antwort stehen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl zur Verfügung. Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Hans-Kurt Hill auf: Wann wird die Bundesregierung mit Blick auf drängende Investitionsentscheidungen bei kommunalen Energieversorgern und die besorgniserregenden Erkenntnisse beim Klimawandel dem Deutschen Bundestag eine Novelle zum KraftWärme-Kopplungsgesetz, KWKG, vorlegen, und wie soll diese dafür Sorge tragen, dass kommunale Energieversorger ausreichend Anreize erhalten, in die klimafreundliche KraftWärme-Kopplungstechnik zu investieren? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Herzlichen Dank. - Ich beantworte die Frage des Kollegen Hill wie folgt: In dem Bericht vom September 2006 über die Ergebnisse der Zwischenüberprüfung des KraftWärme-Kopplungsgesetzes haben das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit angekündigt, dass die Bundesregierung unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse über die Umsetzung der „Vereinbarung der Bundesregierung mit der Wirtschaft zur Minderung der CO2-Emissionen und der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, in Ergänzung der Klimavereinbarung vom 9. November 2000“ und vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über das energiepolitische Gesamtkonzept einen Vorschlag für die Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes unterbreiten wird. Der Vorschlag wird in Kürze vorgelegt werden. Wir werden natürlich auch die Hinweise der Branchenverbände und des Verbandes kommunaler Unternehmen dabei beachten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Es macht immer wieder Spaß, mit Ihnen diese Fragestunde zu bestreiten. ({0}) - Doch, das macht wirklich Spaß. Vor allen Dingen machen mir die Antworten sehr viel Spaß. - Es ist sehr interessant, zu wissen, dass Sie etwas planen. Ich mag überschaubare Schritte. Wir haben jetzt den Monat März, und es geht auf Ostern zu. Dann kommen beinahe schon die Sommerferien, und die Klimaprobleme häufen sich. Ich hätte gerne eine konkretere Antwort von Ihnen auf die Frage, bis wann wir mit der Vorlage einer solchen Novelle zu rechnen haben.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Lieber Herr Kollege, dass Sie sich immer auf meine Antworten freuen, freut mich wiederum. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir befinden uns in der Osterzeit - Sie haben es erwähnt -, und wir sprechen hier über ungelegte Eier. Die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Wir erarbeiten momentan im Hause eine Klimaschutzstrategie, in die diese Arbeiten einfließen sollen. Die Arbeiten werden zügig vorangebracht.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Noch einmal eine kurze Terminnachfrage. Können wir noch vor der Sommerpause oder müssen wir nach der Sommerpause damit rechnen?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Lieber Kollege, schon durch meine vorhergehenden Antworten habe ich darzustellen versucht, dass wir bemüht sind, dieses Thema so schnell wie möglich anzugehen. Ich verweise darauf, dass die EU-Richtlinie bis zum 7. August 2007 umgesetzt werden muss. Unsere Berichtspflicht haben wir inzwischen erfüllt: Wir haben das Potenzial hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen untersucht. Wir haben noch eine Umsetzungspflicht hinsichtlich des Herkunftsnachweises zu erfüllen. Daran arbeiten wir im Moment. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen natürlich einfließen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor der Kollege Hill seinen fröhlichen Austausch mit der Frau Staatssekretärin fortsetzen kann, hat die Kollegin Höhn eine Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass die Kraft-Wärme-Kopplung einer der wichtigsten Wege ist, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Ungefähr 42 Prozent des CO2-Ausstoßes gehen auf die Energieproduktion zurück. Nur wenn wir da effizienter werden, werden Sie, die Bundesregierung, Ihr ehrgeiziges CO2Ziel erreichen. Wie hoch müsste der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der Energieproduktion sein, um das ehrgeizige Ziel, das Sie sich selber gesetzt haben - unser Ziel geht darüber hinaus -, zu erreichen?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Wir hatten uns schon vorher ein Ziel gesetzt: Wir wollten erreichen, dass der CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2010 durch die KWK-Anlagen um 20 Millionen Tonnen reduziert wird. Wir wissen, dass es nicht so ausschaut, als ob wir dieses Ziel erreichten. Auch deswegen denken wir über eine Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes nach. Unsere gegenwärtigen Minderungsziele werden unter den jetzigen Voraussetzungen nicht erreicht werden können. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Antwort steht der Bundesregierung frei, und Ihnen steht es wiederum frei, daraus Ihre Schlüsse zu ziehen. Wir kommen jetzt zur Frage 7 des Kollegen HansKurt Hill: Welche Maßnahmen müssen aus Sicht der Bundesregierung eingeleitet werden, damit im Rahmen einer gezielten KWK-Förderung das Klimagassenkungsziel von jährlich 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr 2010 erreicht wird, und in welcher Höhe sollen dafür ab 2008 Mittel im Haushalt bereitgestellt werden? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Vielen herzlichen Dank. - Diese Frage zielt in eine ähnliche Richtung wie die der Kollegin Höhn. Die Kraft-Wärme-Kopplung wird sowohl über das bestehende Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und das EEG im Wege eines KWK-Bonus auf die Vergütungssätze für Biomasse als auch im Rahmen des Emissionshandels besonders begünstigt. Hier gilt es anzusetzen. Haushaltsmittel stehen dafür nicht zur Verfügung; sie waren auch in der Vergangenheit nicht vorgesehen. Wir erwarten, dass die KWK-CO2-Vereinbarung, die mit der Wirtschaft geschlossen worden ist - das ist eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft -, darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Ziele leistet, nämlich durch einen marktgetriebenen KWK-Ausbau. Die Wirtschaft hat sich dazu verpflichtet. Ein Monitoring-Bericht steht noch aus. Wenn dieser Bericht vorliegt, werden wir unsere Schlüsse daraus ziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Sie haben gerade den MonitoringBericht angesprochen. Das Ganze dauert schon sehr lange. Ich hoffe, dass wir relativ kurzfristig zu einem Ergebnis kommen. Wir wissen, dass wir 20 bis 23 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen können, was nicht unerheblich ist. In diesem Zusammenhang interessiert mich natürlich auch, ob durch die Novellierung die 2-Megawatt-Grenze aufgehoben werden soll.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Wie ich Ihnen schon in meiner Antwort auf Ihre vorherige Frage gesagt habe, befinden wir uns momentan im Prozess der Abstimmung. Uns ist natürlich bewusst, dass der Emissionshandel zwar die großen Anlagen unterstützt, aber nicht die kleineren Anlagen, also die mit weniger als 20 MW thermisch. Dieser Punkt wird bei der Novellierung eine Rolle spielen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe noch eine provokante Frage, von der ich nicht weiß, ob Sie mir sie beantworten können oder wollen. Ich habe das Gefühl, dass einer der beiden Koalitionspartner ein bisschen auf die Bremse tritt. Ist dieser Eindruck, den ich da habe - er bezieht sich mehr auf das konservative Lager -, falsch oder richtig? Da ich danach nicht mehr das Wort haben werde, wünsche ich Ihnen schon jetzt ein schönes Osterfest.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Auch ich wünsche Ihnen schon jetzt ein schönes Osterfest und beantworte Ihre Frage mit Nein.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek zur Verfügung. Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Cornelia Behm auf: Welche Gründe veranlassen die Bundesregierung, bislang die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes ({0}) hinsichtlich der Umsetzung des FFH-Rechtes FFH: Flora-Fauna-Habitat - im deutschen Pflanzenschutzgesetz zu ignorieren, und wann ist mit einer Umsetzung zu rechnen?

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Antwort lautet wie folgt: Zur Umsetzung des EuGH-Urteils zur FFH-Richtlinie ist neben einer Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes auch eine Änderung des § 6 des Pflanzenschutzgesetzes erforderlich. In seinem Urteil hat der EuGH gerügt, das in § 6 enthaltene Verbot der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln bei möglichen schädlichen Auswirkungen auf den Naturhaushalt sei nicht ausreichend, um die Artenschutzbestimmungen der FFH-Richtlinie umzusetzen; vielmehr müssten die in Art. 12 und 13 der FFH-Richtlinie genannten Verbote explizit genannt werden. Der Referentenentwurf zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes ist in dieser Woche zwischen den Ressorts abgestimmt worden. Die Beteiligung der Länder und Verbände ist in Vorbereitung und wird in den nächsten Tagen erfolgen. Die Kabinettszuleitung wird noch vor der Sommerpause angestrebt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Ursprünglich hat die Bundesregierung zurückgewiesen, dass die Regelung nicht klar genug ist, wie es die EU gerügt hatte. Können Sie kurz darstellen, in welcher Weise der § 6 im Sinne der EU-Forderung jetzt doch konkreter gefasst wird?

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Frau Kollegin, ich möchte heute hier der Beratung im Ausschuss zu diesen Punkten nicht vorgreifen. Wir werden jetzt die Abstimmung mit den Ländern vornehmen. Danach werde ich natürlich sofort den betreffenden Ausschuss informieren. Wir werden auf jeden Fall alles das, was das EuGH-Urteil von uns verlangt, übernehmen. Wir haben in der Ressortabstimmung auch die strittigen Fragen hinsichtlich der Regelung des Bußgeldes geklärt. Weitere Detailpunkte werde ich erst dann vortragen können - das sehen Sie mir bitte nach -, wenn auch die Abstimmung mit den Ländern erfolgt sein wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie uns schon Angaben zum Zeitplan machen?

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Die Einbringung ins Kabinett vor der Sommerpause ist der späteste Zeitpunkt. Wir werden versuchen, so schnell wie möglich nach der Osterpause das Kabinett mit diesem Thema zu befassen. Um den Beratungsgang abzukürzen, stellt sich die Frage, ob es bei einer normalen Regierungsvorlage bleiben soll, die dann den ganzen Gang über den Bundesrat und die weiteren Stellen nehmen müsste, obwohl schon jetzt eine Abstimmung mit den Ländern erfolgt. Man muss in der Tat prüfen, ob eine Einbringung durch die Fraktionen des Bundestages möglich ist, um dann so schnell wie möglich kurz nach der Sommerpause eine gesetzgeberische Entscheidung zu erreichen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben schon erwähnt, dass das wieder ein langwieriges Verfahren wird, auch mit den Ländern. Deutschland ist das letzte Land, das die FFH-Richtlinie umgesetzt hat. Auch bei der weiteren Konkretisierung der Umsetzung gibt es massive Probleme und massive Zeitverzögerungen. Wie wollen Sie eigentlich garantieren - durch die Föderalismusreform ist insofern keine Besserung erreicht worden, sondern, im Gegenteil, mit dem Pingpongspiel eine Verschlechterung -, dass Sie auf diesen Gebieten auch aufgrund der Strukturen in Deutschland nicht immer hinterherhinken, was die Umsetzung zum Beispiel von Naturschutzrichtlinien angeht?

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Im Naturschutzrecht, das in der Zuständigkeit des Umweltministeriums liegt, haben wir in der Tat eine Regelung, an die wir alle uns erst gewöhnen müssen. Ich bin aber nicht so pessimistisch wie Sie. Ich glaube schon, dass wir uns gemeinsam - die beteiligten Ressorts und die Länder - auf diesen neuen Verfahrensgang im Naturschutzrecht einstellen können und dass es auf Dauer nicht zu solchen Verzögerungen kommt, wie Sie das jetzt angedeutet haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage, und zwar vom Kollegen Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine ganz konkrete Nachfrage: Sie haben gesagt, Sie glauben und hoffen, dass es bei der Umsetzung im Naturschutzrecht nicht weiterhin diese Probleme geben wird. Worauf gründen sich aufgrund all der negativen Erfahrungen Ihr Glaube und Ihre Hoffnung?

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Das gründet sich ganz einfach darauf, dass wir zum Beispiel bei den Beratungen zu diesem Punkt auch durchaus schwierige rechtliche Tatbestände verhältnismäßig zügig einer Lösung zugeführt haben. Ich glaube, das kann auch nach der neuen Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Naturschutzrechtes für zukünftige Beratungsabläufe Vorbild sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Jörg Rohde auf: Warum sieht § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres, FSJG, Selbsthilfeverbände und ihre Untergliederungen im Gegensatz zu Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und ihrer Untergliederungen nicht als Träger des freiwilligen sozialen Jahres vor, und unter welchen Umständen sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, auch Selbsthilfeverbände und ihre Untergliederungen als Träger des freiwilligen sozialen Jahres in den Geltungsbereich des FSJG einzubeziehen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nach dem Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres sind die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände und ihre Untergliederungen kraft Gesetzes Träger des freiwilligen sozialen Jahres. Sie sind also sogenannte geborene Mitglieder. Nach § 5 Abs. 1 FSJG kann die zuständige Landesbehörde weitere Träger des freiwilligen sozialen Jahres zulassen, wenn sie eine den Bestimmungen des freiwilligen sozialen Jahres entsprechende Durchführung gewährleisten. Sie sind dann sogenannte gekorene Träger. Selbsthilfeverbände und ihre Untergliederungen sind daher nicht von der Trägerschaft des freiwilligen sozialen Jahres ausgeschlossen. Sie müssen jedoch ein Anerkennungsverfahren durch die jeweilige Landesbehörde durchlaufen. Diese Regelung existiert in dieser Form seit den Anfängen des FSJ-Gesetzes im Jahre 1964. Das freiwillige soziale Jahr wurde nicht erst durch das Gesetz ins Leben gerufen - das erklärt im Grunde diese Regelung -, sondern wurde bereits zuvor von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen durchgeführt. Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände nehmen seit jeher Aufgaben der sozialen Wohlfahrt wahr. Deswegen ist die Durchführung des freiwilligen sozialen Jahres ein Bestandteil dieser Gesamtaufgabe. Aus diesen Gründen wurde von einem staatlichen Zulassungsverfahren für die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände abgesehen. Um eine Durchführung zu gewährleisten, die dem Bildungscharakter des freiwilligen ökologischen Jahres und der besonderen Verantwortung für die teilnehmenden jungen Menschen gerecht wird, ist es gerechtfertigt, bei den übrigen, nicht kraft Gesetzes anerkannten Trägern ein Anerkennungsverfahren im Einzelfall durchzuführen. Die Bundesregierung prüft den Ausbau der Einsatzfelder befürwortend, um informelle Lernprozesse zu befördern. Es gibt außerdem eine Stellungnahme der Bundesregierung zum Evaluationsbericht der FSJ-För9076 dergesetze. Darüber ist heute auch im Ausschuss ausgiebig diskutiert worden. Als neue Einsatzfelder könnten demnach für eine Förderung in Betracht kommen: Selbsthilfegruppen und Familien, wobei die Schwerpunkte sind: Mehrgenerationenhäuser, Kinderbetreuung, Schulen und insgesamt Benachteiligte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär. Es deutet sich im Moment ja an, dass durch das bisherige Gesetz etwas Bürokratie zum Beispiel auf die Selbsthilfegruppen zukommt, weil man sich jeweils auf Landesebene, in jedem Bundesland, bewerben müsste. Da sich die Selbsthilfegruppen auf Bundesebene zu einer Bundesarbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, wäre es hilfreich, das auf Bundesebene zu regeln. Sie haben jetzt angedeutet, es gebe Pläne dazu und es würden auch weitere Gruppen positiv bewertet werden. Gibt es einen Zeitplan - zum Beispiel vor der Sommerpause -, wann diese konkreten Überlegungen in die Beratungen zu diesem Gesetz einfließen sollen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wir werden sicherlich etwa bis zur Sommerpause den neuen Gesetzentwurf für diesen Bereich vorlegen - wir haben in diesem Zusammenhang auch noch andere Fragen zu klären, etwa die Frage der Umsatzsteuerpflichtigkeit -, und wir glauben, dass ein neues Freiwilligengesetz zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine Frage noch. Die Vertreter der Bundesregierung waren beim parlamentarischen Abend der BAG Selbsthilfe in der letzten Woche durchaus positiv gestimmt. Gibt es irgendeinen Dissens zwischen den Koalitionspartnern, oder war das die einhellige Meinung in der Bundesregierung, sodass wir mit einem schnellen Verfahren rechnen können, wenn wir uns darüber einig sind, dass diese Träger auf Bundesebene berücksichtigt werden können?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe die Stimmung auf dem parlamentarischen Abend nicht verifizieren oder an bestimmten Personen festmachen können. Ich kann nur etwas zu unseren Zeitplanungen sagen. Sie sehen so aus, dass wir den Bereich der Zivilgesellschaft insgesamt strukturieren und fördern wollen, soweit es die Seite des Staates angeht. Da sind wir in der Abstimmung. Ich kann nur noch einmal sagen: Etwa bis zum Sommer soll der Gesetzentwurf fertig und beschlossen sein und dann jedenfalls so zeitig ins parlamentarische Verfahren gegeben werden, dass das Gesetz zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 10 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet. - Deshalb herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller. Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Cornelia Behm auf: Warum überlässt die Bundesregierung - obwohl mit der Föderalismusreform dem Bund gerade im Artenschutz eine abweichungsfeste Regelungsmöglichkeit zugestanden wurde im Ersten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes den für den Artenschutz besonders kritischen Bereich von Ausnahmeregelungen und des Erlasses von Bewirtschaftungsregelungen für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft den Ländern und sogar nachgeordneten Behörden?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Liebe Kollegin, Sie fragen zu einem alten Thema, das hier immer wieder kontrovers diskutiert wurde, nämlich der Verteilung der rechtlichen Möglichkeiten zwischen Bund und Ländern im Bundesnaturschutzgesetz. Ich nehme an, Sie fragen das auch vor dem Hintergrund des europäischen Gerichtsurteils, nach dem eine Reihe von Verschärfungen vorgesehen sind. Dennoch: Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Bestimmungen zur Zuständigkeit bei Ausnahmeregelungen bzw. beim Erlass von Bewirtschaftungsregelungen betreffen den Gesetzesvollzug. Da sind nach Art. 83 Grundgesetz nach wie vor die Länder am Zug bzw. es obliegt ihnen auch nach der Föderalismusreform.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Ich frage weiter: Gehen Sie mit mir konform, dass es doch einige Grundsätze hinsichtlich der Bewirtschaftung von land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Anlagen gibt, die durchaus über das, was in den Ländern aufgrund standortlicher Gegebenheiten geregelt werden müsste, hinausgehen, und dass es sinnvoll ist, so etwas auf Bundesebene ganz grundsätzlich zu regeln?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es geht hier um zwei Bereiche, nämlich zum einen um die Eingriffsregelungen und zum anderen um die Bestimmungen bei der Nutzung sowohl land-, forst- als auch fischereiwirtschaftlicher Art. Da gibt es sicherlich eine gewisse Bandbreite; das ist schon richtig. Trotzdem ist der Vollzug Ländersache. Wir können eigentlich nur durch die Rahmensetzung bzw. im Dialog mit den Ländern bestimmte Interpretationen des Vollzugs klarmachen; aber da sind unsere Möglichkeiten begrenzt, alleine aufgrund der föderalistischen Struktur. Das muss man einfach sehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die zweite Nachfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie meinen nicht, dass es im Zuge der Rahmensetzung doch sinnvoll sein könnte, verschiedene Dinge vonseiten des Bundes zu regeln?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Sie wissen, dass der Bund bei der letzten Fassung des Bundesnaturschutzgesetzes alles versucht hat, um die Handlungsmöglichkeiten des Bundes so weit wie möglich zu stärken. Ich weiß nicht, ob darüber hinaus noch viel möglich ist; ich kann das im Augenblick nicht beurteilen. Wir werden das im Zuge der Novelle noch einmal diskutieren. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 12 der Kollegin Undine Kurth: Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass sechs Bundesländer noch immer nicht landesrechtliche Regelungen zur Umsetzung des nationalen Biotopverbundes erlassen haben, und wann wird nach ihrer Auffassung der nationale Biotopverbund hergestellt sein? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Liebe Frau Kollegin, Sie fragen nach den landesrechtlichen Regelungen zur Umsetzung des nationalen Biotopverbunds. Die bundesrechtlichen Vorgaben zum Biotopverbund sind in drei Ländern noch nicht und in fünf weiteren Ländern aus unserer Sicht noch nicht hinreichend umgesetzt worden. Die Bundesregierung erwartet, dass die Länder ihren Verpflichtungen zur Umsetzung des geltenden Rahmenrechts auch nach der Föderalismusreform umfassend nachkommen. Eine landesweite Biotopverbundplanung liegt inzwischen in den meisten Ländern vor. Hinsichtlich des Stands der praktischen Umsetzung dieser Biotopverbunde in der Fläche und in den einzelnen Ländern liegen uns allerdings keine umfassenden, also keine ausreichenden Informationen vor. Von daher ist es leider nicht möglich, eine Aussage zum zeitlichen Horizont der tatsächlichen Herstellung eines umfassenden Biotopverbunds zu treffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre Nachfrage, bitte.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Meine erste Nachfrage. Die Zahlen, die Sie eben vorgetragen haben, stimmen nicht mit den Zahlen überein, die Ihre Kollegin Frau Klug im Februar in ihrer Antwort genannt hat. Ich möchte daher nachfragen, ob es sich um neue Erkenntnisse handelt. Damals hatte es geheißen, dass fünf Länder noch nicht zum Biotopverbund beitragen. Das würde also bedeuten, dass in den letzten zwei Monaten relativ viel passiert ist.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich sage noch einmal: Es gibt drei Länder, die noch nicht zu diesem Biotopverbund beitragen, und es gibt fünf Länder, die noch nicht hinreichend dazu beitragen. Es mag sein, dass es diesbezüglich unterschiedliche Interpretationen und Darlegungen gibt.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Meine zweite Nachfrage. Der Herr Bundesminister hat heute in der Bundespressekonferenz sehr eindrücklich unterstrichen, wie wichtig für die Aufgaben des Biodiversitätsschutzes auch der Erhalt und der Schutz von Biotopen sowie die Herstellung eines Biotopverbundes sind. Da das ganz offensichtlich noch nicht hinlänglich realisiert worden ist, frage ich Sie, ob Sie ein nationales Monitoring-Zentrum für sinnvoll halten und ob die Bundesregierung der Meinung ist, dass dies für die Erreichung des Ziels, einen nationalen Biotopverbund herzustellen, hilfreich und dienlich wäre.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich glaube, das ist vor dem Hintergrund des Klimawandels und der damit verbundenen Veränderung biogener Faktoren notwendig. Wir werden aus meiner Sicht im Zusammenhang mit dem Klimawandel diese Frage sehr viel intensiver behandeln müssen, als es bisher der Fall gewesen ist. Das Bundesamt für Naturschutz bereitet für die folgende FFH-Berichtsperiode 2007 bis 2012 derzeit ein bundeseinheitliches Monitoringdesign vor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch eine Nachfrage?

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da diese Vorbereitungen von Ihnen angesprochen worden sind, möchte ich Sie fragen: Gibt es einen kon9078 Undine Kurth ({0}) kreten zeitlichen Horizont, wann man mit diesem Monitoring wirklich beginnen will?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Wenn ich es richtig im Kopf habe, dann soll dies Anfang 2008 der Fall sein. Das genaue Datum werde ich Ihnen aber nachliefern. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 13 der Kollegin Undine Kurth: Warum sieht die Bundesregierung im Ersten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes nicht mehr den Schutz der Lebensstätten für besonders geschützte und bestimmte andere Tier- und Pflanzenarten vor - § 42 -, sondern streicht das bewährte Verbot, Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtsstätten zu zerstören, und warum werden streng geschützte Arten nicht mehr räumlich, sondern nur noch zeitlich, nämlich während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten, geschützt? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Änderungen in § 42 des Bundesnaturschutzgesetzes dienen der Anpassung an die entsprechenden Bestimmungen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie. In diesem Rahmen werden auch weiterhin die Fortpflanzungs- und Ruhestätten für besonders geschützte Arten vor Entnahme, Beschädigung und Zerstörung geschützt. Es gibt allerdings eine etwas veränderte Logik aufgrund der Übernahme der europäischen Rechtsbestimmung. Der Begriff der Fortpflanzungs- und Ruhestätte umfasst alle Elemente des bisherigen Begriffs Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtsstätte. Die Anbindung des Störungsverbots an bestimmte Zeiträume folgt unmittelbar aus der FFH-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie. Dieses Störungsverbot gilt in den genannten Zeiten überall. Es ist nicht mehr räumlich begrenzt; es bezieht sich also nicht nur auf die Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtsstätte, sondern auch auf die Nahrungshabitate. Es ist also im Kern sogar erweitert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Staatssekretär. - Da juristische Texte einer breiten Interpretationsvielfalt unterliegen, frage ich ausdrücklich nach: Die von Ihnen eben vorgetragene Interpretation heißt, dass über den bisherigen Schutz hinaus inzwischen sogar ein erweiterter Schutz geltend gemacht werden kann, der sich nicht nur auf die genannten Lebensräume bezieht, sondern der auch im Falle besonders geschützter Arten ganzjährig gilt?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ob Ihre umfassende Interpretation richtig ist, vermag ich im Moment nicht zu sagen. Es handelt sich aber in jedem Fall um eine Ausweitung des Schutzes, weil auch das Nahrungshabitat einbezogen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die zweite Nachfrage.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme noch einmal auf die heutige Pressekonferenz des Bundesministers zurück. Um die Situation der Rote-Liste-Arten und der Biotope beurteilen zu können, brauchen wir auch eine Kenntnis über die Situation in der freien Natur. Deshalb frage ich Sie, wie Sie das große Engagement der Verbände und der Naturschützer bewerten, die dafür sorgen, dass wir genaue Erkenntnisse über die zu schützenden Arten und Biotope erhalten.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es ist ganz entscheidend, dass Umweltschutz nicht nur als eine technologische Frage verstanden wird. Aus meiner Sicht muss er auch die Artenvielfalt und - damit verbunden - den Schutz der Arten umfassen. Insofern begrüßen wir es nicht nur, wenn bestimmte Verbände so vorgehen, sondern halten es auch für eine Notwendigkeit, um überhaupt zu einem umfassenden Umweltschutz zu kommen. Gerade das Engagement von Umweltverbänden, Naturschutzverbänden und Artenschutzverbänden ist also aus unserer Sicht eine wesentliche Voraussetzung für einen wirkungsvollen Umweltschutz. Dieses Engagement sollte gestärkt und anerkannt werden. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer Nachfrage hat der Kollege Dr. Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung Ihrer Fragen zu diesem Thema. Ich hätte eine Nachfrage: Wie erklären Sie sich und teilen Sie die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission: Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 - und darüber hinaus“? In diesem Bericht steht wörtlich: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit - dieser Bericht bezieht sich auch auf Deutschland klaffen extreme Lücken, die geschlossen werden müssen, will man der drohenden Gefahr des Glaubwürdigkeitsverlustes entgegenwirken. Arbeitet der Wirtschafts- und Sozialausschuss an den Tatsachen vorbei, oder wie erklären Sie sich diese Stellungnahme?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich wüsste jetzt nicht, wieso Sie da einen Gegensatz zu meinen Aussagen konstruieren könnten. Ich habe das nicht gesagt. Ich sage nach wie vor: Ich finde, dass sich der Umweltschutz vor allem in der Frage bewähren muss, wie er zum Naturschutz und zum Artenschutz steht. Das ist die eigentliche Frage. Dass Deutschland da noch eine ganze Menge zu tun hat, ist sicher unbestritten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Bevor wir zur Frage 14 kommen können, möchte der Kollege Beck völlig überraschend einen Geschäftsordnungsantrag stellen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich beantrage nach § 106 und Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem, glaube ich, Thema „Anspruch und Wirklichkeit im Bereich des Naturschutzes“. Die Tatsache, dass acht Länder europapolitische Vorgaben gar nicht oder unvollständig umgesetzt haben, erfordert es, dass das Hohe Haus über dieses wichtige Thema debattiert. Ich bitte darum, diese Aktuelle Stunde im Anschluss an die Fragestunde vorzusehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es ist Ihr gutes Recht, namens Ihrer Fraktion eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Aber ich bitte dann schon um die genaue Bezeichnung der Frage, auf die sich Ihr Geschäftsordnungsantrag bezieht; denn das, was Sie glauben zu beantragen, können wir hier nicht beschließen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich beziehe meinen Geschäftsordnungsantrag auf die Fragen 12 und 13 der Abgeordneten Undine Kurth.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut. - Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 12 und 13 eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde statt. Mit dieser fahren wir jetzt fort. Ich rufe die Frage 14 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf: Welche sind für die Bundesregierung die wichtigsten Erkenntnisse des Sondergutachtens „Umweltverwaltungen unter Reformdruck“ des Sachverständigenrates für Umweltfragen, SRU, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Liebe Kollegin Kotting-Uhl, ich selbst habe dieses Sondergutachten des Sachverständigenrats überreicht bekommen und hatte die Gelegenheit, mit den Vertretern des Sachverständigenrats intensiv über dieses Papier zu diskutieren. Wir sehen es sehr wohl als einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion an; denn dies ist in der Tat eine empirisch sehr sorgfältige und in den Empfehlungen sehr klare Untersuchung des Sachverständigenrats, was aus meiner Sicht schon dadurch unterstrichen wird, dass in diesem Papier sehr deutlich alle Stärken und Schwächen des heutigen Vollzugs im Umweltbereich herausgearbeitet werden. Insofern ist es eine gute Gelegenheit, damit zu arbeiten. In seinem Gutachten befasst sich der Sachverständigenrat im Schwerpunkt mit aktuellen Reformtrends zur Neuordnung der Umweltverwaltung in den Ländern. Insofern ist ein Großteil der Debatte an die Länder gerichtet; trotzdem will ich mich dem hier nicht entziehen. Mit der umfassenden Bestandsaufnahme vor allem der sogenannten Verwaltungsmodernisierungsprozesse weist der Sachverständigenrat unter anderem - das halten wir für sehr bedenklich - auf Einsparungen beim Personal und bei Ressourcen der Umweltverwaltungen der Länder und Kommunen insbesondere beim Naturschutz hin. Allerdings wird in dem Bericht auch herausgestellt, dass diese Kritik nicht gegenüber dem Bund erhoben wird, wo die Verhältnisse doch erheblich anders liegen. Auf Bundesebene ist in den letzten Jahren keine vergleichbare Entwicklung wie in einigen Ländern erfolgt. Der Sachverständigenrat setzt sich mit verschiedenen Reformmodellen auseinander und beleuchtet ihre jeweiligen Stärken und Schwächen. Dabei betont er den Stellenwert leistungsfähiger, gut organisierter und funktionsgerecht ausgestatteter Verwaltungen, die einen wesentlichen Beitrag zu einem hohen Umweltschutzniveau, zur Standortqualität und letztlich zu Innovationen in Deutschland leisten. Das Gutachten geht im Einzelnen auf den Aufbau der Verwaltungsorganisation der Länder, auf Binnenmodernisierungen, auf umweltrechtliche Aspekte ein. Wir glauben, dass damit die Grundlagen geschaffen werden, um zwischen Bund und Ländern, aber auch in der Gesellschaft sehr intensiv über die fachlichen Herausforderungen des Umwelt- und Naturschutzrechtes debattieren zu können. Die Einzelergebnisse des Gutachtens werden jetzt in den zuständigen Gremien ausgewertet; sicherlich wird dann in vielen Gremien darüber beraten. Die entsprechenden Schlussfolgerungen und Empfehlungen betreffen allerdings in erster Linie den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Länder; sie können einen wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten. In diesem Zusammenhang sind uns auch die Empfehlungen des Sachverständigenrats zum Thema Umweltrecht wichtig. Wir sehen uns in dem Kurs bestätigt, die Schaffung eines Umweltgesetzbuches voranzutreiben. Wir wollen eine anwenderfreundlichere und einfachere Handhabung erreichen. Unsere Formel heißt aber nicht „Deregulierung“, sondern „intelligente Neuregulierung“. Wir wollen, wo immer es geht, entbürokratisieren, damit es einfacher und transparenter wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Müller, vielen Dank für die Antwort und dafür, dass Sie sich der Beantwortung nicht entzogen haben, obwohl die Frage - Sie haben das ausdrücklich betont - ganz stark die Kompetenz der Länder betrifft. Sie von der Großen Koalition, SPD und Union, haben mit der Föderalismusreform, der Sie zugestimmt und die Sie auch in die Wege geleitet haben, gemeinsam dazu beigetragen, dass die Kompetenz in diesem Bereich in Zukunft in noch höherem Maße bei den Ländern liegt. Ich gehe davon aus, dass wir uns einig sind, dass es keine gute Entwicklung ist, dass laut dem SRU-Gutachten 20 Prozent des Personals der Umweltbehörden und sogar 30 Prozent des Personals der Naturschutzverwaltungen - das ist viel zu viel - abgebaut worden sind. Auch wenn das sehr stark die Länderkompetenz betrifft, möchte ich Sie - Ihre Partei, die SPD, und die Parteien des Koalitionspartners sind in den Ländern vorrangig in Regierungsverantwortung - fragen: Was gedenken Sie, diesem Trend zum Abbau entgegenzusetzen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich hoffe, dass vor allem die aktuelle Diskussion über die Bedeutung der Umwelt- und Naturschutzpolitik einen Beitrag dazu leistet, bei diesen Fragen umzudenken. Sie können sicher sein, dass unser Haus eine klare Position dazu hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Ich glaube, dass Sie eine klare Position haben; ich hoffe auf die Kraft des Durchsetzens. Die zweite Frage bezieht sich auf das Stichwort „Kommunalisierung“. Wir sehen eine ganz starke Tendenz zur Kommunalisierung. In manchen Bereichen ist das positiv zu bewerten, in sehr vielen jedoch eher negativ; denn auf kommunaler Ebene fehlen einfach die Ressourcen: Zum Teil fehlt Fachkompetenz, es fehlt das Personal. Nicht jede Kommune kann es sich leisten, selber Labore zu errichten. Nicht zuletzt fehlt die Möglichkeit, sich bei bestimmten Fragen eine gewisse Routine anzueignen, weil nicht jeder Fall andauernd in jeder Kommune vorkommt. - Wie positionieren Sie sich dazu?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Hierbei geht es natürlich um eine Grundsatzfrage. Sicherlich ist es sinnvoll, Dezentralität zu ermöglichen, wo auch immer man besonders nah am Problem sein kann. Ich stimme aber Ihrer Grundposition zu: Es muss eine gewisse Qualifikation gegeben sein. Insofern teile ich Ihre Position, dass ohne einen gewissen Mindeststandard, ohne eine gewisse Mindestqualifikation Umweltund Naturschutz nur begrenzt möglich sind. Es kommt also darauf an, genau hinzuschauen, welche Ebene in Zukunft verantwortlich sein soll. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 15 der Kollegin Kotting-Uhl: Stimmt die Bundesregierung der Feststellung des SRU zu, dass die deutschen Natur- und Umweltverwaltungen zunehmend nicht mehr in der Lage sind, langfristige, kumulative, indirekte und chronische Wirkungen von Eingriffen in den Naturhaushalt zu beobachten und auf diese zu reagieren? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Frage knüpft in gewisser Weise an das an, was eben gefragt wurde. Meine Antwort lautet: Der Sachverständigenrat hat - wir haben schon darüber gesprochen im Gutachten darauf hingewiesen, dass im Bereich des Naturschutzes überproportional Ausgaben und Personal eingespart werden und dass die Konsequenzen daraus in der Tat ernst genommen werden müssen. Das Bundesamt für Naturschutz hat bereits im Vorfeld des Sachverständigenratsgutachtens - dadurch bekommt es eine noch größere Bedeutung - an die Fernuniversität Hagen ein Forschungsvorhaben mit der Fragestellung vergeben, welche Auswirkungen die zunehmende Europäisierung des Umwelt- und Naturschutzrechts und die veränderten finanziellen und administrativen Rahmenbedingungen auf spezielle Aufgabenbereiche des Naturschutzes, beispielsweise auf die Eingriffsregelung, auf den Vertragsnaturschutz und auf Natura 2000, haben. Wir gehen davon aus, dass dieses Gutachten im Mai vorliegen wird. Dann können wir umfassend auf diese Fragen antworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke Ihnen. Trotzdem möchte ich jetzt nachfragen und nicht bis Mai warten. Neben der zunehmenden Europäisierung in Umweltfragen - Sie haben sie gerade angesprochen - und der zunehmenden Kommunalisierung beim Vollzug - darüber haben wir eben schon gesprochen - wurde im SRUSylvia Kotting-Uhl Gutachten eine zunehmende Tendenz zur Privatisierung von gesetzlichen Aufgaben im Umweltbereich festgestellt. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass private Dienstleister im Bereich Natur- und Umweltschutz in der Lage sind, die notwendigen Aufgaben zu erfüllen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Der Sachverständigenrat hat diese Tendenzen ausdrücklich kritisiert, weil er damit einen deutlichen Qualitätsverlust verbindet. Wir müssen sagen: Unbeschadet der Frage, wie die Aufgabenverteilung zwischen privaten und staatlichen Trägern ausgestaltet ist, müssen der Erhalt der naturschutzrechtlichen Regelungen und die Sicherstellung der Qualität der Maßnahmen unsere obersten Ziele bleiben. Daran müssen wir uns orientieren. Dementsprechend müssen wir das bewerten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sehe, wir sind uns bei der Einschätzung in vielen Punkten einig. Beim Zusammenspiel privater, öffentlicher und gesellschaftlicher Kräfte spielen die Umweltverbände - ich möchte dieses Stichwort aufgreifen - als gesellschaftlicher Sachverstand eine große Rolle. Der SRU widerspricht der häufig geäußerten Einschätzung, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung die Genehmigungsverfahren verlängere, und empfiehlt, die Öffentlichkeitsbeteiligung, die sich als effektiv erwiesen hat, bei der Einführung der integrierten Vorhabengenehmigung zu erhalten, eher sogar auszubauen. Er empfiehlt, die Öffentlichkeitsbeteiligung erstens zu einem frühen Zeitpunkt und zweitens in einer Form auszubauen, die die Öffentlichkeit als ökologisch sinnvolle Begleitung bei der Planung, der Genehmigung und dem Betrieb von Anlagen zulässt. Wie positioniert sich die Bundesregierung in diesem Bereich?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es gibt in diesem Zusammenhang unterschiedliche Studien. In der Mehrheit der Studien heißt es aber aus meiner Sicht, dass eine erhöhte Öffentlichkeitsbeteiligung in der Regel zu größerer Rechtssicherheit, zu einer intensiveren und besseren Prüfung und damit im Kern zu einer Verkürzung der Verfahren führt, weil Klagen nicht erhoben werden und gerichtliche Verfahren dementsprechend nicht stattfinden. Das ist auch mir bekannt. Aus unserer Sicht kommt es darauf an, die Bürgerbeteiligung so zu organisieren, dass vor allem die Rechtssicherheit des Verfahrens und die Qualifizierung der Prozesse verbessert werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir kommen damit zur Frage 16 der Kollegin Nicole Maisch: Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich des Einflusses des Klimawandels auf die Artenvielfalt in Deutschland vor, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Bei dieser Frage geht es um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Artenvielfalt. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass kurz vor Ostern die zweite Arbeitsgruppe des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel ihr Gutachten zum Thema „Sektorale und regionale Folgen“ vorlegen wird. Darin werden die Fragen behandelt: Welche Folgen hat das für bestimmte Regionen? Was hat das für Folgen für die Artenvielfalt, für die Meeressysteme usw.? Die Zahlen, die im Rahmen dieses Gutachtens vorgetragen und beraten werden, bestätigen eindeutig, dass gerade die biologischen Folgen des Klimawandels viel größer sind, als manche bisher befürchtet haben. Das gilt beispielsweise für die Veränderungen bei den Fischzügen, den Bergwäldern oder der Fruchtbarkeit von Pflanzen. In der Tat ist es so, dass vor allem die Geschwindigkeit des Klimawandels erhebliche Folgen für den Naturhaushalt haben wird. Ich will ein paar Punkte nennen: Für viele der in Deutschland vorkommenden Tier- und Pflanzenarten werden sich die klimatisch geeigneten Lebensräume deutlich nach Norden bzw. Osten, in höhere Lagen der Gebirge oder in Regionen mit günstigeren Feuchteverhältnissen verschieben. Wir werden hier nach dem, was wir wissen, eine deutliche Verlagerung erleben. Wenn das tatsächliche oder potenzielle Verbreitungsgebiet im Zuge dieser Prozesse schrumpft oder ganz verloren geht - das können wir nicht aufhalten -, können Arten durch den Klimawandel sogar in ihrer Existenz bedroht sein. Dasselbe gilt, wenn die neuen Lebensräume nur eine vergleichsweise geringe Ausbreitungsfähigkeit haben oder andere Reproduktionszeiträume erforderlich sind. Geringere Vermehrungsraten werden befürchtet. Das gilt insbesondere für Tier- und Pflanzenarten, die bisher eine hohe Ortstreue haben oder besonders spezialisierte Habitat- oder Nahrungsansprüche stellen. Hinzu kommt, dass bei einer Ausbreitung nach Norden und Osten die anthropogenen Faktoren, also die menschlichen Einflüsse, Barrieren sein können, die wir nur begrenzt bestimmen können. Wir befürchten auch, dass es in bestimmten Bereichen zu einer verstärkten Konkurrenz unterschiedlicher Arten kommt und dadurch wiederum verstärkt zu einer Verdrängung der heimischen Pflanzen- und Tierarten. Lassen Sie mich das zusammenfassen: Das Bundesamt für Naturschutz befürchtet, dass durch den Klimawandel - je nach Annahme - ein Verlust von 5 bis 30 Prozent der derzeit vorhandenen Pflanzen- und Tierarten in den nächsten Jahrzehnten möglich ist, wobei sich diese Klimaveränderungen besonders im Hochgebirge, in Mooren, im Wattenmeer und in küstennahen Salzwiesen auswirken. Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir befürchten bedeutende Verluste bei wildlebenden Arten und Ökosystemen. Insofern müssen wir im Rahmen einer Klimaschutzstrategie zwei Ziele verstärkt verfolgen: Wir müssen einerseits alles tun, um den Klimawandel, soweit es geht, zu begrenzen. Außerdem müssen wir sehr viel stärker, als noch vor zehn oder 15 Jahren gedacht, Anpassungsmaßnahmen zum Erhalt der Natur, der Pflanzenund Tierarten durchführen. - Es gibt in diesem Zusammenhang ein Forschungsvorhaben. Das Bundesamt für Naturschutz wird Anfang 2008 über die Folgen des Klimawandels für die Artenvielfalt einen sehr umfangreichen Bericht vorlegen. Er wird aus meiner Sicht sehr gut zu dem passen, was jetzt das IPCC in seinem 4. Bericht vorlegt. Insgesamt kommt es darauf an, sowohl in der nationalen Klimaschutzstrategie als auch in einer Strategie „Naturschutzkonzeption Klimawandel“ - so nennen wir das entsprechende Qualitätsziele festzulegen, um möglichst frühzeitig Anpassungsstrategien zu ermöglichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. Bitte.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine Nachfrage haben Sie mir in vorauseilendem Gehorsam schon beantwortet. Das ist ganz schön.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich habe keinen vorauseilenden Gehorsam. Ich will nur informieren.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Meine zweite Frage bezieht sich auf eine konkrete Maßnahme, und zwar hinsichtlich der Moore. Durch die kontinuierliche Entwässerung unserer Moore schrumpfen deren Torfkörper und werden große Mengen von Klimagasen freigesetzt. Die Klimarelevanz einer solchen Moordevastierung ist enorm. Meine Frage lautet: Was unternimmt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Was wir unternehmen, ist klar: Wir müssen alles tun, um den Klimawandel so schnell wie möglich zu stoppen. Ich möchte aber auf Folgendes hinweisen: Das Hauptproblem ist - ich nehme wieder einmal den IPCC-Bericht zur Grundlage -, dass fast 60 Prozent der Landflächen auf der nördlichen Halbkugel Permafrostgebiete sind. Das Problem wird dort in aller Schärfe deutlich werden, da dort riesige Methanreservoire in den Böden gebunden sind. Dieses Problem ist umso größer, je nachdem, wie tief die Erwärmung geht. Es ist ein sehr ernstes Problem, dass gerade in solchen Feuchtgebieten entsprechende Treibhausgase freigesetzt werden. Insofern müssen wir sowohl direkte als auch indirekte Maßnahmen unternehmen. Direkte Maßnahmen bedeuten, dass man dies verhindert, wo immer es geht. Indirekte Maßnahmen bedeuten, dass man zum Beispiel durch entsprechende Systeme von Bewässerung versucht, Reservoire zu binden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sollten Sie noch eine Nachfrage haben, haben Sie nun die Möglichkeit dazu.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, habe ich nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Dann kommen wir zur Frage 17 ebenfalls der Kollegin Maisch: Welche Artenschutzprogramme für die Wiederansiedlung von Wildtieren in Deutschland werden durch die Bundesregierung in welchem Umfang finanziert respektive mitfinanziert?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Im Augenblick laufen im Rahmen der verfügbaren Finanzierung keine ausgesprochenen Artenschutzprogramme, aber wir haben ein paar Artenschutzvorhaben. Die nachfolgende Darlegung, die ich Ihnen gebe, berücksichtigt die kürzlich abgeschlossenen bzw. noch laufenden oder jetzt begonnenen acht Projekte: erstens eine Pilotstudie zur Abwanderung und zur Ausbreitung von Wölfen in Deutschland, zweitens eine Kooperation im Wolfsschutz zwischen Polen und Deutschland, drittens ein Fachkonzept für ein Wolfsmanagement in Deutschland, viertens Maßnahmen zur Arterhaltung und zum Bestandsschutz des Störs in Nord- und Ostsee, fünftens zur Sicherung und Optimierung der Fledermauswinterquartiere vor allem in Ostdeutschland, sechstens zur Wiederansiedlung von Wisenten im Rothaargebirge, siebtens eine Machbarkeitsstudie zur Ausbreitung von Luchsen, und achtens beschäftigen wir uns mit der Frage, was wir tun können, um verstärkt Wisenten zurückzuholen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine erste Nachfrage ist: Von welchen Laufzeiten ist bei den geplanten Projekten auszugehen, und wie werden sie evaluiert?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Sie werden vom Bundesamt für Naturschutz evaluiert. Die Projekte sind zum Teil abgeschlossen, zum Teil laufen sie noch. Ich würde Ihnen vorschlagen, dass wir Ihnen eine kurze Übersicht senden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine zweite Nachfrage ist: Im Zusammenhang mit solchen Programmen, vor allem im Hinblick auf die Wölfe, wird immer wieder von Konflikten mit der Bevölkerung vor Ort gesprochen. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung mit Blick auf Konflikte bei Wiederansiedlungsprogrammen vor, und welchen Beitrag kann die Bundesregierung leisten, um vor Ort als Mediatorin tätig zu werden?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Wenn man die gegenwärtigen Debatten über die Wiederansiedlung des Wolfes betrachtet, kann man feststellen, dass es dafür vor Ort mittlerweile sehr breite Unterstützung gibt. Man kann also sagen: Wenn man eine solche Maßnahme vernünftig organisiert und die örtlichen Akteure mit einbezieht, dann findet sie durchaus Akzeptanz. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 18 der Kollegin Bärbel Höhn: Welchen konkreten Zeitplan für die Umsetzung der beschlossenen „Potsdam-Initiative zur biologischen Vielfalt 2010“ haben die Minister auf dem G-8-Umweltministertreffen - 15. bis 17. März 2007 in Potsdam - beschlossen, und welche weiteren konkreten Maßnahmen und Umsetzungsbeschlüsse zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt wird die Bundesregierung während ihrer G-8-Präsidentschaft auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm vorlegen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Kollegin Höhn fragt nach dem konkreten Zeitplan für die Umsetzung der „Potsdam-Initiative zur biologischen Vielfalt 2010“. Ich kann diese Frage wie folgt beantworten: Das Bundesministerium wird die Ergebnisse des Umweltministertreffens der G-8-Staaten - dabei handelt es sich um die sogenannten Schlussfolgerungen des Vorsitzenden; Sie wissen, dass es unterschiedliche Kategorien gibt -, die unter anderem die in Potsdam behandelte Initiative einbeziehen, in den Vorbereitungsprozess des G-8-Gipfels einspeisen. Unsere Ziele sind, erstens diese Initiative auf dem G-8Gipfel zu besprechen und zweitens zur Umsetzung einzelner Aktivitäten nicht nur mit unseren G-8-Partnern, sondern auch mit den G-5-Staaten - Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika - weitere Schritte zu besprechen und vor allem gemeinsam mit Japan das weitere Vorgehen im G-8-Rahmen zu diskutieren, weil Japan die nächste Präsidentschaft haben wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. Diese Möglichkeit will ich gerne wahrnehmen. - Im Rahmen der Potsdam-Initiative ist festgelegt worden, dass ein wissenschaftlicher Bericht über die ökonomischen Folgen des Artensterbens erstellt werden soll. Mich würde interessieren, ob dieser Bericht schon vor der COP 9, der 9. Vertragsstaatenkonferenz, die im nächsten Jahr in Bonn stattfindet, vorliegen wird und welche Forschergruppe dafür verantwortlich sein wird.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Diese Frage kann ich Ihnen deshalb noch nicht beantworten, weil das noch nicht entschieden ist. Wenn das geschehen ist, kann ich Sie darüber informieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe bereits erwähnt, dass die große Vertragsstaatenkonferenz im nächsten Jahr in Bonn stattfinden wird. Mich würde interessieren, welche öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen Sie planen, um die Bevölkerung auf das Problem des Artensterbens hinzuweisen, und welche Maßnahmen Ihrer Meinung nach im Vorfeld der Vertragsstaatenkonferenz auf deutschem Boden, in Bonn, durchgeführt werden sollten, um diesem Trend entgegenzuwirken.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich wiederhole, dass Naturschutz, insbesondere der Erhalt der biologischen Vielfalt, das Kernthema jeder Umweltpolitik sein muss und bleiben muss. Deshalb wird das Ministerium bei diesem Thema einen Schwerpunkt setzen, was seine Öffentlichkeitsarbeit und die Ausrichtung seiner Tätigkeit betrifft. Die notwendigen Vorbereitungen haben wir bereits getroffen. Die entsprechenden Daten und die umfassenden Pläne werden in Kürze veröffentlicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Bärbel Höhn auf: Welche rechtlichen Grundlagen gibt es nach Ansicht der Bundesregierung für ein mögliches Verbot des geplanten Imports von 22 000 Tonnen Hexachlorbenzol aus Australien in die Bundesländer Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, und welche Landes- oder Bundesbehörden wären jeweils für den Erlass eines solchen Verbotes zuständig? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die in Deutschland geltenden rechtlichen Grundlagen für die Genehmigung von grenzüberschreitenden Abfallverbringungen bzw. deren Ablehnung sind einerseits in der Verordnung der EWG zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft - das ist die sogenannte EG-Abfallverbringungsverordnung vom 1. Februar 1993 - und andererseits in dem Gesetz über die Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen - das ist das Abfallverbringungsgesetz vom 30. September 1994 - geregelt. Das Entscheidende ist der § 4: Zuständig für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verbringung von Abfällen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes ist die Behörde des Landes, in dem die Abfälle erstmals behandelt, gelagert oder abgelagert werden sollen. Das umfasst dann auch die Genehmigung von grenzüberschreitenden Verbringungen. Das heißt, zuständig sind in dem Fall Schleswig-Holstein und NordrheinWestfalen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es gibt jetzt einen Kompetenzstreit, wer dafür zuständig ist: Das Umweltministerium von Nordrhein-Westfalen sagt, das sei der Bund. Staatssekretär Machnig hat daraufhin dem Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen einen Brief geschrieben, um die Situation noch einmal darzustellen. Interessanterweise sagt er dazu - Zitat aus dem Brief -: Zuständig dafür sind nach dem Abfallverbringungsgesetz die von den Bundesländern bestimmten Behörden. - Das ist das, was Sie eben bestätigt haben. Eine eigene Zuständigkeit für den Bund ({0}) besteht nicht - und wäre auch nur durch Änderung unserer Verfassung erreichbar. Können Sie einmal erläutern, was für eine Zuständigkeit Sie beim Transit haben?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich muss in dem Punkt sagen: Der Transit ist, wenn ich das jetzt richtig interpretiere, nur für höchstproblematischen Abfall geregelt.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darum geht es: Das ist einer der zwölf höchstproblematischen Abfälle.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind in der Fragestunde. Ich denke, der Staatssekretär sollte Gelegenheit zur Antwort bekommen.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich weiß, was Hexachlorbenzol ist; ein bisschen kenne ich mich da schon aus. Die Frage ist, ob das darunter fällt. Das ist bestimmt nicht der Fall. Unsere Rechtsauffassung hat sich auch nach neuerer Prüfung so bestätigt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die zweite Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vor Ort hat das natürlich einen Riesenwirbel ausgelöst und zu großem Protest geführt. Ich war am 6. Februar in Herten - das ist einer der Orte, wo dieser Abfall verbrannt werden soll - auf einer Veranstaltung. Da hat der Geschäftsbereichsleiter der Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet, AGR - das ist die Firma, die diesen Abfall verbrennen soll -, gesagt, dass dieser Abfall von Australien nach Herten verbracht wird, weil das - Zitat - „von einer Bundesbehörde empfohlen“ worden sei. Können Sie bestätigen, dass eine Bundesbehörde die Anlagen in Nordrhein-Westfalen für Giftmüll aus Australien empfohlen hat? Wenn ja: Welche Bundesbehörde war das?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Erstens weiß ich es nicht; ich kann es mir aber nicht vorstellen. Zweitens muss ich sagen: Es ist doch oft so, dass man sich entlastet.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie da bei sich nachhaken und mir das schriftlich beantworten?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Das werden wir natürlich tun.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wäre nett.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke sehr. Dann kommen wir zur Frage 20 der Kollegin Eva Bulling-Schröter: Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, ob und wo die australische Regierung die Entsorgung von Hexachlorbenzol, HCB, in ihrem Land vornehmen könnte? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es geht hier um denselben Sachverhalt, der hier soeben angesprochen wurde: Sie fragen, ob Informationen vorliegen, wonach die australische Regierung die Entsorgung von HCB auch im eigenen Land vornehmen könne. - Nein, wir haben darüber keine Kenntnis. Es wurden bei den Notifizierungsbehörden in Australien Rückfragen gemacht. Ob diese bereits beantwortet wurden, ist der Bundesregierung unbekannt. Noch einmal: Wir haben die Bundesländer gebeten, zu fragen, ob in Australien entsprechende Kapazitäten existieren; denn das wäre der Grund, die Verbringung abzulehnen. Darüber haben wir bisher keine Kenntnis.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatssekretär, das heißt, Ihnen ist auch nicht bekannt, dass bereits im September 2006 ein Angebot der Firma Dolomatrix vorlag, den HCBMüll in Australien zu entsorgen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Nein, ist mir nicht bekannt. Aber was Sie sagen, ist interessant.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine zweite Frage: Besteht zurzeit bezüglich der HCB-Importe vonseiten Ihres Ministeriums Kontakt zur australischen Regierung? Wie sehen diese Kontakte aus? Welche aktuellen Dinge werden hier besprochen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Noch einmal: Weil es, wie gesagt, Sache der Länder ist, entsprechend zu entscheiden, haben wir sie um Anfrage gebeten. Ich nehme dies zum Anlass, noch einmal rückzufragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir zur Frage 21 der Kollegin Bulling-Schröter kommen, hat die Kollegin Höhn die Möglichkeit zu einer Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, es gibt ein Gutachten einer australischen Provinzregierung, welches zu dem Schluss kommt, dass auch in Australien entsprechende Bearbeitungsanlagen für diesen Giftmüll zur Verfügung stehen, und in einer Anhörung, die jetzt stattgefunden hat, haben sich drei Unternehmen bereit erklärt, diesen Giftmüll zu behandeln. Es geht wohl um die Fragen, ob es dort teurer ist und ob es dort etwas länger dauert als hier. Inwieweit wird die Bundesregierung angesichts dieser Tatsachen darauf drängen, dass diese Fakten mitberücksichtigt werden? Offensichtlich ist ja der entscheidende Punkt, um den Transport dieses Giftmülls nach Deutschland zu verhindern. ob es in Australien genügend große Anlagekapazitäten gibt.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich sage noch einmal, dass ich das genauso sehe wie Sie. Wir haben nur die Chance, einen Einwand zu erheben, wenn in Australien die Möglichkeit dazu besteht, wenn wir also begründen können, dass dieser Transport nicht nötig ist. Die Position, die uns bisher vermittelt wurde, ist anders als die, die Sie uns schildern. Deshalb nehme ich das gerne zum Anlass, noch einmal nachzuprüfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 21 der Kollegin Bulling-Schröter: Sofern die HCB-Entsorgung in Australien nicht möglich ist, kann - und wenn ja, wie - Deutschland bzw. können die von der HCB-Entsorgung betroffenen Bundesländer den Import verhindern, auch wenn technisch und logistisch die Voraussetzungen für die Entsorgung in Deutschland gegeben sind und eine Firma sich bereit erklärt hat, die Entsorgung vorzunehmen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich erspare mir nähere rechtliche Ausführungen und verweise auf das, was ich vorhin bei der Frage der Kollegin Höhn zu den rechtlichen Grundlagen gesagt habe: Einschlägig sind die EU-Abfallverbringungsverordnung und das Abfallverbringungsgesetz. Ich habe auch gesagt, dass für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verbringung von Abfällen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes die Behörde des Landes zuständig ist, in dem die Abfälle gelagert werden, in diesem Fall also des Landes Schleswig-Holstein bzw. Nordrhein-Westfalen. Nach den Regeln dieser Abfallverbringungsverordnung ist die Genehmigung der Verbringung eine gebundene Entscheidung. Das ist der entscheidende Punkt, auf den wir soeben ja auch eingegangen sind. Das heißt, die notifizierende Person hat einen Anspruch auf Erteilung, wenn nicht ein vorher genannter Einwandsgrund - beispielsweise, dass im eigenen Land eine entsprechende Kapazität vorhanden ist - gemäß der Verordnung vorliegt. Dies kann zum Beispiel der Einwand sein - damit gebe ich noch einmal unseren Stand wieder -, dass die vorgesehene Anlage in Deutschland für andere Abfälle benötigt wird bzw. dass der Einsatz von Abfällen in der Anlage gegen deutsches Recht verstößt. Das wären sozusagen Gründe in Deutschland. Ein anderer Grund wäre, wenn auch in Australien entsprechende Kapazitäten bestünden. Für einen Einwand bzw. eine Ablehnung unter Hinweis auf diese Gründe haben wir bei den bishe9086 rigen Prüfungen keine ausreichende Grundlage gefunden. Das ist der Sachstand. Ich höre von der Kollegin Höhn, dass zumindest in einer Anhörung in Australien andere Fakten genannt worden sind. Wir werden dem gerne noch einmal nachgehen. Das ist im Augenblick aber sozusagen unser aktueller Stand: Wir können nur darauf verweisen, dass es in Deutschland bei den Importen, bei denen kein Einwandsgrund geltend gemacht werden konnte, bisher noch keinen Versagensfall gab.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Zusatzfrage.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wie sehen Sie denn die Risiken, die durch den Transport von Giftmüll durch zum Teil wirklich dicht besiedelte Gebiete entstehen? Sind Sie der Meinung, dass sie der Bevölkerung zuzumuten sind? Der Hintergrund meiner Frage ist Ihnen sicher bekannt: Der Rhein ist jetzt bis Freitag gesperrt, weil es dort zu einer Frachthavarie gekommen ist, bei der Gefahrgutcontainer, die Chemikalien enthalten, ins Wasser gefallen sind. Das sind ja Anzeichen dafür, dass hier wirklich gefährliche Stoffe transportiert werden. Wie schätzen Sie das ein?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich würde nie eine solche Kausalität zur Grundlage machen, sondern der Grundsatz der Bundesregierung muss immer Risikominimierung lauten. Das finde ich auch richtig. Ich würde keinen Automatismus von einem Unfall zu einem anderen unterstellen. Ich glaube nicht, dass Sie das so gemeint haben. Ich wollte das hier aber wenigstens einmal gesagt haben. Natürlich ist es uns lieb, wenn solche Mengen in Australien selbst entsorgt werden; das ist gar keine Frage. Ich sage aber auch, dass wir natürlich an bestimmtes Recht gebunden sind. Das ist in diesem Fall das europäische Recht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Zusatzfrage.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mich würde noch interessieren, wie die Bundesregierung die Tatsache rechtfertigt, dass immer mehr und zudem auch gefährliche Abfälle nach Deutschland importiert werden und damit auch die absolute Menge an Emissionen steigt, die bei der Verbrennung entstehen und die Bevölkerung in der näheren und weiteren Umgebung belasten.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich bin nicht sicher, ob diese pauschale Aussage richtig ist. Ich bin auch nicht sicher, ob nicht beispielsweise problematische Stoffe von Deutschland in andere Länder exportiert werden. ({0}) Ich wäre ein bisschen vorsichtiger mit dieser pauschalen Aussage. Es ist keine Lösung des Problems, aber ich wäre ein bisschen zurückhaltender in meiner Bewertung. Auf jeden Fall muss - das ist ein wichtiger Grundsatz; es ist auch meine Grundlinie und sicherlich auch die dieses Hauses - gefährlicher Abfall, wo immer dies möglich ist, entweder vermieden oder zumindest möglichst dezentral oder verbrauchsnah entsorgt werden. Leider ist dies nicht in allen Fällen möglich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist ein spannendes Thema. Ich habe noch eine Frage, Herr Staatssekretär. Ich habe eben den Brief des Staatssekretärs Machnig an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen erwähnt, in dem er seine Auffassung dargelegt hat, wer für die Genehmigung zuständig ist. Nachdem dieser Brief der Landesregierung vorlag, hat der nordrhein-westfälische Umweltminister Uhlenberg in der Landtagssitzung vom 7. März 2007 die Auffassung geäußert, dies sei Sache des Bundes, und gesagt - Zitat -: Es kann daher keinesfalls Sache einzelner Bundesländer sein, Abfallimporten aus einem weit entfernten hochindustrialisierten Vertragsstaat des Baseler Übereinkommens entgegenzutreten. Teilen Sie diese Auffassung?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich wiederhole: Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass manche mit Blick auf andere versuchen, sich zu entlasten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es scheint angeraten, die wechselseitig vorhandenen Informationen zu diesem Thema im Anschluss an die Fragestunde zusammenzuführen. Es gibt sicherlich Anregungen für parlamentarische Initiativen, aber auch für die Vorhaben, die der Staatssekretär angekündigt hat. Wir sind auf jeden Fall am Ende dieses Geschäftsbereiches. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel. Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Kai Gehring auf: Zu welchem Zeitpunkt plant die Bundesregierung eine Erhöhung der Fördersätze und Freibeträge im Bundesausbildungsförderungsgesetz, BAföG, und aufgrund welcher neuen Vizepräsidentin Petra Pau Erkenntnisse hat die Bundesregierung in dieser Sache ihre Position innerhalb der letzten Wochen geändert?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Präsidentin! Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, sehr geehrter Herr Kollege Gehring, bereits im 17. Bericht nach § 35 des BAföG angekündigt, die finanzpolitische Situation, die sie bewogen hat, wegen der dringend notwendigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte keine sofortige Anpassung der BAföG-Sätze vorzuschlagen, fortlaufend beobachten und gegebenenfalls auch unabhängig von der Vorlage des nächsten Berichts mit geeigneten Vorschlägen reagieren zu wollen. Dies gilt weiterhin. Dass derzeit angesichts der immer deutlicheren Anzeichen für eine sich verfestigende konjunkturelle Belebung innerhalb der Bundesregierung über Spielräume einer BAföG-Anpassung in 2008 diskutiert wird, ist keine Änderung, sondern eine konsequente Fortsetzung der bereits geäußerten Position.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Ich habe das als Positionswechsel wahrgenommen, möchte aber eine Frage zur Problematik des zweiten Bildungsweges stellen. Die SPD-Fraktion hat in ihrer Pressemitteilung vom 20. März erklärt, eine Einschränkung, zum Beispiel die Begrenzung des elternunabhängigen BAföG von Schülerinnen und Schülern im zweiten Bildungsweg, „auf keinen Fall“ mitzutragen. Macht sich die Bundesregierung diese Position zu eigen? Darüber hinaus möchte ich wissen, wie die Bundesregierung zum Bundesratsvorstoß des Freistaates Bayern steht, die von der Bundesregierung geplanten Einschränkungen beim zweiten Bildungsweg ersatzlos aus der Novelle zu streichen.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Bundesregierung hat einen Regierungsentwurf eingebracht, der Gegenstand der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung ist. Alles andere wird sich im weiteren Verlauf zeigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sieht die Bundesregierung im BAföG eine zukunftsfähige Form der Ausbildungsförderung, oder hält sie es - wie die Bundesministerin noch vor wenigen Monaten deutlich gemacht hat - eher für ein Auslaufmodell? Plant die Bundesregierung mittelfristig, noch in dieser Legislaturperiode, eine grundlegende Strukturreform beim

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Äußerung, die Sie der Ministerin in Ihrer Frage unterstellt haben, kann ich ausdrücklich nicht bestätigen. Die Bundesregierung hat für dieses Jahr eine Novelle vorgelegt. Alle anderen Überlegungen beziehen sich auf die Frage, ob sich Spielräume aus dem konjunkturellen Wachstum insgesamt ergeben. Auch die jetzt vorgelegte Novelle sieht eine Reihe von Verbesserungen für die Betroffenen vor. Ich denke zum Beispiel an die Ausbildungsförderung für Migranten oder den Kinderbetreuungszuschlag, der Studierenden mit Kindern neben dem Studium eine qualifizierte Kinderbetreuung gewährleisten soll.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Tauss hat das Wort zu einer Nachfrage.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich freue mich sehr, dass die Pressemitteilungen der SPD-Fraktion bei den Grünen so gründlich studiert werden. Verbreiten Sie sie bitte weiter. Mein Nachfrage ist: Lieber Herr Staatssekretär Rachel, können Sie mir bestätigen, dass es zu keinem Zeitpunkt - entgegen der Unterstellung des Kollegen Gehring - beabsichtigt war, den zweiten Bildungsweg in Deutschland abzuschaffen oder zu beeinträchtigen, sondern dass es lediglich eine Diskussion darüber gibt, ob in jedem Fall eine elternunabhängige Förderung für Kollegiaten und diejenigen, die das Abitur nachholen, erforderlich ist und ob es aus Gerechtigkeitsgründen, möglicherweise zugunsten anderer Gruppen wie Studierenden mit Kindern und derjenigen, die sonst Abitur machen, nicht überlegenswert ist, gegebenenfalls zu einer elternabhängigen Förderung zu kommen, und zwar - ich sage das in aller Klarheit; das ist unsere Position - ohne Einschränkung des zweiten Bildungsweges?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege Tauss, ich darf Ihnen bestätigen, dass Sie präzise die Auffassung der Bundesregierung und der beiden Koalitionsfraktionen wiedergegeben haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zur nächsten Nachfrage hat der Kollege Barth.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie eben auf die Frage des Kollegen Gehring, zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung eine Erhöhung der Fördersätze und der Freibeträge beabsichtigt, sinngemäß geantwortet, dass Sie die Entwicklung in diesem Bereich weiter beobachten und gegebenenfalls reagieren werden. Jetzt frage ich Sie: Was müsste über das hinaus, was wir im letzten BAföG-Bericht über die Notwendigkeit einer Anpassung sowohl bezüglich der Bedarfslücke als auch hinsichtlich des sehr langen Zeitraums seit der letzten Anpassung gelesen haben, gegeben sein, damit die Bundesregierung reagiert?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege, ein wichtiges Kriterium für uns ist angesichts der Haushaltslage, die uns für das laufende Jahr finanzielle Restriktionen auferlegt, die sich abzeichnende positive konjunkturelle Veränderung. Wenn sich diese verstetigt, werden wir - so glauben wir - Spielräume gewinnen. Dies wird aber im Bundeskabinett zu besprechen sein. Zudem werden wir die für den Sommer zu erwartende BAföG-Statistik des Statistischen Bundesamtes in Ruhe betrachten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit sind wir bei Frage 23 der Kollegin Hirsch: Welche Höhe einer Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge des BAföG ab dem Wintersemester 2008/2009 möchte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, für die Haushaltsverhandlungen 2008 einbringen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Hirsch, Sie fragen im Prinzip nach dem gleichen Thema. Deshalb werden Sie eine ähnliche Antwort erhalten. Die Bundesregierung prüft angesichts der sich deutlich abzeichnenden und sich verfestigenden konjunkturellen Belebung derzeit, ob und welche Spielräume für eine Anpassung der Bedarfssätze, der Freibeträge und der Sozialpauschalen im BAföG im Jahr 2008 vorhanden sind. Die im Bundeskabinett hierzu gemeinsam getragene Einschätzung wird selbstverständlich auch bei der gemeinsamen Beschlussfassung über den Regierungsentwurf für den Haushalt 2008 eine Rolle spielen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Meine Nachfrage ist: Sie haben gesagt, dass Sie die Anpassung der BAföG-Sätze von der Haushaltslage abhängig machen möchten. Stimmen Sie mir zu, dass die Haushaltslage nicht irgendein Naturereignis ist, sondern dass die Bundesregierung selbstverständlich darauf Einfluss nimmt? Ich erwähne nur die Unternehmensteuerreform, über die am Freitag in erster Lesung beraten werden soll. Hat die Bundesregierung darüber diskutiert, inwieweit dort in irgendeiner Form auch Einnahmen für die öffentlichen Kassen verloren gehen, die für so etwas wie eine BAföG-Reform verwendet werden könnten?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin, natürlich findet auch die Diskussion über Bildungspolitik und BAföG nicht im luftleeren Raum statt, sondern immer in Würdigung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge. Auch dies ist hier gewährleistet gewesen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn dies gewährleistet gewesen ist und weil die Bundesregierung schon mehrfach uns gegenüber erwähnt hat, welch hohe Priorität sie den Zukunftschancen der jungen Generation beimisst und für wie wichtig sie es hält, die soziale Ungleichheit an den Hochschulen abzubauen, ({0}) interessiert mich, ob sie hierin nicht einen gewissen Widerspruch zu der aktuellen Politik sieht, die sie hier verfolgt. Offensichtlich sind ihr ja an dieser Stelle Steuergeschenke an Unternehmen wichtiger als die Zukunftschancen der jungen Generation.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die von Ihnen behaupteten Steuergeschenke sehe ich nicht. Im Gegenteil, es geht darum, dass durch eine Unternehmensteuerreform auch ein Beitrag dazu geleistet wird, dass in einer veränderten Wettbewerbslage - auch in einer veränderten steuerpolitischen Wettbewerbslage - die Unternehmen in Deutschland den Standort Deutschland weiterhin als attraktiv empfinden und hier investieren und Arbeitsplätze schaffen. Dies alles kann zur Festigung der konjunkturellen Aufwärtsentwicklung beitragen. Wird diese gewährleistet, werden daraus wieder Spielräume für die Politik erwachsen, was sich dann auch im Bereich der Bildungs- und BAföG-Politik auswirken wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Tauss das Wort. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, dass muss ich gar nicht tun. Die Unternehmensteuerreform ist mit Ausnahme von ein paar Punkten, die wir im Verfahren besprechen werden, gut. Das ist doch gar keine Frage. Herr Staatssekretär, weil die Frage der Kollegin Hirsch intendierte, dass es hier Zusammenhänge gebe, frage ich Sie, ob Ihnen schon bekannt ist, dass die Kollegin Hirsch vor wenigen Minuten an einer Beratung über eine BAföG-Anhörung teilgenommen hat, die wir exakt unter dem Gesichtspunkt durchführen wollen, welche Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume es gibt, um im Bereich des BAföG etwas zu tun, und ob Sie mir darin zustimmen, dass das, was das Deutsche Studentenwerk mit dem kommenden Sozialbericht der Studierenden, der im Juni erwartet wird, vorlegen wird, sehr viel mehr mit der Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition im Hinblick auf eine BAföG-Erhöhung zu tun hat als die konstruierten Vorgänge, die Kollegin Hirsch hier in den Raum stellt.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Auch in diesem Fall vermag ich Ihnen nicht zu widersprechen, Herr Kollege Tauss, ({0}) sondern ich kann dies nur unterstreichen. Im Übrigen freue ich mich, zu hören, dass Sie zwischen der Beendigung der Sitzung des Bildungs- und Forschungsausschusses und dieser Fragestunde als Berichterstatter der Fraktionen zusammengesessen und tatsächlich diese Anhörung zum BAföG beschlossen haben. Sie wird einen weiteren Beitrag dazu leisten, dass wir noch mehr Informationen für eine abgewogene Entscheidung erhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nachdem wir nun erfahren haben, dass dieser Gegenstand in einer öffentlichen Anhörung weiterhin erörtert werden wird, kommen wir zur Frage 24 der Kollegin Hirsch. Da wir uns im Plenum des Bundestages mit dem Gegenstand der Frage in dieser Woche noch befassen werden, wird die Frage gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. - Damit danke ich Herrn Staatssekretär Rachel. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung. Die Frage 25 des Kollegen Jörg Rohde wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 26 des Kollegen Dr. Ilja Seifert. Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Kornelia Möller auf: Entspricht es den Tatsachen, dass die Bundesregierung beabsichtigt, weitere Veränderungen an verschiedenen Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik vorzunehmen, so zum Beispiel sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen künftig zu entfristen, und von welchen Überlegungen lässt sich die Bundesregierung dabei leiten?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Präsidentin, wenn Sie und die Fragestellerin damit einverstanden sind, würde ich wegen des engen Zusammenhangs die Fragen 27 und 28 zusammen beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ja, natürlich. Dann rufe ich auch die Frage 28 auf: Stimmt es, dass die mit Erfolg angewandte Entgeltvariante künftig nicht mehr als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gestaltet werden soll, und wie wird diese Veränderung begründet?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Sie fragen danach, ob es die Absicht gibt, Instrumente der Arbeitsmarktpolitik zu verändern und zu überarbeiten; außerdem fragen Sie nach bestimmten Instrumenten und ihrer Ausgestaltung. Ich beantworte Ihre Fragen 27 und 28 wie folgt: ({0}) Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom 11. November 2005 heißt es: CDU, CSU und SPD werden … alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf den Prüfstand stellen. Das, was sich als wirksam erweist und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit oder zur Beschäftigung führt, wird fortgesetzt. Das, was unwirksam und ineffizient ist, wird abgeschafft. Diese Überprüfung soll bis Ende kommenden Jahres abgeschlossen sein. Auf der Grundlage dieser Wirksamkeitsanalyse wird spätestens im Jahr 2007 die aktive Arbeitsmarktpolitik insgesamt grundlegend neu ausgerichtet und sichergestellt, dass die Mittel der Beitragsund Steuerzahler künftig so effektiv und effizient wie möglich eingesetzt werden. Die Überprüfung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wurde Ende 2006 abgeschlossen und die Ergebnisse im Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsplatz zusammengefasst. Der Bericht ist dem Deutschen Bundestag als Drucksache 16/3982 zugeleitet worden. Wir sind damit im Zeitplan des Koalitionsvertrages. Eine Neuregelung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente muss sorgfältig vorbereitet werden, damit der Komplexität des Regelungsgegenstandes und der weitreichenden Auswirkungen, die mit einer Flexibilisierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente verbunden sind, Rechnung getragen werden kann. Diese Vorbereitung ist derzeit im Gange. Festlegungen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Vorhabens gibt es noch nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte schön, Frau Kollegin Möller.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe keine Nachfragen, da diese keinen Sinn ergeben, wenn Sie noch nicht so weit sind. Ich werde die Fragen bei Gelegenheit stellen. Ich danke Ihnen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Danke schön, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe zunächst die Frage 29 des Kollegen Dr. Norman Paech auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, auf die im Bericht vom 29. Januar 2007 ({0}) enthaltene Kritik des UN-Sonderberichterstatters über die Situation von Menschenrechten in den palästinensischen Gebieten zu reagieren, wonach unter anderem die Europäische Union mitverantwortlich für die humanitäre Krise in den palästinensischen Gebieten ist ({1}), und wenn ja, in welcher Weise?

Not found (Gast)

Herr Kollege Paech, Ihre Frage nach dem Bericht vom 29. Januar 2007 des UN-Sonderberichterstatters über die Situation der Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten beantworte ich folgendermaßen: Die in der Fragestellung enthaltene Kritik, die Europäische Union sei mitverantwortlich für die Krise im Gazastreifen, weist die Bundesregierung zurück. Die Europäische Union hat schnell auf die sich verschlechternde humanitäre und sozioökonomische Lage im Gazastreifen reagiert und bereits im Mai 2006 die Einrichtung eines Übergangsmechanismus, der die Abkürzung TIM trägt, zur Unterstützung der öffentlichen Versorgung im Gazastreifen beschlossen und umgesetzt. Die Zahlung einer zweiten deutschen Tranche für die Finanzierung des durch das Nahostquartett um weitere drei Monate verlängerten TIM wird derzeit geprüft. Aus dem TIM wurden 2006 zeitweise die kompletten Ausgaben für Strom und Wasser für den Gazastreifen bestritten. Insgesamt betrug die Entwicklungshilfe aus der Europäischen Union - Kommission und Mitgliedstaaten zusammengenommen - im Jahr 2006 650 Millionen Euro. Im Jahr 2005 waren es 565 Millionen Euro.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Kollege Paech? - Bitte schön.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister Erler, Sie haben gelesen, dass der Berichterstatter John Dugard in seinem Bericht, der auch diese Frage sehr detailliert behandelt hat, ausgeführt hat, dass trotz der Überweisung der von Ihnen zitierten TIM die Situation in der Westbank so ist, dass zwei Drittel der Haushalte unter der offiziellen Armutsgrenze leben, und dass in Gaza, das Sie eben erwähnt haben, 80 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze von 2 USDollar pro Tag leben. Er sagt ausdrücklich, dass dies eine unmittelbare Folge der Sanktionspolitik gegenüber der palästinensischen Regierung ist. Das heißt, er macht trotz der Überweisungen, die nicht an die Regierung gehen, sondern an dritte Organisationen, die EU-Sanktionspolitik dafür verantwortlich, dass es eine humanitäre Katastrophe in den besetzten Gebieten und in Gaza gibt. Sind Sie angesichts dieser Kritik nicht bereit, Ihre Sanktionspolitik zu überdenken?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Paech, ich kann nur wiederholen, dass wir die Fakten natürlich kennen, die Dugard aufgeschrieben hat, aber seine Behauptung, dass die Europäische Union für die unbestreitbare Krise dort mitverantwortlich ist, von uns nicht geteilt wird. Ich habe darauf hingewiesen, welche umfangreichen Maßnahmen von der EU getroffen worden sind, um zwei Interessen miteinander zu vereinbaren. Es war unmöglich, nachdem die Hamas die Regierung im letzten Jahr in den palästinensischen Gebieten übernommen hatte, direkt dorthin Gelder zu überweisen. Die Europäische Union hat aber alles getan, um herauszufinden, welche Wege man nutzen kann, um die Folgen abzumildern. Das ist durch umfangreiche Zahlungen geschehen. Zum Beispiel hat die deutsche Seite andere Adressaten - private oder kommunale Adressaten, NGOs - genutzt. Wir haben unsere Entwicklungshilfemaßnahmen gar nicht reduziert, sondern nur anders organisiert. Daraus lässt sich nach unserer Auffassung eine solche Verantwortungszuweisung nicht ableiten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage, bitte.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte auf einen anderen Aspekt der humanitären Situation zu sprechen kommen. John Dugard hat ebenfalls bezüglich Gaza darauf hingewiesen, dass ein Großteil dieser Misere darin besteht, dass die Israelis durch ihre Besatzungspolitik dort Kriegsverbrechen begehen, und zwar: direkte Angriffe auf Zivilisten, keine Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen, exzessive Gewaltanwendung durch unverhältnismäßige Angriffe auf Zivilisten, Verbreitung von Terror unter der Zivilbevölkerung und Verletzung des Verbots kollektiver Bestrafung. All das sind nach den Genfer Konventionen von 1949 und dem Zusatzprotokoll I von 1977 Kriegsverbrechen. Das ist unstrittig. In welcher Weise reagiert eigentlich die Bundesregierung mit ihren sehr engen Kontakten zur israelischen Regierung darauf?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung macht die Beachtung der Menschenrechte der Palästinenser bei ihren Begegnungen mit israelischen Politikern ständig zum Thema. Das tut auch die EU. Es geht dabei um den fortgesetzten Siedlungsbau, um den Bau der Sperranlage, um die außergerichtlichen Tötungen und um die Verhaftungen, einschließlich der von Ministern und Abgeordneten. All das sprechen wir in all unseren Begegnungen mit israelischen Politikern an, ohne dabei etwa das Selbstverteidigungsrecht Israels infrage zu stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich dem Kollegen Gert Weisskirchen das Wort.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Staatsminister, wären Sie so freundlich und würden Sie, wenn es möglich wäre, den Herrn Kollegen Paech darauf hinweisen, dass es sinnvoll sein kann, sich zu überlegen, ob nicht Hamas selbst und die palästinensische Autorität dazu übergehen sollten, die bestehenden Möglichkeiten zu nutzen, um einen Friedensprozess in Gang zu setzen? Man könnte beispielsweise die Angebote des Quartetts annehmen. Wenn Gert Weisskirchen ({0}) das geschähe, könnte ein Prozess in Gang gesetzt werden, der relativ rasch dazu führen kann, dass die Situation in Palästina und im Gazastreifen sich entspannt, wodurch es zu einem zivilen, sich selbst tragenden Prozess kommen kann.

Not found (Gast)

Herr Kollege Weisskirchen, ich bestätige gern, dass die drei Quartettkriterien - Anerkennung des Existenzrechts Israels, Gewaltverzicht und Anerkennung der bisher geschlossenen Friedensabkommen - weiterhin bestehen und dass die Erfüllung dieser Kriterien selbstverständlich auch Folgen für den internationalen Unterstützungsmechanismus hätte. Ich verbinde das mit einem Hinweis auf unsere Hoffnung, die wir im Zuge der Bildung der Regierung der nationalen Einheit natürlich haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 30 des Kollegen Dr. Paech: Spricht aus Sicht der Bundesregierung etwas gegen den in dem oben genannten Bericht ({0}) enthaltenen Vorschlag, ein Gutachten - Advisory-Opinion - des Internationalen Gerichtshofes, IGH, zu der Frage anfordern zu lassen, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus einem dauerhaften militärischen Besetzungsregime ergeben, das Züge von Kolonialismus und Apartheid trage ({1}), und, wenn ja, was?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Paech, Art. 96 der Charta der Vereinten Nationen bestimmt, dass nur der Sicherheitsrat und die Generalversammlung sowie mit entsprechender Ermächtigung durch die Generalversammlung andere Organe der Vereinten Nationen und Sonderorganisationen ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs über eine Frage des Völkerrechts anfordern können. Einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen steht diese Möglichkeit nicht offen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, bitte.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ist Ihnen auch bekannt, dass man einen solchen Prozess, der meistens von der UN-Generalversammlung ausgeht, initiieren kann? Man kann den Antrag stellen, dass die Situation vom IGH überprüft wird. Wir haben das im Fall des Mauerbaus in Israel, in Palästina gehabt. Ich darf daran erinnern, dass bei der Besetzung Südwestafrikas durch Südafrika der Internationale Gerichtshof insgesamt viermal Gutachten erstellt hat. Der Gutachter Dugard hat Formen des Kolonialismus in den besetzen Gebieten insbesondere darin gesehen, dass die Siedlerzahlen in Jerusalem auf 200 000 und in der Westbank auf 260 000 gestiegen sind, auch gegenwärtig noch permanent steigen, und dass die Pläne, die drei Siedlungsblöcke Gush Etzion, Ma’aleh Adumim und Ariel zu integrieren, die territoriale Integrität Palästinas zerstören und damit eigentlich auch, dem Ziel der Bundesregierung, zwei Staaten zu gründen, das heißt auch ein lebensfähiges Palästina zu schaffen, diametral entgegengesetzt sind.

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Herr Kollege Paech, Ihre ausführlichen Zitate aus dem Gutachten ändern nichts daran, dass wir Ihre ursprüngliche Frage, nämlich wie wir uns dazu stellen, eine solche „advisory opinion“ einzuholen, nur beantworten können, indem wir darauf hinweisen, wer das tun kann und wer nicht. Das habe ich getan. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn Sie meinen, dass Sie das nicht können - das ist nur eine Frage der politischen Ansicht und nicht der juristischen Unmöglichkeit -, möchte ich nur noch eines sagen. John Dugard hat auch darauf hingewiesen, dass gerade das System der Checkpoints und der Straßensperren etwas ist, was ihn an Südafrika erinnert, an das System der Passgesetze, und dass das eigentlich das System gewesen ist, was den Hass der Bevölkerung und die Ablehnung des Systems am meisten forciert hat. Das steht auch im vollständigen Gegensatz zu Ihren Bemühungen, den Bemühungen der Bundesregierung, Ausgleich und Frieden zu schaffen. Wenn Sie schon nicht meinen, dass der IGH hilfreich ist, ist die Frage: Was machen Sie stattdessen? Wir haben zum Beispiel nie einen öffentlichen Protest gehört, obwohl es den andernorts gibt. Sie wissen, dass dem Unterhaus in Großbritannien jetzt ein Antrag auf Suspension der EU-Assoziation vorliegt. Es gibt von anderen Regierungen durchaus öffentliche Proteste.

Not found (Gast)

Vielleicht hätte ich bei meiner Antwort auf Ihre erste Zusatzfrage noch anfügen sollen, Herr Kollege Paech, dass wir nicht nur das Thema der Sperranlagen und die Tatsache, dass sie nicht der „Grünen Linie“ folgen, sondern natürlich auch das der Straßenkontrollen und der Behinderung praktisch der Freizügigkeit der palästinensischen Bevölkerung - das stellt natürlich ein großes soziales, kulturelles, aber auch wirtschaftliches Problem dar - in unseren Begegnungen mit der israelischen Seite regelmäßig kritisch ansprechen. Das werden wir auch fortführen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Heike Hänsel auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage im Vierten Bericht des International Development Committee im britischen Unterhaus vom 31. Januar 2007, wonach jegliche internationale Hilfe für die palästinensischen Gebiete von der israelischen Regierung durch „unverhältnismäßige Maßnahmen“ wie die Errichtung der Mauer, die Grenzposten und die Einschränkungen der palästinensischen Wirtschaft und des Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Handels konterkariert werde ({0}), und über welche diesbezüglichen Erfahrungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Verteuerung von Entwicklungsmaßnahmen durch derartige Maßnahmen, verfügt sie?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Hänsel, Sie haben den Bericht des International Development Committee im britischen Unterhaus von Ende Januar angesprochen. Meine Antwort lautet folgendermaßen: Die EU weist regelmäßig auf die besondere Verantwortung der Konfliktparteien hin sowie darauf, die Zerstörung ziviler Infrastruktur zu unterlassen und die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten. Der der Frage zugrunde liegende Sachverhalt, dass die Entwicklungsmaßnahmen in einem nicht gelösten bewaffneten Konflikt besonderen Hemmnissen unterliegen, ist weithin unbestritten. Es ist jedoch nicht möglich, die entstandenen und noch entstehenden Erschwernisse zu quantifizieren. Fest steht, dass sich die volkswirtschaftlichen Kosten des Konflikts auch nachteilig auf die Durchführung und die Zielerreichung der Entwicklungsmaßnahmen auswirken. Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit werden durch Einschränkungen der Bewegungsfreiheit verzögert, was zu zusätzlichen Kosten und einem erhöhten Koordinierungsaufwand bei der Umsetzung von Projekten führt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatsminister, ich habe eine Nachfrage. Sie haben Kontakt zu den deutschen Durchführungsorganisationen, die uns bei der Reise vor Ort schon aufgelistet haben, wie teuer Entwicklungsprojekte aufgrund der erhöhten Sicherheitsauflagen plötzlich werden und wie vieles nicht durchgeführt werden kann oder sich verzögert. Dazu gibt es natürlich schon konkrete Erfahrungen. Meine Frage: Streben Sie an, einmal aufzulisten, um wie viel solche Projekte aufgrund vielleicht unverhältnismäßig hoher Sicherheitsauflagen teurer werden? Immerhin geht es hier um Gelder der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen.

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Frau Kollegin, ich habe ja eben schon bestätigt, dass es solche Erschwernisse und dadurch auch erhöhte Kosten gibt. Ich weiß bloß nicht, ob es irgendeinen Sinn macht, das im Detail statistisch zu erheben. Wir setzen politisch eigentlich auf eine andere Karte. Wie Sie sicher beobachtet haben, setzt die Bundesregierung darauf, den Nahostfriedensprozess wieder in Gang zu bekommen. Sie hat sich in den letzten Monaten sehr intensiv darum bemüht, und inzwischen hat es schon wieder zwei Sitzungen des Nahostquartetts gegeben. Es gibt also Hoffnung, dass sich hier wieder etwas bewegt. Ich glaube, das ist die bessere politische Antwort, als statistische Erhebungen darüber durchzuführen, wie einzelne Entwicklungsmaßnahmen behindert werden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Meine zweite Nachfrage: Ich sehe das nicht so optimistisch. Ich sehe bisher eigentlich noch gar keine konkreten Ergebnisse im Zusammenhang mit diesen Sitzungen. Es stimmt: Es gab viele Sitzungen mit hohem Sicherheitsaufwand, auch hier in Berlin. Aber eigentlich ist bisher wenig dabei herausgekommen. Es wurden auch bereits früher viele Abkommen unterzeichnet. Ich möchte noch einmal nachfragen: Was macht die Bundesregierung? Die israelische Regierung hat zum Beispiel im November 2005 das Agreement on Movement and Access unterschrieben, in dem es genau um die Fragen der Freizügigkeit von Palästinensern und Palästinenserinnen geht. Es geht um genau dieses ganze System von Checkpoints und Roadblocks, das aufgehoben werden muss, um zu einer Verbesserung der Situation zu kommen. Es würde ja auch das Klima für Verhandlungen verbessern, wenn die Bevölkerung merkt: Es gibt ein Goodwill auf der anderen Seite. Meine Frage: Was tun Sie, um zu erreichen, dass die israelische Regierung dieses Dokument, das sie unterzeichnet hat, auch umsetzt?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Hänsel, Ihren nicht vorhandenen Optimismus bedauere ich natürlich. Ich glaube, dass man ohne ein Mindestmaß an Optimismus mit einem Konflikt wie diesem eigentlich gar nicht umgehen kann. Ich kann nicht nur auf irgendwelche Sitzungen verweisen, sondern zum Beispiel auch darauf, dass jetzt konkret vereinbart worden ist, dass alle 14 Tage Gespräche zwischen Premierminister Olmert und Präsident Abbas stattfinden sollen. Bis vor kurzem gab es überhaupt noch keine Aktivitäten im lange unterbrochenen Nahostfriedensprozess. Ich schließe daraus schon, dass ein bisschen Bewegung in den Prozess kommt. Zu dem zweiten Teil Ihrer Nachfrage verweise ich noch einmal auf meine Antwort an Ihren Kollegen Herrn Dr. Paech. Überall da, wo es sich anbietet und wo es notwendig ist, fragen wir nach und sprechen die Behandlung der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Seite in unseren Begegnungen an, und wir werden das auch weiter tun.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen nun zur Frage 32 der Kollegin Hänsel. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage im vierten Bericht des International Development Committee im britischen Unterhaus vom 31. Januar 2007, wonach die Politik der internationalen Gemeinschaft, die gewählte palästinensische Regierung zu isolieren, zu nicht gewünschten Effekten wie einer Annäherung der Hamas an den Iran führe und daher nicht dazu beitrage, den Konflikt zu lösen?

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Frau Kollegin Hänsel, die in dem Bericht des International Development Committee im Britischen Unterhaus angesprochene Vermutung, durch das Ausbleiben von Zahlungen an die palästinensche Regierung habe sich die Hamas mehr dem Iran angenähert, teilt die Bundesregierung nicht. Es besteht nach Einschätzung der Bundesregierung kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Politik der internationalen Gemeinschaft gegenüber der palästinensischen Regierung und der Beziehung der Hamas zum Iran.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage. Bitte schön.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Staatsminister. - Auch dazu noch eine Nachfrage. Aber Sie können sich doch vorstellen, dass sich die legitim gewählte Regierung bei der prekären Situation, in der sich die palästinensische Bevölkerung befindet - die Berichte des UN-OCHA sind ja dramatisch; mein Kollege hat es auch angesprochen -, auch nach anderen Geldgebern und nach anderen Geldquellen umschaut. Würden Sie mir dahin gehend recht geben, dass diese Vermutung vielleicht stimmt?

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Ich unterscheide hier zwischen persönlicher Vorstellungskraft und Erkenntnis. Natürlich kann ich mir das vorstellen, aber meine Kenntnis bezieht sich darauf, dass Hamas schon lange intensive Beziehungen zum Iran unterhält. Der Iran ist übrigens auch von sich aus in Richtung Hamas aktiv geworden. Es ist ja auch nicht ganz unbekannt, dass hier schon in der Vergangenheit, längst bevor Hamas Regierungsmitglied geworden ist, erhebliche Gelder geflossen sind. Deswegen teile ich eben nicht die Einschätzung, das sei eine neue Entwicklung. Das ist eine schon bekannte Tatsache, und deswegen brauche ich auch meine Vorstellungskraft nicht zu bemühen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine zweite Nachfrage.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Würden Sie mir nicht recht geben, dass die internationale Gemeinschaft dann umso mehr gefordert wäre, eine alternative Politik zu entwickeln, um neue Optionen für die palästinensische Regierung zu ermöglichen, dass es dann umso wichtiger wäre, dass wir in der Region präsent sind, statt zu boykottieren und zu sanktionieren? Ähnlich handeln wir ja auch im Libanon: Wir stärken eher „radikalere Kräfte“, indem wir Sanktionen, Boykott und Abwesenheit vorziehen, statt in dieser Region präsent zu sein und den Aufbau mitzugestalten. Diese Isolationspolitik ist angesichts des Ziels, auch bei der palästinensischen Regierung eine andere Richtung zu befördern, doch völlig kontraproduktiv.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Hänsel, Ihre Beurteilung, dass die EU boykottiert, isoliert und sanktioniert, teile ich nicht. Die EU ist konsequent darin, nach den drei Kriterien, die formuliert worden sind - ich will sie jetzt nicht noch einmal nennen -, zu handeln, völlig offen zu bleiben für eine Regierung - das ist vor kurzem von der EU, aber auch von dem Nahostquartett noch einmal erklärt worden -, die sich zu diesen drei Kriterien endlich bekennt, und prinzipientreu zu bleiben, indem sie keine Zahlungen an eine Organisation leistet, die, auch nachdem sie Regierungsverantwortung übernommen hat, nicht von kampfbetonten, gewaltbereiten Aktionen abgeht und international, auch bei der EU, auf den Listen mit Terrororganisationen steht. Das hat nichts mit Boykott zu tun, sondern das ist Prinzipientreue.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Frage des Kollegen Weisskirchen. Bitte schön.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich habe die Frage von Frau Hänsel so verstanden, dass es eine Alternative geben solle zu dem Prozess, der vom Quartett erfunden worden ist und jetzt wieder belebt werden soll. Ich sehe keine realistische Alternative und frage Sie, ob Sie entsprechend dem Grundtenor der Frage der Kollegin eine andere Alternative sehen als den Friedensprozess, der vom Quartett in Gang gesetzt worden ist.

Not found (Gast)

Ich kann nur noch einmal bestätigen, dass aus unserer Sicht im Augenblick das Wichtigste ist, das Momentum für eine Wiederbelebung des Nahostfriedensprozesses zu nutzen, bei gleichzeitig erklärter Offenheit für eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit der neuen palästinensischen Regierung, der nationalen Einheit, wenn nicht nur die Plattform, sondern auch die ersten Aktivitäten dieser Regierung in die Richtung der Kriterien des Nahostquartetts gehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen jetzt zur Frage 33 der Kollegin Monika Knoche: In welcher Form setzt die Bundesregierung die UN-Resolution 1325 ({0}) bei ihrer Nahostpolitik, insbesondere im Hinblick auf palästinensische Gebiete und die Förderung frauen- und friedenspolitischer Organisationen, um?

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Frau Kollegin Knoche, Sie haben nach der UNOResolution 1325 vom Jahr 2000 gefragt. Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Resolution 1325 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 2000 fordert die stärkere Beteiligung von Frauen bei nationalen, regionalen und internationalen Konfliktverhütungs-, Konfliktbearbeitungs- und Konfliktlösungsmechanismen. Die Bundesregierung unterstützt nachdrücklich die Zielrichtung und alle konkreten Ansätze zur Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 1325 im Rahmen der Vereinten Nationen. Die deutsche Unterstützung für die palästinensischen Gebiete betrug im Jahr 2006 42,5 Millionen Euro. Die damit finanzierten Maßnahmen, unter anderem Projekte im Sinne der Resolution 1325 zur Konfliktbearbeitung und stärkeren Beteiligung von Frauen, dienen dazu, die Lebensbedingungen von Palästinensern und Palästinenserinnen zu verbessern und damit Grundlagen für die Lösung des Nahostkonflikt zu schaffen. Bei jeder einzelnen Maßnahme wird auch das Kriterium der Geschlechtergerechtigkeit beachtet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage?

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 34 der Kollegin Knoche: Wie steht die Bundesregierung zu den Forderungen israelischer Frauenorganisationen, keine Waffen mehr aus Deutschland nach Israel zu liefern und Konzepte für ein Ende der Rüstungsspirale im Nahen Osten in ihre diplomatischen Beziehungen einzubringen?

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Frau Kollegin Knoche, Sie fragen nach Forderungen der israelischen Frauenorganisationen, was Waffenexporte angeht. Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung verfolgt generell eine restriktive Linie beim Export von Rüstungsgütern. Entscheidungen werden nach Einzelfallprüfungen vorgenommen. Dabei spielt die aktuelle politische Lage ebenso eine Rolle wie die historischen Sonderbeziehungen zwischen Deutschland und Israel. Die Bundesregierung setzt sich nachdrücklich für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Kernkonfliktes und der anderen Konflikte im Nahen Osten im Wege von Verhandlungen ein. Auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft und des G-8-Vorsitzes stehen politische Lösungen und ein friedlicher Interessenausgleich im Nahen Osten im Mittelpunkt aller unserer Anstrengungen. Mit dieser Politik trägt die Bundesregierung dazu bei, militärische Spannungen abzubauen. Ich möchte hinzufügen - das ist eigentlich selbstverständlich -: Das Existenzrecht Israels ist deutsche Verpflichtung. Seine Sicherung ist unveräußerliche Grundlage deutscher Außenpolitik. Das galt unter allen Regierungen der Bundesrepublik und steht im parteiübergreifenden Einklang. Dazu gehört auch die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, Israel die zu seiner Verteidigung notwendigen Waffen zu liefern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage?

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister Erler, ich möchte zunächst sagen, dass ich trotz mehrjähriger Abgeordnetentätigkeit heute zum ersten Mal aktiv an der Fragestunde teilnehme.

Not found (Gast)

Herzlichen Glückwunsch.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bitte Sie also um Verständnis, dass ich mit den Gewohnheiten einer Fragestunde noch nicht allzu sehr vertraut bin. Herr Staatsminister, ich wollte Sie fragen: Unterstützt die Bundesregierung konkret und ganz gezielt Frauenorganisationen in Israel, die sich gegen eine Waffenimportpolitik aussprechen? Ihre allgemeine Beschreibung, dass man die Ziele der Geschlechtergerechtigkeit aufnimmt und im Geiste der UN-Resolution 1325 handelt, beinhaltet eigentlich noch keine Aussage darüber, ob denn die Projekte der vielen Frauenorganisationen, die in den Konfliktgebieten tägliche Friedensarbeit verrichten und an den Grenzübergängen vor Ort tätig sind, gefördert werden. Mit Blick auf das innergesellschaftliche Verhältnis in Israel, wo auch arabische Israelinnen eine wichtige Rolle spielen, und mit Blick auf das israelisch-palästinensische Verhältnis muss diese tägliche Friedensarbeit der Frauenorganisationen viel stärker international beachtet werden. Das war der Hintergrund meiner Fragen, die aus einer Reise einer Delegation der Linksfraktion dorthin resultieren.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Knoche, Sie haben nun eine Verbindung zwischen Ihrer ersten und Ihrer zweiten Frage hergestellt.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Not found (Gast)

Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass in der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000 gefordert wird, dass die Rolle von Frauen im Rahmen von Konfliktlösungsstrategien stärker gefördert werden soll. Das tun wir; dafür könnte ich Ihnen viele einzelne Beispiele nennen. Deutschland wird für seinen Einsatz auf diesem Gebiet international - es gibt einen speziellen Freundeskreis der Resolution 1325 - respektiert und gelobt. Aber, Frau Kollegin Knoche, das heißt natürlich nicht, dass dadurch ein Automatismus entsteht, sich jede einzelne konkrete Forderung einer Frauenorganisation, die sich mit dem Frieden beschäftigt, zu eigen zu machen. Sie haben als Beispiel eine israelische Frauenorganisation genannt. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass diese Organisation im Gegensatz zu der überwiegenden Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit steht, die keineswegs die Kritik dieser Organisation an einer Unterstützung, wie sie auch Deutschland leistet, übernimmt. Eine Unterstützung jeder Forderung wäre weder im Sinne der Resolution 1325 noch würde dadurch unserem Verhältnis zum Staat Israel ein Dienst erwiesen werden. Man muss zwischen einer Unterstützung der Rolle von Frauenorganisationen und von Einzelforderungen unterscheiden, die nicht immer automatisch von uns übernommen werden können.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 35 des Kollegen Wolfgang Gehrcke: Sollte die Bundesregierung die Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung als Anlass nehmen, um als EU-Ratspräsidentin auf die Aufhebung der Sanktionen insbesondere des Zahlungsboykotts hinzuwirken, und falls nicht, wie begründet sie dies?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat sich in ihrer Eigenschaft als Präsidentschaft der EU bereits am 17. März 2007 in einer anlässlich der Vereidigung der neuen palästinensischen Regierung herausgegebenen und im EU-Rahmen abgestimmten Erklärung zu der Frage geäußert, ob die Sanktionen gegen die palästinensischen Gebiete aufgehoben werden sollen. In der Erklärung wird auch auf die Bereitschaft der EU verwiesen, „mit einer rechtmäßigen palästinensischen Regierung, die eine Plattform verabschiedet, welche die Grundsätze des Quartetts widerspiegelt, zusammenzuarbeiten und ihre Hilfe wieder aufzunehmen“. Weiter heißt es - ich zitiere erneut -: Die EU wird die Plattform und die Maßnahmen der neuen Regierung und ihrer Minister sorgfältig bewerten. Eingedenk der Bedürfnisse des palästinensischen Volkes wird die EU ihre lebenswichtige Unterstützung durch den Vorläufigen Internationalen Mechanismus - TIM so lange fortsetzen, bis die finanzielle Lage und die künftigen Bedürfnisse bewertet werden können und ein tragfähiger Rahmen für die Unterstützung geschaffen werden kann. Die EU fordert in diesem Zusammenhang die Freigabe der von Israel einbehaltenen palästinensischen Steuer- und Zolleinnahmen an den palästinensischen Präsidenten bzw. an den internationalen Finanzierungsmechanismus.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, Kollege Gehrcke?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich würde gerne nachfragen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ich glaube, dass man ohne Übertreibung sagen kann, dass die neue palästinensische Einheitsregierung und namentlich Präsident Abbas ein sehr hohes Risiko eingegangen sind, um diese Regierung zu bilden. Erinnern Sie sich an die Ankündigung, für den Fall, dass es keine Übereinkunft gibt, Neuwahlen auszuschreiben. Erinnern Sie sich an die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Palästina, die auch auf die schwierige Konferenz in Mekka zurückzuführen sind. Meinen Sie nicht auch, dass es für die neue Regierung - und nicht nur für den Präsidenten - eine Ermutigung wäre, wenn sie verspüren könnte, dass auch vonseiten der Europäischen Union auf sie zugegangen wird und Hindernisse, die noch vorhanden sind, aus dem Weg geräumt werden? Wäre es jetzt nicht der richtige Moment, die bestehenden Sanktionen zu beenden, um überhaupt Bewegung in den ganzen Prozess zu bekommen? Denn die Absage Israels, mit der neuen Regierung Gespräche zu führen und zu ihr Kontakte herzustellen, war ja sehr brüsk.

Not found (Gast)

Herr Kollege, es ist in der Tat sehr zu begrüßen, dass die neue Regierung der nationalen Einheit gebildet worden ist. Dies haben auch die EU und das Nahostquartett begrüßt. Allerdings ist es so, dass die drei Kriterien, die erfüllt werden sollen, in der von mir genannten Plattform noch nicht zu sehen sind. Am Ende kommt es natürlich darauf an, was tatsächlich passiert. Ich selber habe - das wissen Sie - erste Gespräche mit zwei Ministern aus der neuen Regierung geführt und zum Beispiel zum Ausdruck gebracht, dass es natürlich ganz wichtig wäre, dass Bewegung in die Frage der Freilassung des Soldaten Schalit kommt und dass die neue Regierung ein Signal setzt, was den alltäglichen Beschuss mit Quassam-Raketen, der leider immer noch stattfindet, angeht. Das würde natürlich helfen, einen Prozess einzuleiten, der schneller zu einer Beendigung der Sanktionen führt. Wenn Sie die Texte der EU und des Nahostquartetts genau lesen, dann stellen Sie fest, dass durchaus nicht nur beschlossen worden ist, noch einmal für drei Monate TIM fortzusetzen. Da wird vielmehr ganz klar gesagt: Wir brauchen diese Zeit, um eine Wiederherstellung des alten Mechanismus vorzubereiten. Das hat übrigens auch der neue, uns gut bekannte Finanzminister der palästinensischen Regierung der nationalen Einheit gesagt. Er hat zum Ausdruck gebracht, auch er selber brauche ein paar Monate, um den damals bestehenden Finanzmechanismus wiederherzustellen. Wir sollten also nicht ungeduldiger sein, Herr Kollege Gehrcke, als unsere Partner auf der palästinensischen Seite selber, die durchaus Verständnis dafür haben, dass, auch wenn Evidenz für den neuen Charakter dieser Regierung vorhanden ist, nicht über Nacht sofort alles wieder geändert werden kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine zweite Nachfrage?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, eine zweite Nachfrage. - Herr Staatsminister, ich hätte mich gar nicht getraut, Sie öffentlich nach Ihren Gesprächen mit Ministern der neuen palästinensischen Regierung, die der Fatah angehören, zu fragen. Aber da Sie diese selber angesprochen haben, frage ich Sie: Meinen Sie nicht auch, dass in Palästina und in anderen Teilen der Welt die sehr unterschiedlichen europäischen Haltungen wahrgenommen werden? Es gibt keine gemeinsame europäische Position. Die Differenzen sind größer, als sie öffentlich zugegeben werden. Ich erinnere daran, dass Norwegen - ich weiß, Norwegen ist kein Mitglied der EU; Kollege Weisskirchen braucht sich nicht zu melden - auf der Ebene eines Unterstaatssekretärs direkte Beziehungen zu der neuen Regierung aufgenommen hat. Sie kennen die Erklärungen, die aus der belgischen Regierung zu vernehmen sind. Sie kennen die Erklärungen des italienischen Außenministers D’Alema. Sie alle sagen: Es muss jetzt rasch ein deutliches Zeichen an die palästinensische Regierung geben. Macht man das nicht am besten, indem man die Sanktionen generell zurücknimmt?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, ich stelle bei Ihnen zum zweiten Mal eine geradezu revolutionäre Ungeduld fest; ich sehe darin eher einen Ansporn als eine Gefährdung. Die Bundesregierung ist in der Tat daran interessiert, die nächsten Chancen zu nutzen, sich hier möglichst mit den anderen europäischen Staaten auf eine gemeinsame Haltung zu verständigen. In dieser Woche gibt es eine gute Gelegenheit, hier weiterzukommen: das bevorstehende Gymnich-Treffen der europäischen Außenminister am kommenden Wochenende in Bremen. Auf der Tagesordnung steht eine Beratung darüber, wie man jetzt auf die neugebildete Regierung der nationalen Einheit reagiert. Die Regierung wurde am 17. März bestätigt, heute haben wir erst den 28. März; deshalb muss man in Kauf nehmen, dass in der Zwischenzeit einige der europäischen Staaten noch nicht völlig abgestimmt reagiert haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 36 des Kollegen Gehrcke: Stimmt die Bundesregierung dem UN-Sonderberichterstatter über die Situation von Menschenrechten in den palästinensischen Gebieten in seinem Bericht vom 29. Januar 2007 zu, wonach die „Belagerung“ von Gaza eine „kollektive Bestrafung“ darstelle und daher gegen die vierte Genfer Konvention verstoße, und, falls nicht, wie begründet sie dies?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, die Bewertung, ob in Gaza gegen die vierte Genfer Konvention verstoßen wird, hängt vom völkerrechtlichen Status des Gazastreifens seit dem Abzug der israelischen Truppen im August 2005 ab. Dieser Status wird unterschiedlich beurteilt: Während Israel der Ansicht ist, dass mit diesem Abzug die Verantwortung für die Zivilbevölkerung des Gazastreifens auf die palästinensische Autonomiebehörde übergegangen ist, wird von anderer Seite die Meinung vertreten, das Besatzungsregime bestehe auch nach dem Abzug fort.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre Nachfrage, bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, wenn Sie mir die Gelegenheit einräumen, zwei Nachfragen zu stellen, werde ich davon Gebrauch machen. Meine erste Nachfrage ist: Sie wissen, dass das Völkerrecht gerade für meine Fraktion immer eine außerordentlich große Bedeutung hat. Unabhängig vom Völkerrecht registriert aber doch jeder, dass insbesondere in Gaza, aber auch in der Westbank eine geballte soziale Katastrophe geschieht, die es notwendig macht, dem Eindruck einer kollektiven Bestrafung offensiv entgegenzutreten, am besten dadurch, dass die Hilfsmaßnahmen auch auf offizieller Ebene wieder vollständig aufgenommen werden und dass man praktische Hilfe leistet.

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, es stimmt natürlich, dass das Völkerrecht eine kollektive Bestrafung der Bevölkerung verbietet; darauf weisen wir die israelische Seite bei entsprechenden Gelegenheiten hin. Ich habe schon gesagt, dass wir hier die israelische Seite an ihre finanzielle Verantwortung erinnern, indem wir sie auffordern, die zurückgehaltenen Zoll- und Steuerrückzahlungen zur Verfügung zu stellen; dies haben wir nicht ohne Erfolg getan. Im Dezember ist, wie Sie wissen, eine Abschlagszahlung - so kann man das vielleicht nennen - von 100 Millionen Dollar geleistet worden. Das Geld ist direkt in die palästinensischen Kassen geflossen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage, bitte schön.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zu meiner zweiten Nachfrage. Wenn ich mich nicht täusche, liegt die Gesamtsumme, die Israel den Palästinensern allein auf dieser Ebene schuldig ist, bei rund 600 Millionen Dollar.

Not found (Gast)

Deswegen spreche ich von einer Abschlagszahlung.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In der Antwort auf die Frage meines Kollegen Norman Paech haben Sie im Grunde angedeutet - ich glaube, ich habe Sie da richtig verstanden -, dass die Bundesregierung ihre Hilfsmaßnahmen nicht verringert, sondern umgeschichtet hat, und zwar zugunsten ziviler und anderer Organisationen. Das kann ich folgendermaßen interpretieren: Sie haben trickreich die offiziellen Sanktionen unterlaufen und betreiben praktisch eine andere Politik. Hierbei klammern Sie die Regierung - sie hat die Autorität - aus. Meinen Sie, dass das auf Dauer tragfähig ist?

Not found (Gast)

Ich weiß nicht, ob die Bundesregierung hier „trickreich“ war. Sie hat völlig korrekt gehandelt, weil sie verStaatsminister Gernot Erler hindert hat, dass irgendeine bilaterale Zahlung der Bundesrepublik Deutschland auf das falsche Konto ging. Wir haben den Weg gewählt, weiterhin etwas für die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung zu tun; die Zahlungen hatten einen Umfang von 42,5 Millionen Euro. Dabei haben wir mit anderen Partnern, privaten Partnern, Kommunen und NGOs, kooperiert. Außerdem haben wir uns im letzten Jahr mit 20 Millionen Euro an dem TIM-Prozess beteiligt. Hinzu kommen jährlich etwa 5 Millionen Euro an direkter humanitärer Hilfe. Diese Politik kann man, so denke ich, durchaus rechtfertigen, weil sie ausgeglichen ist. Wir haben darauf geachtet, dass die Kriterien erfüllt werden und aus dem Ganzen nicht irgendeine potenzielle Finanzierung von Hamas abgeleitet werden konnte. Wir haben im Interesse der palästinensischen Zivilbevölkerung aus unserem Geld das Beste gemacht. Ich glaube, das ist eine Politik, zu der man stehen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Die nicht aufgerufenen Fragen werden nach den Vorschriften der Geschäftsordnung behandelt. Die Fragen 37 bis 44 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit sowie die Fragen 45 bis 49 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung werden schriftlich beantwortet. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 12 und 13 der Abgeordneten Undine Kurth zum nationalen Biotopverbund eine Aktuelle Stunde verlangt. Diese werden wir jetzt abhalten. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen Nationaler Biotopverbund Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegin Undine Kurth von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Vor ungefähr einem Jahr, am 30. Mai 2006, fand in Bonn der Festakt „100 Jahre Naturschutz als Staatsaufgabe“ statt. Die Bundeskanzlerin sagte damals den klugen Satz, dem man nur zustimmen kann: Naturschutz ist kein Luxus, sondern zentraler Bestandteil von Umweltpolitik. ({0}) Professor Klaus Töpfer hat auf der gleichen Veranstaltung gesagt: Naturschutz ist nicht emotionale Neigung, sondern ökonomisches Denken. - Auch das verdient eigentlich Applaus. Der Staatssekretär hat in den Antworten auf unsere Fragen vorhin gesagt, dass Naturschutz ein Kernthema von Umweltpolitik sei. Auch Minister Gabriel wird nicht müde, richtigerweise immer wieder zu sagen, wie stark die Verpflichtung Deutschlands ist, für den Erhalt der Natur, für den Erhalt des Artenschutzes, für den internationalen Biodiversitätsschutz einzutreten. Auf der Bundespressekonferenz zum Thema „Rote Listen gefährdeter Biotoptypen“ sagte er heute richtigerweise: Wir können Indonesien schlecht auffordern: „Lasst die Wälder stehen, damit der Berggorilla leben kann!“, wir können nicht Afrika auffordern: „Liebe Afrikaner, kommt mit Elefanten und Löwen gut aus!“, wenn wir hier nicht genug tun, um die eigene Natur, den oft gescholtenen Feldhamster und die Mopsfledermaus, zu schützen. - All das ist richtig. Er hat heute auch gesagt, dass wir gerade dabei sind, die Datenbank der Natur zu löschen, und zwar nicht auf der Diskette, sondern auch auf der Festplatte. Die Aussterberate ist nämlich so hoch wie noch nie. Auf dem G-8-Treffen der Umweltminister wurde eine „Potsdam-Initiative zur biologischen Vielfalt 2010“ vereinbart. Es soll definiert werden, was wir tun müssen, um das Artensterben aufzuhalten. Zum großen Thema Klimawandel. Alle reden darüber. Allen wird plötzlich bewusst, was es bedeutet, wenn wir nichts unternehmen. Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin richtigerweise gesagt, dass es Annahmen gibt, nach denen zwischen 5 und 30 Prozent der uns bekannten Tier- und Pflanzenarten in absehbarer Zukunft - das werden wir noch erleben können - aussterben werden, wenn wir nicht handeln. All dem stimmen wir zu. Da gibt es nichts zu widersprechen. Uns liegt ein Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen vor, das darlegt, wie kompliziert die Verwaltung im Bereich Umwelt in unserem Land organisiert ist. Der Vorsitzende dieses Sachverständigenrates, Professor Koch, überschreibt sein Gutachten mit der provokanten Überschrift „Umweltverwaltung an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit“. Das heißt ganz offensichtlich, dass der von allen beschworenen Aufgabe in diesem Land momentan zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Wenn der Erhalt der Biodiversität eine existenzielle Frage ist, wenn es nicht nur darum geht, ob es uns draußen gefällt oder ob es schön aussieht, sondern wenn die Biodiversität unsere Lebensgrundlage ist, dann müssen wir uns darüber unterhalten, dass Artenschutz Regeln braucht. ({1}) Es gibt Regeln als Gesetzesgrundlage und Regeln im Vollzug. Im Vollzug sieht es nicht so großartig aus. Das haben wir ja gerade gehört. Wie sieht es bei der Gesetzesgrundlage aus? Wir sind vom Europäischen Gerichtshof aufgefordert worden, das Naturschutzgesetz dieses Landes europäischen Regeln anzupassen, weil wir den Vorgaben der FFH-Richtlinien nicht in jedem Punkt entsprechen. Wir wussten das. Jedem, der uns fragen wird, was wir früher getan haben, antworten wir: Wir haben diesen Mangel Undine Kurth ({2}) immer benannt. Die Abstellung dieses Mangels war aber leider gegen andere nicht durchzusetzen, auch gegen unseren damaligen Koalitionspartner - nicht in Gänze, sondern einzelne Personen - nicht. Das heißt, das Gesetz muss jetzt novelliert werden. Noch einen Punkt, um die Aktualität dieser Aktuellen Stunde zu begründen: Noch in dieser Woche wird im Bundesrat über die von der Bundesregierung vorgelegte Novelle entschieden. Wir glauben, dass das nicht ohne öffentliche Aufmerksamkeit passieren sollte. Denn die Regeln, die da geplant sind, lassen sehr viele Fragen offen. Ich frage: Ist das die richtige Richtung? Immer wenn Juristen etwas ändern, kommt es auf jedes Wort an. Wir lassen uns nicht erzählen, dass es eigentlich ganz nett gemeint ist und dass nichts Schlimmes passieren wird, wenn so unbestimmte Rechtsbegriffe wie „zumutbare Alternativen“ eingeführt werden, wenn es darum geht, welche Ausnahmen vom Artenschutz zugelassen werden sollen. Was bitte ist eine „zumutbare Alternative“? Ein weiteres Beispiel: Es sollen keine „unzumutbaren Belastungen“ für diejenigen, die Eingriffe tätigen wollen, entstehen. Was bitte ist eine „unzumutbare Belastung“? Das sind, wie die Juristen sagen, nicht legal definierte Begriffe. Jeder kann sie fröhlich auslegen. Es ist kein besserer Schutz. Es werden verschwommene Begriffe eingeführt. Das kann nicht das Ziel einer Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes sein, die dazu dienen soll, dass das Gesetz den FFH-Richtlinien entspricht. ({3}) Mein Kollege Dr. Hofreiter wird das im Näheren ausführen. Wer sich die Kritikpunkte im Einzelnen ansehen will, findet sie auf unserer Website. Dort haben wir sie aufgelistet. Hier geht es mir darum, darauf aufmerksam zu machen, dass man die notwendige Anpassung des Bundesnaturschutzgesetzes an europäisches Recht nicht dazu missbrauchen darf und kann, die Standards im Artenschutz abzusenken und aufzuweichen. Wir können nicht immer davon reden, wie wichtig und existenziell das alles ist, und dann die notwendigen Schritte unterlassen. Das passt einfach nicht zu dem, was Herr Minister vorhin gesagt hat, nämlich dass es keinen Grund zur Entwarnung gibt und dass wir Anstrengungen auf allen Ebenen brauchen. Wir brauchen auch Anstrengungen auf nationaler Ebene und müssen bitte schön endlich konsequent handeln und nicht nur darüber reden. Ich hoffe, wir haben Ihre Unterstützung. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kurth, als mich die Nachricht ereilte, dass die Grünen eine Aktuelle Stunde zum Thema Biodiversität beantragt haben, habe ich mich spontan gefreut. ({0}) Ich habe angenommen, dass die Grünen die schönen Fernsehbilder der vergangenen Wochen von und mit Knut noch einmal bei uns hier im Plenum des Bundestages Revue passieren lassen wollen. Aber das wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. ({1}) Nun ist aus dieser Aktuellen Stunde leider eine Trauerstunde geworden. Denn mit dem Pandabärenweibchen Yan Yan hat uns wenige Tage nach den schönen Fernsehbildern vom putzigen Knut eine Sympathieträgerin der deutschen Biodiversität verlassen müssen. Wir trauern um Yan Yan und wünschen ihr ein angenehmes Leben im Pandabärenhimmel. Jetzt aber einmal im Ernst. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen von der Grünenfraktion, genauso aber denen von der FDP hinsichtlich des Klimawandels - wir hatten vor vier Wochen eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema - den Vorwurf nicht ersparen, bei einem wichtigen Thema wieder einmal zu kurz zu springen. Mit einer Aktuellen grünen Stunde leistet man der Biodiversität einen Bärendienst. Knut, Yan Yan und der selige Bruno mögen mir verzeihen. Bemüht versuchen die Grünen mit ihrer Presseerklärung vom vergangenen Montag, ein paar Themen zu konstruieren, die sie dann zu einer Bundestagsdebatte hochstilisieren. Es führt kein Weg daran vorbei, festzustellen: Diese Aktuelle Stunde ist wieder einmal die verkrampfte Suche nach einer weiteren Schlagzeile in den Medien und damit so überflüssig wie ein Kropf. ({2}) Gleichwohl möchte ich den Anlass nutzen, zu einem Thema Stellung zu nehmen, ({3}) auch wenn Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dieses Thema möglicherweise überhaupt nicht in den Kram passt. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem notwendigen verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien wird die Nutzung der Biomasse immer häufiger und intensiver in die Diskussion eingebracht. Ich sehe diese Entwicklung mit wachsender Sorge. Landnutzung und Landnutzungsänderungen bergen immer die Gefahr in sich, die Vielfalt der Lebensräume, die Vielfalt der Arten und die genetische Vielfalt innerhalb der Arten zu beeinträchtigen. ({4}) Das ist aktuell an den Palmölplantagen zu beobachten. Dabei sind Palmölplantagen auf brandgerodeten Regenwaldflächen in Südostasien nur ein Teil des Problems, das in diesem Fall auch noch sehr weit weg liegt. Die Gefährdungen für die Biodiversität haben wir auch im eigenen Haus. Großflächige Monokulturen mit eigens für die Energiegewinnung gezüchteten Energiepflanzen, Nutzung auch des letzten Quadratmeters landwirtschaftlich bebaubarer Fläche, Walddüngung - dies sind mögliche Zukunftsszenarien für die Nutzung der Biomasse zur Energiegewinnung, die der Biodiversität in unserem eigenen Lande gewiss nicht zuträglich wären. Ich bin deshalb sehr dafür, dass in enger Kooperation mit den betroffenen Menschen - das sind ganz besonders die Landwirte und die Waldbesitzer - rasch klare Regeln für eine tatsächlich nachhaltige Biomassegewinnung aufgestellt werden. Es darf nicht so weit kommen, dass wir den Teufel des Klimawandels mit dem Beelzebub einer verarmten Natur auszutreiben versuchen. ({5}) Ich möchte in diesem Zusammenhang über einen bemerkenswerten Vorgang berichten, der sich in der vergangenen Woche zugetragen hat: Der Gemeinderat der Samtgemeinde Schwarmstedt hat sich auf Antrag der CDU gegen die Nutzung von Palmöl für das geplante Blockheizkraftwerk ausgesprochen. Die Vorsitzende der CDU-Gemeinderatsfraktion hat dies damit begründet, dass es keine garantierte Zertifizierung für eine nachhaltige Gewinnung von Palmöl gibt. Brandrodungen für Palmölplantagen seien unakzeptabel, lieber setze man auf heimische regenerative Energien. ({6}) Ich halte diese Ausführungen und den Beschluss des Gemeinderates für mutige Zeichen wider den wachsenden Zeitgeist, die wirklich unseren Applaus verdienen. ({7}) Umso wichtiger ist es, jetzt für die Nutzung der Biomasse in unserem eigenen Land Nachhaltigkeitsregeln aufzustellen - der Biodiversität zuliebe. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Brunkhorst von der FDP-Fraktion.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der vom Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck gebrachten Dringlichkeit dieses Themas stellt sich mir die Frage, welches zeitnahe Ziel mit der vorangegangenen Aktuellen Stunde erreicht werden sollte. Sie wissen, dass die Entscheidung in der Bundesratssitzung am kommenden Freitag fallen wird, so oder so. In diesen drei Tagen ist nichts mehr zu bewirken. Die Pressekonferenz, die der Bundesumweltminister heute zur Liste der gefährdeten Arten und Biotoptypen gegeben hat, war vielleicht ein Aufhänger, diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Aber wir konnten wirklich keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Dennoch möchte ich den Ball, den Sie in die Mitte geworfen haben, aufnehmen und einiges zu diesem Thema sagen. Bereits am 5. Januar dieses Jahres hat ein Gesetzentwurf des BMU zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes vorgelegen. Am 14. Februar dieses Jahres ist der aktualisierte Gesetzentwurf vom Bundeskabinett beschlossen worden. Es wäre also durchaus Zeit gewesen, einige Bedenken dazu zu formulieren. Das haben Sie aber nicht getan. Stattdessen haben Sie uns diese Aktuelle Stunde beschert. Also, schauen wir mal. Ich denke, der Bundesrat wird diesen Gesetzentwurf am Freitag ohne weitere Debatte verabschieden. Ich möchte diese Möglichkeit nutzen, um die Vorstellungen der Liberalen zu erläutern. Gerade in Deutschland haben wir es mit Kulturlandschaften zu tun, also vom Menschen mitgestalteten und mitbeeinflussten Naturzuständen. Es ist auch unser Ziel, die Biodiversität zu fördern. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit verstärkt auf dieses Thema lenken, um auf diesem Gebiet mehr zu erreichen. Aber die Forderung der Grünen nach einer Regelung, die stärker auf bundesstaatlicher Ebene verankert ist, ist genau das Gegenteil dessen, was wir möchten. Wir sind angesichts der Vielfältigkeit der Landschaften und der Regionen in unserem Lande dafür, dass keine besonders dezidierten Vorgaben gemacht werden, was zum Beispiel die Bewirtschaftungsregelungen betrifft, weil wir befürchten, dass dies zu einer Überregulierung führen könnte. Das widerstrebt dem Prinzip der Subsidiarität und ist auch in der Praxis vielfach nicht umsetzbar. Uns geht es insbesondere darum, etwas flexiblere und fallgerechtere Beurteilungen von Projekten und Bewirtschaftungen zu ermöglichen. Im Grunde genommen könnten wir uns sogar eine Verschmelzung der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie vorstellen, und wir werden noch Vorschläge in diese Richtung machen. ({0}) - Herr Heilmann, das machen wir. Am vorliegenden Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht zu kritisieren, dass die Definition des Projektbegriffs sehr unklar ist; es kann nicht genau bestimmt werden, welches Vorhaben von dem Projektbegriff erfasst wird. Da ist also noch Nachbearbeitung notwendig. Ich denke auch, dass die Naturschutzbehörden dadurch Gefahr laufen, hier einen sehr hohen, ausufernden Verwaltungsaufwand betreiben zu müssen. Dennoch muss ich an dieser Stelle sagen: Die Einschränkung hinsichtlich der ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung scheint uns in diesem Maße nicht notwendig zu sein. Es bleibt abzuwarten, wie der jetzige Gesetzentwurf vom EuGH beurteilt wird und inwieweit die Anpassungen ausreichend sind. Ich gehe davon aus, dass gerade wir in Deutschland große Potenziale haben, Naturschutz und Nutzung in Einklang zu bringen, dass wir mit freiwilligen Maßnahmen, mit dem Vertragsnaturschutz, viel bewirken können und dann auch eine höhere Akzeptanz der Bürger für Naturschutzmaßnahmen haben werden. Wir denken, dass die föderale Struktur unseres Landes einen Wettbewerb der Lösungen anbietet und es gebietet, diesen zuzulassen. Wir sehen darin eher eine Chance als eine Gefahr. In diesem Sinne unterstützen wir die Pläne des Landes Niedersachsen, anstelle von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auch Ersatzzahlungen - in einen Fonds zu ermöglichen, die insbesondere von Fachleuten und von Naturschutzverbänden genutzt werden können, um bereits bestehende Naturschutzgebiete intensiver und effizienter zu betreuen und zu beobachten. Ich glaube, es wird sehr viele weitere Debatten über dieses Thema geben. Ich freue mich darauf. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Pries von der SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Schutz der biologischen Vielfalt. Die Debatte zeigt, wir alle sind uns einig: Der Erhalt der biologischen Vielfalt ist neben dem Klimaschutz die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Insbesondere seit Beginn der Industrialisierung haben wir die Ressourcen der Natur geplündert. Wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht, welche Auswirkungen dies für unser eigenes Überleben hat. Erst spät haben wir erkannt, welche Leistungen und ökonomischen Potenziale eine intakte Natur bietet. Erst die Konfrontation mit den konkreten Folgen unseres Handelns hat zu einem Umdenkprozess geführt. Auch wenn wir in den vergangenen Jahrzehnten bereits vieles auf den Weg gebracht haben - wir sind noch lange nicht am Ziel. Noch immer nimmt die biologische Vielfalt weltweit, auch in Deutschland, kontinuierlich ab. Dies zeigt auch die heute vom Bundesamt für Naturschutz vorgestellte Liste der gefährdeten Biotoptypen. Trotz einiger Erfolge - das macht die Liste deutlich sind noch immer 72 Prozent der Lebensraumtypen in Deutschland bedroht oder akut gefährdet. Die Rate des weltweiten Artensterbens übersteigt die angenommene natürliche Rate noch immer um das 100- bis 1 000-Fache. Eine weitere besondere Herausforderung stellt die globale Klimaerwärmung dar: Sie strapaziert die Anpassungsfähigkeit unserer Ökosysteme und bedroht das Überleben zahlreicher Arten. Die positive Artenschutznachricht des Tages lautet: Knut geht’s gut. Aber was nützt uns die weltweite Aufmerksamkeit für den kleinen Eisbären, wenn wir gleichzeitig den Lebensraum seiner wild lebenden Artgenossen durch den Klimawandel unwiderruflich und unwiederbringlich zerstören? ({0}) Wir brauchen deshalb eine Kombination aus konkreten Artenschutzmaßnahmen und ein verstärktes globales Engagement im Klimaschutz. Genau dies ist die Politik der Bundesregierung. ({1}) Mit den Beschlüssen des Europäischen Rates übernimmt die Europäische Union eine Vorreiterrolle beim internationalen Klimaschutz. Mit der „Potsdam Initiative zur biologischen Vielfalt 2010“ nutzen wir unsere G-8Präsidentschaft, um gemeinsam mit den führenden Industrienationen und den Schwellenländern den Verlust an biologischer Vielfalt zu reduzieren. Im Rahmen der anstehenden Konferenzen der Internationalen Walfangkommission sowie hinsichtlich des Washingtoner Artenschutzabkommens und der Konvention über die biologische Vielfalt wird Deutschland wieder eine aktive Rolle übernehmen. Das war in der Vergangenheit so, und das wird in Zukunft auch so bleiben. ({2}) Die Regierungskoalition unterstützt dieses Engagement. Ich möchte hier nur unsere Anträge zur biologischen Vielfalt und zum Schutz sensibler Ökosysteme der Tiefsee erwähnen. Darüber hinaus bringen wir in dieser Woche einen Antrag zum Walschutz ein. Darin sprechen wir uns gegen eine Aufhebung des internationalen Walfangmoratoriums aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns bewusst, dass wir die Schwellen- und Entwicklungsländer nur dann für ein stärkeres Engagement im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes gewinnen können, wenn wir selbst mutig vorangehen. Nur wenn es uns gelingt, Umweltpolitik als Fortschrittspolitik im Bewusstsein der Menschen zu verankern, haben wir eine Chance, das Ruder herumzureißen. Wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und Umweltschutz schließen sich nicht aus. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Dass dies so ist, wurde unlängst im UN-Weltwaldbericht festgestellt. Wenn der Bericht auch zu dem Ergebnis kommt, dass die Entwaldung weltweit voranschreitet, so enthält er doch auch eine positive Botschaft: Wo es den Menschen wirtschaftlich gut geht, geht es auch dem Wald besser. Genau hier müssen wir ansetzen. Die Bundesregierung tut dies auch auf nationaler Ebene durch eine Vielzahl von Maßnahmen. Beispielhaft seien hier nur drei erwähnt: Erstens. Die Bundesregierung erarbeitet zurzeit eine nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. ({3}) Unser Ziel ist es, den Rückgang der biologischen Vielfalt zu stoppen und gleichzeitig deren nachhaltige Nutzung zu ermöglichen. Zweitens. Die Regierungskoalition hat vereinbart, 125 000 Hektar Naturschutzflächen des Bundes unentgeltlich in eine Bundesstiftung oder an die Länder zu übertragen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des nationalen Naturerbes. ({4}) Drittens. Wir werden ein modernes Naturschutzrecht schaffen, wodurch sowohl der Schutz als auch die nachhaltige Nutzung der Natur verbessert wird. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Lutz Heilmann von der Fraktion Die Linke. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Artenschutz fristet in Deutschland ein Schattendasein. Die Gelder im Bundesetat werden von Jahr zu Jahr gekürzt. Dafür werden im nächsten Jahr mal eben über 2,5 Millionen Euro für die 9. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention lockergemacht. ({0}) Wie ernst Sie den Artenschutz nehmen, sieht man auch daran, dass Sie eine Bürgschaft über 100 Millionen Euro für den Ilisu-Staudamm in der Türkei übernehmen. Dieser wird eine beispiellose Vernichtung der Artenvielfalt in der Region zur Folge haben. Ich war am Freitag vergangener Woche dort und habe mir ein Bild davon gemacht. Vielleicht hätten Sie das auch einmal tun sollen. So viel dazu, dass Sie immer davon sprechen, dass wir den internationalen Artenschutz fördern müssen usw. usf. Die reale Politik, insbesondere auch die der Großen Koalition, spricht eine ganz andere Sprache. Auch mit der sogenannten kleinen Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz zeigen Sie, wie ernst Sie es mit dem Artenschutz meinen: Statt 2 600 Arten stehen demnächst nur noch 600 Arten unter Schutz. Auf eine nationale Strategie zur biologischen Vielfalt - der Kollege Pries sprach es gerade an - warten wir nun schon seit 15 Jahren. Sieben Jahre davon waren übrigens mit Regierungsbeteiligung der Grünen. ({1}) Nichts als leere Worte. Da kann ich Herrn Gabriel nur zustimmen, der heute sagte: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es nach wie vor eine Vielzahl von Biotopen gibt, die hochgradig gefährdet sind und auch weiter zurückgehen. Der Staatssekretär, Herr Müller, traf vorhin die Aussage: Naturschutz muss Kernthema jeder Umweltpolitik sein. Das ist richtig so, aber die praktische Politik sieht leider ganz anders aus. ({2}) Das heißt nicht nur, dass wir erhebliche Anstrengungen im Klimaschutz unternehmen müssen, sondern wir müssen auch die Natur dabei unterstützen, den Klimawandel zu bewältigen. Einerseits müssen wir für eine Vernetzung sorgen, damit die Arten künftig wandern können. Andererseits müssen wir endlich die unter Schutz gestellten Gebiete auch wirklich schützen. In Wirklichkeit werden die Schutzgebiete nämlich nicht geschützt; vielmehr sind sie vielfach bedroht. So plant RWE, im Nationalpark Wattenmeer nach Öl zu bohren. ({3}) Schleswig-Holstein hat zwar 1985 gesetzlich verankert, dass es außer der einen bestehenden Ölplattform im Nationalpark keine weiteren geben darf; ich befürchte aber, dass sich die heutige Landesregierung nicht mehr darum scheren wird. In den anderen Bundesländern sieht es fast noch schlimmer aus. In den Wahlkämpfen rückt der Naturschutz oft an die zweite Stelle. Ich sage nur: Autobahn gegen Feldhamster. Was aber macht die Landesregierung meines Heimatbundeslandes Schleswig-Holstein? Das einst vorbildliche Landesnaturschutzgesetz wird verstümmelt. Andere Bundesländer haben Ähnliches vor. Ganz schlimm sieht es im praktischen Naturschutz aus. Das Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen belegt, dass die Umwelt- und Naturschutzverwaltungen kaputt reformiert werden. Die Ausgaben für den Naturschutz sind von 1994 bis 2001 um ein Drittel zurückgegangen. In den Kommunen fiel jede dritte Stelle im Naturschutz weg. Die Linke meint, die Regierung tut sich mit der Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz keinen Gefallen. Sie wird ebenso wie die letzte Fassung des Bundesnaturschutzgesetzes wieder beim EuGH landen, der Deutschland erneut verurteilen wird. Nun zu den Grünen: Sie wollen sich wieder als oberste Naturschützer aufspielen. ({4}) Dabei ist die Novelle zum Naturschutzgesetz doch nur deshalb notwendig, weil Sie es 2002 versäumt haben, das Bundesnaturschutzgesetz vernünftig auszugestalten. ({5}) Ihre heute gestellten Fragen sind fast wörtlich der NABU-Stellungnahme entnommen. Dabei haben Sie geflissentlich die Feststellung unter den Tisch fallen lassen, dass die generelle Freistellung der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft im Bundesnaturschutzgesetz nicht akzeptabel war. Seien Sie doch wenigstens so ehrlich, das mit aufzunehmen! ({6}) Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie es damals nicht gewusst haben! Denn erstens ist die FFH-Richtlinie eindeutig formuliert, und zweitens haben die Verbände seinerzeit sehr deutlich darauf hingewiesen. ({7}) Insofern fällt alles, was Sie an der jetzigen Regierung kritisieren, auf Sie selbst zurück. Auch wir Linken sagen: Die Grünen reden viel, wenn der Tag lang ist, handeln aber nicht entsprechend. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ulrich Petzold von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Heilmann, seitdem die Partei, deren Nachfolgepartei Sie angehören, keine Verantwortung mehr für die Elbe trägt, ist wieder eine ganze Reihe von Fischarten dorthin zurückgekehrt. Ich glaube, die Natur hat sich wieder erholt. ({0}) In Ihrer Pressemitteilung, in der die Grünen die heutige Aktuelle Stunde begründen, behaupten Sie, dass die Bundesregierung infolge eines auf den ersten Blick sehr hohen Personalabbaus in den Naturschutzverwaltungen ({1}) als Gastgeberin für die 9. Vertragsstaatenkonferenz schlecht aufgestellt ist, und machen die Bundesregierung für den Personalabbau in diesem Bereich verantwortlich. Dies grenzt an Schaumschlägerei. Die Beantragung der Aktuellen Stunde zeigt, wie weit sich die Grünen von der Föderalismusrealität entfernt haben. ({2}) Naturschutzverwaltungen sind Landesverwaltungen. Das weiß eigentlich jeder von uns. Ein Blick in die Praxis hätte Sie von der unsinnigen Formulierung der Pressemitteilung zu der heutigen Aktuellen Stunde abgehalten. ({3}) Insofern zeigt sich immer wieder: Die Praxis ist das Kriterium der Wahrheit. ({4}) Ein Blick auf das Biosphärenreservat Mittlere Elbe hätte Ihnen für die heutige Diskussion sicherlich einiges gebracht, verehrte Kollegin Kurth. Die intensive Holzwirtschaft in der staatlichen Forstwirtschaft der DDR wurde nach der Wende durch eine weit extensivere Nutzung ersetzt, die natürlich weniger Personal benötigte. Forstflächen wurden nach der Wende wieder den privaten Eigentümern zur Nutzung und Bewirtschaftung übertragen und fielen dadurch aus der Bewirtschaftung durch die Forstämter heraus. Nicht zuletzt wurden in relevanten Größenordnungen Forstflächen den Naturschutzverwaltungen übertragen. Dadurch entstanden bei den Forstverwaltungen Personalüberhänge insbesondere von Forstfacharbeitern, die natürlich als Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ein Anrecht auf Kündigungsschutz hatten. Für dieses überzählige Personal in den Forstverwaltungen der Bundesländer wurden sehr oft die Naturschutzverwaltungen als Auffangbecken genutzt. Leider nutzten einige Forstverwaltungen die Möglichkeiten der Personalübertragung auch dazu, ältere und nach ihrer Meinung nicht mehr so leistungsfähige Mitarbeiter loszuwerden. Darüber, dass dies kein haltbarer Zustand ist, sind wir uns alle einig, glaube ich. ({5}) Diese erfahrenen Forstleute waren natürlich in den Naturschutzverwaltungen willkommen, hatten jedoch das Handicap, dass anschließend keine ausgeglichene Altersstruktur in den Naturschutzverwaltungen vorhanden war und dass sie die Personalvoraussetzungen für die Naturschutzverwaltungen nicht mitbrachten. Es kamen Forstfacharbeiter, aber eigentlich wäre mittleres Leitungspersonal an dieser Stelle erforderlich gewesen. Im Ergebnis wurde gerade in Verantwortung von Frau Umweltministerin Heidecke, die Ihnen ja nicht unbekannt sein dürfte, Frau Kurth, dieses Personal auf kwStellen gesetzt. Ein richtiges Personalkonzept mit einem ordentlichen Stellenplan wurde nicht erarbeitet. Erst die Landesregierung nach 2002 hat gemeinsam mit den Naturschutzverwaltungen klare Personalentwicklungskonzepte erarbeitet. Natürlich saß in dieser Zeit das übertragene Personal nicht untätig herum. Viele Projekte wurden auf den Weg gebracht. Ganz wichtig war dabei der Vertragsnaturschutz, der sich gerade in den Randbereichen, den Schutzzonen III und IV des Biosphärenreservats Mittlere Elbe, sehr gut entwickelt hat. ({6}) Jetzt ist der Vertragsnaturschutz zum Selbstläufer geworden. Viele Arbeiten, die bis vor kurzem noch durch Personal der Naturschutzverwaltung ausgeführt werden mussten, werden jetzt durch die Agrarbetriebe der Region erledigt. Damit war es natürlich möglich, das Personal auf den kw-Stellen sozialverträglich zu reduzieren - darauf lege ich Wert - und bei altersbedingtem Ausscheiden die Stellen nicht wieder zu besetzen. Damit haben die Bundesländer nicht anders gehandelt als Ihre Bundesregierung damals. Wenn Sie sich die Personalentwicklung in den Bundesbehörden UBA und BfN in den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit ansehen, stellen Sie fest, dass auch dort Personal in beträchtlichem Umfang abgebaut wurde. Man sollte nicht mit Steinen schmeißen, wenn man selbst im Glashaus sitzt. Danke schön. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte in diesem Haus verläuft wie so viele Debatten über die Biodiversität und Artenschutz zuvor: Man ist sich insgesamt einig, dass mehr Schutz notwendig ist und dass sowohl international als auch europaweit, überall, viel getan werden muss. Wenn es aber konkret werden soll, schaut es meistens sehr mau aus. ({0}) Dann wird nicht darauf eingegangen bzw. nicht begründet, wo die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz besser oder schlechter ist. Es wird letztendlich allgemein besprochen. Schauen wir uns doch einmal die Realität in der Bundesrepublik an! Man muss anerkennen: Nicht nur in den Tropen, sondern auch in der Bundesrepublik befinden wir uns mitten in der Aussterbekatastrophe; das muss einem klar sein. ({1}) Das ist keine politische Aussage, sondern eine wissenschaftliche Erkenntnis. Schauen wir uns einmal die Aussagen zur momentanen Lage in Europa an! Wenn Sie gestatten, zitiere ich ganz kurz aus dem Bericht des Wirtschafts- und Sozialrates. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen extreme Lücken, die geschlossen werden müssen, will man der drohenden Gefahr des Glaubwürdigkeitsverlustes entgegenwirken. Mit dieser Novelle machen Sie aus der klaffenden Lücke einen tiefen Graben. ({2}) Um das Problem der Novelle klarzumachen, muss man sich vergegenwärtigen, welches die Hauptursachen für das bereits stattfindende Artensterben in der Bundesrepublik sind. Es sind Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Jagd. Wie gehen Sie denn jetzt mit den Problemen um? Sie schreiben in die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz hinein, dass der Schutz vom Individuum auf die Population heruntergestuft werden soll. Welche Folge hat dies in der Praxis? Die Folge in der Praxis ist, dass Sie einzelne Individuen töten können, wenn Sie behaupten, die Population dadurch nicht zu gefährden. Aber wer stellt denn fest, ob die Population gefährdet ist? Vielleicht die unteren Naturschutzbehörden, deren Personal total ausgedünnt ist, oder die Universitäten, in denen nach und nach fast alle Lehrstühle, die für den Bereich der Artenvielfalt zuständig waren, zu Lehrstühlen für Biotechnologie umgewidmet worden sind, sodass wir fast kein Fachpersonal mehr haben, weder auf universitärer noch auf behördlicher Ebene? Sie nehmen relativ kleine und geschickte Änderungen vor, die, wenn man sich nicht wirklich über die Folgen im Klaren ist, auf den ersten Blick harmlos wirken. Aber es ist ein gigantischer Unterschied, ob Sie Populationen schützen oder ob Sie festschreiben, dass gefährdete Arten grundsätzlich nicht getötet werden dürfen. ({3}) Im Bundesrat wird es noch schlimmer: Aus „lokalen Populationen“ will der Bundesrat allgemeine Populationen machen. Es gibt Arten, die europaweit vorkommen, es gibt Arten, die zirkumpolar vorkommen, es gibt Arten, die sehr weit verbreitet sind. Wer definiert das dann? Dürfen wir sie in der Bundesrepublik ausrotten, weil es noch woanders eine Population gibt? ({4}) Das ist wieder ganz typisch für die Gesetzesarbeit der Großen Koalition: Auf den ersten Blick schaut es harmlos aus. Schauen wir uns dann die Wörter in ihrer praktischen Konsequenz an, dann wird daraus ein Skandal. ({5}) - Diejenigen, die hier jetzt schreien, verstehen schlichtweg nicht, was das Wort Population bedeutet, ({6}) was das Wort lokal bedeutet und was in diesem Zusammenhang Individuum bedeutet. Befassen Sie sich vorab damit; dann wird es Ihnen im Detail klar. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun der Kollege Dirk Becker von der SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind zu einer Aktuellen Stunde zusammengekom9104 men, die den Titel „Schutz der Biodiversität in der EU ohne Deutschland“ trägt. Ich habe selbst in den Beiträgen der Grünen dazu bisher recht wenig gehört; sie versteifen sich auf einige wenige Punkte. ({0}) Ich vermisse ein bisschen die sogenannte ganzheitliche Betrachtung, wenn man von der Rolle und der Verantwortung Deutschlands in der Europäischen Union spricht. ({1}) - Sie sollten von der Aktuellen Stunde sprechen, die Sie selber beantragt haben, oder sich die Fragestellung vorher besser überlegen, Herr Hofreiter. ({2}) Kollege Pries hat auf die Bedeutung des Verlusts der biologischen Vielfalt hingewiesen. Wir sind uns alle hinsichtlich dieser Bedeutung einig und wissen, dass im öffentlichen Bewusstsein diese Bedeutung nicht hinreichend verankert ist. Das ist eine Herausforderung an Politiker aller Parteien und dürfte im Deutschen Bundestag nicht zum Streit führen. Dies gilt ebenso für das gemeinsame Ziel, bis 2010 den Verlust der Biodiversität signifikant einzuschränken und auf europäischer Ebene ganz zu stoppen. Ich sage ganz deutlich, dass wir von diesem Ziel noch ein ganzes Stück entfernt sind. Dies muss man deutlich sagen; da gibt es nichts schönzureden. Bevor man diesbezüglich auf andere Nationen zeigt, muss man natürlich vor der eigenen Haustür kehren und feststellen, was wir selber noch mehr tun können, um diesem Ziel nahe zu kommen. Ich will selbst durchaus kritisch mit den Fragen möglicher nationaler Missstände umgehen. Sie haben heute Mittag in der Fragestunde beispielsweise die Tatsache angesprochen, dass in einigen Bundesländern die Umsetzung der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie zumindest schleppend, wenn nicht unvollständig ist. Dies muss man als Umweltpolitiker deutlich missbilligen; das ist doch völlig klar. Ebenso müssen wir deutlich machen, dass ein nationaler Biotopverbund für den Bereich der Biodiversität von herausragender Bedeutung ist. Der Bundesumweltminister und auch der Parlamentarische Staatssekretär - der eine bei der Pressekonferenz, der andere hier im Parlament - haben das sehr deutlich unterstrichen und die Position der Bundesregierung, die wir voll und ganz teilen, klargestellt. ({3}) Aus der Benennung einiger Defizite - ich könnte den andauernden Flächenverbrauch in Deutschland hinzufügen; es gibt, wie gesagt, Missstände - eine Aktuelle Stunde mit dem Thema „Schutz der Biodiversität in der EU ohne Deutschland“ ({4}) zu beantragen, ist nach meiner Einschätzung abenteuerlich, unbegründet und geht am Thema weit vorbei. Ich will das sehr deutlich machen; denn Sie stellen auch ein Stück Ihrer eigenen Politik der Vergangenheit und die Politik des Bundestages und der Bundesregierung insgesamt in Frage. ({5}) Ich möchte daher an dieser Stelle Achim Steiner bemühen. Achim Steiner ist Chef der UNEP und hat zur Rolle Deutschlands im Rahmen der G-8-Politik anlässlich der Unterzeichnung der „Potsdam-Initiative“ zur biologischen Vielfalt Folgendes gesagt: Mit der „Potsdam-Initiative“ erleben wir einen Wendepunkt in der internationalen Politik im Rahmen des Schutzes der Biodiversität. Nie zuvor ist im Rahmen eines G-8-Vorsitzes so früh und weitreichend ein Beschluss zum Schutz der Biodiversität gefasst worden. ({6}) Das basiert auf dem Engagement des BMU und der deutschen Politik. Darauf können wir ein Stück stolz sein. Wir sagen dem BMU ausdrücklich Dank für diese vorbereitenden Arbeiten. ({7}) Ich könnte dies fortführen. Sie haben die Rolle der EU angesprochen. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass gerade der Schwerpunkt Biodiversität ein entscheidendes Kriterium der EU-Ratspräsidentschaft sein wird. Erstmalig hat eine Nation im Rahmen der Ratspräsidentschaft die beiden folgenden Präsidentschaften mit ins Boot genommen, um politische Akzente - in diesem Fall für die Biodiversität - für einen Zeitraum von 18 Monaten zu setzen, das heißt Kontinuität zum Schutz der Biodiversität zu erreichen. Ich finde, auch dies ist ein lohnenswerter Beitrag und macht die Verantwortung der deutschen Politik zum Schutz der Biodiversität mehr als deutlich. Die Rolle Deutschlands im Rahmen der CBD ist angeklungen. Ich möchte sehr deutlich machen, dass Deutschland als Gastgeber der nächsten Vertragsstaatenkonferenz mit vielen Vorschusslorbeeren, aber auch mit vielen Erwartungen bedacht wird. Das hat einen guten Grund. Diese Erwartungshaltung hat sich die deutsche Politik erarbeitet. Wer schon einmal mit Vertretern anderer Nationen gesprochen hat, der weiß, wie hoch das Ansehen Deutschlands aufgrund des Wirkens im Rahmen der Konvention für die biologische Vielfalt ist. Die Staaten setzen eine sehr hohe Erwartung in Deutschland, weil sie wissen, dass Deutschland Motor und verlässlicher Partner im Bereich des Schutzes der biologischen Vielfalt ist. ({8}) Die Mitarbeiter des BMU arbeiten aufklärend hinter den Kulissen und versuchen, andere Nationen mitzunehmen. Die deutsche Politik, insbesondere die Arbeit des deutDirk Becker schen Umweltministeriums, ist wirklich hoch geschätzt und anerkannt. Ich finde, Defizite zu benennen ist das eine, aber zu sagen, Schutz der Biodiversität finde in Europa ohne Deutschland statt, ({9}) geht völlig am Thema vorbei. Wir haben auch in Zukunft einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt. Wir wollen diese Verantwortung wahrnehmen. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposition zu einem verantwortungsvollen Umgang mit diesem Thema zurückfinden würde. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ingbert Liebing von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der Grünen hat ihren Antrag auf Durchführung dieser Aktuellen Stunde mit dem Vorwurf verbunden, Deutschland würde den Natur- und Artenschutz eher schwächen als stärken. In der Debatte ist deutlich geworden, dass diese Vorwürfe ins Leere gehen und diese Debatte eigentlich an den Haaren herbeigezogen ist. ({0}) Dennoch bin ich Ihnen in gewisser Hinsicht sogar dankbar dafür, dass wir diese Debatte führen, weil sie die Gelegenheit gibt, Ihre falschen Vorwürfe zurückzuweisen und auf die Leistungen und das Engagement Deutschlands bei diesem wichtigen Thema - auch das Engagement der Bundesregierung in diesem Bereich hinzuweisen. Deutschland nimmt seine Verpflichtung für den Naturschutz, für den Artenschutz wahr, insbesondere im internationalen Rahmen. Die Erwartungen gegenüber Deutschland sind sehr hoch. Der Kollege Becker hat dies gerade zum Ausdruck gebracht. Deutschland, das derzeit eine Führungsrolle in der Europäischen Union einnimmt - es hat die Ratspräsidentschaft inne -, hat in dieser Funktion einen Schwerpunkt auf die Vorbereitung der 9. Vertragsstaatenkonferenz gesetzt, die im kommenden Jahr in Bonn stattfinden wird. Ich bin sehr sicher, dass diese Konferenz zu einem guten Erfolg führen wird. Genauso sicher bin ich, dass manche Kritiker und Skeptiker von heute noch überrascht sein werden, so wie manche Kritiker der Bundesregierung in den letzten Wochen über die erfolgreiche Politik der Bundesregierung und unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel auf internationalem Parkett überrascht waren. ({1}) Ich darf gern daran erinnern, dass im Juni dieses Jahres die 14. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens in Den Haag stattfinden wird. Hier hat Deutschland ebenfalls die Verantwortung übernommen, einen wesentlichen Schwerpunkt, insbesondere zum Schutz der marinen Arten, zu setzen. Ich möchte einen konkreten Lebensraum ansprechen, der gerade für die Biodiversität eine besondere Bedeutung hat, nämlich die Weltmeere. Dies ist eines der artenreichsten Ökosysteme überhaupt. Man ist bisher davon ausgegangen, dass es auf unserem Planeten etwa 1,4 Millionen unterschiedliche Arten gibt. Erst seit wenigen Jahren wissen wir aufgrund neuer Forschungsergebnisse, dass in den Tiefen der Meere über diese 1,4 Millionen Arten hinaus noch etwa 10 bis 30 Millionen weitere, bisher völlig unbekannte und unerforschte Arten existieren. Insofern ist dies sicherlich einer der sensibelsten Lebensräume, der gefährdet ist. Der Klimawandel macht vor den Meeren nicht halt. Wir kennen die Folgen der Erderwärmung, der Meereserwärmung. Die Versauerung und natürlich auch die Verschmutzung durch menschliches Handeln machen den Meeren zu schaffen. Die Meere beherbergen zugleich die größten Tiere, die Wale, die wegen ihrer geringen Vermehrungsrate ebenfalls besonders gefährdet sind. All diese Themen gehen wir an, und wir setzen Signale, insbesondere für die internationalen Verhandlungen. Ich darf an den Antrag erinnern, den die Koalitionsfraktionen im vergangenen Jahr im Plenum zur Abstimmung gestellt haben; er wurde verabschiedet. Mit ihm bekennen wir uns zum Schutz der Ökosysteme der Tiefsee und schlagen konkrete Maßnahmen vor. Wir treten für die Ausweisung von Meeresschutzgebieten auf hoher See und für die Ausweisung eines globalen Netzes von Meeresschutzgebieten ein. Wir treten für eine konkrete nachhaltige Fischerei ein, und wir engagieren uns gegen zerstörerische und illegale Fischereipraktiken sowie gegen Überfischung. Gern darf ich auch an den Koalitionsantrag erinnern, der morgen im Plenum auf der Tagesordnung steht. Mit diesem Antrag bekennen wir uns zum Schutz der Wale und treten für konkrete Maßnahmen zum Schutz der Wale ein. Damit machen wir gegen den kommerziellen Walfang Front. ({2}) Dennoch kommen wir nicht an der Tatsache vorbei, dass der Klimawandel natürlich auch Auswirkungen auf die Meere und die Biodiversität dort hat. Es gibt invasive Arten, die selber aggressiv gegen andere Arten auftreten: Die Pazifische Auster legt sich wie Beton in der Nordsee über andere Arten, und die Rippenqualle in der Ostsee verdrängt dort andere Fischarten, wie wir es vom Schwarzen Meer kennen. Wir können über Probleme wie Ballastwasser reden: An dem Thema Klimawandel und seinen Auswirkungen auf die Biodiversität kommen wir nicht vorbei. Deswegen ist auch dies ein Gegenstand der „Potsdam-Initiative“ zum G-8-Gipfel. Dies alles zeigt: Deutschland handelt. Deutschland nimmt seine Verantwortung ernst, international wie im eigenen Land. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, unterstützen die Bundesregierung bei ihrer Arbeit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vorhin in der Fragestunde schon ziemlich ausführlich über manche der jetzt anstehenden Aspekte gesprochen. Aber es ist wichtig, das noch einmal im Zusammenhang darzustellen; da ist, glaube ich, auch etwas falsch verstanden worden. ({0}) Man kommt dadurch aus meiner Sicht zu Schlussfolgerungen, die sich - wenn man genauer hinschaut, erkennt man das - eigentlich ein bisschen auf die eigene Geschichte beziehen. Klaus Töpfer hat in seiner Zeit als Umweltminister gesagt, dass die klaffende Wunde der deutschen Umweltpolitik das fehlende Naturschutzgesetz war. Da muss man, was die eigene Geschichte angeht, auch wenn wir sicherlich erst ein Stück des Weges gegangen sind, froh sein, dass wir in Deutschland in den letzten Jahren ein gutes Naturschutzgesetz geschaffen haben. Ich kann nicht verstehen, warum man das jetzt hier kleinmachen will. ({1}) - Ich komme auf Sie zurück. Sie haben wirklich etwas eklatant missverstanden. Ich will versuchen, das zu erklären. Da wird ein Titel wie „Biodiversitätsschutz in der EU ohne deutsche Beteiligung“ formuliert. Dahinter wird nicht einmal ein Fragezeichen gesetzt. Da ist man doch irgendwo in einer anderen Welt. Ich kann das nicht nachvollziehen; es tut mir leid. ({2}) Ich beziehe das jetzt einmal auf die EU. Die Dreierpräsidentschaft, also Slowenien, Portugal und Deutschland, wird ein sehr anspruchsvolles Biodiversitätsprogramm für die EU vorlegen. Das ist vorbereitet, und das wissen Sie auch. Zum ersten Mal überhaupt findet mit allen europäischen Naturschutzverbänden eine Debatte zu diesem Thema statt - das hat es bisher nicht gegeben! -, auf deutsche Initiative. Auch das erwähnen Sie nicht. Die Naturschutzdirektoren werden im Mai in Potsdam zusammenkommen, um ein europäisches Programm vorzubereiten. Das erwähnen Sie ebenfalls nicht. Sie schreiben einfach: ohne deutsche Beteiligung. Wenn man ein Thema so behandelt, dann muss man sich auch gefallen lassen, dass man gefragt wird - es tut mir leid, wenn ich das so sagen muss -, ob man die Fakten überhaupt zur Kenntnis nimmt. ({3}) Ich bin auf Ihrer Seite, wenn Sie sagen, dass man bei diesem Thema ernsthaft diskutieren muss, weil unser Verständnis von Natur sehr viel mit europäischer Kultur zu tun hat. Es ist leider so, dass es in der europäischen Geschichte immer eine Art Naturvergessenheit gegeben hat. Das geht sehr tief. Fast alle großen Philosophen, auch der europäischen Moderne, der Aufklärung, von John Locke über Newton bis hin zu Descartes, haben Natur immer so verstanden, dass man sie beherrschen muss. Es galt das Verständnis: Wir sind Meister der Natur, Herrscher über die Natur. - Selbst Kant hat noch in der „Kritik der Urteilskraft“ geschrieben: Nur der Mensch ist alles, und die Natur hat sich dem unterzuordnen. - Das ist eine tiefe Prägung im europäischen Geist. Wir wissen auch, dass beispielsweise die Naturvergessenheit, die Entsinnlichung im Verhältnis zur Natur eigentlich eines der tragenden Elemente der modernen Fortschrittsgeschichte war, die wir erst im 20. Jahrhundert zu überwinden begonnen haben. Insofern kann man das nicht aus einem, wie ich finde, überheblichen Standpunkt heraus behandeln, sondern muss schon versuchen, diese europäische Geschichte aufzugreifen und - das halte ich für wichtig - zu einem anderen Verständnis von Natur zu kommen. ({4}) Drei zentrale Themen gibt es, bei denen sich die Umweltpolitik auszeichnen muss; sie gehören sehr stark zusammen: Erstens. Zunehmende Ressourcenknappheit. Zweitens. Klimawandel. Der Klimawandel ist auch ein zentrales Problem für den Artenschutz, also für die Tier- und Pflanzenwelt. Ich habe die Zahlen vorhin schon zitiert. In den nächsten Jahrzehnten sind 5 bis 30 Prozent der Pflanzen- und Tierarten durch den Klimawandel gefährdet. In Deutschland werden wir vor allem erleben, dass sich die Standorte von Tieren und Pflanzen sehr nach Norden bzw. Nordosten verlagern, dass in einigen Gebieten zum Teil dramatische Zuspitzungen mit Aussterbeprozessen stattfinden, insbesondere dort, wo es größere Trockenheit geben wird. Das ist in der Tat ein ganz großes Problem. Drittens. Biodiversität. Wenn wir das alles wissen, dann müssen wir das schon in den richtigen Zusammenhang stellen. Wir kommen zu einer Novelle, weil im deutschen Naturschutzrecht das europäische Recht nur unzureichend umgesetzt wurde. Das ist der Kern. Ich will hier nicht besserwisserisch sein, aber zweifellos war das Naturschutzgesetz ein Produkt rot-grüner Politik. Insofern müssen wir uns ein bisschen selbstkritisch fragen, warum wir es nicht in der Form umgesetzt haben, wie es die Europäische Union jetzt verlangt. Das gilt dann auch für uns; da kann man sich nicht hinstellen und auf andere zeigen. Das finde ich, ehrlich gesagt, unangemessen. ({5}) Herr Hofreiter, ich muss schon sagen, dass Sie ein paar Punkte wohl falsch verstanden haben. Denn die Novellierung ist in der Regel eine Verschärfung. Der Populationsbegriff ist beispielsweise im Gegensatz zum heutigen Zustand ein schärferer Anspruch. ({6}) - Doch. Entschuldigung, lassen Sie mich das einmal erklären. In der Land- und Forstwirtschaft, wo wir bisher den Bezug nur auf die Einhaltung der guten fachlichen Praxis hatten, gilt jetzt der Populationsbezug. Den gab es bisher nicht. Es ist eine Verschärfung. Sie können natürlich sagen, das reiche Ihnen nicht aus. Das finde ich in Ordnung, aber gegenüber dem heutigen Zustand ist es eine Verstärkung. Bisher galt, wenn es nicht einen willkürlichen Verstoß gab, die Einhaltung der guten fachlichen Praxis als Garantie für die Freistellung von den artenschutzrechtlichen Verboten. Jetzt fordert man etwas mehr, nämlich den Erhalt der Population bzw. der ökologischen Stabilität. Das ist mehr, und deshalb ist das, was Sie sagen, objektiv falsch, wie uns auch alle an diesem Prozess Beteiligten bestätigen. Sie haben das Problem aus meiner Sicht auf die allgemeine Ebene gesetzt, aber es geht nicht um die allgemeine Ebene. Es geht um die speziellen Bereiche, in denen Siedlung und Landwirtschaft sich bisher ausschließlich an der fachlichen Praxis zu orientieren haben. Da fordern wir jetzt ein Kriterium mehr. Das müssen Sie schon akzeptieren. Sie können sagen - das finde ich ja in Ordnung -: Das reicht nicht aus, wir wollen viel mehr. - Nur muss ich dann sagen: Das ist bisher im Bundesnaturschutzgesetz nicht enthalten. Das, was wir jetzt machen, ist zumindest eine Stufe mehr als das bisherige Naturschutzgesetz. Wir sollten bitte immer noch bei den Fakten bleiben. ({7}) Zweiter Punkt: Wir verschärfen eindeutig den Projektbegriff. Der Projektbegriff wird jetzt deutlicher gefasst. Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Flächen innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten, sondern es gilt jetzt eine gewisse Generalisierung in den Vorschriften. Auch das ist eine Verschärfung. Sie kommen an dem Punkt nicht vorbei. Auch in dem Bereich korrigieren wir ein Defizit im bisherigen Gesetz und verschärfen die Kriterien. Noch einmal: Man kann es noch schärfer machen, aber es ist eindeutig mehr als bisher. Dasselbe gilt für die Infrastruktur und bei Siedlungsvorhaben. Auch da waren zugelassene Eingriffe bisher frei von Auflagen. Jetzt gelten die Verbote direkt bzw. mit der Maßgabe der ökologischen Stabilität. Es ist eine Stufe mehr; ich kann es immer nur wiederholen. Noch einmal: Sie haben recht, wenn Sie sagen, wir müssen für den Naturschutz sehr viel mehr tun. Aber bitte akzeptieren Sie, dass wir mit den jetzigen Novellierungsvorschlägen mehr tun, als das bisherige Naturschutzgesetz, das unter der Regie von Jürgen Trittin verabschiedet wurde, fordert. Lesen Sie die Vorschläge wenigstens einmal, lesen Sie die Kommentare! Nehmen Sie die wenigstens zur Kenntnis, auch wenn Sie eine andere Meinung vertreten. ({8}) Lesen Sie es nach, dann sehen Sie, dass es mehr ist als das, was im bisherigen Gesetz von Jürgen Trittin steht. Ich gebe ja zu: Dieses Gesetz haben wir damals so machen müssen - ich war ja dabei -, weil wir große Schwierigkeiten mit der Zustimmung des Bundesrates hatten. Das ist gar keine Frage. Trotzdem gehen die jetzigen Vorschläge weiter als das bisherige Gesetz. Das muss man bitte akzeptieren und nicht immer gleich niedermachen. Ich habe auch den Eindruck, dass Sie die Aktuelle Stunde brauchen, um in Zeiten der ökologischen Debatte wieder einmal deutlich zu machen, dass Ihre Partei eigentlich aus dieser Richtung kommt. ({9}) Unter taktischen Gesichtspunkten verstehe ich das, aber in der Sache sind Ihre Vorwürfe nicht gerechtfertigt. Das muss man schon einmal zur Kenntnis nehmen. ({10}) Meine Damen und Herren, ich finde es richtig, dass wir im nächsten Jahr einen Schwerpunkt bei der Biodiversität setzen, die in der Tat neben Klimaschutz und Ressourcenknappheit das dritte große ökologische Thema ist. Wir werden uns in Umweltfragen nur dann glaubwürdig rechtfertigen können, wenn wir auch den Naturschutz sehr viel ernster nehmen, als das bisher der Fall ist. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Josef Göppel von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zurzeit sorgen sich viele Deutsche um die Urwälder, weil zur Gewinnung von Palmöl Wälder abgeholzt wer9108 den. Ich finde diese Sorgen gut und richtig, aber wir selber sind nur dann glaubwürdig, wenn wir den Artenschutz und den Naturschutz in unserem Land ernst nehmen. Deswegen ist das jetzige Urteil des Europäischen Gerichtshofes ein Anlass, sich wieder zu fragen: Tun wir genug, und sind wir bisher den richtigen Weg gegangen? Eines ist sicher: Durch mehr Anbau von nachwachsenden Rohstoffen und Biomasse in Deutschland bekommen wir wieder mehr Nutzungsdruck. Als ich in den 60er-Jahren meine Ausbildung als Förster begonnen habe, war es noch so, dass möglichst jeder Quadratmeter genutzt wurde. Dieser Nutzungsdruck steht uns nun wieder bevor. Das ist natürlich eine besondere Herausforderung für den Artenschutz. Ich bin deshalb froh, dass wir die europäischen Schutzgebiete haben, Natura 2000. Das hebt die Qualität unseres Landes mit Blick auf den Tourismus, aber natürlich auch die Attraktivität insgesamt. Regionale Wirtschaftsentwicklung hängt in vielen Teilen unseres Landes eng mit einer intakten Naturqualität zusammen. Das gilt immer mehr. Wenn man nun aber wissen will, warum diese europäischen Schutzgebiete eine so geringe Akzeptanz haben und warum es so viele Widerstände gibt, dann muss man sich mit der traditionellen Nutzung beschäftigen. Diese Gebiete sind ja deshalb in den großen europäischen Verbund aufgenommen worden, weil sie durch die traditionelle Nutzung eine bestimmte Qualität behalten haben. Werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, nehmen Sie einmal folgendes Beispiel: Da ist ein alter Baumbestand, ein Buchenbestand; die Bäume sind 120 oder 130 Jahre alt und sollen nun genutzt werden. In einigen Bäumen gibt es eine Spechthöhle. Diese Bäume darf der betreffende Waldbesitzer, obwohl es in diesem Wald auch viele andere alte Bäume mit Spechthöhlen gibt, nicht umschneiden. Das ist in meinen Augen eine zu enge Auslegung der europäischen Vorschrift. Ich glaube, dass die Novellierung des Gesetzes, die auf die lokale Population abzielt, genau richtig ist. ({0}) Denn damit schaffen wir mehr Akzeptanz; die Zustimmung zu solchen Gebieten wächst. Das gilt auch für die Arten, deren Bestand sich erfreulich entwickelt. Ein typisches Beispiel in Süddeutschland ist der Biber. Der Biber steht für eine sehr erfolgreiche Wiedereinbürgerung einer Art in Deutschland. Aber wir müssen sehen, dass er sich so erfolgreich vermehrt, dass es an einigen Stellen Probleme gibt. Deshalb plädiere ich auch hier für Flexibilität. Wenn er den Damm von Kläranlagen durchlöchert oder an Straßen herangeht, dann muss es möglich sein, einzelne Exemplare im Sinn der Gesamtpopulation wegzunehmen. ({1}) Deswegen, Herr Kollege Hofreiter, brauchen wir eine flexiblere Handhabung des Begriffes „erhebliche Schäden“. Glauben Sie mir: Im Ergebnis werden Sie dann für den Artenschutz mehr erreichen, weil die Akzeptanz wächst. ({2}) Ich möchte noch ein Beispiel aus dem Land Schleswig-Holstein erwähnen. Umweltminister Christian von Boetticher ({3}) verfolgt mit lokalen Bündnissen ein neues Konzept, um die Managementpläne in den europäischen Schutzgebieten umzusetzen. Wir werden sehen, dass er damit großen Erfolg hat. Denn wenn die örtliche Bevölkerung einbezogen und ihr Ehrgeiz geweckt wird, dann erreicht man mehr, als wenn mit starren Vorschriften Gegnerschaften aufgebaut werden. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat nun der Kollege Dr. Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir hier jetzt viel über den Naturschutz in Deutschland gesprochen haben und die Argumente dazu eigentlich schon ausgetauscht sind, möchte ich die Gelegenheit nutzen, in einer Aktuellen Stunde, die den Begriff „Biodiversität“ im Titel trägt, etwas zum Engagement der Bundesregierung sowie unserer Fraktion, der SPD, gemeinsam mit der CDU/CSU im Bereich der Entwicklungsländer zu sagen; denn 80 Prozent aller genetischen und biologischen Ressourcen liegen nun einmal in den Entwicklungsländern. Deswegen ist es gut, dass wir Maßnahmen, die sicherlich auch schon die Vorgängerregierung getroffen hat, fortführen und 180 Projekte in den Partnerländern betreiben. Ich nenne einmal schlagwortartig ein paar Zahlen. Wir geben im Augenblick 300 Millionen Euro für die laufenden Biodiversitätsprojekte aus, um die biologische Vielfalt zu schützen. Wir geben allein 125 Millionen Euro für den Schutz des Waldes und vor allem für den Schutz des Tropenwaldes aus. Ich nenne beispielsweise auch das PP-G7-Programm in Brasilien - es dient dem Schutz des Amazonas-Regenwaldes -, in das bereits 360 Millionen US-Dollar geflossen sind. Der deutsche Anteil betrug 45 Prozent. Das ist eines der erfolgreichsten Projekte von GTZ und KfW. Dieses Projekt findet eine große Akzeptanz in der brasilianischen Bevölkerung. An der globalen Umweltfazilität, GEF genannt, hat sich Deutschland bisher mit 365 Millionen US-Dollar beteiligt und ist damit der drittgrößte Geber. Was verbirgt sich hinter diesen Zahlen? Ich will einmal im Bereich Tropenwaldschutz bleiben. Dieser ist für die Biodiversität von großer Bedeutung. In den Regenwäldern kann man auf jedem Meter die Vielfalt sozusagen greifen; viele Arten sind noch gar nicht entdeckt worden. Aber auch für den Klimaschutz ist dieses Thema ganz wichtig; denn die Brandrodungen und die Abholzungen haben einen Anteil von etwa 20 Prozent an der durch den CO2-Ausstoß verursachten Erwärmung. Deswegen ist es ganz wichtig, dass sich Deutschland in diesem Bereich international engagiert. ({0}) Nicht nur mit Geld, sondern auch durch Armutsbekämpfung muss die Biodiversität erhalten und der Wald geschützt werden. Deswegen hängt Entwicklungszusammenarbeit ganz eng mit dem Thema Biodiversität zusammen. Wenn Menschen kein Land haben, dann werden sie eher gezwungen sein, Waldflächen zu roden. Wenn Menschen keinen Zugang zu moderner Energieversorgung haben - in Afrika beispielsweise decken die Menschen zu 70 bis 80 Prozent ihren Energiebedarf durch Holz -, dann ist es eine wichtige Aufgabe für uns, dass wir mit erneuerbaren Energien wie Windkraft oder Photovoltaik den Menschen eine Energieversorgung ermöglichen, sodass sie nicht auf Holzressourcen zurückgreifen müssen. ({1}) Natürlich müssen wir auch schauen, dass die Entwicklungsländer einen Ausgleich dafür bekommen, dass sie auch für uns ihre Biodiversität sozusagen zur Verfügung stellen. Angesichts der Tatsache, dass wir in Europa in der Vergangenheit zum großen Teil unsere Wälder genutzt haben, fragen sich Länder wie Brasilien und Indonesien, warum sie die grüne Lunge der Welt sein sollen und warum sie Naturschutzparks einrichten sollen. Gleichzeitig müssen diese Länder ihre Bevölkerung ernähren. Ich glaube, darauf müssen wir zwei Antworten geben. Zum einen müssen wir Schutzprogramme in Kernzonen weiterhin durchführen und den Regierungen die Mittel geben, der Bevölkerung vor Ort einen Ausgleich zu gewähren. Zum anderen müssen wir eine nachhaltige Nutzung ermöglichen - das tun wir mit unseren Waldschutzprogrammen -, damit die Bevölkerung mittels der Erzeugung von Pflanzenprodukten oder mittels FSC - das ist ein Gütesiegel für Holz - den Tropenwald auch in den Randzonen nutzen kann. Wir wissen, dass allein der Welthandel mit Heilpflanzen 800 Million US-Dollar ausmacht. Das Schlagwort vom gerechten Vorteilsausgleich, der auch in den internationalen Verhandlungen thematisiert wird, ist wichtig. Nicht nur die Pharmaziebetriebe und Konzerne in den Industrieländern dürfen von der Biovielfalt profitieren. Vor allem muss sie den Menschen vor Ort zugutekommen. Lassen Sie mich enden mit dem Satz „Global denken und lokal handeln“. Wer möchte, dass im Sinne der Biovielfalt zum Beispiel die Löwen in Afrika geschützt werden, der darf in Deutschland nicht Bruno, den Problembären, abschießen, nur weil er ein paar Schafe gerissen hat. Die Farmer in Afrika haben die gleichen Probleme. Wir müssen lernen, mit wildlebenden Tieren, wenn sie hier angesiedelt werden sollen, umzugehen. Wir müssen lernen, mit der Natur zu leben. In dem Sinne sage ich: Lasst künftig Brunos Kinder leben! Dann werden wir weltweit glaubwürdig sein. So können wir die Biodiversität erhalten und schützen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. März 2007, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.