Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der
Europäischen Union.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang
Schäuble.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute den
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und
asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union beschlossen. Mit diesem Gesetzentwurf sollen elf EURichtlinien umgesetzt werden. Im Wesentlichen geht es
um die Harmonisierung des Asylrechts auf EU-Ebene.
Den Bundestag möchte ich schon jetzt bitten, die parlamentarischen Beratungen möglichst zügig durchzuführen, da wir bei der Umsetzung einiger EU-Richtlinien
verfristet sind. Ich glaube, dass wir mit der heutigen Beschlussfassung auf Regierungsebene einen wichtigen
Schritt unternommen haben.
Mit diesem Gesetzentwurf fördern wir die Integration, und zwar vor allem, indem wir den Zugang zum
Arbeitsmarkt für die Menschen verbessern, die bereits in
Deutschland leben. In Zukunft können Menschen, die
keinen rechtlichen Aufenthaltstitel haben, die sogenannten Geduldeten, ohne Vorrangprüfung eine Arbeit aufnehmen, wenn sie vier Jahre in Deutschland leben. Wir
fördern die Integration, indem wir das Instrumentarium
der Arbeitsmarktförderung und der Integration bei diesen Menschen zur Anwendung bringen.
In diesen Gesetzentwurf sind die Erkenntnisse aus der
Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes eingeflossen.
Sie wissen, dass das Zuwanderungsrecht in der letzten
Legislaturperiode zum 1. Januar 2005 novelliert worden
ist. Die vereinbarte Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes ist im vergangenen Jahr durchgeführt worden. Wir
haben eine Praktikeranhörung durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Evaluierung haben wir, soweit sie gesetzgeberische Konsequenzen erfordern, in den Gesetzentwurf
aufgenommen.
Entsprechend der Koalitionsvereinbarung und der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vom Beginn dieser Legislaturperiode ist die Integration ein Schwerpunkt
der Regierungsarbeit. Dementsprechend versuchen wir
mit diesem Gesetz, die Integration zu fördern. Mit diesem Gesetz, mit den begrenzten Möglichkeiten, die der
Gesetzgeber hat, treten wir den arrangierten Ehen entgegen, die sich bei einem bestimmten Teil unserer Bevölkerung mit Migrationshintergrund als Integrationshindernis erwiesen haben. Wenn junge Menschen türkischer
Abstammung, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, in einer Größenordnung von bis zu
50 Prozent keinen Partner heiraten, der ebenfalls in
Deutschland aufgewachsen ist, gleich welcher Staatsangehörigkeit oder Abstammung, dann spricht das dafür,
dass die arrangierten Ehen Integration nicht befördern,
sondern behindern. Mit der Einführung eines Mindestalters und der Einführung von Mindestsprachkenntnissen
wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich
die Menschen, die im Zuge des Ehegattennachzugs nach
Deutschland kommen, gut integrieren können, damit sie
bessere Lebenschancen haben.
Wir haben beim Gesetzentwurf auch die Beschlussfassung der Innenministerkonferenz vom Sommer vergangenen Jahres zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechtes berücksichtigt, die gesetzgeberische Konsequenzen
erfordert.
Wir haben schließlich Erkenntnisse verwertet, was die
Sicherheit dieses Landes anbetrifft, die wir im Zuge der
Ermittlungen im Zusammenhang mit den glücklicherweise nicht explodierten Kofferbomben gefunden haben.
Wir haben in der Zusammenarbeit zwischen SicherheitsRedetext
und Ausländerbehörden Verbesserungen mit diesem Gesetzentwurf vorgesehen, sodass dieser Gesetzentwurf
insgesamt das friedliche und tolerante Zusammenleben
von Menschen unterschiedlicher Herkunft und der
Mehrheitsgesellschaft in diesem Lande verbessert.
Deswegen ist es ein Gesetzentwurf, der die Integration in diesem Lande fördert. Es hat unter anderem in der
Innenministerkonferenz eine Debatte - auch das will ich
mit einem Satz erwähnen - über die Bleiberechtsregelung und Altfallregelung gegeben. Ich glaube, dass die
Regelung, die wir gefunden haben, den Interessen aller
gerecht wird. Es gibt nicht mehr Zuzug in dieses Land.
Es gibt mehr Möglichkeiten für Menschen, die seit langem in diesem Lande leben, Arbeit zu bekommen und
den Sozialversicherungssystemen damit weniger zur
Last zu fallen als bisher. Indem die Länder davon Gebrauch machen können, ist sichergestellt, dass die Menschen, solange sie keine Arbeit finden - auch wenn sie in
den Genuss der gesetzlichen Altfallregelung kommen -,
nicht mehr Sozialleistungen erhalten, als sie bis zum
1. März dieses Jahres erhalten haben. Dadurch gibt es
keinen Zuzug in die Sozialversicherungskassen.
Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang:
Wir haben - das respektiere ich - viel Kritik erfahren,
zum Beispiel durch einen offenen Brief der Verbände
von Migranten. Das ist in unserer pluralistischen, offenen Debatte in Ordnung. Wer Integration wirklich fördern will, muss den Missbrauch von gesetzlichen Angeboten bekämpfen und dafür sorgen, dass denen geholfen
wird, die der Integration, der Förderung und auch Forderung bedürfen, darüber hinaus muss er dafür sorgen, dass
sich die Mehrheitsgesellschaft von Migranten nicht bedroht fühlt und dass das friedliche Miteinander von
Mehrheit und Minderheit gefördert wird. Nur wem dies
gelingt, schafft es im Ergebnis und nicht nur in Absichtsbekundungen, die Integration von Migrantinnen und Migranten zu verbessern.
Herzlichen Dank, Herr Minister. - Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde.
Das Wort zur ersten Frage hat der Kollege Josef
Winkler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Minister Schäuble, Sie sind in Ihrer Eingangsbemerkung auf
die Themen arrangierte Ehe und Zwangsheirat eingegangen. Mich würde interessieren, wieso die in den verschiedenen Vorentwürfen enthaltenen Regelungen jetzt
nicht mehr im Gesetzentwurf stehen, nach denen Frauen
ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen können
und eine Rückkehroption haben, wenn sie zum Beispiel
ins Ausland zwangsverheiratet werden, auch wenn eine
Frist von sechs Monaten überschritten wurde. Das wurde
in der Anhörung im zuständigen Familienausschuss von
allen Sachverständigen gefordert.
({0})
Sie haben bisher nur die Erhöhung der Hürden hinsichtlich der Sprache angesprochen. Aber über ein eigenständiges Aufenthaltsrecht und eine Rückkehroption haben
Sie nichts gesagt. Wie erklären Sie sich das?
Erstens. Ich habe nicht zu allem etwas gesagt, Herr
Winkler, weil die Regeln der Regierungsbefragung vorsehen, dass man einen fünfminütigen einleitenden Bericht gibt. Es überschreitet meine Fähigkeiten, Ihnen
diesen Gesetzentwurf im Detail in fünf Minuten vorzustellen.
Zweitens. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen alle Stufen der Beratung und die verschiedenen Entwürfe zu rekapitulieren. Das kann ich in der Verantwortung als Mitglied der Regierung nicht tun. Ich lege Ihnen als
Mitglied der Regierung vor, was das Kabinett heute einvernehmlich beschlossen hat. Dem sind gründliche Vorarbeiten vorausgegangen. Wir haben immer versucht,
dabei eine richtige Linie zu finden; das ist in Koalitionsverhandlungen notwendig. Von der Sache her ist es
wichtig, den Missbrauch zu verhindern. Wir möchten,
dass diejenigen, die hier leben, möglichst gute Chancen
haben, ihr Leben durch Arbeitsaufnahme zu gestalten.
Wir möchten die Missbrauchsmöglichkeiten bekämpfen, weil die Bekämpfung der Missbrauchsmöglichkeiten eine Voraussetzung dafür ist, dass die Mehrheitsgesellschaft in diesem Lande auch weiterhin bereit ist,
dazu beizutragen, dass in Deutschland große Offenheit
und Toleranz herrschen.
Man muss bei diesen Überlegungen immer im Hinterkopf haben: 20 Prozent unserer Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Seit 20 Jahren sage ich in
diesen Debatten immer wieder: Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land und muss es bleiben. Gerade
deswegen muss man bei der Bekämpfung der Missbrauchsmöglichkeiten behutsam vorgehen. Wir haben
uns bemüht, entsprechende Lösungen zu finden. Dies
gilt auch für die Frage, die Sie angesprochen haben. Wir
werden alle einzelnen Punkte in den parlamentarischen
Beratungen intensiv erörtern.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dağdelen.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister,
Sie haben in Ihrem kurzen Bericht davon gesprochen,
dass mit diesem Gesetzentwurf nicht nur mit Blick auf
die elf EU-Richtlinien, die jetzt umgesetzt werden sollen, die Harmonisierung gefördert werden soll, sondern
auch im Wesentlichen die Integration. Das ist sehr interessant.
Gestern wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Integrationsgipfels ein offener Brief, der an
Frau Bundeskanzlerin Merkel gerichtet ist, veröffentlicht. Die Verfasser kommen zu dem Schluss: Die aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen in dem Gesetzentwurf, den Sie als integrationsfördernd dargestellt haben,
stehen im krassen Gegensatz zu den Intentionen des von
Ihnen initiierten Integrationsgipfels und stellen den Sinn
und Zweck des Integrationsgipfels infrage. Darüber hinaus gab es im März 2007 eine Stellungnahme von Amnesty International, vom Deutschen Caritasverband, von
Pro Asyl, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, vom
DGB und vielen anderen Organisationen, in der dieser
Gesetzentwurf als rückwärtsgewandt, integrationshemmend und flüchtlingsunfreundlich bezeichnet wurde.
Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Erstens. Was den offenen Brief betrifft, so werte ich
ihn zunächst einmal als einen Ausdruck fortschreitender
Integration. Denn die Teilhabe von Organisationen von
Migranten an unserem öffentlichen Diskurs und an einer
pluralistisch streitigen öffentlichen Debatte ist genau
das, wozu wir immer einladen, im Rahmen des Integrationsgipfels wie auch im Rahmen der Islamkonferenz.
Man kann und soll in einer pluralistischen Demokratie
streiten, allerdings mit Argumenten und nicht mit Drohungen und Gewalt. Deswegen ist das gut so.
Zweitens. Wenn man sich mit einem so komplexen
Gesetzgebungsvorhaben befasst - ich habe versucht, das
in meinen kurzen einleitenden Bemerkungen zu erläutern -, muss man mehrere Aspekte gleichzeitig im Auge
haben: die Lebenssituation von Betroffenen, auch die
von längerfristig Geduldeten, aber auch die Lebenssituation der anderen Menschen, die in diesem Lande leben
und beispielsweise Sorge haben, weil Sozialleistungen
gekürzt werden oder weil als Folge aller möglichen Entwicklungen die Situation auf dem Arbeitsmarkt problematisch ist.
Gelegentlich beschäftigen wir uns auch mit der Bekämpfung des Extremismus, des Linksextremismus und
des Rechtsextremismus. In diesem Zusammenhang sprechen wir darüber, was wir tun können, um Tendenzen
zur Ausländerfeindlichkeit von Anfang an zu ersticken.
Wir brauchen Regelungen, die all diesen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Nur dann kann Integration wirklich gelingen. Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Gesetzentwurf die Integration im Ergebnis fördern; darum
haben wir uns bei der Formulierung des Gesetzentwurfes
bemüht.
Allerdings kann damit nicht allen Erwartungen Rechnung getragen werden, die von Migrantenorganisationen
oder von Organisationen, die Ausländer betreuen - Sie
haben einige genannt -, zum Beispiel von den beiden
Kirchen, vom Caritasverband oder von der Diakonie,
formuliert werden.
({0})
- Ja, das gilt auch für die Gewerkschaften. - Das liegt in
der Natur unserer pluralistischen Debatte und ist in der
Art und Weise begründet, wie die Vertretung von Interessen stattfindet: Jeder Verband muss seine eigene Position vertreten.
Im Vorfeld der Beschlussfassung der Koalition war zu
erleben, dass an unserem Gesetzentwurf auch die genau
gegenteilige Kritik geübt wurde, und zwar aus mindestens genauso ernst zu nehmenden Kreisen. Das ist nun
einmal so. In der pluralistischen Demokratie gibt es nie
hundertprozentige Lösungen, sondern man muss für einen Interessenausgleich sorgen. Das drückt sich unter
anderem auch darin aus, dass ein solcher Gesetzentwurf
aus unterschiedlichen Gründen kritisiert wird, weil er in
vielerlei Hinsicht hinter den hundertprozentigen Erwartungen aus der einen oder anderen Richtung zurückbleiben muss.
Die nächste Frage stellt der Kollege Burgbacher.
Herr Minister, Sie haben gesagt, eigentlich geht es bei
diesem Gesetzentwurf um die Umsetzung von elf EURichtlinien. Wenn man Richtlinien umsetzt, ist immer
auch interessant, wie andere das tun. Mich überrascht
übrigens immer wieder, auch bei Fragen an die Bundesregierung, wie wenig die Bundesregierung von der Umsetzung weiß - aber das muss jetzt hier nicht so sein. Ich
will auf einen konkreten Punkt eingehen. Sie haben gesagt, in dem Gesetzentwurf steht jetzt, dass Geduldete
nach vier Jahren Aufenthalt arbeiten dürfen. Mich würde
interessieren, ob Ihnen bekannt ist, wie die Richtlinien in
anderen Ländern in diesem Punkt umgesetzt werden.
Zweitens würde mich interessieren: Warum eigentlich
eine Frist von vier Jahren? Wir waren schon immer der
Meinung: Wenn Menschen hier geduldet sind, dann sollten sie auch arbeiten dürfen. Wir würden damit gerade
bei dem Problem, das Sie angesprochen haben, bei dem
Problem der Akzeptanz, vieles erleichtern, wenn wir das
zulassen würden. Warum ziehen Sie da also die Schwelle
von vier Jahren wieder ein?
Herr Kollege Burgbacher, die Frage des Arbeitsaufnahmeverbots bzw. der Voraussetzungen, unter denen
Ausländer mit welchem aufenthaltsrechtlichen Status arbeiten dürfen, ist eine Frage, die mit der Umsetzung der
elf EU-Richtlinien nichts zu tun hat. Insofern kann ich
Ihnen keine Antwort geben, wie das in anderen Ländern
ist.
Wir setzen nicht nur elf EU-Richtlinien um, sondern
wir haben auch eine Menge anderer Punkte. Ich kenne
das Problem, um das es bei dieser Frage geht, schon aus
den 70er-Jahren: Zur Zeit der Regierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt - die Koalitionspartner waren,
wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, SPD und FDP,
Innenminister ist im Zweifel Herr Baum, vielleicht auch
noch Herr Maihofer gewesen; das müsste man prüfen -,
hatten wir die große Zuwanderung von Asylbewerbern.
Schon damals ging es um diese Frage. Man hat, um die
Attraktivität für die Organisatoren illegaler Migration zu
Sevim Daðdelen
verringern, für Menschen, die noch keinen rechtlichen
Aufenthaltsstatus haben, das Arbeitsaufnahmeverbot
eingeführt. Dann hat man lange diskutiert: Ein Jahr?
Zwei Jahre? Dann hat man es weiter verlängert. Im Zuwanderungsrecht ist es noch einmal verlängert worden.
Die Regelungen, die wir heute haben - de lege lata -,
sind so, dass ein Geduldeter - also jemand, der keinen
rechtlichen Aufenthaltsstatus hat, aber hier ist, nicht abgeschoben werden kann, aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen - Zugang zum legalen Arbeitsmarkt hat,
wenn das Arbeitsamt bescheinigt, dass für diesen Arbeitsplatz kein deutscher Bewerber bzw. kein Bewerber
aus der EU zur Verfügung steht. Diese Vorrangprüfung
wirkt sich in den einzelnen Teilen der Bundesrepublik
Deutschland - auch wegen der jeweiligen Arbeitsmarktsituation - sehr unterschiedlich aus. Der Arbeitsminister
sagt in seiner Verantwortung: Ich kann das nicht völlig
aufgeben. - Es gibt auch starke Argumente dafür. Deswegen, glaube ich, ist es ein guter Weg, dass wir uns verständigt haben und mit diesem Gesetzentwurf vorschlagen, dass in Zukunft nach vier Jahren Aufenthalt keine
Vorrangprüfung mehr erfolgt; das ist schon mal ein
Schritt.
Es gibt gute Argumente, zu fragen: Warum überhaupt? Aber dann haben wir das Problem wieder, dass
sofortiger Zugang zum Arbeitsmarkt, ohne Arbeitsaufnahmeverbot, zu einer Verstärkung der illegalen Migration führt. Die weltweit operierenden Schleuserbanden
sind sehr aktiv, und das ist für die Attraktivität dieses
Geschäfts ein starkes Element. Deswegen muss man da
- das gilt wie für andere Argumente auch - versuchen,
eine vermittelnde Linie zu fahren.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland.
Herr Minister, als jemand, der überhaupt keine 100-Prozent-Erwartungen hatte und auch keine der Organisationen vertritt, von denen Sie gesprochen haben, sondern
der lediglich als Teil eines Gesetzgebungsorganes die
Erwartung hatte, das man hier nun einmal eine großzügige Regelung für einen Personenkreis bekommt, der
seit langem auf eine Bleiberechtsregelung wartet, frage
ich Sie:
Erstens. Warum war es nötig, eine Klausel aufzunehmen, nach der - ähnlich einer Sippenhaft - keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn auch nur ein
in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied
straffällig wurde und dafür eine bestimmte Mindeststrafe
erhielt, sodass also durchaus beispielsweise auch Eltern
für ihren Sohn aufenthaltsrechtlich haften?
Zweitens. Warum soll eine Familie, die beispielsweise ergänzender Sozialhilfe bedurfte, am Ende keine
Aufenthaltserlaubnis erhalten, obwohl der Vater in der
Zeit gearbeitet und zum Familieneinkommen beigetragen hat, dies aber - beispielsweise bei einer großen Familie - nicht in ausreichender Höhe?
Drittens. Warum gibt es eine Klausel, wonach derjenige, der seine Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich verzögert hat, nicht unter diese Regelung fällt, ohne dass
dabei „rechtsmissbräuchlich“ gefordert wird, sodass
auch ein legales Verzögern - jedenfalls nach der Interpretation von kleinlichen Ausländerbehörden, die es in
diesem Land gibt - darunter subsumiert werden könnte?
Herr Kollege Wieland, Sie reden von der Altfallregelung, die in diesem Gesetzentwurf enthalten ist. Ich muss
darauf hinweisen, dass es bei dem Gesetzentwurf insgesamt - zu weit mehr als 90 Prozent - um andere Fragen
als um die Altfallregelung geht.
({0})
Bei der Altfallregelung geht es um Menschen, die mindestens sechs Jahre - wenn sie verheiratet sind - bzw.
mindestens acht Jahre - wenn sie nicht verheiratet sind hier leben, ohne einen rechtlichen Titel dafür zu besitzen, hier sein zu dürfen, aber aus tatsächlichen oder
rechtlichen Gründen von den Ländern nicht abgeschoben werden können.
Für diese haben wir nun eine begrenzte Regelung gefasst. Darüber gab es viele Diskussionen - auch mit den
Innenministern der Länder, die diese Gesetze vollziehen
müssen. Es ist ganz selbstverständlich, dass man bei solchen Gesetzen ein Einvernehmen mit denen anstreben
muss, die beim Gesetzesvollzug auch die tatsächliche
Last tragen. Deswegen muss man aber trotzdem noch
über einige Punkte diskutieren und sachlich richtige Lösungen finden. Hierbei haben wir eine Regelung gefunden, durch die die Lage gegenüber dem heutigen Zustand wesentlich verbessert wird.
Als jemand, der - ich darf Sie zitieren - niemanden,
also keinen Verband, vertritt, sagen Sie, es reiche Ihnen
nicht aus und Sie hätten sich eine weitergehende Regelung gewünscht. Das ist legitim. Da Sie aber Angehöriger einer Fraktion sind, die in der letzten Legislaturperiode Regierungsverantwortung getragen hat, sage ich
Ihnen: Gemessen an dem, was Sie nicht getan haben, ist
das schon einmal ganz gut.
({1})
Das muss ich Ihnen wirklich sagen. Sie wissen das auch.
({2})
Wir sind in der Regierungsbefragung. Die Debatte
darüber bleibt uns ja erhalten. - Die nächste Frage stellt
der Kollege Volker Beck.
Falls Zeugenschaft zu diesem Punkt verlangt wird:
Ich stehe gerne als Zeuge zur Verfügung, um zu klären,
an wem es gelegen hat. An der SPD-Fraktion hat es auch
Volker Beck ({0})
nicht gelegen, aber unter anderem an einem Mitglied der
SPD-Fraktion.
Ich möchte Sie aber zu einem weiteren Punkt fragen:
Mir macht die Einbürgerungsregelung für junge Erwachsene, die Sie in diesem Entwurf geändert haben, ein wenig Sorge. Bislang gab es für unter 23-Jährige ja Erleichterungen bei der Einbürgerung. Diese Erleichterungen
werden jetzt gestrichen. Sie müssen bei der Einbürgerung zukünftig nämlich auch nachweisen - so ist zumindest die Information; wenn Sie das richtigstellen können,
würde ich mich freuen -, dass sie den Lebensunterhalt
selbst bestreiten können.
Das ist bei dieser Altersgruppe natürlich besonders
unsinnig, weil diejenigen, die eine weitergehende Ausbildung machen bzw. studieren, diesen Nachweis natürlich gerade nicht erbringen können. Deshalb fände ich es
bildungs- und integrationspolitisch verfehlt, wenn man
diese Ausnahme, diese erleichterte Einbürgerungsregelung, für diese Gruppe zurücknähme.
Ich frage Sie nach der Begründung dafür. Falls Sie
mit mir übereinstimmen, dass das integrationspolitisch
keinen Sinn macht, bitte ich Sie um den Hinweis, dass
Sie das genau so sehen wie die grüne Fraktion.
Bitte, Herr Minister.
Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Kollege Beck,
dann haben Sie nach der Streichung der Regelung in
§ 10 Abs. 1 Satz 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes gefragt, wonach Jugendliche bis zu ihrem 23. Lebensjahr
de lega lata eingebürgert werden können, wenn sie den
Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme staatlicher Leistungen bestreiten können.
({0})
Darauf lautet die Antwort: Auch nach der neuen Regelung können solche Jugendlichen eingebürgert werden, obwohl sie Leistungen nach dem Zweiten oder
Zwölften Buch des SGB beziehen, wenn sie den Bezug
dieser Leistungen nicht zu vertreten haben; wenn sie
zum Beispiel trotz Bemühens keine Arbeits- oder Ausbildungsstelle finden. Lediglich die Verweigerung von
Arbeit oder Ausbildung soll nicht mehr privilegiert werden.
({1})
Damit verwirklicht unser Vorschlag das Prinzip „Fördern und Fordern“.
({2})
Kollege Beck, Sie haben im Moment nicht das Wort
zur Debatte und auch nicht zur Klarstellung. Wir sind in
der Befragung der Bundesregierung. Ich nehme Ihre
Wortmeldung gerne auf, wenn Sie noch eine Nachfrage
stellen möchten. - Ansonsten hat jetzt die Kollegin
Jelpke das Wort.
Herr Minister Schäuble, ich würde Sie gerne fragen,
warum Sie in Deutschland wo es allein 2005 etwa
6 000 Widerrufsverfahren gegen anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge mit irakischer Staatsangehörigkeit
gab, weiterhin an diesen Verfahren festhalten. Sie wissen
wahrscheinlich, dass in keinem anderen EU-Staat eine
Regelüberprüfung stattfindet; Widerrufe gibt es ohnehin
kaum.
Ich würde darüber hinaus gerne wissen, inwiefern berücksichtigt worden ist, was der Widerruf für die gesamte Familie bedeutet
({0})
und warum Sie an jeder rationalen Rechtssystematik
vorbei im Asylverfahrensgesetz die Frage des Asylstatus
mit dem Einbürgerungsverfahren verknüpfen.
Frau Kollegin Jelpke, wie Sie vielleicht wissen, gehöre ich diesem Haus schon relativ lange an. Deshalb
habe ich auch an die 70er-Jahre erinnert. Sie spielen
auch bei der Antwort auf Ihre Frage eine große Rolle.
Nach Deutschland sind mehr Menschen gekommen als
in jedes andere europäische Land. In den 70er-Jahren
war die Regierung des Bundeskanzlers Schmidt - ich
habe bereits darauf hingewiesen - mit einem starken Andrang von Asylbewerbern konfrontiert.
Unser Land war aufnahmebereiter und hat mehr Asylbewerber aufgenommen als alle anderen europäischen
Länder zusammen. Wir haben uns immer bemüht, zu
verhindern, dass daraus ein Agitationspotenzial für ausländerfeindliche Bestrebungen bzw. für Rechts- oder
Linksextremisten wird. Von Ihrer Partei habe ich aus
dem Wahlkampf in Erinnerung, dass Sie von „Fremdarbeitern“ gesprochen haben. Diesen Sprachgebrauch
kenne ich, und den verabscheue ich.
({0})
Es ist eine Versuchung, solche brisanten Situationen
politisch zu missbrauchen. Gegen diese Versuchung ist
Ihre Partei jedenfalls offenbar nicht gefeit.
Wir haben beispielsweise Mitte der 90er-Jahre mehr
Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen als der Rest der Welt; mehr als die Hälfte der
Flüchtlinge kamen nach Deutschland. Damals wurden
Turnhallen belegt und vieles andere. Wenn Menschen
hier aufgenommen werden, muss man das der Bevölkerung erklären. Wir haben gesagt: „Deutschland ist ein
ausländerfreundliches Land und muss es auch bleiben.“
Wir haben der Bevölkerung gesagt: „Das sind arme
Menschen, in deren Heimatland Krieg herrscht oder in
dem sie - wie in den 70er-Jahren - verfolgt werden; wir
müssen sie aufnehmen. Seid großzügig!“ Auch wir
Deutschen haben in früheren Zeiten Großzügigkeit erfahren, und wir wollen sie beibehalten. Wir haben aber
auch darauf hingewiesen, dass die Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren werden, wenn die Aufnahmevoraussetzungen wegfallen.
Die Asylbewerber aus dem Irak haben politisches
Asyl bekommen, weil sie zu Zeiten Saddam Husseins
politisch verfolgt wurden.
({1})
Inzwischen ist diese Voraussetzung weggefallen.
({2})
Infolgedessen ist es doch logisch: Wenn man die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung erhalten und Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus bekämpfen
will - und zwar nicht nur durch Akademieprogramme,
an denen keiner der Betroffenen teilnimmt, sondern auch
unter Einbeziehung ihrer Lebenswirklichkeit -, dann
darf man die Menschen nicht belügen. Man muss ihnen
vielmehr sagen: „Helft diesen armen Menschen und
nehmt sie auf!“ Wenn sie nicht mehr verfolgt sind, können sie wieder nach Hause gehen. Wenn wir dieses Prinzip aufgeben, fördern wir Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit. Mit mir ist das nicht zu machen.
({3})
Liebe Kollegen, wir haben noch sieben Minuten. Mir
liegen noch fünf Wortmeldungen vor. Ich möchte sie alle
zulassen, appelliere aber, Fragen zu stellen und nicht mit
der Fragestellung schon Zeit für die Beantwortung wegzunehmen.
Das Wort hat der Kollege Winkler.
Wie der Zuwachs beim Rechtsextremismus im letzten
Jahr auf die Anzahl der Iraker in Deutschland zurückzuführen sein soll, die nun keinen Flüchtlingsstatus mehr
haben, können Sie vielleicht ein anderes Mal erklären.
Ich möchte auf die Frage zurückkommen, die ich Ihnen eben vielleicht nicht versiert genug gestellt habe.
Finden Sie es richtig, dass in dem Gesetzentwurf - im
Gegensatz zu den allerersten Entwürfen, die Ihr Haus
vorgelegt hat - keinerlei aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für Opfer von Zwangsverheiratung, also für
Frauen, die in Deutschland zwangsverheiratet wurden
oder die ins Ausland zwangsverheiratet wurden, vorgesehen sind? Die von Ihnen für richtig gehaltenen Sprachbarrieren bzw. Sprachkenntnisse gelten erst für Zwangsverheiratete, die in Zukunft kommen, und nicht für
diejenigen, die schon hier sind. Finden Sie es richtig,
dass denjenigen, die bereits hier sind, mit dem Gesetz
wider besseres Wissen nicht geholfen wird?
Meine Antwort lautet: Ja.
({0})
Es ist aber nicht wider besseres Wissen. Insofern lautet
meine Antwort: Nein. Aber auf die Frage, ob ich es richtig finde, was wir vorschlagen, lautet meine Antwort: Ja.
Ich habe versucht, der Kollegin vorher zu erklären, dass
wir bei der Behandlung dieser Frage eine Abwägung im
Hinblick auf die Missbrauchsmöglichkeiten vorzunehmen hatten, Aufenthaltsrechte zu erwerben, für die es
ansonsten keinen gesetzlichen Grund gibt. Ich behaupte
nicht, dass wir in 100 Prozent der Einzelfälle zielgenau
treffen. Das gelingt bei keiner Gesetzgebung. Aber ich
behaupte - deswegen lautet meine Antwort: Ja -, dass
wir eine gute Regelung gefunden haben, die die verschiedenen Gesichtspunkte berücksichtigt.
Das Wort hat die Kollegin Dağdelen.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Erlauben Sie
mir eine Anmerkung, weil Sie meine Partei so angegriffen haben, Herr Minister. Das Boot ist voll - diese Logik
und Mentalität kommen nicht aus unserer Partei, genauso wenig wie die von Abgeordneten Ihrer Fraktion
und Ministern mitgetragenen Sprüche „Wir brauchen
Ausländer, die uns nutzen, und nicht Ausländer, die uns
ausnutzen“ oder „eine durchrasste Gesellschaft“. Das
stammt nicht aus meiner Partei, sondern von Herrn
Stoiber und Herrn Beckstein. Ich hoffe, dass Sie sich
darüber im Klaren sind, dass das von der CDU/CSU
kommt und entsprechende Auswirkungen hat.
Jetzt stellen Sie eine Frage.
In dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union ist von einem „besonders integrationsfeindlichen Charakter“ und einem „verwerflichen Verhalten“
die Rede. Damit begründen Sie Ihre Sanktionsverschärfungen. Ich möchte fragen, ob darunter auch solche
Menschen wie Herr Stoiber und Herr Beckstein fallen,
die mit der Willkommenskultur nichts anfangen können
und mit ihren Äußerungen in der Öffentlichkeit nicht besonders integrationsfördernd sind, und ob man diese, wie
es Herr Wiefelspütz so nett formuliert hat, mit einer Integrationspolizei im Lande verfolgt und dann sanktioniert?
Ich glaube, diese Frage beantworte ich am besten mit
Nein. Das ist so nicht gemeint. Ich habe ein bisschen
Mühe, die Art, wie Sie den Gesetzentwurf missverstehen
und missinterpretieren,
({0})
nachzuvollziehen. Ich wollte Ihnen mit dem Hinweis auf
das Wort „Fremdarbeiter“ nur sagen: Die Versuchung,
Ressentiments gegenüber Ausländern zu miesen politischen Zwecken auszubeuten, ist offensichtlich groß.
Deswegen bemühen wir uns - weil wir die Integration
fördern wollen - ({1})
- Ich dachte, ich soll Ihre Frage nach den Regeln der Regierungsbefragung beantworten.
Ich sage Ihnen: Meine Überzeugung ist - diese liegt
dem Gesetzentwurf zugrunde -, dass wir Integration nur
erreichen, wenn wir nicht nur gute Absichten unterstellen, sondern wenn wir auch an die Möglichkeit des
Missbrauchs denken.
Ich gebe zu - ich habe das auch gegenüber dem Kollegen Winkler zugegeben -, dass wir nicht erreichen
werden, dass dies in 100 Prozent aller Einzelfälle treffgenau sein wird. Aber wir bemühen uns, in möglichst
vielen Einzelfällen eine vernünftige Lösung in alle Richtungen zu erreichen. Sie ist Voraussetzung dafür, dass Integration, Ausländerfreundlichkeit und Toleranz in unserem Lande erhalten bleiben.
Das Wort hat der Kollege Burgbacher.
Herr Minister, ich komme auf meine vorhergehende
Frage zurück. Das Gesetz heißt „Gesetz zur Umsetzung
von Richtlinien der Europäischen Union“; Sie haben
auch bestätigt, dass es darum geht. Da heute vieles
- manches auch unberechtigterweise - auf Europa geschoben wird, noch eine Nachfrage: Zu dem einzigen
von mir angesprochenen Punkt haben Sie gesagt, dass es
sich nicht um eine Umsetzung handele. Können Sie andere Punkte nennen, die über die europarechtlichen Vorgaben hinausgehen? Es ist nämlich schon hochinteressant, wo wir umsetzen und wo wir Dinge unter der
Vorspiegelung einer Umsetzung in Gesetze schreiben.
({0})
Herr Kollege Burgbacher, ich bitte um Nachsicht,
falls ich mich nicht klar genug ausgedrückt haben sollte.
Dieser Gesetzentwurf setzt nicht nur elf EU-Richtlinien
um. Vielmehr ziehen wir auch Konsequenzen aus der
Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes, die wir im letzten Jahr vorgenommen haben. Sie kennen die Praktikeranhörung, und wir haben einen umfangreichen Bericht
dazu vorgelegt und diskutiert. Ferner ziehen wir gesetzgeberische Konsequenzen aus der Entscheidung der
Konferenz der Innenminister der Länder vom Frühsommer vergangenen Jahres in Garmisch-Partenkirchen zur
Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts. Außerdem
ziehen wir Konsequenzen aus den Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren wegen der
glücklicherweise nicht explodierten Kofferbomben. Das
alles habe ich zum Ausdruck zu bringen versucht. Insofern ist der Titel des Gesetzes einer Ergänzung bedürftig.
Deswegen habe ich dies in meinem einleitenden Vortrag
ausdrücklich ergänzt. Am liebsten wäre es mir, wenn wir
uns darauf verständigen könnten - das ist eine Anregung
für die parlamentarische Beratung -, zu sagen, es sei ein
Gesetz zur Verbesserung der Integration.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Möller.
Vielen Dank. - Herr Minister, mit dem Gesetzentwurf
wird der Familiennachzug eines ausländischen zu seinem oder ihrem inländischen, deutschen Ehe- oder Lebenspartner an den finanziellen Nachweis der Lebensunterhaltssicherung geknüpft. Dies bedeutet, dass einem
Hartz-IV-Beziehenden von Staats wegen verweigert
wird, mit dem Lebens- oder Ehepartner oder der Lebensoder Ehepartnerin in Deutschland zusammenzuleben.
Warum haben nach Ihrer Auffassung Menschen mit
einem Arbeitsplatz ein Recht auf Ehe und Familie,
Hartz-IV-Beziehende dagegen nicht?
({0})
Frau Kollegin, wir wollen mit dem Gesetzentwurf erreichen, dass wir Instrumente zur missbräuchlichen Zuwanderung in Sozialversicherungssysteme nicht ausweiten, sondern sie nach Möglichkeit zurückführen. Das ist
der Sinn dieser von uns im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelung.
({0})
Herr Beck, Sie haben das Wort.
Nur eine Nachfrage zu meiner Grundfrage von vorhin
- es ging um den Begriff Bildung und Ausbildung -:
Ausbildung im Sinne des Rechtes ist kein Studium an
der Universität oder der Fachhochschule. Was gilt im
Hinblick auf eine erleichterte Einbürgerung bei der
Gruppe derjenigen, die studieren oder einen anderen Bil9072
Volker Beck ({0})
dungsweg als den eines Ausbildungsberufes eingeschlagen haben? Dies bezieht sich auf Personen unter 23.
Es gilt das, was ich Ihnen vorgetragen habe, Herr
Kollege Beck.
({0})
- Soweit sie es nicht zu vertreten haben, dass sie Leistungen bezogen haben, können sie weiterhin von der
Ausnahme Gebrauch machen.
({1})
Herzlichen Dank, Herr Minister. - Ich lasse noch die
Frage der Kollegin Enkelmann zu den übrigen Themen
der Kabinettssitzung zu.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, in
dieser Woche wurde bekannt, dass zwei der Regierung
zumindest nahestehende Organisationen, die SPD und
die CDA, gegenwärtig eine Unterschriftenkampagne
für den Mindestlohn gestartet haben. Sind Sie nicht mit
mir der Auffassung, dass zum Beispiel den vom Hungerlohn Betroffenen eher durch eine entsprechende Gesetzesinitiative, über die wir hier abstimmen könnten und
zu der es eine klare Mehrheit geben könnte, geholfen
wäre?
Wer von der Bundesregierung möchte antworten? Bitte, Herr Minister.
Da ich wachen Ohres und Verstandes an der Kabinettssitzung teilgenommen habe, kann ich Ihnen wahrheitsgemäß versichern, dass über diesen Punkt in der
Kabinettssitzung heute nicht gesprochen worden ist.
({0})
Herzlichen Dank. - Damit beende ich die Befragung
der Bundesregierung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/4802 Ich rufe die Fragen auf Drucksache 16/4802 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Dr. Uschi
Eid werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung hätte der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung gestanden, aber die Frage 3 des Kollegen Jan
Mücke wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen
Barth werden gemäß Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien
schriftlich beantwortet. Somit wird der Parlamentarische
Staatssekretär Alfred Hartenbach hier im Plenum nicht
Rede und Antwort stehen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Dagmar Wöhrl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Hans-Kurt Hill auf:
Wann wird die Bundesregierung mit Blick auf drängende
Investitionsentscheidungen bei kommunalen Energieversorgern und die besorgniserregenden Erkenntnisse beim Klimawandel dem Deutschen Bundestag eine Novelle zum KraftWärme-Kopplungsgesetz, KWKG, vorlegen, und wie soll
diese dafür Sorge tragen, dass kommunale Energieversorger
ausreichend Anreize erhalten, in die klimafreundliche KraftWärme-Kopplungstechnik zu investieren?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herzlichen Dank. - Ich beantworte die Frage des Kollegen Hill wie folgt: In dem Bericht vom September 2006
über die Ergebnisse der Zwischenüberprüfung des KraftWärme-Kopplungsgesetzes haben das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
angekündigt, dass die Bundesregierung unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse über die Umsetzung der „Vereinbarung der Bundesregierung mit der
Wirtschaft zur Minderung der CO2-Emissionen und der
Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, in Ergänzung der
Klimavereinbarung vom 9. November 2000“ und vor
dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über das energiepolitische Gesamtkonzept einen Vorschlag für die Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes unterbreiten wird. Der Vorschlag wird in Kürze vorgelegt
werden. Wir werden natürlich auch die Hinweise der
Branchenverbände und des Verbandes kommunaler Unternehmen dabei beachten.
Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Es macht immer
wieder Spaß, mit Ihnen diese Fragestunde zu bestreiten.
({0})
- Doch, das macht wirklich Spaß. Vor allen Dingen machen mir die Antworten sehr viel Spaß. - Es ist sehr interessant, zu wissen, dass Sie etwas planen. Ich mag überschaubare Schritte. Wir haben jetzt den Monat März,
und es geht auf Ostern zu. Dann kommen beinahe schon
die Sommerferien, und die Klimaprobleme häufen sich.
Ich hätte gerne eine konkretere Antwort von Ihnen auf
die Frage, bis wann wir mit der Vorlage einer solchen
Novelle zu rechnen haben.
Lieber Herr Kollege, dass Sie sich immer auf meine
Antworten freuen, freut mich wiederum. Ich kann Ihnen
nur sagen: Wir befinden uns in der Osterzeit - Sie haben
es erwähnt -, und wir sprechen hier über ungelegte Eier.
Die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Wir erarbeiten momentan im Hause eine Klimaschutzstrategie,
in die diese Arbeiten einfließen sollen. Die Arbeiten
werden zügig vorangebracht.
Noch einmal eine kurze Terminnachfrage. Können
wir noch vor der Sommerpause oder müssen wir nach
der Sommerpause damit rechnen?
Lieber Kollege, schon durch meine vorhergehenden
Antworten habe ich darzustellen versucht, dass wir bemüht sind, dieses Thema so schnell wie möglich anzugehen. Ich verweise darauf, dass die EU-Richtlinie bis zum
7. August 2007 umgesetzt werden muss. Unsere Berichtspflicht haben wir inzwischen erfüllt: Wir haben das
Potenzial hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen untersucht. Wir haben noch eine Umsetzungspflicht
hinsichtlich des Herkunftsnachweises zu erfüllen. Daran
arbeiten wir im Moment. Die Ergebnisse dieser Arbeit
sollen natürlich einfließen.
Bevor der Kollege Hill seinen fröhlichen Austausch
mit der Frau Staatssekretärin fortsetzen kann, hat die
Kollegin Höhn eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass die
Kraft-Wärme-Kopplung einer der wichtigsten Wege ist,
um den CO2-Ausstoß zu verringern. Ungefähr
42 Prozent des CO2-Ausstoßes gehen auf die Energieproduktion zurück. Nur wenn wir da effizienter werden,
werden Sie, die Bundesregierung, Ihr ehrgeiziges CO2Ziel erreichen. Wie hoch müsste der Anteil der
Kraft-Wärme-Kopplung an der Energieproduktion sein,
um das ehrgeizige Ziel, das Sie sich selber gesetzt haben
- unser Ziel geht darüber hinaus -, zu erreichen?
Wir hatten uns schon vorher ein Ziel gesetzt: Wir
wollten erreichen, dass der CO2-Ausstoß bis zum Jahr
2010 durch die KWK-Anlagen um 20 Millionen Tonnen
reduziert wird. Wir wissen, dass es nicht so ausschaut,
als ob wir dieses Ziel erreichten. Auch deswegen denken
wir über eine Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes nach. Unsere gegenwärtigen Minderungsziele werden unter den jetzigen Voraussetzungen nicht
erreicht werden können.
({0})
Die Antwort steht der Bundesregierung frei, und Ihnen steht es wiederum frei, daraus Ihre Schlüsse zu ziehen.
Wir kommen jetzt zur Frage 7 des Kollegen HansKurt Hill:
Welche Maßnahmen müssen aus Sicht der Bundesregierung eingeleitet werden, damit im Rahmen einer gezielten
KWK-Förderung das Klimagassenkungsziel von jährlich
20 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr 2010 erreicht
wird, und in welcher Höhe sollen dafür ab 2008 Mittel im
Haushalt bereitgestellt werden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen herzlichen Dank. - Diese Frage zielt in eine
ähnliche Richtung wie die der Kollegin Höhn. Die
Kraft-Wärme-Kopplung wird sowohl über das bestehende Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und das EEG im
Wege eines KWK-Bonus auf die Vergütungssätze für
Biomasse als auch im Rahmen des Emissionshandels besonders begünstigt. Hier gilt es anzusetzen. Haushaltsmittel stehen dafür nicht zur Verfügung; sie waren auch
in der Vergangenheit nicht vorgesehen.
Wir erwarten, dass die KWK-CO2-Vereinbarung, die
mit der Wirtschaft geschlossen worden ist - das ist eine
Selbstverpflichtung der Wirtschaft -, darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Ziele leistet, nämlich durch einen marktgetriebenen KWK-Ausbau. Die Wirtschaft hat sich dazu verpflichtet. Ein
Monitoring-Bericht steht noch aus. Wenn dieser Bericht
vorliegt, werden wir unsere Schlüsse daraus ziehen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Sie haben gerade den MonitoringBericht angesprochen. Das Ganze dauert schon sehr
lange. Ich hoffe, dass wir relativ kurzfristig zu einem Ergebnis kommen. Wir wissen, dass wir 20 bis 23 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen können, was nicht
unerheblich ist. In diesem Zusammenhang interessiert
mich natürlich auch, ob durch die Novellierung die
2-Megawatt-Grenze aufgehoben werden soll.
Wie ich Ihnen schon in meiner Antwort auf Ihre vorherige Frage gesagt habe, befinden wir uns momentan
im Prozess der Abstimmung. Uns ist natürlich bewusst,
dass der Emissionshandel zwar die großen Anlagen unterstützt, aber nicht die kleineren Anlagen, also die mit
weniger als 20 MW thermisch. Dieser Punkt wird bei der
Novellierung eine Rolle spielen.
Ihre zweite Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe noch eine
provokante Frage, von der ich nicht weiß, ob Sie mir sie
beantworten können oder wollen. Ich habe das Gefühl,
dass einer der beiden Koalitionspartner ein bisschen auf
die Bremse tritt. Ist dieser Eindruck, den ich da habe - er
bezieht sich mehr auf das konservative Lager -, falsch
oder richtig?
Da ich danach nicht mehr das Wort haben werde,
wünsche ich Ihnen schon jetzt ein schönes Osterfest.
Auch ich wünsche Ihnen schon jetzt ein schönes
Osterfest und beantworte Ihre Frage mit Nein.
Danke schön.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Welche Gründe veranlassen die Bundesregierung, bislang
die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes ({0}) hinsichtlich der Umsetzung des FFH-Rechtes FFH: Flora-Fauna-Habitat - im deutschen Pflanzenschutzgesetz zu ignorieren, und wann ist mit einer Umsetzung zu rechnen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Antwort lautet wie folgt:
Zur Umsetzung des EuGH-Urteils zur FFH-Richtlinie
ist neben einer Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes auch eine Änderung des § 6 des Pflanzenschutzgesetzes erforderlich. In seinem Urteil hat der EuGH
gerügt, das in § 6 enthaltene Verbot der Anwendung von
Pflanzenschutzmitteln bei möglichen schädlichen Auswirkungen auf den Naturhaushalt sei nicht ausreichend,
um die Artenschutzbestimmungen der FFH-Richtlinie
umzusetzen; vielmehr müssten die in Art. 12 und 13 der
FFH-Richtlinie genannten Verbote explizit genannt werden.
Der Referentenentwurf zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes ist in dieser Woche zwischen den Ressorts abgestimmt worden. Die Beteiligung der Länder
und Verbände ist in Vorbereitung und wird in den nächsten Tagen erfolgen. Die Kabinettszuleitung wird noch
vor der Sommerpause angestrebt.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Ursprünglich hat die Bundesregierung zurückgewiesen,
dass die Regelung nicht klar genug ist, wie es die EU gerügt hatte. Können Sie kurz darstellen, in welcher Weise
der § 6 im Sinne der EU-Forderung jetzt doch konkreter
gefasst wird?
Frau Kollegin, ich möchte heute hier der Beratung im
Ausschuss zu diesen Punkten nicht vorgreifen. Wir werden jetzt die Abstimmung mit den Ländern vornehmen.
Danach werde ich natürlich sofort den betreffenden Ausschuss informieren. Wir werden auf jeden Fall alles das,
was das EuGH-Urteil von uns verlangt, übernehmen.
Wir haben in der Ressortabstimmung auch die strittigen
Fragen hinsichtlich der Regelung des Bußgeldes geklärt.
Weitere Detailpunkte werde ich erst dann vortragen können - das sehen Sie mir bitte nach -, wenn auch die Abstimmung mit den Ländern erfolgt sein wird.
Ihre zweite Nachfrage.
Können Sie uns schon Angaben zum Zeitplan machen?
Die Einbringung ins Kabinett vor der Sommerpause
ist der späteste Zeitpunkt. Wir werden versuchen, so
schnell wie möglich nach der Osterpause das Kabinett
mit diesem Thema zu befassen.
Um den Beratungsgang abzukürzen, stellt sich die
Frage, ob es bei einer normalen Regierungsvorlage bleiben soll, die dann den ganzen Gang über den Bundesrat
und die weiteren Stellen nehmen müsste, obwohl schon
jetzt eine Abstimmung mit den Ländern erfolgt. Man
muss in der Tat prüfen, ob eine Einbringung durch die
Fraktionen des Bundestages möglich ist, um dann so
schnell wie möglich kurz nach der Sommerpause eine
gesetzgeberische Entscheidung zu erreichen.
Schönen Dank.
Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben schon erwähnt,
dass das wieder ein langwieriges Verfahren wird, auch
mit den Ländern. Deutschland ist das letzte Land, das die
FFH-Richtlinie umgesetzt hat. Auch bei der weiteren
Konkretisierung der Umsetzung gibt es massive Probleme und massive Zeitverzögerungen. Wie wollen Sie
eigentlich garantieren - durch die Föderalismusreform
ist insofern keine Besserung erreicht worden, sondern,
im Gegenteil, mit dem Pingpongspiel eine Verschlechterung -, dass Sie auf diesen Gebieten auch aufgrund der
Strukturen in Deutschland nicht immer hinterherhinken,
was die Umsetzung zum Beispiel von Naturschutzrichtlinien angeht?
Im Naturschutzrecht, das in der Zuständigkeit des
Umweltministeriums liegt, haben wir in der Tat eine Regelung, an die wir alle uns erst gewöhnen müssen. Ich
bin aber nicht so pessimistisch wie Sie. Ich glaube
schon, dass wir uns gemeinsam - die beteiligten Ressorts und die Länder - auf diesen neuen Verfahrensgang
im Naturschutzrecht einstellen können und dass es auf
Dauer nicht zu solchen Verzögerungen kommt, wie Sie
das jetzt angedeutet haben.
Eine weitere Nachfrage, und zwar vom Kollegen
Hofreiter.
Ich habe eine ganz konkrete Nachfrage: Sie haben gesagt, Sie glauben und hoffen, dass es bei der Umsetzung
im Naturschutzrecht nicht weiterhin diese Probleme geben wird. Worauf gründen sich aufgrund all der negativen Erfahrungen Ihr Glaube und Ihre Hoffnung?
Das gründet sich ganz einfach darauf, dass wir zum
Beispiel bei den Beratungen zu diesem Punkt auch
durchaus schwierige rechtliche Tatbestände verhältnismäßig zügig einer Lösung zugeführt haben. Ich glaube,
das kann auch nach der neuen Zuständigkeitsverteilung
zwischen Bund und Ländern im Bereich des Naturschutzrechtes für zukünftige Beratungsabläufe Vorbild
sein.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich rufe jetzt
den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann
Kues zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Jörg Rohde auf:
Warum sieht § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung eines
freiwilligen sozialen Jahres, FSJG, Selbsthilfeverbände und
ihre Untergliederungen im Gegensatz zu Verbänden der freien
Wohlfahrtspflege und ihrer Untergliederungen nicht als Träger des freiwilligen sozialen Jahres vor, und unter welchen
Umständen sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, auch
Selbsthilfeverbände und ihre Untergliederungen als Träger
des freiwilligen sozialen Jahres in den Geltungsbereich des
FSJG einzubeziehen?
Nach dem Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres sind die in der Bundesarbeitsgemeinschaft
der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen
Verbände und ihre Untergliederungen kraft Gesetzes
Träger des freiwilligen sozialen Jahres. Sie sind also sogenannte geborene Mitglieder. Nach § 5 Abs. 1 FSJG
kann die zuständige Landesbehörde weitere Träger des
freiwilligen sozialen Jahres zulassen, wenn sie eine den
Bestimmungen des freiwilligen sozialen Jahres entsprechende Durchführung gewährleisten. Sie sind dann sogenannte gekorene Träger. Selbsthilfeverbände und ihre
Untergliederungen sind daher nicht von der Trägerschaft
des freiwilligen sozialen Jahres ausgeschlossen. Sie
müssen jedoch ein Anerkennungsverfahren durch die jeweilige Landesbehörde durchlaufen.
Diese Regelung existiert in dieser Form seit den Anfängen des FSJ-Gesetzes im Jahre 1964. Das freiwillige
soziale Jahr wurde nicht erst durch das Gesetz ins Leben
gerufen - das erklärt im Grunde diese Regelung -, sondern wurde bereits zuvor von Wohlfahrtsverbänden und
Kirchen durchgeführt.
Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien
Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände
nehmen seit jeher Aufgaben der sozialen Wohlfahrt
wahr. Deswegen ist die Durchführung des freiwilligen
sozialen Jahres ein Bestandteil dieser Gesamtaufgabe.
Aus diesen Gründen wurde von einem staatlichen Zulassungsverfahren für die in der Bundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen
Verbände abgesehen.
Um eine Durchführung zu gewährleisten, die dem
Bildungscharakter des freiwilligen ökologischen Jahres
und der besonderen Verantwortung für die teilnehmenden jungen Menschen gerecht wird, ist es gerechtfertigt,
bei den übrigen, nicht kraft Gesetzes anerkannten Trägern ein Anerkennungsverfahren im Einzelfall durchzuführen. Die Bundesregierung prüft den Ausbau der Einsatzfelder befürwortend, um informelle Lernprozesse zu
befördern. Es gibt außerdem eine Stellungnahme der
Bundesregierung zum Evaluationsbericht der FSJ-För9076
dergesetze. Darüber ist heute auch im Ausschuss ausgiebig diskutiert worden.
Als neue Einsatzfelder könnten demnach für eine Förderung in Betracht kommen: Selbsthilfegruppen und Familien, wobei die Schwerpunkte sind: Mehrgenerationenhäuser, Kinderbetreuung, Schulen und insgesamt
Benachteiligte.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär. Es deutet sich im Moment ja an, dass durch das bisherige
Gesetz etwas Bürokratie zum Beispiel auf die Selbsthilfegruppen zukommt, weil man sich jeweils auf Landesebene, in jedem Bundesland, bewerben müsste. Da sich
die Selbsthilfegruppen auf Bundesebene zu einer Bundesarbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben,
wäre es hilfreich, das auf Bundesebene zu regeln. Sie haben jetzt angedeutet, es gebe Pläne dazu und es würden
auch weitere Gruppen positiv bewertet werden. Gibt es
einen Zeitplan - zum Beispiel vor der Sommerpause -,
wann diese konkreten Überlegungen in die Beratungen
zu diesem Gesetz einfließen sollen?
Wir werden sicherlich etwa bis zur Sommerpause den
neuen Gesetzentwurf für diesen Bereich vorlegen - wir
haben in diesem Zusammenhang auch noch andere Fragen zu klären, etwa die Frage der Umsatzsteuerpflichtigkeit -, und wir glauben, dass ein neues Freiwilligengesetz zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Eine Frage noch. Die Vertreter der Bundesregierung
waren beim parlamentarischen Abend der BAG Selbsthilfe in der letzten Woche durchaus positiv gestimmt.
Gibt es irgendeinen Dissens zwischen den Koalitionspartnern, oder war das die einhellige Meinung in der
Bundesregierung, sodass wir mit einem schnellen Verfahren rechnen können, wenn wir uns darüber einig sind,
dass diese Träger auf Bundesebene berücksichtigt werden können?
Ich habe die Stimmung auf dem parlamentarischen
Abend nicht verifizieren oder an bestimmten Personen
festmachen können. Ich kann nur etwas zu unseren Zeitplanungen sagen. Sie sehen so aus, dass wir den Bereich
der Zivilgesellschaft insgesamt strukturieren und fördern
wollen, soweit es die Seite des Staates angeht. Da sind
wir in der Abstimmung. Ich kann nur noch einmal sagen:
Etwa bis zum Sommer soll der Gesetzentwurf fertig und
beschlossen sein und dann jedenfalls so zeitig ins parlamentarische Verfahren gegeben werden, dass das Gesetz
zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann.
Die Frage 10 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird
schriftlich beantwortet. - Deshalb herzlichen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Cornelia Behm
auf:
Warum überlässt die Bundesregierung - obwohl mit der
Föderalismusreform dem Bund gerade im Artenschutz eine
abweichungsfeste Regelungsmöglichkeit zugestanden wurde im Ersten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes den für den Artenschutz besonders kritischen Bereich von
Ausnahmeregelungen und des Erlasses von Bewirtschaftungsregelungen für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft den
Ländern und sogar nachgeordneten Behörden?
Liebe Kollegin, Sie fragen zu einem alten Thema, das
hier immer wieder kontrovers diskutiert wurde, nämlich
der Verteilung der rechtlichen Möglichkeiten zwischen
Bund und Ländern im Bundesnaturschutzgesetz. Ich
nehme an, Sie fragen das auch vor dem Hintergrund des
europäischen Gerichtsurteils, nach dem eine Reihe von
Verschärfungen vorgesehen sind.
Dennoch: Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung
vorgesehenen Bestimmungen zur Zuständigkeit bei Ausnahmeregelungen bzw. beim Erlass von Bewirtschaftungsregelungen betreffen den Gesetzesvollzug. Da sind
nach Art. 83 Grundgesetz nach wie vor die Länder am
Zug bzw. es obliegt ihnen auch nach der Föderalismusreform.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Ich
frage weiter: Gehen Sie mit mir konform, dass es doch
einige Grundsätze hinsichtlich der Bewirtschaftung von
land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Anlagen gibt,
die durchaus über das, was in den Ländern aufgrund
standortlicher Gegebenheiten geregelt werden müsste,
hinausgehen, und dass es sinnvoll ist, so etwas auf Bundesebene ganz grundsätzlich zu regeln?
Es geht hier um zwei Bereiche, nämlich zum einen
um die Eingriffsregelungen und zum anderen um die Bestimmungen bei der Nutzung sowohl land-, forst- als
auch fischereiwirtschaftlicher Art. Da gibt es sicherlich
eine gewisse Bandbreite; das ist schon richtig. Trotzdem
ist der Vollzug Ländersache. Wir können eigentlich nur
durch die Rahmensetzung bzw. im Dialog mit den Ländern bestimmte Interpretationen des Vollzugs klarmachen; aber da sind unsere Möglichkeiten begrenzt, alleine aufgrund der föderalistischen Struktur. Das muss
man einfach sehen.
Die zweite Nachfrage.
Sie meinen nicht, dass es im Zuge der Rahmensetzung doch sinnvoll sein könnte, verschiedene Dinge
vonseiten des Bundes zu regeln?
Sie wissen, dass der Bund bei der letzten Fassung des
Bundesnaturschutzgesetzes alles versucht hat, um die
Handlungsmöglichkeiten des Bundes so weit wie möglich zu stärken. Ich weiß nicht, ob darüber hinaus noch
viel möglich ist; ich kann das im Augenblick nicht beurteilen. Wir werden das im Zuge der Novelle noch einmal
diskutieren.
({0})
Damit kommen wir zur Frage 12 der Kollegin Undine
Kurth:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass
sechs Bundesländer noch immer nicht landesrechtliche Regelungen zur Umsetzung des nationalen Biotopverbundes erlassen haben, und wann wird nach ihrer Auffassung der nationale
Biotopverbund hergestellt sein?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Liebe Frau Kollegin, Sie fragen nach den landesrechtlichen Regelungen zur Umsetzung des nationalen Biotopverbunds. Die bundesrechtlichen Vorgaben zum Biotopverbund sind in drei Ländern noch nicht und in fünf
weiteren Ländern aus unserer Sicht noch nicht hinreichend umgesetzt worden. Die Bundesregierung erwartet,
dass die Länder ihren Verpflichtungen zur Umsetzung
des geltenden Rahmenrechts auch nach der Föderalismusreform umfassend nachkommen. Eine landesweite
Biotopverbundplanung liegt inzwischen in den meisten
Ländern vor.
Hinsichtlich des Stands der praktischen Umsetzung
dieser Biotopverbunde in der Fläche und in den einzelnen Ländern liegen uns allerdings keine umfassenden,
also keine ausreichenden Informationen vor. Von daher
ist es leider nicht möglich, eine Aussage zum zeitlichen
Horizont der tatsächlichen Herstellung eines umfassenden Biotopverbunds zu treffen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Meine erste Nachfrage. Die Zahlen, die Sie eben vorgetragen haben, stimmen nicht mit den Zahlen überein, die Ihre Kollegin
Frau Klug im Februar in ihrer Antwort genannt hat. Ich
möchte daher nachfragen, ob es sich um neue Erkenntnisse handelt. Damals hatte es geheißen, dass fünf Länder noch nicht zum Biotopverbund beitragen. Das würde
also bedeuten, dass in den letzten zwei Monaten relativ
viel passiert ist.
Ich sage noch einmal: Es gibt drei Länder, die noch
nicht zu diesem Biotopverbund beitragen, und es gibt
fünf Länder, die noch nicht hinreichend dazu beitragen.
Es mag sein, dass es diesbezüglich unterschiedliche Interpretationen und Darlegungen gibt.
Vielen Dank. - Meine zweite Nachfrage. Der Herr
Bundesminister hat heute in der Bundespressekonferenz
sehr eindrücklich unterstrichen, wie wichtig für die Aufgaben des Biodiversitätsschutzes auch der Erhalt und der
Schutz von Biotopen sowie die Herstellung eines Biotopverbundes sind. Da das ganz offensichtlich noch
nicht hinlänglich realisiert worden ist, frage ich Sie, ob
Sie ein nationales Monitoring-Zentrum für sinnvoll halten und ob die Bundesregierung der Meinung ist, dass
dies für die Erreichung des Ziels, einen nationalen Biotopverbund herzustellen, hilfreich und dienlich wäre.
Ich glaube, das ist vor dem Hintergrund des Klimawandels und der damit verbundenen Veränderung biogener Faktoren notwendig. Wir werden aus meiner Sicht
im Zusammenhang mit dem Klimawandel diese Frage
sehr viel intensiver behandeln müssen, als es bisher der
Fall gewesen ist. Das Bundesamt für Naturschutz bereitet für die folgende FFH-Berichtsperiode 2007 bis 2012
derzeit ein bundeseinheitliches Monitoringdesign vor.
Sie haben noch eine Nachfrage?
Da diese Vorbereitungen von Ihnen angesprochen
worden sind, möchte ich Sie fragen: Gibt es einen kon9078
Undine Kurth ({0})
kreten zeitlichen Horizont, wann man mit diesem Monitoring wirklich beginnen will?
Wenn ich es richtig im Kopf habe, dann soll dies Anfang 2008 der Fall sein. Das genaue Datum werde ich Ihnen aber nachliefern.
({0})
Damit kommen wir zur Frage 13 der Kollegin Undine
Kurth:
Warum sieht die Bundesregierung im Ersten Gesetz zur
Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes nicht mehr den
Schutz der Lebensstätten für besonders geschützte und bestimmte andere Tier- und Pflanzenarten vor - § 42 -, sondern
streicht das bewährte Verbot, Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtsstätten zu zerstören, und warum werden streng geschützte Arten nicht mehr räumlich, sondern nur noch zeitlich, nämlich während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-,
Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten, geschützt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Änderungen in § 42 des Bundesnaturschutzgesetzes dienen der Anpassung an die entsprechenden Bestimmungen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der
Vogelschutzrichtlinie. In diesem Rahmen werden auch
weiterhin die Fortpflanzungs- und Ruhestätten für besonders geschützte Arten vor Entnahme, Beschädigung
und Zerstörung geschützt.
Es gibt allerdings eine etwas veränderte Logik aufgrund der Übernahme der europäischen Rechtsbestimmung. Der Begriff der Fortpflanzungs- und Ruhestätte
umfasst alle Elemente des bisherigen Begriffs Nist-,
Brut-, Wohn- und Zufluchtsstätte. Die Anbindung des
Störungsverbots an bestimmte Zeiträume folgt unmittelbar aus der FFH-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie. Dieses Störungsverbot gilt in den genannten Zeiten
überall. Es ist nicht mehr räumlich begrenzt; es bezieht
sich also nicht nur auf die Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtsstätte, sondern auch auf die Nahrungshabitate. Es
ist also im Kern sogar erweitert.
Ihre erste Nachfrage.
Danke, Herr Staatssekretär. - Da juristische Texte einer breiten Interpretationsvielfalt unterliegen, frage ich
ausdrücklich nach: Die von Ihnen eben vorgetragene Interpretation heißt, dass über den bisherigen Schutz hinaus inzwischen sogar ein erweiterter Schutz geltend gemacht werden kann, der sich nicht nur auf die genannten
Lebensräume bezieht, sondern der auch im Falle besonders geschützter Arten ganzjährig gilt?
Ob Ihre umfassende Interpretation richtig ist, vermag
ich im Moment nicht zu sagen. Es handelt sich aber in
jedem Fall um eine Ausweitung des Schutzes, weil auch
das Nahrungshabitat einbezogen wird.
Die zweite Nachfrage.
Ich komme noch einmal auf die heutige Pressekonferenz des Bundesministers zurück. Um die Situation der
Rote-Liste-Arten und der Biotope beurteilen zu können,
brauchen wir auch eine Kenntnis über die Situation in
der freien Natur. Deshalb frage ich Sie, wie Sie das
große Engagement der Verbände und der Naturschützer
bewerten, die dafür sorgen, dass wir genaue Erkenntnisse über die zu schützenden Arten und Biotope erhalten.
Es ist ganz entscheidend, dass Umweltschutz nicht nur
als eine technologische Frage verstanden wird. Aus meiner Sicht muss er auch die Artenvielfalt und - damit verbunden - den Schutz der Arten umfassen. Insofern begrüßen wir es nicht nur, wenn bestimmte Verbände so
vorgehen, sondern halten es auch für eine Notwendigkeit, um überhaupt zu einem umfassenden Umweltschutz
zu kommen. Gerade das Engagement von Umweltverbänden, Naturschutzverbänden und Artenschutzverbänden ist also aus unserer Sicht eine wesentliche Voraussetzung für einen wirkungsvollen Umweltschutz. Dieses
Engagement sollte gestärkt und anerkannt werden.
({0})
Das Wort zu einer Nachfrage hat der Kollege
Dr. Hofreiter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung Ihrer
Fragen zu diesem Thema. Ich hätte eine Nachfrage: Wie
erklären Sie sich und teilen Sie die Stellungnahme des
Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der
„Mitteilung der Kommission: Eindämmung des Verlusts
der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 - und darüber hinaus“? In diesem Bericht steht wörtlich:
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
- dieser Bericht bezieht sich auch auf Deutschland klaffen extreme Lücken, die geschlossen werden
müssen, will man der drohenden Gefahr des Glaubwürdigkeitsverlustes entgegenwirken.
Arbeitet der Wirtschafts- und Sozialausschuss an den
Tatsachen vorbei, oder wie erklären Sie sich diese Stellungnahme?
Ich wüsste jetzt nicht, wieso Sie da einen Gegensatz zu
meinen Aussagen konstruieren könnten. Ich habe das
nicht gesagt. Ich sage nach wie vor: Ich finde, dass sich
der Umweltschutz vor allem in der Frage bewähren muss,
wie er zum Naturschutz und zum Artenschutz steht. Das
ist die eigentliche Frage. Dass Deutschland da noch eine
ganze Menge zu tun hat, ist sicher unbestritten.
Danke, Herr Staatssekretär. - Bevor wir zur Frage 14
kommen können, möchte der Kollege Beck völlig überraschend einen Geschäftsordnungsantrag stellen.
Ich beantrage nach § 106 und Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem, glaube
ich, Thema „Anspruch und Wirklichkeit im Bereich
des Naturschutzes“. Die Tatsache, dass acht Länder europapolitische Vorgaben gar nicht oder unvollständig
umgesetzt haben, erfordert es, dass das Hohe Haus über
dieses wichtige Thema debattiert. Ich bitte darum, diese
Aktuelle Stunde im Anschluss an die Fragestunde vorzusehen.
Es ist Ihr gutes Recht, namens Ihrer Fraktion eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Aber ich bitte dann schon
um die genaue Bezeichnung der Frage, auf die sich Ihr
Geschäftsordnungsantrag bezieht; denn das, was Sie
glauben zu beantragen, können wir hier nicht beschließen.
Ich beziehe meinen Geschäftsordnungsantrag auf die
Fragen 12 und 13 der Abgeordneten Undine Kurth.
Gut. - Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
zu den Antworten der Bundesregierung auf die
Fragen 12 und 13 eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde.
Die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde
statt.
Mit dieser fahren wir jetzt fort. Ich rufe die Frage 14
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf:
Welche sind für die Bundesregierung die wichtigsten Erkenntnisse des Sondergutachtens „Umweltverwaltungen unter
Reformdruck“ des Sachverständigenrates für Umweltfragen,
SRU, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesen?
Liebe Kollegin Kotting-Uhl, ich selbst habe dieses
Sondergutachten des Sachverständigenrats überreicht
bekommen und hatte die Gelegenheit, mit den Vertretern
des Sachverständigenrats intensiv über dieses Papier zu
diskutieren. Wir sehen es sehr wohl als einen wichtigen
Beitrag zur Versachlichung der Diskussion an; denn dies
ist in der Tat eine empirisch sehr sorgfältige und in den
Empfehlungen sehr klare Untersuchung des Sachverständigenrats, was aus meiner Sicht schon dadurch unterstrichen wird, dass in diesem Papier sehr deutlich alle
Stärken und Schwächen des heutigen Vollzugs im Umweltbereich herausgearbeitet werden. Insofern ist es eine
gute Gelegenheit, damit zu arbeiten.
In seinem Gutachten befasst sich der Sachverständigenrat im Schwerpunkt mit aktuellen Reformtrends zur
Neuordnung der Umweltverwaltung in den Ländern. Insofern ist ein Großteil der Debatte an die Länder gerichtet; trotzdem will ich mich dem hier nicht entziehen. Mit
der umfassenden Bestandsaufnahme vor allem der sogenannten Verwaltungsmodernisierungsprozesse weist der
Sachverständigenrat unter anderem - das halten wir für
sehr bedenklich - auf Einsparungen beim Personal und
bei Ressourcen der Umweltverwaltungen der Länder
und Kommunen insbesondere beim Naturschutz hin. Allerdings wird in dem Bericht auch herausgestellt, dass
diese Kritik nicht gegenüber dem Bund erhoben wird,
wo die Verhältnisse doch erheblich anders liegen. Auf
Bundesebene ist in den letzten Jahren keine vergleichbare Entwicklung wie in einigen Ländern erfolgt.
Der Sachverständigenrat setzt sich mit verschiedenen
Reformmodellen auseinander und beleuchtet ihre jeweiligen Stärken und Schwächen. Dabei betont er den
Stellenwert leistungsfähiger, gut organisierter und funktionsgerecht ausgestatteter Verwaltungen, die einen wesentlichen Beitrag zu einem hohen Umweltschutzniveau,
zur Standortqualität und letztlich zu Innovationen in
Deutschland leisten. Das Gutachten geht im Einzelnen
auf den Aufbau der Verwaltungsorganisation der Länder,
auf Binnenmodernisierungen, auf umweltrechtliche Aspekte ein. Wir glauben, dass damit die Grundlagen geschaffen werden, um zwischen Bund und Ländern, aber
auch in der Gesellschaft sehr intensiv über die fachlichen
Herausforderungen des Umwelt- und Naturschutzrechtes
debattieren zu können.
Die Einzelergebnisse des Gutachtens werden jetzt in
den zuständigen Gremien ausgewertet; sicherlich wird
dann in vielen Gremien darüber beraten. Die entsprechenden Schlussfolgerungen und Empfehlungen betreffen allerdings in erster Linie den Zuständigkeits- und
Verantwortungsbereich der Länder; sie können einen
wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion
leisten.
In diesem Zusammenhang sind uns auch die Empfehlungen des Sachverständigenrats zum Thema Umweltrecht wichtig. Wir sehen uns in dem Kurs bestätigt, die
Schaffung eines Umweltgesetzbuches voranzutreiben.
Wir wollen eine anwenderfreundlichere und einfachere
Handhabung erreichen. Unsere Formel heißt aber nicht
„Deregulierung“, sondern „intelligente Neuregulierung“.
Wir wollen, wo immer es geht, entbürokratisieren, damit
es einfacher und transparenter wird.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär Müller, vielen Dank für die Antwort und dafür, dass Sie sich der Beantwortung nicht
entzogen haben, obwohl die Frage - Sie haben das ausdrücklich betont - ganz stark die Kompetenz der Länder
betrifft.
Sie von der Großen Koalition, SPD und Union, haben
mit der Föderalismusreform, der Sie zugestimmt und die
Sie auch in die Wege geleitet haben, gemeinsam dazu
beigetragen, dass die Kompetenz in diesem Bereich in
Zukunft in noch höherem Maße bei den Ländern liegt.
Ich gehe davon aus, dass wir uns einig sind, dass es
keine gute Entwicklung ist, dass laut dem SRU-Gutachten 20 Prozent des Personals der Umweltbehörden und
sogar 30 Prozent des Personals der Naturschutzverwaltungen - das ist viel zu viel - abgebaut worden sind.
Auch wenn das sehr stark die Länderkompetenz betrifft,
möchte ich Sie - Ihre Partei, die SPD, und die Parteien
des Koalitionspartners sind in den Ländern vorrangig in
Regierungsverantwortung - fragen: Was gedenken Sie,
diesem Trend zum Abbau entgegenzusetzen?
Ich hoffe, dass vor allem die aktuelle Diskussion über
die Bedeutung der Umwelt- und Naturschutzpolitik einen Beitrag dazu leistet, bei diesen Fragen umzudenken.
Sie können sicher sein, dass unser Haus eine klare Position dazu hat.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Danke schön. - Ich glaube, dass Sie eine klare Position haben; ich hoffe auf die Kraft des Durchsetzens.
Die zweite Frage bezieht sich auf das Stichwort
„Kommunalisierung“. Wir sehen eine ganz starke Tendenz zur Kommunalisierung. In manchen Bereichen ist
das positiv zu bewerten, in sehr vielen jedoch eher negativ; denn auf kommunaler Ebene fehlen einfach die Ressourcen: Zum Teil fehlt Fachkompetenz, es fehlt das
Personal. Nicht jede Kommune kann es sich leisten, selber Labore zu errichten. Nicht zuletzt fehlt die Möglichkeit, sich bei bestimmten Fragen eine gewisse Routine
anzueignen, weil nicht jeder Fall andauernd in jeder
Kommune vorkommt. - Wie positionieren Sie sich
dazu?
Hierbei geht es natürlich um eine Grundsatzfrage. Sicherlich ist es sinnvoll, Dezentralität zu ermöglichen, wo
auch immer man besonders nah am Problem sein kann.
Ich stimme aber Ihrer Grundposition zu: Es muss eine
gewisse Qualifikation gegeben sein. Insofern teile ich
Ihre Position, dass ohne einen gewissen Mindeststandard, ohne eine gewisse Mindestqualifikation Umweltund Naturschutz nur begrenzt möglich sind. Es kommt
also darauf an, genau hinzuschauen, welche Ebene in
Zukunft verantwortlich sein soll.
({0})
Damit kommen wir zur Frage 15 der Kollegin
Kotting-Uhl:
Stimmt die Bundesregierung der Feststellung des SRU zu,
dass die deutschen Natur- und Umweltverwaltungen zunehmend nicht mehr in der Lage sind, langfristige, kumulative,
indirekte und chronische Wirkungen von Eingriffen in den
Naturhaushalt zu beobachten und auf diese zu reagieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Frage knüpft in gewisser Weise an das an, was
eben gefragt wurde. Meine Antwort lautet: Der Sachverständigenrat hat - wir haben schon darüber gesprochen im Gutachten darauf hingewiesen, dass im Bereich des
Naturschutzes überproportional Ausgaben und Personal
eingespart werden und dass die Konsequenzen daraus in
der Tat ernst genommen werden müssen.
Das Bundesamt für Naturschutz hat bereits im Vorfeld
des Sachverständigenratsgutachtens - dadurch bekommt
es eine noch größere Bedeutung - an die Fernuniversität
Hagen ein Forschungsvorhaben mit der Fragestellung
vergeben, welche Auswirkungen die zunehmende Europäisierung des Umwelt- und Naturschutzrechts und die
veränderten finanziellen und administrativen Rahmenbedingungen auf spezielle Aufgabenbereiche des Naturschutzes, beispielsweise auf die Eingriffsregelung, auf
den Vertragsnaturschutz und auf Natura 2000, haben.
Wir gehen davon aus, dass dieses Gutachten im Mai vorliegen wird. Dann können wir umfassend auf diese Fragen antworten.
Ihre erste Nachfrage.
Ich danke Ihnen. Trotzdem möchte ich jetzt nachfragen und nicht bis Mai warten.
Neben der zunehmenden Europäisierung in Umweltfragen - Sie haben sie gerade angesprochen - und der
zunehmenden Kommunalisierung beim Vollzug - darüber haben wir eben schon gesprochen - wurde im SRUSylvia Kotting-Uhl
Gutachten eine zunehmende Tendenz zur Privatisierung
von gesetzlichen Aufgaben im Umweltbereich festgestellt. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass private
Dienstleister im Bereich Natur- und Umweltschutz in
der Lage sind, die notwendigen Aufgaben zu erfüllen?
Der Sachverständigenrat hat diese Tendenzen ausdrücklich kritisiert, weil er damit einen deutlichen Qualitätsverlust verbindet. Wir müssen sagen: Unbeschadet
der Frage, wie die Aufgabenverteilung zwischen privaten und staatlichen Trägern ausgestaltet ist, müssen der
Erhalt der naturschutzrechtlichen Regelungen und die
Sicherstellung der Qualität der Maßnahmen unsere
obersten Ziele bleiben. Daran müssen wir uns orientieren. Dementsprechend müssen wir das bewerten.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich sehe, wir sind uns bei der Einschätzung in vielen
Punkten einig.
Beim Zusammenspiel privater, öffentlicher und gesellschaftlicher Kräfte spielen die Umweltverbände - ich
möchte dieses Stichwort aufgreifen - als gesellschaftlicher Sachverstand eine große Rolle. Der SRU widerspricht der häufig geäußerten Einschätzung, dass die
Öffentlichkeitsbeteiligung die Genehmigungsverfahren
verlängere, und empfiehlt, die Öffentlichkeitsbeteiligung, die sich als effektiv erwiesen hat, bei der Einführung der integrierten Vorhabengenehmigung zu erhalten,
eher sogar auszubauen. Er empfiehlt, die Öffentlichkeitsbeteiligung erstens zu einem frühen Zeitpunkt und
zweitens in einer Form auszubauen, die die Öffentlichkeit als ökologisch sinnvolle Begleitung bei der Planung,
der Genehmigung und dem Betrieb von Anlagen zulässt.
Wie positioniert sich die Bundesregierung in diesem Bereich?
Es gibt in diesem Zusammenhang unterschiedliche
Studien. In der Mehrheit der Studien heißt es aber aus
meiner Sicht, dass eine erhöhte Öffentlichkeitsbeteiligung in der Regel zu größerer Rechtssicherheit, zu einer
intensiveren und besseren Prüfung und damit im Kern zu
einer Verkürzung der Verfahren führt, weil Klagen nicht
erhoben werden und gerichtliche Verfahren dementsprechend nicht stattfinden. Das ist auch mir bekannt. Aus
unserer Sicht kommt es darauf an, die Bürgerbeteiligung
so zu organisieren, dass vor allem die Rechtssicherheit
des Verfahrens und die Qualifizierung der Prozesse verbessert werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir kommen damit zur Frage 16 der Kollegin Nicole Maisch:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich des Einflusses des Klimawandels auf die Artenvielfalt in
Deutschland vor, und welche Schlussfolgerungen zieht sie
daraus?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Bei dieser Frage geht es um die Auswirkungen des
Klimawandels auf die Artenvielfalt. Ich weiß nicht, ob
Ihnen bekannt ist, dass kurz vor Ostern die zweite Arbeitsgruppe des Zwischenstaatlichen Ausschusses für
Klimawandel ihr Gutachten zum Thema „Sektorale und
regionale Folgen“ vorlegen wird. Darin werden die Fragen behandelt: Welche Folgen hat das für bestimmte Regionen? Was hat das für Folgen für die Artenvielfalt, für
die Meeressysteme usw.? Die Zahlen, die im Rahmen
dieses Gutachtens vorgetragen und beraten werden, bestätigen eindeutig, dass gerade die biologischen Folgen
des Klimawandels viel größer sind, als manche bisher
befürchtet haben. Das gilt beispielsweise für die Veränderungen bei den Fischzügen, den Bergwäldern oder der
Fruchtbarkeit von Pflanzen.
In der Tat ist es so, dass vor allem die Geschwindigkeit des Klimawandels erhebliche Folgen für den Naturhaushalt haben wird. Ich will ein paar Punkte nennen:
Für viele der in Deutschland vorkommenden Tier- und
Pflanzenarten werden sich die klimatisch geeigneten Lebensräume deutlich nach Norden bzw. Osten, in höhere
Lagen der Gebirge oder in Regionen mit günstigeren
Feuchteverhältnissen verschieben. Wir werden hier nach
dem, was wir wissen, eine deutliche Verlagerung erleben. Wenn das tatsächliche oder potenzielle Verbreitungsgebiet im Zuge dieser Prozesse schrumpft oder
ganz verloren geht - das können wir nicht aufhalten -,
können Arten durch den Klimawandel sogar in ihrer
Existenz bedroht sein.
Dasselbe gilt, wenn die neuen Lebensräume nur eine
vergleichsweise geringe Ausbreitungsfähigkeit haben
oder andere Reproduktionszeiträume erforderlich sind.
Geringere Vermehrungsraten werden befürchtet. Das gilt
insbesondere für Tier- und Pflanzenarten, die bisher eine
hohe Ortstreue haben oder besonders spezialisierte Habitat- oder Nahrungsansprüche stellen. Hinzu kommt, dass
bei einer Ausbreitung nach Norden und Osten die anthropogenen Faktoren, also die menschlichen Einflüsse,
Barrieren sein können, die wir nur begrenzt bestimmen
können. Wir befürchten auch, dass es in bestimmten Bereichen zu einer verstärkten Konkurrenz unterschiedlicher Arten kommt und dadurch wiederum verstärkt zu
einer Verdrängung der heimischen Pflanzen- und Tierarten.
Lassen Sie mich das zusammenfassen: Das Bundesamt für Naturschutz befürchtet, dass durch den Klimawandel - je nach Annahme - ein Verlust von 5 bis
30 Prozent der derzeit vorhandenen Pflanzen- und Tierarten in den nächsten Jahrzehnten möglich ist, wobei
sich diese Klimaveränderungen besonders im Hochgebirge, in Mooren, im Wattenmeer und in küstennahen
Salzwiesen auswirken.
Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir befürchten
bedeutende Verluste bei wildlebenden Arten und Ökosystemen. Insofern müssen wir im Rahmen einer Klimaschutzstrategie zwei Ziele verstärkt verfolgen: Wir müssen einerseits alles tun, um den Klimawandel, soweit es
geht, zu begrenzen. Außerdem müssen wir sehr viel stärker, als noch vor zehn oder 15 Jahren gedacht, Anpassungsmaßnahmen zum Erhalt der Natur, der Pflanzenund Tierarten durchführen. - Es gibt in diesem Zusammenhang ein Forschungsvorhaben. Das Bundesamt für
Naturschutz wird Anfang 2008 über die Folgen des Klimawandels für die Artenvielfalt einen sehr umfangreichen Bericht vorlegen. Er wird aus meiner Sicht sehr gut
zu dem passen, was jetzt das IPCC in seinem 4. Bericht
vorlegt.
Insgesamt kommt es darauf an, sowohl in der nationalen Klimaschutzstrategie als auch in einer Strategie „Naturschutzkonzeption Klimawandel“ - so nennen wir das entsprechende Qualitätsziele festzulegen, um möglichst
frühzeitig Anpassungsstrategien zu ermöglichen.
Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. Bitte.
Eine Nachfrage haben Sie mir in vorauseilendem Gehorsam schon beantwortet. Das ist ganz schön.
Ich habe keinen vorauseilenden Gehorsam. Ich will
nur informieren.
Danke schön. - Meine zweite Frage bezieht sich auf
eine konkrete Maßnahme, und zwar hinsichtlich der
Moore. Durch die kontinuierliche Entwässerung unserer
Moore schrumpfen deren Torfkörper und werden große
Mengen von Klimagasen freigesetzt. Die Klimarelevanz
einer solchen Moordevastierung ist enorm. Meine Frage
lautet: Was unternimmt die Bundesregierung in diesem
Zusammenhang?
Was wir unternehmen, ist klar: Wir müssen alles tun,
um den Klimawandel so schnell wie möglich zu stoppen.
Ich möchte aber auf Folgendes hinweisen: Das Hauptproblem ist - ich nehme wieder einmal den IPCC-Bericht zur Grundlage -, dass fast 60 Prozent der Landflächen auf der nördlichen Halbkugel Permafrostgebiete
sind. Das Problem wird dort in aller Schärfe deutlich
werden, da dort riesige Methanreservoire in den Böden
gebunden sind. Dieses Problem ist umso größer, je nachdem, wie tief die Erwärmung geht. Es ist ein sehr ernstes
Problem, dass gerade in solchen Feuchtgebieten entsprechende Treibhausgase freigesetzt werden.
Insofern müssen wir sowohl direkte als auch indirekte
Maßnahmen unternehmen. Direkte Maßnahmen bedeuten, dass man dies verhindert, wo immer es geht. Indirekte Maßnahmen bedeuten, dass man zum Beispiel
durch entsprechende Systeme von Bewässerung versucht, Reservoire zu binden.
Sollten Sie noch eine Nachfrage haben, haben Sie nun
die Möglichkeit dazu.
Danke, habe ich nicht.
Danke. - Dann kommen wir zur Frage 17 ebenfalls
der Kollegin Maisch:
Welche Artenschutzprogramme für die Wiederansiedlung
von Wildtieren in Deutschland werden durch die Bundesregierung in welchem Umfang finanziert respektive mitfinanziert?
Im Augenblick laufen im Rahmen der verfügbaren
Finanzierung keine ausgesprochenen Artenschutzprogramme, aber wir haben ein paar Artenschutzvorhaben.
Die nachfolgende Darlegung, die ich Ihnen gebe, berücksichtigt die kürzlich abgeschlossenen bzw. noch laufenden oder jetzt begonnenen acht Projekte: erstens eine
Pilotstudie zur Abwanderung und zur Ausbreitung von
Wölfen in Deutschland, zweitens eine Kooperation im
Wolfsschutz zwischen Polen und Deutschland, drittens
ein Fachkonzept für ein Wolfsmanagement in Deutschland, viertens Maßnahmen zur Arterhaltung und zum
Bestandsschutz des Störs in Nord- und Ostsee, fünftens
zur Sicherung und Optimierung der Fledermauswinterquartiere vor allem in Ostdeutschland, sechstens zur
Wiederansiedlung von Wisenten im Rothaargebirge,
siebtens eine Machbarkeitsstudie zur Ausbreitung von
Luchsen, und achtens beschäftigen wir uns mit der
Frage, was wir tun können, um verstärkt Wisenten zurückzuholen.
({0})
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Meine erste Nachfrage ist: Von welchen Laufzeiten ist
bei den geplanten Projekten auszugehen, und wie werden sie evaluiert?
Sie werden vom Bundesamt für Naturschutz evaluiert. Die Projekte sind zum Teil abgeschlossen, zum Teil
laufen sie noch. Ich würde Ihnen vorschlagen, dass wir
Ihnen eine kurze Übersicht senden.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Meine zweite Nachfrage ist: Im Zusammenhang mit
solchen Programmen, vor allem im Hinblick auf die
Wölfe, wird immer wieder von Konflikten mit der Bevölkerung vor Ort gesprochen. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung mit Blick auf Konflikte bei
Wiederansiedlungsprogrammen vor, und welchen Beitrag kann die Bundesregierung leisten, um vor Ort als
Mediatorin tätig zu werden?
Wenn man die gegenwärtigen Debatten über die Wiederansiedlung des Wolfes betrachtet, kann man feststellen, dass es dafür vor Ort mittlerweile sehr breite Unterstützung gibt. Man kann also sagen: Wenn man eine
solche Maßnahme vernünftig organisiert und die örtlichen Akteure mit einbezieht, dann findet sie durchaus
Akzeptanz.
({0})
Damit kommen wir zur Frage 18 der Kollegin Bärbel
Höhn:
Welchen konkreten Zeitplan für die Umsetzung der beschlossenen „Potsdam-Initiative zur biologischen Vielfalt
2010“ haben die Minister auf dem G-8-Umweltministertreffen - 15. bis 17. März 2007 in Potsdam - beschlossen, und
welche weiteren konkreten Maßnahmen und Umsetzungsbeschlüsse zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt wird die Bundesregierung während ihrer
G-8-Präsidentschaft auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm
vorlegen?
Die Kollegin Höhn fragt nach dem konkreten Zeitplan für die Umsetzung der „Potsdam-Initiative zur biologischen Vielfalt 2010“. Ich kann diese Frage wie folgt
beantworten: Das Bundesministerium wird die Ergebnisse des Umweltministertreffens der G-8-Staaten - dabei
handelt es sich um die sogenannten Schlussfolgerungen
des Vorsitzenden; Sie wissen, dass es unterschiedliche
Kategorien gibt -, die unter anderem die in Potsdam behandelte Initiative einbeziehen, in den Vorbereitungsprozess des G-8-Gipfels einspeisen.
Unsere Ziele sind, erstens diese Initiative auf dem G-8Gipfel zu besprechen und zweitens zur Umsetzung einzelner Aktivitäten nicht nur mit unseren G-8-Partnern,
sondern auch mit den G-5-Staaten - Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika - weitere Schritte zu besprechen und vor allem gemeinsam mit Japan das weitere Vorgehen im G-8-Rahmen zu diskutieren, weil
Japan die nächste Präsidentschaft haben wird.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank. Diese Möglichkeit will ich gerne
wahrnehmen. - Im Rahmen der Potsdam-Initiative ist
festgelegt worden, dass ein wissenschaftlicher Bericht
über die ökonomischen Folgen des Artensterbens erstellt
werden soll. Mich würde interessieren, ob dieser Bericht
schon vor der COP 9, der 9. Vertragsstaatenkonferenz,
die im nächsten Jahr in Bonn stattfindet, vorliegen wird
und welche Forschergruppe dafür verantwortlich sein
wird.
Diese Frage kann ich Ihnen deshalb noch nicht beantworten, weil das noch nicht entschieden ist. Wenn das
geschehen ist, kann ich Sie darüber informieren.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe bereits erwähnt, dass die große Vertragsstaatenkonferenz im nächsten Jahr in Bonn stattfinden wird.
Mich würde interessieren, welche öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen Sie planen, um die Bevölkerung auf
das Problem des Artensterbens hinzuweisen, und welche
Maßnahmen Ihrer Meinung nach im Vorfeld der Vertragsstaatenkonferenz auf deutschem Boden, in Bonn,
durchgeführt werden sollten, um diesem Trend entgegenzuwirken.
Ich wiederhole, dass Naturschutz, insbesondere der
Erhalt der biologischen Vielfalt, das Kernthema jeder
Umweltpolitik sein muss und bleiben muss. Deshalb
wird das Ministerium bei diesem Thema einen Schwerpunkt setzen, was seine Öffentlichkeitsarbeit und die
Ausrichtung seiner Tätigkeit betrifft. Die notwendigen
Vorbereitungen haben wir bereits getroffen. Die entsprechenden Daten und die umfassenden Pläne werden in
Kürze veröffentlicht.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Welche rechtlichen Grundlagen gibt es nach Ansicht der
Bundesregierung für ein mögliches Verbot des geplanten Imports von 22 000 Tonnen Hexachlorbenzol aus Australien in
die Bundesländer Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, und welche Landes- oder Bundesbehörden wären
jeweils für den Erlass eines solchen Verbotes zuständig?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die in Deutschland geltenden rechtlichen Grundlagen
für die Genehmigung von grenzüberschreitenden Abfallverbringungen bzw. deren Ablehnung sind einerseits in
der Verordnung der EWG zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und
aus der Europäischen Gemeinschaft - das ist die sogenannte EG-Abfallverbringungsverordnung vom 1. Februar 1993 - und andererseits in dem Gesetz über die
Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden
Verbringung von Abfällen - das ist das Abfallverbringungsgesetz vom 30. September 1994 - geregelt. Das
Entscheidende ist der § 4:
Zuständig für Maßnahmen im Zusammenhang mit
der Verbringung von Abfällen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes ist die Behörde des Landes, in
dem die Abfälle erstmals behandelt, gelagert oder
abgelagert werden sollen.
Das umfasst dann auch die Genehmigung von grenzüberschreitenden Verbringungen. Das heißt, zuständig
sind in dem Fall Schleswig-Holstein und NordrheinWestfalen.
Ihre erste Nachfrage.
Es gibt jetzt einen Kompetenzstreit, wer dafür zuständig ist: Das Umweltministerium von Nordrhein-Westfalen sagt, das sei der Bund. Staatssekretär Machnig hat
daraufhin dem Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen einen Brief geschrieben, um die Situation noch einmal
darzustellen. Interessanterweise sagt er dazu - Zitat aus
dem Brief -:
Zuständig dafür sind nach dem Abfallverbringungsgesetz die von den Bundesländern bestimmten Behörden.
- Das ist das, was Sie eben bestätigt haben. Eine eigene Zuständigkeit für den Bund ({0}) besteht nicht - und wäre auch nur
durch Änderung unserer Verfassung erreichbar.
Können Sie einmal erläutern, was für eine Zuständigkeit
Sie beim Transit haben?
Ich muss in dem Punkt sagen: Der Transit ist, wenn
ich das jetzt richtig interpretiere, nur für höchstproblematischen Abfall geregelt.
Darum geht es: Das ist einer der zwölf höchstproblematischen Abfälle.
Wir sind in der Fragestunde. Ich denke, der Staatssekretär sollte Gelegenheit zur Antwort bekommen.
Ich weiß, was Hexachlorbenzol ist; ein bisschen
kenne ich mich da schon aus. Die Frage ist, ob das darunter fällt. Das ist bestimmt nicht der Fall. Unsere
Rechtsauffassung hat sich auch nach neuerer Prüfung so
bestätigt.
Die zweite Nachfrage.
Vor Ort hat das natürlich einen Riesenwirbel ausgelöst und zu großem Protest geführt. Ich war am
6. Februar in Herten - das ist einer der Orte, wo dieser
Abfall verbrannt werden soll - auf einer Veranstaltung.
Da hat der Geschäftsbereichsleiter der Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet, AGR - das ist die Firma,
die diesen Abfall verbrennen soll -, gesagt, dass dieser
Abfall von Australien nach Herten verbracht wird, weil
das - Zitat - „von einer Bundesbehörde empfohlen“
worden sei. Können Sie bestätigen, dass eine Bundesbehörde die Anlagen in Nordrhein-Westfalen für Giftmüll
aus Australien empfohlen hat? Wenn ja: Welche Bundesbehörde war das?
Erstens weiß ich es nicht; ich kann es mir aber nicht
vorstellen. Zweitens muss ich sagen: Es ist doch oft so,
dass man sich entlastet.
Können Sie da bei sich nachhaken und mir das
schriftlich beantworten?
Das werden wir natürlich tun.
Das wäre nett.
Danke sehr.
Dann kommen wir zur Frage 20 der Kollegin Eva
Bulling-Schröter:
Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor,
ob und wo die australische Regierung die Entsorgung von
Hexachlorbenzol, HCB, in ihrem Land vornehmen könnte?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es geht hier um denselben Sachverhalt, der hier soeben angesprochen wurde: Sie fragen, ob Informationen
vorliegen, wonach die australische Regierung die Entsorgung von HCB auch im eigenen Land vornehmen
könne. - Nein, wir haben darüber keine Kenntnis. Es
wurden bei den Notifizierungsbehörden in Australien
Rückfragen gemacht. Ob diese bereits beantwortet wurden, ist der Bundesregierung unbekannt. Noch einmal:
Wir haben die Bundesländer gebeten, zu fragen, ob in
Australien entsprechende Kapazitäten existieren; denn
das wäre der Grund, die Verbringung abzulehnen. Darüber haben wir bisher keine Kenntnis.
Ihre erste Nachfrage.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, das heißt, Ihnen
ist auch nicht bekannt, dass bereits im September 2006
ein Angebot der Firma Dolomatrix vorlag, den HCBMüll in Australien zu entsorgen?
Nein, ist mir nicht bekannt. Aber was Sie sagen, ist
interessant.
Meine zweite Frage: Besteht zurzeit bezüglich der
HCB-Importe vonseiten Ihres Ministeriums Kontakt zur
australischen Regierung? Wie sehen diese Kontakte aus?
Welche aktuellen Dinge werden hier besprochen?
Noch einmal: Weil es, wie gesagt, Sache der Länder
ist, entsprechend zu entscheiden, haben wir sie um Anfrage gebeten. Ich nehme dies zum Anlass, noch einmal
rückzufragen.
Bevor wir zur Frage 21 der Kollegin Bulling-Schröter
kommen, hat die Kollegin Höhn die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es gibt ein Gutachten einer australischen Provinzregierung, welches zu dem Schluss
kommt, dass auch in Australien entsprechende Bearbeitungsanlagen für diesen Giftmüll zur Verfügung stehen,
und in einer Anhörung, die jetzt stattgefunden hat, haben
sich drei Unternehmen bereit erklärt, diesen Giftmüll zu
behandeln. Es geht wohl um die Fragen, ob es dort teurer
ist und ob es dort etwas länger dauert als hier.
Inwieweit wird die Bundesregierung angesichts dieser Tatsachen darauf drängen, dass diese Fakten mitberücksichtigt werden? Offensichtlich ist ja der entscheidende Punkt, um den Transport dieses Giftmülls nach
Deutschland zu verhindern. ob es in Australien genügend große Anlagekapazitäten gibt.
Ich sage noch einmal, dass ich das genauso sehe wie
Sie. Wir haben nur die Chance, einen Einwand zu erheben, wenn in Australien die Möglichkeit dazu besteht,
wenn wir also begründen können, dass dieser Transport
nicht nötig ist. Die Position, die uns bisher vermittelt
wurde, ist anders als die, die Sie uns schildern. Deshalb
nehme ich das gerne zum Anlass, noch einmal nachzuprüfen.
Damit kommen wir zur Frage 21 der Kollegin
Bulling-Schröter:
Sofern die HCB-Entsorgung in Australien nicht möglich
ist, kann - und wenn ja, wie - Deutschland bzw. können die
von der HCB-Entsorgung betroffenen Bundesländer den Import verhindern, auch wenn technisch und logistisch die Voraussetzungen für die Entsorgung in Deutschland gegeben
sind und eine Firma sich bereit erklärt hat, die Entsorgung
vorzunehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich erspare mir nähere rechtliche Ausführungen und
verweise auf das, was ich vorhin bei der Frage der Kollegin Höhn zu den rechtlichen Grundlagen gesagt habe:
Einschlägig sind die EU-Abfallverbringungsverordnung
und das Abfallverbringungsgesetz. Ich habe auch gesagt,
dass für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verbringung von Abfällen in den Geltungsbereich dieses
Gesetzes die Behörde des Landes zuständig ist, in dem
die Abfälle gelagert werden, in diesem Fall also des Landes Schleswig-Holstein bzw. Nordrhein-Westfalen.
Nach den Regeln dieser Abfallverbringungsverordnung ist die Genehmigung der Verbringung eine gebundene Entscheidung. Das ist der entscheidende Punkt, auf
den wir soeben ja auch eingegangen sind. Das heißt, die
notifizierende Person hat einen Anspruch auf Erteilung,
wenn nicht ein vorher genannter Einwandsgrund - beispielsweise, dass im eigenen Land eine entsprechende
Kapazität vorhanden ist - gemäß der Verordnung vorliegt. Dies kann zum Beispiel der Einwand sein - damit
gebe ich noch einmal unseren Stand wieder -, dass die
vorgesehene Anlage in Deutschland für andere Abfälle
benötigt wird bzw. dass der Einsatz von Abfällen in der
Anlage gegen deutsches Recht verstößt. Das wären sozusagen Gründe in Deutschland. Ein anderer Grund
wäre, wenn auch in Australien entsprechende Kapazitäten bestünden. Für einen Einwand bzw. eine Ablehnung
unter Hinweis auf diese Gründe haben wir bei den bishe9086
rigen Prüfungen keine ausreichende Grundlage gefunden. Das ist der Sachstand.
Ich höre von der Kollegin Höhn, dass zumindest in einer Anhörung in Australien andere Fakten genannt worden sind. Wir werden dem gerne noch einmal nachgehen. Das ist im Augenblick aber sozusagen unser
aktueller Stand: Wir können nur darauf verweisen, dass
es in Deutschland bei den Importen, bei denen kein Einwandsgrund geltend gemacht werden konnte, bisher
noch keinen Versagensfall gab.
Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie sehen Sie denn die Risiken,
die durch den Transport von Giftmüll durch zum Teil
wirklich dicht besiedelte Gebiete entstehen? Sind Sie der
Meinung, dass sie der Bevölkerung zuzumuten sind?
Der Hintergrund meiner Frage ist Ihnen sicher bekannt: Der Rhein ist jetzt bis Freitag gesperrt, weil es
dort zu einer Frachthavarie gekommen ist, bei der Gefahrgutcontainer, die Chemikalien enthalten, ins Wasser
gefallen sind. Das sind ja Anzeichen dafür, dass hier
wirklich gefährliche Stoffe transportiert werden. Wie
schätzen Sie das ein?
Ich würde nie eine solche Kausalität zur Grundlage
machen, sondern der Grundsatz der Bundesregierung
muss immer Risikominimierung lauten. Das finde ich
auch richtig. Ich würde keinen Automatismus von einem
Unfall zu einem anderen unterstellen. Ich glaube nicht,
dass Sie das so gemeint haben. Ich wollte das hier aber
wenigstens einmal gesagt haben.
Natürlich ist es uns lieb, wenn solche Mengen in Australien selbst entsorgt werden; das ist gar keine Frage.
Ich sage aber auch, dass wir natürlich an bestimmtes
Recht gebunden sind. Das ist in diesem Fall das europäische Recht.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Mich würde noch interessieren, wie die Bundesregierung die Tatsache rechtfertigt, dass immer mehr und zudem auch gefährliche Abfälle nach Deutschland importiert werden und damit auch die absolute Menge an
Emissionen steigt, die bei der Verbrennung entstehen
und die Bevölkerung in der näheren und weiteren Umgebung belasten.
Ich bin nicht sicher, ob diese pauschale Aussage richtig ist. Ich bin auch nicht sicher, ob nicht beispielsweise
problematische Stoffe von Deutschland in andere Länder
exportiert werden.
({0})
Ich wäre ein bisschen vorsichtiger mit dieser pauschalen
Aussage. Es ist keine Lösung des Problems, aber ich
wäre ein bisschen zurückhaltender in meiner Bewertung.
Auf jeden Fall muss - das ist ein wichtiger Grundsatz;
es ist auch meine Grundlinie und sicherlich auch die dieses Hauses - gefährlicher Abfall, wo immer dies möglich ist, entweder vermieden oder zumindest möglichst
dezentral oder verbrauchsnah entsorgt werden. Leider ist
dies nicht in allen Fällen möglich.
Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage.
Das ist ein spannendes Thema. Ich habe noch eine
Frage, Herr Staatssekretär. Ich habe eben den Brief des
Staatssekretärs Machnig an die Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen erwähnt, in dem er seine Auffassung dargelegt hat, wer für die Genehmigung zuständig
ist. Nachdem dieser Brief der Landesregierung vorlag,
hat der nordrhein-westfälische Umweltminister
Uhlenberg in der Landtagssitzung vom 7. März 2007 die
Auffassung geäußert, dies sei Sache des Bundes, und gesagt - Zitat -:
Es kann daher keinesfalls Sache einzelner Bundesländer sein, Abfallimporten aus einem weit entfernten hochindustrialisierten Vertragsstaat des Baseler
Übereinkommens entgegenzutreten.
Teilen Sie diese Auffassung?
Ich wiederhole: Ich habe ein bisschen den Eindruck,
dass manche mit Blick auf andere versuchen, sich zu
entlasten.
Es scheint angeraten, die wechselseitig vorhandenen
Informationen zu diesem Thema im Anschluss an die
Fragestunde zusammenzuführen. Es gibt sicherlich Anregungen für parlamentarische Initiativen, aber auch für
die Vorhaben, die der Staatssekretär angekündigt hat.
Wir sind auf jeden Fall am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Thomas
Rachel.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Kai Gehring auf:
Zu welchem Zeitpunkt plant die Bundesregierung eine Erhöhung der Fördersätze und Freibeträge im Bundesausbildungsförderungsgesetz, BAföG, und aufgrund welcher neuen
Vizepräsidentin Petra Pau
Erkenntnisse hat die Bundesregierung in dieser Sache ihre Position innerhalb der letzten Wochen geändert?
Frau Präsidentin! Die Bundesregierung hat, wie Sie
wissen, sehr geehrter Herr Kollege Gehring, bereits im
17. Bericht nach § 35 des BAföG angekündigt, die finanzpolitische Situation, die sie bewogen hat, wegen der
dringend notwendigen Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte keine sofortige Anpassung der BAföG-Sätze
vorzuschlagen, fortlaufend beobachten und gegebenenfalls auch unabhängig von der Vorlage des nächsten Berichts mit geeigneten Vorschlägen reagieren zu wollen.
Dies gilt weiterhin.
Dass derzeit angesichts der immer deutlicheren Anzeichen für eine sich verfestigende konjunkturelle Belebung innerhalb der Bundesregierung über Spielräume einer BAföG-Anpassung in 2008 diskutiert wird, ist keine
Änderung, sondern eine konsequente Fortsetzung der
bereits geäußerten Position.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank. - Ich habe das als Positionswechsel
wahrgenommen, möchte aber eine Frage zur Problematik des zweiten Bildungsweges stellen. Die SPD-Fraktion hat in ihrer Pressemitteilung vom 20. März erklärt,
eine Einschränkung, zum Beispiel die Begrenzung des
elternunabhängigen BAföG von Schülerinnen und Schülern im zweiten Bildungsweg, „auf keinen Fall“ mitzutragen. Macht sich die Bundesregierung diese Position
zu eigen?
Darüber hinaus möchte ich wissen, wie die Bundesregierung zum Bundesratsvorstoß des Freistaates Bayern
steht, die von der Bundesregierung geplanten Einschränkungen beim zweiten Bildungsweg ersatzlos aus der Novelle zu streichen.
Die Bundesregierung hat einen Regierungsentwurf
eingebracht, der Gegenstand der Abstimmung innerhalb
der Bundesregierung ist. Alles andere wird sich im weiteren Verlauf zeigen.
Ihre zweite Nachfrage.
Sieht die Bundesregierung im BAföG eine zukunftsfähige Form der Ausbildungsförderung, oder hält sie es
- wie die Bundesministerin noch vor wenigen Monaten
deutlich gemacht hat - eher für ein Auslaufmodell? Plant
die Bundesregierung mittelfristig, noch in dieser Legislaturperiode, eine grundlegende Strukturreform beim
Die Äußerung, die Sie der Ministerin in Ihrer Frage
unterstellt haben, kann ich ausdrücklich nicht bestätigen.
Die Bundesregierung hat für dieses Jahr eine Novelle
vorgelegt. Alle anderen Überlegungen beziehen sich auf
die Frage, ob sich Spielräume aus dem konjunkturellen
Wachstum insgesamt ergeben. Auch die jetzt vorgelegte
Novelle sieht eine Reihe von Verbesserungen für die Betroffenen vor. Ich denke zum Beispiel an die Ausbildungsförderung für Migranten oder den Kinderbetreuungszuschlag, der Studierenden mit Kindern neben dem
Studium eine qualifizierte Kinderbetreuung gewährleisten soll.
Der Kollege Tauss hat das Wort zu einer Nachfrage.
Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich freue
mich sehr, dass die Pressemitteilungen der SPD-Fraktion
bei den Grünen so gründlich studiert werden. Verbreiten
Sie sie bitte weiter.
Mein Nachfrage ist: Lieber Herr Staatssekretär
Rachel, können Sie mir bestätigen, dass es zu keinem
Zeitpunkt - entgegen der Unterstellung des Kollegen
Gehring - beabsichtigt war, den zweiten Bildungsweg in
Deutschland abzuschaffen oder zu beeinträchtigen, sondern dass es lediglich eine Diskussion darüber gibt, ob in
jedem Fall eine elternunabhängige Förderung für Kollegiaten und diejenigen, die das Abitur nachholen, erforderlich ist und ob es aus Gerechtigkeitsgründen, möglicherweise zugunsten anderer Gruppen wie Studierenden
mit Kindern und derjenigen, die sonst Abitur machen,
nicht überlegenswert ist, gegebenenfalls zu einer elternabhängigen Förderung zu kommen, und zwar - ich sage
das in aller Klarheit; das ist unsere Position - ohne Einschränkung des zweiten Bildungsweges?
Herr Kollege Tauss, ich darf Ihnen bestätigen, dass
Sie präzise die Auffassung der Bundesregierung und der
beiden Koalitionsfraktionen wiedergegeben haben.
Das Wort zur nächsten Nachfrage hat der Kollege
Barth.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie eben auf die Frage des Kollegen Gehring, zu
welchem Zeitpunkt die Bundesregierung eine Erhöhung
der Fördersätze und der Freibeträge beabsichtigt, sinngemäß geantwortet, dass Sie die Entwicklung in diesem
Bereich weiter beobachten und gegebenenfalls reagieren
werden. Jetzt frage ich Sie: Was müsste über das hinaus,
was wir im letzten BAföG-Bericht über die Notwendigkeit einer Anpassung sowohl bezüglich der Bedarfslücke
als auch hinsichtlich des sehr langen Zeitraums seit der
letzten Anpassung gelesen haben, gegeben sein, damit
die Bundesregierung reagiert?
Herr Kollege, ein wichtiges Kriterium für uns ist angesichts der Haushaltslage, die uns für das laufende Jahr
finanzielle Restriktionen auferlegt, die sich abzeichnende positive konjunkturelle Veränderung. Wenn sich
diese verstetigt, werden wir - so glauben wir - Spielräume gewinnen. Dies wird aber im Bundeskabinett zu
besprechen sein. Zudem werden wir die für den Sommer
zu erwartende BAföG-Statistik des Statistischen Bundesamtes in Ruhe betrachten.
Damit sind wir bei Frage 23 der Kollegin Hirsch:
Welche Höhe einer Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge des BAföG ab dem Wintersemester 2008/2009
möchte die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Dr. Annette Schavan, für die Haushaltsverhandlungen 2008
einbringen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Hirsch, Sie fragen im Prinzip nach dem
gleichen Thema. Deshalb werden Sie eine ähnliche Antwort erhalten. Die Bundesregierung prüft angesichts der
sich deutlich abzeichnenden und sich verfestigenden
konjunkturellen Belebung derzeit, ob und welche Spielräume für eine Anpassung der Bedarfssätze, der Freibeträge und der Sozialpauschalen im BAföG im Jahr 2008
vorhanden sind. Die im Bundeskabinett hierzu gemeinsam getragene Einschätzung wird selbstverständlich
auch bei der gemeinsamen Beschlussfassung über den
Regierungsentwurf für den Haushalt 2008 eine Rolle
spielen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Meine Nachfrage
ist: Sie haben gesagt, dass Sie die Anpassung der
BAföG-Sätze von der Haushaltslage abhängig machen
möchten. Stimmen Sie mir zu, dass die Haushaltslage
nicht irgendein Naturereignis ist, sondern dass die Bundesregierung selbstverständlich darauf Einfluss nimmt?
Ich erwähne nur die Unternehmensteuerreform, über die
am Freitag in erster Lesung beraten werden soll.
Hat die Bundesregierung darüber diskutiert, inwieweit dort in irgendeiner Form auch Einnahmen für die
öffentlichen Kassen verloren gehen, die für so etwas wie
eine BAföG-Reform verwendet werden könnten?
Frau Kollegin, natürlich findet auch die Diskussion
über Bildungspolitik und BAföG nicht im luftleeren
Raum statt, sondern immer in Würdigung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge. Auch dies ist hier gewährleistet gewesen.
Ihre zweite Nachfrage.
Wenn dies gewährleistet gewesen ist und weil die
Bundesregierung schon mehrfach uns gegenüber erwähnt hat, welch hohe Priorität sie den Zukunftschancen
der jungen Generation beimisst und für wie wichtig sie
es hält, die soziale Ungleichheit an den Hochschulen abzubauen,
({0})
interessiert mich, ob sie hierin nicht einen gewissen
Widerspruch zu der aktuellen Politik sieht, die sie hier
verfolgt. Offensichtlich sind ihr ja an dieser Stelle Steuergeschenke an Unternehmen wichtiger als die Zukunftschancen der jungen Generation.
Die von Ihnen behaupteten Steuergeschenke sehe ich
nicht. Im Gegenteil, es geht darum, dass durch eine Unternehmensteuerreform auch ein Beitrag dazu geleistet
wird, dass in einer veränderten Wettbewerbslage - auch
in einer veränderten steuerpolitischen Wettbewerbslage - die Unternehmen in Deutschland den Standort
Deutschland weiterhin als attraktiv empfinden und hier
investieren und Arbeitsplätze schaffen. Dies alles kann
zur Festigung der konjunkturellen Aufwärtsentwicklung
beitragen. Wird diese gewährleistet, werden daraus wieder Spielräume für die Politik erwachsen, was sich dann
auch im Bereich der Bildungs- und BAföG-Politik auswirken wird.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Tauss
das Wort.
({0})
Nein, dass muss ich gar nicht tun. Die Unternehmensteuerreform ist mit Ausnahme von ein paar Punkten, die
wir im Verfahren besprechen werden, gut. Das ist doch
gar keine Frage.
Herr Staatssekretär, weil die Frage der Kollegin
Hirsch intendierte, dass es hier Zusammenhänge gebe,
frage ich Sie, ob Ihnen schon bekannt ist, dass die Kollegin Hirsch vor wenigen Minuten an einer Beratung über
eine BAföG-Anhörung teilgenommen hat, die wir exakt
unter dem Gesichtspunkt durchführen wollen, welche
Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume es gibt, um
im Bereich des BAföG etwas zu tun, und ob Sie mir darin zustimmen, dass das, was das Deutsche Studentenwerk mit dem kommenden Sozialbericht der Studierenden, der im Juni erwartet wird, vorlegen wird, sehr viel
mehr mit der Politik der Bundesregierung und der sie
tragenden Koalition im Hinblick auf eine BAföG-Erhöhung zu tun hat als die konstruierten Vorgänge, die Kollegin Hirsch hier in den Raum stellt.
Auch in diesem Fall vermag ich Ihnen nicht zu widersprechen, Herr Kollege Tauss,
({0})
sondern ich kann dies nur unterstreichen. Im Übrigen
freue ich mich, zu hören, dass Sie zwischen der Beendigung der Sitzung des Bildungs- und Forschungsausschusses und dieser Fragestunde als Berichterstatter der
Fraktionen zusammengesessen und tatsächlich diese Anhörung zum BAföG beschlossen haben. Sie wird einen
weiteren Beitrag dazu leisten, dass wir noch mehr Informationen für eine abgewogene Entscheidung erhalten.
Nachdem wir nun erfahren haben, dass dieser Gegenstand in einer öffentlichen Anhörung weiterhin erörtert
werden wird, kommen wir zur Frage 24 der Kollegin
Hirsch. Da wir uns im Plenum des Bundestages mit dem
Gegenstand der Frage in dieser Woche noch befassen
werden, wird die Frage gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. - Damit danke ich Herrn
Staatssekretär Rachel.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres
zur Verfügung.
Die Frage 25 des Kollegen Jörg Rohde wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 26 des Kollegen
Dr. Ilja Seifert.
Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Kornelia Möller
auf:
Entspricht es den Tatsachen, dass die Bundesregierung beabsichtigt, weitere Veränderungen an verschiedenen Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik vorzunehmen, so zum Beispiel sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen künftig zu
entfristen, und von welchen Überlegungen lässt sich die Bundesregierung dabei leiten?
Frau Präsidentin, wenn Sie und die Fragestellerin damit einverstanden sind, würde ich wegen des engen Zusammenhangs die Fragen 27 und 28 zusammen beantworten.
Ja, natürlich. Dann rufe ich auch die Frage 28 auf:
Stimmt es, dass die mit Erfolg angewandte Entgeltvariante
künftig nicht mehr als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gestaltet werden soll, und wie wird
diese Veränderung begründet?
Sie fragen danach, ob es die Absicht gibt, Instrumente
der Arbeitsmarktpolitik zu verändern und zu überarbeiten; außerdem fragen Sie nach bestimmten Instrumenten
und ihrer Ausgestaltung. Ich beantworte Ihre Fragen 27
und 28 wie folgt:
({0})
Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom
11. November 2005 heißt es:
CDU, CSU und SPD werden … alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf den Prüfstand stellen.
Das, was sich als wirksam erweist und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit oder zur Beschäftigung führt, wird fortgesetzt. Das, was unwirksam und ineffizient ist, wird abgeschafft. Diese
Überprüfung soll bis Ende kommenden Jahres abgeschlossen sein.
Auf der Grundlage dieser Wirksamkeitsanalyse
wird spätestens im Jahr 2007 die aktive Arbeitsmarktpolitik insgesamt grundlegend neu ausgerichtet und sichergestellt, dass die Mittel der Beitragsund Steuerzahler künftig so effektiv und effizient
wie möglich eingesetzt werden.
Die Überprüfung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wurde Ende 2006 abgeschlossen und die Ergebnisse im Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales zur Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am
Arbeitsplatz zusammengefasst. Der Bericht ist dem
Deutschen Bundestag als Drucksache 16/3982 zugeleitet
worden. Wir sind damit im Zeitplan des Koalitionsvertrages. Eine Neuregelung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente muss sorgfältig vorbereitet werden, damit der
Komplexität des Regelungsgegenstandes und der weitreichenden Auswirkungen, die mit einer Flexibilisierung
der arbeitsmarktpolitischen Instrumente verbunden sind,
Rechnung getragen werden kann. Diese Vorbereitung ist
derzeit im Gange. Festlegungen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Vorhabens gibt es noch nicht.
Nachfrage? - Bitte schön, Frau Kollegin Möller.
Ich habe keine Nachfragen, da diese keinen Sinn ergeben, wenn Sie noch nicht so weit sind. Ich werde die
Fragen bei Gelegenheit stellen. Ich danke Ihnen.
Vielen Dank. - Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe zunächst die Frage 29 des Kollegen
Dr. Norman Paech auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, auf die im Bericht vom
29. Januar 2007 ({0}) enthaltene Kritik des UN-Sonderberichterstatters über die Situation von Menschenrechten
in den palästinensischen Gebieten zu reagieren, wonach unter
anderem die Europäische Union mitverantwortlich für die humanitäre Krise in den palästinensischen Gebieten ist ({1}), und wenn ja, in welcher Weise?
Herr Kollege Paech, Ihre Frage nach dem Bericht
vom 29. Januar 2007 des UN-Sonderberichterstatters
über die Situation der Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten beantworte ich folgendermaßen:
Die in der Fragestellung enthaltene Kritik, die Europäische Union sei mitverantwortlich für die Krise im Gazastreifen, weist die Bundesregierung zurück. Die Europäische Union hat schnell auf die sich verschlechternde
humanitäre und sozioökonomische Lage im Gazastreifen
reagiert und bereits im Mai 2006 die Einrichtung eines
Übergangsmechanismus, der die Abkürzung TIM trägt,
zur Unterstützung der öffentlichen Versorgung im Gazastreifen beschlossen und umgesetzt. Die Zahlung einer
zweiten deutschen Tranche für die Finanzierung des
durch das Nahostquartett um weitere drei Monate verlängerten TIM wird derzeit geprüft. Aus dem TIM wurden 2006 zeitweise die kompletten Ausgaben für Strom
und Wasser für den Gazastreifen bestritten. Insgesamt
betrug die Entwicklungshilfe aus der Europäischen
Union - Kommission und Mitgliedstaaten zusammengenommen - im Jahr 2006 650 Millionen Euro. Im
Jahr 2005 waren es 565 Millionen Euro.
Nachfrage, Herr Kollege Paech? - Bitte schön.
Herr Staatsminister Erler, Sie haben gelesen, dass der
Berichterstatter John Dugard in seinem Bericht, der auch
diese Frage sehr detailliert behandelt hat, ausgeführt hat,
dass trotz der Überweisung der von Ihnen zitierten TIM
die Situation in der Westbank so ist, dass zwei Drittel der
Haushalte unter der offiziellen Armutsgrenze leben, und
dass in Gaza, das Sie eben erwähnt haben, 80 Prozent
der Menschen unterhalb der Armutsgrenze von 2 USDollar pro Tag leben. Er sagt ausdrücklich, dass dies
eine unmittelbare Folge der Sanktionspolitik gegenüber
der palästinensischen Regierung ist. Das heißt, er macht
trotz der Überweisungen, die nicht an die Regierung gehen, sondern an dritte Organisationen, die EU-Sanktionspolitik dafür verantwortlich, dass es eine humanitäre Katastrophe in den besetzten Gebieten und in Gaza
gibt. Sind Sie angesichts dieser Kritik nicht bereit, Ihre
Sanktionspolitik zu überdenken?
Herr Kollege Dr. Paech, ich kann nur wiederholen,
dass wir die Fakten natürlich kennen, die Dugard aufgeschrieben hat, aber seine Behauptung, dass die Europäische Union für die unbestreitbare Krise dort mitverantwortlich ist, von uns nicht geteilt wird. Ich habe darauf
hingewiesen, welche umfangreichen Maßnahmen von
der EU getroffen worden sind, um zwei Interessen miteinander zu vereinbaren. Es war unmöglich, nachdem
die Hamas die Regierung im letzten Jahr in den palästinensischen Gebieten übernommen hatte, direkt dorthin
Gelder zu überweisen. Die Europäische Union hat aber
alles getan, um herauszufinden, welche Wege man nutzen kann, um die Folgen abzumildern. Das ist durch umfangreiche Zahlungen geschehen. Zum Beispiel hat die
deutsche Seite andere Adressaten - private oder kommunale Adressaten, NGOs - genutzt. Wir haben unsere Entwicklungshilfemaßnahmen gar nicht reduziert, sondern
nur anders organisiert. Daraus lässt sich nach unserer
Auffassung eine solche Verantwortungszuweisung nicht
ableiten.
Zweite Nachfrage, bitte.
Ich möchte auf einen anderen Aspekt der humanitären
Situation zu sprechen kommen. John Dugard hat ebenfalls bezüglich Gaza darauf hingewiesen, dass ein Großteil dieser Misere darin besteht, dass die Israelis durch
ihre Besatzungspolitik dort Kriegsverbrechen begehen,
und zwar: direkte Angriffe auf Zivilisten, keine Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen, exzessive Gewaltanwendung durch unverhältnismäßige
Angriffe auf Zivilisten, Verbreitung von Terror unter der
Zivilbevölkerung und Verletzung des Verbots kollektiver
Bestrafung. All das sind nach den Genfer Konventionen
von 1949 und dem Zusatzprotokoll I von 1977 Kriegsverbrechen. Das ist unstrittig. In welcher Weise reagiert
eigentlich die Bundesregierung mit ihren sehr engen
Kontakten zur israelischen Regierung darauf?
Herr Kollege, die Bundesregierung macht die Beachtung der Menschenrechte der Palästinenser bei ihren Begegnungen mit israelischen Politikern ständig zum
Thema. Das tut auch die EU. Es geht dabei um den fortgesetzten Siedlungsbau, um den Bau der Sperranlage,
um die außergerichtlichen Tötungen und um die Verhaftungen, einschließlich der von Ministern und Abgeordneten. All das sprechen wir in all unseren Begegnungen
mit israelischen Politikern an, ohne dabei etwa das
Selbstverteidigungsrecht Israels infrage zu stellen.
Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich dem Kollegen
Gert Weisskirchen das Wort.
Sehr geehrter Herr Staatsminister, wären Sie so
freundlich und würden Sie, wenn es möglich wäre, den
Herrn Kollegen Paech darauf hinweisen, dass es sinnvoll
sein kann, sich zu überlegen, ob nicht Hamas selbst und
die palästinensische Autorität dazu übergehen sollten,
die bestehenden Möglichkeiten zu nutzen, um einen
Friedensprozess in Gang zu setzen? Man könnte beispielsweise die Angebote des Quartetts annehmen. Wenn
Gert Weisskirchen ({0})
das geschähe, könnte ein Prozess in Gang gesetzt werden, der relativ rasch dazu führen kann, dass die Situation in Palästina und im Gazastreifen sich entspannt, wodurch es zu einem zivilen, sich selbst tragenden Prozess
kommen kann.
Herr Kollege Weisskirchen, ich bestätige gern, dass
die drei Quartettkriterien - Anerkennung des Existenzrechts Israels, Gewaltverzicht und Anerkennung der bisher geschlossenen Friedensabkommen - weiterhin bestehen und dass die Erfüllung dieser Kriterien
selbstverständlich auch Folgen für den internationalen
Unterstützungsmechanismus hätte. Ich verbinde das mit
einem Hinweis auf unsere Hoffnung, die wir im Zuge
der Bildung der Regierung der nationalen Einheit natürlich haben.
Wir kommen zur Frage 30 des Kollegen Dr. Paech:
Spricht aus Sicht der Bundesregierung etwas gegen den in
dem oben genannten Bericht ({0}) enthaltenen Vorschlag, ein Gutachten - Advisory-Opinion - des Internationalen Gerichtshofes, IGH, zu der Frage anfordern zu lassen,
welche rechtlichen Konsequenzen sich aus einem dauerhaften
militärischen Besetzungsregime ergeben, das Züge von Kolonialismus und Apartheid trage ({1}), und,
wenn ja, was?
Herr Kollege Dr. Paech, Art. 96 der Charta der Vereinten Nationen bestimmt, dass nur der Sicherheitsrat
und die Generalversammlung sowie mit entsprechender
Ermächtigung durch die Generalversammlung andere
Organe der Vereinten Nationen und Sonderorganisationen ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs über
eine Frage des Völkerrechts anfordern können. Einem
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen steht diese Möglichkeit nicht offen.
Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen auch bekannt, dass man
einen solchen Prozess, der meistens von der UN-Generalversammlung ausgeht, initiieren kann? Man kann den
Antrag stellen, dass die Situation vom IGH überprüft
wird.
Wir haben das im Fall des Mauerbaus in Israel, in Palästina gehabt. Ich darf daran erinnern, dass bei der Besetzung Südwestafrikas durch Südafrika der Internationale Gerichtshof insgesamt viermal Gutachten erstellt
hat.
Der Gutachter Dugard hat Formen des Kolonialismus
in den besetzen Gebieten insbesondere darin gesehen,
dass die Siedlerzahlen in Jerusalem auf 200 000 und in
der Westbank auf 260 000 gestiegen sind, auch gegenwärtig noch permanent steigen, und dass die Pläne, die
drei Siedlungsblöcke Gush Etzion, Ma’aleh Adumim
und Ariel zu integrieren, die territoriale Integrität Palästinas zerstören und damit eigentlich auch, dem Ziel der
Bundesregierung, zwei Staaten zu gründen, das heißt
auch ein lebensfähiges Palästina zu schaffen, diametral
entgegengesetzt sind.
Herr Kollege Paech, Ihre ausführlichen Zitate aus
dem Gutachten ändern nichts daran, dass wir Ihre ursprüngliche Frage, nämlich wie wir uns dazu stellen,
eine solche „advisory opinion“ einzuholen, nur beantworten können, indem wir darauf hinweisen, wer das tun
kann und wer nicht. Das habe ich getan.
({0})
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Wenn Sie meinen, dass Sie das nicht können - das ist
nur eine Frage der politischen Ansicht und nicht der juristischen Unmöglichkeit -, möchte ich nur noch eines
sagen. John Dugard hat auch darauf hingewiesen, dass
gerade das System der Checkpoints und der Straßensperren etwas ist, was ihn an Südafrika erinnert, an das System der Passgesetze, und dass das eigentlich das System
gewesen ist, was den Hass der Bevölkerung und die Ablehnung des Systems am meisten forciert hat. Das steht
auch im vollständigen Gegensatz zu Ihren Bemühungen,
den Bemühungen der Bundesregierung, Ausgleich und
Frieden zu schaffen.
Wenn Sie schon nicht meinen, dass der IGH hilfreich
ist, ist die Frage: Was machen Sie stattdessen? Wir haben zum Beispiel nie einen öffentlichen Protest gehört,
obwohl es den andernorts gibt. Sie wissen, dass dem Unterhaus in Großbritannien jetzt ein Antrag auf Suspension der EU-Assoziation vorliegt. Es gibt von anderen
Regierungen durchaus öffentliche Proteste.
Vielleicht hätte ich bei meiner Antwort auf Ihre erste
Zusatzfrage noch anfügen sollen, Herr Kollege Paech,
dass wir nicht nur das Thema der Sperranlagen und die
Tatsache, dass sie nicht der „Grünen Linie“ folgen, sondern natürlich auch das der Straßenkontrollen und der
Behinderung praktisch der Freizügigkeit der palästinensischen Bevölkerung - das stellt natürlich ein großes soziales, kulturelles, aber auch wirtschaftliches Problem
dar - in unseren Begegnungen mit der israelischen Seite
regelmäßig kritisch ansprechen. Das werden wir auch
fortführen.
Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage im Vierten
Bericht des International Development Committee im britischen Unterhaus vom 31. Januar 2007, wonach jegliche internationale Hilfe für die palästinensischen Gebiete von der
israelischen Regierung durch „unverhältnismäßige Maßnahmen“ wie die Errichtung der Mauer, die Grenzposten und die
Einschränkungen der palästinensischen Wirtschaft und des
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Handels konterkariert werde ({0}), und über welche diesbezüglichen Erfahrungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Verteuerung von Entwicklungsmaßnahmen durch derartige
Maßnahmen, verfügt sie?
Frau Kollegin Hänsel, Sie haben den Bericht des International Development Committee im britischen Unterhaus von Ende Januar angesprochen. Meine Antwort
lautet folgendermaßen:
Die EU weist regelmäßig auf die besondere Verantwortung der Konfliktparteien hin sowie darauf, die Zerstörung ziviler Infrastruktur zu unterlassen und die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten. Der der Frage
zugrunde liegende Sachverhalt, dass die Entwicklungsmaßnahmen in einem nicht gelösten bewaffneten Konflikt besonderen Hemmnissen unterliegen, ist weithin
unbestritten. Es ist jedoch nicht möglich, die entstandenen
und noch entstehenden Erschwernisse zu quantifizieren.
Fest steht, dass sich die volkswirtschaftlichen Kosten
des Konflikts auch nachteilig auf die Durchführung und
die Zielerreichung der Entwicklungsmaßnahmen auswirken. Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit
werden durch Einschränkungen der Bewegungsfreiheit
verzögert, was zu zusätzlichen Kosten und einem erhöhten Koordinierungsaufwand bei der Umsetzung von Projekten führt.
Nachfrage.
Danke schön. - Herr Staatsminister, ich habe eine
Nachfrage. Sie haben Kontakt zu den deutschen Durchführungsorganisationen, die uns bei der Reise vor Ort
schon aufgelistet haben, wie teuer Entwicklungsprojekte
aufgrund der erhöhten Sicherheitsauflagen plötzlich
werden und wie vieles nicht durchgeführt werden kann
oder sich verzögert. Dazu gibt es natürlich schon konkrete Erfahrungen. Meine Frage: Streben Sie an, einmal
aufzulisten, um wie viel solche Projekte aufgrund vielleicht unverhältnismäßig hoher Sicherheitsauflagen teurer werden? Immerhin geht es hier um Gelder der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen.
Frau Kollegin, ich habe ja eben schon bestätigt, dass
es solche Erschwernisse und dadurch auch erhöhte Kosten gibt. Ich weiß bloß nicht, ob es irgendeinen Sinn
macht, das im Detail statistisch zu erheben. Wir setzen
politisch eigentlich auf eine andere Karte. Wie Sie sicher
beobachtet haben, setzt die Bundesregierung darauf, den
Nahostfriedensprozess wieder in Gang zu bekommen.
Sie hat sich in den letzten Monaten sehr intensiv darum
bemüht, und inzwischen hat es schon wieder zwei Sitzungen des Nahostquartetts gegeben. Es gibt also Hoffnung, dass sich hier wieder etwas bewegt. Ich glaube,
das ist die bessere politische Antwort, als statistische Erhebungen darüber durchzuführen, wie einzelne Entwicklungsmaßnahmen behindert werden.
({0})
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Danke schön. - Meine zweite Nachfrage: Ich sehe das
nicht so optimistisch. Ich sehe bisher eigentlich noch gar
keine konkreten Ergebnisse im Zusammenhang mit diesen Sitzungen. Es stimmt: Es gab viele Sitzungen mit
hohem Sicherheitsaufwand, auch hier in Berlin. Aber eigentlich ist bisher wenig dabei herausgekommen. Es
wurden auch bereits früher viele Abkommen unterzeichnet.
Ich möchte noch einmal nachfragen: Was macht die
Bundesregierung? Die israelische Regierung hat zum
Beispiel im November 2005 das Agreement on Movement and Access unterschrieben, in dem es genau um die
Fragen der Freizügigkeit von Palästinensern und Palästinenserinnen geht. Es geht um genau dieses ganze System von Checkpoints und Roadblocks, das aufgehoben
werden muss, um zu einer Verbesserung der Situation zu
kommen. Es würde ja auch das Klima für Verhandlungen verbessern, wenn die Bevölkerung merkt: Es gibt
ein Goodwill auf der anderen Seite.
Meine Frage: Was tun Sie, um zu erreichen, dass die
israelische Regierung dieses Dokument, das sie unterzeichnet hat, auch umsetzt?
Frau Kollegin Hänsel, Ihren nicht vorhandenen Optimismus bedauere ich natürlich. Ich glaube, dass man
ohne ein Mindestmaß an Optimismus mit einem Konflikt wie diesem eigentlich gar nicht umgehen kann. Ich
kann nicht nur auf irgendwelche Sitzungen verweisen,
sondern zum Beispiel auch darauf, dass jetzt konkret
vereinbart worden ist, dass alle 14 Tage Gespräche zwischen Premierminister Olmert und Präsident Abbas stattfinden sollen. Bis vor kurzem gab es überhaupt noch
keine Aktivitäten im lange unterbrochenen Nahostfriedensprozess. Ich schließe daraus schon, dass ein bisschen Bewegung in den Prozess kommt.
Zu dem zweiten Teil Ihrer Nachfrage verweise ich
noch einmal auf meine Antwort an Ihren Kollegen Herrn
Dr. Paech. Überall da, wo es sich anbietet und wo es notwendig ist, fragen wir nach und sprechen die Behandlung der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Seite in unseren Begegnungen an, und wir werden
das auch weiter tun.
Wir kommen nun zur Frage 32 der Kollegin Hänsel.
Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage im vierten
Bericht des International Development Committee im britischen Unterhaus vom 31. Januar 2007, wonach die Politik der
internationalen Gemeinschaft, die gewählte palästinensische
Regierung zu isolieren, zu nicht gewünschten Effekten wie einer Annäherung der Hamas an den Iran führe und daher nicht
dazu beitrage, den Konflikt zu lösen?
Frau Kollegin Hänsel, die in dem Bericht des International Development Committee im Britischen Unterhaus
angesprochene Vermutung, durch das Ausbleiben von
Zahlungen an die palästinensche Regierung habe sich
die Hamas mehr dem Iran angenähert, teilt die Bundesregierung nicht. Es besteht nach Einschätzung der Bundesregierung kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Politik der internationalen Gemeinschaft
gegenüber der palästinensischen Regierung und der Beziehung der Hamas zum Iran.
Eine Nachfrage. Bitte schön.
Danke schön, Herr Staatsminister. - Auch dazu noch
eine Nachfrage. Aber Sie können sich doch vorstellen,
dass sich die legitim gewählte Regierung bei der prekären Situation, in der sich die palästinensische Bevölkerung befindet - die Berichte des UN-OCHA sind ja dramatisch; mein Kollege hat es auch angesprochen -, auch
nach anderen Geldgebern und nach anderen Geldquellen
umschaut. Würden Sie mir dahin gehend recht geben,
dass diese Vermutung vielleicht stimmt?
Ich unterscheide hier zwischen persönlicher Vorstellungskraft und Erkenntnis. Natürlich kann ich mir das
vorstellen, aber meine Kenntnis bezieht sich darauf, dass
Hamas schon lange intensive Beziehungen zum Iran unterhält. Der Iran ist übrigens auch von sich aus in Richtung Hamas aktiv geworden. Es ist ja auch nicht ganz
unbekannt, dass hier schon in der Vergangenheit, längst
bevor Hamas Regierungsmitglied geworden ist, erhebliche Gelder geflossen sind. Deswegen teile ich eben nicht
die Einschätzung, das sei eine neue Entwicklung. Das ist
eine schon bekannte Tatsache, und deswegen brauche
ich auch meine Vorstellungskraft nicht zu bemühen.
Eine zweite Nachfrage.
Würden Sie mir nicht recht geben, dass die internationale Gemeinschaft dann umso mehr gefordert wäre, eine
alternative Politik zu entwickeln, um neue Optionen für
die palästinensische Regierung zu ermöglichen, dass es
dann umso wichtiger wäre, dass wir in der Region präsent sind, statt zu boykottieren und zu sanktionieren?
Ähnlich handeln wir ja auch im Libanon: Wir stärken
eher „radikalere Kräfte“, indem wir Sanktionen, Boykott
und Abwesenheit vorziehen, statt in dieser Region präsent zu sein und den Aufbau mitzugestalten. Diese Isolationspolitik ist angesichts des Ziels, auch bei der palästinensischen Regierung eine andere Richtung zu
befördern, doch völlig kontraproduktiv.
Frau Kollegin Hänsel, Ihre Beurteilung, dass die EU
boykottiert, isoliert und sanktioniert, teile ich nicht. Die
EU ist konsequent darin, nach den drei Kriterien, die formuliert worden sind - ich will sie jetzt nicht noch einmal
nennen -, zu handeln, völlig offen zu bleiben für eine
Regierung - das ist vor kurzem von der EU, aber auch
von dem Nahostquartett noch einmal erklärt worden -,
die sich zu diesen drei Kriterien endlich bekennt, und
prinzipientreu zu bleiben, indem sie keine Zahlungen an
eine Organisation leistet, die, auch nachdem sie Regierungsverantwortung übernommen hat, nicht von kampfbetonten, gewaltbereiten Aktionen abgeht und international, auch bei der EU, auf den Listen mit
Terrororganisationen steht. Das hat nichts mit Boykott
zu tun, sondern das ist Prinzipientreue.
Eine Frage des Kollegen Weisskirchen. Bitte schön.
Herr Staatsminister, ich habe die Frage von Frau
Hänsel so verstanden, dass es eine Alternative geben
solle zu dem Prozess, der vom Quartett erfunden worden
ist und jetzt wieder belebt werden soll. Ich sehe keine realistische Alternative und frage Sie, ob Sie entsprechend
dem Grundtenor der Frage der Kollegin eine andere Alternative sehen als den Friedensprozess, der vom Quartett in Gang gesetzt worden ist.
Ich kann nur noch einmal bestätigen, dass aus unserer
Sicht im Augenblick das Wichtigste ist, das Momentum
für eine Wiederbelebung des Nahostfriedensprozesses zu
nutzen, bei gleichzeitig erklärter Offenheit für eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit der neuen palästinensischen Regierung, der nationalen Einheit, wenn
nicht nur die Plattform, sondern auch die ersten Aktivitäten dieser Regierung in die Richtung der Kriterien des
Nahostquartetts gehen.
Wir kommen jetzt zur Frage 33 der Kollegin Monika
Knoche:
In welcher Form setzt die Bundesregierung die UN-Resolution 1325 ({0}) bei ihrer Nahostpolitik, insbesondere im
Hinblick auf palästinensische Gebiete und die Förderung
frauen- und friedenspolitischer Organisationen, um?
Frau Kollegin Knoche, Sie haben nach der UNOResolution 1325 vom Jahr 2000 gefragt. Ich beantworte
die Frage wie folgt:
Die Resolution 1325 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 2000 fordert die stärkere Beteiligung von Frauen bei nationalen, regionalen
und internationalen Konfliktverhütungs-, Konfliktbearbeitungs- und Konfliktlösungsmechanismen. Die Bundesregierung unterstützt nachdrücklich die Zielrichtung
und alle konkreten Ansätze zur Umsetzung der
Sicherheitsratsresolution 1325 im Rahmen der Vereinten Nationen. Die deutsche Unterstützung für die palästinensischen Gebiete betrug im Jahr 2006 42,5 Millionen Euro. Die damit finanzierten Maßnahmen, unter
anderem Projekte im Sinne der Resolution 1325 zur
Konfliktbearbeitung und stärkeren Beteiligung von
Frauen, dienen dazu, die Lebensbedingungen von Palästinensern und Palästinenserinnen zu verbessern und
damit Grundlagen für die Lösung des Nahostkonflikt zu
schaffen. Bei jeder einzelnen Maßnahme wird auch das
Kriterium der Geschlechtergerechtigkeit beachtet.
Nachfrage?
Nein.
Dann kommen wir zur Frage 34 der Kollegin Knoche:
Wie steht die Bundesregierung zu den Forderungen israelischer Frauenorganisationen, keine Waffen mehr aus
Deutschland nach Israel zu liefern und Konzepte für ein Ende
der Rüstungsspirale im Nahen Osten in ihre diplomatischen
Beziehungen einzubringen?
Frau Kollegin Knoche, Sie fragen nach Forderungen
der israelischen Frauenorganisationen, was Waffenexporte angeht. Ich beantworte die Frage wie folgt:
Die Bundesregierung verfolgt generell eine restriktive
Linie beim Export von Rüstungsgütern. Entscheidungen
werden nach Einzelfallprüfungen vorgenommen. Dabei
spielt die aktuelle politische Lage ebenso eine Rolle wie
die historischen Sonderbeziehungen zwischen Deutschland und Israel. Die Bundesregierung setzt sich nachdrücklich für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Kernkonfliktes und der anderen Konflikte im
Nahen Osten im Wege von Verhandlungen ein.
Auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft und des
G-8-Vorsitzes stehen politische Lösungen und ein friedlicher Interessenausgleich im Nahen Osten im Mittelpunkt aller unserer Anstrengungen. Mit dieser Politik
trägt die Bundesregierung dazu bei, militärische Spannungen abzubauen.
Ich möchte hinzufügen - das ist eigentlich selbstverständlich -: Das Existenzrecht Israels ist deutsche Verpflichtung. Seine Sicherung ist unveräußerliche Grundlage deutscher Außenpolitik. Das galt unter allen
Regierungen der Bundesrepublik und steht im parteiübergreifenden Einklang. Dazu gehört auch die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, Israel die zu seiner Verteidigung notwendigen Waffen zu liefern.
Nachfrage?
Herr Staatsminister Erler, ich möchte zunächst sagen,
dass ich trotz mehrjähriger Abgeordnetentätigkeit heute
zum ersten Mal aktiv an der Fragestunde teilnehme.
Herzlichen Glückwunsch.
Ich bitte Sie also um Verständnis, dass ich mit den
Gewohnheiten einer Fragestunde noch nicht allzu sehr
vertraut bin.
Herr Staatsminister, ich wollte Sie fragen: Unterstützt
die Bundesregierung konkret und ganz gezielt Frauenorganisationen in Israel, die sich gegen eine Waffenimportpolitik aussprechen? Ihre allgemeine Beschreibung, dass
man die Ziele der Geschlechtergerechtigkeit aufnimmt
und im Geiste der UN-Resolution 1325 handelt, beinhaltet eigentlich noch keine Aussage darüber, ob denn die
Projekte der vielen Frauenorganisationen, die in den
Konfliktgebieten tägliche Friedensarbeit verrichten und
an den Grenzübergängen vor Ort tätig sind, gefördert
werden.
Mit Blick auf das innergesellschaftliche Verhältnis in
Israel, wo auch arabische Israelinnen eine wichtige Rolle
spielen, und mit Blick auf das israelisch-palästinensische
Verhältnis muss diese tägliche Friedensarbeit der Frauenorganisationen viel stärker international beachtet werden. Das war der Hintergrund meiner Fragen, die aus einer Reise einer Delegation der Linksfraktion dorthin
resultieren.
Frau Kollegin Knoche, Sie haben nun eine Verbindung zwischen Ihrer ersten und Ihrer zweiten Frage hergestellt.
Ja.
Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass in der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000
gefordert wird, dass die Rolle von Frauen im Rahmen
von Konfliktlösungsstrategien stärker gefördert werden
soll. Das tun wir; dafür könnte ich Ihnen viele einzelne
Beispiele nennen. Deutschland wird für seinen Einsatz
auf diesem Gebiet international - es gibt einen speziellen
Freundeskreis der Resolution 1325 - respektiert und gelobt.
Aber, Frau Kollegin Knoche, das heißt natürlich
nicht, dass dadurch ein Automatismus entsteht, sich jede
einzelne konkrete Forderung einer Frauenorganisation,
die sich mit dem Frieden beschäftigt, zu eigen zu machen. Sie haben als Beispiel eine israelische Frauenorganisation genannt. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass
diese Organisation im Gegensatz zu der überwiegenden
Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit steht, die keineswegs die Kritik dieser Organisation an einer Unterstützung, wie sie auch Deutschland leistet, übernimmt.
Eine Unterstützung jeder Forderung wäre weder im
Sinne der Resolution 1325 noch würde dadurch unserem
Verhältnis zum Staat Israel ein Dienst erwiesen werden.
Man muss zwischen einer Unterstützung der Rolle von
Frauenorganisationen und von Einzelforderungen unterscheiden, die nicht immer automatisch von uns übernommen werden können.
Danke schön.
Dann kommen wir zur Frage 35 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke:
Sollte die Bundesregierung die Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung als Anlass nehmen, um als EU-Ratspräsidentin auf die Aufhebung der Sanktionen insbesondere
des Zahlungsboykotts hinzuwirken, und falls nicht, wie begründet sie dies?
Herr Kollege Gehrcke, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt:
Die Bundesregierung hat sich in ihrer Eigenschaft als
Präsidentschaft der EU bereits am 17. März 2007 in einer anlässlich der Vereidigung der neuen palästinensischen Regierung herausgegebenen und im EU-Rahmen
abgestimmten Erklärung zu der Frage geäußert, ob die
Sanktionen gegen die palästinensischen Gebiete aufgehoben werden sollen. In der Erklärung wird auch auf die
Bereitschaft der EU verwiesen, „mit einer rechtmäßigen
palästinensischen Regierung, die eine Plattform verabschiedet, welche die Grundsätze des Quartetts widerspiegelt, zusammenzuarbeiten und ihre Hilfe wieder aufzunehmen“.
Weiter heißt es - ich zitiere erneut -:
Die EU wird die Plattform und die Maßnahmen der
neuen Regierung und ihrer Minister sorgfältig bewerten. Eingedenk der Bedürfnisse des palästinensischen Volkes wird die EU ihre lebenswichtige
Unterstützung durch den Vorläufigen Internationalen Mechanismus
- TIM so lange fortsetzen, bis die finanzielle Lage und die
künftigen Bedürfnisse bewertet werden können und
ein tragfähiger Rahmen für die Unterstützung geschaffen werden kann.
Die EU fordert in diesem Zusammenhang die Freigabe der von Israel einbehaltenen palästinensischen
Steuer- und Zolleinnahmen an den palästinensischen
Präsidenten bzw. an den internationalen Finanzierungsmechanismus.
Eine Nachfrage, Kollege Gehrcke?
Herr Präsident, ich würde gerne nachfragen.
Bitte schön.
Herr Staatsminister, ich glaube, dass man ohne Übertreibung sagen kann, dass die neue palästinensische Einheitsregierung und namentlich Präsident Abbas ein sehr
hohes Risiko eingegangen sind, um diese Regierung zu
bilden. Erinnern Sie sich an die Ankündigung, für den
Fall, dass es keine Übereinkunft gibt, Neuwahlen auszuschreiben. Erinnern Sie sich an die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Palästina, die auch auf die schwierige
Konferenz in Mekka zurückzuführen sind.
Meinen Sie nicht auch, dass es für die neue Regierung
- und nicht nur für den Präsidenten - eine Ermutigung
wäre, wenn sie verspüren könnte, dass auch vonseiten
der Europäischen Union auf sie zugegangen wird und
Hindernisse, die noch vorhanden sind, aus dem Weg geräumt werden? Wäre es jetzt nicht der richtige Moment,
die bestehenden Sanktionen zu beenden, um überhaupt
Bewegung in den ganzen Prozess zu bekommen? Denn
die Absage Israels, mit der neuen Regierung Gespräche
zu führen und zu ihr Kontakte herzustellen, war ja sehr
brüsk.
Herr Kollege, es ist in der Tat sehr zu begrüßen, dass
die neue Regierung der nationalen Einheit gebildet worden ist. Dies haben auch die EU und das Nahostquartett
begrüßt. Allerdings ist es so, dass die drei Kriterien, die
erfüllt werden sollen, in der von mir genannten Plattform
noch nicht zu sehen sind. Am Ende kommt es natürlich
darauf an, was tatsächlich passiert.
Ich selber habe - das wissen Sie - erste Gespräche
mit zwei Ministern aus der neuen Regierung geführt und
zum Beispiel zum Ausdruck gebracht, dass es natürlich
ganz wichtig wäre, dass Bewegung in die Frage der Freilassung des Soldaten Schalit kommt und dass die neue
Regierung ein Signal setzt, was den alltäglichen Beschuss mit Quassam-Raketen, der leider immer noch
stattfindet, angeht. Das würde natürlich helfen, einen
Prozess einzuleiten, der schneller zu einer Beendigung
der Sanktionen führt.
Wenn Sie die Texte der EU und des Nahostquartetts
genau lesen, dann stellen Sie fest, dass durchaus nicht
nur beschlossen worden ist, noch einmal für drei Monate
TIM fortzusetzen. Da wird vielmehr ganz klar gesagt:
Wir brauchen diese Zeit, um eine Wiederherstellung des
alten Mechanismus vorzubereiten. Das hat übrigens
auch der neue, uns gut bekannte Finanzminister der palästinensischen Regierung der nationalen Einheit gesagt.
Er hat zum Ausdruck gebracht, auch er selber brauche
ein paar Monate, um den damals bestehenden Finanzmechanismus wiederherzustellen.
Wir sollten also nicht ungeduldiger sein, Herr Kollege
Gehrcke, als unsere Partner auf der palästinensischen
Seite selber, die durchaus Verständnis dafür haben, dass,
auch wenn Evidenz für den neuen Charakter dieser Regierung vorhanden ist, nicht über Nacht sofort alles wieder geändert werden kann.
Eine zweite Nachfrage?
Ja, eine zweite Nachfrage. - Herr Staatsminister, ich
hätte mich gar nicht getraut, Sie öffentlich nach Ihren
Gesprächen mit Ministern der neuen palästinensischen
Regierung, die der Fatah angehören, zu fragen. Aber da
Sie diese selber angesprochen haben, frage ich Sie: Meinen Sie nicht auch, dass in Palästina und in anderen
Teilen der Welt die sehr unterschiedlichen europäischen
Haltungen wahrgenommen werden? Es gibt keine gemeinsame europäische Position. Die Differenzen sind
größer, als sie öffentlich zugegeben werden. Ich erinnere
daran, dass Norwegen - ich weiß, Norwegen ist kein
Mitglied der EU; Kollege Weisskirchen braucht sich
nicht zu melden - auf der Ebene eines Unterstaatssekretärs direkte Beziehungen zu der neuen Regierung aufgenommen hat. Sie kennen die Erklärungen, die aus der
belgischen Regierung zu vernehmen sind. Sie kennen
die Erklärungen des italienischen Außenministers
D’Alema. Sie alle sagen: Es muss jetzt rasch ein deutliches Zeichen an die palästinensische Regierung geben.
Macht man das nicht am besten, indem man die Sanktionen generell zurücknimmt?
Herr Kollege Gehrcke, ich stelle bei Ihnen zum zweiten Mal eine geradezu revolutionäre Ungeduld fest; ich
sehe darin eher einen Ansporn als eine Gefährdung.
Die Bundesregierung ist in der Tat daran interessiert,
die nächsten Chancen zu nutzen, sich hier möglichst mit
den anderen europäischen Staaten auf eine gemeinsame
Haltung zu verständigen. In dieser Woche gibt es eine
gute Gelegenheit, hier weiterzukommen: das bevorstehende Gymnich-Treffen der europäischen Außenminister am kommenden Wochenende in Bremen. Auf der Tagesordnung steht eine Beratung darüber, wie man jetzt
auf die neugebildete Regierung der nationalen Einheit
reagiert. Die Regierung wurde am 17. März bestätigt,
heute haben wir erst den 28. März; deshalb muss man in
Kauf nehmen, dass in der Zwischenzeit einige der europäischen Staaten noch nicht völlig abgestimmt reagiert
haben.
Wir kommen zur Frage 36 des Kollegen Gehrcke:
Stimmt die Bundesregierung dem UN-Sonderberichterstatter über die Situation von Menschenrechten in den palästinensischen Gebieten in seinem Bericht vom 29. Januar 2007
zu, wonach die „Belagerung“ von Gaza eine „kollektive
Bestrafung“ darstelle und daher gegen die vierte Genfer Konvention verstoße, und, falls nicht, wie begründet sie dies?
Herr Kollege Gehrcke, die Bewertung, ob in Gaza gegen die vierte Genfer Konvention verstoßen wird, hängt
vom völkerrechtlichen Status des Gazastreifens seit dem
Abzug der israelischen Truppen im August 2005 ab.
Dieser Status wird unterschiedlich beurteilt: Während Israel der Ansicht ist, dass mit diesem Abzug die Verantwortung für die Zivilbevölkerung des Gazastreifens auf
die palästinensische Autonomiebehörde übergegangen
ist, wird von anderer Seite die Meinung vertreten, das
Besatzungsregime bestehe auch nach dem Abzug fort.
Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Präsident, wenn Sie mir die Gelegenheit einräumen, zwei Nachfragen zu stellen, werde ich davon Gebrauch machen.
Meine erste Nachfrage ist: Sie wissen, dass das Völkerrecht gerade für meine Fraktion immer eine außerordentlich große Bedeutung hat. Unabhängig vom Völkerrecht registriert aber doch jeder, dass insbesondere in
Gaza, aber auch in der Westbank eine geballte soziale
Katastrophe geschieht, die es notwendig macht, dem
Eindruck einer kollektiven Bestrafung offensiv entgegenzutreten, am besten dadurch, dass die Hilfsmaßnahmen auch auf offizieller Ebene wieder vollständig aufgenommen werden und dass man praktische Hilfe leistet.
Herr Kollege Gehrcke, es stimmt natürlich, dass das
Völkerrecht eine kollektive Bestrafung der Bevölkerung
verbietet; darauf weisen wir die israelische Seite bei entsprechenden Gelegenheiten hin. Ich habe schon gesagt,
dass wir hier die israelische Seite an ihre finanzielle Verantwortung erinnern, indem wir sie auffordern, die zurückgehaltenen Zoll- und Steuerrückzahlungen zur Verfügung zu stellen; dies haben wir nicht ohne Erfolg
getan. Im Dezember ist, wie Sie wissen, eine Abschlagszahlung - so kann man das vielleicht nennen - von
100 Millionen Dollar geleistet worden. Das Geld ist direkt in die palästinensischen Kassen geflossen.
Zweite Nachfrage, bitte schön.
Zu meiner zweiten Nachfrage. Wenn ich mich nicht
täusche, liegt die Gesamtsumme, die Israel den Palästinensern allein auf dieser Ebene schuldig ist, bei rund
600 Millionen Dollar.
Deswegen spreche ich von einer Abschlagszahlung.
In der Antwort auf die Frage meines Kollegen
Norman Paech haben Sie im Grunde angedeutet - ich
glaube, ich habe Sie da richtig verstanden -, dass die
Bundesregierung ihre Hilfsmaßnahmen nicht verringert,
sondern umgeschichtet hat, und zwar zugunsten ziviler
und anderer Organisationen. Das kann ich folgendermaßen interpretieren: Sie haben trickreich die offiziellen
Sanktionen unterlaufen und betreiben praktisch eine andere Politik. Hierbei klammern Sie die Regierung - sie
hat die Autorität - aus. Meinen Sie, dass das auf Dauer
tragfähig ist?
Ich weiß nicht, ob die Bundesregierung hier „trickreich“ war. Sie hat völlig korrekt gehandelt, weil sie verStaatsminister Gernot Erler
hindert hat, dass irgendeine bilaterale Zahlung der Bundesrepublik Deutschland auf das falsche Konto ging.
Wir haben den Weg gewählt, weiterhin etwas für die
Versorgung der palästinensischen Bevölkerung zu tun;
die Zahlungen hatten einen Umfang von 42,5 Millionen Euro. Dabei haben wir mit anderen Partnern, privaten Partnern, Kommunen und NGOs, kooperiert. Außerdem haben wir uns im letzten Jahr mit 20 Millionen Euro an dem TIM-Prozess beteiligt. Hinzu kommen
jährlich etwa 5 Millionen Euro an direkter humanitärer
Hilfe.
Diese Politik kann man, so denke ich, durchaus rechtfertigen, weil sie ausgeglichen ist. Wir haben darauf geachtet, dass die Kriterien erfüllt werden und aus dem
Ganzen nicht irgendeine potenzielle Finanzierung von
Hamas abgeleitet werden konnte. Wir haben im Interesse
der palästinensischen Zivilbevölkerung aus unserem
Geld das Beste gemacht. Ich glaube, das ist eine Politik,
zu der man stehen kann.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Die nicht
aufgerufenen Fragen werden nach den Vorschriften der
Geschäftsordnung behandelt. Die Fragen 37 bis 44 aus
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit sowie die Fragen 45 bis 49 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung werden schriftlich beantwortet.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zu
den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 12
und 13 der Abgeordneten Undine Kurth zum nationalen
Biotopverbund eine Aktuelle Stunde verlangt. Diese
werden wir jetzt abhalten.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen
Nationaler Biotopverbund
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Undine Kurth von Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Vor ungefähr einem Jahr, am 30. Mai 2006, fand in Bonn der
Festakt „100 Jahre Naturschutz als Staatsaufgabe“ statt.
Die Bundeskanzlerin sagte damals den klugen Satz, dem
man nur zustimmen kann: Naturschutz ist kein Luxus,
sondern zentraler Bestandteil von Umweltpolitik.
({0})
Professor Klaus Töpfer hat auf der gleichen Veranstaltung gesagt: Naturschutz ist nicht emotionale Neigung,
sondern ökonomisches Denken. - Auch das verdient eigentlich Applaus. Der Staatssekretär hat in den Antworten auf unsere Fragen vorhin gesagt, dass Naturschutz
ein Kernthema von Umweltpolitik sei.
Auch Minister Gabriel wird nicht müde, richtigerweise immer wieder zu sagen, wie stark die Verpflichtung Deutschlands ist, für den Erhalt der Natur, für den
Erhalt des Artenschutzes, für den internationalen Biodiversitätsschutz einzutreten. Auf der Bundespressekonferenz zum Thema „Rote Listen gefährdeter Biotoptypen“ sagte er heute richtigerweise: Wir können
Indonesien schlecht auffordern: „Lasst die Wälder stehen, damit der Berggorilla leben kann!“, wir können
nicht Afrika auffordern: „Liebe Afrikaner, kommt mit
Elefanten und Löwen gut aus!“, wenn wir hier nicht genug tun, um die eigene Natur, den oft gescholtenen Feldhamster und die Mopsfledermaus, zu schützen. - All das
ist richtig. Er hat heute auch gesagt, dass wir gerade dabei sind, die Datenbank der Natur zu löschen, und zwar
nicht auf der Diskette, sondern auch auf der Festplatte.
Die Aussterberate ist nämlich so hoch wie noch nie. Auf
dem G-8-Treffen der Umweltminister wurde eine „Potsdam-Initiative zur biologischen Vielfalt 2010“ vereinbart. Es soll definiert werden, was wir tun müssen, um
das Artensterben aufzuhalten.
Zum großen Thema Klimawandel. Alle reden darüber. Allen wird plötzlich bewusst, was es bedeutet,
wenn wir nichts unternehmen. Herr Staatssekretär, Sie
haben vorhin richtigerweise gesagt, dass es Annahmen
gibt, nach denen zwischen 5 und 30 Prozent der uns bekannten Tier- und Pflanzenarten in absehbarer Zukunft
- das werden wir noch erleben können - aussterben werden, wenn wir nicht handeln. All dem stimmen wir zu.
Da gibt es nichts zu widersprechen.
Uns liegt ein Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen vor, das darlegt, wie kompliziert
die Verwaltung im Bereich Umwelt in unserem Land organisiert ist. Der Vorsitzende dieses Sachverständigenrates, Professor Koch, überschreibt sein Gutachten mit
der provokanten Überschrift „Umweltverwaltung an der
Grenze ihrer Leistungsfähigkeit“. Das heißt ganz offensichtlich, dass der von allen beschworenen Aufgabe in
diesem Land momentan zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Wenn der Erhalt der Biodiversität eine existenzielle
Frage ist, wenn es nicht nur darum geht, ob es uns draußen gefällt oder ob es schön aussieht, sondern wenn die
Biodiversität unsere Lebensgrundlage ist, dann müssen
wir uns darüber unterhalten, dass Artenschutz Regeln
braucht.
({1})
Es gibt Regeln als Gesetzesgrundlage und Regeln im
Vollzug. Im Vollzug sieht es nicht so großartig aus. Das
haben wir ja gerade gehört. Wie sieht es bei der Gesetzesgrundlage aus?
Wir sind vom Europäischen Gerichtshof aufgefordert
worden, das Naturschutzgesetz dieses Landes europäischen Regeln anzupassen, weil wir den Vorgaben der
FFH-Richtlinien nicht in jedem Punkt entsprechen. Wir
wussten das. Jedem, der uns fragen wird, was wir früher
getan haben, antworten wir: Wir haben diesen Mangel
Undine Kurth ({2})
immer benannt. Die Abstellung dieses Mangels war aber
leider gegen andere nicht durchzusetzen, auch gegen unseren damaligen Koalitionspartner - nicht in Gänze, sondern einzelne Personen - nicht. Das heißt, das Gesetz
muss jetzt novelliert werden.
Noch einen Punkt, um die Aktualität dieser Aktuellen
Stunde zu begründen: Noch in dieser Woche wird im
Bundesrat über die von der Bundesregierung vorgelegte
Novelle entschieden. Wir glauben, dass das nicht ohne
öffentliche Aufmerksamkeit passieren sollte. Denn die
Regeln, die da geplant sind, lassen sehr viele Fragen offen. Ich frage: Ist das die richtige Richtung?
Immer wenn Juristen etwas ändern, kommt es auf jedes Wort an. Wir lassen uns nicht erzählen, dass es eigentlich ganz nett gemeint ist und dass nichts Schlimmes
passieren wird, wenn so unbestimmte Rechtsbegriffe wie
„zumutbare Alternativen“ eingeführt werden, wenn es
darum geht, welche Ausnahmen vom Artenschutz zugelassen werden sollen. Was bitte ist eine „zumutbare Alternative“? Ein weiteres Beispiel: Es sollen keine „unzumutbaren Belastungen“ für diejenigen, die Eingriffe
tätigen wollen, entstehen. Was bitte ist eine „unzumutbare Belastung“? Das sind, wie die Juristen sagen, nicht
legal definierte Begriffe. Jeder kann sie fröhlich auslegen. Es ist kein besserer Schutz. Es werden verschwommene Begriffe eingeführt. Das kann nicht das Ziel einer
Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes sein, die dazu
dienen soll, dass das Gesetz den FFH-Richtlinien entspricht.
({3})
Mein Kollege Dr. Hofreiter wird das im Näheren ausführen. Wer sich die Kritikpunkte im Einzelnen ansehen
will, findet sie auf unserer Website. Dort haben wir sie
aufgelistet.
Hier geht es mir darum, darauf aufmerksam zu machen, dass man die notwendige Anpassung des Bundesnaturschutzgesetzes an europäisches Recht nicht dazu
missbrauchen darf und kann, die Standards im Artenschutz abzusenken und aufzuweichen. Wir können nicht
immer davon reden, wie wichtig und existenziell das alles ist, und dann die notwendigen Schritte unterlassen.
Das passt einfach nicht zu dem, was Herr Minister vorhin gesagt hat, nämlich dass es keinen Grund zur Entwarnung gibt und dass wir Anstrengungen auf allen Ebenen brauchen. Wir brauchen auch Anstrengungen auf
nationaler Ebene und müssen bitte schön endlich konsequent handeln und nicht nur darüber reden.
Ich hoffe, wir haben Ihre Unterstützung.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Kurth, als mich die Nachricht ereilte, dass die Grünen eine Aktuelle Stunde zum Thema Biodiversität beantragt haben, habe ich mich spontan gefreut.
({0})
Ich habe angenommen, dass die Grünen die schönen
Fernsehbilder der vergangenen Wochen von und mit
Knut noch einmal bei uns hier im Plenum des Bundestages Revue passieren lassen wollen. Aber das wäre zu
schön gewesen, um wahr zu sein.
({1})
Nun ist aus dieser Aktuellen Stunde leider eine Trauerstunde geworden. Denn mit dem Pandabärenweibchen
Yan Yan hat uns wenige Tage nach den schönen Fernsehbildern vom putzigen Knut eine Sympathieträgerin
der deutschen Biodiversität verlassen müssen. Wir trauern um Yan Yan und wünschen ihr ein angenehmes Leben im Pandabärenhimmel.
Jetzt aber einmal im Ernst. Ich kann den Kolleginnen
und Kollegen von der Grünenfraktion, genauso aber denen von der FDP hinsichtlich des Klimawandels - wir
hatten vor vier Wochen eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema - den Vorwurf nicht ersparen, bei einem wichtigen Thema wieder einmal zu kurz zu springen. Mit einer
Aktuellen grünen Stunde leistet man der Biodiversität einen Bärendienst. Knut, Yan Yan und der selige Bruno
mögen mir verzeihen.
Bemüht versuchen die Grünen mit ihrer Presseerklärung vom vergangenen Montag, ein paar Themen zu
konstruieren, die sie dann zu einer Bundestagsdebatte
hochstilisieren. Es führt kein Weg daran vorbei, festzustellen: Diese Aktuelle Stunde ist wieder einmal die verkrampfte Suche nach einer weiteren Schlagzeile in den
Medien und damit so überflüssig wie ein Kropf.
({2})
Gleichwohl möchte ich den Anlass nutzen, zu einem
Thema Stellung zu nehmen,
({3})
auch wenn Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, dieses Thema möglicherweise überhaupt
nicht in den Kram passt. Im Zusammenhang mit dem
Klimawandel und dem notwendigen verstärkten Einsatz
erneuerbarer Energien wird die Nutzung der Biomasse
immer häufiger und intensiver in die Diskussion eingebracht. Ich sehe diese Entwicklung mit wachsender
Sorge.
Landnutzung und Landnutzungsänderungen bergen
immer die Gefahr in sich, die Vielfalt der Lebensräume,
die Vielfalt der Arten und die genetische Vielfalt innerhalb der Arten zu beeinträchtigen.
({4})
Das ist aktuell an den Palmölplantagen zu beobachten.
Dabei sind Palmölplantagen auf brandgerodeten Regenwaldflächen in Südostasien nur ein Teil des Problems,
das in diesem Fall auch noch sehr weit weg liegt.
Die Gefährdungen für die Biodiversität haben wir
auch im eigenen Haus. Großflächige Monokulturen mit
eigens für die Energiegewinnung gezüchteten Energiepflanzen, Nutzung auch des letzten Quadratmeters landwirtschaftlich bebaubarer Fläche, Walddüngung - dies
sind mögliche Zukunftsszenarien für die Nutzung der
Biomasse zur Energiegewinnung, die der Biodiversität
in unserem eigenen Lande gewiss nicht zuträglich wären.
Ich bin deshalb sehr dafür, dass in enger Kooperation
mit den betroffenen Menschen - das sind ganz besonders
die Landwirte und die Waldbesitzer - rasch klare Regeln
für eine tatsächlich nachhaltige Biomassegewinnung
aufgestellt werden. Es darf nicht so weit kommen, dass
wir den Teufel des Klimawandels mit dem Beelzebub einer verarmten Natur auszutreiben versuchen.
({5})
Ich möchte in diesem Zusammenhang über einen bemerkenswerten Vorgang berichten, der sich in der vergangenen Woche zugetragen hat: Der Gemeinderat der
Samtgemeinde Schwarmstedt hat sich auf Antrag der
CDU gegen die Nutzung von Palmöl für das geplante
Blockheizkraftwerk ausgesprochen. Die Vorsitzende der
CDU-Gemeinderatsfraktion hat dies damit begründet,
dass es keine garantierte Zertifizierung für eine nachhaltige Gewinnung von Palmöl gibt. Brandrodungen für
Palmölplantagen seien unakzeptabel, lieber setze man
auf heimische regenerative Energien.
({6})
Ich halte diese Ausführungen und den Beschluss des
Gemeinderates für mutige Zeichen wider den wachsenden Zeitgeist, die wirklich unseren Applaus verdienen.
({7})
Umso wichtiger ist es, jetzt für die Nutzung der Biomasse in unserem eigenen Land Nachhaltigkeitsregeln
aufzustellen - der Biodiversität zuliebe.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Brunkhorst
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der vom Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck
gebrachten Dringlichkeit dieses Themas stellt sich mir
die Frage, welches zeitnahe Ziel mit der vorangegangenen Aktuellen Stunde erreicht werden sollte. Sie wissen,
dass die Entscheidung in der Bundesratssitzung am kommenden Freitag fallen wird, so oder so. In diesen drei
Tagen ist nichts mehr zu bewirken. Die Pressekonferenz,
die der Bundesumweltminister heute zur Liste der
gefährdeten Arten und Biotoptypen gegeben hat, war
vielleicht ein Aufhänger, diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Aber wir konnten wirklich keine neuen Erkenntnisse gewinnen.
Dennoch möchte ich den Ball, den Sie in die Mitte geworfen haben, aufnehmen und einiges zu diesem Thema
sagen. Bereits am 5. Januar dieses Jahres hat ein Gesetzentwurf des BMU zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes vorgelegen. Am 14. Februar dieses
Jahres ist der aktualisierte Gesetzentwurf vom Bundeskabinett beschlossen worden. Es wäre also durchaus Zeit
gewesen, einige Bedenken dazu zu formulieren. Das haben Sie aber nicht getan. Stattdessen haben Sie uns diese
Aktuelle Stunde beschert. Also, schauen wir mal. Ich
denke, der Bundesrat wird diesen Gesetzentwurf am
Freitag ohne weitere Debatte verabschieden.
Ich möchte diese Möglichkeit nutzen, um die Vorstellungen der Liberalen zu erläutern. Gerade in Deutschland haben wir es mit Kulturlandschaften zu tun, also
vom Menschen mitgestalteten und mitbeeinflussten Naturzuständen. Es ist auch unser Ziel, die Biodiversität zu
fördern. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit verstärkt
auf dieses Thema lenken, um auf diesem Gebiet mehr zu
erreichen. Aber die Forderung der Grünen nach einer
Regelung, die stärker auf bundesstaatlicher Ebene verankert ist, ist genau das Gegenteil dessen, was wir möchten. Wir sind angesichts der Vielfältigkeit der Landschaften und der Regionen in unserem Lande dafür, dass
keine besonders dezidierten Vorgaben gemacht werden,
was zum Beispiel die Bewirtschaftungsregelungen betrifft, weil wir befürchten, dass dies zu einer Überregulierung führen könnte. Das widerstrebt dem Prinzip der
Subsidiarität und ist auch in der Praxis vielfach nicht
umsetzbar.
Uns geht es insbesondere darum, etwas flexiblere und
fallgerechtere Beurteilungen von Projekten und Bewirtschaftungen zu ermöglichen. Im Grunde genommen
könnten wir uns sogar eine Verschmelzung der FFH- und
der Vogelschutzrichtlinie vorstellen, und wir werden
noch Vorschläge in diese Richtung machen.
({0})
- Herr Heilmann, das machen wir.
Am vorliegenden Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht
zu kritisieren, dass die Definition des Projektbegriffs
sehr unklar ist; es kann nicht genau bestimmt werden,
welches Vorhaben von dem Projektbegriff erfasst wird.
Da ist also noch Nachbearbeitung notwendig. Ich denke
auch, dass die Naturschutzbehörden dadurch Gefahr laufen, hier einen sehr hohen, ausufernden Verwaltungsaufwand betreiben zu müssen. Dennoch muss ich an dieser
Stelle sagen: Die Einschränkung hinsichtlich der ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung scheint uns in diesem Maße nicht notwendig zu sein. Es bleibt abzuwarten, wie der jetzige
Gesetzentwurf vom EuGH beurteilt wird und inwieweit
die Anpassungen ausreichend sind.
Ich gehe davon aus, dass gerade wir in Deutschland
große Potenziale haben, Naturschutz und Nutzung in
Einklang zu bringen, dass wir mit freiwilligen Maßnahmen, mit dem Vertragsnaturschutz, viel bewirken können und dann auch eine höhere Akzeptanz der Bürger für
Naturschutzmaßnahmen haben werden. Wir denken,
dass die föderale Struktur unseres Landes einen Wettbewerb der Lösungen anbietet und es gebietet, diesen zuzulassen. Wir sehen darin eher eine Chance als eine Gefahr. In diesem Sinne unterstützen wir die Pläne des
Landes Niedersachsen, anstelle von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auch Ersatzzahlungen - in einen Fonds zu ermöglichen, die insbesondere von Fachleuten und
von Naturschutzverbänden genutzt werden können, um
bereits bestehende Naturschutzgebiete intensiver und effizienter zu betreuen und zu beobachten. Ich glaube, es
wird sehr viele weitere Debatten über dieses Thema geben. Ich freue mich darauf.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Pries von
der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren heute über den Schutz der biologischen Vielfalt. Die Debatte zeigt, wir alle sind uns einig: Der Erhalt der biologischen Vielfalt ist neben dem
Klimaschutz die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Insbesondere seit Beginn der Industrialisierung haben wir die Ressourcen der Natur geplündert.
Wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht, welche
Auswirkungen dies für unser eigenes Überleben hat. Erst
spät haben wir erkannt, welche Leistungen und ökonomischen Potenziale eine intakte Natur bietet. Erst die
Konfrontation mit den konkreten Folgen unseres Handelns hat zu einem Umdenkprozess geführt.
Auch wenn wir in den vergangenen Jahrzehnten bereits vieles auf den Weg gebracht haben - wir sind noch
lange nicht am Ziel. Noch immer nimmt die biologische
Vielfalt weltweit, auch in Deutschland, kontinuierlich
ab. Dies zeigt auch die heute vom Bundesamt für Naturschutz vorgestellte Liste der gefährdeten Biotoptypen.
Trotz einiger Erfolge - das macht die Liste deutlich sind noch immer 72 Prozent der Lebensraumtypen in
Deutschland bedroht oder akut gefährdet. Die Rate des
weltweiten Artensterbens übersteigt die angenommene
natürliche Rate noch immer um das 100- bis 1 000-Fache. Eine weitere besondere Herausforderung stellt die
globale Klimaerwärmung dar: Sie strapaziert die Anpassungsfähigkeit unserer Ökosysteme und bedroht das
Überleben zahlreicher Arten.
Die positive Artenschutznachricht des Tages lautet:
Knut geht’s gut. Aber was nützt uns die weltweite Aufmerksamkeit für den kleinen Eisbären, wenn wir gleichzeitig den Lebensraum seiner wild lebenden Artgenossen durch den Klimawandel unwiderruflich und
unwiederbringlich zerstören?
({0})
Wir brauchen deshalb eine Kombination aus konkreten
Artenschutzmaßnahmen und ein verstärktes globales Engagement im Klimaschutz. Genau dies ist die Politik der
Bundesregierung.
({1})
Mit den Beschlüssen des Europäischen Rates übernimmt die Europäische Union eine Vorreiterrolle beim
internationalen Klimaschutz. Mit der „Potsdam Initiative
zur biologischen Vielfalt 2010“ nutzen wir unsere G-8Präsidentschaft, um gemeinsam mit den führenden Industrienationen und den Schwellenländern den Verlust
an biologischer Vielfalt zu reduzieren.
Im Rahmen der anstehenden Konferenzen der Internationalen Walfangkommission sowie hinsichtlich des
Washingtoner Artenschutzabkommens und der Konvention über die biologische Vielfalt wird Deutschland wieder eine aktive Rolle übernehmen. Das war in der Vergangenheit so, und das wird in Zukunft auch so bleiben.
({2})
Die Regierungskoalition unterstützt dieses Engagement.
Ich möchte hier nur unsere Anträge zur biologischen
Vielfalt und zum Schutz sensibler Ökosysteme der Tiefsee erwähnen. Darüber hinaus bringen wir in dieser Woche einen Antrag zum Walschutz ein. Darin sprechen wir
uns gegen eine Aufhebung des internationalen Walfangmoratoriums aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns bewusst, dass wir die Schwellen- und Entwicklungsländer
nur dann für ein stärkeres Engagement im Bereich des
Umwelt- und Klimaschutzes gewinnen können, wenn
wir selbst mutig vorangehen. Nur wenn es uns gelingt,
Umweltpolitik als Fortschrittspolitik im Bewusstsein der
Menschen zu verankern, haben wir eine Chance, das Ruder herumzureißen.
Wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und Umweltschutz schließen sich nicht aus. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Dass dies so ist, wurde unlängst im
UN-Weltwaldbericht festgestellt. Wenn der Bericht auch
zu dem Ergebnis kommt, dass die Entwaldung weltweit
voranschreitet, so enthält er doch auch eine positive Botschaft: Wo es den Menschen wirtschaftlich gut geht, geht
es auch dem Wald besser. Genau hier müssen wir ansetzen.
Die Bundesregierung tut dies auch auf nationaler
Ebene durch eine Vielzahl von Maßnahmen. Beispielhaft seien hier nur drei erwähnt: Erstens. Die Bundesregierung erarbeitet zurzeit eine nationale Strategie zur
biologischen Vielfalt.
({3})
Unser Ziel ist es, den Rückgang der biologischen Vielfalt zu stoppen und gleichzeitig deren nachhaltige Nutzung zu ermöglichen.
Zweitens. Die Regierungskoalition hat vereinbart,
125 000 Hektar Naturschutzflächen des Bundes unentgeltlich in eine Bundesstiftung oder an die Länder zu
übertragen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag
zur Sicherung des nationalen Naturerbes.
({4})
Drittens. Wir werden ein modernes Naturschutzrecht
schaffen, wodurch sowohl der Schutz als auch die nachhaltige Nutzung der Natur verbessert wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Lutz Heilmann von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Artenschutz fristet in Deutschland ein Schattendasein. Die
Gelder im Bundesetat werden von Jahr zu Jahr gekürzt.
Dafür werden im nächsten Jahr mal eben über
2,5 Millionen Euro für die 9. Vertragsstaatenkonferenz
der Biodiversitätskonvention lockergemacht.
({0})
Wie ernst Sie den Artenschutz nehmen, sieht man
auch daran, dass Sie eine Bürgschaft über 100 Millionen Euro für den Ilisu-Staudamm in der Türkei übernehmen. Dieser wird eine beispiellose Vernichtung der
Artenvielfalt in der Region zur Folge haben. Ich war am
Freitag vergangener Woche dort und habe mir ein Bild
davon gemacht. Vielleicht hätten Sie das auch einmal
tun sollen.
So viel dazu, dass Sie immer davon sprechen, dass
wir den internationalen Artenschutz fördern müssen
usw. usf. Die reale Politik, insbesondere auch die der
Großen Koalition, spricht eine ganz andere Sprache.
Auch mit der sogenannten kleinen Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz zeigen Sie, wie ernst Sie es mit
dem Artenschutz meinen: Statt 2 600 Arten stehen demnächst nur noch 600 Arten unter Schutz. Auf eine nationale Strategie zur biologischen Vielfalt - der Kollege
Pries sprach es gerade an - warten wir nun schon seit
15 Jahren. Sieben Jahre davon waren übrigens mit Regierungsbeteiligung der Grünen.
({1})
Nichts als leere Worte. Da kann ich Herrn Gabriel nur
zustimmen, der heute sagte: Wir müssen zur Kenntnis
nehmen, dass es nach wie vor eine Vielzahl von Biotopen gibt, die hochgradig gefährdet sind und auch weiter zurückgehen. Der Staatssekretär, Herr Müller, traf
vorhin die Aussage: Naturschutz muss Kernthema jeder
Umweltpolitik sein. Das ist richtig so, aber die praktische Politik sieht leider ganz anders aus.
({2})
Das heißt nicht nur, dass wir erhebliche Anstrengungen im Klimaschutz unternehmen müssen, sondern wir
müssen auch die Natur dabei unterstützen, den Klimawandel zu bewältigen. Einerseits müssen wir für eine
Vernetzung sorgen, damit die Arten künftig wandern
können. Andererseits müssen wir endlich die unter
Schutz gestellten Gebiete auch wirklich schützen. In
Wirklichkeit werden die Schutzgebiete nämlich nicht geschützt; vielmehr sind sie vielfach bedroht. So plant
RWE, im Nationalpark Wattenmeer nach Öl zu bohren.
({3})
Schleswig-Holstein hat zwar 1985 gesetzlich verankert,
dass es außer der einen bestehenden Ölplattform im Nationalpark keine weiteren geben darf; ich befürchte aber,
dass sich die heutige Landesregierung nicht mehr darum
scheren wird.
In den anderen Bundesländern sieht es fast noch
schlimmer aus. In den Wahlkämpfen rückt der Naturschutz oft an die zweite Stelle. Ich sage nur: Autobahn
gegen Feldhamster.
Was aber macht die Landesregierung meines Heimatbundeslandes Schleswig-Holstein? Das einst vorbildliche Landesnaturschutzgesetz wird verstümmelt. Andere
Bundesländer haben Ähnliches vor.
Ganz schlimm sieht es im praktischen Naturschutz
aus. Das Sondergutachten des Sachverständigenrates für
Umweltfragen belegt, dass die Umwelt- und Naturschutzverwaltungen kaputt reformiert werden. Die Ausgaben für den Naturschutz sind von 1994 bis 2001 um
ein Drittel zurückgegangen. In den Kommunen fiel jede
dritte Stelle im Naturschutz weg.
Die Linke meint, die Regierung tut sich mit der Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz keinen Gefallen. Sie
wird ebenso wie die letzte Fassung des Bundesnaturschutzgesetzes wieder beim EuGH landen, der Deutschland erneut verurteilen wird.
Nun zu den Grünen: Sie wollen sich wieder als
oberste Naturschützer aufspielen.
({4})
Dabei ist die Novelle zum Naturschutzgesetz doch nur
deshalb notwendig, weil Sie es 2002 versäumt haben,
das Bundesnaturschutzgesetz vernünftig auszugestalten.
({5})
Ihre heute gestellten Fragen sind fast wörtlich der
NABU-Stellungnahme entnommen. Dabei haben Sie geflissentlich die Feststellung unter den Tisch fallen lassen,
dass die generelle Freistellung der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft im Bundesnaturschutzgesetz nicht akzeptabel war. Seien Sie doch wenigstens so ehrlich, das
mit aufzunehmen!
({6})
Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie es damals nicht gewusst
haben! Denn erstens ist die FFH-Richtlinie eindeutig
formuliert, und zweitens haben die Verbände seinerzeit
sehr deutlich darauf hingewiesen.
({7})
Insofern fällt alles, was Sie an der jetzigen Regierung
kritisieren, auf Sie selbst zurück.
Auch wir Linken sagen: Die Grünen reden viel, wenn
der Tag lang ist, handeln aber nicht entsprechend.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Petzold von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Heilmann,
seitdem die Partei, deren Nachfolgepartei Sie angehören,
keine Verantwortung mehr für die Elbe trägt, ist wieder
eine ganze Reihe von Fischarten dorthin zurückgekehrt.
Ich glaube, die Natur hat sich wieder erholt.
({0})
In Ihrer Pressemitteilung, in der die Grünen die heutige Aktuelle Stunde begründen, behaupten Sie, dass die
Bundesregierung infolge eines auf den ersten Blick sehr
hohen Personalabbaus in den Naturschutzverwaltungen
({1})
als Gastgeberin für die 9. Vertragsstaatenkonferenz schlecht
aufgestellt ist, und machen die Bundesregierung für den
Personalabbau in diesem Bereich verantwortlich. Dies
grenzt an Schaumschlägerei. Die Beantragung der Aktuellen Stunde zeigt, wie weit sich die Grünen von der Föderalismusrealität entfernt haben.
({2})
Naturschutzverwaltungen sind Landesverwaltungen.
Das weiß eigentlich jeder von uns. Ein Blick in die Praxis hätte Sie von der unsinnigen Formulierung der Pressemitteilung zu der heutigen Aktuellen Stunde abgehalten.
({3})
Insofern zeigt sich immer wieder: Die Praxis ist das
Kriterium der Wahrheit.
({4})
Ein Blick auf das Biosphärenreservat Mittlere Elbe hätte
Ihnen für die heutige Diskussion sicherlich einiges gebracht, verehrte Kollegin Kurth.
Die intensive Holzwirtschaft in der staatlichen Forstwirtschaft der DDR wurde nach der Wende durch eine
weit extensivere Nutzung ersetzt, die natürlich weniger
Personal benötigte. Forstflächen wurden nach der Wende
wieder den privaten Eigentümern zur Nutzung und Bewirtschaftung übertragen und fielen dadurch aus der Bewirtschaftung durch die Forstämter heraus. Nicht zuletzt
wurden in relevanten Größenordnungen Forstflächen
den Naturschutzverwaltungen übertragen. Dadurch entstanden bei den Forstverwaltungen Personalüberhänge
insbesondere von Forstfacharbeitern, die natürlich als
Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ein Anrecht auf
Kündigungsschutz hatten. Für dieses überzählige Personal in den Forstverwaltungen der Bundesländer wurden
sehr oft die Naturschutzverwaltungen als Auffangbecken
genutzt. Leider nutzten einige Forstverwaltungen die
Möglichkeiten der Personalübertragung auch dazu, ältere und nach ihrer Meinung nicht mehr so leistungsfähige Mitarbeiter loszuwerden. Darüber, dass dies kein
haltbarer Zustand ist, sind wir uns alle einig, glaube ich.
({5})
Diese erfahrenen Forstleute waren natürlich in den
Naturschutzverwaltungen willkommen, hatten jedoch
das Handicap, dass anschließend keine ausgeglichene
Altersstruktur in den Naturschutzverwaltungen vorhanden war und dass sie die Personalvoraussetzungen für
die Naturschutzverwaltungen nicht mitbrachten. Es kamen Forstfacharbeiter, aber eigentlich wäre mittleres
Leitungspersonal an dieser Stelle erforderlich gewesen.
Im Ergebnis wurde gerade in Verantwortung von Frau
Umweltministerin Heidecke, die Ihnen ja nicht unbekannt sein dürfte, Frau Kurth, dieses Personal auf kwStellen gesetzt. Ein richtiges Personalkonzept mit einem
ordentlichen Stellenplan wurde nicht erarbeitet. Erst die
Landesregierung nach 2002 hat gemeinsam mit den Naturschutzverwaltungen klare Personalentwicklungskonzepte erarbeitet. Natürlich saß in dieser Zeit das übertragene Personal nicht untätig herum. Viele Projekte
wurden auf den Weg gebracht.
Ganz wichtig war dabei der Vertragsnaturschutz, der
sich gerade in den Randbereichen, den Schutzzonen III
und IV des Biosphärenreservats Mittlere Elbe, sehr gut
entwickelt hat.
({6})
Jetzt ist der Vertragsnaturschutz zum Selbstläufer geworden. Viele Arbeiten, die bis vor kurzem noch durch Personal der Naturschutzverwaltung ausgeführt werden
mussten, werden jetzt durch die Agrarbetriebe der Region erledigt. Damit war es natürlich möglich, das Personal auf den kw-Stellen sozialverträglich zu reduzieren
- darauf lege ich Wert - und bei altersbedingtem Ausscheiden die Stellen nicht wieder zu besetzen. Damit haben die Bundesländer nicht anders gehandelt als Ihre
Bundesregierung damals. Wenn Sie sich die Personalentwicklung in den Bundesbehörden UBA und BfN in den
letzten Jahren Ihrer Regierungszeit ansehen, stellen Sie
fest, dass auch dort Personal in beträchtlichem Umfang
abgebaut wurde. Man sollte nicht mit Steinen schmeißen, wenn man selbst im Glashaus sitzt.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte in diesem Haus verläuft
wie so viele Debatten über die Biodiversität und Artenschutz zuvor: Man ist sich insgesamt einig, dass mehr
Schutz notwendig ist und dass sowohl international als
auch europaweit, überall, viel getan werden muss. Wenn
es aber konkret werden soll, schaut es meistens sehr mau
aus.
({0})
Dann wird nicht darauf eingegangen bzw. nicht begründet, wo die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz besser oder schlechter ist. Es wird letztendlich allgemein
besprochen.
Schauen wir uns doch einmal die Realität in der Bundesrepublik an! Man muss anerkennen: Nicht nur in den
Tropen, sondern auch in der Bundesrepublik befinden
wir uns mitten in der Aussterbekatastrophe; das muss einem klar sein.
({1})
Das ist keine politische Aussage, sondern eine wissenschaftliche Erkenntnis. Schauen wir uns einmal die
Aussagen zur momentanen Lage in Europa an! Wenn Sie
gestatten, zitiere ich ganz kurz aus dem Bericht des Wirtschafts- und Sozialrates.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen extreme Lücken, die geschlossen werden müssen, will
man der drohenden Gefahr des Glaubwürdigkeitsverlustes entgegenwirken.
Mit dieser Novelle machen Sie aus der klaffenden Lücke
einen tiefen Graben.
({2})
Um das Problem der Novelle klarzumachen, muss
man sich vergegenwärtigen, welches die Hauptursachen
für das bereits stattfindende Artensterben in der Bundesrepublik sind. Es sind Landwirtschaft, Forstwirtschaft
und Jagd. Wie gehen Sie denn jetzt mit den Problemen
um? Sie schreiben in die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz hinein, dass der Schutz vom Individuum
auf die Population heruntergestuft werden soll. Welche
Folge hat dies in der Praxis? Die Folge in der Praxis ist,
dass Sie einzelne Individuen töten können, wenn Sie behaupten, die Population dadurch nicht zu gefährden.
Aber wer stellt denn fest, ob die Population gefährdet
ist? Vielleicht die unteren Naturschutzbehörden, deren
Personal total ausgedünnt ist, oder die Universitäten, in
denen nach und nach fast alle Lehrstühle, die für den Bereich der Artenvielfalt zuständig waren, zu Lehrstühlen
für Biotechnologie umgewidmet worden sind, sodass
wir fast kein Fachpersonal mehr haben, weder auf universitärer noch auf behördlicher Ebene?
Sie nehmen relativ kleine und geschickte Änderungen
vor, die, wenn man sich nicht wirklich über die Folgen
im Klaren ist, auf den ersten Blick harmlos wirken. Aber
es ist ein gigantischer Unterschied, ob Sie Populationen
schützen oder ob Sie festschreiben, dass gefährdete Arten grundsätzlich nicht getötet werden dürfen.
({3})
Im Bundesrat wird es noch schlimmer: Aus „lokalen
Populationen“ will der Bundesrat allgemeine Populationen machen. Es gibt Arten, die europaweit vorkommen,
es gibt Arten, die zirkumpolar vorkommen, es gibt Arten, die sehr weit verbreitet sind. Wer definiert das dann?
Dürfen wir sie in der Bundesrepublik ausrotten, weil es
noch woanders eine Population gibt?
({4})
Das ist wieder ganz typisch für die Gesetzesarbeit der
Großen Koalition: Auf den ersten Blick schaut es harmlos aus. Schauen wir uns dann die Wörter in ihrer praktischen Konsequenz an, dann wird daraus ein Skandal.
({5})
- Diejenigen, die hier jetzt schreien, verstehen schlichtweg nicht, was das Wort Population bedeutet,
({6})
was das Wort lokal bedeutet und was in diesem Zusammenhang Individuum bedeutet. Befassen Sie sich vorab
damit; dann wird es Ihnen im Detail klar.
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Dirk Becker von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind zu einer Aktuellen Stunde zusammengekom9104
men, die den Titel „Schutz der Biodiversität in der EU
ohne Deutschland“ trägt. Ich habe selbst in den Beiträgen der Grünen dazu bisher recht wenig gehört; sie versteifen sich auf einige wenige Punkte.
({0})
Ich vermisse ein bisschen die sogenannte ganzheitliche Betrachtung, wenn man von der Rolle und der Verantwortung Deutschlands in der Europäischen Union
spricht.
({1})
- Sie sollten von der Aktuellen Stunde sprechen, die Sie
selber beantragt haben, oder sich die Fragestellung vorher besser überlegen, Herr Hofreiter.
({2})
Kollege Pries hat auf die Bedeutung des Verlusts der
biologischen Vielfalt hingewiesen. Wir sind uns alle hinsichtlich dieser Bedeutung einig und wissen, dass im öffentlichen Bewusstsein diese Bedeutung nicht hinreichend verankert ist. Das ist eine Herausforderung an
Politiker aller Parteien und dürfte im Deutschen Bundestag nicht zum Streit führen.
Dies gilt ebenso für das gemeinsame Ziel, bis 2010
den Verlust der Biodiversität signifikant einzuschränken
und auf europäischer Ebene ganz zu stoppen. Ich sage
ganz deutlich, dass wir von diesem Ziel noch ein ganzes
Stück entfernt sind. Dies muss man deutlich sagen; da
gibt es nichts schönzureden. Bevor man diesbezüglich
auf andere Nationen zeigt, muss man natürlich vor der
eigenen Haustür kehren und feststellen, was wir selber
noch mehr tun können, um diesem Ziel nahe zu kommen. Ich will selbst durchaus kritisch mit den Fragen
möglicher nationaler Missstände umgehen.
Sie haben heute Mittag in der Fragestunde beispielsweise die Tatsache angesprochen, dass in einigen Bundesländern die Umsetzung der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie zumindest schleppend, wenn nicht
unvollständig ist. Dies muss man als Umweltpolitiker
deutlich missbilligen; das ist doch völlig klar. Ebenso
müssen wir deutlich machen, dass ein nationaler Biotopverbund für den Bereich der Biodiversität von herausragender Bedeutung ist. Der Bundesumweltminister und
auch der Parlamentarische Staatssekretär - der eine bei
der Pressekonferenz, der andere hier im Parlament - haben das sehr deutlich unterstrichen und die Position der
Bundesregierung, die wir voll und ganz teilen, klargestellt.
({3})
Aus der Benennung einiger Defizite - ich könnte den
andauernden Flächenverbrauch in Deutschland hinzufügen; es gibt, wie gesagt, Missstände - eine Aktuelle
Stunde mit dem Thema „Schutz der Biodiversität in der
EU ohne Deutschland“
({4})
zu beantragen, ist nach meiner Einschätzung abenteuerlich, unbegründet und geht am Thema weit vorbei. Ich
will das sehr deutlich machen; denn Sie stellen auch ein
Stück Ihrer eigenen Politik der Vergangenheit und die
Politik des Bundestages und der Bundesregierung insgesamt in Frage.
({5})
Ich möchte daher an dieser Stelle Achim Steiner bemühen. Achim Steiner ist Chef der UNEP und hat zur
Rolle Deutschlands im Rahmen der G-8-Politik anlässlich der Unterzeichnung der „Potsdam-Initiative“ zur
biologischen Vielfalt Folgendes gesagt: Mit der „Potsdam-Initiative“ erleben wir einen Wendepunkt in der internationalen Politik im Rahmen des Schutzes der Biodiversität. Nie zuvor ist im Rahmen eines G-8-Vorsitzes
so früh und weitreichend ein Beschluss zum Schutz der
Biodiversität gefasst worden. ({6})
Das basiert auf dem Engagement des BMU und der deutschen Politik. Darauf können wir ein Stück stolz sein.
Wir sagen dem BMU ausdrücklich Dank für diese vorbereitenden Arbeiten.
({7})
Ich könnte dies fortführen. Sie haben die Rolle der
EU angesprochen. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass
gerade der Schwerpunkt Biodiversität ein entscheidendes Kriterium der EU-Ratspräsidentschaft sein wird.
Erstmalig hat eine Nation im Rahmen der Ratspräsidentschaft die beiden folgenden Präsidentschaften mit ins
Boot genommen, um politische Akzente - in diesem Fall
für die Biodiversität - für einen Zeitraum von
18 Monaten zu setzen, das heißt Kontinuität zum Schutz
der Biodiversität zu erreichen. Ich finde, auch dies ist ein
lohnenswerter Beitrag und macht die Verantwortung der
deutschen Politik zum Schutz der Biodiversität mehr als
deutlich.
Die Rolle Deutschlands im Rahmen der CBD ist angeklungen. Ich möchte sehr deutlich machen, dass
Deutschland als Gastgeber der nächsten Vertragsstaatenkonferenz mit vielen Vorschusslorbeeren, aber auch mit
vielen Erwartungen bedacht wird. Das hat einen guten
Grund. Diese Erwartungshaltung hat sich die deutsche
Politik erarbeitet. Wer schon einmal mit Vertretern anderer Nationen gesprochen hat, der weiß, wie hoch das Ansehen Deutschlands aufgrund des Wirkens im Rahmen
der Konvention für die biologische Vielfalt ist. Die Staaten setzen eine sehr hohe Erwartung in Deutschland,
weil sie wissen, dass Deutschland Motor und verlässlicher Partner im Bereich des Schutzes der biologischen
Vielfalt ist.
({8})
Die Mitarbeiter des BMU arbeiten aufklärend hinter den
Kulissen und versuchen, andere Nationen mitzunehmen.
Die deutsche Politik, insbesondere die Arbeit des deutDirk Becker
schen Umweltministeriums, ist wirklich hoch geschätzt
und anerkannt.
Ich finde, Defizite zu benennen ist das eine, aber zu
sagen, Schutz der Biodiversität finde in Europa ohne
Deutschland statt,
({9})
geht völlig am Thema vorbei. Wir haben auch in Zukunft
einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt.
Wir wollen diese Verantwortung wahrnehmen. Ich
würde mich freuen, wenn auch die Opposition zu einem
verantwortungsvollen Umgang mit diesem Thema zurückfinden würde.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ingbert Liebing von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Die Fraktion der Grünen hat ihren Antrag auf
Durchführung dieser Aktuellen Stunde mit dem Vorwurf
verbunden, Deutschland würde den Natur- und Artenschutz eher schwächen als stärken. In der Debatte ist
deutlich geworden, dass diese Vorwürfe ins Leere gehen
und diese Debatte eigentlich an den Haaren herbeigezogen ist.
({0})
Dennoch bin ich Ihnen in gewisser Hinsicht sogar
dankbar dafür, dass wir diese Debatte führen, weil sie
die Gelegenheit gibt, Ihre falschen Vorwürfe zurückzuweisen und auf die Leistungen und das Engagement
Deutschlands bei diesem wichtigen Thema - auch das
Engagement der Bundesregierung in diesem Bereich hinzuweisen. Deutschland nimmt seine Verpflichtung
für den Naturschutz, für den Artenschutz wahr, insbesondere im internationalen Rahmen. Die Erwartungen
gegenüber Deutschland sind sehr hoch. Der Kollege
Becker hat dies gerade zum Ausdruck gebracht.
Deutschland, das derzeit eine Führungsrolle in der
Europäischen Union einnimmt - es hat die Ratspräsidentschaft inne -, hat in dieser Funktion einen Schwerpunkt auf die Vorbereitung der 9. Vertragsstaatenkonferenz gesetzt, die im kommenden Jahr in Bonn stattfinden wird. Ich bin sehr sicher, dass diese Konferenz zu einem guten Erfolg führen wird. Genauso sicher bin ich,
dass manche Kritiker und Skeptiker von heute noch
überrascht sein werden, so wie manche Kritiker der Bundesregierung in den letzten Wochen über die erfolgreiche Politik der Bundesregierung und unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel auf internationalem Parkett
überrascht waren.
({1})
Ich darf gern daran erinnern, dass im Juni dieses Jahres die 14. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner
Artenschutzübereinkommens in Den Haag stattfinden
wird. Hier hat Deutschland ebenfalls die Verantwortung
übernommen, einen wesentlichen Schwerpunkt, insbesondere zum Schutz der marinen Arten, zu setzen.
Ich möchte einen konkreten Lebensraum ansprechen,
der gerade für die Biodiversität eine besondere Bedeutung hat, nämlich die Weltmeere. Dies ist eines der artenreichsten Ökosysteme überhaupt. Man ist bisher davon ausgegangen, dass es auf unserem Planeten etwa
1,4 Millionen unterschiedliche Arten gibt. Erst seit wenigen Jahren wissen wir aufgrund neuer Forschungsergebnisse, dass in den Tiefen der Meere über diese
1,4 Millionen Arten hinaus noch etwa 10 bis 30 Millionen weitere, bisher völlig unbekannte und unerforschte
Arten existieren. Insofern ist dies sicherlich einer der
sensibelsten Lebensräume, der gefährdet ist.
Der Klimawandel macht vor den Meeren nicht halt.
Wir kennen die Folgen der Erderwärmung, der Meereserwärmung. Die Versauerung und natürlich auch die
Verschmutzung durch menschliches Handeln machen
den Meeren zu schaffen. Die Meere beherbergen zugleich die größten Tiere, die Wale, die wegen ihrer geringen Vermehrungsrate ebenfalls besonders gefährdet
sind. All diese Themen gehen wir an, und wir setzen
Signale, insbesondere für die internationalen Verhandlungen.
Ich darf an den Antrag erinnern, den die Koalitionsfraktionen im vergangenen Jahr im Plenum zur Abstimmung gestellt haben; er wurde verabschiedet. Mit ihm
bekennen wir uns zum Schutz der Ökosysteme der Tiefsee und schlagen konkrete Maßnahmen vor. Wir treten
für die Ausweisung von Meeresschutzgebieten auf hoher
See und für die Ausweisung eines globalen Netzes von
Meeresschutzgebieten ein. Wir treten für eine konkrete
nachhaltige Fischerei ein, und wir engagieren uns gegen
zerstörerische und illegale Fischereipraktiken sowie gegen Überfischung.
Gern darf ich auch an den Koalitionsantrag erinnern,
der morgen im Plenum auf der Tagesordnung steht. Mit
diesem Antrag bekennen wir uns zum Schutz der Wale
und treten für konkrete Maßnahmen zum Schutz der
Wale ein. Damit machen wir gegen den kommerziellen
Walfang Front.
({2})
Dennoch kommen wir nicht an der Tatsache vorbei,
dass der Klimawandel natürlich auch Auswirkungen auf
die Meere und die Biodiversität dort hat. Es gibt invasive
Arten, die selber aggressiv gegen andere Arten auftreten:
Die Pazifische Auster legt sich wie Beton in der Nordsee
über andere Arten, und die Rippenqualle in der Ostsee
verdrängt dort andere Fischarten, wie wir es vom
Schwarzen Meer kennen. Wir können über Probleme
wie Ballastwasser reden: An dem Thema Klimawandel
und seinen Auswirkungen auf die Biodiversität kommen
wir nicht vorbei. Deswegen ist auch dies ein Gegenstand
der „Potsdam-Initiative“ zum G-8-Gipfel.
Dies alles zeigt: Deutschland handelt. Deutschland
nimmt seine Verantwortung ernst, international wie im
eigenen Land. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, unterstützen
die Bundesregierung bei ihrer Arbeit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Michael Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
vorhin in der Fragestunde schon ziemlich ausführlich
über manche der jetzt anstehenden Aspekte gesprochen.
Aber es ist wichtig, das noch einmal im Zusammenhang
darzustellen; da ist, glaube ich, auch etwas falsch verstanden worden.
({0})
Man kommt dadurch aus meiner Sicht zu Schlussfolgerungen, die sich - wenn man genauer hinschaut, erkennt
man das - eigentlich ein bisschen auf die eigene Geschichte beziehen.
Klaus Töpfer hat in seiner Zeit als Umweltminister
gesagt, dass die klaffende Wunde der deutschen Umweltpolitik das fehlende Naturschutzgesetz war. Da
muss man, was die eigene Geschichte angeht, auch wenn
wir sicherlich erst ein Stück des Weges gegangen sind,
froh sein, dass wir in Deutschland in den letzten Jahren
ein gutes Naturschutzgesetz geschaffen haben. Ich kann
nicht verstehen, warum man das jetzt hier kleinmachen
will.
({1})
- Ich komme auf Sie zurück. Sie haben wirklich etwas
eklatant missverstanden. Ich will versuchen, das zu erklären.
Da wird ein Titel wie „Biodiversitätsschutz in der EU
ohne deutsche Beteiligung“ formuliert. Dahinter wird
nicht einmal ein Fragezeichen gesetzt. Da ist man doch
irgendwo in einer anderen Welt. Ich kann das nicht nachvollziehen; es tut mir leid.
({2})
Ich beziehe das jetzt einmal auf die EU. Die Dreierpräsidentschaft, also Slowenien, Portugal und Deutschland, wird ein sehr anspruchsvolles Biodiversitätsprogramm für die EU vorlegen. Das ist vorbereitet, und das
wissen Sie auch. Zum ersten Mal überhaupt findet mit
allen europäischen Naturschutzverbänden eine Debatte
zu diesem Thema statt - das hat es bisher nicht gegeben! -,
auf deutsche Initiative. Auch das erwähnen Sie nicht.
Die Naturschutzdirektoren werden im Mai in Potsdam
zusammenkommen, um ein europäisches Programm
vorzubereiten. Das erwähnen Sie ebenfalls nicht. Sie
schreiben einfach: ohne deutsche Beteiligung. Wenn
man ein Thema so behandelt, dann muss man sich auch
gefallen lassen, dass man gefragt wird - es tut mir leid,
wenn ich das so sagen muss -, ob man die Fakten überhaupt zur Kenntnis nimmt.
({3})
Ich bin auf Ihrer Seite, wenn Sie sagen, dass man bei
diesem Thema ernsthaft diskutieren muss, weil unser
Verständnis von Natur sehr viel mit europäischer Kultur
zu tun hat. Es ist leider so, dass es in der europäischen
Geschichte immer eine Art Naturvergessenheit gegeben
hat. Das geht sehr tief. Fast alle großen Philosophen,
auch der europäischen Moderne, der Aufklärung, von
John Locke über Newton bis hin zu Descartes, haben
Natur immer so verstanden, dass man sie beherrschen
muss. Es galt das Verständnis: Wir sind Meister der Natur, Herrscher über die Natur. - Selbst Kant hat noch in
der „Kritik der Urteilskraft“ geschrieben: Nur der
Mensch ist alles, und die Natur hat sich dem unterzuordnen. - Das ist eine tiefe Prägung im europäischen Geist.
Wir wissen auch, dass beispielsweise die Naturvergessenheit, die Entsinnlichung im Verhältnis zur Natur
eigentlich eines der tragenden Elemente der modernen
Fortschrittsgeschichte war, die wir erst im 20. Jahrhundert zu überwinden begonnen haben. Insofern kann man
das nicht aus einem, wie ich finde, überheblichen Standpunkt heraus behandeln, sondern muss schon versuchen,
diese europäische Geschichte aufzugreifen und - das
halte ich für wichtig - zu einem anderen Verständnis von
Natur zu kommen.
({4})
Drei zentrale Themen gibt es, bei denen sich die Umweltpolitik auszeichnen muss; sie gehören sehr stark zusammen:
Erstens. Zunehmende Ressourcenknappheit.
Zweitens. Klimawandel. Der Klimawandel ist auch
ein zentrales Problem für den Artenschutz, also für die
Tier- und Pflanzenwelt. Ich habe die Zahlen vorhin
schon zitiert. In den nächsten Jahrzehnten sind 5 bis
30 Prozent der Pflanzen- und Tierarten durch den Klimawandel gefährdet. In Deutschland werden wir vor allem
erleben, dass sich die Standorte von Tieren und Pflanzen
sehr nach Norden bzw. Nordosten verlagern, dass in einigen Gebieten zum Teil dramatische Zuspitzungen mit
Aussterbeprozessen stattfinden, insbesondere dort, wo es
größere Trockenheit geben wird. Das ist in der Tat ein
ganz großes Problem.
Drittens. Biodiversität.
Wenn wir das alles wissen, dann müssen wir das
schon in den richtigen Zusammenhang stellen.
Wir kommen zu einer Novelle, weil im deutschen Naturschutzrecht das europäische Recht nur unzureichend
umgesetzt wurde. Das ist der Kern. Ich will hier nicht
besserwisserisch sein, aber zweifellos war das Naturschutzgesetz ein Produkt rot-grüner Politik. Insofern
müssen wir uns ein bisschen selbstkritisch fragen, warum wir es nicht in der Form umgesetzt haben, wie es die
Europäische Union jetzt verlangt. Das gilt dann auch für
uns; da kann man sich nicht hinstellen und auf andere
zeigen. Das finde ich, ehrlich gesagt, unangemessen.
({5})
Herr Hofreiter, ich muss schon sagen, dass Sie ein
paar Punkte wohl falsch verstanden haben. Denn die Novellierung ist in der Regel eine Verschärfung. Der Populationsbegriff ist beispielsweise im Gegensatz zum heutigen Zustand ein schärferer Anspruch.
({6})
- Doch. Entschuldigung, lassen Sie mich das einmal erklären. In der Land- und Forstwirtschaft, wo wir bisher
den Bezug nur auf die Einhaltung der guten fachlichen
Praxis hatten, gilt jetzt der Populationsbezug. Den gab es
bisher nicht. Es ist eine Verschärfung. Sie können natürlich sagen, das reiche Ihnen nicht aus. Das finde ich in
Ordnung, aber gegenüber dem heutigen Zustand ist es
eine Verstärkung.
Bisher galt, wenn es nicht einen willkürlichen Verstoß
gab, die Einhaltung der guten fachlichen Praxis als Garantie für die Freistellung von den artenschutzrechtlichen Verboten. Jetzt fordert man etwas mehr, nämlich
den Erhalt der Population bzw. der ökologischen Stabilität. Das ist mehr, und deshalb ist das, was Sie sagen, objektiv falsch, wie uns auch alle an diesem Prozess Beteiligten bestätigen.
Sie haben das Problem aus meiner Sicht auf die allgemeine Ebene gesetzt, aber es geht nicht um die allgemeine Ebene. Es geht um die speziellen Bereiche, in denen Siedlung und Landwirtschaft sich bisher
ausschließlich an der fachlichen Praxis zu orientieren haben. Da fordern wir jetzt ein Kriterium mehr. Das müssen Sie schon akzeptieren. Sie können sagen - das finde
ich ja in Ordnung -: Das reicht nicht aus, wir wollen viel
mehr. - Nur muss ich dann sagen: Das ist bisher im Bundesnaturschutzgesetz nicht enthalten. Das, was wir jetzt
machen, ist zumindest eine Stufe mehr als das bisherige
Naturschutzgesetz. Wir sollten bitte immer noch bei den
Fakten bleiben.
({7})
Zweiter Punkt: Wir verschärfen eindeutig den Projektbegriff. Der Projektbegriff wird jetzt deutlicher gefasst. Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Flächen
innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten, sondern es
gilt jetzt eine gewisse Generalisierung in den Vorschriften. Auch das ist eine Verschärfung. Sie kommen an dem
Punkt nicht vorbei. Auch in dem Bereich korrigieren wir
ein Defizit im bisherigen Gesetz und verschärfen die
Kriterien. Noch einmal: Man kann es noch schärfer machen, aber es ist eindeutig mehr als bisher.
Dasselbe gilt für die Infrastruktur und bei Siedlungsvorhaben. Auch da waren zugelassene Eingriffe bisher
frei von Auflagen. Jetzt gelten die Verbote direkt bzw.
mit der Maßgabe der ökologischen Stabilität. Es ist eine
Stufe mehr; ich kann es immer nur wiederholen.
Noch einmal: Sie haben recht, wenn Sie sagen, wir
müssen für den Naturschutz sehr viel mehr tun. Aber
bitte akzeptieren Sie, dass wir mit den jetzigen Novellierungsvorschlägen mehr tun, als das bisherige Naturschutzgesetz, das unter der Regie von Jürgen Trittin verabschiedet wurde, fordert. Lesen Sie die Vorschläge
wenigstens einmal, lesen Sie die Kommentare! Nehmen
Sie die wenigstens zur Kenntnis, auch wenn Sie eine andere Meinung vertreten.
({8})
Lesen Sie es nach, dann sehen Sie, dass es mehr ist als
das, was im bisherigen Gesetz von Jürgen Trittin steht.
Ich gebe ja zu: Dieses Gesetz haben wir damals so machen müssen - ich war ja dabei -, weil wir große
Schwierigkeiten mit der Zustimmung des Bundesrates
hatten. Das ist gar keine Frage. Trotzdem gehen die jetzigen Vorschläge weiter als das bisherige Gesetz. Das
muss man bitte akzeptieren und nicht immer gleich niedermachen.
Ich habe auch den Eindruck, dass Sie die Aktuelle
Stunde brauchen, um in Zeiten der ökologischen Debatte
wieder einmal deutlich zu machen, dass Ihre Partei eigentlich aus dieser Richtung kommt.
({9})
Unter taktischen Gesichtspunkten verstehe ich das, aber
in der Sache sind Ihre Vorwürfe nicht gerechtfertigt. Das
muss man schon einmal zur Kenntnis nehmen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich finde es richtig, dass
wir im nächsten Jahr einen Schwerpunkt bei der Biodiversität setzen, die in der Tat neben Klimaschutz und
Ressourcenknappheit das dritte große ökologische
Thema ist. Wir werden uns in Umweltfragen nur dann
glaubwürdig rechtfertigen können, wenn wir auch den
Naturschutz sehr viel ernster nehmen, als das bisher der
Fall ist.
({11})
Das Wort hat der Kollege Josef Göppel von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zurzeit sorgen sich viele Deutsche um die Urwälder,
weil zur Gewinnung von Palmöl Wälder abgeholzt wer9108
den. Ich finde diese Sorgen gut und richtig, aber wir selber sind nur dann glaubwürdig, wenn wir den Artenschutz und den Naturschutz in unserem Land ernst
nehmen. Deswegen ist das jetzige Urteil des Europäischen Gerichtshofes ein Anlass, sich wieder zu fragen:
Tun wir genug, und sind wir bisher den richtigen Weg
gegangen?
Eines ist sicher: Durch mehr Anbau von nachwachsenden Rohstoffen und Biomasse in Deutschland bekommen wir wieder mehr Nutzungsdruck. Als ich in den
60er-Jahren meine Ausbildung als Förster begonnen
habe, war es noch so, dass möglichst jeder Quadratmeter
genutzt wurde. Dieser Nutzungsdruck steht uns nun wieder bevor. Das ist natürlich eine besondere Herausforderung für den Artenschutz. Ich bin deshalb froh, dass wir
die europäischen Schutzgebiete haben, Natura 2000. Das
hebt die Qualität unseres Landes mit Blick auf den Tourismus, aber natürlich auch die Attraktivität insgesamt.
Regionale Wirtschaftsentwicklung hängt in vielen Teilen
unseres Landes eng mit einer intakten Naturqualität zusammen. Das gilt immer mehr.
Wenn man nun aber wissen will, warum diese europäischen Schutzgebiete eine so geringe Akzeptanz haben
und warum es so viele Widerstände gibt, dann muss man
sich mit der traditionellen Nutzung beschäftigen. Diese
Gebiete sind ja deshalb in den großen europäischen Verbund aufgenommen worden, weil sie durch die traditionelle Nutzung eine bestimmte Qualität behalten haben.
Werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
nehmen Sie einmal folgendes Beispiel: Da ist ein alter
Baumbestand, ein Buchenbestand; die Bäume sind
120 oder 130 Jahre alt und sollen nun genutzt werden. In
einigen Bäumen gibt es eine Spechthöhle. Diese Bäume
darf der betreffende Waldbesitzer, obwohl es in diesem
Wald auch viele andere alte Bäume mit Spechthöhlen
gibt, nicht umschneiden. Das ist in meinen Augen eine
zu enge Auslegung der europäischen Vorschrift.
Ich glaube, dass die Novellierung des Gesetzes, die
auf die lokale Population abzielt, genau richtig ist.
({0})
Denn damit schaffen wir mehr Akzeptanz; die Zustimmung zu solchen Gebieten wächst.
Das gilt auch für die Arten, deren Bestand sich erfreulich entwickelt. Ein typisches Beispiel in Süddeutschland ist der Biber. Der Biber steht für eine sehr erfolgreiche Wiedereinbürgerung einer Art in Deutschland. Aber
wir müssen sehen, dass er sich so erfolgreich vermehrt,
dass es an einigen Stellen Probleme gibt. Deshalb plädiere ich auch hier für Flexibilität. Wenn er den Damm
von Kläranlagen durchlöchert oder an Straßen herangeht, dann muss es möglich sein, einzelne Exemplare im
Sinn der Gesamtpopulation wegzunehmen.
({1})
Deswegen, Herr Kollege Hofreiter, brauchen wir eine
flexiblere Handhabung des Begriffes „erhebliche Schäden“. Glauben Sie mir: Im Ergebnis werden Sie dann für
den Artenschutz mehr erreichen, weil die Akzeptanz
wächst.
({2})
Ich möchte noch ein Beispiel aus dem Land Schleswig-Holstein erwähnen. Umweltminister Christian von
Boetticher
({3})
verfolgt mit lokalen Bündnissen ein neues Konzept, um
die Managementpläne in den europäischen Schutzgebieten umzusetzen. Wir werden sehen, dass er damit großen
Erfolg hat. Denn wenn die örtliche Bevölkerung einbezogen und ihr Ehrgeiz geweckt wird, dann erreicht man
mehr, als wenn mit starren Vorschriften Gegnerschaften
aufgebaut werden.
({4})
Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat nun
der Kollege Dr. Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Nachdem wir hier jetzt viel über den Naturschutz in Deutschland gesprochen haben und die Argumente dazu eigentlich schon ausgetauscht sind,
möchte ich die Gelegenheit nutzen, in einer Aktuellen
Stunde, die den Begriff „Biodiversität“ im Titel trägt, etwas zum Engagement der Bundesregierung sowie unserer Fraktion, der SPD, gemeinsam mit der CDU/CSU im
Bereich der Entwicklungsländer zu sagen; denn 80 Prozent aller genetischen und biologischen Ressourcen liegen nun einmal in den Entwicklungsländern.
Deswegen ist es gut, dass wir Maßnahmen, die sicherlich auch schon die Vorgängerregierung getroffen hat,
fortführen und 180 Projekte in den Partnerländern betreiben.
Ich nenne einmal schlagwortartig ein paar Zahlen.
Wir geben im Augenblick 300 Millionen Euro für die
laufenden Biodiversitätsprojekte aus, um die biologische
Vielfalt zu schützen. Wir geben allein 125 Millionen
Euro für den Schutz des Waldes und vor allem für den
Schutz des Tropenwaldes aus. Ich nenne beispielsweise
auch das PP-G7-Programm in Brasilien - es dient dem
Schutz des Amazonas-Regenwaldes -, in das bereits
360 Millionen US-Dollar geflossen sind. Der deutsche
Anteil betrug 45 Prozent. Das ist eines der erfolgreichsten Projekte von GTZ und KfW. Dieses Projekt findet
eine große Akzeptanz in der brasilianischen Bevölkerung. An der globalen Umweltfazilität, GEF genannt, hat
sich Deutschland bisher mit 365 Millionen US-Dollar
beteiligt und ist damit der drittgrößte Geber.
Was verbirgt sich hinter diesen Zahlen? Ich will einmal im Bereich Tropenwaldschutz bleiben. Dieser ist für
die Biodiversität von großer Bedeutung. In den Regenwäldern kann man auf jedem Meter die Vielfalt sozusagen greifen; viele Arten sind noch gar nicht entdeckt
worden. Aber auch für den Klimaschutz ist dieses
Thema ganz wichtig; denn die Brandrodungen und die
Abholzungen haben einen Anteil von etwa 20 Prozent an
der durch den CO2-Ausstoß verursachten Erwärmung.
Deswegen ist es ganz wichtig, dass sich Deutschland in
diesem Bereich international engagiert.
({0})
Nicht nur mit Geld, sondern auch durch Armutsbekämpfung muss die Biodiversität erhalten und der Wald
geschützt werden. Deswegen hängt Entwicklungszusammenarbeit ganz eng mit dem Thema Biodiversität zusammen. Wenn Menschen kein Land haben, dann werden sie eher gezwungen sein, Waldflächen zu roden.
Wenn Menschen keinen Zugang zu moderner Energieversorgung haben - in Afrika beispielsweise decken die
Menschen zu 70 bis 80 Prozent ihren Energiebedarf
durch Holz -, dann ist es eine wichtige Aufgabe für uns,
dass wir mit erneuerbaren Energien wie Windkraft oder
Photovoltaik den Menschen eine Energieversorgung ermöglichen, sodass sie nicht auf Holzressourcen zurückgreifen müssen.
({1})
Natürlich müssen wir auch schauen, dass die Entwicklungsländer einen Ausgleich dafür bekommen, dass
sie auch für uns ihre Biodiversität sozusagen zur Verfügung stellen. Angesichts der Tatsache, dass wir in
Europa in der Vergangenheit zum großen Teil unsere
Wälder genutzt haben, fragen sich Länder wie Brasilien
und Indonesien, warum sie die grüne Lunge der Welt
sein sollen und warum sie Naturschutzparks einrichten
sollen. Gleichzeitig müssen diese Länder ihre Bevölkerung ernähren.
Ich glaube, darauf müssen wir zwei Antworten geben.
Zum einen müssen wir Schutzprogramme in Kernzonen
weiterhin durchführen und den Regierungen die Mittel
geben, der Bevölkerung vor Ort einen Ausgleich zu gewähren. Zum anderen müssen wir eine nachhaltige Nutzung ermöglichen - das tun wir mit unseren Waldschutzprogrammen -, damit die Bevölkerung mittels der
Erzeugung von Pflanzenprodukten oder mittels FSC
- das ist ein Gütesiegel für Holz - den Tropenwald auch
in den Randzonen nutzen kann.
Wir wissen, dass allein der Welthandel mit Heilpflanzen 800 Million US-Dollar ausmacht. Das Schlagwort
vom gerechten Vorteilsausgleich, der auch in den internationalen Verhandlungen thematisiert wird, ist wichtig.
Nicht nur die Pharmaziebetriebe und Konzerne in den
Industrieländern dürfen von der Biovielfalt profitieren.
Vor allem muss sie den Menschen vor Ort zugutekommen.
Lassen Sie mich enden mit dem Satz „Global denken
und lokal handeln“. Wer möchte, dass im Sinne der Biovielfalt zum Beispiel die Löwen in Afrika geschützt werden, der darf in Deutschland nicht Bruno, den Problembären, abschießen, nur weil er ein paar Schafe gerissen
hat. Die Farmer in Afrika haben die gleichen Probleme.
Wir müssen lernen, mit wildlebenden Tieren, wenn sie
hier angesiedelt werden sollen, umzugehen. Wir müssen
lernen, mit der Natur zu leben.
In dem Sinne sage ich: Lasst künftig Brunos Kinder
leben! Dann werden wir weltweit glaubwürdig sein. So
können wir die Biodiversität erhalten und schützen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. März 2007,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.