Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDSBekämpfungsstrategie der Bundesregierung
- Drucksache 16/4650 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Spahn,
Annette Widmann-Mauz, Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Peter Friedrich,
Elke Ferner, Dr. Carola Reimann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/
AIDS in Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck
({2}), Birgitt Bender, Irmingard Schewe-
Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsam gegen AIDS - Verantwortung
und Solidarität stärken
- Drucksachen 16/3615, 16/3616, 16/4111 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Friedrich
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU, der Abgeordneten Christel
Riemann-Hanewinckel, Dr. Wolfgang Wodarg,
Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD, der Abgeordneten
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel
Bahr ({4}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Ute
Koczy, Thilo Hoppe, Renate Künast, Fritz
Kuhn und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Welt-AIDS-Tag 1. Dezember 2006 - Die besondere Verantwortung für Entwicklungsländer unterstreichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Detlef Parr,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Missfallen an der südafrikanischen AidsPolitik betonen und weitere deutsche Entwicklungszusammenarbeit an Bedingungen
knüpfen
- Drucksachen 16/3610, 16/3097, 16/4315 Berichterstattung:
Abgeordnete Sibylle Pfeiffer
Christel Riemann-Hanewinckel
Hüseyin-Kenan Aydin
Ute Koczy
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu Beginn der Debatte möchte ich meine Kollegin Ulla
Schmidt entschuldigen. Sie ist erkrankt und kann desRedetext
halb nicht teilnehmen. Ich werde also auch ihren Part
hier mit vertreten.
({0})
Ich denke, wir alle wünschen ihr alles Gute.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weltweit leben rund
40 Millionen Menschen mit dem HI-Virus. Jährlich infizieren sich über 4 Millionen Menschen neu. Betroffen ist
Afrika, vor allem südlich der Sahara, und UNICEF sagt,
dass es in drei Jahren über 25 Millionen Aidswaise geben wird, weit mehr, als in Deutschland Kinder leben.
Auch vor unserer Haustür, in den Staaten Osteuropas
und Zentralasiens, steigen die Zahlen der Neuinfektionen. Leider haben sich auch in Deutschland im letzten
Jahr wieder mehr Menschen angesteckt: rund 2 700.
Wir stehen alle in der Verantwortung, gegen Aids zu
mobilisieren. Das ist die Botschaft unseres Aktionsplans.
Die Staaten und Gesellschaften müssen und wollen den
Trend gemeinsam stoppen und umkehren. Die internationale Gemeinschaft hat sich dies in ihren Millenniumszielen bis 2015 zur Aufgabe gemacht. Deutschland fühlt
sich diesen Zielen verpflichtet und löst seinen Teil entschlossen ein, um die vereinbarten Millenniumsziele zu
erreichen. Diese Verpflichtung müssen wir alle auch
über die Jahre hinweg immer wieder erfüllen.
({2})
Eines ist klar: HIV/Aids ist ein internationales, ein
politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Problem. Wird es nicht auf allen Ebenen mit großer Entschlossenheit angegangen, bedroht diese Pandemie die
Stabilität ganzer Regionen. Mit dem Aktionsplan zur
Umsetzung der HIV/Aids-Bekämpfungsstrategie der
Bundesregierung stellen wir uns diesen Herausforderungen.
Unser Konzept ist in der ersten Stufe auf das
Jahr 2010 ausgerichtet und nutzt die Möglichkeiten, über
die geforderten Zielvorgaben hinauszugehen. Dabei setzen wir sowohl global als auch national auf die folgenden fünf Elemente, die zusammenwirken und zusammen
angepackt werden müssen:
Der erste Punkt ist die umfassende Prävention und
Aufklärung. Es liegt in der Verantwortung der jeweiligen Regierungen, den Menschen die Wahrheit zu sagen
und offen darüber zu sprechen, wie sie sich schützen
können und welche Prävention sie betreiben müssen.
({3})
Das ist insbesondere in Bezug auf das eine oder andere
Land im südlichen Afrika geboten, wobei ich froh bin,
dass die südafrikanische Regierung mittlerweile ihre Position geändert hat. Das ist auch unserem Einfluss und
der internationalen Gemeinschaft zu verdanken.
Der zweite Punkt ist der universelle Zugang zu Diagnose und Therapie. Um infizierte Menschen zu unterstützen, fördern wir Entwicklungsländer beim Ausbau
ihrer Gesundheitssysteme und bei der Bereitstellung von
preisgünstigen Medikamenten. Zusammen mit den Vereinten Nationen fördern wir in den ärmsten afrikanischen Entwicklungsländern auch die Produktion und damit auch die Möglichkeit des kostengünstigen Einsatzes
von Generika. Das ist wichtig, damit auch die armen
Menschen Zugang zu diesen Medikamenten erhalten.
({4})
Der dritte Punkt ist der Respekt vor den Menschenrechten der von HIV/Aids Betroffenen. Wir müssen immer wieder und überall der Stigmatisierung und dem
Abdrängen dieser Menschen an die Seitenränder der Gesellschaft entgegentreten.
Viertens: Kooperation auf internationaler Ebene mit anderen Staaten, mit UNAIDS, aber auch mit den
Nichtregierungsorganisationen. Ich möchte an dieser
Stelle - ich glaube, auch in Ihrer aller Namen - den engagierten Nichtregierungsorganisationen danken, die
Aufklärungsarbeit vor Ort leisten. Wir danken aber auch
den Nichtregierungsorganisationen in unserem Land: der
Deutschen AIDS-Stiftung und der Deutschen AIDSHilfe, die wunderbare Arbeit leisten und auch an dieser
Stelle ein Dankeschön und Unterstützung verdienen.
({5})
Der fünfte Punkt ist die Verstärkung der Forschung
und die Evaluierung und Sicherung der Qualität. Was die
Forschung angeht, ist es sehr wichtig, dass zum Beispiel
über Mikrobizide geforscht wird - auch wenn es Rückschläge gibt -, damit die Voraussetzungen geschaffen
werden, dass sich Frauen selbst vor der HIV-Ansteckung
schützen können, zumal in Entwicklungsländern, wo sie
weniger Rechte haben und sich schlechter durchsetzen
können. Mikrobizide sind wichtig. Deshalb sollten wir
die internationalen Mittel auf ihre Erforschung konzentrieren. Wir jedenfalls unterstützen diese Forschung,
weil wir sie für extrem wichtig halten.
({6})
Für die globalen Maßnahmen haben wir im Haushalt
des Entwicklungsministeriums 2007 die Mittel auf
400 Millionen Euro erhöht. Prävention ist und bleibt das
wichtigste Instrument. Das müssen wir immer wieder
klarmachen. Auf der Bremer Konferenz ist deutlich geworden, dass die Prävention für jede neue Generation
eine Aufgabe ist. Denn auch in unserem Land lassen die
Aufmerksamkeit und das Bewusstsein, wie wichtig es
ist, sich zu schützen, nach.
Über die bisherigen Zielgruppen hinaus müssen wir
aber verstärkt sozial benachteiligte Jugendliche in unserem Land und speziell Menschen aus Migrantenfamilien
ansprechen. Wir werden Forschung für Medikamente,
Impfstoffe und neue Präventionsansätze fördern.
In unserer Entwicklungszusammenarbeit arbeiten wir
in all diesen Fragen mit rund 50 Entwicklungsländern
zusammen. Bei allen Aktivitäten setzen wir uns besonders für den Schutz von Frauen und Mädchen ein.
Denn weltweit ist die Infektionsrate von Frauen dramatisch gestiegen. Im südlichen Afrika machen sie 60 bis
70 Prozent aller Infizierten aus. Die Abhängigkeit von
Männern macht es den Frauen unmöglich, sich vor HIV/
Aids zu schützen. Frauen den Zugang zu Bildung und
wirtschaftlicher Selbstständigkeit zu bieten, ist Teil unserer HIV/Aids-Bekämpfungsstrategie. Frauen stark zu
machen heißt, die Pandemie zu schwächen. Deshalb ist
es wichtig, die Mittel verstärkt in diesem Bereich einzusetzen.
({7})
Ich habe vorhin die Konferenz in Bremen erwähnt,
eine gemeinsame Konferenz des Gesundheitsministeriums, des Bildungsministeriums und meines Ministeriums. Wir haben dort unter dem Titel „Verantwortung
und Partnerschaft - gemeinsam gegen HIV/Aids“ große
Fortschritte erreicht. Mit den Kolleginnen und Kollegen
aus der EU und den osteuropäischen Nachbarstaaten haben wir gemeinsames Handeln vereinbart und politische
Führerschaft als wesentliche Voraussetzung zur Überwindung der Epidemie benannt. Es ist die Entscheidung
der Bundesregierung - ich bin dankbar, dass die Bundeskanzlerin das zu ihrem Thema gemacht hat -, dass die
Aidsbekämpfung, zumal bei Frauen, sowohl auf dem
EU-Gipfel als auch auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm im Mittelpunkt der Diskussionen sowie hoffentlich praktikabler Beschlüsse und finanzieller Konsequenzen stehen wird.
({8})
Die Bremer Abschlusserklärung markiert einen Meilenstein in der Aidsbekämpfung in Europa. Ein großer Erfolg dieser Konferenz ist die erklärte Bereitschaft der
Pharmaunternehmen, in ärmeren Ländern zu besseren
Bedingungen mit antiretroviralen Medikamenten zu helfen. Voraussetzung ist die Infrastruktur im Gesundheitswesen und sind sichere Vertriebswege.
Wir sind entschlossen, während unserer EU-Präsidentschaft einen Verhaltenskodex zu schaffen, der alle
EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, niemanden aus dem
Gesundheitssektor - keinen Arzt, keine Krankenschwester - in den Entwicklungsländern und insbesondere in
den afrikanischen Staaten abzuwerben. Sie werden dort
für den Kampf gegen HIV/Aids gebraucht.
({9})
Lassen Sie uns mit dem Aktionsplan im Rahmen unserer Präsidentschaften ein unübersehbares Zeichen für
globale Humanität setzen! Wir wollen im Rahmen unserer Präsidentschaften insbesondere den globalen Fonds
zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria finanziell unterstützen. Dieser Fonds leistet hervorragende Arbeit. Er hat seit seinem Bestehen 2002
1,5 Millionen Menschenleben gerettet - und jeden Monat weitere 100 000 Menschen. Was gibt es Wichtigeres,
als dazu beizutragen, dass Menschen nicht sterben müssen?
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Addicks für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Aktionsplan, den die Bundesregierung vorgelegt hat, ist natürlich zu begrüßen. Aber die Opposition findet leider immer wieder ein Haar in der Suppe.
({0})
Ich musste auch nicht lange danach suchen. In der Aidsbekämpfung gilt: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Denn mit jedem Euro, den wir
erst morgen einsetzen, erreichen wir nur die Hälfte von
dem, was wir heute damit hätten erreichen können. Aids
ist nun einmal eine sich explosionsartig ausbreitende Infektionskrankheit. Sie wartet nicht auf die deutsche EURatspräsidentschaft und G-8-Präsidentschaft, so schön
es auch ist, dass zu diesem erfreulichen Ereignis neue
Mittel bereitgestellt werden. Es wäre nach unserer Auffassung aber besser gewesen, wenn die Aufstockung
der Mittel - so wie wir das in den Haushaltsberatungen
gefordert hatten - früher gekommen wäre. Aids wartet
leider nicht auf uns.
({1})
Grundsätzlich freuen wir uns über den vorliegenden
Aktionsplan. Es gibt indessen weitere Punkte, in denen
wir mit Ihnen nicht ganz konform gehen. Sie legen den
Schwerpunkt auf die Prävention. Aber so richtig das ist:
Wir dürfen die Behandlung nicht ganz links liegen lassen. Wenn weltweit rund 40 Millionen Menschen infiziert sind, davon 30 Millionen allein in Afrika, dann
kommt auch in Afrika der Behandlung eine zunehmend
größere Bedeutung zu.
({2})
Frau Ministerin, Sie sagen, ein Viertel der Infizierten in
Afrika habe Zugang zu Behandlung, und sprechen in
diesem Zusammenhang von 800 000 Menschen. Das
sind nach meiner Rechnung 3 Prozent der Infizierten
und nicht 25 Prozent der Infizierten. Ich will damit die
Erfolge, die wir im Kampf gegen Aids haben, nicht
kleinreden. Wir haben diese Erfolge, aber wir dürfen
auch nicht in Euphorie verfallen. Wichtig ist: Eine ausreichende Behandlung senkt die Viruslast, und die Träger des Virus werden damit weniger infektiös. Ich weiß
auch, dass man mit solchen Aussagen vorsichtig umgehen muss; denn wir wollen die Leute nicht dazu verleiten, etwa auf ihren persönlichen Schutz zu verzichten.
Aber gerade in Ländern mit großer Promiskuität ist es
besonders wichtig, mehr auf die Behandlung zu setzen.
Behandlung und Prävention sind komplementäre Maßnahmen. Sie schließen einander nicht aus.
({3})
Ich möchte an dieser Stelle auf den Loyalitätskonflikt
hinweisen, in dem sich viele kirchliche Mitarbeiter befinden, wenn sie sich nicht an die Anordnung aus Rom
halten und gegen diese Anordnung Kondome verteilen.
Diesen mutigen Mitarbeitern möchte ich an dieser Stelle
ausdrücklich danken und sagen: Machen Sie weiter so!
({4})
Ich wiederhole an dieser Stelle auch meinen Aufruf an
Rom: Geben Sie endlich den Kondomen Ihren Segen!
Kondome sind ein wichtiges Mittel in der Prävention.
Wir leben im Jahre 2007. Es kann nicht sein, dass wegen
dieser Anordnung Kondome nicht so benutzt werden,
wie sie benutzt werden könnten. Das gilt übrigens für
alle religiösen Autoritäten in dieser Welt. Wir müssen
das mit deutlicher Stimme in diese Richtung sagen.
({5})
Ich komme nun zu unserem Südafrikaantrag. Frau
Ministerin, Sie schreiben in Ihrem Aktionsplan - ich zitiere -:
Das Engagement der politischen Führung eines Kooperationslandes ist dabei ein Schlüsselkriterium
für den Erfolg oder Misserfolg einer Strategie.
Sie haben das hier gerade noch einmal gesagt. Da können wir Ihnen wirklich nur recht geben. Wir haben mit
dem hier vorliegenden Antrag sehr frühzeitig und sehr
deutlich die südafrikanische Regierung kritisiert, weil in
Südafrika eben nicht mit den gebotenen Maßnahmen
Aids bekämpft wird. Stattdessen setzte man dort auf Mineralstoffe und Vitamine. Wir hören aus Südafrika, dass
immer noch nur 25 Prozent der 15- bis 24-Jährigen wissen, wie man sich gegen Aids schützt. Das ist für mich
ein Versagen der Aufklärungs- und Präventionskampagne. Diese niedrige Aufklärungsrate kann überhaupt
nicht verwundern, wenn selbst Minister glauben, dass
man sich mit Duschen nach dem Sex gegen Aids schützen kann. Dazu fällt mir nichts mehr ein.
({6})
Da sind Sie als Bundesregierung gefordert, in sehr
deutlichen Worten, wie wir das in unserem Antrag gefordert haben, dieses Verhalten zu kritisieren. Eine Gelegenheit dazu ergibt sich jetzt unmittelbar. Wir hören,
dass der gambische Präsident glaubt, durch Handauflegen Aids heilen zu können. Sie sollten in diese Richtung
deutlich kritische Worte sagen.
({7})
Es wird offenbar in Zukunft in Südafrika vernünftige
Politik betrieben werden. Damit wäre unser heutiger Antrag gegenstandslos. Mich würde es freuen, wenn dem
wirklich so wäre; denn mir geht es nicht um unseren Antrag, sondern um die Menschen in Südafrika. Die haben
das Recht, von einer kompetenten Regierung die Wahrheit über Aids zu erfahren.
({8})
Wenn die Bundesregierung dann noch den interfraktionellen Antrag, den wir heute verabschieden wollen, in
ihren Aktionsplan integriert, dann sind wir im Kampf
gegen Aids ein ganz gutes Stück weitergekommen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Jens
Spahn das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Addicks, wenn wir bei diesem Thema
nicht so viele Gemeinsamkeiten hätten, wäre man fast
versucht, zu sagen: Es ist Ihr Problem, dass Sie fortwährend bei allen möglichen Dingen, die wir als Koalition
tun, das Haar in der Suppe suchen. - Aber das wollen
wir angesichts der großen Einigkeit, die wir bei diesem
Thema zumindest im Grundsatz haben, lassen.
({0})
Ich jedenfalls bin der Bundesregierung sehr dankbar
dafür, dass sie im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft
und der G-8-Präsidentschaft dieses Thema an prominenter Stelle - mit einer Konferenz in Bremen und im Rahmen der Tagesordnung in Heiligendamm - behandelt
und deutliche Zeichen setzt, dass nicht nur wir hier im
Deutschen Bundestag uns mit diesem Thema beschäftigen, sondern auch die Staats- und Regierungschef sowohl der G 8 als auch der Europäischen Union.
Ich möchte jetzt vor allem auf die Situation hier in
Deutschland und in Europa eingehen, während die Kollegin Pfeiffer gleich insbesondere Entwicklungshilfefragen
in den Blickpunkt rücken wird. Die Frage der Prävention ist einer der wichtigen Punkte in dem Aktionsplan.
Wir können konstatieren, dass Deutschland eines der erfolgreichsten Länder auf der Welt gewesen ist, was Prävention angeht. Der Grund dafür ist, dass wir sehr früh
- die entsprechende Debatte in den 80er-Jahren war
durchaus umstritten; ich selbst habe sie nur als Kind mitbekommen - öffentlich einen breiten Präventionsansatz
verfolgt haben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung nimmt die Gesamtbevölkerung in den Blick,
während sich die Deutsche AIDS-Hilfe und die Deutsche
AIDS-Stiftung insbesondere um die Risikogruppen kümmern.
Trotz der erfolgreichen Arbeit in den vergangenen
Jahrzehnten müssen wir konstatieren, dass wir es auch in
Deutschland mit neuen Phänomenen zu tun haben. Die
Infektionszahlen sind zwar auf niedrigem Niveau; dennoch steigen sie dramatisch: Sie steigen von Jahr zu Jahr
zum Teil um 20 bis 30 Prozent. Im Jahr 2006 gab es
nach offiziellen Angaben etwa 2 500 Neuinfektionen.
Meine Generation - ich habe gerade schon auf mein
Alter hingewiesen - konnte die Debatten der 80er-Jahre
gar nicht bewusst wahrnehmen. Miterleben konnte sie
dadurch auch nicht das große Sterben, das stattgefunden
hat, weil es keine medizinische Behandlung gab. Die
Präventionsarbeit wird daher versuchen müssen, fortwährend neu - wie es für Präventionsarbeit schlechthin
typisch ist - anzusetzen, um neue Gruppen zu erreichen
und der jungen Generation Risikoverhalten klarzumachen.
({1})
Für uns in Deutschland ist es eine neue Situation, dass
die Zahl der infizierten Migrantinnen und Migranten
steigt. Insbesondere die Frauen, die zu uns nach Deutschland gekommen sind, erfahren oftmals erst hier von ihrer
Infektion. Diese Frauen kommen oftmals aus einem Kulturkreis, in dem das Thema „Sexualität“ und insbesondere das Thema „Infektionskrankheit“ tabuisiert werden.
Unsere Präventionsarbeit muss auch diese Gruppen erreichen. Der Aktionsplan enthält einen Ansatz, der darauf abzielt, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf unseren Auftrag hin zunehmend in Gebieten
zum Einsatz kommen, in denen sie mit dem Thema
„HIV/Aids“ konfrontiert sind. Wir wollen entsprechende
Präventionsansätze unterstützen.
Eine Selbstverpflichtung von Anbietern „anonymer
sexueller Kontakte“ - so heißt das offiziell -, ein in diesem Parlament durchaus strittiges Thema, sieht vor,
Kondome, Informationen und Gleitgel auszulegen. Ein
Problem ist, dass solche Vorgaben oftmals nicht umgesetzt werden. Im Zusammenhang mit dem Nichtraucherschutz debattieren wir darüber, ob es sinnvoll ist, dem
Nichteinhalten von Selbstverpflichtungen gegebenenfalls gesetzliche Regelungen folgen zu lassen. Analog
dazu wollen wir, die Große Koalition, schauen, inwieweit die angesprochene Selbstverpflichtung umgesetzt
wird, insbesondere in den großen deutschen Städten, wo
die Infektionszahlen stark steigen. Falls sie nicht umgesetzt wird, müssen wir über gesetzliche Regelungen
nachdenken.
Das Gleiche gilt für die Ausrichter von Partys und die
Betreiber von kostenpflichtigen Internetportalen, die gezielt sexuelle Kontakte zwischen HIV-Positiven und
-Negativen ermöglichen. Auch da muss man schauen,
was durch eigenes Engagement in den entsprechenden
Bereichen möglich ist. Wenn dort aber nichts passiert,
dann bin zumindest ich nicht bereit, dauerhaft zu akzeptieren, dass damit auch noch Geld verdient wird.
({2})
Dabei geht es nicht darum - ich sage das, bevor der Kollege Beck und der Kollege Parr in ihren Reden entsprechende Andeutungen machen -, Einzelne zu kriminalisieren; vielmehr geht es darum, die kommerziellen
Anbieter zu erreichen.
({3})
Ein noch wichtigerer Punkt ist die Forschung; denn
es geht darum, dieses Problem an der Wurzel zu packen.
Auch auf diesem Gebiet haben wir in den letzten
20 Jahren eine ganze Menge erreicht. Ich wäre manchmal froh, wenn diejenigen, die die Pharmaindustrie sonst
gerne einmal schelten, anerkennen würden, was man mit
vernünftiger Forschung in marktwirtschaftlichen Bereichen alles erreichen kann. Das gilt im Übrigen nicht nur
für die Behandlung von HIV/Aids; im Rahmen der Forschung sind auch ganz viele „Nebenprodukte“, was Vakzine, Diagnostik und vieles andere angeht, entwickelt
worden. Nichtsdestotrotz ist bei HIV/Aids bis heute nur
Linderung, nicht Heilung möglich.
Wir haben in Deutschland das Kompetenzzentrum
HIV/Aids - darauf weist die Bundesregierung in ihrem
Aktionsplan hin; darauf weisen auch die Ministerien in
ihren Stellungnahmen hin -, das allerdings nur als Projekt gefördert wird. Dabei wird eine Kohorte, etwa
14 000 Patienten, über Jahre begleitet, und man schaut,
welche Entwicklungen es dort gibt. Frau Bundesministerin Schavan, ich wäre sehr dankbar, wenn es angesichts
der offensichtlichen Anerkennung im Aktionsplan für
die erfolgreiche Arbeit dieses Kompetenzzentrums gelingen könnte, diese wichtige Forschungs- und Grundlagenarbeit auch im europäischen Rahmen fortzusetzen.
Zudem möchte ich noch kurz den Blick nach Osteuropa und auf das richten, was jenseits unserer östlichen Grenze passiert. Wir haben dort, wenn auch zum
Teil auf niedrigem Niveau, aber doch in der Tendenz,
Zahlen, wie wir sie aus den frühen Jahren im südlichen
Afrika kennen. Wie sich das weiterentwickeln wird - das
gilt im Übrigen auch für andere übertragbare Krankheiten, etwa Tuberkulose -, insbesondere in Russland,
wenn wir unsere Freunde und Partner dort nicht unterstützen, etwa mit unseren Erfahrungen aus den 80er-Jahren, was Präventionsarbeit angeht, können wir mit Blick
auf das südliche Afrika erahnen. Das ist für uns in der
Europäischen Union nicht nur ein Stück weit Entwicklungshilfepolitik - die ist auch wichtig -, sondern ein
Stück weit auch Innenpolitik, weil es direkt unsere Grenzen und die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen
Union betrifft.
Mindestens genauso wichtig ist es - die Bundesministerin hat darauf hingewiesen -, mit unseren Freunden in
der Europäischen Union das Thema tabufrei und offen
anzusprechen. Ich kann mich an Diskussionen mit katholischen Bischöfen in Polen erinnern, in denen wir als
Mitglieder des Bundestages, als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland deutlich machen konnten: Man kann
dies tabufrei und offen diskutieren, man muss es sogar
offen diskutieren; ansonsten kann man sowohl bei der
Prävention wie auch bei den weiteren Maßnahmen die
Probleme nicht bei der Wurzel packen.
Insofern bin ich froh darüber, dass wir heute hier diskutieren. Das setzt ein deutliches Zeichen. Ich finde es
richtig, dass die Große Koalition mit dem Aktionsplan,
aber auch mit unserem Antrag diese Schritte geht, und
würde mich über Unterstützung durch die Opposition
freuen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Trotz aller Erfolge, die wir vorweisen können:
HIV/Aids ist nachgerade die größte humanitäre Herausforderung unserer Zeit. Sie ist es geblieben, obwohl wir
in Westeuropa und in Nordamerika deutliche Erfolge erzielen konnten. Gerade in Afrika und in den asiatischen
Staaten wächst die Zahl der Neuinfektionen. Wir müssen
auf Afrika schauen. Es gibt insgesamt 40 Millionen
Menschen, die mit HIV/Aids leben, und schon 25 Millionen Aidswaisen. Von daher wissen wir, dass die Auswirkungen in den Familien und in den Gesellschaften oft
dramatischer sind als die von Kriegen; denn es werden
ganze Generationen ausgelöscht. Die Gesellschaften verlieren Zukunftsperspektiven und wirtschaftliche Grundlagen zu ihrer Entwicklung.
Deshalb ist es in einem ganz umfassenden Sinne
wichtig, dass wir als Politiker und Politikerinnen hier im
Hause, ob in der Entwicklungs-, Gesundheits-, Außenoder Wirtschaftspolitik, den Faktor HIV-Prävention und
-Behandlung in den Fokus all unserer Politiken nehmen
und uns klarmachen, wie zentral es ist, diesen Ländern
zu helfen, aus dieser ganz großen Notlage herauszukommen.
({0})
Die Bundesregierung hat einen Aktionsplan vorgelegt. Dazu kann ich nur sagen: Anerkennung, wem Anerkennung gebührt. Er hat eine sehr schöne Sprache. Er
bringt deutlich zum Ausdruck, dass es gelungen ist, in
Deutschland einen kulturintegrierten, antidiskriminierenden Zugang zur Arbeit mit HIV/Aids zu finden. Er
nennt alle riskanten Verhaltensweisen und Lebensumstände, die dazu führen, dass sich HIV/Aids verbreitet.
Er benennt die sexuelle Selbstbestimmung der Frau als
einen der wichtigsten Faktoren, nicht nur in Deutschland, sondern ganz besonders in Afrika, um die Ausbreitung dieser Krankheit zu verhindern. Er spricht über Safer-Sex-Methoden, darüber, dass sie angewandt werden
müssen und dass auch die jungen schwulen Männer in
Deutschland wieder Zugang zu der Notwendigkeit von
Safer-Sex-Praktiken finden, weil durch die Tatsache,
dass wir durch innovative Medikamente gute Behandlungserfolge haben, offenkundig das Bewusstsein dafür
verloren gegangen ist, dass es sich noch immer um eine
tödlich verlaufende Krankheit handelt. Bei Beschreibungen der Risiken dürfen wir nicht in Hysterie verfallen,
aber wir müssen unserer eigenen Gesellschaft und insbesondere der Jugend gegenüber deutlich machen: HIV/
Aids ist in der Realität keineswegs überwunden. Es ist
eine immer noch bestehende Gefahr, die wir deutlich benennen müssen.
({1})
Dies gilt gerade im Zusammenhang mit der Zwangsprostitution. Hiervor sind wir in Deutschland nicht geschützt. Von ihr sind häufig osteuropäische Frauen betroffen, die darüber hinaus noch von Drogen abhängig
gemacht wurden. Auch Sextourismus spielt eine ganz
große Rolle. Es wird also weiterhin nötig sein, die gängigen und allzu wohlfeilen Tabus in Deutschland zu brechen und Beschwichtigungsversuchen wie, wir hätten
mit der Entwicklung nichts zu tun oder seien aufgrund
der medizinischen Erfolge auf der sicheren Seite, entgegenzuwirken.
Europa ist größer geworden. In Osteuropa gibt es
viel weniger Möglichkeiten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Vor allen Dingen ist dort eine ganz andere
Einstellung vorhanden: Denken wir nur an die HIV-infizierten Menschen, die dort in Haftanstalten sitzen. Auch
aus der Rolle, die die Ukraine im Zusammenhang mit
Drogenabhängigkeit und Prostitution in den skandinavischen Ländern spielt, wird deutlich: Die Tore sind nicht
zu. Die Situation ist nämlich wesentlich anders als vor
20 Jahren, als wir uns nur hier in Deutschland mit ihr zu
beschäftigen hatten. Nun sind die Grenzen in zusammenwachsenden Europa durchlässiger geworden. Das
gilt insbesondere für diese hochgefährliche Infektionskrankheit. Wir können uns also nicht ausruhen.
({2})
Ich möchte an dieser Stelle Frau Dr. Rita Süssmuth
erwähnen, die zusammen mit den Selbsthilfeorganisationen, den Schwulenverbänden und mutigen Politikerinnen und Politikern in den Kommunen erreicht hat, in
Deutschland ein Klima zu schaffen, das der Aufklärung
den Vorrang gibt und geholfen hat, die Stigmatisierung
zu überwinden. Tun wir nicht so, als seien wir schon immer so aufgeklärt gewesen. Es war in Deutschland auch
schon einmal ganz anders. Die Lage würde ganz anders
aussehen, wenn sich damals die bayerische Seite durchgesetzt hätte, die die Separierung und Isolierung von Infizierten verlangt hatte. Tun wir also nicht so, als seien
wir schon immer Vorreiter des Humanitären in dieser
Frage gewesen.
Ich möchte nun noch einmal den Fokus darauf richten
- das halte ich für ganz wichtig -, was in diesem ansonsten sehr guten Bericht der Regierung fehlt. Auch in
Deutschland nimmt die Zahl sogenannter illegalisierter
Migrantinnen und Migranten zu. Etwa 17 Prozent von
diesen kommen aus Hochprävalenzstaaten, also aus
Staaten, in denen man mit einer hohen Zahl an HIV-Infektionen rechnen muss. Sie haben aufgrund ihres Status
keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung und sind
nicht für Primär- und Sekundärprävention ansprechbar.
Ihnen muss meines Erachtens die Bundesregierung deutMonika Knoche
lich sagen: Ihr alle bekommt einen freien, anonymen Zugang zur medizinischen Versorgung in Deutschland.
({3})
Dieses Angebot müssen wir machen, denn diese Menschen brauchen unsere Hilfe. Es nutzt letztlich auch der
Gesamtgesellschaft, wenn wir diese nichtintegrierten
Menschen in unser Gesundheitsversorgungsprogramm
aufnehmen.
Ein Weiteres ist mir noch ganz wichtig. Ich weiß, dass
man die Rolle der Pharmaindustrie bei Forschungsinnovationen nicht unterschätzen sollte. Sie hat da Großartiges geleistet. Aber ihre großartigen Forschungserfolge
belegt sie zugleich mit Patenten gemäß einem Patentrecht,
das nicht nur in Deutschland und Westeuropa die Behandlungskosten in die Höhe treibt. Wenn in Osteuropa
1 Prozent der HIV-Infizierten behandelt würde, wären
schon 10 Prozent des Gesamtbudgets des Gesundheitswesens der betroffenen Länder aufgefressen. Das zeigt,
wie schnell die Patentfrage bei diesen antiretroviralen
Medikamenten zu einer sozialen Frage und zu einer Gerechtigkeitsfrage wird. Das wird sich noch viel dramatischer in asiatischen Staaten, wie zum Beispiel Indien
oder Thailand, auswirken. Dort muss man heute mit
ganz abstrusen Situationen leben: Das TRIPS-Abkommen verlangt nämlich, auch in diesen Staaten dem
Patentrecht Geltung zu verschaffen. Selbst Entwicklungsländer müssen binnen der nächsten Dekade das
TRIPS-Abkommen umsetzen. Das heißt, die Patente der
Pharmaindustrie würden dann weltweit gelten. Das beschränkt den Zugang zu hochinnovativen Medikamenten
und damit die Behandlungsmöglichkeiten. Das kann es
nicht sein.
Deshalb liegt die Bundeskanzlerin - ich muss das
zum Schluss sagen - völlig daneben, wenn sie als G-8Ratspräsidentin den Schutz des geistigen Eigentums als
vorrangiges Ziel beschreibt, weil sie nicht realisiert, dass
das in eklatantem Widerspruch zu den Zielen steht, die
in der Bremer Erklärung vereinbart worden sind. Wenn
man weltweit den Kampf gegen HIV/Aids auch mit Medikamenten führen will, dann muss man das Patentrecht
überwinden und sich den Ideen des Nobelpreisträgers
Stigler anschließen: nicht Patente auf Innovationen, sondern Preisgelder. Denn dieses Wissen, dieses Know-how
muss der ganzen Menschheit zur Verfügung stehen, damit niemand von einer bestmöglichen Behandlung ausgeschlossen wird.
Danke schön.
({4})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
die Kollegin Birgitt Bender das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Motto der Weltaidstage in den Jahren 2005 und 2006
hieß: „Gemeinsam gegen Aids: Wir übernehmen Verantwortung für uns selbst und für andere“. Anknüpfend an
dieses Motto möchte ich heute hier festhalten, dass es
bei dem Thema Prävention von HIV/Aids viele Gemeinsamkeiten im Parlament gibt. Der Vortrag von Frau
Süssmuth auf der Bremer Konferenz hat - das wurde
schon angesprochen - deutlich gemacht, wie wir am Anfang, vor mehr als zwei Jahrzehnten, in der Bundesrepublik über das Thema diskutiert haben. Vor diesem Hintergrund muss man ausdrücklich würdigen, dass wir
gemeinsam zu den Grundüberzeugungen gekommen
sind, dass es um Information, Aufklärung, Freiwilligkeit,
Vertrauen in verantwortliches Handeln der Betroffenen,
das Zusammenspiel von bundesweiten Kampagnen und
zielgruppenspezifischen Angeboten sowie die aktive Beteiligung von Gruppen mit besonderen Risiken wie etwa
Schwule, Bisexuelle oder Migranten und Migrantinnen
geht. Es geht darum, zielgruppenorientiert über Schutzverhalten bei Sexualpraktiken, die nicht als allgemein
üblich angesehen werden, aufzuklären.
Trotzdem hat - auch das wurde hier schon deutlich das Thema Aids weder international noch national an
Bedeutung verloren. Steigende Neuinfektionsraten
auch in Deutschland machen den Handlungsbedarf deutlich. Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich,
dass die Mittel für die Aidsprävention ab diesem Jahr
deutlich erhöht werden. Ich füge hinzu: Daran sollten
sich auch Länder und Kommunen ein Beispiel nehmen
und die Prävention stärken, statt in diesem Bereich zu
kürzen.
({0})
Aber - das kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr Kollege Spahn - neben den Gemeinsamkeiten gibt es auch
Trennendes. Dazu gehört Ihr Griff in die Mottenkiste der
Repression mit Ihrem Vorschlag, man möge den
Straftatbestand der fahrlässigen Gefährdung durch die
Verbreitung einer sexuell übertragbaren Krankheit schaffen.
Natürlich gibt es in diesem Bereich einiges zu tun.
Wir wissen, dass Menschen, die andere in Kenntnis ihrer
Infektion infizieren, sich strafbar machen. Das ist also
nicht das Problem. Wenn Sie es ernst damit meinen, dass
es Ihnen letztlich um das Ziel geht, Infektionen zu vermeiden, dann schauen Sie einmal auf die Länder, die da
bereits tätig geworden sind, nämlich die Schweiz und
Österreich. In Deutschland wurden im Jahr 2005, in
Zahlen ausgedrückt, 32 Neuinfektionen auf 1 Million
Einwohner und Einwohnerinnen gemeldet. Wir sind uns
darüber einig, dass jede dieser Infektionen eine zu viel
ist. Aber in der Schweiz sind es nicht 32, sondern 95,
und in Österreich sind es 55. Jetzt sagen Sie mir einmal,
warum wir uns an diesen Ländern ein Beispiel nehmen
sollten! Dafür gibt es keinen Grund.
({1})
Kollegin Bender, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Spahn?
Ja.
Frau Kollegin Bender, sind Sie bereit, anzuerkennen,
dass ich gerade, wie auch bei der letzten Debatte, wieder
sehr deutlich gesagt habe, dass es nicht darum geht, im
Strafgesetzbuch den Einzelnen zu kriminalisieren, sondern um Repressionen gegen kommerzielle Anbieter, die
damit Geld verdienen, dass sie Angebote machen, durch
die Positive und Negative bewusst miteinander in sexuellen Kontakt gebracht werden? Sind Sie auch bereit, anzuerkennen, dass selbst die Aidshilfe in Österreich sagt:
„Das ist ein Mittel, das uns darin unterstützt, gegen solche Anbieter entsprechend vorgehen zu können“?
Ich fordere Sie auf, zur Kenntnis zu nehmen, dass Österreich in der Vermeidung von Neuinfektionen bisher
leider weniger erfolgreich ist.
({0})
Das heißt, diese Vorgehensweise hat nicht wirklich geholfen. Es geht doch letztlich darum - denn es gehören
mehrere dazu -, welche Menschen sich diesen Praktiken
ohne Schutz aussetzen. Bisher haben wir auf die Selbstverantwortung der Betroffenen gesetzt. Das sollten wir
auch weiter tun; sonst werden wir uns unglaubwürdig
machen.
({1})
Der Aktionsplan enthält positive Elemente. Zum
Beispiel ist es richtig, dass jetzt auch Migranten und Migrantinnen als Betroffenengruppe in den Aktionsplan
aufgenommen werden. Aber er hat natürlich auch Leerstellen. Zum Beispiel drückt man sich darum herum, für
drogenkonsumierende Menschen eine heroingestützte
Behandlung vorzusehen. Eine solche ist in der Fachszene absolut unumstritten. Ich weiß, es ist schwierig,
dies in der Union umzusetzen. Aber dazu kann ich nur
sagen: Sie werden sich da bewegen müssen. Alles andere ist nicht verantwortlich.
({2})
Insofern hoffe ich, dass wir es doch noch schaffen, bei
der Aidsprävention insgesamt wieder zu Gemeinsamkeit
zu kommen und an ausstehenden Verbesserungen zu arbeiten.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wodarg für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier erst am 1. Dezember eine Debatte zu HIV/Aids
geführt, haben viele Aspekte angesprochen und uns viel
vorgenommen. Ich bin sehr froh, dass es nicht nur bei
Worten geblieben ist, sondern dass die Bundesregierung
inzwischen auch gehandelt hat. Wir haben gesehen, dass
es sowohl in Deutschland als auch in der Welt mehr Geld
für die Bekämpfung von HIV/Aids und neue Programme
gibt.
Am 12. und 13. dieses Monats bin ich in Bremen gewesen und habe erleben dürfen, wie die europäischen
Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister in
einer von mir bisher nie gesehenen Zahl versammelt waren und dieses Thema durch ihre persönliche Präsenz
und ihr persönliches Engagement zu ihrer gemeinsamen
Sache in Europa gemacht haben. Das war beeindruckend.
Auch der Generalsekretär von UNAIDS, Peter Piot,
hat dies anerkannt. Er hat ein wenig ironisch gesagt: Es
ist schön, dass, nachdem die afrikanischen Staaten, die
Afrikanische Union, die asiatischen Staaten und Amerika jeweils ein gemeinsames Konzept haben, auch die
Staaten in Europa nicht nebeneinander arbeiten, sondern
eine gemeinsame, koordinierte Vorgehensweise entwickeln und hierdurch Synergieeffekte beleben und nutzen
wollen. - Das alles ist sehr positiv, und damit ist unter
deutscher Ratspräsidentschaft begonnen worden. Dafür
danke ich der Bundesregierung.
({0})
Besonders eindrucksvoll war, dass sehr viele Repräsentanten der Gesundheitssysteme aus Osteuropa anwesend waren, sie einbezogen wurden und hier einmal wieder ein Problem ganz offen angesprochen wurde. Das
hat auch Rita Süssmuth in Bremen sehr schön dargestellt, als sie über die 80er-Jahre sprach. Damals wurde
zugegeben: Ja, HIV/Aids ist ein Problem in unserem
Land. Das war damals in Deutschland der erste und
wichtigste Schritt. Genauso ist es in der Ukraine, in
Russland, im Kaukasus und in Zentralasien. Überall
dort, wo die Regierungen dieses Problem zu ihrer Sache
machen, sind wir ein großes Stück weiter. Dort kann eine
vernünftige Strategie umgesetzt werden, die nicht zu einem Nebeneinander, sondern dazu führt, dass man gemeinsam hinschaut, wo Aids bzw. HIV seinen Nährboden findet.
Ich habe gestern eine weitere Veranstaltung besucht.
Diese Veranstaltung fand einige 100 Meter entfernt von
hier in dem Gebäude statt, in dem Robert Koch vor genau 125 Jahren die Entdeckung des Tuberkuloseerregers
bekannt gegeben hat. Die Tuberkulose ist eine der wichtigsten Todesursachen. Am HIV-Virus stirbt man nicht
direkt. Er baut sich in das Erbgut ein; damit kann man leben. Viele Menschen leben damit und sind jahrzehntelang nie krank gewesen. Sie sterben an Infektionskrankheiten. Sie sterben an Hunger. Sie sterben immer dann,
wenn sie dadurch geschwächt werden, dass weitere Faktoren hinzukommen.
Wenn wir die Aidstoten zählen, dann zählen wir
gleichzeitig die Verhungerten, dann zählen wir gleichzeitig die an Tuberkulose Gestorbenen, und dann zählen
wir gleichzeitig all die, die an vielen Infektionskrankheiten gestorben sind, gegen die wir nichts tun.
Es war beschämend, gestern zu hören, dass es seit
40 Jahren gegen die Armutskrankheit Tuberkulose keine
neuen Medikamente gibt. Wo ist da die Pharmaindustrie? Wo ist da die Forschung? Wo ist das Engagement
für diese Erkrankung, die jeden Tag circa 4 500 Tote fordert?
Wir haben immer noch diese lächerlich wenigen Medikamente, die zum Glück schon ein wenig helfen, gegen die es aber immer mehr Resistenzen gibt. Da gilt es,
etwas zu tun. Von der Industrie wurde gesagt, es seien
27 neue Medikamente in der Pipeline. Das ist das, was
man sagt, wenn man möchte, dass die Aktienkurse steigen. Das werden alles Medikamente sein, die patentgeschützt sind und die sich keiner leisten kann in den armen Ländern, dort, wo die Tuberkulose zuhause ist.
Wir haben eine große Verantwortung aufgrund der
Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Deshalb
ist es wichtig, dass wir in Genf, wo jetzt der Konflikt
zwischen öffentlichem Gesundheitssystem einerseits
und geistigem Eigentum und den Rechten der Erfinder
andererseits verhandelt wird, einen Weg finden. Es kann
nicht sein, dass, weil die Aktienkurse steigen sollen, mit
Patenten spekuliert und Wissen zurückgehalten wird, um
ein Monopol aufrechtzuerhalten, Tausende von Menschen sterben. Das geht nicht.
({1})
Wir werden einen Weg finden müssen. Ich fordere,
dass immer dann, wenn es um neue Impfstoffe oder Medikamente gegen gefährliche Seuchen wie Aids, Tuberkulose, Virusgrippe oder Malaria geht, ein offenes, kooperatives weltweites Netz alle Informationen, die die
Forschung aufbereitet hat - ähnlich wie beim Human
Genome Project -, zur Verfügung haben muss, damit
ganz schnell möglichst viele mitdenken und helfen können und die Medikamente sofort ohne finanzielle Barrieren den Menschen zur Verfügung gestellt werden können.
Das geht nur, wenn die Forschung öffentlich gefördert
wird. Da müssen wir uns sehr anstrengen. Das muss sofort ins Netz, das muss sofort genutzt werden können.
Diese Forschung muss öffentlich gefördert und bezahlt
werden, damit auch bei den Erkrankungen etwas geschieht, mit denen man kein Geld verdienen kann.
Ich wünsche mir von der Bundesregierung, dass sie
uns in Genf und anderswo in diesem Sinne vertritt.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Detlef Parr für die FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte zeigt, dass HIV/Aids in Deutschland vor dem Hintergrund der Neuinfektionen ein
Thema bleiben muss. Überreaktionen sind aber fehl am
Platze. Eine solche wäre die Verschärfung des Strafrechts zum Beispiel gegenüber kommerziellen Einrichtungen für sexuelle Begegnungen; die Barebacking-Partys wurden als Beispiel genannt.
Die Bundesregierung setzt zu Recht auf eine Beteiligung an der Präventionsarbeit anstelle von Sanktionen.
Eine Intensivierung der Aufklärungsarbeit tut not. HIV/
Aids bleibt eine lebensbedrohende Krankheit. Deshalb
begrüßen wir die Absichtserklärung im Aktionsplan, die
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das
Robert-Koch-Institut personell und finanziell zu stärken.
Wann und in welcher Höhe das geschieht, wäre spannend zu wissen. Viel Zeit dürfen wir dabei nicht verstreichen lassen.
({0})
Von der Aufstockung der Mittel auf 400 Millionen
Euro im Jahr 2007, die lobenswert ist, müssen auch nationale Initiativen profitieren; denn viele kommunale und
lokale Projekte zeigen hervorragende Ergebnisse. Was
die biomedizinische und sozialwissenschaftliche Forschung angeht, begrüßen wir die Ankündigung des Kollegen Spahn, das Kompetenznetz aus der Projektförderung herauszunehmen und künftig institutionell zu
fördern. Ich hoffe sehr, dass sich das positiv im Haushaltsplan niederschlägt. Allerdings spricht die geplante
Absenkung der Fördermittel von 3 Millionen Euro auf
1 Million Euro ab Ende 2007 leider eher dagegen.
Einem Bereich widmen wir meines Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit: den Gefährdungen in Haftanstalten. Da gibt es erhebliche Defizite, zum Beispiel bei der
Substitutionsbehandlung. Oft führt eine Inhaftierung
zum Abbruch, und die Häftlinge erhalten keine kontinuierliche Behandlung mehr. So weist diese Gruppe
48 Stunden nach der Entlassung zurück in die Szene die
höchste Todesrate auf. Das ist eine alarmierende Zahl.
Das ist fahrlässig, meine Damen und Herren. Da dürfen
wir nicht länger tatenlos zusehen.
({1})
Schade ist auch, dass die kontrollierte Heroinvergabe an Schwerstabhängige nach den Ergebnissen der
Modellversuche von der Bundesregierung nicht erwähnt
wird. Wir wollen diesen kleinen Personenkreis nicht im
Stich lassen
({2})
und haben deshalb einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Übernahme in die Regelversorgung eingebracht. Ich möchte an dieser Stelle die Kolleginnen
und Kollegen von der SPD bitten, im Interesse dieser
Menschen den fast gleichlautenden Antrag fallen zu las9020
sen und dem Gruppenantrag beizutreten. Letzteres gilt
natürlich auch für die Union.
({3})
Uns in Deutschland muss auch die wachsende HIVProblematik in Grenzregionen durch Prostitution, Drogen- und Menschenhandel berühren. Das EU-Projekt
„Bordernet“ ist ein gutes Beispiel für grenzüberschreitende Präventionsdiagnostik und Therapiemaßnahmen.
Die Bundesregierung tut gut daran, diese Erfahrungen
aufzunehmen und weiterzuverbreiten.
Meine Damen und Herren, wir sind uns bei der Bekämpfung von HIV/Aids sowie anderer Infektionskrankheiten wie Hepatitis C, Tuberkulose und Malaria in vielem einig. Eine rechtliche Besserstellung HIV/AidsKranker im Sozialgesetzbuch gegenüber anderen
Schwerkranken sowie Sonderregelungen beim Aufenthaltsrecht, wie die Grünen sie fordern, lehnen wir Liberalen allerdings ab.
({4})
Jetzt geht es in die weitere Beratung des Aktionsplans. Gut, dass wir intensiv am Thema arbeiten. Wir
müssen mehr tun, als am Weltaidstag Symbolpolitik zu
betreiben.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Aids hält die Welt im Würgegriff. Die Entwicklungsländer leiden ganz besonders darunter. Aids ist wie ein
weltweites Puzzle. Ursache, Wirkung und Bekämpfung
sind sehr facettenreich und müssen gesamt betrachtet
werden. Man könnte meinen, nach fast einer Stunde Debatte sei schon alles gesagt. Ich erlaube mir als Entwicklungspolitikerin trotzdem, fünf Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit hervorzuheben, weil ich
glaube, dass es wichtig ist, sie besonders zu betonen.
Der Aktionsplan nimmt auf all diese Aspekte Rücksicht. Ich glaube, es ist wichtig, dass der Aktionsplan so,
wie er gestaltet ist, von allen beteiligten Ministerien
zusammen gestaltet worden ist, Frau Wieczorek-Zeul:
vom Entwicklungsministerium, vom Gesundheitsministerium und vom Forschungsministerium. Ich glaube, damit haben wir ein Zeichen gesetzt. Das ist gut so.
Lassen Sie mich als Erstes die Prävention nennen.
Sie spielt eine ganz zentrale Rolle bei der Bekämpfung
von Aids, und das gerade in den Entwicklungsländern;
denn, liebe Freunde, Vorbeugen ist immer besser als
Heilen.
({0})
Prävention bedeutet vor allem auch Aufklärung. Aber
genau hier stoßen wir ganz schnell an Grenzen. Es fehlt
gerade in den Entwicklungsländern an Infrastruktur, und
es fehlt an Kommunikationsmitteln. Prävention bedeutet
Verhalten ändern. Prävention bedeutet Traditionen aufbrechen. Prävention bedeutet auch Zugang zu Kondomen. Diese - das wissen wir - stehen nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Sechs Kondome pro
Mann und Jahr in Afrika sind schlechthin zu wenig. Das
Schlimmste an dem Ganzen für mich persönlich ist, dass
die Nutzung des Kondomes allein der Mann bestimmt.
Ich finde es wichtig, dass wir Verhütungsmethoden haben, die von Frauen selbstbestimmt genutzt werden können, wie zum Beispiel Femidome oder Mikrobizide.
({1})
Hinzu kommt, dass wir in diesem Bereich wirklich
über Intimitäten sprechen, die weitestgehend tabuisiert
sind. Deshalb brauchen wir in diesem Zusammenhang
eine ausgeprägte Sensibilität bei der Zusammenarbeit
mit den Entwicklungsländern. Folgerichtig ist es normal,
dass wir mit den Partnerländern direkt zusammenarbeiten und dass wir die Programme, die sie zusammen mit
den Nichtregierungsorganisationen erstellen, unterstützen. Nur so können wir einen den Kulturen angemessenen Kampf aufnehmen. Wir können mit ihnen zieladäquat zusammenarbeiten, nämlich zielgenau Mädchen
und Frauen ansprechen.
Frau Ministerin, Sie haben es hier eben noch einmal
betont: Danke dafür, dass Sie weiterhin an der Mikrobizidforschung festhalten. Ich glaube, es ist wichtig, dass
wir trotz der Rückschritte genau dies tun.
({2})
Lassen Sie mich als Zweites die Bildung nennen. Bildung ist erwiesenermaßen ein wirksamer sozialer Impfstoff gegen HIV/Aids. Bildung und Schulen legen den
Grundstock für die Gleichberechtigung von Mann und
Frau. Kinder und Jugendliche lernen, mit HIV/Aids umzugehen. Sie lernen aber auch, dass sie in einer ganz
schwierigen Situation sind. Denn sie erleben jetzt, dass
die mittlere Generation ihrer Gesellschaft ausstirbt. Ich
denke an die 15 Millionen Aidswaisen, die jetzt in den
Entwicklungsländern aufwachsen. Da befindet sich viel
sozialer und wirtschaftlicher Sprengstoff, der kaum in
den Griff zu bekommen ist.
Lassen Sie mich als drittes Thema die Frauen nennen. HIV/Aids hat ein weibliches Gesicht. Armut hat ein
weibliches Gesicht. Gesellschaftliche Benachteiligung
hat ein weibliches Gesicht. Frauen sind die Stütze der
Gesellschaft, auch in den Entwicklungsländern. Und
Frauen sind die Verliererinnen. Ich denke an Genitalverstümmelung, ich denke an Fistula, ich denke an Brustbügeln, ich denke an Gesichtsverätzungen von Frauen und
ich denke an Zwangsabtreibungen. Man kann diese Liste
noch lange fortsetzen.
Frauen haben einen niedrigen sozialen Status. Ihre
ökonomische Abhängigkeit ist vor allen Dingen eine sexuelle Abhängigkeit. Frauenrechte sind Menschenrechte. Die Stärkung der Frauenrechte ist eng mit der
Frage der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und
Rechte zusammenzusehen. Frauen sollen selber entscheiden, von wem, wann und wie oft sie schwanger
werden wollen. Auch hierzu gibt es Passagen im Aktionsplan.
({3})
Lassen Sie mich noch auf das Thema sexuelle und
reproduktive Gesundheit eingehen. Die Verknüpfung
dieses Themas mit Maßnahmen zur HIV/Aids-Bekämpfung ist richtig. Es freut mich, dass gerade dieser Punkt
im Aktionsplan genannt wird. Denn es stellt sich die
Frage: Verhindert ein Kondom eine Schwangerschaft,
oder schützt es vor Infektionen? Ich finde, das alles gehört zusammen. Deshalb muss das Thema reproduktive
und sexuelle Gesundheit und Rechte mit der Bekämpfung von HIV/Aids und den entsprechenden Programmen direkt verbunden sein.
Noch ein Punkt, der mich sehr bewegt, weil ich
glaube, dass wir noch gar nicht wissen, was da alles auf
uns zukommt. Es geht um das Abwandern von Fachkräften; Frau Ministerin hat es schon erwähnt. Die Folgen dieser Migration werden absolut unterschätzt. Die
besteingerichteten Krankenhäuser und Gesundheitsstationen vor Ort in den Entwicklungsländern nützen überhaupt nichts, wenn Krankenschwestern, Hebammen,
Ärzte und Ärztinnen fehlen. In Manchester arbeiten zurzeit mehr malawische Ärzte als in ganz Malawi. Das
muss man sich einmal vorstellen. Daher muss ein Zeichen gesetzt werden, und wir müssen entsprechend handeln. Frau Ministerin hat es angekündigt. Auf der Ebene
der G 8 und der EU wird gehandelt. Ich glaube, das ist
richtig und gut.
({4})
Das Problem ist nicht allein in Deutschland zu lösen.
Natürlich müssen wir Ansätze bieten, aber es ist vor allen Dingen auf europäischer Ebene in den Griff zu bekommen. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon
aus, dass allein in Afrika 4 Millionen Fachkräfte künftig
fehlen. Wir profitieren davon, dass diese Fachkräfte bei
uns sind. Das ist nicht stimmig. Deshalb, glaube ich, ist
es wichtig, dass wir über genau diesen Verhaltenskodex
reden und wissen, was wir in diesem Zusammenhang
tun.
Deutschland engagiert sich weltweit in rund 50 Entwicklungsländern bei der Bekämpfung von HIV/Aids,
aber auch Tuberkulose und Malaria. Für diese Aufgabe
sind 400 Millionen Euro angesetzt; es gibt entsprechende Erhöhungen. Wir machen HIV/Aids zu einem
zentralen Thema - das finde ich wichtig - bei der EURatspräsidentschaft und beim G-8-Vorsitz. Ich bin der
Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie in Bremen unmissverständlich die hohe Priorität von HIV/Aids zum
Ausdruck gebracht hat. Es ist richtig, dass die Bekämpfung von HIV/Aids auf allerhöchster Ebene angesiedelt
ist.
Der Aktionsplan ist für meine Begriffe auch ein Ausdruck unserer Solidarität mit den betroffenen Ländern
und mit den betroffenen Menschen. Ich glaube, es ist
notwendig und richtig - zumindest bei uns ist das so -,
dass wir gemeinsam daran arbeiten.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf etwas hinweisen: Im Zuge der G-8-Präsidentschaft veranstalten wir in
Berlin am 30. und 31. Mai zusammen mit dem EPF, der
DSW und unserem Parlamentarischen Beirat der DSW
ein Parlamentariertreffen. Sie alle sind herzlich dazu
eingeladen. Wir werden Gäste aus insgesamt 120 Ländern haben, und wir werden, wie ich denke, genauso
viele Besucher haben. Das ist eine große Aufgabe für
uns alle, die es zu bewältigen gilt. Es ist unser aller Aufgabe, uns dieses Themas anzunehmen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine
zentrale Schwierigkeit der Aidspolitik ist, dass Politiker
in diesem Politikfeld über Sexualpraktiken und über Realitäten von Drogengebrauch in einer Form sprechen
müssen, die sich nicht für Sonntagsreden eignet. Das
merkt man an der innenpolitischen Debatte. In Deutschland hat man das in den 80er-Jahren sehr deutlich gemerkt. Ich finde, man merkt es auch an der aktuellen Debatte über strafrechtliche Forderungen und an dem
Umgang von Politikern in Entwicklungsländern mit dem
Thema Aids. Die Politiker in diesen Ländern agieren
zum Teil völlig irrational und zum Schaden ihres Landes
und ihrer Bevölkerung.
({0})
Lassen Sie mich kurz etwas Weiteres zur Innenpolitik
sagen. Ich finde, wir sollten die Debatte über das Strafrecht liegen lassen und uns überlegen, wie wir Umgebungen für Sexualkontakte schaffen können, wo Menschen Präventionsmaterialien zur Verfügung gestellt
bekommen und wo sie vor allen Dingen realistische
Analysen ihrer Gefährdungssituation erhalten. Da, wo
heute mehr Infektionen als früher stattfinden, ist das der
Fall, weil die Menschen glauben, dass sie sicher sind,
obwohl sie sich in einer Situation befinden, in der sie
sich mit HIV infizieren können. Darauf müssen wir sie
hinweisen.
Hier dürfen wir keine Tabus aufbauen.
({1})
Daher darf Ihre Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, dem
Gesundheitsministerium und der BZgA nicht vorschrei9022
Volker Beck ({2})
ben, dass bestimmte sexuelle Aufklärungsmaterialien im
Internet nicht frei verfügbar gemacht werden. Wenn wir
bei der Prävention ein Blatt vor den Mund nehmen und
nicht über alle Praktiken so informieren, dass die Menschen wissen, wie sie sich in welcher Situation, bei der
Leidenschaft, die ihnen nun einmal zu eigen ist, schützen
können, dann haben wir den Kampf um die Reduzierung
der Zahl der HIV-Infektionen in Deutschland schon verloren.
({3})
Es ist ganz zentral, dass wir merken, dass im Zeitalter
der Internetkommunikation vieles im Internet stattfindet, was in den 80er-Jahren in Darkrooms und Lokalen
stattgefunden hat. Das muss man einfach zur Kenntnis
nehmen.
Nun zum Thema Entwicklungspolitik. Die Erfolge
der Entwicklungspolitik der europäischen Länder und
der USA in der Dritten Welt werden vorwiegend durch
zwei Faktoren gefährdet, nämlich einerseits durch ein
unkontrolliertes Bevölkerungswachstum und andererseits durch die Aidskrise. Wenn wir dagegensteuern wollen, wenn wir den Sachverstand und die finanziellen
Mittel, die wir in diesen Ländern investieren, wirklich
gewinnbringend einsetzen wollen, müssen wir all unsere
Entwicklungspolitiken mit der Aidsprävention vernetzen.
Aids ist in Afrika nicht wie in Europa vordringlich ein
Problem von bestimmten Risikogruppen wie Drogengebrauchern oder Homosexuellen. In Afrika ist Aids aber
auch ein Problem von schwulen Männern. In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Defizit des interfraktionellen Antrags hinweisen. In mehr als der Hälfte der
Länder Afrikas ist Homosexualität strafbar. Das hat zur
Konsequenz, dass HIV-infizierte homosexuelle Männer
keinen Zugang zur gesundheitlichen Versorgung haben,
weil sie dann nämlich angeben müssten, wer ihr Sexualpartner ist und damit unmittelbar ein Strafverfahren auslösen würden. Die Höchststrafen liegen zwischen
14 Jahren und, in den Ländern, in denen die Scharia gilt,
der Todesstrafe. Das sind Aspekte, die wir in unseren
entwicklungspolitischen Programmen berücksichtigen
müssen.
Ich war in Montreal vor den Outgames auf einer Menschenrechtskonferenz, auf der viele schwarzafrikanische Homosexuellen- und Aidshilfeorganisationen waren. Die haben gesagt: In unserem Land gibt es
wasserlösliche Gleitmittel und Kondome, die für den
Analverkehr geeignet sind, überhaupt nicht zu kaufen;
mal ganz abgesehen davon, dass sich ein gewöhnlicher
Afrikaner diese zu Marktpreisen überhaupt nicht leisten
kann.
Das sind Punkte, an denen unsere Entwicklungspolitik
auch nicht länger wegschauen darf. Sie sind zwar nicht
das Hauptproblem; aber für diese Gruppe von Menschen
ist das schon ein Problem. Wir müssen deshalb mit den
afrikanischen Staaten in einen Dialog darüber eintreten,
dass ihre menschenrechtswidrige Verfolgung der Homosexualität auch ein gesundheitspolitisches Problem für
ihre Länder darstellt.
Kollege Beck, das ist ein sehr wichtiges Thema; aber
Sie müssen jetzt trotzdem zum Schluss kommen, bitte.
Ich möchte dafür werben, dass Sie mit uns zusammen
zu einer anderen Strategie kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.
({0})
Das Wort hat der Kollege Peter Friedrich für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Bei der Bekämpfung von HIV/Aids auf
der nationalen Ebene sind wir außerordentlich erfolgreich: Deutschland ist eines der Länder mit den niedrigsten Neuinfektionsraten.
Das liegt vor allem an der guten und intensiven Zusammenarbeit zwischen staatlichen Behörden und Zivilgesellschaft. Die in Deutschland praktizierte Arbeitsteilung, dass die Informations- und Präventionskampagnen
in der Hand der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung liegen, die Aufklärung der Angehörigen der Risikogruppen dagegen von den Selbsthilfegruppen bzw.
ihren Spitzenverbänden verantwortet wird, hat sich als
erfolgreicher Weg herausgestellt. Es war und ist richtig,
den Gedanken der Selbsthilfe ins Zentrum unserer Bemühungen zu stellen. Unser Konzept der engen Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen bei Aufklärung und Prävention gilt inzwischen
international als vorbildlich. Mein persönlicher Dank
geht an dieser Stelle an die Bundesministerinnen Ulla
Schmidt und Heidemarie Wieczorek-Zeul, deren dauerhaftem hohem persönlichen Einsatz es zu verdanken ist,
dass dieses Thema so starke Beachtung findet. Mithin ist
diese Debatte auch dafür ein Zeichen.
({0})
Die Bremer Konferenz hat verdeutlicht, dass es in
diesem Themenbereich eine klare und starke politische
Führerschaft braucht. Es ist ein Zeichen - wie mein Kollege Wodarg es schon ausgedrückt hat -, dass es gelungen ist, dieses Thema erstmals auf dieser Ebene so prominent zu behandeln. Ich bin sicher, auf dem G-8-Gipfel
in Heiligendamm wird uns Ähnliches gelingen.
Mein Dank gilt in gleichem Maße den Selbsthilfegruppen und ihrem nationalen Dachverband, der Deutschen AIDS-Hilfe, die ebenfalls großen Anteil an diesen
Präventionserfolgen hat.
({1})
Denn nur durch die Selbsthilfegruppen erreichen wir,
was dort, wo nur auf staatliche Instrumente gesetzt wird,
nicht erreicht wird: dass wir in unmittelbaren Kontakt zu
den Bevölkerungsgruppen mit hohem Infektionsrisiko
kommen. Nur durch diese Selbsthilfegruppen konnte
bzw. kann es gelingen, die Risikogruppen aus der gesellschaftlichen Isolation zu holen, in der sie oftmals gefangen waren bzw. gefangen sind.
Doch auch wenn die Rate der Neuinfektionen in
Deutschland sehr niedrig ist, kann es keine Entwarnung
geben. Die Zahl der Neuinfektionen - das wurde schon
angesprochen - steigt. Das ist wohl auch ein Ausdruck
dessen, dass das Risikobewusstsein gesunken ist. Deshalb müssen wir immer wieder deutlich machen - ich
bin froh, dass das hier im Hause von allen Seiten angesprochen worden ist -, dass Aids nach wie vor nicht heilbar ist. Es ist allenfalls möglich, die Auswirkungen der
Krankheit zu lindern. Gegen dieses Missverständnis, das
offensichtlich bei Teilen der Jüngeren vorherrscht, müssen wir angehen. Aids ist keine chronische Erkrankung,
es ist eine tödliche Erkrankung.
({2})
Deswegen begrüße ich sehr, dass wir gerade die Mittel
für Aufklärungsmaßnahmen deutlich erhöht haben und
auch in der mittelfristigen Finanzplanung weitere Erhöhungen vorgesehen sind.
Eine erfolgreiche HIV/Aids-Präventionspolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik: Es geht darum, das Verhalten des Einzelnen, aber auch die Verhältnisse der Gesellschaft insgesamt zu thematisieren. Gleichzeitig sind
die Aufklärungskampagnen auf die Unterstützung nicht
nur der Politik, sondern auch der gesamten Gesellschaft
angewiesen. Wir haben gute, erfolgreiche Ansätze. Aber
- damit möchte ich aufgreifen, was die Kollegin Bender
angesprochen hat - es passt zu den Anstrengungen, die
wir auf der nationalen Ebene und international machen,
überhaupt nicht, wenn in den Ländern und in den Kommunen die Axt an das gelegt wird, was den Erfolg der
deutschen Arbeit ausmacht. Wenn die schulische Aufklärung, wenn Fahrdienste, wenn Mietkostenzuschüsse
in den Kommunen zusammengestrichen werden, dann
wird damit die Basis unseres Erfolges unterminiert. Deswegen ist mein Appell an die Kommunen und an die
Länder, bei diesen Mitteln nicht zu streichen. Denken
Sie daran: Prävention ist immer günstiger als die Behandlung der Krankheit. Es wäre fatal, wenn man sich
vor Ort aus der Verantwortung nehmen würde, weil der
Bund die Mittel erhöht.
({3})
Der Aktionsplan, den wir heute debattieren, sieht
auch den Ausbau der Substitutionsbehandlung vor.
Dazu gehört für die SPD-Fraktion unzweifelhaft die heroingestützte Behandlung, auch wenn wir uns in der Koalition in dieser Frage derzeit nicht einig sind.
({4})
Mit unserem Modellprojekt erreichen wir Schwerstabhängige, die durch ihre Konsumgewohnheiten und
Lebensbedingungen und durch den mangelnden Erfolg
anderer Behandlungsmaßnahmen tagtäglich von der HIVInfektion bedroht sind. Der Aspekt der HIV-Prävention
ist ein weiterer Grund, der für die dauerhafte Anerkennung von Heroin als Medikament für eine klar abgegrenzte Gruppe von Schwerstabhängigen spricht.
({5})
Ich hoffe sehr, dass wir uns hier auf eine gemeinsame
Lösung verständigen können.
({6})
An dieser Stelle würde es sich übrigens lohnen, auf die
Kommunen zu hören.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, insgesamt
stelle ich fest: Wir sind auf einem guten Weg. Wir sind
international eine treibende Kraft, was dieses Thema angeht. Ich halte den Aktionsplan für den richtigen Schritt.
Wir sollten ihn in seiner Gänze würdigen und umsetzen.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4650 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit auf Drucksache 16/4111. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/4111 die Annahme des An-
trags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/3615 mit dem Titel „Maßnahmen zur Be-
kämpfung von HIV/AIDS in Deutschland“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Stimmenthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfeh-
lung gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen und bei Enthaltung der FDP und der Frak-
tion Die Linke angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/4111 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/3616 mit dem Titel „Gemeinsam ge-
gen AIDS - Verantwortung und Solidarität stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der
Vizepräsidentin Petra Pau
Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die
Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung auf Drucksache 16/4315. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4315 die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3610 mit
dem Titel „Welt-AIDS-Tag 1. Dezember 2006 - Die be-
sondere Verantwortung für Entwicklungsländer unter-
streichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Be-
schlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/4315 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3097
mit dem Titel „Missfallen an der südafrikanischen Aids-
Politik betonen und weitere deutsche Entwicklungszu-
sammenarbeit an Bedingungen knüpfen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen
- Drucksachen 16/4026, 16/4036 - Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksache 16/4779 Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Carl-Ludwig Thiele
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/4781 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({2})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der LINKEN
Neue Steuervergünstigungen und Gewinnver-
lagerungen in das Ausland verhindern -
REITs in Deutschland nicht einführen
- Drucksachen 16/4046, 16/4779 -
Berichterstattung:
Abgeordnete. Leo Dautzenberg
Carl-Ludwig Thiele
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig
Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
REITs - Real Estate Investment Trusts in
Deutschland einführen
- Drucksachen 16/1896, 16/3356 Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({5})
Guten Morgen, sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten
Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
Große Koalition misst dem Finanzmarkt hinsichtlich
Wachstum und Beschäftigung in Deutschland eine sehr
große Bedeutung zu. Dies ist richtig und notwendig.
Die wenigsten Menschen wissen, dass in Deutschland
in diesem Bereich inzwischen ungefähr 1,2 Millionen
Menschen beschäftigt sind und dass der Finanzmarkt einen Anteil von mindestens 4 Prozent, Tendenz auf
5 Prozent steigend, an unserem Bruttosozialprodukt hat.
Die Bedeutung dieses Marktes vielen Menschen zu erklären, ist nicht ganz leicht, weil der Finanzmarkt als etwas sehr Anonymes und etwas sehr Komplexes wahrgenommen wird. Das erschreckt manche Menschen
regelrecht. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass
dieser Markt ein entscheidender Faktor für Wachstum
und Beschäftigung in Deutschland ist.
({0})
Entsprechend der Bedeutung des Finanzmarktes
wurde im Koalitionsvertrag im November 2005 etwas
Neues auf den Weg gebracht. Dort wurde nämlich zum
ersten Mal ein eigenes Kapitel zur Finanzmarktpolitik in
Deutschland verankert. Unter anderem heißt es in diesem Kapitel, dass wir sogenannte Real Estate Investment
Trusts einführen wollen „unter der Bedingung, dass die
verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt
wird und positive Wirkungen auf Immobilienmarkt und
Standortbedingungen zu erwarten sind“.
Nach einem Jahr ziemlich harter Arbeit - viele werden sich daran erinnern - bin ich sehr froh, dass ich
heute die Verabschiedung des entsprechenden Gesetzentwurfs begleiten darf. Wenn auch der Bundesrat dem
inzwischen geänderten Gesetzentwurf zustimmt - meiner Meinung nach gibt es daran wenig Zweifel -, wird
Deutschland rückwirkend zum 1. Januar 2007 ein börsennotiertes Immobilienanlageprodukt erhalten. Dies
ist wichtig.
({1})
Ich darf daran erinnern, dass damit die Bundesrepublik Deutschland als letztes Land der G-7-Gruppe, also
als letztes Land der weltwirtschaftlich bedeutendsten
Länder, den Einstieg in den internationalen REITs-Markt
schafft und damit mit Blick auf die wichtige Schnittstelle
zwischen Immobilienmarkt auf der einen Seite und
Finanzmarkt auf der anderen Seite zu anderen Staaten
wie den USA, Frankreich und Großbritannien aufschließt. Mehr ist es nicht. Wir erreichen den Standard,
den diese Länder längst haben.
REITs haben sich als internationales Finanzmarktprodukt inzwischen in über 20 Ländern der Welt etabliert.
Mit der rückwirkenden Einführung verhindern wir, dass
Deutschland international den Anschluss verliert. Diejenigen, die diesem Finanzmarktprodukt skeptisch gegenüberstehen, müssen die Frage beantworten, ob denn
Nichtstun eine bessere Alternative wäre.
({2})
Politische Verantwortung wahrzunehmen, heißt nicht,
durch Nichtstun Fehler zu vermeiden. Denn man kann
auch durch Unterlassungen Folgen auslösen, die sich
zum Nachteil Deutschlands auswirken.
({3})
Meine Antwort auf entsprechende Einwände lautet:
Wenn wir alles so belassen hätten, wie es ist, dann wären
allein ausländische REITs auf dem deutschen Immobilienmarkt tätig. Deutschland würde zu einem reinen Distributionsstandort „verkommen“
({4})
und würde die entsprechende Wertschöpfung, übrigens
auch die Perspektive für hochqualifizierte Beschäftigung, verlieren. Das ist der entscheidende Punkt.
({5})
Ich gebe zu, dass dies das erfolgreiche Ende eines längeren Beratungsprozesses ist
({6})
und dass diesem Prozess nicht ganz einfache politische
Diskussionen vorangingen.
({7})
Dies in Abrede zu stellen, wäre eine Beleidigung Ihrer
Urteilsfähigkeit und Ihrer Wahrnehmung.
Insbesondere die Einbeziehung von Wohnimmobilien ist auf unterschiedliche Auffassungen gestoßen.
Die Märkte haben eine solche Einbeziehung der
Wohnimmobilien erwartet und haben auch darauf gedrängt.
({8})
Auf der anderen Seite gab es nicht nur in meiner Partei,
sondern auch darüber hinaus, wie ich finde, nachvollziehbare und ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Gewährleistung des Mieterschutzes und hinsichtlich einer
nachhaltigen Stadtentwicklung, die nicht aus Kapitalmarktinteressen unterwandert werden sollte. Wir haben
diese Einwände ernst genommen.
({9})
Man musste - wie immer bei solchen Dingen - abwägen.
Ich glaube, dass wir mit der Herausnahme der inländischen Mietimmobilien zum 31. Dezember 2006 aus dem
Anwendungsbereich des Gesetzes einen vernünftigen
Kompromiss gefunden haben. Denjenigen, die heute in
den Wirtschaftsteilen der einschlägigen Zeitungen so
tun, als sei dieses Finanzmarktprodukt nun völlig gegenstandslos geworden, kann ich nur entgegenhalten: Übertreiben Sie nicht!
({10})
Schon in den Anhörungen, die in den Ausschüssen
des Deutschen Bundestages durchgeführt wurden, wurde
ziemlich deutlich - das ergibt sich auch aus einem Vergleich mit US-amerikanischen REITs -: In den Portfolios dieser REITs sind zu 85 Prozent, wenn nicht sogar
zu 90 Prozent Gewerbeimmobilien enthalten und nur
zu einem sehr geringen Prozentsatz Wohnimmobilien.
Insofern glaube ich, dass dieses Finanzmarktprodukt in
Deutschland von seiner Attraktivität durchaus nichts
verliert, wenn wir diesen Wohnungsbestand zum
31. Dezember 2006 herausnehmen.
Der deutsche Immobilienmarkt ist auch weltweit einer der attraktivsten. Deshalb bin ich überzeugt, dass
sich diese Konstruktion des REIT, die Sie nach Lage der
Dinge verabschieden werden, in Deutschland etablieren
wird. Ich bin mit diesem gefundenen Kompromiss deshalb sehr zufrieden. Das Gesamtpaket ist attraktiv und
wird, wie ich glaube, seine positiven Wirkungen entfalten.
Diese gefundene Ausgestaltung des deutschen REIT
stellt insbesondere auch eine verlässliche Besteuerung
beim inländischen und ausländischen Anleger sicher. Ich
war dort auch Haushaltspolitiker, um eine solche Konstruktion zu finden, mit der wir die damit verbundene
Steuerbasis nicht plötzlich erodieren. Das bedeutet, dass
der Fiskus auch profitieren wird. Insbesondere wird er
durch das Instrument der sogenannten Exit-Tax profitieren.
Das klingt zunächst paradox, weil eine solche ExitTax eine Steuervergünstigung dahin gehend darstellt,
dass in dem Augenblick, in dem die entsprechenden Eigentümer solcher Gewerbeimmobilien diese an den
Markt bringen, sie nur die Hälfte der Steuern zu bezahlen haben. Das klingt nach einer Steuervergünstigung.
Der Punkt ist aber: Wenn wir das nicht einräumen würden, würden sie diese Immobilien erst gar nicht an den
Markt bringen.
({11})
Darüber würden also gar keine stillen Reserven gehoben
werden. Wenn keine stillen Reserven darüber gehoben
werden, dann würden wir darüber auch keine Steuereinnahmen erzielen. Das ist der Mechanismus, weshalb ich
glaube, dass das richtig ist.
({12})
- Ja, so ähnlich lautet mein Satz auch bezogen auf etwas
anderes: Es ist besser, 25 Prozent auf X, statt 42 Prozent
auf gar nix zu haben. Herr Dautzenberg, Sie hören mir
erfreulicherweise zu. Das freut mich.
({13})
Wie ich glaube, haben die Koalitionsfraktionen etwas
sehr Richtiges getan. Sie haben sich nämlich darauf geeinigt, dass von der Exit-Tax nur die Eigentümer solcher
Grundstücke profitieren sollen, die seit fünf Jahren zum
Anlagevermögen des Verkäufers gehören. Dies halte ich
für richtig.
Ich will an dieser Stelle und abschließend auch noch
einmal darauf hinweisen, dass dies nicht nur aus Sicht
des Fiskus ein Vorteil ist. Es ist sehr schwer, den komplexen Zusammenhang zu vermitteln, dass zum Beispiel
große deutsche Unternehmen - auch Industrieunternehmen - im Vergleich zu ihren Konkurrenten im europäischen Ausland einen zu großen Immobilienbestand in
ihren Bilanzen haben.
({14})
Der große Immobilienbestand dieser deutschen Unternehmen - wenn Sie so wollen, ist das umgangssprachlich formuliert totes Kapital - verschlechtert ihre Bilanzen im Verhältnis zu den Bilanzen ihrer Konkurrenten
im Ausland und verschlechtert auch ihre Refinanzierungsmöglichkeiten gegenüber ihren Konkurrenten in
Großbritannien.
({15})
Das heißt: Es führt dazu, dass die Bilanzstruktur und
damit auch die Refinanzierungsmöglichkeiten dieser
deutschen Unternehmen auf den Kapitalmärkten verbessert werden, wenn man ihnen mit einem solchen Instrument die Möglichkeit gibt, etwas, was im Augenblick
nur daliegt - tot, nackt, kalt -, fungibel zu machen, an einen Markt zu bringen - zum Beispiel an ein börsennotiertes Immobilienunternehmen zu verkaufen - und damit, wenn Sie so wollen, liquidieren zu können.
({16})
Dies ist von entscheidenden Bedeutung.
Ich bin mir sicher, dass sich der deutsche REIT in dieser konkreten Ausgestaltung im internationalen Wettbewerb behaupten kann. Ich glaube, dass auch der Arbeitsmarkt positive Effekte davon hat. Ich rede jetzt gar
nicht mit Blick auf die Finanzdienstleister, die in Frankfurt oder weiß der Teufel wo davon betroffen sind, über
den Arbeitsmarkt, sondern ich bin mir ziemlich sicher,
dass über die Hebung und Mobilisierung dieser Immobilien eine ganze Reihe von Hausverwalterjobs wichtig genug sein werden und dass dies darüber hinaus der deutschen Bauwirtschaft und auch dem deutschen Handwerk
Impulse geben wird;
({17})
denn in dem Augenblick, in dem diese Immobilien nutzbar gemacht werden - buchstäblich also mobilisiert werden -, wird es um eine Reihe von Leistungen gehen,
durch die nicht dem Finanzdienstleistungssektor, sondern der gesamten Bandbreite der Unternehmen, die als
Dienstleister oder Handwerker mit Immobilien zu tun
haben, ein richtiger Schub gegeben wird.
({18})
Deshalb glaube ich: Für den Fall, dass Sie heute zu einem positiven Votum kommen, wird dies nicht nur für
den Finanzplatz Deutschland, sondern auch darüber hinaus ein wichtiger Schritt nach vorne sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister
Steinbrück, gerade Ihre Ausführungen zur Exit-Tax
können wir als FDP inhaltlich voll unterstreichen. An
dieser Stelle war aber schon spürbar, dass Union und
FDP Ihren Grundgedanken folgten, es allerdings fast
keinen - oder nur vereinzelten - Beifall von Ihren Genossen gab.
Ich glaube, das ist auch bei diesem Gesetz ein Teil des
Problems; denn selten ist bei der Einführung eines neuen
Finanzmarktproduktes so ideologisch gefochten worden
wie bei der Einführung der REITs und insbesondere der
Wohnimmobilien in REITs.
Insofern tobte innerhalb der SPD-Fraktion über Monate ein Streit zwischen Minister Steinbrück und den linken Genossen. Es ist schon bemerkenswert, wenn sich
die Linken innerhalb der SPD mit einer Mehrheit gegenüber dem SPD-Finanzminister durchsetzen.
Wir erleben derzeit einen schleichenden Autoritätsverfall des Finanzministers.
({0})
Wir erleben die schleichende Aufkündigung des Sparkurses, und wir erleben den schleichenden Machtverlust
des Finanzministers.
({1})
- Ich werde das noch ausführen. - Denn noch in der Koalitionsvereinbarung hatte der Finanzminister durchgesetzt - das wurde mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006
auch beschlossen -, dass der Zuschuss in die gesetzliche
Krankenversicherung im Jahr 2008 auf Null zurückgefahren wird. Ohne jegliche Deckungsvorschläge wurde
dieser Zuschuss in diesem Jahr auf 2,5 Milliarden Euro
erhöht; ab dem Jahr 2009 fließen zusätzliche Zuschüsse
in Höhe von 1,5 Milliarden Euro jährlich in die gesetzliche Krankenversicherung, bis im Jahr 2016 der jährliche
Zuschuss 14 Milliarden Euro betragen wird.
({2})
Dies ist kein Sparkurs, sondern die Kapitulation vor
einem Sparkurs. Diese Kapitulation hat der Finanzminister mitzuverantworten.
({3})
In dem heutigen Haushaltsgipfel über die Vorbereitung des Haushalts 2008 werden wir die weitere schleichende Aufkündigung des Sparkurses erleben.
({4})
Wir erleben nämlich heute ein politisches Lehrstück.
Steuermehreinnahmen sind gut für die öffentliche Hand,
aber gefährlich für einen Finanzminister, der sparen
möchte.
Parallel zu dieser Diskussion wird der Finanzminister
mit seinem politischen Ziel, eine Unternehmensteuerreform in unserem Land durchzusetzen, von der eigenen
Partei und den eigenen Parteifreunden bekämpft.
({5})
Genau dieselben Linken innerhalb der SPD, die gegen
den Willen des Finanzministers die Einbeziehung der
Wohnimmobilien in REITs verhindert haben, betreiben
weiter die Demontage ihres eigenen Finanzministers.
({6})
Sehr geehrter Herr Minister, wenn Ihre eigene Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen Ihren politischen
Kurs offen kritisiert, dann stellt sich nicht nur mir die
Frage, wie weit Ihr Gestaltungswille durch die Linken
innerhalb der SPD eingeschränkt wird. Wenn die eigene
Partei und die Mehrheit Ihrer eigenen Fraktion nicht
mehr hinter Ihrer Politik stehen, dann haben Sie keine
Unterstützung mehr für Ihre Politik. Aus meiner Sicht
ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann Sie sich selbst
die Frage nach Ihrem Selbstwertgefühl als Finanzminister stellen müssen.
({7})
Ich möchte noch einmal auf die Weigerung,
Wohnimmobilien in REITs einzubeziehen, eingehen.
Die Argumente hierfür sind absolut vordergründig und
reine Panikmache. Mieter sollen verunsichert werden.
Mit dem Schüren von Ängsten hofft man, Wählerstimmen zu gewinnen. Dabei darf man aber nicht vergessen,
dass gerade in den sieben Jahren rot-grüner Bundesregierung über 200 000 Wohnungen in öffentlicher Hand
von SPD-geführten Ministerien an Finanzinvestoren veräußert wurden. Jetzt wird mit dem Gesetzentwurf ein
ideologischer Popanz losgetreten, der sachlich nicht gerechtfertigt ist.
({8})
Erstens gilt im deutschen Recht nach wie vor, dass
Kauf nicht Miete bricht. Mieter bleiben also in ihren vertraglichen Rechten geschützt.
Zweitens wird im Entwurf des REIT-Gesetzes die
Fremdfinanzierung auf 60 Prozent des Vermögens begrenzt. Durch diesen hohen Eigenkapitalanteil kann im
REIT eher in den Bestand und in das Umfeld von
Wohnimmobilien investiert werden. Hierdurch kann
langfristig die Situation des Umfeldes und der Wohnungen verbessert werden. Ein REIT ist darauf angelegt,
von vornherein eine nachhaltig hohe Ausschüttung zu
erwirtschaften; denn 90 Prozent der Gewinne müssen
ausgeschüttet werden. Deshalb besteht gerade beim
REIT ein hohes Interesse daran, die Ertragsfähigkeit der
Immobilie zu erhalten und sogar zu steigern. Dies geht
nur mit zufriedenen Mietern. Deshalb dienen REITs dem
Interesse der Mieter stärker als die Veräußerung an Finanzinvestoren.
({9})
Drittens - das wissen Sie alle - verfügen viele Kommunen weiter über hohe Wohnimmobilienbestände. Angesichts des Investitionsstaus in den Gesellschaften und
der Situation der kommunalen Haushalte ist davon auszugehen, dass weiter über die Veräußerung dieser Immobilienbestände diskutiert wird. Mit dem Gesetzentwurf
wird verhindert, dass sie in REITs veräußert werden
können, aber es wird weiter der Weg offengehalten, dass
sie an Finanzinvestoren veräußert werden können. Das
ist absolut unschlüssig.
({10})
Viertens würden gerade REITs die Einflussmöglichkeiten der Kommunen erheblich erhöhen.
({11})
Der öffentliche Träger kann bisher meistens seine gesamten Wohnimmobilien nur zu rund 100 Prozent an einen Finanzinvestor verkaufen und verliert dadurch den
kompletten Einfluss auf die Wohnimmobilien. Dies wäre
bei REITs anders. Hier kann die Kommune weiter Miteigentümer sein. Deshalb möchte ich für die FDP klarstellen, dass die Ausklammerung von Wohnimmobilien ein
schwerer Geburtsfehler dieses Gesetzes ist, der möglichst schnell korrigiert werden muss.
({12})
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt ansprechen, den der Finanzminister schon erwähnt hat: die sogenannte Exit-Tax. Viele deutsche Unternehmen haben
- darauf haben Sie zu Recht hingewiesen, Herr Finanzminister - zum großen Teil selbstgenutzte Immobilienvermögen in ihren Beständen. Hohe Werte sind darauf
abgeschrieben worden. Die Veräußerung der Immobilienbestände würde zu einer hohen Steuerlast führen. Das
ist der Grund, warum sie nicht veräußert werden. Parallel müssen wir aber feststellen: Da die Firmen mehr
Eigenkapital brauchen, wäre es sinnvoll, wenn sie veräußern könnten. Deshalb hat schon die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2005 beschlossen, eine allgemeine
Exit-Tax für betrieblich gebundenes Vermögen einzuführen. Zu einem entsprechenden Gesetz ist es damals
allerdings nicht gekommen, weil der Jobgipfel an dem
Tag, als über einen entsprechenden Gesetzentwurf diskutiert wurde, mühelos von der ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis getoppt
wurde, der auch im vierten Wahlgang im Schleswig-Holsteinischen Landtag die Mehrheit ihrer sozialdemokratischen Freunde fehlte. Das bestimmte damals die Öffentlichkeit und nicht die Exit-Tax.
Wir, die FDP, halten eine Exit-Tax nach wie vor für
richtig; denn wir haben im Hinblick auf den deutschen
Standort und deutsche Arbeitsplätze ein Interesse daran,
dass die Firmen ihre Eigenkapitalbasis erhöhen.
Herr Finanzminister, in diesem Zusammenhang darf
ich noch auf einen Nebenaspekt hinweisen, auf den Sie
vielleicht in den weiteren Beratungen zurückkommen
werden. Angesichts der hohen Neuverschuldung der öffentlichen Hand brächte eine allgemeine Exit-Tax ausweislich der Berechnungen des schon seinerzeit SPD-geführten Finanzministeriums Steuermehreinnahmen in
Höhe von 720 Millionen Euro pro Jahr. Hierauf wird
aber verzichtet; das ist mir unbegreiflich. Stattdessen
wird eine Krücke eingeführt. Wir wollen Anlagefreiheit.
Der Anleger soll entscheiden, welches Produkt er in diesem Bereich bevorzugt. Steuerliche Privilegien sollen
nicht nur gewährt werden, wenn man in REITs investiert. Das halten wir unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten für komplett verfehlt. Nach unserer Auffassung
ist diese Regelung in rechtlicher und fiskalischer Hinsicht nicht haltbar.
({13})
Abschließend: Wir haben einen Änderungsantrag zur
EK-02-Problematik der ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften vorgelegt. Wir bedauern, dass er
in diesem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt wurde.
Wir werden weiterhin darauf dringen, dass man sich mit
ihm befasst und dass er möglicherweise in einem zukünftigen Gesetz berücksichtigt wird; denn es ist im Interesse der Mieter, wenn dieses steuerliche Problem gelöst wird. Wenn es gelöst wird, erhält der Fiskus
Steuereinnahmen, die er bei Beibehaltung der derzeitigen Regelung nicht erhielte.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Die
Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“
Der heute zur Verabschiedung anstehende Entwurf eines
REIT-Gesetzes ist ein Paradebeispiel für diese These
von Max Weber. Bereits vor gut zwei Jahren hat meine
Fraktion in einem Antrag die Einführung von sogenannten Real Estate Investment Trusts, kurz REITs, oder Immobilienaktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen in Deutschland gefordert. Ich darf aus unserem
damaligen Antrag kurz zitieren:
Deutschland benötigt zur weiteren Fortentwicklung
des Finanzplatzes sowie zur Stärkung des deutschen Immobilienmarktes ein international wettbewerbsfähiges Kapitalanlageprodukt, das international anerkannt und vergleichbar ist.
Diese Einschätzung, die wir auch in den Koalitionsvertrag übernommen haben, teile ich heute, zwei Jahre später, noch voll und ganz.
Wir setzen mit dem REIT-Gesetz den Auftrag aus
dem Koalitionsvertrag um und schaffen endlich die
Grundlage dafür, dass sich ein derartig international anerkanntes und wettbewerbsfähiges Produkt in Deutschland etablieren kann. Der Minister hat mit Recht darauf
hingewiesen, dass es darauf ankommt, Produktionsstätte
zu werden, nicht nur Verteilungsstätte und Platzierungsstätte.
Einige Kritiker aus der Finanz- und Immobilienbranche haben uns vorgeworfen, die Verabschiedung des
REIT-Gesetzes lasse zu lange auf sich warten. Diesen
Kritikern möchte ich in Erinnerung rufen: Es waren
nicht nur politische Debatten, die Zeit gebraucht haben,
auch die zum Teil komplizierten steuerrechtlichen und
steuertechnischen Fragen der REITs mussten sorgfältig
geklärt werden, damit Webfehler, wie sie in Frankreich
entstanden sind, nicht auch hier entstehen.
({0})
Sie wissen, dass das Bundesministerium der Finanzen
dazu - vom Vermögenstrustmodell bis zum jetzt gewählten Dividendenmodell mit Streubesitz - verschiedene
Varianten intensiv geprüft und sich letztlich richtigerweise für die praktikabelste und EU-tauglichste Variante
entschieden hat. Auch wenn der REIT-Markt international betrachtet tatsächlich bereits jahrelang etabliert ist,
bin ich überzeugt davon, dass wir in Europa mit dem
deutschen REIT-Gesetz noch rechtzeitig kommen. Auch
die Engländer sind erst zum 1. Januar dieses Jahres mit
ihrem Produkt auf den Markt gegangen.
Mit dem heute zur Verabschiedung stehenden REITGesetz bieten wir dem deutschen Finanz- und Immobilienmarkt ein attraktives Produkt an. Das sage ich - und
ich möchte hier eine Debatte vorwegnehmen, die sicherlich noch bevorsteht, zum Teil auch schon geführt worden ist -, obwohl die deutschen Bestandsimmobilien
nicht in das REIT-Gesetz integriert wurden. Sie wissen,
dass sich meine Fraktion bis zuletzt für die Integration
der Wohnimmobilien stark gemacht hat.
({1})
Um in Max Webers Bild zu bleiben: Wir haben bei unserem Koalitionspartner leidenschaftlich gebohrt, aber
letztendlich im Sinne des Gesamtprojekts eben auch mit
Augenmaß.
({2})
Dieses Augenmaß hat sich gelohnt. Das zeigen die
verschiedenen Verbesserungen am Gesetzentwurf, die
wir in der Großen Koalition in dieser Woche gemeinsam
auf den Weg bringen konnten. Es freut mich, dass auch
die FDP nahezu allen diesen Änderungen beigetreten ist.
Daher war es offensichtlich, dass Sie sich, Herr Thiele,
nur auf einen Punkt bei Ihrer REIT-Kritik konzentriert
haben und sonst Themen gewidmet haben, die an sich
mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf
nichts zu tun haben.
({3})
Die Verbesserungen am REIT-Gesetz lassen sich unter
drei großen Überschriften subsumieren: erstens Abbau
von unverhältnismäßigen Regulierungen und Beschränkungen des REIT; zweitens zielgenaue Ausrichtung der
Exit-Tax auf den deutschen REIT; drittens Klarstellungen bei der Kontrolle und Sanktionierung des REIT.
Zunächst haben wir beim Unternehmensgegenstand
unnötige Beschränkungen dahin gehend beseitigt, dass
der REIT nicht mehr nur Eigentum an unbeweglichem
Vermögen halten darf, sondern auch Beteiligungen an
Immobilienpersonengesellschaften, Auslandsobjektgesellschaften, REIT-Dienstleistungsgesellschaften und an
für die eigene Bewirtschaftung erforderlichen Gegenständen. Damit ermöglichen wir eine breite und diversifizierte Aufstellung des REIT sowie eine marktgerechte
Strukturierung der Immobilienbestände.
Auch im Stadium des sogenannten Vor-REIT sind
uns Erleichterungen gelungen. Wir räumen der VorREIT-Gesellschaft jetzt einen Zeitraum von bis zu zwei
Jahren ein, bis sie sämtliche Strukturvoraussetzungen
und Vermögens- und Ertragsrelationen des REIT erfüllen muss. Diese Übergangsfrist ist notwendig, damit der
Vor-REIT sein Portfolio bereinigen kann, weil nämlich
auch die Wohnimmobilien aus seinem Bestand zu veräußern sind und er Gewerbeimmobilien erwerben muss,
um die Immobilienquote erfüllen zu können.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen, der zielgenauen Ausrichtung der Exit-Tax auf den deutschen
REIT. Die Exit-Tax, die als Konversionsinstrument steuerbegünstigt ist, ist als Instrument bereits aus dem Jobgipfel 2005 bekannt. Beim Jobgipfel hatte man sich darauf
verständigt, die hälftige Besteuerung bei der Veräußerung
betrieblicher Grundstücke und Gebäude unabhängig davon zu gewähren, an wen veräußert wird. Die damit verbundene Zielsetzung lautete: Mobilisierung von bisher
volkswirtschaftlich nicht optimal genutztem Kapital.
Diese Zielsetzung spielt auch heute beim REIT-Gesetz
eine wichtige Rolle, aber sie ist nicht primär. Primär ist
das volkswirtschaftliche Ziel, dem deutschen REIT einen
Anschub zu geben, damit er sich als neues Kapitalmarktprodukt im internationalen und im europäischen Wettbewerb schnell und attraktiv aufstellen kann.
Diese Zielsetzung hat uns, die Große Koalition, dazu
veranlasst, die Exit-Tax allein auf den REIT und den
Vor-REIT zu konzentrieren und nicht, wie noch im Gesetzentwurf vorgesehen, auch die offenen Immobilienfonds in den Begünstigtenkreis einzubeziehen.
Bestärkt in dieser Entscheidung hat uns auch die Anhörung der Sachverständigen am 28. Februar. Hier
wurde deutlich, dass neben volkswirtschaftlichen auch
verfassungsrechtliche Argumente für die Konzentration
auf den REIT sprechen. Zwar ist es richtig, dass der offene Immobilienfonds von seiner Fungibilität her mit
dem REIT vergleichbar ist; ein wichtiger Unterschied
besteht aber in der Streuung. Der REIT muss klare Streubesitzvorschriften einhalten, sodass gewährleistet ist,
dass die einzelnen Beteiligungen nicht höher als 10 Prozent sind.
Neben dem Begünstigtenkreis der Exit-Tax haben wir
uns in der Großen Koalition auch intensiv mit den Bedingungen beschäftigt, die gelten sollen, damit ein Veräußerer von Immobilien in den Genuss der Exit-Tax
kommen kann. Hier haben wir wichtige Anpassungen an
die Marktrealitäten vorgenommen. Im Gesetzentwurf
war vorgesehen, dass die Mindesthaltedauer zehn Jahre
beträgt. Wir haben dafür gesorgt, dass diese Dauer auf
fünf Jahre reduziert wird. Damit wird den tatsächlichen
Gegebenheiten der gewerblichen Immobilie stärker
Rechnung getragen. Der Haltezyklus bei gewerblichen
Immobilien hat sich in den letzten Jahren - das zeigt die
Praxis - in Richtung fünf Jahre bewegt. Diesen Marktrealitäten haben wir die Exit-Tax nun angepasst.
Die Vorbesitzzeit von fünf Jahren gilt allerdings nicht
bei reinen Formwechseln von einer bereits bestehenden
Immobilien-AG in eine REIT-AG. Wir haben uns für
eine Frist von zwei Jahren entschieden, um gewisse Umgehungstatbestände bei der Konversion zu vermeiden.
Die Verkürzung der Vorbesitzzeit ist auch deshalb richtig
und wichtig, weil gerade junge Immobilien bzw. eine
Durchmischung von jüngeren und älteren Immobilien
den REIT stabiler und renditestärker machen. Die Vorbesitzzeit von fünf Jahren gilt allerdings nicht bei den
bereits erwähnten Formwechseln. Hier haben wir uns für
eine Frist von zwei Jahren entschieden.
Ein weiterer Punkt, bei dem wir Verbesserungen am
Gesetzentwurf erreichen konnten, betrifft die Frage der
Kontrolle und Sanktionierung des REIT-Status. Hier
hat vor allem der Bundesrat um Klarstellungen gebeten.
Diese Konkretisierungen haben wir in Abstimmung mit
den Bundesländern erreicht. Das wird die Zustimmung
des Bundesrates in der nächsten Woche wahrscheinlich
erleichtern. Vielleicht sind die Arbeiten an diesem Gesetzentwurf damit vor Ende dieses Quartals abgeschlossen. Wir haben den Umfang der Prüfungs- und Feststellungspflichten der Abschlussprüfer jetzt so konkretisiert,
dass sich die von der Finanzverwaltung zu überprüfenden Vorgaben nunmehr eindeutig aus dem besonderen
Vermerk des Wirtschaftsprüfers ergeben.
Bevor ich zum Schluss meiner Rede komme, muss
ich noch folgenden Punkt ansprechen - das gehört zur
Vollständigkeit -: Wir konnten die Problematik der Doppelbesteuerung in diesem REIT-Gesetz nicht lösen. Die
Große Koalition und der Ausschuss erteilen der Bundesregierung klar den Auftrag, diesbezüglich noch in diesem Jahr zu einem Abschluss zu kommen.
Lassen Sie mich abschließend auf Max Weber zurückkommen: Das REIT-Gesetz war tatsächlich ein
„hartes Brett“. Aber gerade mit Blick auf die intensiven
Arbeiten der vergangenen beiden Wochen darf ich für
die Koalitionsfraktionen und das Bundesfinanzministerium - es hat uns jederzeit unterstützt, zum Beispiel dadurch, dass es uns Formulierungshilfen gegeben hat sagen: Wir haben gemeinsam mit großer Leidenschaft
und gleichzeitig mit Augenmaß gearbeitet und damit ein
gutes Gesetz auf den Weg gebracht. Nun ist es an den
Marktteilnehmern, auf dieser Grundlage dem deutschen
REIT zum Durchbruch zu verhelfen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich fühlte mich an ein Volkslied erinnert: „Es tönen die
Lieder, der Frühling kehrt wieder, es spielet der Hirte auf
seiner Schalmei.“
({0})
Es tönen die Lieder der Stärkung des Finanz- und Wirtschaftsstandorts Deutschland, der notwendigen Wettbewerbsgleichheit, der Globalisierungszwänge. Finanzund Kapitalinteressen kehren wieder, und der Hirte Bundesregierung in Begleitung der Koalitionsfraktionen,
aber auch der FDP und der Grünen, die sich bemühen,
mitzuspielen,
({1})
spielt willfährig auf der Schalmei der Gesetzgebung.
Heraus kommt das Gesetz, das Sie uns vorgelegt haben:
Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen, kurz REITs.
Haben wir wirklich eine Lücke bei den Finanzierungsinstrumenten? Brauchen wir REITs? Die Bundesregierung sagt Ja. Herr Steinbrück hat es eben noch einmal betont: Alle anderen haben das, wir sind die Letzten,
also brauchen wir es auch.
({2})
Für uns als Linke ist als Maßstab entscheidend: Ist es
volkswirtschaftlich, ist es sozial notwendig, ja oder
nein? Herr Dr. Hirschel vom DGB hat dazu in der Anhörung recht eindeutig gesagt:
({3})
Mittelfristig wird Ihr REITs-Gesetz zu Einnahmeverlusten führen. Es entsteht ein neues Steuerprivileg für den
Finanzstandort Deutschland. Für den Wohnimmobilienmarkt kommt es zu Umstrukturierungen. - Die lehnen
auch wir ab.
({4})
Ich zitiere Herrn Dr. Hirschel:
Wenn wir zu der Ansicht kommen, dass bestimmte
gesetzliche Maßnahmen keinen ökonomischen Nutzen für dieses Land bringen und auch sozial nicht
erwünscht sind, dann ist es aus meiner Sicht eine
politische Kapitulationserklärung, wenn man mit
Blick auf das Ausland nur das nachvollzieht, was
dort ebenfalls ökonomisch und sozial nicht sinnvoll
ist.
({5})
Diese Kapitulationserklärung unterschreiben Sie heute.
Es geht erstens um Steuergeschenke. Es geht um die
Hebung stiller Reserven. Bitte erklären Sie das doch
einmal einem Hausbesitzer! Da hat jemand sein Haus
vielleicht sechs Jahre bewohnt, möchte es verkaufen,
weil er woanders eine gute Arbeit gefunden hat und dort
ein neues Haus kaufen möchte. Er unterliegt dem vollen
Steuersatz.
({6})
Wenn ein Unternehmen das nach fünf Jahren macht,
dann kommt es mit dem halben Steuersatz davon. Ich
finde das Argument von Herrn Steinbrück, hier solle nur
hälftig besteuert werden, um die stillen Reserven überhaupt zu heben, sehr fadenscheinig. Die Exit-Tax ist offensichtlich ein Fall von Subventionierung.
Zweitens geht es natürlich um Steuergeschenke für
die Anteilseigner. Irgendwo haben auch Sie das Problem erkannt. Herr Dautzenberg, Sie haben eben auf die
Kontrollmechanismen hingewiesen. Sie haben von der
Deutschen Steuer-Gewerkschaft aber gehört: Die
Finanzämter können und wollen nicht zu einer Wirtschaftskontrollbehörde werden. Was Sie hier vorsehen,
ist überhaupt nicht praktikabel.
({7})
Ein Problem ist schon, dass der Anteilseigner von sich
aus seine Dividenden angeben muss. Wenn er das nicht
tut, dann tut er das nicht. Wer das alles kontrollieren soll,
ist völlig ungeklärt.
({8})
Was die Anteilseigner angeht, so wird es auf alle Fälle
zu Steuereinnahmeverlusten kommen.
Drittens ist es eine direkte Einladung zum Aufbau
von neuen Steuerumgehungen. In der Anhörung ist eindeutig gesagt worden: Wer will denn beurteilen, wenn es
zu überteuerten Verkäufen kommt mit der Aussicht darauf, das weiter zu nutzen, indem man es zurückmietet?
Sie laden hier zu Sale-and-lease-back-Geschäften ein,
({9})
die ebenfalls zu Steuermindereinnahmen führen werden.
Mir ist neu, dass Sie mit dem Geld herumwerfen können,
allerdings nicht neu, wenn es um Kapital- und Finanzinteressen geht. Neu wäre das nur, wenn es um die Interessen der arbeitenden Bevölkerung geht.
({10})
Weder in den Beratungen im Finanzausschuss noch in
den Beratungen hier noch in der Anhörung konnten Sie
nachweisen, dass es tatsächlich eine Notwendigkeit für
REITs gibt. Nach meiner Überzeugung geht es zumindest im Bereich der Wohnimmobilien um etwas ganz
anderes. Es geht tatsächlich um eine Umstrukturierung
des Wohnimmobilienmarkts. Sie öffnen da eine Tür. Sie
haben die ganze Zeit behauptet, das sei eine ideologische
Diskussion, Herr Thiele; Wohnimmobilien müssten einbezogen werden.
({11})
Sie sind einbezogen. Wohnimmobilien können von
REITs erworben werden, wenn es Neubauten sind. Sie
sind einbezogen bei Mischobjekten. Ich nenne einmal
eine Zahl. 2005 gab es 778 754 Wohnungen in Mischobjekten, in denen der Wohnanteil unter 50 Prozent lag.
Das waren damals nur 2 Prozent des Wohnungsmarktes.
Aber das ist ein Einfallstor, welches Sie hier aufmachen:
für den Frühling der Kapital- und Finanzinteressen.
Sie haben noch nachgebessert. Sie haben die
Bestandswohnimmobilien bei Auslandsobjektgesellschaften aufgenommen.
({12})
Sie öffnen die Tür also weit.
Welche Folgen wird das haben? Wir kommen zu einer
Umorientierung in einem Wohnungsmarkt, der funktioniert und um den wir wahrscheinlich weltweit beneidet
werden, in dem es bisher keine große soziale Abgrenzung gibt, in dem es noch keine Gettoisierung - hier
arm, da reich - gibt. Insoweit haben wir noch funktionierende Städte. Aber der Druck, kurzfristig Rendite zu
erzielen, wird natürlich dazu führen, dass es zu Mieterhöhungen kommt und dass die Instandhaltung vernachlässigt wird. Fehlende Sanierungen werden auf der Tagesordnung stehen.
In einer Situation, in der sich die Städte gerade in einem Umbruchprozess befinden - der demografische
Wandel ist ja nicht zu leugnen - und wir ganz anders an
die Entwicklung unserer Städte herangehen müssen, öffnen Sie auf diese Art und Weise die Türen für kurzfristige private Finanzinteressen. Das kann nicht sein. Herr
Rips vom Mieterbund hat das wunderbar formuliert, als
er sagte: Wir wünschen uns Wohnungsunternehmen, die
sich als Farmer auf dem Wohnungsmarkt betätigen, nicht
als Jäger und Sammler. Sie aber haben sich für die Jäger
und Sammler entschieden.
({13})
Einwände, die in der Anhörung vonseiten der Wissenschaftler und der Vertreter der Verbände kamen, haben
Sie einfach zur Seite gewischt. Sie waren Ihnen nichts
wert. Zwar versuchte die SPD-Linke, ein klein wenig zu
kämpfen, aber das Gegenteil trat ein: Die Exit-Tax
wurde verändert, die Haltefrist von zehn auf fünf Jahre
gesenkt, die ausländischen Bestandsimmobilien wurden
einbezogen. Hier kann man also ein Einknicken auf ganzer Linie verzeichnen.
Zusammenfassend kann man sagen: Alle in der Großen Koalition wollen auf der Schalmei spielen, wenn es
darum geht, Finanzanlegern neue Spielräume zu eröffnen und Konzernen steuerbegünstigt und subventioniert
die Möglichkeit zur Umstrukturierung zu eröffnen, wie
es ja jetzt auch die Allianz plant. Das machen Sie in einer Situation, in der, angefangen vom Bereich Rente
über den Bereich Gesundheit bis hin zum Bereich
Hartz IV, der Mehrheit der Bevölkerung ständig in die
Tasche gegriffen wird.
({14})
Ich sage Ihnen: Der wirkliche Frühling kommt unabhängig davon, wie Sie sich hier verhalten. Die Politik hat
es nicht nötig, auf der Schalmei das Lied der Einzelinteressen zu spielen. Deshalb fordere ich Sie auf: Hören Sie
auf, dieses Lied zu spielen! Schließen Sie sich dem Antrag der Linken an! Verzichten Sie auf die Einführung
von REITs! Damit würden Sie den Frühling wirklich
standesgemäß begrüßen.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte als Erstes kurz auf die Frühlingslieder von Frau
Höll eingehen.
({0})
Wir alle warten auf den Frühling, und auch ich singe
sehr gerne; aber zum Frühling gehört auch der Frühjahrsputz. Wenn der auch Ihre Augen und Ohren betroffen
hätte, dann hätten Sie vielleicht auch mitbekommen,
dass die Grünen diesem Gesetz nicht zustimmen. In diesem Punkt hätten Sie vielleicht präziser sein sollen.
({1})
- Aber es kommt darauf an, wie man es tut.
({2})
- Darauf komme ich nachher noch einmal zurück.
Normalerweise diskutieren wir ja über Finanzmarktthemen sehr konsensorientiert.
({3})
Normalerweise geht es dabei auch um die Umsetzung
europäischer Richtlinien. Die letzten diesbezüglichen
Gesetze haben wir mit großem Konsens verabschieden
können. Hier liegt nun - man muss schon fast sagen:
ausnahmsweise - ein Gesetz vor, das originär von deutscher Seite eingebracht wurde und nicht eine europäische Richtlinie behandelt, bei der wir nur noch an ein
paar Schrauben drehen können. Trotzdem geht es auch
bei diesem Gesetz im Kern darum, sich internationalen
Entwicklungen anzupassen. Insofern hat Herr Steinbrück
völlig recht: Wir reagieren auf internationale Entwicklungen und schließen uns diesen an. Genau in derselben
Weise wie bei europäischen Vorgaben stehen wir auch
hier vor der Schwierigkeit, diese in unser Rechts- und
Wirtschaftssystem einzubetten.
Unser zentraler Kritikpunkt lautet nun, dass dies mit
dem vorliegenden REITs-Gesetzentwurf nicht gelingt.
Wir sehen dabei in zwei Bereichen Probleme: beim
Wohnungsmarkt und im Steuerrecht. Ich bin sehr sicher,
dass uns das, was heute verabschiedet werden wird, in
beiden Bereichen in den nächsten Jahren noch beschäftigen wird. Zum einen wird das Thema Wohnimmobilien
von der Immobilienbranche noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ich bin sicher, dass es dazu in
den nächsten Jahren entsprechende Anträge geben wird.
Zum anderen bin ich sicher, dass uns auch das Thema
Steuern aufgrund der verschiedenen Fragen, die jetzt
noch offen sind und Korrekturen in den nächsten Jahressteuergesetzen verlangen werden, noch einmal intensiv
beschäftigen wird. Das ist meine Prognose. Wir können
uns ja in den nächsten Jahren einmal darüber unterhalten, ob sie so eintrifft.
Ich möchte zum ersten Punkt kommen, zum Wohnungsmarkt. Man muss sich einmal die Argumentation
genau anschauen. Wenn es richtig ist, aus Gründen des
Mieterschutzes inländische REITs daran zu hindern,
Wohnimmobilien in Deutschland zu kaufen, dann muss
es doch auch richtig sein, die Mieter vor ausländischen
REITs und anderen Finanzinvestoren zu schützen.
({4})
Sonst wird doch das Ziel nicht erreicht.
Wir teilen die Anliegen des Mieterschutzes und die
Auffassung, dass man bei der Stadtentwicklung genau
hinschauen muss. Aber dafür brauchen wir Regelungen,
eine Lösung für das generelle Problem; denn sonst steht
man da wie ein Klempner, der sich mit Stolz und Akribie
am tropfenden Wasserhahn versucht, aber den Rohrbruch völlig unbearbeitet lässt.
({5})
Notwendig ist, dass wir uns - ich erwarte, dass wir da
in den nächsten Monaten weiterkommen - mit der zugrunde liegenden Problematik befassen, die darin besteht, dass die Kommunen häufig überschuldet sind und
keine andere Alternative haben, als ihre Bestände zu verkaufen, und dass sie beim Verkauf häufig keine andere
Alternative sehen, als die Bestände an einen Finanzinvestor en bloc zu verkaufen.
({6})
Ich komme zum zweiten Teil unserer Kritik; er betrifft das Steuerrecht. In dem Zusammenhang möchte
ich einmal auf das Thema Ideologie eingehen, Herr
Thiele; auch Herr Dautzenberg hat davon gesprochen.
Ich finde, der Ideologievorwurf gilt nicht nur für die
Leute, die den Mieterschutz über alles stellen, sondern
mindestens ebenso für die Leute, die bei einer Finanzmarktförderung alle steuerlichen Fragen einfach unter
den Tisch fallen lassen. Dass viele Leute aus der FDP
mit Steuerprivilegien keine Probleme haben, wundert
mich nicht. Aber unsachlich wird die Auseinandersetzung auch dann, wenn man dieses Thema missachtet,
wie sehr lange geschehen.
({7})
- Ja, das erkläre ich sehr gerne. Ich finde es richtig, Finanzmarktförderung zu betreiben und den Finanzplatz
Deutschland zu stärken. Die Frage ist aber, ob man den
Anlegern deutsche Wohnungen auf dem Silbertablett
präsentieren und den Kauf steuerlich privilegieren und
begünstigen muss; denn hier findet eine steuerliche Privilegierung statt. Das ist Industriepolitik. Deswegen ist
das - darauf haben einige Experten in der Anhörung hingewiesen - beihilferechtlich hochproblematisch. Das
muss man einfach sehen.
({8})
- Die Fraktion der Grünen hat dem 2005 nicht zugestimmt; das wissen Sie genauso gut wie ich.
({9})
- Sie hatten vorhin Gelegenheit, zu reden. Die Fraktion
der Grünen hat dem so nicht zugestimmt.
({10})
Außerdem hatten wir damals eine andere konjunkturelle
Situation. Darüber hinaus ging es um eine allgemeine
Regelung, nicht produktspezifisch auf das einzelne Finanzinstrument bezogen. Deswegen wäre das damals
beihilferechtlich nicht problematisch gewesen, während
es heute beihilferechtlich problematisch ist.
({11})
Ich möchte aber auch noch auf die anderen Fragen im
Zusammenhang mit der laufenden Besteuerung eingehen. Kollege Pronold hat bei unserer letzten Debatte, wie
ich finde, die richtige Frage gestellt, nämlich was denn
passiert, wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt, dass
es eine Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen REITs geben muss. Damit haben wir - ich
zitiere - „die letzte Möglichkeit für eine nationale Besteuerung von Grundstücken aufgegeben. Solange diese
Problematik nicht gelöst ist …, will ich REITs nicht.“
Ich kann dem nichts hinzufügen; denn das ist richtig.
Diese Frage ist bis heute nicht gelöst.
({12})
Das hat nichts damit zu tun, dass wir nichts tun wollen, sondern es geht darum, wie wir es tun und dass wir
es steuerrechtlich sauber tun. Bei dem Thema Doppelbesteuerung und vorbelastete Dividenden ist nicht sauber
gearbeitet worden. Wir haben da noch eine offene
Flanke. So etwas sollte nicht passieren.
({13})
- Es wird in diesem Jahr geklärt. Aber ich möchte wissen, was Sie gesagt hätten, wenn wir als rot-grüne Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hätten, bei dessen
Verabschiedung eine zentrale steuerliche Frage noch
nicht geklärt gewesen wäre.
({14})
Das ist handwerklich nicht sauber. Das geben Sie zu,
aber damit ist es noch nicht gut.
({15})
Man könnte jetzt noch verschiedene steuerliche Probleme im Einzelnen ansprechen. Ich will aber nicht alles
wiederholen, was in der Anhörung gesagt worden ist,
sondern nur die klare Linie meiner Fraktion zusammenfassen: REITs ist ein anständiges, gutes und sinnvolles
Kapitalmarktprodukt. Aber auch ein gutes Kapitalmarktprodukt rechtfertigt nicht neues Chaos im Steuerrecht
und neue Steuerprivilegien.
({16})
Das Wort hat der Kollege Florin Pronold für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Thiele, Sie kritisieren ideologische Auseinandersetzungen. Dabei gilt der alte Spruch aus der
Bibel, dass man zwar den Splitter im fremden Auge,
aber nicht den Balken im eigenen sieht. Sie vor allem betreiben hier eine ideologische Auseinandersetzung. Mit
einer gewissen Blindheit glauben Sie, alles den Kräften
des Marktes ausliefern zu können, und widersprechen
sich dann.
({0})
Auf der einen Seite fordert die FDP, dass es ja keine
Steuermehreinnahmen gibt.
({1})
- Ihr Vorsitzender Westerwelle hat jüngst gefordert,
Steuermehreinnahmen an die Bürger zurückzugeben.
Jetzt kommen Sie und sagen: Mit der Exit-Tax kann man
zusätzlich 700 Millionen Euro einnehmen.
({2})
Ich kenne genügend Debatten, in denen Sie am Anfang
Ihrer Rede dagegen wettern, dass man steuerliche Mehreinnahmen erzielt, und nachher das Verschuldungsverbot fordern.
({3})
Sie schaffen es wirklich, sich innerhalb einer Rede zu
drehen. Wenn man aus der FDP-Bundestagsfraktion
Windräder machen könnte, dann wären, so schnell, wie
Sie sich drehen können, alle Energieprobleme in
Deutschland gelöst.
({4})
Dasselbe geschieht bei der Exit-Tax. Sie sagen, Sie
stimmten unserem Finanzminister in allen Punkten zu,
und nachher kritisieren Sie die Form der Ausgestaltung
der Exit-Tax, wie sie der Finanzminister hier richtig begründet hat. Dann behaupten Sie, da bestehe zwischen
uns beiden ein Widerspruch, auch wenn wir in der Frage
der Exit-Tax genau die gleiche Linie vertreten.
({5})
Sie sollten mir einmal erklären, wie Sie das hinbekommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Thiele?
Immer.
Sehr geehrter Herr Kollege Pronold, ich habe darauf
hingewiesen, dass noch 2005 unter einem SPD-geführten Finanzministerium - die Staatssekretärin war sogar
personenidentisch - vorgeschlagen wurde, eine allgemeine Exit-Tax einzuführen. In diesem Zusammenhang
war im Finanztableau ein steuerliches Mehraufkommen
von 720 Millionen Euro enthalten, von dem alleine
415 Millionen auf zusätzliche Einnahmen aus der
Grunderwerbsteuer zurückzuführen sind.
Ich habe erklärt, dass das ein Weg war, den wir damals für richtig hielten und heute für richtig halten. Er
bringt die Immobilien in Bewegung und stärkt die Eigenkapitalbasis der Firmen. Nur, der Weg, der dann nach
einer Mehrheitsentscheidung innerhalb der Koalition gefunden wurde, nämlich dies auf eine einzige Anlageform, auf REIT und Vor-REIT, zu begrenzen, ist unsystematisch. Das war der Punkt, den ich angesprochen
habe. Das widerspricht an dieser Stelle sämtlichen
Gleichheitsgrundsätzen.
Dabei kommt erschwerend hinzu, dass Sie zunächst
auch die offenen Immobilienfonds privilegieren wollen.
Da kann man fragen: Warum denn diese? Warum nicht
die geschlossenen? Warum nicht andere? Sie haben eine
Unmenge an Abgrenzungsproblemen. Ich frage Sie,
wie Sie begründen können, dass dieser Weg die bestehenden Abgrenzungsprobleme löst. Er ist gegen die
Freiheit der Kapitalanlageprodukte gerichtet; denn es
können zukünftig nur diejenigen Unternehmen ihre Immobilien veräußern, die als Erwerber einen REIT vorfinden. Das ist gegen die Wahlfreiheit der Kapitalanleger
und gegen die Interessen der Firmen gerichtet. Deshalb
frage ich Sie, wie Sie die Begrenzung auf die Exit-Tax
sachlich begründen können.
Diese Antwort gebe ich Ihnen gerne. Erster Punkt.
Beim Jobgipfel ging es darum, betrieblich nicht genutzte
Grundstücke zu mobilisieren. Zweiter Punkt. In einer anderen konjunkturellen Lage wollten wir damals der Konjunktur einen zusätzlichen Anschub geben.
Jetzt haben wir uns in der Anhörung sehr ausführlich
mit der Frage beschäftigt, wie man Immobilien für
REITs oder für andere Produkte mobilisiert. Damit
komme ich zur Frage der Gleichbehandlung, die Sie
angesprochen haben. Dazu, dass wir Immobilien gleichbehandeln wollen, sagt das Bundesverfassungsgericht:
Gleiches ist gleich und Ungleiches ist ungleich zu behandeln. Jetzt gibt es die eine Möglichkeit, das Gesetz
auf alle Formen von Immobilienanlagen auszudehnen,
({0})
mit der Problematik, dass wir uns dann im Gesetz widersprechen würden. Denn für bestimmte andere Immobilienanlagen gelten dann die Restriktionen, die wir in diesem Gesetz vorsehen, nicht, weil wir Sale-and-leaseback-Konstruktionen entsprechend ausweiten würden.
({1})
Wir würden damit Steuermehreinnahmen, die Sie so
munter verteilen wollten, von Anfang an verhindern.
({2})
Deswegen haben wir diese Frage in der Anhörung
ausführlich debattiert. Die Mehrheit der Sachverständigen hat sehr wohl und zu Recht darauf hingewiesen, dass
es mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, dass wir,
({3})
wenn wir ein neues Produkt einführen, das in Konkurrenz zu etablierten Produkten steht, speziell dieses neue
Produkt fördern. Das stimmt mit dem Gleichheitssatz
viel mehr überein, als wenn man willkürliche Abgrenzungen trifft.
Wir haben eine Abgrenzung getroffen. Aber es ist
eine richtige, weil sie zielgenau dem dient, was wir mit
dem Gesetz erreichen wollen, und nicht mit der Gießkanne über die Lande zieht, ohne zu wissen, wo Unkraut
wuchert und wo die Blumen blühen.
({4})
Frau Höll, ich finde es doch schön, wie die PDS nun
versucht, die Frage der Wohnungen in eine völlig andere
Richtung zu ziehen, als es in dem Gesetz der Fall ist. Sie
sprechen von über 700 000 Wohnungen in Mischobjekten. Ich kenne diese Zahl nicht; ich höre das zum ersten Mal. Wir haben uns sehr bemüht, bestimmte Dinge
auch herauszufinden. Sie wissen, dass wir das in dem
REITs-Gesetz objektbezogen gestaltet haben.
({5})
Das bedeutet, das muss in dem konkreten Objekt entsprechend so sein. Uns ging es darum, zu verhindern,
dass man in ein Haus, das bisher nur Mietwohnungen
hatte, unten einen Frisörladen einbaut und das Ganze so
in einen REIT überführen kann.
Das haben wir mit einer Abgrenzung hinbekommen,
die wir übrigens auch mit dem von Ihnen zitierten Deutschen Mieterbund abgestimmt haben. Der lobt uns übrigens - anders als Sie das darstellen - gerade für die
gefundene Regelung zur Herausnahme der Bestandswohnimmobilien.
({6})
Herr Schick, dann kann man die spannende und richtige Frage ansprechen, wie es nun mit ausländischen
und inländischen Wohnungen ist. Wir sagen: Ja, es
können heute ausländische REITs in Deutschland Wohnungen kaufen. Das hat etwas mit der Freiheit der
Märkte zu tun und damit, dass wir niemandem grundsätzlich verbieten können, hier irgendetwas zu kaufen.
Sie unterliegen aber - das ist der Unterschied - hier der
Besteuerung. Auch ein ausländischer REIT, der in
Deutschland investiert, unterliegt hier der Besteuerung.
Das ist ein entscheidender Unterschied.
Zweitens wollten wir genau das, was wir hier feststellen, für ausländische Wohnimmobilien verhindern. Wir
haben nämlich gesagt, dass, wenn das Heimatland aus
genau denselben Gründen wie wir - nämlich Stadtentwicklung und Mieterschutz - sagt, dass solche Bestandswohnimmobilien nicht in REITs überführt werden dürfen, die das für den deutschen REIT genauso wenig
regeln könnten wie wir für den ausländischen. Wir haben
Vorsorge getroffen, dass, wenn es dort solche Regelungen gibt, die auch von deutschen REITs zu beachten
sind. Das ist schon ein wichtiger und entscheidender Unterschied.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höll?
Gerne.
Herr Kollege Pronold, da Sie mich gefragt haben, woher ich die Zahl habe, bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Zahl vom Gesamtverband der Deutschen Wohnungswirtschaft ist. Ich bitte Sie auch, zur
Kenntnis zu nehmen, dass es natürlich klar ist, dass das
Wohnungen in Hotels sind, also Gebäuden, die über
50 Prozent gewerblich genutzt werden. Es gibt also solche Gebäude, in denen auch Wohnungen sind. Das sind
775 000 Wohnungen.
Wenn wir uns hier über die Einschätzung von Sachverständigen austauschen, so sollten wir doch zur Kenntnis nehmen, dass der Mieterbund Sie zwar einerseits gelobt hat, dass er sich andererseits aber die Farmer auf
dem Wohnungsmarkt wünscht und nicht die Jäger und
Sammler. Ich zitiere noch einmal Herrn Rips:
Ich glaube ziemlich sicher, dass REITs-Unternehmen eher in die zweite Gruppe gehören.
Es geht also nicht um die Vereinnahmung von Sachverständigen, sondern um eine konkrete Bewertung dessen,
was sie uns während der Anhörung ins Stammbuch geschrieben haben. Da war der Mieterbund trotz allem äußerst kritisch.
Ich nehme das zur Kenntnis und würde auch gern antworten. Auf der einen Seite stellt sich noch einmal die
Frage nach den Zahlen. Sind es 700 000 Objekte oder
Wohnungen, die REIT-fähig sind? Das haben Sie mit Ihrer Antwort auf meine Frage überhaupt nicht beantwortet. Ich habe großen Zweifel daran, dass es so ist. Aber
ich glaube, das werden wir in dieser Debatte nicht klären. Das machen wir bei Gelegenheit, weil es mich interessiert, wie das in diesem Zusammenhang tatsächlich
ist. Denn wir haben uns bemüht, vernünftige Abgrenzungskriterien zu finden. Ich bin mir ziemlich sicher,
dass wir das hinbekommen haben.
In Bezug auf das, was Herr Rips zu den Jägern und
Sammlern gesagt hat, würde ich ihm zustimmen. Deswegen haben wir auch versucht, bei den REITs bestimmte
Grenzen einzuziehen. Auch das haben wir zum ersten
Mal. Hier geht es um die Frage, mit welcher Fremdfinanzierung REITs unterwegs sein können. Gemessen an
dem, womit Private-Equity-Gesellschaften und andere
unterwegs sind - Herr Dautzenberg hat es angesprochen -,
ist eine Eigenkapitalquote von 60 Prozent eine ganze
Menge.
Noch zu Ihrer Frage, Herr Thiele: Dass das Mietrecht
ein guter Schutz ist, stimmt derzeit. Sie wissen aber
auch, dass zum Beispiel das Bundesland BadenWürttemberg - unter Beteiligung der FDP - eine Initiative in den Bundesrat eingebracht hat, mit der das Mietrecht verschlechtert würde. Es ist ein bisschen schwierig,
hier so zu tun, als sei das Mietrecht das große Schutzschild, wenn man selber an anderer Stelle daran arbeitet,
dieses Schutzschild kaputt zu hauen.
({0})
Das ist zumindest keine ehrliche Argumentation.
({1})
Sie sagen, der Einfluss der Kommunen würde mit
dem REIT erhalten bleiben. Wir haben uns für eine
Streubesitzklausel entschieden; das bedeutet, eine Kommune kann maximal 10 Prozent halten. Zu denken, mit
10 Prozent könne eine Kommune tatsächlich einen Einfluss darauf haben, wie von einem Unternehmen Stadtentwicklung betrieben wird, ist Illusion.
({2})
Ich freue mich, Herr Schick, dass die Grünen wieder
auf den rechten Weg zurückgefunden haben und jetzt
auch wieder für die Herausnahme der Wohnimmobilien
sind. In den Debatten der Vergangenheit und auch in
Freiburg klang das alles ein bisschen anders.
Ich will noch einmal auf die Frage der Exit-Tax eingehen. Es wurde schon angesprochen: Hier haben wir
eine Begrenzung auf den REIT selber vorgenommen.
Zweitens geht es hierbei um die Frage der Fristen. Auch
dabei haben wir überlegt, was denn Ziel sein soll. Ziel
der großen Koalition war es, die Leute nicht dazu zu ermutigen, im Hinblick auf mögliche Exit-Tax- und REIT9036
Entscheidungen schon spekulative Käufe zu tätigen.
Deswegen haben wir uns auf einen Geltungsbereich von
fünf Jahren vor Inkrafttreten des Gesetzes geeinigt. Das
ist im Vergleich zu dem, was vorher galt - man hätte drei
Jahre Zeit gehabt, die Grundstücke in einen REIT einzubringen -, de facto eine Verkürzung der Frist von sieben
Jahre auf fünf Jahre. Ich denke, das ist hinnehmbar; denn
wir sind damit deutlich vor dem Zeitpunkt des Beginns
der Diskussion und tragen somit Spekulationsabsichten
keine Rechnung.
Wir haben - auch darauf haben Sie hingewiesen auch eine Begrenzung eingezogen, wenn es einen kompletten Formwechsel einer Immobilien-AG in einen
REIT gibt. Wir haben uns auch darum gekümmert, dass
es nicht möglich ist, dass Konzernstrukturen über verschiedene Töchter per Sale-and-lease-back einen REIT
halten. Das war einer der wichtigsten Punkte, die wir
- vom Bundesrat angeregt - in der Anhörung aufgegriffen haben.
Herr Dautzenberg, ich darf mich für die gute Zusammenarbeit bedanken, möchte aber noch etwas in Bezug
auf das Bohren dicker Bretter sagen: Man kann auch an
der falschen Stelle bohren.
({3})
Wenn man an der falschen Stelle bohrt, dann sollte man
aufhören. Deswegen ist es gut, dass Sie aufgehört haben
zu bohren, und dass wir uns einig sind, dass Wohnimmobilien ein anderes Gut sind, dass sie ein Rechtsgut sind,
das sehr viel mit Sozialstaat zu tun hat, und dass wir
eben nicht wollen, dass der Renditedruck zulasten von
Mietern und Investitionen in die Substanz um sich greift.
Wir wollen auch nicht, dass die Kommunen die Möglichkeiten, die sie in der Stadtentwicklung jetzt noch haben, preisgeben müssen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schick?
Gerne, weil es meine Redezeit noch einmal verlängert.
({0})
Herr Kollege, ich will nur die Frage zu der Debatte
vom 29. Juni aufgreifen, wie das denn europarechtlich
aussieht; ich hatte diese Frage schon einmal gestellt und
habe noch keine Antwort erhalten. Damals haben Sie erhebliche Zweifel in dem Sinne geäußert, dass es, wenn
wir einen German REIT einführen, praktisch zu einer
völligen Nichtbesteuerung kommen kann. Sie sagten:
Solange diese Problematik nicht gelöst ist, will ich den
REIT nicht.
Die Bundesregierung hat in dieser Frage mit der EUKommission gesprochen und hat sich kundig gemacht,
wie das von der EU-Kommission rechtlich eingeschätzt
wird. Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass die Unterschiede zwischen einem ausländischen und einem inländischen REIT gerade auch in der Frage des Besteuerungsregimes von solchem Gewicht sind, dass insofern
eine Ungleichbehandlung möglich ist. Dies kann zur
Folge haben, dass für einen ausländischen REIT hier
Steuern erhoben werden im Vergleich zu einem inländischen REIT, für den keine Steuern erhoben werden.
Das ist wie alle europarechtlichen Fragen mit einem
Restfragezeichen versehen. Wir werden ohne eine Entscheidung des EuGH nicht weiterkommen; wir kennen
ja nun viele, von denen manche überraschend waren,
manche nicht.
({0})
Restzweifel werden immer bleiben, solange es keine Gerichtsentscheidung gibt. Aber wir haben uns im Vorfeld
bemüht, diese Zweifel so gering wie möglich zu halten.
Ich denke, dass durch die Auskunft, die hier gegeben
worden ist, und die Abstimmungen auf europäischer
Ebene eine weitestgehende Sicherheit gegeben ist, die
hoffentlich hält.
({1})
- Ja, vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes
Hand, heißt es. Das gilt auch für den EuGH.
Ich denke, wir bringen einen vernünftigen Kompromiss auf den Weg. Da zeigt das Struck’sche Gesetz seine
Geltung. Außerdem zeigt sich, dass erst durch eine parlamentarische Beratung die entscheidenden Fragen gestellt werden. Das braucht Zeit. Ich erinnere daran, wie
anfangs diskutiert worden ist, wie wenig Probleme es
gab und wie Frankreich auf die Nase gefallen ist, weil
dort eben nicht gründlich darüber diskutiert wurde. Daher ist es gut, dass wir uns ein bisschen mehr Zeit genommen haben, um jetzt ein vernünftiges und gutes Produkt auf den Markt zu bringen, das sowohl den sozialen
Interessen der Mieterinnen und Mieter sowie der Städte
Rechnung trägt als auch den Interessen des Finanzmarktes.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Georg Fahrenschon,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, bei alGeorg Fahrenschon
ler Wertschätzung für die Details müssen wir noch einmal einordnen, mit welchem Thema wir uns heute
Vormittag befassen. Im Zentrum der Debatte stehen einerseits die Interessen einer wichtigen Impulsgebung für
die Immobilienwirtschaft in Deutschland und andererseits die Fragen eines ausdifferenzierten, in vielen Produkten zum Angebot führenden modernen Finanzplatzes Deutschland.
Bezogen auf die Bedeutung der Immobilien für eine
Volkswirtschaft und für die deutsche Volkswirtschaft im
Speziellen muss man deutlich unterstreichen, wie wichtig dieser Sektor ist.
({0})
Über vier Fünftel des gesamten deutschen Nettoanlagevermögens entfallen auf Immobilien. Das sind
3 Billionen Euro; das ist eine imposante Zahl.
({1})
Immobilien weisen natürlich spezielle Charakteristika
auf, die bei anderen Gütern nicht anzutreffen sind. Immobilien sind standort- und funktionsgebunden. Immobilien weisen eine lange Lebensdauer auf. Sie prägen die
Umwelt und somit die damit verbundenen Lebensbedingungen nachhaltig. Die Nutzungsphase und die damit
einhergehende Wertschöpfungskette von Immobilien
dauern beachtliche 50 Jahre. Sie haben neben ihrer Primärfunktion Zusatzfunktionen: Ich nenne die Stichworte: Altersvorsorge, Sicherung von Krediten und
- nicht zu vergessen - Denkmalschutz.
Gleichzeitig wachsen insbesondere neben den Anforderungen eines guten, starken und stabilen Immobiliensektors die Kapitalmärkte immer enger und schneller
mit den Immobilienmärkten zusammen, und das weltweit. Immobilien sind mittlerweile eine eigene Anlageklasse, die gleichbedeutend neben den Aktien, neben den
Renten und neben dem Bargeld steht. In diesem Sinne
muss uns klar sein, dass die größte Volkswirtschaft in
Europa, dass ein moderner, schlagkräftiger Finanzmarkt
Instrumente braucht, um mit Immobilien handeln zu
können, um in Immobilien wirtschaftlich tätig zu sein.
({2})
Das Ziel des Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwurfs ist, die illiquide Immobilienanlage letztendlich
schneller und einfacher handelbar und handhabbar zu
machen. Vor diesem Hintergrund spielt der Finanzmarkt eine zentrale Rolle. Denn durch die Einführung
von REITs erweitert sich endlich das Spektrum der Möglichkeiten, indirekt in Immobilien zu investieren.
In diesem Zusammenhang muss man schlicht und
einfach festhalten, dass die REITs als Produkt international eingeführt sind. In den 60er-Jahren haben wir uns in
Deutschland mit der Entwicklung von offenen und geschlossenen Immobilienfonds beschäftigt. Andere Finanzmärkte haben die aktiennotierte Immobiliengesellschaft gewählt. Wir müssen heute feststellen, dass in
über 20 Ländern über das Instrument der REITs gehandelt wird und sich die Immobilienfonds trotz all ihrer
Stärken international nicht so durchgesetzt haben.
Wer mit vordergründigen Argumenten die Einführung
von REITs in Deutschland nicht zulässt, liebe Frau Höll,
der muss sich darüber im Klaren sein, dass er den Finanzplatz Deutschland nachhaltig schädigt. Das ist in
dieser Debatte unser Vorwurf an Sie.
({3})
Liebe Kollegin, wenn Sie für Ihre rückwärtsgewandte
Argumentation dann noch den DGB ins Feld führen,
dann wird der Hund in der Pfanne verrückt. Liebe Frau
Höll, der DGB hat in der Anhörung zugeben müssen,
dass er sich zwar ausführlich mit dem Thema REITs auseinandergesetzt hat, seine eigenen Bestände aber, weil es
zum Beispiel keine aktiennotierte Immobiliengesellschaft gibt, vor kurzer Zeit an Private-Equity-Fonds, an
Finanzinvestoren verkauft hat. Hier wird wirklich der
Bock zum Gärtner gemacht.
({4})
Für den Anleger ist die Einführung von REITs im Übrigen mit einem entscheidenden Vorteil verbunden: Er
kann seinen Anteil am REIT jederzeit an der Börse verkaufen, was bei einer Direktinvestition in eine Immobilie nicht möglich ist. Das heißt, wir schaffen über die
aktiennotierte Immobiliengesellschaft eine „mobile“
Möglichkeit, am Kapitalmarkt in die „feste“ Immobilie
zu investieren.
Einen zweiten Vorteil muss man ins Feld führen: Wir
alle wissen, dass die Immobilienwirtschaft immer wieder mit dem Vorwurf der Intransparenz konfrontiert
wird. An dieser Stelle hilft uns die Börse mit ihrer aktienrechtlichen Fundierung; denn die deutschen REITs
müssen nach den IFRS, nach den internationalen Regeln
für das Reporting, bilanzieren. Sie müssen eine Bilanz
aufstellen, sie müssen eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung machen, sie müssen eine Kapitalflussrechnung und
eine Segmentberichterstattung vorlegen. Darüber hinaus
gibt es einen speziellen Rechnungslegungsstandard, den
IAS 40, den wir zwingend vorschreiben. Er regelt die
Bilanzierung von Immobilien, die als Finanzinvestition
gehalten werden.
Frei übersetzt heißt das: Über das Instrument der
REITs ist es in Zukunft nicht mehr möglich, dass ein
Buchhaltungskünstler ein Einfamilienhaus zum Verkehrswert des Trump Towers bilanziert. Dass wir im Bereich der deutschen Immobilienwirtschaft Transparenz
möglich machen, ist ein wesentlicher Fortschritt. Das
muss an dieser Stelle gesagt werden.
({5})
Der Anleger weiß immer ganz genau, was in einem
REIT wirklich steckt.
Der Kollege Schick kam mit dem Vorwurf „Chaos in
der Steuerpolitik“. In diesem Zusammenhang gibt es
drei Punkte, über die wir uns unterhalten müssen:
Erstens. Bezogen auf die Steuerbefreiung unterliegen Sie, sehr geehrter Herr Kollege, einem Denkfehler;
denn angesichts der Steuerbefreiung für die deutsche
REIT-AG und des Fehlens einer Steuerbefreiung für ausländische REITs dürfen Sie nicht allein die Ebene der
Gesellschaft betrachten, sondern müssen endlich akzeptieren, dass wir an dieser Stelle die Besteuerung beim
Anleger brauchen.
({6})
Die garantieren wir auf diesem Weg. Vor diesem Hintergrund ist der Vergleich der Gesellschaften nicht zweckdienlich, sogar falsch. Sie müssen auf die Anleger
schauen. Da ist die Besteuerung gesichert.
({7})
Zweitens: Exit-Tax als mögliche Beihilfe für Inländer. In diesem Zusammenhang muss man zum einen
noch einmal das Argument ins Feld führen, das schon
der Bundesfinanzminister vorgebracht hat: Jeder Eigentümer eines entsprechenden Grundstücks kann bei Veräußerung die Vergünstigung der Exit-Tax in Anspruch
nehmen. Da ist keinerlei Ungleichbehandlung festzustellen. Zum anderen ist die Einstellung des halben Veräußerungsgewinns in eine Rücklage, die wir in diesem Gesetz definieren, hinsichtlich des Umfangs und der Frist
zur Wiederanlage letztendlich restriktiver als die bisher
unbeanstandet gebliebene Regelung zu § 6 b Einkommensteuergesetz. Man kann hier also nicht von einer
Beihilfe ausgehen; vor diesem Hintergrund gehen Ihre
Vorwürfe da ins Leere.
({8})
Bezogen auf den offenen Punkt, die Vorbelastung,
will ich deutlich machen, worin wir uns von der Vorgängerregierung unterscheiden: Wir gehen das Problem
transparent an. Wir haben klipp und klar gesagt, dass wir
hier noch nacharbeiten müssen, dass wir für den offenen
Punkt noch Zeit brauchen. Das sagen wir auch gleich;
wir beschließen nicht und bessern dann hinterher nach.
({9})
Wir werden für die Vorbelastung im Laufe des Jahres
eine Regelung finden und damit die REITs auch steuerlich auf eine fundierte und absehbar belastbare Basis
stellen.
({10})
Ich will in diesem Zusammenhang noch einen Gedankengang aufnehmen, der, lieber Herr Kollege Pronold,
auch nicht außer Acht gelassen werden darf: Angesichts
der Tatsache, dass wir nun einen deutschen REIT haben,
dass es in Frankreich und in Großbritannien einen gibt
und dass es absehbar auch in Italien und in anderen Ländern einen geben wird,
({11})
muss uns allen klar sein, wir sind hier nicht am Ende der
Debatte,
({12})
sondern wir werden, insbesondere im europäischen Umfeld, natürlich weiter über das neue Finanzprodukt der
börsennotierten Immobiliengesellschaft reden. Wir sind
als Bundesrepublik Deutschland jetzt in der guten Lage,
dass wir uns positiv in eine europäische Regulierung einbringen können. Vor diesem Hintergrund ist heute ein
guter Tag für die Immobilienwirtschaft, ist heute ein guter Tag für den Finanzplatz Deutschland. Wir geben
heute grünes Licht für neue Investitionen, für neue Konzepte, für neue Arbeitsplätze und für positives Wachstum.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich der
Kollegin Höll.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich will Ihnen gerne bescheinigen, dass der DGB auch meines Erachtens
manchmal durchaus widersprüchlich handelt. Aber es ist
noch nicht so - und wird sicher auch nicht so kommen -,
dass die Linke und der DGB in ihrem Agieren völlige
Abstimmung hätten. Ich kann Ihnen versichern, dass
auch meine Unterschrift unter der Protestresolution gegen den Verkauf des Gewerkschaftshauses in Leipzig,
eines sehr traditionsreichen Hauses, stand. Das ändert
aber nichts daran, dass die Einschätzung des DGB-Vertreters in der Anhörung Hand und Fuß hatte, dass er
recht hatte.
({0})
Zweitens möchte ich Ihnen sagen: Sie haben gelobt,
heute sei ein guter Tag für die Immobilienwirtschaft in
Deutschland. Wir als Linke lehnen die Einführung der
REITs in Deutschland ab. Ich muss sagen, es entbehrt
nicht einer gewissen Pikanterie, dass in der Fachpresse
weitgehend einmütig festgestellt wird - eigentlich sollte
mich das beruhigen -, dass die deutschen REITs ein Flop
seien und zur Verbesserung des Finanzstandortes
Deutschland nicht viel beitragen werden,
({1})
weil deutsche Anleger weiterhin vor allem im Ausland
investieren werden und ausländische Anleger in deutsche REITs. Da werden wir jeweils noch höhere Steuerausfälle bekommen. Die Einschätzung ihrer REITs
durch die Finanzmärkte ist alles andere als positiv. Es
gibt Risiken: Sie haben sich in der gesamten Debatte
nicht geäußert, wie das mit Immobilienblasen wie der in
den USA ist,
({2})
wo derzeit große Prozesse laufen, wo derzeit REITs von
Private-Equity-Fonds aufgekauft werden, wodurch die
Vorteile, die mit REITs verbunden sind - eine gewisse
Transparenz an der Börse -, wieder verloren gehen. Sie
haben sich auch nicht zu den Unstimmigkeiten mit den
europäischen Richtlinien geäußert. In Ihrer Gesetzgebung sind so viele Fragen offen, dass man die Einführung der REITs, selbst wenn man wohlwollend wäre
- was ich nicht bin -, ablehnen müsste.
Danke.
({3})
Irgendwie wird es üblich, dass die Redner, die schon
geredet haben, immer noch der Redezeit bedürfen. Deswegen erteile ich auch noch dem Kollegen Thiele das
Wort zu einer Kurzintervention.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Das ist mitunter die
Form einer Debatte, die nicht nur in Talkshows geführt
werden darf, sondern auch im Deutschen Bundestag, insbesondere über solche Themen.
Herr Kollege Fahrenschon, Sie haben zutreffenderweise darauf hingewiesen, dass der DGB seine Wohnungsbestände verkauft hat. Dass jedoch auch die PDSgeführte Stadtregierung in Dresden die Wohnungsbestände veräußert hat
({0})
und ebenso die Regierung in Berlin, zeigt: Wenn man
eine politische Monstranz durchs Land tragen kann,
dann hält man sie hoch - was momentan geschieht -,
doch wenn es konkret wird, dann handeln Politiker in
der Praxis ganz anders, als sie es in der Öffentlichkeit
darstellen.
({1})
Kollege Fahrenschon verzichtet. Dann kann jetzt Kollege Ernst Kranz die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt beenden.
Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner sind schon ausführlich auf die Bedeutung der Branche und auf die Ziele, die mit der Einführung von REITs verfolgt werden, eingegangen. Ich
werde mich deshalb auf den wohnungspolitischen Aspekt dieses neuen Anlageinstruments konzentrieren.
Ich möchte besonders meiner Fraktion und der Unterarbeitsgruppe, die gebildet wurde, dafür danken, dass
wir Wohnungspolitiker von Anfang an in die Diskussion
einbezogen wurden. Ich glaube, es ist ein guter Stil,
wenn man nicht nur Ressortdenken an den Tag legt, sondern auch berücksichtigt, welche Auswirkungen die Entscheidungen auf andere Ressorts haben, um auch soziale, wohnungspolitische und städtebauliche Aspekte
bei der Gesetzgebung beachten zu können. Das ist ein
gutes Beispiel für Nachhaltigkeit.
Wir haben in Deutschland eine besondere Situation.
Denn 57 Prozent der Wohnungen in Deutschland sind
vermietet. Die Eigentumsquote ist bei uns geringer als in
anderen Ländern. Die Geschichte der deutschen Wohnungswirtschaft ist dadurch geprägt, dass substanziell
hochwertige Wohnungen zur Verfügung stehen. Die hiesigen Wohnungsunternehmen haben stets Wert darauf
gelegt, in die Substanz zu investieren. Hinzu kommt,
dass das Mietpreisniveau in Deutschland niedriger als in
unseren westlichen Nachbarländern ist. Das ist eine gute
Ausgangssituation für all die, die darauf warten, dass
REITs eingeführt werden.
Wohnungen haben in Deutschland einen Doppelcharakter: als Wirtschaftsgut und als Sozialgut. Der Charakter als Sozialgut ist abgeleitet aus dem Sozialstaatsgebot „Eigentum verpflichtet“ und der Tatsache, dass die
Wohnung einer der wichtigsten Lebensorte ist. Wohnungspolitik ist ein Instrument, das gezielt einzusetzen
ist, um Folgekosten gering zu halten. Denn wer zahlt das
Wohngeld, wenn die Mieten steigen? Wer hilft sozial
Schwachen, wenn die Nachbarschaftshilfe ausbleibt?
Wer hilft denen, die sich nicht mehr selber helfen können?
Man kann auch von einer Sozial- und Stadtrendite
sprechen. Das ist jene Rendite, die aus einem vorsorglichen und nachhaltigen Wohnungsmanagement hervorgeht. Ein Ziel hierbei ist zum Beispiel die Vermeidung
von Kriminalität und Verwahrlosung. Das hat auch Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Aber das
merkt man meist erst dann, wenn Kosten entstehen, und
nicht, wenn Kosten vermieden werden.
Es ist aber festzustellen, dass ein Wandel stattfindet.
Wer sich in der Vergangenheit auf dem Wohnungsmarkt
betätigt hat, hat immer auch die soziale Orientierung im
Blick gehabt und die Notwendigkeit einer umsichtigen
Stadtentwicklung akzeptiert. Daher ist vor der Entscheidung über Verkäufe oder Teilverkäufe von kommunalen
Wohnungen an Private eine umfassende Folgenabschätzung notwendig.
Während sich Private auf die „gute“ Mieterschaft
konzentrieren, haben kommunale Unternehmen und vor
allem die Kommunen selber ein gutes Quartiersmanagement im Auge und eine ausgewogene Mieterschaft zum
Ziel. Kommunale Wohnungsunternehmen sind häufig
die einzigen Akteure bei Bundesprogrammen wie „Soziale Stadt“ oder „Stadtumbau Ost“. Verkaufen Kommunen ihre Wohnungen, fehlt ihnen ein wichtiges Instrument der Stadtentwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Modell
der Wohnungswirtschaft bietet hohe Wohnqualität zu bezahlbaren Mieten. Es ermöglicht eine ausgewogene
Stadtentwicklung ebenso wie ein gutes Quartiersmanage9040
ment. Deshalb war und ist es wichtig, die Wohnungen im
Bestand aus den REITs herauszuhalten. Wir müssen aufpassen, dass der Sozialgutcharakter nicht abhandenkommt und Wohnungen nur noch als Handelsgut betrachtet werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften
mit börsennotierten Anteilen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4779, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 16/4026 und 16/4036 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Ablehnung von Linksfraktion und Grünen und bei
Enthaltung der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie
zuvor angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4780. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses
gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen abgelehnt.
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Neue
Steuervergünstigungen und Gewinnverlagerungen in das
Ausland verhindern - REITs in Deutschland nicht einführen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4779, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4046 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der Linksfraktion angenommen.
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „REITs Real Estate Investment Trusts in Deutschland einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3356, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1896 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion und einzelner Stimmen aus der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
kommen wir noch zu einer nachträglichen Ausschussüberweisung. Es ist gebeten worden, den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3354 mit dem Titel
„Verbraucherfreundliche Kennzeichnung strahlungsarmer Mobilfunkgeräte“ nachträglich auch an den Ausschuss für Gesundheit zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Partizipation von Kindern und Jugendlichen
stärken - mehr Kinder- und Jugendfreundlichkeit durch eine neue Beteiligungskultur
- Drucksache 16/3543 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten
erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Kai Gehring, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen,
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Junge Menschen sind Bürgerinnen und Bürger mit eigenen demokratischen Rechten. Es ist unsere Aufgabe,
diese Rechte zu achten und Beteiligungsmöglichkeiten
auszubauen. Echte Beteiligung motiviert zum Mitmachen und ist damit ein gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit. Deshalb müssen wir auf allen politischen Ebenen nicht nur mehr Demokratie wagen, sondern wir
müssen vor allen Dingen früher Demokratie wagen.
({0})
Ob Klimaschutz, Bildungspolitik oder Staatsverschuldung: Was wir heute entscheiden, wirkt sich besonders
stark auf Kinder, Jugendliche und künftige Generationen
aus. Junge Menschen müssen mitentscheiden, damit ihre
Zukunft nicht auf der Strecke bleibt. Deshalb ist es ein
völlig falsches Signal, dass der Bundesinnenminister die
Absenkung des Wahlalters nach österreichischem Vorbild ablehnt.
({1})
Die Jugendministerin meldete sich in der Wahlalterdebatte bedauerlicherweise, aber auch erwartungsgemäß erst gar nicht zu Wort. Beteiligung ist aber ein zentraler Baustein für eine kinder- und jugendfreundliche
Gesellschaft.
({2})
Dies gilt umso mehr, wenn wir die demografische
Entwicklung betrachten. Jugendliche werden in unserer
Gesellschaft immer mehr zur Minderheit. Bereits 2010
werden weniger Jugendliche als Menschen über 65 Jahre
in Deutschland leben. Im Jahr 2050 wird die Zahl der älteren Menschen fast doppelt so hoch sein wie die der
jüngeren. Mehr Mitsprache für Kinder und Jugendliche
ist in einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft
daher ein Gebot von Generationengerechtigkeit und fairem Miteinander sowie unerlässlich für einen Generationendialog auf Augenhöhe.
({3})
Wir müssen verhindern, dass noch mehr Lasten in die
Zukunft verschoben werden. Wir Grüne wollen daher
die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre.
Dann würde es schwerer, die Stimmen junger Menschen
zu überhören.
Das von einigen geforderte Elternwahlrecht ist dagegen aus unserer Sicht keine Lösung; denn das persönliche Wahlrecht kann und soll nicht delegiert werden.
({4})
Mit einem Stellvertreterwahlrecht begäben wir uns auf
einen verfassungspolitischen Holzweg, weil die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl genauso verletzt würden wie das Prinzip der Höchstpersönlichkeit. Ich will, dass Jugendliche selbst wählen und
nicht die Eltern je nach Kinderzahl.
({5})
Es könnte auch nicht richtig sein, wenn Ministerin von
der Leyen stellvertretend für ihre Kinder sieben Mal das
Kreuzchen bei der CDU machen könnte.
({6})
Kinder und Jugendliche dürfen auf keinen Fall unterschätzt werden. Sie sind reif und kompetent genug, und
sie brauchen Unterstützung durch politische Bildung.
Viele junge Menschen engagieren sich in Initiativen und
Verbänden. Sie zeigen Verantwortungsbewusstsein und
gestalten die Zukunft gerne mit. Echte Mitwirkung motiviert und fördert die Demokratie, Pseudobeteiligung
schreckt dagegen ab.
Wir haben in unserem Antrag ein Bündel an Maßnahmen dafür vorgeschlagen, wie die Kinder- und Jugendbeteiligung in Deutschland besser gelingen kann. Wir
brauchen eine neue Beteiligungskultur, mit der schon
in den Kindertagesstätten und Schulen begonnen wird.
Kinder und Jugendliche sollen ihr Lebensumfeld aktiv
mitgestalten können, zum Beispiel Spielplätze, Schulhöfe und auch Verkehrswege. Sie sind Expertinnen und
Experten in eigener Sache. Altersgerechte Beteiligungsprojekte und Verfahren fördern Selbstwirksamkeit,
Selbstbewusstsein, Persönlichkeitsentwicklung und Verantwortung. Ihre Ergebnisse sollen ungefiltert in politische Entscheidungen einfließen.
Die Programme der Bundesregierung haben hier Defizite. Bei der Entwicklung, Durchführung und Evaluation müssen Kinder und Jugendliche mitwirken. Gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen müssen
hierzu verbindliche Qualitätsstandards entwickelt werden. Gerade im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft
brauchen wir auch einen intensiven Austausch über gute
Beispiele von qualitativ hochwertiger Kinder- und Jugendbeteiligung in den europäischen Ländern.
({7})
Alle Kinder und Jugendliche müssen über ihre
Rechte informiert werden. Mir ist es wichtig, dass unser
Haus hier mit gutem Beispiel vorangeht. Wir wollen daher, dass die Anhörungsrechte für Kinder und Jugendliche beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages
im Rahmen einer breit angelegten Kampagne in dieser
Zielgruppe überhaupt erst einmal bekannt gemacht werden. Ich finde es wichtig, hier mit gutem Beispiel voranzugehen.
Uns Grünen ist besonders wichtig, dass unterrepräsentierte und benachteiligte junge Menschen stärker berücksichtigt werden, um durch Beteiligungsangebote ihrer Ausgrenzung entgegenzuwirken und Teilhabe zu
ermöglichen. Politische Bildung und demokratische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen müssen zu einem festen Bestandteil unserer politischen Kultur werden. Sparmaßnahmen bei der politischen Bildung, wie in
manchen Ländern geplant, sind daher genau der falsche
Weg.
({8})
Generationengerechte und nachhaltige Lösungen können nur gefunden werden, wenn junge Menschen ihre
Sichtweisen auch wirklich wirkungsvoll einbringen können. Eine neue Beteiligungskultur und die Absenkung
des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre können einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Früher Demokratie wagen - das
muss für uns alle ein wichtiger Leitgedanke werden.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile Kollegen Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Werte Zuschauer draußen an den Gerä9042
ten! Liebe Zuschauer hier auf der Tribüne! Insbesondere
begrüße ich auch die Mitglieder der Blaskapelle Feldmoching hier oben auf der Tribüne herzlich, weiß ich
doch sehr wohl, welch tolle Jugendarbeit in unseren
Blaskapellen genauso wie in den Sportvereinen und in
anderen kulturschaffenden Vereinen geleistet wird, dass
die Blaskapellen in Bayern im Bayerischen Jugendring
als Bläserjugend aufgenommen wurden und dass für
viele Jugendliche und Heranwachsende in den Jugendabteilungen der Vereine erste Schritte des demokratischen Verhaltens, der Partizipation und der Beteiligung
am politischen Willensbildungsprozess eingeübt werden.
Deshalb herzlichen Dank an die Blaskapellen.
({0})
- Sie hätten ruhig auch ein bisschen klatschen können,
Herr Rix.
Wir debattieren heute über mehr Kinder- und Jugendbeteiligung.
({1})
- Ich war schon beim Thema, Herr Gehring. Haben Sie
nicht aufgepasst? Ich habe doch über Jugendbeteiligung
in den Vereinen und über Partizipation gesprochen. Sie
müssen mir schon zuhören.
({2})
Um sich in die Lage von Kindern und Jugendlichen
zu versetzen, muss man sich als Erwachsener nur plastisch vorstellen, wie ein Kind die Welt sieht. Aus einer
Höhe von 1,10 Meter sieht die Welt ganz anders aus als
aus der Perspektive eines Erwachsenen. Da werden dicht
an dicht parkende Autos am Straßenrand zum fast unüberwindbaren Hindernis, weil der Blick auf den Verkehr versperrt ist. Das haben Sie, meine Freunde von den
Grünen, auch erkannt. Auf Seite 2 Ihres Antrages stellen
Sie fest, dass Beteiligung und Mitgestaltung auf gleicher Augenhöhe mit den Kindern und Jugendlichen erfolgen müssen.
({3})
- Frau Deligöz, ich glaube, Sie haben später Gelegenheit, zu dem Thema zu reden.
Mit diesem Gedankenspiel wird schnell klar, dass
Kinder nicht nur einen anderen Blick auf die Welt haben,
sondern auch über eine besondere Kompetenz verfügen.
Sie sind sozusagen Experten in eigener Sache.
({4})
Niemand stellt heute noch ernsthaft infrage, dass die Beteiligung von Kindern Sinn macht.
Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, ihre Wünsche, Hoffnungen und Ängste überall dort
einzubringen, wo es um ihre Belange geht.
({5})
Dies gilt für den Alltag in der Familie, die Gestaltung
des Wohnumfelds, im Kindergarten und in der Schule.
Aber auch in der gesellschaftlichen Debatte um die
Zukunft unseres Gemeinwesens braucht die Stimme von
Kindern und Jugendlichen einen festen Platz. Denn Kinder und Jugendliche, die sich selbst aktiv gestaltend erfahren, werden sich auch als Erwachsene eher an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen.
Die Forderung nach mehr Kinderbeteiligung ist daher
für mich keinesfalls eine Modeerscheinung. Dennoch,
meine Damen und Herren von den Grünen, werden wir
Ihren Antrag nicht unterstützen
({6})
- ja, Frau Schewe-Gerigk, das ist nun einmal so -, da die
Bundesregierung längst die Bedeutung dieses Themas
für ein kinderfreundliches Deutschland erkannt hat. Die
bessere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist
längst eine Zielsetzung der Großen Koalition und als Gestaltungsauftrag bereits im Koalitionsvertrag verankert.
({7})
Im Haushalt sind dafür 5 Millionen Euro eingestellt.
Denn uns ist klar: Demokratie braucht engagierte und interessierte junge Menschen.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend hat daher gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Deutschen
Bundesjugendring das „Aktionsprogramm für mehr
Jugendbeteiligung“ ins Leben gerufen. Im Ausschuss
besteht darüber im Übrigen Konsens, und zwar auch mit
den Oppositionsparteien. Herzlichen Dank für die Unterstützung dieses Programms.
({8})
Das Aktionsprogramm richtet sich an verbandlich
und nichtverbandlich organisierte Kinder und Jugendliche der Altersgruppe zwischen circa 6 bis 24 Jahren.
Schwerpunkte dieses Programms sind zum Beispiel:
„Der Wert der jungen Generationen in der Gesellschaft“,
„Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien“,
„Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“,
„Demografischer Wandel“ und „Mehrgenerationenausgleich“. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
soll einerseits in bestehenden Jugendprojekten gestärkt
werden; andererseits sollen auch neue Projekte initiiert
werden, in denen neue Formen und Möglichkeiten der
Teilnahme entwickelt, erprobt und etabliert werden. Ich
möchte in diesem Zusammenhang insbesondere auf das
sehr engagierte Wirken der Kinderkommission hinweisen.
({9})
Unter dem Motto „Nur wer was macht, kann auch
verändern“ beinhaltet das Aktionsprogramm die Förderung vielfältiger Einzelmodule wie die bereits erprobte
und erfolgreiche Projektreihe des Deutschen Bundesjugendrings „Come in Contract“. Dabei lernen Jugendliche, Verträge auszuhandeln und ihre Vereinbarungen anschließend umzusetzen.
Im Rahmen von Medienworkshops bekommen Jugendliche von Medienprofis Tipps zur Umsetzung von
eigenen Projektideen. Die Teilnehmenden sollen dazu
animiert werden, die eigene Meinung und ihre Interessen
in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen und umzusetzen.
Einer der Höhepunkte des Aktionsprogramms für
mehr Jugendbeteiligung wird ein Festival bzw. Sommercamp 2008 sein. Hierzu werden etwa 10 000 teilnehmende Kinder und Jugendliche erwartet.
Anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist
zudem eine Reihe von Veranstaltungen zu diesem Bereich geplant. Darüber hinaus werden Aktionen zur Europawahl 2009 stattfinden. Hierbei sollen Ideen zur
Wahlmotivation von Jugendlichen gesammelt und entwickelt werden. Jugendbeteiligung hat also für uns auch
eine europäische Dimension.
Wie Sie sehen, meine Damen und Herren von den
Grünen, ist die Bundesregierung in Sachen mehr Kinderund Jugendbeteiligung bereits sehr aktiv. Mit Ihrem Antrag kommen Sie somit in vielen Punkten viel zu spät.
Mit der in Ihrem Antrag geforderten Herabsetzung des
Wahlalters auf 16 Jahre gehen Sie allerdings etwas zu
weit. Herr Gehring, Sie sind ein netter Kerl
({10})
- Herr Tauss, das stimmt schon -, aber da lobe ich mir in
Ihrer Fraktion den Kollegen Jerzy Montag. Er hat vor
wenigen Wochen auf einer Veranstaltung in der bayerischen Vertretung ausgeführt: Wenn man über eine Herabsetzung des Wahlalters von Jugendlichen nachdenkt,
darf man nicht die Verantwortlichkeit der Jugend in
strafrechtlicher und zivilrechtlicher Hinsicht außer Acht
lassen. Man kann nicht sagen: „Jawohl, ich bin Jugendlicher oder Heranwachsender im Sinne des Strafrechts“,
und dann volle Mitwirkungsrechte reklamieren. Wenn
man A sagt, muss man auch B sagen. Man muss darüber
nachdenken, ob die Jugendlichen heutzutage schon so
reif sind, dass sie bereits mit 16 Jahren erwachsen sind;
das ziehe ich in vielen Bereichen in Zweifel. Wenn man
das aber bejaht, kann man über eine Herabsetzung des
Wahlalters und über die Pflichten von Jugendlichen
nachdenken. Aber einseitig Rechte einzuräumen und
nicht Verpflichtungen gegenüber dem Staat, der Gesellschaft und dem eigenen Verhalten zu reklamieren, geht
an der Sache vorbei.
({11})
Herr Gehring, in einigen Bundesländern wurde bereits das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt. Auf Bundesebene halte ich eine solche Forderung für weit überzogen. In meinen Augen ist die Jugendphase durch ein
Abgrenzen vom Elternhaus, die Suche nach dem Wohin
sowie dem Ausprobieren und Austesten von Grenzen gekennzeichnet. Im zweiten Absatz auf Seite 3 Ihres Antrags stellen Sie als Begründung für die geringe Wahlbeteiligung der Jugendlichen fest, dass die Jugendlichen in
aller Regel wichtige Entscheidungen, zum Beispiel die
Berufswahl, vorzubereiten haben. Das heißt, viele Jugendliche nehmen sich gar nicht die Zeit, beispielsweise
sozialpolitische Entscheidungen so zu hinterfragen, wie
es im Hinblick auf ein aktives Wahlrecht sinnvoll wäre.
Lassen Sie deshalb die Jugendlichen in Ruhe und sorgen
Sie dafür, dass sie sich vernünftig entwickeln! Belassen
wir das Wahlalter bei 18 Jahren!
Jugendliche sind in ihrem Entwicklungsprozess leichter von extremer politischer Seite, von rechts oder von
links, zu beeinflussen.
({12})
- Herr Tauss, aber Sie werden mir recht geben, dass die
jungen Leute - prozentual - leichter zu beeinflussen
sind, während ältere Menschen schon in vielen Bereichen aktiv waren.
Außerdem lassen sich die Vorstellungen und Wünsche von Kindern und Jugendlichen bei ernsthaftem Bemühen auf örtlicher Ebene auch ohne Wahlberechtigung hervorragend berücksichtigen. Das wurde in
meinem Wahlkreis Würzburg schon längst erprobt. Ich
darf Ihnen aufgrund eigener 16-jähriger Tätigkeit als
Bürgermeister mitteilen: Die Jugendlichen mischen sich
ein. Wenn Sie ein Jugendzentrum sich demokratisch
selbst verwalten lassen und sagen: „Wählt mir jemanden, der den Schlüssel bekommt, und wählt mir jemanden, der den Kopf hinhält, wenn die Sperrzeiten nicht
eingehalten werden“, dann werden Sie erleben, dass sich
die Jugend ein Stück weit selber organisiert. In den Bereichen, in denen es um ihre konkreten, gruppenspezifischen Belange geht, kann man die Jugend vollumfänglich ernst nehmen und ihr entsprechend gewichtete
Einflussmöglichkeiten geben. Das wird von allen vernünftigen Bürgermeistern gemacht. Ob es sich nun um
freie oder um kirchlich gebundene Jugendarbeit in der
KJB oder der Evangelischen Landjugend handelt, überall ist die Jugend daran interessiert, sich ein Stück weit
selber zu verwalten. In diesen Bereichen funktioniert es.
({13})
- Das hat der Kollege Montag schon gesagt; das war
knapp vor meiner Zeit.
Aus meinem Wahlkreis weiß ich: Junge Menschen
wollen sich beteiligen. Dazu gäbe es sicherlich noch einiges zu sagen. Im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit
und auf einen mir im Rücken sitzenden Präsidenten
werde ich allmählich zum Ende kommen.
Ich möchte Ihnen, den Grünen, noch ein Kompliment
machen. Zumindest haben Sie erkannt, dass ein Elternwahlrecht auch keine probate Lösung ist. Weil der eine
oder andere Vater - zum Glück - CDU/CSU wählen
würde, während die heranwachsenden Kinder vielleicht
zu den Grünen tendierten, lehnen Sie wohl das Elternwahlrecht ab. Aus Sicht der Union könnten wir damit leben. Ich wünsche mir, dass sich alle über 18-jährige Mit9044
bürger an den nächsten Wahlen - der Kommunalwahl
am 2. März 2008 und der Landtagswahl im September
2008 in Bayern sowie der Bundestagswahl im September 2009 - möglichst vollzählig beteiligen. Dann hätten
wir viel erreicht.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort Kollegin Miriam Gruß, FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Partizipieren heißt laut Duden, von
dem, was ein anderer hat, etwas zu bekommen. Diese
Definition ist für mich leider genauso vage und pauschal
wie Ihr Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren
von den Bündnisgrünen.
Die stärkere Partizipation von Kindern und Jugendlichen muss ein Schwerpunkt in der Kinder- und Jugendpolitik werden. Darin stimmen wir alle im Hause überein. Schade finde ich allerdings, dass Sie in Ihrem
Antrag mit keinem Wort erwähnen, wie Sie Ihr ehrenwertes Engagement finanzieren wollen.
({0})
Wir hätten insgesamt gern an vielen Stellen in Ihrem Antrag gewusst, was Sie meinen und wie Sie sich das näher
vorstellen.
Ich fange einmal mit dem Konkretesten an, was ich in
Ihrem Papier gefunden habe: die Herabsetzung des
Wahlalters auf 16 Jahre bei Kommunal-, Landtags-,
Bundestags- und Europawahlen. Darüber kann man reden, aber dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die
Kinder und Jugendlichen wissen, worüber sie abstimmen sollen. Da müssen wir uns auch einmal an die eigene Nase fassen und uns fragen, wie wir eigentlich über
Politik sprechen. Gerade eben hatten wir eine schöne
Plenardebatte über REITs. Ich bezweifle, dass die Jugendlichen verstehen würden, um was es dabei überhaupt geht. Es gibt aber noch andere Beispiele wie Kapitaldeckungsverfahren, Umlageverfahren usw. Deshalb
habe ich unserer Bundespartei vorgeschlagen - wir werden das auch machen -, als erste Partei in Deutschland
eine Kinderseite einzurichten, um Jugendlichen und
Kindern kindgerecht Politik zu vermitteln, sowohl aktuell als auch grundsätzlich.
({1})
- Ich rede von den Parteien.
Ein ernster Punkt ist - darüber haben wir gestern im
Plenum debattiert - der Rassismus, der zunehmend in
Deutschland auch in der Mitte der Gesellschaft Einzug
hält und der aus Desinteresse und Desillusionierung
rührt.
Wie schaffen wir es nun, dass Jugendliche vernünftig
mit ihrer Stimme umgehen und sie weder missbrauchen
noch verfallen lassen? Indem sie etwas davon abbekommen, was andere haben, nämlich etwas von Wissen und
Erfahrung. In dieser Hinsicht hat der Duden recht. Wissensvermittlung geschieht in erster Linie über Bildung,
im Kindesalter spielerisch, später in der Schule und in
der Ausbildung durch Theorie und Praxis. Gerade die
Praxis ist besonders wichtig. Erfolgserlebnisse zu haben,
ist der beste Motivationsschub.
({2})
In Kinder- und Jugendforen, Versammlungen von Jugendlichen oder auch in Schülervertretungen kann der
Erfolg und der Umgang mit Niederlagen ganz konkret
geprobt werden. Ich möchte dazu ein kurzes Beispiel geben. Ich habe hier in diesem Haus bei der Veranstaltung
„Jugend und Parlament“ einen Jugendlichen kennengelernt. Dieser hatte mich eingeladen, in seiner Schule in
seinen Unterricht zu kommen, um die Arbeitsweise des
Bundestages und mich als junge Bundestagsabgeordnete
vorzustellen. Ich hätte dies gerne gemacht, aber der Sozialkundelehrer lehnte dies ab. Politiker gehören anscheinend nicht in den Lehrplan.
({3})
Was mich vor allem gestört hat, ist, dass das Engagement eines jungen Menschen abgewiegelt wurde. Das ist
meiner Meinung nach ein falsches Signal an die Jugend.
({4})
Wenn Bemühungen nicht belohnt werden, brauchen wir
uns über mangelnden Einsatz nicht zu wundern.
Um Erfahrungen zu sammeln, bewährt sich immer
noch das Sprichwort: learning by doing. Jugendparlamente oder Jugendorganisationen sind die richtigen Foren, um erlerntes Wissen anzuwenden und sich neue Erkenntnisse zu verschaffen. Wir Liberale schlagen
beispielsweise Jugendwahlen vor, die parallel zu den
richtigen Wahlen entweder von der Stadt oder von den
Schulen organisiert werden. Dadurch können junge
Menschen Demokratie lernen und erfahren, wie sie
selbst daran teilhaben können.
({5})
Mir schweben zudem konkrete Projekte wie der Qualipass aus Baden-Württemberg vor.
({6})
Der Qualipass richtet sich an Jugendliche zwischen
zwölf und 25 Jahren und dokumentiert Praxiserfahrungen und Kompetenzgewinne, die Jugendliche durch
Praktika, Vereinsmitarbeit, Arbeit in Schülerinitiativen,
Auslandsaufenthalte, Nachbarschaftshilfe oder vergleichbare Tätigkeiten erworben haben. Sie bekommen
damit ein Zeugnis über ihr Engagement.
Für die FDP ist die aktive Einbeziehung und politische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ein
Leitziel, das nur erreicht werden kann, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Erstens. Jugendliche müssen da abgeholt werden, wo sie stehen, sie müssen ernst genommen werden und echte Gestaltungs- und
Mitentscheidungschancen erhalten.
({7})
Zweitens. Ihr Engagement darf sich nicht in einmaligen
Aktionen erschöpfen, sondern muss kontinuierlich gefördert werden. Drittens. Es darf nicht zu Scheinpartizipationen kommen; denn die demotivieren nur.
({8})
Jeder von uns hier im Plenum kann selbst überprüfen, ob
er in seinem Wahlkreis oder in seiner täglichen Arbeit
mit Kindern und Jugendlichen diese drei Grundvoraussetzungen erfüllt. Wenn dem so ist, sind wir auf dem
richtigen Weg; denn Kinder und Jugendliche haben nicht
erst mit 18 Jahren ein Recht darauf, diese Gesellschaft
mitzugestalten und sich zu beteiligen.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Sönke Rix, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an politischen Entscheidungen ist richtig und wichtig. Dafür gibt
es vier Gründe, die ich hier kurz nennen will:
Erstens. Kinder und Jugendliche müssen mit den Entscheidungen, die wir heute treffen, später leben. Das ist
schon in den beiden vorigen Reden deutlich geworden.
Zweitens. Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche
Demokratie positiv erleben,
({0})
dass sie sehen, dass es etwas bringt, Interessen zu formulieren. So kann die Demokratiefähigkeit von Kindern
und Jugendlichen gefördert werden.
Drittens. Wir brauchen den Sachverstand von Kindern
und Jugendlichen. Sie sind Expertinnen und Experten in
ihren Belangen. Zu vielen Themen haben wir doch gar
keinen Bezug mehr, auch wenn wir nur 1,50 Meter groß
sind.
({1})
Es kommt auf die Jugendlichen und die Kinder an; sie
kennen ihre Belange.
({2})
Viertens. Diese Einbindung stärkt die Akzeptanz von
politischen Gestaltungsprozessen. Auch falsche und unbeliebte Entscheidungen bleiben für Jugendliche greifbar. „Transparenz durch Beteiligung“ lautet das Motto.
({3})
Die SPD-Fraktion hat schon in der letzten Legislaturperiode - übrigens gemeinsam mit den Grünen - wichtige Schritte in Richtung einer besseren Beteiligung von
Kindern und Jugendlichen unternommen. Ein Kernstück ist der Nationale Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“. Dieser Aktionsplan
befasst sich nicht nur inhaltlich mit einer stärkeren Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, sondern er ist
auch mit ihrer Hilfe erarbeitet worden. Das war eine
richtige Entscheidung und keine pure Symbolpolitik.
Hier geht es um die Lebenswelt der Kinder. Wir sind auf
ihre Kompetenzen angewiesen.
Wir werden an den Forderungen des Aktionsplans
festhalten und sie gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen
und ihren Verbänden umsetzen. Einen Zwischenbericht
zu den Umsetzungen hat das Bundesjugendministerium
noch für dieses Jahr angekündigt. Außerdem wird ebenfalls in diesem Jahr ein Kongress stattfinden, der über
die Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen informieren soll.
Seit Anfang dieses Jahres gibt es ein neues Programm
für mehr Jugendbeteiligung. Das Motto lautet: „Nur wer
was macht, kann auch verändern.“ Im Rahmen dieses
Programms werden unterschiedliche Hilfen angeboten:
Zum Beispiel bekommen Jugendliche in Workshops von
Medienprofis Tipps zur Umsetzung von eigenen Projekten. Hier lernen sie, ihre Meinungen und Interessen öffentlich bekannt zu machen.
Ein besonders erfolgreiches Angebot, das schon im
Rahmen des Projekts P gefördert wurde, ist „Come in
Contract“, zu Deutsch: Schließt einen Vertrag. Kinder
und Jugendliche schließen mit politisch Verantwortlichen auf unterschiedlichen Ebenen einen Vertrag. Das ist
eine Idee, die viele Kolleginnen und Kollegen von uns in
ihren Wahlkreisen mit Kindern und Jugendlichen unbedingt einmal ausprobieren sollten. Vor allen Dingen sollten sie sich dann auch an die Vertragsinhalte gebunden
fühlen. „Come in Contract“ ist ein voller Erfolg. Darum
wird diese Aktion weitergeführt. Ich appelliere noch einmal: Machen Sie ruhig mit!
({4})
Wenn wir über die politische Beteiligung von Kindern
und Jugendlichen reden, reicht es nicht, allein Projekte
zu initiieren, sich dann zurückzuziehen und lediglich irgendwelche Projektangebote zu machen. Jugendbeteiligung findet auch in einer anderen Form statt, beispielsweise in den Jugendverbänden. Diese Arbeit müssen wir
auch weiterhin intensiv unterstützen.
Außerdem müssen wir eines immer wieder in den
Vordergrund rücken: Kinder und Jugendliche wollen und
müssen ernst genommen werden. Sobald sie das Gefühl
haben, sie seien nur schmückendes Beiwerk - so nach
dem Motto: Wir machen mal eine Jugendwahl, und ihr
könnt ein bisschen Parlament spielen -, haben wir sie
spätestens dann, wenn sie merken, dass ihr Tun keinerlei
Konsequenzen hat, als Partner verloren. Das darf nicht
passieren.
({5})
Es gibt viele verschiedene Beispiele. Ich will einmal
ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Eckernförde in
Schleswig-Holstein benennen. Dort gibt es das in
Schleswig-Holstein am längsten selbstverwaltete Jugendzentrum. Es wird seit den wilden Zeiten von damals
autonom verwaltet. Bis heute ist es eines der Vorzeigeprojekte. Dort können Kinder und Jugendliche nicht nur
lernen, wie man mit dem Etat selbstständig umgeht, sondern sie können auch aktiv Einfluss auf die Programmatik und die Inhalte der Angebote dieses Jugendzentrums
nehmen.
({6})
- Ja, das kann man bestimmt auch in Niedersachsen machen. Ich wollte nur einmal ein schönes Beispiel nennen;
schließlich gibt es bestimmt noch Gegenden - das gilt
mit Sicherheit nicht für Ihren Wahlkreis -, in denen so
tolle Projekte noch nicht stattfinden. Wir sind aufgefordert, Programme dieser Art mit zu initiieren.
({7})
„Schön, dass wir mal darüber geredet haben“, das
reicht natürlich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das möchten wir verhindern. Wir müssen den Weg weitergehen, den wir unter der rot-grünen Bundesregierung
eingeschlagen haben. Das führen wir nun mit einem anderen Koalitionspartner fort.
Wir werden auch weiterhin konkrete Ziele wie die
Herabsetzung des Wahlalters diskutieren. Wenn wir Kinder und Jugendliche für Politik begeistern, haben wir übrigens auch eine Chance, gegen die grassierende Politikverdrossenheit anzugehen. Kinder und Jugendliche an
politischen Entscheidungen zu beteiligen, das schafft ein
neues Bewusstsein für Politik. Dazu sollten wir alle uns
aufgefordert fühlen.
Schönen Dank.
({8})
Das hat Wort nun Kollegin Diana Golze, Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Politik für Kinder und Jugendliche kann nur wirksam und glaubhaft sein, wenn sie eine Politik mit
ihnen ist.
Das ist ein Satz aus dem heute zu debattierenden Antrag,
der - so sollte man denken - in einer demokratischen
Gesellschaft selbstverständlich ist.
Einerseits wird also die Partizipation, die Teilhabe,
junger Bürgerinnen und Bürger hochgehalten. Andererseits ist es dann aber leider zu oft so, dass vorhandene
Instrumente sogar geschwächt werden.
({0})
Einige Beispiele dafür, wie die elementarsten Rechte
von Jugendlichen beschnitten werden, findet man ohne
große Mühe. Es ist ein Jahr her - daran muss hier erinnert werden -, dass dieses Parlament erwerbslosen Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren eines der zentralen Selbstbestimmungsrechte genommen hat: die freie
Wahl der Wohnung.
({1})
Seitdem müssen diese Jugendlichen bis zum 25. Geburtstag als Teil der Bedarfsgemeinschaft im „Hotel Mama“
bleiben. Es muss doch selbst Ihnen auffallen, wie lächerlich es diese Jugendlichen finden, wenn man ihnen erst
das Recht auf eine eigene Wohnung nimmt und ihnen
dann mehr Partizipation verspricht.
({2})
- Ich glaube schon, dass Ihnen das nicht gefällt; es muss
aber trotzdem gesagt werden.
Weiter im Geschäftsbereich des Arbeitsministeriums.
Dort sitzt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe an der Modernisierung und Weiterentwicklung des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Je mehr von den Plänen nach außen
dringt, desto mehr wird deutlich: Diskutiert wird über
eine Schleifung der Schutzrechte. Auch hier frage ich
mich, was Jugendliche von Politikern denken, die erst
dafür sorgen, dass sie vermehrt nachts und am Wochenende arbeiten müssen,
({3})
und ihnen dann von mehr Partizipation erzählen.
({4})
Wechseln wir ins Bildungsministerium! Dort liegt seit
Jahren der Entwurf für eine Verordnung auf Halde, die die
Mitbestimmungsmöglichkeiten für Jugendliche in außerbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen regeln soll. Das
betrifft nicht wenige. Das erkennen wir, wenn wir uns vor
Augen halten, dass im Osten der Republik auf jeden betrieblichen Ausbildungsplatz drei Bewerber kommen.
Apropos Ausbildung: Auch die Umlagefinanzierung
liegt auf Eis, und Jahr für Jahr schauen Sie zu, wie Zehntausende Jugendliche zu Beginn ihres Arbeitslebens aufs
Abstellgleis geschoben werden. Liebe Kolleginnen und
Kollegen der Grünen, auch Sie haben in dieser Frage
versagt; da nützen alle schönen Worte über mehr Partizipation nichts.
({5})
Ihr Antrag geht am Kern des Problems vorbei. Allein
schon die Tatsache, dass Sie der Kinder- und Jugendhilfe nur eine marginale Rolle einräumen, verrät, dass es
sich um eine Sonntagsrede in Drucksachenform handelt.
({6})
Gerade die Jugendhilfe - das ist einer der wichtigsten
Bausteine zur Realisierung von realer Kinder- und Jugendpartizipation - wurde mit der Föderalismusreform
erheblich geschwächt. Die Linke sieht in einer offensiven Förderung und sinnvollen Weiterentwicklung der
bewährten Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe eine
wirkliche Chance, die Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten entscheidend zu stärken. Wenn Sie die
Shell-Studie schon zur Grundlage machen, dann sollten
Sie sie auch ernst nehmen und daraus die richtigen
Schlussfolgerungen ziehen.
({7})
Stattdessen wirkt Ihr Antrag wie ein buntgemischter
Strauß kaum konkret unterlegter Maßnahmen. Statt die
vorhandenen Partizipationselemente - Vertretungen der
Schülerinnen und Schüler, Jugend- und Auszubildendenvertretungen, Jugendgemeinderäte und Jugendparlamente - zu stärken,
({8})
statt hier endlich Vorschläge für bundesweit einheitliche
Regelungen zu machen, schmieden Sie neue, unausgegorene Pläne.
({9})
In Ihrem Konzept spielt die Frage nach der Existenzsicherung von Kindern und Jugendlichen überhaupt
keine Rolle. Das setzt Ihre Beteiligung an einer HartzIV-Politik fort,
({10})
die die Kinder- und Jugendarmut massiv verschärft hat.
({11})
Nur wenn sich die Forderungen junger Menschen
konkret und wiedererkennbar in der Politik widerspiegeln, wird der Satz endlich mehr sein als nur eine hohle
Phrase:
Politik für Kinder und Jugendliche kann nur wirksam und glaubhaft sein, wenn sie eine Politik mit
ihnen ist.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Kucharczyk,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Sönke Rix hat vorhin klargestellt: Der
von SPD-Fraktion und Bundesregierung eingeschlagene
Weg ist richtig. Das kann ich nur unterstreichen. Der
vorliegende Antrag der Opposition beschreibt unsere bereits in der vergangenen Legislaturperiode zustande gekommenen Erfolge; hierbei verweise ich auf unser
Projekt P und die Projektreihe „Come in Contract“.
Des Weiteren und für mich unverständlich fordert die
Fraktion der Grünen eine generelle Absenkung des
Wahlalters auf 16 Jahre. Diese Form der Partizipation
bindet junge Menschen nicht in die aktive Mitgestaltung
unserer Gesellschaft ein und lindert erst recht nicht die
Politikverdrossenheit eines großen Teils der Bevölkerung über die Kommunalwahlen hinaus. Die Zahlen aus
den Bundesländern sprechen eine deutliche Sprache: Der
Anteil 16- bis 18-Jähriger, die von einer Absenkung direkt betroffen wären, liegt zwischen 2 und 4 Prozent. Ich
lehne eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre über
die Kommunalwahl hinaus - also auch bei Landtags-,
Bundestags- und Europawahlen, wie die Bündnisgrünen
es fordern - ab.
({0})
Kinderrechte in die Verfassung zu schreiben, ist sicherlich der konsequentere und richtigere Weg.
({1})
Die politische Partizipation von Jugendlichen können
und müssen wir auf vielfachen Wegen fördern, insbesondere durch die Motivation zu aktiver Mitarbeit in unseren Kommunen. Mit Jugendstadträten, deren Stellung in
den städtischen Hauptsatzungen verankert wird, konnten
positive Erfahrungen gemacht werden, wie ich aus meiner Heimatstadt Remscheid weiß. Ich unterstütze ausdrücklich die bereits bestehenden Projekte unter der
Schirmherrschaft des Familienministeriums, die sich im
Aktionsprogramm für mehr Jugendbeteiligung bündeln.
Es ist wichtig und richtig, dass bewährte Projekte weiter
gefördert und neue initiiert werden. Denn es leuchtet ein,
den Bereich der Kinder- und Jugendbeteiligung innovativ und flexibel zu gestalten.
Mit dem Europäischen Pakt für die Jugend stellen wir
uns den Herausforderungen, die einer stärkeren Beteiligung der Jugendlichen unter anderem entgegenstehen.
Aktives Staatsbürgertum und die soziale Entwicklung
junger Menschen in den Mitgliedstaaten unterstützen wir
durch gezielte Projekte: von kommunalen Jugendparlamenten bis zum Europäischen Jugendforum, dem Dach9048
verband europäischer Jugendorganisationen. Damit investieren wir nicht nur in die individuelle berufliche und
gesellschaftliche Zukunft der Jugend, sondern letztlich
in die Zukunft der gesamten europäischen Gemeinschaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können es uns
nicht leisten, dass Jugendliche beruflich oder sozial auf
der Strecke bleiben. Wir müssen die jungen Menschen
ernst nehmen, integrieren und ihnen Hilfestellung für ein
selbstständiges Leben geben. Dazu möchte ich ein erfolgreiches Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen: Die
Jugendhilfewerkstatt Solingen hat in den letzten 20 Jahren über 500 Jugendlichen unterschiedlichster Nationalität, die aus sozial benachteiligten Familien stammen,
eine berufliche und soziale Perspektive gegeben.
({2})
Zwei Drittel dieser jungen Frauen und Männer haben
mittlerweile ihr Leben selbst und eigenverantwortlich in
die Hand genommen. Einen ihrer größten Erfolge erzielte die Jugendhilfewerkstatt 1994. Sie entwickelte das
Solinger Mahnmal gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit, das weltweit Bedeutung erlangt hat.
({3})
Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle
unterstützen das politische und soziale Engagement von
Kindern und Jugendlichen und wollen, dass sie die aktive Beteiligung an der Demokratie und am Gemeinwesen ernst nehmen. Soziale Verantwortung und Solidarität
mit Schwächeren entsteht durch Teilhabe und Bildung.
Wir müssen garantieren, dass alle Schüler einen Zugang
zu der Förderung bekommen, die sie benötigen, um sich
selbst aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Dazu gehören auch die genaue Betrachtung der Kritik des UN-Gesandten Muñoz an unserem Bildungssystem und daraus
resultierend die Neugestaltung unseres bislang dreigliedrigen Schulsystems.
Den letzten Satz meiner Ausführungen möchte ich
insbesondere an unsere jungen Mitbürger richten: Nur
wer sich heute engagiert und für Freiheit, Solidarität und
Gerechtigkeit einsteht, ist morgen imstande, eine Stütze
der Gesellschaft zu sein und in einer solidarischen Gesellschaft zu leben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3543 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Fusionsforschung zielgerichtet weiterführen Deutschen Beitrag sichern
- Drucksache 16/3650 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben: Axel Fischer ({1}), Dieter
Grasedieck, Cornelia Pieper, Petra Sitte, Hans-Josef
Fell.1)
Ich kann damit die Aussprache schließen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3650 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Verzicht der Bundesregierung auf Einnahmen
aus Sponsoring
- Drucksache 16/4488 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Christoph Bergner, Petra Merkel ({3}),
Claudia Winterstein, Gesine Lötzsch, Anja Hajduk.2)
Damit kann ich auch diese Aussprache schließen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4488 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. März 2007, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein
freundliches Wochenende.