Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zu dem Europäischen Übereinkommen über die internationale
Beförderung von gefährlichen Gütern auf Binnenwasserstraßen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Karin
Roth.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Das Gesetzesvorhaben dient der Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens über die internationale Beförderung von gefährlichen Gütern auf
Binnenwasserstraßen, kurz ADN genannt. Durch das
ADN soll ein einheitlicher Rechtsrahmen für diese Art
der Gefahrgutbeförderung in Europa geschaffen werden.
Regionale Vorschriften für die Beförderung mit Binnenschiffen werden durch eine einheitliche europäische
Rechtsvorschrift ersetzt. Auch der Bereich der Gefahrgutbeförderung mit Binnenschiffen, für den es bisher nur
unverbindliche Empfehlungen gab, wird verbindlichen
Vorschriften unterworfen.
Mit der Ratifizierung des ADN-Übereinkommens
schaffen wir erstens einen einheitlichen Rechtsrahmen
für die Beförderung gefährlicher Güter mit Binnenschiffen auf europäischen Wasserstraßen. Zweitens erreichen
wir die Konzentration der Vorschriften in einem Regelwerk, was bedeutet: Reduzierung der administrativen
Arbeit bei der Fortschreibung, Verhinderung von Fehlern bei der Angleichung unterschiedlicher Regelungen,
Bündelung der Expertenberatung in einem Gremium und
Organisation der Gremienarbeit durch das UNO-Sekretariat, das auch für die anderen Verkehrsträger zuständig
ist. Drittens ermöglichen wir mit der Rahmenrichtlinie
die Harmonisierung der innerstaatlichen und gemeinschaftlichen Beförderungen. Viertens ermöglichen wir
die Beibehaltung des in Deutschland und auf dem Rhein
erreichten Sicherheitsstandards bei gleichzeitiger Erhöhung und Harmonisierung des Sicherheitsstandards in
der gesamten EU und in anderen europäischen Staaten.
Letztlich kommt es durch Reduzierung der Zahl der europäischen Regelungswerke zu einer Verwaltungsvereinfachung.
Die Ratifizierung des ADN-Übereinkommens ist für
das laufende EU-Vorhaben, eine umfassende Richtlinie
für die Beförderung gefährlicher Güter im Binnenland
zu erstellen, wichtig. Seit 1997 sind aufgrund der EURichtlinien die internationalen Abkommen für die Gefahrgutbeförderung auf der Straße und auf der Schiene
auch auf den innerstaatlichen und gemeinschaftlichen
Verkehr anzuwenden. Dies will die EU nun auch auf die
Beförderung der gefährlichen Güter im Binnenschiffsbereich in der EU ausdehnen.
In einer übergreifenden Gefahrgutrichtlinie, die derzeit in einer Ratsarbeitsgruppe beraten wird, werden die
bisher bestehenden Richtlinien zusammengefasst. Dies
dient im Übrigen auch der Reduzierung der EU-Bürokratie. Um den Verkehrsträger Binnenschifffahrt ergänzt,
soll die EU-Richtlinie zum 1. Januar 2009 von den EUStaaten umgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch das Inkrafttreten des ADN-Übereinkommens.
Deutschland und Frankreich betreiben derzeit die innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren, damit das
ADN-Übereinkommen noch im Jahr 2007 in Kraft treten
kann. Die Ratifizierungen von fünf Staaten liegen schon
vor. Sieben sind notwendig. Wenn Deutschland und
Frankreich es ratifizieren, ist die Mindestzahl erreicht.
Dann kann das Übereinkommen in Kraft treten. Es wird
den Status eines völkerrechtlichen Vertrages haben. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, die wir im
Rahmen der EU-Richtlinien brauchen.
Es sind verschiedene Fragen angemeldet worden. Frau Kollegin Faße, bitte schön.
Redetext
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, das
Gesetzgebungsverfahren ist natürlich ein großer Schritt
voran. Gerade während unserer EU-Ratspräsidentschaft
steht es uns gut an, dass wir es jetzt in nationales Recht
umsetzen.
Ich möchte gerne von Ihnen wissen: Es orientiert sich
ja an der Rheinschifffahrtsverordnung, aber nicht an unseren nationalen Regelungen für andere Flüsse. Können
Sie mir den Unterschied zwischen den deutschen Regelungen und den jetzt auf uns zukommenden Regelungen
erklären? Bestehen da große Unterschiede oder sind sie
fast identisch? Sind wir damit gut aufgestellt?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin, Sie haben das
Wort.
Danke schön, Herr Präsident. - Liebe Kollegin Faße,
es ist in der Tat so, dass wir die Standards, die für den
Rhein gelten, zur Grundlage des ADN-Übereinkommens
machen. Das Übereinkommen gilt für die Staaten, die es
unterzeichnen. Das müssen mindestens sieben sein. Das
ist der erste Schritt.
Im zweiten Schritt gilt es dann für Europa insgesamt,
auch für die neuen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union, zum Beispiel für die Donauregion. Dann werden
diese Standards auf die europäischen Länder insgesamt
übertragen.
Das heißt konkret, unsere Standards bilden die
Grundlage für die europäischen Standards, die in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten werden.
Es gibt ein kleines Problem - das muss ich Ihnen gleich
dazusagen -: Das betrifft die Schweiz. Die Schweiz ist
kein Mitglied der Europäischen Union. Wir erwarten
aber, dass die Schweiz in den nächsten zwei Jahren das
ADN-Übereinkommen unterzeichnet. Damit würden das
ADN-Abkommen und die EU-Richtlinie auch für die
Schweiz gelten.
Danke schön. - Die nächste Frage hat der Kollege
Jürgen Koppelin.
Frau Staatssekretärin, Sie berichten uns ja hier zu diesem Punkt und waren sicher in der Kabinettssitzung.
Darf ich Sie fragen, ob in der Kabinettssitzung außer
diesem prickelnden Thema noch andere wichtige Themen besprochen wurden? Dann kann man einschätzen,
welche Bedeutung die heutige Kabinettssitzung hatte.
Herr Kollege Koppelin, ich war nicht in der Kabinettssitzung. Minister Tiefensee war dort. Er musste aber
nach der Kabinettssitzung sofort nach Brüssel, um eine
interministerielle Konferenz, die morgen stattfinden
wird, vorzubereiten. Insofern berichte ich Ihnen jetzt
über diesen Tagesordnungspunkt.
Nachfrage? - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, wollen Sie mir sagen, dass Sie
das Parlament heute über diesen Punkt der Kabinettssitzung informieren, ohne an der Kabinettssitzung teilgenommen zu haben? Sie kennen also die Diskussion, die
vielleicht zu diesem Punkt stattgefunden hat, gar nicht?
Ich bin über die Diskussion im Kabinett informiert.
Zu diesem Tagesordnungspunkt gab es keine Anmerkungen. Der Gesetzentwurf wurde beschlossen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Koppelin?
({0})
Herr Kollege Andreas Scheuer, bitte.
Frau Staatssekretärin, würden Sie in Anlehnung an
die Frage des Kollegen Koppelin bestätigen, dass am
Mittwoch einer Sitzungswoche immer auch eine Sitzung
des Verkehrsausschusses stattfindet, in der die Staatssekretäre im Bundesverkehrsministerium zu vielen Themen immer hervorragend Auskunft gegeben haben, und
würden Sie uns erläutern, wie der Kommunikationsprozess im Ministerium sichergestellt wird, sodass Sie heute
gut Auskunft geben können?
Selbstverständlich stand ich heute im Verkehrsausschuss zu den Dingen, die in meiner Zuständigkeit liegen, Rede und Antwort. Darüber hinaus habe ich natürlich auch die Informationen darüber, was im Kabinett
besprochen wurde.
Soweit ich das sehe, gibt es jetzt keine Fragen mehr
zu dem angesprochenen Themenbereich. Es gibt aber
Fragen zu anderen Punkten der Kabinettssitzung.
Der Kollege Grund hat die erste Frage. Bitte schön,
Kollege Grund.
Vielen Dank. - Ich frage tatsächlich bezüglich der
Kabinettssitzung, und ich hoffe, dass die Informationen
weitergegeben worden sind.
In der Kabinettssitzung sind Eckpunkte hinsichtlich
der Renten für SED-Opfer beredet und beschlossen
worden. Mich würde interessieren, was das Kabinett verabredet hat und wie der weitere parlamentarische Werdegang dieser Vorlage sein wird.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Im Rahmen der Top-1-Liste - diese Liste wird ohne
Aussprache beschlossen - hat das Kabinett in der Tat
noch einige andere Punkte erörtert. Dazu gehört auch die
von Ihnen angesprochene Bereinigung von SED-Unrecht.
Es hat eine Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen hinsichtlich eines Gesetzentwurfs beschlossen,
der von den Koalitionsfraktionen eingebracht werden
soll und in dem diese Frage behandelt wird. In ihm ist
vorgesehen - so war es von den Koalitionsfraktionen ja
auch vereinbart worden -, dass Häftlinge, die in der
DDR rechtsstaatswidrig inhaftiert waren, eine Entschädigung von 250 Euro im Monat erhalten.
Vielen Dank.
Es gibt eine weitere Frage der Kollegin Enkelmann.
Bitte schön.
Herr Präsident! Herr Staatssekretär, es dreht sich
ebenfalls um die Kabinettssitzung.
Wir werden nachher in der Aktuellen Stunde ja noch
über das Thema Raketenstationierung debattieren.
Dennoch komme ich schon jetzt zu meiner Frage: Gestern ging durch die Medien, dass bereits die rot-grüne
Bundesregierung diesen Plänen zugestimmt hat. War das
heute Thema der Kabinettssitzung?
Herr Staatssekretär Beus.
Die Frage, wie sich die rot-grüne Bundesregierung zu
diesem Thema verhalten hat, war heute nicht Gegenstand der Kabinettssitzung.
Eine Frage der Kollegin Hirsch. Bitte.
Danke schön. - Ich frage ebenfalls zur heutigen Kabinettssitzung.
Vernor Muñoz, der UN-Sonderberichterstatter für das
Recht auf Bildung, hat heute seinen Bericht in Genf
vorgestellt bzw. tut das noch. Ich frage, ob sich die Bundesregierung damit befasst hat. Wenn ja: In welcher
Form ist das geschehen? Wenn nein: Weshalb ist solch
ein wesentliches Thema nicht aufgegriffen worden?
Herr Staatssekretär Beus, bitte.
Da der Bericht des VN-Beauftragten erst heute von
ihm vorgestellt wurde, konnte er nicht Gegenstand der
heutigen Kabinettssitzung sein, die wahrscheinlich zur
gleichen Zeit stattgefunden hat. Er wird sicher Gegenstand einer der nachfolgenden Sitzungen sein.
Die nächste Frage hat die Kollegin Cornelia Behm.
Bitte schön.
Ich würde gerne noch einmal etwas zum Thema SEDUnrechtsbereinigung wissen.
Hat bei der Erörterung dieses Punktes auch eine Rolle
gespielt, dass die vorgesehene Opferrente in Höhe von
250 Euro monatlich sowohl den Opferverbänden als
auch der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen als
deutlich zu niedrig erscheint und dass es andere Vorschläge und einen entsprechenden Antrag von uns gibt?
Frau Abgeordnete, ich hatte eben darauf hingewiesen,
dass das einer der Punkte war, die innerhalb der sogenannten Top-1-Liste beschlossen worden sind. Diese
Liste wird vom Kabinett ohne Aussprache beschlossen.
Deshalb konnte das nicht Gegenstand in der von Ihnen
angesprochenen Form einer Erörterung sein.
Gibt es weitere Fragen? - Herr Kollege Koppelin.
Bitte.
Ich hatte vorhin schon einmal danach gefragt: Können Sie uns sagen, was heute im Kabinett alles auf der
Tagesordnung gestanden hat und auch diskutiert worden ist?
({0})
Bitte schön, Herr Staatssekretär Beus.
Ich kann Ihnen zunächst die Punkte nennen, die darüber hinaus Gegenstand der Beschlussfassung des Kabinetts gewesen sind: der Entwurf eines Gesetzes zum
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Französischen Republik zur Vermeidung von
Doppelbesteuerung der Nachlässe, Erbschaften und
Schenkungen, zwei Gegenäußerungen der Bundesregierung zu Stellungnahmen des Bundesrates zum Satellitendatensicherheitsgesetz und zum sogenannten Zweiten
Mittelstandsentlastungsgesetz sowie die schon erwähnte
Formulierungshilfe für das dritte Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer
der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR. Außerdem hat das Kabinett Antworten auf die Große Anfrage der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Nachhaltiger Schutz der Meeresumwelt“ und die Große Anfrage
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Jugendliche in Deutschland: Perspektiven durch Zugänge, Teilhabe und Generationsgerechtigkeit“ gebilligt.
Das Kabinett hat des Weiteren der deutschen Beteiligung am EU-Planungsteam zur Vorbereitung einer möglichen ESVP-Rechtsstaatsmission im Kosovo zugestimmt. Neben dem bereits berichteten Punkt hat sich
das Kabinett mit den Punkten befasst, die üblicherweise
auf der Tagesordnung stehen. Dazu gehören die Sitzungen des Bundestages in dieser Woche, Personalien und
die EU-Ratspräsidentschaft.
Nachfrage, Kollege Koppelin.
Darf ich fragen, was Sie im Bereich Personalien besprochen haben?
Im Bereich Personalien sind die Beschlussvorschläge
besprochen worden, die die Ministerien dem Kabinett
vorgelegt haben.
Die wären?
({0})
Ich denke, es ist nicht üblich, hier über die Personalien im Einzelnen zu berichten. Das sind schließlich vertrauliche Personalvorgänge.
Das ist richtig. Es ist nicht üblich, hier über Personalfragen zu berichten. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Gibt es weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall. Dann
beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/4697, 16/4734 Die Fragestunde beginnt heute mit der dringlichen
Frage auf Drucksache 16/4734. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatsekretär Peter Altmaier zur
Verfügung. Ist das richtig?
({0})
- Die Fragestellerin ist noch nicht anwesend. Dann bitte
ich die Geschäftsführer zu mir. Weil wir etwas früh dran
sind, ist zu klären, ob wir die Sitzung unterbrechen und
sie zur angekündigten Zeit fortsetzen.
({1})
Wir sind übereingekommen, dass wir die Sitzung bis
13.35 Uhr unterbrechen. Die Sitzung ist unterbrochen.
({2})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage der
Kollegin Sevim Dağdelen auf:
Sieht die Bundesregierung eine Mitverantwortung deutscher Behörden, Politikerinnen und Politiker für den Tod von
Herrn M. M., der zusammen mit seiner Familie - in Kenntnis
seiner verzweifelten persönlichen Lage, in Kenntnis der
schwierigen Lage der Roma in Rumänien und in Kenntnis des
circa zwölfjährigen Aufenthalts der Familie in Deutschland abgeschoben und damit in die Notlage gebracht wurde, die
schließlich zu seinem verzweifelten Suizid führte - bitte begründen -, und plant die Bundesregierung vor diesem Hintergrund, den Hinterbliebenen von M. M. einen Aufenthalt zu
gewähren?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung. Bitte schön, Herr
Altmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung beantwortet beide Fragen mit Nein. Die
Frage von Frau Dağdelen bezieht sich auf den Tod eines
ehemaligen rumänischen Staatsbürgers, der sich die letzten fünf Jahre in der sogenannten neutralen Zone des Bukarester Flughafens aufgehalten hat. Dieser Tod macht
betroffen, und die Bundesregierung bedauert ihn.
Umso wichtiger ist es, dass man sich über die konkreten Umstände dieses Falles noch einmal Klarheit verschafft. Herr M. M. war mit seiner vierköpfigen Familie
im Jahre 1990, also vor 17 Jahren, nach Deutschland
eingereist. Er hatte 1993 zusammen mit seiner Familie
auf seinen eigenen Antrag die rumänische Staatsangehörigkeit verloren. In Deutschland hatte er Asyl beantragt.
Dieses Asylverfahren und auch das folgende Klageverfahren blieben erfolglos. Seit 1998 waren ihm und seiner
Familie nur noch Duldungen erteilt worden. Eine Klage
vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
hatte ebenfalls keinen Erfolg und wurde im Jahre 2004
abgewiesen.
Die Familie ist im Jahre 2002 nach Rumänien zurückgeführt worden, da sie ihrer Ausreiseverpflichtung nach
Ausschöpfung des Rechtsweges jahrelang nicht nachgekommen war. Seit diesem Zeitpunkt, also seit 2002 - das
sind nunmehr fünf Jahre -, hielt sich die Familie im
Transitbereich des Flughafens in Bukarest auf und verweigerte die Einreise nach Rumänien. Seit ihrer Ankunft
vor fünf Jahren hat die Familie von den durch die allein
zuständigen rumänischen Behörden aufgezeigten Optionen, zum Beispiel von der Einreise als Staatenlose, dem
Antrag auf Wiedereinbürgerung, der Weiterreise in ein
Land, das ihrer Aufnahme zustimmt, keinen Gebrauch
gemacht. Aus all dem ergibt sich, dass eine Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland für den Suizid
von Herrn M. M. nicht begründet wird und dass es vor
diesem Hintergrund auch keinen Anlass gibt, eine Aufnahme der hinterbliebenen Familienangehörigen in
Deutschland in Betracht zu ziehen.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön, Frau
Dağdelen.
Ich möchte kurz Folgendes darstellen: 1993 legte die
Familie M. wie Hunderte andere Romafamilien die rumänische Staatsangehörigkeit mit der Zustimmung der
rumänischen Behörden ab; sie wurde damit staatenlos.
Wegen tatsächlich bestehender Abschiebungshindernisse wurde sie geduldet - wie Hunderte anderer Romafamilien. Im Frühjahr 2001 schlossen der damalige
Innenminister Schily und der rumänische Innenminister
Rus ein Rückübernahmeabkommen. Damit wurden die
Voraussetzungen dafür geschaffen, diese Abschiebungen
durchzuführen. Auch laut Medienberichten ist dies ein
beispielhafter Fall.
Plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund dieses Suizids des verzweifelten Herrn M. M. und angesichts der auf der Konferenz unter der Schirmherrschaft
der Kinderkommission des Deutschen Bundestages und
des UN-Kinderhilfswerks UNICEF zum Thema
„Roma-Kinder in Europa“ am 5. März 2007 im
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus gewonnenen Erkenntnisse
eine aufenthaltsrechtliche Bleiberechtsregelung, insbesondere für Roma aus Südosteuropa, um der Chancenlosigkeit vieler Roma in ihren Herkunftsländern etwas entgegenzusetzen und um ihnen damit natürlich auch eine
Chance in Deutschland zu gewähren?
Frau Kollegin Dağdelen, ich glaube, es handelt sich
hier um eine unzulässige Verknüpfung von zwei verschiedenen Sachverhalten. Der Sachverhalt, dass sich
diese Familie seit fünf Jahren in der neutralen Zone im
Flughafen Bukarest aufgehalten hat, hat keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland. Die Einreise nach Rumänien ist für diese Familie möglich gewesen. Rumänien
ist seit dem 1. Januar ein Mitgliedstaat der Europäischen
Union mit den damit zusammenhängenden rechtsstaatlichen Ausformungen.
Die deutsche Innenministerkonferenz hat im letzten
Jahr eine Altfall- und Bleiberechtsregelung beschlossen,
die derzeit bereits angewendet wird. Der Deutsche Bundestag wird sich in Kürze mit einem Gesetzentwurf zu
befassen haben, der eine Bleiberechtsregelung auf gesetzlicher Grundlage vorsieht. Es hängt dann vom Parlament und seinen Entscheidungen ab, wann diese Bleiberechtsregelung in Kraft treten kann und wie sie im
Einzelnen ausgestaltet sein wird.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Sie haben gerade davon gesprochen, lieber Herr
Staatssekretär, dass Rumänien ein Mitglied der EU ist.
Wie schätzen Sie denn die Standards in Rumänien und
vor allen Dingen die Lebensbedingungen der Roma ein?
In Anbetracht der Situation, dass es in Rumänien immer
wieder zu Beschwerden über die Diskriminierung bestimmter Minderheiten kommt sowie dazu, dass die Betroffenen nicht gehört werden oder ihre Rechte nicht gewährleistet werden, gerade auch in Anbetracht der
Pogrome, die in Rumänien gegenüber den Roma stattgefunden haben, frage ich: Wie schätzen Sie das ein? Wie
bewertet die Bundesregierung die Situation der Roma in
Rumänien?
Die Bundesregierung hat sich auf der Basis der Fortschrittsberichte der Europäischen Union eine Meinung
über die Situation in Rumänien insgesamt gebildet. Sie
teilt die Auffassungen, die die Europäische Kommission
geäußert hat. Dem Umstand, dass der Deutsche Bundestag der Aufnahme von Rumänien in die Europäische
Union zugestimmt hat, entnehme ich, dass der Deutsche
Bundestag diese Schlussfolgerungen der Kommission
offenbar teilt.
Das schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen - wie in
anderen Staaten auch - zu Diskriminierungen oder zu
Rechtsverletzungen kommen kann. Dafür gibt es die innerstaatlichen Rechtsbehelfe und unter bestimmten Voraussetzungen als letzte Möglichkeit eine Klage vor dem
Europäischen Menschenrechtsgerichtshof oder, soweit
die Verletzung von EU-Recht in Rede steht, ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.
Eine weitere Frage, und zwar der Kollegin Gesine
Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
ich komme auf den Einzelfall zurück, auf den sich die
Frage bezog. Sie haben in Ihrer Antwort ausgeführt, dass
der Familie verschiedene Möglichkeiten angeboten wurden, unter anderem die Möglichkeit, in ein anderes Land
auszureisen, statt nach Rumänien einzureisen. Mich
würde interessieren, welches Land die Familie aufnehmen wollte.
Diese Frage, Frau Kollegin, kann ich Ihnen nicht beantworten, weil dieses Angebot nicht von der Bundesregierung unterbreitet worden ist.
Eine weitere Frage, und zwar der Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung etwas über das Schicksal der weiteren im Zuge
der Rückführung dieser Familie damals abgeschobenen
staatenlosen Roma bekannt? Haben sich diese Personen
einbürgern lassen, oder in welchem Status leben sie jetzt
in Rumänien?
Nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung ist bei
der großen Zahl der betroffenen Personen keine einheitliche Antwort auf Ihre Frage möglich. Nach Presseberichten ist eine Reihe von Betroffenen von sich aus nach
Rumänien zurückgekehrt. Aus Presseberichten habe ich
des Weiteren entnommen, dass wohl auch eine Tochter
der betroffenen Familie in diesem konkreten Einzelfall
die Transitzone verlassen hat und nach Rumänien eingereist ist. Im Einzelnen kann ich Ihnen dazu aber keine
Auskunft erteilen.
Nachdem die dringliche Frage beantwortet worden ist,
kommen wir jetzt zu den Fragen auf Drucksache 16/4697
in der üblichen Reihenfolge, zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Herr Staatssekretär Altmaier steht zur Beantwortung zur Verfügung;
er hat ja gerade schon die dringliche Frage beantwortet.
Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass der
Umzug von Bundesministerien von Bonn nach Berlin keiner
Änderung des Berlin/Bonn-Gesetzes bedarf und die Bundesregierung innerhalb ihrer verfassungsrechtlich geschützten
Organisationsgewalt den Komplettumzug der Bundesministerien nach Berlin entscheiden kann, und, wenn ja, wird die
Bundesregierung von ihrer verfassungsrechtlich geschützten
Organisationsgewalt in diesem Falle Gebrauch machen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage
von Frau Lötzsch bezieht sich auf das Berlin/Bonn-Gesetz, und die Antwort der Bundesregierung lautet wie
folgt:
Unabhängig von der Organisationsgewalt der Bundeskanzlerin und der Ressortzuständigkeit hat der Deutsche Bundestag mit dem Berlin/Bonn-Gesetz vom
26. April 1994 gesetzliche Regelungen zu der Aufteilung der Regierungsfunktionen auf die Standorte Berlin
und Bonn geschaffen, die jedenfalls einer vollständigen
Verlagerung der Bundesregierung nach Berlin widersprechen würden. Eine Änderung dieses politischen
Kompromisses mit seinen vielfältigen Zielsetzungen
wäre nur durch Gesetz möglich.
Eine Zusatzfrage von Frau Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
schade, dass Sie sich nicht meiner Auffassung anschließen können, dass es ohne Gesetzesänderung möglich ist.
Nun zu meiner Zusatzfrage: Kann sich die Bundesregierung vorstellen, in einem ersten Schritt das Prinzip
der ersten und der zweiten Sitze der Ministerien so zu
verändern, dass die Ministerien, die bereits ihren ersten
Sitz in Berlin haben, den zweiten Sitz in Bonn aufgeben,
um so effizienter arbeiten zu können?
Frau Kollegin Lötzsch, der Haushaltsausschuss des
Deutschen Bundestages hat die Bundesregierung am
9. November 2006 aufgefordert, über Effizienzpotenziale zu berichten, die sich aus einer stärkeren Konzentration ministerieller Aufgaben in Berlin und der damit
unter anderem verbundenen geringeren Reisetätigkeit ergeben würden. Dieser Bericht wird im Augenblick in
meinem Haus vorbereitet. Wir werden den Deutschen
Bundestag zu gegebener Zeit darüber unterrichten.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage von Frau Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident, auch dafür, dass Sie
meinen Namen richtig aussprechen. Ein kleiner Wink
mit dem Zaunpfahl an den Herrn Staatssekretär.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die Frage der
Reisetätigkeit angesprochen. Was hat die Bundesregierung unternommen, um den sehr umfangreichen Flugverkehr, der sich infolge der Aufteilung der Ministerien
ergibt, auch im Lichte der Diskussion über den CO2Ausstoß zu reduzieren?
Die Bundesregierung hat seit dem Umzug nach Berlin
dafür Sorge getragen, dass Dienstreisen auch dadurch
überflüssig werden, dass wir uns der modernen TeleParl. Staatssekretär Peter Altmaier
kommunikationsmöglichkeiten bedienen. Das beginnt
beim Telefax
({0})
und geht über E-Mails bis hin zu Videokonferenzen und
Konferenzschaltungen. Ich gehe davon aus, dass die einzelnen Möglichkeiten auch Ihnen bekannt sind.
({1})
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Frage 2 soll schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Andreas Storm zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Cornelia
Hirsch:
Mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten und Zielen
bringt sich die Bundesregierung zurzeit in die weitere Gestaltung des Bolognaprozesses zur Schaffung eines einheitlichen
europäischen Hochschulraums ein, bei dem sie mit der EURatspräsidentschaft den Vorsitz in den entsprechenden Gremien innehat?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage
der Abgeordneten Hirsch beantworte ich wie folgt:
Im Bolognaprozess hat Deutschland im ersten Halbjahr 2007 mit der EU-Ratspräsidentschaft auch den Vorsitz in der Bologna-Follow-up-Gruppe übernommen.
Das ist das Arbeitsgremium auf der hohen Beamtenebene. Den Vorsitz bei der Ministerkonferenz in London
in der Zeit vom 17. bis 19. Mai 2007 wird Großbritannien als Ausrichter gemeinsam mit Deutschland übernehmen.
Die Bundesregierung setzt sich gemeinsam mit den
Ländern für die Fortführung der bereits eingeleiteten Reformen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene ein, damit der europäische Hochschulraum bis
zum Jahr 2010 so weit wie möglich verwirklicht werden
kann.
Inhaltliche Schwerpunkte in den Diskussionen der
Follow-up-Gruppe sind das Querschnittsthema Mobilität, die soziale Dimension, die Qualitätssicherung sowie
die sogenannte externe Dimension; dabei geht es um die
Attraktivität des europäischen Hochschulraums nach außen.
Für den Zeitraum zwischen der Konferenz in London
und der darauf folgenden Konferenz im Jahr 2009 wird
auch eine stärkere Berücksichtigung des Themas Beschäftigungsfähigkeit angestrebt. Darüber hinaus werden auf der Londoner Konferenz auch erste Überlegungen angestellt werden, wie der Prozess nach dem Jahr
2010 fortgesetzt werden kann.
Eine Zusatzfrage von Frau Hirsch.
Danke schön. - Ich möchte den letzten Punkt aufgreifen: Was ist denn die Position der Bundesregierung dazu,
wie der Prozess fortgesetzt werden könnte? Welche Vorschläge wird sie dazu einbringen?
Es ist völlig klar, dass dieser Prozess mit Ablauf des
Jahres 2010 keinesfalls beendet ist. Wir haben ja beim
Bolognaprozess einen sehr partnerschaftlichen Ansatz
mit der Einbeziehung von Hochschulen, Studierenden
und Sozialpartnern. Hierbei hat sich das Prinzip der Freiwilligkeit sehr bewährt. Wir werden im Dialog sowohl
auf nationaler Ebene - es hat ja im Vorfeld der Londoner
Konferenz bereits im Februar gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz eine Veranstaltung gegeben - als
auch auf internationaler Ebene die Schwerpunkte für die
Fortsetzung dieses Prozesses festlegen.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Danke schön. - Ich möchte noch einmal das Stichwort „soziale Dimension“ aufgreifen. Es wird ja verstärkt Kritik daran geübt, dass der europäische Hochschulraum, der im Entstehen begriffen ist, nur ein
Hochschulraum für wenige ist und sehr viele nicht die
Möglichkeit haben, daran teilzuhaben, sei es, dass finanzielle Mittel fehlen, oder sei es, dass Bildungsmöglichkeiten eingeschränkt werden, beispielsweise der Zugang
zum Masterstudiengang beschränkt wird. Sie haben ja
angesprochen, dass die soziale Dimension ein Querschnittsthema sein soll. Meine Frage wäre nun, in welcher Form sich die Bundesregierung einbringen wird
und welche weitergehenden Vorschläge sie machen
wird, um die soziale Dimension in den kommenden Monaten und Jahren weiter auszugestalten.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass es im Hinblick auf die Beteiligungsmöglichkeiten für alle sozialen
Gruppen keine Einschränkungen geben wird. Es ist ja
unser Bestreben, mit Maßnahmen sicherzustellen, dass
es zu einer erhöhten Beteiligung der Studierenden
kommt. Die Bemühungen um einen Anstieg der Studierendenquote sind ja auch Gegenstand unserer nationalen
Hochschulpolitik.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Bernd Neumann zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Hans-Joachim
Otto ({0}):
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung nach
dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen, die Streichung des Dresdner Elbtals von der UNESCO-Weltkulturerbeliste noch zu verhindern?
Ich bedaure sehr, dass es zu keiner gütlichen Einigung
bezüglich des Vorgehens im Dresdner Elbtal gekommen
ist. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Bautzen
muss respektiert werden. Die Bundesregierung hat angesichts der nun eingetretenen Lage keine direkte Möglichkeit, in das Verfahren handelnd einzugreifen.
Nachfrage, Kollege Otto?
Herr Staatsminister, da ich Ihrer Antwort entnehmen
muss, dass Sie auch durch Ergreifen weiterer gerichtlicher Schritte - Bundesverfassungsgericht usw. - offensichtlich keinen Aufschub des Baus für realistisch halten, frage ich: Sehen Sie die Möglichkeit, durch andere
bauliche Maßnahmen noch einen Kompromiss mit der
UNESCO zu erzielen? Es wurde vorgeschlagen, Burgen
zu renovieren oder das Umfeld der Brücke anders zu gestalten. Gibt es also, wenn die Brücke schon gebaut
wird, andere Möglichkeiten zur Einigung?
Dafür ist die Bundesregierung, wie Sie wissen, nicht
direkt zuständig, sondern hier ist sozusagen die Kompromissfähigkeit der Beteiligten vor Ort gefordert. Auf
diese Weise besteht vielleicht die Möglichkeit, auf das
bevorstehende Verfahren Einfluss zu nehmen. Im Rahmen der Verhandlungen über die Aufnahme weiterer
Welterbestätten auf der nächsten Konferenz der
UNESCO im Juni in Neuseeland erfolgt ja auch die Behandlung des Themas „Dresdner Elbtal“. Im Rahmen
der Sitzungen, wo über diese Dinge entschieden wird,
haben ja die Betroffenen die Möglichkeit, Einfluss zu
nehmen. Hier wäre es schon zu wünschen, dass im engen
Kontakt mit der UNESCO entsprechende weiterführende Beiträge seitens der Betroffenen vor Ort geleistet
werden. Die Bundesregierung hat darauf aber keinen
direkten Einfluss. Es wird ja sogar bezweifelt, dass die
Landesregierung darauf Einfluss hat.
Da nun schon keine Einigung gelungen ist - ich hätte
sie begrüßt -, ist zu hoffen, dass bis zur Entscheidung in
Neuseeland alle Möglichkeiten genutzt werden, um am
Ende zu einem positiven Ergebnis zu kommen.
Weitere Nachfrage, Herr Kollege Otto?
Herr Staatsminister, betroffen in dem Sinne, wie Sie
es eben erwähnt haben, ist natürlich auch die Bundesregierung, und zwar das Auswärtige Amt; denn es hat die
Bundesrepublik ja bei dem Ratifikationsverfahren des
UNESCO-Abkommens - ebenso wie bei allen völkerrechtlichen Abkommen - vertreten. Deswegen die
Frage: Hat es bereits - oder ist eine solche geplant - eine
Initiative der Bundesregierung bei der UNESCO gegeben, um eine Streichung des Elbtals aus der Weltkulturerbeliste noch zu verhindern?
Ich glaube, dass es in diesem Fall schwierig wird,
noch zu einem korrigierenden Ergebnis zu kommen. Ich
kann es nicht beurteilen. Richtig ist - damit komme ich
schon auf Ihre noch nicht aufgerufene Frage 2 -, dass
man diese Situation zum Anlass nehmen sollte, gemeinsam mit den Ländern, die dafür eine direkte Kompetenz
haben, zu überlegen, wie man eine Wiederholung solcher Fälle vermeiden kann. Herr Kollege Otto, als
Deutschland dieser UNESCO-Konvention beigetreten
ist - das war im Jahre 1976 -, gingen Bund und Länder
davon aus, dass das damals und bis heute geltende Recht
die Umsetzung durch innerstaatliche Vorschriften, etwa
im Denkmalschutz, hinreichend sicherstellen würde und
deshalb ein zusätzliches Ausführungsgesetz entbehrlich
war. Das war die durchgängige Auffassung.
Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts in
Bautzen zeigt sich, dass die Bewertung hier doch anders
ist. Deswegen begrüße ich außerordentlich, dass die
Länder, die für den Vollzug direkt zuständig sind, nun im
Rahmen der KMK ein baldiges Treffen geplant haben,
an dem wir beteiligt sind - ich werde das natürlich unterstützen, wenn möglich sogar forcieren -, wo überlegt
wird, welche Regelungen zu treffen sind - ob jeweils in
den Denkmalschutzgesetzen durch die Länder allein
oder in Form eines Ausführungsgesetzes -, um Wiederholungen zu vermeiden.
Ob bezogen auf den konkreten Fall Korrekturen möglich sind, kann ich nicht beurteilen. Ich würde das eher
negativ sehen.
Eine weitere Frage der Kollegin Undine Kurth.
Herr Staatsminister, ich teile ausdrücklich Ihre Einschätzung der momentan eingetretenen Situation. Ich
freue mich auch über diese Beurteilung, weil daran noch
einmal deutlich wird, welch enormer Schaden der gesamten Bundesrepublik durch die eingetretene Situation
entstehen kann. Sie haben eben mehrfach ausgeführt,
dass Sie nicht abschließend beurteilen können, ob es
noch eine Einflussmöglichkeit bezüglich der anstehenden Entscheidung gibt, bzw. gesagt, dass die Bundesregierung keine direkte Einflussmöglichkeit habe. Jetzt
frage ich Sie: Werden Sie noch etwas unternehmen, um
Undine Kurth ({0})
abschließend zu klären, ob es eine Einflussmöglichkeit
gibt, bzw. indirekt handeln, um auf einen Kompromiss
hinzusteuern, der meines Erachtens nicht nur dadurch erzielt werden kann, dass mit der UNESCO-Kommission
ein Gespräch geführt wird? Die KMK hat sich bisher ja,
wie ich finde, vornehm zurückgehalten.
Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung
und Beteiligten vor Ort hat es von Anfang an gegeben.
Ich füge hinzu: Die Bundesregierung wurde bei diesen
Gesprächen vor Ort, in Dresden, durch das in diesem
Fall federführende Auswärtige Amt vertreten. Es hat,
wie Sie wissen, eine lange Diskussion zwischen den Parteien gegeben, kontrovers auch innerhalb der Parteien,
da die einen die Streichung bedauern und die anderen
vor Ort in gewisser Weise anders handeln. Es hat auch
Versuche gegeben, an denen alle beteiligt waren, zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Sie sind leider gescheitert. Es gibt nun ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes, das, solange keine anderen Urteile vorliegen,
bindend ist. Die geplante Maßnahme muss also vollzogen werden.
Ich kann nur feststellen: Die Bundesregierung kann in
den Verlauf nicht eingreifen. Ich habe in meiner Antwort
auf die erste Frage gesagt, dass wir das Gerichtsurteil akzeptieren müssen. Im Übrigen - das will ich hinzufügen - kann man dem Gericht keine Vorwürfe machen. Es
hat auf Grundlage der ihm zugänglichen Fakten seine
Entscheidung getroffen.
Ich wiederhole: Was die Bundesregierung anbetrifft,
so sehe ich im Augenblick keine Möglichkeit, direkt
Einfluss zu nehmen.
Nun eine Frage des Kollegen Wolfgang Börnsen.
Herr Staatsminister, mit Erlaubnis des Präsidenten
möchte ich kurz auf eine Bemerkung des Kollegen Otto
eingehen, die möglicherweise zu Missverständnissen
führen könnte. Der Kollege Otto hat gemeint, dass die
Gefahr, dass das Weltkulturerbe aberkannt wird, abgewendet werden müsse. Darum ging es ihm.
Nun zu meiner Frage. Herr Staatsminister, es ist doch
zutreffend, dass sich fast 70 Prozent der betroffenen
Bürger für die Brücke ausgesprochen haben. Sie sind der
Meinung, dass die unauffällige Konstruktion der Brücke
ein Ansatzpunkt für eine Art Kompromiss sein könnte.
Um zukünftige Risiken zu vermeiden - im Augenblick
müssen elf Anträge vorliegen, um die weitere Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe durchzusetzen -,
sollte sich neben den Ländern auch der Bund mitverantwortlich fühlen und ein Ausführungsgesetz verabschieden. Damit könnte man in Zukunft solche Konflikte, die
zum Schaden aller führen, vermeiden.
Herr Kollege Börnsen, ich hatte dies zumindest indirekt beantwortet. Ich will es aber noch direkter sagen.
Einerseits müssen wir natürlich daran interessiert
sein, dass die von uns international geschlossenen Abkommen wie beispielsweise diese UNESCO-Konvention in Deutschland gemäß den darin enthaltenen Maßgaben vollzogen werden. Es wäre unbefriedigend, wenn
wir zwar Abkommen abschließen, aber aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen in unserem föderalen System nicht garantieren können, dass sie auch eingehalten
werden.
Andererseits haben wir im Rahmen der Föderalismusreform zur Kenntnis nehmen müssen, dass in bestimmten Fragen die Länder bewusst mehr Kompetenzen haben wollten. Sie haben kritisiert - diese Kritik führte zur
Föderalismusreform -, dass in zu vielen Bereichen der
Bund auf irgendeiner Weise mitwirkt. Er wirkt auch in
solchen Fällen mit, in denen er keine klassische Kompetenz hat.
In dem vorliegenden Fall gibt es eine klare Kompetenz der Länder.
Bei dem Beitritt zu dieser UNESCO-Konvention in
Deutschland ist man davon ausgegangen, dass es einen
solchen Fall nicht geben wird. Ich stimme Ihnen zu, dass
die Konsequenz aus diesem Verfahren sein muss, sicherzustellen, dass die von uns geschlossenen Verträge bis in
die Kommunen hinein vollzogen werden.
Da gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit
ist ein Ausführungsgesetz. Das ist nicht unüblich; allerdings brauchen wir dazu - so ist nun einmal die Kompetenzverteilung - die Zustimmung der Länder. Die zweite
Möglichkeit ist, dass die Länder selbst ihre Denkmalschutzgesetze überprüfen und in den jeweiligen Gesetzen eine Regelung einfügen, mit der sichergestellt wird,
dass die UNESCO-Konvention von 1976 realisiert wird.
Die Länder insgesamt haben erkannt, dass es hier ein
Defizit gibt.
({0})
Sie laden deswegen zu Gesprächen ein, an denen der
Bund beteiligt ist. Entscheidend ist, dass man zu einem
Ergebnis kommt. Darum werden wir uns bemühen; denn
der jetzige Zustand ist in der Tat höchst unbefriedigend auch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland bei der Einhaltung von einmal abgeschlossenen Verträgen.
Eine weitere Frage der Kollegin Luk Jochimsen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
ich kann direkt an das anschließen, was Sie zuletzt angesprochen haben: die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Einhaltung der
UNESCO-Konvention. Nun hat durchaus auch die Bundesregierung eine Kompetenz in Bezug auf dieses völkerrechtliche Vertragsverhältnis. Die Länder nominieren bestimmte Stätten. Sie stellen dann einen Antrag an
das Auswärtige Amt, und die Bundesregierung als Vertreterin der Bundesrepublik leitet dann das Verfahren
ein, da oder dort Weltkulturstätten zu ernennen.
Brauchen wir nicht doch ganz dringlich ein nationales
Ausführungsgesetz, um den Wiederholungsfall, den Sie
selbst bedauern - ich begrüße sehr, dass Sie sagen: „Wir
können es uns eigentlich nicht leisten, dass sich so etwas
wiederholt“ -, auszuschließen, also eine langwierige Einigung der Länder zu verhindern, und eine Initiative der
Bundesregierung, die um die Zustimmung der Länder
ringt, zu ermöglichen?
Bevor Sie Ihre Frage formuliert haben, haben Sie eine
Feststellung getroffen, was den Vorgang bis hin zur Genehmigung eines solchen Antrages auf Ernennung von
Weltkulturstätten betrifft. Es ist so, dass jeweils in den
Ländern diskutiert und entschieden wird, welche Stätten
man anmelden möchte. Über diese Anträge wird dann
im Rahmen der Kultusministerkonferenz beschieden,
und die Bundesregierung hat qua Auswärtiges Amt nach
außen hin praktisch nur die Funktion, diese Anträge weiterzuleiten. Es ist also nicht so, dass die Bundesregierung über das AA Antragstellerin ist, sondern dass jeweils die Länder, in der KMK abgestimmt, die
Antragsteller sind und das Auswärtige Amt diese Anträge weiterreicht. Das ist die Lage.
Was Ihre Frage betrifft, habe ich eine Antwort schon
angedeutet. Ich glaube, dass wir für die Zukunft klarere
Regelungen brauchen und dass es da zwei Möglichkeiten gibt - diese habe ich genannt -: Entweder regeln die
Länder das selbst, oder der Bund sagt: Ich biete euch an,
im Rahmen eines Ausführungsgesetzes einen Vorschlag
zu machen, wie man die Verbindlichkeit unter den Ländern herstellt. - Darüber möchte ich mit den Ländern reden. In beiden Fällen sind die Länder in der Vorhand;
das muss ich so sagen. Wir können ja nicht auf der einen
Seite Kulturföderalismus predigen und auf der anderen
Seite dann, wenn er konkretisiert wird, sagen: Das wollen wir aber ganz anders. - Die Föderalismusreform ist
hier - zwar nicht einmütig, aber mit großer Mehrheit beschlossen worden. Das alles muss man sich vorher
überlegen. Ich habe das zu respektieren.
Wie gesagt, das Angebot des Bundes ist da. Wir sind
an einer Regelung interessiert, ohne jetzt den Vorgang in
Dresden als solchen zu bewerten. Er ist ja dadurch kompliziert, dass wir ein verbindliches Gerichtsurteil vorliegen haben. Ich kann ja nicht Gerichtsschelte betreiben
und sagen: Die sollen das Urteil zurücknehmen. - Dieses
Urteil - wie immer es auch zustande gekommen ist habe ich zu respektieren.
Ich kann nur sagen: Lasst uns darüber reden, wie wir
Regelungen treffen, dass das, was wir im Grunde alle
wollen, nämlich den Schutz kulturellen Erbes, in Zukunft so verbindlich ist, dass kein Zweifel mehr im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der
Bundesrepublik Deutschland aufkommt.
Frau Kollegin, lassen Sie mich noch hinzufügen
- meine Meinung dazu habe ich schon mehrfach geäußert -: Der Entscheidungsprozess in Dresden ist, sosehr man das Ergebnis jetzt beklagt, sehr differenziert zu
sehen. Er ist sehr komplex. Es gab zu Anfang einen Entscheidungsstrang, bei dem man meinte, von dem Vorhaben des Baus einer Brücke habe die UNESCO Kenntnis
und in Kenntnis dessen hätten die Bürger dies beschlossen. Dann gab es die andere Auffassung, dass das so
nicht sei. Hier gab es also zwei Diskussionsstränge nebeneinander, und jetzt liegt ein Gerichtsurteil vor, das
zumindest mich nicht befriedigt. Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass dieser völkerrechtliche Vertrag letztlich keine bindende Wirkung habe. Eine solche
Argumentation sollte man in Zukunft durch eine veränderte Regelung vermeiden.
Ich rufe jetzt Frage 5 auf, obwohl Sie die im Prinzip
schon beantwortet haben - das gibt dem Kollegen Otto
die Chance, noch zwei Nachfragen zu stellen -:
Besteht vor diesem Hintergrund nach Ansicht der Bundesregierung nun die Notwendigkeit, durch ein Ausführungsgesetz die verbindliche Umsetzung der Welterbekonvention in
nationales Recht zu gewährleisten?
Wollen Sie die Frage noch einmal beantworten, oder
soll der Kollege Otto gleich seine Nachfragen stellen?
Er hat das Problem, dass er nicht weiß, was ich jetzt
sagen würde, obwohl er sich das denken kann.
({0})
Damit würden wir erstmalig eine Antwort sozusagen virtuell in den Raum stellen, und der Kollege Otto würde
auf Verdacht nachfragen. Ich würde sagen, das gibt Probleme mit der Geschäftsordnung, Herr Präsident. Deswegen sollte ich die zwei Sätze sicherheitshalber sagen.
Bitte.
Denkmalschutz ist Ländersache. Deshalb sind primär
die Länder aufgefordert, gemeinsam mit dem Bund Vorkehrungen zu treffen, sodass die Wiederholung eines
Falles wie in Dresden zukünftig vermieden werden
kann. Denkbar sind in diesem Zusammenhang die Aufnahme zusätzlicher Regelungen in die Denkmalschutzgesetze der Länder oder auch ein Ausführungsgesetz zur
UNESCO-Welterbekonvention auf Bundesebene. - Herr
Kollege, das überrascht Sie nicht; Sie haben es schon
einmal gehört.
Bitte schön.
Sehen Sie oder die Bundesregierung nach Ihren Vorgesprächen mit der UNESCO unter Umständen die
Chance, durch eine sehr zügige, unverzügliche Umsetzung dessen, was Sie eben beschrieben haben, das
UNESCO-Welterbe-Komitee doch noch umstimmen zu
können?
Herr Kollege Otto, bei der Beantwortung solcher Fragen muss man vorsichtig sein, nicht Wunsch mit Realität
zu verbinden, weil man ansonsten nachher an den
Wunschvorstellungen gemessen wird.
Natürlich ist das zu wünschen. Ich habe mich auch
einmal erkundigt - weil man die Abläufe gar nicht
kennt -, wie das technisch abläuft. Es ist nun so, dass in
den Sitzungen des Welterbe-Komitees, das aus 21 Mitgliedern besteht, die ein Mandat für vier Jahre haben, die
Bundesrepublik - die übrigens zurzeit nicht Mitglied des
Welterbe-Komitees ist; es haben mehr als 21 Vertragsstaaten unterzeichnet und die Mitglieder wechseln jeweils - durch das Auswärtige Amt mit Beobachterstatus
vertreten ist. Es ist üblich, dass man von der jeweils betroffenen Welterbestätte einen Vertreter einlädt, der dann
sicherlich die Möglichkeit hat, Stellung zu nehmen.
Wenn das denn so ist, dann ist zu wünschen, dass man
im Sinne der Welterbestätte argumentiert und diese
Chance nutzt, um zu verhindern, dass eine endgültige
Streichung als Weltkulturerbestätte erfolgt.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte, Herr Otto.
Herr Staatsminister, halten Sie es vor dem Hintergrund des Ringens um einen Kompromiss mit der
UNESCO für hilfreich, dass einige Deutsche die
UNESCO in den letzten Tagen aufgefordert haben,
Härte zu zeigen und durchzugreifen und Dresden von
der Liste zu streichen?
Ich muss zugeben, dass mir bisher nicht bekannt gewesen ist, dass es Leute gibt, die fordern, Dresden von
der Liste zu streichen. Sollte das stimmen, dann kann ich
das intellektuell wie auch ansonsten nicht nachvollziehen.
({0})
Zu der Frage, die jetzt an mich gerichtet ist - auch
wenn die Fragestunde normalerweise in der anderen
Richtung verläuft -: Es war Frau Dr. Ringbeck - die wir
alle kennen -, die in einer, wie ich finde, nicht sehr hilfreichen Erklärung in der „Dresdner Neueste Nachrichten“ aufgefordert hat, nunmehr Härte zu zeigen und
Dresden von der Liste zu streichen. - Ich bedanke mich
aber für die Klarheit Ihrer Aussage, Herr Neumann; ich
sehe das genauso.
Eine weitere Frage des Kollegen Wolfgang Börnsen.
Herr Staatsminister, Sie haben zu der Befürchtung,
die der Kollege Otto hier zum Ausdruck gebracht hat,
gesagt, dass die Bundesregierung alles tun wird, um eine
Streichung des Elbtals aus der Weltkulturerbeliste zu
verhindern. Ist es in diesem Zusammenhang nicht überlegenswert, der UNESCO deutlich zu machen, dass sie
anfangs der Anerkennung als Weltkulturerbe zugestimmt hat, obwohl sie sich bewusst darüber war, dass
dort eine Brücke gebaut wird? Insofern ist die Verhandlungsposition der Bundesregierung richtig: Wenn man
erst einer Anerkennung zustimmt, kann man sie später
nicht wieder streichen wollen. - Im Grunde genommen
täte es gut, die Diskussion insgesamt zu versachlichen
und nicht weiter zu dramatisieren.
Ja.
Danke.
({0})
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 6 der Kollegin Cornelia
Hirsch:
Aus welchem Grund hat die Bundesregierung den schon
Ende Juni 2006 fälligen Fortschrittsbericht zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
noch nicht vorgelegt, und wann wird das erfolgen?
Frau Abgeordnete Hirsch, die Vorlage des fünften
deutschen Staatenberichts zur Umsetzung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte war für den 30. Juni 2006 vorgesehen. Dieser
Termin konnte aufgrund des Umfangs des Berichtes und
des damit verbundenen aufwendigen Abstimmungsverfahrens innerhalb der Bundesregierung, aber auch mit
den Organisationen der Zivilgesellschaft, die wir ausdrücklich einbeziehen wollen, leider nicht eingehalten
werden. Aus Sicht der Bundesregierung sind Informationsgehalt und Qualität des Berichtes jedoch vorrangig.
Dies liegt aus unserer Sicht im allseitigen Interesse; der
VN-Ausschuss hat dies bei der Vorlage des letzten deutschen Staatenberichts deutlich gewürdigt. Die Bundesre8800
gierung ist zuversichtlich, dass der Bericht in den nächsten Wochen fertiggestellt sein wird.
Eine Nachfrage, Kollegin Hirsch?
Ja, danke schön, Herr Präsident. - Meine Nachfrage
ist, ob der Bundesregierung im Zusammenhang mit der
Erstellung dieses Berichtes aufgefallen ist, dass sie zurzeit in sehr vielen Bereichen ganz klar gegen die Vorgaben des letzten Berichtes verstößt. Wie wird im Hinblick
auf die jetzige Politik konkret damit umgegangen?
Der letzte Bericht, der vierte Bericht, stammt aus dem
Jahre 1999. Dieser Bericht ist im Sommer des
Jahres 2001 im Ausschuss beraten worden. Der Ausschuss hat eine Reihe von kritischen Anmerkungen gemacht. Der neue Bericht wird sich mit der Fortschreibung der Tatbestände befassen, über die wir berichten
müssen, mit einer Fokussierung auf die vom VN-Ausschuss besonders kritisch betrachteten und diskutierten
Tatbestände.
Zu Ihrer Frage, ob wir gegen die Vorgaben verstoßen:
Eine der Forderungen ist, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Das werden wir auch dieses Mal nicht erreicht haben; aber wir bemühen uns auf dem Weg dorthin. - Eine
weitere Forderung ist - ich nenne ein Beispiel -, eine
bessere Versorgung mit Kinderkrippenplätzen, insbesondere im westlichen Teil der Bundesrepublik Deutschland, zu erreichen. Sie werden bemerkt haben, dass die
Bundesregierung daran arbeitet und dass es auch Gegenstand der Koalitionsverabredung ist, die Versorgung
deutlich zu verbessern.
({0})
All das werden wir darstellen und bei den Vereinten Nationen entsprechend vertreten.
Eine weitere Nachfrage?
Ja. - Eine weitere Forderung im Rahmen dieses Paktes ist, das Hochschulstudium gebührenfrei zu halten
bzw. die Gebühren dort, wo es sie gibt, abzuschaffen,
also in die andere Richtung zu gehen. In diesem Punkt
können wir nicht erkennen, dass sich die Bundesregierung da in irgendeiner Form bemüht bzw. in diese Richtung arbeitet. Meine Nachfrage ist, ob die Bundesregierung darüber diskutiert bzw. ob sie der Auffassung ist,
dass es reicht, die Verantwortung an die Länder abzuschieben.
Die Linke hatte gefordert, im Rahmen der Föderalismusreform eine bundesweite Gebührenfreiheit im
Grundgesetz zu verankern; man hätte es auch im Rahmen des Hochschulpaktes aufgreifen können. Ich
möchte wissen, inwieweit dazu Diskussionen laufen. Es
ist nämlich offensichtlich, dass hier - anders als bei den
Feldern, die Sie gerade angeführt haben - kein Bemühen
feststellbar ist.
Die Bundesregierung schiebt keine Verantwortung
ab; es gibt aber im Rahmen unserer grundgesetzlichen
Ordnung und des föderalen Aufbaus unserer Gesellschaft bestimmte Zuständigkeiten. Diese Zuständigkeiten haben wir zu respektieren, unabhängig davon, was
einzelne Mitglieder der Bundesregierung im Einzelfall
davon halten.
Vielen Dank. - Wir kommen zur Frage 7 der Kollegin
Sabine Zimmermann:
Wie hat sich bei der Bundesagentur für Arbeit der Anteil
der Mitarbeiter mit befristeten Arbeitsverträgen in den Arbeitsgemeinschaften bundesweit und in den einzelnen Bundesländern mit der Bewilligung 4 000 zusätzlicher Stellen für
das Jahr 2007 entwickelt?
Frau Kollegin Zimmermann, der Anteil der bei der
Bundesagentur für Arbeit im SGB-II-Bereich in den Arbeitsgemeinschaften und Agenturen in getrennter Trägerschaft befristet beschäftigten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, gemessen an der Gesamtzahl der Stellen für
Plankräfte einschließlich der befristeten Kräfte, lag
Ende 2006 bundesweit bei 38,5 Prozent und wird sich
unter Berücksichtigung der im Haushalt bewilligten
4 000 zusätzlichen Stellen auf rund 27 Prozent verringern.
Da die Werte von der Bundesagentur nur bezogen auf
die Regionaldirektionen vorliegen, teile ich Ihnen die
voraussichtliche Entwicklung für die einzelnen Regionaldirektionen mit - ich bitte Sie um Verständnis, dass
ich die Zahlen hinter dem Komma weglasse, weil das
einfacher ist; ich gebe Ihnen die Zahlen anschließend
schriftlich -: In der Regionaldirektion Nord hatten wir
Ende 2006 circa 41 Prozent befristet beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BA; wir werden dort auf
27 Prozent kommen; in der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen kommen wir von 37 auf 26 Prozent, in
Nordrhein-Westfalen von 42 auf 29 Prozent, in Hessen
von 21 auf 14 Prozent, in Rheinland-Pfalz-Saarland von
44 auf 29 Prozent, in Baden-Württemberg von 42 auf
30 Prozent, in Bayern von 37 auf 28 Prozent, in BerlinBrandenburg von 50 auf 32 Prozent, in Sachsen-AnhaltThüringen von 31 auf 21 Prozent und in Sachsen von
21 auf 16 Prozent.
Nachfrage, Frau Zimmermann?
Danke schön. - Ich habe eine Nachfrage. Mir ist bekannt, dass für dieses Jahr für die ganze Bundesrepublik
4 000 Stellen bewilligt worden sind. Mir liegt aber eine
Information aus der Arbeitsgemeinschaft in Zwickau vor
- das ist kein Einzelfall -, wo es um 24 Mitarbeiter geht.
Bei diesen 24 Mitarbeitern laufen die befristeten Verträge in diesem Jahr aus; dort ist nur eine Stelle genehmigt worden. Ich frage Sie, wie angesichts dessen die
Kontinuität der Arbeit der Arbeitsgemeinschaft gewährleistet werden kann.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit den
4 000 bewilligten Stellen zunächst diejenigen Stellen
aufgefangen werden können, deren Befristung bis Ende
Juni dieses Jahres abläuft.
Man muss sich die Situation in den einzelnen Argen
und in den einzelnen Bereichen sehr genau anschauen,
Frau Kollegin. Sie müssen zwischen sachgrundloser Befristung und Sachgrundbefristung unterscheiden. Zu
Beginn der Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaften wurden aufgrund eines Vermerks im Haushalt der BA bei
über 5 000 Beschäftigten Sachgrundbefristungen vorgesehen; der Sachgrund liegt in diesen Fällen in der Bereitstellung von Haushaltsmitteln für befristete Beschäftigungen. Sie wissen, dass Sachgrundbefristungen
jederzeit aufgrund der Verlängerung dieses Sachgrundes
oder wegen eines anderen Sachgrunds verlängert werden
können. Probleme bestehen bei der sachgrundlosen Befristung, weil Sie diese Verträge nicht bzw. höchstens bis
zu zwei Jahre verlängern können; hier müssen Sie die
Mitarbeiter entweder fest einstellen oder das Arbeitsverhältnis beenden.
Wir, das heißt, unser Ministerium, das Finanzministerium und die BA, die dafür zuständig ist, bemühen uns
derzeit sehr, hierfür eine entsprechende Lösung zu finden. Wenn es uns gelingt, die 5 000 Ermächtigungen
zum Start der Argen und diese 4 000 Stellen zu mobilisieren - Sie wissen, dass wir weitere 750 Stellen für das
nächste Jahr vorsehen -, dann sind wir schon bei
9 750 Stellen; gemessen an 13 500 bei der BA befristet
Beschäftigten sieht diese Zahl schon ganz anders aus.
Das wird sich in den nächsten Wochen herausstellen.
Sie müssen auch wissen, dass Arbeitsgemeinschaften
teilweise ganz bewusst Eingliederungsmittel umgewidmet haben, um Personal zu beschäftigen, teilweise auch
befristet, damit bestimmte - ich formuliere das in Anführungsstrichen, weil ich nicht der Meinung bin, dass
die Menschen damit gemeint sind - „Arbeitsspitzen“
bzw. „Arbeitsberge“ abgearbeitet werden können. Das
Problem ist: Wenn diese bewältigt sind, braucht man
diese umfangreichen Personalkapazitäten womöglich
nicht mehr. - Ich will damit sagen - das sage ich ausdrücklich so -, dass man nicht davon ausgehen kann,
dass es für alle 13 500 eine Weiterbeschäftigung gibt. Da
muss man genauer hinschauen. Es hängt davon ab, wie
die Situation in der einzelnen Arge ist und wie der Arbeitgeber - in diesem Zusammenhang die Bundesagentur für Arbeit - entscheidet, welche Verträge verlängert
werden sollen und welche nicht.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Danke schön. - Ich habe noch eine Nachfrage. Sie
sprachen an, dass es die Möglichkeit gibt, Personalkosten aus dem Eingliederungstitel zu finanzieren, was zur
Folge hat, dass diese Mittel den arbeitslosen Menschen
entzogen werden. Ich denke, gerade im Osten brauchen
wir den Eingliederungstitel in der Form, wie wir ihn jedes Jahr hatten; der Eingliederungstitel muss verlässlich
sein.
Nun besteht eine Art Rotationsverfahren. Das heißt,
jemand wird befristet eingestellt und muss nach Ablauf
der Befristung wieder gehen. Er wurde geschult, und es
wurden Gelder investiert. Ich denke, dass es nicht hilfreich ist, wenn die Zielvereinbarungen und die Mindestanforderungen an die Arbeitsgemeinschaften nicht
mehr eingehalten werden können. Welche Meinung haben Sie dazu?
Frau Kollegin Zimmermann, Sie wissen sicherlich,
dass wir im vergangenen Jahr rund 2 Milliarden Euro,
die zur Verfügung standen, nicht verwandt haben. Für
1 Milliarde Euro bestand eine Haushaltssperre. Eine
weitere Milliarde wurde nicht verausgabt und wurde
dem Finanzminister zum Jahresende zurücküberwiesen.
Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe; darüber will
ich jetzt aber gar nicht richten. Das spannende Problem,
mit dem man sich auseinandersetzen muss, ist: Wenn es
eine sinnvolle Verwendung der Mittel gibt, dann muss
man schauen, ob diese auch für Integration eingesetzt
werden können. Aber es war immer klar, dass die einzelne Arge vor Ort je nach Lage entscheiden kann, ob
man lieber für eine bestimmte Zeit zusätzliches Personal
einstellt und Beratung und Vermittlung macht oder ob
man mit diesen Mitteln beispielsweise bestimmte Integrationsmaßnahmen durchführt. Das ist dem örtlichen
Träger ausdrücklich freigestellt.
Hinsichtlich Ihrer Frage, wie man da verfährt: Es gibt
überall im Leben Arbeitsspitzen. Ich habe heute Morgen
im Ausschuss gesagt: Wenn Parteien Wahlkämpfe zu bestreiten haben, stellen sie für diese Wahlkämpfe Menschen ein. Wenn die Wahlkämpfe vorüber sind, kann
man diese Menschen nicht alle auf Dauer beschäftigen.
Dann entlässt man sie wieder.
Ich habe in meiner Antwort zum Ausdruck gebracht,
dass es auch in Zukunft notwendig sein wird, in einer bestimmten Größenordnung befristet Personal zu beschäftigen; das wird so bleiben.
Wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Zimmermann:
Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung daraus, dass trotz der bewilligten 4 000 Stellen für das Jahr 2007
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
bei der Bundesagentur für Arbeit mehrere Tausende befristete
Arbeitsverhältnisse existieren und nach Meldungen der Presse
das Auslaufen zahlreicher befristeter Stellen in den nächsten
Monaten die Arbeitsfähigkeit der Arbeitsgemeinschaften bei
der Vermittlung und Leistungszahlung gefährden könnte?
Ich beantworte diese Frage wie folgt: Anliegen der
Bundesregierung ist es, dass die Bundesagentur für Arbeit eine fachlich qualifizierte Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitssuchende in den Arbeitsgemeinschaften und -agenturen in getrennter Trägerschaft
gewährleistet. Dabei ist klar, dass es angesichts der Herausforderungen bei der Betreuung und Integration
Langzeitarbeitsloser qualifizierten und engagierten Personals in den Arbeitsgemeinschaften und -agenturen in
getrennter Trägerschaft bedarf. Die Bundesregierung hat
deshalb im Rahmen der Genehmigung des Haushalts der
Bundesagentur für Arbeit Ende 2006 der Etatisierung
von 4 000 zusätzlichen Stellen für das Jahr 2007 zugestimmt. Schon damals wurde vereinbart, dass im Jahr
2008 weitere 750 Stellen hinzukommen. Mit der Ausbringung dieser Stellen ist die Voraussetzung dafür
geschaffen worden, den Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse deutlich zurückzuführen und so die
Stabilisierung der Vermittlung und Leistungserbringung
zu gewährleisten.
Weitere Möglichkeiten der Stabilisierung der Personalsituation und der mittelfristigen Personalplanung im
SGB-II-Bereich werden derzeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Beteiligung des Bundesfinanzministeriums geprüft.
Nachfrage, Frau Zimmermann?
Ja, danke schön. - Ich habe eine Nachfrage.
4 000 Stellen sind genehmigt; 13 100 Befristungen gibt
es. Es besteht also eine ziemlich große Differenz. Daher
kann man davon ausgehen, dass eine kontinuierliche Arbeit nicht gewährleistet werden kann. Sie sprachen davon, dass über die 5 000 Stellen in Form von Ermächtigungen diskutiert wird. Wann kann man mit einem
Ergebnis rechnen?
Ich habe heute Morgen im Ausschuss für Arbeit und
Soziales gesagt: in den nächsten Wochen. Wir werden
den Ausschuss darüber informieren. Wir haben ein großes Interesse daran, dass es hier zu einer Klärung
kommt.
Weitere Nachfrage?
„In den nächsten Wochen“ ist natürlich sehr unkonkret. Ich hätte das schon ganz gerne konkreter gewusst,
vor allen Dingen, weil jetzt auch wieder Befristungen
auslaufen.
Ich nehme noch einmal das Beispiel der Arbeitsgemeinschaft in Zwickau. Zwei Juristen sind dort gerade
mit den Widersprüchen beschäftigt. Dies wird die Arbeitsgemeinschaft hinsichtlich ihrer Zielvereinbarung
natürlich weit zurückwerfen. Sie wissen, dass vor den
Sozialgerichten eine ganze Klageflut von Hartz-IV-Entscheidungen anhängig ist, sodass sich die Arbeit natürlich erschweren wird.
Sie haben jetzt mehrere Probleme gleichzeitig angesprochen. Ich will daher noch einmal sagen:
Wir sind erstens der Auffassung, dass mit den
4 000 Stellen bis zum 30. Juni 2007 - das habe ich auch
schon einmal gesagt - Befristungen aufgefangen werden
können.
Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass wir an den
5 000 Ermächtigungen arbeiten sollten. Dadurch erreichen wir schon eine ganz andere Konstellation.
Drittens sind wir der Meinung - das sage ich noch
einmal ausdrücklich -, dass wir nicht alle der rund
13 500 Stellen, die bei der BA befristet sind, verlängern
können und möglicherweise auch nicht wollen. Dies ist
Angelegenheit der Bundesagentur und hängt von den
Arbeitsspitzen, der jeweiligen Arbeitssituation vor Ort,
ab.
Ich teile Ihre Bewertung hinsichtlich einer „Klageflut“ nicht; es gibt keine - auch das haben wir heute
Morgen besprochen - massive Zunahme der Widersprüche. Je nach örtlicher Situation sieht das sehr unterschiedlich aus. Die jeweiligen Träger der Argen und die
BA müssen für eine entsprechende Abhilfe sorgen.
({0})
- Es mag ja sein, dass sie sich verdoppelt hat, aber das
hat erst einmal nichts mit den Argen zu tun.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister
Gernot Erler zur Verfügung.
Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Gehrke sollen
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Volker Beck,
der anwesend ist:
Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung
bzw. die deutsche EU-Ratspräsidentschaft anlässlich der
jüngsten schweren Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte gegen zahlreiche Mitglieder der Bewegung für demokratischen Wandel, MDC, und anderer Oppositionsgruppen gegenüber der Regierung von Simbabwe ergriffen?
Herr Kollege Beck, am 18. März 2007 hat Deutschland innerhalb seiner EU-Ratspräsidentschaft das Vorgehen simbabwischer Sicherheitskräfte gegen Oppositionspolitiker auf das Schärfste verurteilt und an die Regierung
von Simbabwe appelliert, alle inhaftierten Oppositionspolitiker sofort freizulassen, ihnen rechtlichen und medizinischen Beistand zu ermöglichen und Vertretern der
EU-Ratspräsidentschaft Zugang zu den Inhaftierten zu
gewähren.
Die Ratspräsidentschaft fordert die Regierung von
Simbabwe auf, die Regeln der Rechtsstaatlichkeit zu respektieren, die Menschenrechte zu achten und alles zu
unterlassen, was zu einer weiteren Eskalation der Lage
in Simbabwe führen kann. Ähnliche Erklärungen wurden bereits am 12., 13. und 14. März 2007 abgegeben.
Die deutsche Botschafterin hat die Verletzten am
14. März 2007 persönlich im Krankenhaus besucht und
ihre Solidarität mit den verletzten Kundgebungsteilnehmern ausgedrückt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Beck.
Ich begrüße diese Initiative der EU-Ratspräsidentschaft ausdrücklich, weil ich es für ganz entscheidend
halte, dass das deutlich wird.
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, um
wie viele verhaftete Oppositionelle es sich gegenwärtig
handelt und wie viele Oppositionelle an der Ausreise gehindert wurden? Einer der Oppositionspolitiker ist bei
dem Versuch der Ausreise ja durch Schläge erheblich gesundheitlich beeinträchtigt worden, sodass er sogar operiert werden musste.
Es ist nicht so ganz einfach mit den Zahlen. Die Zahl
der Verhafteten bei der Kundgebung am 11. März 2007
in Harare lag bei etwa 100, von denen der größte Teil
- sofern sie nicht krankenhausreif geschlagen wurden vom Gericht vorgeladen worden ist. Herr Beck, ich
glaube, Sie wissen, dass sich die Staatsanwaltschaft gar
nicht in der Lage gesehen hat, ein Verfahren zu eröffnen mit der Bemerkung: There is no case. Es gab also keine
Anklage. Sie sind dann wieder nach Hause gegangen.
Wir haben keine Erkenntnisse darüber, ob von den
Verhafteten überhaupt noch jemand in Haft ist; denn
nachträglich wurden dann auch diejenigen, die im Krankenhaus waren - ich glaube, es handelte sich um zwölf
Personen -, wieder in die Freiheit entlassen, sofern sie
das Krankenhaus verlassen konnten.
Am 17. und 18. März 2007 gab es aber eine weitere
Verhaftungswelle, der auch eine ganze Reihe von Oppositionellen - darunter auch führende Vertreter der Opposition - zum Opfer gefallen sind. Hier sind uns die genauen Zahlen nicht bekannt, weil sich das nicht im
öffentlichen Raum abgespielt hat.
Wir sind auch darüber informiert, dass zwei oppositionelle Frauen, die bei dem Vorgang am 11. März
schwer verletzt worden sind, versucht haben, sich nach
Südafrika in ärztliche Behandlung zu begeben. Aber indem ihnen vorher die Pässe entzogen wurden - das zeigt
das zynische Vorgehen der simbabwischen Regierung -,
sind sie daran gehindert worden, sich selbst zu helfen.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Der Präsident von Sambia hat Simbabwe mit der sinkenden Titanic verglichen, der die Weltgemeinschaft nun
helfen müsse. Wie schätzt die Bundesregierung den weiteren Fortgang dort ein? Angesichts der enormen ökonomischen Probleme Simbabwes - 1 700 Prozent Inflation
und 80 Prozent Arbeitslosigkeit; das können wir uns ja
gar nicht vorstellen - ist zu befürchten bzw. in diesem
Fall zu hoffen, dass es zu einem Kollaps des Regimes
kommt. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der
zunehmenden Repression in Simbabwe und der Instabilität des Regimes aufgrund der ökonomischen Daten,
und wie beurteilen Sie die weitere Entwicklung?
Herr Kollege Beck, die ökonomische und soziale Instabilität hat sich nicht erst in diesen Wochen ergeben;
sie hält schon eine ganze Weile an. Wir sehen eher einen
anderen Zusammenhang: Vor kurzem hat sich der simbabwische Präsident Mugabe dahin gehend geäußert,
dass er versuchen werde, an der Macht zu bleiben und
seine Amtszeit, die regulär im März nächsten Jahres endet, möglicherweise um zwei Jahre zu verlängern. Das
hat er im Wesentlichen mit seiner eigenen Partei - der
ZANU-Partei, PF - zu klären.
Uns erscheint diese Ankündigung - Sie haben nach
der Interpretation gefragt - als mögliche Ursache der
Nervosität der Regierung, weil sie sehr umstritten ist und
sogar in seiner eigenen Partei zu erheblichen Sorgen geführt hat. Das ist vielleicht der Hintergrund dafür, dass
eine friedliche Versammlung, die als Gebetsversammlung angekündigt war, in der Art niedergeknüppelt
wurde, wie es am 11. März geschehen ist.
Wir kommen dann zur Frage 12 des Kollegen Beck:
Wie wirkt die Bundesregierung auf die Regierungen der
Nachbarländer Simbabwes ein, insbesondere auf die Regierung Südafrikas, um sich entschiedener gegen die gegenwärtige Politik der Verfolgung und Misshandlung von Oppositionskräften von Präsident Robert Mugabe zu positionieren?
Herr Kollege Beck, bereits seit Jahren wird die Situation in Simbabwe regelmäßig sowohl im Rahmen der
EU als auch in bilateralen Gesprächen mit den Nachbarländern Simbabwes thematisiert. Die Regionalorganisation Southern African Development Community, SADC,
spielt dabei eine wichtige Rolle.
Die Bundesregierung appelliert an diese Länder, sich
intensiv für die Lösung der sozialen und politischen
Krise in Simbabwe einzusetzen. Mit der Regierung Südafrikas wurden zuletzt am 23. Oktober 2006 in Berlin
auf Ministerebene Gespräche zu diesem Thema geführt.
Nach Kenntnis der Bundesregierung haben sich die
Zivilgesellschaften in den SADC-Ländern klar und deutlich gegen die aktuellen Entwicklungen in Simbabwe
positioniert. Die Bundesregierung hat in Abstimmung
mit den europäischen Partnern die lokalen Präsidentschaften in den anderen SADC-Staaten angewiesen, gegenüber den jeweiligen Regierungen ihre Besorgnis über
die aktuelle Entwicklung in Simbabwe zum Ausdruck zu
bringen.
Nachfrage, Kollege Beck.
Die Oppositionsbewegung Movement for Democratic
Change hat einen Dreipunkteplan vorgelegt, der eine
Verfassungskonferenz, ein Abkommen und als dritte
Stufe demokratische Wahlen vorsieht. Gibt es afrikanische Nachbarländer, die diese politische Initiative, die
zunächst einmal einen Mechanismus für die weitere Entwicklung darstellt, unterstützen und gegenüber der Regierung von Simbabwe auch aktiv vertreten?
Herr Kollege Beck, wir setzen derzeit darauf und hoffen, dass sich die Position der Nachbarländer ändert. In
der Vergangenheit - darauf haben Sie in Ihrer vorgelegten Frage hingewiesen - hat vor allem Südafrika auf eine
Strategie der stillen Diplomatie gesetzt und gehofft, damit etwas zu erreichen.
Mit der aktuellen Krise ist nun ein Scherbenhaufen zu
besichtigen. Aus verschiedenen aktuellen Äußerungen
etwa von Bischof Desmond Tutu oder dem südafrikanischen Präsidenten Mbeki geht hervor, dass ihre Sorge
wächst und sie jetzt auf die Entwicklung im Nachbarstaat Einfluss nehmen wollen. Das könnte ein Anzeichen
dafür sein, dass sich die Haltung, nur auf stille Aktivitäten zu setzen, ändert, zumal sich andere Präsidenten der
Region wie der tansanische - das erscheint uns sehr
wichtig - in ähnlicher Weise geäußert haben.
Wir begrüßten es sehr, wenn sich die Staaten des afrikanischen Kontinents und insbesondere die afrikanischen Nachbarstaaten umbesinnen würden; denn in der
Vergangenheit war zu beobachten, dass in den Fällen, in
denen die internationale Gemeinschaft deutlich kritisch
auf die Entwicklung in Simbabwe hingewiesen hat, das
Ausmaß an bekundeter Solidarität der anderen afrikanischen Staaten zunehmend größer wurde. Dahinter steckt
- das ist aus der Politik bekannt - die grundsätzlich kritische Haltung insbesondere Südafrikas, des allerwichtigsten Nachbarn, gegenüber internationalen Sanktionsmechanismen. Insofern könnte es sein, dass wir nun an
einem Punkt des Wechsels stehen; das würden wir sehr
begrüßen.
Eine weitere Nachfrage.
Sie sagen „könnte“. Haben Sie gerade im Hinblick
auf die Position Südafrikas mehr als Ahnungen, dass es
zu einem Strategiewechsel kommt? Südafrika spielt
schließlich im südlichen Afrika eine politische Schlüsselrolle. Wenn dieses Land eine andere Strategie einschlagen würde, hätte das sicherlich deutliche Auswirkungen in Simbabwe.
Herr Kollege Beck, ich habe Verständnis für Ihre
Frage. Aber ich weise Sie darauf hin, dass die Ereignisse
in Harare gerade einmal zehn Tage alt sind. Die letzte
Verhaftungswelle hat am vergangenen Wochenende
stattgefunden. Die Zitate, die ich angeführt habe, stammen von dieser Woche. Jetzt eine klare Bewertung vorzunehmen, ob sich hier schon ein Wandel vollzogen hat,
wäre etwas riskant.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Dagmar Wöhrl zur Verfügung.
Zuerst kommen wir zu Frage 13 des Kollegen Werner
Dreibus:
Wie bewertet die Bundesregierung gesetzliche Regelungen, die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an private Unternehmen die Einhaltung von Tarifverträgen durch diese Unternehmen zu einer Voraussetzung erklären - sogenannte
Tariftreuegesetze - und bereits in verschiedenen Bundesländern existieren?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ich beantworte die Frage wie folgt: Es ist zutreffend,
dass einige Bundesländer bei der Vergabe öffentlicher
Bauaufträge und zum Teil auch bei der Vergabe von
Aufträgen im öffentlichen Personennahverkehr von den
zu beauftragenden Unternehmen Tariftreueerklärungen
einfordern. In diesem Zusammenhang müssen wir allerdings anmerken, dass das Oberlandesgericht Celle die
niedersächsische Tariftreueregelung im Landesvergabegesetz für gemeinschaftswidrig hält und hierzu den Europäischen Gerichtshof angerufen hat. Nähere Einzelheiten dazu sind uns derzeit nicht bekannt.
Eine Übersicht über die Regelungen in den einzelnen
Bundesländern wie die Bewertung hierzu wird die Bundesregierung im Rahmen der Beantwortung der Großen
Anfrage von Ihnen, den Linken, zuleiten. Die Antwort
auf diese Große Anfrage wird zurzeit noch innerhalb der
Bundesregierung abgestimmt.
Eine Nachfrage, Kollege Dreibus.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie generell meine Auffassung, dass staatliche Institutionen sowohl auf Landesals auch auf Bundesebene - darauf zielt meine zweite
Frage ab - in diesen Fragen eine gewisse Vorbildfunktion haben?
Sie greifen eigentlich Ihrer zweiten Frage vor. Ich
glaube nicht, dass meine persönliche Meinung hier
wichtig und relevant ist. Dieses Thema wird sicherlich
im Rahmen der Vergaberechtsreform erörtert werden,
die sich zurzeit in der Abstimmung befindet. Wie Sie
wissen, erarbeiten wir gerade Regelungen in den zuständigen Verdingungsausschüssen. Die von der rot-grünen
Bundesregierung ergriffene Initiative ist seinerzeit allerdings im Bundesrat gescheitert.
Hinsichtlich unserer Positionierung gibt es zurzeit
eine Abstimmung zwischen den Ressorts. Ausführlich
Stellung nehmen werden wir im Rahmen der Antwort
auf Ihre Große Anfrage.
Eine weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann können wir gleich zu Frage 14 des Kollegen
Werner Dreibus übergehen:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass auch bei
der Vergabe von Aufträgen an private Unternehmen durch die
Einrichtungen des Bundes die Einhaltung von Tarifverträgen
zu einer Voraussetzung gemacht werden sollte, um die Beschäftigten vor Lohndumping zu schützen?
Frau Kollegin Wöhrl.
Ich habe die Frage 14 bereits im Rahmen der letzten
Nachfrage beantwortet.
Haben Sie noch eine Nachfrage?
Ja, dann habe ich noch eine Nachfrage zur Frage 14.
Bitte.
Frau Staatssekretärin, es ging nicht um Ihre persönliche Auffassung - die mich natürlich auch interessiert -,
sondern zunächst einmal um die Position der Bundesregierung. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin,
dass das Bundesarbeitsministerium im Rahmen der EUPräsidentschaft eine Schwerpunktsetzung mit der Überschrift „Gute Arbeit“ formuliert hat. Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass zu guter Arbeit mehr als
ein guter Werbeslogan gehört und er auch mit Inhalten
gefüllt werden muss und dass einer der Inhalte guter Arbeit die Einhaltung tariflicher Mindeststandards ist?
Was unter guter Arbeit zu verstehen ist, darüber gibt
es verschiedene Auffassungen. Von der Regierung aus
sind wir der gleichen Auffassung, was wir unter guter
Arbeit zu verstehen haben.
Eine weitere Nachfrage?
Ich stelle meine Frage noch einmal - ich möchte ja
eine Antwort haben -; denn es ist für mich unbefriedigend, zu hören, dass die Bundesregierung dazu eine Auffassung hat. Darf ich Sie darum bitten, zumindest Anhaltspunkte für die Auffassung der Bundesregierung
dem Fragesteller mitzuteilen?
Mir müsste zunächst einmal ein Bericht des Kollegen
Müntefering zum Thema „Gute Arbeit“ vorliegen. Ich
weiß nicht, was hierin im Detail aufgeführt ist. Sobald er
mir zur Kenntnis gegeben sein wird, werde ich gern bereit sein, Ihre Fragen schriftlich zu beantworten.
Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Ilja Seifert sollen
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 17 des Kollegen Peter
Hettlich:
Inwieweit sind der Bundesregierung die Pläne des durch
das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt vorgestellten
Projektes einer deutschen Mondsonde bekannt?
Lieber Herr Kollege, Ihre Frage nach der Mondmission, über die im Moment in allen Medien berichtet
wird, beantworte ich wie folgt:
Der Bundesregierung sind Vorüberlegungen des DLR
für eine nationale Explorationsmission bekannt, wonach
2013 die Oberfläche des Mondes mittels einer Sonde aus
geologischer Sicht vermessen und dreidimensional kartiert werden könnte. Konkrete Vorstellungen hinsichtlich
einer solchen Mondmission wird das DLR uns Anfang
2008 schriftlich vorlegen. Sobald uns der Bericht vorliegt, werden wir zu einer abschließenden Meinungsbildung kommen. Erst dann werden wir eine definitive
Aussage treffen können, ob eine solche Explorationsmission durchgeführt werden soll. Dabei wird auch festgelegt werden, ob sie national oder in Zusammenarbeit mit
internationalen Partnern durchgeführt werden wird.
Eine Nachfrage, Kollege Hettlich.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ist es nicht außergewöhnlich, dass das DLR, eine nachgeordnete Behörde Ihres Ministeriums, offensichtlich ohne Absprache
mit der Bundesregierung in die Öffentlichkeit vorgeprescht ist und damit auch eine Erwartungshaltung bei
der Raumfahrtindustrie geweckt hat? Sie haben in Ihrer
Antwort eben zum Ausdruck gebracht, dass Sie dies etwas differenzierter sehen und zunächst einmal einen Bericht haben wollen. Bis dahin werden aber neun bis zehn
Monate vergehen. Wie kann man diese Debatte nach Ihrer Auffassung so unter Kontrolle behalten, dass sie sich
nicht verselbstständigt?
Das DLR ist in Forschung und Entwicklung selbstständig. Gerade im Raumfahrtbereich sind wir, wie Sie
wissen, gut aufgestellt. Deutschland hat eine Spitzenposition, ob es nun die Radartechnologie, die Robottechnologie oder die Laserkommunikation ist. Das DLR entwickelt ständig Ideen, sowohl in Zusammenarbeit mit
der ESA als auch im Rahmen des nationalen Raumfahrtprogramms. Von unserer Seite aus werden aber erst dann
Entscheidungen getroffen werden, wenn es sich nicht
mehr nur um eine Idee handelt, sondern ein Bericht vorliegt, auf dessen Grundlage auch die Kosten eines Projekts berechnet sowie der Nutzen für die Bürger - dies
ist uns bei jedem Raumfahrtprogramm wichtig - und die
technologische Leistungsfähigkeit des Standorts
Deutschland herausgestellt werden können.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Eine kurze Nachfrage: Sie sprachen die Kosten an; es
ist von 500 Millionen Euro die Rede. Gesetzt den Fall,
die Bundesregierung entschiede sich für dieses Projekt,
würde dann das nationale Raumfahrtprogramm um einen
bestimmten jährlichen Beitrag aufgestockt, oder würde
das Projekt mit einem eigenen Haushaltstitel ausgestattet?
Im Haushalt des Wirtschaftsministeriums haben wir
für die Raumfahrt drei Ansätze: die Finanzierung des
DLR als Forschungseinrichtung, die Finanzierung der
ESA, der internationalen Organisation, und die Finanzierung des nationalen Raumfahrtprogramms. Für die angedachte Mondmission müsste eine Erhöhung im Haushalt
angemeldet werden.
Wir kommen zur Frage 18 des Kollegen Hettlich:
Wie stellt sich die Bundesregierung ihr weiteres Engagement im Rahmen der Europäischen Weltraumbehörde,
ESA, vor dem Hintergrund des nationalen Alleinganges bezüglich der deutschen Mondsonde vor?
Lieber Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Eine solche Explorationsmission hätte keine Auswirkungen auf das weitere Engagement im Rahmen der
Europäischen Weltraumorganisation, ESA. Deutschland
führt schon lange nationale und internationale Weltraummissionen mit verschiedenen Kooperationspartnern
durch. Wir werden natürlich auch weiterhin unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen.
Nachfrage?
Ja. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich hatte
nicht erwartet, dass Sie Ihren Verpflichtungen gegenüber
der ESA nicht nachkommen würden. Deutschland hat
gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Diese
Mission ist sehr ambitioniert, und wir haben auf europäischer Ebene Erfahrungen mit der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Raumfahrt. Meine Frage lautet: Halten Sie es nicht für sinnvoller, ein so
ambitioniertes Projekt unter Federführung der ESA
durchzuführen?
Dieses Programm ist nicht im Wissenschaftsprogramm der ESA aufgeführt. Die ESA hat sich aber vorgenommen, bei der nächsten Ministerratskonferenz auch
das Thema der Mondmission, was auch im Zusammenhang mit dem Mars gesehen werden muss, auf die Tagesordnung zu setzen. Zurzeit ist es aber nicht im Wissenschaftsprogramm aufgeführt.
Weitere Nachfrage?
Ich habe noch eine Nachfrage. Letztes Jahr ist die
Mondmission SMART 1 der ESA erfolgreich zu Ende
gegangen. Glauben Sie nicht auch, dass es sinnvoll ist,
auf dieser erfolgreichen Mission aufzusatteln und dieses
Projekt in Form einer weiteren Mondmission konsequent
weiterzuführen?
Wie gesagt, es sind verschiedene Vorschläge gemacht
worden. Es gibt nicht nur den Vorschlag des DLR hinsichtlich der Sonde, sondern unter anderem den Vorschlag, Radarteleskope auf der Rückseite des Mondes
aufzustellen; ein weiterer Vorschlag wurde von den
Amerikanern auf den Weg gebracht. In jedem Fall stellt
sich die Frage, inwieweit man bereit ist, sich zukünftig
als Partner zu beteiligen. Das sind aber momentan unausgereifte Vorschläge, die noch nicht zur Entscheidung
anstehen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Damit schließe
ich diesen Geschäftsbereich.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Marion CaspersMerk zur Verfügung.
Zunächst kommen wir zur Frage 19 des Kollegen
Dr. Harald Terpe:
Wie bewertet die Bundesregierung insbesondere an Jugendliche gerichtete Flatrateangebote für Alkohol in Gaststätten und Diskotheken, und welchen Handlungsbedarf sieht sie?
Herr Kollege Terpe, Ihre Frage berührt ein Thema,
das derzeit verstärkt von den Medien aufgegriffen wird,
nämlich dass immer mehr Jugendliche durch Rauschtrinken auffallen, dass die Zahl der Straftaten, die von Jugendlichen unter Alkoholeinfluss begangen werden, zunehmen und dass Flatrateangebote gemacht werden, die
sich speziell an Jugendliche wenden.
Wir als Gesundheitsministerium nehmen die Probleme, die der Alkoholkonsum von Jugendlichen bereitet, sehr ernst. Aus diesem Grunde wird im Aktionsplan
Drogen und Sucht der Bundesregierung und im Arbeitsprogramm des Drogen- und Suchtrats ganz klar ein
Schwerpunkt auf Prävention im Bereich Alkohol gelegt,
und es sind deutliche Ziele zur Reduzierung des Alkoholkonsums formuliert. Dabei setzt die Bundesregierung
in der Alkoholpolitik auf einen Policy-Mix von strukturellen und präventiven Maßnahmen. Dazu gehört unter
anderem, dass die Auflagen des Jugendschutzes deutlich
eingehalten werden. Sie wissen, dass das Bundesjugendministerium im Jahr 2005 eine Kampagne, die den Einzelhandel und die Hersteller einschloss, auf den Weg gebracht hat, damit die Jugendschutzbestimmungen
eingehalten werden. Wir wissen, dass das in vielen
Punkten immer noch nicht der Fall ist. Deswegen muss
man zunächst einmal bestehende Jugendschutzregelungen durchsetzen. Das ist die erste Aufgabe.
Darüber hinaus haben wir ein Modellprojekt „HaLT“
initiiert. Mit diesem Projekt werden Jugendlichen, die
mit Alkoholproblemen auffallen, Ausstiegsangebote gemacht. Außerdem werden Vereinbarungen, insbesondere
mit den Vereinen vor Ort, getroffen, um die Einhaltung
von Jugendschutzbestimmungen in der Region stärker
zu institutionalisieren.
Die Bundesregierung selbst hat auf rechtlicher Ebene
keine Möglichkeiten, gegen diese Flatrates vorzugehen.
Entscheidend ist, dass wir gerade Jugendliche entsprechend warnen und deutlich machen, wie viel genug ist
und in welchen Situationen nicht getrunken werden soll.
Da sind die Flatrateangebote kontraproduktiv.
Nachfrage, bitte, Kollege Terpe.
Zunächst, Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die
Antwort. - Sie haben gesagt, dass Sie mit dem Projekt
„HaLT“ Ausstiegsangebote machen. Ich sehe an dieser
Stelle vor allen Dingen das Problem des Einstiegs. Auch
deswegen habe ich diese Frage gestellt. Ein Flatrateangebot für Jugendliche wäre mit den bestehenden Jugendschutzbestimmungen und -gesetzen - ich gebe Ihnen
recht, dass sie in keiner Weise akzeptabel umgesetzt
werden - sogar gesetzeskonform, wenn man es auf Alkoholika ausrichtet, die nicht auf Branntweinbasis hergestellt werden. Sehen Sie nicht auch an dieser Stelle die
Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden?
Herr Kollege Terpe, es fällt nicht unter die Kompetenz des Bundes, auf das Angebot von Gastronomen einzuwirken. Diejenigen, die vor Ort Lizenzen erteilen, haben eine besondere Sorgfaltspflicht: Sie müssen genau
hinschauen, was im Einzelnen angeboten wird. Natürlich
kommt es auf die Ausgestaltung dieser Angebote an. Die
erste Maßnahme sollte sein, darauf zu achten, dass das
Jugendschutzgesetz eingehalten wird. Die zweite Maßnahme sollte sein, mit den Anbietern zu vereinbaren,
dass diejenigen Jugendlichen, die offensichtlich genug
getrunken haben, nicht noch zusätzlich „abgefüllt“ werden. Hierbei ist die Kommunikation in Kommunen und
Kreisen entscheidend. Es geht um die Fragen: Was wird
vor Ort gemacht? Wie wird mit den Menschen gesprochen? Was kann im Einzelnen getan werden?
Wie Sie aus der Diskussion über das Thema Nichtraucherschutz wissen, hat der Bundesgesetzgeber beim
Gaststättenrecht keine unmittelbare Kompetenz. Wir
können Hinweise geben, und wir können verstärkt Präventionsbotschaften senden. Das tun wir derzeit, weil
wir den Einsatz gegen den Alkoholmissbrauch für ein
wichtiges Feld in der Drogen- und Suchtpolitik halten.
Wir können darüber hinaus natürlich so etwas wie Modellprojekte initiieren und ihnen zum Durchbruch verhelfen.
Die Bundesregierung sieht die derzeitigen Entwicklungen kritisch. Ich habe eingangs darauf hingewiesen,
dass das Thema „Jugendliche und Alkohol“ derzeit unter
den Innenministern diskutiert wird; denn die Anzahl der
Straftaten unter Alkoholeinfluss nimmt einfach zu. Das
muss uns besorgt machen. Alle staatlichen Ebenen und
die Zivilgesellschaft sind zum Handeln aufgefordert. Es
nützt nichts, immer wieder eine Verschärfung der Gesetze zu fordern, wenn wir nicht in der Lage sind, die
vorhandenen Gesetze zu befolgen.
Eine weitere Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich gehe mit Ihnen völlig konform, wenn Sie sagen, dass es ganz unterschiedliche Maßnahmen sein müssen, mit denen wir diesen Problemen begegnen. Ich weiß, dass es Ihnen auch
in anderem Zusammenhang - ich denke an das Rauchen ein Anliegen war, der Bundesebene zum Beispiel im
Rahmen einer konzertierten Aktion Gehör zu verschaffen. Seit dieser Legislaturperiode ist das Gaststättenrecht
- das haben Sie angedeutet - auf Länderebene angesiedelt. Das schließt aber nicht aus, dass man sich zum Anführer einer konzertierten Aktion macht. Ist so etwas
vonseiten des Ministeriums vorgesehen? Wie stehen Sie
dazu?
Vonseiten des Ministeriums wird dieses Thema aufgegriffen werden. Wir haben mit dem Drogen- und Suchtrat eine Institution, in die auch die Bundesländer über
die verschiedenen Fachministerkonferenzen, die in diesem Feld gefordert sind, Vertreter entsenden. Die Nichtregierungsorganisationen sind im Drogen- und Suchtrat
ebenfalls vertreten. Wir haben vor, das Thema Alkohol
als eines der Hauptthemen auf den Sitzungen zu diskutieren. Wir werden auch die Verantwortungspartnerschaft auf lokaler Ebene zum Thema machen.
({0})
Eine weitere Frage hat der Kollege Volker Beck.
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass das
Gaststättenrecht als Rechtsgrundlage für Regelungen in
diesem Bereich entfällt. Hat denn Ihr Haus geprüft, ob
bei diesen Flatrateangeboten womöglich aus wettbewerbsrechtlichen Gründen eingegriffen werden kann?
({0})
Es besteht ja der Verdacht - kürzlich wurde in einem
Fernsehbeitrag auch ein Beleg dafür erbracht -, dass die
Gaststätten in der Realität den Alkohol unter ihren
Selbstkosten abgeben, das mit Strategien der Kundenbindung verknüpfen und sagen: „In the long run“ rechnet
sich das für uns. - Eigentlich sind diese Flatrateangebote
Dumpingangebote und damit meines Erachtens wettbewerbsrechtlich nicht zulässig.
Hat die Bundesregierung also geprüft, ob ein wettbewerbsrechtliches Einschreiten möglich ist? Falls sie das
rechtlich nicht für möglich hält: Wird die Bundesregierung gegenüber den Ländern mit Empfehlungen tätig,
und welcher Art sind diese dann?
Sie wissen, dass das Wettbewerbsrecht nicht in die
Kompetenz des Gesundheitsministeriums fällt. Ich bin
aber sehr gern bereit, die Anregung aufzugreifen und mit
den Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium zu diskutieren. Ich glaube, dass wir auf Bundesebene hier keine
Möglichkeiten haben, aber ich bin sehr gern bereit, eine
Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums hierzu einzuholen.
Zu dem anderen Feld habe ich bereits gesagt: Wir
wollen das zu einem Thema des Drogen- und Suchtrats
machen, weil nur über dieses Instrumentarium gewährleistet ist, dass auch die Nichtregierungsorganisationen
und die Länder mit diesem Themenbereich konfrontiert
werden.
Ich rufe Frage 20 des Kollegen Jörg Rohde aus der
FDP-Fraktion auf:
Welche neuen Erkenntnisse zum Versorgungsaufwand von
hochgradig schwerhörigen Menschen hat die Bundesregierung seit März 2006 ({0})
gewonnen, und ist die Bundesregierung der Auffassung, dass
der von den Krankenkassen veranschlagte Festbetrag von
421,28 Euro ausreichend bemessen ist, damit alle Menschen
mit einer schwerwiegenden Hörbehinderung ein ihren individuellen Bedürfnissen entsprechendes Hörgerät erwerben können, das ihnen die Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ermöglicht?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Rohde, zu Ihrer Frage darf ich Ihnen
Folgendes sagen: Der für die Hilfsmittelversorgung federführende IKK-Bundesverband hat dem Bundesministerium für Gesundheit mitgeteilt, dass im Rahmen der
vorgenommenen Überprüfung der Festbeträge Nachweise weder über einen besonders hohen Dienstleistungsanteil bei der Versorgung hochgradig schwerhöriger Menschen noch über besondere Anforderungen an
die Hörgeräte erbracht werden konnten. Eine Erhöhung
der Festbeträge für diesen Personenkreis erfolgte deshalb nicht.
Sie wissen, dass nicht das Gesundheitsministerium
eine Änderung vornimmt; die Einschätzung muss immer
von Kassenseite erfolgen. Hierbei ist der IKK-Bundesverband federführend.
Die Festbeträge für Hilfsmittel sind so festzusetzen,
dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte
Versorgung gewährleisten. Sie werden einmal im Jahr
überprüft und in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage angepasst.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben die
Festbeträge für Hilfsmittel überprüft und am 23. Oktober
neu beschlossen. Die neuen Festbeträge sind seit
Januar 2007 in Kraft. Deswegen gehen wir davon aus,
dass zeitnah überprüft worden ist, ob der Festbetrag das
Marktgeschehen auch abbildet. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass man hier derzeit keinen Nachsteuerungsbedarf vonseiten der Kassen sieht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ist sich die Bundesregierung denn im Klaren darüber, dass Hörgerät nicht gleich Hörgerät ist und komplexe Anforderungen, zum Beispiel im Beruf, bei der
Betreuung von Kindern oder im Straßenverkehr, komplexe Lösungen notwendig machen, die in der Regel
deutlich teurer sind als einfache Hörgeräte?
Es ist gar nicht zu bestreiten, was Sie schildern, Herr
Kollege, aber ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Man überlässt es den Praktikern aufseiten der Kassen, jeweils zu entscheiden, ob ein Festbetrag eine ausreichende Versorgung ermöglicht. Nach derzeitiger
Rechtslage kann die Kasse dann, wenn ein besonders intensiver Betreuungs- und Dienstleistungsteil enthalten
ist, schon jetzt einen erhöhten Betrag übernehmen.
Es gibt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 17. Dezember 2002, in dem deutlich gemacht wird,
dass sich Versicherte nicht mit einer Teilkostenerstattung
zufrieden geben müssen. Vielmehr muss die Versorgung
mit ausreichenden, zweckmäßigen und in der Qualität
gesicherten Hilfsmitteln als Sachleistung gewährleistet
sein. Deswegen schließt die Festsetzung von Festbeträgen nicht aus, dass auf der Grundlage des Festbetrags
über die Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln auch
Vereinbarungen zu höheren Preisen getroffen werden
können. Aber die Notwendigkeit muss dann im Einzelfall nachgewiesen werden.
Eine zweite Nachfrage?
Ich möchte zur nächsten Frage übergehen.
Sie verzichten.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Jörg Rohde auf:
Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund
der Teilhabe hörbehinderter Menschen am Arbeitsleben die
Erwägungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen, BIH, zukünftig keinen Beitrag mehr zur Finanzierung von Hörgeräten aus der Ausgleichsabgabe zu leisten, und welche Auswirkungen auf die
Versorgung Hörbehinderter mit Hörgeräten erwartet die Bundesregierung durch das Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes?
Herr Kollege, es ist zutreffend, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen erwägt, künftig das Thema der Finanzierung
von Hörgeräten aufzugreifen. Es ist nicht zutreffend,
dass von vornherein feststeht, dass kein Beitrag mehr zur
Finanzierung geleistet wird. Das Thema befindet sich
dort vielmehr im Moment in einer Diskussionsphase.
Hintergrund dieser Diskussion ist, dass berufstätige
schwerhörige Menschen die Finanzierung ihrer Hörgeräte durch die Festbeträge der gesetzlichen Krankenversicherung zunehmend als unzureichend empfinden und
deshalb quasi automatisch beim Integrationsamt eine
bessere Versorgung beantragen.
Vor diesem Hintergrund gibt es eine Diskussion darüber, wie die derzeitige Struktur in diesem Bereich aussieht und welches die Aufgaben der Integrationsämter
sind. Deswegen wird diese Struktur im Moment debattiert.
Es gibt aber noch keine abschließende Position
hierzu. Hierüber wird auf der nächsten Sitzung des Arbeitsausschusses Schwerbehindertenrecht am 27. März
2007 weiter beraten werden. Ich bin gern bereit, Ihnen
eine schriftliche Information zukommen zu lassen, wenn
die Beratungen zu einem Ergebnis geführt haben werden. Wir müssen akzeptieren, dass es derzeit einen Diskussionsprozess gibt. Ich kann Ihnen im Moment nicht
sagen, wie die Ergebnisse sein werden.
Die erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Das Angebot
nehme ich gern an. Ich wäre sehr daran interessiert, zu
erfahren, was in der nächsten Woche besprochen werden
wird, um die Diskussion zu begleiten.
Wie kann Ihrer Meinung nach die Bundesregierung
sicherstellen, dass hörbehinderte Menschen auf jeden
Fall ein ihrer spezifischen Behinderung angepasstes
Hörgerät erhalten, das ihnen eine größtmögliche Teilhabe an allen Bereichen des Lebens erlaubt?
Ich stelle diese Frage vor dem Hintergrund, dass ich
einen Zuständigkeitsstreit zwischen den Kostenträgern
nach dem SGB V und den Kostenträgern nach dem
SGB IX auf dem Rücken der Hörbehinderten befürchte.
So etwas möchte ich vermeiden. Wie ist Ihre Position
dazu?
Zunächst einmal darf es natürlich keinen Zuständigkeitsstreit auf dem Rücken der Betroffenen geben. Wir
haben das SGB XI so gestaltet, dass man sich zunächst
darüber einigen muss, ob ein Anspruch besteht. Danach
kann man darüber streiten, wer diesen Anspruch zu befriedigen hat. Aber es darf nicht sein, dass die Kompetenzstreitigkeiten dazu führen, dass Menschen mit einer
schweren Hörbehinderung unversorgt bleiben.
Daher werden wir das Geschehen weiter beobachten.
Sie wissen, dass sich aufgrund der Veränderungen, die
die Gesundheitsreform mit sich gebracht hat, künftig
grundsätzlich nur noch Vertragspartner der Krankenkassen an der Versorgung beteiligen können. Wir haben hier
also eine Veränderung durch eine Vertragsgestaltung.
Deswegen wird es in Zukunft mit Sicherheit zu Vertrags8810
verhandlungen und auch zu Preisverhandlungen zwischen Anbietern und Krankenkassen kommen.
Ich gehe davon aus, dass hierdurch das Leistungsgeschehen transparenter werden wird und dass die Vertragsgestaltung auch dafür sorgen wird, dass die Menschen zu
den Festbeträgen, die festgesetzt werden, versorgt werden können.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick zur Verfügung.
Die Fragen 22 und 23, also die Fragen der Kollegen
Dr. Peter Jahr und Manfred Kolbe, werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die im Forschungsvorhaben für das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung „Der industriepolitische Nutzen des Transrapid“
aus dem Jahr 2006 dargelegte Einschätzung der Professoren
Baum und Maennig, dass mit dem Bau einer Transrapidstrecke
in München Kosteneinsparungen von 472,4 Millionen Euro
im Schiffsbau verbunden sind, die die volkswirtschaftliche
Bewertung der Transrapidstrecke in München verbessern, und
wie erklärt sich die Bundesregierung den Zusammenhang zwischen Transrapidanwendungsstrecke und Schiffsbau?
Herr Dr. Hofreiter, Sie fragen uns nach dem Zusammenhang von Transrapidstrecke, Technologieentwicklung und Vorteilen im Schiffsbau. Dieser Zusammenhang ist damit begründet, dass der Bund nur dann über
Forschungs- und Entwicklungsprogramme bei Hochtechnologien investiv tätig werden darf, wenn ein Mehrwert auch für andere Branchen zu erwarten ist. Es ist
eine übliche Erfahrung bei der Technologieförderung,
dass von Investitionen in Hochtechnologie in der Regel
auch andere Branchen profitieren. Ich gebe Ihnen ein
Beispiel: Die Solarindustrie profitiert sehr von den Fortschritten in der Nanotechnologie. Die Entwicklungsfortschritte bei Windrädern hängen ganz eng mit den Erfahrungen zusammen, die man im Flugzeugbau sammelt.
So erwarten wir vom Bau der Transrapidstrecke auch
Auswirkungen in anderen Branchen, im Schiffsbau etwa
im Hinblick auf Logistikkonzepte und Materialentwicklung.
Die Gutachter gehen in dem Gutachten, auf das Sie
sich beziehen, von einem volkswirtschaftlichen Nutzen
in Höhe von mehreren 100 Millionen Euro aus. Das ist
nach unserem Eindruck eher konservativ geschätzt; denn
es handelt sich hierbei nur um etwa 5 Prozent der investierten Summe. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit
zeigen, dass man eigentlich von einem höheren Mehrwert ausgehen kann. Weil dieser Mehrwert eher konservativ geschätzt wurde, haben wir insofern keinen Grund,
an dem Votum der Gutachter zu zweifeln.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die interessante
Beantwortung. Ich gebe Ihnen recht, dass es bei Technologieentwicklungen Spin-off-Effekte gibt, aber eben bei
der Technologieentwicklung. Ich kann mir selbst mit
großer Fantasie - ich war im naturwissenschaftlichen
Bereich einer universitären Einrichtung tätig - nicht
ganz vorstellen, woher Spin-off-Effekte aus der Transrapidtechnologie für den Schiffsbau kommen sollen, die
dazu noch in einer Größenordnung von 5 Prozent liegen.
Schon mit modernen Managementmethoden ist es
schwierig, bei dieser Technologie zu einer solchen Einsparung zu kommen. Das wollen Sie dann allein durch
die Transrapidtechnologie schaffen?
Sie haben eines übersehen: Es geht bei dem Gutachten nicht um die Erforschung der Transrapidtechnologie
- da mag es ja noch irgendwelche Spin-offs geben -,
sondern es geht hier um die Bewertung des volkswirtschaftlichen Nutzens des Baus der Münchner Strecke.
Erläuterungen zu der Behauptung, dass ein volkswirtschaftlicher Nutzen in Höhe von fast 500 Millionen Euro
allein dadurch entsteht, dass die Transrapidstrecke in
München gebaut wird, hätte ich eigentlich gerne bekommen. Ich wollte auch nicht hören, ob es so etwas prinzipiell gibt - das weiß ich nämlich -, sondern eine ganz
konkrete Antwort darauf, worin prinzipiell dieser Nutzen beim Bau der Transrapidstrecke, also nicht bei der
Erforschung des Transrapids, für den Schiffsbau besteht.
Eine ganz konkrete Antwort finden Sie in dem Ihnen
vorliegenden Gutachten, das Sie sicherlich sehr ausführlich studiert haben.
({0})
Ich will noch einmal auf den prinzipiellen Zusammenhang hinweisen: Wir gehen davon aus, dass beim
Bau der Transrapidstrecke und des Transrapids völlig
neue und erstmalig angewandte Fertigungsverfahren eingesetzt werden, mit denen man überhaupt durch den Bau
zum ersten Mal Erfahrungen sammeln kann. Ich will Ihnen ein Beispiel aus einem anderen Technologiebereich
nennen, bei dem volkswirtschaftliche Gewinne in einer
Größenordnung erzielt wurden, die am Anfang als völlig
unvorstellbar galten. Durch die Veränderung eines Produktionsprozesses in der Gusstechnik - statt Bleche zu
walzen, wird die Spritzgusstechnik angewandt - kann in
diesem Produktionsverfahren Energie in der Größenordnung von 80 Prozent eingespart werden. Wenn Sie in einer Technologie ein neues Verfahren einsetzen, dann
können Sie aufgrund einer solchen Erfahrung in anderen
Technologiebereichen absehen, wie hoch die Einsparungen sein werden. Bei den Produktionsverfahren, die wir
beim Transrapid im Bau - darauf bezieht sich ja Ihre
Frage - zum ersten Mal einsetzen wollen, ist nach dem
Votum der Gutachter dieser volkswirtschaftliche Mehrwert sehr begründet zu erwarten.
Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kasparick, ich
empfehle Ihnen das Lesen dieses Gutachtens. Darin steht
nämlich genau das nicht. Da steht nur, dass dieser Mehrwert nach Aussagen der Transrapidindustrie zu erwarten
ist und dass die Gutachter sich nicht in der Lage sehen,
das zu überprüfen, dass sie aber, da es keine weiteren
wissenschaftlichen Untersuchungen gibt, einfach davon
ausgehen, dass das stimmt. Das hohe Risiko, dass das
vielleicht nicht stimmen könnte, diskutieren sie im
Nachgang; denn es sind brave Wissenschaftler.
Aber aus Ihrer Antwort ergibt sich eine ganz spannende Nachfrage: Wenn beim Bau des Münchner Transrapids ganz neue Produktionstechniken zur Anwendung
kommen, die hinsichtlich der Kosten usw. meistens sehr
schwer abzuschätzen sind, wie kann sich dann das Bundesministerium so sicher sein, dass der Bau nach Preisen
von 2004 1,85 Milliarden Euro kosten wird? Das würde
mich wirklich interessieren.
Herr Dr. Hofreiter, wenn Sie sich mit der Entwicklung von Hochtechnologieprodukten in einem Hochindustrieland wie der Bundesrepublik Deutschland gründlich beschäftigen,
({0})
dann werden Sie merken, dass bei dieser Entwicklung
Lernprozesse stattfinden. Das war bei der Erfindung des
Fernsehers genauso wie bei der Entwicklung hochmoderner Pkws. Bei einem Hochtechnologieprojekt wie
dem Transrapid wäre es geradezu unverantwortlich,
wenn man nicht mit Lernkurven in anderen Technologiebereichen rechnen würde. Die Erfahrungen, die wir in
Deutschland in der Vergangenheit mit Hochtechnologien
gemacht haben, zwingen uns geradezu zu der Annahme,
dass wir in ähnlichen Größenordnungen zu volkswirtschaftlichen Mehrwerten in anderen Branchen kommen.
Ich sage noch einmal: Die Schätzungen in dem Gutachten sind eher konservativ; die Ergebnisse werden wahrscheinlich deutlich darüber liegen.
({1})
Sie können gern nachfragen; dazu müssen Sie aber
bitte das Mikrofon nehmen, Kollege Hofreiter.
Das war keine Antwort auf meine Frage. Ich habe
nach den 1,85 Milliarden Euro gefragt und nicht nach
Lernkurven. Dass es wunderschöne Lernkurven gibt,
weiß ich selber. Aber warum sind Sie sich so sicher, dass
es bei den 1,85 Milliarden Euro bleibt? Das hätte mich
gerade angesichts der neuen Produktionsverfahren interessiert.
Sie kennen das Projekt aus der Diskussion im Verkehrsausschuss. Sie wissen, wie neue Projekte bilanziert
und deren Kosten abgeschätzt werden. Das, was wir in
der Vergangenheit beim Bau solcher Projekte an Erfahrung sammeln konnten, gibt Grund zu der Annahme,
dass sich das, was wir an Kosten veranschlagt haben, in
der genannten Größenordnung auch einstellen wird. Es
gibt natürlich auch die Erfahrung von Kostenabweichungen nach oben und unten; auch das ist eine übliche Erfahrung. Aber es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt
überhaupt keinen Grund zu der Annahme, dass sich die
Kosten bei diesem Punkt verändern würden. Mich würde
einmal interessieren, was, außer Vermutungen, Ihre
Gründe für die Annahme solcher Veränderungen sind.
Darüber können Sie sich im Rahmen der Fragestunde
leider nicht mehr austauschen. Aber vielleicht greift der
Kollege Beck das ja auf; auch er hat eine Nachfrage zu
dem Thema.
({0})
Herr Kollege, ich wollte nur wissen, ob Sie sich völlig
missverstanden fühlten, wenn man Ihre Aussagen sowohl zu der Frage der prognostizierten Kosten von
1,85 Milliarden Euro vor dem Hintergrund der innovativen Produktionsmethoden als auch zum Zusammenhang zwischen Schiffbau und Transrapid so bewerten
würde, dass Sie voller Hoffnung sind, aber keine konkreten Hinweise darauf haben, dass Ihre Hoffnung einen
Bezug zur Realität hat.
Diese Annahme teilen wir überhaupt nicht.
({0})
Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass ich lange im Forschungsministerium und im Forschungsausschuss des
Deutschen Bundestages gearbeitet habe. Wenn Sie sich
mit der Technologieentwicklung in der Bundesrepublik
einmal wirklich gründlich beschäftigen, dann können
Sie diese Zusammenhänge gar nicht bestreiten.
({1})
Es ist nicht so, dass man auf irgendwelche Zusammenhänge seine blinde Hoffnung setzt. Vielmehr geht man
von der gewonnenen Erfahrung auf dem Gebiet der
Hochtechnologieentwicklung aus. Das ist schlicht und
einfach der Sachverhalt.
Damit kommen wir zur Frage 25 des Kollegen
Dr. Anton Hofreiter:
Welche einheitliche Position vertritt die Bundesregierung
in der Frage der Einführung eines Tempolimits auf Bundesautobahnen, nachdem sich der Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, in der
„Welt am Sonntag“ für ein Tempolimit auf Autobahnen aus
Verkehrssicherheitsgründen ausgesprochen hat, der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang
Tiefensee, in einer Pressemitteilung seines Bundesministeriums aber gegen ein Tempolimit auf Bundesautobahnen zur
CO2-Reduzierung eingetreten ist, und von welchem Beitrag
zur Verkehrssicherheit geht die Bundesregierung bei der Einführung eines Tempolimits auf Bundesautobahnen aus?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Dr. Hofreiter, ein generelles Tempolimit wird in
der öffentlichen Diskussion in der Regel zum einen wegen der CO2-Reduktion und zum anderen wegen der
erhöhten Verkehrssicherheit gefordert. Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit, eine allgemeine
Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen in
Deutschland einzuführen. Ich will das im Folgenden begründen.
Der Beitrag, den eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen zum Klimaschutz leisten
würde, ist zu begrenzt. Wir brauchen viel größere Anstrengungen. Was mit einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung zum Klimaschutz beigetragen würde,
ist viel zu wenig. Wir brauchen ein umfassendes Paket.
Entsprechend verhandeln wir im Rahmen unserer Ratspräsidentschaft mit den anderen europäischen Staaten.
Es geht dabei um die Grenzwerte von Emissionen für
Pkws. Es geht um die Umstellung der Kfz-Steuer auf
eine CO2-Abhängigkeit. Es geht um die Kennzeichnung
umweltverträglicher Pkws, mit der man dem Kunden
schon beim Kauf eine Hilfestellung geben kann, wie es
bei anderen technischen Produkten bereits jetzt der Fall
ist. Es geht weiterhin darum, den Verkehrsfluss zu optimieren und Staus zu vermeiden. Sie wissen, dass aufgrund von Staus besonders hohe Emissionen zu erwarten
sind.
Unsere Argumentation ist: Was wir durch eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung zum Klimaschutz
beitragen können, ist so gering, dass eine entsprechende
ordnungspolitische Maßnahme nicht gerechtfertigt ist.
Wir brauchen deutlich größere Anstrengungen bei Klimaschutzmaßnahmen als die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung.
Wenn Sie sich mit den Zahlen zur Verkehrssicherheit
beschäftigen, dann können Sie erkennen - das gilt auch
im internationalen Vergleich -, dass 30 Prozent des Straßenverkehrs in Deutschland auf den Autobahnen stattfinden. Aber nur 6 Prozent der Unfälle mit Personenschäden passieren auf den Autobahnen. Im Vergleich zu
den anderen Straßen wie Bundesstraßen sind die Autobahnen die sichersten Straßen, die wir in Deutschland
haben. Auch mit dem Argument Verkehrsicherheit kann
die Einführung eines generellen Tempolimits also nicht
gerechtfertigt werden.
Die Bundesregierung konzentriert sich deswegen vor
allen Dingen auf die Problembereiche im Straßenverkehrsnetz. Wir sehen, dass in besonders dicht frequentierten Gebieten dynamische Geschwindigkeitsregelungen deutlich effektiver sind als ein generelles
Tempolimit. Es ergibt keinen Sinn, einen Autofahrer mit
einer Vorschrift zu konfrontieren, die er nicht versteht.
Warum soll man auf einer leeren Straße nicht zügig fahren dürfen? Es gibt keinen Grund dafür.
Was man aber sehr wohl tun kann, ist, dass im Falle
dichten Verkehrs, beispielsweise im Berufsverkehr, regelnd eingegriffen wird. Das passiert bereits. Auf rund
1 000 Kilometer sind in Deutschland entsprechende Regelungsanlagen eingerichtet worden. Der Bund hat
200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um solche
Anlagen in den kommenden Jahren weiter auszubauen.
Wir glauben, dass durch zielgenaues Steuern des Verkehrsflusses ein größerer Effekt erreicht wird als durch
ein generelles Geschwindigkeitslimit, zumal wir die Erfahrung machen, dass sich die besonders auffälligen Verkehrsteilnehmer, also die Raser, in der Regel an ein generelles Tempolimit ohnehin nicht halten würden. Wir
brauchen ganz andere Maßnahmen, um sie diesbezüglich zur Vernunft zu bringen. Wir glauben, dass eine feinere Steuerung des Verkehrsflusses sinnvoller ist als eine
generelle Geschwindigkeitsbegrenzung.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich bin erstaunt über diese Geschwindigkeitsgläubigkeit, die im Verkehrsministerium vorherrscht. Aber Fakten unterstützen diesen Glauben nicht.
Sie haben recht: Selbstverständlich sind die Autobahnen die sichersten Straßen. Aber das war nicht die Frage.
Meine Frage war vielmehr, ob die Autobahnen durch ein
Tempolimit sicherer würden. Ist Ihnen denn bekannt,
dass es Modellversuche gab, die gezeigt haben, dass,
wenn man auf bestimmten Abschnitten ein allgemeines
Tempolimit von 120 oder 130 Kilometer pro Stunde einführt, die Sicherheit weiter steigt? Was spricht vor diesem Hintergrund gegen ein Tempolimit? Soll ich Ihre
Aussage so deuten, dass das Bundesverkehrsministerium, da die Autobahnen die sichersten Straßen sind, ein
geringes Interesse hat, sie noch sicherer zu machen?
Die Bundesregierung hat erhebliche Anstrengungen
bei der Erhöhung der Verkehrssicherheit in Deutschland
unternommen.
({0})
Wenn Sie sich die Zahlen der Unfalltoten der Vergangenheit ansehen, dann sehen Sie, dass wir bei der Verkehrssicherheit deutliche Fortschritte erzielen. Hier ist
die Frage zu diskutieren: Rechtfertigt der Zugewinn an
Verkehrssicherheit, der durch die Einführung eines generellen Tempolimits zu erwarten ist, die Einführung eines
generellen Tempolimits? Die Antwort der Bundesregierung lautet: Der Zugewinn ist so gering, dass dies die
Einführung eines generellen Tempolimits nicht rechtfertigt.
Kollege Hofreiter, Sie dürfen noch eine Frage stellen.
Dann frage ich einmal nach dem CO2-Ausstoß. Sie
haben gesagt, ein Tempolimit bringe in dieser Hinsicht
fast nichts. Ist Ihnen bekannt, dass im NAP I vorgesehen
ist, dass der Verkehr im Hinblick auf CO2-Einsparungen
einen Beitrag von jährlich 2 Millionen Tonnen liefern
soll und dass durch die Einführung eines Tempolimits
1,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden würden?
Welche genauso schnell im Verkehrsbereich einzuführende Maßnahme können Sie sich vorstellen, um das
gleiche Ergebnis zu erreichen? Ein Tempolimit bringt
zwar sicher nicht die Welt - da haben Sie recht -, aber
immerhin ein bisschen. Was ist Ihre Alternative, die genauso schnell einzuführen ist?
Die Alternativen habe ich eben skizziert; Sie haben
sie vermutlich aufmerksam registriert. Es geht darum,
dass wir uns während der Ratspräsidentschaft im europäischen Konzert mit den Nachbarstaaten auf Grenzwerte
bei Emissionen von Pkws verständigen und uns massiv
für die Durchsetzung neuer Treibstoffe einsetzen.
Deutschland ist federführend, was die Treibstoffe aus
Biomasse anbetrifft. Wir sind dabei, die Kennzeichnung
von umweltfreundlicheren Pkws zügig nach vorne zu
bringen. Das alles bringt ein Vielfaches von dem, was
die Einführung eines generellen Tempolimits bringen
würde.
Deswegen sagen wir: Es ist nicht zwingend erforderlich, ein generelles Tempolimit einzuführen, wenn man
über den Klimaschutz redet, weil es bessere Maßnahmen
mit größeren Wirkungen gibt.
Die Frage 26 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 27 der Kollegin
Cornelia Behm:
Inwieweit wird das 1992 durch den Bundesminister für
Verkehr, Günther Krause, herausgegebene Regelwerk „Merkblatt Alleen“ durch die „Empfehlungen zum Schutz vor Unfällen mit Aufprall auf Bäume“, ESAB, aus dem Jahr 2006
korrigiert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Behm, Sie beziehen sich auf ein Merkblatt, das im Jahre 1992 vom Bundesverkehrsministerium eingeführt worden ist. Dieses Merkblatt hat einerseits das Ziel, erhaltenswerte Alleen bzw. wertvollen
Baumbestand zu schützen, und andererseits, die Verkehrssicherheit zu beachten. Wir wissen, dass es in Alleen, in denen der Baumbestand sehr dicht an der Straße
liegt, besonders viele tödliche Unfälle gibt. Die Zielsetzung und die Grundsätze dieses Merkblattes - darauf bezieht sich Ihre Frage - haben nach wie vor Bestand. Wir
wollen beides miteinander verbinden: den Naturschutz
und die Verkehrssicherheit.
In dem neuen Text, der im Ministerium erarbeitet
worden ist und in dem es um Empfehlungen zum Schutz
vor Unfällen mit Aufprall auf Bäume geht, gibt es einen
einzigen Unterschied zu dem vorherigen Merkblatt. Dieser bezieht sich auf den Abstand von Bäumen, die neu
gepflanzt werden, zum Straßenrand. Da war in der Vergangenheit ein Abstand von 3 Metern vorgesehen. Jetzt
wird bei Neupflanzungen von Alleebäumen an Straßenrändern ein Mindestabstand von 4,50 Metern gefordert.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich bedanke mich für diese klaren Worte, möchte aber
ganz präzise nachfragen. Inwieweit können die Empfehlungen, die ESAB, die ja Empfehlungscharakter haben,
das bestehende Regelwerk aushebeln? Sie sagen, es gebe
nur einen Unterschied hinsichtlich des Abstandes neu zu
pflanzender Bäume zum Straßenrand. Wenn das so ist,
müsste dann nicht nach wie vor das Regelwerk gelten?
Sind die Empfehlungen nach wie vor nur Empfehlungen? Wenn es wirklich vom Gesetzgeber gewollt ist,
dass bei Neupflanzungen grundsätzlich ein Mindestabstand von 4,50 Metern eingehalten wird, müssten dann
nicht zumindest Teile des Regelwerkes zurückgenommen werden?
Mir ist zunächst einmal wichtig, darauf hinzuweisen,
dass diese Empfehlungen zum Schutz vor Unfällen mit
Aufprall auf Bäume abgestimmt und diskutiert worden
sind mit den Naturschutzverbänden, mit den Vertretern
der Länder und mit dem Bundesministerium für Umwelt.
Es hat einen ausführlichen Kommunikationsprozess gegeben. Man hat versucht, eine gründliche Auswertung
hinzubekommen, welche Erfahrungen wir eigentlich mit
dem ersten Papier von 1992 gesammelt haben und ob
eine solche Regelung ausreichend ist. Der Verständigungsprozess hat dazu geführt, dass man gesagt hat: Das
Papier von 1992 ist in den Grundsätzen und in den Zielen
richtig, man muss aber eine feine Nachsteuerung vornehmen; man muss, wenn man neu pflanzt, die Bäume etwas
weiter von der Straße weg pflanzen, und zwar nicht mehr
mit mindestens drei Metern, sondern mit mindestens
4,50 Metern Abstand. Das ist der einzige Unterschied.
Aber wir bleiben dabei, dass das eine Empfehlung ist das habe ich jetzt für mich mitgenommen. Ich habe seinerzeit die Entwicklung der ESAB, die einen unsäglichen ersten Entwurf hatten, miterlebt. Ich finde, dass das
durch die intensive Beteiligung durchaus verbessert worden ist, auch wenn ich damit bei Weitem noch nicht zufrieden bin. Im Übrigen muss man immer wieder feststellen, dass nicht die Bäume schuld sind, dass
Menschen verunglücken, sondern dass es die Fahrweise
der Beteiligten ist.
Ich würde aber gerne noch wissen, auf welche Weise
sichergestellt werden soll, dass die ESAB tatsächlich als
Empfehlungen behandelt und von den Vollzugsbehörden
standortgerecht sowie im Interesse des Erhalts, der Weiterentwicklung und des Wiederaufbaus von Alleen gemäß Bundesnaturschutzgesetz auch angewandt werden.
Ich will dazu noch anfügen: Sie wissen genauso gut wie
ich, dass die Naturschutzbehörden auf der unteren Ebene
häufig fachlich nicht so gut ausgebildet sind und immer
gerne ein festes Regelwerk im Rücken haben und mit
Empfehlungen schon ihre Schwierigkeiten haben. Wie
stellen Sie sich vor, dass das sichergestellt ist?
Wir gehen davon aus, dass der Kommunikationsprozess bei der Erarbeitung dieser Empfehlungen so breit
angelegt war - mit den Naturschutzverbänden, mit den
Ländern, mit dem Bundesministerium für Umwelt -,
dass allein das hohe Maß an Beteiligung in diesem Entstehungsprozess seinen Beitrag dazu leisten wird, dass
die Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden. Hier
hat sich nicht ein kleines Gremium irgendetwas ausgedacht, sondern hier fand ein breiter Kommunikationsprozess statt. Das ist im Übrigen das übliche Problem:
Wenn der Deutsche Bundestag in Abstimmung mit Verbänden und mit den Ländern Gesetzesvorhaben beschließt, dann muss man auch entsprechend für die Umsetzung sorgen. Ich bin mir allerdings angesichts der
auch in der Öffentlichkeit sehr sensibel geführten Debatte zu diesem Thema ganz sicher, dass die Behörden
darauf achten werden, dass das, was sie gemeinsam beschlossen haben, auch umgesetzt wird.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zur Raketenstationierung in den Ländern Osteuropas
Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die FDP hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil der
Deutsche Bundestag Anspruch darauf hat, zu wissen,
welche Haltung die Bundesregierung - vielleicht sogar
geschlossen - in dieser wichtigen Frage einnimmt. Durch
die Aussagen von Vertretern der Bundesregierung und
auch von höchsten Repräsentanten der Koalition - teilweise geradezu verkörpert in einer Person - sind viele
Unklarheiten, Ungereimtheiten und auch Widersprüche
entstanden. Wenn sozusagen die Markigkeit der Äußerungen zu dem Thema abhängig ist von der Entfernung
des Außenministers von Berlin und der Nähe zu Washington, dann ist das schon irgendwie beunruhigend.
({0})
Weder national noch international ist ein so wichtiges
sicherheitspolitisches Thema jemals so leichtfertig behandelt worden wie dieses. Es eignet sich übrigens auch
überhaupt nicht dazu, antiamerikanische Reflexe anzuticken, weil wir doch offenbar den Wunsch haben, das
Raketenabwehrsystem gemeinsam in der NATO zu besprechen. Folglich wollen wir unsere amerikanischen
Freunde davon abbringen, es gegebenenfalls unilateral
oder trilateral zu installieren.
Das Thema ist ja nicht neu: Spätestens seit dem
Scheitern der SDI sind wir, auch in der NATO, mit dem
Thema befasst. Auch Russland ist damit befasst; wir
sollten nicht gleich den Russen auf den Leim gehen. Es
ist nur erstaunlich, wie unvorbereitet die Bundesregierung seit fast zwei Jahren mit dem Thema umgeht, nachdem es Rot-Grün verständlicherweise beiseiteschieben
konnte. Wegducken kann man sich da ja wohl nicht;
denn es ist natürlich legitim und intellektuell redlich,
sich damit auseinanderzusetzen, ob man sich angesichts
der Entwicklung weitreichender Trägersysteme und
ziemlich beängstigender Entwicklungen im Hinblick auf
die Proliferation von Munition, die man mit solchen Trägersystemen befördern kann, schützen muss.
Wir befinden uns in einer Situation, in der Rationalität gefragt ist: ob und wie man handelt, wer handelt, was
und wie viel geschehen soll, wann es geschehen soll. Ich
habe vom Altmeister der deutschen Außenpolitik, HansDietrich Genscher, dem wahrscheinlich wir alle zu seinem 80. Geburtstag heute herzlich gratulieren,
({1})
gelernt, dass kluge Außenpolitik niemals darin bestehen
kann, Optionen vorzeitig zu schließen, dass es vielmehr
darum geht, neue Entscheidungsspielräume zu schaffen
und vorhandene möglichst lang offenzuhalten und dann
die Entscheidung zu optimieren. Alle Fragen, die sich
stellen, müssen sauber abgearbeitet werden.
Da mutet es schon etwas merkwürdig bis befremdend
an, dass wir jetzt - in einer Situation, in der im Hinblick
auf Nordkorea erstmals Hoffnung besteht, dass man sich
vielleicht verständigen kann, in der es zum ersten Mal
einen direkten iranisch-amerikanischen Dialog geben
wird und wir die Hoffnung haben können, dass manches
nicht so dringlich erforderlich sein wird, wie es vielleicht erscheint, wenn man mit Iran überhaupt nicht zuDr. Werner Hoyer
rechtkommt - diese Entscheidung präsentiert bekommen: Ausgerechnet jetzt signalisiert der Westen, dass
man vielleicht schon aufgibt und keine Hoffnung hat,
dass man zu vernünftigen Ergebnissen kommt.
Das passt in das Gesamtbild der Abrüstungspolitik,
die seit anderthalb Jahrzehnten lahmt: Da rüsten unsere
britischen Freunde ihre Nuklearflotte auf, investieren
dort innerhalb weniger Jahre 25 bis 30 Milliarden Euro.
Da segnen unsere amerikanischen Freunde mit dem
amerikanisch-indischen Deal die indischen Atomwaffen
ab; und Deutschland bekundet, man wolle das in der
Nuclear Suppliers Group absegnen. Das ist es nicht, was
wir bräuchten, um wieder eine kraftvolle Abrüstungspolitik auf die Tagesordnung zu bringen; das ist abenteuerlich.
({2})
Abenteuerlich ist es auch, die Frage trilateral zu regeln. Natürlich gehört diese Frage in die NATO, wenn
wir glauben, ein solches System zu brauchen. Es geht
nicht, dass NATO-Partner glauben, die Solidarität und
der Schutz dieses Bündnisses reichten nicht aus, man
müsse mit den Vereinigten Staaten vielmehr zusätzlich
bilaterale Sicherheitsvorkehrungen organisieren.
Schließlich ist es auch abenteuerlich, die Frage nicht
in der Europäischen Union zu diskutieren. Was ist denn
eigentlich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wert - am nächsten Wochenende wird sie hier in
Berlin wahrscheinlich wieder hochgelobt -, wenn wir
nicht in diesem Rahmen darüber diskutieren, welchen
Bedrohungen wir uns gegebenenfalls ausgesetzt sehen
könnten und wie wir, vielleicht mit Schutzmaßnahmen,
darauf reagieren könnten? Das sieht sehr nach einer
Spaltung Europas aus. Eine neue europäische Spaltung
dürfen wir uns weder von den Russen noch von unseren
amerikanischen Freunden gefallen lassen; wir dürfen
erst recht nicht zulassen, dass eine Spaltung Europas von
innen heraus zustande kommt.
Deswegen muss die Bundesregierung hier handeln.
Sie muss uns viel erklären. Sie muss dafür sorgen, dass
das Thema auf die Tagesordnung von EU und NATO
kommt. Sie muss die notwendige Abstimmung herbeiführen und dringlich verhindern, dass es erneut zu einer
Spaltung Europas in neues und altes Europa kommt. Das
würde der 50-Jahr-Feier der Europäischen Union einen
ganz gefährlichen Schatten verleihen.
({3})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Hoyer, Sie haben sehr eloquent versucht, in dieser Frage einen absoluten Dissens zwischen den Koalitionsparteien herbeizureden.
({0})
Dass sich die FDP das als Oppositionsfraktion wünscht,
kann ich nachvollziehen. Tatsache ist aber: Es gibt beim
Thema Raketenabwehr in manchen Fragen noch Diskussionsbedarf, zum Teil auch unterschiedliche Akzentsetzungen,
({1})
in allen substanziellen Fragen herrscht aber völlige Übereinstimmung.
({2})
Deswegen sollten wir den Bürgern in aller Sachlichkeit
die Position der Koalition deutlich machen.
Zur Frage der Bedrohung: Es ist eine Tatsache, dass
die Verbreitung von Raketentechnologie trotz aller Rüstungskontrollbemühungen ungebremst weitergeht. Heute
verfügen schon mehr als 20 Staaten über Trägertechnologie. Die Anzahl steigt, sie wird weiter deutlich zunehmen. Iranische Raketen können bereits heute NATOPartner in Südosteuropa erreichen, bald in ganz Europa.
Der Iran arbeitet daran, in 15 Jahren Interkontinentalraketen zu besitzen, die amerikanisches Territorium treffen
können. Deswegen stimmen wir mit dem Außenminister
völlig überein, der in Washington das Vorhaben der
USA, sich mit einem Raketenabwehrsystem zu schützen,
als legitim bezeichnet hat. Herr Hoyer, ich begrüße es,
dass auch Sie diese Position vorhin vertreten haben.
In der Koalition sind wir uns ferner völlig einig: Gegen die Bedrohung, die sich aus der Weiterverbreitung
von Raketentechnologien ergibt, muss Vorsorge getroffen werden. Das zeigt sich daran, dass die NATO seit
1998 ein Abwehrsystem gegen Raketen mit einer Reichweite von bis zu 3 000 Kilometern entwickelt. Deutschland finanziert dieses Abwehrsystem zu 18 Prozent,
beteiligt sich mit der Bereitstellung von Simulationsmodellen und ab 2009 mit eigenen Waffensystemen. Ich
sage es ganz deutlich: Es war richtig, dass die Verteidigungsminister Scharping und Struck für dieses Schutzprojekt der NATO Gelder freigegeben haben. Genauso
richtig war es, dass der ehemalige Bundeskanzler
Gerhard Schröder 2002 in Prag eine NATO-Studie mit in
Auftrag gegeben hat, wie Europa insgesamt gegen Raketen geschützt werden kann.
Das sind zwei Aufträge im Zusammenhang mit Raketenabwehr, die von einer SPD-Regierung beschlossen
wurden und die von uns mitgetragen werden. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können der
SPD doch nicht ernsthaft unterstellen, sie vertrete in der
derzeitigen Diskussion eine Position, wonach NATORaketenabwehr etwas Gutes sei, amerikanische Raketenabwehr aber etwas Schlechtes.
Weil es diese zwei NATO-Raketenabwehrkonzepte
und das amerikanische Konzept gibt, ist es notwendig,
über all dies im NATO-Rat ausführlich zu diskutieren.
Es gibt noch offene Fragen. Es muss darum gehen, diese
verschiedenen Konzepte miteinander kompatibel zu machen, auch um Synergieeffekte zu erzielen und einen
umfassenden Schutz für Europa zu erreichen. Auch darin sind wir uns völlig einig.
({3})
Das gilt auch für die Einschätzung, dass die USA ihr
Raketenabwehrsystem bauen werden. Wenn das aber so
ist, sind wir doch klug beraten, Einfluss auf die USA zu
nehmen. Dass man einen solchen Einfluss nicht haben
kann, wenn man die legitimen amerikanischen Überlegungen von vornherein kategorisch ablehnt, auch darüber sind wir uns in der Koalition einig.
({4})
Schließlich zu Russland: Es herrscht auch völlige
Übereinstimmung darüber, dass dieses Thema weiterhin
mit Russland im NATO-Russland-Rat diskutiert werden
muss. Im Übrigen sieht auch Russland in der Weiterverbreitung von Raketentechnologie eine Bedrohung und
arbeitet an eigenen Raketenabwehrprogrammen. Es gibt
eine Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO
in Fragen der Raketenabwehr. Zehn in Polen stationierte
Abwehrraketen bedrohen nicht die Abschreckungswirkung von 1 600 russischen Interkontinentalraketen und
verursachen kein Wettrüsten, wie manche behaupten.
Die Russen wollen und müssen - auch darin sind wir
uns einig - an einem strategischen Dialog über diese
Fragen beteiligt sein, zumal sich die Raketenabwehr
nicht gegen Russland richtet. Wir brauchen eine gemeinsame Bedrohungsanalyse und dann, nach Möglichkeit,
auch gemeinsame technologische Antworten.
Das sind die Fragen, um die es geht, und darin besteht, wie Sie gesehen haben, in der Koalition völlige
Einmütigkeit.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach der Rede von Kollege Schockenhoff weiß ich gar
nicht, warum wir noch diskutieren.
({0})
Alles sei geregelt. Es gebe keine Probleme. Alle seien
sich mit allen einig. Alles, was in den Zeitungen steht,
sei Unsinn. Die Zitate seien erfunden. Es gebe überhaupt
keine Probleme und man könne straight vorwärtsschreiten. Das ist auch eine Art und Weise, wie man Politik
machen und Realitäten verdrängen kann. Die hilft bloß
in der Praxis nicht weiter.
Im Unterschied zu Kollegen Heuer habe ich keine
Probleme damit, dass die Meinungsäußerungen aus der
Regierung, die man sieht, wenn man Zeitung liest - Kollege Schockenhoff macht das vielleicht auch, nimmt
diese aber nicht zur Kenntnis -,
({1})
höchst widersprüchlich sind. Ich finde es in Ordnung,
wenn aus der Regierung endlich - auch widersprüchliche; das will ich überhaupt nicht kritisieren - Aussagen
kommen und ein Stück weit eine Debatte erfolgt. Ich
habe ganz andere Probleme. Die möchte ich einmal auf
den Punkt bringen.
Das erste Problem, das ich benennen möchte, ist, dass
bereits der Name Raketenabwehrsystem eine Täuschung
ist. Es geht nicht um eine defensive Waffe, um ein defensives System, sondern die Philosophie der USA, die dem
zugrunde liegt, ist, jeden Punkt auf der Erde waffentechnisch erreichen zu können bei eigener Unverwundbarkeit.
({2})
Das ist die Philosophie der USA. Das kann man auch belegen.
Wenn man ernsthaft über Raketenabwehrsysteme diskutieren will, dann muss man sie einordnen und mit vielen anderen Schritten der Aufrüstung, die praktisch gegangen werden, im Verbund sehen. Das fängt an bei der
Konzeption der USA hinsichtlich vorbeugender Kriege,
geht über die Debatte über einen Neueinsatz von Atomwaffen, die sogenannten Mini-Nukes, geht über eine
ganz neue Generation von Raketen und letztendlich bis
zu einer Militarisierung des Weltalls. Das sind die Fragen, die sich uns stellen. In diesem Kontext muss man
über dieses System diskutieren. Dann wird klar: Es ist
kein Defensivsystem, sondern ein Offensivsystem. Das
unterscheidet es von vielen anderen.
Wir, die Linke, lehnen eine Neuauflage des Kriegs der
Sterne, des Star Wars, ab. Wir lehnen eine Zerstörung
von Resten von Rüstungskontrolle ab. Denn das wird die
Folge sein, wenn man sich auf dieses System einlässt
und die Debatte so weiterführt.
Zweitens. Für uns ist die Frage, ob dieses Raketensystem innerhalb der NATO verabredet und über die NATO
installiert wird, nicht wichtig. Wir wollen, dass es überhaupt nicht installiert wird. Hier scheiden sich die Geister. Da waren die Argumente auch völlig anders. Ich
sehe das mit einem gewissen Amüsement. Der Linken
wird immer vorgehalten, dass wir die NATO zerstören
wollen. Wir wollen sie auflösen. Das leugne ich nicht.
Aber so viel Zerstörung in der NATO, wie Sie mit der
Koalition der Willigen, wie die USA mit ihrem Vorgehen, Debatten dort nicht einmal zu führen, anrichten,
könnten wir gar nicht anrichten. Das haben Sie selbst auf
die Tagesordnung gesetzt. Das muss ich neidvoll zugeben.
({3})
Wenn einer die NATO zerstört, dann sind Sie es selber,
vor allen Dingen dadurch, dass Sie aus der NATO, die
sich einstmals als Verteidigungsbündnis verstanden hat,
ein Angriffsbündnis gemacht haben.
Dann würde ich gern einmal ein logisches Argument
zu Folgendem hören. Ich habe die Bundesregierung ein
paar Mal gefragt: Warum wird diese Frage nicht innerhalb der Europäischen Union diskutiert, wenn man
schon immer von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik redet? Warum sagt die Bundesregierung
immer, das sei keine Sache der Europäischen Union?
Weil man sich nicht einig ist, weil es innerhalb der Europäischen Union Widersprüche gibt? Warum wird nicht
einmal der Versuch gemacht, einen gemeinsamen Standpunkt - ich hoffe, er wird eine ablehnender Standpunkt
sein - in der EU herbeizuführen? Auch dazu gibt es
keine plausible Begründung.
Drittens. Selbstverständlich richtet sich das System
nicht gegen den Iran. Das hat man jetzt wohlfeil in der
Debatte aufgenommen; dazu wurde keine besondere
Logik entwickelt. Ich finde, dass Putin Recht hat mit seiner Einschätzung, dass sich dieses System primär gegen
Russland richtet und die Balance in Europa verschiebt.
Wenn man abkehrt von der Philosophie, die wir einmal
gemeinsam hatten, dass Sicherheit in Europa nur Sicherheit miteinander und nicht Sicherheit gegeneinander sein
kann, wenn man sich gegensätzlich zu dieser Philosophie verhält, dann wird man in Europa ein neues Wettrüsten auslösen, ob man es will oder nicht. Das ist die
Konsequenz, die droht. Damit droht auch eine Spaltung
Europas in Zonen mit verschiedenen Sicherheitsniveaus
und in unterschiedliche Blocks. Wenn man das erreichen
will, dann muss man nur so weitermachen wie bisher.
Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie ihre
kritischen Töne und ihre ablehnende Haltung - wenn sie
eine solche hat, was ich ja nicht glaube - hier im Parlament etwas deutlicher hörbar bzw. sichtbar macht.
Bislang hat man das von den SPD-Vorsitzenden gehört - damit komme ich zum Schluss -, zum Beispiel
von Kanzler Schröder: Wenn Wahlen anstehen und Stimmenverluste drohen, dann werden die SPD-Vorsitzenden
immer markiger und ihre Argumente werden ein Stück
weit antiamerikanisch. Das überzeugt aber nicht.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen
Dr. Frank-Walter Steinmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
lange her, dass die Abrüstung ein tagesaktuelles Thema
hier im Hohen Hause war. Herr Gehrke, das Thema eignet sich insbesondere nicht für Klamauk über die Abschaffung und Auflösung der NATO oder ähnliche
Dinge. Das ist ein ernstes Thema.
({0})
Leider werden sich nur wenige daran erinnern, aber es
ist noch nicht ganz vier Wochen her, dass ich hier im Hohen Hause in einer Debatte über die Abrüstungspolitik
darauf hingewiesen habe, dass wir vor einer notwendigen, aber bevorstehenden Renaissance der Abrüstungspolitik stehen. Die Bänke waren damals leider nur sehr
dünn besetzt. Im Übrigen hatte das Thema Abrüstung
auch in den letzten Tagen bei öffentlichen Konferenzen
außerhalb dieses Hauses keine Konjunktur. Darum ist es
gut, dass jetzt alle Parteien dem Thema die Aufmerksamkeit schenken, die es nach meiner Auffassung schon
länger verdient.
Ich möchte deshalb hier noch einmal mit allem Nachdruck sagen: Die Welt steht durchaus am Scheideweg.
Die Zahl der Staaten, die Atomwaffen besitzen, ist seit
dem Kalten Kriege gestiegen. Immer mehr Staaten sind
in der Lage, Atomwaffen zu bauen, und möglicherweise
versuchen auch terroristische Organisationen, sich Material für den Bau von sogenannten schmutzigen Waffen
zu besorgen. Manche Länder arbeiten an der Entwicklung von Trägertechnologien, die auch in der Lage sind,
europäische Hauptstädte zu erreichen.
Der entscheidende Unterschied zum Zeitalter des
Kalten Krieges ist: Damals bedrohten sich praktisch nur
die USA und die Sowjetunion mit solchen Waffen. Das
war vergleichsweise überschaubar. Vielleicht werden
sich aber schon bald viel mehr Staaten in eine ähnliche
Machtposition versetzen. Darin liegt die Gefahr einer
neuen Rüstungsspirale. Die Aussicht, dass dann irgendwann einmal jemand auf den roten Knopf drückt, wäre
ungleich größer als zur Zeit des Kalten Krieges. Darum
erfüllt mich diese Entwicklung mit so großer Sorge.
Deshalb sage ich noch einmal: Wir brauchen dringend
einen neuen Schwung für eine neue Abrüstungspolitik.
({1})
Das ist auch der Grund, weshalb ich mich seit dem
ersten Tage meines Amtes so dringend und intensiv um
die Lösung des Irankonfliktes kümmere. Wenn der Iran
eines Tages in der Lage wäre, Atomwaffen zu besitzen,
dann ginge die Gefahr nicht nur vom Iran aus. Im Gegenteil: Das brächte viele der benachbarten Staaten in
der Region in einen unmittelbaren Zugzwang. Das hätte
ganz unabsehbare Folgen für die Sicherheit in Europa
und auch für die Sicherheit in Deutschland. Deshalb darf
man diese Büchse der Pandora nicht öffnen.
({2})
Wir erkennen am Beispiel Iran aber eben auch, dass
wir solchen großen Herausforderungen dieser Zeit wohl
doch nur gemeinsam werden begegnen können. Anders
gesagt: Nicht nur beim Klimaschutz sitzen die Menschen
von Alaska bis Auckland und von Spitzbergen bis Südafrika in einem Boot. Darum noch einmal meine Position: Dauerhafter Friede in unserem Zeitalter basiert weniger denn je auf militärischer Abschreckung, sondern
auf der Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur Überwindung politischer Trennlinien. Darin liegt auch der
tiefere Kern des Konflikts, über den wir heute reden.
Die grundlegende Frage ist, mit welcher Strategie wir
uns gegen neue Gefahren - etwa durch Raketentechnologien oder Massenvernichtungsmittel - wappnen. Die
USA wollen dies im Kern wohl erreichen, indem sie einen weltweiten Abwehrschirm errichten. In diesen Tagen wird in den Medien darüber berichtet, dass sie bereit
sind, dafür beträchtliche Summen - bislang in der Größenordnung von mehr als 100 Milliarden Dollar - in die
Hand zu nehmen.
Oberstes Ziel unserer Anstrengungen hingegen war
bisher, mit präventiver Diplomatie - das schließt Druck
ausdrücklich nicht aus - entsprechende Bedingungen zu
schaffen, dass interessierte Staaten auf die Entwicklung
von Massenvernichtungsmitteln und möglichst auch Raketentechnologien verzichten.
({3})
Das erfordert ohne Zweifel kluges und entschiedenes
Handeln der Staatengemeinschaft, wie wir es im Fall
Iran derzeit versuchen und wie es im Fall Nordkorea
- Herr Hoyer hat darauf hingewiesen - vielleicht sogar
zu ersten Erfolgen geführt hat.
Das erfordert aber auch - ich beziehe mich ausdrücklich auf den wegweisenden Artikel von George Shultz,
William Perry, Henry Kissinger und Sam Nunn im „Wall
Street Journal“ - klare Signale der Kernwaffenstaaten,
dass sie es mit ihren Abrüstungsverpflichtungen aus dem
Nichtverbreitungsvertrag ernst meinen,
({4})
statt durch unbedachtes Handeln die bestehende Abrüstungsarchitektur weiter erodieren zu lassen.
Ich habe in der Tat nach der Münchner Sicherheitskonferenz festgestellt, dass die Zeit des Kalten Krieges
vorbei ist. Aber offenbar wirft er noch lange Schatten;
sie tragen die Namen Misstrauen und manchmal auch
Sprachlosigkeit. Das zeigt der Streit um die geplante Stationierung der amerikanischen Raketenabwehr in Polen
und der Tschechischen Republik. Hier sehen wir, dass
offenbar alte Reflexe aus der Zeit des Kalten Krieges bis
in unsere Zeit hinein Wirkung entfalten: in den USA, in
Russland und auch in Polen. Ich empfehle in diesem Zusammenhang den Artikel von Henry Kissinger in der
heutigen Ausgabe der „Herald Tribune“. Es ist, wie ich
finde, ein kluger Appell, sich in die jeweiligen Sicherheitsinteressen und Bedrohungswahrnehmungen sowohl
der russischen als auch der amerikanischen Seite einzufühlen. An diesem Verständnis, wie es in dem Artikel
zum Ausdruck kommt, hat es, wie ich finde, in den letzten Wochen und Monaten gefehlt.
Vielleicht ist es ein Fortschritt, dass sowohl die amerikanische Außenministerin als auch der Verteidigungsminister in diesen Tagen signalisiert haben, dass auch sie
Bedarf für ein vertieftes Gespräch mit Russland sehen.
Denn auch wenn internationale Politik manchmal kompliziert ist - wir haben das hier häufiger zu debattieren
gehabt -, unterscheiden sich die Regeln nicht völlig vom
normalen Leben. Vertrauen bildet sich durch ehrliche
Gespräche und die Zeit, die man sich füreinander nimmt.
Genau das ist, glaube ich, auch jetzt beim Streit um die
Raketenabwehr gefragt. Wir müssen uns zusammen an
einen Tisch setzen und die Interessen und Positionen
sorgsam austarieren.
Herr Hoyer und andere haben eben darauf hingewiesen: Viele Fragen technischer, aber vor allen Dingen
auch politisch-strategischer Art sind noch unbeantwortet. Ich verstehe in der Tat den Wunsch der USA, sich
vor einem Angriff mit Langstreckenwaffen zu schützen.
Aber mit militärischer Überlegenheit allein lassen sich
weder Freundschaft noch Frieden erzwingen. Darum
bitte ich die USA, den Preis für eine im Streit durchgesetzte Stationierungsentscheidung genau zu bedenken,
zumal es die iranischen Langstreckenwaffen, gegen die
der Schutz gerichtet sein soll, jedenfalls noch nicht gibt.
Eine Spaltung Europas und der NATO und ein Russland,
das in alte Reflexe zurückfällt, wären aus meiner Sicht
ein sehr hoher Preis.
({5})
Deutsche Außenpolitik zielt auf die Einheit Europas,
transatlantische Partnerschaft und strategische Partnerschaft mit Russland. Ein neuer Kalter Krieg zwischen
den USA und Russland, auch wenn er nur mit Worten
ausgetragen wird, schadet den Sicherheitsinteressen unseres Landes. Darum appelliere ich auch an Russland,
die Gesprächsangebote aus Europa und den USA anzunehmen und wirkliches Interesse an dem Dialog auch
über diese Frage zu zeigen.
({6})
Wir dürfen in einer solchen Situation natürlich nicht
zu optimistisch sein. Aber vielleicht kann aus einem
Streit über die Raketenabwehr eine Chance werden,
nämlich dann, wenn wir dieses Thema nicht zu isoliert
betrachten, sondern in einen transatlantisch-russischen
Dialog einbetten
({7})
und im Rahmen dieses Dialoges ernsthaft darüber reden,
wie wir mit den neuen Proliferationsbedrohungen umgehen sollen, die sich letztendlich nicht nur gegen den
Westen richten, sondern auch gegen Russland. Oder wie
es Hans-Dietrich Genscher schon vor 20 Jahren als Auftrag der Außenpolitik verstanden hat: Arbeiten an einer
Perspektive des Raums der Sicherheit von Vancouver bis
Wladiwostok! Auf diese Perspektive weist Egon Bahr
- ein anderes, in der Außenpolitik kaum minder bekanntes Geburtstagskind in diesen Tagen - in Reden und Artikeln ebenso deutlich hin.
Eine mögliche Antwort - ich betone: eine mögliche
Antwort - könnte sein, dass wir erstens darüber nachdenken, ob ein gemeinsames System der Raketenabwehr
oder zumindest gemeinsame Anstrengungen - auch mit
Russland - möglich und wünschenswert sind, dass wir
zweitens gemeinsam und vor allem mit präventiver
Diplomatie Proliferationsgefahren begegnen, wie in den
Fällen Iran und Nordkorea - auf die Anfangserfolge
habe ich bereits hingewiesen -, und dass wir uns drittens
der Erkenntnis nicht verschließen, dass die Kernwaffenbesitzer eine Bringschuld haben, wenn die Zahl der
Kernwaffenstaaten nicht unkontrolliert ausufern soll.
Der Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet alle Kernwaffenbesitzer auf den Weg der Abrüstung. Jeder, der sich
nicht daran hält, gefährdet den Nonproliferationsvertrag
in seiner Substanz.
({8})
Lassen Sie mich den letzten, den vierten Punkt erwähnen, der mir noch nicht hinreichend wahrgenommen zu
sein scheint. Die europäische Abrüstungsarchitektur, an
der wir alle und unsere Vorgänger über Jahrzehnte gearbeitet haben, ist wohl ein wegweisendes Modell für andere Regionen auf dieser Welt. Wir dürfen dieses Erfolgsmodell nicht gefährden. Auch deshalb ist bei allen
Stationierungsentscheidungen besondere Sorgfalt am
Platz.
Wir Deutsche haben ein strategisches Interesse daran,
dass der Streit über die Raketenabwehr nicht eskaliert,
sondern zum Ausgangspunkt für neues Vertrauen und einen neuen Geist der Verständigung wird. Lassen Sie uns
also nicht um kleine innenpolitische Landgewinne streiten, sondern eine Diskussion führen, mit der die langfristige Sicherheit der Menschen in Europa und insbesondere in Deutschland gestärkt wird. Ich persönlich werde
im Streit über die Raketenabwehr alles für eine Lösung
tun, mit der dieses Ziel erreicht wird.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
müssen uns die Frage stellen: Worum geht es in dieser
Debatte nicht? Es geht dezidiert nicht um die Frage, ob
über die Raketenabwehr innerhalb der NATO diskutiert
werden soll. Das tut man, auch wenn man das vielleicht
in der Pfalz erst in der letzten Woche bemerkt hat, schon
seit Jahren, übrigens ohne Ergebnis, weil es keine Einigung in dieser Frage gibt.
Wer heute sagt, dass wir darüber in den Gremien der
NATO diskutieren müssten, hat sicherlich recht. Aber im
Kern ist das nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver,
das dazu dient, dass man in der konkreten Sache keine
Position beziehen muss. Zudem soll es ein Stück weit
davon ablenken, dass die Regierung bisher nicht den
Mut hatte, über diese Frage, die im Hinblick auf eine
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa
existenziell ist, dort zu diskutieren, wohin sie ebenfalls
gehört, nämlich innerhalb der Gremien der Europäischen
Union.
({0})
Wir haben massive Zweifel an der Bedrohungsanalyse und große Bedenken, was die technischen Fragen
angeht. Sie müssen sich einmal vorstellen: In Europa
soll für einen dreistelligen Milliardenbetrag - die
60 Milliarden Euro in den USA kommen noch hinzu eine Raketenabwehr errichtet werden. Wenn aber mehr
als zehn Raketen geschickt werden, dann ist es mit dem
Schutz vorbei. Was ist das für ein Anreiz? Das ist ein
Anreiz, aufzurüsten und sich mehr Raketen zuzulegen.
Deswegen kann ich nur wiederholen: Die Nichtverbreitung von Atomwaffen und Raketentechnologie wird
nur gelingen, wenn wir die legitimen Sicherheitsinteressen der Staaten ernst nehmen und nach Wegen für eine
gemeinsame Sicherheit suchen. Das ist der Weg für eine
verantwortliche Sicherheitspolitik. Angesichts dessen
muss man sich natürlich die Frage stellen, warum die
USA beispielsweise den Iran - jenseits des Streits um
die Urananreicherung - anders als Nordkorea behandeln
und warum es bis zum heutigen Tage über diese Sicherheitsfragen keine direkten Verhandlungen gibt.
Herr Außenminister, ich teile Ihr Plädoyer für eine
neue Abrüstungspolitik, aber ich darf auch Folgendes sagen: Sie hätten sich vielleicht ein bisschen deutlicher
und ein bisschen eher zu der neuen Aufrüstungsrunde
äußern müssen, die gerade in Großbritannien - übrigens
von einem Sozialdemokraten, nämlich von Tony Blair eingeleitet worden ist.
({1})
Auch hätten Sie anders und deutlicher zu der Frage des
Umgangs mit der atomaren Aufrüstung Indiens Position
beziehen müssen. Wer für Nichtverbreitung und mehr
Abrüstung anstatt Wiederaufrüstung ist, der darf die atomare Aufrüstung Indiens nicht auch noch mit der Lieferung von Nukleartechnologie belohnen. An dieser Stelle
können Sie Ihren Worten einmal Taten folgen lassen.
Oder wie der Grieche zu sagen pflegte: Hic Rhodos, hic
salta.
({2})
- Wo Rhodos liegt, wissen Sie sicherlich.
Es geht nicht um eine Neuauflage des Kalten Krieges.
Aber es ist klar, dass es über diese Frage eine lange Diskussion zwischen den USA und Russland gegeben hat
und Russland zu der Kündigung des ABM-Vertrags geschwiegen hat. Russland hat diese Kündigung faktisch
hingenommen. Aber Sie können nicht ernsthaft behaupten, dass die Entscheidungen der polnischen Regierung
und der tschechischen Regierung mit Blick auf den Iran
und Nordkorea gefallen sind; natürlich sind sie mit Blick
auf Russland gefallen, was man im Hinblick auf die Historie auch verstehen kann. So ist dies auch von Russland
empfunden worden. Hier ist Handlungsbedarf für Sie,
Herr Außenminister, und für die Kanzlerin gegeben. Sie
können nicht nach Polen fahren und diese Frage außen
vor lassen. Welch ein Verständnis von gemeinsamer
Außen- und Sicherheitspolitik ist es, wenn eine solche
Frage ausgeklammert wird?
Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist
das Herzstück dessen, was wir mit dem europäischen
Verfassungsvertrag gemeinsam erreichen wollen. Am
Wochenende werden wir den 50. Jahrestag der Römischen Verträge begehen. 50 Jahre Europäische Union bedeuten 50 Jahre Frieden. In dieser Zeit sind wir zu der
Erkenntnis gekommen, dass es Frieden und Sicherheit in
Europa nur in Zusammenarbeit gibt. Deswegen sind Sie
aufgefordert, diese Frage mit allem Nachdruck auf die
Tagesordnung der EU zu bringen. Anderenfalls wären
alle Bekenntnisse zu einer gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik Makulatur.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Außenminister hat eben gesagt, er freue
sich darüber, dass dieses Thema in diesem Hause mehr
Aufmerksamkeit gewinne. Nach meiner Auffassung,
Herr Minister Steinmeier, hätten Sie diese Aufmerksamkeit auch schon im Jahre 2005 haben können, als die Ergebnisse der von der NATO selbst in Auftrag gegebenen
Missile Defence Feasibility Study vorgelegen haben, die
auf zwei Optionen abstellt. Heute diskutieren wir über
etwas, was man als dritte Option bezeichnen könnte,
nämlich das, was die Amerikaner mit ihrer eigenen Raketenabwehr Europa und damit auch Deutschland anbieten.
Eigentlich hätten Sie in Ihrer heutigen Darstellung der
Position der Bundesregierung auf konkrete Details eingehen müssen. Nach unseren Informationen wird es Anfang April ein Angebot der Vereinigten Staaten an die
NATO geben, sich an dem Raketenabwehrsystem zu beteiligen. Der April steht schon vor der Haustür, und wir
hätten heute erwarten können, dass hierzu eine Positionierung erfolgt.
({0})
Wir diskutieren heute über ein System, von dem ich
nicht überzeugt bin, dass es schon heute technisch machbar ist. Ich bin auch der Überzeugung, dass wir bereits
im Jahre 2005 oder auch danach die Möglichkeit gehabt
hätten, uns in unseren Gremien, in den Fachgremien damit zu befassen, was letztendlich unsere Position und
unsere Meinung zu einer Raketenabwehr ist, sei sie nur
auf Europa ausgerichtet oder sei sie weltweit ausgerichtet, wie es die Amerikaner anstreben. Ich hätte mir das
gewünscht. Deswegen finde ich die Diskussion heute
sehr bizarr; denn wir haben die Gelegenheit verpasst,
eine eigene Position innerhalb des Parlaments und in den
Fachgremien zu formulieren.
Es ist selbstverständlich klar, dass souveräne Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Polen und
Tschechien die Möglichkeit haben müssen, auch mit anderen Partnern darüber zu diskutieren. Aber auch die
Vereinigten Staaten waren sich klar darüber, dass sich
hier, als die NATO 2002 den Auftrag für eine Machbarkeitsstudie erteilt hat, eigene Interessen herausbilden
werden. Insofern hätte ich es sehr gut gefunden, wenn
man unter Partnern zumindest diese Ergebnisse abgewartet und gemeinsam diskutiert hätte, statt einen eigenen Vorstoß zu machen.
75 Prozent Europas sollen durch das amerikanische
Raketenabwehrsystem abgedeckt werden. Das ist ein
Angebot, das auf dem Tisch liegt. Europa muss aber ein
Interesse daran haben - wenn es diesen Weg beschreiten
will -, dass 100 Prozent abgedeckt werden. Insofern
werden wir uns nicht der Verantwortung und der Verpflichtung entziehen können, möglichst bald über diese
Thematik zu diskutieren.
Wir diskutieren auch über das Verhältnis zu Russland.
Es ist schade, dass die Gelegenheit vor dem Hintergrund
dessen, was ich gerade vorgetragen habe, nicht wahrgenommen worden ist, auf der Münchner Sicherheitskonferenz klarzumachen, dass Konsultationen stattgefunden haben und dass dieses Thema wiederholt
Gegenstand von Gesprächen in der NATO und im
NATO-Russland-Rat gewesen ist.
Der Vorsitzende der SPD, Kurt Beck, mag in parteipolitisch guter Absicht den Weg der Totalverweigerung
eingeschlagen haben, und der massive Unmut an der
SPD-Basis über den wachsenden Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zeigt ebenso Wirkung, wie dessen
Ablehnung durch ein Drittel der Fraktion zeigt; aber Sicherheitspolitik befasst sich mit der äußeren Sicherheit
unseres Volkes. Es geht hier nicht um Klientelpolitik. Es
geht um Staats- und Bündnisverantwortung. Die Position, die Kurt Beck vertritt, polarisiert. Sie ist aus unserer Sicht nicht geeignet, eine einheitliche Position der
EU und der europäischen NATO-Mitglieder zu erzielen.
({1})
Die Bundesregierung muss schnellstmöglich eine einheitliche Position finden und vertreten, die Klarheit über
den Umgang Deutschlands mit der strategischen Raketenabwehr innerhalb der EU und der NATO bringt, und
sie muss die parlamentarischen Gremien darüber informieren. Davon sind wir zurzeit leider meilenweit entfernt. Ich würde mir wirklich wünschen, dass auch das
Parlament einbezogen wird; denn es ist eine sehr wichtige Frage, über die wir zu entscheiden haben werden.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Verehrte Frau Kollegin Hoff, ich habe mit großem
Interesse Ihre Rede gehört, insbesondere Ihre Kritik an
dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck.
({0})
Ich darf Sie allerdings darauf hinweisen, dass die Position, die Kurt Beck zum Raketenabwehrsystem in der
Öffentlichkeit vertreten hat, nicht meine Position, aber
exakt die Position ist, die Ihr Bundesvorsitzender Guido
Westerwelle in dieser Frage eingenommen hat.
({1})
- Ich habe nicht gesagt, dass Sie weg sind, sondern ich
habe auf die Position verwiesen, die Sie in dieser Frage
vertreten haben.
({2})
Ich teile auch das Bekenntnis zur Abrüstung und zur
Diplomatie sowie das Bekenntnis, diese Frage in der
NATO und in der Europäischen Union zu behandeln.
Aber es ist falsch und zu Teilen bösartig, wenn man den
Vereinigten Staaten von Amerika unterstellt, es gebe in
dieser Frage zwischen ihnen und uns einen Dissens. Die
Vereinigten Staaten von Amerika haben diese Frage
nämlich in der NATO behandelt. Wenn wir insbesondere
unsere gemeinsamen Anstrengungen gegenüber dem
Iran und Nordkorea betrachten, dann erkennen wir, dass
es auch den Vereinigten Staaten von Amerika darauf ankommt, weiteres Wettrüsten mit einer diplomatischen
Lösung zu verhindern.
Hier geht doch einiges massiv durcheinander.
({3})
In Wirklichkeit haben wir es nicht mit einem, sondern
mit drei verschiedenen Raketenabwehrsystemen zu tun:
({4})
mit zweien in der NATO, mit einem taktischen und mit
einem strategischen - für das, wie die Kollegin Hoff zu
Recht gesagt hat, bereits eine Machbarkeitsstudie vorliegt -, und schließlich mit einem nationalen, dem der
Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten von Amerika soll
zunächst einmal das amerikanische Festland schützen.
Es kann deswegen nicht vollständig in die NATO integriert werden, weil die Vereinigten Staaten von Amerika
eben nicht nur NATO-Staat sind, sondern auch in anderen Regionen der Welt Sicherheitsgarantien übernommen haben, zum Beispiel in Fernost.
Die Tatsache, dass das nordkoreanische Raketen- und
Nuklearprogramm nicht dazu geführt hat, dass Staaten in
der Nähe Nordkoreas, wie Japan, Südkorea oder Australien, ein eigenes Raketen- und Nuklearprogramm aufgelegt haben, hängt mit dem Nichtverbreitungsvertrag zusammen, vor allem aber damit, dass diese Staaten auf die
Sicherheitsgarantien der Vereinigten Staaten von Amerika vertrauen. Dieses Vertrauen auf die Sicherheitsgarantien der Vereinigten Staaten von Amerika ist deswegen glaubhaft, weil die Vereinigten Staaten von Amerika
dafür sorgen, dass sie von nordkoreanischen Interkontinentalraketen nicht erreicht werden können.
Wenn das nationale Raketenabwehrprogramm der
Vereinigten Staaten von Amerika in die NATO vollständig integriert werden sollte, dann wäre die logische Konsequenz, dass wir entweder ein weiteres Wettrüsten in
dieser Region in Kauf nehmen oder dass die NATO die
Sicherheitsgarantie für diese Staaten übernimmt. Beides
sind doch wohl abwegige Positionen.
Diese Sicherheitsgarantien geben die Vereinigten
Staaten von Amerika auch Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, also ebenfalls Staaten, die wir in die Sicherheitsgarantie der NATO nicht einbeziehen wollen.
Ich finde, diesbezüglich gibt es keine unterschiedliche
Bedrohungswahrnehmung; denn sonst würden wir nicht
gemeinsame Verhandlungen mit dem Iran führen. Es besteht die Gefahr eines Raketen- und Nuklearprogramms
des Iran. In der weiteren Region gibt es mit Pakistan bereits eine Nuklearmacht, von der man nun wirklich nicht
sagen kann, dass sie sich durch politische Stabilität auszeichnet. Niemand weiß, wie sich die Lage in Pakistan in
den nächsten Jahren entwickeln wird. Deswegen ist es
aktive Sicherheitsvorsorge, dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsgarantien, die Nachbarn Nordkoreas oder Ländern im Nahen oder im Fernen Osten gegeben werden,
glaubwürdig sind.
Es ist sinnvoll, dass wir unsere NATO-Überlegungen
mit dem Projekt der Vereinigten Staaten von Amerika
kombinieren. Die Kollegin Hoff hat eben zu Recht gesagt, dass nur 75 Prozent Europas abgedeckt werden.
Wir brauchen ein additives NATO-Programm, das uns
vor allem in die Lage versetzt, uns gegen Mittelstreckenraketen zu schützen. Der Unterschied zwischen Interkontinentalraketen und Mittelstreckenraketen liegt eben
darin, dass Interkontinentalraketen - jedenfalls zurzeit nur in der mittleren Flugphase bekämpft werden können,
während Mittelstreckenraketen in der letzten Phase, also
in der Anflugphase, bekämpft werden müssen. Allein
schon aus diesen technischen Gründen bietet es sich an,
die Kooperation mit der NATO zu suchen und für eine
Abstimmung zu sorgen.
Ein letztes Wort. Russlands Bedenken und die Art
und Weise, wie Russland diese Bedenken geäußert hat,
sind absolut inakzeptabel. Diese Bedenken sind in der
Sache auch nicht begründet.
({5})
In diesem Haus, auch seitens der Bundesregierung, ist
bisher kein einziges Wort zu der massiven Bedrohung
der Tschechen und der Polen durch die russische Generalität gesagt worden. Vielleicht begründet auch diese
Bedrohung, warum die Loyalität der Polen und der
Tschechen gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, von der der Kollege Trittin gesprochen hat, besonders groß ist. Wir sollten die Zone gemeinsamer Sicherheit ernst nehmen und Drohungen, wie sie die russische
Generalität gegenüber Tschechien und Polen ausgesprochen hat, gemeinsam zurückweisen.
({6})
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Außenminister hat eine schöne Rede, eine eindringliche
Rede gehalten.
({0})
Er hat gesagt, dass wir eine neue Abrüstungsdynamik
brauchen und dass wir keine neuen Spaltungen in
Europa gebrauchen können. Er hat von präventiver Krisendiplomatie gesprochen. Aber, Herr Außenminister,
wir brauchen keine Abrüstungsrhetorik. Wir brauchen
Abrüstungspolitik und konkrete Abrüstungsinitiativen;
das ist der Punkt.
({1})
Sie haben von den Schatten des Kalten Krieges geredet, mit denen wir es heute zu tun haben. Die taktischen
Atomwaffen der USA auf deutschem Boden gehören genauso wie die nukleare Teilhabe zu den Schatten des
Kalten Krieges.
({2})
Die Trident-Modernisierung, die die Briten jetzt vollzogen haben, ist eigentlich auch ein Relikt des Kalten Krieges. Hier müsste man doch gegenhalten. Die Bundesrepublik Deutschland hätte jeden Anlass, hierzu eine
Initiative zu starten. Das vermisse ich bei Ihnen.
Ich habe auch an anderer Stelle das Gefühl: Wir sind
nicht in einem neuen Kalten Krieg, aber es gibt bestimmte Dinge, die daran erinnern. Dazu gehört für mich
auch, dass wir schon fast wieder in einer fatalen Militärlogik zu sein scheinen, indem wir sagen: Es gibt die Raketen, es wird künftig noch viel mehr Staaten geben, die
Raketen, die Massenvernichtungswaffen haben; deswegen müssen wir dagegenrüsten. Es gibt diese Art Fatalismus schon fast wieder. Es gibt sozusagen Feindbildzuschreibungen, sodass man von vornherein weiß, wer die
Guten und die Bösen sind.
Wenn die USA eine Präventivkriegsdoktrin entwickeln und sagen, dass sie den Atomwaffeneinsatz
nicht ausschließen, dann ist das nach ihrer Auffassung
nichts Bedrohliches. Aber vielleicht fühlen sich andere
Staaten davon bedroht und versuchen, darauf zu reagieren. Das ist nicht der Weg, damit klarzukommen. Das
Beispiel Nordkorea zeigt eher, in welche Richtung man
gehen muss.
Es ist auch deutlich, dass man etwas erreichen kann,
wenn man versucht, auf dem Verhandlungswege voranzukommen. Diesen Staaten geht es um Wirtschaftshilfe,
um bestimmte Sicherheitsgarantien und um Prestigegewinn. Es ist jetzt gar nicht die Frage, ob diese Staaten
uns besonders sympathisch sind oder nicht; man kann
mit ihnen verhandeln und zu Ergebnissen kommen. Das
setzt aber voraus - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen -, dass international einheitliche Standards gelten
müssen. Dass die einen für sich beanspruchen, Atomwaffen zu haben, ohne sie anderen zuzugestehen, geht
nicht.
Es wird gesagt, es geht doch nur um zehn Abfangraketen, wir sind überhaupt nicht in einer Rüstungsspirale.
Wenn der Iran in der Lage ist, eine Interkontinentalrakete zu produzieren - wir wissen nicht, wann; 2015 oder
2020 -, dann wird er industriell auch in der Lage sein,
sehr viel mehr zu produzieren. Dann gilt die alte Gleichung aus der SDI-Debatte wieder: Raketenschutzschilde überwindet man, indem man die eigenen Offensivkapazitäten erhöht. Dann werden die zehn
Abfangraketen nicht mehr reichen. Wenn das keine Rüstungsspirale ist, vor der wir jetzt stehen, dann weiß ich
es nicht. Das ist der Eintritt in eine neue Rüstungsspirale.
({3})
Dass diese Logik nicht aufgeht, hat der amerikanische
General, der jetzt hier auf Werbetour war, auch deutlich
gemacht, indem er gesagt hat: Es geht darum, den Iran
und andere Staaten im Vorhinein zu entmutigen, zu demoralisieren, sodass sie sich überhaupt keine Raketen
zulegen. Das ist die naive Vorstellung, die dahinter steht,
die aber nicht aufgehen wird.
Es geht nicht um die zehn Abfangraketen - dazu hat
der Kollege Gehrcke schon etwas gesagt -, sondern es
geht darum, dass die USA mit Großbritannien, mit Georgien, möglicherweise mit einer Reihe von anderen Staaten verhandeln. Der Vertreter des State Department hat
gesagt: Wir arbeiten mit einer Reihe von Staaten an diesem Raketenabwehrsystem; das ist ein globales Projekt.
Es geht also darum, Effektoren, Sensoren und Raketensysteme, gegebenenfalls auch weltraumgestützte Systeme, umfassend zu entwickeln. Ein Kommentator in der
Zeitung hat zu Recht gesagt: Dahinter steht das Bestreben der USA, ihre globale Rüstungsdominanz aufrechtzuerhalten, und nichts weiter.
Das lassen sich die USA gegenwärtig 730 Milliarden
Dollar kosten. Das ist ein Punkt, über den bislang überhaupt noch nicht diskutiert worden ist: Was kostet eigentlich der Aufbau dieser Raketenabwehrsysteme? Die
USA haben bislang 107 Milliarden Dollar darin investiert, allein für Forschung und Entwicklung. Was sollen
die Installierung und der Betrieb dieser Systeme kosten?
Man geht von einem Mehrfachen dieses Betrages aus.
Paul Schäfer ({4})
Das ist doch ein Wahnwitz. Man muss sich einmal vorstellen, was mit dieser Summe für die Lösung der globalen Probleme - von der Förderung regenerativer Energien über vernünftige Wasserversorgung bis hin zur
Bekämpfung von Seuchen - geleistet werden könnte.
Damit könnten auch Konfliktquellen ausgetrocknet oder
Konflikte beseitigt werden.
Ich finde, diese Rechnung muss in der Öffentlichkeit
deutlich gemacht werden. Wir müssen sagen, dass der
Einstieg in ein solches Aufrüstungsprogramm Wahnsinn
ist. Wir raten Ihnen, deutlich zu sagen: Wir als Bundesrepublik Deutschland machen hier nicht mit.
Danke.
({5})
Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Trittin, die Bundeskanzlerin und auch der
Außenminister haben dieses Thema bei ihren Visiten in
Polen und in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht
ausgeklammert. Sie haben es angesprochen. Sie haben es
auch mit Kommentaren und Aufforderungen versehen.
Wenn ich mich nicht täusche, ging eine der Aufforderungen dahin, dass man über dieses Thema diskutieren
muss, dass es in die Gremien der Bündnisse gehört und
dass Alleingänge natürlich vermieden werden müssen.
Der Außenminister hat betont, dass ungeachtet der
grundlegenden Akzeptanz von nationalen Verteidigungsanstrengungen - diese Auffassung teile ich - Diskussionen erforderlich sind. Er hat dies ausgeführt und für die
Bundesregierung begründet.
Wir wissen aber auch, dass es, seitdem es Anstrengungen gibt, den Traum der Unverwundbarkeit für Amerika zu verwirklichen und dabei auch anderen zu nützen,
Fragestellungen gibt. Das ist seit SDI und seit der National Missile Defense, NMD, der neuesten Initiative, bekannt.
Wir wissen, Herr Kollege Trittin, dass wir auch im
Zusammenhang mit der Debatte im Jahr 2001 - Sie an
prominenter Stelle in der rot-grünen Bundesregierung,
ich an nachgeordneter Stelle - unsere Anmerkungen hinterlassen und gefragt haben, inwieweit Verteidigungsanstrengungen über ein Raketensystem wirksame vertragliche Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime tangieren,
ob sie erhalten werden können, ob sie ausgebaut werden
müssen. Und dies hat immer auch eine wirksame und verifizierbare Verhinderung der Proliferation eingeschlossen.
Wir haben damals wie heute darauf hingewiesen
- diesbezüglich gibt es in diesem Hause sicherlich keine
Meinungsverschiedenheit -, dass zur Vermeidung globaler und regionaler Rüstungswettläufe ein kooperativer
Ansatz erforderlich ist, der Russland und, wenn man den
globalen Schirm in Betracht zieht, auch andere wie zum
Beispiel China einbeziehen muss, dass die Pläne zu einer
möglichen Raketenabwehr nach Möglichkeit mit einer
drastischen Reduzierung von Offensivsystemen verbunden werden müssen und dass enge und intensive Konsultationen mit den Verbündeten und Partnern in Europa
notwendig sind.
Es ist klar, dass Herr Obering, als er hier war, die Fragen nicht mit politischer Prokura beantworten konnte,
die hinsichtlich der Bedrohungsanalyse, der technischen
Machbarkeit, der Probleme der Finanzierung, aber auch
im Zusammenhang mit der europäischen Sicherheitsarchitektur gestellt werden müssen. Ich gehe davon aus,
dass diese Diskussion am 19. April 2007 im NATO-Rat
begonnen werden wird und dass sie ihre Fortsetzung finden wird. Wegen des Zusammenhangs mit der europäischen Sicherheitsarchitektur, die hiervon berührt ist,
wird eine solche Diskussion auch in der Europäischen
Union stattfinden.
Der Koalitionsvertrag, der unsere gemeinsame Basis
ist, ist eine Verabredung, die uns im Einklang mit der europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 „Ein sicheres
Europa in einer besseren Welt“ sowohl in der Regierungsverantwortung als auch in unserer parlamentarischen Zusammenarbeit dazu verpflichtet, eine vorausschauende Friedenspolitik zu betreiben, die Fähigkeiten
zur Prävention zu entwickeln und auf Verhandlungslösungen zu setzen, zugleich aber auch die Fähigkeiten
zum gemeinsamen militärischen Handeln auszubauen.
Auch das Weißbuch zeigt dies auf, insbesondere was den
Abrüstungs- und Rüstungskontrollteil angeht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass die
Stimmen, die sich jetzt kommentierend und wertend
auch außerhalb einer Aktuellen Stunde zu Wort melden,
berücksichtigt werden müssen und zu reflektieren sind.
Natürlich ist die NATO der geeignete Ort, einen politisch-strategischen Gesamtansatz zu entwickeln, der den
Sicherheitsinteressen Amerikas, Europas und Russlands
entspricht. Das nationale amerikanische Projekt unter
Zuhilfenahme einzelner europäischer Staaten wird insofern der Problematik nicht gerecht. Deswegen muss man
hier miteinander reden. Das wird auch getan. Wenn die
amerikanische Seite allerdings darauf besteht, dann
muss man auch mit den Beteiligten in Europa intensiv
sprechen. Das tun unsere Regierungsvertreter ja auch,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie reden auch nicht
nur, sondern da werden auch Lösungsansätze - erfolgreiche Rüstungskontrollverhandlungen sind ja auch bei erheblichen politischen Gegensätzen möglich - miteinander überlegt. Das steht ja hinter dem Prinzip des
Grundsatzes von gemeinsamer Sicherheit. Ich denke,
alle Beteiligten lassen sich von dem Grundsatz der gemeinsamen Sicherheit tragen. Auf dieser Basis lassen
sich konträre Standpunkte, die sich aus nationalen Bedrohungsanalysen ergeben oder aus internationalen Verbindungen herrühren, zusammenführen.
Deswegen sage ich Ihnen: Wenn man Zwischenbewertungen durchführt, dann ist es zum gegenwärtigen
Zeitpunkt auch nach Auffassung meiner Fraktion nicht
erlaubt, eine Stationierung vorzunehmen. Das muss festgehalten werden. Mit Nachdruck fordert deshalb unsere
Seite die Bundesregierung auf, mit den Wirkungsmöglichkeiten, die sie hat, darauf hinzuwirken.
({0})
Das Wort hat der Kollege Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Teile dieser Debatte sind, wie die Frau Kollegin
Hoff zu Recht festgestellt hat, tatsächlich ein wenig bizarr. Man fragt sich bei dem einen oder anderen Redner,
was er uns heute eigentlich sagen wollte bzw. was der
Inhalt seiner Rede war. Das mag daran liegen, dass es
tatsächlich eine Menge offener Fragen zu diesem Programm, zur Zukunft dieses Programms und zur Gestaltung dieses Programms gibt. Das mag möglicherweise
aber auch daran liegen, dass sich die eine oder andere
Fraktion, während von der Bundesregierung die Darlegung eines klaren Meinungsbildes abgefordert wird, erst
in einem so unbefriedigenden Maße eine eigene Meinung gebildet hat, dass dieses Bild insgesamt so entstehen muss. Von daher geht es eher darum, eine Debatte
anzustoßen, bei der wir uns noch einmal der grundsätzlichen Frage annehmen, welche Gemeinsamkeiten bestehen, und diese dann in der Debatte voranzutreiben.
Andere Beiträge kamen in der Form eines leicht vorgezogenen, bereits fleischgewordenen Ostermarsches
daher.
({0})
Herr Kollege Gehrcke und Herr Kollege Schäfer, es
nutzt herzlich wenig, auf Diktionen und Begrifflichkeiten zurückzugreifen, die in den 80er-Jahren eine Rolle
gespielt haben, und in dem Kontext von derzeit zur Debatte stehenden zehn defensiven Abwehrraketen von
Rüstungswettlauf und Rüstungsspirale zu sprechen.
({1})
Man braucht schon sehr viel Fantasie, wenn man diese
Dinge mit dem Volumen, das wir Anfang der 80er-Jahre
hatten, in Zusammenhang bringt. Ich halte es für verantwortungslos, in dieser Frage so vorzugehen.
({2})
Es ist zur guten Übung geworden, sich sehr undifferenziert gegenüber jeder Ausprägung amerikanischer Sicherheitspolitik zu stellen. Es geht hier nicht darum, kritiklos zu sein. Es gibt auch für uns immer wieder Anlass,
gegenüber außenpolitischen Entscheidungen der Vereinigten Staaten Kritik zu üben. Das muss Teil unserer Politik und eigentlich auch unserer Außenpolitik bleiben.
({3})
Allerdings ist jede - das sage ich bewusst - pauschale
und unterschiedslose Verteufelung transatlantischer
Handlungen ebenso intellektuell beschränkt wie auch
unseren Sicherheitsinteressen nicht dienlich. Wir müssen
sehr aufpassen, wie wir uns in solchen grundsätzlichen
Fragen verhalten.
Überhaupt nichts hat man heute dazu gehört, ob es in
diesem Kontext nicht angebracht wäre, auch von Russland ein konstruktives Verhalten einzufordern. Von
Russland hört man gar nichts. Die USA kommen in jedem zweiten Halbsatz vor, aber Russland nicht, im Gegenteil: tränenblind und romantisch. Man denke nur an
die Putin’sche Philippika auf der Münchner Sicherheitskonferenz; diese Rede ist Ihnen möglicherweise wie ein
Geschenk aus dem Himmel in den Schoß gefallen und
Sie sind auch noch dankbar dafür.
({4})
- Ja, das mag wahr sein, Herr Gehrcke. - Aber diese
Dankbarkeit ist möglicherweise wechselseitig,
({5})
da auch Herr Putin Ihnen gegenüber Grund zur Dankbarkeit hat; denn Sie spielen jetzt exakt die Rolle, die Putin
Ihnen zugedacht hat.
({6})
Diese Rolle spielen Sie geschickt. Wir müssen sehr aufpassen - das sollten auch Sie beachten -, dass Sie nicht
durch Ihr Verhalten zum Vehikel russischer Spaltungsinteressen in Bezug auf die europäische Geschlossenheit
werden.
({7})
- Das sagen Sie, Herr Schäfer. Ich bin nicht aufgerufen,
das zu kommentieren. Aber so wichtig das deutsch-russische Verhältnis, auch ein besonders ausgeprägtes,
freundschaftliches deutsch-russisches Verhältnis, für uns
ist, so müssen wir doch alle sehr darauf achten, nicht nur
am Rocksaum russischer Interessen zu hängen, sondern
auch unsere eigenen, unsere europäischen Interessen zu
definieren. Da leisten Sie einen anderen Beitrag; das
festzustellen ist für uns sehr wichtig.
Machen wir uns keine Illusionen: Wenn tatsächlich
- das ist etwas, was wir von unseren russischen Freunden durchaus einfordern dürfen - auch Wladimir Putin
daran gelegen wäre, Aufrüstung zu vermeiden - das ist
ein Ziel, das wir alle in diesem Hause teilen -, dann
würde er konstruktiver auf bestehende Kooperationsangebote eingehen. Das dürfen wir nicht nur in Richtung
Vereinigte Staaten einfordern, sondern auch gegenüber
Russland. Das fordere ich. Stattdessen werden Kooperationsangebote, die bestehen, auch seitens der USA,
brüsk vom Tisch gewischt. Es werden Fantasiegebilde
über mangelnde Konsultationen und Ähnliches aufgebaut, obwohl solche seit Jahren stattgefunden haben.
Herr Trittin hat darauf hingewiesen.
Herr Trittin, dabei ist mir auch noch wichtig: Ein Ablenkungsmanöver ist der Gang in die NATO derzeit mit
Sicherheit nicht. Er wird seit Jahren praktiziert und muss
aufrechterhalten bleiben, da er weiterhin notwendig ist.
Aber es geht darum, dass man die Konzepte zielführend
miteinander koppelt. Das wird Zeit brauchen, auch weil
hier möglicherweise schon viele Chancen verpasst worden sind. Aber unser überragendes Interesse ist und
bleibt, über Kooperation ein gemeinsames Sicherheitsinteresse zu bedienen und die Partner einzubinden, die
möglicherweise Bedenken haben. Da sind die USA,
Russland und alle europäischen Staaten gefordert. Diese
Kooperation kann durch eine Anbindung an die NATO
und durch eine Koppelung unterschiedlicher Modelle erfolgen. Deswegen muss uns grundsätzlich nicht bange
sein. Das Thema sollte kein innenpolitisches werden.
Insbesondere sollte es nicht einseitig betrieben werden;
denn so werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich fände es gut, wenn wir bei dieser Debatte eine gewisse Gelassenheit zeigen würden; denn es ist wichtig,
vernünftig zu überlegen. Es wäre auch gut, wenn diese
Debatte letztlich dazu beitragen könnte, dass auf der einen Seite mehr Sachlichkeit erreicht wird, aber auf der
anderen Seite auch die Sorgen betont werden.
({0})
Deswegen ist es richtig, sich zu fragen, worum es
geht, ob die europäische Sicherheit oder vielleicht sogar
die strategische Stabilität tangiert ist und welche diplomatischen Alternativen möglich sind. Ich denke, niemand hier im Saal glaubt ehrlich, dass die Raketenabwehr, begrenzt auf Polen und Tschechien, wie sie zurzeit
diskutiert wird, die russischen Atomstreitkräfte bedrohen würde. Das glaubt sicher auch Präsident Putin nicht.
Andererseits muss man darüber nachdenken, dass
diese Raketenabwehr nur ein Teil ist; sie soll ja weltumspannend sein. Deshalb sollte man durchaus, wie wir es
von Egon Bahr, aber auch von Hans-Dietrich Genscher
gelernt haben, mit Empathie versuchen, diplomatische
Aktivitäten anzugehen. Das Bestreben der USA ist seit
vielen Jahren, im Grunde seit dem Sputnik-Schock bzw.
seit der Herausforderung durch die Kubakrise, unverwundbar zu sein, ihr Territorium unverwundbar zu halten. Das ist aber nicht das herausragende Problem. Das
herausragende Problem ist etwas anderes, nämlich dass
dieses Bestreben zurzeit mit einer Militärdoktrin kombiniert wird, die militärische Gewalt auch vorbeugend anwenden will.
Das trägt natürlich zur Verunsicherung bei. Es ist daher notwendig, hierüber eine Debatte in europäischen
Parlamenten und darüber hinaus zu führen.
Es war sinnvoll, dass der Außenminister und der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei diese Debatte
angestoßen haben und weiterhin führen. Wir Sozialdemokraten haben mit der Diskussion begonnen, nicht die
Linke, nicht die FDP und nicht die Grünen, die jetzt in
Alarmismus machen.
({1})
Wir sollten darüber nachdenken, was wir dieser neuen
Militärdoktrin entgegensetzen können.
Sie haben eben behauptet, dass der Außenminister in
den vergangenen Monaten zu wenig über Abrüstung gesprochen hat und zu wenig auf diesem Gebiet getan hat.
Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang daran, dass
diese Bundesregierung in Oslo einen Vertrag auf den
Weg bringen will, der ein Verbot von Streubomben beinhaltet. Das ist eine gute Initiative.
({2})
Diese Bundesregierung hat es im letzten Jahr geschafft, dass alle - damals noch 25 - Staaten der Europäischen Union eine gemeinsame Position zum Atomwaffensperrvertrag eingenommen haben. Der Außenminister
nutzt die Präsidentschaft in der Europäischen Union und
in der G 8, um auf das Thema Abrüstung aufmerksam zu
machen. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr Gelegenheit haben, mit den betreffenden Staaten über dieses
Thema zu reden.
Ich glaube also, wir tun gut daran, eine sachliche Diskussion zu führen. Wir sollten dabei nicht in die Wortwahl des Kalten Krieges zurückfallen.
({3})
Die Antwort auf die Frage, ob ein Waffensystem offensiv oder defensiv ist, bringt an dieser Stelle überhaupt
nichts. Es kommt nämlich darauf an, auf welcher Seite
man steht und wie man die Bedrohung wahrnimmt. Ich
glaube, das ist die Herausforderung, die Präsident Putin
- vielleicht auch im eigenen Interesse - angesprochen
hat. Aber auch Akteure wie die Volksrepublik China und
vielleicht auch Indien und andere haben eine ähnliche
Sichtweise.
({4})
Entscheidend ist, dass sich der Bundestag mit diesem
Thema beschäftigt. Deshalb finde ich es gut, dass sich
die Bundesregierung bereit erklärt hat, dafür zu sorgen,
dass darüber in verschiedenen Gremien gesprochen
wird, nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern innerhalb der NATO und auch innerhalb der Europäischen
Union. Warum nicht? Es sind ja nicht alle europäischen
Staaten, die davon betroffen sind, Mitglied der NATO.
Was ist die entscheidende Herausforderung? Der Herr
Bundesaußenminister hat in seiner Rede prominent angemerkt, dass der Atomwaffensperrvertrag stärker beachtet werden muss. Es ist in diesem Zusammenhang
wichtig, dass wir auf der Überprüfungskonferenz im
Jahre 2010 zu Fortschritten kommen. Der Bundesaußenminister will ferner die Verbreitung von Raketen, wovon
mittlerweile - das ist vorhin zu Recht angesprochen worden - 25 Staaten tangiert sind, durch ein neues Vertragsregime verhindern. Außerdem fordern wir den Iran auf,
seine militärischen Ambitionen im Rahmen seines
Atomprogramms aufzugeben.
Wir Sozialdemokraten nehmen den Koalitionsvertrag
ernst. Dort heißt es:
Vertraglich abgesicherte Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskontrolle sind zentrale Anliegen
der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
Ich denke daher, Abrüstung ist die beste Raketenabwehr.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Hans Raidel für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Angesichts Ihrer hervorragenden Rede, Herr
Bundesaußenminister, kann man sagen: Dies ist ein guter Tag für die Abrüstung. Viele Irritationen wären vielleicht vermeidbar gewesen, wenn diese Rede schon früher hätte gehalten werden können.
Lieber Herr Mützenich, Sie kennen die Gedanken des
Herrn Außenministers sehr genau. Es wäre sicherlich
hilfreich gewesen, wenn dieses Gedankengut auch von
Ihrer Partei hätte unterstützt werden können und wenn
manche Irritationen der letzten Zeit außerhalb des Bundestages hätten kanalisiert werden können.
Aber das ist alles Schnee von gestern. Wir befinden
uns auf einem hervorragenden Wege. Wir sollten die Gedanken des Außenministers aufnehmen und sie in entsprechende Aktionen umsetzen. Ich empfehle - Einzelheiten will ich mir ersparen - zwei hervorragende
technische Ausarbeitungen Ihres Hauses, Herr Bundesverteidigungsminister, die verteilt worden sind. Darin
sind alle Einzelheiten über die jeweiligen Systeme dargestellt. Es gibt darin eine hervorragende Beschreibung
der Missile-Defense-Flugkörperabwehrsysteme.
Im Weißbuch, das herausgebracht worden ist, werden
die Sicherheitsinteressen Deutschlands beschrieben. In
diesem Zusammenhang ist die Sicherheitsvorsorge ein
ganz wesentliches Element. Angesichts dessen, dass wir
im Bereich der Flugkörperabwehr zum Handeln kommen wollen, weil aufgrund von Machbarkeitsstudien die
notwendigen technischen Ideen vorliegen und es sich
zeigt, dass innerhalb weniger Jahre tatsächlich eine Stationierung und Umsetzung erfolgen kann, verstehe ich
nicht ganz, warum jetzt plötzlich wieder Vorbehalte in
Richtung USA zur Geltung kommen. Wir sagen doch
ständig: Sicherheit in Europa ist ohne die USA nicht darstellbar. Die transatlantische Gemeinschaft muss gestärkt werden. - Damit verträgt es sich nicht, dass der
europäische Pfeiler seine Statik verliert und ins Wackeln
kommt und die Amerikaner in ihren Bemühungen, neben der eigenen Sicherheit auch für unsere Sicherheit zu
sorgen, abgedrängt und möglicherweise in die falsche
Ecke gestellt werden.
In der Sicherheitsanalyse zum Weißbuch sprechen wir
auch davon, dass beispielsweise die Bundeswehr im
Sinne der Transformation neu gestaltet werden muss, um
die neuen Herausforderungen bewältigen zu können.
Was auf dieser sehr praktischen Seite notwendig ist, ist
natürlich erst recht vor dem Hintergrund einer anderen
Betrachtungsweise notwendig. Wir alle stimmen darin
überein, dass wir neben den tatsächlichen Handlungen
insbesondere die politische Seite, die politischen Systeme und die Vertragsregime neu bewerten und stärken
müssen und dass eine Neujustierung zu erfolgen hat. Wir
müssen abwägen, an welcher Stelle wir das zusammen
mit unseren Partnern machen müssen und an welcher
Stelle wir ihnen durchaus auch sagen müssen: Das ist
nicht unsere Position. Darüber müssen wir im Sinne der
gemeinsamen Stärke nachdenken. Wir müssen natürlich
auch in der Lage sein - darauf wurde hingewiesen -, der
„Gegenseite“, also beispielsweise Russland, zu sagen,
dass es sich kooperationsfähiger verhalten muss, als dies
in der einen oder anderen Frage der Fall war.
Es ist überhaupt nicht erwähnt worden, dass Russland
derzeit seine Raketenfähigkeit erweitert und erneuert
und im Bereich der Abwehrmöglichkeiten neue Installationen vornimmt. Man hat es nicht zuletzt auf der Sicherheitskonferenz in München verstanden, eine Art Paravent aufzustellen und dahinter genau das zu machen,
was man anderen vorwirft. Ich begreife nicht, dass man
sich in der deutschen Presse und der deutschen Öffentlichkeit - es wurde darauf hingewiesen - teilweise unangemessen vor den russischen Karren spannen lässt.
Wir alle kennen die Bedrohungsszenarien aus dem
Iran und aus Korea. Wir wissen, dass das nur Beispiele
sind und viele andere Länder ihren vermeintlichen Nachholbedarf in diesen Bereichen entsprechend expansiv
technisch ausgestalten wollen. Ich stimme sehr damit
überein, dass wir ein Schrittfolgekonzept entwickeln,
über das sowohl in der NATO als auch auf EU-Ebene
diskutiert wird, und es entsprechende Verschränkungen
und Verzahnungen gibt.
Ich wäre dankbar, Herr Außenminister und Herr Verteidigungsminister, wenn wir mit unseren Möglichkeiten
nicht nur Schrittmacherdienste leisten und anderen helfen, sondern es auch gemeinsam schaffen würden, wieder eine Lokomotive in Abrüstungsfragen zu werden; so
habe ich Sie verstanden. Ich meine, wir im parlamentarischen Bereich sind sicherlich quer durch alle Fraktionen
bereit, diese Bemühungen nachhaltig zu unterstützen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ursula Mogg für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei manchem Redebeitrag heute Nachmittag darf man
sich schon etwas verwundert die Augen reiben bzw. die
Ohren putzen, weil es sich doch tatsächlich um eine Debatte handelt, die wir als Außen- und Sicherheitspolitiker schon seit längerer Zeit führen, nämlich die Debatte
um die internationalen Abrüstungsbemühungen bzw.
über das Thema Raketenabwehr.
Ich gebe zu, dass es jetzt im Blätterwald ganz gewaltig rauscht. Dieses Rauschen im Blätterwald hat natürlich Auslöser, und zwar die Stationierungsentscheidungen in Polen und Tschechien. Die Debatte ist zu sehen
im Kontext einer neu wahrgenommenen Bedrohung,
nämlich der Bedrohung aus dem Iran. Natürlich - das ist
schon mehrfach zitiert worden - wurde sie auch ausgelöst durch die Rede von Präsident Putin in München. Wir
haben vor diesem Hintergrund aber auch jeden Grund,
die Aufgeregtheit wieder herunterzufahren und zum
Kern der Debatte zurückzukommen. Der Außenminister
hat sehr zu Recht darauf hingewiesen, dass darin auch
eine große Chance für die Themen, die wir miteinander
zu bereden haben, liegt. Worüber also müssen wir sprechen?
Wir müssen reden über Bedrohungsanalysen der USA
und über US-Interesse - das ist selbstverständlich. Wir
müssen sprechen über russische Perzeption und russische Interessen sowie natürlich auch über Auswirkungen
des Themas auf die strategische Stabilität. Wir müssen
miteinander sprechen über die Positionierung der NATO,
im Übrigen inklusive der politischen Zusage, die die
NATO Anfang der 90er-Jahre gemacht hat, keine Atomwaffen und anderen strategischen Systeme in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten zu installieren. Wir
haben zu sprechen über die Korrelation zwischen USProjekten und den Arbeiten der NATO. Es ist noch völlig unklar, wie wir das alles zusammenbringen können.
Wir haben zu sprechen über den Kontext der EU;
auch darauf ist hingewiesen worden. Wer wird die deutsche Verantwortung zurückweisen wollen, gerade vor
dem Hintergrund unserer aktuellen EU-Präsidentschaft
und darüber hinaus der Debatten, die wir im herausgehobenen deutschen und europäischen Interesse zu führen
haben? Es geht um eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik; auch das ist heute Nachmittag schon mehrfach unterstrichen worden.
Es geht um eine ehrliche Positionierung in der sicherheitspolitischen Welt des 21. Jahrhunderts. Wir leben
ganz offensichtlich unter anderen Bedingungen. Es geht
um die technische Machbarkeit; die Experten streiten bekanntlich darüber. Es geht um Abrüstung und darum,
eine neue Rüstungsspirale zu verhindern. Es geht im
Kern auch wieder um die Debatte, mehr Frieden mit weniger oder keinen Waffen - eine schöne Idee - zu fördern. Es geht um Vertrauensbildung; der Außenminister
hat darauf hingewiesen: Misstrauen ist ein schlechter
Berater. Es geht um Glaubwürdigkeit.
Wenn ich all diese Punkte nenne, dann darf ich auch
sagen: Diese Liste ist so ganz sicher nicht vollständig. Es
gibt noch sehr viel mehr. Was noch ganz wichtig ist: Wir
haben auch Zeit für diese Debatte. Manche Formulierung heute Nachmittag bezog sich darauf, ob das eine
oder andere passiert: falls der Iran in den Besitz von
Atomwaffen kommt, falls Nordkorea weiter aufrüstet,
falls es dann keine Stützpunkte in Europa gibt. All diese
Worte weisen darauf hin, dass wir durchaus noch Zeit
haben, zu diskutieren. Das gilt im Übrigen auch für die
Debatten in Polen und in Tschechien, so wie das in demokratischen Gesellschaften eben üblich ist.
Wichtig ist zudem, dass die offiziellen Wortmeldungen - sowohl das, was wir aus den USA hören, als auch
das, was wir aus Russland hören - eine Chance für eine
solche Debatte signalisieren. Ich rate an der Stelle dazu,
vielleicht noch einmal die Rede von Präsident Putin in
München nachzulesen; auch er hat nämlich Gesprächsbereitschaft signalisiert. Wir brauchen einen ruhigen und
offenen Beratungsprozess ohne antirussische und ohne
antiamerikanische Reflexe. Die jüngsten Diskussionen
haben gezeigt, dass man diese Themen nicht ohne Russland diskutieren kann. Wir sollten die Russen im Sinne
einer gemeinsamen Sicherheit beim Wort nehmen.
Dass wir als Sozialdemokraten in unserer Fraktion
nicht so schlecht aufgestellt sind, was diese Frage betrifft, haben wir bewiesen. Lieber Kollege von Klaeden,
ich darf Sie als Koalitionskollegen ansprechen: Ich darf
Ihnen versichern, dass wir keinesfalls irgendwelchen
russischen Ideen aufgesessen sind.
In der derzeitigen Situation haben wir außerdem über
folgende Fragen zu diskutieren: Wie schützen wir unsere
Soldaten im Einsatz? Welche Antworten geben wir auf
die sicherheitspolitischen Herausforderungen insgesamt, auf die asymmetrische Bedrohung, auf die tägliche
Gewalt in den Straßen von Kabul und anderswo? Diese
Fragen werden uns weiter beschäftigen. Wir sollten uns
die Zeit nehmen, fundiert zu diskutieren und zu analysieren.
Schließlich ist es mir ein Bedürfnis, auf eine Wortmeldung des vergangenen Tages einzugehen.
Kollegin Mogg, das geht jetzt wirklich nicht mehr.
Der letzte Satz!
Es kommt jetzt mein allerletzter Satz. - Ein ehemaliger General hat uns sinngemäß vorgeworfen, im Deutschen Bundestag säßen eigentlich nur manipulierte Deppen, die nicht verstehen, wovon sie reden. Wenn wir
seinem Rat gefolgt wären, wären heute deutsche Soldaten im Irak. So gut kann der Rat also nicht gewesen sein.
Wir haben allen Grund, selber nachzudenken.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jörn Thießen für die SPDFraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 100 Prozent der Menschen in Europa sind auf
einen Schirm vorsorgender Sicherheit angewiesen; bedauerlicherweise interessieren sich 99 Prozent der Menschen nicht dafür, wie dieser Schirm hergestellt wird. Er
wird auf der einen Seite sicherlich militärisch hergestellt, mit viel Geld, mit viel Engagement. Auf der anderen Seite wird ein Schirm von Sicherheit in unseren Gesellschaften immer nur dann tragbar und sinnvoll sein,
wenn er die Mischung aus ziviler Entwicklung und militärischer Schutzfunktion erfüllt.
Wir, die SPD-Fraktion, begrüßen die Initiative unseres Außenministers Steinmeier, aus der Debatte um die
amerikanische Raketenabwehr eine gemeinsame sicherheitspolitische Position der NATO und damit eine lebendigere NATO entstehen zu lassen. Die NATO ist eben
nicht - manche hätten das gerne - eine ältere Tante, deren Stuhl man bei Familienfeierlichkeiten lieber auf die
Veranda stellen möchte.
({0})
Die NATO gehört in die Mitte der Diskussion. Die
NATO muss sich so fortentwickeln, dass sie - wie die
traditionelle deutsche Außen- und Sicherheitspolitik einen kooperativen, dialogorientierten Ansatz verfolgt.
({1})
Der Außenminister setzt sein ganzes, relativ ubipräsentes Gewicht dafür ein,
({2})
dass dieser Ansatz auch im Zusammenhang mit der Raketenabwehr verfolgt wird. Wie ich höre, unterstützen
ihn dabei jetzt auch die Freien Demokraten nach Kräften. Dafür danken wir; denn das ist im deutschen Interesse und zugleich eine globale Notwendigkeit.
Unsere gemeinsamen Bedürfnisse verlangen, dass die
Rüstungskontrolle weitergeht. Sie sollte im Sinne der gemeinsamen Sicherheit gemeinsam entwickelt und nicht
konfrontativ gegeneinander betrieben werden. Deswegen
begrüßen wir den jüngsten Beschluss des NATO-Russland-Rates, bündnisübergreifende Gespräche über die
Raketenabwehr intensiv fortzusetzen. Der nächste Schritt
ist vereinbart: der Meinungsaustausch im NATO-Russland-Rat unter Hinzuziehung von Experten aus den
Hauptstädten. Das ist richtig so.
Frau Kollegin Hoff, ich stimme Ihnen zu: Entweder
ist die Sicherheit Europas unteilbar oder sie besteht
nicht. Dass die Türkei, Griechenland, Italien, Südosteuropa von dem geplanten Schirm nicht abgedeckt würden
- darum dreht sich die Diskussion -, ist nur die Hälfte
der Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit ist nämlich: Wir müssen uns darüber Gedanken machen, woraus
ein solcher effektiver Schirm besteht und wie wir gemeinsam - militärisch, aber eben auch diplomatisch - einen solchen Schirm aufbauen.
Die Vereinigten Staaten planen die Installation einer
Radaranlage in Tschechien und einer dritten geostrategischen Basis mit zehn Raketen in Polen; sie bauen bereits Anlagen in Alaska und Kalifornien.
Die erste Basis soll 2008 mit 38 Raketen in Alaska in
Betrieb gehen. Im Endausbau aller drei Basen sollen
54 Flugkörper stationiert werden.
Zurzeit wollen wir uns in diese bilateralen Verhandlungen zwar nicht einmischen, aber es gilt das Zitat des
NATO-Generalsekretärs: Wenn es in Moskau die Wahrnehmung gibt, man sei umzingelt, dann muss man diese
Wahrnehmung ernst nehmen. - Kein Problem lässt sich
nämlich erschießen, und Raketen sind keine Problemabwehr. Das wissen wir. Das ist Konsens in diesem Hohen
Hause. Aber das wissen, Gott sei es geklagt, eben nicht
alle, und deswegen müssen wir gewappnet sein.
Strategische Raketenabwehr ist nicht nur eine militärisch-technische Herausforderung, sondern berührt vor
allem politisch sensible Themen: die umfassende Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung. Dafür
haben wir heute eine Lehrstunde gehabt. Kurt Beck und
Frank-Walter Steinmeier haben völlig zu Recht darauf
hingewiesen,
({3})
dass diese komplizierten Fragen in einem ruhigen und
offenen Beratungsprozess erörtert werden müssen. Das
ist Europas Stärke, und diese Stärke wenden wir an. Ein
Tunnelblick nach Osten oder ein Tunnelblick nach Westen sind Reflexe des Kalten Krieges und in diesem Sinne
auch diesem Hause nicht angemessen.
Es wird unsere Aufgabe sein, alle Beteiligten im
Auge zu behalten und, wenn es geht, gemeinsam an einen Tisch zu bekommen, bis die Fragen geklärt sind. Wir
haben die Stärke, vermittelnd zu wirken, und zwar zwischen dem Wunsch der Russen, an einem Abwehrschirm
beteiligt zu werden, und den amerikanischen Versuchen,
es doch lieber alleine zu machen, auch aufgrund des unter Umständen vorhandenen Misstrauens gegenüber
Moskau. Das halte ich für unsere zentrale Aufgabe.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. März 2007,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen erfolgreichen Abend.