Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/9/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 f auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäfti- gungschancen älterer Menschen - Drucksachen 16/4371, 16/4421 - - Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- besserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen - Drucksache 16/3793 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 16/4578 - Berichterstattung: Abgeordnete Kornelia Möller bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/4581 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Roland Claus Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer - zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Beschäftigungspolitik für Ältere - für ein wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept - zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bun- desagentur für Arbeit ermöglichen - Künst- lerdienste sichern - Drucksachen 16/241, 16/3027, 16/3779, 16/4578 - Berichterstattung: Abgeordnete Kornelia Möller c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung ({3}) - Drucksachen 16/4372, 16/4420 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung ({4}) - Drucksache 16/3794 Redetext Vizepräsidentin Petra Pau Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) - Drucksache 16/4583 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß ({6}) d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({7}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Nein zur Rente ab 67 - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Brigitte Pothmer, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Neue Kultur der Altersarbeit - Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung an längere Rentenlaufzeiten - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider ({8}), Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Stichtagsregelung für die Altersteilzeit im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz ({9}) verlängern - Drucksachen 16/2747, 16/3812, 16/3815, 16/4583 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß ({10}) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({11}), Klaus Ernst, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Altersteilzeit fortentwickeln - Drucksache 16/4552 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({12}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({13}), Klaus Ernst, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Rente mit 67 - Berichtspflicht zum Arbeitsmarkt nicht verwässern - Bestandsprüfungsklausel konkretisieren - Drucksache 16/4553 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({14}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Zu dem Entwurf eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz - „RV“ soll wohl „Rentenversicherung“ heißen -, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP, Die Linke sowie des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Franz Müntefering. ({15})

Franz Müntefering (Minister:in)

Politiker ID: 11001570

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Konzept der Bundesregierung zum Übergang vom Erwerbsleben ins Rentenalter enthält vier zentrale Elemente: Erstens. Die Anhebung des Renteneintrittsalters - schrittweise von 2012 an bis zum Jahre 2029 - auf 67 Jahre, mit Sonderregelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit 45 Beitragsjahren. Zweitens. Die Erhöhung der Beschäftigungschancen Älterer mit der Initiative „50 plus“. Über diese beiden Punkte entscheidet der Deutsche Bundestag, entscheiden wir heute. Der dritte Punkt des Konzepts heißt: Ausbau der betrieblichen Säule und der privaten Säule - Riesterrente zusätzlicher Altersvorsorge. Und viertens. Das Bemühen um alternsgerechte und altengerechte Arbeit und die Ausgestaltung der Phase des Übergangs von der Beschäftigung zur Rente. Diese beiden Elemente stehen noch zur Diskussion und zur Entscheidungsfindung an. Wer vor 50 Jahren sein Berufsleben begann, der kennt noch die 48-Stunden-Woche und weiß, dass damals im Schnitt zehn Jahre lang Rente gezahlt wurde. Heute haben wir die 35-bis-40-Stunden-Woche und zahlen 17 Jahre lang Rente. Wir treten im Durchschnitt nicht mehr mit 16 ins Berufsleben ein, sondern mit 21. Wir arbeiten auch in Zukunft nicht länger, sondern weniger lang als die Generationen vor uns. 1960 kamen auf einen Rentner acht Personen im Erwerbsalter. Heute sind es 3,2 Personen. ({0}) 2030 werden auf einen Rentner noch 1,9 Personen im Erwerbsalter kommen; die Rente würde dann durchschnittlich 20 Jahre lang gezahlt. Man kann das alles ignorieren. Klug wäre das nicht und verantwortlich schon gar nicht. Wir haben aber die Verantwortung, und zwar für heute und für morgen, auch für die kommenden Generationen. Wir müssen handeln. ({1}) Das Problem ist nicht neu, und einiges ist in den vergangenen Jahren schon getan worden, um die Balance zwischen den Generationen zu wahren und um das System der beitragsgestützten Alterssicherung, der klassischen Rente, zukunftsfest zu machen und so lukrativ wie möglich zu halten. Der Rentenniveausatz sinkt bis 2030 auf rund 43 Prozent. Die Rentenversicherungsbeiträge sollen bis 2020 nicht über 20 Prozent, bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen. Der Eintritt aus Arbeitslosigkeit in vorgezogene Rente mit Abschlag ist bald erst mit 63 Jahren möglich. Aus der Bundeskasse fließen jährlich rund 78 Milliarden Euro in indirekte oder direkte Rentenzahlungen - übrigens: 78 Milliarden Euro von 265 Milliarden Euro, die der Haushalt insgesamt umfasst. Ich sage das für die, die schlichtweg mehr Geld aus der Steuerkasse fordern. Auch um diese Perspektive nicht leichtfertig ins Rutschen zu bringen, verschieben wir das Renteneintrittsalter ab 2012 in achtzehn Jahresschritten bis 2029 von 65 auf 67 Jahre. Meine Damen und Herren, wenn daran Kritik geübt wird, gibt es vor allen Dingen zwei Fragen, die man ernst nehmen muss. Die erste Frage heißt: Gibt es denn Arbeit für die, die schrittweise länger arbeiten sollen und wollen? Die zweite Frage lautet: Kann man physisch und psychisch bis 67 Jahre arbeiten? Zur Antwort auf die erste Frage, ob es denn Arbeit gibt, trägt die Initiative „50 plus“ bei, die wir heute ebenfalls auf den Weg bringen. 1998 waren 39 Prozent der über 55-Jährigen in Deutschland in Beschäftigung. Heute sind es 48 Prozent. Noch vor 2010 wollen wir bei über 50 Prozent sein. Ich habe keinen Zweifel, dass wir das schaffen werden. ({2}) Ich bin sicher, das schaffen wir so wie die skandinavischen Länder auch. Dort liegt diese Zahl bei über 70 Prozent. So anders als bei uns sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen dort nicht. Seit Anfang 2006 ist die Zahl der Arbeitslosen in der Gruppe der über 50-Jährigen in Deutschland um 170 000 gesunken. Es gibt zurzeit 853 000 offene Stellen in Deutschland, 624 000 davon sind unmittelbar bei der BA gemeldet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheidend ist, ob wir als Gesellschaft wollen. Ob wir wollen, dass Arbeitnehmer nicht mehr mit 50, 55 oder 60 Jahren als unbrauchbar ausgegliedert werden. Ob wir wollen, dass sie eine echte Chance haben. Wir jedenfalls wollen das. ({3}) Allerdings müssen einige große Unternehmen damit aufhören, ihre Mitarbeiter auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme so früh wie möglich in die Frühverrentung zu drängen. ({4}) Die Initiative „50 plus“ nimmt bestehende Aktivitäten auf, die schon seit einigen Jahren zu Erfolgen führen, und gibt ihnen neue Impulse. Viele Firmen erkennen inzwischen den Vorteil eines vernünftigen Altersmix in ihrer Belegschaft. Es tut sich etwas. Das verstärken wir mit unserer heutigen Entscheidung. Durch Kombilohn, Eingliederungszuschuss und Weiterbildungsangebote wird die Integration der über 50-jährigen Arbeitslosen von der BA und vom Bund gefördert. Die Initiative „50 plus“ kann ein neuer Anfang werden. Man muss es, wie gesagt, nur wollen. Auf die zweite Frage, ob man überhaupt bis 67 arbeiten kann, gibt es zwei Antworten, die einander ergänzen: Die erste Antwort lautet: Man kann. In zahlreichen Berufen geht das, aber nicht in allen. Wir müssen in einer älter werdenden Gesellschaft systematisch darangehen, altersgerechte Arbeiten und altengerechte Arbeiten zu entwickeln und zu aktivieren. Die Humanisierung der Arbeitswelt, der Arbeitsschutz ist wichtig. Das ist keine Aufgabe von gestern und vorgestern, sondern bleibt eine zentrale Herausforderung. ({5}) Arbeit wird immer anstrengend sein; keine Illusion. Der Verschleiß ist unabwendbar. Aber durch aktiven Arbeitsschutz, gezielte Prävention und vernünftige Arbeitszeitgestaltung ist ein Teil der Belastungen vermeidbar, die heutzutage insbesondere zulasten der Augen, des Rückens und der Psyche gehen. Ich fordere Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, sich dieser Herausforderung bewusst und gezielt zu stellen. Seitens der Politik werden wir helfen, soweit das nur geht. ({6}) Aber das ist eine Aufgabe, die vor Ort in den Betrieben bewältigt werden muss. INQA ist eine Initiative, in der bereits eine Reihe von Firmen, unterstützt von der Politik, an dieser Herausforderung arbeiten, und zwar mit Erfolg. Die zweite Antwort auf die Frage, ob man überhaupt bis 67 arbeiten kann, lautet: Das ist individuell sehr unterschiedlich. Deshalb braucht man individuelle Antworten. Sie hängen davon ab, welche Arbeit getan werden soll. Das Argument, dass der 66-jährige Maurer nicht mehr oben auf dem Gerüst stehen kann, ist in sehr vielen Fällen richtig. Der 64-jährige Maurer kann das allerdings auch nicht mehr. ({7}) Wenn Invalidität gegeben ist, wird es auch in Zukunft die teilweise oder volle Erwerbsminderungsrente geben. Teilrente bleibt grundsätzlich möglich, und die Frage nach dem Zuverdienst ist gestellt. Altersteilzeit in der klassischen - überwiegend praktizierten - Form wird es auch über 2009 hinaus geben. Der Eintritt in die vorgezogene Rente ab 63 muss nicht zu den vollen Abschlägen führen, wenn rechtzeitig dafür gesorgt wird, dass mit Zusatzbeiträgen an die Rentenversicherung gegengesteuert wird. Arbeitszeit- und Wertkonten können in Tarifverträgen eine größere Rolle spielen als bisher. Das alles sind Punkte, die - systematischer als bisher für den Übergang aus dem Erwerbsleben in die Rente genutzt werden können. Wichtig für die materielle Sicherheit im Alter ist, ob es uns in Deutschland gelingt, generell den Wohlstand zu halten und zu mehren oder nicht. Neben die gesetzliche Rente, die das Kernstück der Alterssicherung in Deutschland bleiben wird, muss zunehmend die zusätzliche Altersvorsorge treten. Rund 17 Millionen Menschen nehmen an einer betrieblichen Altersvorsorge teil. Inzwischen sind über 8 Millionen in die Riesterrente eingestiegen. Hier wollen wir im Laufe des Jahres noch eine Verbesserung erreichen. Die Koalition will, dass Familien mit aufwachsenden Kindern in der Riesterrente noch stärker gefördert werden als bisher. Wir wollen zudem - da muss die Gestaltung noch vereinbart werden - den Ankauf von selbstgenutztem Wohneigentum oder Wohnrechten über die Riesterrente noch deutlicher als bisher ermöglichen. ({8}) Wir haben den Insolvenzschutz für die Betriebsrenten verbessert. Wir stützen den Anspruch auf Portabilität solcher Vorsorge. Wenn die Firma insolvent wird oder wenn der Arbeitnehmer das Unternehmen freiwillig wechselt, bleibt die angesparte Altersvorsorge sicher; dafür garantieren wir. Wenn die Erhöhung des Renteneintrittsalters 2012 konkret wird, wird die Initiative „50 plus“ schon fünf Jahre wirken. Sie wird auch darüber hinaus die Erhöhung des Renteneintrittsalters flankieren. Die heutigen Entscheidungen sind richtig. Es gibt keinen Grund, den Menschen in Deutschland wegen dieser Entscheidungen Angst zu machen. Im Gegenteil: Unser Land braucht den Erfahrungsschatz, das Wissen und das Können der älteren Generation, um seine Wohlstandsfähigkeit auch in Zukunft zu behalten. ({9}) Wir sichern damit auch die Spielräume für verstärkte Qualifizierung, Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Im Jahr 2010 wollen wir in Deutschland 3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben. Für den Bund bedeutet das, dass er rund 6 Milliarden Euro mehr für diese Zwecke einsetzen muss. Diese Investition in die Innovationsfähigkeit unseres Landes ist keine Garantie, aber die einzige Chance, dass Deutschland auch in Zukunft Hochleistungsland und Wohlstandsland bleibt und damit auch ein Land mit insgesamt guter Alterssicherung. Denn das sind wir. Es gibt arme Rentnerinnen und Rentner; das ist wahr. Ihnen haben wir mit der Grundsicherung eine materielle Garantie gegeben. Wahr ist aber auch: Es gab noch nie eine Generation Älterer, die so zuverlässig und so stabil sozial abgesichert war wie diese; das soll so bleiben. Dafür kämpfen wir als Regierung und als Koalition. ({10}) Die vorgezogene Rente mit 63 wird 2029 in einem Hochleistungsland höher sein als eine volle Rente mit 67 in einem Land, das an Schwung verloren hätte. Wir müssen Hochleistungsland bleiben wollen. Deutschland darf seinen Wohlstand nicht verlieren. Wir müssen jetzt in die Zukunftsfähigkeit des Landes investieren. Was wir für die Kinder und die jungen Menschen sowie die Weiterbildung ausgeben, ist der beste Garant dafür, dass die Rente in Deutschland auch in Zukunft sicher ist und dass die ältere Generation dann in einem Wohlstandsland eine Rente hat, von der sie leben kann. Wir müssen den Gesamtzusammenhang sehen. Was wir jetzt in die Köpfe und Herzen der jungen Menschen sowie in Ausbildung, Qualifizierung, Forschung und Technologie investieren, bildet die Grundlage dafür, dass 2020, 2030 die Renten in Deutschland hoch sein werden, und zwar so hoch, dass die Menschen davon ordentlich leben können. Das wollen wir. Und das können wir. Mit den heutigen Entscheidungen helfen wir, dies vorzubereiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die steigende Lebenserwartung der Menschen in unserem Land stellt wegen der damit verbundenen längeren Rentenbezugsdauer eine große demografische Herausforderung für die gesetzliche Rentenversicherung dar. Die Antwort auf diese Herausforderung erfordert nach unserem Dafürhalten einen Paradigmenwechsel, also einen grundlegend neuen Ansatz bei der Gestaltung des Übergangs von der Arbeit in die Rente. Nicht mehr ein möglichst frühes Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess, sondern eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben muss zum neuen Leitbild werden. ({0}) Denn tatsächlich sind in der Vergangenheit im Rahmen der Altersteilzeit ältere Arbeitnehmer regelrecht aus dem Erwerbsleben gedrängt worden. Viele haben die Frühverrentung bzw. die Altersteilzeit aber auch bewusst als einen vergleichsweise sicheren Hafen in Zeiten einer schwierigen Arbeitsmarktlage für Ältere angesteuert. Die Rente mit 67 ist nicht die einzige Möglichkeit, der demografischen Herausforderung zu begegnen. Die FDP setzt diesem Ansatz das Konzept eines flexiblen Übergangs in die Rente bei gleichzeitigem Wegfall der Zuverdienstgrenzen entgegen. Bevor ich Ihnen unser Konzept erläutere, will ich kurz darauf eingehen, warum wir Ihren Gesetzesvorschlag zur Rente mit 67 ablehnen. ({1}) - In der Anhörung ist sehr deutlich geworden, wo die Schwachpunkte liegen, Herr Brauksiepe. Das ist zum einen die Tatsache - insofern muss ich dem Minister widersprechen -, dass der weit überwiegende Teil der Betroffenen keine Chance haben wird, bis zum Erreichen des neuen Renteneintrittsalters von 67 Jahren zu arbeiten. ({2}) Professor Rürup - Ihr Berater, Herr Müntefering - hat in der Anhörung offen gesagt, es werde unterstellt, dass 40 Prozent der Betroffenen tatsächlich diese zwei Jahre länger arbeiteten. Das ist schon sehr viel, wenn wir bedenken, dass zurzeit nur noch 22 Prozent der Rentenzugänge aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erfolgen. Wollen Sie ernsthaft behaupten, Herr Müntefering, Ihr Konzept „50 plus“ - der zweite Aufguss von Instrumenten, die sich schon in der Vergangenheit als wirkungslos erwiesen haben - werde die Situation grundlegend ändern? Das können Sie getrost vergessen. Ich denke, Ihr Gesetzentwurf zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen ist genauso ein Etikettenschwindel wie das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen. Was Sie uns damit präsentieren, ist weiße Salbe. Es ist alter Wein in alten Schläuchen. Die Wirkung liegt nahe bei null. ({3}) Wenn Sie das anders sehen würden, Herr Kollege Brandner und Herr Kollege Schaaf, dann hätten Sie doch in der Abstimmung in Ihrer Fraktion die Überprüfungsklausel mit einem konkreten Beschäftigungsziel scharf schalten können und sich daran messen lassen, welche Verbesserungen bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich erreicht werden können. Das haben Sie aber nicht getan. ({4}) Das ist der eine Punkt, den wir kritisieren. Ein weiterer Punkt sind die massiven verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Bedenken, die in der Anhörung vorgetragen wurden und die Ablehnung Ihres Konzeptes zwingend erforderlich machen. Sie haben nämlich bei dem Versuch, die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 etwas „aufzuhübschen“, eine Ausnahmeregelung für besonders langjährig Versicherte in den Gesetzentwurf aufgenommen, die auf breiten Widerspruch der Sachverständigen wie auch der Deutschen Rentenversicherung selbst gestoßen ist. Kritisiert wird, dass das Vorhaben gegen das Prinzip der Teilhabeäquivalenz verstößt und Frauen, Arbeitslose und freiwillig Versicherte keine Chance haben, von dieser Sonderregelung Gebrauch zu machen. Insofern gibt es gute Gründe, mit der Deutschen Rentenversicherung die Verfassungsmäßigkeit zu bezweifeln und mit dem Deutschen Juristinnenbund die Unvereinbarkeit mit europäischem Recht festzustellen. Auf diese massive Kritik haben Sie aber nicht reagiert. Sie haben keine Änderungsanträge vorgelegt, um den Bedenken Rechnung zu tragen. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Struck’sche Gesetz, wonach angeblich nichts so aus dem Bundestag herauskommt, wie es hineingegangen ist. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Motto lautet vielmehr: Augen zu und durch. ({5}) Ich kann mir vorstellen, dass die SPD-Fraktion nach den jüngsten Umfragen am liebsten ganz auf die Debatte zur Rente mit 67 verzichtet hätte. Aber dass Sie uns zumuten, in eineinhalb Stunden zwölf Vorlagen im Parlament durchzuhecheln, und dass Sie in einer Sitzung des federführenden Ausschusses die Aussprache gar ganz verweigert haben, ({6}) zeigt, dass es Ihnen lieber ist, ein mängelbehaftetes Gesetz im Rekordtempo durch das Parlament zu peitschen, als gemeinsam nach einer tragfähigen Lösung zu suchen. ({7}) Wir legen Ihnen heute einen Entschließungsantrag vor, der Eckpunkte eines Konzeptes für einen flexiblen Übergang in die Rente enthält, den sich einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zufolge zwei Drittel der Befragten wünschen und den wir für besser geeignet halten, den Bedürfnissen der Menschen nach individueller und abgesicherter Lebensgestaltung im Alter gerecht zu werden. ({8}) Ich will Ihnen dieses Konzept in seinen Grundzügen beschreiben. Erstens soll nach unserem Konzept für alle Versicherten ab 60 Jahren der Rentenzugang möglich sein, wobei die Versicherten wählen können, ob sie eine Vollrente oder eine Teilrente aus den bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Entgeltpunkten beziehen wollen. Voraussetzung für den flexiblen Rentenzugang ist alleine die Grundsicherungsfreiheit. Die Prüfung erfolgt für die Bedarfsgemeinschaft, sodass in der Regel auch Frauen der flexible Rentenzugang ermöglicht wird. Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Versicherten diese Möglichkeit werden nutzen können. ({9}) Zweitens. Die Grenzen für Zuverdienst neben dem Rentenbezug werden aufgehoben. Die Versicherten entscheiden selbst, ob und in welchem Umfang sie neben einem Rentenbezug noch erwerbstätig sein wollen. ({10}) Dadurch wird es möglich, den Lebensstandard auch bei einem vorzeitigen Rentenbezug zu halten. Für den Zuverdienst werden Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Die durch die Rentenbeiträge erworbenen Entgeltpunkte können vom Arbeitnehmer zur Erhöhung der eigenen Rente eingesetzt werden. Drittens. Es gibt einen individuellen Zugangsfaktor, mit dem berücksichtigt wird, wie lange der Versicherte arbeitet. Je länger er arbeitet, desto höher sind der Zugangsfaktor und damit die Rente. Es erfolgt eine für jede Alterskohorte, für jeden Jahrgang individuelle Berechnung des Rentenwertes. Dadurch wird eine gerechte Verteilung der Lasten der Alterung auf die verschiedenen Jahrgänge erreicht, während im Gesetzentwurf der Koalition die Jahrgänge 1964 bis 1979 besonders stark belastet werden. Viertens. Wir wollen eine flankierende Reform des Arbeitsmarktes, sodass diejenigen, die aufgrund der verstärkten Anreize länger arbeiten wollen, auch länger arbeiten können. ({11}) Das ist das Konzept. Dieser in vier Punkten umrissene Ansatz ist im besten Sinne ein liberales Konzept. ({12}) Er setzt auf die freie Entscheidung des Einzelnen, während Sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg ein höheres Renteneintrittsalter anordnen wollen. Er berücksichtigt die verbreiteten Ängste der Menschen in unserem Lande, im Falle der Arbeitslosigkeit als ältere Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer auf Hartz IV verwiesen zu werden und jenseits niedriger Schongrenzen eigenes Vermögen und eigene Altersvorsorge einsetzen zu müssen. ({13}) Darüber hinaus ist unser Modell - das wird der Regelfall sein - in den Fällen besonders interessant, in denen bei reduzierter Arbeitszeit und entsprechend reduziertem Verdienst eine bisherige Beschäftigung fortgeführt wird. Hier können durch den Abschlag auf die Teilrente entstehende Lücken nicht nur wieder geschlossen, sondern sogar überkompensiert, also eine auf Dauer höhere Rente erreicht werden, was natürlich die Neigung, tatsächlich länger tätig zu bleiben, deutlich erhöhen wird. Dass trotz oder gerade wegen der Möglichkeit eines Rentenzugangs ab 60 die tatsächlichen Beschäftigungsquoten älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen werden, zeigen die Erfahrungen in Dänemark und in Schweden, wo in der Altersklasse 55 bis 65 61 zw. 69 Prozent der Betroffenen noch erwerbstätig sind. In Deutschland sind es gerade einmal 45 Prozent. Das ist der springende Punkt: Erst das Gefühl, nicht mehr arbeiten zu müssen, aber weiter arbeiten zu können, versetzt die Menschen in die Lage, sich für eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben zu entscheiden. ({14}) Jüngere und ältere Arbeitnehmer stehen auch nicht in einem Konkurrenzverhältnis, wie es uns die Erfinder der Altersteilzeit weismachen wollen. Nein, die Älteren verdrängen keine Jüngeren, sondern sie treten, wie Professor Sinn in der Anhörung gesagt hat, mindestens additiv hinzu, wenn sie nicht sogar Komplemente sind. Ältere Arbeitnehmer sind in der Lage, Jüngere anzuleiten, ihnen zu zeigen, wie man arbeitet, und sie können die Arbeit organisieren. Wenn wir diesen Bereich des Arbeitsmarktes stärken, entstehen zugleich auch zusätzliche Jobs für die Jüngeren. Deswegen bitte ich Sie heute, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, den Weg für ein modernes und flexibles Konzept des Übergangs vom Arbeitsleben in die Rente freizumachen und den Entwurf zur Rente mit 67 abzulehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Ilse Falk das Wort. ({0})

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute in zweiter und dritter Lesung die beiden Vorhaben, nämlich Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen und Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung, zur Abstimmung stellen, und zwar unverändert zur Abstimmung stellen, dann tun wir das, weil wir überzeugt sind, dass es auf mittlere Sicht zu dieser Anpassung kommen muss, um gerade für die jüngere Generation schon heute ein Stück Verlässlichkeit in der Rentenpolitik zu erreichen. Lassen Sie mich eines vorweg sagen, weil es eng mit dem Thema Rente verzahnt ist: Wir haben es in dieser Koalition geschafft, die Arbeitslosigkeit innerhalb eines kurzen Zeitraums signifikant zu senken, und, was noch wichtiger ist, wir haben eine Trendwende im Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreicht. Seit einigen Monaten verzeichnen wir hier einen beständig wachsenden Aufwuchs. ({0}) Dies kann nicht oft genug betont werden, und es ist und bleibt ein Verdienst der Großen Koalition, dieser Regierung und damit der Bundeskanzlerin, die diese Regierung führt. ({1}) Diese positive Entwicklung bedeutet Einnahmen für die sozialen Sicherungssysteme und bewirkt natürlich auch eine leichte Entspannung in der Rentenkasse. Gleichwohl sind die beiden Gesetze, über die wir heute sprechen, notwendig. Ich bin dem Bundesarbeitsminister dankbar, dass er hierzu die Initiative ergriffen hat ({2}) und angesichts der massiven Kritik der Opposition und zahlreicher Verbände, allen voran der Gewerkschaften, standhaft geblieben ist. ({3}) Erfreulicherweise steigt die Lebenserwartung. Damit werden viele in den Genuss einer Rentenbezugsdauer kommen, die im Vergleich zu der der Generationen vor ihnen erheblich länger ist. Gleichzeitig - auch das ist die Wahrheit - werden nach wie vor zu wenige Kinder geboren. Damit stößt der Generationenvertrag, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen, an seine Grenzen. Deshalb müssen wir bereits heute Maßnahmen ergreifen, um die Rente für künftige Generationen zukunftsfest zu machen. Verbesserte Rahmenbedingungen in der Familienpolitik tragen hoffentlich zur Entschärfung bei. So sollen Elterngeld und mehr Betreuungsplätze den Eltern die Erfüllung des Kinderwunsches und die vielfach gewünschte Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Dass sowohl Erwerbstätigkeit als auch die Übernahme von Erziehungsaufgaben mit der Notwendigkeit der Alterssicherung von Frauen heute immer eng verknüpft ist, gilt zwar als selbstverständlich, bedarf aber ganz sicher noch der Verbesserung. Das soll aber nicht durch die Verabschiedung dieses Gesetzes erreicht werden; vielmehr muss es ganz sicher an anderer Stelle noch einmal aufgegriffen werden. Die Anpassung der Regelaltersgrenze sichert die langfristige Finanzierbarkeit unseres Rentensystems. Gleichzeitig geben wir den jungen Menschen damit bereits heute ein Signal, worauf sie sich einzustellen haben. Erstens: dass die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft eine solide Basis der Altersversorgung sein wird. Zweitens aber auch: dass sie dringend zusätzlich sowohl private als auch - nach Möglichkeit - betriebliche Altersvorsorge betreiben sollten. Erstaunt habe ich gesehen, dass gerade junge Menschen nicht an den Demonstrationen gegen die rentenpolitischen Maßnahmen teilgenommen haben. ({4}) Offensichtlich haben sie verstanden, dass es um ihre Interessen geht. ({5}) Es war schon interessant, zu beobachten, dass überwiegend diejenigen demonstriert haben, die von den heute zu beschließenden Maßnahmen überhaupt nicht betroffen sind. ({6}) Andere, so scheint mir, haben noch nicht einmal realisiert, dass die Anpassung bis zum Jahr 2029 stufenweise erfolgen wird. Für die Aufgeregtheiten, die in den letzten Wochen gerade bei den älteren Arbeitnehmern kräftig geschürt worden sind, gibt es also keinerlei nachvollziehbaren Grund. Ich sage das bei allem Verständnis dafür, dass sich die Älteren mit den jungen Kollegen in dieser Frage solidarisch fühlen. Die langfristige Finanzierbarkeit der Rentenversicherung ist allerdings nur ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Ein weiteres wesentliches Anliegen der heute zur Beratung anstehenden Maßnahmen ist, dass in Gesellschaft und Wirtschaft ein Umdenken stattfinden muss. Einerseits werden sich die jüngeren Arbeitnehmer darauf einstellen müssen, dass sie den gleitenden Übergang in die Rente nicht schon mit 50 Jahren planen können, wie das ihre Eltern teilweise getan haben und zum Teil immer noch tun. Hier gilt es aufzupassen. Während das allgemeine Renteneintrittsalter langsam, aber kontinuierlich gestiegen ist, sinkt das Alter des Zugangs in die Erwerbsminderungsrente nach wie vor. Auch das muss uns zu denken geben, zumal längst nicht immer körperliche Beschwerden der Anlass sind, sondern immer häufiger psychische Erkrankungen. Andererseits muss es auch ein Umdenken in den Unternehmen geben. Hier müssen Veränderungsprozesse forciert und aktiv begleitet werden. Dazu gehören nach meinem Verständnis Themen wie Weiterbildung und die Unterstützung lebenslangen Lernens. Außerdem müssen für Arbeitnehmer, die körperlich anstrengende Arbeit und/oder Schichtarbeit leisten, in der Tat Modelle weiterentwickelt werden, die sie vor gesundheitlichen Schäden bewahren. Beispiele wie Arbeitsplatzrotation im Betrieb zur Verhinderung von einseitigen Belastungen oder Anwendung der Erkenntnisse über die körperlichen Auswirkungen der Schichtarbeit müssen umgesetzt werden. Die Bevölkerungsentwicklung zeigt: Wir müssen in Kürze damit rechnen, dass ältere Arbeitnehmer auch deswegen gesucht sein werden, weil es gar nicht mehr genügend Berufseinsteiger geben wird, um den Bedarf zu decken. Deshalb sind Unternehmen gut beraten, die sich in ihrer Personalpolitik rechtzeitig auf die veränderten Verhältnisse einstellen, schon heute darauf reagieren, die Beschäftigten länger in den Betrieben halten und auch dazu übergehen, wieder ältere Menschen einzustellen, statt sie über Frühverrentungsprogramme in die Frührente zu schicken. Die Initiative „50 plus“ mit einem Bündel von Maßnahmen wird hierbei unterstützend wirksam sein. Weil die Kritiker hartnäckig das Gegenteil behaupten, möchte ich einige Anmerkungen zur sozialverträglichen Ausgestaltung des Gesetzes machen. Der Union war es ein großes Anliegen, denjenigen, die über Jahrzehnte hinweg Beiträge gezahlt haben und damit über viele Jahre Solidarität geübt haben, auch weiterhin einen vorzeitigen Ruhestand ohne Abschläge zu ermöglichen. ({7}) Deshalb können diejenigen, die 45 Beitragsjahre aufzuweisen haben, weiterhin mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. ({8}) Ich will aber nicht verschweigen, dass die Sachverständigen in der Anhörung gerade hierzu kritische Anmerkungen gemacht haben. ({9}) Wir halten die getroffenen Regelungen dennoch für richtig und wichtig. Allerdings scheint es aus meiner Sicht lohnenswert zu sein, die vorgetragenen Anregungen für einen flexibleren Ausstieg aus dem Erwerbsleben mit der gebotenen kritischen Sorgfalt ernsthaft zu bedenken. ({10}) Dabei darf allerdings die Regelaltersgrenze von 67 Jahren ebenso wenig infrage gestellt werden wie die mit diesem Gesetz verfolgte Zielrichtung. Auf einen weiteren Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang hinweisen, der mir als Familienpolitikerin besonders wichtig ist. Wer Kinder großzieht, übt ebenfalls Solidarität mit der Gesellschaft. Deshalb soll die Familienleistung der Beitragsleistung gleichgestellt werden. ({11}) Wer Kinder erzieht oder Angehörige pflegt, dem wird diese Zeit auf die 45 Jahre angerechnet, also drei Jahre Erziehungszeit, die sich zugleich rentensteigernd auswirken, sowie die Kinderberücksichtigungszeiten, die zwar nicht finanziell wirksam werden, aber sich mit bis zu zehn Jahren pro Kind auf die Ermittlung der Beitragsjahre auswirken, plus eventuelle Pflegezeiten. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Falk, jetzt geraten Sie langsam in die Phase, in der Sie die Redezeit Ihrer Kollegen in Anspruch nehmen.

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzter Satz. - Uns ist klar, dass damit nicht der Nachteil der lückenhaften Rentenbiografien der Frauen ausgeglichen werden kann. Aber ohne diese Regelung hätten noch viel weniger Frauen die Chance, 45 Beitragsjahre zu erreichen. ({0}) Wir machen damit einen mutigen Schritt in einer Zeit, die allen Anlass zu Optimismus gibt. Wir machen es für die Menschen und nicht gegen sie. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Warum das Konzept der Regierung nicht funktioniert, ist mit zwei Sätzen aufgezeigt: Sie können nicht sagen, wo die Menschen länger arbeiten sollen, und Sie können auch nicht sagen, wie sie es machen sollen. ({0}) Das ist Ihr Problem. Deshalb geht Ihr gesamtes Konzept nicht auf. ({1}) - Da können Sie grölen, wie Sie wollen; das ist Fakt. Schauen wir uns die Bauindustrie an: Nur 10 Prozent erreichen das zurzeit geltende Renteneintrittsalter von 65 Jahren. 33 Prozent scheiden wegen Erwerbsunfähigkeit vorher aus. Das Durchschnittseintrittsalter ist 58. - Sagen Sie denen doch einmal, wie sie es hinbekommen sollen, bis 65 zu arbeiten, ohne dass Sie das Gesetz ändern! Wenn Sie das können, dann haben Sie vielleicht eine Chance, hier ernst genommen zu werden. ({2}) Das Institut der Bundesagentur für Arbeit, das IAB, hat festgestellt: 1,2 bis 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze sind notwendig, um das einigermaßen hinzubekommen. - Wo sollen die denn sein? Wir erleben doch gerade das Gegenteil. Schauen Sie sich einmal um! Trotz des Aufschwungs erleben wir einen Arbeitsplatzabbau. Wo bitte schön sollen denn die Menschen arbeiten? Ihr Konzept ist eine pure Luftnummer. ({3}) Weil auch Sie von der Sozialdemokratie das wissen - mein Kollege Schaaf weiß das ebenfalls -, haben Sie den Antrag abgelehnt, der von einigen Sozialdemokraten eingebracht wurde und darauf zielt, zumindest hinzubekommen, dass der Anteil - ({4}) - Ihr habt ihn gar nicht abgestimmt. Ihr habt ihn verschoben nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. - Das macht ihr gerade; das ist eure Praxis. ({5}) Sie glauben selber nicht, dass Ihr Konzept aufgeht. Ihr Konzept hat einen wesentlichen Nachteil, nämlich den, dass es nicht aufgeht; das wissen Sie. Wenn Sie denken würden, es tatsächlich hinzubekommen, dass der Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit im Jahr 2010 bei über 50 Prozent liegt, dann hätten Sie es beschlossen. Wenn Sie wirklich glauben würden, dass Ihr Konzept funktioniert, dann hätten Sie den Vorschlag des DGB ernst genommen, der empfohlen hat: Macht die Rente mit 67 dann, wenn die Arbeitslosigkeit auf 2 Millionen gesunken ist. - Das traut ihr euch aber hinten und vorne nicht. Das ist der Grund. ({6}) Was übrig bleibt, ist eine Rentenkürzung: Wer heute 40 Jahre arbeitet, erhält nach 40 Versicherungsjahren circa 950 Euro. Angenommen, wir hätten das, was Sie jetzt beschließen, schon vor 30 Jahren gemacht, dann läge die Rente jetzt bei 750 Euro, bei Einführung der Rente mit 67 läge sie sogar bei nur 700 Euro. Das ist Ihr Konzept. Das ist eine pure Rentenkürzung. Sie machen Politik zulasten der Leute. ({7}) - Da könnt ihr euch aufregen, wie ihr wollt. Ich weiß, dass es euch nicht gefällt, wenn man euch die Wahrheit sagt. Es gab einmal eine Sozialdemokratie, die den Namen auch verdient hat. Davon seid ihr himmelweit entfernt. ({8}) Ich will euch noch etwas sagen, Kolleginnen und Kollegen: ({9}) Die Rente mit 67, wenn sie denn eingeführt wird, macht 0,3 bis 0,5 Beitragssatzpunkte aus. Da frage ich mich: Geht es Ihnen wirklich darum, den Beitragssatz stabil zu halten? Das wesentliche Problem Ihres Ansatzes ist, dass Sie von der Beitragsstabilität ausgehen und nicht davon, dass wir in diesem Land eine vernünftige Rente brauchen. Das ist Ihr Problem. Ich sage Ihnen, worum es wirklich geht. Bleiben die Beiträge wirklich stabil? Das ist doch überhaupt nicht wahr. Die Beiträge bleiben nur für die Arbeitgeber stabil. Die Arbeitnehmer werden sich zusätzlich versichern müssen und bei Weitem mehr Belastungen haben als gegenwärtig. Das ist die Realität. ({10}) Die Forschungsgruppe Wahlen sagt, dass gegenwärtig 83 Prozent der Bürger in unserem Land das Anheben des Renteneintrittsalters ablehnen, 78 Prozent aus dem Lager der Union, 84 Prozent der SPD-Mitglieder. Ich habe Herrn Weiß im Ausschuss gehört. Er hat gesagt, die Zustimmung der Bürger zu diesem Konzept nehme zu. Ich weiß nicht, von welcher Skatrunde er das hat. Das ZDFPolitbarometer sagt etwas anderes. Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie hier machen, ist eine Politik gegen die große Mehrheit der Bürger unseres Landes. Deshalb haben Sie den Anspruch, Volkspartei zu sein, verwirkt. ({11}) - Dazu muss ich Folgendes sagen, Herr Kollege: Wenn man das Parlament durch den Haupteingang und nicht durch den Hintereingang betritt, stellt man fest, dass über dem Eingang „Dem Deutschen Volke“ steht. Wenn ihr so weitermacht, müsst ihr draufschreiben: „Der Deutschen Versicherungswirtschaft“. Das kommt eurer Politik nämlich näher. ({12}) Zum Schluss möchte ich Folgendes anmerken: ({13}) Gewerkschaften und Arbeitnehmer werden es nicht vergessen, wenn ausgerechnet die Sozialdemokratie, die ihre Verbindung zu den Gewerkschaften so gerne betont, so etwas macht. Heute früh habe ich gesehen, dass der Kollege Steppuhn, ein Mitglied Ihrer Fraktion, gegen dieses Konzept stimmen wird. Im Gegensatz zu Ihnen, Kollege Brandner, versteht er noch etwas von der Praxis. Er weiß, was das bedeutet. ({14}) Gegenwärtig würde die SPD 25 Prozent der Stimmen erhalten. Sie nähern sich zielstrebig, von oben, dem Projekt 18. Das haben Sie auch verdient. Wenn man, wie Sie, die Arbeitnehmer auf die Weise betrügt, dass man vor der Wahl das Gegenteil von dem sagt, was man nachher macht, und sich dann auch noch über die Beschwerden aufregt, wie Herr Müntefering, dann kann ich dazu nur sagen: Sie tragen dazu bei, dass der Politiker in diesem Land inzwischen den Ruf eines Trickbetrügers hat. Hören Sie auf mit dieser Politik! ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. ({0})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns waren in den letzten Monaten zu Veranstaltungen von Gewerkschaften und Verbänden eingeladen. Dort wurde deutlich: Die Rente mit 67 ist gewiss keine populäre Entscheidung, vor allem weil die meisten Menschen diese Entscheidung vor dem Hintergrund der heutigen Arbeitsmarktsituation sehen; wir haben gerade gehört, dass das bei der Linksfraktion ähnlich ist. Dabei ist eines klar, Herr Ernst: Wenn die Rente mit 67 voll wirksam wird, also im Jahre 2029, wird es aufgrund der demografischen Entwicklung 8 Millionen Menschen im Erwerbsalter weniger geben. ({0}) Wenn Sie die Ihrer Meinung nach zusätzlich benötigten 1,2 Millionen Arbeitsplätze davon abziehen, haben wir immer noch eine erkleckliche Summe. Ihr Argument können Sie also vergessen. ({1}) Die Unternehmen werden also, ob sie wollen oder nicht, ihre Jugendzentriertheit aufgeben und sich auf eine alternde Belegschaft einstellen müssen. Die lange Übergangszeit von 22 Jahren schafft Planungssicherheit. Betriebe können rechtzeitig in die betriebliche Weiterbildung und Gesundheitsförderung sowie in eine bessere Arbeitsorganisation investieren. Für uns Grüne ist die Integration Älterer in den Arbeitsmarkt eine wesentliche Voraussetzung für die Rente mit 67. ({2}) Wir erwarten von der Regierung, dass sie uns alle zwei Jahre die Beschäftigungssituation der über 55-Jährigen darlegt, damit möglicherweise weitere Maßnahmen ergriffen werden können. Wir stehen zu einer schrittweisen Erhöhung des Rentenalters, wie sie auch in Großbritannien, Dänemark und Portugal vorgesehen ist. Wir Grüne stehen dazu, und das auch in der Opposition. Wir wollen nämlich, dass auch unsere Kinder noch eine verlässliche Rente bekommen. ({3}) Die Linksfraktion macht es sich einfach. Sie leugnet die demografische Entwicklung. Neuerdings hat sich auch die FDP der Fundamentalopposition angeschlossen. ({4}) Noch in der Bundestags-Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“ waren Sie mit uns für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Aber, Herr Kolb, was stört Sie schon Ihr dummes Geschwätz von gestern? ({5}) Ich kann dazu nur sagen: Mit einer solchen Position haben Sie ein Dauerabo für die Opposition gebucht. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne, Herr Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, wären Sie bereit, mir zuzustimmen, dass Sie hier ein doppelbödiges Spiel betreiben? ({0}) Sie wollen doch die Rente mit 67 ablehnen und haben kein eigenes alternatives Konzept. ({1}) Die FDP allerdings hat sich der Mühe unterzogen, hier einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten, wie die längere Teilhabe älterer Menschen am Erwerbsleben tatsächlich gewährleistet werden kann. Das unterscheidet uns. Wir betreiben keine Fundamentalopposition. Wir bewerten - genau wie Sie - kritisch den Vorschlag der Regierung und werden - genau wie Sie - diesen Vorschlag ablehnen. Wir aber haben einen eigenen Vorschlag anzubieten, von dem wir glauben, dass er besser ist. ({2}) An der Stelle stehen Sie ziemlich nackt da. Wären Sie bereit, mir zuzustimmen? ({3})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kolb, ich freue mich, dass Sie meine Redezeit verlängern. - Haben Sie vielleicht einmal auf die Tagesordnung geschaut, ob ein Entschließungsantrag der Grünen-Bundestagsfraktion darauf steht, ({0}) der da lautet, dass wir für die Rente mit 67 sind, dass wir eine Teilrente vorsehen, dass wir die Ausnahmeregelung ablehnen? ({1}) Haben Sie das vielleicht einmal gelesen? Nun zu Ihrem Konzept. Ich hatte eigentlich nicht so viel Redezeit, aber wenn Sie mich dazu auffordern, sage ich etwas dazu. ({2}) Sie schlagen vor, dass man statt mit 67 mit 60, aber mit Abschlägen, in Rente geht ({3}) - ja, gehen kann. Wer kann denn diese Regelung in Anspruch nehmen? Das sind die gutverdienenden Männer, die eine entsprechend hohe Rente haben. ({4}) Sie wissen ganz genau, dass sich das Intentegehen mit 60 und den damit verbundenen Abschlägen in Höhe von 25 Prozent nur leisten kann, wer ein hohes Einkommen hat. Schauen Sie sich einmal die durchschnittliche Rente von Frauen an! Sie haben gesagt, von der Möglichkeit könne nur jemand Gebrauch machen, der mindestens das Grundsicherungsniveau erreicht. Die durchschnittliche Frauenrente liegt heute bei 500 Euro. Viele Frauen könnten überhaupt nicht in den Genuss Ihrer Regelung kommen. Darum lehnen wir einen solchen Blödsinn ab. Er ist Ausdruck der Klientelpolitik und passt zu Ihnen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten von Norbert Blüm sind vorbei, in denen man den Menschen vorgaukeln konnte, die Rente sei sicher. Die Menschen erwarten auch von der Opposition nicht nur Klamauk oder Opportunismus, sondern ehrliche Antworten. ({6}) Zu diesen ehrlichen Antworten gehört, dass bei uns wegen der niedrigen Geburtenrate und der steigenden Lebenserwartung immer weniger Erwerbstätige immer mehr und immer länger Renten zahlen müssen. ({7}) Darum gerät der Generationenvertrag zunehmend aus dem Lot. Heute sind es zwei Erwerbstätige - ich habe da andere Zahlen als Sie, Minister Müntefering -, die für eine Rente aufkommen müssen, ohne Reformen wäre das Verhältnis künftig eins zu eins. Es gäbe andere Möglichkeiten zur Stabilisierung der Rentenversicherung: Man kann die Beiträge erhöhen; aber damit belastet man einseitig die Erwerbstätigen. Man kann auch das Nettorentenniveau kürzen; dann betrifft das aber nur die Rentnerinnen und Rentner. ({8}) Das wäre eine Rentenkürzung. - Beide Lösungen scheiden für uns Grüne aus, weil wir nicht einseitig eine Generation belasten wollen. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Schewe-Gerigk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne, Kollege Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Arbeitnehmer, wenn sie das Rentenniveau, das sie heute haben, sichern wollen, zusätzliche Beiträge in eine private Versicherung geben müssen und damit natürlich eine faktische Beitragserhöhung haben, die höher ist, als wenn sie paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert würde, oder ist Ihnen das entgangen? ({0})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist mir nicht entgangen, Herr Kollege Ernst. Sie wissen, dass die Riesterrente inzwischen zu einem Erfolgsmodell geworden ist: 8 Millionen Menschen haben inzwischen einen solchen Vertrag abgeschlossen. Es gibt gar keine bessere Anlagemöglichkeit als diese, ({0}) weil sie vom Staat gefördert wird. Ich sehe hier auf der Tribüne sehr viele junge Menschen. Man kann den jungen Menschen wirklich nur raten, sich rechtzeitig darauf einzustellen. ({1}) Denn wenn wir länger leben werden - und wir wissen, dass die Lebenserwartung weiter steigt -, dann brauchen wir sehr frühzeitig eine Absicherung, die auf drei Säulen steht. ({2}) Dazu gehören die gesetzliche Rentenversicherung, die gegen Armut sichert, eine private Vorsorge und eine betriebliche Alterssicherung. Diese drei Säulen werden es ermöglichen, dass die Menschen auch in vielen Jahrzehnten noch ein auskömmliches Leben haben werden. Dafür stehen wir. ({3}) Wir stehen für Generationengerechtigkeit und darum unterstützen wir die Initiative von Minister Müntefering im Grundsatz. ({4}) An dieser Stelle enden allerdings unsere Gemeinsamkeiten; denn meine Fraktion ist nicht bereit, Ihrer neuen abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren zuzustimmen. ({5}) Diese Regelung diskriminiert Frauen, Erwerbslose und Menschen, die spät in den Beruf einsteigen. Die Regelung ist sozial unausgewogen, verstößt gegen europäisches Recht, ist verfassungsrechtlich bedenklich und finanzpolitisch nicht vertretbar. Zugegeben, das ist jetzt harter Tobak, aber ich werde das gleich begründen. Alle Sachverständigen, auch Ihre eigenen, haben das in der Anhörung so gesehen, und selbst der Bundesrat hat entsprechende Einwände vorgebracht. ({6}) Herr Minister, ich weiß ja, dass die Sauerländer stur sind, aber nach derart eindeutigen Aussagen hätte ich erwartet, dass Sie Ihr Gesetz noch einmal ändern. Sie verfahren nach dem Motto - da muss ich Ihnen Recht geben, Herr Kolb -: Augen zu und durch. - Ich kann nur noch einmal den Bundespräsidenten auffordern, diesem Gesetz seine Unterschrift zu verweigern. ({7}) Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, gaukeln den Menschen vor, die abschlagfreie Rente nach 45 Jahren belohne Menschen in belastenden Berufen. Das ist wirklich Etikettenschwindel. Der Dachdecker kommt nicht in den Genuss; der geht nämlich mit 58 Jahren in die Erwerbsminderungsrente. Ein Bauarbeiter kommt wegen Zeiten der Arbeitslosigkeit im Winter nicht auf die 45 Jahre und eine Krankenschwester erst recht nicht. Profitieren werden von Ihrer Regelung Angestellte im öffentlichen Dienst, die schon jetzt eine gute Versorgung haben. Finanzieren müssen das alle Versicherten. Damit haben Sie Ihr Ziel verfehlt; das wissen Sie auch. ({8}) Nur 4 Prozent der Frauen, die im Jahr 2004 in Rente gingen, hatten 45 Beitragsjahre erreicht. Bei den Männern waren es 41 Prozent; das ist das Zehnfache, wenn ich es richtig ausgerechnet habe. Das ist eine mittelbare Diskriminierung von Frauen. Nun halten Sie dagegen: Die Erwerbstätigkeit künftiger Frauengenerationen nehme zu und außerdem gebe es künftig die Kinderberücksichtigungszeiten. - Dieses Glatteis betrete ich nicht. Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder nimmt die Frauenerwerbstätigkeit zu, dann werden diese Zeiten gar nicht berücksichtigt, oder die Frauen geben ihre Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer Kinder auf; dann erhalten sie die Anrechnungszeiten. Aber um mit den Anrechnungszeiten zu einer abschlagfreien Rente zu kommen, müssten nicht erwerbstätige Frauen mindestens zehn bzw. 15 Kinder bekommen. Ein solches Familienkonzept hat, glaube ich, noch nicht einmal Die Linke im Saarland, Herr Lafontaine, oder? ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin, Sie haben gleich die Möglichkeit, noch einmal zu sprechen, weil der Kollege Kolb eine Kurzintervention angemeldet hat. Ich bitte Sie aber, jetzt zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme jetzt zum Schluss. Ich frage die Vertreter und Vertreterinnen der Regierungskoalition: Wie wollen Sie eigentlich einer Verfassungsrichterin erklären, dass jemand, der mit 20 in den Beruf geht, zwei Jahre länger Rente bezieht als jemand, der das erst mit 22 Jahren tut, aber die gleichen Rentenanwartschaften hat? Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß. Herr Minister, wenn Sie behaupten

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie können jetzt nicht noch etwas Neues anfangen. Bitte den letzten Satz!

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- das ist wirklich der letzte Satz -, dass Sie mit dieser Regelung die Akzeptanz der Rente mit 67 erhöhen, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist keine glaubhafte Politik. Verkaufen Sie die Menschen doch nicht für dumm! Sie werden ganz schnell merken, wer die Zeche für Ihre Beruhigungspille zahlen muss. Glaubhafte Politik sieht anders aus. Darum werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben in Ihrer Antwort auf meine Frage unser Konzept - ich vermute einmal: versehentlich - falsch dargestellt. Sie haben keine weitere Zwischenfrage zugelassen, mit der ich die Falschdarstellung hätte korrigieren können. Deswegen muss ich diese Kurzintervention machen. Erstens will ich Sie darauf hinweisen, dass man nach dem Konzept der FDP mit 60 in Rente gehen kann, aber nicht muss. Es ist ein Angebot an ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist eine wirksame Rückfallposition in einer schwierigen Situation, die nicht zuletzt mit Stimmen der Grünenfraktion in diesem Hause in den letzten Legislaturperioden herbeigeführt worden ist. Mit 60 den Arbeitsplatz zu verlieren, noch 18 Monate lang Arbeitslosengeld I zu beziehen und dann auf Hartz IV zurückgeworfen zu werden - das ist eine menschenunwürdige Situation, die viele Menschen in unserem Lande belastet. ({0}) Hier sagen wir: Mit dem Angebot der Rente ab 60 wird es möglich, sich aus eigener Kraft, mit dem, was man bis zu diesem Zeitpunkt an Anwartschaften erworben hat, in dieser schwierigen Situation zu helfen. Darum geht es, Frau Schewe-Gerigk; das muss ich hier deutlich machen. Zweitens. Ich glaube nicht, dass durch unser Angebot ein Anreiz zu einer flächendeckenden Verrentung mit 60 erfolgt. Ich weiß nicht, woher Sie die Information haben, die Abschläge würden 27 Prozent betragen. Ich kann das nicht nachvollziehen. Nach geltendem Recht sind es 18 Prozent, die man dann aber teilweise ausgleichen kann. Es ist vollkommen klar: Durch die Kumulation von Arbeitseinkommen und Rente, die zumindest teilweise versteuert werden muss, lohnt sich der VollrentenDr. Heinrich L. Kolb bezug ab 60 in der Regel nicht. Aber es wird sehr interessant sein, eine reduzierte Arbeitszeit mit einer Teilrente zu kombinieren. Damit eröffnet man den Menschen die Möglichkeit, sich Zug um Zug gleitend aus dem Arbeitsleben zurücknehmen und in das Leben als Rentner sozusagen hineinzuwachsen. Darum geht es. Der dritte Punkt, auf den ich hinweisen will. Für die Prüfung der Grundsicherungsfreiheit stellen wir auf die Bedarfsgemeinschaft ab. Das heißt, dass auch Frauen, die in der Regel niedrigere Ansprüche haben, in die Lage versetzt werden, ihre bis dahin erworbenen Anwartschaften in einen Rentenbezug umzusetzen. Unser Modell ist kein Modell für Menschen mit höherem Einkommen. Das Modell steht allen offen. 90 Prozent der Bevölkerung werden die Möglichkeit haben, von diesem flexiblen Übergang Gebrauch zu machen. Das sind die Kernpunkte. Sie haben unser Modell bewusst falsch dargestellt. Deswegen war diese Kurzintervention erforderlich. ({1})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kolb, ich glaube, Sie haben mich bewusst missverstanden. ({0}) Ich hatte mich zuerst versprochen, habe aber dann gesagt, dass man mit 60 in Rente gehen kann. - Aber wer kann denn mit 60 in Rente gehen? Schauen Sie doch einmal in der Dokumentation der Anhörung nach, wie hoch die Abschläge sein werden, wenn man mit 60 in Rente geht und das Referenzalter, wie Sie auch sagen, 67 ist. Das können nur Menschen, die ein hohes Einkommen haben und nebenbei noch etwas verdienen. Bei dieser Gelegenheit wollen Sie dann gleich noch einen Kombilohn für Rentner und Rentnerinnen einführen; denn Sie wissen ganz genau: Wenn man mit 60 in Rente gehen und ohne Hinzuverdienstgrenzen, die Sie ja beseitigen wollen, erwerbstätig sein kann, dann werden die Menschen sicherlich von der Möglichkeit Gebrauch machen und noch sehr lange arbeiten, hinzuverdienen und ihre Arbeitskraft billig auf dem Arbeitsmarkt anbieten. Ich habe Ihr Konzept verstanden. Ich verstehe, dass die FDP ein solches Konzept vorlegt, weil das wieder Klientelpolitik ist. Die Berechnung, wie viele Frauen es sich wegen der Abschläge nicht leisten können, mit 60 Jahren in Rente zu gehen, reiche ich Ihnen nach. Wir werden ja sicherlich noch einmal darüber diskutieren. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegen die Rente mit 67 gibt es massive und zuweilen wütende Proteste. Gerade wir Sozialdemokraten waren in den letzten Monaten Zielscheibe dieser Aktivitäten. Dieser Streit ist aus meiner Sicht zum Teil in einer Art und Weise geführt worden, die ich bisher auch aus harten politischen Auseinandersetzungen nicht kannte. Abgeordnetenkollegen wurden steckbrieflich verfolgt, bedroht und als Arbeiterverräter beschimpft. ({0}) An mir, als jemand, der seine Heimat in der IG Metall und sein Leben in den Dienst der Arbeitnehmerinteressen gestellt hat, geht dieser Protest nicht spurlos vorüber. ({1}) Um es klar zu sagen: Ich habe Verständnis für die Sorgen und Ängste der Menschen. Diese Sorgen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, Ängste zu schüren und die Menschen zu verunsichern, ist jedoch heuchlerisch und verantwortungslos. ({2}) Wir haben es gerade wieder gehört: Erwartet wird, dass eine Politik nach Meinungsumfragen und möglichen Wahlergebnissen betrieben wird. Das ist keine Politik aus Verantwortung. Das ist eine Politik, die den Menschen Angst macht. Kollege Ernst, dafür haben Sie gerade wieder ein Beispiel geliefert. ({3}) Für mich und meine Partei will ich hier jedoch klar sagen: Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst. ({4}) Wir wissen: Viele Menschen können es sich nicht vorstellen, ihre Arbeit bis zum 67. Lebensjahr durchzuhalten. Natürlich kann man vom Dachdecker nicht erwarten, dass er seine Arbeit auf dem Dachfirst bei Wind und Wetter noch mit 67 leistet. ({5}) Was kann man zum Beispiel dem Sichtprüfer, der mit höchster Konzentration stundenlang Tausende von Teilen auf mikroskopisch kleine Fehler untersucht, oder dem Arbeiter im Dreischichtsystem am Band oder den Pflegekräften, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch bis an die Grenzen der Belastbarkeit gefordert werden, zumuten? Die Antwort kann nicht sein: weitere Arbeitsverdichtungen, längere Tages- und Wochenarbeitszeiten und weniger Pausen. Nein, wir brauchen eine tägliche Entlastung, angepasste Taktzeiten und weniger Belastungen. Wir fordern: Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden. Arbeit darf nicht krank machen, Arbeit muss leistbar sein. ({6}) Das heißt, wir brauchen gesundheitsgerechte und altersgerechte Arbeitsbedingungen. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wenn die großen Wirtschaftsverbände die Kraft, die sie für Forderungen zum Abbau des Kündigungsschutzes, der Mitbestimmung und der Arbeitnehmerrechte generell aufbringen, dafür verwenden würden, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, dann wären wir in diesem Land schon ein wesentliches Stück weiter. ({7}) Wir müssen die Arbeit den Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Auch, um Belastungen zu mindern, brauchen wir in Zukunft gleitende Übergänge. Die Altersteilzeit bietet diese Möglichkeit, und die Altersteilzeit läuft nicht aus. Der Bundesarbeitsminister hat es hier noch einmal deutlich gesagt und den Menschen damit ein Signal des Vertrauens gesandt: Die Altersteilzeitregelung, die durch die Bundesagentur wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der geburtenstarken Jahrgänge besonders gefördert worden ist, aber von vornherein bis zum 31. Dezember 2009 befristet war - also noch fast drei Jahre gilt -, läuft mit Wirkung des Jahres 2015 aus. Das ist ein langer Planungszeitraum, auf den man sich einstellen kann. Wir Sozialdemokraten sind auch bereit, über flexible Übergänge zu reden, durchaus unter Einbeziehung der Bundesagentur. Aber eine verblockte Altersteilzeitform in der jetzt gültigen Fassung stellt ein Frühverrentungsmodell dar, das wir im Kern ablehnen und nicht als zukunftsgerichtet einschätzen. ({8}) Ich will an diesem Punkt auch ganz deutlich sagen: Es ist schon ungeheuerlich, was die Spitzenverbände der Wirtschaft in diesem Bereich tun. Hier in Berlin laufen sie den Abgeordneten die Büros ein und fordern laut die Abschaffung der durch die Bundesagentur geförderten Altersteilzeit. Vor Ort, zum Beispiel in den Großbetrieben wie Siemens, Bosch und Daimler, werden die Betriebsräte unter Druck gesetzt, und es wird gesagt: Würde es die durch die BA geförderte Altersteilzeit nicht mehr geben, könnten keine Auszubildenden mehr eingestellt oder Ausgebildete nicht in ein Anstellungsverhältnis übernommen werden. Man muss dazu deutlich sagen: Es ist ein Skandal, was sich teilweise im Land abspielt. Hier werden Betriebsräte instrumentalisiert. Das ist nicht in Ordnung. Insofern wehren wir uns gegen diese negative Praxis. ({9}) Für uns, meine Damen und Herren, stand immer fest: Rente mit 67 kommt nur, wenn ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen haben. Das ist die Voraussetzung für die Anhebung des Renteneintrittsalters. Deshalb haben wir im Gesetz auch eine Überprüfungsklausel vorgesehen. Weil es sich um eine verbindliche Überprüfung handelt, sind wir damit eine politische Verpflichtung eingegangen. Ich kann die Forderung von Frau Schewe-Gerigk, alle zwei Jahre einen entsprechenden Bericht vorzulegen, nur begrüßen. Aus der von der Bundesagentur veröffentlichten Statistik geht jeden Monat hervor, wie sich die Zahl der älteren Arbeitslosen in diesem Land entwickelt bzw. welche Fortschritte beim Abbau der Arbeitslosigkeit erzielt werden. Die Beschäftigungsquote der Älteren muss steigen; das steht fest. Mit der Initiative „50 plus“ schaffen wir zum einen Bedingungen, dass Ältere gar nicht erst arbeitslos werden müssen, und zum anderen sorgen wir durch geeignete Förderinstrumente dafür, dass diejenigen, die arbeitslos sind, wieder eine Chance auf Beschäftigung bekommen. ({10}) Es tut sich was in diesem Land, meine Damen und Herren. Man muss sich nur einmal die Datenlage des letzten Monats vor Augen führen: Die Zahl der arbeitslosen über 50-Jährigen ist im Vergleich zum Vorjahr, also von Februar 2006 zu Februar 2007, um 172 000 zurückgegangen. Wir sehen also, dass sich die Verhältnisse ändern. Diesen Prozess müssen wir aktiv gestalten, anstatt so zu tun, als sei die Welt statisch und die jetzige Ausgangssituation für immer festgeschrieben und nicht veränderbar. ({11}) Deshalb sage ich Ihnen, Kollege Ernst, der Sie von einer Luftnummer bei der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen gesprochen haben, ganz klar: Wer hier Luftnummern verzapft, spürt jeder anhand der Datenlage. Wir nehmen die Zahlen ernst. Wenn Sie auch ernst genommen werden wollen, dann sollten Sie diese harten Daten akzeptieren. ({12}) Der Schlüssel zu längerer Erwerbstätigkeit liegt in der fortlaufenden Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten, und zwar, bitte schön, nicht nur in der Führungsetage, sondern aller Beschäftigten. Zu den jetzt schon wieder von vielen Unternehmen zu hörenden Klagen über Fachkräftemangel sage ich ganz klar: Der Gesetzgeber ist der völlig falsche Adressat. Der Adressat ist die Wirtschaft selber. Sie hat es jetzt in der Hand, dafür zu sorgen, dass es genügend Fachkräfte in unserem Land gibt. ({13}) Wir erwarten in diesem Bereich seitens der Unternehmen ganz klar mehr Anstrengungen und mehr aktive Unterstützung für die Bemühungen der Betriebsräte, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und den Ausbau der Weiterbildungsmöglichkeiten zu forcieren. Für uns steht fest: Wir müssen den Rentenzugang flexibilisieren. Das ist eine wichtige Aufgabe. Alle Parteien haben diese Notwendigkeit bei den Beratungen in der letzten Sitzung des Ausschusses, die sich zu diesem Themenkomplex über mehrere Stunden erstreckten, Herr Kollege Kolb, erkannt. Natürlich müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Das ist die Hauptaufgabe der Unternehmen. Nur so können wir erreichen, dass die Menschen gesund in Rente gehen können. Wir wollen die Finanzierungsgrundlage der Rente stärken. Mehr Menschen in Arbeit; der Weg ist beschrieben. Dazu brauchen wir gutes wirtschaftliches Wachstum; das entwickelt sich zurzeit. Wir wollen die Altersgrenzen an die demografische Entwicklung anpassen. Wir wissen: Wir starten später ins Arbeitsleben und leben länger. Es gibt also keine Verlängerung der Lebensarbeitzeit, sondern nur eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse und die Entwicklungen der Vergangenheit. Wir wollen die Beschäftigungschancen Älterer erhöhen: durch alternsgerechtes Arbeiten, gleitende Übergänge, flexiblen Ausstieg. Das leisten wir mit dem Tandem der vorliegenden Gesetzentwürfe. Beide Gesetze gehören zusammen, und beide sind - davon bin ich überzeugt - notwendig und richtig und werden das deutsche Rentenversicherungssystem zukunftssicher in die nächsten Jahre führen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde für die FDPFraktion. ({0})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Müntefering! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die heutige Debatte um die Rente mit 67 und die Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer beschließen ein missglücktes Kapitel sozialpolitischer Reformversuche, auch wenn heute natürlich versucht wird, das anders darzustellen. ({0}) Die Rente mit 67 und die arbeitsmarktpolitischen Begleitgesetze werden weder den Menschen, die sie betreffen, gerecht, noch lösen sie die anzugehenden Probleme. ({1}) Herr Ernst, warum man die Linke nicht ernst nimmt, ist mit einem Satz gesagt: Sie bleiben vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung die Antwort schuldig, wie Sie in der Zukunft ein stabiles und finanzierbares Rentensystem erreichen wollen. ({2}) Frau Schewe-Gerigk, Sie sind eben auf die RiesterRente eingegangen. Die Riester-Rente war nur ein Propagandatrick, um die Rentenkürzung durch Rot-Grün zu kaschieren. Auch das muss einmal gesagt werden. ({3}) Herr Brandner hat sich mit der Aufgabe von Betriebsräten auseinandergesetzt. Betriebsräte vor Ort sollten sich weder von Unternehmen noch von Gewerkschaften oder gar von der SPD instrumentalisieren lassen. ({4}) Sie werden von den Arbeitnehmern vor Ort gewählt. Deswegen sollen sie unabhängig sein. ({5}) Dann können sie ihre Aufgabe wahrnehmen. ({6}) Die Anhörungen haben gezeigt, dass das vorgeschlagene Paket der Arbeitsmarktmaßnahmen unzureichend ist. Die Beschäftigungsquote Älterer wird nicht nachhaltig gesteigert. Die von Ihnen aufgeführten Maßnahmen kann man wieder nur als alten Wein in alten Schläuchen bezeichnen. ({7}) Weder die vorgeschlagene Ausweitung von Weiterbildungsmaßnahmen für befristete Arbeitsverhältnisse noch Lohnzuschüsse werden die Beschäftigung Älterer signifikant steigern können. Entsprechend erwartet das Bundesministerium auch nur eine Zunahme der Beschäftigung Älterer von bis zu 100 000 Personen, was für die 55- bis 64-Jährigen gerade einmal eine Steigerung von 1 Prozentpunkt von 45 auf 46 Prozent ausmachen würde. Das kann ja wohl nicht reichen. Um den anstehenden Aufgaben gerecht zu werden, ist es nach Ansicht der FDP notwendig, ein grundsätzliches Umdenken im Bereich der Rentenversicherung anzustoßen und das Verhältnis von Arbeit und Rentenbezug neu anzupassen. Die Lebensarbeitzeit der Menschen ist zu verlängern und dafür die Beschäftigungsquote Älterer zu erhöhen. Dies kann aber nicht durch eine verordnete Rente mit 67 über die Köpfe der Versicherten hinweg geschehen. Vielmehr müssen Möglichkeiten zum Beschäftigungsaufbau im Alter durch geeignete Rahmenbedingungen und Anreize geschaffen werden. ({8}) Dr. Kolb hat eben den konstruktiven Vorschlag der FDP dargelegt. Mit einem solchen System wird man den Interessen Älterer gerecht, wie ich an einem Beispiel kurz schildern möchte: Ein Versicherter, der mit 60 arbeitslos wird, weil seine Firma insolvent wird, fällt nach heutiger Rechtslage erst auf das ALG I und nach 18 Monaten auf das ALG II, Hartz IV, zurück. Er muss dann sein Vermögen einsetzen, bevor er eventuell, wenn er 45 Versicherungsjahre gearbeitet hat, mit 63 Jahren in Rente gehen kann. Allerdings unterliegt er dann - heute bis zum 65., später bis zum 67. Lebensjahr - engen Zuverdienstgrenzen; bei einer Vollrente sind das 350 Euro. So kann er seine Abschläge nicht durch Zuverdienst ausgleichen und seinen Lebensstandard halten. Mit dem von der FDP vorgeschlagenen Modell kann der Versicherte entweder sofort nach der Insolvenz oder nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes I seine Rente beanspruchen und sie durch Zuverdienst aufstocken, je nachdem, was für eine Teilzeitbeschäftigung er finden möchte und kann. ({9}) Dadurch kann er erstens seinen Lebensstandard halten und zweitens durch den Erwerb von Entgeltpunkten die Abschläge für die vorzeitige Rente zum Teil ausgleichen. Den Versicherten könnten so wirkungsvoll die Ängste vor einem Rückfall auf Hartz IV im Alter genommen werden. ({10}) Mit dem FDP-Modell wird so eine freiheitliche Gestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben zum Ruhestand ermöglicht. Genau dies wünschen sich die Menschen. Es entspricht auch den Erfordernissen einer älter werdenden Gesellschaft. Zwar sind die Menschen immer leistungsfähiger - auch bis ins höhere Alter -; aber das gilt bei weitem nicht für alle Menschen. Daher muss gerade im Alter ein Wahlrecht für die Versicherten geschaffen werden, ihren Möglichkeiten entsprechend zu arbeiten und ihren Lebensstandard zu sichern. Ich freue mich, dass auch die SPD Überlegungen anstellt, wie man den Renteneintritt flexibler gestalten kann, und dass sie die Vorschläge der FDP vielleicht aufgreifen möchte. Auch die Gewerkschaften fordern flexible Regelungen. Was Sie heute vorlegen, ist verfassungsrechtlich bedenklich. Daher lehnt die FDP die Rente mit 67 ab. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe das Wort. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir gehen heute angesichts einer älter werdenden und schrumpfenden Bevölkerung einen wichtigen Schritt, um die gesetzliche Rentenversicherung nachhaltig zu sichern. Deswegen ist dies ein guter Tag für alle, denen das solidarische Sicherungssystem am Herzen liegt. ({0}) Drei Jahre längere Lebenserwartung bis 2030 und zwei Jahre längere Lebensarbeitszeit: Das bedeutet immer noch ein Jahr längere Rentenbezugszeit. Wer das leugnet und darauf basierende Maßnahmen bekämpft, der versucht, Adam Riese zu bekämpfen. Dieser Kampf ist nicht zu gewinnen. ({1}) Angesichts eines Rückgangs der Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen um 13,4 Prozent allein in einem Jahr ist dieser Schritt, den wir gehen, verantwortbar. Wie richtig dieser Gesetzentwurf ist, kann man sehen, wenn man sich mit dem beschäftigt, was die Opposition hier vorgelegt hat. Ich will das einmal tun und beginne mit dem FDP-Antrag. Dieser Antrag hat eine Vorgeschichte. Herr Kolb hat auf dem letzten FDP-Parteitag einen Antrag zur Rente mit 67 gestellt. Herr Westerwelle und Herr Niebel haben sich dagegen ausgesprochen. Nach dem Motto „Wir sind doch Opposition! Warum sollen wir das beschließen?“ ist der Antrag abgelehnt worden. Dann haben Sie lange über die Frage gestritten, ob Sie nun für die Rente mit 67 oder für die Rente mit 65 sind, Herr Kolb. Das vorliegende Ergebnis ist eine Rente mit 60, ({2}) allerdings nur für diejenigen, die sich das leisten können. Sie haben die Frage also nicht beantwortet. Ihren Antrag haben Sie im Ausschuss wenige Stunden vor der Sitzung vorgelegt. Auf den Hinweis, warum Sie so lange gebraucht haben, haben Sie gesagt, Sie hätten ihn schon ein paar Tage vorher über die „FAZ“ eingebracht. ({3}) Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ist zwar eine gute Zeitung, aber sie mit einem Verfassungsorgan zu verwechseln, ist doch seltsam. Man muss sich daher nicht wundern, dass Sie manchmal Probleme haben, zu prüfen, ob ein Vorschlag verfassungsgemäß ist. ({4}) Herr Kolb, fragen Sie einmal Ihre Friseurin, welche Rentenansprüche sie mit 60 hat und ob sie davon leben kann. Fragen Sie einmal ihren Briefträger bei der nächsten Gelegenheit, welche Ansprüche er mit 60 hat und ob er davon leben kann. Was Sie uns hier vorlegen, ist doch zynisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Kollege Brauksiepe, es ist ja in Ordnung, wenn sich die Abgeordneten der Regierungskoalition, wie das jetzt der Fall ist, lieber Stück für Stück an den Vorschlägen der Opposition abarbeiten als an den eigenen Vorschlägen. Wenn Sie, was Ihr gutes Recht ist, unsere Vorschläge kritisieren, dann muss ich Sie allerdings fragen, ob Sie heute wenigstens sagen können: Die Rente mit 67 ist sicher. Bevor Sie andere kritisieren, sollten Sie das tun. Ich möchte Sie daher bitten, diesen Satz zu sagen. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, die Kollegin Falk und die Kollegen von der SPD haben das, was wir zur ersten Lesung eingebracht haben, ausführlich erläutert. Mit den von uns vorgelegten Entwürfen erreichen wir die Ziele, die wir uns mit Blick auf das Rentenniveau und die Beiträge gesetzt haben, und das ist auch notwendig. Sie müssen, wenn Sie schon solchen Unsinn vorlegen, damit leben, dass darüber geredet wird. Mir ist klar, dass Ihnen das peinlich ist. Wir reden über Ihre Vorschläge, weil sie so unseriös sind, dass man sie nicht umsetzen kann. ({0}) Jetzt möchte ich etwas zu dem sagen, was die Grünen hier vorgelegt haben. Ich will ausdrücklich anerkennen, dass die Grünen den Grundsatz mittragen, dass die Lebensarbeitszeit verlängert werden muss. Ich kann feststellen: Die Große Koalition und die Grünen erklären gemeinsam: Es muss eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit über einen langen Zeitraum hinweg geben. Nur FDP und PDS sind dagegen. Das erkenne ich im Hinblick auf die Grünen ausdrücklich an. Nun sind Sie am Ende nach langem Versuchen aber doch in die Populismusfalle hineingeplumpst. Sie nehmen Anstoß an einer Günstigstellung von Menschen, die besonders lange Beiträge gezahlt haben. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich spreche Sie direkt an: Ich bitte Sie zunächst einmal, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn Sie sagen, dass bei Bauarbeitern witterungsbedingte Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht mitgewertet werden, dann hat das etwas mit der Vergangenheit und nichts mit der Gegenwart zu tun. Mit der Einführung des Saisonkurzarbeitergeldes ist dieses Problem gelöst. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen. Nun gibt es ja in dieser Zeit interessante Entwicklungen. Oft wimmelt unser ganzes Land von Hobbybundestrainern. Seit ein paar Tagen erleben wir, dass die Opposition voll von Hobbyverfassungsrichtern ist, ({1}) die alle mal soeben erklären, was alles angeblich nicht verfassungsgemäß ist. ({2}) Hobbyverfassungsrichter brauchen wir aber nicht. Wir haben diese gesetzlichen Initiativen geprüft. Die jetzige Justizministerin war auch unter Ihrer Regierung Justizministerin. Warum glauben Sie es nicht, wenn von diesem Justizministerium erklärt wird, dass die geplanten Regelungen verfassungsgemäß sind? Dies hat seine guten Gründe, Frau Schewe-Gerigk: Die allgemeine Mindestversicherungszeit beträgt fünf Jahre. Für untertagebeschäftigte Bergleute kennt das Rentenrecht eine Wartezeit von 25 Jahren. Da bedarf es nicht der Entgeltpunkte für einen Obersteiger. Und wenn Sie nach 35 Beitragsjahren eine Regelung für langjährig Versicherte in Anspruch nehmen wollen, fragt auch keiner, welche Entgeltpunkte Sie angesammelt haben. In all diesen Fällen geht es nur um die Beitragszeiten. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich meinen Gedanken beendet habe, Frau Präsidentin. Frau Kollegin, Sie haben hier Folgendes gemacht: Sie haben sich gedacht: Warum sollen wir von der Opposition ein Gesetz, das umstritten ist, mittragen? Sie haben ein Haar in der Suppe gesucht, und es leider bei Menschen gefunden, die sehr verdienstvoll zu den sozialen Sicherungssystemen beitragen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Langjährige Beitragszahler, Menschen, die 45 Jahre in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt haben, haben Respekt verdient und nicht die Neiddebatte, die Sie hier führen. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, Sie haben gerade von Hobbyverfassungsrichtern gesprochen. Es ist ja so, dass in der jüngsten Zeit Gesetze der Bundesregierung vom Bundespräsidenten kassiert wurden. Würden Sie auch diesen unter die Hobbyverfassungsrichter einreihen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ernst, ich darf Sie auf die Verfassungslage hinweisen, nach der die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wird und nicht vom Bundespräsidenten. ({0}) Die Verfassungslage ist da eindeutig. ({1}) Der Bundespräsident muss ein Gesetz nicht unterzeichnen; aber er ist nicht für die abschließende Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zuständig. ({2}) Dafür ist das Bundesverfassungsgericht zuständig. ({3}) Wir sehen jeder Überprüfung dessen, was wir hier vorlegen, mit großer Gelassenheit entgegen. Lassen Sie mich noch wenige abschließende Bemerkungen machen. Wir werden insgesamt ein Gesetzespaket verabschieden, das politisch und auch verfassungsrechtlich Bestand haben wird. Es geht in der Tat darum, dass man hier politische Entscheidungen treffen muss. Wir haben uns politisch entschieden, und wir haben uns verfassungsrechtlich abgesichert. Ich will deutlich sagen: Man sollte sich nicht hinter der Verfassung verstecken, wenn man politische Wertungen vornimmt. Alle diejenigen, die sich im Ausschuss dazu geäußert haben, sind nun wirklich keine Verfassungsrichter. ({4}) - Das ist der Unterschied: Ich lasse mich von Experten beraten. ({5}) Ich muss nicht alles selber wissen, Herr Westerwelle. Ich nehme das auch nicht für mich in Anspruch. Wir werden uns noch mit der Initiative „50 plus“ und der Förderung der beruflichen Weiterbildung beschäftigen. Wie wichtig das ist, sieht man - zwar nicht in der heutigen Debatte, aber in anderen - am Beispiel des Herrn Lafontaine. Wer aus Ärger über den Chef die Brocken hinwirft, Jahre später in den Beruf zurückkehrt und die Zeit dazwischen nicht genutzt hat, sich weiterzubilden, der redet so wie Oskar Lafontaine und die PDS in dieser Debatte. ({6}) Deswegen ist es wichtig, dass wir älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das ersparen. Wir treten hier nicht an, um einen Populismuspreis zu gewinnen - wir tun das, was in dieser Situation notwendig ist. Deswegen darf ich mich bei den Mitgliedern der Bundesregierung und den Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition herzlich bedanken, dass wir dies gemeinsam stemmen. Lieber Klaus Brandner, du hast im Zusammenhang mit dieser Debatte von persönlichen Verletzungen gesprochen. Lass mich dazu sagen: Diese Art von Debatte, wie ihr sie jetzt auch erlebt habt, die haben wir schon über viele Jahre erlebt, auch vor 1998. ({7}) Vielleicht können wir daraus gemeinsam die Konsequenz ziehen, auch wenn wir wieder einmal politische Gegner sind, dass es Arten des Umgangs miteinander gibt, die wir nicht wollen und die man sich in einer Demokratie schenken sollte. ({8}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank an alle, die dieses wichtige Gesetz mit vorbereitet haben. Wir setzen heute das gemeinsam als richtig Erkannte in der Großen Koalition gemeinsam durch, im Interesse heutiger und zukünftiger Generationen. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Brauksiepe, vom Leiden bei Debatten verstehen auch wir eine Menge, wenn auch in ganz anderen Zusammenhängen. Zweitens muss ich Ihnen doch eine kleine rechtliche Belehrung erteilen: Der Bundespräsident ist nicht berechtigt, nach eigenen Vorstellungen zu entscheiden, ob er ein Gesetz unterschreibt oder nicht. Er ist verpflichtet, Gesetze zu unterschreiben, es sei denn, sie sind offenkundig grundgesetzwidrig; das ist der einzige Anhaltspunkt, den er hat. ({0}) Aus diesem Grunde hat er zwei Gesetze nicht unterschrieben. Ich finde es gut, wenn wir viele Amateurverfassungsrichterinnen und -verfassungsrichter haben, weil das nämlich bedeutet, dass sie sich Gedanken darüber machen, ob das, was sie beschließen, grundgesetzwidrig ist oder nicht. Ein Finanzgericht hat gerade festgestellt, dass Ihre Kürzung der Pendlerpauschale zumindest nach dessen Auffassung grundgesetzwidrig ist, und den Fall deshalb zum Bundesverfassungsgericht geschickt. Ich finde, etwas mehr Belehrung auf der Strecke ist für Sie sinnvoll. ({1}) Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung; darauf weisen Sie ständig hin. Doch ich würde Sie gerne einmal fragen, wer von diesem wirtschaftlichen Aufschwung eigentlich etwas hat. Gibt es für die Arbeitslosen irgendeine Verbesserung? Sie haben die Jüngeren vom Arbeitslosengeld II ausgeschlossen, und es gibt keinen Inflationsausgleich; die Arbeitslosen haben alle Verteuerungen aus eigener Tasche zu bezahlen. Es gibt also keine Verbesserungen. Bei den Geringverdienenden kann man nur sagen: Es gibt jetzt mehr von ihnen. Auch sie bekommen keinen Inflationsausgleich. Die Geringverdienenden dienen im Kern nicht nur als billige Arbeitskräfte, sondern auch zum Vertuschen, wie hoch die Arbeitslosigkeit tatsächlich ist. ({2}) Den Kranken bleiben die Zuzahlungen erhalten. Die Große Koalition hat eine Gesundheitsreform beschlosDr. Gregor Gysi sen, die ich in bestimmten Teilen für verfassungswidrig halte - wieder so ein Amateurrichter. ({3}) Wir werden sehen, ob das eines Tages auch das Bundesverfassungsgericht so einschätzt. Klar ist bei der Gesundheitsreform, dass die Beiträge der Versicherten ständig steigen werden. Den Beitrag, den die Unternehmen zahlen, wollen Sie dagegen an einer bestimmten Stelle einfrieren. Das Ganze hat mit mehr sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun, ganz im Gegenteil. ({4}) Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben Sie trotz der zunehmenden Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz die Pendlerpauschale für die ersten 20 Kilometer gestrichen und für die restlichen Kilometer deutlich gekürzt. Das hat, wie gesagt, bereits das erste Finanzgericht als verfassungswidrig eingestuft. Dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas vom wirtschaftlichen Aufschwung hätten, kann also keiner behaupten. Zur Lohnentwicklung. Wir sind das einzige neoliberal geprägte Land, das so konsequent ist, dass die Löhne in Deutschland in den letzten acht Jahren um 0,9 Prozent gesunken sind - selbst in den USA, in Großbritannien, in Frankreich, in der gesamten EU sind die Löhne und Gehälter gestiegen. Nur in Deutschland sind sie gesunken. Jene haben vom wirtschaftlichen Aufschwung nichts. ({5}) - Jetzt gibt es die erste Ausnahme: Im Bereich der Chemie ist eine Lohnsteigerung von 3,6 Prozent vereinbart worden. Ich bin sehr gespannt, wie es in den anderen Bereichen ausgeht. Nur, wir müssen hinzufügen: Es gibt immer weniger Menschen, die tarifgebunden bezahlt werden; im Osten sind es gerade noch 20 Prozent. Die anderen Menschen freuen sich schon, wenn sie einen Haustarif haben. ({6}) Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nützt der Wirtschaftsaufschwung also auch nicht. Nun zu den Rentnerinnen und Rentnern, um die es heute geht. In dieser Debatte geht es weniger um die heutigen Rentnerinnen und Rentner als vielmehr um die künftigen - weshalb ich auch nie verstehe, warum die Grünen immer sagen, das alles geschehe im Interesse der jungen Leute. Wieso soll es im Interesse der Jungen liegen, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt Rente bekommen? ({7}) - Draußen demonstrieren übrigens gerade 3 000 junge Leute, weil sie von Ihren Vorschlägen so „begeistert“ sind; das sollten Sie sich einmal ansehen. ({8}) Seit Jahren gab es für die Rentnerinnen und Rentner Null- und Minusrunden. Jetzt wird beschlossen, das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre zu erhöhen. Bundesminister Glos - der sich gerade amüsiert - und Bundesminister Schäuble weisen regelmäßig darauf hin: Das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Sie müssen das Renteneintrittsalter in Zukunft noch weiter erhöhen. - Mich würde interessieren: An welches Renteneintrittsalter denken Sie? Wo soll das Ganze enden, bei 70, bei 75? ({9}) Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Das ist keine Lösung des Problems. ({10}) Wahr ist aber - hier sind wir gefordert -, dass wir Alternativen anbieten müssen. Es reicht nicht aus, nur zu sagen, dass einem das nicht passt. Solche Alternativen gibt es. Wir müssen zum Beispiel über die Frage nachdenken: Wer zahlt eigentlich in die gesetzliche Rentenversicherung ein? Zu Bismarcks Zeiten taten dies 90 Prozent der Beschäftigten, weil 90 Prozent aller Einkommensbezieher abhängig beschäftigt waren. Heute sind dies nur noch 60 Prozent. Nur 60 Prozent der Einkommensbezieher sind abhängig beschäftigt und zahlen in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Deshalb schlagen wir Ihnen erstens vor, schrittweise dazu überzugehen, alle Einkommensbezieher in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Dann wäre das Finanzierungsproblem an einer entscheidenden Stelle gelöst. ({11}) Zweitens. Es gibt Beitragsbemessungsgrenzen. Das heißt, mit dem oberhalb einer gewissen Grenze liegenden Einkommen haftet man nicht mehr für die Rentenversicherung. Wir schlagen Ihnen vor, die Beitragsbemessungsgrenzen schrittweise aufzuheben, sodass man auch für das höhere Einkommen Beiträge zahlen muss. Damit die Renten nicht ins Unermessliche steigen, sollte dieser Rentenanstieg abgeflacht werden. All diese Maßnahmen wären grundgesetzgemäß und möglich. Schließlich schlagen wir Ihnen vor, bei den Unternehmen die Sozialabgaben, die Sie leichtfertig Lohnnebenkosten nennen, nicht länger nach der heutigen Form zu berechnen, sondern andere Kriterien heranzuziehen. Man könnte zum Beispiel die Wertschöpfung der Unternehmen zugrunde legen, um bei der Berechnung flexibler vorgehen zu können und zu gerechteren Ergebnissen zu kommen. Ich möchte nicht, dass ein Unternehmen, das die doppelte Zahl von Beschäftigten, aber den gleichen Gewinn wie ein anderes Unternehmen hat, doppelt so hohe Abgaben wie letzteres Unternehmen zahlen muss. Hier muss man mehr Gerechtigkeit herstellen. Das wären echte Reformen. Aber Sie ver8680 schieben immer nur alles nach hinten, um die Rente zu kürzen. ({12}) Lassen Sie mich zum Schluss auf Folgendes hinweisen: Sie ignorieren die ökonomische Tatsache, dass die Produktivität schneller wächst als die Wirtschaft. Jahr für Jahr werden in derselben Arbeitszeit mehr Güter hergestellt und mehr Dienstleistungen erbracht; so viel können wir gar nicht verkaufen. In eine solche Zeit passt eine Kürzung der Arbeitszeit, nicht aber eine Verlängerung der Arbeitszeit um zwei Jahre. ({13}) Es gibt nur zwei Gruppen, die etwas vom Wirtschaftsaufschwung haben - das ist leider viel zu wenig -: die Best- und Besserverdienenden und ein bestimmter Teil der Konzerne. Das ist das Problem. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Gysi, wir stehen tatsächlich zur Notwendigkeit, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, und zwar aus Rücksicht auf die jungen Menschen und die nachfolgenden Generationen: weil wir sie nicht durch übermäßig hohe Beiträge belasten wollen und belasten dürfen. Durch Ihren Vorschlag, weitere Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, wird dieses Problem nicht gelöst. Denn das hätte nicht nur zur Folge, dass es mehr Beitragszahlerinnen und Beitragszahler gibt, sondern auch, dass dann eine weitaus größere Gruppe aus dem Topf der gesetzlichen Rentenversicherung bedient werden müsste und davon profitieren würde. ({0}) Im Rahmen einer Bürgerversicherung wäre das möglich, auch wenn es hier zu gewissen Verschiebungen kommen würde. Aber in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung geht diese Rechnung so nicht auf. Hier muss man zusätzliche Maßnahmen ergreifen. Dazu stehen wir. Wir sagen aber ganz deutlich, dass die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zwingend mit einem noch größeren Kraftaufwand verbunden sein muss, um ältere Menschen ins Erwerbsleben zu bringen bzw. sie im Erwerbsleben zu halten. Wenn das nicht gelingt, dann ist die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein verkapptes Rentenkürzungsprogramm. Ich finde, das muss in diesem Zusammenhang deutlich gesagt werden. Herr Müntefering, ich bin tatsächlich der Meinung, dass die Anstrengungen der Regierung im Rahmen der Initiative „50 plus“ völlig unzureichend sind. Mit Ihrem Programm erreichen Sie, wenn alles gut läuft, maximal 100 000 Menschen. Wir haben aber circa 1,3 Millionen arbeitslose Menschen über 50. Das heißt, hier stimmen die Relationen bei weitem nicht. Die Zahl der arbeitslosen älteren Menschen stagniert seit Jahren auf einem hohen Niveau. Daran hat auch der Konjunkturaufschwung nichts Wesentliches geändert. Herr Brandner, was wirkt, sind in erster Linie die 58er-Regelung, die Altersteilzeitregelung und die Unterbringung von Menschen in Maßnahmen. Mit anderen Worten: Was wirkt, ist die Statistik. Aber im wirklichen Leben hat es keine großen Veränderungen gegeben. Das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit hat sich leider nicht verringert. Es gibt lediglich Verschiebungen im Zahlenverhältnis von offener zu verdeckter Arbeitslosigkeit älterer Menschen. Hier wird ein Problem mehr verschleiert als tatsächlich gelöst. Das müssen wir, die zu dem Konzept „Rente mit 67“ stehen, deutlich sagen. ({1}) Das ist einer der zentralen Gründe dafür, dass es in der Bevölkerung noch immer großen Widerstand gegen das Konzept der Rente mit 67 gibt. Nach wie vor sind weit über 70 Prozent gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, ein weiterer Grund dafür ist, dass Sie nicht wirklich für dieses Konzept eintreten und Überzeugungsarbeit leisten. ({2}) Wenn wir - ich sage ganz bewusst: wir - dieses Projekt erfolgreich umsetzen wollen, dann reicht es nicht, das im Parlament mit Mehrheit - egal wie groß sie ist - zu beschließen. Vielmehr brauchen wir eine Mehrheit in der Bevölkerung für dieses Projekt. Das bedeutet, dass wir dafür kämpfen und argumentieren müssen. Hier darf man sich nicht in die Büsche schlagen, wie die Vertreter der Großen Koalition das immer wieder tun. ({3}) Sie versuchen noch nicht einmal, den Menschen diesen notwendigen Schritt plausibel zu machen. Wir Grüne waren in den vergangenen Wochen und Monaten bei sehr vielen Podiumsdiskussionen vertreten, genauso wie Die Linke und die FDP. Diese haben aber Seit an Seit gegen die Rente mit 67 gekämpft. ({4}) Die CDU glänzte durch Abwesenheit, während sich die SPD als Gegner der Rente mit 67 präsentierte. Wenn wir Grüne für die Rente mit 67 argumentieren, dann müssen wir uns anhören, wir würden das Geschäft der CDU betreiben. Herr Steppuhn, was sagen Sie eigentlich dazu? ({5}) Angesichts dieser Gemengelage sind wir die Einzigen, die die Rente mit 67 vertreten. Herr Brauksiepe, wir suchen nicht das Haar in der Suppe. Vielmehr sind wir dieBrigitte Pothmer jenigen, die die Suppe servieren, die Ihre Leute offensichtlich gar nicht essen wollen. ({6}) So kann man die Menschen nicht überzeugen. Sie müssen den Rücken gerade machen und sich in den Wind stellen. Opportunismus und Wegducken nutzen hier gar nichts. So kommen Sie nicht weiter. Wir werden jedenfalls nicht länger Ihre Aufgabe erfüllen. Ich danke Ihnen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPDFraktion. ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Pothmer, die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in dieser Frage nicht wegducken. Wir haben am Dienstag in großer Einvernehmlichkeit beschlossen, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich sage das ausdrücklich, weil das, was Sie hier dargestellt haben, zumindest nicht in Gänze den Tatsachen entspricht. Viele von uns waren in den letzten Wochen unterwegs, ich persönlich als rentenpolitischer Sprecher meiner Fraktion, aber auch Klaus Brandner, Elke Ferner, Ludwig Stiegler und andere. Wir haben überall, wo es strittig war, den Kopf für diesen Gesetzentwurf hingehalten und ihn vertreten. ({0}) Dass es auch andere Meinungen gibt, gestehe ich zu. Dass das Vorhaben in der SPD-Bundestagsfraktion nicht unumstritten ist, ist kein besonderes Geheimnis. Dass wir uns heute nicht leicht tun, in einer so wichtigen Frage für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entscheiden, ist für Sozialdemokraten eine Selbstverständlichkeit. ({1}) Zum Gesetzentwurf ist einiges gesagt worden. Deswegen will ich mich zunächst mit dem Entschließungsantrag der FDP beschäftigen. Sehr geehrter Herr Kolb, Sie haben Ihr Konzept ausdrücklich als liberal bezeichnet. Ich habe Ihr Konzept sorgfältig gelesen. Sie haben das Aktionsprogramm „50 plus“ als weiße Salbe bezeichnet und festgestellt, es sei nahezu ohne Wirkung. In Ihrem Entschließungsantrag finden sich Ihre liberalen Positionen dazu zwar in Klammern gesetzt, aber klipp und klar wieder: Einschränkungen für ältere Arbeitnehmer beim Kündigungsschutz, bei der Tarifautonomie und der Betriebsverfassung. Das ist Ihr Aktionsprogramm „50 plus“! Das geht aus Ihrem Entschließungsantrag eindeutig hervor. ({2}) Gott sei Dank haben Sie für diesen neoliberalen Weg - als liberal kann man ihn nämlich nicht bezeichnen keine Mehrheiten in diesem Haus. ({3}) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Sie haben gefordert, Versicherten ab 60 Jahren den vorzeitigen Rentenzugang zu ermöglichen, wenn sie dies wollen. In der Anhörung haben aber Ihre Sachverständigen darauf hingewiesen, dass Abschläge in Höhe von 0,3 Prozent pro Monat nicht ausreichen; notwendig seien vielmehr 0,6 Prozent, also das Doppelte. Bezogen auf die sieben Jahre, die zwischen einem Rentenzugang mit 60 und der Rente mit 67 liegen, bedeutet das 50 Prozent Abschläge. Das ist ein Programm für Besserverdienende und Hochqualifizierte, die sich diese Abschläge leisten können; das ist aber kein Programm für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihr Leben lang schwer gearbeitet haben. ({4}) Das ist eine Tatsache. Insofern ist Ihr Programm nicht liberal, sondern zutiefst neoliberal. Herr Kollege Ernst, Sie haben festgestellt, dass es um eine Rentenkürzung geht. ({5}) Wenn man aber berücksichtigt, dass wir die Lebensarbeitszeit durch unser aller Dazutun permanent verkürzt haben und damit die Rentenbezugsdauer immer weiter angestiegen ist, dann müsste man im Umkehrschluss feststellen, dass das eine gigantische Rentensteigerung - nämlich durch die Steigerung der durchschnittlichen Rentenbezugszeit von zehn auf 17 Jahre - war. Wenn man wie Sie argumentiert, dann müsste man im Umkehrschluss auch das Argument vorbringen. Das tun wir nicht. Wir gehen aber davon aus, dass wir - wenn wir diesen Schritt nicht gehen würden - die Renten auf absehbare Zeit noch weiter absenken müssen, als es ohnehin notwendig wird. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns. ({6}) Ich halte angesichts der zu berücksichtigenden Stellschrauben die Rente mit 67 für einen möglichen Weg, der demografischen Herausforderung zu begegnen. In der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es drei Stellschrauben: die Beiträge, die für die Rentnerinnen und Rentner erbrachten Leistungen und die Steuern. Vor diesem Hintergrund ist die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre für uns der verträglichste Weg, auf die demografischen Herausforderungen zu antworten. ({7}) Was die Erwerbsquote Älterer angeht, haben Sie die Situation als dramatisch schlecht bezeichnet. Sie ist in der Tat nicht befriedigend. Genauso unbefriedigend ist, dass 4,2 Millionen Menschen ohne Arbeit sind. Aber wenn man die Rente mit 67 ablehnt und die derzeitigen Arbeitslosenzahlen und die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Zukunft projiziert, dann konstatiert man damit, dass man nicht mehr daran arbeitet, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die Sozialdemokraten werden es aber nicht hinnehmen, dass die Arbeitslosenquote auf dem derzeitigen Stand bleibt. ({8}) Wir finden uns mit dieser Tatsache nicht ab. Darin besteht der entscheidende Unterschied zwischen uns. Was beispielsweise Ihre Äußerung angeht, es hätte eine Quote festgelegt werden müssen, will ich Ihnen entgegenhalten, dass sich seit dem Jahr 2000 die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 55 folgendermaßen verändert hat: In 2000 lag die Quote der Beschäftigten über 55 in den Betrieben bei 38 Prozent. Mittlerweile sind es 48,9 Prozent. Die Quote hat sich insofern deutlich verändert. ({9}) Mir kommt es an dieser Stelle nicht darauf an, ob die Quote 50 Prozent oder 60 Prozent beträgt; die Frage ist vielmehr, ob wir es bis 2010 - dann soll die Überprüfungsklausel tatsächlich zum Zuge kommen - schaffen, älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern reale Chancen zu bieten. ({10}) Hilfreich ist dabei keine Quote; es geht vielmehr um die Chancen, die die Menschen haben. Das ist das entscheidende Kriterium, das man zugrunde legen muss. Des Weiteren haben Sie gesagt - das stimmt mich sehr nachdenklich, übrigens bin ich dabei auch selbstkritisch; das gebe ich zu -, die Menschen könnten zum Teil gar nicht so lange arbeiten. In der Tat, das ist so. Es ist aber auch so, dass ganz viele Menschen es einfach nicht schaffen, bis 65 zu arbeiten. Man muss schlichtweg dazusagen, dass dem so ist. Was haben wir gemacht? Ich war übrigens daran beteiligt und sage Ihnen, was wir gemacht haben. Wenn jemand schwer und hart in diesem Land arbeiten musste, dann haben wir uns weniger um die Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekümmert als vielmehr darum, dass die Erschwernis bezahlt wurde. Die Folge war, dass sich die Menschen sogar darum gerissen haben, schwer und hart zu arbeiten, weil sie mehr verdient haben. Mit 55 waren sie dann kaputt, und wir, die Akteure im System, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie die Betriebsräte, haben nach dem Sozialstaat gerufen, damit er sich der kaputten Leute annimmt. Wieso lassen wir zu, dass Arbeit so kaputtmacht, dass sich die Allgemeinheit, der Sozialstaat, um die Menschen kümmern muss? ({11}) An dieser Stelle brauchen wir endlich einen Mentalitätswechsel, und zwar bei allen gesellschaftlichen Akteuren. Lasst uns ernsthaft über die Humanisierung der Arbeitswelt nachdenken. Humanisierung der Arbeitswelt kann nicht bedeuten, dass diejenigen, die schwer arbeiten, besser entlohnt werden, sondern sie müssen besser geschützt werden, damit sie in einem vernünftigen Gesundheitszustand in Rente gehen können. Darum wird es in Zukunft verstärkt gehen. ({12}) Lassen Sie mich zum Schluss etwas sagen, weil Herr Ernst auf die Umfragen hingewiesen hat. Wer wird es ihm verdenken? Ja, Herr Ernst, die Umfragen für die SPD sind in der Tat im Moment nicht besonders toll. Sie sagen, wir hätten keine Zustimmung für die Politik, die wir machen. Insgesamt muss ich feststellen, dass die Große Koalition, wenn man zusammenrechnet, immer noch auf 60 Prozent und mehr kommt. Sie kommen auf 8 Prozent Zustimmung. Wenn man den Anteil der WASG herausrechnen würde, würde die PDS alleine auf 6 Prozent kommen. So sieht es letzten Endes aus. ({13}) Wir haben, zumindest was die gesellschaftlichen Fragen angeht, eine breite Mehrheit bei allen Umfragen - im Gegensatz zu Ihnen. ({14}) Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen waren im Deutschen Bundestag, bevor es die WASG gab, bei der Sozialdemokratie ordentlich aufgehoben. ({15}) - Hören Sie gut zu! - Ich sage Ihnen zum Schluss Folgendes: Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen werden in diesem Deutschen Bundestag durch die SPD auch weiterhin ernst und wahrgenommen, wenn Sie alle schon Geschichte sind. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die Unionsfraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute ein notwendiges Gesetz, nämlich ein Gesetz zur Sicherung der Rente in der Zukunft. Ich danke zu Beginn sehr herzlich vor allen Dingen dem Bundesminister, dass er so stark dafür eingetreten ist, und darüber hinaus den beiden Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD, dass sie in einer schwierigen Phase eine schwierige Entscheidung für die zukünftige Rentenpolitik getroffen haben und trotz starker Kritik an diesem Gesetz, manchmal auch übermäßiger Kritik, standhaft geblieben sind. ({0}) Ich möchte dies begründen. Die Lebenserwartung steigt. Das ist gut für die Menschen in Deutschland. Wir haben eine längere Rentenbezugsdauer. Auch das ist gut für die Menschen in Deutschland. Wir haben aber in demselben Zeitraum einen Rückgang an Beitragszeiten erwerbstätiger Personen durch verlängerte Ausbildungszeiten und durch Frühverrentungsmaßnahmen. Diese Last kann zukünftig nicht mehr geschultert werden. Deshalb sind wir gefordert, die vorgesehenen Maßnahmen heute zu verabschieden. Ein Letztes: Die demografische Entwicklung ist für alle, die Entscheidungen herbeiführen und heute abstimmen, gleich. Heute stehen zwei Beitragszahler einem Rentner gegenüber, im Jahr 2050 wird ein Beitragszahler einem Rentner gegenüberstehen. Dass deshalb Maßnahmen notwendig sind, um die Rente für die Bürgerinnen und Bürger sicher zu gestalten, liegt auf der Hand. Deshalb kann ich nur alle auffordern, sich an diesem Prozess zu beteiligen und dem heutigen Gesetz zuzustimmen. ({1}) Was wäre - darauf sind schon vielfältige Antworten gegeben worden, auch vorhin von meinem Kollegen Anton Schaaf -, wenn wir nichts tun? Linke und Gewerkschaften fordern das, und sie tragen tagtäglich entsprechende Ansinnen an uns heran. Wenn wir nichts tun, dann bedeutet das letztendlich höhere Beitragssätze für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in diesem Haus gewollt ist. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land das wollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schui?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Schui.

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Produktivität der Arbeit sich bis zum Jahre 2050 mehr als verdoppelt haben wird? Gegenwärtig kann ein Erwerbstätiger Waren und Dienstleistungen im Wert von 40 Euro pro Stunde produzieren. In dem von Ihnen angegebenen Zeitraum wird dieser Wert wahrscheinlich bei 100 Euro liegen. Aus dieser Masse lässt sich ein steigender Rentenaufwand - die Anzahl der Rentenberechtigten steigt doch locker finanzieren. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schui, daran erkennt man letztendlich den Unterschied zwischen den Linken und den Verantwortlichen hier im Hohen Hause. Sie verfrühstücken bereits das, was prognostiziert wird, während wir uns auf die wirtschaftlichen Ergebnisse einstellen. ({0}) So war auch die Politik in der ehemaligen DDR. Der Kollege Gysi hat bereits vorhin ein Rentenversicherungssystem angepriesen, in das alle einzahlen, aus dem aber keiner etwas bekommt. So war es in der Vergangenheit in der DDR. ({1}) Den Bürgerinnen und Bürgern gerade im Osten Deutschlands ist man dadurch besonders entgegengekommen, dass sie in die Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland eintreten konnten. ({2}) - Das macht nichts; aber er vertritt dieselbe Politik. Heute wurde schon über einen abschlagsfreien Rentenzugang ab dem 65. Lebensjahr nach einer Beitragszahlungsdauer von 45 Jahren unter den verschiedensten - auch unter verfassungsrechtlichen - Aspekten diskutiert. Ich will mich hier nicht einmischen. Ich möchte auf etwas sehr Bemerkenswertes hinweisen: Wir wollen mit einer Sonderregelung diejenigen, die 45 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, belohnen. Man kann auch sagen: Wir wollen die Treue zur gesetzlichen Rentenversicherung belohnen. Ich glaube, es ist notwendig, das hier darzustellen. Die Kollegen von der FDP treten wie wir besonders für eine kapitalgedeckte Vorsorge ein. Man hat hier zum Beispiel noch nie infrage gestellt, dass bei einer abgeschlossenen Lebensversicherung, in die über die gesamte Vertragsdauer eingezahlt wurde, ein Schlussgewinn anfällt. Ein solcher Gewinn wäre nicht angefallen, wenn der Vertrag vorzeitig gekündigt worden wäre. Selbst bei einer kapitalgedeckten Vorsorge wird eine langjährige Vertragsbindung honoriert. Mit anderen Worten: Langjährige Treue wird auch hier besonders belohnt. Ich bin der Meinung, dass eine solche Regelung auch in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden sollte. Dafür stehen wir. ({3}) Ich möchte noch etwas zum Konzept der FDP sagen. Auf der einen Seite wird gesagt: Wir wollen den Leuten ermöglichen, bis zum 67. Lebensjahr auf freiwilliger Basis zu arbeiten; sie können aber mit 60 in Rente gehen. Die jetzigen Erfahrungen mit unseren Frühverrentungsprogrammen - Sie selbst fordern, sie abzuschaffen - zeigen sehr deutlich, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst früh in Rente gehen wollen. Wenn wir das Ganze der Freiwilligkeit überlassen, dann werden sich in der Zukunft noch mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entscheiden, mit 60 in Rente zu gehen, wenn sie es überhaupt können. Bei Ihrem Modell wären 25 Prozent und mehr Abschlag notwendig. Das kann sich vor allen Dingen der geringverdienende Arbeitnehmer nicht leisten. ({4}) Deshalb stehen wir zu unserem Konzept. Das ist sozial ausgewogen und sichert die Rente nach dem alten Blüm’schen Satz: Die Rente ist sicher. - Dafür sorgen wir hier in Deutschland mit unserer Zustimmung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schön, dass Sie sich schon zur namentlichen Abstimmung hier versammeln. Ich bitte Sie aber, die Gespräche, die vielleicht dringend zu führen sind, draußen zu führen oder eben doch einzustellen, sodass wir dem Kollegen Meckelburg, dem ich jetzt für die Unionsfraktion das Wort erteile, noch zuhören können. ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner vor einer namentlichen Abstimmung hat man es häufig nicht so leicht. Deswegen will ich nicht mehr viele Zahlen zitieren, sondern die Grundbotschaften noch einmal zusammenfassen. Wir verabschieden heute zwei Gesetze im Doppelpack: die Rente mit 67 und die Verbesserung der Beschäftigungschancen für Ältere, die sogenannte Initiative „50 plus“. Diese beiden Dinge gehören zusammen. Aus demografischen Gründen ist es notwendig, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, nämlich von 65 auf 67. Ein solches Ziel ist aber nur erreichbar, wenn wir auch die Beschäftigung Älterer in den nächsten fünf bis 22 Jahren - das ist der Zeitraum, über den wir reden - erhöhen. Die Zahlen zur demografischen Entwicklung sind genannt worden. Ich will sie noch einmal zusammenfassen. Auf der einen Seite: Die Jüngeren, die Rentenversicherungsbeiträge zahlen, werden immer weniger; die Beitragszahlungsjahre nehmen ab. Auf der anderen Seite: Die Älteren, die Rente beziehen, werden immer älter; die Rentenbezugszeiten nehmen zu. Die Botschaft Nr. 1 aus diesen Zahlen ist: Für die Politik ergibt sich Handlungsbedarf, und wir als Große Koalition handeln. ({0}) Die Alternative dazu wäre: nichts tun und abwarten. Das endet im Chaos. Die populistische Alternative dazu wird natürlich wie immer von den Linken vertreten: Augen zu vor der Realität, keine Strukturveränderung - denn das könnte den Menschen wehtun -; stattdessen alles so lassen, wie es ist, und unter Missachtung der Notwendigkeit von Korrekturen sogar noch draufsatteln. Das ist die Position der Linken. Hier paart sich die Wahrnehmung der Realität nach dem Motto „Augen zu!“ mit nicht begründetem „Alles wird gut“-Glauben und zusätzlichen Traumschiff-Versprechungen. Die Botschaft Nr. 2 lautet: Populismus hilft in dieser Frage nicht weiter, oder, fürs Volk gesagt: Leute, glaubt den Linken kein Wort! ({1}) Es ist in der Tat so: Sie stehen jeden Tag auf dem Bahnsteig und warten darauf, dass Sie sich in irgendeinen populistischen Zug setzen können. Wenn keiner kommt, setzen Sie selber einen aufs Gleis. Sie lassen von allem, was den Menschen wehtun könnte, die Finger. Sie machen Traumschiff-Versprechungen, die in der Realität nicht zu halten sind. - Lasst die Finger von den Linken! ({2}) Rente mit 67. Ich will noch einmal deutlich sagen, worüber wir reden, weil vor allem diejenigen, die jetzt in Rente sind, sich darüber aufregen und erhitzen. Alle die, die jetzt in Rente sind, sind davon gar nicht betroffen. Wir reden über die Erhöhung des Renteneintrittsalters über den langen Zeitraum von 22 Jahren. Bis 2011 wird sich da überhaupt nichts tun. Von 2012 bis 2023 wird das Renteneintrittsalter jährlich nur um einen Monat erhöht. In den letzten Jahren, von 2024 bis 2029, wird es jährlich um zwei Monate steigen. Wir werden also erst im Jahr 2029 die Rente mit 67 Jahren erreicht haben. Das ist ein langer Zeitraum. Es ist verantwortungsvolle Politik, wenn man über einen so langen Zeitraum etwas vorbereitet, auf das sich die Menschen, die Wirtschaft und alle miteinander einstellen können. Botschaft Nr. 3 also: Die Erhöhung des Renteneintrittsalters erfolgt über den langen Zeitraum von 22 Jahren. Das ist Politik mit Verantwortung und Augenmaß. ({3}) Wir wissen, dass es notwendig sein wird, in der Gesellschaft zu einem Mentalitätswechsel zu kommen. Wir müssen alle miteinander begreifen, dass es notwendig ist, länger im Berufsleben zu bleiben. Der Gesetzgeber begleitet dies mit der Initiative „50 plus“. Ich will die Maßnahmen noch einmal nennen: Wir werden durch den Kombilohn für Ältere bei der Entgeltsicherung zu Verbesserungen kommen; wir werden den Eingliederungszuschuss für die Einstellung Älterer verbessern; wir werden bei der Förderung der beruflichen Weiterbildung etwas tun; wir werden die mehrfache Verlängerung der Beschäftigungsverhältnisse über befristete Arbeitsverträge bis fünf Jahre für Ältere zulassen. Botschaft Nr. 4 lautet also: Die Bundesregierung, die Koalition flankiert den Prozess, ältere Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das ist verantwortungsvoll. ({4}) Ich bin zuversichtlich, dass sich die Situation für ältere Arbeitnehmer deutlich verbessern wird. Woher nehme ich diesen Optimismus? Erstens. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hat die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse bei Älteren - ich spreche über die 50- bis 65-Jährigen - von Juni 1999 bis 2006 um 730 000 zugenommen. Man muss sich klarmachen, was das heißt: Wir sind bereits bei einem gesellschaftlichen Mentalitätswandel angekommen. In einer Zeit, wo die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse allgemein zurückgegangen ist, hat bei den über 50-Jährigen ein Aufwuchs stattgefunden, und zwar seit 1999 um jährlich etwa 100 000. Das gibt mir die Hoffnung: Alle, vor allen Dingen die Unternehmen und die Tarifparteien, haben begriffen, dass wir auf diesem Gebiet etwas tun müssen. Zweitens. Ein weiterer Grund für meinen Optimismus ist die Entwicklung des allgemeinen Wirtschaftswachstums. Wir haben erreicht, dass sich die Beschäftigungssituation Älterer verbessert hat. Bei der Erwerbstätigenquote haben wir einen Anstieg auf 48,3 Prozent gegenüber 45 Prozent im Vorjahreszeitraum zu verzeichnen. Gott sei Dank nimmt generell die Erkenntnis zu, dass ältere Arbeitnehmer für die Unternehmen notwendig sind. Sie sind aber nicht nur aufgrund ihrer Erfahrung und aufgrund des Fachkräftemangels in der Arbeitswelt notwendig, sondern viele ältere Menschen wollen auch wirklich arbeiten. Botschaft Nr. 5 lautet: Wir sind auf einem guten Weg. ({5}) Zum Schluss möchte ich ein Versprechen einlösen, das ich der Kollegin Rita Pawelski gegeben habe, indem ich darauf hinweise, dass wir im Gesetzgebungsverfahren eine gesetzgeberische Grauzone beim Künstlerdienst der Bundesagentur geregelt haben. Mit der Novellierung des Vermittlungsauftrages der Bundesagentur unterstützt die Große Koalition Künstler und Kulturschaffende, vor allem die vielen selbstständigen, die vielen jungen und die nicht berühmten, die sehr gute Leistungen bringen und auf diesen Dienst angewiesen sind. Diese beiden Gesetze gehören zusammen. Ich bitte Sie, heute beiden Gesetzen zuzustimmen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bun- desregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Men- schen. Es handelt sich um die Drucksachen 16/3793, 16/4371 und 16/4421. Der Ausschuss für Arbeit und So- ziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4578, die genannten gleichlautenden Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ich gebe zu, Kolleginnen und Kollegen: Es ist etwas schwie- rig, festzustellen, wer sich aus dem Grund der Zustim- mung erhoben hat und wer sich in der Erwartung kom- mender Ereignisse, der namentlichen Abstimmung, erhoben hat. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Es ist mir nicht möglich, das genaue Abstimmungsergebnis festzu- stellen. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/4578 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/241 mit dem Titel „Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich in der Abstimmung fortfahre, bitte ich Sie noch einmal, sich hinzusetzen und nicht, indem Sie hier vorne stehen, Abstimmungsergebnisse zu verfälschen. Wir sind immer noch bei Tagesordnungspunkt 20 b. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3027 mit dem Titel „Beschäfti- gungspolitik für Ältere - für ein wirtschafts- und arbeits- marktpolitisches Gesamtkonzept“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthal- tungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3779 mit dem Titel „Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bundesagentur für Arbeit ermöglichen - Künstlerdienste sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grü- nen und Die Linke angenommen. Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 20 c: Ab- stimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes auf den Drucksachen 16/3794, 16/4372 und 16/4420. Mir liegen dazu 37 Erklärungen gemäß § 31 unserer Ge- schäftsordnung vor.1) 1) Anlagen 2 bis 4 Vizepräsidentin Petra Pau Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4583, die genannten gleichlautenden Gesetzentwürfe zusammenzuführen und unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Linken verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie jetzt gleich verwenden werden, Ihren Namen tragen und dass sich die Zahl 16 für die 16. Legislaturperiode vor Ihrer Nummer befindet. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an allen Abstimmungsurnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - So, ich glaube, jetzt haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmen abgegeben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kol- leginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungs- anträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4618? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4617? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4619? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Grünen ab- gelehnt. Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck- 1) Ergebnis Seite 8688 A sache 16/4583 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2747 mit dem Titel „Nein zur Rente ab 67“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3812 mit dem Titel „Neue Kultur der Altersarbeit - Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung an längere Rentenlaufzeiten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3815 mit dem Titel „Stichtagsregelung für die Altersteilzeit im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz ({0}) verlängern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken angenommen. Tagesordnungspunkte 20 e und 20 f. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Druck- sachen 16/4552 und 16/4553 zur federführenden Bera- tung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Ausschuss für Gesundheit zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d auf: a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({2}), 1413 ({3}), 1444 ({4}), 1510 ({5}), 1563 ({6}), 1623 ({7}) und 1707 ({8}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksachen 16/4298, 16/4571 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Detlef Dzembritzki Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Jürgen Trittin - Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/4580 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({10}) Roland Claus Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Keine Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan einsetzen - Drucksachen 16/4047, 16/4576 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Detlef Dzembritzki Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({12}) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({13}) zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Keine Zusage deutscher Tornados ohne Bundestagsmandat - Drucksachen 16/4048, 16/4614 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Detlef Dzembritzki Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({14}) d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neues Mandat für Tornado-Einsatz unerlässlich - Drucksachen 16/4096, 16/4613 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Detlef Dzembritzki Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({16}) Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern ist der deutsche Entwicklungs- und Wiederaufbauhelfer der Welthungerhilfe Dieter Rübling im Norden Afghanistans ermordet worden. Wir alle trauern um Dieter Rübling. Wir danken ihm für sein zutiefst humanitäres Engagement. Unsere Gedanken sind bei der Familie und den Freunden des Toten. Wir trauern mit ihnen. Wir trauern mit der Welthungerhilfe, die seit über zwei Jahrzehnten so wertvolle Arbeit in Afghanistan und weltweit leistet. Dieter Rübling ist in dieser schweren Zeit nach Afghanistan gegangen, um den Menschen dort beim Wiederaufbau selbstlos zu helfen. Afghanistan nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs, der Fremdherrschaft und des Talibanregimes wiederaufzubauen und zu stabilisieren, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es in diesen Tagen gibt. Die Arbeit der zivilen Helfer und Helferinnen, die unbewaffnet sind, ist mit großen Gefährdungen und Risiken verbunden. Dies wird allzu oft vergessen, wenn von zivilem Wiederaufbau gesprochen wird. Umso mehr verdienen die Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer in Afghanistan unser aller Hochachtung, Respekt, Unterstützung und Dank. ({0}) Wir fordern alle afghanischen Behörden auf, die Mörder zu stellen und der gerechten Strafe zuzuführen. Noch immer wissen wir nicht genug über die Hintergründe dieses Mordes. Aber ich will sagen: Unser Land hat seit 2001 allergrößte Anstrengungen unternommen, um den Menschen in Afghanistan zu helfen. Entwicklungshelfer und Entwicklungshelferinnen sowie Soldaten haben ihr Leben riskiert, um den geschundenen Menschen in Afghanistan beim Aufbau ihres Landes zu helfen. Wir bauen Schulen, wir sorgen für die Wasserversorgung, wir helfen vor allem den Frauen und Kindern. Die Menschen in Afghanistan, die auf uns hoffen, können sich darauf verlassen, dass wir sie auch in Zukunft nicht im Stich lassen und uns nicht zurückziehen werden. Das sind wir ihnen schuldig. Das sind wir aber auch dem Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe schuldig, um den wir heute trauern. Das sind wir all denen schuldig, die Aufbauarbeit leisten. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 20 c und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetzes bekannt: Abgegebene Stimmen: 581. Mit Ja haben gestimmt 408, mit Nein haben gestimmt 169, Enthaltungen vier. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 581; davon ja: 466 nein: 169 enthalten: 4 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({2}) Georg Fahrenschon Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Frhr. Zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({7}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({11}) Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Bernward Müller ({15}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({16}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({17}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({18}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({19}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({20}) Andreas Schmidt ({21}) Ingo Schmitt ({22}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({23}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({24}) Gerald Weiß ({25}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({26}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner SPD Gregor Amann Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({27}) Doris Barnett Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({28}) Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Bernhard Brinkmann ({29}) Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf ({30}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({31}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Petra Hinz ({32}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({33}) Frank Hofmann ({34}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({35}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({36}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Markus Meckel Petra Merkel ({37}) Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({38}) Michael Müller ({39}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({40}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({41}) Michael Roth ({42}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({43}) Axel Schäfer ({44}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Ulla Schmidt ({45}) Silvia Schmidt ({46}) Renate Schmidt ({47}) Heinz Schmitt ({48}) Carsten Schneider ({49}) Olaf Scholz Reinhard Schultz ({50}) Swen Schulz ({51}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({52}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Clemens Bollen Willi Brase Martin Burkert Lothar Mark Hilde Mattheis René Röspel Ottmar Schreiner Andreas Steppuhn Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({53}) FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({54}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Horst Friedrich ({55}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({56}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({57}) Markus Löning Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({58}) Martin Zeil DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({59}) Volker Schneider ({60}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({61}) Volker Beck ({62}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({63}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Fritz Kuhn Undine Kurth ({64}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({65}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Claudia Roth ({66}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({67}) fraktionslos Henry Nitzsche Enthalten SPD Marco Bülow Gabriele Hiller-Ohm Dr. Bärbel Kofler Dr. Wolfgang Wodarg Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion. ({68})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Namens der FDP-Fraktion danke ich Ihnen, Frau Bundesministerin, dafür, dass Sie diese Debatte eröffnet haben, und für die Worte, die Sie gefunden haben. Ich denke, der ganze Deutsche Bundestag teilt das Bedauern und die Betroffenheit, die Sie zum Ausdruck gebracht haben. ({0}) Meine Damen und Herren, es wäre vielleicht auch sonst gar nicht schlecht gewesen, dass die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung diese Debatte eröffnet; denn an diesem furchtbaren Ereignis von gestern ist deutlich geworden, wie gefährlich die Lage ist und dass wir uns nicht in eine Situation begeben sollten, in der wir insofern zwischen Nord und Süd, Zivilem und Militärischem, Aufbau und Schutz sowie Deutschen und Amerikanern, Kanadiern oder Italienern unterscheiden. Jeder Tote ist einer zu viel. Im Zentrum unserer Debatte steht aber zunehmend die Notwendigkeit des Aufbaus in Afghanistan - das kommt in allen Anträgen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zum Ausdruck -, die Notwendigkeit, diesen Aufbau voranzutreiben, effektiv zu machen und schnell wirksam werden zu lassen. Ich würde es begrüßen, wenn es vielleicht durch Überweisung in die Ausschüsse gelingen würde, diese Anträge der Fraktionen - zumindest von Schwarz/Rot sowie von Grün und Gelb - zu einem gemeinsamen Antrag zusammenzuführen. Es wäre ein starkes Signal, wenn der Deutsche Bundestag die Notwendigkeit dieses Umsteuerns gegenüber der Regierung gemeinsam kraftvoll zum Ausdruck bringen würde. ({1}) Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung mit großer Mehrheit zustimmen. Es gibt bei uns aber kein Hurra. Ich habe Ihnen in der letzten Woche die außerordentlich schwierige Abwägung, die wir vorgenommen haben, hier ausführlich vortragen können und will mich nicht wiederholen. Es ist klar, dass viele Kolleginnen und Kollegen die schiefe Ebene fürchten. Deswegen ist es wichtig, deutlich zu machen, dass wir aufpassen werden, dass wir nicht weiter in etwas hineinrutschen, was wir dann nicht mehr beherrschen können. Es ist wichtig, dass wir respektieren, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die befürchten und Sorge haben, dass wir vielleicht vergessen, warum wir überhaupt dort sind, welche Verantwortung wir für das Leben der Menschen in Afghanistan und für unsere eigenen Entwicklungshelfer, Soldaten und andere haben, die sich um den Aufbau Afghanistans bemühen. Es gibt übrigens auch solche, die Sorge haben, dass wir vergessen, dass wir Teil eines Bündnisses sind, das für uns ein Teil der Staatsräson ist, und dass wir der Renationalisierung unserer Sicherheitspolitik ein für alle mal abgeschworen haben. ({2}) Das ist keine leere Floskel. Was heißt denn Bündnisfähigkeit? - Bündnisfähigkeit heißt doch nicht, einem anonymen Organ oder den amerikanischen Freunden zu gefallen. Bündnisfähigkeit bedeutet, in der Lage zu sein, auf politische und militärische Strategie, Taktik und Operationsführung aktiv Einfluss zu nehmen, gemeinsam getroffene Entscheidungen solidarisch zu tragen, gegebenenfalls dort, wo ein Veränderungsbedarf gegeben ist, gemeinsam umzusteuern und gegebenenfalls - auch das kann niemand ausschließen - eines Tages gemeinsam herauszugehen. Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit der Umsteuerung ist evident. Es ist dringend geboten, das Politische vor das Militärische und den Aufbau vor den Aufmarsch zu setzen sowie die Priorität der Politik zu gewährleisten. Das muss sich auch in der Rhetorik widerspiegeln. Wir bringen uns doch unnötig in ein falsches Licht, wenn wir immer von dieser Offensive reden, ohne dabei zu sagen, dass sie dazu dient, den Aufbau zu schützen. Es würde nämlich die Arbeit unserer Entwicklungshelfer unmöglich machen, wenn zum Beispiel von den Taliban, wie angekündigt, der riesige Staudamm, der fast eine halbe Million Menschen mit Wasser versorgen soll, zerstört würde. So macht das ja alles Sinn. Aber sich selbst rhetorisch in die Situation des Aggressors zu bringen, ist nicht sonderlich klug. ({3}) Auch hier ist Umsteuerung und damit rhetorische Abrüstung geboten. Nun, meine Damen und Herren, zur großen Sorge, die viele von uns haben: Stehen wir möglicherweise vor dem Scheitern? Helfen uns da Durchhalteparolen? Hilft es uns, wenn wir markig sagen: Afghanistan ist erst verloren, wenn wir es verloren geben? Nein, meine Damen und Herren, das wird den Risiken und der Komplexität der Aufgabe nicht gerecht. Wir brauchen eine realistische Definition unserer Ziele. Wenn wir daran gehen, müssen wir Abstriche machen, nicht bei der Aufbauarbeit, Frau Bundesministerin, nicht bei der konkreten Hilfe für die Menschen - diese ist notwendig -, sondern bei der Vorstellung, wir könnten innerhalb kürzester Zeit eine Westminsterdemokratie entwickeln ({4}) und wären in der Lage, innerhalb kurzer Zeit die Errungenschaften der Aufklärung über das Land zu bringen. ({5}) Wenn es uns in Erinnerung an das, was vor dem 11. September in Afghanistan los war und was danach geschaffen wurde, gelingt, die Menschen besser vor eklatanten Menschenrechtsverletzungen zu schützen, wenn es gelingt, uns selber hier in Europa und anderswo den Terror vom Leibe zu halten, dann haben wir sehr viel gewonnen. Dazu können die Aufklärer der Bundeswehr einen Beitrag leisten. Denn sie leisten natürlich auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz der eigenen Soldaten, zum Schutz unserer Verbündeten und zum Schutz der Menschen in Afghanistan vor so genannten Kollateralschäden, das heißt vor der Einbeziehung unschuldiger Zivilisten in Kriegshandlungen. Nach schwieriger Abwägung werden wir deshalb dem vorgelegten Antrag der Bundesregierung mit großer Mehrheit zustimmen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, auch im Namen meiner Fraktion möchte ich Ihnen herzlich für Ihre einfühlsamen Worte danken, die Sie zum Tode von Dieter Rübling gefunden haben. Sein Tod sollte uns allen eine Mahnung sein, dass die Lage in Afghanistan gefährlich ist, unser Engagement dort wichtig ist und wir Afghanistan eben nicht verloren geben dürfen. ({0}) Wenn wir uns die gesamte Lage in Afghanistan vor Augen führen, dann ergibt sich, wie der Kollege Hoyer zu Recht geschildert hat, ein differenziertes Bild. Es gibt gute und es gibt schlechte Nachrichten. Eine gute ist, dass Afghanistan heute kein sicherer Hafen für global agierende Terroristen mehr ist, dass die Taliban von der Macht vertrieben sind und dass die Terrorcamps von al-Qaida in Afghanistan zerschlagen sind. Eine schlechte Nachricht ist, dass insbesondere das letzte Jahr, in dem die Zahl der Selbstmordattentate um das Fünffache zugenommen hat und der Drogenanbau enorm angestiegen ist, für Afghanistan und die internationale Gemeinschaft ein schwieriges Jahr gewesen ist. Es bleiben uns realistischerweise nur noch 18 bis 24 Monate, um den Trend zur Destabilisierung zu stoppen und die Trendumkehr zu bewerkstelligen. Wenn uns das nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass Afghanistan erneut zu einem Rückzugsraum für islamische Fundamentalisten wird, die in ihrem Hass auf alles Westliche und Liberale die Welt erneut mit transnationalem Terrorismus überziehen wollen. Es handelt sich deshalb bei Afghanistan eben nicht um irgendein Entwicklungsland am Hindukusch, sondern unser Erfolg dort ist von geopolitischer Bedeutung. Deswegen hat Peter Struck auch völlig recht, wenn er davon spricht, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird. Wir setzen mit unserer Afghanistanpolitik, sowohl was die Ziele als auch was die Prinzipien angeht, das fort, was unter der rot-grünen Bundesregierung begonnen wurde. Wir müssen heute darüber nachdenken, wie wir unsere Maßnahmen der veränderten Lage anpassen; aber es gibt ausdrücklich weder bei den Zielen noch bei den Prinzipien eine Veränderung. Deswegen finde ich es wenig glaubwürdig, wenn ehemalige Mitglieder der rotgrünen Bundesregierung heute gegen den Einsatz stimmen oder wenn die Menschenrechtsbeauftragte der früheren Bundesregierung sich gegen diesen Einsatz ausspricht. ({1}) Außerdem ist der militärische Einsatz unter Rot-Grün deutlich gefährlicher gewesen als heute; denn unter RotGrün haben wir Bodentruppen im Süden gehabt, haben deutsche Spezialkräfte gegen al-Qaida gekämpft. ({2}) Wir brauchen eine nüchterne Analyse der kritischen Lage. Wir müssen erkennen, dass die Entwicklung der Lage nicht allein eine Folge der Ausweitung des ISAFEinsatzes in den Süden und den Osten des Landes ist. Zur Herstellung der Stabilität im Süden und im Osten des Landes muss ISAF - nicht im völkerrechtlichen, aber im militärischen Sinne - Krieg führen. Es geht um asymmetrische Kriegsführung. Dazu werden die Tornados einen erforderlichen Beitrag leisten. Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne die Operationen ISAF und OEF strikt voneinander trennen. Beide Operationen werden immer weiter miteinander verschränkt. Es gelten dieselben Einsatzregeln. Deutschland hat - auch bereits unter Rot-Grün - beide Operationen mandatiert. Die Erfolge von OEF und ISAF sind eng miteinander verknüpft. ({3}) Deswegen wäre es falsch, den Begriff „restriktiv“ im Antrag der Regierung so zu verstehen, dass ISAF prinzipiell OEF Informationen vorenthalten würde. „Restriktiv“ bedeutet, dass die militärische Führung über die Weitergabe der Informationen entscheidet. Aber, wie gesagt, die Erfolge beider Operationen hängen eng miteinander zusammen. Auch eine Illusion ist, dass es im Rahmen der NATO unterschiedliche Strategien geben kann. Es gibt unterschiedliche Verantwortungsbereiche; aber wir haben nur gemeinsam Erfolg oder würden gemeinsam scheitern. Von der Entwicklung in der nächsten Zeit wird abhängen, ob die bisherigen und die mittlerweile zusätzlich bereitgestellten militärischen und zivilen Mittel ausreichen. Deswegen ist es heute aus meiner Sicht nicht viel mehr als eine vage Hoffnung, dass wir, wie einige glauben, mit der Zustimmung zum Tornadoeinsatz von weiteren Anforderungen in Bezug auf den Süden und Osten des Landes verschont bleiben. Als Bündnispartner müssen wir bereit sein, nicht nur dieselben Lasten, sondern auch dasselbe Risiko wie unsere Verbündeten zu tragen. Das ist das Wesen eines Bündnisses. Nur so wird es uns auch gelingen, den erforderlichen Einfluss auf die Gesamtstrategie der NATO auszuüben. ({4}) Wenn ich davon gesprochen habe, dass wir uns viel mehr anstrengen müssen als bisher, dann gilt das nicht nur in militärischer, sondern auch und vor allem in ziviler Hinsicht. Weite Teile der afghanischen Bevölkerung empfinden keine Verbesserung ihrer Lebensgrundlagen. In der Wahrnehmung der afghanischen Bevölkerung - nur die ist entscheidend - ist die bisherige Entwicklungsbilanz nicht überzeugend. Dabei gibt es sicherlich überzogene subjektive Wahrnehmungen; aber wir müssen dafür sorgen, dass wir die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen und Verbesserungen erreichen, die die Menschen in Bezug auf ihre Lebenswirklichkeit auch als solche empfinden. Ohne Entwicklung gibt es keine Sicherheit, aber ohne Sicherheit eben auch keine Entwicklung. Dazu muss die internationale Gemeinschaft in allen Bereichen - beim Aufbau der Polizei, beim Aufbau der Rechtsstaatlichkeit, beim Aufbau der Verwaltung, bei der Bekämpfung des Drogenanbaus und der Förderung von Anbaualternativen -, die wir gemeinsam übernommen und in internationalen Konferenzen festgelegt haben, ihre Anstrengungen wesentlich erhöhen. Wir brauchen bereits in den nächsten Monaten einen „Big Push“ beim Aufbau des Landes. Es geht um eine Konzentration der Kräfte und einen rascheren Mittelabfluss in die prioritären Bereiche. Wir brauchen Leuchtturmprojekte, die der Bevölkerung in Afghanistan deutlich machen, dass wir auf ihrer Seite sind und dass sich unser Engagement für sie lohnt. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege von Klaeden, der Herr Kollege Paech möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege von Klaeden, Ihre Redezeit geht zu Ende, aber Sie haben bis jetzt mit keinem Wort die schwerwiegenden verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken, die aus Reihen Ihrer Fraktion vorgebracht werden, erwähnt. Sie wissen, dass nach der Abstimmung einige Mitglieder Ihrer Fraktion eine Verfassungsklage in Karlsruhe einreichen. Meine Frage lautet: Ist Ihnen nicht bewusst, dass das, was Sie hier vortragen, eine Aufforderung zu einem schweren Völkerrechtsbruch ist? Ich will zur Begründung drei Punkte anführen. Erster Punkt. Sie schicken die Tornados in einen Krieg im Süden Afghanistans, der nach übereinstimmender Meinung von Kollegen nicht nur des Europaparlaments, sondern auch dieses Parlaments schon lange die Genfer Konvention verletzt. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, es ist richtig, dass Sie im Rahmen einer Zwischenfrage eine Bemerkung machen können. Aber Sie können keine Kurzintervention machen.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Darf ich meine Frage begründen? ({0}) Zweiter Punkt. Sie haben gesagt, dass ISAF und OEF ununterscheidbar sind und zusammenwachsen. Das ist eine Sprengung des Mandats von ISAF, also eine schwere Völkerrechtsverletzung. ({1}) Dritter Punkt. Die Einbeziehung in OEF, also in den Antiterrorkampf gegen al-Qaida - Sie haben selbst gesagt, dass die Camps gar nicht mehr bestehen -, kann nicht mehr als Verteidigungsauftrag nach Art. 51 Abs. 6 der UNO-Charta begründet werden. Sechs Jahre Selbstverteidigung sind eine Absurdität. Das alles ist auch nicht mit dem Verteidigungsauftrag unserer Verfassung zu begründen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich glaube, Ihre Frage ist verstanden worden. - Danke schön.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte gerne, dass Sie sich dazu äußern. - Danke schön. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Paech, das tue ich gerne. Wir haben die verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken, die von zwei Kollegen meiner Fraktion geäußert wurden, in unserer Fraktion und ebenfalls im Auswärtigen Ausschuss ausführlich erörtert. Ich muss aber gegen diese Mischung von Vorurteilen und üblen Unterstellungen, die Sie gerade in Ihrer Frage, was das Vorgehen der NATO in Afghanistan angeht, geäußert haben, protestieren und möchte meine beiden Kollegen, die diese Bedenken geäußert haben, gegen die Vereinnahmung durch Sie in Schutz nehmen. Zur verfassungsrechtlichen und zur völkerrechtlichen Situation. OEF ist mandatiert durch denn Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf der Grundlage der Selbstverteidigung. Diese Mission ist bisher nicht abgeschlossen. Wenn Sie sich mit der Situation vor Ort beschäftigen, dann wissen Sie, dass der Aufwand für OEF immer weiter abgeschmolzen wird. Die Zahl der für Afghanistan vorgesehenen Einsatzkräfte ist längst nicht mehr so hoch wie vor einigen Jahren. Damit korrespondiert die Ausweitung des ISAF-Einsatzes. ISAF steht für die Stabilisierung und Unterstützung der afghanischen Regierung. Dieser Einsatz ist ebenfalls mandatiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat ausdrücklich gefordert, dass die Operationen ISAF und OEF in Afghanistan stärker miteinander verschränkt werden. Wir stehen also mit beiden Missionen auf einer klaren völkerrechtlichen Grundlage. ({0}) Was die verfassungsrechtlichen Bedenken angeht, so muss man sagen: Die Kollegen beziehen sich auf ein Minderheitenvotum, das vom Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung von 1994 geäußert worden ist. Dieses Minderheitenvotum ist aber in weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes aufgegeben worden. Man kann zwar nach wie vor die in diesem Votum dargelegte Rechtsansicht vertreten, aber man kann für sie nicht mit Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts - auch nicht in Form eines Minderheitenvotums - rechnen. ({1}) Ich war dabei, die Prioritäten zu erläutern, die sich auf ziviler Seite ergeben. Das gilt für den Aufbau und Ausbau der Infrastruktur, insbesondere für den Straßenbau, die Energie- und die Wasserversorgung. Wir brauchen diese Projekte als Katalysator für eine friedliche und erfolgreiche Entwicklung in Afghanistan. Dabei sollten wir uns auch vor Augen führen, dass wir uns in unseren Bildungs- und Frauenförderprojekten stärker darauf konzentrieren - ich weiß, dass das für manchen politisch nicht korrekt klingt -, was die religiösen und kulturellen Traditionen dieses Landes sind, um mit solchen Projekten nicht konservativen oder fundamentalistischen Kräften in die Hände zu spielen. Ich habe davon gesprochen, dass Afghanistan eine geopolitische Dimension hat. Dazu gehört eben auch, den Blick auf die Nachbarn Afghanistans zu richten: auf den Iran und insbesondere auf die Nuklearmacht Pakistan. Wir wissen, dass Pakistan enorme Schwierigkeiten hat, in seiner Grenzregion, in den sogenannten Tribal Areas, zu Afghanistan die Staatsgewalt auszuüben. Wir wissen, dass es dort Lager für Flüchtlinge aus Afghanistan mit über 3 Millionen Menschen und Koranschulen, sogenannte Madrassas, gibt, in denen der Nachwuchs der Taliban herangezogen wird. Wir müssen alles tun, um auch die pakistanische Regierung bei der Herstellung der Staatsgewalt zu unter8694 stützen. Wir müssen sie aber auch an dem messen, was sie international versprochen hat. Dazu brauchen wir einen institutionalisierten Dialog zwischen Afghanistan und Pakistan sowie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, damit es dazu kommen kann, dass gerade in den Grenzregionen eine entsprechende Stabilisierung stattfinden kann. Ein letzter Blick auf das, was andere leisten. Die Kanadier haben gerade ihren Entwicklungshilfeansatz um 200 Millionen kanadische Dollar erhöht. Die Amerikaner haben ihre Mittel für den zivilen Aufbau um 10,9 Milliarden US-Dollar erhöht. Allein 2 Milliarden US-Dollar sind für die Unterstützung alternativer Anbaumethoden zur Bekämpfung des Drogenanbaus vorgesehen. Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, dann müssen wir bereit sein, sowohl auf militärischer als auch vor allem auf ziviler Seite deutlich mehr zu tun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Trittin. - Herr von Klaeden, Sie können dann antworten.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege von Klaeden, als Befürworter von ISAF, die wir beide sind, hätten wir darüber streiten können, ob der Einsatz dieser Tornados für einen Erfolg von ISAF von absoluter Bedeutung ist. Ich kann dies nach dem, was die Bundesregierung vorgetragen hat, nicht nachvollziehen. Wir sollten es aber beide unterlassen, uns in diesem Zusammenhang gegenseitig fehlende Glaubwürdigkeit zu attestieren. Deswegen habe ich mich zu Wort gemeldet. Sie selber haben darauf hingewiesen: Es gibt in Afghanistan Notwendigkeiten, die dringend geändert werden müssen; das sage ich als jemand, der zu Afghanistan steht. Sie selber haben darauf hingewiesen: Wir brauchen mehr zivile Hilfe. Nun gibt die Bundesregierung jährlich 20 Millionen Euro mehr. Sie selbst haben die Zahlen zitiert: Kanada gibt 200 Millionen kanadische Dollar mehr. Die USA geben jährlich 1 Milliarde US-Dollar für den zivilen Bereich aus. Das ist das 50-Fache von dem, was Ihre Bundesregierung zur Verfügung zu stellen bereit ist. Wir sind uns einig, dass wir mehr Polizeihilfe brauchen. In der diesbezüglichen Novelle reden wir aber immer noch von 40 Mitgliedern. Heute besteht die Situation, dass Feldjäger der deutschen Bundeswehr in der Polizeiausbildung in Masar-i-Scharif engagiert sind; ich finde das richtig. Ich sage Danke zu den Feldjägern. Aber ich sage auch: Gibt es nicht dem Innenministerium und dem Außenministerium zu denken, dass das Militär, die Bundeswehr, heute offensichtlich zivile Aufgaben übernimmt? Das ist doch der Punkt, an dem Sie als Mehrheit hier in diesem Hause hätten handeln müssen, anstatt anderen an dieser Stelle die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Ich füge ein Letztes hinzu. Wir haben Zweifel, ob das, was wir, diese Koalition und meine Partei, gemeinsam wollen, nämlich einen Strategiewechsel, tatsächlich am Boden angekommen ist, wenn wir gleichzeitig erleben müssen, dass Einigungsversuche zwischen den Briten und den Stammesältesten mithilfe von Raketenangriffen auf Familienangehörige von vermuteten Talibananhängern sabotiert werden. Das sind die umfassenden Zweifel, die meine Fraktion hat. Ein Teil meiner Fraktion sagt: Wir sagen trotz dieser Bedenken Ja. Andere sagen: Unter diesen Bedingungen können wir zu einem Einsatz von Tornados - nicht zu ISAF - nur Nein sagen. Ich finde, beides sind respektable Positionen, und beides ist kein Grund, irgendjemandem von uns die Glaubwürdigkeit abzusprechen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Trittin, ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie nicht einsehen wollen, dass die Verbesserung der Aufklärungsfähigkeiten dem Einsatz von ISAF dient. Gerade der relativ geringe Truppenansatz, den die NATO für Afghanistan gewählt hat - die 40 000 Soldaten sind ins Verhältnis zur Größe des Landes zu setzen -, macht deutlich, dass der Erfolg, die Effizienz und nicht zuletzt der Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung und der internationalen Aufbauhelfer eine höhere Zielgenauigkeit der militärischen Einsätze erfordert. Das kann man - das ist eine Binsenweisheit - nur durch verbesserte Aufklärung erreichen. Deswegen ist es unverständlich, dass Sie nicht in der Lage sind, das nachzuvollziehen. Mein zweiter Punkt. Mir kommen Ihre Hinweise, die Entwicklungshilfe sei aus Ihrer Sicht zu gering - das ist sie auch aus meiner Sicht -, wie eine Ausrede vor. Es wäre Ihnen schließlich während Ihrer Regierungszeit möglich gewesen, die Ansätze entsprechend zu erhöhen. Aber vor allem ist es doch so, dass die Sicherheit, die ISAF in Afghanistan schafft und zu der die Tornados einen wesentlichen Beitrag leisten, erst die Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt zivile Hilfe geleistet werden kann. ({0}) Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Sie müssen immer davon ausgehen, dass Ihr Votum - nicht Ausdruck einer politischen Strömung in Ihrer Wählerschaft - zur allgemeinen Regel für das Regierungshandeln gemacht werden kann. Wenn wir ISAF die nötige Unterstützung verweigern würden und ISAF deswegen nicht erfolgreich sein kann, dann hätte auch der zivile Aufbau keine Chance mehr. Deswegen ist Ihre Argumentation nicht überzeugend und, wie ich finde, auch nicht glaubhaft. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch für meine Fraktion danke ich der Entwicklungshilfeministerin, Frau Wieczorek-Zeul, für die Worte des Bedauerns und der Trauer, die sie hier zum Tod des Entwicklungshelfers gefunden hat. Ich begründe jetzt, warum meine Fraktion den Antrag der Bundesregierung ablehnt. Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung ab, weil wir der Auffassung sind, dass die Entscheidung, wenn sie so durchgeführt wird, völkerrechtswidrig ist. ({0}) Wir sind manchmal auf unsicherem Terrain, wenn wir das Völkerrecht beurteilen. Da das so selten geschieht, erinnere ich daran, dass auch das Bundesverwaltungsgericht selbst die Zurverfügungstellung von Flugplätzen und militärischen Einrichtungen während des Irakkriegs als völkerrechtswidrig eingestuft hat und nach wie vor der damals amtierenden Regierung Beihilfe zum Bruch des Völkerrechts vorwirft - ohne dass dies zu irgendwelchen Konsequenzen führt. ({1}) Beim Völkerrecht - dies ist für unsere Beratung von Bedeutung - beziehen sich die Redner der Koalitionsparteien immer auf die Mandatierung durch die UNO nach Art. 51. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass - unabhängig davon, wie man den Sachverhalt beurteilt; mein Kollege Norman Paech hat das Entscheidende aus der Sicht unserer Fraktion dazu gesagt - nicht allein diese Mandatierung herangezogen werden kann. Genauso entscheidend, wenn nicht noch entscheidender, sind die Genfer Konventionen. Denn sie gehen noch näher heran, sie sagen: Es ist im Krieg verboten, unschuldige Menschen zu töten; eine Kriegführung, die das nicht leistet, ist völkerrechtswidrig. ({2}) Dieses Argument meiden die Redner der Koalition. Sie gehen nicht darauf ein, weil es nicht zu entkräften ist; ich werde darauf noch zurückkommen. Ich halte für Die Linke fest, dass wir in dem Grundgesetzartikel, der die Bundeswehr zur Verteidigungsarmee bestimmt, nach wir vor einen wesentlichen Baustein unserer Verfassung sehen. Die Bundeswehr ist keine Interventionsarmee, sie ist eine Verteidigungsarmee. ({3}) Nach unserer Auffassung verstößt die Entsendung von Aufklärungstornados in das Kampfgebiet gegen den NATO-Vertrag. Der NATO-Vertrag hat die Mitgliedstaaten der NATO zu einem Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen. Es war eine fundamentale Veränderung, über die im Parlament überhaupt nicht diskutiert worden ist - die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, die dies kritisieren, haben recht -, dass die Führungsmacht der NATO, die Vereinigten Staaten von Amerika, eines Tages darauf gedrängt hat, aus diesem Verteidigungsbündnis ein weltweit agierendes Interventionsbündnis zu machen. Dies halten wir für fatal und lehnen es ab. ({4}) Aus Sicht der amerikanischen Politik ist das logisch. Die amerikanische Politik zielt auf die Eroberung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten. Wer Zweifel daran hat, möge die entsprechenden Dokumente des amerikanischen Verteidigungsministeriums, des Pentagon, nachlesen. Es gibt unzählige Fundstellen, die diese These belegen. Ich bin der Auffassung, dass sich zivilisierte Staaten in der modernen Zeit nicht auf eine Außenpolitik oder gar auf eine Kriegsführung einlassen dürfen, die die Eroberung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten zum Ziel hat. ({5}) In der Debatte wird immer wieder gesagt, die NATO dürfe nicht scheitern. Meine Damen und Herren, die NATO ist in Afghanistan längst gescheitert. ({6}) Damit Sie uns nicht wieder unterstellen, dass wir uns in irgendeiner Form unsachlich mit diesem Thema beschäftigen, möchte ich zum Beleg meiner These die „Süddeutsche Zeitung“ zitieren: US-Soldaten wurden angegriffen … bei ihrer Gegenwehr richteten sie offenbar jedes Mal ein Blutbad unter Zivilisten an. … Unter den 4 000 Opfern … im vorigen Jahr … sollen Schätzungen zufolge mehr als tausend Zivilisten gewesen sein. Die Zahl … kann nicht mehr sein als ein vager Anhaltspunkt, denn sowohl tot als auch lebendig lassen sich Taliban-Kämpfer oft nur schwer von friedlichen Bauern unterscheiden. So weit die Worte des Beobachters, des Korrespondenten der „Süddeutschen Zeitung“. An dieser Beobachtung wird deutlich, warum Ihre Entscheidung total falsch und durch nichts zu begründen ist. ({7}) Da diesen Sachverhalt niemand bestreiten kann, kann auch niemand behaupten, dort sei eine Kriegsführung möglich, die die Genfer Konventionen beachtet. Aufgrund der Bedingungen vor Ort - weil man friedliche Menschen nicht von Kämpfern unterscheiden kann - ist jede Form der Kriegsführung, die Sie jetzt mittelbar unterstützen wollen, ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen. Das ist nicht zu verantworten. ({8}) Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die Menschenrechte. Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die Frauenrechte. Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die Freiheit der Menschen. Meine Damen und Herren, ich möchte an eines erinnern: Bevor man Menschen Rechte zuweisen kann, müssen sie erst einmal leben. Das Recht auf Leben steht vor allen anderen Rechten, die hier immer wieder beschworen werden. ({9}) Das Recht auf Leben können Sie bei dieser Vorgehensweise nicht gewährleisten. Sie nehmen, wenn Sie dem Einsatz der Tornados in Afghanistan zustimmen, bewusst in Kauf, dass dort eine Kriegsführung stattfindet, bei der Soldaten bei ihrer Gegenwehr nichts anderes tun können, als - so hat es der Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ beschrieben - „jedes Mal ein Blutbad unter Zivilisten“ anzurichten. Sie stimmen zu, dass wir uns durch die Zurverfügungstellung von Bildern mittelbar an dieser Art der Kriegsführung beteiligen. Das ist die Entscheidung, die Sie heute treffen wollen und die Sie vor Ihrem Gewissen moralisch rechtfertigen müssen. ({10}) Die NATO ist längst gescheitert. Dennoch wird immer gesagt, die NATO wolle den Kampf um die Herzen und um die Köpfe der Menschen gewinnen. Glauben Sie angesichts der Bedingungen vor Ort, die so aussehen, dass man friedliche Menschen nicht von Kämpfern unterscheiden kann, denn tatsächlich, man könne mit dieser Art der Kriegsführung den Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen? Diese Art der Auseinandersetzung bzw. der Kriegsführung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ein Mitglied der SPD-Fraktion sagte, „man müsse aufpassen, dass Afghanistan nicht zum deutschen Vietnam werde“; so wurde es zitiert. Ich möchte dies wie folgt auf den Punkt bringen: Die „Irakisierung“ Afghanistans - dieser Begriff wird von vielen Militärs verwendet - ist längst eingetreten. Mittlerweile haben wir in Afghanistan ähnliche Zustände wie im Irak. Das zeigt wieder einmal: Mit Bomben und mit Krieg ist kein Land zu befrieden, ist niemals Frieden in dieser Welt herzustellen. ({11}) Dies sagen im Übrigen auch viele Soldaten, die an dieser Art der Kriegsführung und am Wiederaufbau beteiligt sind. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das oft sehr schwer voneinander zu trennen ist. Wer das einmal nachlesen will, dem empfehle ich das Interview des Chefs des Bundeswehr-Verbandes in einer hier in Berlin erscheinenden Tageszeitung, damit nicht die billige Ausrede kommt, es handle sich nur um die Einrede der Fraktion Die Linke, wenn wir solche Argumente vortragen. Der Kollege von Klaeden hat noch einmal den Satz aufgegriffen: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. Er hält das nach wie vor für richtig. Methodisch habe ich gelernt, solche argumentativen Zusammenhänge umzudrehen. Wenn dieser Satz tatsächlich richtig ist, dann muss man begründen, warum der Satz „Afghanistan wird an den Alpen verteidigt“ falsch ist. ({12}) Dass Sie nicht verstehen, dass dort unschuldige Menschen umgebracht werden! Bei den Paschtunen gilt ein Stammesgesetz, wonach man gehalten ist, Menschen, die unschuldig umgebracht werden, zu rächen. Aber Sie ignorieren das alles. Die Sicherheitskräfte haben recht, die sagen: Mit dieser Vorgehensweise erhöhen Sie die Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland. Genau das kann nicht Ihre Absicht sein. ({13}) Das ist nicht nur eine Intervention der Fraktion Die Linke. Vielmehr geht das auch aus den Meldungen hervor, die Ihnen die Sicherheitsdienste immer wieder vorlegen. Die Einsichten der Sicherheitsdienste können Sie bei Ihrer Vorgehensweise nicht ignorieren. Ich fasse zusammen: Vor sechs Jahren mögen viele von Ihnen gute Absichten gehabt haben. Ich weiß, wie schwer es ist, einen einmal eingeschlagenen Weg zu verlassen. Aber nach sechs Jahren müssen Sie zu der Einsicht gekommen sein, dass man Terror nicht mit Krieg und Terror bekämpfen kann. Ich bitte Sie im Interesse unseres Landes, diesen Einsatz abzulehnen. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lafontaine, lassen Sie mich einen Satz zu Ihrer Unterstellung sagen, unsere Absicht sei - so haben Sie es sinngemäß formuliert -, den Terrorismus nach Europa und insbesondere nach Deutschland zu holen. Ich weiß nicht, wo Sie leben, aber das findet hier längst statt. Sie müssen sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass der 11. September und die Anschläge auf das World Trade Center von Mohammed Atta und anderen von Deutschland aus geplant und vorbereitet wurden. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass in Deutschland der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg geplant wurde. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass in Deutschland der Versuch unternommen wurde, Anschläge auf Züge durchzuführen, und dass dieser Versuch nur gescheitert ist, weil die Attentäter technisch nicht so versiert waren und die Rucksäcke deshalb nicht explodierten. Das ist die Realität, mit der wir uns alle auseinanderzusetzen haben. Die Gefahr ist längst da. Wir wollen dagegen kämpfen, weil wir Sicherheit wollen. ({0}) Die Mitglieder der Fraktion der Grünen haben sich die Entscheidung nicht einfach gemacht. Ich behaupte, dass es uns wie manch anderem in diesem Hause und vielen anderen in Deutschland geht, die sich Gedanken darüber machen, was dieser Einsatz in Afghanistan insgesamt bedeutet und was es nun bedeutet, Tornados dorthin zu schicken. Wir haben eine Vielzahl von Gesprächen geführt und Anhörungen durchgeführt. Wir haben militärische und zivile Experten in unsere Fraktion eingeladen und mit ihnen gesprochen. Wir haben zudem ein Gespräch mit dem afghanischen Außenminister geführt. Mitglieder der Fraktion waren zum Beispiel 2006 in Afghanistan und haben sich vor Ort informiert. Angesichts unserer Bemühungen in diesem Zusammenhang muss ich feststellen, Herr von Klaeden, dass Ihre Vorwürfe nicht angemessen sind. Das sage ich, obwohl ich vielleicht zu einem anderen Ergebnis komme als diejenigen aus meiner Fraktion, die direkt angesprochen wurden. Denn alle Mitglieder meiner Fraktion - auch frühere Bundesminister und Menschenrechtsbeauftragte - haben damals nach ihrem Gewissen entschieden und tun dies auch heute wieder. Es gibt an keiner Stelle einen Freifahrtschein; wir werden vielmehr immer wieder um den zivilen und militärischen Schutz und um den Wiederaufbau in Afghanistan ringen. Ich glaube, dass Sie heute alle glaubwürdig sein können, wenn Sie mit sich selber ringen und sich Ihrer Verantwortung als Abgeordnete bewusst sind. Insofern meine ich, Ihr Beitrag war nicht hilfreich. ({1}) Wir haben uns Gedanken gemacht und kommen zu dem Ergebnis, dass eine kleine Mehrheit in unserer Fraktion mit Ja stimmen wird; eine kleinere Anzahl wird mit Nein stimmen. Hinzu kommen einige Enthaltungen. Die Begründungen unterscheiden sich durchaus. Ich möchte aber eines betonen: Wir haben in der Fraktion einen klaren Konsens erzielt: Wir stehen zu ISAF. Ich wage die These, dass es bei der heutigen Tornadoentscheidung auch längst darum geht. Wir wollen in Afghanistan eine zentrale politische und zivile Entwicklung ermöglichen. Es gibt keine Alternative, dies ohne militärische Absicherung zu erreichen. Es gibt in unserer Fraktion niemanden, der einer Exitstrategie anhängen würde. Vielmehr treibt uns alle das Interesse, die Strategie zum Wiederaufbau in Afghanistan weiter zu verbessern. Darum geht es heute. ({2}) Es geht nicht um eine Debatte über das Ob, sondern über das Wie bzw. über den Stellenwert des militärischen Einsatzes. Wir brauchen eine zivile Frühjahrsinitiative für einen Strategiewechsel, der nicht nur auf NATO-Papieren geplant und in Sitzungen in Riga oder Sevilla besprochen wird. Notwendig ist vielmehr ein Strategiewechsel auf der zivilen Ebene, der in Afghanistan ankommt und den Menschen dort zeigt: Hier geht es vorwärts. ({3}) So bewegen wir uns als Fraktion bei der heutigen Entscheidung - je nachdem, wie abgestimmt wird - in dem Spannungsfeld zwischen dem Gebot der Solidarität, dem Schutz der zivilen Helfer und der Afghaninnen und Afghanen und der Frage, ob der Einsatz nicht kontraproduktiv ist. Zumindest hat diese Bundesregierung herzlich wenig dazu getan, den Tornadoeinsatz in den letzten Wochen und Monaten zu erklären. So wenig Information gab es noch nie. ({4}) Der Petersbergprozess hat die Grundlagen für einen politischen Prozess geschaffen. Es gibt ein Parlament, in dem sogar weibliche Abgeordnete vertreten sind. Es gibt eine neue Verfassung, Regierungsinstitutionen und einen Justizapparat. Auch in manchen anderen Bereichen sind Fortschritte erzielt worden. Bei alledem wissen wir aber, dass dies nur der Anfang ist und dass es noch jede Menge Mängel gibt. Wir wissen, dass es strukturelle Fehlentwicklungen gibt und dass manches Geld, das für Sicherheit, Justiz, Gesundheit und Bildung versprochen wurde, irgendwo - zum Teil auch durch Korruption - versickert ist, statt dazu beizutragen, die afghanische Regierung voll funktionsfähig zu machen. Das ist die Voraussetzung, um ihren staatlichen Aufgaben nachkommen zu können und für ihre Bürgerinnen und Bürger die entsprechenden Dienstleistungen - zum Beispiel Bildung und ein flächendeckendes Gesundheitssystem - zu erbringen. Denn dadurch wird eine Regierung auch innenpolitisch legitimiert. Diesen Mangel werden wir nicht mit rein militärischen Mitteln beheben können. Dabei helfen uns auch die Tornados nicht. Sie dienen dem Zweck, sozusagen Übergriffe abzuwehren. Was die Legitimität der afghanischen Regierung angeht, damit sie auch von den Stämmen als Autorität akzeptiert wird, die deren Strukturen und ihre Zukunft verändert, besteht noch erheblicher Handlungsbedarf. Wir erwarten von Frau Merkel - Frau Merkel ist heute nicht hier, weil sie in Brüssel ist; das respektieren wir -, dass sie sich jetzt engagiert. Wir erwarten, dass sie als Inhaberin der Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union jetzt vorangeht und dieses Thema in Europa auf die Agenda setzt. Wir brauchen ein Mehr an ziviler Unterstützung. Mit Verlaub, Frau Wieczorek-Zeul, diese 20 Millionen Euro reichen bei weitem nicht aus. ({5}) Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung. Wir brauchen mehr Unterstützung, um beispielsweise den Polizeiapparat aufzubauen. Wir brauchen mehr Unterstützung nicht nur für die Multiplikatoren, sondern auch für die kleinen Polizeibeamten vor Ort. Ich frage mich: Wo ist eigentlich das Engagement der Bundesregierung? Frau Merkel ist meines Erachtens auf der internationalen Ebene noch seltsam still. Ich will sagen, was wir erwarten. Wir erwarten eine klare Aussage zur Drogenbekämpfung. Es gibt immer noch keine kohärente Strategie. Es wird zugelassen, dass international Sorge darüber verbreitet wird, dass Herbizide per Flugzeug ausgebracht werden. Wir wissen alle, dass selbst dann, wenn das nicht per Flugzeug geschieht, eine reine Herbizidstrategie vor Ort nicht nur den Mohn zerstört, sondern auch die Gesundheit der Menschen. Diese Strategie bietet den Menschen vor Ort keine Möglichkeit, ein anderes Gewerbe aufzubauen oder andere Früchte anzubauen. ({6}) Genau dafür brauchen wir eine Strategie, aber keine, in der es um Herbizide und Angstmachen geht. ({7}) Wir brauchen einen anderen Umgang mit Pakistan. Ich weiß, dies ist definitiv nicht einfach. Wir erwarten, dass Frau Merkel in Bezug auf den Drogenhandel auch gegenüber Karzai ihre Vorstellungen deutlich zum Ausdruck bringt und darauf dringt, dass er gegen die Korruption kämpft, die in diesem Narco-State ja bis in die Exekutive reicht. Wir erwarten auch, dass diese Bundesregierung ganz klar sagt, welches Ziel sie beispielsweise für den G-8-Gipfel hat. Spätestens dann - eigentlich ist es schon sehr spät - muss dafür Sorge getragen werden, dass Pakistan nicht durch sein zumindest doppelbödiges Verhalten die Lager der Taliban und von al-Qaida auf seinem Territorium unterstützt. Wir ringen an dieser Stelle um die Zustimmung. Wir wollen ISAF und Afghanistan unterstützen. Wir ringen mit uns selber. Wir wissen, dass das heute eine Gewissensentscheidung ist. Eines weiß ich aber auch: Wir müssen heute mit Blick auf die Entscheidung im Herbst, wenn es wieder um ISAF geht, eines hinkriegen, nämlich den Strategiewechsel mit Leben füllen. Der Strategiewechsel muss bei den Menschen vor Ort ankommen. Man muss sich mit Pakistan auseinandersetzen, und das Verhalten der Soldaten muss sich ändern. Es bedarf einer Vernetzung des Zivilen mit dem Militärischen. Da dürfen keine Löcher entstehen. Natürlich brauchen wir auch ein Stück militärischen Schutz. Wie gesagt, wir wollen, dass es eine zivile Frühjahrsinitiative gibt und dass diese Bundesregierung wegen der doppelten Präsidentschaft ihrer Aufgabe nachkommt, jetzt in die Offensive zu gehen, damit das Zivile gestärkt wird. Sonst geht von diesem Tag ein falsches Signal aus. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Entwicklungsministerin, haben Sie herzlichen Dank dafür, dass Sie daran erinnert haben, dass der Mord an Dieter Rübling auch zeigt, wie risikoreich die Arbeit der zivilen Helferinnen und Helfer und derer ist, die im Auftrag des Entwicklungsministeriums dort arbeiten. Wir sollten allen, die als Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, im Auftrag des Entwicklungsministeriums oder im Auftrag von vielen anderen, Kirchen beispielsweise, in diesem Land arbeiten und mithelfen, dass sich so etwas wie eine Zivilgesellschaft entwickelt, danken. Das ist ein unglaubliches Engagement. Wir wissen diese Arbeit zu schätzen und sagen Danke schön dafür. ({0}) Egon Bahr hat gestern Abend in einer Diskussion noch einmal deutlich gemacht, warum seiner Meinung nach diejenigen in der SPD-Bundestagsfraktion, die sich noch überlegen, mit Nein zu stimmen, anders handeln sollten. Sein zentrales Argument - ich halte es für richtig - ist: Man sollte aus dieser Abstimmung keine Grundsatzentscheidung machen; vielmehr sollte man sich überlegen, was die Folgen wären, wenn man mit Nein stimmt. Wenn Sie eine Sekunde - viele von uns haben Erfahrungen und Begegnungen - ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, unterlassen Sie diese Demonstration, oder verlassen Sie den Raum! - Ich bitte die Saaldiener, die Kolleginnen und Kollegen des Saales zu verweisen. Das, was Sie hier machen, geht nicht. ({0}) Ich bitte die Saaldienerinnen und Saaldiener, die Demonstration zu beenden. ({1})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Gehrcke, ich sehe, dass Sie sich an dieser Demonstration beteiligt haben. ({0}) Sie wissen doch so gut wie alle, die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses sind, wie wir darum ringen, einen zivilen Aufbau in Afghanistan voranzutreiben. Gert Weisskirchen ({1}) ({2}) Wir ringen um die Chance, dass dieses Land sein Schicksal in die eigene Hand nehmen kann. Ich kann überhaupt nicht verstehen, in welcher demagogischen Form Sie hier auftreten. Das kann ich überhaupt nicht verstehen. ({3}) Vielleicht sollten wir uns alle gemeinsam überlegen, was geschehen würde, lieber Kollege Lafontaine, wenn wir den Taliban das militärische Handeln überlassen würden. Haben wir denn vergessen, was zum 11. September 2001 geführt hat? Haben wir vergessen, welche Schrekkensherrschaft die Taliban in Afghanistan ausgeübt haben? ({4}) Haben wir vergessen, dass Frauen gesteinigt worden sind? Haben wir vergessen, dass Kinder, insbesondere Mädchen, keine Chance gehabt haben, Schulen zu besuchen? Haben wir vergessen, dass die Fußballstadien von den Taliban zu Hinrichtungsorten gemacht worden sind? Haben wir das alles vergessen? ({5}) Wollen wir vergessen, dass die Taliban jetzt wieder versuchen, im Süden Afghanistans Boden zurückzugewinnen? Der Staudamm, der dort zurzeit gegen die Angriffe der Taliban verteidigt werden muss, ist die Lebensader von mehreren Hunderttausend von Menschen im Süden Afghanistans. Die Taliban haben erklärt, sie wollten diese Lebensader durchschneiden, sie wollten den Staudamm zerbrechen. Können wir das hinnehmen? Wenn die Regierung Karzai die internationale Staatengemeinschaft darum bittet, militärisch mitzuhelfen, dass dieser Angriff der Taliban abgewehrt wird: Können wir das zurückweisen? Können wir uns der Bereitstellung von sechs Tornados, die dabei mithelfen können, aufzuklären, was dort seitens der Taliban militärisch geschieht, wirklich verweigern? Wir würden uns vielleicht geradezu mitschuldig daran machen, dass Hunderttausende von Menschen im Süden Afghanistans keine Lebensperspektive haben. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, Herr Kollege Ströbele. ({0}) - Gute Frage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Fotoaufnahmen, die die Tornados machen und an die Militäreinsatzführung weitergeben, auch dazu benutzt werden - ich betone: auch dazu benutzt werden -, Ziele auszumachen, auf die Raketen und Bomben abgeworfen werden, und dass wir dann, wenn in Zukunft Meldungen durch die Presse gehen, nach denen bei der Bombardierung von Gehöften, von Ortschaften, von Orten zahlreiche Menschen, die Hälfte oder ein Viertel davon Zivilisten, Frauen, Kinder, alte Menschen, getötet worden sind, sagen müssen: Das kann auch auf der Grundlage der von unseren Tornados gelieferten Daten und Fotos geschehen sein?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Ströbele, darf ich Ihre Frage mit einer Gegenfrage beantworten? ({0}) Sie haben vielleicht gehört, Herr Kollege Ströbele - möglicherweise waren Sie aber auch nicht dabei, als das gesagt wurde -, dass das Parteimitglied der Grünen, der Außenminister Afghanistans, Dr. Rangin Spanta, Folgendes gesagt hat - ich zitiere ihn -: Diese Tornados machen Aufklärungsarbeit. Sie dienen dem Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung, ({1}) weil die Grenzen ziemlich durchlässig sind: 2 400 km Grenze. Die Terroristen kommen, ziehen sich wieder ins Hinterland zurück. Die TornadoAufklärer können dagegen helfen. Ich schließe mich dem Außenminister Afghanistans, dem Mitglied der Grünen, ausdrücklich an. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Weisskirchen, es gibt eine weitere Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Kunert.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Weisskirchen, ich habe eine ganz konkrete Frage. Sie mögen die Aktion meiner Kolleginnen und Kollegen werten, wie Sie wollen; aber Ihnen ist sicherlich bekannt, dass es eine Umfrage in der Bevölkerung gegeben hat, wonach 77 Prozent der Befragten diesen Tornado-Einsatz ablehnen. Ich frage Sie: Wie würden Sie Ihre Entscheidung gegenüber diesen 77 Prozent begründen? ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie zu begründen, ist genau das, was ich mit meiner Rede beabsichtige. ({0}) Ich will an diesem Punkt Folgendes deutlich machen: Im kanadischen Parlament gab es vor einem Jahr eine Mehrheit von zwei Stimmen dafür, sich an dem militärischen Einsatz im Süden Afghanistans zu beteiligen. Viele Dutzende von kanadischen Soldaten haben bei diesem Einsatz ihr Leben gelassen. Innerhalb der kanadischen Bevölkerung gibt es wie bei uns eine demoskopische Mehrheit gegen diesen Einsatz. Was würde es im Hinblick auf die Entscheidung des kanadischen Parlaments, die Anfang des nächsten Jahres neu ansteht, bedeuten, wenn wir heute bei der Entscheidung über den Tornado-Einsatz Nein sagen, wenn wir also den Einsatz des recht begrenzten militärischen Instruments von sechs Tornados heute verweigern würden? Ich bin ganz sicher, dass das kanadische Parlament dann sagen würde: Das ist aber solidarisch von euch; wir werden jetzt unsere Entscheidung gegen euch treffen. Was würde das für Afghanistan und für das gesamte Mandat bedeuten? Wir würden Afghanistan mit einer solchen Entscheidung in den Untergang treiben. Wir müssen Entscheidungen manchmal gegen Stimmungen treffen. Das ist jetzt nötig. ({1}) Militärisch können die Köpfe und Herzen der Afghanen nicht gewonnen werden. Da gebe ich allen recht, die das kritisch angemerkt haben; das gilt auch für einige in der SPD-Fraktion. ({2}) Es gilt aber eben auch der Satz: Ohne begrenzte militärische Mittel wird es nicht das hinreichende Maß an Sicherheit geben, das Afghanistan braucht, damit es einmal selbst über die eigene Entwicklung entscheiden kann. Dieses Maß an Sicherheit ist aber nötig. Ich stimme dem Kollegen von Klaeden ausdrücklich zu - er hat die Frau Ministerin zitiert -: Es gibt keine Sicherheit ohne Entwicklung. Aber auch der Umkehrsatz gilt: Es gibt keine Entwicklung ohne Sicherheit. Dieses Maß an Sicherheit muss jetzt hergestellt werden. ({3}) Frau Künast, vielleicht haben Sie nicht registriert - das möchte ich Ihnen doch sagen, weil Sie vorhin eine entsprechende Bemerkung gemacht haben -, dass Deutschland der viertgrößte ({4}) - nein - Financier der Welt im Bereich der Entwicklungshilfe ist. Nach den USA, Kanada und Großbritannien kommt Deutschland. Bis zum Jahr 2010 haben wir - nicht zu vergessen - von den 30 Milliarden US-Dollar, die im Afghanistan-Compact im letzten Jahr beschlossen worden sind, ohne Berücksichtigung unserer Zahlungen im Rahmen der Europäischen Union allein für den zivilen Aufbau 1 Milliarde US-Dollar zur Verfügung gestellt. Damit macht Deutschland deutlich: Es ist das Wichtigste, den zivilen Aufbau voranzubringen. Dazu brauchen wir aber auch die militärische Unterstützung. Deswegen sind wir für den Tornadoeinsatz. ({5}) Die Behauptung der Linken, der PDS, wir hätten keine sichere völkerrechtliche Grundlage, wird durch häufiges Wiederholen nicht richtiger; sie bleibt falsch. ({6}) Ich will aus dem letzten Beschluss des Weltsicherheitsrats, Resolution 1707 vom September des letzten Jahres, zitieren. ({7}) Unter Ziffer 4 heißt es: Der Sicherheitsrat fordert nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die ISAF auf, bei der Durchführung des Mandats der Truppe auch weiterhin in enger Abstimmung mit der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan, mit dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs sowie mit der Koalition der Operation „Dauerhafte Freiheit“ zu arbeiten. Wollen Sie etwa unterstellen, dass sich der Weltsicherheitsrat konträr zum Völkerrecht verhält? Das ist doch eine absurde Unterstellung. Absurder kann es gar nicht sein, lieber Kollege Lafontaine. ({8}) Uns ist bewusst, dass es eine schwierige, auch eine Gewissensentscheidung ist - wir wissen, dass es Kollegen gibt, denen das schwerfällt -, dem Tornado-Einsatz zuzustimmen. Klar ist aber erstens, dass der zivile Impuls gegenüber dem militärischen Impuls künftig verstärkt werden muss. Das ist durch den Strategiewechsel, der innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft von Frank-Walter Steinmeier vorangetrieben worden ist, dokumentiert. Zweitens ist zuzugeben, dass die Aufgabe viel schwieriger ist, als wir uns das zu Beginn vorgestellt haben. Das ist zutreffend. Gert Weisskirchen ({9}) Drittens gilt, dass das Hilfskonzept umfassender organisiert werden muss. Der Afghanistan-Compact ist der Ausdruck dafür, dass wir unsere Arbeit in Afghanistan ernst nehmen. Wir müssen den Menschen in Afghanistan sagen: Ihr könnt euch auf uns verlassen. Wenn ihr wollt, dass wir euch helfen, dann sind wir bei euch. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Paech. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben uns „Vergessen“ vorgeworfen. Vielleicht ist es so, dass man den Splitter im Auge des anderen sieht, aber den Balken vor den eigenen Augen nicht. ({0}) Sehen Sie denn nicht, dass Sie mit Ihrer Strategie, mit der Erweiterung des Kriegsszenarios das Gegenteil von dem machen, was Sie eigentlich machen wollen, nämlich Hearts and Minds zu gewinnen, dass Sie die Taliban eigentlich nur unterstützen, dass Sie sie fördern? In dem sechsjährigen Krieg sind die Taliban noch nie so stark gewesen, insbesondere im Süden, wie jetzt. Das ist doch kein Ergebnis Ihres zivilen Impulses, sondern ein Ergebnis der Verstärkung der militärischen Aktivitäten. Ein Zweites. Einer ihrer größten Erfolge in diesen sechs Jahren ist - das wissen wir alle -, dass der Drogenanbau und der Drogenhandel in dieser Region Dimensionen wie noch nie zuvor angenommen haben. Das ist eine Kriegsökonomie, die die Taliban benutzen, um ihre Stärke weiter auszubauen. Mit der zunehmenden Militarisierung dieses Konfliktes werden also auch die Gegner gestärkt. Daran geht die NATO auf jeden Fall zugrunde. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Paech, lassen Sie mich nur einen Punkt aufgreifen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, besteht das dortige Parlament zu über 30 Prozent aus Frauen. Das ist ein Zeichen dafür, dass es in Afghanistan auch eine qualitativ andere Entwicklung gibt. ({0}) Zuvor wurden sie gesteinigt, wurden sie unterdrückt und ({1}) wurden sie in einer Weise bedrängt, dass sie ihr eigenes Leben nicht haben führen können. Allein das macht deutlich, dass wir an der Seite Afghanistans bleiben und mithelfen müssen, damit Afghanistan seinen eigenen, selbstbestimmten Weg gehen kann. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der Selbstmordanschläge in Afghanistan hat sich im letzten Jahr gegenüber 2005 nahezu verfünffacht. Auch in diesem Jahr gab es bereits rund 20 Anschläge. Wir stehen nicht am Anfang eines Engagements in Afghanistan. Wir stehen am Scheideweg dieses Engagements. Deswegen haben wir im Herbst des letzten Jahres, als wir hier eine Debatte über die Verlängerung der Mandate ISAF und Operation Enduring Freedom geführt haben, auch eine Diskussion darüber begonnen, dass es einen Strategiewechsel hin zu einem besseren Gleichgewicht zwischen zivilen und militärischen Maßnahmen geben muss. Das muss wiederhergestellt werden. Das bedeutet, dass sehr viel stärker als bisher auf zivilmilitärische Zusammenarbeit und den Wiederaufbau in Afghanistan Wert gelegt werden muss. ({0}) Wir haben hier auch über den Beitrag Deutschlands diskutiert. Wir leisten einen großen Beitrag. Das ist auch mehrfach gesagt worden. Wir haben jetzt die Chance, in der Nordregion schnell deutlich sichtbare Zeichen zu setzen und damit klarzumachen, dass wir dort sind, um den Menschen in diesem Land zu helfen. Das ist dringend erforderlich. Wir brauchen auch eine Optimierung der Leistungen, die die Bundesressorts erbringen. Diese müssen deutlich besser koordiniert werden. ({1}) Genau darüber haben wir in den letzten Wochen gesprochen: über den Polizeiaufbau und den Aufbau des Justizvollzugswesens. Wir haben nicht nur hier im Deutschen Bundestag darüber gesprochen, sondern dadurch ist auch einiges andere in Bewegung geraten. Bis hin zu den NATO-Verteidigungsministern hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass das Ziel der Stabilisierung Afghanistans mit militärischen Mitteln allein nicht erreicht werden kann. Die große Mehrheit unserer Fraktion sieht, dass sich die Dinge hier in die richtige Richtung entwickeln. Deshalb werden wir heute unsere Zustimmung nicht verweigern. ({2}) Der Einsatz der deutschen Recce-Tornados kann zu einer Verbesserung der Sicherheitslage beitragen. Das ist hier schon mehrfach gesagt worden. Es kann auch eine Optimierung der militärischen Operationen erreicht werden. Die Bundesregierung trägt eine große Verantwortung. Sie hat mehrfach versichert, dass sie über die Personalstrukturen Einfluss auf die militärische Operationsführung hat. Wir erwarten, dass sie diesen Einfluss auch geltend macht und sich dafür einsetzt, zukünftig nicht nur Einsatzregeln, sondern auch Verhaltensregeln aufzustellen. Das wird für die weitere Entwicklung von Afghanistan entscheidend sein. ({3}) Wir haben uns im Rahmen der Diskussion auch über die Frage unterhalten, ob die Tornados überhaupt einsatzfähig sind. Diese Frage kam sowohl aus der Bevölkerung als auch von den Kolleginnen und Kollegen. Ich finde, die Bundesregierung hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Einsatzfähigkeit voll gegeben ist, dass hier auch in Zusammenarbeit mit den anderen Nationen die Einsatzfähigkeit sichergestellt wird. Wir sagen deutlich: Wir im Deutschen Bundestag legen gemeinsam Wert darauf, dass die bestmögliche Ausstattung der deutschen Soldatinnen und Soldaten sichergestellt wird und damit eben auch die Ausübung des neuen Mandats ermöglicht wird. ({4}) Ich möchte an dieser Stelle ein Wort zur Finanzierung sagen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, im Rahmen der Beratungen kamen auch aus den Koalitionsfraktionen und aus dem Verteidigungsministerium große Bedenken darüber auf, dass dieser Einsatz erneut allein aus dem Haushalt des Verteidigungsministeriums finanziert werden wird. Das wird auf Dauer so nicht gehen können. Wenn Sie das auf Dauer weiter so machen, wird das nicht ohne Einfluss auf die Ausrüstung und Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten bleiben. Deshalb erwarten wir, dass Sie Anstrengungen unternehmen, dass solche zusätzlichen Einsätze zukünftig aus dem allgemeinen Haushalt finanziert werden. ({5}) Wichtig ist die politische Flankierung, nicht nur beim Wiederaufbau, sondern auch bei den Bemühungen um die Stabilisierung der afghanisch-pakistanischen Grenzregion. Und hier braucht es eine Unterstützung der pakistanischen Regierung gegen islamistische, terroristische und kriminelle Kräfte in Pakistan. Auch hier muss es politische Initiativen der Bundesregierung geben. Wenn wir dieses Problem und das Flüchtlingsproblem in der Grenzregion nicht lösen, wird das eine dauerhafte Quelle der Destabilisierung für Afghanistan sein. ({6}) Meine Damen und Herren, deshalb sage ich sehr deutlich: Mit der Zustimmung zum heutigen Mandat gibt es aus der Sicht unserer Fraktion keinen Automatismus hinsichtlich weiterer Abstimmungen über eine Mandatsverlängerung; im Herbst dieses Jahres wird ja wieder eine anstehen. ({7}) Wir erwarten, dass nicht nur über den Strategiewechsel gesprochen wird, sondern dass er auch umgesetzt wird. Ich möchte eine letzte Bemerkung machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Diskussion in den letzten Wochen im Deutschen Bundestag war nicht etwa Hemmschuh, nein, sie war in vielen Punkten eine Unterstützung für die Bundesregierung - auch auf NATOEbene -, wenn es darum ging, auf den politischen Wechsel hinzuwirken.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Ich komme zum letzten Satz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb beweist sich an dieser Stelle die Überlegenheit des Konzepts der Parlamentsarmee. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass das auch weiter so bleibt. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert, CDU/CSUFraktion. ({0})

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen unter zum Teil gefährlichen Bedingungen ihren Auftrag in verschiedenen Auslandseinsätzen. Nach besten Kräften, unterstützt von ihren Kameraden in der Heimat, tragen sie so zum guten Ansehen unseres Landes in der Welt entscheidend bei. Dafür gebührt - das kann man nicht nur nicht häufig genug wiederholen, sondern man muss es - den Angehörigen unserer Streitkräfte unser aller Dank. ({0}) Insbesondere den Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ist ein Dank auszusprechen, denn sie haben in den letzten Jahren Hervorragendes geleistet. Heute entscheiden wir in diesem Hohen Haus über den Einsatz der Aufklärungstornados in Afghanistan. Eine wochenlange Diskussion liegt hinter uns. Ich denke, diese Diskussion hat deutlich gemacht, dass die meisten Mitglieder in den Fraktionen verantwortungsvoll mit diesem Thema umgegangen sind. Deshalb werden wir heute bei der Beschlussfassung auch eine so klare Mehrheit zur Kenntnis nehmen. Diese Diskussion hat auch gezeigt, dass die Bundeswehr zu Recht als Parlamentsarmee dargestellt wird. Wir haben also bei der Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten ins Ausland die letzte Entscheidung und damit auch eine besondere Verantwortung. Wichtiger erscheint mir allerdings, dass eine Befassung durch den Bundestag zu einer sicherheitspolitischen Diskussion in der breiten Öffentlichkeit unserer Gesellschaft geführt hat. Wir werden sehen, dass diese Diskussion heute nicht beendet ist, sondern auch in der Zukunft weitergeht. Ich will an dieser Stelle daran erinnern, dass wir vor einem Jahr über den Kongoeinsatz entschieden haben. Wenn wir damals die Umfragen bezüglich eines möglichen Kongoeinsatzes als Grundlage für unsere Entscheidung genommen hätten, hätten wir nicht so einen erfolgreichen Einsatz im Kongo organisiert und umgesetzt. ({1}) Natürlich wird eine solche Diskussion kontrovers geführt. Das wesentliche Argument der Gegner eines Einsatzes von Tornados in Afghanistan ist - wir haben das heute gehört -, dass der Einsatz eine völlig neue Dimension der Kriegsbeteiligung bedeuten würde und zugleich zu einer weiteren Militarisierung der deutschen Außenpolitik führen würde. Dem widerspreche ich ganz entschieden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass unser Einsatz in Afghanistan nur durch einen ausgewogenen und vernetzten sicherheitspolitischen Ansatz zum Erfolg führen kann. Das bedeutet den Einsatz sowohl ziviler als auch militärischer Mittel in Afghanistan. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar, weiß doch eigentlich jeder, dass ziviler Aufbau und demokratische Strukturen in einem Klima von Krieg, Zerstörung und Existenzkampf der Bevölkerung nicht gedeihen können. Diese notwendige Sicherheit muss notfalls auch gegen Widerstände über längere Zeiträume verteidigt werden, nicht zuletzt, um das bisher Erreichte in Afghanistan abzusichern. Dafür brauchen wir den Einsatz militärischer Fähigkeiten. Die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe ISAF hat bereits in der Vergangenheit militärische Aufklärung in Afghanistan betrieben. Deutschland hat zum Beispiel Aufklärungsdrohnen des Typs LUNA im Norden Afghanistans im Einsatz. Im Bereich der Luftaufklärung hat es jedoch bisher eine Fähigkeitslücke gegeben, die wir nun schließen können. Unsere Tornados sind hervorragend geeignet - das können sie besser als andere -, am Tage in Höhen von bis zu 8,5 Kilometern auch bei schlechtem Wetter und mit einer Geschwindigkeit von über 1 000 Kilometern pro Stunde exakte Bilder zu liefern und Nachtaufklärung mit Infrarot zu betreiben. Dadurch bieten die deutschen Tornados eine besondere Qualität im Bereich moderner Aufklärung. Wenn wir unsere Tornados nach Afghanistan senden, dann geht es dabei nicht nur um den Einsatz einer weiteren militärischen Fähigkeit, sondern um unseren Beitrag an jenem abgestimmten und ausgewogenen Konzept, mit dem die langfristige Stabilisierung Afghanistans erreicht werden soll. ({2}) Denn die Aufklärung von Räumen und Objekten trägt unmittelbar zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten und zur Absicherung des zivilen Aufbaus bei. Dass dieser Schutz nicht ausschließlich unseren Kräften zur Verfügung stehen sollte, sondern allen Verbündeten, das versteht sich aus meiner Sicht von Bündnissolidarität von selbst. Deutschland beteiligt sich mit einer breiten Palette ziviler und militärischer Maßnahmen am Aufbau in Afghanistan. Die Bundeswehr schafft Sicherheit als Voraussetzung für eine positive Entwicklung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, darf ich Sie an die Zeit erinnern!

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzter Satz, Frau Präsidentin. - Die Tornados sind damit ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Stabilität und Frieden in der Region. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold, SPDFraktion.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Taliban sind wieder erstarkt. Vielleicht nimmt Die Linke einmal zur Kenntnis, dass sich deren menschenverachtender Terror nicht in erster Linie gegen die Soldaten aus 37 Ländern richtet, sondern gegen die Menschen in Afghanistan, ({0}) gegen die zivilen Aufbauhelfer, gegen die Schulen und gegen Lehrer, die Frauen und Mädchen unterrichten. ({1}) Die meisten Opfer, die es durch Terrorismus gegeben hat, sind afghanische Zivilisten. Ich denke, die Taliban wissen auch, dass sie diese militärische Auseinandersetzung nicht gewinnen können. Sie setzen aber auf eine andere Strategie, nämlich darauf, dass sie die westlichen Industrieländer, die sich dort engagieren, zermürben können. Deshalb glaube ich schon, dass die Art, wie wir heute diskutieren und wie wir entscheiden, am Ende nicht nur eine nationale Angelegenheit ist, sondern auch Einfluss darauf hat, wie die8704 ser Kampf in Afghanistan weitergeführt werden kann. Wir dürfen ihnen auch mit unserer Wortwahl nicht entgegenkommen. ({2}) In dieser schwierigen Phase in Afghanistan, in der es nicht um das Gelingen oder einen Misserfolg, sondern um eine Weichenstellung hin zu mehr Stabilität geht, hat die NATO - das ist kein anonymes Gremium, wir Deutschen sind Mitglied der NATO - einen Anforderungskatalog für zusätzliche Fähigkeiten aufgestellt. Ein Beitrag dazu sind diese Tornados, mit denen eine einzigartige Fähigkeit verbunden ist. Die Ressourcen dafür hat momentan nur Deutschland frei. Die Aufnahmen dieser Tornados sind nicht die einzigen Auswertungsgrundlagen für Entscheidungen in Afghanistan, sondern ein Teil der Informationen. Klar ist aber, dass damit zwei Dinge geleistet werden können: Erstens. Anschläge können dadurch in der Tat verhindert werden. ({3}) - Da gibt es doch nichts zu lachen. Ich weiß nicht, was für die Kollegen der Linken daran lustig ist. - Wir haben heute schon über das Staudammprojekt gesprochen. Für diesen Staudamm muss eine dritte Turbine auf dem Landweg transportiert werden. Natürlich können die Tornados diese Route, diese Straßen, bei jedem Wetter Tag und Nacht bestreifen und aufklären, ob dort in der Nacht Sprengfallen vergraben werden. Das ist wichtig für die Menschen in Afghanistan, deren Hoffnungen und deren Lebensbedingungen. ({4}) Zweitens. Natürlich können die Tornados auch Ziele aufklären. Wir als Deutsche haben mit allen 36 Partnern ein gemeinsames Interesse daran, dass nicht immer neue Terroristen über die Grenze von Pakistan kommen. Je genauer die Ziele aufgeklärt werden, umso besser ist es möglich, zivile Opfer zu vermeiden. Ich sage an dieser Stelle eines: Natürlich müssen wir mit den amerikanischen Partnern immer wieder darüber reden, dass wir die Kultur der Afghanen respektieren wollen und wie sorgsam wir vorgehen, um zivile Schäden zu vermeiden. Ein schlauer Rat aus Deutschland alleine ist aber wohlfeil. Die Amerikaner fragen uns dann schon zu Recht, welchen Beitrag wir dazu leisten, damit solche Fehler nicht passieren. Die Tornados sind ein ernsthafter Beitrag dazu. Deshalb ist es richtig, verantwortbar und notwendig, dass wir dies heute so entscheiden. ({5}) Ich verstehe die Sorge vieler Kolleginnen und Kollegen auch in diesem Haus, die in erster Linie befürchten, dass es so etwas wie eine Zwanghaftigkeit gibt, die nicht mehr kontrollierbar ist, sodass wir immer weiter in militärische Auseinandersetzungen verwickelt werden. Diese Befürchtung ist aus zwei Gründen falsch: Der erste Grund ist, dass wir den deutschen Parlamentsvorbehalt haben. Das Parlament hat ja mit dafür gesorgt, dass die Regierung einen Antrag vorgelegt hat, aufgrund dessen wir in dieser Debatte heute über die Tornados diskutieren. Wir selbst haben dies in der Hand. Der deutsche Parlamentsvorbehalt ist allerdings nicht nur ein Recht für uns Parlamentarier, sondern uns wird dadurch natürlich auch eine Verantwortung übertragen. ({6}) Ich will schon noch einmal sagen: Die Linke und der Redner der Linken stehlen sich in dieser Frage nicht zum ersten Mal aus der Verantwortung. Das ist ein ernsthaftes Problem. ({7}) Es gibt einen zweiten Grund, warum wir nicht in Dinge schlittern, die wir nicht haben wollen. Dieser Grund ist ganz klar: Alle, die heute mit Ja stimmen, wissen doch selbstverständlich, dass man den Krieg gegen Terroristen, die Sprengfallen aufstellen und Selbstmordattentäter in ihren Reihen haben, nicht in erster Linie militärisch gewinnt. Das ist eine Binsenweisheit. Natürlich hat die Bundesregierung wichtige Impulse dafür gegeben - alle Ressorts -, dass die Staatengemeinschaft die militärischen und zivilen Aufbauanstrengungen stärker verzahnt und die Bemühungen erhöht - und das ist richtig so. Ich glaube, alle Parlamentarier werden genau beobachten, wie sich dies bis zum Oktober entwickeln wird, wenn wir erneut darüber diskutieren werden. Wir wissen aber eines: Wir dürfen jetzt nicht zurückweichen. Häufig werden wir gefragt, wie lange das in Afghanistan dauern wird. Die Antwort ist eindeutig: ({8}) Es wird so lange gehen müssen, bis man den Terror zwar nicht besiegt, aber so weit zurückgedrängt hat, dass die afghanischen Sicherheitsbehörden - Polizei und Militär -, die noch weiter ausgebaut werden müssen, in ihrem eigenen Land selbst die Verantwortung für Sicherheit übernehmen können. So lange wird sich Deutschland dort engagieren müssen. ({9}) Ich sage zum Schluss: Es gibt in der Lehre des Islam einen sehr schönen Satz. Wir werden so lange dort bleiben - das muss auch jeder Taliban wissen -, bis dieser Satz in ganz Afghanistan universelle Gültigkeit hat. Er lautet: Die Tinte des Schülers ist heiliger als das Blut des Kämpfers. Darum geht es am Ende. Herzlichen Dank, Kolleginnen und Kollegen. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann mir gut vorstellen, dass es der Bundesregierung und manch einem hier im Parlament überhaupt nicht in den Kram passt, dass die NATO-geführte ISAF ausgerechnet jetzt mit ihrer sogenannten Frühjahrsoffensive begonnen hat. Nun helfen nämlich alle Versuche nichts mehr, den eigenen Kollegen in der Öffentlichkeit vorzuspiegeln, dass die Einsätze von ISAF und der Operation „Enduring Freedom“ in Zielsetzung und Mitteln etwas völlig Verschiedenes wären. Nein, jetzt ist für jedermann sichtbar, dass ISAF, die sogenannte Stabilisierungstruppe, Krieg führt, und zwar so, wie wir ihn aus dem Irak und aus dem sogenannten Antiterrorkampf in Afghanistan seit 2001 kennen: mit wenig Rücksicht auf Verluste unter der unbeteiligten Zivilbevölkerung. ({0}) An diesem Krieg wird sich die Bundeswehr mit den Aufklärungstornados beteiligen, wenn heute in diesem Hause nicht noch ein Wunder geschieht. Noch einmal: Aufklärung ist integraler Bestandteil der Kriegsführung. Deswegen gilt: Wer Jagdbombern Ziele zuweist, macht sich mitschuldig an der Tötung Unschuldiger. ({1}) Wir haben es doch erst vergangenen Montag wieder erlebt: Bei der Bombardierung eines Wohnhauses in der Provinz Kapisa in Nordafghanistan wurden fünf Frauen, drei Kinder und ein alter Mann getötet. Glaubt denn jemand ernsthaft daran, dass so etwas durch die RecceTornados verhindert werden kann? Das Gegenteil trifft doch zu: Wenn Stunden nach der Momentaufnahme die Bomben fallen, hat sich die Lage doch längst verändert. Die paschtunischen Taliban warten doch nicht, bis ihnen die Bomben auf den Kopf fallen. Sie treten auch nicht in geschlossenen Formationen auf. Im Übrigen frage ich mich, wie ein Bildauswerter einen waffentragenden Bauern von einem Talibankämpfer unterscheiden soll. Nein, Kolleginnen und Kollegen, machen Sie sich nichts vor. Die Tornados, deren Einsatzkosten alleine bis Oktober 35 Millionen Euro betragen, sind aktiver Teil der Kriegsmaschinerie und ersetzen die britischen Harrier-Bomber, die vorher die Aufklärungsarbeit geleistet haben. Im Rahmen der Frühjahrsoffensive sollen die Harrier voll in den Luft-Boden-Kampf eingreifen. An dieser Stelle ein Wort zu Herrn Kuhn. Er ist der Meinung, die Tornados seien nötig, um den Hilfsorganisationen den Weg zu weisen. So entnahm ich es der „Süddeutschen“ von vorgestern. Wissen Sie, Herr Kuhn, für mich ist das eine intellektuelle Zumutung von Ihnen, vom friedenspolitischen Aspekt einmal abgesehen. Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, wie viel CO2 ein solcher Tornado ausstößt? Umweltschutz, meine Damen und Herren von den Grünen, hört nicht an den eigenen Grenzen auf und ist auch nicht teilbar. ({2}) In den letzten Jahren habe ich mir oft gewünscht, dass Ihre beiden Kollegen Petra Kelly und General Bastian noch leben würden. Die hätten Ihnen den Zusammenhang von Friedens- und Umweltbewegung sicherlich genau erklären können. ({3}) Der Tornadoeinsatz wird nicht mehr Schutz für unsere Soldaten bringen; denn auch die Deutschen werden mit der brutalen Kriegsführung der Alliierten identifiziert. Das wird auch im Norden auf die Bundeswehr zurückschlagen. Die Menschen in Afghanistan leben seit Jahrzehnten unter der Geißel des Krieges bzw. Bürgerkrieges. Seit Jahrzehnten sind sie Spielball fremder Interessen: erst britischer, dann russischer und heute amerikanischer Interessen. Geben wir ihnen endlich die Chance, ihr Schicksal selber zu bestimmen. Machen wir endlich Ernst mit wirklicher Hilfe für den Wiederaufbau in Afghanistan, ({4}) das uns noch traditionell freundschaftlich verbunden ist. Das geht aber nur unter Einbeziehung aller Gruppen im Land und nicht gegen sie; und schon gar nicht mit militärischen Mitteln und mit der Überstülpung unserer Vorstellungen von Demokratie. ({5}) Der Oberstarzt a. D. der Bundeswehr, Reinhard Erös, weist in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 2. März und gestern Abend in Phoenix zu Recht darauf hin, dass die allein für 2007 für den Tornadoeinsatz benötigten Mittel den Bau von 1 200 Schulen ermöglichen würden. Zurzeit wird noch mehr als zehnmal so viel für den Krieg ausgegeben wie für den Wiederaufbau. Für den Wiederaufbau ist die Entwicklung einer Exit-Strategie nötig. Das heißt, die Aufwendungen für den wirtschaftlichen Aufbau sind um ein Vielfaches zu erhöhen, während die militärischen Kosten auf null gesenkt werden müssen. ({6}) Was Sie, die Mehrheit in diesem Hause, aber heute beschließen wollen, ist das genaue Gegenteil. Ihre Strategie führt unweigerlich in eine von anderen gewollte, immer tiefere Verstrickung in einen Krieg, der deutschen und europäischen Interessen zuwiderläuft. Als der englische Umweltminister Michael Meacher nicht länger der Pudel des US-Präsidenten sein wollte, trat er zurück. Am 6. September 2003 schrieb er im „Guardian“: Dieser Krieg gegen den Terror ist ein Vorwand. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer einem Wort an meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Einst hatte Ihre Partei die Kraft zur Abkehr von der Atomstrompolitik. Haben Sie heute endlich die Kraft, mit der Militarisierung der deutschen Außenpolitik aufzuhören! Wenn Sie das nicht schaffen, dann - das prophezeie ich Ihnen - wird es auf lange Sicht keinen sozialdemokratischen Kanzler in diesem Lande mehr geben. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Entwicklungspolitiker haben uns eindeutig für die Entsendung der Recce-Tornados nach Afghanistan ausgesprochen, weil gerade wir wissen: Sicherheit und Entwicklung sind zwei Seiten der gleichen Medaille; nur beide Elemente zusammen sind der Schlüssel zum Erfolg unserer gemeinsamen Anstrengungen in diesem Land. Der feige Mord an dem deutschen Entwicklungshelfer gestern zeigt, wie sehr sowohl unsere Bundeswehrsoldaten als auch die deutschen Entwicklungsfachleute jeden Tag in Unsicherheit leben - ebenso wie die afghanische Bevölkerung. Präzisere Aufklärung ist zwar kein Allheilmittel; aber es ist völlig klar, dass sie die Sicherheit für unsere Soldaten, für unsere Entwicklungshelfer und für die afghanische Zivilbevölkerung erhöht, auch weil sie hilft, Kollateralschäden zu vermeiden oder zu minimieren. Das ist wichtig, damit die Afghanen in uns weiterhin Helfer und Freunde und nicht Besatzer sehen. Auf dem Rigaer Gipfel der NATO wurde offiziell bestätigt, was wir schon oft gesagt haben: Der Weg zu einem stabilen, friedlichen Afghanistan ohne Terrorismus ist nicht militärisch zu erzwingen, sondern nur durch einen konzentrierten Aufbau und Wiederaufbau, der aber militärisch abgesichert werden muss, möglich. Wir haben gesagt, dass dieser Einsatz auf zwei Beinen steht. Deswegen ist es auch richtig, dass die Bundesregierung die Mittel für die Entwicklung in Afghanistan um 25 Prozent erhöht. Ich freue mich - das sage ich ganz ehrlich - über die breite Unterstützung, die der zivile Aufbau, die Entwicklungspolitik, die Entwicklungshilfe in diesem Hause jetzt genießen. Ich freue mich auch, dass die Amerikaner und andere einen substanzielleren Beitrag leisten. Ebenso freue ich mich auf die Unterstützung der Grünen beim nächsten Haushalt, Herr Trittin. Aber ich kann mir natürlich nicht verkneifen, auch Ihnen zu sagen: Erst seitdem die Grünen nicht mehr in der Regierung sind, nimmt das Budget der Entwicklungsministerin substanziell zu. ({0}) Wir müssen - das wurde heute völlig zu Recht schon festgestellt - natürlich auch sagen, dass die Entwicklung Afghanistans in letzter Zeit bedenklich ins Stottern geraten ist. Das hat verschiedene Ursachen: die ungelöste Drogenproblematik und auch das Wiedererstarken der Taliban. Die Taliban gehen nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche vor: auf der einen Seite soziale Hilfsleistungen, auf der anderen Seite Gewalt, Erpressung und Zusammenarbeit mit Drogenverbrechern, um die Macht in den Städten und im Land wiederzuerlangen. Herr Hoyer, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, Durchhalteparolen seien zu wenig. Jawohl, Parolen sind zu wenig; aber durchhalten ist wichtig. Wichtig ist auch, dass wir die richtigen Konsequenzen aus dem ziehen, was bisher nicht hundertprozentig geklappt hat. Erstens. Eine Erkenntnis ist, dass den Taliban und al-Qaida nicht allein mit zivilen Mitteln Einhalt geboten werden kann. Der Aufbau kann nicht ohne militärische Absicherung funktionieren. Zweitens. Unser Erfolg im Norden und im Osten ist nur nachhaltig, wenn die Stabilisierung im Westen und im Süden gelingt. Deshalb muss es eine verstärkte zivile Nachbarschaftshilfe beim Wiederaufbau in anderen Regionen geben. Drittens. Der Frieden in Afghanistan hängt vor allem von der Entwicklung auf dem Land ab. Wir müssen sie noch mehr in afghanische Hände legen. Das bedingt die raschere Qualifizierung von Lehrern, von Ärzten, von Verwaltungsbeamten - übrigens auch von Politikern und von Polizisten. ({1}) Es ist natürlich kontraproduktiv, dass in diesem Moment die EU-Kommission ihre Entwicklungshilfe für Afghanistan kürzt, dass die UN so hohe Gehälter für Fahrer zahlt, dass jeder Lehrer lieber Fahrer werden will, und dass nach wie vor Teile der UN-Hilfslieferungen wie die Nahrungsmittelhilfe am Bedarf des Landes vorbeigehen. Der Wiederaufbau in Afghanistan kann nur in Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten - auch das ist schon gesagt worden - gelingen. Da verweise ich auf den zentralen Schwachpunkt, der bisher in der Gesamtstrategie aufgetaucht ist. Die 16 Millionen Paschtunen in Afghanistan und die 30 Millionen Paschtunen in Pakistan - zwischen ihnen existiert eine völlig offene Grenze - sind bisher in den letzten Jahren und Jahrzehnten von jeglicher Entwicklung ausgeschlossen worden. Das bildet natürlich einen idealen Nährboden für Ideologien und Fremdenhass der Taliban. Deswegen ist es richtig, dass wir in unserer Gesamtstrategie die Entwicklungspolitik und die Außenpolitik gegenüber Pakistan in unsere Überlegungen mit einbeziehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, Frau Präsidentin. Ein letzter Punkt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, kein letzter Punkt mehr, höchstens ein letzter Satz.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann ein letzter Satz. Wir haben keinen Grund, vor der Drogenproblematik zu kapitulieren. Wenn wir die Unterstützung der Mullahs und der Stammesfürsten haben, wenn wir eine durchdachte Wirtschaftspolitik betreiben, die den Bauern zugute kommt, und wenn wir unsere Anstrengungen in der Sicherheitspolitik mit Blick auf die Polizeiausbildung erhöhen, werden wir auch dieses Problem langfristig lösen können. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Bartels, SPDFraktion.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch mir wäre es lieber, wenn wir nach fünf Jahren Stabilisierungseinsatz in Afghanistan heute so weit wären, die Truppen zu reduzieren, statt sie verstärken zu müssen. So war es auf dem Balkan. Eine ganze Weile haben wir dort starke Truppenkontingente bereithalten müssen. Heute sieht die Situation hinsichtlich der Truppenstärke folgendermaßen aus: Mazedonien null, Bosnien deutlich reduziert. Im Kosovo gibt es noch eine große Truppenstärke; aber perspektivisch gibt es eine Reduzierung. Eine Reduzierung muss das Ziel sein. Allerdings muss die Lage dies auch zulassen. Es muss das Ziel jedes Auslandseinsatzes der Bundeswehr sein, dass es später auch ohne Militär geht. ({0}) Der Einsatz der Soldaten ist kein Selbstzweck. Um ein sicheres Umfeld zu schaffen, das den Wiederaufbau des Staates, den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern erst ermöglicht, brauchen die Menschen in Afghanistan heute die Unterstützung durch die Soldaten der NATO. Würden wir auf diese militärische Absicherung verzichten, könnten wir auch unsere zivilen Hilfen einstellen. Das darf aber keine Alternative sein. Es bringt nichts, die zivile Hilfe gegen die militärische auszuspielen. Wäre keine internationale Schutztruppe im Land, dann würden sich die militanten Taliban-, Haqqani- und Hezb-e-Islami-Gruppen gewiss nicht in Respekt und Hochachtung vor Mädchenschulen, öffentlichen Rundfunkanstalten und Entwicklungsprojekten verbeugen, sondern sie angreifen, vertreiben und zerstören wie vor 2001. Alle diejenigen, die jetzt darüber reden, dass es an der Zeit sei, den Einsatz der Bundeswehr und der NATO zu beenden, müssen sich fragen lassen, wie es dann in Afghanistan weitergehen würde. Wer würde die vielen hoffnungsvollen Ansätze, die es trotz der schlechten Nachrichten gibt, dann zu einem Erfolg führen? Wir haben den Menschen in diesem Land unsere Hilfe zugesagt. Wir stehen gegenüber der frei gewählten afghanischen Regierung im Wort. Wir wussten, dass es ein längerer Einsatz wird. Wenn wir den Einsatz der Bundeswehr jetzt beenden würden, statt zu unserer Verantwortung zu stehen, wäre alles umsonst gewesen. Dann hätten wir ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. ({1}) Jeder - so sagte neulich der afghanische Außenminister Spanta, der auch bei uns im Verteidigungsausschuss zu Gast war -, der gedacht hat: „Fünf Jahre nach dem Fall der Taliban wird das Projekt endgültig ein Erfolgsprojekt“, war sehr naiv. Dr. Spanta sagte dies auf Deutsch. Er hat jahrzehntelang in Deutschland gelebt, nicht freiwillig, sondern im Exil als politisch Verfolgter. Ob er noch Mitglied des Bündnisses 90/Die Grünen ist, weiß ich nicht. Aber er ist ein mutiger Demokrat, der jetzt die Chance hat, um den Aufbau der Demokratie in seiner Heimat zu kämpfen. Dabei kann er sich auf unsere Hilfe verlassen, auch auf die militärische Sicherheit, die heute dazu noch notwendig ist. ({2}) Denn für Afghanistan gilt wie für viele andere Krisenregionen: Ohne Sicherheit vor gewalttätigen Fanatikern sind alle anderen Probleme erst recht nicht lösbar. Wir müssen Bedingungen schaffen, die die Arbeit der zivilen Kräfte ohne Bedrohung ermöglichen. Neue Hoffnung wird es nicht geben, solange sich weder die Helfer noch die Bevölkerung einigermaßen sicher fühlen können. Wir haben als Teil der NATO mit unseren Partnern eine gemeinsame Verantwortung für ganz Afghanistan übernommen. Es gibt keine getrennte Sicherheit im Norden und im Süden des Landes. Mit der Bereitstellung der Recce-Tornados leisten wir einen Beitrag zur Stabilisierung der Lage auch in den südlichen Landesteilen. Ausdruck unseres umfassenden Politikansatzes sind dabei die sogenannten regionalen Wiederaufbauteams. Sie setzen sich aus Soldaten der Bundeswehr zusammen, die Seite an Seite mit Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie des Innenministeriums arbeiten. Diesen Ansatz hat sich seit dem Rigaer Gipfel die NATO zu eigen gemacht - einschließlich der USA. Auch wenn unsere amerikanischen Verbündeten in der Presse gelegentlich mit Kritik an Deutschland zitiert werden, wird unser Engagement durchaus auch in Washington akzeptiert. General Eikenberry, bis zum vergangenen Jahr Oberbefehlshaber der US-Truppen in Afghanistan, lobte bei einer Kongressanhörung ausdrücklich unseren Beitrag und bescheinigte den Deutschen - so berichtet es der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ -, dass sie „sehr gute Arbeit“ leisteten. Das ist übrigens der gleiche General, den die „FAZ“ einige Monate zuvor mit den Worten zitierte: Das effektivste Waffensystem, das wir haben, ist der wirtschaftliche Wiederaufbau. - Das ist richtig. ({3}) Trotzdem entsteht in unserer Öffentlichkeit manchmal der Eindruck, Deutschland setze hauptsächlich auf das Militär. Das liegt vielleicht auch an unserem Prinzip der Parlamentsarmee. Wir stimmen in diesem Hause ja regelmäßig über die Verlängerung der Einsätze der Bundeswehr ab, nicht jedoch über die zivile Aufbauhilfe. Dank der Beteiligung des Parlaments an den Entsendeentscheidungen steht der militärische Teil unserer Politik immer im Fokus des medialen Interesses. Da entsteht leicht eine etwas verzerrte Wahrnehmung. ({4}) Vielleicht sollten wir das umfangreiche zivile Engagement Deutschlands in den Krisenregionen gelegentlich stärker in den Vordergrund stellen, um dieses Bild zu korrigieren. Viele Projekte, viele engagierte Helfer finden nie den Weg in die Zeitungen und leisten doch im Verborgenen Großartiges und riskieren ihr Leben. ({5}) Dass die Bundesregierung den Bundestag für den Einsatz der Flugzeuge vom Aufklärungsgeschwader 51 aus Schleswig ausdrücklich um ein neues Mandat bittet, ist sehr zu begrüßen. Zu Beginn der Diskussion haben ja einige argumentiert, dass der Einsatz vom bisherigen Bundestagsbeschluss voll gedeckt sei. Das sehe ich nicht so. Wir nehmen heute quantitativ und qualitativ eine Erweiterung des Mandats vor. Unser heutiges Votum ist auch ein Signal an die neue afghanische Demokratie, dass wir zu unserem Wort stehen und die Stabilisierung des Landes so unterstützen, wie dies notwendig ist. Schönen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernd Schmidbauer für die CDU/CSU-Fraktion.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Wechselbad der Gefühle haben wir in dieser Debatte erlebt: von rhetorischer Abrüstung bis hin zu kindergartengemäßen Protestaktionen derer, die nicht zu verbessern sind ({0}) und von denen wohl auch im Ausschuss keine wesentlichen Beiträge zu erwarten sein werden. Ich hatte mit dem Kollegen Meckel heute Morgen ein Gespräch. Er hat angeregt, dass wir das Material, das mit den Entschließungsanträgen vorliegt, in den Ausschüssen debattieren. Ich würde das befürworten. Wir sollten uns das, was im Hinblick auf die Entwicklung Afghanistans aufgezeigt wird, zunutze machen und diese Debatte nicht mit der Auseinandersetzung über die Entsendung von sechs Tornados beenden. Wir sollten über den Strategiewechsel sehr detailliert diskutieren. ({1}) Es ist nicht wahr, dass wir hier schwarz-weiß malen würden. Die Konferenzen - von Bonn über Tokio bis London, wo der Afghanistan-Compact veröffentlicht wurde - dienten doch dazu, aufzuzeigen, was wir in der Zukunft anders machen sollten, um dem abzuhelfen, was wir alle beklagen. ({2}) Ich fürchte, lieber Herr Fraktionsvorsitzender, dass wir die Haushälter in diese Debatte einbeziehen müssen. Egal ob die Entwicklungspolitiker oder die Außenpolitiker reden oder andere, es wird immer vergessen, dass in der Zukunft einer der Schwerpunkte sein muss, dass wir die Haushaltsmittel aufstocken - nur das bringt den entscheidenden Strategiewechsel, den wir hier brauchen. ({3}) So gesehen sind die sechs Tornados ein guter Anlass, zu sagen: Wir verstärken die Sicherheit, wir klären auf, wir schützen diejenigen, die dort helfen, und wir denken darüber nach, wie wir in der Zukunft die zivile Komponente nicht nur verbal, mit Lippenbekenntnissen hier im Plenum, verstärken können, sondern wie wir dazu kommen, dass aus Planungen Realität wird. Frau Ministerin, Sie waren auf meiner Seite, als wir im Ausschuss darüber gesprochen haben. Es nützt uns wenig, wenn wir nur Planungen vorlegen. Denn wir wissen: Nur wer für Stabilität sorgt, kann Planungen auch umsetzen, kann den Menschen in Afghanistan deutlich machen, worauf es uns ankommt. Es genügt nicht, in jeder Debatte verbal zu beteuern, dass man sich engagieren will - man muss es auch umsetzen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, noch einen Augenblick Platz zu nehmen, bevor wir dann nach Schluss der Aussprache in die Abstimmungen eintreten. ({0}) Ich hatte mir das so gedacht, dass sich die Kollegen erst hinsetzen und dann weitergeredet wird. Dafür halte ich die Uhr natürlich an. ({1}) Verehrte Kollegen, es gibt noch einzelne Sitzplätze, die bis zum Erreichen des vereinbarten Endes der Debatte zur Verfügung stehen. Präsident Dr. Norbert Lammert Dass der Kollege Fuchtel sich auf die Regierungsbank flüchten wollte und der Kollege Müntefering in die Reihen der CDU/CSU-Fraktion, gibt dieser Debatte noch einen besonderen Akzent. ({2}) Nun, Herr Kollege Schmidbauer, haben Sie wieder das Wort.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kann der Einsatz unserer Aufklärungstornados unsere gemeinsame Verantwortung, aber auch unsere Bündnistreue zum Ausdruck bringen. Es geht nicht um die sechs Tornados, es geht letztlich darum, dass dem Bündnis das gegeben wird, was wir brauchen, um Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit auch nach außen darzustellen. Die Forderung und Realisierung einer besseren internationalen Koordination und die Umsetzung im nationalen Bereich sind, wie ich bereits sagte, wesentlich und dürfen nicht Lippenbekenntnisse sein. All denen, die heute das Drogenproblem strapaziert haben, möchte ich sagen: Nur darauf hinzuweisen, dass in Afghanistan ein Negativrekord zu verzeichnen ist, dass die Drogenproduktion zugenommen hat, führt nicht zu einer Lösung dieses Problems. Vielmehr sollten wir über alle Fraktionsgrenzen hinweg nach möglichen Lösungswegen suchen und gemeinsam mit der Regierung neue Schwerpunkte setzen. Zur Polizeiausbildung in Afghanistan wurde bereits genug gesagt; dieses Thema ist eigentlich das geringste Problem. Allerdings müssen wir das, was wir uns alle vorgenommen haben, wirklich tun. Die Anstrengungen, die die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Polizeiausbildung unternimmt, müssen auf europäischer Ebene sinnvoll verstärkt werden. ({0}) Auch das ist an sich nur eine Frage der Umsetzung. Zum Schluss. Wer Frieden schaffen, Terror bekämpfen, Stabilität herstellen und Menschen helfen will, der darf nicht auf kurzfristige Erfolge hoffen, sondern muss eine Langzeitstrategie verfolgen. Er muss - das wünsche ich uns - einen langen Atem haben. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der Druck- sache 16/4571 zu dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, dem Antrag auf Drucksache 16/4298 zuzustimmen. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD verlangen dazu namentliche Abstimmung. Ich weise vor Eintritt in die namentliche Abstimmung auf zwei Punkte hin: Erstens. Mir liegt eine ganze Reihe persönlicher Er- klärungen zur Abstimmung vor, die, wie es immer getan wird, dem Protokoll dieser Sitzung beigefügt werden.1) Zweitens. Nach dieser namentlichen Abstimmung folgen noch einige strittige Abstimmungen. Ich bitte Sie, im Saal zu bleiben, damit Sie auch an den folgenden Ab- stimmungen teilnehmen können. Sind bereits alle Abstimmungsurnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird - wie immer - während der Debatte über den nächsten Tagesordnungspunkt bekannt gegeben. 2) Ich möchte gerne die Abstimmungen fortsetzen und bitte daher, wieder Platz zu nehmen. - Darf ich sowohl die Damen- als auch die Herrenrunden bitten, Platz zu nehmen? ({0}) - Herr Kollege Westerwelle, ich lasse das als Anregung in das Protokoll aufnehmen. Herr Kollege Meyer, wenn Sie den Kollegen Riesenhuber davon überzeugen könnten, dass Sie beide auf einem der zahlreichen Plätze - ({1}) - Auch diese Anregung ist ganz gewiss im Protokoll ver- merkt. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/4622? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und SPD sowie der Fraktion der FDP auf den Drucksachen 16/4620 und 16/4621. Die Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Koali- tionsfraktionen sowie die Fraktion der FDP wünschen Überweisung ihrer Entschließungsanträge zur federführen- den Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mit- beratung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Menschen- rechte und Humanitäre Hilfe, den Ausschuss für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie an den Haushaltsausschuss. Nach unserer ständigen Übung 1) Anlagen 5 bis 14 2) Ergebnis Seite 8712 A Präsident Dr. Norbert Lammert geht die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung vor. Das heißt, ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob Sie mit den beantragten Überweisungen einverstanden sind. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Überweisung mit großer Mehrheit beschlossen. Wir stimmen also heute über die Entschließungsanträge auf den beiden genannten Drucksachen in der Sache nicht ab. Tagesordnungspunkt 21 b. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/4576 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine TornadoAufklärungsflugzeuge in Afghanistan einsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/4047 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen. Zum Tagesordnungspunkt 21 c gibt es die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/4614 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Keine Zusage deutscher Tornados ohne Bundestagsmandat“. ({2}) Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/4048 für erledigt zu erklären, was der Kollege Brauksiepe gleich messerscharf erkannt hat, wozu ich ihm ausdrücklich im Namen des Hauses gratulieren möchte. ({3}) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit denkbar breiter Mehrheit angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 21 d: Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 16/4613 zum Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Neues Mandat für Tornado-Einsatz unerlässlich“. Auch hier empfiehlt der Ausschuss, den Antrag für erledigt zu erklären. Wer stimmt dem zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist auch das so be- schlossen. Da das Ergebnis der namentlichen Abstimmung nahe- liegenderweise noch nicht vorliegt, rufe ich nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes - Drucksache 16/3064 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4}) - Drucksache 16/4554 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen - zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Arbeit in Armut verhindern - Drucksachen 16/1653, 16/2978, 16/4554 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs, über den wir später namentlich abstimmen werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit - das sind 308 Stimmen - erforderlich ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland will die EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um die sozialen Traditionen Europas zu stärken und weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, dass wir uns mit dem Thema „Gute Arbeit“ befassen müssen. Zu guter Arbeit gehören faire Löhne. Wer gute Arbeit will, muss Lohndumping verhindern. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten ist Deutschland hierbei noch nicht ausreichend aufgestellt. Dies sollte uns ein Ansporn sein. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz schafft den rechtlichen Rahmen, um tarifliche Mindestlöhne branchenspezifisch für alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer verbindlich zu machen und dadurch Lohndumping zu verhindern. ({0}) Hierfür muss die betroffene Branche ins Gesetz aufgenommen sein, ein entsprechender Mindestlohntarifvertrag abgeschlossen und dieser anschließend staatlich erstreckt werden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus der Gebäudereinigerbranche haben sich auf einen tariflichen Mindestlohn von 7,87 Euro im Westen bzw. 6,36 Euro im Osten geeinigt. Um Verwerfungen durch entsandte Arbeitnehmer zu verhindern, wünschen sie die Aufnahme ihrer Branche in das Gesetz. Dem kommen wir jetzt nach. ({1}) Ich grüße an dieser Stelle ausdrücklich den Vorstandsvorsitzenden des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks Kuhnert, das Vorstandsmitglied Schwarz - Präsident der Berliner Handwerkskammer und den Geschäftsführer Johannes Bungart, die sich in vielen Gesprächen darum bemüht haben, dass ihre Branche in das Gesetz aufgenommen wird. ({2}) Ich betone das deshalb, weil ich meine, dass es verantwortliche Arbeitgeber sind, die dafür sorgen wollen, dass in ihren Branchen nicht durch Lohndumping die Preise kaputtgemacht werden und damit die Lebensbedingungen für die Beschäftigten massiv verschlechtert werden. ({3}) Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Gebäudereiniger unverzüglich in das Entsendegesetz einzubeziehen. Mit dieser Änderung des Gesetzes wird sichergestellt, dass aus dem Ausland entsandte Gebäudereiniger hier nicht zu Niedrigstlöhnen beschäftigt werden dürfen. Wir nehmen also die Ängste der Arbeitnehmer ernst, die wegen ausländischer Billigkonkurrenz um ihren Job fürchten, und wir sorgen dafür, dass in- und ausländische Arbeitnehmer bei uns zu fairen Bedingungen beschäftigt werden. Das Thema „Sicherung von fairen Löhnen und Bekämpfung von Lohndumping“ ist aber mit dem heutigen Tag keineswegs erledigt. Es steht weiter ganz oben auf der Agenda. Erst am vergangenen Montag hat der Koalitionsausschuss hierzu weiter beraten. Ich glaube, dass wir hierbei auf einem guten Weg sind. Es ist kein Geheimnis, dass aus Sicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der SPD der beste Weg wäre, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen zu öffnen, ({4}) eine Art der Umsetzung der Entsenderichtlinie, die uns andere Mitgliedstaaten längst und in großer Zahl vorgemacht haben. ({5}) - Und erfolgreich, das kann man auch sagen. - Zwar wird gegen Mindestlöhne immer wieder eingewandt, Unternehmen könnten sich aufgrund des Konkurrenzdrucks keine höheren Löhne leisten, da es immer Konkurrenten gebe, die ihre Angestellten noch etwas mehr ausquetschten. Eine solche Argumentation verkennt jedoch die Vorteile von Mindestlöhnen. Der Kostenfaktor Löhne wird bewusst aus dem Wettbewerb herausgenommen. Die Folge ist: Bei gleichen Lohnbedingungen muss der Wettbewerb ein Wettbewerb um Qualität und Service sein. Den Rechtsrahmen hierfür schaffen wir mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Damit es nicht zu einem Dumpingwettlauf um die niedrigsten Löhne kommt, sollten Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in möglichst vielen Branchen Mindestlöhne vereinbaren. ({6}) Diese erklärt die Regierung dann auf Antrag hin über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich, sodass sie für in- und ausländische Anbieter gleichermaßen gelten. Mit der Einbeziehung der Gebäudereiniger in das Gesetz leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Schutz in- und ausländischer Arbeitnehmer vor Lohndumping. ({7}) Man muss wissen: Das sind sehr oft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die morgens ab drei oder vier Uhr Büros oder Kaufhäuser reinigen, ({8}) die in Betrieben unterwegs sind und deren Arbeitsbedingungen es in sich haben. ({9}) - Auch in Ministerien und im Deutschen Bundestag. Selbstverständlich, Herr Kolb. Sie reinigen überall, wo sie engagiert werden. - Deswegen finde ich, dass man dafür sorgen muss, dass das zu vernünftigen Bedingungen und zu vernünftigen Löhnen stattfindet. ({10}) Das Erste Gesetz zur Änderung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes schafft die Voraussetzung dafür, dass in- und ausländische Gebäudereiniger in Deutschland „Gute Arbeit“ leisten und zu fairen Löhnen beschäftigt werden können. Das Gesetz verdient daher die Zustimmung des Deutschen Bundestags. Schönen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor wir die Aussprache fortsetzen, komme ich zum Tagesordnungspunkt 21 a zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO bekannt. Es handelt sich um die Drucksachen 16/4298 und 16/4571. Abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 405, mit Nein haben gestimmt 157, enthalten haben sich elf Kolleginnen und Kollegen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Präsident Dr. Norbert Lammert Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 573; davon ja: 405 nein: 157 enthalten: 11 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({1}) Georg Fahrenschon Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Bernward Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({15}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({17}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({22}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({23}) Gerald Weiß ({24}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller SPD Niels Annen Ernst Bahr ({25}) Doris Barnett Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Bernhard Brinkmann ({26}) Dr. Michael Bürsch Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Dr. Carl-Christian Dressel Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Iris Gleicke Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Alfred Hartenbach Präsident Dr. Norbert Lammert Michael Hartmann ({27}) Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Petra Heß Gerd Höfer Eike Hovermann Klaas Hübner Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({28}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Uwe Küster Christian Lange ({29}) Dr. Karl Lauterbach Gabriele Lösekrug-Möller Markus Meckel Ursula Mogg Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({30}) Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Walter Riester Karin Roth ({31}) Michael Roth ({32}) Axel Schäfer ({33}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Ulla Schmidt ({34}) Silvia Schmidt ({35}) Carsten Schneider ({36}) Olaf Scholz Reinhard Schultz ({37}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Jörg-Otto Spiller Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Simone Violka Jörg Vogelsänger Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber ({38}) Dr. Rainer Wend Dr. Margrit Wetzel Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({39}) Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Horst Friedrich ({40}) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Hellmut Königshaus Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({41}) Markus Löning Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Detlef Parr Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({42}) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({43}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Anja Hajduk Priska Hinz ({44}) Fritz Kuhn Undine Kurth ({45}) Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({46}) Omid Nouripour Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({47}) Nein CDU/CSU Renate Blank Wolfgang Börnsen ({48}) Dr. Peter Gauweiler Norbert Schindler Willy Wimmer ({49}) SPD Gregor Amann Ingrid Arndt-Brauer Dr. Axel Berg Lothar Binding ({50}) Clemens Bollen Willi Brase Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Dagmar Freitag Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({51}) Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Klaus Hagemann Reinhold Hemker Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({52}) Iris Hoffmann ({53}) Frank Hofmann ({54}) Christel Humme Christian Kleiminger Dr. Bärbel Kofler Ernst Kranz Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Christine Lambrecht Waltraud Lehn Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Hilde Mattheis Petra Merkel ({55}) Marko Mühlstein Detlef Müller ({56}) Florian Pronold Mechthild Rawert Maik Reichel Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({57}) Renate Schmidt ({58}) Heinz Schmitt ({59}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({60}) Ewald Schurer Frank Schwabe Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Christoph Strässer Dr. Rainer Tabillion Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Andreas Weigel Lydia Westrich Andrea Wicklein Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({61}) FDP Jens Ackermann Uwe Barth Miriam Gruß Joachim Günther ({62}) Michael Kauch Gudrun Kopp Cornelia Pieper DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Präsident Dr. Norbert Lammert Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({63}) Volker Schneider ({64}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck ({65}) Cornelia Behm Grietje Bettin Alexander Bonde Winfried Hermann Peter Hettlich Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Winfried Nachtwei Claudia Roth ({66}) Dr. Gerhard Schick Dr. Harald Terpe fraktionslos Henry Nitzsche Enthalten CDU/CSU Peter Albach Dr. Peter Jahr SPD Elke Ferner Dr. Wilhelm Priesmeier FDP Dr. Edmund Peter Geisen Gisela Piltz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans Josef Fell Britta Haßelmann Ulrike Höfken Wolfgang Wieland Wir setzen nun die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 22 fort. Nächster Redner ist der Kollege Dirk Niebel für die FDP-Fraktion. ({67})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausweitung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes ist der erste Schritt zur Einführung von Mindestlöhnen durch die Hintertür. ({0}) Das ist von der Bundesregierung, zumindest dem sozialdemokratischen Teil, ausdrücklich so gewollt. ({1}) Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat noch diese Woche zu seinem Ziel erklärt, in möglichst vielen Branchen Mindestlöhne einzuführen. ({2}) Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird allerdings die Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf dem Verordnungswege ebenfalls in das Gesetz geschrieben. Das heißt also, auch bei anderen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen brauchen die Tarifvertragsparteien nicht mehr angehört zu werden. Das ist eine fundamentale Veränderung - eine fundamentale Verschlechterung der Tarifautonomie in Deutschland, selbst wenn es jetzt erst einmal nur um eine einzige neue Branche geht. (Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD CDU und CSU haben in ihrem „Regierungsprogramm 2005 - 2009“ geschrieben - ich zitiere -: Die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen und gesetzliche Mindestlöhne über die Hintertür können einen Missbrauch der europäischen Dienstleistungsfreiheit nicht verhindern. Recht hat sie gehabt, die CDU. Deswegen sollte sie im Regierungshandeln dafür sorgen, dass diese Hintertür nicht genutzt wird. Dass die SPD ihre Wahlprogramme nicht umsetzt, das wissen wir. Es ist ja auch unfair, daran zu erinnern. Dass die Union ihr Wahlprogramm bisher nicht umgesetzt hat, haben wir beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz erfahren. Hier geht es jetzt wirklich um das letzte bisschen Glaubwürdigkeit der CDU/CSU. ({3}) Es wird sich zeigen, ob sie der Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen hier Tür und Tor öffnen will. ({4}) Wir müssen dagegen sein - egal wie sehr Herr Tauss herumblökt -: Mindestlöhne vernichten in Deutschland legale Arbeit. Mindestlöhne legen einen Mindestpreis fest, und wenn die Leistung den Preis nicht wert ist, dann wird sie zumindest in der legalen Wirtschaft oder im Inland nicht mehr nachgefragt. ({5}) Das heißt, gerade bei den Geringqualifizierten - für diese Menschen müssen wir Arbeitsplätze schaffen wird die Arbeitslosigkeit deutlich höher werden. ({6}) - Herr Tauss, regen Sie sich doch einmal ab! Wir können ja mal einen Kaffee trinken gehen. ({7}) Ich erlaube mir, aus dem Protokoll der 97. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit vom 29. Juni 2005 zu zitieren. Herr Göhner - er ist hier anwesend - hat ausweislich dieses Protokolls gesagt - ich zitiere -: Abgeordneter Dr. Göhner ({8}) begrüßt, dass durch die überraschende Wendung an diesem Morgen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht mehr verabschiedet werde. Weiter heißt es in diesem Protokoll: Es habe sich herausgestellt, dass die Koalitionsfraktionen - das war zu Zeiten von Rot-Grün die Ausdehnung des Entsendegesetzes auf alle Branchen mit der Problematik von Entsendearbeitern begründeten, wo es gar keine gebe. Dies betreffe z. B. das Hotel- und Gaststättengewerbe. Dieser Fall zeige, dass die Koalition mit ihrem Gesetzentwurf etwas ganz anderes beabsichtigt habe, als sie vorgebe: Es werde vorgegeben, tarifliche Mindestlöhne für Entsendearbeiter zu schaffen. Letztlich solle aber mit der Ausdehnung auf alle Branchen der gesetzliche Mindestlohn für inländische Arbeitnehmer geschaffen werden. Recht hat er gehabt, der Kollege Göhner. ({9}) - Ich kann mir gut vorstellen, dass er mit mir darüber gern sprechen möchte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun möchte der Kollege Göhner Ihnen eine Zwischenfrage stellen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Bitte schön, Herr Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Niebel, nachdem Sie mich dankenswerterweise so ausführlich zitiert haben, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass ich auch erklärt habe, dass eine Ausdehnung des Entsendegesetzes auf das Gebäudereinigerhandwerk von uns begrüßt wird. ({0}) Ich habe mich schon vor der letzten Bundestagswahl, und zwar in der letzten Sitzungswoche der vergangenen Legislaturperiode, hier im Plenum dementsprechend geäußert. Damals haben wir einen Gesetzentwurf diskutiert, der allerdings nicht lediglich eine Ausdehnung auf das Gebäudereinigerhandwerk vorsah; vielmehr war eine Ermächtigung zur Aufnahme weiterer Branchen geplant. Das, was wir heute diskutieren - Stichwort „Gebäudereinigerhandwerk“ -, fand schon damals unsere Zustimmung, und zwar deshalb, weil es einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für diese Branche gibt.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Göhner, es ist völlig richtig, dass Sie immer für die Aufnahme des Gebäudereinigerhandwerks ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz gewesen sind. ({0}) Genauso richtig ist allerdings das, was ich gesagt habe: dass der Vorbehalt der Tarifvertragsparteien bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch das Herausnehmen der Seeschifffahrtsassistenz aus dem vorliegenden Gesetzentwurf schlicht wegfällt und dass das Arbeitsund Sozialministerium jetzt auf dem Verordnungswege und ohne Anhörung der Tarifvertragsparteien - also auch ohne Anhörung des Verbandes, für den Sie nebenberuflich tätig sind - die Möglichkeit hat, die Allgemeinverbindlichkeit dieser Tarifverträge durchzusetzen. Das sollte Ihnen zu denken geben. Da Sie jemand sind, der sich mit Tarifvertragsrecht durchaus intensiv beschäftigt, sollten Sie hier eine entsprechende Einschränkung auf dem Verordnungswege mit Sicherheit nicht durch Ihre Stimme legitimieren. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ausnahmsweise gibt es noch die Gelegenheit für eine zweite Zwischenfrage. Wie ich sehe, sind Sie, Herr Niebel, damit einverstanden. Ich weise aber darauf hin, dass wir uns im Augenblick nicht in der Fragestunde befinden.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist neu, dass die Opposition hier befragt wird. Wir könnten das gern generell einführen. Wir wissen viele Antworten. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Göhner, bitte.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, da Sie die Streichung der Seeschifffahrtsassistenz aus dem Entsendegesetz hier kritisch beleuchten, darf ich Sie fragen, ob Sie ernsthaft wollen, dass diese Branche weiterhin unter dieses Gesetz fällt, obwohl es dort nicht einmal Tarifverträge gibt? ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich weise deswegen darauf hin, dass diese Branche gestrichen wird, weil sie die letzte Bastion ist und daher die Notwendigkeit gegeben ist, zum Beispiel die Arbeit8716 geberverbände vor einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu befragen. ({0}) Da sie die letzte Bastion ist, müsste diese Branche weiterhin in diesem Gesetz genannt werden, wenn man seinen Geltungsbereich ausweiten will. Der entscheidende Fehler dieses Gesetzentwurfs ist die Ausweitung auf weitere Branchen, in dem Fall auf das Gebäudereinigerhandwerk, als Einstieg in einen flächendeckenden Mindestlohn, der dann im Endeffekt vom Bundesarbeitsminister alleine implementiert werden kann. Das ist der Kardinalfehler. ({1}) Wenn über Mindestlöhne diskutiert wird, dann fällt dem Bundesarbeitsminister in erster Linie ein, dass er auch die Zeitarbeitsbranche mit einer Ausweitung beglücken möchte. Ich weise darauf hin, dass gerade die Zeitarbeitsbranche der Bereich ist, wo jetzt vehement sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen, eben wegen der flexiblen Möglichkeiten, die es in diesem Bereich gibt. ({2}) Dieser Aufwuchs sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse würde natürlich durch eine entsprechende Ausweitung des Entsendegesetzes eingeschränkt. Herr Tauss hat in seinem Leben eines mit Sicherheit noch nicht verstanden. Er hat nicht verstanden, dass Mindestlöhne völlig unbedeutend sind. Es geht um das Mindesteinkommen von Menschen und nicht um einen Mindestlohn. Beleuchten wir dazu doch einmal die Politik dieser vermeintlich Großen Koalition! Obwohl die Steuereinnahmen wegen der guten Konjunktur sprudeln, haben Sie von Rot-Schwarz in Ihrer gesamten Regierungszeit bisher nichts anderes getan, als den Bürgerinnen und Bürgern dreist in die Tasche zu greifen, ihnen zu Beginn dieses Jahres durch eine zusätzliche Belastung in Höhe von 27 Milliarden Euro liquides Kapital zu entziehen, das ihnen fehlt, egal ob sie hohe oder niedrige Löhne haben. Sie haben die Beitragssätze zur Krankenversicherung Anfang des Jahres erhöht. Sie haben die Beitragssätze zur Rentenversicherung erhöht. Sie haben über die Erhöhung der Mehrwertsteuer eine Beitragssatzsenkung bei der Arbeitslosenversicherung durchgeführt, die Sie auch dann hätten durchführen können, wenn Sie sich nur auf die in Ihrem Evaluationsbericht festgeschriebenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen konzentriert hätten. Sie kassieren bei den Menschen ab, statt ihnen ein Mindesteinkommen zu ermöglichen. „Mindesteinkommen“ bedeutet in erster Linie, dass man sein Einkommen nicht über Schwarzarbeit erzielt, wie wir das heute in den Zeitungen lesen können, sondern in der legalen Wirtschaft. Wenn 2,5 Millionen Vollzeitarbeitsplätze bei einem geschätzten Volumen in der Schattenwirtschaft von 349 Milliarden Euro in diesem Jahr nicht in der legalen Wirtschaft sind, dann muss einem das doch zu denken geben. Deswegen ist der richtige Ansatz nicht der, über Mindestlöhne Arbeitsplätze im geringqualifizierten Bereich zu vernichten, sondern der, mit einem vernünftigen und intelligenten Steuer- und Transfersystem aus einem Guss dafür zu sorgen, dass die Menschen in diesem Land ein anständiges Mindesteinkommen haben, von dem sie leben können. Dazu haben wir mit dem Bürgergeld einen Vorschlag gemacht, mit dem wir steuerfinanzierte Transferleistungen und das Steuersystem zusammenführen. Der, der gut verdient, zahlt Steuern, und der, bei dem es nicht reicht, bekommt aus dem Transfersystem einen Zuschuss, ({3}) ohne dass sein Arbeitgeber subventioniert wird, wie es die Union will, und ohne dass sein Arbeitsplatz subventioniert wird. Das ist ein vernünftiger Weg. ({4}) Auf dem müssen wir uns bewegen. Wenn wir das tun, dann brauchen wir keine Mindestlöhne in diesem Land. Vielen herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile nun das Wort der Kollegin Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die fetten Jahre sind vorbei“, ({0}) so hieß ein Film, der im Jahr 2004 für Furore sorgte. Der Titel gab eine allgemeine Stimmung in Deutschland wieder. Es schien, als hätten wir uns mit der Rolle der Verlierer angefreundet - die rote Laterne in der Hand. Heute erkennen wir unser Land nicht wieder. Die Arbeitslosigkeit ist so stark zurückgegangen wie noch nie zuvor, auch und gerade bei den Langzeitarbeitslosen. ({1}) Die Wachstumsprognosen werden ständig nach oben korrigiert. Alle Zahlen zeigen: Der Aufschwung ist da. Aber leider hat nicht jeder an ihm teil. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor zu hoch. Für ältere Arbeitsuchende und Geringqualifizierte ist der Zugang zum Arbeitsmarkt schwer. 170 000 Menschen arbeiten in einem Vollzeitjob für weniger als 4,50 Euro in der Stunde, 600 000 für weniger als 6 Euro in der Stunde; dabei handelt es sich zum Teil um Tariflöhne. Diese Arbeitnehmer sind im sogenannten Niedriglohnsektor beschäftigt. „Niedriglohnsektor“ - ein nüchterner Begriff. Die dort Tätigen zeichnet aus, dass sie arbeiten, obwohl mancher von ihnen ohne Arbeit mit einer staatlichen Transferleistung besser oder gleich gut dastehen würde. Viele von ihnen leben am Rande des Existenzminimums. Wie lässt sich ihre Existenz sichern? Um die Antwort auf diese Frage wird zum Teil mit sehr schrillen Tönen gestritten. Auch in dieser Debatte war das zu merken. Diese Debatte schreit nach ideologischer Abrüstung. Ich rate uns allen zu mehr Sachlichkeit. ({2}) Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als derjenige, der nicht arbeitet. In diesem Ziel sind wir alle uns sicherlich einig. Aber wie lässt es sich erreichen? Dazu werden unterschiedliche Modelle diskutiert. Die Diskussion wird aber zunehmend auf ein Wort reduziert: Lohnwucher. Um es ganz klar zu sagen: Sittenwidrige Löhne sind mit der Union nicht zu machen. Sie sind schlicht unanständig. ({3}) Sicherlich müssen die Beschäftigten besser vor Lohnwucher geschützt werden. Zwar gibt es bereits entsprechende Vorschriften, sie sind aber wenig praktikabel. Bislang legen die Gerichte fest, wann ein Lohn sittenwidrig ist. Hier muss etwas getan werden. Ich frage uns: Wieso definieren wir in Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung die Sittenwidrigkeit bei Löhnen nicht gesetzlich und legen anknüpfend an Tarif- oder ortsübliche Löhne eine Untergrenze fest? Zu niedrige Lohnvereinbarungen wären dann nichtig und zugunsten des Arbeitnehmers nachzubessern. Starre Geldbeträge helfen da nicht. Wie unser früherer Kollege Karl-Josef Laumann immer sagt: Was in Düsseldorf gerade reicht, ist im Osten ein Spitzenlohn. Das ist übrigens eines von vielen Argumenten gegen einen flächendeckenden staatlichen Mindestlohn. ({4}) Weitere ließen sich anführen: Ein staatlicher Mindestlohn ist ein schwerwiegender Eingriff in die Tarifautonomie, eine Verletzung der positiven wie negativen Koalitionsfreiheit, birgt die Gefahr eines Wettbewerbs von Wahlkampfversprechen, wie wir es gerade in Frankreich erleben. Andere müssen diese Versprechen einlösen: die Betriebe. Damit würden Einfacharbeiten weiter verteuert und gerade im Bereich der Geringqualifizierten dringend benötigte Arbeitsplätze nicht entstehen. ({5}) Lohnpolitik ist keine Sozialpolitik. Da hilft auch der stete Hinweis auf die USA nicht; denn der dortige Mindestlohn ist in einen außerordentlich flexiblen Arbeitsmarkt eingebettet. Es kann nicht Ihr Ernst sein, dass Sie das Hire-and-fire-Prinzip, das dort gilt, bei uns in Deutschland haben wollen. Das machen wir nicht mit. ({6}) Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Lohnwucher nicht die Regel ist, insbesondere nicht in kleinen und mittelständischen Betrieben; denn diese Betriebe leben nicht von, sondern durch und mit ihren Arbeitnehmern. Dazu zählt auch das Gebäudereinigerhandwerk. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben für dieses Handwerk einen Lohntarif vereinbart, der allgemein verbindlich ist. Hier ansässige Betriebe müssen sich an diese Lohnvorgaben halten, anders als ihre europäische Konkurrenz. Bei einem Lohnkostenanteil von 80 Prozent kann so kein fairer Wettbewerb stattfinden. Oder ist ein Rennen fair, bei dem der eine mit Spikes und der andere mit einem Gipsbein startet? Wohl kaum. Deshalb fordert das Gebäudereinigerhandwerk ja auch den Schutz durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, wie wir ihn für das Bauhauptgewerbe haben. Die Vergleichbarkeit mit dem Bau ist offensichtlich: ständig wechselnde Einsatzorte, Wettbewerb mit Anbietern aus Ländern mit einem drastisch geringeren Lohnniveau, Lohnkostenintensität und ein allgemein verbindlicher Tarifvertrag. Vor diesem Hintergrund hat die Große Koalition vereinbart, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch auf die allgemeinverbindlichen Tarifverträge der Gebäudereiniger zu erstrecken. Diese Hilfe gäbe es mit Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, nicht. ({7}) Der Kollege Niebel hat auf unsere Glaubwürdigkeit angespielt. Wir haben uns immer nur dagegen gewehrt, das Gesetz auf alle Branchen auszuweiten. ({8}) Wir haben aber immer auch gesagt, dass es bei den einzelnen Branchen zu prüfen ist. Wenn es um Glaubwürdigkeit geht, schaue ich den Kollegen Kolb an. ({9}) Der Kollege Kolb hat im Namen der FDP einen Antrag ins Plenum eingebracht, ({10}) in dem er die Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf andere Branchen in Ihrem Namen kategorisch ablehnt, ({11}) und das, lieber Herr Kollege Dr. Kolb, obwohl Sie selbst Staatssekretär in der Kohl-Regierung waren, die dieses Gesetz 1995 mit Ihrer Stimme eingeführt hat. ({12}) Bei aller Wertschätzung: Ihr Verhalten erinnert an den Satz unseres ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ ({13}) Leider wird der darauf folgende Satz meist unterschlagen: „Nichts hindert mich, weiser zu werden.“ Ich gebe die Hoffnung daher nicht auf. Ich habe übrigens auch bei der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen noch Hoffnung. Das ist das andere Extrem. Während die FDP gar nichts will, fordern Sie die Ausweitung auf alle Branchen. ({14}) Protektionismus pur! Festung Deutschland! Man merkt, dass Ihnen der Außenminister mit europäischen Ambitionen abhandengekommen ist. ({15}) Wir wollen Freizügigkeit und fairen Wettbewerb. Deshalb müssen wir im Einzelfall mit Augenmaß entscheiden, ob dieses Gesetz auf weitere Branchen ausgeweitet werden muss. Die heutige Entscheidung entfaltet insoweit kein Präjudiz. ({16}) Die erforderliche Prüfung wird zurzeit vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorbereitet. Die Entscheidung aber treffen wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Aufnahme weiterer Branchen von Voraussetzungen abhängig zu machen: Erstens. Es muss ein Tarifvertrag vorliegen, der nach den Regeln des geltenden Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Die Neuaufnahme im vereinfachten Verordnungsverfahren ist dabei kein Automatismus, lieber Herr Niebel; der Kollege Dr. Göhner hat das bereits dargestellt. ({17}) Zweitens. Es müssen soziale Verwerfungen in diesem Wirtschaftszweig durch Entsendearbeitnehmer nachgewiesen sein. Die Entscheidung muss von Fall zu Fall getroffen werden. Momentan sind diese Voraussetzungen aus meiner Sicht bei keiner der in der Diskussion stehenden Branchen gegeben. ({18}) Bei der einen fehlt es an allgemein verbindlichen Tarifverträgen, und bei der Zeitarbeit sehe ich persönlich keine Verwerfungen durch ausländische Konkurrenz. Ich warne vor einem: Dieses Gesetz darf nicht instrumentalisiert werden, den Wettbewerb in einer Branche auszuschließen. ({19}) Deshalb sollten wir mit vorschnellen Ankündigungen über eine Ausweitung zurückhaltend sein. ({20}) Eines nämlich hat die Vergangenheit gezeigt: Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist kein Allheilmittel. Der Arbeitsplatzabbau in der Baubranche konnte so allenfalls verlangsamt werden. Es gibt eben selten Patentlösungen. Das ist übrigens auch die Essenz des Filmes „Die fetten Jahre sind vorbei“. Der Stein des Weisen existiert nicht. Es braucht maßgeschneiderte Lösungen. Das heutige Gesetz ist ein Teil davon. Stimmen Sie also zu! ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Die Linke ist der nächste Redner der Kollege Werner Dreibus. ({0})

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Fraktion Die Linke wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Die Regelung ist notwendig und überfällig. Zum Thema „fällig“ will ich nur sagen: Allein von der Koalitionsvereinbarung bis zum heutigen Tag sind eineinviertel Jahre vergangen. Die Regelung ist also überfällig. Dieser Schritt ist notwendig und richtig. Es ist aber im besten Fall ein Trippelschritt angesichts der Dimension, die die Entwicklung des Niedriglohnsektors in Deutschland angenommen hat. Davon sind viele Branchen und 6 bis 7 Millionen Menschen betroffen. In den letzten 15 Monaten, seit dem Herbst 2005, also während Ihrer Regierungszeit, wurden es immer mehr. Die Koalition erwägt seit vielen Monaten verschiedene Maßnahmen im Bereich des Arbeitsmarkts: Subventionen, gesetzlicher Mindestlohn von 4 Euro, Vereinfachung der AVE, jetzt die Verfolgung sittenwidriger Löhne. Das ist alles nur Gerede. Es fehlen Taten zugunsten derer, die seit Monaten und Jahren auf Regelungen hinsichtlich der Niedriglöhne warten. ({0}) Insofern ist das, was die Koalition neben dem heutigen Schritt macht, noch nicht einmal ein Trippelschritt, sondern entspricht vielmehr einem Fahren im Kreisverkehr. Wir sollten uns daran erinnern, dass Bewegung nicht alles ist; denn wer sich nur im Kreis bewegt, kommt nicht voran. Immerhin unterscheidet sich das, was der Staatssekretär heute zur Einführung dieses Gesetzentwurfs gesagt hat, deutlich von dem, was die Koalitionsfraktionen im Juni des vergangenen Jahres zu unserem Antrag zur Einführung des Mindestlohnes gesagt haben. Insofern kann man zumindest erkennen - wenn auch mit großer zeitlicher Verzögerung und damit zum Nachteil der Betroffenen -, dass die Koalition lernfähig ist. Das Lernen geht aber viel zu langsam. Wir sollten uns in diesem Bereich keine Koalition erlauben, die sozusagen auf PISANiveau angekommen ist. ({1}) Was ist das eigentliche Problem? 6 Millionen Menschen arbeiten in Vollzeit zu Niedriglöhnen. 70 Prozent davon sind Frauen. Hinzu kommen mehrere Millionen Menschen in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und in Teilzeit. Ein sozialer Rechtsstaat wie unserer kann eine solche Situation nicht länger hinnehmen. Jeder Mensch muss von seiner Arbeit zumindest leben können. Unsere feste Überzeugung ist: Stundenlöhne unter 8 Euro sind nicht existenzsichernd und insofern nicht länger hinnehmbar. ({2}) Deshalb muss der Grundsatz lauten, so schnell es geht einen gesetzlich verbrieften Anspruch für alle Menschen, die Arbeit haben, von mindestens 8 Euro einzuführen. Wie kommen wir dahin? Ich möchte noch einmal die drei verschiedenen Problembereiche bei Niedriglöhnen skizzieren. Erstens. Es gibt Branchen mit untersten tariflichen Entgelten über 8 Euro. Der Gesetzgeber kann und sollte auf dem Weg des Entsendegesetzes in der jetzt vorliegenden Form schleunigst dafür sorgen, weitere solcher Branchen mit Tariflöhnen über 8 Euro in das Entsendegesetz aufzunehmen und diese Tarifverträge damit für allgemeinverbindlich zu erklären. Dazu ist eine Vereinfachung des Verfahrens notwendig: beispielsweise auch auf Antrag einer Tarifvertragspartei. Zweitens. Es gibt Branchen mit untersten tariflichen Entgelten unter 8 Euro, teilweise weit unter 8 Euro. Hier hilft keine AVE. Im Gegenteil: Hungerlöhne würden so per Gesetz verordnet. Eine Mindestlohnfestlegung über AVE würde bedeuten, Löhne in Höhe von 4,38 Euro oder 4,25 Euro - wie für Friseure, Köche, Hotelkauffrauen, Verkäuferinnen etc. - per Gesetz einzuführen. Das ist ein untauglicher Weg. ({3}) Warum gibt es überhaupt Tarifverträge, die Niedriglöhne vorschreiben? ({4}) - Ich sage gleich etwas dazu. - Ich will daran erinnern, dass das Bundesarbeitsgericht bereits in den 50er-Jahren in einem Urteil zu einer solchen Tarifsituation - Herr Niebel, an der Sie möglicherweise auch in bestimmten Bereichen beteiligt sind ({5}) Tarifverhandlungen ohne die Möglichkeit des Drucks durch Arbeitskämpfe als kollektive Bettelei bezeichnet hat. In diesen Branchen finden Tarifverhandlungen als kollektive Bettelei statt, so die Sprache des Bundesarbeitsgerichtes in den 50er-Jahren. Das ist das Problem. Die Maßnahmen, die seit den 90er-Jahren ergriffen wurden, und zwar von Ihnen allen, die Sie hier sitzen - ich nenne nur: Kürzung des Arbeitslosengeldes, Armut per Gesetz, Hartz IV, Massenarbeitslosigkeit, Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse -, haben letztlich dazu beigetragen, die kollektive Interessenvertretung und damit auch die Möglichkeit, bessere Tarifverträge abzuschließen, deutlich zu verschlechtern. ({6}) Dritte und letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang: Es gibt Branchen - das ist ein zunehmend größer werdender Teil -, in denen überhaupt keine Tarifverträge gelten. Da kann man nun beim besten Willen keine Regelungen treffen, auch nicht per Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Es bleibt in diesem Bereich überhaupt nichts anderes übrig, als gesetzliche Mindestlöhne einzuführen. Eine Bemerkung noch zu Frau Connemann und dem Vergleich, dass in Düsseldorf -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, das geht jetzt eigentlich nicht mehr. Sie haben vermutlich gar nicht gesehen, wie großzügig ich Ihre Redezeit schon bemessen habe.

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben wie immer recht, Herr Präsident! Lassen Sie mich nur diese eine Bemerkung machen: Wenn man die Debatte so führt, dass es in Düsseldorf auf Dauer höhere Löhne geben muss als in Dresden oder Bautzen, ({0}) kann ich nur sagen: Das ist zynisch gegenüber den Betroffenen. Eine solche Politik machen wir nicht mit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Brigitte Pothmer ist die nächste Rednerin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Müntefering, seit Montag hat für mich das Wort „Scheinbeschäftigung“ eine neue Bedeutung. Am Montag haben sich ja die Koalitionsspitzen mit dem Thema Mindestlohn beschäftigt, und Sie sind später herausgekommen und haben gesagt - zum Schein -: Alles ist auf dem besten Weg. Sie werden zitiert: Sittenwidrige Löhne müssen weg, am besten in allen Branchen. ({0}) Wir stimmen Ihnen zu, Herr Müntefering. Ich kann nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe. - Dann erklären Sie weiter, dass Mindestlöhne in mindestens zehn Branchen in Vorbereitung sind. Ich habe da eine Frage: Was heißt eigentlich „in Vorbereitung“? Es ist zu lesen, dass Müntefering weitere Branchen ins Auge gefasst habe. Ich übersetze das so: Schauen wir mal; kommt es heut nicht, kommt es morgen. ({1}) Ich kann nur sagen: Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, dann wird es noch Jahrzehnte dauern, bis wir für diese zehn Branchen Mindestlöhne haben. Es ist gut, dass wir das in der Bauindustrie geschafft haben. Es ist auch gut, dass wir das jetzt im Gebäudereinigerhandwerk einführen. Aber Sie haben leider auch heute wieder die Chance vertan, das zu tun, was Sie vorgeben tun zu wollen, nämlich das Gesetz zu nutzen, um die Regelung auch auf andere Branchen auszuweiten. Sie nennen hier die fleischverarbeitende Industrie, die Land- und Forstwirtschaft, die Gastronomie und andere Bereiche; ich will sie gar nicht alle aufzählen. Sie haben auch gesagt, dass Sie die Zeitarbeitsbranche einbeziehen wollen. Da frage ich, Frau Connemann: Warum ist das eigentlich nicht passiert? In der Zeitarbeitsbranche bestehen alle Voraussetzungen, von denen Sie immer behaupten, dass Sie sie brauchen, um zu handeln. ({2}) Frau Connemann, Sie widersprechen sich doch selbst. Ich kann Ihnen sagen, warum Sie es nicht getan haben. Sie haben es nicht getan, weil es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern um politische Geländegewinne. ({3}) Dazwischen werden die Interessen der Betroffenen zerrieben. Sie dürfen sich nicht wundern, dass Sie Überschriften kassieren, die lauten: „Mit vereinten Kräften nichts“. Das ist das Einzige, was die Große Koalition in dieser Sache zustande bringt. Das ist leider zu wenig. ({4}) In einer Agenturmeldung habe ich gelesen: Im Koalitionsausschuss hatten die Spitzen von Union und SPD Müntefering dafür am Montag grünes Licht gegeben, - Achtung, jetzt kommt’s! ({5}) wollten dies aber nicht als vorweggenommene Zustimmung gewertet wissen. Was heißt das eigentlich? ({6}) Das heißt, Sie haben am Montag eine mögliche Zustimmung zu einer möglichen Ablehnung erreicht. Das haben Sie ausgehandelt, Herr Müntefering. Tut mir leid, uns ist das zu wenig. Ich gebe ja zu, dass Sie da wacker kämpfen. Aber es kommt einfach zu wenig dabei herum. Ich glaube, wenn Sie einmal darüber nachdenken, dann kommen Sie selbst zu diesem Ergebnis. Deshalb flüchten Sie sich - das ist jedenfalls mein Eindruck - in den Versuch, so zu tun, als sei schon die bloße Debatte über Politik Politik. Das werden Ihnen die Leute nicht durchgehen lassen. Da bin ich mir ganz sicher. Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass es in Sachen Arbeitsmarkt so etwas wie ein Simsalabim nicht gibt. Ich glaube, damit haben Sie recht. Ein Simsalabim erwarten wir auch gar nicht von Ihnen, aber einen Hokuspokus eben auch nicht. Ich danke Ihnen. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Anette Kramme für die SPD-Fraktion. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Niebel, ({0}) ich hätte nicht gedacht, dass ich Ihnen einmal recht gebe. Sie haben tatsächlich recht damit, dass wir hier und heute ein großes Ding drehen. Sie haben auch recht damit, dass es unsere wahre Intention ist, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf ganz viele Branchen auszudehnen. ({1}) Nun zu Herrn Dreibus. Bezüglich des Kreisverkehrs haben Sie natürlich recht. Aber aus dem Kreisverkehr wird ein Autobahnverkehr, wenn wir viele andere Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz einbeziehen. ({2}) Frank Dupré, der Bauunternehmer und Vizepräsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, sagte vergangene Woche gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“: Gäbe es am Bau keine Mindestlöhne, ... dann wäre in den vergangenen Jahren noch mehr Personal abgebaut worden. Er ging noch weiter, als er den vereinbarten Mindestlohn für notwendig erachtete, um überhaupt ein Instrument zur Kontrolle auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dass Herr Dupré recht hat. Die Zustände am Bau waren verheerend. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz war und ist ein essenzielles Ordnungselement. Es ist ein essenzielles Ordnungselement für die Arbeitgeber gegen die Schmutzkonkurrenz und für die Arbeitnehmer gegen das nationale und internationale Lohndumping. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat sich in der Baubranche bewährt. Normalerweise fordern Wirtschaftsverbände und Arbeitgeberverbände den Abbau von Arbeitsrecht, aber sogar der Hauptgeschäftsführer Knipper des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie steht zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Er sagt: „Die Mindestlöhne sind ohne Alternative.“ Die Baubranche ist seit 1996 im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Bei dieser Gelegenheit: Herr Niebel, die FDP von damals hat diesem Entsendegesetz zugestimmt. ({3}) Sehr vernünftig! Heute redet man von maximalem Unsinn. Normalerweise wächst die Weisheit mit zunehmendem Alter; bei Ihnen scheint aber Alterstorheit eingetreten zu sein. ({4}) Meine Damen und Herren der FDP, lassen Sie sich sagen: Maximalen Unsinn verzapfen höchstens Sie mit Ihren bodenlosen Anträgen, sicherlich aber nicht die Bundesregierung. Das Gebäudereinigerhandwerk und das Baugewerbe sind in einer sehr ähnlichen Situation. Das Gebäudereinigerhandwerk ist wie das Baugewerbe von schmutzigen und skandalösen Arbeitsbedingungen bedroht. Wir müssen sicherlich damit rechnen, dass sich die Bedingungen mit Ablauf der 2-3-2-Regelung gefährlich verschärfen werden. Worauf gründet sich die prekäre Situation beider Branchen? Sowohl im Gebäudereinigerhandwerk als auch im Baugewerbe sind die Arbeitnehmer an unterschiedlichen Einsatzorten tätig. Daraus resultiert ein verstärktes Schutzbedürfnis. Sowohl das Gebäudereinigerhandwerk als auch das Baugewerbe sind in hohem Maße lohnkostenintensiv. Beide stehen deshalb im besonderen Wettbewerb mit Anbietern aus Ländern mit Niedrigstlöhnen. Das Gebäudereinigerhandwerk mit seinen rund 850 000 Arbeitnehmern hat durch einen bundesweiten Mindestlohntarifvertrag die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz geschaffen. Es ist nun konsequent, die Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Die Tarifvertragsparteien befürworten diesen Schritt. Ich darf an dieser Stelle nochmals zitieren. Arnulf Piepenbrock sagt: Dadurch können wir die Branche vor Billiglohnkonkurrenten aus den neuen osteuropäischen EUMitgliedstaaten schützen, wenn ab dem Jahr 2009 die volle Freizügigkeit in der EU gilt. Ich bin mir sicher, dass die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zur Stärkung des Gebäudereinigerhandwerks im innereuropäischen Wettbewerb beitragen wird. - Der BDA darf an dieser Stelle gesagt werden: Hier haben sich erwachsene Menschen geeinigt. Stecken Sie Ihre Nase nicht ständig in Angelegenheiten, die Sie nichts angehen! Beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz entscheiden allein die Tarifvertragsparteien, ob und in welcher Höhe sie einen Mindestlohntarifvertrag schließen und ob sie einen Antrag für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung stellen wollen. Die Tarifvertragsparteien haben es selbst in der Hand, ob das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in ihrem Bereich angewandt wird. Ich befürworte ganz ausdrücklich, dass auch für die Gebäudereiniger die Möglichkeit geschaffen wurde, Mindestlohntarifverträge per Rechtsverordnung - und nicht über das Tarifvertragsgesetz - für allgemeinverbindlich zu erklären. ({5}) Es ist fast unmöglich geworden, Tarifverträge außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes über den Tarifausschuss - also über das Tarifvertragsgesetz - für allgemeinverbindlich erklärt zu bekommen. Die Arbeitgeberseite geriert sich in unerträglicher Weise. Walter Riester, ich glaube, du bist hier im Plenum: Dir gebührt Dank dafür, dass du die Möglichkeit geschaffen hast, Mindestlohntarifverträge am Bau mithilfe einer Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich zu erklären. Das hast du gut gemacht. Wir dehnen das jetzt aus. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel muss es sein, zu verhindern, dass Arbeitnehmer zu krass unsozialen und unfairen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden. Wir müssen etwas dagegen tun, dass durch legale oder illegale Entsendung von Arbeitskräften aus dem Ausland inländische Arbeitsplätze in erheblichem Umfang gefährdet werden. Die derzeitigen Schutzregelun8722 gen des deutschen Arbeitsrechts reichen nicht aus. § 138 Abs. 2 BGB - der Wuchertatbestand - greift erst dann, wenn weniger als zwei Drittel des üblichen Lohns bezahlt wird. Außerdem muss das Arbeitsverhältnis unter Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen geschlossen worden sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist unabdingbar, zahlreiche weitere Branchen in das Entsendegesetz aufzunehmen und einen ergänzenden gesetzlichen Mindestlohn zu schaffen. Drei Viertel unserer europäischen Nachbarn zeigen uns, wie man gleichzeitig faire Löhne garantiert und trotzdem Beschäftigung schafft und sichert. Dass dies eben kein Widerspruch ist, sollten sich die Westerwelles dieser Welt einmal vergegenwärtigen. ({7}) Wir wollen nicht, dass Deutschland immer mehr zu einem Billiglohnparadies für ausländische Großkonzerne wird. Lassen Sie mich mit den Worten von

Not found (Gast)

Wenn ein Unternehmer heute nicht sieht, dass er langfristig ein Eigeninteresse an sozialer und politischer Stabilität hat, dann … hat er seinen Unternehmensauftrag nicht richtig verstanden. In dem Sinne! ({0}) Ich bedanke mich ganz herzlich. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Damen und Herren! Nehmen wir zunächst ohne Scheuklappen zur Kenntnis, wie sehr sich der deutsche und auch der europäische Arbeitsmarkt in den letzten Jahren verändert haben. Viele Unternehmer und Beschäftigte mussten in dieser Zeit lernen, was es heißt, um die eigene Existenz zu fürchten. Sie suchen verlässliche Orientierung, sie verlangen Reformen, und zwar von uns, den Politikern. Wir alle miteinander, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben erfahren, dass die Umsetzung von Reformen in diesem Bereich keine Sache von Wochen oder Monaten, sondern eine längerfristige Angelegenheit ist. Bei einem handfesten und tiefgreifenden Strukturwandel - damit haben wir es auf dem Arbeitsmarkt zu tun - liegen schmerz- und nebenwirkungsfreie Wundermittel leider Gottes nicht auf der Straße. Es ist ganz natürlich, dass sich Lösungskonzepte je nach politischem Lager auch widersprechen. Eine offene Diskussion ist notwendig, um miteinander auf den richtigen Weg zu kommen. Dieser Diskussion können auch die beiden vorliegenden Anträge - der der FDP gegen gesetzliche Mindestlöhne und der der Grünen, durch den das Entsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet werden soll - dienen. Da aber beide Anträge in dieser Frage überreizt sind, werden wir sie beide ablehnen. ({0}) Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Grünen haben richtig erkannt - ich zitiere den letzten Absatz Ihrer Antragsbegründung -: Regionale und branchenspezifische Unterschiede bei Lohnniveau und Produktivität müssen berücksichtigt werden, um Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Frau Pothmer, Sie können, wenn Sie wollen, aber Sie ziehen nicht die richtigen Konsequenzen: Ein einheitlicher, gesetzlicher Mindestlohn ist für die Sicherstellung von Mindestarbeitsbedingungen ungeeignet. ({1}) - Das ist Diktion der Grünen, letzter Absatz der Antragsbegründung. Lesen Sie! Er beschränkt die Autonomie der Tarifparteien und führt aufgrund seiner Inflexibilität dort zu Arbeitsplatzverlusten …, wo eine branchen- und regionalspezifische Ausgestaltung des Mindestlohns die Beschäftigten vor Ausbeutung schützen und zugleich Arbeitsplätze sichern kann. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen kleinen Augenblick bitte, Herr Kollege Lehrieder. Wir machen die gleiche Prozedur wie vorhin: Paul Lehrieder ({0}): Ich danke Ihnen, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

- Die Abstimmung findet erst nach Schluss der Aussprache statt. Bis dahin bitte ich die anwesenden Kollegen, die Plätze einzunehmen. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich mich als Redner dem Appell des Präsidenten anschließen, meine Damen und Herren? Dann geht es schneller. Der eine oder andere, Herr Niebel, wartet auf seinen Flieger. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

So, bitte schön.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kollegen von der FDP, wie Sie sehen, haben die Oppositionskollegen die eigentliche Absicht des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erkannt. Es handelt sich hier um ein Schutzgesetz unter Einbeziehung der Tarifparteien, eine vernünftige Regelung, die sich bewährt hat. Es handelt sich nicht, Herr Niebel, um die Einführung der Mindestlöhne durch die Hintertür, wie Sie vorhin ausgeführt haben. ({0}) Es wird hier, entgegen Ihren Befürchtungen, kein krummes Ding gedreht, auch wenn die Wünsche in der Großen Koalition etwas differenzierter sind; das will ich einräumen. Wir von der Union lehnen flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne nach wie vor ab. ({1}) Aber wir sind auch fest entschlossen, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner gegen sittenwidrige Löhne vorzugehen. ({2}) Indem wir heute das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf das Gebäudereinigerhandwerk ausdehnen, wollen wir vermeiden, dass die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer benachteiligt werden. Wir wollen verhindern, dass unfairer Wettbewerb insbesondere die hier ansässigen kleinen und mittleren Unternehmen und damit eine große Zahl von Arbeitsplätzen gefährdet. Branchenübergreifende Entsenderegelungen, wie sie die Grünen heute fordern, werden - Herr Dreibus, da müssten Sie als Gewerkschaftssekretär eigentlich aufschreien - weder der Tarifautonomie noch der komplexen Struktur des Arbeitsmarktes gerecht. Noch einmal zu den Linken. Herr Dreibus, ich bin etwas erschrocken, als Sie vorhin Zustimmung zu dem Gesetz signalisiert haben. Ich habe den Entwurf noch einmal nachgelesen, weil mich das etwas irritiert hat. Aber ich glaube, ein gutes Gesetz kann man auch mit Zustimmung der Linken auf den Weg bringen. Herzlichen Dank für Ihre Zustimmung! Die einzelnen Sparten, meine Damen und Herren, von Handwerk und Dienstleistung unterscheiden sich in den Anforderungen, Steuerungsbedürfnissen und Wettbewerbsbedingungen zum Teil massiv voneinander. Was der einen Branche hilft, muss nicht unbedingt gut für die andere sein. In der Baubranche haben wir gesehen, dass Entsendegesetz und tarifliche Mindestlöhne keine Allheilmittel gegen Arbeitsplatzabbau und rechtswidrige Dumpingangebote sein können. Im Gebäudereinigerhandwerk gibt es immerhin 300 000 Beschäftigte, die schutzbedürftig sind. Das Gebäudereinigerhandwerk ist ebenso kostenintensiv wie das Baugewerbe und muss sich in besonderem Maße gegen Anbieter aus Billiglohnländern behaupten. Außerdem gilt wie im Baugewerbe ein bundesweiter Lohntarifvertrag mit einheitlichen Strukturen. In der Gebäudereinigerbranche liegt der Mindestlohn bei 7,87 Euro im Westen und bei 6,36 Euro im Osten. Allein daran sehen Sie, Herr Dreibus, dass wir in Ost und West nach wie vor unterschiedliche Gehalts- und Lebensbedingungen haben. Die werden sich angleichen. Aber das kann man nicht durch einen einheitlichen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn machen. Ich hätte noch einiges zu sagen. Im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit komme ich jedoch zum Ende. Ich plädiere natürlich für Zustimmung zu diesem Gesetz. Danke schön. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf der Drucksache 16/3064. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4554, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme dieses Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit - das sind 308 Stimmen - erforderlich. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie der FDP und der Fraktion der Linken verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze an den Abstimmungsurnen einzunehmen und mir zu signalisieren, wenn die Plätze besetzt sind. - Das scheint jetzt der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung der Stimmen zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Abstimmungen fort. 1) Ergebnis Seite 8725 D Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ 4623. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag bei Zustimmung der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/4554 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der FDP auf Drucksache 16/1653 mit dem Titel „Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2978 mit dem Titel „Arbeit in Armut verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalition, die Fraktion der FDP und die Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 29 a und 29 b. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 29 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 16. Mai 2006 über die Änderung des Abkommens vom 6. Juni 1955 über die Errichtung eines Internationalen Ausschusses für den Internationalen Suchdienst und der Vereinbarung vom 6. Juni 1955 über die Beziehungen zwischen dem Internationalen Ausschuss für den Internationalen Suchdienst und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz - Drucksache 16/4380 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({0}) - Drucksache 16/4573 Berichterstattung: Abgeordnete Anke Eymer ({1}) Gert Weisskirchen ({2}) Harald Leibrecht Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({3}) Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/4573, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 29 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 12. September 2002 zum Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping - Drucksache 16/4012 Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses ({4}) - Drucksache 16/4561 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Dagmar Freitag Detlef Parr Winfried Hermann Der Sportausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/4561, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Arbeitsplatzabbau bei Airbus verhindern Staatliche Sperrminorität bei EADS herstellen - Drucksache 16/4308 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Als Erstem erteile ich das Wort dem Kollegen Herbert Schui für die Linke. ({6})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat dem Umstrukturierungsplan von Airbus ausdrücklich zugestimmt. Ebenso tut das die französische Regierung. Der Widerstand der AirbusBelegschaften provoziert allerdings mittlerweile ein etwas farbigeres Bild. Präsidentschaftskandidat Sarkozy - er ist ja gegenwärtig noch der Innenminister der Villepin-Regierung - schließt nach einigem Hin und Her eine höhere Beteiligung des Staates Frankreich nicht aus. Ebenso bunt waren die Reden aus den Koalitionsfraktionen in der gestrigen Aktuellen Stunde. Die Kollegen von der SPD haben gestern die Manager von Airbus gescholten. Sie haben beklagt, dass das Management die Mitarbeiter einer unerträglichen Unsicherheit aussetze. Was sie nicht gesagt haben, ist: Wie halten sie es denn mit „Power 8“? Sind sie dafür, oder sind sie dagegen? Sind sie dafür, dass Stellen gestrichen werden, oder sind sie dafür, dass Werke verkauft werden? Oder ist das nicht der Fall? Herr Kollege Wend, Sie haben sich gestern gegen eine höhere Staatsbeteiligung an Airbus ausgesprochen. Gleichzeitig haben Sie sich von der Vorstellung abgegrenzt, man solle alles dem Markt überlassen. Nun müssen Sie Farbe bekennen. Soll denn nun staatlicherseits der Verkauf dieser Werke verhindert werden oder nicht? Wie stehen Sie zu der Forderung der Präsidentschaftskandidatin Ihrer Schwesterpartei, der französischen Sozialisten, Madame Royal? Auch sie will „Power 8“ nicht. Sie will dieses Programm aussetzen, stattdessen eine öffentliche Beteiligung anstreben und das Management gegebenenfalls zur Disposition stellen. Da geht es offenbar ohne ordnungspolitisches, orthodoxes Denken. Der Staat hat in der Tat vom Grundsatz her die Aufgabe, Arbeitslosigkeit zu verhindern und die industrielle, die technische Entwicklung voranzubringen. Das geht nur, wenn die Geschäftspolitik von EADS/Airbus wesentlich vonseiten des Staates mitbestimmt wird. ({0}) Gegenwärtig verzichtet der Staat im Rahmen des Aktionärspaktes auf sein Stimmrecht. Das ist ein Unding, auch wenn Wirtschaftsminister Glos das ordnungspolitisch und industriepolitisch für vernünftig hält. Was ist denn nun der eigentliche Zweck von „Power 8“? Daimler will aussteigen; Lagardère will aussteigen. Infolgedessen braucht EADS neue Finanzinvestoren. Dafür muss man den Konzern attraktiv machen. Man macht einen solchen Konzern aus der Sicht der Finanzinvestoren attraktiv, indem man zumindest so brutal vorgeht, wie Boeing das vor rund zehn Jahren getan hat. Das ist der ganze Zweck der Übung. Wenn der Staat allerdings mit einer Sperrminorität einsteigen würde - das heißt, nicht Deutschland, Frankreich oder Spanien in Konkurrenz zueinander, sondern solidarisch -, dann wäre es nicht erforderlich, den EADS-Konzern für die neue Verheiratung zurechtzuputzen. Dann muss nicht auf den Belegschaften herumgeprügelt werden, damit die Investitionsneigung der Finanzinvestoren steigt. ({1}) Wagen Sie also den entscheidenden Schritt und setzen Sie sich ein, bejahen Sie eine staatlich finanzierte Kapitalerhöhung bei Airbus, damit die neue Technologie in Bezug auf den A350 produziert werden kann. Bei einer solchen Sperrminorität sind außergesellschaftsrechtliche Mittel möglich. Schließlich ist der deutsche Staat einer der wesentlichen Abnehmer der Produkte von EADS im Bereich der Rüstung. Die Beschäftigung muss im Konzern gehalten werden. Wird alles ausgelagert, wird wie bei Boeing alles von Zulieferern hergestellt und im Konzern nur noch montiert, dann werden wir weniger Impulse für den technischen Fortschritt haben, dann installieren wir die Basarökonomie, die Herr Sinn ständig kritisiert, dann ist dem technischen Fortschritt und Ihrem Lissabonprozess wirklich nicht geholfen. ({2}) Angesichts dessen, dass Airbus volle Auftragsbücher hat, gibt es die reelle Chance, „Power 8“ zu streichen. Die vollen Auftragsbücher sind für die Belegschaften in Frankreich und Deutschland keine schlechte Verhandlungsposition. Das weiß auch EADS-Chef Enders, wie sich daran zeigt, dass er zu den Streikdrohungen sagt: Wir sind hier verwundbar. Wir wünschen den Gewerkschaften viel Erfolg bei ihrem Europäischen Aktionstag und bei, wie ich mir wünsche, weiteren Aktionen gegen „Power 8“. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 22 a und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, Drucksachen 16/3064 und 16/4554, bekannt: Abgegebene Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt 501. Mit Nein haben gestimmt 50. Es gab keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 551; davon ja: 501 nein: 50 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({2}) Georg Fahrenschon Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({11}) Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Bernward Müller ({15}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({17}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({22}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({23}) Gerald Weiß ({24}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Willy Wimmer ({25}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller SPD Gregor Amann Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({26}) Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({27}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({28}) Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf ({29}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({30}) Nina Hauer Hubertus Heil Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({31}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({32}) Frank Hofmann ({33}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({34}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({35}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Hilde Mattheis Petra Merkel ({36}) Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({37}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({38}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({39}) Michael Roth ({40}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({41}) Axel Schäfer ({42}) Marianne Schieder Ulla Schmidt ({43}) Silvia Schmidt ({44}) Heinz Schmitt ({45}) Carsten Schneider ({46}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({47}) Swen Schulz ({48}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({49}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({50}) Heidi Wright Manfred Zöllmer DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Dagmar Enkelmann Diana Golze Heike Hänsel Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({51}) Volker Schneider ({52}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({53}) Volker Beck ({54}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({55}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Fritz Kuhn Undine Kurth ({56}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({57}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Claudia Roth ({58}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({59}) fraktionslos Henry Nitzsche Nein FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({60}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Horst Friedrich ({61}) Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({62}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Detlef Parr Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({63}) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Jetzt kommen wir zu unserer Rednerliste zurück. Ich erteile das Wort dem Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Peter Hintze für die Bundesregierung. ({64})

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung unternimmt alles in ihrer Macht Stehende, damit die Erfolgsgeschichte Airbus fortgeschrieben werden kann. Unter voller Anerkennung der Verantwortung der Unternehmensführung hat sich die Bundesregierung für einen fairen Chancen- und Lastenausgleich zwischen Deutschland und Frankreich eingesetzt. Dieses Ziel ist durch die im Board getroffenen Vereinbarungen erreicht worden. Dabei geht es um die Sicherung von Arbeitsplätzen und Technologiekompetenzen und letztlich um die Zukunftsfähigkeit der europäischen Luftfahrtindustrie. Es ist ein Erfolg von Minister Glos und Bundeskanzlerin Merkel, dass dieser Ausgleich zwischen Deutschland und Frankreich so gut gelungen ist. ({0}) Airbus ist dadurch erfolgreich, dass sich der Staat um die Rahmenbedingungen und das Unternehmen um seinen Zweck, nämlich das Planen, Bauen und Verkaufen von Flugzeugen, kümmert. Gerade wenn ein Unternehmen Probleme im Wettbewerb hat, sind unternehmerische Entscheidungen und unternehmerische Verantwortung gefragt. Das eben zitierte Reformprogramm „Power 8“ liegt einzig und allein in der Verantwortung des Unternehmens. Wir müssen hier die Zuständigkeiten und die Verantwortlichkeiten von Politik und Wirtschaft klar unterscheiden. ({1}) Arbeitsplätze werden dann sicher, wenn das Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit sichern kann. Das ist Ziel und Zweck der ganzen Bemühungen. Der Antrag der Fraktion Die Linke führt in die mückenreichen Sümpfe der Staatswirtschaft. Vor einem solchen Irrweg kann ich nur nachdrücklich warnen. ({2}) Die Privatisierung der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie im Jahr 1989 war darauf ausgerichtet, einen leistungsfähigen deutschen Partner für die spätere europäische Integration zu schaffen. Der Geist der deutsch-französischen Partnerschaft ist die Seele des Unternehmens Airbus. Auch die Gründung von EADS N.V. im Jahre 2000 erfolgte auf dem Fundament der deutsch-französischen Kooperation. Selbst in den Tagen, in denen in Frankreich Wahlkampf ist, wodurch es vielleicht zu dem einen oder anderen Missverständnis zwischen Deutschland und Frankreich kommt, müssen wir sagen: Die Idee, von der Airbus getragen ist - die europäische Idee, dass Deutschland und Frankreich eine Gemeinschaft bilden -, ist eine gute und vitale Idee. Wir wollen dafür sorgen, dass diese Idee auch in Zukunft stark und vital bleibt. ({3}) Seit der Gründung des Unternehmens liegt die industrielle Führung beim jeweiligen industriellen Partner. Es sollte auch weiterhin der Grundsatz gelten: Die Wirtschaft macht die Wirtschaft. - Das Interesse Deutschlands ist es, dass in jedem Fall der bestehende Aktionärspakt aufrechterhalten wird. Der Aktionärspakt ist die Grundlage für einen fairen Chancen- und Lastenausgleich zwischen Deutschland und Frankreich. Die industrielle Führerschaft von EADS liegt bei Daimler-Chrysler und bei Lagardère. Diese Konstruktion hat sich bewährt. Im vorliegenden Antrag wird vorgeschlagen, die Bundesrepublik Deutschland möge eine Sperrminorität bei EADS erwerben. Ich möchte Sie informieren, dass EADS, wie Sie sicherlich wissen, eine Aktiengesellschaft nach niederländischem Recht und mit Sitz in den Niederlanden ist. Das niederländische Aktienrecht kennt im Unterschied zum deutschen Aktienrecht keine Sperrminorität. Die Hoheit über die Gestaltung der Gesellschaft hat man, wenn man auf der Hauptversammlung über 50 Prozent der Anteile plus eine Aktie verfügt. Minderheitenrechte, die im deutschen Aktienrecht existieren, gibt es im niederländischen Aktienrecht nicht. ({4}) Das sage ich nur als Hintergrundinformation. Denn es ist wichtig, dass wir, wenn wir über diesen Antrag diskutieren, die rechtlichen Grundlagen vor Augen haben. ({5}) Den Kern des Antrags bildet der Wunsch, die Arbeitsplätze bei uns im Lande zu sichern und die Arbeitsplatzchancen zu steigern. In diesem Punkt besteht allerdings ein großer Unterschied zwischen der Meinung des Antragstellers und der Position der von der Großen Koalition getragenen Bundesregierung. Die Regierung ist eindeutig der Auffassung, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens die Grundlage für die Sicherheit der Arbeitsplätze im Unternehmen ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schui zulassen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ja. Ich lasse eine Zwischenfrage des Kollegen Schui zu. ({0})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe zwei Fragen: ({0}) Erstens. Ist Ihnen bekannt, dass man Gesellschaftsverträge ändern kann? Zweitens; diese Frage ist mir noch wichtiger. Würden Sie auch dann am Aktionärspakt festhalten, wenn Lagardère und vor allen Dingen Daimler-Chrysler aussteigen, und würden Sie in diesem Fall befürworten, dass das Stimmrecht automatisch einer unbekannten Gruppe von Finanzinvestoren übereignet wird?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich beantworte Ihre beiden Fragen gerne. Zu Ihrer ersten Frage. Ich habe Sie davon unterrichtet, dass das niederländische Aktienrecht eine Sperrminorität nicht kennt. Natürlich ist das niederländische Parlament frei, das Aktienrecht der Niederlande zu ändern. Ich glaube aber nicht, dass das in Kürze ansteht. Auch glaube ich nicht, dass wir darauf Einfluss nehmen sollten. ({0}) Ihre zweite Frage war eine „Was wäre, wenn …“Frage. Der von mir geschätzte Wolfgang Schäuble sagt immer: „Wenn meine Oma Klavier spielen würde, …“ Ich will damit zum Ausdruck bringen: Ihre Frage beruhte auf so vielen Spekulationen, dass ich sie nicht in einer für Sie befriedigenden Weise beantworten kann. Ich gehe davon aus, dass die am Aktionärspakt Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen. Das jedenfalls ist der Wunsch der Bundesregierung. Ich möchte jetzt nicht spekulieren, was unter völlig anderen Umständen zu tun wäre. ({1}) Airbus hat natürlich auch Probleme; das ist ganz klar. Ein Unternehmen, das seine Probleme ignoriert, kann sehr rasch in Schwierigkeiten geraten. Airbus hat auf dem Weltmarkt ein grundsätzliches Problem, das allerdings in einer erfreulichen Tatsache begründet liegt: in der Stärke des Euro. Airbus produziert in Euro und verkauft in Dollar. Der Euro ist stark, der Dollar schwach. Das ist ein Problem. Kursabsicherungsgeschäfte hat das Unternehmen zwar getätigt. Aber der Euro hat sich im Vergleich zu anderen Währungen so stark entwickelt, dass das heute ein echter Kostenfaktor für das Unternehmen ist. Mit jeder weiteren Stärkung des Euro muss eine zusätzliche Last geschultert werden. - Das ist das eine. Das andere ist: Airbus steht auf dem Weltmarkt im Wettbewerb mit einem anderen großen Hersteller, der seinen Sitz in Nordamerika hat. Dieser Hersteller hat seine Fertigungstiefe drastisch reduziert. Nun muss das Unternehmen Airbus entscheiden, was sinnvoll ist und was nicht. Aber es kann nicht sehenden Auges akzeptieren, dass auf der einen Seite ein Unternehmen die Risikolast verteilt und dafür Partner gewinnt, während es selber mit der Risikolast alleine dasteht. Auch Airbus braucht Partner bei der Tätigung von Investitionen und beim Tragen der Risiken. Über die anderen Probleme haben wir bereits gestern ausführlich gesprochen. Ich verstehe die aus der Ungewissheit resultierenden Sorgen der Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze. Das Konzept, das die Airbus-Führung vorgelegt hat, dient letztlich der Stärkung aller Standorte, wenn auch in Zukunft möglicherweise unter einer anderen industriellen Verantwortung. Es kann sein, dass ein Standort letztendlich besser dasteht als heute, wenn das Konzept realisiert wird. Die Bundesregierung ist für die politischen Rahmenbedingungen zuständig. Sie hat sich im Zusammenhang mit Airbus permanent um die Arbeitsplatzproblematik gekümmert. Ich erinnere an den A380-Darlehensvertrag, mit dem wir ausdrücklich einen Schwerpunkt auf die Arbeitsplatzsicherheit sowie die Ansiedlung und den dauerhaften Erhalt von Arbeitsplätzen insbesondere in den neuen Bundesländern gelegt haben. Airbus Deutschland wurde im A380-Darlehensvertrag verpflichtet, mindestens 500 Vollarbeitsplätze in den neuen Bundesländern bis 2006 zu schaffen und diese mindestens bis 2010 zu erhalten. Eine Nichterfüllung dieser Verpflichtung ist pönalisiert. Airbus Deutschland hat diese Verpflichtung vollständig eingehalten bzw. übererfüllt und noch mehr Arbeitsplätze geschaffen. Wie Sie sehen, setzen wir uns dafür ein, dass Arbeitsplätze in Deutschland gesichert und erhalten werden. ({2}) Wir werden auch zukünftig im Rahmen unserer Luftfahrtforschungsprogramme die Mittel für die Forschungsförderung gezielt an deutsche Standorte vergeben, um technisches Know-how in Deutschland zu erhalten, auszubauen und weiterzuentwickeln. Dadurch tragen wir dazu bei, Zukunftstechnologien in Deutschland zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Airbus hat alle Chancen - davon bin ich überzeugt -, seine Probleme zu meistern und seine Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Das ist gut für Deutschland, das ist gut für Frankreich, das ist gut für Europa, und das ist gut für die Arbeitnehmer. Das ist letztlich gut für alle. Ich bedanke mich. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Jürgen Koppelin das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Linken, selbst in Ihren bisherigen Anträgen war selten so viel Widerspruch zu lesen wie in Ihrem jetzigen. Auch Ihre Begründung, Herr Kollege Schui, enthielt viel Widersprüchliches. Darauf komme ich gleich zurück. Die Überschrift Ihres Antrages lautet: „Arbeitsplatzabbau bei Airbus verhindern“. Sie haben aber keinen einzigen Vorschlag gemacht, aus dem hervorgeht, wie Sie das verhindern wollen. Vielmehr fordern Sie nur eine staatliche Beteiligung. ({0}) Das lehnen wir allerdings ab. Des Weiteren erklären Sie, der Konzern müsse attraktiv gemacht werden. Ich behaupte angesichts der guten Auftragslage: Der Konzern ist attraktiv. Es hat überwiegend am Missmanagement gelegen, dass der Konzern in Schwierigkeiten geraten ist. ({1}) Zu dem von Ihnen angesprochenen Arbeitsplatzabbau: Folgten wir Ihrer Politik, müsste EADS noch einmal 11 000 Arbeitsplätze abbauen. Sie von der Linken haben nämlich nicht einmal zugestimmt, als es um die Vergabe von Rüstungsaufträgen an die Bundeswehr ging. Ich kann Ihnen den genauen Betrag nennen: Die Aufträge, die die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren an EADS vergeben hat, hatten ein Volumen von 10,5 Milliarden Euro. Aber nicht einmal gab es Ihrerseits Zustimmung. Nun reden Sie davon, es dürfe kein Stellenabbau stattfinden, und das, obwohl wir 11 000 Menschen hätten entlassen müssen, wenn wir Ihrer Politik gefolgt wären. ({2}) Aber nicht nur das: Der Bund hat in den letzten Jahren viel getan. Als Haushälter habe ich nachgerechnet, dass der Bund Aufträge in Höhe von insgesamt 13,45 Milliarden Euro an EADS vergeben hat. Das ist eine gewaltige Leistung des Bundes, auch um die Auftragsbücher zu sichern. Man muss außerdem wissen, dass der Bund zusätzlich Bürgschaften in Höhe von 11,1 Milliarden Euro übernommen hat. Wir übernehmen nämlich auch Bürgschaften für die Airbusse. Insofern kann man feststellen, dass der Bund alles getan hat, um das Unternehmen abzusichern. Daran liegt es nicht. Wir sollten uns vielmehr mit der Frage befassen, ob es wirklich gut ist, dass der Staat an einem solchen Unternehmen beteiligt ist. Wenn Sie zum Beispiel mit Herrn Enders sprechen - tun Sie das ruhig, auch als Linke! -, dann werden Sie feststellen, dass beispielsweise 20 Prozent der Aufträge von EADS aus Amerika kommen. Es wäre noch viel mehr möglich, aber das Problem ist, dass amerikanische Kunden EADS als französisches Staatsunternehmen betrachten, aber nicht bei einem Staatsunternehmen kaufen wollen. Insofern kann man sich vorstellen, wie die deutsche Beteiligung wahrgenommen würde. Deswegen meinen wir - ich denke, zu Recht -, dass sich der Staat, sei es die Bundesrepublik oder Frankreich, eigentlich aus diesem Konzern zurückziehen müsste. Das ist das Entscheidende; dann wird dieser Konzern noch attraktiver. ({3}) Ich komme noch einmal auf die Aufträge zurück, die wir im Verteidigungsbereich vergeben haben. Sie widmen diesem Thema nur einen Satz. Sie deuten nicht einmal an, was Sie machen würden, wenn diese Aufträge ausblieben, die schließlich einen Anteil von 49 Prozent am Auftragsvolumen von EADS ausmachen. Wie haben Sie von den Linken sich das vorgestellt? Sollen die 11 000 Mitarbeiter Kochtöpfe und Pfannen herstellen, wenn keine Aufträge im Verteidigungsbereich mehr erfolgen? ({4}) Meines Wissens gibt es in diesem Bereich schon ein Überangebot. Was Ihre Forderung angeht, den politischen Einfluss zu stärken, ahne ich schon, wie das aussehen würde. Dann kommen die Politiker wieder in die Aufsichtsgremien. Ich habe noch kein Unternehmen erlebt, in dem es richtig funktioniert hat, wenn Politiker die Mehrheit in den Aufsichtsgremien hatten. ({5}) Nein, die Politik muss aus den Unternehmen herausgehalten werden. Das ist das Entscheidende. Wir wünschen uns vielmehr, dass sich auch die Franzosen Stück für Stück aus dem Konzern zurückziehen. Ich glaube, dann hätten wir eine große Chance. ({6}) In einem Punkt unterstütze ich den Herrn Staatssekretär: EADS ist ein attraktives Unternehmen. Wir sollten es nicht schlechtreden, sondern alles tun, damit dieses Unternehmen auch weiterhin gute Chancen hat. Die Auftragsbücher sind voll. Alle Chancen sind gegeben. Entscheidend ist, dass auch das Management begreift, dass sich die Verantwortung nicht auf die Auftragsbücher beschränkt, sondern auch auf die Arbeitnehmer erstreckt. Bei dieser Gelegenheit will ich feststellen - das sage ich als Abgeordneter der FDP -, dass sich meines Erachtens die Gewerkschaften im Zusammenhang mit EADS sehr vernünftig verhalten haben. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben das Thema im Grunde schon gestern durchdekliniert. Dass wir es heute noch einmal tun, ist womöglich nicht zwingend erforderlich, aber wir wollen das gerne tun. ({0}) Denn ich glaube, dass wir im Zusammenhang mit Airbus/EADS eine ausgesprochen gute Bilanz vorzuweisen haben. Zunächst ist im Zusammenhang mit der deutschen Luftfahrtindustrie das sehr gute kontinuierliche Arbeiten mit Airbus/EADS, aber auch mit der Zulieferindustrie zu nennen. Das Thema kommt im Übrigen vor dem Hintergrund der besonderen derzeitigen Situation bei Airbus häufig genug viel zu kurz. Ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen. Zweifelsfrei hat es Fehleinschätzungen des Managements gegeben, insbesondere was die Wünsche der Kunden - der Besteller - betrifft und was in diesem Zusammenhang die neuen technologischen Voraussetzungen an den Flugzeugen selbst betrifft. Es nützt uns aber nichts, jetzt auf die Fehler der letzten Jahre zu verweisen. Was die damalige Zeit angeht, kann ich im Bundestag nur eines berichten: Nach unserem Besuch bei Boeing in Seattle und in Chicago haben wir gegenüber der Airbusführung die Herausforderung im Zusammenhang mit der Boeing 787 zwar angesprochen; sie ist aber leider nicht auf Resonanz gestoßen, vielleicht auch deshalb, weil man sich auf die große Herausforderung des A380 konzentriert hat und glaubte, mit der A350, einer - um es so auszudrücken - wenig innovativen neuen Maschine einfacher technologischer Art, die Wettbewerbssituation gegenüber der Boeing 787 ausgleichen und meistern zu können. Diese Rechnung des Managements ist nicht aufgegangen. Die Folge dieser Tatsache haben wir heute gemeinsam zu beklagen. Aber es ist noch eines richtig: Wir haben uns - da knüpfe ich an die Kollegen Hintze und Koppelin ausdrücklich an - immer, und zwar gleich, welche Bundesregierung, in den letzten Jahren und Jahrzehnten darum bemüht, die Workshares für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie zu sichern. Wir haben immer darauf geschaut, dass sich unser staatliches finanzielles Engagement selbstverständlich auch in Arbeitsplätzen, insbesondere in technologisch hochwertigen Arbeitsplätzen niederschlägt. Das ist uns im Grunde bisher auch außerordentlich gut gelungen. ({1}) Ich halte es für eine sehr verkürzte Analyse der Probleme, wenn es von der linken Seite heißt, im Moment wollten Daimler und Lagardère aus dem Unternehmen aussteigen, deshalb müsse man die Braut hübsch machen und wir setzten darauf, durch Entlassungen oder durch eine strukturelle Veränderung des Unternehmens industrielle Investoren zu finden. Wenn Sie das so sehen, dann haben Sie sich mit der Materie bisher nicht ausreichend beschäftigt. Das muss ich Ihnen sagen. ({2}) Das Unternehmen ist in einer sehr schwierigen Lage, weil es große Herausforderungen zu meistern hat. Vielleicht sollten Sie sich einmal daran erinnern, dass es nicht nur um den A380 geht, sondern auch um den A400M, den Militärflieger, ein Transporter wohlgemerkt. Es geht um einen neuen A350 und eine neue A320er-Familie. Das muss erst einmal in einem solchen Unternehmen sowohl von der finanziellen Seite her als auch von der Manpower her bewältigt werden. Dieses hat nun ganz und gar einen anderen Zuschnitt als Ihre Behauptung, es gehe hier nur darum, in ganz simpler Art und Weise so ein Unternehmen lean zu organisieren, damit sich neue industrielle Investoren - in Ihr Konzept würden Heuschrecken noch viel besser passen - das Ding unter den Nagel reißen. So einfach kann man es sich nicht machen. ({3}) Wir haben sehr viel staatliche Unterstützung gegeben. Wir haben sie nicht nur gegeben, weil wir die Auftragsbücher der EADS sichern wollten, Herr Koppelin, sondern auch, weil die EADS qualitativ hervorragende Produkte hergestellt hat ({4}) und weil wir die Bundeswehr nach den Zeiten des Kalten Krieges für neue Aufgaben umgerüstet haben, was natürlich insbesondere der Luftfahrtindustrie zugute gekommen ist, wenn Sie beispielsweise an die Hubschrauber denken. Wir haben mit dem Luftfahrtforschungsprogramm immer dafür Sorge getragen, die Großen und die Kleinen in der Luftfahrtindustrie in die Lage zu versetzen, mit staatlicher Hilfe neue Technologien zu entwickeln, um damit deren Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Auch das ist eine Sache, die - im Übri8732 gen unumstritten in der Luftfahrtindustrie - den Bundesregierungen der vergangenen Jahre zu danken ist. Ich füge noch eines hinzu. Das betrifft die sogenannte Launch-Aid, also die Unterstützung bei der Neuentwicklung von Flugzeugen. Wir sind gehalten, rückzahlbare und verzinsliche Darlehen zu geben, um ein sogenanntes Level-Playing-Field gegenüber Boeing, also eine vergleichbare Wettbewerbsgrundlage, aufrechtzuerhalten. An Boeing fließen Mittel von der NASA und vom Pentagon, und Boeing profitiert von Steuerreduktionen. Es ist nicht umsonst eine Auseinandersetzung in Form eines WTO-Streitverfahrens in Genf anhängig, weil die Amerikaner der Auffassung sind, wir würden hier zu viel tun. Wir haben eine andere Rechtsposition. Wir sagen: Wir tun nur das, was wir tun müssen, damit Airbus keine Nachteile entstehen. - Dieses muss geklärt werden. Das ist ein Hinweis darauf, wie stark sich der Staat bei EADS/Airbus engagiert hat. Ich bin sehr skeptisch, ob der Staat gut beraten ist, sich über diesen Ansatz hinaus etwa als Shareholder stärker zu produzieren. Meiner Ansicht nach ist es folgendermaßen: Wenn es zu einer Kapitalerhöhung kommen sollte, dann ist die EADS gut beraten, industrielle strategische Partner zu finden, die auch einen Beitrag zur Fortentwicklung der Qualität des Unternehmens leisten können. Das wäre außerordentlich wichtig. Es geht also darum, Partner zu finden, die den nächsten Schritt der technologischen Ertüchtigung des Unternehmens unterstützen können. Es geht doch gar nicht darum, dass wir glauben: Wenn der Staat sich beteiligt, dann wird das Unternehmen zu dauerhaftem Erfolg geführt. Das ist doch eine Schimäre von gestern. ({5}) Einfluss können wir im Übrigen auch ausüben, ohne Shareholder zu sein. Es gibt sogar Situationen, in denen man sagen muss: Bisweilen ist derjenige, der andere Hilfen anbietet, sehr viel besser dran, in der Beeinflussung eines Unternehmens einen bestimmten Weg zu gehen, als derjenige, der im Aufsichtsrat sitzt. Überlegen Sie sich das also gut. Ich glaube, Sie sprechen nicht den richtigen Weg an. Ich darf noch einmal sagen: Unsere französischen Freunde sollten auch im Wahlkampf ein bisschen zurückhaltender mit ihren Forderungen sein. ({6}) Wir haben aus Paris gehört: Wir wollen, dass ein Einziger an der Spitze steht; wir wollen darüber hinaus ein Verhältnis von 60 : 40. Ich weiß nicht, welche Forderungen dort noch gestellt worden sind. Es glaubt doch wohl keiner, dass wir auf solche Rufe von jenseits des Rheins sofort, eilfertig entsprechende Angebote unterbreiten. Ganz im Gegenteil: Was die Spitze von Airbus und EADS betrifft, geht es vor allem um Vertrauen innerhalb des Unternehmens. ({7}) Was man dort braucht, ist weder ein Franzose noch ein Deutscher, sondern einen EADS-Chef bzw. einen Airbus-Chef, der für das Unternehmen und in der Hauptsache nicht für ein Land oder eine Nation steht. Wenn dieses Unternehmen ein europäisches Unternehmen werden soll, dann muss man an der Spitze über die nationalen Grenzen des Denkens hinaus eine neue Unternehmensphilosophie schaffen. Dabei sollten wir das Unternehmen unterstützen; denn nur so wird es dauerhaft global Erfolg haben. Schönen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Kerstin Andreae hat ihre Rede bereits zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4308 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage soll zusätzlich an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen werden. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden - Drucksache 16/3806 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - Drucksache 16/4587 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({1}) Horst Meierhofer Sylvia Kotting-Uhl Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat- tieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann eröffne ich hiermit die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung dem Bundesminister Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Staat hat die Aufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Das ist nicht nur sein verfassungsrechtli- cher Auftrag, sondern auch Grundlage jeder nachhalti- gen Entwicklung. 1) Anlage 15 ({0}) Das Verursacherprinzip ist eines der tragenden Prinzipien, um unsere umweltpolitischen Ziele, also die Ziele der Nachhaltigkeit, zu verwirklichen. Der Gesetzentwurf für ein Umweltschadensgesetz orientiert sich strikt an dieser Idee: Wer Umweltschäden verursacht oder zu verursachen droht, ist dafür verantwortlich. Der Verursacher hat die Gefahr von Umweltschäden zu vermeiden und trotzdem eingetretene Umweltschäden zu sanieren. Das gilt für alle erheblichen Schäden am Boden, an den Gewässern und auch an der Biodiversität. Damit wird zugleich die EU-Umwelthaftungsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt, und das - wie so oft von fast allen Beteiligten in diesem Haus gefordert - im Maßstab eins zu eins. Das Umweltschadensgesetz ergänzt die bestehenden Regelungen zur Vorsorge gegen Umweltbeeinträchtigungen und richtet den Fokus auf die Sanierung entstandener Schäden an Umweltgütern. Mit dem Gesetz wird das Schutzniveau, das die Umwelt als Gut der Allgemeinheit genießt, dem Schutzniveau von individualrechtlichen Schutzgütern angeglichen. Schäden der Böden, der Gewässer und des Naturhaushalts sind zu vermeiden; für eingetretene Schäden hat der Schadensverursacher Ersatz zu leisten. ({1}) Der weltweite Verlust an biologischer Vielfalt ist neben der Klimaveränderung die größte globale umweltpolitische Herausforderung. Das Umweltschadensgesetz leistet seinen Beitrag dazu, das Ziel einer Trendwende bis zum Jahr 2010 zu erreichen, wie es die internationale Verabredung vorsieht. Es bietet Arten und Lebensräumen im Sinne der europäischen Habitatrichtlinien einen erweiterten Schutz. Schädigungen dieser Arten und Lebensräume sind bei jeder beruflichen Tätigkeit zu vermeiden. Das Gesetz setzt hier auf einen weiten Anwendungsbereich und beschränkt sich bei den Biodiversitätsschäden nicht darauf, nur Betreiber von Anlagen oder Tätigkeiten, die als potenziell gefährlich eingeschätzt werden, in die Pflicht zu nehmen. Mit der Kostenanlastung an die Schädiger folgt die Richtlinie dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip. Sie internalisiert externe Kosten der Umweltnutzung. Sie schafft so wirtschaftliche Anreize, berufliche Aktivitäten von vornherein in einer Weise durchzuführen, dass es erst gar nicht zu Schädigungen der Umwelt kommt. Auch das ist ein weiterer Baustein einer intelligenten, ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik ({2}) Die Pflichten der Schadensverursacher dürfen aber nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müssen natürlich auch durchgesetzt werden können. Das Gesetz folgt dabei einem doppelten Ansatz. Es gibt auf der einen Seite der zuständigen Behörde Mittel des Verwaltungszwangs bis hin zur Ersatzvornahme auf Kosten des Schadensverursachers an die Hand. Es entspricht zum anderen dem Geist der Århus-Konvention: So können nicht nur diejenigen, die von einem Umweltschaden betroffen sind, sondern auch Umweltverbände die Verpflichtung zur Sanierung von Schäden einklagen. Ich glaube, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht haben, sowohl die euoparechtssichere Umsetzung zu gewährleisten als auch allen Interessen - denen der Natur und der Wirtschaft - angemessen Rechnung zu tragen. Im Sinne einer ökologischen Industriepolitik wünsche ich mir allerdings, dass das Umweltschadensgesetz nach Möglichkeit überhaupt nur in sehr wenigen Fällen Anwendung finden muss. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Horst Meierhofer das Wort für die FDP-Fraktion ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass das Umweltschadensgesetz darauf abzielt, Industriebetriebe für die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden mit in die Verantwortung zu nehmen, hat der Herr Minister Gabriel schon angesprochen. Es ist natürlich richtig, wenn diese Unternehmen eine Verantwortung dafür tragen. Dass das nicht ausschließlich den Bürgerinnen und Bürgern als Last aufgebürdet werden sollte, ist auch eine Selbstverständlichkeit. Es ist aus meiner Sicht ebenfalls richtig, dass man gerade bei der Biodiversität den Grundsatz verfolgt: Nicht nur dann, wenn ein Mensch oder ein Unternehmen geschädigt wird, soll dafür Ersatz geleistet werden; auch der Wert als solcher muss natürlich Berücksichtigung finden. - Deshalb halte ich es für richtig, dass das so geregelt werden soll. Das ist ganz neu in Deutschland. Darüber freuen wir uns als FDP. ({0}) - Dann freuen wir uns alle. Es gibt ein paar Punkte, in denen wir vielleicht unterschiedlicher Meinung sind. Aber Grundlage ist ja eine europäische Richtlinie, die umzusetzen ist - darüber kann man nicht hinweggehen -; dazu sind wir verpflichtet. Bei aller Kritik, die wir bereits in der letzten oder vorletzten Legislaturperiode an der damaligen Verhandlungsführung geübt haben, gibt es einige Punkte, die zu begrüßen sind. Dass man das eigenverantwortliche Handeln stärkt und dass man versucht, für umweltpolitische Ziele ein bisschen mehr Sensibilität bei den Unternehmen zu schaffen - darin stimmen wir alle, glaube ich, überein. Das hat sich schon in den 80er-Jahren gezeigt, als im Zusammenhang mit den Sandoz-Unfällen die Idee entstand, dass man auch dann etwas tun sollte, wenn kein Individuum geschädigt ist. Ganz allgemein können wir mit der Umsetzung in diesem Gesetz relativ gut leben. Das gilt etwa für die Reichweite des Begriffs der geschützten Arten und der natürlichen Lebensräume. Dazu gab es Kritik vonseiten der Industrie, das gehe zu weit, das solle sich auf irgendwelche geschützten Räume beschränken. Das sehen wir ausnahmsweise anders. Wenn wir uns schon darauf verständigen, Arten zu schützen, und wenn wir uns darauf verständigen, dass die Biodiversität als eigener Wert zu schützen ist, dann macht es natürlich keinen Sinn, eine Art, die vom Aussterben bedroht ist, beispielsweise der Uhu oder ein anderes Tier, nur in den Bereichen zu schützen, die man ihr vorher sozusagen zugebilligt hat. Entweder macht man es ganz oder gar nicht. Deswegen ist es so, wie es umgesetzt worden ist, glaube ich, richtig. ({1}) Dass es uns im Ausschuss auch noch gelungen ist, die vorsorgliche Ermächtigungsgrundlage für eine Pflicht zur Deckungsvorsorge aus dem Gesetz zu streichen, hat uns natürlich sehr gefreut. Dass die CDU/CSU und die SPD einen Antrag, den wir eingebracht haben, ebenfalls eingebracht haben und wir dementsprechend alle an einem Strang gezogen haben, fand ich sehr positiv. Das ist ein Punkt, der uns sehr gefreut hat. ({2}) - Ich glaube, sogar die Linke hat mit uns an einem Strang gezogen. ({3}) - Zumindest hatten wir von euch noch nichts gehabt. Das kam dann am nächsten Tag. Aber das ist auch egal. ({4}) - Ja, vermutlich ist dieses Mal falsch gezählt worden. Aus unserer Sicht war das Vorgehen auf jeden Fall ganz vernünftig. Der Versicherungsmarkt sollte erst einmal ohne Vorfestlegungen die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln. Das ist nun möglich. Das ist keine Frage, die man im parteipolitischen Gezänk lösen sollte. Ein weiterer Punkt, der heftig diskutiert wurde, ist die Möglichkeit einer Kostenfreistellung. Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten in zwei Fällen die Möglichkeit, Unternehmen von den Kosten für die Sanierung eines Umweltschadens freizustellen, zum einen, wenn dieser Umweltschaden durch eine genehmigte Tätigkeit entstanden ist, und zum anderen, wenn nach damaligem Stand von Wissenschaft und Technik nicht davon ausgegangen werden konnte, dass ein Schaden für die Umwelt entstehen könnte. An dieser Stelle liegt das Problem, das der Grund dafür ist, dass wir uns enthalten werden. Der alten Bundesregierung ist es nicht gelungen, die Kostenfreistellung europaweit einheitlich zu regeln. Aus unserer Sicht braucht man auf diesem Gebiet keinen Wettbewerb zwischen den Ländern in Europa. Aus unserer Sicht wäre eine Einigung auf europäischer Ebene, das heißt, dass alle Staaten gleich verfahren, das Vernünftigste gewesen, weil Deutschland sonst Wettbewerbsnachteile haben könnte. Das wollen wir nicht. Deswegen darf ich an dieser Stelle die einzelnen Länder bitten, sich selbst einzubringen und die Kosten von den Unternehmen zu nehmen. Vor dem Hintergrund des Konnexitätsprinzips haben die Länder, die zahlen, auch das Recht auf eine freie Entscheidung. Da es sich aber um ein vernünftiges Anliegen handelt, hoffen wir, dass sie sich einheitlich entscheiden werden und die Kosten dann übernehmen, wenn den Unternehmen keine Verantwortung zugeschrieben werden kann, weil alles ordnungsgemäß getan wurde. Ich glaube, dann könnten die deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb vielleicht sogar einen Vorteil haben. ({5}) Noch eine kleine Anmerkung: Vielleicht hätte man die Anhänge der Richtlinie komplett übernehmen können. Das ist leider nicht geschehen. Es wird wieder auf Anhänge verwiesen. Man sagt, an dieser Stelle könne man einfach verweisen. Natürlich ist das rechtlich möglich. Man kann das Gesetz so machen. Wenn man aber beim Umweltgesetzbuch alles vereinheitlichen will, alles in ein Gesetz packen will, damit es einfacher umzusetzen ist, dann hätte man das hier auch so machen können. Packen Sie den ganzen Anhang ins Gesetz. Das wäre eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Dann hätten wir die Vereinfachung, die wir uns für die Zukunft wünschen, schon mit diesem Gesetz erreicht. Ich darf zum Schluss noch einmal an die Länder appellieren, auf diesem Gebiet einheitlich vorzugehen, damit keine Nachteile für unsere Wirtschaft entstehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Rahmen der Diskussion über den europäischen Verfassungsvertrag führen wir derzeit sehr engagiert eine Debatte über die Fragen: Wofür sollte Europa zuständig sein? Welche Kompetenzen müssen nach Europa? Für welche Fragen sollten die Regelungen besser auf nationaler Ebene getroffen werden? Oftmals gibt es kritische Stimmen. Es wird gesagt: Muss sich Europa hier einmischen? Ist es nötig, dass auch dieses Detail von der Europäischen Union geregelt wird? Andreas Jung ({0}) Ich möchte die Umsetzung der Umweltschadensrichtlinie in deutsches Recht zum Anlass nehmen, sehr deutlich zu sagen: Es ist gut, dass es Europa gibt, und es ist gut, dass sich Europa den Fragen des Schutzes von Umwelt und Natur mit großem Nachdruck annimmt. ({1}) Wir wissen, dass Umweltfragen, wie die Frage des Schutzes von Böden, von Gewässern oder der Artenvielfalt, nicht an nationalen Grenzen haltmachen. Ich will die Flüsse als Beispiel nennen: Ein Fluss schert sich nicht um Ländergrenzen, er schert sich nicht um Nationalstaaten. ({2}) Deshalb ist es gut, dass die Initiative der Europäischen Union gekommen ist. Deshalb ist es gut, dass wir dieses Gesetz ebenso ambitioniert in deutsches Recht umsetzen. Wir erreichen damit Fortschritte in all den genannten Bereichen. Minister Gabriel hat die entscheidenden Punkte hervorgehoben. Ich möchte noch einmal ein Prinzip ansprechen, das mir besonders wichtig erscheint: Mit diesem Gesetz normieren wir das Verursacherprinzip. Damit ist derjenige, der einen Schaden verursacht, grundsätzlich auch dafür verantwortlich, diesen Schaden zu beheben und die Kosten dafür zu tragen. Das verankern wir im Umweltschadensgesetz, und das halte ich für richtig. ({3}) Besonders wichtig ist mir, dass wir mit diesem Gesetz tun, was auch Minister Gabriel gefordert hat, nämlich die europäische Richtlinie eins zu eins in deutsches Recht umzusetzen. Diese Tendenz war im Gesetzentwurf schon enthalten. Es gab wenige Punkte, an denen wir im Ausschuss nachgebessert haben. Mit der Einszu-eins-Umsetzung steht die Große Koalition zu dem, was sie in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten hat und was uns von Rot-Grün unterscheidet, woran man also die Handschrift der Union erkennt: Rot-Grün hat bei der Umsetzung immer noch etwas draufgesattelt und damit häufig die eigenen Ziele konterkariert. ({4}) Dadurch wurde auch die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland beeinträchtigt. Deshalb ist es gut, dass wir bei diesem Gesetz zu einer Eins-zu-einsUmsetzung kommen. ({5}) Ich will noch einige Punkte konkret ansprechen, auch wenn der eine oder andere schon von dem Kollegen Meierhofer thematisiert worden ist. Erstens. Welche Schutzgebiete sind überhaupt betroffen? Die Richtlinie der Europäischen Union bietet Auslegungsspielräume. Man kann die Auffassung vertreten, dass ausschließlich die Natura-2000-Gebiete betroffen sein sollen. Man kann aber auch die Auffassung vertreten, dass eine solche Begrenzung aus der Richtlinie nicht hervorgeht. Ich sage offen, dass in unserer Fraktion die Auffassung, dass eine Begrenzung auf die Natura-2000-Gebiete aus der Richtlinie herauszulesen ist, Anhänger hat und Sympathie findet. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Kommission eine völlig andere Auffassung vertritt und sagt: Nur mit dem, was im Gesetzentwurf der Bundesregierung normiert ist, werden wir unserer Pflicht einer europarechtsgetreuen Umsetzung gerecht. Wir haben uns dafür entschieden, nicht den Konflikt mit der Kommission zu suchen, auch wenn der Europäische Gerichtshof die letzte Entscheidung trifft. Aber in der Koalition haben wir auch verabredet, dass wir keinen nationalen Alleingang wollen. Wir haben deshalb die Bundesregierung aufgefordert, in einem Jahr zu berichten, wie die anderen Mitgliedstaaten die Richtlinie in diesem Punkt umgesetzt haben. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten einen anderen Weg als Deutschland gewählt hat, nämlich den, dass doch nur Natura-2000-Gebiete betroffen sind, wollen wir diesen Punkt noch einmal aufrufen und eine Neuregelung besprechen. ({6}) Zweitens. Machen wir Gebrauch von der Haftungsprivilegierung, die Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie ermöglicht? Auch hierüber haben wir diskutiert. Auch hier lassen sich Argumente finden, dies zu tun, wenn auch andere Mitgliedstaaten das machen. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass eine solche Regelung die Zustimmungspflicht des Bundesrats auslösen würde. Der Bundesrat jedoch sagt deutlich, dass er das nicht mittragen würde; denn wenn es eine Privilegierung für diejenigen gibt, deren Verhalten ohne Verschulden zu Schäden geführt hat, wenn also Handlungen zu Schäden führen, ohne dass das vorhersehbar gewesen wäre, müsste irgendjemand die Kosten tragen, und das wären dann die Länderhaushalte. Die Länder jedoch sagen: In einem solchen Fall soll der Betreiber bzw. der Unternehmer oder die Allgemeinheit den Schaden tragen; auf jeden Fall sollen nicht die Länderhaushalte belastet werden. Ich denke, für eine solche Einstellung sollte man Verständnis haben. Deshalb haben wir diesen Punkt nicht weiterverfolgt. Zwei weitere Punkte sind mir besonders wichtig, und zwar die beiden Punkte, wo es, ausgehend von dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, gelungen ist, noch Veränderungen durchzusetzen, so beispielsweise in einem Punkt eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Ein Punkt, der bereits angesprochen wurde, betrifft die Deckungsvorsorge. Der Gesetzentwurf sah schon jetzt eine Ermächtigung der Bundesregierung vor, eine Regelung zur Deckungsvorsorge zu normieren, ohne dass die Europäische Union jetzt schon angekündigt hätte, in dem Bereich tätig zu werden, ohne dass jetzt schon solche Absichten vorliegen. Erst im Jahr 2010 will man überhaupt Andreas Jung ({7}) prüfen und darüber nachdenken, ob man in dieser Richtung initiativ wird. Wir haben einerseits festgestellt, dass schon die Normierung im Gesetzentwurf, die vorgesehene Normierung, zu Unsicherheit, zu Sorge, nicht nur im Bereich der Versicherungsbranche, sondern auch im Bereich von Wirtschaft und Landwirtschaft, geführt hat, dass gefragt worden ist: Was ist denn da Sache? Wenn man so etwas ins Gesetz schreibt, schon jetzt die Bundesregierung ermächtigt, dann muss doch etwas im Busch sein! Wir haben andererseits gesagt, dass überhaupt kein Anlass besteht, dass wir als Parlament unseren Gestaltungsspielraum schon jetzt aus der Hand geben und quasi in vorauseilendem Gehorsam die Regierung hierzu ermächtigen. Deshalb haben wir gesagt: Dieser Punkt muss raus. Das haben wir in den Ausschussberatungen gemeinsam durchgesetzt, und das wurde auch - das ist angesprochen worden - von der FDP-Fraktion unterstützt. Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt, der die Zustimmung noch leichter macht. ({8}) Ich komme zu dem letzten Punkt. Auch der ist schon angesprochen worden. Die Richtlinie eröffnet die Möglichkeit, dass für unerhebliche Abweichungen von dem normalen, dem Ausgangszustand - ich nenne sie Bagatellabweichungen; also dort, wo Populationen nur in geringfügigem Umfang beeinträchtigt sind, sodass es die natürlichen Schwankungen nicht übersteigt, sodass die Abweichungen durch natürliche Entwicklungen wieder beseitigt werden - eine Privilegierung insoweit vorgesehen wird, dass sie nicht als erhebliche Schädigungen gelten. Ich halte es für wichtig, dass wir das tun. Denn bei all dem, was ich vorhin dazu gesagt habe, was ich für richtig halte, hohe Umweltstandards, müssen wir immer die Verhältnismäßigkeit wahren und nicht schon bei ganz kleinen Abweichungen möglicherweise große Kostenfolgen verursachen. Deshalb haben wir die Auffassung vertreten: Die Möglichkeit, die die Richtlinie eröffnet, muss auch in den Gesetzestext aufgenommen werden. Das haben wir durch unseren ebenfalls in den Ausschussberatungen durchgesetzten Änderungsantrag getan und wollen das nachher so abstimmen. Ich halte das für wichtig, weil es dem Geist der Richtlinie entspricht, weil es hohe Umweltstandards setzt, sie in Europa auf Augenhöhe durchsetzt, die Verhältnismäßigkeit wahrt, damit der Umwelt dient und die Wirtschaft nicht über Gebühr beeinträchtigt. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich diese Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Lutz Heilmann hat das Wort für die Linken. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Meierhofer von der FDP, ich glaube, es ist nicht ausreichend, wenn sich die Wirtschaft „ein bisserl mehr“ um die Umwelt kümmert. Gestern hat der EUGipfel stattgefunden, und ein Topthema war der Klimawandel. Ich denke, „ein bisserl mehr“ ist zu wenig, es muss erheblich mehr getan werden. Wer haftet für Umweltschäden? - Für Umweltschäden haften momentan nach dem Umwelthaftungsgesetz Betreiber von Anlagen. Umweltschäden, die durch berufliche Tätigkeiten verursacht werden, etwa von Landwirten, werden bisher keiner Haftungsregelung unterworfen. Die Kosten dafür trägt die Allgemeinheit, das heißt der Steuerzahler. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll diese Gesetzeslücke nun geschlossen werden. Wir begrüßen es ausdrücklich - der Herr Minister hat es angesprochen; man kann fast schon sagen, es ist ein einmaliger Fall -, dass hier eine EU-Richtlinie von der Bundesrepublik auch einmal pünktlich umgesetzt werden wird. ({0}) Doch wie so häufig liegt natürlich auch hier der Teufel im Detail. Schauen wir uns ganz einfach einmal den Gesetzentwurf genauer an. Bezeichnend dafür ist nämlich zum Beispiel der Verweis auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz. Nach diesem können Verbände wie Greenpeace in Umweltangelegenheiten nur dann klagen, wenn das Drittschutzerfordernis erfüllt ist. Das Umweltrechtsbehelfsgesetz schränkt damit die Mitwirkungsmöglichkeiten sowohl der Bürgerinnen und Bürger als auch der Umweltverbände unzulässig ein. Durch den Verweis des Umweltschadengesetzes auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz wird auch die Klagemöglichkeit von Umweltverbänden in Fällen, für die das Umweltschadensgesetz gilt, erheblich eingeschränkt. Wir erachten das als eine nicht hinnehmbare Einschränkung. Wir sagen, das Umweltrechtsbehelfsgesetz verstößt gegen die Århus-Konvention und damit auch gegen die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie der EU. Bei der EU-Kommission ist diesbezüglich - wer sich auskennt, weiß es - bereits eine Beschwerde anhängig. Letztlich wird natürlich wieder der EuGH darüber entscheiden. Weiterhin unklar ist, was unter „Berücksichtigung“ nach § 9 Abs. 1 Satz 3 zu verstehen ist. Wir befürchten, dass dies eine vollständige Freistellung beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln durch die Landwirtschaft zur Folge hat. Das kann weder im Sinne des Gesetzes noch richtlinienkonform sein. ({1}) Durch die Änderungsanträge, die wir am Mittwoch im Umweltausschuss beraten haben, wird das Gesetz leider nicht besser, sondern erheblich schlechter. Sie schränken mit dem neuen Verweis auf § 21 a Abs. 2 und 3 des Bundesnaturschutzgesetzes den Anwendungsbereich des Gesetzes im Naturschutz erheblich ein. Das Gesetz gilt somit nur noch bei Schädigungen an EU-rechtlich geschützten Arten und Lebensräumen. Zudem schaffen Sie mit der Neufassung des § 21 a Abs. 5 großzügige Ausnahmen und erhebliche Interpretationsspielräume für die Beurteilung von Schäden an Arten und Lebensräumen. Der Natur tun Sie damit keinen Gefallen. Aus beruflichen Tätigkeiten in § 14 Abs. 1 machen Sie bestimmte Tätigkeiten. Dies bedeutet eine weitere Einschränkung des Anwendungsbereiches. Im Übrigen spricht die EU-Richtlinie ausdrücklich von beruflichen Tätigkeiten. Wenn Sie davon reden, dass Sie Rechtseinheit und einheitliche Rechtsbegriffe auf europäischer Ebene und auf nationaler Ebene haben wollen - Kollege Jung, im Umweltausschuss haben Sie das gesagt -, warum weichen Sie jetzt hier davon ab? Das ist für mich vollkommen unverständlich und nicht einsehbar. ({2}) Noch ein paar Gedanken zur Deckungsvorsorge. Sehr viele oder fast alle von uns haben ein Auto. Wenn man sich beim Händler ein Auto gekauft hat, sucht man sich als nächstes eine Versicherung. Von der Versicherung holt man sich eine Doppelkarte und geht damit zur Zulassungsstelle. Erst dann wird das Auto zugelassen. Das heißt, jedes Auto braucht eine Haftpflichtversicherung. Die sogenannte Deckungsvorsorge ist damit vergleichbar. Im Übrigen gibt es auch für Rechtsanwälte - Kollege Jung, Sie sind, soweit ich weiß, Rechtsanwalt Berufshaftpflichtversicherungen. Warum nehmen Sie diese Verpflichtung heraus? Hier hätte man Vorreiter sein und eine bessere Lösung anbieten können. Das sind Beispiele für Regelungen im Gesetzentwurf, die wir für kritikwürdig erachten. Ich fasse zusammen: Das Gesetz wird zwar fristgemäß erlassen, es bleibt aber hinter seinem Anspruch zurück. Eine gerechte Schadenshaftung für Umweltschäden durch Handlungen wird damit nicht erreicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Anwendungsbereich wird marginal sein. Zwei Sätze habe ich noch, Frau Präsidentin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das ist zuviel.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das Gesetz enthält Bestimmungen, die europarechtlich problematisch sind. Deshalb können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen und werden uns enthalten. Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

So weit ist es noch nicht, weil jetzt erst einmal die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die Grünen spricht.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister, ich möchte Ihnen ein besonderes Lob zollen, ({0}) weil Sie an einem Freitagnachmittag bei einem Thema von so offensichtlich nicht überschäumender Attraktivität den Gesetzentwurf selbst vorgestellt haben. Sie bekommen noch ein Lob, weil Sie inzwischen auch der Debatte folgen. Ich bin also voll des Lobes für den Minister. ({1}) Damit es jetzt aber nicht so aussieht, als würden wir die Koalition nur loben, kommt jetzt gleich ein Tadel an den Kollegen Jung hinterher. ({2}) Rot-Grün hätte immer noch eins draufgesattelt. ({3}) Das war eine der Kernaussagen in Ihrem Beitrag. Sie, die neue Große Koalition, sind doch stolz darauf, dass Deutschland heute innerhalb Europas beim Umweltschutz und beim Klimaschutz als Vorreiter gilt. Wie hätte das entstehen können, wenn wir nicht immer ein bisschen mehr gemacht hätten, als nur das, was aus Europa kommt, eins zu eins umzusetzen? Dann wären wir kein Vorreiter. Man muss sich als Land schon entscheiden, was man möchte. ({4}) - Dabei bleibt es hoffentlich auch. Sie haben die Verantwortung. In der Politik lernt man - vor allen Dingen in Regierungszeiten -, auch mit halbvollen Gläsern positiv und konstruktiv umzugehen. Ich gestehe, dass ich - auch in der Politik - ein etwas mehr als halbvolles Glas immer ganz gern habe. Deshalb finde ich, dass wir dem Gesetzentwurf, der heute vorliegt, zustimmen können. Denn er erfüllt das Kriterium des etwas mehr als halbvollen Glases. ({5}) Wir werden uns - anders als die Oppositionskollegen also nicht enthalten, sondern zustimmen. ({6}) Ich will aber jetzt nicht mehr darüber reden, was in diesem Glas ist - der Minister und Kollege Jung haben das schon deutlich dargelegt -, sondern darüber, was in diesem Glas nicht ist: die Haftung der Landwirtschaft. Diese Ausnahmeregelung ist weder nachvollziehbar noch vernünftig noch dem Ziel dieses Gesetzes wirklich zuträglich. Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen, und zwar hinsichtlich der Pestizide. Mir liegt hier eine Zahl vor, die relativ ungeheuerlich ist. Für den Fall, dass Sie sie mir nicht glauben wollen, schicke ich gleich voraus, dass sie von der zuständigen Berichterstatterin des EU-Parlaments stammt. Sie wissen wahrscheinlich, was ein Kilo Pestizide kostet, wenn man es kauft. Es ist die bescheidene Summe von 10 Euro. Wissen Sie auch, was es kostet, ein Kilo Pestizide wieder aus dem Wasser herauszuholen? Das ist die unbescheidene Summe von 100 000 Euro. Ich finde, das zeigt, dass eine Landwirtschaft, die so, wie jetzt, als dieses Gesetz vorgelegt wurde, durch ihre Lobbyarbeit darauf beharrt, mit einem übermäßigen Chemieeinsatz arbeiten zu dürfen, nicht nur einen unökologischen, sondern auch einen unökonomischen Weg beschreitet. Mit der Ausnahme in diesem Gesetz schreiben Sie fest, dass genau diese immensen Kosten, die durch unsachgemäßen Landbau von der Landwirtschaft verursacht werden, weiterhin von der öffentlichen Hand und nicht, wie es in dem Gesetz ansonsten vorgesehen ist, von dem Verursacher selbst getragen werden müssen. Das ist ein deutliches Defizit innerhalb dieses Gesetzes. Ich bin froh, dass der Biolandbau, bei dem auf diese Dinge verzichtet wird, vor allem in den Jahren unter der grünen Ministerin einen deutlichen Aufschwung genommen hat. Wir haben hier noch Verbesserungsbedarf. Nur 4,7 Prozent des Gesamtvolumens sind Ökofläche. Österreich ist mit einer Ökofläche von 14,1 Prozent zum Beispiel deutlich besser als wir. Hier sind wir also noch nicht Vorreiter; hier gibt es noch einen Nachholbedarf. Ich hoffe, dass auch aufgrund des Hinweises auf die Zahl, was es uns kostet, diese Pestizide wieder aus dem Wasser zu holen, vielleicht auch von der Großen Koalition ein bisschen in diese Richtung gearbeitet wird, und wünsche Ihnen - ähnlich wie der Kollege Heilmann ein schönes Wochenende, auch wenn es für manche von uns noch ein bisschen dauert. Danke schön. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD das Wort. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Freitagnachmittag ein solches Thema zu behandeln, ist nicht ganz einfach, aber ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz, das wir heute beschließen werden, in Zukunft in der Praxis eine noch viel größere Aufmerksamkeit erfahren wird. In der Tat betreten wir hier heute nämlich Neuland, und es ist gutes Neuland. Frau Kotting-Uhl, ich gehöre der Fraktion an, die mit Ihnen die Grundlagen geschaffen hat und jedenfalls in diesen Bereichen mit der CDU/ CSU jetzt noch ordentlich eins drauflegt. Insofern sind wir stolz, dass wir das heute beschließen können. ({0}) Wir sind einer der ersten EU-Staaten, die die EUVorgaben in nationales Recht umsetzen. Dieses Gesetz ist aus meiner Sicht eine logische Konsequenz der Gesetze, die wir hier vor einigen Monaten beschlossen haben, nämlich des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes, das dazu dient, mehr Transparenz und mehr Öffentlichkeit in Umweltrechtsbelangen zu erreichen, und des Umweltrechtsbehelfsgesetzes, das dazu dient, einen weiten Zugang zu den Gerichten und zur Überprüfung zu ermöglichen. ({1}) - Herr Kollege Heilmann, Sie wissen, dass wir uns hier für eine größere und erweiterte Klagemöglichkeit ausgesprochen haben. Wir werden sehen, was wir da erreichen können. Mit diesem Gesetz betreten wir heute in der Tat juristisches Neuland. Bislang war es nicht möglich, Schädigungen der Umwelt, die nicht Privateigentum betrafen, tatsächlich geltend zu machen. Dies ist eine Neuerung. Der Bundesminister hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz in den Kontext der allgemeinen Diskussion passt, in der es darum geht, wie wir Güter der Allgemeinheit eigentlich schützen. In diesem Gesetz ist ferner vorgesehen, nicht erst bei der Schädigung, sondern weit früher anzusetzen, nämlich bei der Information und auch bei dem Vorsorgeansatz. Auch dies ist ein wichtiger Aspekt. ({2}) Mit diesem Gesetz bleiben wir nicht im Unbestimmten; denn es wird erst einmal nicht ins Zivilrecht verwiesen. Es muss also keine dritte Person vorhanden sein, die einen Schaden an ihrer Gesundheit oder an ihrem Eigentum geltend macht. Nein, wir befinden uns hier nicht im Zivilrecht, sondern im Ordnungsrecht. Erstmals werden Behörden in die Lage versetzt, sowohl auf Vorsorgemaßnahmen als auch auf Informations- oder Sanierungspflichten hinzuwirken und diese gegebenenfalls auch durchzusetzen. ({3}) Ein Aspekt, der aus meiner Sicht in den nächsten Monaten und Jahren durchaus noch erhebliche Beachtung finden wird, ist die Stellung der Verbände, die sich in ihren Satzungen dem Schutz der Umwelt verpflichtet haben. Es ist im deutschen Recht bislang nicht üblich gewesen, dass Verbände die Funktion von Anwälten wahrnehmen und den Schutz der Güter der Allgemeinheit tatsächlich, im Zweifel auch gerichtlich, durchsetzen. Das ist schon ein erheblicher Schritt hin zu mehr Umweltschutz, weil zu mehr Durchsetzbarkeit von Umweltschutz. Das ist uns ganz wichtig. Wir sind sicher, dass die Verbände diese Aufgabe, die ihnen nun übertragen wird, auch verantwortungsvoll wahrnehmen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend sagen, dass mit diesem Gesetz die Diskussion über das Umweltrecht nicht zu Ende sein darf und nicht zu Ende sein kann. Wir als Große Koalition haben uns mit der Schaffung eines Umweltgesetzbuches eine große Aufgabe gestellt. Auch in den Beratungen zu diesem Gesetz haben wir gesehen, wie wichtig es ist, europäisches Recht mit dem deutschen Recht in Übereinstimmung zu bringen und deutsches Umweltrecht in einem Gesetzbuch zusammenzufassen. Die entsprechenden Debatten sind in vollem Gange. Das Ministerium ist dabei, dieses UGB, also das Umweltgesetzbuch, zu konzipieren. Die Politik ist in den nächsten Monaten aufgerufen, ordentlich daran mitzuarbeiten. Wir werden das tun. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, Drucksache 16/3806. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4587, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmergebnis wie vorher angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 ({0}) - Drucksache 16/4379 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 16/4572 Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Siegmund Ehrmann Dr. Max Stadler Silke Stokar von Neuforn Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/4582 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Bettina Hagedorn Roland Claus Anja Hajduk Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Es war verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren, doch die Kolleginnen und Kollegen Siegmund Ehrmann, Dr. Max Stadler, Petra Pau und Silke Stokar von Neuforn und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 16/4379. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4572, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4624 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Änderungsantrag bei Zustimmung der Fraktionen von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung durch die Koali- tionsfraktionen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig ange- nommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 4. Juli 2006 zur Verlängerung des Abkommens vom 9. April 1995 zwischen der Bundesrepublik 1) Anlage 16 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen - Drucksache 16/4378 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) - Drucksache 16/4579 Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding ({4}) Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie- ren. Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kolleginnen und Kollegen Dr. Barbara Hendricks, Carl-Ludwig Thiele, Axel Troost und Lothar Binding.1) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion. ({5})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute auf Antrag der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen den Gesetzentwurf der Bundes- regierung zur Verlängerung des Doppelbesteuerungs- abkommens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten vom 9. April 1995. Dazu von mir keinen neunminütigen Beitrag, aber drei Minuten zum Standpunkt der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Die Verlängerung dieses Abkommens ist notwendig, da das Doppelbesteuerungsabkommen von 1995 ausge- laufen wäre und bis zum Zeitpunkt des Auslaufens keine Einigung über ein neues Abkommen erzielt werden konnte. Um es hier nicht zu einem vertragslosen Zustand kommen zu lassen, wurde das bisherige Abkommen um zwei Jahre verlängert. Wir als Unionsfraktion begrüßen diese Verlängerung; denn wir brauchen ein Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Lassen Sie mich dazu kurz drei Gesichtspunkte nennen: Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Handels- und auch politischer Partner von außerordentlicher Bedeutung in dieser krisengeschüttelten Region. Wir haben dort 2004 eine strategische Partnerschaft begründet. Die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen haben sich, auch auf der Grundlage des Doppelbesteuerungsabkommens von 1995, auf hohem Niveau entwickelt. Rund 500 deut- sche Unternehmen sind dort tätig. Sie bedienen weite Teile des arabischen und asiatischen Marktes. Der Export in die Vereinigten Arabischen Emirate ist allein im Jahr 2005 um 22 Prozent auf über 4 Milliarden Euro ange- stiegen. Beim Import liegen wir dort an vierter Stelle. Beachtlich ist auch das Investitionskapital an den Verei- nigten Arabischen Emiraten. 1) Anlage 17 Unsere politischen Beziehungen sind ein Spiegelbild dieser wirtschaftlichen Entwicklung. Wir haben, wie gesagt, eine strategische Partnerschaft begründet. Angela Merkel hat ihre erste Reise im Rahmen der EU-Präsidentschaft in die Vereinigten Arabischen Emirate unternommen. Der zweite Grund, warum wir ein Doppelbesteuerungsabkommen wollen, ist, dass die Vereinigten Arabischen Emirate keine Steueroase - mit solchen Ländern schließen wir sonst keine Doppelbesteuerungsabkommen ab - im eigentlichen Sinn sind. Solches zu behaupten, ist eine klassische Halbwahrheit: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sicherlich die eine oder andere Oase; aber eine Steueroase sind sie deshalb noch nicht. Von den vier OECD-Kriterien für Steueroasen - nämlich erstens keine oder geringfügige Steuererhebung, zweitens Gesetzes- und Verwaltungspraxis, welche einen effektiven Informationsaustausch der Behörden verhindert und damit Steuerflucht begünstigt, drittens Privilegierung nicht ansässiger Personen, viertens Fehlen substanzieller wirtschaftlicher Aktivitäten, also Briefkasten- und Buchhaltungszentren - trifft höchstens das Kriterium Nummer eins zu. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind in der Tat in der glücklichen Lage, nur die Ölförderung besteuern zu müssen. Wir wären froh, wenn das bei uns der Fall wäre; aber wir können uns das nicht leisten. Ansonsten liegen aber keine Kriterien für eine Steueroase vor. Wir sollten deshalb im Interesse unserer wirtschaftlichen und politischen Beziehungen ein Doppelbesteuerungsabkommen anstreben und keine unselige und auch falsche Oasendiskussion führen. Der dritte Grund ist, dass wir Teil der Europäischen Union sind und dass fast alle unsere europäischen Partner Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten haben - Großbritannien, Frankreich, zuletzt Spanien, seit 2006, Luxemburg seit 2005 und Österreich seit 2004 -, die sich auch alle an das OECD-Muster anlehnen. Ein deutscher Alleingang wäre hier weder politisch noch wirtschaftlich zu verantworten. In diesem Sinne bejaht die CDU/CSU-Fraktion die heute zur Beschlussfassung anstehende Verlängerung des Doppelbesteuerungsabkommens um zwei Jahre und bittet das Bundesfinanzministerium - ich weiß jetzt nicht, wen ich da ansprechen soll; ich bitte also die Bundesregierung -, im Rahmen der anstehenden Verhandlungen ein Doppelbesteuerungsabkommen auszuhandeln, das fair und von gegenseitigem Respekt getragen ist. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Doppelbesteuerungsabkommen sind ja eigentlich Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. DoppelbesteuDr. Gerhard Schick erung liegt aber nur vor, wenn sowohl das eine als auch das andere Land Steuern erhebt. Da in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf fast alle ökonomischen Sachverhalte ein Einkommensteuersatz von Null gilt, kann es per Definition gar keine Doppelbesteuerung geben. Bei der Diskussion geht es also um den anderen Teil, der durch Doppelbesteuerungsabkommen geregelt wird, nämlich um die Vermeidung von so genannten weißen Einkünften. Damit wird die Tatsache bezeichnet, dass einige deswegen keine Steuern zahlen, weil sie grenzüberschreitend wirtschaftlich tätig sind. Auf diesen Aspekt, Herr Kolbe, sind Sie überhaupt nicht eingegangen, obwohl er in den Verhandlungen immer einen sehr großen Raum einnimmt. Man muss schon feststellen - deshalb wollen wir darüber debattieren und haben diesen Punkt nicht ohne Debatte einfach durchgewunken -, dass das Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Sonderstellung unter den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen einnimmt; denn es generiert in einzigartiger Weise die Nullbesteuerung, also weiße Einkünfte. Obwohl man nun einen Vergleich mit anderen EUStaaten anstellen kann, möchte ich eine andere Frage stellen, nämlich die, wie Sie einem deutschen mittelständischen Unternehmen erklären wollen, dass es auf seine Gewinne in Deutschland insgesamt 47,5 Prozent Einkommensteuer zahlen muss, dass man aber gleichzeitig in Dubai 0 Prozent Steuern zahlt, wenn man einen Anteil an einem Immobilienfonds besitzt. Diese Frage ist nicht populistisch, sondern sie stellt sich im Fall einer Unternehmensnachfolge ganz konkret. Es wäre interessant, einmal die konkrete Position des Wirtschaftsministeriums zu erfahren, das sich dafür eingesetzt hat, dass wir diesen Zustand um weitere zwei Jahre verlängern. Wir sind dagegen, weil wir der Meinung sind, dass es keine faire Verteilung der Lasten ist. Es entspricht nicht der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Was noch schlimmer ist: Es ermöglicht - Doppelbesteuerungsabkommen wirken ja immer in einem Netz zusammen -, dass auch Erträge aus anderen Staaten über die Vereinigten Arabischen Emirate steuerfrei nach Deutschland gebracht werden. Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Das ist keine sinnvolle Steuerpolitik. ({0}) Man braucht gar nicht den Begriff von einer strategischen Partnerschaft heranzuziehen. Man kann auch mit strategischen Partnern sinnvolle Abkommen schließen. In den Ausschussberatungen ist deutlich geworden, dass es jetzt darum geht, mit welcher Position Deutschland in die Verhandlungen geht. Sie von der CDU/CSUFraktion und, wie ich höre, auch das Wirtschaftsministerium vertreten die Position, dass es durchaus so weitergehen soll. Wir als Grüne sind der Meinung, dass es nicht so weitergehen kann. Wir müssen vielmehr ein Mindestniveau bei der Besteuerung erreichen. Deswegen wird unser Abstimmungsverhalten im Parlament nicht nur von der Frage bestimmt, ob wir das konkrete Protokoll verabschieden wollen, sondern auch von der Frage, mit welcher Position wir in die Verhandlungen zu diesem Abkommen hineingehen. Ich finde einen Punkt ziemlich enttäuschend. Die Linksfraktion will diesem Gesetzentwurf zustimmen. Sie halten hier immer großen Reden über Steuergerechtigkeit und über die sich zunehmend öffnende Schere von Arm und Reich. Sie fordern, dass es eine faire Lastenverteilung in diesem Land gibt. Wenn es aber einmal konkret darum geht, ein Steuerschlupfloch zu schließen und hierfür ein klares Signal zu geben, dann: Fehlanzeige. ({1}) Ich finde das sehr enttäuschend und möchte Sie auffordern, dass Sie in Zukunft Ihren großen Ansprüchen auch einmal ein wenig Substanz folgen lassen. ({2}) Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll zur Verlängerung des Abkommens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen auf Drucksache 16/4378. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/4579, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDPFraktion angenommen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 10 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großunternehmen Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das Wort dem Kollegen Werner Dreibus, Die Linke. ({0})

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich weiß, es ist spät. Ich weiß auch, dass wir Ihnen mit dieser Aktuellen Stunde keine große Freude bereiten. Aber hier kommt es auf die Sache an. ({0}) Beim Beispiel der Telekom geht es um die Arbeitsplätze, das Einkommen, die Arbeitszeit und die Arbeitsverträge von immerhin 50 000 direkt betroffenen Menschen. Das betrifft natürlich auch die Familien dieser 50 000 Menschen. Damit geht es um sehr viel. Es geht bei diesem Konflikt der Telekom - das ist eher eine kleine Arabeske - unter anderem um eine Arbeitszeitverlängerung für weniger Geld. Wenn wir heute Nachmittag eine Stunde Arbeitszeitverlängerung haben, dann ist das sozusagen eine Parallele, aber wenn überhaupt, dann höchstens einmalig und nur betreffend die Zeit und nicht das Geld. ({1}) Nun zur Sache selbst. Der Anlass für unsere Aktuelle Stunde ist die in der vergangenen Woche getroffene Entscheidung des Aufsichtsrates der Telekom. Wir sind der Auffassung, dass in der darauffolgenden Sitzungswoche des Bundestages darüber unter dem Gesichtspunkt der beschäftigungspolitischen Verantwortung der Bundesregierung zu diskutieren ist. Der Aufsichtsrat hat entschieden, 45 000 bis 50 000 Mitarbeiter in einen sogenannten T-Service auszugliedern. Das ist eine interne Ausgliederungsstrategie, der - so der Aufsichtsrat - als Teil der Ausgliederung dann eine externe Auslagerung folgen soll. Der Vorgang selbst erinnert, zumindest was das strategische Vorgehen betrifft, diejenigen, die sich in dieser Sache ein wenig auskennen, an das, was vor einigen Jahren bei Siemens passiert ist und was dann zu BenQ geführt hat. Was wir dann bei BenQ erlebt haben, werden wir hoffentlich nicht auch bei der Telekom erleben. Wie sieht es nun mit der beschäftigungspolitischen Verantwortung der Bundesregierung aus? Wir wissen, noch ist der Bund direkt und indirekt über die KfW an der Telekom mit zusammen 32 Prozent der Aktien beteiligt. Wir wissen auch, dass als Vertreterin der KfW Frau Matthäus-Maier und als Vertreter der Bundesregierung Herr Staatssekretär Mirow im Aufsichtsrat der Telekom Sitz und Stimme haben. Seit vergangenen Donnerstag wissen wir aus öffentlichen Erklärungen der Vertreter der Beschäftigten im Aufsichtsrat, dass alle Vertreter der Beschäftigten im Aufsichtsrat - er ist, wie wir wissen, paritätisch zusammengesetzt - gegen die Vorlage des Unternehmensvorstandes gestimmt haben. Die erste Frage, die wir heute stellen - wir hoffen sehr, dass wir darauf eine vernünftige Antwort bekommen -, ist, wie sich die Bundesregierung unter Vorhalt dieser Beteiligungsstruktur in dieser konkreten Situation zu den beschäftigungspolitischen Maßnahmen des Vorstandes der Telekom verhält. Ich will ein paar wenige Sätze dazu sagen, was das für die Betroffenen heißt. Die Arbeitszeit der Betroffenen wurde 2004 auf 34 Stunden gesenkt. Bezahlt werden derzeit 35,5 Stunden. Es gab einen sogenannten Teillohnausgleich. Brutto hat jeder Beschäftigte 6,7 Prozent weniger als vor dieser Maßnahme. Der erste Schritt, an der Arbeitszeitschraube auf Kosten der Beschäftigten zu drehen, ist schon erfolgt. Jetzt soll für die Betroffenen ein zweiter Schritt folgen. Deren Arbeitszeit soll wieder auf 38 Stunden heraufgesetzt werden - und dies ohne Lohnausgleich -, um die Lohnkosten erneut zu senken. Beide Maßnahmen zusammen bedeuten, dass, je nachdem, wie man das rechnet, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telekom um die 13 Prozent ihres Lohnes für die Fehlplanungen und Fehlmaßnahmen bezahlen sollen, die das Management gemacht hat. Das halten wir für völlig unvorstellbar. Wir halten es für völlig falsch, dass die Bundesregierung als Anteilseigner diesem Konzept offensichtlich zustimmt und im Aufsichtsrat nicht die Möglichkeit genutzt hat, wenigstens die Alternativvorschläge, die vonseiten der Arbeitnehmervertreter, der Betriebsräte und der zuständigen Gewerkschaft Verdi vorgetragen worden sind, zum Anlass zu nehmen, die Entscheidung vom vergangenen Donnerstag nicht zu fällen, sondern sich konstruktiv mit diesen Alternativvorschlägen zu beschäftigen und die Beschäftigten nicht dem Druck von Maßnahmen auszusetzen, die bei diesen - deshalb habe ich am Anfang meiner Rede das Beispiel Siemens/BenQ erwähnt - nur Angst auslösen können. Die Telekom ist sicher kein krisengeschütteltes Unternehmen. Aber auch ein Unternehmen, das in Schwierigkeiten ist, ist schlecht beraten, wenn die Beschäftigten Angst haben. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es spricht jetzt der Kollege Alexander Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es in dieser Aktuellen Stunde nicht um ein einzelnes Unternehmen geht. Wir müssen uns grundsätzlich die Frage stellen, wie sich die Großkonzerne in der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf das Generieren von Arbeitsplätzen verhalten. Gleichzeitig müssen wir uns die Frage stellen, wie sich der Mittelstand in Bezug auf das Generieren von Arbeitsplätzen verhält. Sie von der Linken haben das aktuelle Beispiel Deutsche Telekom aufgenommen. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben in dieser Woche bereits Gespräche mit der Deutschen Telekom geführt, auch hier. Ich weiß nicht, ob Ihre Fraktion dazu bereit ist, aber wir sind selbstverständlich bereit, den Prozess, den dieses Unternehmen im gegebenen Rahmen zu durchlaufen hat, zu begleiten. Wir haben der Telekom auch bei den Gesprächen hier im Deutschen Bundestag ins Stammbuch geschrieben, dass uns drei Sachen besonders wichtig sind: Wir haben natürlich die Forderung an dieses Unternehmen, dass Standortsicherung betrieben wird. Wir wollen nicht, dass die Deutsche Telekom sich aus der Fläche zurückzieht, sich auf Ballungsräume beschränkt. Wir wollen, dass dieses Unternehmen auch in den ländlichen Räumen vertreten bleibt. Deswegen ist eine Frage wie die, wie die Callcenterstruktur in Zukunft ausschaut, für uns besonders wichtig. Wir haben weiter gesagt: Die Beschäftigungssicherung hat für uns absoluten Vorrang. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss man solche Unternehmensentscheidungen betrachten. Die Telekom ist ein Unternehmen, das heute, anders als noch zu Monopolzeiten, im Wettbewerb steht. Die Telekom hat erkannt - da werden alle zustimmen können -, dass das, was sie an Produkten anbietet, oftmals zu teuer ist, nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Deswegen versucht sich die Telekom so aufzustellen - auch in der Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern -, dass sie zukünftig wieder wettbewerbsfähig ist. Genau dadurch werden die Arbeitsplätze im Unternehmen gesichert. Auch das haben wir von der Deutschen Telekom gefordert. Einen solchen Prozess kann man aber nur zusammen mit den Menschen im Unternehmen gehen. Eine Qualitätsoffensive kann man nur starten, den Service des Unternehmens kann man nur dann deutlich ausbauen, wenn man die Mitarbeiter, die diesen Service bringen sollen, bei der Stange hält, sie motiviert. Auch das haben wir von der Deutschen Telekom verlangt. Die Mitarbeiter müssen diesen Prozess mitmachen. Ansonsten ist eine Qualitätsoffensive nicht möglich. ({0}) Jetzt will ich zum Mittelstand, den ich eingangs angesprochen habe, zurückkommen. Denn so einfach machen wir es Ihnen nicht, dass wir hier nur kritisierten, die positiven Meldungen aus der Wirtschaft aber nicht ansprächen. Der Mittelstand hat im letzten Jahr Tag für Tag 1 250 neue Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen. Deswegen ist der Mittelstand das Netz und der doppelte Boden für Arbeitsplätze in Deutschland. Es ist wichtig, dass wir das in dieser Debatte ganz deutlich machen: Jobmotor in Deutschland ist und bleibt der deutsche Mittelstand. Deswegen müssen wir ihn ins Zentrum unseres Interesses stellen, wir müssen ihn deutlich stärken und daran arbeiten, dass es dem Mittelstand in Deutschland weiterhin gut geht. ({1}) Der Mittelstand bleibt in Deutschland. Die globalisierten Unternehmen haben in anderen Ländern neue Märkte entdeckt. Sie versuchen - das ist nicht zu kritisieren -, ihre Produkte dort zu produzieren, wo sie sie verkaufen. Sie stehen heute in einem globalen Wettbewerb, in dem der Preis eine große Rolle spielt und in dem für die Preiskalkulationen auch von Bedeutung ist, dass man sich, was die Arbeitsplätze angeht, weltweit breit aufstellt. ({2}) Der Mittelstand kann das nicht tun. Deswegen müssen wir die Verantwortung übernehmen, den Mittelstand zu stärken. Das hat die Bundesregierung getan. Das CO2-Sanierungsprogramm ist ein Riesenerfolg. In der letzten Woche wurde im Deutschen Bundestag das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz beschlossen. Die Reform der Unternehmensnachfolge steht an. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Reform mittelstandsgerecht ausgestaltet wird. Ein Mittelständler muss die in seinem Unternehmen bestehenden Arbeitsplätze im Fall der Unternehmensnachfolge zukünftig erhalten können, ohne dass zusätzliche Kosten anfallen. Ich glaube, das ist die richtige Antwort auf den Stellenabbau in der Großindustrie. Das Jobwunder Mittelstand muss von uns forciert und gestärkt werden. So müssen wir in die Zukunft gehen. Danke schön. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Haustein ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über die beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großunternehmen. Erst einmal muss man feststellen, dass kein Unternehmer seine Arbeitskräfte gerne entlässt. Er ist froh, wenn er genug Aufträge hat, Gewinn macht und über die Runden kommt. ({0}) Ein Unternehmer möchte, dass seine Angestellten ihren Arbeitsplatz behalten und ihren Lohn bekommen und dass es mit dem Unternehmen vorwärts geht. Das ist doch der Sinn eines Unternehmens. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, wie stark die Unternehmen belastet werden. ({1}) - Ja. Seit diesem Jahr auch durch die Bundesregierung. Aber das ist ja bekannt. ({2}) Die Belastungen durch die Bürokratie gehen ins Unermessliche. ({3}) Es wird zwar von Bürokratieabbau gesprochen. ({4}) Aber durch das Vorziehen des Termins für die Zahlung der Sozialbeiträge wird mehr Bürokratie aufgebaut. Außerdem wird dadurch die Liquidität der Unternehmen belastet. ({5}) - Nein, das tut man nicht. Abgesehen von der Bürokratie, deren Umfang viel zu groß ist ({6}) - nein -, ist auch die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland viel zu hoch; auch das muss man klar und deutlich sagen. Wir brauchen eine Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt und mehr Freiheiten für Unternehmen. Dann kann es aufwärtsgehen. ({7}) Was soll denn die Telekom als Global Player machen? Sollte sie warten, bis sie pleite ist, oder sollte sie jetzt auf die neuen Anforderungen in der Welt und im Lande reagieren? Die Telekom muss etwas unternehmen. Sie darf nicht einfach abwarten, bis es nicht mehr weitergeht. Das, was die Manager der Telekom jetzt tun müssen, tun sie sicherlich nicht gerne. Aber sie müssen es tun, damit das Unternehmen überlebt. ({8}) Zu diesem Zweck muss rationalisiert werden. Ansonsten geht es nicht voran. Wir müssen eine Flexibilisierung beim Kündigungsschutz und beim Tarifrecht durchführen, ({9}) ohne allerdings die Rechte der Arbeitnehmer zu beschneiden. ({10}) Die Arbeitnehmer sind das Kapital eines Unternehmens. Niemand will ihre Rechte einschränken. Aber ein Unternehmen kann nur dann überleben, wenn es kostendeckend und rational arbeitet. ({11}) Nun komme ich zu den kleinen und mittelständischen Betrieben. In diesen Unternehmen werden in Deutschland Arbeitsplätze geschaffen. Aber die Inhaber dieser Unternehmen haben häufig das Haus, den Hof und die eigene Großmutter bei der Bank verpfändet. ({12}) In diesen Betrieben ist der Urlaubsanspruch geringer, und es muss 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Diese Betriebe sind dafür verantwortlich, dass es in unserem Land aufwärtsgeht. Das wird immer wieder verkannt. ({13}) Die hohen Kosten führen einerseits zu Entlassungen und andererseits dazu, dass viele Unternehmen davor zurückschrecken, Leute einzustellen. Stattdessen wird auf Subunternehmer oder Leiharbeitnehmer ausgewichen. ({14}) Ich kann Ihnen versichern: Wenn wir nicht endlich die Reformen durchführen, die wir in diesem Land brauchen - ich meine richtige Reformen und nicht solche Reförmchen, die ständig gemacht werden -, ({15}) dann wird der gegenwärtige Aufschwung nicht lange Bestand haben. Aber trotz des Aufschwungs - der ein Weltmarktaufschwung ist und nicht Erfolg der Bundesregierung - nimmt die Bundesregierung die notwendigen Reformen nicht in Angriff. ({16}) Das ist das Problem, das wir haben. Wir müssen uns entscheiden: Reformen und Aufschwung oder so weiterwursteln. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Auf unserer touristischen Tour durch Deutschland erhält nun das Wort der Kollege Martin Dörmann für die SPD-Fraktion. ({0}) - Das wird er sicherlich freiwillig vortragen.

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Glück auf, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl die Arbeitslosenzahl im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 800 000 zurückgegangen ist, werden wir immer wieder von Meldungen aufgeschreckt, nach denen gerade deutsche Großunternehmen in erheblichem Umfang Personal abbauen. Aktuelle Beispiele sind Allianz, Schering, die Deutsche Bank oder Airbus. Die Hintergründe sind jeweils sehr unterschiedlich. Gemeinsam haben sie, dass die Ursachen für den Abbau von Arbeitsplätzen im Unternehmen selbst bzw. im Marktumfeld liegen. Sie sind also weder von den Beschäftigten noch von der Politik zu verantworten. Bei einigen Unternehmen spielen gravierende Managementfehler eine entscheidende Rolle. In einigen Fällen wird Personal abgebaut, obwohl die Ertragslage des Unternehmens sehr gut ist. Die SPD fordert deshalb gerade die Großunternehmen auf, ihrer Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerecht zu werden. ({0}) Oft wird - aus unserer Sicht: zu früh und zu einseitig vor allem im Personalabbau das Allheilmittel für größere Produktivität gesehen. Stattdessen sollten mehr und rechtzeitig gezielte Innovationen, intelligente Produktentwicklungen, stetige Weiterbildung der Beschäftigten und andere Maßnahmen der Beschäftigungssicherung durchgeführt werden. Insofern brauchen wir einen deutlichen Mentalitätswechsel zumindest in einem Teil der Wirtschaft; denn nicht der Abbau, sondern der Erhalt von Arbeitsplätzen sollte oberste Priorität haben. ({1}) In der aktuellen Debatte in den letzten Tagen spielt der geplante Personalumbau bei der Deutschen Telekom AG eine besondere Rolle. Deshalb möchte ich hierauf etwas näher eingehen. Erinnern wir uns: Die Privatisierung der Telekom und die Öffnung des Telekommunikationsmarktes haben zu einem scharfen Wettbewerb und zu deutlich günstigeren Preisen für die Verbraucherinnen und Verbraucher geführt. Es geht um Absenkungen von bis zu 96 Prozent. Heute zahlen wir beispielsweise für ein Inlandsgespräch nicht mehr 30 Cent wie 1997, sondern gerade einmal 1 Cent. Parallel dazu sank die Zahl der Beschäftigten bei der Telekom innerhalb Deutschlands von 255 000 im Jahr 1990 auf 166 000 im Jahr 2006, während bei den Wettbewerbern etwa in gleichem Umfang Beschäftigung aufgebaut wurde. Der Personalabbau bei der Telekom erfolgte stets - das ist ganz besonders wichtig sozialverträglich, das heißt ohne betriebsbedingte Kündigungen, durch natürliche Fluktuation oder durch freiwillige Instrumente. Ich denke, dies ist ein positives Beispiel dafür, dass man auch einen schwierigen Strukturwandel sozial gestalten kann. Der Bund ist noch zu knapp 32 Prozent Anteilseigner; das wurde gerade erwähnt. Auch wenn der Bund schon aus aktienrechtlichen Gründen nicht direkt in unternehmerische Entscheidungen eingreifen kann, hat seine Beteiligung doch indirekt dazu beigetragen, dass der Stellenabbau - im Gegensatz zu manch anderen Unternehmen - sozialverträglich erfolgte. Auch unter diesem Gesichtspunkt sollte der Bund nach Ansicht der SPD-Fraktion auf absehbare Zeit mindestens 25,1 Prozent der Aktienanteile an der Telekom behalten, um eine Sperrminorität sicherzustellen. ({2}) Von dem geschilderten Personalabbau zu unterscheiden sind die aktuellen Umbaupläne bei der Telekom. Sie zielen auf eine bessere Servicequalität, Beschäftigungssicherung und Kostensenkungen ab. Ein zentraler Punkt dieses Konzepts ist die Gründung von drei neuen Gesellschaften unter der Bezeichnung T-Service. Geplant ist insbesondere die Überführung von bis zu 50 000 Beschäftigten zu T-Service, die allerdings weiterhin - das ist wichtig - unter dem Dach des Konzerns bleiben sollen. Es geht also nicht um einen weiteren Personalabbau, sondern um einen Umbau innerhalb des Konzerns. Die Unternehmensleitung erhofft sich hierdurch eine bessere Wettbewerbsfähigkeit angesichts von 2 Millionen Kunden, die die Telekom alleine 2006 im Festnetzbereich verloren hat. Es ist allerdings mehr als verständlich, dass die Beschäftigten die bei T-Service geplanten Einsparungen bei den Personalkosten durch längere Arbeitszeiten und eine Absenkung des Entgeltes kritisch sehen. Es ist nun Sache der Tarifvertragsparteien, die konkreten Arbeitskonditionen bei T-Service zu vereinbaren. In politischer Hinsicht ist aber zu wünschen, dass bei den anstehenden Tarifverhandlungen gemeinsame Lösungen gefunden werden, die sowohl den Interessen der Beschäftigten als auch der Wettbewerbssituation der Deutschen Telekom gerecht werden müssen. Meiner Ansicht nach darf es aber nicht zu radikalen Einschnitten bei den Beschäftigten kommen. Denn es kann nicht das Ziel sein, einen Lohnwettkampf nach unten zu führen. Außerdem braucht die Telekom auch weiterhin motivierte Beschäftigte. Es ist aber angesichts der schwierigen Marktsituation, in der sich die Telekom befindet, unrealistisch, davon auszugehen, dass keinerlei Veränderungen notwendig sind. Man wird abwarten müssen, was die anstehenden Tarifverhandlungen ergeben. Ich hoffe auf gemeinsam getragene Lösungen. Immerhin gibt es ein positives Signal bei den Auszubildenden. Die Deutsche Telekom und Verdi haben sich darauf verständigt, dass auch 2007 wieder 4 000 junge Menschen neu eingestellt und mindestens 1 000 Nachwuchskräfte vor allem in den Serviceeinheiten übernommen werden. Damit ist die Telekom nach wie vor das Unternehmen mit den meisten Auszubildenden in Deutschland. Ich denke, diese Einigung gibt Hoffnung. Sie sollte auch Vorbild für andere sein. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man regelmäßig die Ausführungen der Linkspartei.PDS in diesem Haus verfolgt, dann könnte man den Eindruck gewinnen, die deutsche Wirtschaft bestehe nur aus seelenlosen Großunternehmern, die feuern und heuern wie zu Zeiten des Manchesterkapitalismus. ({0}) - Es freut mich, dass Sie das bestätigen. - Diese ständigen Behauptungen Ihrerseits sind aber nicht nur unwahr und populistisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei.PDS, sondern obendrein auch unverantwortlich. ({1}) Die anhaltend gute Konjunktur - das ärgert Sie offensichtlich - hat den Arbeitsmarkt in Deutschland längst erreicht und bestätigt den von der Bundesregierung eingeschlagenen Kurs. Binnen Jahresfrist erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um fast eine halbe Million. Die Tendenz ist steigend. Der überaus positive Saldo der Arbeitsmarktzahlen soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Stellenabbau gegeben hat. Die medienwirksamsten Fälle wurden bereits angesprochen; sie sind allgemein bekannt. In der Regel handelt es sich hierbei in der Tat um Managementfehler, die man wahrlich nicht der Bundesregierung zuschreiben kann. In meinem Wahlkreis Berlin-Spandau befinden sich zahlreiche Industrieunternehmen. Auch dort gab es in den letzten Jahren Werksschließungen und Stellenabbau. In meinen Gesprächen mit den Betroffenen konnte ich die Verzweiflung spüren. Entlassungen sollten für ein Unternehmen niemals eine leichte Entscheidung sein. Besonders bei größeren Unternehmen muss sich das Management auch und gerade seiner sozialen Verantwortung bewusst sein und bedenken, was es für einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin und deren Familien bedeutet, wenn er oder sie entlassen wird. Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, wenn große Konzerne medienwirksam Rekordgewinne verkünden und im nächsten Augenblick einen drastischen Stellenabbau ankündigen. ({2}) - Ich hoffe, Sie bestätigen gleich meinen nächsten Punkt. - Unverständlich ist für mich aber auch die Wirtschaftspolitik der Linkspartei.PDS. Sie ist nicht nur unverständlich, sondern auch erfolglos, wie die Zahlen in Berlin zeigen, wo Sie den Wirtschaftssenator stellen. ({3}) Statt sich um Investoren in dieser Stadt zu kümmern - ich denke dabei zum Beispiel an den Flughafen Tempelhof -, ruft Ihr Senator indirekt zum Boykott von Produkten von Bayer Schering Pharma auf. ({4}) Diese Reaktion auf den angekündigten Stellenabbau ist wohl kaum dazu geeignet, irgendeinen Arbeitsplatz bei Bayer Schering Pharma zu retten. Vielmehr macht dieses Beispiel Ihr gestörtes Verhältnis zur Wirtschaft deutlich. ({5}) Anstatt um Investoren zu werben, werden diese in der Bundeshauptstadt beschimpft und vergrault. Berlin verliert nach und nach seine industrielle Grundlage, und den PDS-Wirtschaftssenator Wolf kümmert das nicht einmal. ({6}) Bevor Sie andere verantwortlich machen, sollten Sie ganz genau dahin schauen, wo Sie regieren und wo Sie Verantwortung tragen. Ich schlage Ihnen vor: Korrigieren Sie Ihre verfehlte Wirtschaftspolitik. Die können Sie korrigieren; denn dafür tragen Sie Verantwortung. ({7}) - Das zeigen Ihre Zwischenrufe nur zu deutlich. Ich freue mich darüber. Ich verstehe bis heute nicht - ich hoffe, dass Sie es mir irgendwann einmal erklären werden -, warum Sie immer noch der Planwirtschaft nachtrauern. Begreifen Sie endlich: Staatswirtschaft und Planwirtschaft haben ausgedient. Es ist vorbei. Warum hat die Planwirtschaft ausgedient? Weil sie im Staatsbankrott endete. Das müssen Sie viel besser wissen als ich. ({8}) Meine Damen und Herren von der Linkspartei, PDS, statt Unternehmer zu schelten und mit Unterstellungen zu arbeiten, sollten wir darüber diskutieren, wie wir Beschäftigung in Deutschland erhalten und ausbauen können. Die großen Unternehmen kennt jeder. Sie werden viel zu oft mit der deutschen Wirtschaft gleichgesetzt. Die Realität in diesem Land sieht aber anders aus. 99,7 Prozent von 3,4 Millionen Unternehmen in Deutschland gehören zum Mittelstand. Er ist der Jobmotor unserer Wirtschaft und sichert den weitaus größten Teil der Arbeitsplätze in Deutschland. Damit das auch zukünftig so bleibt, muss der Mittelstand weiterhin im Fokus der Bundesregierung stehen. Ich bin ganz optimistisch - die Zahlen zeigen, dass der Mittelstand wieder einstellt -, dass es im Mittelstand vorangeht. Der Mittelstand ist wieder optimistisch. Es gibt mehr Optimisten in unserem Land und damit Potenzial für neue Arbeitsplätze. Einzig und allein Sie von der Linkspartei, PDS haben das noch nicht verstanden und verwalten Depressionen in unserem Land, die wir nicht gebrauchen können. ({9}) Ich möchte meine Rede mit einem Dank an die kleinen und mittelständischen Unternehmer beenden. Sie leisten einen Beitrag für die Zukunft ihrer Unternehmen und auch für die Zukunft unseres Landes. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Herbert Schui für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dobrindt hat mir das Stichwort geliefert. Es geht eigentlich gar nicht um ein einzelnes Unternehmen, sondern ums Ganze. Das Ganze findet - das gilt auch für die Telekom - seinen Anfang bei der Gründung des Gemeinsamen Marktes als Vorläufer der EU. Die Idee beim Gemeinsamen Markt war Deregulierung auf den Gütermärkten einschließlich der Dienstleistungen als ökonomische Güter und darin eingeschlossen die Telekommunikation. Wenn es doch nur bei der Deregulierung der Gütermärkte geblieben wäre! Dass sich das Telefonieren verbilligt hat, wie Herr Dörmann von der SPD sagte, liegt nicht an der Deregulierung oder an der Öffnung des Marktes, sondern vor allen Dingen daran, dass sich eine völlig neue Technik in diesem Bereich durchgesetzt hat. ({0}) Das ist die logische Konsequenz gerade bei den Telekommunikationsmärkten. Das ist der entscheidende Punkt. Durch ein wenig Deregulierung können Sie die Preise nicht senken. Das können Sie nur, wenn die produktionstechnische Voraussetzung gegeben ist. Lassen wir es dabei. Die Grundlage ist, dass über die Deregulierung auf den Gütermärkten gleichzeitig Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten geschaffen worden ist. Nun ist es so, dass die Neueinsteiger im Geschäft der Telekommunikation, die nicht an Tarifverträge gebunden sind, die Löhne sehr weit drücken können. Herr Haustein von der FDP hat ausdrücklich nochmals Flexibilität auf den Arbeitsmärkten gefordert. ({1}) Das wird den Lohn so lange drücken, bis fast niemand mehr von der Masse der Bevölkerung telefonieren kann. Dann haben Sie Ihr Ziel erreicht. ({2}) Dann wird Ihnen wahrscheinlich immer noch nicht deutlich werden, dass die Entwicklungsmöglichkeiten der Unternehmen auch davon abhängen, wie hoch die Masseneinkommen und damit die Löhne sind. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. ({3}) Sie haben der EU also zu einem schlechten Start verholfen. Die Deregulierung auf sämtlichen Märkten, damit verbundene Lohnsenkungen, das Infragestellen und der Abbau der Sozialsysteme, all das führt dazu, dass die EU keine Staatsidee mehr formulieren kann. Wenn Sie über Deregulierung und dergleichen sprechen, dann können Sie doch nicht in Analogie zur Begründung der Französischen Republik über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit reden und auch nicht über das, was in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten steht. Das Einzige, worüber Sie dann noch reden können, sind freie Märkte. Das ist keine Staatsidee. So wird aus der EU niemals ein souveräner Staat. Das ist das Problem. Wenn Sie so weitermachen, dann wird es selbstverständlich niemals zu einer EU-Verfassung kommen. Die Erklärungen dafür werden Sie damit zurückweisen, dass sie populistisch - so hat es Herr Wegner von der CDU/ CSU ausgedrückt - seien. Was ist Ihrer Auffassung nach populistisch? Immer dann, wenn ein unmittelbar einsichtiges und richtiges Argument vorgetragen wird, wenn die Mehrheit des Volkes dieses Argument bereits verstanden hat und zu Aktionen neigt, wenn die Politiker allerdings überhaupt noch nicht begriffen haben, worum es geht, erklären ebendiese Politiker dieses Argument für populistisch und versuchen, sich aus der Argumentation herauszuwinden. ({4}) Das ist ein lausiger Trick. ({5}) - Wenn Sie keinen europäischen Staat wollen, dann bringen Sie doch eine Demarche vor, die den Austritt aus der EU zum Inhalt hat. Warum sind Sie für den Verfassungsvertrag, wenn Sie keinen europäischen Staat wollen? ({6}) Dann können Sie diese ganze Angelegenheit doch ablehnen. Mein letzter Punkt bezieht sich auf den Mittelstand. In einem Antrag, den die FDP vor einem Jahr eingebracht hat, habe ich gelesen, dass Mittelstand eine Geisteshaltung ist. ({7}) Daraufhin habe ich bei einigen philosophischen Fakultäten nachgefragt, ob Mittelstand eine Geisteshaltung sein könne. Die Reaktion war bedenkliches Kopfschütteln; eine richtige Auskunft habe ich nicht bekommen. Man konnte sie mir nicht geben. Es hieß, so etwas gibt es nicht. Dem Mittelstand geht es gut, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage groß ist. ({8}) Dann können mittelständische Unternehmer mehr Leute einstellen und ihre Produktionstechnik verbessern. Ihr Bild von der Wirtschaft ist romantisierend, wenn Sie glauben, dass nur der mittelständische Unternehmer aufgrund der ihm eigenen mittelständischen Gesinnung dann in der Lage ist, mehr zu produzieren, mehr Arbeitsplätze zu schaffen - und zwar unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, unabhängig vom Masseneinkommen -, wenn er hofiert wird und wenn die Arbeitsverhältnisse flexibilisiert werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schui!

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sofort. - Sie können die Wirtschaftstheorie mit Ihrem Mythos vom Mittelstand nicht ersetzen. Vielen Dank. ({0}) - Das war populär. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren in dieser Aktuellen Stunde über die Personalpolitik großer Unternehmen in Deutschland. Die Politik, also wir, kann in unserer Marktwirtschaft in die Führung von Unternehmen nur begrenzt eingreifen. Ich spreche hier als Arbeitsmarktpolitikerin und zeige in meiner Rede daher auf, wo unsere Arbeitsmarktpolitik steuernd eingreifen und gestalten kann. Ich beginne mit einem Beispiel aus der Telekommunikationsbranche. Ein in Vollzeit beschäftigter Mitarbeiter in einem Callcenter wird tariflich mit ungefähr 1 600 Euro netto im Monat entlohnt. Ein vergleichbarer Callcenterangestellter eines Billiganbieters verdient nur ungefähr 800 Euro netto im Monat, also nur die Hälfte. Diese Entgeltstruktur hat natürlich Auswirkungen auf das Preisniveau der angebotenen Dienstleistungen. Nun seien wir mal ehrlich! Bei welcher Telefonauskunft rufen wir an? Wählen wir, wenn wir zu Hause telefonieren, einen preiswerten Anbieter, der auch preiswert beschäftigt? Natürlich schauen Verbraucher auf den Preis, aber auch auf Qualität. Doch wer glaubt, dass wir diesen Unterschied im Lohngefüge nur durch Qualität ausgleichen können, der irrt. Das Beispiel zeigt den Wettbewerbsdruck, unter dem beispielsweise die Telekom steht. Dynamik in der Personalstruktur ist ein normaler Vorgang. Der Staat - und damit das Arbeitsrecht - kann in engen Grenzen Einfluss nehmen, wenn unternehmerische Entscheidungen darauf abzielen, Unternehmensstrukturen zu ändern, betriebliche Organisationen umzugestalten, einen Standortwechsel vorzunehmen oder Einsparungen von Arbeitskräften zu veranlassen. Gerade das Beispiel der Telekom zeigt aber, dass es jetzt an den Betriebsparteien liegt, einerseits die notwendige Verbesserung der Servicequalität und andererseits den Erhalt von Arbeitsplätzen miteinander in Einklang zu bringen. Beschäftigungssicherung muss dabei natürlich ein Ziel sein. Aber auch dann, wenn ich hier auf die Verantwortung der Betriebsparteien verweise, gilt: Politik kann handeln. Ich bin stolz darauf, dass wir bei den Koalitionsverhandlungen eine Verständigung darüber erreicht haben, die Mitbestimmung in Deutschland so zu erhalten, wie sie war - auch heute noch ist -, ({0}) und zwar bevor wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen von der Union an einen Tisch gesetzt haben. ({1}) Bezogen auf die Telekom heißt das: Die Telekom plant derzeit, ihren Servicebereich umzustrukturieren und in Servicegesellschaften zu überführen. Die neuen Servicegesellschaften werden unter dem Dach der Deutschen Telekom AG bleiben. Für circa 50 000 Mitarbeiter bedeutet dies eine Überführung und nicht eine Auslagerung. Aufgrund des von mir skizzierten deutschen Mitbestimmungsrechts ist es aber nicht möglich, den Telekommitarbeitern von heute auf morgen zu kündigen, ihr Gehalt zu kürzen oder ihre Arbeitszeit einfach mal so zu verlängern. Hier hat die Politik den Betriebspartnern durch die Mitbestimmung große Gestaltungsspielräume ermöglicht. Darauf bin ich als Sozialdemokratin stolz - da bin ich ganz ehrlich -; denn Mitbestimmung ist für uns ein hohes Gut in Deutschland. Um die Möglichkeiten des politischen Handelns aber noch an einem anderen Beispiel konkret zu machen, gehe ich auf die aktuelle Debatte bei den Postdienstleistern ein. Minijobs und Armutslöhne bei den neuen Postdienstleistern verdrängen bei der Deutschen Post AG sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mit tariflicher Bezahlung. Bei den neuen Postdienstleistern gibt es fast nur prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Diese taugen nur als Hinzuverdienstmöglichkeit mit Zweitjob oder zum Bezug von aufstockendem Arbeitslosengeld II trotz Vollzeitarbeit. Aber auch hier kann Politik handeln und ist nicht machtlos. ({2}) Das zeigen uns 20 europäische Nachbarstaaten, ({3}) die einen Mindestlohn eingeführt haben. ({4}) Diese Länder sorgen mit ihren Mindestlöhnen für Mindeststandards. In Deutschland haben wir soziale Mindeststandards bereits im Arbeitsschutz, Jugendschutz, Kündigungsschutz und Arbeitszeitgesetz. Nun ist es meiner Meinung nach an der Zeit, ({5}) mit gesetzlichen Regelungen zum Thema Mindestlohn aktiv zu werden. Für das Baugewerbe haben wir mit dem Entsendegesetz schon eine tragfähige Lösung gefunden. Heute MitKatja Mast tag haben wir bereits entschieden, das Entsendegesetz auf die Gebäudereinigerbranche auszuweiten, ({6}) und werden somit für 850 000 Beschäftigte in dieser Branche ordentliche Löhne garantieren können. ({7}) Wir alle wissen, zu welchen Bedingungen Putzfrauen und Putzmänner derzeit in Deutschland arbeiten, gerade auch Putzkräfte aus anderen Ländern, speziell hier in Berlin. Aber wir haben es in der Großen Koalition geschafft, dass 850 000 Menschen in Deutschland von diesem Mindestlohn profitieren. Auch darauf sind wir Sozialdemokraten stolz. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Peter Weiß hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser von der Linkspartei beantragten Aktuellen Stunde, die am Freitagnachmittag unter massivem öffentlichen Interesse stattfindet, wirklich etwas Positives erfahren? ({0}) Wenn man die Reden der beiden Vertreter der Linkspartei zusammenfasst, stellt man erstens fest, dass sie suggerieren, der Staat, die Bundesregierung könne regulierend in den deutschen Arbeitsmarkt eingreifen. ({1}) So soll es Ihrer Meinung nach sein. Das Bild des Staatsdirigismus, der Planwirtschaft, das die DDR seligen Angedenkens in den Staatsbankrott getrieben hat, ({2}) soll nun auf die ganze Bundesrepublik ausgedehnt werden. Das ist das Modell. ({3}) Ich finde, das ist ein Schreckensszenario für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. ({4}) Zweitens. Die Botschaft der Rede des Kollegen Schui lautet: Monopole haben etwas Gutes. Er ist gegen Deregulierung und gegen die Öffnung der Märkte. Er hat für Monopolwirtschaft gesprochen. Es ist doch ein Segen, dass wir heute auswählen können, dass Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, dass nicht Monopolunternehmen in verschiedenen Sektoren den Bürgerinnen und Bürgern die Preise diktieren, gleich ob sie angemessen sind oder nicht. Das ist mit Blick auf den Arbeitsmarkt, auf die Möglichkeiten der Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land und auf die Chancen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Schreckensbild. Arbeitsplätze und wirtschaftlicher Fortschritt wachsen unter Wettbewerbsbedingungen und nicht bei Monopolstrukturen. ({5}) Die Linkspartei malt hier ein Schreckensbild an die Wand. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen. Die Verantwortung für das konkrete wirtschaftliche Handeln der einzelnen Unternehmen liegt zuallererst beim Management. In der Tat erwarten wir auch und gerade von den Unternehmen, an denen der Bund noch beteiligt ist, dass das Management zielgerichtete, zukunftsweisende Entscheidungen trifft. Natürlich wünschen wir auch der Telekom wirtschaftlichen Erfolg. Wir wünschen, dass sie sich so aufstellt, dass sie im Wettbewerb mit anderen bestehen kann, dass sie sich auf die Zukunft ausrichtet. Mitverantwortung für die Entscheidungen des Managements tragen auch diejenigen, die die Aufsicht führen. In einem mitbestimmten Unternehmen wie der Deutschen Telekom tragen übrigens beide Seiten, Arbeitnehmerseite und Arbeitgeberseite, in gleichem Maße - der Aufsichtsrat ist paritätisch besetzt - die Verantwortung. Es ist natürlich bedauerlich, dass diese beiden Seiten in der letzten Aufsichtsratssitzung unterschiedlich abgestimmt haben und die Entscheidung durch die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden gefällt wurde. ({6}) An diesem Beispiel lässt sich sehr gut zeigen, dass zu einem erfolgreichen Management auch gehört, die Zusammenarbeit, den Konsens mit den Arbeitnehmervertreterinnen und den Arbeitnehmervertretern zu suchen und solche Kampfabstimmungen, wie sie bei der Telekom stattgefunden haben, möglichst zu vermeiden. In einer solchen Aktuellen Stunde sollte man keine Nebelkerzen werfen. Die Verantwortung für die Entscheidungen in den Großunternehmen unseres Landes - das gilt auch für die Telekom - liegt nicht bei der Bundesregierung. Sie liegt auch nicht in den Händen von uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie liegt zuallererst bei den Unternehmen, bei der Unternehmensführung und bei denjenigen, die als Mitglieder des Aufsichtsrates die Aufsichtspflicht über diese Unternehmen wahrnehmen. Deswegen können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dieser Aktuellen Stunde nur eines mitnehmen: Das, was wir Politiker machen können - das liegt in unserer Verantwortung -, ist, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. ({7}) Peter Weiß ({8}) Dass wir nach Jahren des Arbeitsplatzabbaus in Deutschland unter dieser Großen Koalition endlich die Trendwende geschafft haben, ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Großbetrieben ebenso wie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen und mittelständischen Betrieben, die der eigentliche Jobmotor bei uns in Deutschland sind, die erfreuliche Nachricht. Es geht wieder aufwärts. Es entstehen wieder Arbeitsplätze in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit geht deutlich zurück. Diese Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg. Sie setzt die richtigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Wirtschaft und damit für neue Arbeitsplätze in Deutschland. Auf diesem Weg wollen wir sie tatkräftig weiter unterstützen. Vielen Dank und ein schönes Wochenende. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde ist recht allgemein gehalten. Aber natürlich geht es um die Zukunft der Arbeitsplätze bei der Deutschen Telekom. Wir wissen, es soll bei der Deutschen Telekom keine Entlassungen geben. Aber für die Beschäftigten geht es um die Qualität ihrer Arbeitsbedingungen, um die Höhe ihrer Löhne. Viele haben Angst, dass der Ausgründung in eine neue Gesellschaft irgendwann der Verkauf dieser Gesellschaft folgen könnte, auch wenn das Management hier beruhigt. ({0}) Politik muss diese Ängste und diese reale Bedrohung von Arbeitsverhältnissen ernst nehmen. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt aufgefordert sind, wohlfeile Forderungen an das Unternehmen zu stellen. Die neue Leitung der Deutschen Telekom steht vor großen Herausforderungen, um die knapp 200 000 Arbeitsplätze auf Dauer gegen einen aggressiven Wettbewerb zu sichern. Die Probleme der Deutschen Telekom sind sicher auch hausgemacht, sind Folgen früherer Fehlentscheidungen des Managements, aber auch Folgen der besonderen Belastungen im Vergleich zu den Wettbewerbern durch die Privatisierung vor zehn Jahren. Sie sind aber auch Folgen des Wettbewerbs auf dem Telekommunikationsmarkt. Dieser ist von der Politik gewollt. Durch seine Preissenkungen hat er den Internetboom der letzten Jahre überhaupt erst möglich gemacht. Stellen Sie sich einmal vor, auf die alten Telefonrechnungen wären Handy- und Internetkosten noch draufgekommen. Das hätte ein normaler Arbeitnehmer oder eine normale Arbeitnehmerin nicht mehr bezahlen können. Von daher waren der technische Fortschritt und damit verbundene Preissenkungen natürlich gewollt. Aber dieser Wettbewerb hinterlässt seine Spuren, tiefe Spuren. Nicht zuletzt sind aktuelle technische Neuerungen, vor allem die Umstellung auf internetprotokollbasierte Netze, eine entsprechende Herausforderung. Diese Netze benötigen nur noch 10 bis 20 Prozent des Personals, das bei den alten Techniken notwendig war. Das ist die schwierige Aufgabe von Unternehmensleitungen, Beschäftigten und Gewerkschaften. Aber auch Politik hat eine Aufgabe. Aufgabe der Politik ist es, zu analysieren, welche Rahmenbedingungen auf dem Telekommunikationsmarkt in Deutschland und der Europäischen Union herrschen müssen, um niedrige Preise, modernste Technologie und gute Arbeitsbedingungen gleichwertig zu gewährleisten. Ein guter Anlass dafür ist die Überarbeitung der Regulierung des Telekommunikationsmarktes auf europäischer Ebene. Spätestens mit der Umrüstung auf internetprotokollbasierte Netze sinken die Markteintrittsbarrieren für Wettbewerber noch einmal entscheidend. Das ist der Punkt, an dem man überlegen muss, ob man die bisherigen Formen der Regulierung eins zu eins fortschreibt oder ob man auf ein klares Kartellrecht umstellt, um eine Regulierung, die Druck in Bezug auf Arbeitsverhältnisse macht und an bestimmten Stellen auch ein Hindernis für Investitionen in neue Arbeitsplätze ist, in ein normales Kartellrecht zu überführen. Wir müssen eine Antwort darauf finden, warum Deutschland und die Europäische Union bei den Investitionen in Telekommunikationsnetze hinter die USA, Asien und auch hinter das Europa, das nicht zur Europäischen Union gehört, zum Beispiel die Schweiz, zurückfällt. Diese Investitionen sind die eigentliche Methode, um neue Nachfrage, neue Märkte und damit auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. ({1}) In den USA entstehen neue Telekommunikationsgiganten, in Asien auch. In Zukunft werden sich aber nicht nur Telekommunikationsfirmen gegenseitig Konkurrenz machen, wie wir das heute noch - siehe Zeitungsbeilagen und Plakate gewöhnt sind. Es werden ganz andere Firmen auftreten, denn die Ware Netz, also der Transport von digitalen Daten, wird immer preisgünstiger. Die Konkurrenten der Telekommunikationsfirmen wie der Deutschen Telekom heißen in Zukunft Google, Microsoft, Time Warner und Ebay. Diese unterliegen keiner marktspezifischen Regulierung, sondern werden im Gegenteil von der heutigen marktspezifischen Regulierung noch mit einem günstigen Zugang in die Netze versehen, während sie in ihrem eigenen Bereich zum Teil über natürliche Monopole verfügen, nämlich bei den Inhalten. ({2}) Telekommunikationsmarkt, Fernsehmärkte und Märkte anderer digitaler Medien wachsen zusammen. Deutschland und Europa können auf Dauer nicht drei, sich zum Teil noch widersprechende, marktspezifische Regulierungen behalten. Wir brauchen eine einheitliche Regulierung entlang der Maßstäbe eines durchsetzungsfähigen Kartellrechts. Es muss durchsetzungsfähig, aber auf Dauer nicht mehr marktspezifisch sein. Das schafft neue Luft für Unternehmen wie die Deutsche Telekom für Investitionen. Würden wir nur das Niveau der USA und der Schweiz bei Investitionen pro Kopf in die Telekommunikation erreichen, wäre das in der Europäischen Union eine Verdrei- oder Vervierfachung. Das wären allein für Deutschland zusätzliche 100 000 Arbeitsplätze. Der Markt für diese Dienstleistungen ist da. Darüber müssen wir sprechen und dann auch entsprechend handeln. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller, CDU/ CSU-Fraktion.

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wir bestreiten am Freitagnachmittag eine sehr bemerkenswerte Debatte. Bemerkenswert sind insbesondere die Wortmeldungen der Kollegen von der Linksfraktion. ({0}) Ich frage mich da in der Tat: Was hat es eigentlich den betroffenen Mitarbeitern der Telekom gebracht, was Sie hier heute zum Besten gegeben haben? Vor allem bei Ihren Einlassungen, Herr Dr. Schui, die doch sehr philosophisch waren, habe ich erhebliche Zweifel, ob das in der Sache irgendetwas bewirkt hat. Insofern habe ich schon die Frage zu stellen, inwieweit es notwendig war, diese Aktuelle Stunde durchzuführen, wenngleich ich Ihnen zugestehen will, dass wir uns politisch auch einmal ganz allgemein über dieses Thema unterhalten und uns genau ansehen müssen, was in den deutschen Großkonzernen so abläuft. Es wäre schön gewesen, wenn wir auch die Meinung der Grünen hätten erfahren dürfen. ({1}) Leider war das heute am Freitagnachmittag nicht möglich. Wir verstehen das sicherlich alle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will aber sagen, dass ich trotzdem dankbar für diese Debatte bin, gibt sie doch die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass allen schlechten Nachrichten zum Trotz, die wir leider zur Kenntnis nehmen müssen, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wirklich positiv ist. Ich darf Ihnen noch einmal vortragen, wie die Zahlen, die wir in der letzten Woche zur Kenntnis nehmen durften, aussehen. Wir haben im Vergleich zum Vorjahr einen Abbau der Arbeitslosigkeit um über 800 000 Personen. ({2}) Wir haben 150 000 jugendliche Arbeitslose unter 25 Jahren weniger als im Vorjahr. Wir haben im Vergleich zum Vorjahr 77 000 ältere Arbeitslose weniger. Wir haben vor allem 452 000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. 452 000 Menschen waren letztes Jahr noch arbeitslos und haben jetzt wieder eine Beschäftigung. Ich finde, auch diese Aktuelle Stunde ist durchaus dazu geeignet, sich noch einmal mit diesen Menschen zu freuen, die vor einem Jahr noch arbeitslos waren und jetzt wieder eine Beschäftigung haben. ({3}) Gleichwohl gebe ich durchaus zu, es gab und gibt einen bedenklichen Abbau beim Personal, insbesondere bei großen deutschen Konzernen. Da ist die Telekom kein Einzelfall. Wir haben in den letzten Jahren dort leider einiges zur Kenntnis nehmen müssen. Ich möchte das nicht im Einzelnen vortragen; die Namen sind Ihnen allen bekannt, ob es nun BenQ, Schering, Alcatel, Allianz oder Marktkauf ist. Überall dort hat es einen Personalabbau in erheblichem Maße gegeben. Ich schließe mich all denen an, die auch heute noch einmal die Gelegenheit genutzt haben, um deutlich zu machen, dass man kein Verständnis dafür haben kann, dass man auf Bilanzpressekonferenzen auf der einen Seite große Gewinne verkündet, auf der anderen Seite aber auf derselben Pressekonferenz sagt, wir müssen uns leider von einigen Tausend Mitarbeitern trennen. Dafür habe ich genauso wenig Verständnis. Deswegen ist es gut, dass wir darüber reden. Wenn man sich einmal die Bedeutung der DAX-Unternehmen ansieht, stellen wir fest, die 30 DAX-Firmen haben im letzten Jahr gut 27 Milliarden Euro an Gewinnen ausgeschüttet. Sie haben 3,6 Millionen Menschen beschäftigt. Sie haben trotzdem in den letzten Jahren 44 000 Arbeitsplätze gestrichen. Herr Schui, wenn Sie sagen, Mittelstand sei eine Geisteshaltung, ({4}) weise ich zumindest darauf hin, dass im Mittelstand seit 1995 2,4 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden sind. Ich finde, wir sollten die Debatte heute dazu nutzen, uns bei den kleinen und mittleren Betrieben in unserem Lande dafür zu bedanken, dass sie den Mut aufgebracht haben, in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation noch neue Arbeitsplätze zu schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Trotzdem muss darauf hingewiesen werden, dass man Arbeitgeber braucht, wenn man Arbeitsplätze haben will. Wer möchte, dass Arbeitgeber Arbeitsplätze anbieten, muss insbesondere in der Politik dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen, in denen sich die Wirtschaft bewegt, wettbewerbsfähig ausgestaltet sind. Stefan Müller ({6}) Ich finde, dass die Große Koalition seit ihrem Amtsantritt einiges vorzuweisen hat. Wir haben zum Beispiel den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar dieses Jahres um 2,3 Prozent gesenkt. Auch da gilt die klare Ansage: Jeder finanzielle Spielraum, der noch in diesem Jahr aufgrund besserer wirtschaftlicher Entwicklung und verbesserter Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt entsteht, muss weitergegeben und genutzt werden, und zwar nicht für neue Arbeitsmarktprogramme, vielmehr muss er an die Beitragszahler zurückgegeben werden. Jeder finanzielle Spielraum muss durch Senkung der Beiträge sichtbar werden. ({7}) Wir werden die Politik der Großen Koalition fortführen. Wir setzen den Bürokratieabbau fort. Auch darüber ist schon gesprochen worden. Wir werden noch in diesem Jahr ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht auf den Weg bringen. Das alles sind Dinge, die in letzter Konsequenz - Sie werden es erleben - dafür sorgen, dass es aufgrund der Politik dieser Großen Koalition bis zur Bundestagswahl 2009 deutlich mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geben wird. Wir lassen uns auf diesem Weg nicht beirren. Wir werden so weitermachen. Eine konstruktive Mitarbeit der Opposition wäre erwünscht. Aber im Zweifel schaffen wir das auch allein. Herzlichen Dank und schönes Wochenende! ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen diese Diskussion bis zum Ende, weil wir deutlich machen wollen, dass wir bei dieser Thematik nichts zu verbergen haben und dieser Diskussion nicht ausweichen müssen. Wir hätten diese Debatte nicht gebraucht, um uns klarzumachen, dass es zum Beispiel bei der Telekom um 50 000 Beschäftigte geht. Das sind mehr als zehnmal soviel wie bei Airbus, über die wir so viel diskutiert haben. Um die Dimensionen sichtbar zu machen: Es geht um ein Viertel aller Beschäftigten im gesamten Telekommunikationssektor. Es geht um ein Drittel der Inlandsbeschäftigten der Deutschen Telekom AG. Das sind ungefähr genauso viel, wie bei allen Wettbewerbern zusammen arbeiten. Um so viele Menschen geht es. Das ist ein neues Ausmaß des Beschäftigungsabbaus in der Branche. Es gibt bisher - wir haben es erlebt - jährlich etwa zehntausend Arbeitsplätze weniger bei der Telekom. Aber man muss dazu sagen: Die Gewerkschaften und die SPD haben gemeinsam dafür gesorgt, dass der Personalabbauprozess bei der Telekom bisher ohne betriebsbedingte Kündigungen ausgekommen ist und immer auf der Basis von betrieblichen und tarifvertraglichen Regelungen abgelaufen ist. Wir sind sehr froh darüber, dass wir das trotz aller Schwierigkeiten gemeinsam geschafft haben. ({0}) Welche Verantwortung gibt es heute noch? Wir können natürlich viel über die Liberalisierung auf dem Telekommunikationsmarkt philosophieren. Das ist aber leider Geschichte. Wir müssen feststellen, dass sich der Markt aus einem Bündel von Gründen, die heute schon genannt worden sind und die ich nicht wiederholen will, in einer bestimmten Weise entwickelt. Die Telekom leidet unter Sachzwängen, unter Wettbewerbsdruck, unter Regulierungsdruck und unter Managementfehlern. Die Frage lautet: Was können der Staat, was kann die Regierung in dieser Situation tun? Ich denke, eines kann sie nicht tun. Man muss sich nur einmal überlegen, was passieren würde, wenn sie das tun würde, was Sie von der Linkspartei sich offensichtlich vorstellen. Wenn heute ein Vertreter der Bundesregierung erklären würde, jetzt einmal so richtig in den Aufsichtsrat und in den Vorstand hauen zu wollen, weil das alles so nicht geht, dann möchte ich einmal wissen, was auf den Aktienmärkten passieren würde. Ich möchte wissen, ob ein einziger Arbeitsplatz gesichert würde, wenn wir das so machten, wie Sie es gern hätten. ({1}) Aber was kann man tun? Ich denke, wir müssen dem neuen Vorstand von Herrn Obermann eine Chance geben. Denn er hat zwei richtige Ansätze. Er hat erstens gesagt, dass der Säulenegoismus im Konzern überwunden werden muss. Zweitens hat er gesagt: Wir brauchen Service, Service, Service. Das heißt, Betriebsabläufe müssen reorganisiert werden, Arbeitsprozesse müssen verbessert werden, und die EDV muss in Ordnung gebracht werden. Das ist genau das, worauf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Konzerns sehnsüchtig warten. Der Konzernbetriebsrat hat öffentlich deutlich gemacht, dass er hinter diesen Zielen steht. ({2}) Wir rufen dem Herrn Obermann aber gleichzeitig zu, dass dieser Prozess eben nicht ohne qualifizierte und motivierte Mitarbeiter und nicht im Niedriglohnbereich funktioniert. Man kann den Beschäftigten nicht einfach erklären, dass sie eigentlich zu wenig arbeiten und zu viel verdienen. Der Prozess funktioniert nur mit den Beschäftigten, den Betriebsräten, den Gewerkschaften, der Präsenz in der Fläche und stabilen Zukunftsperspektiven für die Beschäftigten. Das muss jetzt aber auf betrieblicher Ebene und nicht hier im Deutschen Bundestag und nicht in der Bundesregierung ausgehandelt werden. ({3}) Herr Kelber hat gesagt, dass wir eine Neujustierung der Regulierungspolitik brauchen. Das möchte ich unterstreichen. Wir brauchen Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt - Stichwort: Mindestlohn -, und wir brauchen eine Stabilität des jetzigen Minderheitsanteils des Staates, um eine Zerschlagung des Konzerns zu verhinKlaus Barthel dern, wie uns die Beispiele in anderen Ländern gelehrt haben. Eines brauchen wir aber wirklich nicht: Populismus. Herr Schui, ich will hier nicht über einen europäischen Staat philosophieren, sondern nur sagen, was wir von Ihnen in der Telekommunikationspolitik im letzten Jahr hier erlebt haben. Sie haben es abgelehnt, Vorruhestandsregelungen bei der Telekom, bei der Post und bei der Bahn zu ermöglichen, obwohl die Konzerne sie selbst bezahlen wollten, indem Sie die Gesetze, mit denen wir das erlaubten, hier im Deutschen Bundestag abgelehnt haben. Sagen Sie das einmal den Beschäftigten und den Beamtinnen und Beamten der Telekom. ({4}) Sagen Sie den Beschäftigten der Telekom außerdem, dass wir bei der Regulierung nachjustiert haben, dass wir nämlich zum Beispiel die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass die Investitionen ins Breitbandnetz bei der Regulierung begünstigt werden. Stattdessen hat Herr Schui hier damals eine Rede gehalten, bei der man gedacht hat, er wolle das antimonopolistische Bündnis wieder aufleben lassen. Das ist Populismus und passt nicht zusammen. Sie können hier keine in sich schlüssige Politik vertreten. Je nachdem, wie es sich gerade ergibt, tragen Sie sie zum Beispiel auf dem Rücken von Beamtinnen und Beamten aus oder Sie sprechen bei der Regulierungspolitik von scheinbaren Preissenkungen oder wie auch immer. Solange Sie so argumentieren - auch innerhalb eines Politikfeldes -, dürfen Sie sich doch nicht wundern, dass Ihre Kritik, die Sie an der Regierung und dieser Koalition üben, nicht wirklich ernst genommen werden kann. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, geruhsames und friedliches Wochenende, das vielleicht auch Gelegenheit bietet, die heute Nachmittag mehrfach beschworenen Geisteshaltungen zu prüfen und weiterzuentwickeln, um dann mit alten und neuen Einsichten zur nächsten Sitzung des Deutschen Bundestages zu erscheinen. Diese berufe ich auf Mittwoch, den 21. März 2007, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.