Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 f auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der Beschäfti-
gungschancen älterer Menschen
- Drucksachen 16/4371, 16/4421 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und der SPD einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Beschäftigungschancen
älterer Menschen
- Drucksache 16/3793 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 16/4578 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kornelia Möller
bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/4581 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Weichenstellung für eine Verbesserung der
Beschäftigungschancen Älterer
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia
Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN
Beschäftigungspolitik für Ältere - für ein
wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisches
Gesamtkonzept
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Brigitte Pothmer, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bun-
desagentur für Arbeit ermöglichen - Künst-
lerdienste sichern
- Drucksachen 16/241, 16/3027, 16/3779,
16/4578 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kornelia Möller
c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung
und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
({3})
- Drucksachen 16/4372, 16/4420 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die
demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung ({4})
- Drucksache 16/3794 Redetext
Vizepräsidentin Petra Pau
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5})
- Drucksache 16/4583 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß ({6})
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst,
Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Nein zur Rente ab 67
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Brigitte Pothmer, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Neue Kultur der Altersarbeit - Anpassung
der gesetzlichen Rentenversicherung an längere Rentenlaufzeiten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider
({8}), Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Stichtagsregelung für die Altersteilzeit im
RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz ({9}) verlängern
- Drucksachen 16/2747, 16/3812, 16/3815,
16/4583 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß ({10})
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({11}), Klaus Ernst, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
Altersteilzeit fortentwickeln
- Drucksache 16/4552 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({12})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({13}), Klaus Ernst, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
Rente mit 67 - Berichtspflicht zum Arbeitsmarkt nicht verwässern - Bestandsprüfungsklausel konkretisieren
- Drucksache 16/4553 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({14})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Zu dem Entwurf eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz - „RV“ soll wohl „Rentenversicherung“ heißen -,
über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt
je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP, Die
Linke sowie des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Franz Müntefering.
({15})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Konzept der Bundesregierung zum Übergang vom
Erwerbsleben ins Rentenalter enthält vier zentrale Elemente: Erstens. Die Anhebung des Renteneintrittsalters
- schrittweise von 2012 an bis zum Jahre 2029 - auf
67 Jahre, mit Sonderregelungen für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer mit 45 Beitragsjahren. Zweitens. Die
Erhöhung der Beschäftigungschancen Älterer mit der
Initiative „50 plus“. Über diese beiden Punkte entscheidet der Deutsche Bundestag, entscheiden wir heute.
Der dritte Punkt des Konzepts heißt: Ausbau der betrieblichen Säule und der privaten Säule - Riesterrente zusätzlicher Altersvorsorge. Und viertens. Das Bemühen
um alternsgerechte und altengerechte Arbeit und die Ausgestaltung der Phase des Übergangs von der Beschäftigung zur Rente. Diese beiden Elemente stehen noch zur
Diskussion und zur Entscheidungsfindung an.
Wer vor 50 Jahren sein Berufsleben begann, der kennt
noch die 48-Stunden-Woche und weiß, dass damals im
Schnitt zehn Jahre lang Rente gezahlt wurde. Heute haben wir die 35-bis-40-Stunden-Woche und zahlen 17 Jahre lang Rente. Wir treten im Durchschnitt nicht mehr mit
16 ins Berufsleben ein, sondern mit 21. Wir arbeiten auch
in Zukunft nicht länger, sondern weniger lang als die Generationen vor uns. 1960 kamen auf einen Rentner acht
Personen im Erwerbsalter. Heute sind es 3,2 Personen.
({0})
2030 werden auf einen Rentner noch 1,9 Personen im
Erwerbsalter kommen; die Rente würde dann durchschnittlich 20 Jahre lang gezahlt.
Man kann das alles ignorieren. Klug wäre das nicht
und verantwortlich schon gar nicht. Wir haben aber die
Verantwortung, und zwar für heute und für morgen, auch
für die kommenden Generationen. Wir müssen handeln.
({1})
Das Problem ist nicht neu, und einiges ist in den vergangenen Jahren schon getan worden, um die Balance zwischen den Generationen zu wahren und um das System
der beitragsgestützten Alterssicherung, der klassischen
Rente, zukunftsfest zu machen und so lukrativ wie möglich zu halten. Der Rentenniveausatz sinkt bis 2030 auf
rund 43 Prozent. Die Rentenversicherungsbeiträge sollen
bis 2020 nicht über 20 Prozent, bis 2030 nicht über
22 Prozent steigen. Der Eintritt aus Arbeitslosigkeit in
vorgezogene Rente mit Abschlag ist bald erst mit 63 Jahren möglich. Aus der Bundeskasse fließen jährlich rund
78 Milliarden Euro in indirekte oder direkte Rentenzahlungen - übrigens: 78 Milliarden Euro von 265 Milliarden Euro, die der Haushalt insgesamt umfasst. Ich sage
das für die, die schlichtweg mehr Geld aus der Steuerkasse fordern. Auch um diese Perspektive nicht leichtfertig ins Rutschen zu bringen, verschieben wir das Renteneintrittsalter ab 2012 in achtzehn Jahresschritten bis
2029 von 65 auf 67 Jahre. Meine Damen und Herren,
wenn daran Kritik geübt wird, gibt es vor allen Dingen
zwei Fragen, die man ernst nehmen muss. Die erste Frage
heißt: Gibt es denn Arbeit für die, die schrittweise länger
arbeiten sollen und wollen? Die zweite Frage lautet: Kann
man physisch und psychisch bis 67 Jahre arbeiten?
Zur Antwort auf die erste Frage, ob es denn Arbeit
gibt, trägt die Initiative „50 plus“ bei, die wir heute
ebenfalls auf den Weg bringen. 1998 waren 39 Prozent
der über 55-Jährigen in Deutschland in Beschäftigung.
Heute sind es 48 Prozent. Noch vor 2010 wollen wir bei
über 50 Prozent sein. Ich habe keinen Zweifel, dass wir
das schaffen werden.
({2})
Ich bin sicher, das schaffen wir so wie die skandinavischen Länder auch. Dort liegt diese Zahl bei über
70 Prozent. So anders als bei uns sind die Lebens- und
Arbeitsbedingungen dort nicht. Seit Anfang 2006 ist die
Zahl der Arbeitslosen in der Gruppe der über 50-Jährigen in Deutschland um 170 000 gesunken. Es gibt zurzeit 853 000 offene Stellen in Deutschland, 624 000 davon sind unmittelbar bei der BA gemeldet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheidend ist, ob
wir als Gesellschaft wollen. Ob wir wollen, dass Arbeitnehmer nicht mehr mit 50, 55 oder 60 Jahren als unbrauchbar ausgegliedert werden. Ob wir wollen, dass sie
eine echte Chance haben. Wir jedenfalls wollen das.
({3})
Allerdings müssen einige große Unternehmen damit aufhören, ihre Mitarbeiter auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme so früh wie möglich in die Frühverrentung
zu drängen.
({4})
Die Initiative „50 plus“ nimmt bestehende Aktivitäten
auf, die schon seit einigen Jahren zu Erfolgen führen,
und gibt ihnen neue Impulse. Viele Firmen erkennen inzwischen den Vorteil eines vernünftigen Altersmix in ihrer Belegschaft. Es tut sich etwas. Das verstärken wir mit
unserer heutigen Entscheidung. Durch Kombilohn, Eingliederungszuschuss und Weiterbildungsangebote wird
die Integration der über 50-jährigen Arbeitslosen von der
BA und vom Bund gefördert. Die Initiative „50 plus“
kann ein neuer Anfang werden. Man muss es, wie gesagt, nur wollen.
Auf die zweite Frage, ob man überhaupt bis 67 arbeiten kann, gibt es zwei Antworten, die einander ergänzen:
Die erste Antwort lautet: Man kann. In zahlreichen
Berufen geht das, aber nicht in allen. Wir müssen in einer älter werdenden Gesellschaft systematisch darangehen, altersgerechte Arbeiten und altengerechte Arbeiten zu entwickeln und zu aktivieren. Die Humanisierung
der Arbeitswelt, der Arbeitsschutz ist wichtig. Das ist
keine Aufgabe von gestern und vorgestern, sondern
bleibt eine zentrale Herausforderung.
({5})
Arbeit wird immer anstrengend sein; keine Illusion.
Der Verschleiß ist unabwendbar. Aber durch aktiven Arbeitsschutz, gezielte Prävention und vernünftige Arbeitszeitgestaltung ist ein Teil der Belastungen vermeidbar,
die heutzutage insbesondere zulasten der Augen, des Rückens und der Psyche gehen. Ich fordere Arbeitgeber
und Gewerkschaften auf, sich dieser Herausforderung
bewusst und gezielt zu stellen. Seitens der Politik werden wir helfen, soweit das nur geht.
({6})
Aber das ist eine Aufgabe, die vor Ort in den Betrieben
bewältigt werden muss. INQA ist eine Initiative, in der
bereits eine Reihe von Firmen, unterstützt von der Politik, an dieser Herausforderung arbeiten, und zwar mit
Erfolg.
Die zweite Antwort auf die Frage, ob man überhaupt
bis 67 arbeiten kann, lautet: Das ist individuell sehr unterschiedlich. Deshalb braucht man individuelle Antworten. Sie hängen davon ab, welche Arbeit getan werden
soll. Das Argument, dass der 66-jährige Maurer nicht
mehr oben auf dem Gerüst stehen kann, ist in sehr vielen
Fällen richtig. Der 64-jährige Maurer kann das allerdings auch nicht mehr.
({7})
Wenn Invalidität gegeben ist, wird es auch in Zukunft
die teilweise oder volle Erwerbsminderungsrente geben.
Teilrente bleibt grundsätzlich möglich, und die Frage
nach dem Zuverdienst ist gestellt. Altersteilzeit in der
klassischen - überwiegend praktizierten - Form wird es
auch über 2009 hinaus geben. Der Eintritt in die vorgezogene Rente ab 63 muss nicht zu den vollen Abschlägen führen, wenn rechtzeitig dafür gesorgt wird, dass mit
Zusatzbeiträgen an die Rentenversicherung gegengesteuert wird. Arbeitszeit- und Wertkonten können in Tarifverträgen eine größere Rolle spielen als bisher.
Das alles sind Punkte, die - systematischer als bisher für den Übergang aus dem Erwerbsleben in die Rente
genutzt werden können. Wichtig für die materielle Sicherheit im Alter ist, ob es uns in Deutschland gelingt,
generell den Wohlstand zu halten und zu mehren oder
nicht. Neben die gesetzliche Rente, die das Kernstück
der Alterssicherung in Deutschland bleiben wird, muss
zunehmend die zusätzliche Altersvorsorge treten. Rund
17 Millionen Menschen nehmen an einer betrieblichen
Altersvorsorge teil. Inzwischen sind über 8 Millionen in
die Riesterrente eingestiegen. Hier wollen wir im Laufe
des Jahres noch eine Verbesserung erreichen. Die Koalition will, dass Familien mit aufwachsenden Kindern in
der Riesterrente noch stärker gefördert werden als bisher. Wir wollen zudem - da muss die Gestaltung noch
vereinbart werden - den Ankauf von selbstgenutztem
Wohneigentum oder Wohnrechten über die Riesterrente
noch deutlicher als bisher ermöglichen.
({8})
Wir haben den Insolvenzschutz für die Betriebsrenten
verbessert. Wir stützen den Anspruch auf Portabilität
solcher Vorsorge. Wenn die Firma insolvent wird oder
wenn der Arbeitnehmer das Unternehmen freiwillig
wechselt, bleibt die angesparte Altersvorsorge sicher;
dafür garantieren wir.
Wenn die Erhöhung des Renteneintrittsalters 2012
konkret wird, wird die Initiative „50 plus“ schon fünf
Jahre wirken. Sie wird auch darüber hinaus die Erhöhung des Renteneintrittsalters flankieren. Die heutigen
Entscheidungen sind richtig. Es gibt keinen Grund, den
Menschen in Deutschland wegen dieser Entscheidungen
Angst zu machen. Im Gegenteil: Unser Land braucht den
Erfahrungsschatz, das Wissen und das Können der älteren Generation, um seine Wohlstandsfähigkeit auch in
Zukunft zu behalten.
({9})
Wir sichern damit auch die Spielräume für verstärkte
Qualifizierung, Bildung, Ausbildung und Weiterbildung.
Im Jahr 2010 wollen wir in Deutschland 3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben. Für den Bund bedeutet das, dass er rund
6 Milliarden Euro mehr für diese Zwecke einsetzen
muss. Diese Investition in die Innovationsfähigkeit unseres Landes ist keine Garantie, aber die einzige Chance,
dass Deutschland auch in Zukunft Hochleistungsland
und Wohlstandsland bleibt und damit auch ein Land mit
insgesamt guter Alterssicherung. Denn das sind wir. Es
gibt arme Rentnerinnen und Rentner; das ist wahr. Ihnen
haben wir mit der Grundsicherung eine materielle Garantie gegeben. Wahr ist aber auch: Es gab noch nie eine
Generation Älterer, die so zuverlässig und so stabil sozial abgesichert war wie diese; das soll so bleiben. Dafür
kämpfen wir als Regierung und als Koalition.
({10})
Die vorgezogene Rente mit 63 wird 2029 in einem
Hochleistungsland höher sein als eine volle Rente mit 67
in einem Land, das an Schwung verloren hätte. Wir müssen Hochleistungsland bleiben wollen. Deutschland darf
seinen Wohlstand nicht verlieren. Wir müssen jetzt in die
Zukunftsfähigkeit des Landes investieren. Was wir für
die Kinder und die jungen Menschen sowie die Weiterbildung ausgeben, ist der beste Garant dafür, dass die
Rente in Deutschland auch in Zukunft sicher ist und dass
die ältere Generation dann in einem Wohlstandsland eine
Rente hat, von der sie leben kann.
Wir müssen den Gesamtzusammenhang sehen. Was
wir jetzt in die Köpfe und Herzen der jungen Menschen
sowie in Ausbildung, Qualifizierung, Forschung und
Technologie investieren, bildet die Grundlage dafür, dass
2020, 2030 die Renten in Deutschland hoch sein werden,
und zwar so hoch, dass die Menschen davon ordentlich
leben können. Das wollen wir. Und das können wir. Mit
den heutigen Entscheidungen helfen wir, dies vorzubereiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die steigende Lebenserwartung der Menschen in unserem Land stellt wegen der damit verbundenen längeren
Rentenbezugsdauer eine große demografische Herausforderung für die gesetzliche Rentenversicherung dar.
Die Antwort auf diese Herausforderung erfordert nach
unserem Dafürhalten einen Paradigmenwechsel, also einen grundlegend neuen Ansatz bei der Gestaltung des
Übergangs von der Arbeit in die Rente. Nicht mehr ein
möglichst frühes Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess,
sondern eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben
muss zum neuen Leitbild werden.
({0})
Denn tatsächlich sind in der Vergangenheit im Rahmen
der Altersteilzeit ältere Arbeitnehmer regelrecht aus dem
Erwerbsleben gedrängt worden. Viele haben die Frühverrentung bzw. die Altersteilzeit aber auch bewusst als
einen vergleichsweise sicheren Hafen in Zeiten einer
schwierigen Arbeitsmarktlage für Ältere angesteuert.
Die Rente mit 67 ist nicht die einzige Möglichkeit,
der demografischen Herausforderung zu begegnen. Die
FDP setzt diesem Ansatz das Konzept eines flexiblen
Übergangs in die Rente bei gleichzeitigem Wegfall der
Zuverdienstgrenzen entgegen. Bevor ich Ihnen unser
Konzept erläutere, will ich kurz darauf eingehen, warum
wir Ihren Gesetzesvorschlag zur Rente mit 67 ablehnen.
({1})
- In der Anhörung ist sehr deutlich geworden, wo die
Schwachpunkte liegen, Herr Brauksiepe. Das ist zum einen die Tatsache - insofern muss ich dem Minister widersprechen -, dass der weit überwiegende Teil der Betroffenen keine Chance haben wird, bis zum Erreichen
des neuen Renteneintrittsalters von 67 Jahren zu arbeiten.
({2})
Professor Rürup - Ihr Berater, Herr Müntefering - hat
in der Anhörung offen gesagt, es werde unterstellt, dass
40 Prozent der Betroffenen tatsächlich diese zwei Jahre
länger arbeiteten. Das ist schon sehr viel, wenn wir bedenken, dass zurzeit nur noch 22 Prozent der Rentenzugänge aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erfolgen.
Wollen Sie ernsthaft behaupten, Herr Müntefering,
Ihr Konzept „50 plus“ - der zweite Aufguss von Instrumenten, die sich schon in der Vergangenheit als wirkungslos erwiesen haben - werde die Situation grundlegend ändern? Das können Sie getrost vergessen. Ich
denke, Ihr Gesetzentwurf zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen ist genauso ein Etikettenschwindel wie das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen. Was Sie uns damit
präsentieren, ist weiße Salbe. Es ist alter Wein in alten
Schläuchen. Die Wirkung liegt nahe bei null.
({3})
Wenn Sie das anders sehen würden, Herr Kollege
Brandner und Herr Kollege Schaaf, dann hätten Sie doch
in der Abstimmung in Ihrer Fraktion die Überprüfungsklausel mit einem konkreten Beschäftigungsziel scharf
schalten können und sich daran messen lassen, welche
Verbesserungen bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich erreicht
werden können. Das haben Sie aber nicht getan.
({4})
Das ist der eine Punkt, den wir kritisieren.
Ein weiterer Punkt sind die massiven verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Bedenken, die in
der Anhörung vorgetragen wurden und die Ablehnung
Ihres Konzeptes zwingend erforderlich machen. Sie haben nämlich bei dem Versuch, die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 etwas „aufzuhübschen“, eine Ausnahmeregelung für besonders langjährig Versicherte in
den Gesetzentwurf aufgenommen, die auf breiten Widerspruch der Sachverständigen wie auch der Deutschen
Rentenversicherung selbst gestoßen ist. Kritisiert wird,
dass das Vorhaben gegen das Prinzip der Teilhabeäquivalenz verstößt und Frauen, Arbeitslose und freiwillig
Versicherte keine Chance haben, von dieser Sonderregelung Gebrauch zu machen. Insofern gibt es gute Gründe,
mit der Deutschen Rentenversicherung die Verfassungsmäßigkeit zu bezweifeln und mit dem Deutschen Juristinnenbund die Unvereinbarkeit mit europäischem Recht
festzustellen.
Auf diese massive Kritik haben Sie aber nicht reagiert. Sie haben keine Änderungsanträge vorgelegt, um
den Bedenken Rechnung zu tragen. Das ist ein klarer
Verstoß gegen das Struck’sche Gesetz, wonach angeblich nichts so aus dem Bundestag herauskommt, wie es
hineingegangen ist.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Motto lautet vielmehr: Augen zu und durch.
({5})
Ich kann mir vorstellen, dass die SPD-Fraktion nach den
jüngsten Umfragen am liebsten ganz auf die Debatte zur
Rente mit 67 verzichtet hätte. Aber dass Sie uns zumuten, in eineinhalb Stunden zwölf Vorlagen im Parlament
durchzuhecheln, und dass Sie in einer Sitzung des federführenden Ausschusses die Aussprache gar ganz verweigert haben,
({6})
zeigt, dass es Ihnen lieber ist, ein mängelbehaftetes Gesetz im Rekordtempo durch das Parlament zu peitschen,
als gemeinsam nach einer tragfähigen Lösung zu suchen.
({7})
Wir legen Ihnen heute einen Entschließungsantrag
vor, der Eckpunkte eines Konzeptes für einen flexiblen
Übergang in die Rente enthält, den sich einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zufolge zwei Drittel der
Befragten wünschen und den wir für besser geeignet halten, den Bedürfnissen der Menschen nach individueller
und abgesicherter Lebensgestaltung im Alter gerecht zu
werden.
({8})
Ich will Ihnen dieses Konzept in seinen Grundzügen
beschreiben. Erstens soll nach unserem Konzept für alle
Versicherten ab 60 Jahren der Rentenzugang möglich
sein, wobei die Versicherten wählen können, ob sie eine
Vollrente oder eine Teilrente aus den bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Entgeltpunkten beziehen wollen. Voraussetzung für den flexiblen Rentenzugang ist alleine
die Grundsicherungsfreiheit. Die Prüfung erfolgt für die
Bedarfsgemeinschaft, sodass in der Regel auch Frauen
der flexible Rentenzugang ermöglicht wird. Wir gehen
davon aus, dass 90 Prozent der Versicherten diese Möglichkeit werden nutzen können.
({9})
Zweitens. Die Grenzen für Zuverdienst neben dem
Rentenbezug werden aufgehoben. Die Versicherten entscheiden selbst, ob und in welchem Umfang sie neben
einem Rentenbezug noch erwerbstätig sein wollen.
({10})
Dadurch wird es möglich, den Lebensstandard auch bei
einem vorzeitigen Rentenbezug zu halten. Für den Zuverdienst werden Sozialversicherungsbeiträge gezahlt.
Die durch die Rentenbeiträge erworbenen Entgeltpunkte
können vom Arbeitnehmer zur Erhöhung der eigenen
Rente eingesetzt werden.
Drittens. Es gibt einen individuellen Zugangsfaktor,
mit dem berücksichtigt wird, wie lange der Versicherte
arbeitet. Je länger er arbeitet, desto höher sind der Zugangsfaktor und damit die Rente. Es erfolgt eine für jede
Alterskohorte, für jeden Jahrgang individuelle Berechnung des Rentenwertes. Dadurch wird eine gerechte Verteilung der Lasten der Alterung auf die verschiedenen
Jahrgänge erreicht, während im Gesetzentwurf der Koalition die Jahrgänge 1964 bis 1979 besonders stark belastet werden.
Viertens. Wir wollen eine flankierende Reform des
Arbeitsmarktes, sodass diejenigen, die aufgrund der
verstärkten Anreize länger arbeiten wollen, auch länger
arbeiten können.
({11})
Das ist das Konzept. Dieser in vier Punkten umrissene
Ansatz ist im besten Sinne ein liberales Konzept.
({12})
Er setzt auf die freie Entscheidung des Einzelnen, während Sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg ein höheres Renteneintrittsalter anordnen wollen. Er berücksichtigt die verbreiteten Ängste der Menschen in
unserem Lande, im Falle der Arbeitslosigkeit als ältere
Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer auf Hartz IV verwiesen zu werden und jenseits niedriger Schongrenzen
eigenes Vermögen und eigene Altersvorsorge einsetzen
zu müssen.
({13})
Darüber hinaus ist unser Modell - das wird der Regelfall
sein - in den Fällen besonders interessant, in denen bei
reduzierter Arbeitszeit und entsprechend reduziertem
Verdienst eine bisherige Beschäftigung fortgeführt wird.
Hier können durch den Abschlag auf die Teilrente entstehende Lücken nicht nur wieder geschlossen, sondern
sogar überkompensiert, also eine auf Dauer höhere
Rente erreicht werden, was natürlich die Neigung, tatsächlich länger tätig zu bleiben, deutlich erhöhen wird.
Dass trotz oder gerade wegen der Möglichkeit eines
Rentenzugangs ab 60 die tatsächlichen Beschäftigungsquoten älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
steigen werden, zeigen die Erfahrungen in Dänemark
und in Schweden, wo in der Altersklasse 55 bis 65
61 zw. 69 Prozent der Betroffenen noch erwerbstätig
sind. In Deutschland sind es gerade einmal 45 Prozent.
Das ist der springende Punkt: Erst das Gefühl, nicht
mehr arbeiten zu müssen, aber weiter arbeiten zu können, versetzt die Menschen in die Lage, sich für eine
möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben zu entscheiden.
({14})
Jüngere und ältere Arbeitnehmer stehen auch nicht in
einem Konkurrenzverhältnis, wie es uns die Erfinder der
Altersteilzeit weismachen wollen. Nein, die Älteren verdrängen keine Jüngeren, sondern sie treten, wie Professor Sinn in der Anhörung gesagt hat, mindestens additiv
hinzu, wenn sie nicht sogar Komplemente sind. Ältere
Arbeitnehmer sind in der Lage, Jüngere anzuleiten, ihnen zu zeigen, wie man arbeitet, und sie können die Arbeit organisieren. Wenn wir diesen Bereich des Arbeitsmarktes stärken, entstehen zugleich auch zusätzliche
Jobs für die Jüngeren. Deswegen bitte ich Sie heute, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, den Weg für
ein modernes und flexibles Konzept des Übergangs vom
Arbeitsleben in die Rente freizumachen und den Entwurf
zur Rente mit 67 abzulehnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Ilse Falk das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute in zweiter und dritter Lesung die beiden
Vorhaben, nämlich Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen und Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung, zur
Abstimmung stellen, und zwar unverändert zur Abstimmung stellen, dann tun wir das, weil wir überzeugt sind,
dass es auf mittlere Sicht zu dieser Anpassung kommen
muss, um gerade für die jüngere Generation schon heute
ein Stück Verlässlichkeit in der Rentenpolitik zu erreichen.
Lassen Sie mich eines vorweg sagen, weil es eng mit
dem Thema Rente verzahnt ist: Wir haben es in dieser
Koalition geschafft, die Arbeitslosigkeit innerhalb eines
kurzen Zeitraums signifikant zu senken, und, was noch
wichtiger ist, wir haben eine Trendwende im Bereich der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreicht. Seit
einigen Monaten verzeichnen wir hier einen beständig
wachsenden Aufwuchs.
({0})
Dies kann nicht oft genug betont werden, und es ist und
bleibt ein Verdienst der Großen Koalition, dieser Regierung und damit der Bundeskanzlerin, die diese Regierung führt.
({1})
Diese positive Entwicklung bedeutet Einnahmen für
die sozialen Sicherungssysteme und bewirkt natürlich
auch eine leichte Entspannung in der Rentenkasse.
Gleichwohl sind die beiden Gesetze, über die wir heute
sprechen, notwendig. Ich bin dem Bundesarbeitsminister
dankbar, dass er hierzu die Initiative ergriffen hat
({2})
und angesichts der massiven Kritik der Opposition und
zahlreicher Verbände, allen voran der Gewerkschaften,
standhaft geblieben ist.
({3})
Erfreulicherweise steigt die Lebenserwartung. Damit
werden viele in den Genuss einer Rentenbezugsdauer
kommen, die im Vergleich zu der der Generationen vor
ihnen erheblich länger ist. Gleichzeitig - auch das ist die
Wahrheit - werden nach wie vor zu wenige Kinder geboren. Damit stößt der Generationenvertrag, wie wir ihn
seit Jahrzehnten kennen, an seine Grenzen. Deshalb
müssen wir bereits heute Maßnahmen ergreifen, um die
Rente für künftige Generationen zukunftsfest zu machen.
Verbesserte Rahmenbedingungen in der Familienpolitik tragen hoffentlich zur Entschärfung bei. So sollen Elterngeld und mehr Betreuungsplätze den Eltern die Erfüllung des Kinderwunsches und die vielfach
gewünschte Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern.
Dass sowohl Erwerbstätigkeit als auch die Übernahme von Erziehungsaufgaben mit der Notwendigkeit
der Alterssicherung von Frauen heute immer eng verknüpft ist, gilt zwar als selbstverständlich, bedarf aber
ganz sicher noch der Verbesserung. Das soll aber nicht
durch die Verabschiedung dieses Gesetzes erreicht werden; vielmehr muss es ganz sicher an anderer Stelle noch
einmal aufgegriffen werden.
Die Anpassung der Regelaltersgrenze sichert die
langfristige Finanzierbarkeit unseres Rentensystems.
Gleichzeitig geben wir den jungen Menschen damit bereits heute ein Signal, worauf sie sich einzustellen haben.
Erstens: dass die gesetzliche Rentenversicherung
auch in Zukunft eine solide Basis der Altersversorgung
sein wird.
Zweitens aber auch: dass sie dringend zusätzlich sowohl private als auch - nach Möglichkeit - betriebliche
Altersvorsorge betreiben sollten.
Erstaunt habe ich gesehen, dass gerade junge Menschen nicht an den Demonstrationen gegen die rentenpolitischen Maßnahmen teilgenommen haben.
({4})
Offensichtlich haben sie verstanden, dass es um ihre Interessen geht.
({5})
Es war schon interessant, zu beobachten, dass überwiegend diejenigen demonstriert haben, die von den
heute zu beschließenden Maßnahmen überhaupt nicht
betroffen sind.
({6})
Andere, so scheint mir, haben noch nicht einmal realisiert, dass die Anpassung bis zum Jahr 2029 stufenweise
erfolgen wird.
Für die Aufgeregtheiten, die in den letzten Wochen
gerade bei den älteren Arbeitnehmern kräftig geschürt
worden sind, gibt es also keinerlei nachvollziehbaren
Grund. Ich sage das bei allem Verständnis dafür, dass
sich die Älteren mit den jungen Kollegen in dieser Frage
solidarisch fühlen.
Die langfristige Finanzierbarkeit der Rentenversicherung ist allerdings nur ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Ein weiteres wesentliches Anliegen der heute
zur Beratung anstehenden Maßnahmen ist, dass in Gesellschaft und Wirtschaft ein Umdenken stattfinden
muss.
Einerseits werden sich die jüngeren Arbeitnehmer
darauf einstellen müssen, dass sie den gleitenden Übergang in die Rente nicht schon mit 50 Jahren planen können, wie das ihre Eltern teilweise getan haben und zum
Teil immer noch tun. Hier gilt es aufzupassen. Während
das allgemeine Renteneintrittsalter langsam, aber kontinuierlich gestiegen ist, sinkt das Alter des Zugangs in
die Erwerbsminderungsrente nach wie vor. Auch das
muss uns zu denken geben, zumal längst nicht immer
körperliche Beschwerden der Anlass sind, sondern immer häufiger psychische Erkrankungen.
Andererseits muss es auch ein Umdenken in den
Unternehmen geben. Hier müssen Veränderungsprozesse forciert und aktiv begleitet werden. Dazu gehören
nach meinem Verständnis Themen wie Weiterbildung
und die Unterstützung lebenslangen Lernens. Außerdem
müssen für Arbeitnehmer, die körperlich anstrengende
Arbeit und/oder Schichtarbeit leisten, in der Tat Modelle
weiterentwickelt werden, die sie vor gesundheitlichen
Schäden bewahren. Beispiele wie Arbeitsplatzrotation
im Betrieb zur Verhinderung von einseitigen Belastungen oder Anwendung der Erkenntnisse über die körperlichen Auswirkungen der Schichtarbeit müssen umgesetzt
werden. Die Bevölkerungsentwicklung zeigt: Wir müssen in Kürze damit rechnen, dass ältere Arbeitnehmer
auch deswegen gesucht sein werden, weil es gar nicht
mehr genügend Berufseinsteiger geben wird, um den
Bedarf zu decken. Deshalb sind Unternehmen gut beraten, die sich in ihrer Personalpolitik rechtzeitig auf die veränderten Verhältnisse einstellen, schon heute darauf reagieren, die Beschäftigten länger in den Betrieben halten
und auch dazu übergehen, wieder ältere Menschen einzustellen, statt sie über Frühverrentungsprogramme in
die Frührente zu schicken. Die Initiative „50 plus“ mit
einem Bündel von Maßnahmen wird hierbei unterstützend wirksam sein.
Weil die Kritiker hartnäckig das Gegenteil behaupten,
möchte ich einige Anmerkungen zur sozialverträglichen
Ausgestaltung des Gesetzes machen. Der Union war es
ein großes Anliegen, denjenigen, die über Jahrzehnte
hinweg Beiträge gezahlt haben und damit über viele
Jahre Solidarität geübt haben, auch weiterhin einen
vorzeitigen Ruhestand ohne Abschläge zu ermöglichen.
({7})
Deshalb können diejenigen, die 45 Beitragsjahre aufzuweisen haben, weiterhin mit 65 Jahren abschlagsfrei in
Rente gehen.
({8})
Ich will aber nicht verschweigen, dass die Sachverständigen in der Anhörung gerade hierzu kritische Anmerkungen gemacht haben.
({9})
Wir halten die getroffenen Regelungen dennoch für richtig und wichtig. Allerdings scheint es aus meiner Sicht
lohnenswert zu sein, die vorgetragenen Anregungen für
einen flexibleren Ausstieg aus dem Erwerbsleben mit
der gebotenen kritischen Sorgfalt ernsthaft zu bedenken.
({10})
Dabei darf allerdings die Regelaltersgrenze von
67 Jahren ebenso wenig infrage gestellt werden wie die
mit diesem Gesetz verfolgte Zielrichtung.
Auf einen weiteren Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang hinweisen, der mir als Familienpolitikerin
besonders wichtig ist. Wer Kinder großzieht, übt ebenfalls Solidarität mit der Gesellschaft. Deshalb soll die
Familienleistung der Beitragsleistung gleichgestellt
werden.
({11})
Wer Kinder erzieht oder Angehörige pflegt, dem wird
diese Zeit auf die 45 Jahre angerechnet, also drei Jahre
Erziehungszeit, die sich zugleich rentensteigernd auswirken, sowie die Kinderberücksichtigungszeiten, die
zwar nicht finanziell wirksam werden, aber sich mit bis
zu zehn Jahren pro Kind auf die Ermittlung der Beitragsjahre auswirken, plus eventuelle Pflegezeiten.
({12})
Kollegin Falk, jetzt geraten Sie langsam in die Phase,
in der Sie die Redezeit Ihrer Kollegen in Anspruch nehmen.
Letzter Satz. - Uns ist klar, dass damit nicht der
Nachteil der lückenhaften Rentenbiografien der Frauen
ausgeglichen werden kann. Aber ohne diese Regelung
hätten noch viel weniger Frauen die Chance,
45 Beitragsjahre zu erreichen.
({0})
Wir machen damit einen mutigen Schritt in einer Zeit,
die allen Anlass zu Optimismus gibt. Wir machen es für
die Menschen und nicht gegen sie.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Warum das Konzept der Regierung nicht
funktioniert, ist mit zwei Sätzen aufgezeigt: Sie können
nicht sagen, wo die Menschen länger arbeiten sollen,
und Sie können auch nicht sagen, wie sie es machen sollen.
({0})
Das ist Ihr Problem. Deshalb geht Ihr gesamtes Konzept
nicht auf.
({1})
- Da können Sie grölen, wie Sie wollen; das ist Fakt.
Schauen wir uns die Bauindustrie an: Nur 10 Prozent
erreichen das zurzeit geltende Renteneintrittsalter von
65 Jahren. 33 Prozent scheiden wegen Erwerbsunfähigkeit
vorher aus. Das Durchschnittseintrittsalter ist 58. - Sagen
Sie denen doch einmal, wie sie es hinbekommen sollen,
bis 65 zu arbeiten, ohne dass Sie das Gesetz ändern!
Wenn Sie das können, dann haben Sie vielleicht eine
Chance, hier ernst genommen zu werden.
({2})
Das Institut der Bundesagentur für Arbeit, das IAB,
hat festgestellt: 1,2 bis 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze sind notwendig, um das einigermaßen hinzubekommen. - Wo sollen die denn sein? Wir erleben doch
gerade das Gegenteil. Schauen Sie sich einmal um! Trotz
des Aufschwungs erleben wir einen Arbeitsplatzabbau.
Wo bitte schön sollen denn die Menschen arbeiten? Ihr
Konzept ist eine pure Luftnummer.
({3})
Weil auch Sie von der Sozialdemokratie das wissen
- mein Kollege Schaaf weiß das ebenfalls -, haben Sie
den Antrag abgelehnt, der von einigen Sozialdemokraten
eingebracht wurde und darauf zielt, zumindest hinzubekommen, dass der Anteil - ({4})
- Ihr habt ihn gar nicht abgestimmt. Ihr habt ihn verschoben nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiter
weißt, gründe einen Arbeitskreis. - Das macht ihr gerade; das ist eure Praxis.
({5})
Sie glauben selber nicht, dass Ihr Konzept aufgeht.
Ihr Konzept hat einen wesentlichen Nachteil, nämlich
den, dass es nicht aufgeht; das wissen Sie. Wenn Sie
denken würden, es tatsächlich hinzubekommen, dass der
Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit im Jahr 2010 bei
über 50 Prozent liegt, dann hätten Sie es beschlossen.
Wenn Sie wirklich glauben würden, dass Ihr Konzept
funktioniert, dann hätten Sie den Vorschlag des DGB
ernst genommen, der empfohlen hat: Macht die Rente
mit 67 dann, wenn die Arbeitslosigkeit auf 2 Millionen
gesunken ist. - Das traut ihr euch aber hinten und vorne
nicht. Das ist der Grund.
({6})
Was übrig bleibt, ist eine Rentenkürzung: Wer heute
40 Jahre arbeitet, erhält nach 40 Versicherungsjahren
circa 950 Euro. Angenommen, wir hätten das, was Sie
jetzt beschließen, schon vor 30 Jahren gemacht, dann
läge die Rente jetzt bei 750 Euro, bei Einführung der
Rente mit 67 läge sie sogar bei nur 700 Euro. Das ist Ihr
Konzept. Das ist eine pure Rentenkürzung. Sie machen
Politik zulasten der Leute.
({7})
- Da könnt ihr euch aufregen, wie ihr wollt. Ich weiß,
dass es euch nicht gefällt, wenn man euch die Wahrheit
sagt. Es gab einmal eine Sozialdemokratie, die den Namen
auch verdient hat. Davon seid ihr himmelweit entfernt.
({8})
Ich will euch noch etwas sagen, Kolleginnen und Kollegen:
({9})
Die Rente mit 67, wenn sie denn eingeführt wird, macht
0,3 bis 0,5 Beitragssatzpunkte aus. Da frage ich mich:
Geht es Ihnen wirklich darum, den Beitragssatz stabil zu
halten? Das wesentliche Problem Ihres Ansatzes ist, dass
Sie von der Beitragsstabilität ausgehen und nicht davon,
dass wir in diesem Land eine vernünftige Rente brauchen.
Das ist Ihr Problem. Ich sage Ihnen, worum es wirklich
geht. Bleiben die Beiträge wirklich stabil? Das ist doch
überhaupt nicht wahr. Die Beiträge bleiben nur für die
Arbeitgeber stabil. Die Arbeitnehmer werden sich zusätzlich versichern müssen und bei Weitem mehr Belastungen
haben als gegenwärtig. Das ist die Realität.
({10})
Die Forschungsgruppe Wahlen sagt, dass gegenwärtig
83 Prozent der Bürger in unserem Land das Anheben des
Renteneintrittsalters ablehnen, 78 Prozent aus dem Lager
der Union, 84 Prozent der SPD-Mitglieder. Ich habe
Herrn Weiß im Ausschuss gehört. Er hat gesagt, die Zustimmung der Bürger zu diesem Konzept nehme zu. Ich
weiß nicht, von welcher Skatrunde er das hat. Das ZDFPolitbarometer sagt etwas anderes. Deshalb sage ich Ihnen:
Was Sie hier machen, ist eine Politik gegen die große
Mehrheit der Bürger unseres Landes. Deshalb haben Sie
den Anspruch, Volkspartei zu sein, verwirkt.
({11})
- Dazu muss ich Folgendes sagen, Herr Kollege: Wenn
man das Parlament durch den Haupteingang und nicht
durch den Hintereingang betritt, stellt man fest, dass über
dem Eingang „Dem Deutschen Volke“ steht. Wenn ihr so
weitermacht, müsst ihr draufschreiben: „Der Deutschen
Versicherungswirtschaft“. Das kommt eurer Politik nämlich
näher.
({12})
Zum Schluss möchte ich Folgendes anmerken:
({13})
Gewerkschaften und Arbeitnehmer werden es nicht vergessen, wenn ausgerechnet die Sozialdemokratie, die ihre
Verbindung zu den Gewerkschaften so gerne betont, so
etwas macht. Heute früh habe ich gesehen, dass der Kollege Steppuhn, ein Mitglied Ihrer Fraktion, gegen dieses
Konzept stimmen wird. Im Gegensatz zu Ihnen, Kollege
Brandner, versteht er noch etwas von der Praxis. Er
weiß, was das bedeutet.
({14})
Gegenwärtig würde die SPD 25 Prozent der Stimmen
erhalten. Sie nähern sich zielstrebig, von oben, dem
Projekt 18. Das haben Sie auch verdient. Wenn man, wie
Sie, die Arbeitnehmer auf die Weise betrügt, dass man
vor der Wahl das Gegenteil von dem sagt, was man
nachher macht, und sich dann auch noch über die Beschwerden aufregt, wie Herr Müntefering, dann kann ich
dazu nur sagen: Sie tragen dazu bei, dass der Politiker in
diesem Land inzwischen den Ruf eines Trickbetrügers
hat. Hören Sie auf mit dieser Politik!
({15})
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk
für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viele von uns waren in den letzten Monaten zu Veranstaltungen von Gewerkschaften und Verbänden eingeladen.
Dort wurde deutlich: Die Rente mit 67 ist gewiss keine
populäre Entscheidung, vor allem weil die meisten Menschen diese Entscheidung vor dem Hintergrund der
heutigen Arbeitsmarktsituation sehen; wir haben gerade
gehört, dass das bei der Linksfraktion ähnlich ist.
Dabei ist eines klar, Herr Ernst: Wenn die Rente mit 67
voll wirksam wird, also im Jahre 2029, wird es aufgrund
der demografischen Entwicklung 8 Millionen Menschen
im Erwerbsalter weniger geben.
({0})
Wenn Sie die Ihrer Meinung nach zusätzlich benötigten
1,2 Millionen Arbeitsplätze davon abziehen, haben wir
immer noch eine erkleckliche Summe. Ihr Argument
können Sie also vergessen.
({1})
Die Unternehmen werden also, ob sie wollen oder
nicht, ihre Jugendzentriertheit aufgeben und sich auf
eine alternde Belegschaft einstellen müssen. Die lange
Übergangszeit von 22 Jahren schafft Planungssicherheit.
Betriebe können rechtzeitig in die betriebliche Weiterbildung und Gesundheitsförderung sowie in eine bessere
Arbeitsorganisation investieren.
Für uns Grüne ist die Integration Älterer in den
Arbeitsmarkt eine wesentliche Voraussetzung für die
Rente mit 67.
({2})
Wir erwarten von der Regierung, dass sie uns alle zwei
Jahre die Beschäftigungssituation der über 55-Jährigen
darlegt, damit möglicherweise weitere Maßnahmen ergriffen werden können.
Wir stehen zu einer schrittweisen Erhöhung des Rentenalters, wie sie auch in Großbritannien, Dänemark und
Portugal vorgesehen ist. Wir Grüne stehen dazu, und das
auch in der Opposition. Wir wollen nämlich, dass auch
unsere Kinder noch eine verlässliche Rente bekommen.
({3})
Die Linksfraktion macht es sich einfach. Sie leugnet
die demografische Entwicklung. Neuerdings hat sich
auch die FDP der Fundamentalopposition angeschlossen.
({4})
Noch in der Bundestags-Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“ waren Sie mit uns für eine Verlängerung
der Lebensarbeitszeit. Aber, Herr Kolb, was stört Sie
schon Ihr dummes Geschwätz von gestern?
({5})
Ich kann dazu nur sagen: Mit einer solchen Position haben
Sie ein Dauerabo für die Opposition gebucht.
({6})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sehr gerne, Herr Kolb.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, wären Sie bereit, mir
zuzustimmen, dass Sie hier ein doppelbödiges Spiel
betreiben?
({0})
Sie wollen doch die Rente mit 67 ablehnen und haben
kein eigenes alternatives Konzept.
({1})
Die FDP allerdings hat sich der Mühe unterzogen, hier
einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten, wie die längere
Teilhabe älterer Menschen am Erwerbsleben tatsächlich
gewährleistet werden kann. Das unterscheidet uns.
Wir betreiben keine Fundamentalopposition. Wir
bewerten - genau wie Sie - kritisch den Vorschlag der
Regierung und werden - genau wie Sie - diesen Vorschlag
ablehnen. Wir aber haben einen eigenen Vorschlag anzubieten, von dem wir glauben, dass er besser ist.
({2})
An der Stelle stehen Sie ziemlich nackt da. Wären Sie
bereit, mir zuzustimmen?
({3})
Herr Kollege Kolb, ich freue mich, dass Sie meine
Redezeit verlängern. - Haben Sie vielleicht einmal auf
die Tagesordnung geschaut, ob ein Entschließungsantrag
der Grünen-Bundestagsfraktion darauf steht,
({0})
der da lautet, dass wir für die Rente mit 67 sind, dass wir
eine Teilrente vorsehen, dass wir die Ausnahmeregelung
ablehnen?
({1})
Haben Sie das vielleicht einmal gelesen?
Nun zu Ihrem Konzept. Ich hatte eigentlich nicht so
viel Redezeit, aber wenn Sie mich dazu auffordern, sage
ich etwas dazu.
({2})
Sie schlagen vor, dass man statt mit 67 mit 60, aber mit
Abschlägen, in Rente geht
({3})
- ja, gehen kann. Wer kann denn diese Regelung in Anspruch nehmen? Das sind die gutverdienenden Männer,
die eine entsprechend hohe Rente haben.
({4})
Sie wissen ganz genau, dass sich das Intentegehen
mit 60 und den damit verbundenen Abschlägen in Höhe
von 25 Prozent nur leisten kann, wer ein hohes Einkommen
hat.
Schauen Sie sich einmal die durchschnittliche Rente
von Frauen an! Sie haben gesagt, von der Möglichkeit
könne nur jemand Gebrauch machen, der mindestens das
Grundsicherungsniveau erreicht. Die durchschnittliche
Frauenrente liegt heute bei 500 Euro. Viele Frauen
könnten überhaupt nicht in den Genuss Ihrer Regelung
kommen. Darum lehnen wir einen solchen Blödsinn ab.
Er ist Ausdruck der Klientelpolitik und passt zu Ihnen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten von
Norbert Blüm sind vorbei, in denen man den Menschen
vorgaukeln konnte, die Rente sei sicher. Die Menschen
erwarten auch von der Opposition nicht nur Klamauk
oder Opportunismus, sondern ehrliche Antworten.
({6})
Zu diesen ehrlichen Antworten gehört, dass bei uns wegen der niedrigen Geburtenrate und der steigenden Lebenserwartung immer weniger Erwerbstätige immer
mehr und immer länger Renten zahlen müssen.
({7})
Darum gerät der Generationenvertrag zunehmend aus
dem Lot. Heute sind es zwei Erwerbstätige - ich habe da
andere Zahlen als Sie, Minister Müntefering -, die für
eine Rente aufkommen müssen, ohne Reformen wäre
das Verhältnis künftig eins zu eins.
Es gäbe andere Möglichkeiten zur Stabilisierung der
Rentenversicherung: Man kann die Beiträge erhöhen;
aber damit belastet man einseitig die Erwerbstätigen.
Man kann auch das Nettorentenniveau kürzen; dann betrifft das aber nur die Rentnerinnen und Rentner.
({8})
Das wäre eine Rentenkürzung. - Beide Lösungen scheiden für uns Grüne aus, weil wir nicht einseitig eine Generation belasten wollen.
({9})
Kollegin Schewe-Gerigk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Gerne, Kollege Ernst.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Arbeitnehmer, wenn sie das Rentenniveau,
das sie heute haben, sichern wollen, zusätzliche Beiträge
in eine private Versicherung geben müssen und damit
natürlich eine faktische Beitragserhöhung haben, die höher ist, als wenn sie paritätisch von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern finanziert würde, oder ist Ihnen das entgangen?
({0})
Das ist mir nicht entgangen, Herr Kollege Ernst. Sie
wissen, dass die Riesterrente inzwischen zu einem Erfolgsmodell geworden ist: 8 Millionen Menschen haben
inzwischen einen solchen Vertrag abgeschlossen. Es gibt
gar keine bessere Anlagemöglichkeit als diese,
({0})
weil sie vom Staat gefördert wird.
Ich sehe hier auf der Tribüne sehr viele junge Menschen. Man kann den jungen Menschen wirklich nur raten, sich rechtzeitig darauf einzustellen.
({1})
Denn wenn wir länger leben werden - und wir wissen,
dass die Lebenserwartung weiter steigt -, dann brauchen
wir sehr frühzeitig eine Absicherung, die auf drei Säulen
steht.
({2})
Dazu gehören die gesetzliche Rentenversicherung, die
gegen Armut sichert, eine private Vorsorge und eine betriebliche Alterssicherung. Diese drei Säulen werden es
ermöglichen, dass die Menschen auch in vielen Jahrzehnten noch ein auskömmliches Leben haben werden.
Dafür stehen wir.
({3})
Wir stehen für Generationengerechtigkeit und darum
unterstützen wir die Initiative von Minister Müntefering
im Grundsatz.
({4})
An dieser Stelle enden allerdings unsere Gemeinsamkeiten; denn meine Fraktion ist nicht bereit, Ihrer neuen abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren zuzustimmen.
({5})
Diese Regelung diskriminiert Frauen, Erwerbslose und
Menschen, die spät in den Beruf einsteigen. Die Regelung ist sozial unausgewogen, verstößt gegen europäisches Recht, ist verfassungsrechtlich bedenklich und finanzpolitisch nicht vertretbar. Zugegeben, das ist jetzt
harter Tobak, aber ich werde das gleich begründen.
Alle Sachverständigen, auch Ihre eigenen, haben das
in der Anhörung so gesehen, und selbst der Bundesrat
hat entsprechende Einwände vorgebracht.
({6})
Herr Minister, ich weiß ja, dass die Sauerländer stur
sind, aber nach derart eindeutigen Aussagen hätte ich erwartet, dass Sie Ihr Gesetz noch einmal ändern. Sie verfahren nach dem Motto - da muss ich Ihnen Recht geben, Herr Kolb -: Augen zu und durch. - Ich kann nur
noch einmal den Bundespräsidenten auffordern, diesem
Gesetz seine Unterschrift zu verweigern.
({7})
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, gaukeln den Menschen vor, die abschlagfreie
Rente nach 45 Jahren belohne Menschen in belastenden
Berufen. Das ist wirklich Etikettenschwindel. Der Dachdecker kommt nicht in den Genuss; der geht nämlich mit
58 Jahren in die Erwerbsminderungsrente. Ein Bauarbeiter kommt wegen Zeiten der Arbeitslosigkeit im Winter
nicht auf die 45 Jahre und eine Krankenschwester erst
recht nicht. Profitieren werden von Ihrer Regelung Angestellte im öffentlichen Dienst, die schon jetzt eine gute
Versorgung haben. Finanzieren müssen das alle Versicherten. Damit haben Sie Ihr Ziel verfehlt; das wissen
Sie auch.
({8})
Nur 4 Prozent der Frauen, die im Jahr 2004 in Rente
gingen, hatten 45 Beitragsjahre erreicht. Bei den Männern waren es 41 Prozent; das ist das Zehnfache, wenn
ich es richtig ausgerechnet habe. Das ist eine mittelbare
Diskriminierung von Frauen.
Nun halten Sie dagegen: Die Erwerbstätigkeit künftiger Frauengenerationen nehme zu und außerdem gebe es
künftig die Kinderberücksichtigungszeiten. - Dieses
Glatteis betrete ich nicht. Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder nimmt die Frauenerwerbstätigkeit
zu, dann werden diese Zeiten gar nicht berücksichtigt,
oder die Frauen geben ihre Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer Kinder auf; dann erhalten sie die Anrechnungszeiten.
Aber um mit den Anrechnungszeiten zu einer abschlagfreien Rente zu kommen, müssten nicht erwerbstätige
Frauen mindestens zehn bzw. 15 Kinder bekommen. Ein
solches Familienkonzept hat, glaube ich, noch nicht einmal Die Linke im Saarland, Herr Lafontaine, oder?
({9})
Frau Kollegin, Sie haben gleich die Möglichkeit,
noch einmal zu sprechen, weil der Kollege Kolb eine
Kurzintervention angemeldet hat. Ich bitte Sie aber, jetzt
zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.
Ich komme jetzt zum Schluss.
Ich frage die Vertreter und Vertreterinnen der Regierungskoalition: Wie wollen Sie eigentlich einer Verfassungsrichterin erklären, dass jemand, der mit 20 in den
Beruf geht, zwei Jahre länger Rente bezieht als jemand,
der das erst mit 22 Jahren tut, aber die gleichen Rentenanwartschaften hat? Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß.
Herr Minister, wenn Sie behaupten
Sie können jetzt nicht noch etwas Neues anfangen.
Bitte den letzten Satz!
- das ist wirklich der letzte Satz -, dass Sie mit dieser
Regelung die Akzeptanz der Rente mit 67 erhöhen, kann
ich Ihnen nur sagen: Das ist keine glaubhafte Politik.
Verkaufen Sie die Menschen doch nicht für dumm! Sie
werden ganz schnell merken, wer die Zeche für Ihre Beruhigungspille zahlen muss. Glaubhafte Politik sieht anders aus. Darum werden wir diesem Gesetzentwurf nicht
zustimmen.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Kolb.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben in Ihrer
Antwort auf meine Frage unser Konzept - ich vermute
einmal: versehentlich - falsch dargestellt. Sie haben
keine weitere Zwischenfrage zugelassen, mit der ich die
Falschdarstellung hätte korrigieren können. Deswegen
muss ich diese Kurzintervention machen.
Erstens will ich Sie darauf hinweisen, dass man nach
dem Konzept der FDP mit 60 in Rente gehen kann, aber
nicht muss. Es ist ein Angebot an ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist eine wirksame Rückfallposition in einer schwierigen Situation, die nicht zuletzt
mit Stimmen der Grünenfraktion in diesem Hause in den
letzten Legislaturperioden herbeigeführt worden ist. Mit
60 den Arbeitsplatz zu verlieren, noch 18 Monate lang
Arbeitslosengeld I zu beziehen und dann auf Hartz IV
zurückgeworfen zu werden - das ist eine menschenunwürdige Situation, die viele Menschen in unserem Lande
belastet.
({0})
Hier sagen wir: Mit dem Angebot der Rente ab 60 wird
es möglich, sich aus eigener Kraft, mit dem, was man bis
zu diesem Zeitpunkt an Anwartschaften erworben hat, in
dieser schwierigen Situation zu helfen. Darum geht es,
Frau Schewe-Gerigk; das muss ich hier deutlich machen.
Zweitens. Ich glaube nicht, dass durch unser Angebot
ein Anreiz zu einer flächendeckenden Verrentung mit 60
erfolgt. Ich weiß nicht, woher Sie die Information haben,
die Abschläge würden 27 Prozent betragen. Ich kann das
nicht nachvollziehen. Nach geltendem Recht sind es
18 Prozent, die man dann aber teilweise ausgleichen
kann. Es ist vollkommen klar: Durch die Kumulation
von Arbeitseinkommen und Rente, die zumindest teilweise versteuert werden muss, lohnt sich der VollrentenDr. Heinrich L. Kolb
bezug ab 60 in der Regel nicht. Aber es wird sehr interessant sein, eine reduzierte Arbeitszeit mit einer
Teilrente zu kombinieren. Damit eröffnet man den Menschen die Möglichkeit, sich Zug um Zug gleitend aus
dem Arbeitsleben zurücknehmen und in das Leben als
Rentner sozusagen hineinzuwachsen. Darum geht es.
Der dritte Punkt, auf den ich hinweisen will. Für die
Prüfung der Grundsicherungsfreiheit stellen wir auf die
Bedarfsgemeinschaft ab. Das heißt, dass auch Frauen,
die in der Regel niedrigere Ansprüche haben, in die Lage
versetzt werden, ihre bis dahin erworbenen Anwartschaften in einen Rentenbezug umzusetzen.
Unser Modell ist kein Modell für Menschen mit höherem Einkommen. Das Modell steht allen offen.
90 Prozent der Bevölkerung werden die Möglichkeit haben, von diesem flexiblen Übergang Gebrauch zu machen. Das sind die Kernpunkte. Sie haben unser Modell
bewusst falsch dargestellt. Deswegen war diese Kurzintervention erforderlich.
({1})
Herr Kollege Kolb, ich glaube, Sie haben mich bewusst missverstanden.
({0})
Ich hatte mich zuerst versprochen, habe aber dann gesagt, dass man mit 60 in Rente gehen kann. - Aber wer
kann denn mit 60 in Rente gehen? Schauen Sie doch einmal in der Dokumentation der Anhörung nach, wie hoch
die Abschläge sein werden, wenn man mit 60 in Rente
geht und das Referenzalter, wie Sie auch sagen, 67 ist.
Das können nur Menschen, die ein hohes Einkommen
haben und nebenbei noch etwas verdienen.
Bei dieser Gelegenheit wollen Sie dann gleich noch
einen Kombilohn für Rentner und Rentnerinnen einführen; denn Sie wissen ganz genau: Wenn man mit 60
in Rente gehen und ohne Hinzuverdienstgrenzen, die Sie
ja beseitigen wollen, erwerbstätig sein kann, dann werden die Menschen sicherlich von der Möglichkeit Gebrauch machen und noch sehr lange arbeiten, hinzuverdienen und ihre Arbeitskraft billig auf dem Arbeitsmarkt
anbieten.
Ich habe Ihr Konzept verstanden. Ich verstehe, dass
die FDP ein solches Konzept vorlegt, weil das wieder
Klientelpolitik ist.
Die Berechnung, wie viele Frauen es sich wegen der
Abschläge nicht leisten können, mit 60 Jahren in Rente
zu gehen, reiche ich Ihnen nach. Wir werden ja sicherlich noch einmal darüber diskutieren.
({1})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Gegen die Rente mit 67 gibt es massive und zuweilen wütende Proteste. Gerade wir Sozialdemokraten waren in den letzten Monaten Zielscheibe
dieser Aktivitäten.
Dieser Streit ist aus meiner Sicht zum Teil in einer Art
und Weise geführt worden, die ich bisher auch aus harten
politischen Auseinandersetzungen nicht kannte. Abgeordnetenkollegen wurden steckbrieflich verfolgt, bedroht und als Arbeiterverräter beschimpft.
({0})
An mir, als jemand, der seine Heimat in der IG Metall
und sein Leben in den Dienst der Arbeitnehmerinteressen gestellt hat, geht dieser Protest nicht spurlos vorüber.
({1})
Um es klar zu sagen: Ich habe Verständnis für die
Sorgen und Ängste der Menschen. Diese Sorgen für die
eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, Ängste zu schüren und die Menschen zu verunsichern, ist jedoch heuchlerisch und verantwortungslos.
({2})
Wir haben es gerade wieder gehört: Erwartet wird, dass
eine Politik nach Meinungsumfragen und möglichen
Wahlergebnissen betrieben wird. Das ist keine Politik
aus Verantwortung. Das ist eine Politik, die den Menschen Angst macht. Kollege Ernst, dafür haben Sie gerade wieder ein Beispiel geliefert.
({3})
Für mich und meine Partei will ich hier jedoch klar
sagen: Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst.
({4})
Wir wissen: Viele Menschen können es sich nicht vorstellen, ihre Arbeit bis zum 67. Lebensjahr durchzuhalten. Natürlich kann man vom Dachdecker nicht erwarten, dass er seine Arbeit auf dem Dachfirst bei Wind und
Wetter noch mit 67 leistet.
({5})
Was kann man zum Beispiel dem Sichtprüfer, der mit
höchster Konzentration stundenlang Tausende von Teilen auf mikroskopisch kleine Fehler untersucht, oder
dem Arbeiter im Dreischichtsystem am Band oder den
Pflegekräften, die nicht nur körperlich, sondern auch
psychisch bis an die Grenzen der Belastbarkeit gefordert
werden, zumuten? Die Antwort kann nicht sein: weitere
Arbeitsverdichtungen, längere Tages- und Wochenarbeitszeiten und weniger Pausen. Nein, wir brauchen eine
tägliche Entlastung, angepasste Taktzeiten und weniger
Belastungen. Wir fordern: Die Arbeitsbedingungen
müssen verbessert werden. Arbeit darf nicht krank machen, Arbeit muss leistbar sein.
({6})
Das heißt, wir brauchen gesundheitsgerechte und altersgerechte Arbeitsbedingungen.
Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wenn
die großen Wirtschaftsverbände die Kraft, die sie für
Forderungen zum Abbau des Kündigungsschutzes, der
Mitbestimmung und der Arbeitnehmerrechte generell
aufbringen, dafür verwenden würden, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, dann wären wir in diesem Land
schon ein wesentliches Stück weiter.
({7})
Wir müssen die Arbeit den Menschen anpassen und
nicht umgekehrt. Auch, um Belastungen zu mindern,
brauchen wir in Zukunft gleitende Übergänge. Die
Altersteilzeit bietet diese Möglichkeit, und die Altersteilzeit läuft nicht aus. Der Bundesarbeitsminister hat es
hier noch einmal deutlich gesagt und den Menschen damit ein Signal des Vertrauens gesandt: Die Altersteilzeitregelung, die durch die Bundesagentur wegen der
hohen Arbeitslosigkeit und der geburtenstarken Jahrgänge besonders gefördert worden ist, aber von vornherein bis zum 31. Dezember 2009 befristet war - also
noch fast drei Jahre gilt -, läuft mit Wirkung des Jahres
2015 aus. Das ist ein langer Planungszeitraum, auf den
man sich einstellen kann. Wir Sozialdemokraten sind
auch bereit, über flexible Übergänge zu reden, durchaus
unter Einbeziehung der Bundesagentur. Aber eine verblockte Altersteilzeitform in der jetzt gültigen Fassung
stellt ein Frühverrentungsmodell dar, das wir im Kern
ablehnen und nicht als zukunftsgerichtet einschätzen.
({8})
Ich will an diesem Punkt auch ganz deutlich sagen: Es
ist schon ungeheuerlich, was die Spitzenverbände der
Wirtschaft in diesem Bereich tun. Hier in Berlin laufen
sie den Abgeordneten die Büros ein und fordern laut die
Abschaffung der durch die Bundesagentur geförderten
Altersteilzeit. Vor Ort, zum Beispiel in den Großbetrieben wie Siemens, Bosch und Daimler, werden die Betriebsräte unter Druck gesetzt, und es wird gesagt:
Würde es die durch die BA geförderte Altersteilzeit
nicht mehr geben, könnten keine Auszubildenden mehr
eingestellt oder Ausgebildete nicht in ein Anstellungsverhältnis übernommen werden. Man muss dazu deutlich sagen: Es ist ein Skandal, was sich teilweise im
Land abspielt. Hier werden Betriebsräte instrumentalisiert. Das ist nicht in Ordnung. Insofern wehren wir uns
gegen diese negative Praxis.
({9})
Für uns, meine Damen und Herren, stand immer fest:
Rente mit 67 kommt nur, wenn ältere Arbeitnehmer
auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen haben. Das ist
die Voraussetzung für die Anhebung des Renteneintrittsalters. Deshalb haben wir im Gesetz auch eine Überprüfungsklausel vorgesehen. Weil es sich um eine verbindliche Überprüfung handelt, sind wir damit eine politische
Verpflichtung eingegangen. Ich kann die Forderung von
Frau Schewe-Gerigk, alle zwei Jahre einen entsprechenden Bericht vorzulegen, nur begrüßen. Aus der von der
Bundesagentur veröffentlichten Statistik geht jeden Monat hervor, wie sich die Zahl der älteren Arbeitslosen in
diesem Land entwickelt bzw. welche Fortschritte beim
Abbau der Arbeitslosigkeit erzielt werden. Die Beschäftigungsquote der Älteren muss steigen; das steht fest.
Mit der Initiative „50 plus“ schaffen wir zum einen Bedingungen, dass Ältere gar nicht erst arbeitslos werden
müssen, und zum anderen sorgen wir durch geeignete
Förderinstrumente dafür, dass diejenigen, die arbeitslos
sind, wieder eine Chance auf Beschäftigung bekommen.
({10})
Es tut sich was in diesem Land, meine Damen und
Herren. Man muss sich nur einmal die Datenlage des
letzten Monats vor Augen führen: Die Zahl der arbeitslosen über 50-Jährigen ist im Vergleich zum Vorjahr, also
von Februar 2006 zu Februar 2007, um 172 000 zurückgegangen. Wir sehen also, dass sich die Verhältnisse ändern. Diesen Prozess müssen wir aktiv gestalten, anstatt
so zu tun, als sei die Welt statisch und die jetzige Ausgangssituation für immer festgeschrieben und nicht veränderbar.
({11})
Deshalb sage ich Ihnen, Kollege Ernst, der Sie von einer
Luftnummer bei der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen gesprochen haben, ganz klar: Wer hier Luftnummern
verzapft, spürt jeder anhand der Datenlage. Wir nehmen
die Zahlen ernst. Wenn Sie auch ernst genommen werden wollen, dann sollten Sie diese harten Daten akzeptieren.
({12})
Der Schlüssel zu längerer Erwerbstätigkeit liegt in der
fortlaufenden Qualifizierung und Weiterbildung der
Beschäftigten, und zwar, bitte schön, nicht nur in der
Führungsetage, sondern aller Beschäftigten. Zu den jetzt
schon wieder von vielen Unternehmen zu hörenden Klagen über Fachkräftemangel sage ich ganz klar: Der Gesetzgeber ist der völlig falsche Adressat. Der Adressat ist
die Wirtschaft selber. Sie hat es jetzt in der Hand, dafür
zu sorgen, dass es genügend Fachkräfte in unserem Land
gibt.
({13})
Wir erwarten in diesem Bereich seitens der Unternehmen ganz klar mehr Anstrengungen und mehr aktive Unterstützung für die Bemühungen der Betriebsräte, die
Arbeitsbedingungen zu verbessern und den Ausbau der
Weiterbildungsmöglichkeiten zu forcieren.
Für uns steht fest: Wir müssen den Rentenzugang flexibilisieren. Das ist eine wichtige Aufgabe. Alle Parteien
haben diese Notwendigkeit bei den Beratungen in der
letzten Sitzung des Ausschusses, die sich zu diesem Themenkomplex über mehrere Stunden erstreckten, Herr
Kollege Kolb, erkannt. Natürlich müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Das ist die Hauptaufgabe
der Unternehmen. Nur so können wir erreichen, dass die
Menschen gesund in Rente gehen können.
Wir wollen die Finanzierungsgrundlage der Rente
stärken. Mehr Menschen in Arbeit; der Weg ist beschrieben. Dazu brauchen wir gutes wirtschaftliches Wachstum; das entwickelt sich zurzeit. Wir wollen die Altersgrenzen an die demografische Entwicklung anpassen.
Wir wissen: Wir starten später ins Arbeitsleben und
leben länger. Es gibt also keine Verlängerung der Lebensarbeitzeit, sondern nur eine Anpassung an die
veränderten Verhältnisse und die Entwicklungen der
Vergangenheit. Wir wollen die Beschäftigungschancen
Älterer erhöhen: durch alternsgerechtes Arbeiten, gleitende Übergänge, flexiblen Ausstieg. Das leisten wir mit
dem Tandem der vorliegenden Gesetzentwürfe. Beide
Gesetze gehören zusammen, und beide sind - davon bin
ich überzeugt - notwendig und richtig und werden das
deutsche Rentenversicherungssystem zukunftssicher in
die nächsten Jahre führen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde für die FDPFraktion.
({0})
Herr Minister Müntefering! Sehr geehrte Damen und
Herren! Frau Präsidentin! Die heutige Debatte um die
Rente mit 67 und die Maßnahmen zur Verbesserung der
Beschäftigungschancen Älterer beschließen ein missglücktes Kapitel sozialpolitischer Reformversuche, auch
wenn heute natürlich versucht wird, das anders darzustellen.
({0})
Die Rente mit 67 und die arbeitsmarktpolitischen Begleitgesetze werden weder den Menschen, die sie betreffen, gerecht, noch lösen sie die anzugehenden Probleme.
({1})
Herr Ernst, warum man die Linke nicht ernst nimmt,
ist mit einem Satz gesagt: Sie bleiben vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung die Antwort
schuldig, wie Sie in der Zukunft ein stabiles und finanzierbares Rentensystem erreichen wollen.
({2})
Frau Schewe-Gerigk, Sie sind eben auf die RiesterRente eingegangen. Die Riester-Rente war nur ein Propagandatrick, um die Rentenkürzung durch Rot-Grün zu
kaschieren. Auch das muss einmal gesagt werden.
({3})
Herr Brandner hat sich mit der Aufgabe von Betriebsräten auseinandergesetzt. Betriebsräte vor Ort sollten
sich weder von Unternehmen noch von Gewerkschaften
oder gar von der SPD instrumentalisieren lassen.
({4})
Sie werden von den Arbeitnehmern vor Ort gewählt.
Deswegen sollen sie unabhängig sein.
({5})
Dann können sie ihre Aufgabe wahrnehmen.
({6})
Die Anhörungen haben gezeigt, dass das vorgeschlagene Paket der Arbeitsmarktmaßnahmen unzureichend
ist. Die Beschäftigungsquote Älterer wird nicht nachhaltig gesteigert. Die von Ihnen aufgeführten Maßnahmen kann man wieder nur als alten Wein in alten Schläuchen bezeichnen.
({7})
Weder die vorgeschlagene Ausweitung von Weiterbildungsmaßnahmen für befristete Arbeitsverhältnisse
noch Lohnzuschüsse werden die Beschäftigung Älterer
signifikant steigern können.
Entsprechend erwartet das Bundesministerium auch
nur eine Zunahme der Beschäftigung Älterer von bis zu
100 000 Personen, was für die 55- bis 64-Jährigen
gerade einmal eine Steigerung von 1 Prozentpunkt von
45 auf 46 Prozent ausmachen würde. Das kann ja wohl
nicht reichen.
Um den anstehenden Aufgaben gerecht zu werden, ist
es nach Ansicht der FDP notwendig, ein grundsätzliches
Umdenken im Bereich der Rentenversicherung anzustoßen und das Verhältnis von Arbeit und Rentenbezug neu
anzupassen. Die Lebensarbeitzeit der Menschen ist zu
verlängern und dafür die Beschäftigungsquote Älterer zu
erhöhen. Dies kann aber nicht durch eine verordnete
Rente mit 67 über die Köpfe der Versicherten hinweg geschehen. Vielmehr müssen Möglichkeiten zum Beschäftigungsaufbau im Alter durch geeignete Rahmenbedingungen und Anreize geschaffen werden.
({8})
Dr. Kolb hat eben den konstruktiven Vorschlag der
FDP dargelegt. Mit einem solchen System wird man den
Interessen Älterer gerecht, wie ich an einem Beispiel
kurz schildern möchte: Ein Versicherter, der mit 60 arbeitslos wird, weil seine Firma insolvent wird, fällt nach
heutiger Rechtslage erst auf das ALG I und nach
18 Monaten auf das ALG II, Hartz IV, zurück. Er muss
dann sein Vermögen einsetzen, bevor er eventuell, wenn
er 45 Versicherungsjahre gearbeitet hat, mit 63 Jahren in
Rente gehen kann. Allerdings unterliegt er dann - heute
bis zum 65., später bis zum 67. Lebensjahr - engen Zuverdienstgrenzen; bei einer Vollrente sind das 350 Euro.
So kann er seine Abschläge nicht durch Zuverdienst ausgleichen und seinen Lebensstandard halten.
Mit dem von der FDP vorgeschlagenen Modell kann
der Versicherte entweder sofort nach der Insolvenz oder
nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes I seine Rente
beanspruchen und sie durch Zuverdienst aufstocken, je
nachdem, was für eine Teilzeitbeschäftigung er finden
möchte und kann.
({9})
Dadurch kann er erstens seinen Lebensstandard halten
und zweitens durch den Erwerb von Entgeltpunkten die
Abschläge für die vorzeitige Rente zum Teil ausgleichen. Den Versicherten könnten so wirkungsvoll die
Ängste vor einem Rückfall auf Hartz IV im Alter genommen werden.
({10})
Mit dem FDP-Modell wird so eine freiheitliche Gestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben zum Ruhestand ermöglicht. Genau dies wünschen sich die
Menschen. Es entspricht auch den Erfordernissen einer
älter werdenden Gesellschaft. Zwar sind die Menschen
immer leistungsfähiger - auch bis ins höhere Alter -;
aber das gilt bei weitem nicht für alle Menschen. Daher
muss gerade im Alter ein Wahlrecht für die Versicherten
geschaffen werden, ihren Möglichkeiten entsprechend
zu arbeiten und ihren Lebensstandard zu sichern.
Ich freue mich, dass auch die SPD Überlegungen anstellt, wie man den Renteneintritt flexibler gestalten
kann, und dass sie die Vorschläge der FDP vielleicht aufgreifen möchte. Auch die Gewerkschaften fordern flexible Regelungen. Was Sie heute vorlegen, ist verfassungsrechtlich bedenklich. Daher lehnt die FDP die
Rente mit 67 ab.
Vielen Dank.
({11})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir gehen heute angesichts einer älter werdenden und
schrumpfenden Bevölkerung einen wichtigen Schritt,
um die gesetzliche Rentenversicherung nachhaltig zu sichern. Deswegen ist dies ein guter Tag für alle, denen
das solidarische Sicherungssystem am Herzen liegt.
({0})
Drei Jahre längere Lebenserwartung bis 2030 und
zwei Jahre längere Lebensarbeitszeit: Das bedeutet immer noch ein Jahr längere Rentenbezugszeit. Wer das
leugnet und darauf basierende Maßnahmen bekämpft,
der versucht, Adam Riese zu bekämpfen. Dieser Kampf
ist nicht zu gewinnen.
({1})
Angesichts eines Rückgangs der Arbeitslosigkeit bei den
über 50-Jährigen um 13,4 Prozent allein in einem Jahr ist
dieser Schritt, den wir gehen, verantwortbar.
Wie richtig dieser Gesetzentwurf ist, kann man sehen,
wenn man sich mit dem beschäftigt, was die Opposition
hier vorgelegt hat. Ich will das einmal tun und beginne
mit dem FDP-Antrag.
Dieser Antrag hat eine Vorgeschichte. Herr Kolb hat
auf dem letzten FDP-Parteitag einen Antrag zur Rente
mit 67 gestellt. Herr Westerwelle und Herr Niebel haben
sich dagegen ausgesprochen. Nach dem Motto „Wir sind
doch Opposition! Warum sollen wir das beschließen?“
ist der Antrag abgelehnt worden. Dann haben Sie lange
über die Frage gestritten, ob Sie nun für die Rente mit 67
oder für die Rente mit 65 sind, Herr Kolb. Das vorliegende Ergebnis ist eine Rente mit 60,
({2})
allerdings nur für diejenigen, die sich das leisten können.
Sie haben die Frage also nicht beantwortet.
Ihren Antrag haben Sie im Ausschuss wenige Stunden
vor der Sitzung vorgelegt. Auf den Hinweis, warum Sie
so lange gebraucht haben, haben Sie gesagt, Sie hätten
ihn schon ein paar Tage vorher über die „FAZ“ eingebracht.
({3})
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ist zwar eine gute
Zeitung, aber sie mit einem Verfassungsorgan zu verwechseln, ist doch seltsam. Man muss sich daher nicht
wundern, dass Sie manchmal Probleme haben, zu prüfen, ob ein Vorschlag verfassungsgemäß ist.
({4})
Herr Kolb, fragen Sie einmal Ihre Friseurin, welche
Rentenansprüche sie mit 60 hat und ob sie davon leben
kann. Fragen Sie einmal ihren Briefträger bei der nächsten Gelegenheit, welche Ansprüche er mit 60 hat und ob
er davon leben kann. Was Sie uns hier vorlegen, ist doch
zynisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
({5})
Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Fricke?
Gerne.
Bitte.
Verehrter Kollege Brauksiepe, es ist ja in Ordnung,
wenn sich die Abgeordneten der Regierungskoalition,
wie das jetzt der Fall ist, lieber Stück für Stück an den
Vorschlägen der Opposition abarbeiten als an den eigenen Vorschlägen. Wenn Sie, was Ihr gutes Recht ist, unsere Vorschläge kritisieren, dann muss ich Sie allerdings
fragen, ob Sie heute wenigstens sagen können: Die
Rente mit 67 ist sicher. Bevor Sie andere kritisieren,
sollten Sie das tun. Ich möchte Sie daher bitten, diesen
Satz zu sagen.
({0})
Herr Kollege, die Kollegin Falk und die Kollegen von
der SPD haben das, was wir zur ersten Lesung eingebracht haben, ausführlich erläutert. Mit den von uns vorgelegten Entwürfen erreichen wir die Ziele, die wir uns
mit Blick auf das Rentenniveau und die Beiträge gesetzt
haben, und das ist auch notwendig. Sie müssen, wenn
Sie schon solchen Unsinn vorlegen, damit leben, dass
darüber geredet wird. Mir ist klar, dass Ihnen das peinlich ist. Wir reden über Ihre Vorschläge, weil sie so unseriös sind, dass man sie nicht umsetzen kann.
({0})
Jetzt möchte ich etwas zu dem sagen, was die Grünen hier vorgelegt haben. Ich will ausdrücklich anerkennen, dass die Grünen den Grundsatz mittragen, dass die
Lebensarbeitszeit verlängert werden muss. Ich kann feststellen: Die Große Koalition und die Grünen erklären gemeinsam: Es muss eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit über einen langen Zeitraum hinweg geben. Nur FDP
und PDS sind dagegen. Das erkenne ich im Hinblick auf
die Grünen ausdrücklich an.
Nun sind Sie am Ende nach langem Versuchen aber
doch in die Populismusfalle hineingeplumpst. Sie nehmen Anstoß an einer Günstigstellung von Menschen, die
besonders lange Beiträge gezahlt haben. Frau Kollegin
Schewe-Gerigk, ich spreche Sie direkt an: Ich bitte Sie
zunächst einmal, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn Sie
sagen, dass bei Bauarbeitern witterungsbedingte Zeiten
der Arbeitslosigkeit nicht mitgewertet werden, dann hat
das etwas mit der Vergangenheit und nichts mit der Gegenwart zu tun. Mit der Einführung des Saisonkurzarbeitergeldes ist dieses Problem gelöst. Ich bitte, das zur
Kenntnis zu nehmen.
Nun gibt es ja in dieser Zeit interessante Entwicklungen. Oft wimmelt unser ganzes Land von Hobbybundestrainern. Seit ein paar Tagen erleben wir, dass die Opposition voll von Hobbyverfassungsrichtern ist,
({1})
die alle mal soeben erklären, was alles angeblich nicht
verfassungsgemäß ist.
({2})
Hobbyverfassungsrichter brauchen wir aber nicht.
Wir haben diese gesetzlichen Initiativen geprüft. Die
jetzige Justizministerin war auch unter Ihrer Regierung
Justizministerin. Warum glauben Sie es nicht, wenn von
diesem Justizministerium erklärt wird, dass die geplanten Regelungen verfassungsgemäß sind? Dies hat seine
guten Gründe, Frau Schewe-Gerigk: Die allgemeine
Mindestversicherungszeit beträgt fünf Jahre. Für untertagebeschäftigte Bergleute kennt das Rentenrecht eine
Wartezeit von 25 Jahren. Da bedarf es nicht der Entgeltpunkte für einen Obersteiger. Und wenn Sie nach
35 Beitragsjahren eine Regelung für langjährig Versicherte in Anspruch nehmen wollen, fragt auch keiner,
welche Entgeltpunkte Sie angesammelt haben. In all diesen Fällen geht es nur um die Beitragszeiten.
({3})
Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Wenn ich meinen Gedanken beendet habe, Frau Präsidentin.
Frau Kollegin, Sie haben hier Folgendes gemacht: Sie
haben sich gedacht: Warum sollen wir von der Opposition ein Gesetz, das umstritten ist, mittragen? Sie haben
ein Haar in der Suppe gesucht, und es leider bei Menschen gefunden, die sehr verdienstvoll zu den sozialen
Sicherungssystemen beitragen. Ich sage Ihnen ganz
deutlich: Langjährige Beitragszahler, Menschen, die
45 Jahre in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt
haben, haben Respekt verdient und nicht die Neiddebatte, die Sie hier führen.
({0})
Herr Kollege, Sie haben gerade von Hobbyverfassungsrichtern gesprochen. Es ist ja so, dass in der jüngsten Zeit Gesetze der Bundesregierung vom Bundespräsidenten kassiert wurden. Würden Sie auch diesen unter
die Hobbyverfassungsrichter einreihen?
Herr Kollege Ernst, ich darf Sie auf die Verfassungslage hinweisen, nach der die Verfassungswidrigkeit von
Gesetzen vom Bundesverfassungsgericht festgestellt
wird und nicht vom Bundespräsidenten.
({0})
Die Verfassungslage ist da eindeutig.
({1})
Der Bundespräsident muss ein Gesetz nicht unterzeichnen; aber er ist nicht für die abschließende Feststellung
der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zuständig.
({2})
Dafür ist das Bundesverfassungsgericht zuständig.
({3})
Wir sehen jeder Überprüfung dessen, was wir hier vorlegen, mit großer Gelassenheit entgegen.
Lassen Sie mich noch wenige abschließende Bemerkungen machen. Wir werden insgesamt ein Gesetzespaket verabschieden, das politisch und auch verfassungsrechtlich Bestand haben wird. Es geht in der Tat darum,
dass man hier politische Entscheidungen treffen muss.
Wir haben uns politisch entschieden, und wir haben uns
verfassungsrechtlich abgesichert. Ich will deutlich sagen: Man sollte sich nicht hinter der Verfassung verstecken, wenn man politische Wertungen vornimmt. Alle
diejenigen, die sich im Ausschuss dazu geäußert haben,
sind nun wirklich keine Verfassungsrichter.
({4})
- Das ist der Unterschied: Ich lasse mich von Experten
beraten.
({5})
Ich muss nicht alles selber wissen, Herr Westerwelle. Ich
nehme das auch nicht für mich in Anspruch.
Wir werden uns noch mit der Initiative „50 plus“ und
der Förderung der beruflichen Weiterbildung beschäftigen. Wie wichtig das ist, sieht man - zwar nicht in der
heutigen Debatte, aber in anderen - am Beispiel des
Herrn Lafontaine. Wer aus Ärger über den Chef die Brocken hinwirft, Jahre später in den Beruf zurückkehrt und
die Zeit dazwischen nicht genutzt hat, sich weiterzubilden, der redet so wie Oskar Lafontaine und die PDS in
dieser Debatte.
({6})
Deswegen ist es wichtig, dass wir älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das ersparen.
Wir treten hier nicht an, um einen Populismuspreis zu
gewinnen - wir tun das, was in dieser Situation notwendig ist. Deswegen darf ich mich bei den Mitgliedern der
Bundesregierung und den Kolleginnen und Kollegen der
Großen Koalition herzlich bedanken, dass wir dies gemeinsam stemmen.
Lieber Klaus Brandner, du hast im Zusammenhang
mit dieser Debatte von persönlichen Verletzungen gesprochen. Lass mich dazu sagen: Diese Art von Debatte,
wie ihr sie jetzt auch erlebt habt, die haben wir schon
über viele Jahre erlebt, auch vor 1998.
({7})
Vielleicht können wir daraus gemeinsam die Konsequenz ziehen, auch wenn wir wieder einmal politische
Gegner sind, dass es Arten des Umgangs miteinander
gibt, die wir nicht wollen und die man sich in einer Demokratie schenken sollte.
({8})
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank an alle, die dieses wichtige Gesetz mit vorbereitet haben. Wir setzen heute das gemeinsam als richtig
Erkannte in der Großen Koalition gemeinsam durch, im
Interesse heutiger und zukünftiger Generationen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Brauksiepe, vom Leiden bei Debatten
verstehen auch wir eine Menge, wenn auch in ganz anderen Zusammenhängen. Zweitens muss ich Ihnen doch
eine kleine rechtliche Belehrung erteilen: Der Bundespräsident ist nicht berechtigt, nach eigenen Vorstellungen zu entscheiden, ob er ein Gesetz unterschreibt oder
nicht. Er ist verpflichtet, Gesetze zu unterschreiben, es
sei denn, sie sind offenkundig grundgesetzwidrig; das ist
der einzige Anhaltspunkt, den er hat.
({0})
Aus diesem Grunde hat er zwei Gesetze nicht unterschrieben.
Ich finde es gut, wenn wir viele Amateurverfassungsrichterinnen und -verfassungsrichter haben, weil das
nämlich bedeutet, dass sie sich Gedanken darüber machen, ob das, was sie beschließen, grundgesetzwidrig ist
oder nicht. Ein Finanzgericht hat gerade festgestellt, dass
Ihre Kürzung der Pendlerpauschale zumindest nach dessen Auffassung grundgesetzwidrig ist, und den Fall deshalb zum Bundesverfassungsgericht geschickt. Ich finde,
etwas mehr Belehrung auf der Strecke ist für Sie sinnvoll.
({1})
Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung; darauf weisen Sie ständig hin. Doch ich würde Sie gerne
einmal fragen, wer von diesem wirtschaftlichen Aufschwung eigentlich etwas hat. Gibt es für die Arbeitslosen irgendeine Verbesserung? Sie haben die Jüngeren
vom Arbeitslosengeld II ausgeschlossen, und es gibt keinen Inflationsausgleich; die Arbeitslosen haben alle Verteuerungen aus eigener Tasche zu bezahlen. Es gibt also
keine Verbesserungen.
Bei den Geringverdienenden kann man nur sagen: Es
gibt jetzt mehr von ihnen. Auch sie bekommen keinen
Inflationsausgleich. Die Geringverdienenden dienen im
Kern nicht nur als billige Arbeitskräfte, sondern auch
zum Vertuschen, wie hoch die Arbeitslosigkeit tatsächlich ist.
({2})
Den Kranken bleiben die Zuzahlungen erhalten. Die
Große Koalition hat eine Gesundheitsreform beschlosDr. Gregor Gysi
sen, die ich in bestimmten Teilen für verfassungswidrig
halte - wieder so ein Amateurrichter.
({3})
Wir werden sehen, ob das eines Tages auch das Bundesverfassungsgericht so einschätzt. Klar ist bei der Gesundheitsreform, dass die Beiträge der Versicherten ständig steigen werden. Den Beitrag, den die Unternehmen
zahlen, wollen Sie dagegen an einer bestimmten Stelle
einfrieren. Das Ganze hat mit mehr sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun, ganz im Gegenteil.
({4})
Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben
Sie trotz der zunehmenden Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz die Pendlerpauschale für die ersten 20 Kilometer gestrichen und für die restlichen Kilometer deutlich gekürzt. Das hat, wie gesagt, bereits das
erste Finanzgericht als verfassungswidrig eingestuft.
Dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas
vom wirtschaftlichen Aufschwung hätten, kann also keiner behaupten.
Zur Lohnentwicklung. Wir sind das einzige neoliberal
geprägte Land, das so konsequent ist, dass die Löhne in
Deutschland in den letzten acht Jahren um 0,9 Prozent
gesunken sind - selbst in den USA, in Großbritannien, in
Frankreich, in der gesamten EU sind die Löhne und Gehälter gestiegen. Nur in Deutschland sind sie gesunken.
Jene haben vom wirtschaftlichen Aufschwung nichts.
({5})
- Jetzt gibt es die erste Ausnahme: Im Bereich der Chemie ist eine Lohnsteigerung von 3,6 Prozent vereinbart
worden. Ich bin sehr gespannt, wie es in den anderen Bereichen ausgeht. Nur, wir müssen hinzufügen: Es gibt
immer weniger Menschen, die tarifgebunden bezahlt
werden; im Osten sind es gerade noch 20 Prozent. Die
anderen Menschen freuen sich schon, wenn sie einen
Haustarif haben.
({6})
Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nützt der
Wirtschaftsaufschwung also auch nicht.
Nun zu den Rentnerinnen und Rentnern, um die es
heute geht. In dieser Debatte geht es weniger um die
heutigen Rentnerinnen und Rentner als vielmehr um die
künftigen - weshalb ich auch nie verstehe, warum die
Grünen immer sagen, das alles geschehe im Interesse der
jungen Leute. Wieso soll es im Interesse der Jungen liegen, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt Rente bekommen?
({7})
- Draußen demonstrieren übrigens gerade 3 000 junge
Leute, weil sie von Ihren Vorschlägen so „begeistert“
sind; das sollten Sie sich einmal ansehen.
({8})
Seit Jahren gab es für die Rentnerinnen und Rentner
Null- und Minusrunden. Jetzt wird beschlossen, das
Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre zu erhöhen.
Bundesminister Glos - der sich gerade amüsiert - und
Bundesminister Schäuble weisen regelmäßig darauf hin:
Das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Sie
müssen das Renteneintrittsalter in Zukunft noch weiter
erhöhen. - Mich würde interessieren: An welches Renteneintrittsalter denken Sie? Wo soll das Ganze enden,
bei 70, bei 75?
({9})
Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Das ist keine Lösung
des Problems.
({10})
Wahr ist aber - hier sind wir gefordert -, dass wir Alternativen anbieten müssen. Es reicht nicht aus, nur zu
sagen, dass einem das nicht passt. Solche Alternativen
gibt es. Wir müssen zum Beispiel über die Frage nachdenken: Wer zahlt eigentlich in die gesetzliche Rentenversicherung ein? Zu Bismarcks Zeiten taten dies
90 Prozent der Beschäftigten, weil 90 Prozent aller Einkommensbezieher abhängig beschäftigt waren. Heute
sind dies nur noch 60 Prozent. Nur 60 Prozent der Einkommensbezieher sind abhängig beschäftigt und zahlen
in die gesetzliche Rentenversicherung ein.
Deshalb schlagen wir Ihnen erstens vor, schrittweise
dazu überzugehen, alle Einkommensbezieher in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Dann wäre
das Finanzierungsproblem an einer entscheidenden
Stelle gelöst.
({11})
Zweitens. Es gibt Beitragsbemessungsgrenzen. Das
heißt, mit dem oberhalb einer gewissen Grenze liegenden Einkommen haftet man nicht mehr für die Rentenversicherung. Wir schlagen Ihnen vor, die Beitragsbemessungsgrenzen schrittweise aufzuheben, sodass man
auch für das höhere Einkommen Beiträge zahlen muss.
Damit die Renten nicht ins Unermessliche steigen, sollte
dieser Rentenanstieg abgeflacht werden. All diese Maßnahmen wären grundgesetzgemäß und möglich.
Schließlich schlagen wir Ihnen vor, bei den Unternehmen die Sozialabgaben, die Sie leichtfertig Lohnnebenkosten nennen, nicht länger nach der heutigen Form zu
berechnen, sondern andere Kriterien heranzuziehen.
Man könnte zum Beispiel die Wertschöpfung der Unternehmen zugrunde legen, um bei der Berechnung flexibler vorgehen zu können und zu gerechteren Ergebnissen zu kommen. Ich möchte nicht, dass ein
Unternehmen, das die doppelte Zahl von Beschäftigten,
aber den gleichen Gewinn wie ein anderes Unternehmen
hat, doppelt so hohe Abgaben wie letzteres Unternehmen zahlen muss. Hier muss man mehr Gerechtigkeit
herstellen. Das wären echte Reformen. Aber Sie ver8680
schieben immer nur alles nach hinten, um die Rente zu
kürzen.
({12})
Lassen Sie mich zum Schluss auf Folgendes hinweisen: Sie ignorieren die ökonomische Tatsache, dass die
Produktivität schneller wächst als die Wirtschaft. Jahr
für Jahr werden in derselben Arbeitszeit mehr Güter hergestellt und mehr Dienstleistungen erbracht; so viel können wir gar nicht verkaufen. In eine solche Zeit passt
eine Kürzung der Arbeitszeit, nicht aber eine Verlängerung der Arbeitszeit um zwei Jahre.
({13})
Es gibt nur zwei Gruppen, die etwas vom Wirtschaftsaufschwung haben - das ist leider viel zu wenig -: die
Best- und Besserverdienenden und ein bestimmter Teil
der Konzerne. Das ist das Problem.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Herr
Gysi, wir stehen tatsächlich zur Notwendigkeit, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, und zwar aus Rücksicht
auf die jungen Menschen und die nachfolgenden Generationen: weil wir sie nicht durch übermäßig hohe Beiträge belasten wollen und belasten dürfen. Durch Ihren
Vorschlag, weitere Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, wird dieses Problem nicht
gelöst. Denn das hätte nicht nur zur Folge, dass es mehr
Beitragszahlerinnen und Beitragszahler gibt, sondern
auch, dass dann eine weitaus größere Gruppe aus dem
Topf der gesetzlichen Rentenversicherung bedient werden müsste und davon profitieren würde.
({0})
Im Rahmen einer Bürgerversicherung wäre das möglich,
auch wenn es hier zu gewissen Verschiebungen kommen
würde. Aber in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung geht diese Rechnung so nicht auf. Hier
muss man zusätzliche Maßnahmen ergreifen. Dazu stehen wir.
Wir sagen aber ganz deutlich, dass die Verlängerung
der Lebensarbeitszeit zwingend mit einem noch größeren Kraftaufwand verbunden sein muss, um ältere Menschen ins Erwerbsleben zu bringen bzw. sie im Erwerbsleben zu halten. Wenn das nicht gelingt, dann ist die
Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein verkapptes Rentenkürzungsprogramm. Ich finde, das muss in diesem
Zusammenhang deutlich gesagt werden.
Herr Müntefering, ich bin tatsächlich der Meinung,
dass die Anstrengungen der Regierung im Rahmen der
Initiative „50 plus“ völlig unzureichend sind. Mit
Ihrem Programm erreichen Sie, wenn alles gut läuft, maximal 100 000 Menschen. Wir haben aber circa 1,3 Millionen arbeitslose Menschen über 50. Das heißt, hier
stimmen die Relationen bei weitem nicht. Die Zahl der
arbeitslosen älteren Menschen stagniert seit Jahren auf
einem hohen Niveau. Daran hat auch der Konjunkturaufschwung nichts Wesentliches geändert. Herr Brandner,
was wirkt, sind in erster Linie die 58er-Regelung, die Altersteilzeitregelung und die Unterbringung von Menschen in Maßnahmen. Mit anderen Worten: Was wirkt,
ist die Statistik. Aber im wirklichen Leben hat es keine
großen Veränderungen gegeben. Das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit hat sich leider nicht verringert.
Es gibt lediglich Verschiebungen im Zahlenverhältnis
von offener zu verdeckter Arbeitslosigkeit älterer Menschen. Hier wird ein Problem mehr verschleiert als tatsächlich gelöst. Das müssen wir, die zu dem Konzept
„Rente mit 67“ stehen, deutlich sagen.
({1})
Das ist einer der zentralen Gründe dafür, dass es in
der Bevölkerung noch immer großen Widerstand gegen
das Konzept der Rente mit 67 gibt. Nach wie vor sind
weit über 70 Prozent gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Großen Koalition, ein weiterer Grund dafür ist,
dass Sie nicht wirklich für dieses Konzept eintreten und
Überzeugungsarbeit leisten.
({2})
Wenn wir - ich sage ganz bewusst: wir - dieses Projekt
erfolgreich umsetzen wollen, dann reicht es nicht, das im
Parlament mit Mehrheit - egal wie groß sie ist - zu beschließen. Vielmehr brauchen wir eine Mehrheit in der
Bevölkerung für dieses Projekt. Das bedeutet, dass wir
dafür kämpfen und argumentieren müssen. Hier darf
man sich nicht in die Büsche schlagen, wie die Vertreter
der Großen Koalition das immer wieder tun.
({3})
Sie versuchen noch nicht einmal, den Menschen diesen notwendigen Schritt plausibel zu machen. Wir Grüne
waren in den vergangenen Wochen und Monaten bei
sehr vielen Podiumsdiskussionen vertreten, genauso
wie Die Linke und die FDP. Diese haben aber Seit an
Seit gegen die Rente mit 67 gekämpft.
({4})
Die CDU glänzte durch Abwesenheit, während sich die
SPD als Gegner der Rente mit 67 präsentierte. Wenn wir
Grüne für die Rente mit 67 argumentieren, dann müssen
wir uns anhören, wir würden das Geschäft der CDU betreiben. Herr Steppuhn, was sagen Sie eigentlich dazu?
({5})
Angesichts dieser Gemengelage sind wir die Einzigen,
die die Rente mit 67 vertreten. Herr Brauksiepe, wir suchen nicht das Haar in der Suppe. Vielmehr sind wir dieBrigitte Pothmer
jenigen, die die Suppe servieren, die Ihre Leute offensichtlich gar nicht essen wollen.
({6})
So kann man die Menschen nicht überzeugen. Sie
müssen den Rücken gerade machen und sich in den
Wind stellen. Opportunismus und Wegducken nutzen
hier gar nichts. So kommen Sie nicht weiter. Wir werden
jedenfalls nicht länger Ihre Aufgabe erfüllen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Pothmer, die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in
dieser Frage nicht wegducken. Wir haben am Dienstag
in großer Einvernehmlichkeit beschlossen, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich sage das ausdrücklich, weil das, was Sie hier dargestellt haben, zumindest nicht in Gänze den Tatsachen entspricht. Viele
von uns waren in den letzten Wochen unterwegs, ich persönlich als rentenpolitischer Sprecher meiner Fraktion,
aber auch Klaus Brandner, Elke Ferner, Ludwig Stiegler
und andere. Wir haben überall, wo es strittig war, den
Kopf für diesen Gesetzentwurf hingehalten und ihn vertreten.
({0})
Dass es auch andere Meinungen gibt, gestehe ich zu.
Dass das Vorhaben in der SPD-Bundestagsfraktion nicht
unumstritten ist, ist kein besonderes Geheimnis. Dass
wir uns heute nicht leicht tun, in einer so wichtigen
Frage für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu
entscheiden, ist für Sozialdemokraten eine Selbstverständlichkeit.
({1})
Zum Gesetzentwurf ist einiges gesagt worden. Deswegen will ich mich zunächst mit dem Entschließungsantrag der FDP beschäftigen. Sehr geehrter Herr Kolb,
Sie haben Ihr Konzept ausdrücklich als liberal bezeichnet. Ich habe Ihr Konzept sorgfältig gelesen. Sie haben
das Aktionsprogramm „50 plus“ als weiße Salbe bezeichnet und festgestellt, es sei nahezu ohne Wirkung. In
Ihrem Entschließungsantrag finden sich Ihre liberalen
Positionen dazu zwar in Klammern gesetzt, aber klipp
und klar wieder: Einschränkungen für ältere Arbeitnehmer beim Kündigungsschutz, bei der Tarifautonomie
und der Betriebsverfassung. Das ist Ihr Aktionsprogramm „50 plus“! Das geht aus Ihrem Entschließungsantrag eindeutig hervor.
({2})
Gott sei Dank haben Sie für diesen neoliberalen Weg
- als liberal kann man ihn nämlich nicht bezeichnen keine Mehrheiten in diesem Haus.
({3})
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen.
Sie haben gefordert, Versicherten ab 60 Jahren den vorzeitigen Rentenzugang zu ermöglichen, wenn sie dies
wollen. In der Anhörung haben aber Ihre Sachverständigen darauf hingewiesen, dass Abschläge in Höhe von
0,3 Prozent pro Monat nicht ausreichen; notwendig seien
vielmehr 0,6 Prozent, also das Doppelte. Bezogen auf
die sieben Jahre, die zwischen einem Rentenzugang mit
60 und der Rente mit 67 liegen, bedeutet das 50 Prozent
Abschläge. Das ist ein Programm für Besserverdienende
und Hochqualifizierte, die sich diese Abschläge leisten
können; das ist aber kein Programm für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihr Leben lang schwer gearbeitet haben.
({4})
Das ist eine Tatsache. Insofern ist Ihr Programm nicht
liberal, sondern zutiefst neoliberal.
Herr Kollege Ernst, Sie haben festgestellt, dass es um
eine Rentenkürzung geht.
({5})
Wenn man aber berücksichtigt, dass wir die Lebensarbeitszeit durch unser aller Dazutun permanent verkürzt
haben und damit die Rentenbezugsdauer immer weiter
angestiegen ist, dann müsste man im Umkehrschluss
feststellen, dass das eine gigantische Rentensteigerung
- nämlich durch die Steigerung der durchschnittlichen
Rentenbezugszeit von zehn auf 17 Jahre - war. Wenn
man wie Sie argumentiert, dann müsste man im Umkehrschluss auch das Argument vorbringen. Das tun wir
nicht.
Wir gehen aber davon aus, dass wir - wenn wir diesen
Schritt nicht gehen würden - die Renten auf absehbare
Zeit noch weiter absenken müssen, als es ohnehin notwendig wird. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns.
({6})
Ich halte angesichts der zu berücksichtigenden Stellschrauben die Rente mit 67 für einen möglichen Weg,
der demografischen Herausforderung zu begegnen. In
der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es drei Stellschrauben: die Beiträge, die für die Rentnerinnen und
Rentner erbrachten Leistungen und die Steuern. Vor diesem Hintergrund ist die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre für uns der verträglichste Weg,
auf die demografischen Herausforderungen zu antworten.
({7})
Was die Erwerbsquote Älterer angeht, haben Sie die
Situation als dramatisch schlecht bezeichnet. Sie ist in
der Tat nicht befriedigend. Genauso unbefriedigend ist,
dass 4,2 Millionen Menschen ohne Arbeit sind. Aber
wenn man die Rente mit 67 ablehnt und die derzeitigen
Arbeitslosenzahlen und die Beschäftigungsquote älterer
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Zukunft
projiziert, dann konstatiert man damit, dass man nicht
mehr daran arbeitet, die Arbeitslosigkeit zu verringern.
Die Sozialdemokraten werden es aber nicht hinnehmen,
dass die Arbeitslosenquote auf dem derzeitigen Stand
bleibt.
({8})
Wir finden uns mit dieser Tatsache nicht ab. Darin besteht der entscheidende Unterschied zwischen uns.
Was beispielsweise Ihre Äußerung angeht, es hätte
eine Quote festgelegt werden müssen, will ich Ihnen entgegenhalten, dass sich seit dem Jahr 2000 die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 55 folgendermaßen verändert hat: In 2000 lag
die Quote der Beschäftigten über 55 in den Betrieben bei
38 Prozent. Mittlerweile sind es 48,9 Prozent. Die Quote
hat sich insofern deutlich verändert.
({9})
Mir kommt es an dieser Stelle nicht darauf an, ob die
Quote 50 Prozent oder 60 Prozent beträgt; die Frage ist
vielmehr, ob wir es bis 2010 - dann soll die Überprüfungsklausel tatsächlich zum Zuge kommen - schaffen,
älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern reale
Chancen zu bieten.
({10})
Hilfreich ist dabei keine Quote; es geht vielmehr um die
Chancen, die die Menschen haben. Das ist das entscheidende Kriterium, das man zugrunde legen muss.
Des Weiteren haben Sie gesagt - das stimmt mich
sehr nachdenklich, übrigens bin ich dabei auch selbstkritisch; das gebe ich zu -, die Menschen könnten zum Teil
gar nicht so lange arbeiten. In der Tat, das ist so. Es ist
aber auch so, dass ganz viele Menschen es einfach nicht
schaffen, bis 65 zu arbeiten. Man muss schlichtweg dazusagen, dass dem so ist.
Was haben wir gemacht? Ich war übrigens daran beteiligt und sage Ihnen, was wir gemacht haben. Wenn jemand schwer und hart in diesem Land arbeiten musste,
dann haben wir uns weniger um die Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekümmert als vielmehr darum, dass die Erschwernis bezahlt wurde. Die Folge war, dass sich die Menschen
sogar darum gerissen haben, schwer und hart zu arbeiten, weil sie mehr verdient haben. Mit 55 waren sie dann
kaputt, und wir, die Akteure im System, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie die Betriebsräte, haben nach dem Sozialstaat gerufen, damit er sich
der kaputten Leute annimmt. Wieso lassen wir zu, dass
Arbeit so kaputtmacht, dass sich die Allgemeinheit, der
Sozialstaat, um die Menschen kümmern muss?
({11})
An dieser Stelle brauchen wir endlich einen Mentalitätswechsel, und zwar bei allen gesellschaftlichen Akteuren.
Lasst uns ernsthaft über die Humanisierung der Arbeitswelt nachdenken. Humanisierung der Arbeitswelt kann
nicht bedeuten, dass diejenigen, die schwer arbeiten,
besser entlohnt werden, sondern sie müssen besser geschützt werden, damit sie in einem vernünftigen Gesundheitszustand in Rente gehen können. Darum wird es
in Zukunft verstärkt gehen.
({12})
Lassen Sie mich zum Schluss etwas sagen, weil Herr
Ernst auf die Umfragen hingewiesen hat. Wer wird es
ihm verdenken? Ja, Herr Ernst, die Umfragen für die
SPD sind in der Tat im Moment nicht besonders toll. Sie
sagen, wir hätten keine Zustimmung für die Politik, die
wir machen. Insgesamt muss ich feststellen, dass die
Große Koalition, wenn man zusammenrechnet, immer
noch auf 60 Prozent und mehr kommt. Sie kommen auf
8 Prozent Zustimmung. Wenn man den Anteil der
WASG herausrechnen würde, würde die PDS alleine auf
6 Prozent kommen. So sieht es letzten Endes aus.
({13})
Wir haben, zumindest was die gesellschaftlichen Fragen
angeht, eine breite Mehrheit bei allen Umfragen - im
Gegensatz zu Ihnen.
({14})
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen waren im Deutschen Bundestag, bevor es die WASG gab, bei der Sozialdemokratie ordentlich aufgehoben.
({15})
- Hören Sie gut zu! - Ich sage Ihnen zum Schluss Folgendes: Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen werden in diesem Deutschen Bundestag durch die
SPD auch weiterhin ernst und wahrgenommen, wenn Sie
alle schon Geschichte sind.
({16})
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir verabschieden heute ein notwendiges Gesetz, nämlich ein Gesetz zur Sicherung der Rente in der Zukunft.
Ich danke zu Beginn sehr herzlich vor allen Dingen dem
Bundesminister, dass er so stark dafür eingetreten ist,
und darüber hinaus den beiden Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD, dass sie in einer schwierigen Phase
eine schwierige Entscheidung für die zukünftige Rentenpolitik getroffen haben und trotz starker Kritik an diesem
Gesetz, manchmal auch übermäßiger Kritik, standhaft
geblieben sind.
({0})
Ich möchte dies begründen. Die Lebenserwartung
steigt. Das ist gut für die Menschen in Deutschland. Wir
haben eine längere Rentenbezugsdauer. Auch das ist gut
für die Menschen in Deutschland. Wir haben aber in
demselben Zeitraum einen Rückgang an Beitragszeiten
erwerbstätiger Personen durch verlängerte Ausbildungszeiten und durch Frühverrentungsmaßnahmen. Diese
Last kann zukünftig nicht mehr geschultert werden. Deshalb sind wir gefordert, die vorgesehenen Maßnahmen
heute zu verabschieden. Ein Letztes: Die demografische
Entwicklung ist für alle, die Entscheidungen herbeiführen und heute abstimmen, gleich. Heute stehen zwei Beitragszahler einem Rentner gegenüber, im Jahr 2050 wird
ein Beitragszahler einem Rentner gegenüberstehen. Dass
deshalb Maßnahmen notwendig sind, um die Rente für
die Bürgerinnen und Bürger sicher zu gestalten, liegt auf
der Hand. Deshalb kann ich nur alle auffordern, sich an
diesem Prozess zu beteiligen und dem heutigen Gesetz
zuzustimmen.
({1})
Was wäre - darauf sind schon vielfältige Antworten
gegeben worden, auch vorhin von meinem Kollegen
Anton Schaaf -, wenn wir nichts tun? Linke und Gewerkschaften fordern das, und sie tragen tagtäglich entsprechende Ansinnen an uns heran. Wenn wir nichts tun,
dann bedeutet das letztendlich höhere Beitragssätze für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass das in diesem Haus gewollt ist. Ich
kann mir auch nicht vorstellen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land das wollen.
Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schui?
Ja.
Bitte, Herr Schui.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Produktivität der Arbeit sich bis zum Jahre 2050 mehr als verdoppelt haben wird? Gegenwärtig kann ein Erwerbstätiger
Waren und Dienstleistungen im Wert von 40 Euro pro
Stunde produzieren. In dem von Ihnen angegebenen
Zeitraum wird dieser Wert wahrscheinlich bei 100 Euro
liegen. Aus dieser Masse lässt sich ein steigender Rentenaufwand - die Anzahl der Rentenberechtigten steigt doch locker finanzieren.
({0})
Herr Kollege Schui, daran erkennt man letztendlich
den Unterschied zwischen den Linken und den Verantwortlichen hier im Hohen Hause. Sie verfrühstücken bereits das, was prognostiziert wird, während wir uns auf
die wirtschaftlichen Ergebnisse einstellen.
({0})
So war auch die Politik in der ehemaligen DDR. Der
Kollege Gysi hat bereits vorhin ein Rentenversicherungssystem angepriesen, in das alle einzahlen, aus dem
aber keiner etwas bekommt. So war es in der Vergangenheit in der DDR.
({1})
Den Bürgerinnen und Bürgern gerade im Osten Deutschlands ist man dadurch besonders entgegengekommen,
dass sie in die Rentenversicherung der Bundesrepublik
Deutschland eintreten konnten.
({2})
- Das macht nichts; aber er vertritt dieselbe Politik.
Heute wurde schon über einen abschlagsfreien Rentenzugang ab dem 65. Lebensjahr nach einer Beitragszahlungsdauer von 45 Jahren unter den verschiedensten - auch unter verfassungsrechtlichen - Aspekten
diskutiert. Ich will mich hier nicht einmischen. Ich
möchte auf etwas sehr Bemerkenswertes hinweisen: Wir
wollen mit einer Sonderregelung diejenigen, die
45 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, belohnen. Man kann auch sagen: Wir wollen die Treue zur gesetzlichen Rentenversicherung belohnen. Ich glaube, es ist notwendig, das hier
darzustellen.
Die Kollegen von der FDP treten wie wir besonders
für eine kapitalgedeckte Vorsorge ein. Man hat hier zum
Beispiel noch nie infrage gestellt, dass bei einer abgeschlossenen Lebensversicherung, in die über die gesamte Vertragsdauer eingezahlt wurde, ein Schlussgewinn anfällt. Ein solcher Gewinn wäre nicht angefallen,
wenn der Vertrag vorzeitig gekündigt worden wäre.
Selbst bei einer kapitalgedeckten Vorsorge wird eine
langjährige Vertragsbindung honoriert. Mit anderen
Worten: Langjährige Treue wird auch hier besonders belohnt. Ich bin der Meinung, dass eine solche Regelung
auch in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden sollte. Dafür stehen wir.
({3})
Ich möchte noch etwas zum Konzept der FDP sagen.
Auf der einen Seite wird gesagt: Wir wollen den Leuten
ermöglichen, bis zum 67. Lebensjahr auf freiwilliger Basis zu arbeiten; sie können aber mit 60 in Rente gehen.
Die jetzigen Erfahrungen mit unseren Frühverrentungsprogrammen - Sie selbst fordern, sie abzuschaffen - zeigen sehr deutlich, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst früh in Rente gehen wollen. Wenn
wir das Ganze der Freiwilligkeit überlassen, dann werden sich in der Zukunft noch mehr Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer entscheiden, mit 60 in Rente zu gehen, wenn sie es überhaupt können. Bei Ihrem Modell
wären 25 Prozent und mehr Abschlag notwendig. Das
kann sich vor allen Dingen der geringverdienende Arbeitnehmer nicht leisten.
({4})
Deshalb stehen wir zu unserem Konzept. Das ist sozial ausgewogen und sichert die Rente nach dem alten
Blüm’schen Satz: Die Rente ist sicher. - Dafür sorgen
wir hier in Deutschland mit unserer Zustimmung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schön, dass
Sie sich schon zur namentlichen Abstimmung hier versammeln. Ich bitte Sie aber, die Gespräche, die vielleicht
dringend zu führen sind, draußen zu führen oder eben
doch einzustellen, sodass wir dem Kollegen
Meckelburg, dem ich jetzt für die Unionsfraktion das
Wort erteile, noch zuhören können.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als letzter Redner vor einer namentlichen Abstimmung
hat man es häufig nicht so leicht. Deswegen will ich
nicht mehr viele Zahlen zitieren, sondern die Grundbotschaften noch einmal zusammenfassen.
Wir verabschieden heute zwei Gesetze im Doppelpack: die Rente mit 67 und die Verbesserung der Beschäftigungschancen für Ältere, die sogenannte Initiative „50 plus“. Diese beiden Dinge gehören zusammen.
Aus demografischen Gründen ist es notwendig, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, nämlich von 65 auf 67. Ein
solches Ziel ist aber nur erreichbar, wenn wir auch die
Beschäftigung Älterer in den nächsten fünf bis 22 Jahren
- das ist der Zeitraum, über den wir reden - erhöhen.
Die Zahlen zur demografischen Entwicklung sind
genannt worden. Ich will sie noch einmal zusammenfassen. Auf der einen Seite: Die Jüngeren, die Rentenversicherungsbeiträge zahlen, werden immer weniger; die
Beitragszahlungsjahre nehmen ab. Auf der anderen
Seite: Die Älteren, die Rente beziehen, werden immer
älter; die Rentenbezugszeiten nehmen zu.
Die Botschaft Nr. 1 aus diesen Zahlen ist: Für die
Politik ergibt sich Handlungsbedarf, und wir als Große
Koalition handeln.
({0})
Die Alternative dazu wäre: nichts tun und abwarten.
Das endet im Chaos. Die populistische Alternative
dazu wird natürlich wie immer von den Linken vertreten: Augen zu vor der Realität, keine Strukturveränderung - denn das könnte den Menschen wehtun -; stattdessen alles so lassen, wie es ist, und unter
Missachtung der Notwendigkeit von Korrekturen sogar
noch draufsatteln. Das ist die Position der Linken. Hier
paart sich die Wahrnehmung der Realität nach dem
Motto „Augen zu!“ mit nicht begründetem „Alles wird
gut“-Glauben und zusätzlichen Traumschiff-Versprechungen.
Die Botschaft Nr. 2 lautet: Populismus hilft in dieser
Frage nicht weiter, oder, fürs Volk gesagt: Leute, glaubt
den Linken kein Wort!
({1})
Es ist in der Tat so: Sie stehen jeden Tag auf dem
Bahnsteig und warten darauf, dass Sie sich in irgendeinen populistischen Zug setzen können. Wenn keiner
kommt, setzen Sie selber einen aufs Gleis. Sie lassen von
allem, was den Menschen wehtun könnte, die Finger. Sie
machen Traumschiff-Versprechungen, die in der Realität
nicht zu halten sind. - Lasst die Finger von den Linken!
({2})
Rente mit 67. Ich will noch einmal deutlich sagen,
worüber wir reden, weil vor allem diejenigen, die jetzt in
Rente sind, sich darüber aufregen und erhitzen. Alle die,
die jetzt in Rente sind, sind davon gar nicht betroffen.
Wir reden über die Erhöhung des Renteneintrittsalters
über den langen Zeitraum von 22 Jahren. Bis 2011 wird
sich da überhaupt nichts tun. Von 2012 bis 2023 wird das
Renteneintrittsalter jährlich nur um einen Monat erhöht.
In den letzten Jahren, von 2024 bis 2029, wird es jährlich um zwei Monate steigen. Wir werden also erst im
Jahr 2029 die Rente mit 67 Jahren erreicht haben. Das ist
ein langer Zeitraum. Es ist verantwortungsvolle Politik,
wenn man über einen so langen Zeitraum etwas vorbereitet, auf das sich die Menschen, die Wirtschaft und alle
miteinander einstellen können.
Botschaft Nr. 3 also: Die Erhöhung des Renteneintrittsalters erfolgt über den langen Zeitraum von
22 Jahren. Das ist Politik mit Verantwortung und Augenmaß.
({3})
Wir wissen, dass es notwendig sein wird, in der Gesellschaft zu einem Mentalitätswechsel zu kommen. Wir
müssen alle miteinander begreifen, dass es notwendig
ist, länger im Berufsleben zu bleiben. Der Gesetzgeber
begleitet dies mit der Initiative „50 plus“. Ich will die
Maßnahmen noch einmal nennen: Wir werden durch den
Kombilohn für Ältere bei der Entgeltsicherung zu Verbesserungen kommen; wir werden den Eingliederungszuschuss für die Einstellung Älterer verbessern; wir werden bei der Förderung der beruflichen Weiterbildung
etwas tun; wir werden die mehrfache Verlängerung der
Beschäftigungsverhältnisse über befristete Arbeitsverträge bis fünf Jahre für Ältere zulassen.
Botschaft Nr. 4 lautet also: Die Bundesregierung, die
Koalition flankiert den Prozess, ältere Menschen in den
Arbeitsmarkt zu bringen. Das ist verantwortungsvoll.
({4})
Ich bin zuversichtlich, dass sich die Situation für ältere Arbeitnehmer deutlich verbessern wird. Woher
nehme ich diesen Optimismus?
Erstens. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit
hat die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse bei Älteren - ich spreche über
die 50- bis 65-Jährigen - von Juni 1999 bis 2006 um
730 000 zugenommen. Man muss sich klarmachen, was
das heißt: Wir sind bereits bei einem gesellschaftlichen
Mentalitätswandel angekommen. In einer Zeit, wo die
Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse allgemein zurückgegangen ist, hat bei den
über 50-Jährigen ein Aufwuchs stattgefunden, und zwar
seit 1999 um jährlich etwa 100 000. Das gibt mir die
Hoffnung: Alle, vor allen Dingen die Unternehmen und
die Tarifparteien, haben begriffen, dass wir auf diesem
Gebiet etwas tun müssen.
Zweitens. Ein weiterer Grund für meinen Optimismus
ist die Entwicklung des allgemeinen Wirtschaftswachstums.
Wir haben erreicht, dass sich die Beschäftigungssituation Älterer verbessert hat. Bei der Erwerbstätigenquote
haben wir einen Anstieg auf 48,3 Prozent gegenüber
45 Prozent im Vorjahreszeitraum zu verzeichnen. Gott
sei Dank nimmt generell die Erkenntnis zu, dass ältere
Arbeitnehmer für die Unternehmen notwendig sind. Sie
sind aber nicht nur aufgrund ihrer Erfahrung und aufgrund des Fachkräftemangels in der Arbeitswelt notwendig, sondern viele ältere Menschen wollen auch wirklich
arbeiten. Botschaft Nr. 5 lautet: Wir sind auf einem guten Weg.
({5})
Zum Schluss möchte ich ein Versprechen einlösen,
das ich der Kollegin Rita Pawelski gegeben habe, indem
ich darauf hinweise, dass wir im Gesetzgebungsverfahren eine gesetzgeberische Grauzone beim Künstlerdienst der Bundesagentur geregelt haben. Mit der Novellierung des Vermittlungsauftrages der Bundesagentur
unterstützt die Große Koalition Künstler und Kulturschaffende, vor allem die vielen selbstständigen, die vielen jungen und die nicht berühmten, die sehr gute Leistungen bringen und auf diesen Dienst angewiesen sind.
Diese beiden Gesetze gehören zusammen. Ich bitte
Sie, heute beiden Gesetzen zuzustimmen.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bun-
desregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU
und SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur
Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Men-
schen. Es handelt sich um die Drucksachen 16/3793,
16/4371 und 16/4421. Der Ausschuss für Arbeit und So-
ziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/4578, die genannten gleichlautenden
Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ich
gebe zu, Kolleginnen und Kollegen: Es ist etwas schwie-
rig, festzustellen, wer sich aus dem Grund der Zustim-
mung erhoben hat und wer sich in der Erwartung kom-
mender Ereignisse, der namentlichen Abstimmung,
erhoben hat. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Es ist mir
nicht möglich, das genaue Abstimmungsergebnis festzu-
stellen.
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 16/4578 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/241
mit dem Titel „Weichenstellung für eine Verbesserung
der Beschäftigungschancen Älterer“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich in der
Abstimmung fortfahre, bitte ich Sie noch einmal, sich
hinzusetzen und nicht, indem Sie hier vorne stehen,
Abstimmungsergebnisse zu verfälschen.
Wir sind immer noch bei Tagesordnungspunkt 20 b.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/3027 mit dem Titel „Beschäfti-
gungspolitik für Ältere - für ein wirtschafts- und arbeits-
marktpolitisches Gesamtkonzept“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthal-
tungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/3779 mit dem Titel „Vermittlung in
Selbstständigkeit durch Bundesagentur für Arbeit
ermöglichen - Künstlerdienste sichern“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt
es Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung
gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grü-
nen und Die Linke angenommen.
Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 20 c: Ab-
stimmung über die von der Bundesregierung sowie von
den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwürfe eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes
auf den Drucksachen 16/3794, 16/4372 und 16/4420.
Mir liegen dazu 37 Erklärungen gemäß § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor.1)
1) Anlagen 2 bis 4
Vizepräsidentin Petra Pau
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4583, die genannten gleichlautenden Gesetzentwürfe zusammenzuführen und unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD, der FDP und der Linken verlangen namentliche
Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen,
bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass
die Stimmkarten, die Sie jetzt gleich verwenden werden,
Ihren Namen tragen und dass sich die Zahl 16 für die
16. Legislaturperiode vor Ihrer Nummer befindet. Ich
bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an allen
Abstimmungsurnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
({0})
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - So, ich glaube, jetzt
haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmen abgegeben.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben.1)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kol-
leginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungs-
anträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4618? - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen
der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/4617? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/
CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4619? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag
ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD,
CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Grünen ab-
gelehnt.
Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck-
1) Ergebnis Seite 8688 A
sache 16/4583 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2747 mit dem
Titel „Nein zur Rente ab 67“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und
FDP bei Gegenstimmen der Linken angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3812
mit dem Titel „Neue Kultur der Altersarbeit - Anpassung
der gesetzlichen Rentenversicherung an längere Rentenlaufzeiten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die
Linke, SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3815 mit dem Titel
„Stichtagsregelung für die Altersteilzeit im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz ({0}) verlängern“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der
Linken angenommen.
Tagesordnungspunkte 20 e und 20 f. Interfraktionell
wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Druck-
sachen 16/4552 und 16/4553 zur federführenden Bera-
tung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sowie an den Ausschuss für Gesundheit
zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? -
Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({1}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({2}), 1413 ({3}), 1444
({4}), 1510 ({5}), 1563 ({6}), 1623
({7}) und 1707 ({8}) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/4298, 16/4571 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Jürgen Trittin
- Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/4580 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({10})
Roland Claus
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Knoche, Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Keine Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan einsetzen
- Drucksachen 16/4047, 16/4576 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({12})
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({13})
zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Zusage deutscher Tornados ohne Bundestagsmandat
- Drucksachen 16/4048, 16/4614 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({14})
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({15})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner
Hoyer, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neues Mandat für Tornado-Einsatz unerlässlich
- Drucksachen 16/4096, 16/4613 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({16})
Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über die
Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung
werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern ist der deutsche Entwicklungs- und Wiederaufbauhelfer der Welthungerhilfe Dieter Rübling im
Norden Afghanistans ermordet worden. Wir alle trauern
um Dieter Rübling. Wir danken ihm für sein zutiefst
humanitäres Engagement. Unsere Gedanken sind bei der
Familie und den Freunden des Toten. Wir trauern mit
ihnen. Wir trauern mit der Welthungerhilfe, die seit über
zwei Jahrzehnten so wertvolle Arbeit in Afghanistan und
weltweit leistet.
Dieter Rübling ist in dieser schweren Zeit nach
Afghanistan gegangen, um den Menschen dort beim
Wiederaufbau selbstlos zu helfen. Afghanistan nach
Jahrzehnten des Bürgerkriegs, der Fremdherrschaft und
des Talibanregimes wiederaufzubauen und zu stabilisieren,
ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es in diesen Tagen
gibt. Die Arbeit der zivilen Helfer und Helferinnen, die
unbewaffnet sind, ist mit großen Gefährdungen und
Risiken verbunden. Dies wird allzu oft vergessen, wenn
von zivilem Wiederaufbau gesprochen wird. Umso mehr
verdienen die Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer in
Afghanistan unser aller Hochachtung, Respekt, Unterstützung und Dank.
({0})
Wir fordern alle afghanischen Behörden auf, die Mörder
zu stellen und der gerechten Strafe zuzuführen. Noch
immer wissen wir nicht genug über die Hintergründe
dieses Mordes. Aber ich will sagen: Unser Land hat seit
2001 allergrößte Anstrengungen unternommen, um den
Menschen in Afghanistan zu helfen. Entwicklungshelfer
und Entwicklungshelferinnen sowie Soldaten haben ihr
Leben riskiert, um den geschundenen Menschen in
Afghanistan beim Aufbau ihres Landes zu helfen. Wir
bauen Schulen, wir sorgen für die Wasserversorgung,
wir helfen vor allem den Frauen und Kindern. Die Menschen in Afghanistan, die auf uns hoffen, können sich
darauf verlassen, dass wir sie auch in Zukunft nicht im
Stich lassen und uns nicht zurückziehen werden. Das
sind wir ihnen schuldig. Das sind wir aber auch dem
Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe schuldig, um
den wir heute trauern. Das sind wir all denen schuldig,
die Aufbauarbeit leisten.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 20 c und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetzes bekannt: Abgegebene Stimmen: 581. Mit Ja haben gestimmt 408, mit Nein haben
gestimmt 169, Enthaltungen vier. Der Gesetzentwurf ist
damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 581;
davon
ja: 466
nein: 169
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Georg Fahrenschon
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Frhr. Zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Bernward Müller ({15})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({16})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({17})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({18})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({19})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({20})
Andreas Schmidt ({21})
Ingo Schmitt ({22})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({23})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({24})
Gerald Weiß ({25})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({26})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
SPD
Gregor Amann
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({27})
Doris Barnett
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({28})
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Bernhard Brinkmann
({29})
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({30})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({31})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Petra Hinz ({32})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({33})
Frank Hofmann ({34})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({35})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({36})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Markus Meckel
Petra Merkel ({37})
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({38})
Michael Müller ({39})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({40})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({41})
Michael Roth ({42})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({43})
Axel Schäfer ({44})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({45})
Silvia Schmidt ({46})
Renate Schmidt ({47})
Heinz Schmitt ({48})
Carsten Schneider ({49})
Olaf Scholz
Reinhard Schultz
({50})
Swen Schulz ({51})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({52})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Clemens Bollen
Willi Brase
Martin Burkert
Lothar Mark
Hilde Mattheis
René Röspel
Ottmar Schreiner
Andreas Steppuhn
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
({53})
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({54})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Horst Friedrich ({55})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({56})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({57})
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({58})
Martin Zeil
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({59})
Volker Schneider
({60})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({61})
Volker Beck ({62})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({63})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({64})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({65})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({66})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({67})
fraktionslos
Henry Nitzsche
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Wolfgang Wodarg
Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege
Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion.
({68})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Namens der FDP-Fraktion danke ich Ihnen, Frau Bundesministerin, dafür, dass Sie diese Debatte eröffnet haben, und für die Worte, die Sie gefunden haben. Ich
denke, der ganze Deutsche Bundestag teilt das Bedauern
und die Betroffenheit, die Sie zum Ausdruck gebracht
haben.
({0})
Meine Damen und Herren, es wäre vielleicht auch
sonst gar nicht schlecht gewesen, dass die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung diese Debatte eröffnet; denn an diesem furchtbaren
Ereignis von gestern ist deutlich geworden, wie gefährlich die Lage ist und dass wir uns nicht in eine Situation
begeben sollten, in der wir insofern zwischen Nord und
Süd, Zivilem und Militärischem, Aufbau und Schutz sowie Deutschen und Amerikanern, Kanadiern oder Italienern unterscheiden. Jeder Tote ist einer zu viel.
Im Zentrum unserer Debatte steht aber zunehmend die
Notwendigkeit des Aufbaus in Afghanistan - das
kommt in allen Anträgen der Fraktionen des Deutschen
Bundestages zum Ausdruck -, die Notwendigkeit, diesen
Aufbau voranzutreiben, effektiv zu machen und schnell
wirksam werden zu lassen. Ich würde es begrüßen, wenn
es vielleicht durch Überweisung in die Ausschüsse gelingen würde, diese Anträge der Fraktionen - zumindest
von Schwarz/Rot sowie von Grün und Gelb - zu einem
gemeinsamen Antrag zusammenzuführen. Es wäre ein
starkes Signal, wenn der Deutsche Bundestag die Notwendigkeit dieses Umsteuerns gegenüber der Regierung
gemeinsam kraftvoll zum Ausdruck bringen würde.
({1})
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird
dem Antrag der Bundesregierung mit großer Mehrheit
zustimmen. Es gibt bei uns aber kein Hurra. Ich habe Ihnen in der letzten Woche die außerordentlich schwierige
Abwägung, die wir vorgenommen haben, hier ausführlich vortragen können und will mich nicht wiederholen.
Es ist klar, dass viele Kolleginnen und Kollegen die
schiefe Ebene fürchten. Deswegen ist es wichtig, deutlich zu machen, dass wir aufpassen werden, dass wir
nicht weiter in etwas hineinrutschen, was wir dann nicht
mehr beherrschen können.
Es ist wichtig, dass wir respektieren, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die befürchten und Sorge haben, dass wir vielleicht vergessen, warum wir überhaupt
dort sind, welche Verantwortung wir für das Leben der
Menschen in Afghanistan und für unsere eigenen Entwicklungshelfer, Soldaten und andere haben, die sich um
den Aufbau Afghanistans bemühen. Es gibt übrigens
auch solche, die Sorge haben, dass wir vergessen, dass
wir Teil eines Bündnisses sind, das für uns ein Teil der
Staatsräson ist, und dass wir der Renationalisierung unserer Sicherheitspolitik ein für alle mal abgeschworen
haben.
({2})
Das ist keine leere Floskel. Was heißt denn Bündnisfähigkeit? - Bündnisfähigkeit heißt doch nicht, einem
anonymen Organ oder den amerikanischen Freunden zu
gefallen. Bündnisfähigkeit bedeutet, in der Lage zu sein,
auf politische und militärische Strategie, Taktik und
Operationsführung aktiv Einfluss zu nehmen, gemeinsam getroffene Entscheidungen solidarisch zu tragen,
gegebenenfalls dort, wo ein Veränderungsbedarf gegeben ist, gemeinsam umzusteuern und gegebenenfalls
- auch das kann niemand ausschließen - eines Tages gemeinsam herauszugehen.
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit der
Umsteuerung ist evident. Es ist dringend geboten, das
Politische vor das Militärische und den Aufbau vor den
Aufmarsch zu setzen sowie die Priorität der Politik zu
gewährleisten. Das muss sich auch in der Rhetorik widerspiegeln. Wir bringen uns doch unnötig in ein falsches Licht, wenn wir immer von dieser Offensive reden, ohne dabei zu sagen, dass sie dazu dient, den
Aufbau zu schützen. Es würde nämlich die Arbeit unserer Entwicklungshelfer unmöglich machen, wenn zum
Beispiel von den Taliban, wie angekündigt, der riesige
Staudamm, der fast eine halbe Million Menschen mit
Wasser versorgen soll, zerstört würde. So macht das ja
alles Sinn. Aber sich selbst rhetorisch in die Situation
des Aggressors zu bringen, ist nicht sonderlich klug.
({3})
Auch hier ist Umsteuerung und damit rhetorische Abrüstung geboten.
Nun, meine Damen und Herren, zur großen Sorge, die
viele von uns haben: Stehen wir möglicherweise vor
dem Scheitern? Helfen uns da Durchhalteparolen? Hilft
es uns, wenn wir markig sagen: Afghanistan ist erst verloren, wenn wir es verloren geben? Nein, meine Damen
und Herren, das wird den Risiken und der Komplexität
der Aufgabe nicht gerecht. Wir brauchen eine realistische Definition unserer Ziele. Wenn wir daran gehen,
müssen wir Abstriche machen, nicht bei der Aufbauarbeit, Frau Bundesministerin, nicht bei der konkreten
Hilfe für die Menschen - diese ist notwendig -, sondern
bei der Vorstellung, wir könnten innerhalb kürzester Zeit
eine Westminsterdemokratie entwickeln
({4})
und wären in der Lage, innerhalb kurzer Zeit die Errungenschaften der Aufklärung über das Land zu bringen.
({5})
Wenn es uns in Erinnerung an das, was vor dem
11. September in Afghanistan los war und was danach
geschaffen wurde, gelingt, die Menschen besser vor
eklatanten Menschenrechtsverletzungen zu schützen,
wenn es gelingt, uns selber hier in Europa und anderswo
den Terror vom Leibe zu halten, dann haben wir sehr
viel gewonnen. Dazu können die Aufklärer der Bundeswehr einen Beitrag leisten. Denn sie leisten natürlich
auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz der eigenen
Soldaten, zum Schutz unserer Verbündeten und zum
Schutz der Menschen in Afghanistan vor so genannten
Kollateralschäden, das heißt vor der Einbeziehung unschuldiger Zivilisten in Kriegshandlungen. Nach schwieriger Abwägung werden wir deshalb dem vorgelegten
Antrag der Bundesregierung mit großer Mehrheit zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, auch im Namen meiner
Fraktion möchte ich Ihnen herzlich für Ihre einfühlsamen Worte danken, die Sie zum Tode von Dieter
Rübling gefunden haben. Sein Tod sollte uns allen eine
Mahnung sein, dass die Lage in Afghanistan gefährlich
ist, unser Engagement dort wichtig ist und wir Afghanistan eben nicht verloren geben dürfen.
({0})
Wenn wir uns die gesamte Lage in Afghanistan vor
Augen führen, dann ergibt sich, wie der Kollege Hoyer
zu Recht geschildert hat, ein differenziertes Bild. Es
gibt gute und es gibt schlechte Nachrichten.
Eine gute ist, dass Afghanistan heute kein sicherer
Hafen für global agierende Terroristen mehr ist, dass die
Taliban von der Macht vertrieben sind und dass die Terrorcamps von al-Qaida in Afghanistan zerschlagen sind.
Eine schlechte Nachricht ist, dass insbesondere das
letzte Jahr, in dem die Zahl der Selbstmordattentate um
das Fünffache zugenommen hat und der Drogenanbau
enorm angestiegen ist, für Afghanistan und die internationale Gemeinschaft ein schwieriges Jahr gewesen ist.
Es bleiben uns realistischerweise nur noch 18 bis
24 Monate, um den Trend zur Destabilisierung zu stoppen und die Trendumkehr zu bewerkstelligen. Wenn
uns das nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass Afghanistan erneut zu einem Rückzugsraum für islamische Fundamentalisten wird, die in ihrem Hass auf alles Westliche und Liberale die Welt erneut mit transnationalem
Terrorismus überziehen wollen. Es handelt sich deshalb
bei Afghanistan eben nicht um irgendein Entwicklungsland am Hindukusch, sondern unser Erfolg dort ist von
geopolitischer Bedeutung. Deswegen hat Peter Struck
auch völlig recht, wenn er davon spricht, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird.
Wir setzen mit unserer Afghanistanpolitik, sowohl
was die Ziele als auch was die Prinzipien angeht, das
fort, was unter der rot-grünen Bundesregierung begonnen wurde. Wir müssen heute darüber nachdenken, wie
wir unsere Maßnahmen der veränderten Lage anpassen;
aber es gibt ausdrücklich weder bei den Zielen noch bei
den Prinzipien eine Veränderung. Deswegen finde ich es
wenig glaubwürdig, wenn ehemalige Mitglieder der rotgrünen Bundesregierung heute gegen den Einsatz stimmen oder wenn die Menschenrechtsbeauftragte der früheren Bundesregierung sich gegen diesen Einsatz ausspricht.
({1})
Außerdem ist der militärische Einsatz unter Rot-Grün
deutlich gefährlicher gewesen als heute; denn unter RotGrün haben wir Bodentruppen im Süden gehabt, haben
deutsche Spezialkräfte gegen al-Qaida gekämpft.
({2})
Wir brauchen eine nüchterne Analyse der kritischen
Lage. Wir müssen erkennen, dass die Entwicklung der
Lage nicht allein eine Folge der Ausweitung des ISAFEinsatzes in den Süden und den Osten des Landes ist.
Zur Herstellung der Stabilität im Süden und im Osten
des Landes muss ISAF - nicht im völkerrechtlichen,
aber im militärischen Sinne - Krieg führen. Es geht um
asymmetrische Kriegsführung. Dazu werden die Tornados einen erforderlichen Beitrag leisten. Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne die Operationen ISAF
und OEF strikt voneinander trennen. Beide Operationen
werden immer weiter miteinander verschränkt. Es gelten
dieselben Einsatzregeln. Deutschland hat - auch bereits
unter Rot-Grün - beide Operationen mandatiert. Die Erfolge von OEF und ISAF sind eng miteinander verknüpft.
({3})
Deswegen wäre es falsch, den Begriff „restriktiv“ im
Antrag der Regierung so zu verstehen, dass ISAF prinzipiell OEF Informationen vorenthalten würde. „Restriktiv“ bedeutet, dass die militärische Führung über die
Weitergabe der Informationen entscheidet. Aber, wie gesagt, die Erfolge beider Operationen hängen eng miteinander zusammen.
Auch eine Illusion ist, dass es im Rahmen der NATO
unterschiedliche Strategien geben kann. Es gibt unterschiedliche Verantwortungsbereiche; aber wir haben nur
gemeinsam Erfolg oder würden gemeinsam scheitern.
Von der Entwicklung in der nächsten Zeit wird abhängen, ob die bisherigen und die mittlerweile zusätzlich
bereitgestellten militärischen und zivilen Mittel ausreichen.
Deswegen ist es heute aus meiner Sicht nicht viel
mehr als eine vage Hoffnung, dass wir, wie einige glauben, mit der Zustimmung zum Tornadoeinsatz von weiteren Anforderungen in Bezug auf den Süden und Osten des Landes verschont bleiben. Als Bündnispartner
müssen wir bereit sein, nicht nur dieselben Lasten, sondern auch dasselbe Risiko wie unsere Verbündeten zu
tragen. Das ist das Wesen eines Bündnisses. Nur so wird
es uns auch gelingen, den erforderlichen Einfluss auf die
Gesamtstrategie der NATO auszuüben.
({4})
Wenn ich davon gesprochen habe, dass wir uns viel
mehr anstrengen müssen als bisher, dann gilt das nicht
nur in militärischer, sondern auch und vor allem in ziviler Hinsicht. Weite Teile der afghanischen Bevölkerung
empfinden keine Verbesserung ihrer Lebensgrundlagen.
In der Wahrnehmung der afghanischen Bevölkerung
- nur die ist entscheidend - ist die bisherige Entwicklungsbilanz nicht überzeugend. Dabei gibt es sicherlich
überzogene subjektive Wahrnehmungen; aber wir müssen dafür sorgen, dass wir die Herzen und Köpfe der
Menschen gewinnen und Verbesserungen erreichen, die
die Menschen in Bezug auf ihre Lebenswirklichkeit auch
als solche empfinden.
Ohne Entwicklung gibt es keine Sicherheit, aber
ohne Sicherheit eben auch keine Entwicklung. Dazu
muss die internationale Gemeinschaft in allen Bereichen
- beim Aufbau der Polizei, beim Aufbau der Rechtsstaatlichkeit, beim Aufbau der Verwaltung, bei der Bekämpfung des Drogenanbaus und der Förderung von
Anbaualternativen -, die wir gemeinsam übernommen
und in internationalen Konferenzen festgelegt haben,
ihre Anstrengungen wesentlich erhöhen.
Wir brauchen bereits in den nächsten Monaten einen
„Big Push“ beim Aufbau des Landes. Es geht um eine
Konzentration der Kräfte und einen rascheren Mittelabfluss in die prioritären Bereiche. Wir brauchen Leuchtturmprojekte, die der Bevölkerung in Afghanistan deutlich machen, dass wir auf ihrer Seite sind und dass sich
unser Engagement für sie lohnt.
({5})
Herr Kollege von Klaeden, der Herr Kollege Paech
möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Herr Kollege von Klaeden, Ihre Redezeit geht zu
Ende, aber Sie haben bis jetzt mit keinem Wort die
schwerwiegenden verfassungs- und völkerrechtlichen
Bedenken, die aus Reihen Ihrer Fraktion vorgebracht
werden, erwähnt. Sie wissen, dass nach der Abstimmung
einige Mitglieder Ihrer Fraktion eine Verfassungsklage
in Karlsruhe einreichen.
Meine Frage lautet: Ist Ihnen nicht bewusst, dass das,
was Sie hier vortragen, eine Aufforderung zu einem
schweren Völkerrechtsbruch ist? Ich will zur Begründung drei Punkte anführen.
Erster Punkt. Sie schicken die Tornados in einen
Krieg im Süden Afghanistans, der nach übereinstimmender Meinung von Kollegen nicht nur des Europaparlaments, sondern auch dieses Parlaments schon lange die
Genfer Konvention verletzt.
({0})
Herr Kollege, es ist richtig, dass Sie im Rahmen einer
Zwischenfrage eine Bemerkung machen können. Aber
Sie können keine Kurzintervention machen.
Darf ich meine Frage begründen?
({0})
Zweiter Punkt. Sie haben gesagt, dass ISAF und OEF
ununterscheidbar sind und zusammenwachsen. Das ist
eine Sprengung des Mandats von ISAF, also eine
schwere Völkerrechtsverletzung.
({1})
Dritter Punkt. Die Einbeziehung in OEF, also in den
Antiterrorkampf gegen al-Qaida - Sie haben selbst gesagt, dass die Camps gar nicht mehr bestehen -, kann
nicht mehr als Verteidigungsauftrag nach Art. 51 Abs. 6
der UNO-Charta begründet werden. Sechs Jahre Selbstverteidigung sind eine Absurdität. Das alles ist auch
nicht mit dem Verteidigungsauftrag unserer Verfassung
zu begründen.
Herr Kollege, ich glaube, Ihre Frage ist verstanden
worden. - Danke schön.
Ich möchte gerne, dass Sie sich dazu äußern. - Danke
schön.
({0})
Herr Kollege Paech, das tue ich gerne. Wir haben die
verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken, die von
zwei Kollegen meiner Fraktion geäußert wurden, in unserer Fraktion und ebenfalls im Auswärtigen Ausschuss
ausführlich erörtert. Ich muss aber gegen diese Mischung von Vorurteilen und üblen Unterstellungen, die
Sie gerade in Ihrer Frage, was das Vorgehen der NATO
in Afghanistan angeht, geäußert haben, protestieren und
möchte meine beiden Kollegen, die diese Bedenken geäußert haben, gegen die Vereinnahmung durch Sie in
Schutz nehmen.
Zur verfassungsrechtlichen und zur völkerrechtlichen
Situation. OEF ist mandatiert durch denn Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen auf der Grundlage der Selbstverteidigung. Diese Mission ist bisher nicht abgeschlossen.
Wenn Sie sich mit der Situation vor Ort beschäftigen,
dann wissen Sie, dass der Aufwand für OEF immer weiter abgeschmolzen wird. Die Zahl der für Afghanistan
vorgesehenen Einsatzkräfte ist längst nicht mehr so hoch
wie vor einigen Jahren.
Damit korrespondiert die Ausweitung des ISAF-Einsatzes. ISAF steht für die Stabilisierung und Unterstützung der afghanischen Regierung. Dieser Einsatz ist
ebenfalls mandatiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
hat ausdrücklich gefordert, dass die Operationen ISAF
und OEF in Afghanistan stärker miteinander verschränkt
werden. Wir stehen also mit beiden Missionen auf einer
klaren völkerrechtlichen Grundlage.
({0})
Was die verfassungsrechtlichen Bedenken angeht, so
muss man sagen: Die Kollegen beziehen sich auf ein
Minderheitenvotum, das vom Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung von 1994 geäußert worden
ist. Dieses Minderheitenvotum ist aber in weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes aufgegeben worden. Man kann zwar nach wie vor die in diesem
Votum dargelegte Rechtsansicht vertreten, aber man
kann für sie nicht mit Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts - auch nicht in Form eines Minderheitenvotums - rechnen.
({1})
Ich war dabei, die Prioritäten zu erläutern, die sich auf
ziviler Seite ergeben. Das gilt für den Aufbau und Ausbau der Infrastruktur, insbesondere für den Straßenbau,
die Energie- und die Wasserversorgung. Wir brauchen
diese Projekte als Katalysator für eine friedliche und erfolgreiche Entwicklung in Afghanistan. Dabei sollten
wir uns auch vor Augen führen, dass wir uns in unseren
Bildungs- und Frauenförderprojekten stärker darauf konzentrieren - ich weiß, dass das für manchen politisch
nicht korrekt klingt -, was die religiösen und kulturellen
Traditionen dieses Landes sind, um mit solchen Projekten nicht konservativen oder fundamentalistischen Kräften in die Hände zu spielen.
Ich habe davon gesprochen, dass Afghanistan eine geopolitische Dimension hat. Dazu gehört eben auch, den
Blick auf die Nachbarn Afghanistans zu richten: auf den
Iran und insbesondere auf die Nuklearmacht Pakistan.
Wir wissen, dass Pakistan enorme Schwierigkeiten hat,
in seiner Grenzregion, in den sogenannten Tribal Areas,
zu Afghanistan die Staatsgewalt auszuüben. Wir wissen,
dass es dort Lager für Flüchtlinge aus Afghanistan mit
über 3 Millionen Menschen und Koranschulen, sogenannte Madrassas, gibt, in denen der Nachwuchs der Taliban herangezogen wird.
Wir müssen alles tun, um auch die pakistanische Regierung bei der Herstellung der Staatsgewalt zu unter8694
stützen. Wir müssen sie aber auch an dem messen, was
sie international versprochen hat. Dazu brauchen wir
einen institutionalisierten Dialog zwischen Afghanistan
und Pakistan sowie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, damit es dazu kommen kann, dass gerade in den Grenzregionen eine entsprechende Stabilisierung stattfinden kann.
Ein letzter Blick auf das, was andere leisten. Die Kanadier haben gerade ihren Entwicklungshilfeansatz um
200 Millionen kanadische Dollar erhöht. Die Amerikaner haben ihre Mittel für den zivilen Aufbau um
10,9 Milliarden US-Dollar erhöht. Allein 2 Milliarden
US-Dollar sind für die Unterstützung alternativer Anbaumethoden zur Bekämpfung des Drogenanbaus vorgesehen.
Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, dann müssen
wir bereit sein, sowohl auf militärischer als auch vor allem auf ziviler Seite deutlich mehr zu tun.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Trittin. - Herr von Klaeden, Sie können dann
antworten.
Lieber Herr Kollege von Klaeden, als Befürworter
von ISAF, die wir beide sind, hätten wir darüber streiten
können, ob der Einsatz dieser Tornados für einen Erfolg
von ISAF von absoluter Bedeutung ist. Ich kann dies
nach dem, was die Bundesregierung vorgetragen hat,
nicht nachvollziehen. Wir sollten es aber beide unterlassen, uns in diesem Zusammenhang gegenseitig fehlende
Glaubwürdigkeit zu attestieren. Deswegen habe ich
mich zu Wort gemeldet.
Sie selber haben darauf hingewiesen: Es gibt in
Afghanistan Notwendigkeiten, die dringend geändert
werden müssen; das sage ich als jemand, der zu Afghanistan steht. Sie selber haben darauf hingewiesen: Wir
brauchen mehr zivile Hilfe. Nun gibt die Bundesregierung jährlich 20 Millionen Euro mehr. Sie selbst haben
die Zahlen zitiert: Kanada gibt 200 Millionen kanadische Dollar mehr. Die USA geben jährlich 1 Milliarde
US-Dollar für den zivilen Bereich aus. Das ist das
50-Fache von dem, was Ihre Bundesregierung zur Verfügung zu stellen bereit ist.
Wir sind uns einig, dass wir mehr Polizeihilfe brauchen. In der diesbezüglichen Novelle reden wir aber immer noch von 40 Mitgliedern. Heute besteht die Situation, dass Feldjäger der deutschen Bundeswehr in der
Polizeiausbildung in Masar-i-Scharif engagiert sind; ich
finde das richtig. Ich sage Danke zu den Feldjägern.
Aber ich sage auch: Gibt es nicht dem Innenministerium
und dem Außenministerium zu denken, dass das Militär,
die Bundeswehr, heute offensichtlich zivile Aufgaben
übernimmt? Das ist doch der Punkt, an dem Sie als
Mehrheit hier in diesem Hause hätten handeln müssen,
anstatt anderen an dieser Stelle die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Ich füge ein Letztes hinzu. Wir haben Zweifel, ob das,
was wir, diese Koalition und meine Partei, gemeinsam
wollen, nämlich einen Strategiewechsel, tatsächlich am
Boden angekommen ist, wenn wir gleichzeitig erleben
müssen, dass Einigungsversuche zwischen den Briten
und den Stammesältesten mithilfe von Raketenangriffen
auf Familienangehörige von vermuteten Talibananhängern sabotiert werden. Das sind die umfassenden Zweifel, die meine Fraktion hat. Ein Teil meiner Fraktion
sagt: Wir sagen trotz dieser Bedenken Ja. Andere sagen:
Unter diesen Bedingungen können wir zu einem Einsatz
von Tornados - nicht zu ISAF - nur Nein sagen. Ich
finde, beides sind respektable Positionen, und beides ist
kein Grund, irgendjemandem von uns die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
({0})
Herr Kollege von Klaeden.
Herr Kollege Trittin, ich kann nicht nachvollziehen,
warum Sie nicht einsehen wollen, dass die Verbesserung
der Aufklärungsfähigkeiten dem Einsatz von ISAF
dient. Gerade der relativ geringe Truppenansatz, den die
NATO für Afghanistan gewählt hat - die 40 000 Soldaten sind ins Verhältnis zur Größe des Landes zu setzen -,
macht deutlich, dass der Erfolg, die Effizienz und nicht
zuletzt der Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung
und der internationalen Aufbauhelfer eine höhere Zielgenauigkeit der militärischen Einsätze erfordert. Das
kann man - das ist eine Binsenweisheit - nur durch verbesserte Aufklärung erreichen. Deswegen ist es unverständlich, dass Sie nicht in der Lage sind, das nachzuvollziehen.
Mein zweiter Punkt. Mir kommen Ihre Hinweise, die
Entwicklungshilfe sei aus Ihrer Sicht zu gering - das ist
sie auch aus meiner Sicht -, wie eine Ausrede vor. Es
wäre Ihnen schließlich während Ihrer Regierungszeit
möglich gewesen, die Ansätze entsprechend zu erhöhen.
Aber vor allem ist es doch so, dass die Sicherheit, die
ISAF in Afghanistan schafft und zu der die Tornados einen wesentlichen Beitrag leisten, erst die Voraussetzung
dafür ist, dass überhaupt zivile Hilfe geleistet werden
kann.
({0})
Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles
nichts. Sie müssen immer davon ausgehen, dass Ihr
Votum - nicht Ausdruck einer politischen Strömung in
Ihrer Wählerschaft - zur allgemeinen Regel für das
Regierungshandeln gemacht werden kann. Wenn wir
ISAF die nötige Unterstützung verweigern würden und
ISAF deswegen nicht erfolgreich sein kann, dann hätte
auch der zivile Aufbau keine Chance mehr. Deswegen
ist Ihre Argumentation nicht überzeugend und, wie ich
finde, auch nicht glaubhaft.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auch für meine Fraktion danke ich der Entwicklungshilfeministerin, Frau Wieczorek-Zeul, für die
Worte des Bedauerns und der Trauer, die sie hier zum
Tod des Entwicklungshelfers gefunden hat.
Ich begründe jetzt, warum meine Fraktion den Antrag
der Bundesregierung ablehnt. Wir lehnen den Antrag der
Bundesregierung ab, weil wir der Auffassung sind, dass
die Entscheidung, wenn sie so durchgeführt wird, völkerrechtswidrig ist.
({0})
Wir sind manchmal auf unsicherem Terrain, wenn wir
das Völkerrecht beurteilen. Da das so selten geschieht,
erinnere ich daran, dass auch das Bundesverwaltungsgericht selbst die Zurverfügungstellung von Flugplätzen
und militärischen Einrichtungen während des Irakkriegs
als völkerrechtswidrig eingestuft hat und nach wie vor
der damals amtierenden Regierung Beihilfe zum Bruch
des Völkerrechts vorwirft - ohne dass dies zu irgendwelchen Konsequenzen führt.
({1})
Beim Völkerrecht - dies ist für unsere Beratung von
Bedeutung - beziehen sich die Redner der Koalitionsparteien immer auf die Mandatierung durch die UNO
nach Art. 51. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass - unabhängig davon, wie man den Sachverhalt
beurteilt; mein Kollege Norman Paech hat das Entscheidende aus der Sicht unserer Fraktion dazu gesagt - nicht
allein diese Mandatierung herangezogen werden kann.
Genauso entscheidend, wenn nicht noch entscheidender,
sind die Genfer Konventionen. Denn sie gehen noch
näher heran, sie sagen: Es ist im Krieg verboten, unschuldige Menschen zu töten; eine Kriegführung, die das
nicht leistet, ist völkerrechtswidrig.
({2})
Dieses Argument meiden die Redner der Koalition. Sie
gehen nicht darauf ein, weil es nicht zu entkräften ist; ich
werde darauf noch zurückkommen.
Ich halte für Die Linke fest, dass wir in dem Grundgesetzartikel, der die Bundeswehr zur Verteidigungsarmee bestimmt, nach wir vor einen wesentlichen Baustein unserer Verfassung sehen. Die Bundeswehr ist
keine Interventionsarmee, sie ist eine Verteidigungsarmee.
({3})
Nach unserer Auffassung verstößt die Entsendung
von Aufklärungstornados in das Kampfgebiet gegen den
NATO-Vertrag. Der NATO-Vertrag hat die Mitgliedstaaten der NATO zu einem Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen. Es war eine fundamentale Veränderung, über die im Parlament überhaupt nicht diskutiert
worden ist - die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, die dies kritisieren, haben recht -, dass die
Führungsmacht der NATO, die Vereinigten Staaten von
Amerika, eines Tages darauf gedrängt hat, aus diesem
Verteidigungsbündnis ein weltweit agierendes Interventionsbündnis zu machen. Dies halten wir für fatal und
lehnen es ab.
({4})
Aus Sicht der amerikanischen Politik ist das logisch.
Die amerikanische Politik zielt auf die Eroberung von
Rohstoffquellen und Absatzmärkten. Wer Zweifel daran
hat, möge die entsprechenden Dokumente des amerikanischen Verteidigungsministeriums, des Pentagon, nachlesen. Es gibt unzählige Fundstellen, die diese These belegen. Ich bin der Auffassung, dass sich zivilisierte
Staaten in der modernen Zeit nicht auf eine Außenpolitik
oder gar auf eine Kriegsführung einlassen dürfen, die die
Eroberung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten zum
Ziel hat.
({5})
In der Debatte wird immer wieder gesagt, die NATO
dürfe nicht scheitern. Meine Damen und Herren, die
NATO ist in Afghanistan längst gescheitert.
({6})
Damit Sie uns nicht wieder unterstellen, dass wir uns in
irgendeiner Form unsachlich mit diesem Thema beschäftigen, möchte ich zum Beleg meiner These die „Süddeutsche Zeitung“ zitieren:
US-Soldaten wurden angegriffen … bei ihrer Gegenwehr richteten sie offenbar jedes Mal ein Blutbad unter Zivilisten an. … Unter den 4 000 Opfern … im vorigen Jahr … sollen Schätzungen zufolge mehr als tausend Zivilisten gewesen sein. Die
Zahl … kann nicht mehr sein als ein vager Anhaltspunkt, denn sowohl tot als auch lebendig lassen
sich Taliban-Kämpfer oft nur schwer von friedlichen Bauern unterscheiden.
So weit die Worte des Beobachters, des Korrespondenten der „Süddeutschen Zeitung“. An dieser Beobachtung wird deutlich, warum Ihre Entscheidung total falsch
und durch nichts zu begründen ist.
({7})
Da diesen Sachverhalt niemand bestreiten kann, kann
auch niemand behaupten, dort sei eine Kriegsführung
möglich, die die Genfer Konventionen beachtet. Aufgrund der Bedingungen vor Ort - weil man friedliche
Menschen nicht von Kämpfern unterscheiden kann - ist
jede Form der Kriegsführung, die Sie jetzt mittelbar unterstützen wollen, ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen. Das ist nicht zu verantworten.
({8})
Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die Menschenrechte. Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die Frauenrechte. Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die
Freiheit der Menschen. Meine Damen und Herren, ich
möchte an eines erinnern: Bevor man Menschen Rechte
zuweisen kann, müssen sie erst einmal leben. Das Recht
auf Leben steht vor allen anderen Rechten, die hier immer wieder beschworen werden.
({9})
Das Recht auf Leben können Sie bei dieser Vorgehensweise nicht gewährleisten. Sie nehmen, wenn Sie
dem Einsatz der Tornados in Afghanistan zustimmen,
bewusst in Kauf, dass dort eine Kriegsführung stattfindet, bei der Soldaten bei ihrer Gegenwehr nichts anderes
tun können, als - so hat es der Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ beschrieben - „jedes Mal ein Blutbad unter Zivilisten“ anzurichten. Sie stimmen zu, dass
wir uns durch die Zurverfügungstellung von Bildern mittelbar an dieser Art der Kriegsführung beteiligen. Das ist
die Entscheidung, die Sie heute treffen wollen und die
Sie vor Ihrem Gewissen moralisch rechtfertigen müssen.
({10})
Die NATO ist längst gescheitert. Dennoch wird immer gesagt, die NATO wolle den Kampf um die Herzen
und um die Köpfe der Menschen gewinnen. Glauben Sie
angesichts der Bedingungen vor Ort, die so aussehen,
dass man friedliche Menschen nicht von Kämpfern unterscheiden kann, denn tatsächlich, man könne mit dieser
Art der Kriegsführung den Kampf um die Herzen und
Köpfe der Menschen gewinnen? Diese Art der Auseinandersetzung bzw. der Kriegsführung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Ein Mitglied der SPD-Fraktion sagte, „man müsse
aufpassen, dass Afghanistan nicht zum deutschen Vietnam werde“; so wurde es zitiert. Ich möchte dies wie
folgt auf den Punkt bringen: Die „Irakisierung“ Afghanistans - dieser Begriff wird von vielen Militärs verwendet - ist längst eingetreten. Mittlerweile haben wir in
Afghanistan ähnliche Zustände wie im Irak. Das zeigt
wieder einmal: Mit Bomben und mit Krieg ist kein Land
zu befrieden, ist niemals Frieden in dieser Welt herzustellen.
({11})
Dies sagen im Übrigen auch viele Soldaten, die an
dieser Art der Kriegsführung und am Wiederaufbau
beteiligt sind. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass
das oft sehr schwer voneinander zu trennen ist. Wer das
einmal nachlesen will, dem empfehle ich das Interview
des Chefs des Bundeswehr-Verbandes in einer hier in
Berlin erscheinenden Tageszeitung, damit nicht die billige Ausrede kommt, es handle sich nur um die Einrede
der Fraktion Die Linke, wenn wir solche Argumente
vortragen.
Der Kollege von Klaeden hat noch einmal den Satz
aufgegriffen: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. Er hält das nach wie vor für richtig. Methodisch
habe ich gelernt, solche argumentativen Zusammenhänge umzudrehen. Wenn dieser Satz tatsächlich richtig
ist, dann muss man begründen, warum der Satz „Afghanistan wird an den Alpen verteidigt“ falsch ist.
({12})
Dass Sie nicht verstehen, dass dort unschuldige Menschen umgebracht werden! Bei den Paschtunen gilt ein
Stammesgesetz, wonach man gehalten ist, Menschen,
die unschuldig umgebracht werden, zu rächen. Aber Sie
ignorieren das alles. Die Sicherheitskräfte haben recht,
die sagen: Mit dieser Vorgehensweise erhöhen Sie die
Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland. Genau
das kann nicht Ihre Absicht sein.
({13})
Das ist nicht nur eine Intervention der Fraktion Die
Linke. Vielmehr geht das auch aus den Meldungen hervor, die Ihnen die Sicherheitsdienste immer wieder vorlegen. Die Einsichten der Sicherheitsdienste können Sie
bei Ihrer Vorgehensweise nicht ignorieren.
Ich fasse zusammen: Vor sechs Jahren mögen viele
von Ihnen gute Absichten gehabt haben. Ich weiß, wie
schwer es ist, einen einmal eingeschlagenen Weg zu verlassen. Aber nach sechs Jahren müssen Sie zu der Einsicht gekommen sein, dass man Terror nicht mit Krieg
und Terror bekämpfen kann. Ich bitte Sie im Interesse
unseres Landes, diesen Einsatz abzulehnen.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Lafontaine, lassen Sie mich einen Satz zu Ihrer Unterstellung sagen, unsere Absicht sei - so haben Sie es sinngemäß formuliert -, den Terrorismus nach Europa und
insbesondere nach Deutschland zu holen. Ich weiß
nicht, wo Sie leben, aber das findet hier längst statt. Sie
müssen sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass
der 11. September und die Anschläge auf das World
Trade Center von Mohammed Atta und anderen von
Deutschland aus geplant und vorbereitet wurden. Sie
müssen sich damit auseinandersetzen, dass in Deutschland der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg geplant wurde. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass in Deutschland der Versuch unternommen
wurde, Anschläge auf Züge durchzuführen, und dass
dieser Versuch nur gescheitert ist, weil die Attentäter
technisch nicht so versiert waren und die Rucksäcke deshalb nicht explodierten. Das ist die Realität, mit der wir
uns alle auseinanderzusetzen haben. Die Gefahr ist
längst da. Wir wollen dagegen kämpfen, weil wir Sicherheit wollen.
({0})
Die Mitglieder der Fraktion der Grünen haben sich
die Entscheidung nicht einfach gemacht. Ich behaupte,
dass es uns wie manch anderem in diesem Hause und
vielen anderen in Deutschland geht, die sich Gedanken
darüber machen, was dieser Einsatz in Afghanistan insgesamt bedeutet und was es nun bedeutet, Tornados
dorthin zu schicken. Wir haben eine Vielzahl von Gesprächen geführt und Anhörungen durchgeführt. Wir
haben militärische und zivile Experten in unsere Fraktion eingeladen und mit ihnen gesprochen. Wir haben
zudem ein Gespräch mit dem afghanischen Außenminister geführt. Mitglieder der Fraktion waren zum Beispiel
2006 in Afghanistan und haben sich vor Ort informiert.
Angesichts unserer Bemühungen in diesem Zusammenhang muss ich feststellen, Herr von Klaeden, dass
Ihre Vorwürfe nicht angemessen sind. Das sage ich, obwohl ich vielleicht zu einem anderen Ergebnis komme
als diejenigen aus meiner Fraktion, die direkt angesprochen wurden. Denn alle Mitglieder meiner Fraktion
- auch frühere Bundesminister und Menschenrechtsbeauftragte - haben damals nach ihrem Gewissen entschieden und tun dies auch heute wieder.
Es gibt an keiner Stelle einen Freifahrtschein; wir
werden vielmehr immer wieder um den zivilen und militärischen Schutz und um den Wiederaufbau in Afghanistan ringen. Ich glaube, dass Sie heute alle glaubwürdig
sein können, wenn Sie mit sich selber ringen und sich Ihrer Verantwortung als Abgeordnete bewusst sind. Insofern meine ich, Ihr Beitrag war nicht hilfreich.
({1})
Wir haben uns Gedanken gemacht und kommen zu
dem Ergebnis, dass eine kleine Mehrheit in unserer
Fraktion mit Ja stimmen wird; eine kleinere Anzahl wird
mit Nein stimmen. Hinzu kommen einige Enthaltungen.
Die Begründungen unterscheiden sich durchaus.
Ich möchte aber eines betonen: Wir haben in der
Fraktion einen klaren Konsens erzielt: Wir stehen zu
ISAF. Ich wage die These, dass es bei der heutigen Tornadoentscheidung auch längst darum geht. Wir wollen in
Afghanistan eine zentrale politische und zivile Entwicklung ermöglichen. Es gibt keine Alternative, dies ohne
militärische Absicherung zu erreichen.
Es gibt in unserer Fraktion niemanden, der einer
Exitstrategie anhängen würde. Vielmehr treibt uns alle
das Interesse, die Strategie zum Wiederaufbau in Afghanistan weiter zu verbessern. Darum geht es heute.
({2})
Es geht nicht um eine Debatte über das Ob, sondern
über das Wie bzw. über den Stellenwert des militärischen Einsatzes. Wir brauchen eine zivile Frühjahrsinitiative für einen Strategiewechsel, der nicht nur auf
NATO-Papieren geplant und in Sitzungen in Riga oder
Sevilla besprochen wird. Notwendig ist vielmehr ein
Strategiewechsel auf der zivilen Ebene, der in Afghanistan ankommt und den Menschen dort zeigt: Hier geht
es vorwärts.
({3})
So bewegen wir uns als Fraktion bei der heutigen Entscheidung - je nachdem, wie abgestimmt wird - in dem
Spannungsfeld zwischen dem Gebot der Solidarität, dem
Schutz der zivilen Helfer und der Afghaninnen und
Afghanen und der Frage, ob der Einsatz nicht kontraproduktiv ist. Zumindest hat diese Bundesregierung herzlich wenig dazu getan, den Tornadoeinsatz in den letzten
Wochen und Monaten zu erklären. So wenig Information gab es noch nie.
({4})
Der Petersbergprozess hat die Grundlagen für einen
politischen Prozess geschaffen. Es gibt ein Parlament, in
dem sogar weibliche Abgeordnete vertreten sind. Es gibt
eine neue Verfassung, Regierungsinstitutionen und einen
Justizapparat. Auch in manchen anderen Bereichen sind
Fortschritte erzielt worden. Bei alledem wissen wir aber,
dass dies nur der Anfang ist und dass es noch jede
Menge Mängel gibt.
Wir wissen, dass es strukturelle Fehlentwicklungen
gibt und dass manches Geld, das für Sicherheit, Justiz,
Gesundheit und Bildung versprochen wurde, irgendwo
- zum Teil auch durch Korruption - versickert ist, statt
dazu beizutragen, die afghanische Regierung voll funktionsfähig zu machen. Das ist die Voraussetzung, um ihren staatlichen Aufgaben nachkommen zu können und
für ihre Bürgerinnen und Bürger die entsprechenden
Dienstleistungen - zum Beispiel Bildung und ein flächendeckendes Gesundheitssystem - zu erbringen. Denn
dadurch wird eine Regierung auch innenpolitisch legitimiert.
Diesen Mangel werden wir nicht mit rein militärischen Mitteln beheben können. Dabei helfen uns auch
die Tornados nicht. Sie dienen dem Zweck, sozusagen
Übergriffe abzuwehren. Was die Legitimität der afghanischen Regierung angeht, damit sie auch von den
Stämmen als Autorität akzeptiert wird, die deren Strukturen und ihre Zukunft verändert, besteht noch erheblicher Handlungsbedarf.
Wir erwarten von Frau Merkel - Frau Merkel ist
heute nicht hier, weil sie in Brüssel ist; das respektieren
wir -, dass sie sich jetzt engagiert. Wir erwarten, dass sie
als Inhaberin der Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union jetzt vorangeht und dieses Thema in Europa
auf die Agenda setzt. Wir brauchen ein Mehr an ziviler
Unterstützung.
Mit Verlaub, Frau Wieczorek-Zeul, diese 20 Millionen Euro reichen bei weitem nicht aus.
({5})
Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung. Wir brauchen mehr Unterstützung, um beispielsweise den Polizeiapparat aufzubauen. Wir brauchen mehr Unterstützung nicht nur für die Multiplikatoren, sondern auch für
die kleinen Polizeibeamten vor Ort. Ich frage mich: Wo
ist eigentlich das Engagement der Bundesregierung?
Frau Merkel ist meines Erachtens auf der internationalen
Ebene noch seltsam still.
Ich will sagen, was wir erwarten. Wir erwarten eine
klare Aussage zur Drogenbekämpfung. Es gibt immer
noch keine kohärente Strategie. Es wird zugelassen, dass
international Sorge darüber verbreitet wird, dass Herbizide per Flugzeug ausgebracht werden. Wir wissen alle,
dass selbst dann, wenn das nicht per Flugzeug geschieht,
eine reine Herbizidstrategie vor Ort nicht nur den Mohn
zerstört, sondern auch die Gesundheit der Menschen.
Diese Strategie bietet den Menschen vor Ort keine Möglichkeit, ein anderes Gewerbe aufzubauen oder andere
Früchte anzubauen.
({6})
Genau dafür brauchen wir eine Strategie, aber keine, in
der es um Herbizide und Angstmachen geht.
({7})
Wir brauchen einen anderen Umgang mit Pakistan.
Ich weiß, dies ist definitiv nicht einfach. Wir erwarten,
dass Frau Merkel in Bezug auf den Drogenhandel auch
gegenüber Karzai ihre Vorstellungen deutlich zum Ausdruck bringt und darauf dringt, dass er gegen die Korruption kämpft, die in diesem Narco-State ja bis in die
Exekutive reicht. Wir erwarten auch, dass diese Bundesregierung ganz klar sagt, welches Ziel sie beispielsweise
für den G-8-Gipfel hat. Spätestens dann - eigentlich ist
es schon sehr spät - muss dafür Sorge getragen werden,
dass Pakistan nicht durch sein zumindest doppelbödiges
Verhalten die Lager der Taliban und von al-Qaida auf
seinem Territorium unterstützt.
Wir ringen an dieser Stelle um die Zustimmung. Wir
wollen ISAF und Afghanistan unterstützen. Wir ringen
mit uns selber. Wir wissen, dass das heute eine Gewissensentscheidung ist. Eines weiß ich aber auch: Wir
müssen heute mit Blick auf die Entscheidung im Herbst,
wenn es wieder um ISAF geht, eines hinkriegen, nämlich den Strategiewechsel mit Leben füllen. Der Strategiewechsel muss bei den Menschen vor Ort ankommen.
Man muss sich mit Pakistan auseinandersetzen, und das
Verhalten der Soldaten muss sich ändern. Es bedarf einer
Vernetzung des Zivilen mit dem Militärischen. Da dürfen keine Löcher entstehen. Natürlich brauchen wir auch
ein Stück militärischen Schutz. Wie gesagt, wir wollen,
dass es eine zivile Frühjahrsinitiative gibt und dass diese
Bundesregierung wegen der doppelten Präsidentschaft
ihrer Aufgabe nachkommt, jetzt in die Offensive zu gehen, damit das Zivile gestärkt wird. Sonst geht von diesem Tag ein falsches Signal aus.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Entwicklungsministerin, haben Sie herzlichen
Dank dafür, dass Sie daran erinnert haben, dass der
Mord an Dieter Rübling auch zeigt, wie risikoreich die
Arbeit der zivilen Helferinnen und Helfer und derer ist,
die im Auftrag des Entwicklungsministeriums dort arbeiten. Wir sollten allen, die als Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, im Auftrag des Entwicklungsministeriums oder im Auftrag von vielen anderen,
Kirchen beispielsweise, in diesem Land arbeiten und
mithelfen, dass sich so etwas wie eine Zivilgesellschaft
entwickelt, danken. Das ist ein unglaubliches Engagement. Wir wissen diese Arbeit zu schätzen und sagen
Danke schön dafür.
({0})
Egon Bahr hat gestern Abend in einer Diskussion
noch einmal deutlich gemacht, warum seiner Meinung
nach diejenigen in der SPD-Bundestagsfraktion, die sich
noch überlegen, mit Nein zu stimmen, anders handeln
sollten. Sein zentrales Argument - ich halte es für richtig - ist: Man sollte aus dieser Abstimmung keine
Grundsatzentscheidung machen; vielmehr sollte man
sich überlegen, was die Folgen wären, wenn man mit
Nein stimmt. Wenn Sie eine Sekunde - viele von uns haben Erfahrungen und Begegnungen - ({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, unterlassen Sie diese Demonstration, oder verlassen Sie
den Raum! - Ich bitte die Saaldiener, die Kolleginnen
und Kollegen des Saales zu verweisen. Das, was Sie hier
machen, geht nicht.
({0})
Ich bitte die Saaldienerinnen und Saaldiener, die Demonstration zu beenden.
({1})
Lieber Kollege Gehrcke, ich sehe, dass Sie sich an
dieser Demonstration beteiligt haben.
({0})
Sie wissen doch so gut wie alle, die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses sind, wie wir darum ringen, einen
zivilen Aufbau in Afghanistan voranzutreiben.
Gert Weisskirchen ({1})
({2})
Wir ringen um die Chance, dass dieses Land sein
Schicksal in die eigene Hand nehmen kann. Ich kann
überhaupt nicht verstehen, in welcher demagogischen
Form Sie hier auftreten. Das kann ich überhaupt nicht
verstehen.
({3})
Vielleicht sollten wir uns alle gemeinsam überlegen,
was geschehen würde, lieber Kollege Lafontaine, wenn
wir den Taliban das militärische Handeln überlassen
würden. Haben wir denn vergessen, was zum
11. September 2001 geführt hat? Haben wir vergessen,
welche Schrekkensherrschaft die Taliban in Afghanistan
ausgeübt haben?
({4})
Haben wir vergessen, dass Frauen gesteinigt worden
sind? Haben wir vergessen, dass Kinder, insbesondere
Mädchen, keine Chance gehabt haben, Schulen zu besuchen? Haben wir vergessen, dass die Fußballstadien von
den Taliban zu Hinrichtungsorten gemacht worden sind?
Haben wir das alles vergessen?
({5})
Wollen wir vergessen, dass die Taliban jetzt wieder
versuchen, im Süden Afghanistans Boden zurückzugewinnen? Der Staudamm, der dort zurzeit gegen die Angriffe der Taliban verteidigt werden muss, ist die Lebensader von mehreren Hunderttausend von Menschen
im Süden Afghanistans. Die Taliban haben erklärt, sie
wollten diese Lebensader durchschneiden, sie wollten
den Staudamm zerbrechen. Können wir das hinnehmen?
Wenn die Regierung Karzai die internationale Staatengemeinschaft darum bittet, militärisch mitzuhelfen, dass
dieser Angriff der Taliban abgewehrt wird: Können wir
das zurückweisen? Können wir uns der Bereitstellung
von sechs Tornados, die dabei mithelfen können, aufzuklären, was dort seitens der Taliban militärisch geschieht, wirklich verweigern? Wir würden uns vielleicht
geradezu mitschuldig daran machen, dass Hunderttausende von Menschen im Süden Afghanistans keine Lebensperspektive haben.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Gerne, Herr Kollege Ströbele.
({0})
- Gute Frage.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Fotoaufnahmen, die die Tornados machen und an die Militäreinsatzführung weitergeben,
auch dazu benutzt werden - ich betone: auch dazu benutzt werden -, Ziele auszumachen, auf die Raketen
und Bomben abgeworfen werden, und dass wir dann,
wenn in Zukunft Meldungen durch die Presse gehen,
nach denen bei der Bombardierung von Gehöften, von
Ortschaften, von Orten zahlreiche Menschen, die
Hälfte oder ein Viertel davon Zivilisten, Frauen, Kinder, alte Menschen, getötet worden sind, sagen müssen:
Das kann auch auf der Grundlage der von unseren Tornados gelieferten Daten und Fotos geschehen sein?
Lieber Herr Kollege Ströbele, darf ich Ihre Frage mit
einer Gegenfrage beantworten?
({0})
Sie haben vielleicht gehört, Herr Kollege Ströbele
- möglicherweise waren Sie aber auch nicht dabei, als
das gesagt wurde -, dass das Parteimitglied der Grünen,
der Außenminister Afghanistans, Dr. Rangin Spanta,
Folgendes gesagt hat - ich zitiere ihn -:
Diese Tornados machen Aufklärungsarbeit. Sie dienen dem Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung,
({1})
weil die Grenzen ziemlich durchlässig sind:
2 400 km Grenze. Die Terroristen kommen, ziehen
sich wieder ins Hinterland zurück. Die TornadoAufklärer können dagegen helfen.
Ich schließe mich dem Außenminister Afghanistans,
dem Mitglied der Grünen, ausdrücklich an.
({2})
Herr Kollege Weisskirchen, es gibt eine weitere Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Kunert.
Bitte schön.
Herr Kollege Weisskirchen, ich habe eine ganz konkrete Frage. Sie mögen die Aktion meiner Kolleginnen
und Kollegen werten, wie Sie wollen; aber Ihnen ist sicherlich bekannt, dass es eine Umfrage in der Bevölkerung gegeben hat, wonach 77 Prozent der Befragten
diesen Tornado-Einsatz ablehnen. Ich frage Sie: Wie
würden Sie Ihre Entscheidung gegenüber diesen 77 Prozent begründen?
({0})
Sie zu begründen, ist genau das, was ich mit meiner
Rede beabsichtige.
({0})
Ich will an diesem Punkt Folgendes deutlich machen:
Im kanadischen Parlament gab es vor einem Jahr eine
Mehrheit von zwei Stimmen dafür, sich an dem militärischen Einsatz im Süden Afghanistans zu beteiligen.
Viele Dutzende von kanadischen Soldaten haben bei diesem Einsatz ihr Leben gelassen. Innerhalb der kanadischen Bevölkerung gibt es wie bei uns eine demoskopische Mehrheit gegen diesen Einsatz.
Was würde es im Hinblick auf die Entscheidung des
kanadischen Parlaments, die Anfang des nächsten Jahres
neu ansteht, bedeuten, wenn wir heute bei der Entscheidung über den Tornado-Einsatz Nein sagen, wenn wir
also den Einsatz des recht begrenzten militärischen Instruments von sechs Tornados heute verweigern würden? Ich bin ganz sicher, dass das kanadische Parlament
dann sagen würde: Das ist aber solidarisch von euch; wir
werden jetzt unsere Entscheidung gegen euch treffen.
Was würde das für Afghanistan und für das gesamte
Mandat bedeuten? Wir würden Afghanistan mit einer
solchen Entscheidung in den Untergang treiben. Wir
müssen Entscheidungen manchmal gegen Stimmungen
treffen. Das ist jetzt nötig.
({1})
Militärisch können die Köpfe und Herzen der Afghanen nicht gewonnen werden. Da gebe ich allen recht, die
das kritisch angemerkt haben; das gilt auch für einige in
der SPD-Fraktion.
({2})
Es gilt aber eben auch der Satz: Ohne begrenzte militärische Mittel wird es nicht das hinreichende Maß an Sicherheit geben, das Afghanistan braucht, damit es einmal selbst über die eigene Entwicklung entscheiden
kann. Dieses Maß an Sicherheit ist aber nötig. Ich
stimme dem Kollegen von Klaeden ausdrücklich zu - er
hat die Frau Ministerin zitiert -: Es gibt keine Sicherheit
ohne Entwicklung. Aber auch der Umkehrsatz gilt: Es
gibt keine Entwicklung ohne Sicherheit. Dieses Maß an
Sicherheit muss jetzt hergestellt werden.
({3})
Frau Künast, vielleicht haben Sie nicht registriert
- das möchte ich Ihnen doch sagen, weil Sie vorhin eine
entsprechende Bemerkung gemacht haben -, dass
Deutschland der viertgrößte
({4})
- nein - Financier der Welt im Bereich der Entwicklungshilfe ist. Nach den USA, Kanada und Großbritannien kommt Deutschland. Bis zum Jahr 2010 haben wir
- nicht zu vergessen - von den 30 Milliarden US-Dollar,
die im Afghanistan-Compact im letzten Jahr beschlossen
worden sind, ohne Berücksichtigung unserer Zahlungen
im Rahmen der Europäischen Union allein für den zivilen Aufbau 1 Milliarde US-Dollar zur Verfügung gestellt. Damit macht Deutschland deutlich: Es ist das
Wichtigste, den zivilen Aufbau voranzubringen. Dazu
brauchen wir aber auch die militärische Unterstützung.
Deswegen sind wir für den Tornadoeinsatz.
({5})
Die Behauptung der Linken, der PDS, wir hätten
keine sichere völkerrechtliche Grundlage, wird durch
häufiges Wiederholen nicht richtiger; sie bleibt falsch.
({6})
Ich will aus dem letzten Beschluss des Weltsicherheitsrats, Resolution 1707 vom September des letzten Jahres,
zitieren.
({7})
Unter Ziffer 4 heißt es: Der Sicherheitsrat fordert nach
Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen
die ISAF auf, bei der Durchführung des Mandats
der Truppe auch weiterhin in enger Abstimmung
mit der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan, mit dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs sowie mit der Koalition der Operation
„Dauerhafte Freiheit“ zu arbeiten.
Wollen Sie etwa unterstellen, dass sich der Weltsicherheitsrat konträr zum Völkerrecht verhält? Das ist doch
eine absurde Unterstellung. Absurder kann es gar nicht
sein, lieber Kollege Lafontaine.
({8})
Uns ist bewusst, dass es eine schwierige, auch eine
Gewissensentscheidung ist - wir wissen, dass es Kollegen gibt, denen das schwerfällt -, dem Tornado-Einsatz
zuzustimmen. Klar ist aber erstens, dass der zivile Impuls gegenüber dem militärischen Impuls künftig verstärkt werden muss. Das ist durch den Strategiewechsel,
der innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft
von Frank-Walter Steinmeier vorangetrieben worden ist,
dokumentiert.
Zweitens ist zuzugeben, dass die Aufgabe viel
schwieriger ist, als wir uns das zu Beginn vorgestellt haben. Das ist zutreffend.
Gert Weisskirchen ({9})
Drittens gilt, dass das Hilfskonzept umfassender organisiert werden muss. Der Afghanistan-Compact ist der
Ausdruck dafür, dass wir unsere Arbeit in Afghanistan
ernst nehmen. Wir müssen den Menschen in Afghanistan
sagen: Ihr könnt euch auf uns verlassen. Wenn ihr wollt,
dass wir euch helfen, dann sind wir bei euch.
({10})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Paech.
({0})
Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben uns „Vergessen“ vorgeworfen. Vielleicht ist es so, dass man den
Splitter im Auge des anderen sieht, aber den Balken vor
den eigenen Augen nicht.
({0})
Sehen Sie denn nicht, dass Sie mit Ihrer Strategie, mit
der Erweiterung des Kriegsszenarios das Gegenteil von
dem machen, was Sie eigentlich machen wollen, nämlich Hearts and Minds zu gewinnen, dass Sie die Taliban
eigentlich nur unterstützen, dass Sie sie fördern? In dem
sechsjährigen Krieg sind die Taliban noch nie so stark
gewesen, insbesondere im Süden, wie jetzt. Das ist doch
kein Ergebnis Ihres zivilen Impulses, sondern ein Ergebnis der Verstärkung der militärischen Aktivitäten.
Ein Zweites. Einer ihrer größten Erfolge in diesen
sechs Jahren ist - das wissen wir alle -, dass der Drogenanbau und der Drogenhandel in dieser Region Dimensionen wie noch nie zuvor angenommen haben. Das
ist eine Kriegsökonomie, die die Taliban benutzen, um
ihre Stärke weiter auszubauen. Mit der zunehmenden
Militarisierung dieses Konfliktes werden also auch die
Gegner gestärkt. Daran geht die NATO auf jeden Fall
zugrunde.
Danke schön.
({1})
Herr Kollege Weisskirchen.
Lieber Kollege Paech, lassen Sie mich nur einen
Punkt aufgreifen. Wenn ich es richtig in Erinnerung
habe, besteht das dortige Parlament zu über 30 Prozent
aus Frauen. Das ist ein Zeichen dafür, dass es in Afghanistan auch eine qualitativ andere Entwicklung gibt.
({0})
Zuvor wurden sie gesteinigt, wurden sie unterdrückt und
({1})
wurden sie in einer Weise bedrängt, dass sie ihr eigenes
Leben nicht haben führen können. Allein das macht
deutlich, dass wir an der Seite Afghanistans bleiben und
mithelfen müssen, damit Afghanistan seinen eigenen,
selbstbestimmten Weg gehen kann.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Zahl der Selbstmordanschläge in Afghanistan hat
sich im letzten Jahr gegenüber 2005 nahezu verfünffacht. Auch in diesem Jahr gab es bereits rund 20 Anschläge.
Wir stehen nicht am Anfang eines Engagements in
Afghanistan. Wir stehen am Scheideweg dieses Engagements. Deswegen haben wir im Herbst des letzten Jahres, als wir hier eine Debatte über die Verlängerung der
Mandate ISAF und Operation Enduring Freedom geführt
haben, auch eine Diskussion darüber begonnen, dass es
einen Strategiewechsel hin zu einem besseren Gleichgewicht zwischen zivilen und militärischen Maßnahmen
geben muss. Das muss wiederhergestellt werden. Das
bedeutet, dass sehr viel stärker als bisher auf zivilmilitärische Zusammenarbeit und den Wiederaufbau
in Afghanistan Wert gelegt werden muss.
({0})
Wir haben hier auch über den Beitrag Deutschlands
diskutiert. Wir leisten einen großen Beitrag. Das ist auch
mehrfach gesagt worden. Wir haben jetzt die Chance, in
der Nordregion schnell deutlich sichtbare Zeichen zu
setzen und damit klarzumachen, dass wir dort sind, um
den Menschen in diesem Land zu helfen. Das ist dringend erforderlich. Wir brauchen auch eine Optimierung
der Leistungen, die die Bundesressorts erbringen. Diese
müssen deutlich besser koordiniert werden.
({1})
Genau darüber haben wir in den letzten Wochen gesprochen: über den Polizeiaufbau und den Aufbau des
Justizvollzugswesens. Wir haben nicht nur hier im Deutschen Bundestag darüber gesprochen, sondern dadurch
ist auch einiges andere in Bewegung geraten. Bis hin zu
den NATO-Verteidigungsministern hat sich die Einsicht
durchgesetzt, dass das Ziel der Stabilisierung Afghanistans mit militärischen Mitteln allein nicht erreicht werden kann. Die große Mehrheit unserer Fraktion sieht,
dass sich die Dinge hier in die richtige Richtung entwickeln. Deshalb werden wir heute unsere Zustimmung
nicht verweigern.
({2})
Der Einsatz der deutschen Recce-Tornados kann zu
einer Verbesserung der Sicherheitslage beitragen. Das ist
hier schon mehrfach gesagt worden. Es kann auch eine
Optimierung der militärischen Operationen erreicht werden. Die Bundesregierung trägt eine große Verantwortung. Sie hat mehrfach versichert, dass sie über die
Personalstrukturen Einfluss auf die militärische Operationsführung hat. Wir erwarten, dass sie diesen Einfluss
auch geltend macht und sich dafür einsetzt, zukünftig
nicht nur Einsatzregeln, sondern auch Verhaltensregeln
aufzustellen. Das wird für die weitere Entwicklung von
Afghanistan entscheidend sein.
({3})
Wir haben uns im Rahmen der Diskussion auch über
die Frage unterhalten, ob die Tornados überhaupt einsatzfähig sind. Diese Frage kam sowohl aus der Bevölkerung als auch von den Kolleginnen und Kollegen. Ich
finde, die Bundesregierung hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Einsatzfähigkeit voll gegeben ist, dass
hier auch in Zusammenarbeit mit den anderen Nationen
die Einsatzfähigkeit sichergestellt wird.
Wir sagen deutlich: Wir im Deutschen Bundestag legen gemeinsam Wert darauf, dass die bestmögliche Ausstattung der deutschen Soldatinnen und Soldaten sichergestellt wird und damit eben auch die Ausübung des
neuen Mandats ermöglicht wird.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle ein Wort zur Finanzierung sagen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, im Rahmen der Beratungen kamen auch aus
den Koalitionsfraktionen und aus dem Verteidigungsministerium große Bedenken darüber auf, dass dieser
Einsatz erneut allein aus dem Haushalt des Verteidigungsministeriums finanziert werden wird. Das wird auf
Dauer so nicht gehen können. Wenn Sie das auf Dauer
weiter so machen, wird das nicht ohne Einfluss auf die
Ausrüstung und Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten bleiben. Deshalb erwarten wir, dass Sie Anstrengungen unternehmen, dass solche zusätzlichen Einsätze zukünftig aus dem allgemeinen Haushalt finanziert
werden.
({5})
Wichtig ist die politische Flankierung, nicht nur beim
Wiederaufbau, sondern auch bei den Bemühungen um
die Stabilisierung der afghanisch-pakistanischen Grenzregion. Und hier braucht es eine Unterstützung der pakistanischen Regierung gegen islamistische, terroristische und kriminelle Kräfte in Pakistan.
Auch hier muss es politische Initiativen der Bundesregierung geben. Wenn wir dieses Problem und das
Flüchtlingsproblem in der Grenzregion nicht lösen, wird
das eine dauerhafte Quelle der Destabilisierung für Afghanistan sein.
({6})
Meine Damen und Herren, deshalb sage ich sehr deutlich: Mit der Zustimmung zum heutigen Mandat gibt es
aus der Sicht unserer Fraktion keinen Automatismus hinsichtlich weiterer Abstimmungen über eine Mandatsverlängerung; im Herbst dieses Jahres wird ja wieder eine
anstehen.
({7})
Wir erwarten, dass nicht nur über den Strategiewechsel
gesprochen wird, sondern dass er auch umgesetzt wird.
Ich möchte eine letzte Bemerkung machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Diskussion in den letzten
Wochen im Deutschen Bundestag war nicht etwa
Hemmschuh, nein, sie war in vielen Punkten eine Unterstützung für die Bundesregierung - auch auf NATOEbene -, wenn es darum ging, auf den politischen Wechsel hinzuwirken.
Frau Kollegin!
Frau Präsidentin! Ich komme zum letzten Satz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb beweist sich
an dieser Stelle die Überlegenheit des Konzepts der Parlamentsarmee. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass
das auch weiter so bleibt.
({0})
Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen unter zum Teil
gefährlichen Bedingungen ihren Auftrag in verschiedenen Auslandseinsätzen. Nach besten Kräften, unterstützt
von ihren Kameraden in der Heimat, tragen sie so zum
guten Ansehen unseres Landes in der Welt entscheidend
bei. Dafür gebührt - das kann man nicht nur nicht häufig
genug wiederholen, sondern man muss es - den Angehörigen unserer Streitkräfte unser aller Dank.
({0})
Insbesondere den Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ist ein Dank auszusprechen, denn sie haben in den
letzten Jahren Hervorragendes geleistet.
Heute entscheiden wir in diesem Hohen Haus über
den Einsatz der Aufklärungstornados in Afghanistan.
Eine wochenlange Diskussion liegt hinter uns. Ich
denke, diese Diskussion hat deutlich gemacht, dass die
meisten Mitglieder in den Fraktionen verantwortungsvoll mit diesem Thema umgegangen sind. Deshalb werden wir heute bei der Beschlussfassung auch eine so
klare Mehrheit zur Kenntnis nehmen.
Diese Diskussion hat auch gezeigt, dass die Bundeswehr zu Recht als Parlamentsarmee dargestellt wird. Wir
haben also bei der Entsendung deutscher Soldatinnen
und Soldaten ins Ausland die letzte Entscheidung und
damit auch eine besondere Verantwortung.
Wichtiger erscheint mir allerdings, dass eine Befassung durch den Bundestag zu einer sicherheitspolitischen Diskussion in der breiten Öffentlichkeit unserer
Gesellschaft geführt hat. Wir werden sehen, dass diese
Diskussion heute nicht beendet ist, sondern auch in der
Zukunft weitergeht. Ich will an dieser Stelle daran erinnern, dass wir vor einem Jahr über den Kongoeinsatz
entschieden haben. Wenn wir damals die Umfragen bezüglich eines möglichen Kongoeinsatzes als Grundlage
für unsere Entscheidung genommen hätten, hätten wir
nicht so einen erfolgreichen Einsatz im Kongo organisiert und umgesetzt.
({1})
Natürlich wird eine solche Diskussion kontrovers geführt. Das wesentliche Argument der Gegner eines Einsatzes von Tornados in Afghanistan ist - wir haben das
heute gehört -, dass der Einsatz eine völlig neue Dimension der Kriegsbeteiligung bedeuten würde und zugleich
zu einer weiteren Militarisierung der deutschen Außenpolitik führen würde. Dem widerspreche ich ganz entschieden. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass unser Einsatz
in Afghanistan nur durch einen ausgewogenen und vernetzten sicherheitspolitischen Ansatz zum Erfolg führen
kann. Das bedeutet den Einsatz sowohl ziviler als auch
militärischer Mittel in Afghanistan. Das eine ist ohne das
andere nicht denkbar, weiß doch eigentlich jeder, dass
ziviler Aufbau und demokratische Strukturen in einem
Klima von Krieg, Zerstörung und Existenzkampf der
Bevölkerung nicht gedeihen können. Diese notwendige
Sicherheit muss notfalls auch gegen Widerstände über
längere Zeiträume verteidigt werden, nicht zuletzt, um
das bisher Erreichte in Afghanistan abzusichern. Dafür
brauchen wir den Einsatz militärischer Fähigkeiten.
Die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe
ISAF hat bereits in der Vergangenheit militärische Aufklärung in Afghanistan betrieben. Deutschland hat zum
Beispiel Aufklärungsdrohnen des Typs LUNA im Norden Afghanistans im Einsatz. Im Bereich der Luftaufklärung hat es jedoch bisher eine Fähigkeitslücke gegeben,
die wir nun schließen können. Unsere Tornados sind hervorragend geeignet - das können sie besser als andere -,
am Tage in Höhen von bis zu 8,5 Kilometern auch bei
schlechtem Wetter und mit einer Geschwindigkeit von
über 1 000 Kilometern pro Stunde exakte Bilder zu liefern und Nachtaufklärung mit Infrarot zu betreiben. Dadurch bieten die deutschen Tornados eine besondere
Qualität im Bereich moderner Aufklärung.
Wenn wir unsere Tornados nach Afghanistan senden,
dann geht es dabei nicht nur um den Einsatz einer weiteren militärischen Fähigkeit, sondern um unseren Beitrag
an jenem abgestimmten und ausgewogenen Konzept,
mit dem die langfristige Stabilisierung Afghanistans
erreicht werden soll.
({2})
Denn die Aufklärung von Räumen und Objekten trägt
unmittelbar zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten und zur Absicherung des zivilen Aufbaus bei. Dass
dieser Schutz nicht ausschließlich unseren Kräften zur
Verfügung stehen sollte, sondern allen Verbündeten, das
versteht sich aus meiner Sicht von Bündnissolidarität
von selbst.
Deutschland beteiligt sich mit einer breiten Palette
ziviler und militärischer Maßnahmen am Aufbau in
Afghanistan. Die Bundeswehr schafft Sicherheit als
Voraussetzung für eine positive Entwicklung.
Herr Kollege, darf ich Sie an die Zeit erinnern!
Letzter Satz, Frau Präsidentin. - Die Tornados sind
damit ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Stabilität und
Frieden in der Region.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Taliban sind wieder erstarkt. Vielleicht nimmt Die
Linke einmal zur Kenntnis, dass sich deren menschenverachtender Terror nicht in erster Linie gegen die Soldaten aus 37 Ländern richtet, sondern gegen die Menschen in Afghanistan,
({0})
gegen die zivilen Aufbauhelfer, gegen die Schulen und
gegen Lehrer, die Frauen und Mädchen unterrichten.
({1})
Die meisten Opfer, die es durch Terrorismus gegeben
hat, sind afghanische Zivilisten.
Ich denke, die Taliban wissen auch, dass sie diese militärische Auseinandersetzung nicht gewinnen können.
Sie setzen aber auf eine andere Strategie, nämlich darauf, dass sie die westlichen Industrieländer, die sich
dort engagieren, zermürben können. Deshalb glaube ich
schon, dass die Art, wie wir heute diskutieren und wie
wir entscheiden, am Ende nicht nur eine nationale Angelegenheit ist, sondern auch Einfluss darauf hat, wie die8704
ser Kampf in Afghanistan weitergeführt werden kann.
Wir dürfen ihnen auch mit unserer Wortwahl nicht entgegenkommen.
({2})
In dieser schwierigen Phase in Afghanistan, in der es
nicht um das Gelingen oder einen Misserfolg, sondern
um eine Weichenstellung hin zu mehr Stabilität geht, hat
die NATO - das ist kein anonymes Gremium, wir Deutschen sind Mitglied der NATO - einen Anforderungskatalog für zusätzliche Fähigkeiten aufgestellt. Ein
Beitrag dazu sind diese Tornados, mit denen eine einzigartige Fähigkeit verbunden ist. Die Ressourcen dafür hat
momentan nur Deutschland frei. Die Aufnahmen dieser
Tornados sind nicht die einzigen Auswertungsgrundlagen für Entscheidungen in Afghanistan, sondern ein Teil
der Informationen. Klar ist aber, dass damit zwei Dinge
geleistet werden können:
Erstens. Anschläge können dadurch in der Tat verhindert werden.
({3})
- Da gibt es doch nichts zu lachen. Ich weiß nicht, was
für die Kollegen der Linken daran lustig ist. - Wir haben
heute schon über das Staudammprojekt gesprochen. Für
diesen Staudamm muss eine dritte Turbine auf dem
Landweg transportiert werden. Natürlich können die
Tornados diese Route, diese Straßen, bei jedem Wetter
Tag und Nacht bestreifen und aufklären, ob dort in der
Nacht Sprengfallen vergraben werden. Das ist wichtig
für die Menschen in Afghanistan, deren Hoffnungen und
deren Lebensbedingungen.
({4})
Zweitens. Natürlich können die Tornados auch Ziele
aufklären. Wir als Deutsche haben mit allen 36 Partnern
ein gemeinsames Interesse daran, dass nicht immer neue
Terroristen über die Grenze von Pakistan kommen. Je
genauer die Ziele aufgeklärt werden, umso besser ist es
möglich, zivile Opfer zu vermeiden.
Ich sage an dieser Stelle eines: Natürlich müssen wir
mit den amerikanischen Partnern immer wieder darüber
reden, dass wir die Kultur der Afghanen respektieren
wollen und wie sorgsam wir vorgehen, um zivile Schäden zu vermeiden. Ein schlauer Rat aus Deutschland alleine ist aber wohlfeil. Die Amerikaner fragen uns dann
schon zu Recht, welchen Beitrag wir dazu leisten, damit
solche Fehler nicht passieren. Die Tornados sind ein
ernsthafter Beitrag dazu. Deshalb ist es richtig, verantwortbar und notwendig, dass wir dies heute so entscheiden.
({5})
Ich verstehe die Sorge vieler Kolleginnen und Kollegen auch in diesem Haus, die in erster Linie befürchten,
dass es so etwas wie eine Zwanghaftigkeit gibt, die nicht
mehr kontrollierbar ist, sodass wir immer weiter in militärische Auseinandersetzungen verwickelt werden. Diese
Befürchtung ist aus zwei Gründen falsch:
Der erste Grund ist, dass wir den deutschen Parlamentsvorbehalt haben. Das Parlament hat ja mit dafür
gesorgt, dass die Regierung einen Antrag vorgelegt hat,
aufgrund dessen wir in dieser Debatte heute über die
Tornados diskutieren. Wir selbst haben dies in der Hand.
Der deutsche Parlamentsvorbehalt ist allerdings nicht
nur ein Recht für uns Parlamentarier, sondern uns wird
dadurch natürlich auch eine Verantwortung übertragen.
({6})
Ich will schon noch einmal sagen: Die Linke und der
Redner der Linken stehlen sich in dieser Frage nicht zum
ersten Mal aus der Verantwortung. Das ist ein ernsthaftes
Problem.
({7})
Es gibt einen zweiten Grund, warum wir nicht in
Dinge schlittern, die wir nicht haben wollen. Dieser
Grund ist ganz klar: Alle, die heute mit Ja stimmen, wissen doch selbstverständlich, dass man den Krieg gegen
Terroristen, die Sprengfallen aufstellen und Selbstmordattentäter in ihren Reihen haben, nicht in erster Linie militärisch gewinnt. Das ist eine Binsenweisheit. Natürlich
hat die Bundesregierung wichtige Impulse dafür gegeben - alle Ressorts -, dass die Staatengemeinschaft die
militärischen und zivilen Aufbauanstrengungen stärker
verzahnt und die Bemühungen erhöht - und das ist richtig so. Ich glaube, alle Parlamentarier werden genau
beobachten, wie sich dies bis zum Oktober entwickeln
wird, wenn wir erneut darüber diskutieren werden.
Wir wissen aber eines: Wir dürfen jetzt nicht zurückweichen. Häufig werden wir gefragt, wie lange das in
Afghanistan dauern wird. Die Antwort ist eindeutig:
({8})
Es wird so lange gehen müssen, bis man den Terror zwar
nicht besiegt, aber so weit zurückgedrängt hat, dass die afghanischen Sicherheitsbehörden - Polizei und Militär -,
die noch weiter ausgebaut werden müssen, in ihrem eigenen Land selbst die Verantwortung für Sicherheit
übernehmen können. So lange wird sich Deutschland
dort engagieren müssen.
({9})
Ich sage zum Schluss: Es gibt in der Lehre des Islam
einen sehr schönen Satz. Wir werden so lange dort bleiben - das muss auch jeder Taliban wissen -, bis dieser
Satz in ganz Afghanistan universelle Gültigkeit hat. Er
lautet:
Die Tinte des Schülers ist heiliger als das Blut des
Kämpfers.
Darum geht es am Ende.
Herzlichen Dank, Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Gert Winkelmeier.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich kann mir gut vorstellen, dass es der Bundesregierung
und manch einem hier im Parlament überhaupt nicht in
den Kram passt, dass die NATO-geführte ISAF ausgerechnet jetzt mit ihrer sogenannten Frühjahrsoffensive
begonnen hat. Nun helfen nämlich alle Versuche nichts
mehr, den eigenen Kollegen in der Öffentlichkeit vorzuspiegeln, dass die Einsätze von ISAF und der Operation
„Enduring Freedom“ in Zielsetzung und Mitteln etwas
völlig Verschiedenes wären. Nein, jetzt ist für jedermann
sichtbar, dass ISAF, die sogenannte Stabilisierungstruppe, Krieg führt, und zwar so, wie wir ihn aus dem
Irak und aus dem sogenannten Antiterrorkampf in Afghanistan seit 2001 kennen: mit wenig Rücksicht auf
Verluste unter der unbeteiligten Zivilbevölkerung.
({0})
An diesem Krieg wird sich die Bundeswehr mit den Aufklärungstornados beteiligen, wenn heute in diesem
Hause nicht noch ein Wunder geschieht.
Noch einmal: Aufklärung ist integraler Bestandteil
der Kriegsführung. Deswegen gilt: Wer Jagdbombern
Ziele zuweist, macht sich mitschuldig an der Tötung Unschuldiger.
({1})
Wir haben es doch erst vergangenen Montag wieder erlebt: Bei der Bombardierung eines Wohnhauses in der
Provinz Kapisa in Nordafghanistan wurden fünf Frauen,
drei Kinder und ein alter Mann getötet. Glaubt denn jemand ernsthaft daran, dass so etwas durch die RecceTornados verhindert werden kann? Das Gegenteil trifft
doch zu: Wenn Stunden nach der Momentaufnahme die
Bomben fallen, hat sich die Lage doch längst verändert.
Die paschtunischen Taliban warten doch nicht, bis ihnen
die Bomben auf den Kopf fallen. Sie treten auch nicht in
geschlossenen Formationen auf. Im Übrigen frage ich
mich, wie ein Bildauswerter einen waffentragenden Bauern von einem Talibankämpfer unterscheiden soll.
Nein, Kolleginnen und Kollegen, machen Sie sich
nichts vor. Die Tornados, deren Einsatzkosten alleine bis
Oktober 35 Millionen Euro betragen, sind aktiver Teil
der Kriegsmaschinerie und ersetzen die britischen Harrier-Bomber, die vorher die Aufklärungsarbeit geleistet
haben. Im Rahmen der Frühjahrsoffensive sollen die
Harrier voll in den Luft-Boden-Kampf eingreifen.
An dieser Stelle ein Wort zu Herrn Kuhn. Er ist der
Meinung, die Tornados seien nötig, um den Hilfsorganisationen den Weg zu weisen. So entnahm ich es der
„Süddeutschen“ von vorgestern. Wissen Sie, Herr Kuhn,
für mich ist das eine intellektuelle Zumutung von Ihnen,
vom friedenspolitischen Aspekt einmal abgesehen. Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, wie viel CO2 ein
solcher Tornado ausstößt? Umweltschutz, meine Damen
und Herren von den Grünen, hört nicht an den eigenen
Grenzen auf und ist auch nicht teilbar.
({2})
In den letzten Jahren habe ich mir oft gewünscht, dass
Ihre beiden Kollegen Petra Kelly und General Bastian
noch leben würden. Die hätten Ihnen den Zusammenhang von Friedens- und Umweltbewegung sicherlich genau erklären können.
({3})
Der Tornadoeinsatz wird nicht mehr Schutz für unsere
Soldaten bringen; denn auch die Deutschen werden mit
der brutalen Kriegsführung der Alliierten identifiziert.
Das wird auch im Norden auf die Bundeswehr zurückschlagen. Die Menschen in Afghanistan leben seit Jahrzehnten unter der Geißel des Krieges bzw. Bürgerkrieges.
Seit Jahrzehnten sind sie Spielball fremder Interessen:
erst britischer, dann russischer und heute amerikanischer
Interessen. Geben wir ihnen endlich die Chance, ihr
Schicksal selber zu bestimmen. Machen wir endlich Ernst
mit wirklicher Hilfe für den Wiederaufbau in Afghanistan,
({4})
das uns noch traditionell freundschaftlich verbunden ist.
Das geht aber nur unter Einbeziehung aller Gruppen im
Land und nicht gegen sie; und schon gar nicht mit militärischen Mitteln und mit der Überstülpung unserer Vorstellungen von Demokratie.
({5})
Der Oberstarzt a. D. der Bundeswehr, Reinhard Erös,
weist in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 2. März und
gestern Abend in Phoenix zu Recht darauf hin, dass die
allein für 2007 für den Tornadoeinsatz benötigten Mittel
den Bau von 1 200 Schulen ermöglichen würden. Zurzeit wird noch mehr als zehnmal so viel für den Krieg
ausgegeben wie für den Wiederaufbau. Für den Wiederaufbau ist die Entwicklung einer Exit-Strategie nötig.
Das heißt, die Aufwendungen für den wirtschaftlichen
Aufbau sind um ein Vielfaches zu erhöhen, während die
militärischen Kosten auf null gesenkt werden müssen.
({6})
Was Sie, die Mehrheit in diesem Hause, aber heute
beschließen wollen, ist das genaue Gegenteil. Ihre Strategie führt unweigerlich in eine von anderen gewollte,
immer tiefere Verstrickung in einen Krieg, der deutschen
und europäischen Interessen zuwiderläuft. Als der englische Umweltminister Michael Meacher nicht länger der
Pudel des US-Präsidenten sein wollte, trat er zurück. Am
6. September 2003 schrieb er im „Guardian“: Dieser
Krieg gegen den Terror ist ein Vorwand.
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer einem Wort an
meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD:
Einst hatte Ihre Partei die Kraft zur Abkehr von der
Atomstrompolitik. Haben Sie heute endlich die Kraft,
mit der Militarisierung der deutschen Außenpolitik aufzuhören! Wenn Sie das nicht schaffen, dann - das prophezeie ich Ihnen - wird es auf lange Sicht keinen sozialdemokratischen Kanzler in diesem Lande mehr geben.
Danke schön.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Entwicklungspolitiker haben uns eindeutig für die Entsendung der Recce-Tornados nach Afghanistan ausgesprochen, weil gerade wir wissen: Sicherheit und
Entwicklung sind zwei Seiten der gleichen Medaille;
nur beide Elemente zusammen sind der Schlüssel zum
Erfolg unserer gemeinsamen Anstrengungen in diesem
Land.
Der feige Mord an dem deutschen Entwicklungshelfer gestern zeigt, wie sehr sowohl unsere Bundeswehrsoldaten als auch die deutschen Entwicklungsfachleute
jeden Tag in Unsicherheit leben - ebenso wie die afghanische Bevölkerung. Präzisere Aufklärung ist zwar kein
Allheilmittel; aber es ist völlig klar, dass sie die Sicherheit für unsere Soldaten, für unsere Entwicklungshelfer
und für die afghanische Zivilbevölkerung erhöht, auch
weil sie hilft, Kollateralschäden zu vermeiden oder zu
minimieren. Das ist wichtig, damit die Afghanen in uns
weiterhin Helfer und Freunde und nicht Besatzer sehen.
Auf dem Rigaer Gipfel der NATO wurde offiziell bestätigt, was wir schon oft gesagt haben: Der Weg zu einem stabilen, friedlichen Afghanistan ohne Terrorismus
ist nicht militärisch zu erzwingen, sondern nur durch einen konzentrierten Aufbau und Wiederaufbau, der aber
militärisch abgesichert werden muss, möglich. Wir haben gesagt, dass dieser Einsatz auf zwei Beinen steht.
Deswegen ist es auch richtig, dass die Bundesregierung
die Mittel für die Entwicklung in Afghanistan um
25 Prozent erhöht.
Ich freue mich - das sage ich ganz ehrlich - über die
breite Unterstützung, die der zivile Aufbau, die Entwicklungspolitik, die Entwicklungshilfe in diesem Hause
jetzt genießen. Ich freue mich auch, dass die Amerikaner
und andere einen substanzielleren Beitrag leisten.
Ebenso freue ich mich auf die Unterstützung der Grünen
beim nächsten Haushalt, Herr Trittin. Aber ich kann mir
natürlich nicht verkneifen, auch Ihnen zu sagen: Erst
seitdem die Grünen nicht mehr in der Regierung sind,
nimmt das Budget der Entwicklungsministerin substanziell zu.
({0})
Wir müssen - das wurde heute völlig zu Recht schon
festgestellt - natürlich auch sagen, dass die Entwicklung
Afghanistans in letzter Zeit bedenklich ins Stottern geraten ist. Das hat verschiedene Ursachen: die ungelöste
Drogenproblematik und auch das Wiedererstarken der
Taliban. Die Taliban gehen nach dem Prinzip Zuckerbrot
und Peitsche vor: auf der einen Seite soziale Hilfsleistungen, auf der anderen Seite Gewalt, Erpressung und
Zusammenarbeit mit Drogenverbrechern, um die Macht
in den Städten und im Land wiederzuerlangen.
Herr Hoyer, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, Durchhalteparolen seien zu wenig. Jawohl, Parolen sind zu wenig; aber durchhalten ist wichtig. Wichtig ist auch, dass
wir die richtigen Konsequenzen aus dem ziehen, was
bisher nicht hundertprozentig geklappt hat.
Erstens. Eine Erkenntnis ist, dass den Taliban und
al-Qaida nicht allein mit zivilen Mitteln Einhalt geboten
werden kann. Der Aufbau kann nicht ohne militärische
Absicherung funktionieren.
Zweitens. Unser Erfolg im Norden und im Osten ist
nur nachhaltig, wenn die Stabilisierung im Westen und
im Süden gelingt. Deshalb muss es eine verstärkte zivile
Nachbarschaftshilfe beim Wiederaufbau in anderen Regionen geben.
Drittens. Der Frieden in Afghanistan hängt vor allem
von der Entwicklung auf dem Land ab. Wir müssen sie
noch mehr in afghanische Hände legen. Das bedingt die
raschere Qualifizierung von Lehrern, von Ärzten, von
Verwaltungsbeamten - übrigens auch von Politikern und von Polizisten.
({1})
Es ist natürlich kontraproduktiv, dass in diesem Moment die EU-Kommission ihre Entwicklungshilfe für
Afghanistan kürzt, dass die UN so hohe Gehälter für
Fahrer zahlt, dass jeder Lehrer lieber Fahrer werden will,
und dass nach wie vor Teile der UN-Hilfslieferungen
wie die Nahrungsmittelhilfe am Bedarf des Landes vorbeigehen.
Der Wiederaufbau in Afghanistan kann nur in Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten - auch das ist schon
gesagt worden - gelingen. Da verweise ich auf den zentralen Schwachpunkt, der bisher in der Gesamtstrategie aufgetaucht ist. Die 16 Millionen Paschtunen in Afghanistan
und die 30 Millionen Paschtunen in Pakistan - zwischen
ihnen existiert eine völlig offene Grenze - sind bisher in
den letzten Jahren und Jahrzehnten von jeglicher Entwicklung ausgeschlossen worden. Das bildet natürlich einen
idealen Nährboden für Ideologien und Fremdenhass der
Taliban. Deswegen ist es richtig, dass wir in unserer Gesamtstrategie die Entwicklungspolitik und die Außenpolitik gegenüber Pakistan in unsere Überlegungen mit einbeziehen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Jawohl, Frau Präsidentin.
Ein letzter Punkt.
Nein, kein letzter Punkt mehr, höchstens ein letzter
Satz.
Dann ein letzter Satz.
Wir haben keinen Grund, vor der Drogenproblematik
zu kapitulieren. Wenn wir die Unterstützung der Mullahs
und der Stammesfürsten haben, wenn wir eine durchdachte Wirtschaftspolitik betreiben, die den Bauern zugute kommt, und wenn wir unsere Anstrengungen in der
Sicherheitspolitik mit Blick auf die Polizeiausbildung erhöhen, werden wir auch dieses Problem langfristig lösen
können.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Bartels, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
mir wäre es lieber, wenn wir nach fünf Jahren Stabilisierungseinsatz in Afghanistan heute so weit wären, die
Truppen zu reduzieren, statt sie verstärken zu müssen.
So war es auf dem Balkan. Eine ganze Weile haben wir
dort starke Truppenkontingente bereithalten müssen.
Heute sieht die Situation hinsichtlich der Truppenstärke
folgendermaßen aus: Mazedonien null, Bosnien deutlich
reduziert. Im Kosovo gibt es noch eine große Truppenstärke; aber perspektivisch gibt es eine Reduzierung.
Eine Reduzierung muss das Ziel sein. Allerdings muss
die Lage dies auch zulassen. Es muss das Ziel jedes Auslandseinsatzes der Bundeswehr sein, dass es später auch
ohne Militär geht.
({0})
Der Einsatz der Soldaten ist kein Selbstzweck. Um
ein sicheres Umfeld zu schaffen, das den Wiederaufbau
des Staates, den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern erst ermöglicht, brauchen die Menschen in Afghanistan heute die Unterstützung durch die Soldaten
der NATO. Würden wir auf diese militärische Absicherung verzichten, könnten wir auch unsere zivilen Hilfen
einstellen. Das darf aber keine Alternative sein. Es bringt
nichts, die zivile Hilfe gegen die militärische auszuspielen. Wäre keine internationale Schutztruppe im Land,
dann würden sich die militanten Taliban-, Haqqani- und
Hezb-e-Islami-Gruppen gewiss nicht in Respekt und
Hochachtung vor Mädchenschulen, öffentlichen Rundfunkanstalten und Entwicklungsprojekten verbeugen,
sondern sie angreifen, vertreiben und zerstören wie vor
2001.
Alle diejenigen, die jetzt darüber reden, dass es an der
Zeit sei, den Einsatz der Bundeswehr und der NATO zu
beenden, müssen sich fragen lassen, wie es dann in Afghanistan weitergehen würde. Wer würde die vielen
hoffnungsvollen Ansätze, die es trotz der schlechten
Nachrichten gibt, dann zu einem Erfolg führen? Wir haben den Menschen in diesem Land unsere Hilfe zugesagt. Wir stehen gegenüber der frei gewählten afghanischen Regierung im Wort. Wir wussten, dass es ein
längerer Einsatz wird. Wenn wir den Einsatz der Bundeswehr jetzt beenden würden, statt zu unserer Verantwortung zu stehen, wäre alles umsonst gewesen. Dann
hätten wir ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.
({1})
Jeder - so sagte neulich der afghanische Außenminister Spanta, der auch bei uns im Verteidigungsausschuss
zu Gast war -, der gedacht hat: „Fünf Jahre nach dem
Fall der Taliban wird das Projekt endgültig ein Erfolgsprojekt“, war sehr naiv. Dr. Spanta sagte dies auf
Deutsch. Er hat jahrzehntelang in Deutschland gelebt,
nicht freiwillig, sondern im Exil als politisch Verfolgter.
Ob er noch Mitglied des Bündnisses 90/Die Grünen ist,
weiß ich nicht. Aber er ist ein mutiger Demokrat, der
jetzt die Chance hat, um den Aufbau der Demokratie in
seiner Heimat zu kämpfen. Dabei kann er sich auf unsere
Hilfe verlassen, auch auf die militärische Sicherheit, die
heute dazu noch notwendig ist.
({2})
Denn für Afghanistan gilt wie für viele andere Krisenregionen: Ohne Sicherheit vor gewalttätigen Fanatikern
sind alle anderen Probleme erst recht nicht lösbar.
Wir müssen Bedingungen schaffen, die die Arbeit der
zivilen Kräfte ohne Bedrohung ermöglichen. Neue Hoffnung wird es nicht geben, solange sich weder die Helfer
noch die Bevölkerung einigermaßen sicher fühlen können. Wir haben als Teil der NATO mit unseren Partnern
eine gemeinsame Verantwortung für ganz Afghanistan
übernommen. Es gibt keine getrennte Sicherheit im Norden und im Süden des Landes. Mit der Bereitstellung der
Recce-Tornados leisten wir einen Beitrag zur Stabilisierung der Lage auch in den südlichen Landesteilen.
Ausdruck unseres umfassenden Politikansatzes sind
dabei die sogenannten regionalen Wiederaufbauteams.
Sie setzen sich aus Soldaten der Bundeswehr zusammen,
die Seite an Seite mit Vertretern des Auswärtigen Amtes,
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie des Innenministeriums arbeiten. Diesen Ansatz hat sich seit dem Rigaer Gipfel die
NATO zu eigen gemacht - einschließlich der USA.
Auch wenn unsere amerikanischen Verbündeten in der
Presse gelegentlich mit Kritik an Deutschland zitiert
werden, wird unser Engagement durchaus auch in
Washington akzeptiert. General Eikenberry, bis zum vergangenen Jahr Oberbefehlshaber der US-Truppen in Afghanistan, lobte bei einer Kongressanhörung ausdrücklich unseren Beitrag und bescheinigte den Deutschen - so
berichtet es der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ -,
dass sie „sehr gute Arbeit“ leisteten. Das ist übrigens der
gleiche General, den die „FAZ“ einige Monate zuvor mit
den Worten zitierte: Das effektivste Waffensystem, das
wir haben, ist der wirtschaftliche Wiederaufbau. - Das ist
richtig.
({3})
Trotzdem entsteht in unserer Öffentlichkeit manchmal der Eindruck, Deutschland setze hauptsächlich auf
das Militär. Das liegt vielleicht auch an unserem Prinzip
der Parlamentsarmee. Wir stimmen in diesem Hause ja
regelmäßig über die Verlängerung der Einsätze der Bundeswehr ab, nicht jedoch über die zivile Aufbauhilfe.
Dank der Beteiligung des Parlaments an den Entsendeentscheidungen steht der militärische Teil unserer Politik
immer im Fokus des medialen Interesses. Da entsteht
leicht eine etwas verzerrte Wahrnehmung.
({4})
Vielleicht sollten wir das umfangreiche zivile Engagement Deutschlands in den Krisenregionen gelegentlich stärker in den Vordergrund stellen, um dieses Bild
zu korrigieren. Viele Projekte, viele engagierte Helfer
finden nie den Weg in die Zeitungen und leisten doch im
Verborgenen Großartiges und riskieren ihr Leben.
({5})
Dass die Bundesregierung den Bundestag für den
Einsatz der Flugzeuge vom Aufklärungsgeschwader 51
aus Schleswig ausdrücklich um ein neues Mandat bittet,
ist sehr zu begrüßen. Zu Beginn der Diskussion haben ja
einige argumentiert, dass der Einsatz vom bisherigen
Bundestagsbeschluss voll gedeckt sei. Das sehe ich nicht
so. Wir nehmen heute quantitativ und qualitativ eine Erweiterung des Mandats vor. Unser heutiges Votum ist
auch ein Signal an die neue afghanische Demokratie,
dass wir zu unserem Wort stehen und die Stabilisierung
des Landes so unterstützen, wie dies notwendig ist.
Schönen Dank.
({6})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Bernd Schmidbauer für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ein Wechselbad der Gefühle haben wir in dieser
Debatte erlebt: von rhetorischer Abrüstung bis hin zu
kindergartengemäßen Protestaktionen derer, die nicht zu
verbessern sind
({0})
und von denen wohl auch im Ausschuss keine wesentlichen
Beiträge zu erwarten sein werden.
Ich hatte mit dem Kollegen Meckel heute Morgen ein
Gespräch. Er hat angeregt, dass wir das Material, das mit
den Entschließungsanträgen vorliegt, in den Ausschüssen
debattieren. Ich würde das befürworten. Wir sollten uns
das, was im Hinblick auf die Entwicklung Afghanistans
aufgezeigt wird, zunutze machen und diese Debatte
nicht mit der Auseinandersetzung über die Entsendung
von sechs Tornados beenden. Wir sollten über den Strategiewechsel sehr detailliert diskutieren.
({1})
Es ist nicht wahr, dass wir hier schwarz-weiß malen
würden. Die Konferenzen - von Bonn über Tokio bis
London, wo der Afghanistan-Compact veröffentlicht
wurde - dienten doch dazu, aufzuzeigen, was wir in der
Zukunft anders machen sollten, um dem abzuhelfen, was
wir alle beklagen.
({2})
Ich fürchte, lieber Herr Fraktionsvorsitzender, dass
wir die Haushälter in diese Debatte einbeziehen müssen.
Egal ob die Entwicklungspolitiker oder die Außenpolitiker
reden oder andere, es wird immer vergessen, dass in der
Zukunft einer der Schwerpunkte sein muss, dass wir die
Haushaltsmittel aufstocken - nur das bringt den entscheidenden Strategiewechsel, den wir hier brauchen.
({3})
So gesehen sind die sechs Tornados ein guter Anlass, zu
sagen: Wir verstärken die Sicherheit, wir klären auf, wir
schützen diejenigen, die dort helfen, und wir denken darüber nach, wie wir in der Zukunft die zivile Komponente
nicht nur verbal, mit Lippenbekenntnissen hier im Plenum,
verstärken können, sondern wie wir dazu kommen, dass
aus Planungen Realität wird. Frau Ministerin, Sie waren
auf meiner Seite, als wir im Ausschuss darüber gesprochen
haben. Es nützt uns wenig, wenn wir nur Planungen vorlegen. Denn wir wissen: Nur wer für Stabilität sorgt,
kann Planungen auch umsetzen, kann den Menschen in
Afghanistan deutlich machen, worauf es uns ankommt.
Es genügt nicht, in jeder Debatte verbal zu beteuern, dass
man sich engagieren will - man muss es auch umsetzen.
({4})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, noch einen
Augenblick Platz zu nehmen, bevor wir dann nach
Schluss der Aussprache in die Abstimmungen eintreten.
({0})
Ich hatte mir das so gedacht, dass sich die Kollegen erst
hinsetzen und dann weitergeredet wird. Dafür halte ich
die Uhr natürlich an.
({1})
Verehrte Kollegen, es gibt noch einzelne Sitzplätze, die
bis zum Erreichen des vereinbarten Endes der Debatte
zur Verfügung stehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dass der Kollege Fuchtel sich auf die Regierungsbank flüchten wollte und der Kollege Müntefering in die
Reihen der CDU/CSU-Fraktion, gibt dieser Debatte
noch einen besonderen Akzent.
({2})
Nun, Herr Kollege Schmidbauer, haben Sie wieder das
Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kann der
Einsatz unserer Aufklärungstornados unsere gemeinsame
Verantwortung, aber auch unsere Bündnistreue zum
Ausdruck bringen. Es geht nicht um die sechs Tornados,
es geht letztlich darum, dass dem Bündnis das gegeben
wird, was wir brauchen, um Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit auch nach außen darzustellen.
Die Forderung und Realisierung einer besseren internationalen Koordination und die Umsetzung im nationalen
Bereich sind, wie ich bereits sagte, wesentlich und dürfen
nicht Lippenbekenntnisse sein.
All denen, die heute das Drogenproblem strapaziert
haben, möchte ich sagen: Nur darauf hinzuweisen, dass
in Afghanistan ein Negativrekord zu verzeichnen ist,
dass die Drogenproduktion zugenommen hat, führt nicht
zu einer Lösung dieses Problems. Vielmehr sollten wir
über alle Fraktionsgrenzen hinweg nach möglichen
Lösungswegen suchen und gemeinsam mit der Regierung
neue Schwerpunkte setzen.
Zur Polizeiausbildung in Afghanistan wurde bereits
genug gesagt; dieses Thema ist eigentlich das geringste
Problem. Allerdings müssen wir das, was wir uns alle
vorgenommen haben, wirklich tun. Die Anstrengungen,
die die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die
Polizeiausbildung unternimmt, müssen auf europäischer
Ebene sinnvoll verstärkt werden.
({0})
Auch das ist an sich nur eine Frage der Umsetzung.
Zum Schluss. Wer Frieden schaffen, Terror bekämpfen,
Stabilität herstellen und Menschen helfen will, der darf
nicht auf kurzfristige Erfolge hoffen, sondern muss eine
Langzeitstrategie verfolgen. Er muss - das wünsche ich
uns - einen langen Atem haben.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der Druck-
sache 16/4571 zu dem Antrag der Bundesregierung auf
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem
Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungs-
truppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung,
dem Antrag auf Drucksache 16/4298 zuzustimmen. Die
Fraktionen von CDU/CSU und SPD verlangen dazu
namentliche Abstimmung.
Ich weise vor Eintritt in die namentliche Abstimmung
auf zwei Punkte hin:
Erstens. Mir liegt eine ganze Reihe persönlicher Er-
klärungen zur Abstimmung vor, die, wie es immer getan
wird, dem Protokoll dieser Sitzung beigefügt werden.1)
Zweitens. Nach dieser namentlichen Abstimmung
folgen noch einige strittige Abstimmungen. Ich bitte Sie,
im Saal zu bleiben, damit Sie auch an den folgenden Ab-
stimmungen teilnehmen können.
Sind bereits alle Abstimmungsurnen besetzt? - Das
scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimmkarte
noch nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird - wie immer - während der Debatte über den
nächsten Tagesordnungspunkt bekannt gegeben. 2)
Ich möchte gerne die Abstimmungen fortsetzen und
bitte daher, wieder Platz zu nehmen. - Darf ich sowohl
die Damen- als auch die Herrenrunden bitten, Platz zu
nehmen?
({0})
- Herr Kollege Westerwelle, ich lasse das als Anregung
in das Protokoll aufnehmen.
Herr Kollege Meyer, wenn Sie den Kollegen
Riesenhuber davon überzeugen könnten, dass Sie beide
auf einem der zahlreichen Plätze - ({1})
- Auch diese Anregung ist ganz gewiss im Protokoll ver-
merkt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/4622? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich
abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und SPD
sowie der Fraktion der FDP auf den Drucksachen
16/4620 und 16/4621. Die Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Koali-
tionsfraktionen sowie die Fraktion der FDP wünschen
Überweisung ihrer Entschließungsanträge zur federführen-
den Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mit-
beratung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss,
den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Menschen-
rechte und Humanitäre Hilfe, den Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie an
den Haushaltsausschuss. Nach unserer ständigen Übung
1) Anlagen 5 bis 14
2) Ergebnis Seite 8712 A
Präsident Dr. Norbert Lammert
geht die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung vor. Das heißt, ich lasse zunächst darüber
abstimmen, ob Sie mit den beantragten Überweisungen
einverstanden sind. Wer dem zustimmt, den bitte ich um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist die Überweisung mit großer Mehrheit
beschlossen. Wir stimmen also heute über die Entschließungsanträge auf den beiden genannten Drucksachen in
der Sache nicht ab.
Tagesordnungspunkt 21 b. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses auf Drucksache 16/4576 zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine TornadoAufklärungsflugzeuge in Afghanistan einsetzen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/4047
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Zum Tagesordnungspunkt 21 c gibt es die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/4614 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Keine Zusage
deutscher Tornados ohne Bundestagsmandat“.
({2})
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/4048 für erledigt zu erklären, was der Kollege
Brauksiepe gleich messerscharf erkannt hat, wozu ich
ihm ausdrücklich im Namen des Hauses gratulieren
möchte.
({3})
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit
ist diese Beschlussempfehlung mit denkbar breiter
Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 21 d: Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 16/4613 zum Antrag der Fraktion der FDP mit dem
Titel „Neues Mandat für Tornado-Einsatz unerlässlich“.
Auch hier empfiehlt der Ausschuss, den Antrag für erledigt
zu erklären. Wer stimmt dem zu? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist auch das so be-
schlossen.
Da das Ergebnis der namentlichen Abstimmung nahe-
liegenderweise noch nicht vorliegt, rufe ich nun die
Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes
- Drucksache 16/3064 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4})
- Drucksache 16/4554 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Dirk Niebel, Christian Ahrendt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Kerstin Andreae, Matthias Berninger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Arbeit in Armut verhindern
- Drucksachen 16/1653, 16/2978, 16/4554 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs, über den wir später namentlich abstimmen werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute
Mehrheit - das sind 308 Stimmen - erforderlich ist.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst
dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Deutschland will die EU-Ratspräsidentschaft
nutzen, um die sozialen Traditionen Europas zu stärken
und weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, dass wir uns
mit dem Thema „Gute Arbeit“ befassen müssen.
Zu guter Arbeit gehören faire Löhne. Wer gute Arbeit
will, muss Lohndumping verhindern. Im Gegensatz zu
anderen Mitgliedstaaten ist Deutschland hierbei noch
nicht ausreichend aufgestellt. Dies sollte uns ein Ansporn
sein.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz schafft den rechtlichen Rahmen, um tarifliche Mindestlöhne branchenspezifisch für alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer
verbindlich zu machen und dadurch Lohndumping zu
verhindern.
({0})
Hierfür muss die betroffene Branche ins Gesetz aufgenommen sein, ein entsprechender Mindestlohntarifvertrag
abgeschlossen und dieser anschließend staatlich erstreckt
werden.
Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus der Gebäudereinigerbranche haben sich auf einen tariflichen Mindestlohn von 7,87 Euro im Westen bzw. 6,36 Euro im Osten
geeinigt. Um Verwerfungen durch entsandte Arbeitnehmer
zu verhindern, wünschen sie die Aufnahme ihrer Branche
in das Gesetz. Dem kommen wir jetzt nach.
({1})
Ich grüße an dieser Stelle ausdrücklich den Vorstandsvorsitzenden des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks Kuhnert, das Vorstandsmitglied
Schwarz - Präsident der Berliner Handwerkskammer und den Geschäftsführer Johannes Bungart, die sich in
vielen Gesprächen darum bemüht haben, dass ihre Branche in das Gesetz aufgenommen wird.
({2})
Ich betone das deshalb, weil ich meine, dass es verantwortliche Arbeitgeber sind, die dafür sorgen wollen,
dass in ihren Branchen nicht durch Lohndumping die
Preise kaputtgemacht werden und damit die Lebensbedingungen für die Beschäftigten massiv verschlechtert
werden.
({3})
Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag darauf
verständigt, die Gebäudereiniger unverzüglich in das
Entsendegesetz einzubeziehen. Mit dieser Änderung des
Gesetzes wird sichergestellt, dass aus dem Ausland entsandte Gebäudereiniger hier nicht zu Niedrigstlöhnen
beschäftigt werden dürfen. Wir nehmen also die Ängste
der Arbeitnehmer ernst, die wegen ausländischer Billigkonkurrenz um ihren Job fürchten, und wir sorgen dafür,
dass in- und ausländische Arbeitnehmer bei uns zu fairen
Bedingungen beschäftigt werden.
Das Thema „Sicherung von fairen Löhnen und Bekämpfung von Lohndumping“ ist aber mit dem heutigen
Tag keineswegs erledigt. Es steht weiter ganz oben auf
der Agenda. Erst am vergangenen Montag hat der Koalitionsausschuss hierzu weiter beraten. Ich glaube, dass
wir hierbei auf einem guten Weg sind.
Es ist kein Geheimnis, dass aus Sicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der SPD der
beste Weg wäre, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für
alle Branchen zu öffnen,
({4})
eine Art der Umsetzung der Entsenderichtlinie, die uns
andere Mitgliedstaaten längst und in großer Zahl vorgemacht haben.
({5})
- Und erfolgreich, das kann man auch sagen. - Zwar
wird gegen Mindestlöhne immer wieder eingewandt,
Unternehmen könnten sich aufgrund des Konkurrenzdrucks keine höheren Löhne leisten, da es immer Konkurrenten gebe, die ihre Angestellten noch etwas mehr
ausquetschten. Eine solche Argumentation verkennt jedoch
die Vorteile von Mindestlöhnen. Der Kostenfaktor Löhne
wird bewusst aus dem Wettbewerb herausgenommen. Die
Folge ist: Bei gleichen Lohnbedingungen muss der Wettbewerb ein Wettbewerb um Qualität und Service sein.
Den Rechtsrahmen hierfür schaffen wir mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz.
Damit es nicht zu einem Dumpingwettlauf um die
niedrigsten Löhne kommt, sollten Arbeitgeberverbände
und Gewerkschaften in möglichst vielen Branchen Mindestlöhne vereinbaren.
({6})
Diese erklärt die Regierung dann auf Antrag hin über das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich,
sodass sie für in- und ausländische Anbieter gleichermaßen
gelten. Mit der Einbeziehung der Gebäudereiniger in das
Gesetz leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Schutz
in- und ausländischer Arbeitnehmer vor Lohndumping.
({7})
Man muss wissen: Das sind sehr oft Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, die morgens ab drei oder vier Uhr
Büros oder Kaufhäuser reinigen,
({8})
die in Betrieben unterwegs sind und deren Arbeitsbedingungen es in sich haben.
({9})
- Auch in Ministerien und im Deutschen Bundestag.
Selbstverständlich, Herr Kolb. Sie reinigen überall, wo
sie engagiert werden. - Deswegen finde ich, dass man
dafür sorgen muss, dass das zu vernünftigen Bedingungen
und zu vernünftigen Löhnen stattfindet.
({10})
Das Erste Gesetz zur Änderung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes schafft die Voraussetzung dafür, dass
in- und ausländische Gebäudereiniger in Deutschland
„Gute Arbeit“ leisten und zu fairen Löhnen beschäftigt
werden können. Das Gesetz verdient daher die Zustimmung des Deutschen Bundestags.
Schönen Dank.
({11})
Bevor wir die Aussprache fortsetzen, komme ich zum
Tagesordnungspunkt 21 a zurück und gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis
der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der
Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der
NATO bekannt. Es handelt sich um die Drucksachen 16/4298 und 16/4571. Abgegebene Stimmen 573.
Mit Ja haben gestimmt 405, mit Nein haben gestimmt 157,
enthalten haben sich elf Kolleginnen und Kollegen. Damit
ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 573;
davon
ja: 405
nein: 157
enthalten: 11
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({1})
Georg Fahrenschon
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
SPD
Niels Annen
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Bernhard Brinkmann
({26})
Dr. Michael Bürsch
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Iris Gleicke
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Präsident Dr. Norbert Lammert
Michael Hartmann
({27})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Petra Heß
Gerd Höfer
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({28})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({29})
Dr. Karl Lauterbach
Gabriele Lösekrug-Möller
Markus Meckel
Ursula Mogg
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({30})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Walter Riester
Karin Roth ({31})
Michael Roth ({32})
Axel Schäfer ({33})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({34})
Silvia Schmidt ({35})
Carsten Schneider ({36})
Olaf Scholz
Reinhard Schultz
({37})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Jörg-Otto Spiller
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({38})
Dr. Rainer Wend
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({39})
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Horst Friedrich ({40})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({41})
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({42})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({43})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Anja Hajduk
Priska Hinz ({44})
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({45})
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({46})
Omid Nouripour
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({47})
Nein
CDU/CSU
Renate Blank
Wolfgang Börnsen
({48})
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Schindler
Willy Wimmer ({49})
SPD
Gregor Amann
Ingrid Arndt-Brauer
Dr. Axel Berg
Lothar Binding ({50})
Clemens Bollen
Willi Brase
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Elvira Drobinski-Weiß
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({51})
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Klaus Hagemann
Reinhold Hemker
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({52})
Iris Hoffmann ({53})
Frank Hofmann ({54})
Christel Humme
Christian Kleiminger
Dr. Bärbel Kofler
Ernst Kranz
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Waltraud Lehn
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({55})
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({56})
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Maik Reichel
Christel RiemannHanewinckel
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({57})
Renate Schmidt ({58})
Heinz Schmitt ({59})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({60})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Christoph Strässer
Dr. Rainer Tabillion
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Andreas Weigel
Lydia Westrich
Andrea Wicklein
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({61})
FDP
Jens Ackermann
Uwe Barth
Miriam Gruß
Joachim Günther ({62})
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Cornelia Pieper
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({63})
Volker Schneider
({64})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({65})
Cornelia Behm
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Winfried Nachtwei
Claudia Roth ({66})
Dr. Gerhard Schick
Dr. Harald Terpe
fraktionslos
Henry Nitzsche
Enthalten
CDU/CSU
Peter Albach
Dr. Peter Jahr
SPD
Elke Ferner
Dr. Wilhelm Priesmeier
FDP
Dr. Edmund Peter Geisen
Gisela Piltz
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans Josef Fell
Britta Haßelmann
Ulrike Höfken
Wolfgang Wieland
Wir setzen nun die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 22 fort. Nächster Redner ist der Kollege
Dirk Niebel für die FDP-Fraktion.
({67})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Ausweitung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes ist der erste Schritt zur Einführung von
Mindestlöhnen durch die Hintertür.
({0})
Das ist von der Bundesregierung, zumindest dem sozialdemokratischen Teil, ausdrücklich so gewollt.
({1})
Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat noch
diese Woche zu seinem Ziel erklärt, in möglichst vielen
Branchen Mindestlöhne einzuführen.
({2})
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird allerdings die
Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf dem Verordnungswege ebenfalls in das Gesetz geschrieben. Das
heißt also, auch bei anderen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen brauchen die Tarifvertragsparteien nicht
mehr angehört zu werden. Das ist eine fundamentale
Veränderung - eine fundamentale Verschlechterung der Tarifautonomie in Deutschland, selbst wenn es jetzt
erst einmal nur um eine einzige neue Branche geht.
(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD
CDU und CSU haben in ihrem „Regierungsprogramm 2005 - 2009“ geschrieben - ich zitiere -:
Die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
auf alle Branchen und gesetzliche Mindestlöhne über
die Hintertür können einen Missbrauch der europäischen Dienstleistungsfreiheit nicht verhindern.
Recht hat sie gehabt, die CDU. Deswegen sollte sie im
Regierungshandeln dafür sorgen, dass diese Hintertür
nicht genutzt wird. Dass die SPD ihre Wahlprogramme
nicht umsetzt, das wissen wir. Es ist ja auch unfair, daran
zu erinnern. Dass die Union ihr Wahlprogramm bisher
nicht umgesetzt hat, haben wir beim Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz erfahren. Hier geht es jetzt
wirklich um das letzte bisschen Glaubwürdigkeit der
CDU/CSU.
({3})
Es wird sich zeigen, ob sie der Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen hier Tür und Tor öffnen will.
({4})
Wir müssen dagegen sein - egal wie sehr Herr Tauss
herumblökt -: Mindestlöhne vernichten in Deutschland
legale Arbeit. Mindestlöhne legen einen Mindestpreis
fest, und wenn die Leistung den Preis nicht wert ist,
dann wird sie zumindest in der legalen Wirtschaft oder
im Inland nicht mehr nachgefragt.
({5})
Das heißt, gerade bei den Geringqualifizierten - für
diese Menschen müssen wir Arbeitsplätze schaffen wird die Arbeitslosigkeit deutlich höher werden.
({6})
- Herr Tauss, regen Sie sich doch einmal ab! Wir können
ja mal einen Kaffee trinken gehen.
({7})
Ich erlaube mir, aus dem Protokoll der 97. Sitzung
des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit vom
29. Juni 2005 zu zitieren. Herr Göhner - er ist hier anwesend - hat ausweislich dieses Protokolls gesagt - ich zitiere -:
Abgeordneter Dr. Göhner ({8}) begrüßt,
dass durch die überraschende Wendung an diesem
Morgen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht
mehr verabschiedet werde.
Weiter heißt es in diesem Protokoll:
Es habe sich herausgestellt, dass die Koalitionsfraktionen
- das war zu Zeiten von Rot-Grün die Ausdehnung des Entsendegesetzes auf alle
Branchen mit der Problematik von Entsendearbeitern
begründeten, wo es gar keine gebe. Dies betreffe
z. B. das Hotel- und Gaststättengewerbe. Dieser
Fall zeige, dass die Koalition mit ihrem Gesetzentwurf
etwas ganz anderes beabsichtigt habe, als sie vorgebe: Es werde vorgegeben, tarifliche Mindestlöhne für Entsendearbeiter zu schaffen. Letztlich
solle aber mit der Ausdehnung auf alle Branchen
der gesetzliche Mindestlohn für inländische Arbeitnehmer geschaffen werden.
Recht hat er gehabt, der Kollege Göhner.
({9})
- Ich kann mir gut vorstellen, dass er mit mir darüber
gern sprechen möchte.
Nun möchte der Kollege Göhner Ihnen eine Zwischenfrage stellen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Bitte schön, Herr Göhner.
Herr Kollege Niebel, nachdem Sie mich dankenswerterweise so ausführlich zitiert haben, darf ich Sie fragen,
ob Ihnen bekannt ist, dass ich auch erklärt habe, dass
eine Ausdehnung des Entsendegesetzes auf das Gebäudereinigerhandwerk von uns begrüßt wird.
({0})
Ich habe mich schon vor der letzten Bundestagswahl,
und zwar in der letzten Sitzungswoche der vergangenen
Legislaturperiode, hier im Plenum dementsprechend geäußert. Damals haben wir einen Gesetzentwurf diskutiert,
der allerdings nicht lediglich eine Ausdehnung auf das
Gebäudereinigerhandwerk vorsah; vielmehr war eine
Ermächtigung zur Aufnahme weiterer Branchen geplant.
Das, was wir heute diskutieren - Stichwort „Gebäudereinigerhandwerk“ -, fand schon damals unsere Zustimmung,
und zwar deshalb, weil es einen allgemeinverbindlichen
Tarifvertrag für diese Branche gibt.
Herr Kollege Göhner, es ist völlig richtig, dass Sie
immer für die Aufnahme des Gebäudereinigerhandwerks
ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz gewesen sind.
({0})
Genauso richtig ist allerdings das, was ich gesagt
habe: dass der Vorbehalt der Tarifvertragsparteien bei
der Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch das Herausnehmen der Seeschifffahrtsassistenz aus dem vorliegenden
Gesetzentwurf schlicht wegfällt und dass das Arbeitsund Sozialministerium jetzt auf dem Verordnungswege
und ohne Anhörung der Tarifvertragsparteien - also
auch ohne Anhörung des Verbandes, für den Sie nebenberuflich tätig sind - die Möglichkeit hat, die Allgemeinverbindlichkeit dieser Tarifverträge durchzusetzen. Das
sollte Ihnen zu denken geben. Da Sie jemand sind, der
sich mit Tarifvertragsrecht durchaus intensiv beschäftigt,
sollten Sie hier eine entsprechende Einschränkung auf
dem Verordnungswege mit Sicherheit nicht durch Ihre
Stimme legitimieren.
({1})
Ausnahmsweise gibt es noch die Gelegenheit für eine
zweite Zwischenfrage. Wie ich sehe, sind Sie, Herr Niebel,
damit einverstanden. Ich weise aber darauf hin, dass wir
uns im Augenblick nicht in der Fragestunde befinden.
Es ist neu, dass die Opposition hier befragt wird. Wir
könnten das gern generell einführen. Wir wissen viele
Antworten.
({0})
Herr Göhner, bitte.
Herr Kollege, da Sie die Streichung der Seeschifffahrtsassistenz aus dem Entsendegesetz hier kritisch
beleuchten, darf ich Sie fragen, ob Sie ernsthaft wollen,
dass diese Branche weiterhin unter dieses Gesetz fällt,
obwohl es dort nicht einmal Tarifverträge gibt?
({0})
Ich weise deswegen darauf hin, dass diese Branche
gestrichen wird, weil sie die letzte Bastion ist und daher
die Notwendigkeit gegeben ist, zum Beispiel die Arbeit8716
geberverbände vor einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu befragen.
({0})
Da sie die letzte Bastion ist, müsste diese Branche weiterhin in diesem Gesetz genannt werden, wenn man seinen
Geltungsbereich ausweiten will. Der entscheidende Fehler dieses Gesetzentwurfs ist die Ausweitung auf weitere
Branchen, in dem Fall auf das Gebäudereinigerhandwerk, als Einstieg in einen flächendeckenden Mindestlohn, der dann im Endeffekt vom Bundesarbeitsminister
alleine implementiert werden kann. Das ist der Kardinalfehler.
({1})
Wenn über Mindestlöhne diskutiert wird, dann fällt
dem Bundesarbeitsminister in erster Linie ein, dass er
auch die Zeitarbeitsbranche mit einer Ausweitung beglücken möchte. Ich weise darauf hin, dass gerade die
Zeitarbeitsbranche der Bereich ist, wo jetzt vehement sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
entstehen, eben wegen der flexiblen Möglichkeiten, die
es in diesem Bereich gibt.
({2})
Dieser Aufwuchs sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse würde natürlich durch eine entsprechende Ausweitung des Entsendegesetzes eingeschränkt.
Herr Tauss hat in seinem Leben eines mit Sicherheit
noch nicht verstanden. Er hat nicht verstanden, dass
Mindestlöhne völlig unbedeutend sind. Es geht um das
Mindesteinkommen von Menschen und nicht um einen
Mindestlohn. Beleuchten wir dazu doch einmal die Politik dieser vermeintlich Großen Koalition!
Obwohl die Steuereinnahmen wegen der guten Konjunktur sprudeln, haben Sie von Rot-Schwarz in Ihrer
gesamten Regierungszeit bisher nichts anderes getan, als
den Bürgerinnen und Bürgern dreist in die Tasche zu
greifen, ihnen zu Beginn dieses Jahres durch eine zusätzliche Belastung in Höhe von 27 Milliarden Euro liquides
Kapital zu entziehen, das ihnen fehlt, egal ob sie hohe
oder niedrige Löhne haben. Sie haben die Beitragssätze
zur Krankenversicherung Anfang des Jahres erhöht. Sie
haben die Beitragssätze zur Rentenversicherung erhöht.
Sie haben über die Erhöhung der Mehrwertsteuer eine
Beitragssatzsenkung bei der Arbeitslosenversicherung
durchgeführt, die Sie auch dann hätten durchführen können, wenn Sie sich nur auf die in Ihrem Evaluationsbericht festgeschriebenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen konzentriert hätten.
Sie kassieren bei den Menschen ab, statt ihnen ein
Mindesteinkommen zu ermöglichen. „Mindesteinkommen“ bedeutet in erster Linie, dass man sein Einkommen
nicht über Schwarzarbeit erzielt, wie wir das heute in
den Zeitungen lesen können, sondern in der legalen
Wirtschaft. Wenn 2,5 Millionen Vollzeitarbeitsplätze bei
einem geschätzten Volumen in der Schattenwirtschaft
von 349 Milliarden Euro in diesem Jahr nicht in der legalen Wirtschaft sind, dann muss einem das doch zu
denken geben.
Deswegen ist der richtige Ansatz nicht der, über Mindestlöhne Arbeitsplätze im geringqualifizierten Bereich
zu vernichten, sondern der, mit einem vernünftigen und
intelligenten Steuer- und Transfersystem aus einem Guss
dafür zu sorgen, dass die Menschen in diesem Land ein
anständiges Mindesteinkommen haben, von dem sie leben können. Dazu haben wir mit dem Bürgergeld einen
Vorschlag gemacht, mit dem wir steuerfinanzierte Transferleistungen und das Steuersystem zusammenführen.
Der, der gut verdient, zahlt Steuern, und der, bei dem es
nicht reicht, bekommt aus dem Transfersystem einen Zuschuss,
({3})
ohne dass sein Arbeitgeber subventioniert wird, wie es
die Union will, und ohne dass sein Arbeitsplatz subventioniert wird. Das ist ein vernünftiger Weg.
({4})
Auf dem müssen wir uns bewegen. Wenn wir das tun,
dann brauchen wir keine Mindestlöhne in diesem Land.
Vielen herzlichen Dank.
({5})
Ich erteile nun das Wort der Kollegin Gitta
Connemann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die fetten Jahre sind vorbei“,
({0})
so hieß ein Film, der im Jahr 2004 für Furore sorgte. Der
Titel gab eine allgemeine Stimmung in Deutschland wieder. Es schien, als hätten wir uns mit der Rolle der Verlierer angefreundet - die rote Laterne in der Hand.
Heute erkennen wir unser Land nicht wieder. Die Arbeitslosigkeit ist so stark zurückgegangen wie noch nie
zuvor, auch und gerade bei den Langzeitarbeitslosen.
({1})
Die Wachstumsprognosen werden ständig nach oben
korrigiert. Alle Zahlen zeigen: Der Aufschwung ist da.
Aber leider hat nicht jeder an ihm teil.
Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor zu hoch. Für ältere Arbeitsuchende und Geringqualifizierte ist der Zugang zum Arbeitsmarkt schwer. 170 000 Menschen arbeiten in einem Vollzeitjob für weniger als 4,50 Euro in
der Stunde, 600 000 für weniger als 6 Euro in der
Stunde; dabei handelt es sich zum Teil um Tariflöhne.
Diese Arbeitnehmer sind im sogenannten Niedriglohnsektor beschäftigt. „Niedriglohnsektor“ - ein nüchterner Begriff. Die dort Tätigen zeichnet aus, dass sie arbeiten, obwohl mancher von ihnen ohne Arbeit mit einer
staatlichen Transferleistung besser oder gleich gut dastehen würde. Viele von ihnen leben am Rande des Existenzminimums.
Wie lässt sich ihre Existenz sichern?
Um die Antwort auf diese Frage wird zum Teil mit
sehr schrillen Tönen gestritten. Auch in dieser Debatte
war das zu merken. Diese Debatte schreit nach ideologischer Abrüstung. Ich rate uns allen zu mehr Sachlichkeit.
({2})
Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als derjenige, der nicht arbeitet. In diesem Ziel sind wir alle uns
sicherlich einig. Aber wie lässt es sich erreichen? Dazu
werden unterschiedliche Modelle diskutiert. Die Diskussion wird aber zunehmend auf ein Wort reduziert: Lohnwucher.
Um es ganz klar zu sagen: Sittenwidrige Löhne sind
mit der Union nicht zu machen. Sie sind schlicht unanständig.
({3})
Sicherlich müssen die Beschäftigten besser vor Lohnwucher geschützt werden. Zwar gibt es bereits entsprechende Vorschriften, sie sind aber wenig praktikabel.
Bislang legen die Gerichte fest, wann ein Lohn sittenwidrig ist. Hier muss etwas getan werden. Ich frage uns:
Wieso definieren wir in Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung die Sittenwidrigkeit bei Löhnen
nicht gesetzlich und legen anknüpfend an Tarif- oder
ortsübliche Löhne eine Untergrenze fest? Zu niedrige
Lohnvereinbarungen wären dann nichtig und zugunsten
des Arbeitnehmers nachzubessern. Starre Geldbeträge
helfen da nicht. Wie unser früherer Kollege Karl-Josef
Laumann immer sagt: Was in Düsseldorf gerade reicht,
ist im Osten ein Spitzenlohn.
Das ist übrigens eines von vielen Argumenten gegen
einen flächendeckenden staatlichen Mindestlohn.
({4})
Weitere ließen sich anführen: Ein staatlicher Mindestlohn ist ein schwerwiegender Eingriff in die Tarifautonomie, eine Verletzung der positiven wie negativen Koalitionsfreiheit, birgt die Gefahr eines Wettbewerbs von
Wahlkampfversprechen, wie wir es gerade in Frankreich
erleben. Andere müssen diese Versprechen einlösen: die
Betriebe. Damit würden Einfacharbeiten weiter verteuert
und gerade im Bereich der Geringqualifizierten dringend
benötigte Arbeitsplätze nicht entstehen.
({5})
Lohnpolitik ist keine Sozialpolitik. Da hilft auch der
stete Hinweis auf die USA nicht; denn der dortige Mindestlohn ist in einen außerordentlich flexiblen Arbeitsmarkt eingebettet. Es kann nicht Ihr Ernst sein, dass Sie
das Hire-and-fire-Prinzip, das dort gilt, bei uns in
Deutschland haben wollen. Das machen wir nicht mit.
({6})
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Lohnwucher
nicht die Regel ist, insbesondere nicht in kleinen und
mittelständischen Betrieben; denn diese Betriebe leben
nicht von, sondern durch und mit ihren Arbeitnehmern.
Dazu zählt auch das Gebäudereinigerhandwerk. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben für dieses
Handwerk einen Lohntarif vereinbart, der allgemein verbindlich ist. Hier ansässige Betriebe müssen sich an
diese Lohnvorgaben halten, anders als ihre europäische
Konkurrenz. Bei einem Lohnkostenanteil von 80 Prozent kann so kein fairer Wettbewerb stattfinden.
Oder ist ein Rennen fair, bei dem der eine mit Spikes
und der andere mit einem Gipsbein startet? Wohl kaum.
Deshalb fordert das Gebäudereinigerhandwerk ja auch
den Schutz durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, wie
wir ihn für das Bauhauptgewerbe haben.
Die Vergleichbarkeit mit dem Bau ist offensichtlich:
ständig wechselnde Einsatzorte, Wettbewerb mit Anbietern aus Ländern mit einem drastisch geringeren Lohnniveau, Lohnkostenintensität und ein allgemein verbindlicher Tarifvertrag.
Vor diesem Hintergrund hat die Große Koalition vereinbart, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch auf die
allgemeinverbindlichen Tarifverträge der Gebäudereiniger zu erstrecken.
Diese Hilfe gäbe es mit Ihnen, meine Damen und
Herren von der FDP, nicht.
({7})
Der Kollege Niebel hat auf unsere Glaubwürdigkeit angespielt. Wir haben uns immer nur dagegen gewehrt, das
Gesetz auf alle Branchen auszuweiten.
({8})
Wir haben aber immer auch gesagt, dass es bei den einzelnen Branchen zu prüfen ist.
Wenn es um Glaubwürdigkeit geht, schaue ich den
Kollegen Kolb an.
({9})
Der Kollege Kolb hat im Namen der FDP einen Antrag
ins Plenum eingebracht,
({10})
in dem er die Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf andere Branchen in Ihrem Namen kategorisch ablehnt,
({11})
und das, lieber Herr Kollege Dr. Kolb, obwohl Sie selbst
Staatssekretär in der Kohl-Regierung waren, die dieses
Gesetz 1995 mit Ihrer Stimme eingeführt hat.
({12})
Bei aller Wertschätzung: Ihr Verhalten erinnert an den
Satz unseres ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer:
„Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“
({13})
Leider wird der darauf folgende Satz meist unterschlagen: „Nichts hindert mich, weiser zu werden.“ Ich gebe
die Hoffnung daher nicht auf.
Ich habe übrigens auch bei der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen noch Hoffnung. Das ist das
andere Extrem. Während die FDP gar nichts will, fordern Sie die Ausweitung auf alle Branchen.
({14})
Protektionismus pur! Festung Deutschland! Man merkt,
dass Ihnen der Außenminister mit europäischen Ambitionen abhandengekommen ist.
({15})
Wir wollen Freizügigkeit und fairen Wettbewerb.
Deshalb müssen wir im Einzelfall mit Augenmaß entscheiden, ob dieses Gesetz auf weitere Branchen ausgeweitet werden muss. Die heutige Entscheidung entfaltet
insoweit kein Präjudiz.
({16})
Die erforderliche Prüfung wird zurzeit vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorbereitet. Die
Entscheidung aber treffen wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages.
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Aufnahme weiterer Branchen von Voraussetzungen abhängig zu machen: Erstens. Es muss ein Tarifvertrag
vorliegen, der nach den Regeln des geltenden Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärt worden
ist. Die Neuaufnahme im vereinfachten Verordnungsverfahren ist dabei kein Automatismus, lieber Herr Niebel;
der Kollege Dr. Göhner hat das bereits dargestellt.
({17})
Zweitens. Es müssen soziale Verwerfungen in diesem
Wirtschaftszweig durch Entsendearbeitnehmer nachgewiesen sein.
Die Entscheidung muss von Fall zu Fall getroffen
werden. Momentan sind diese Voraussetzungen aus meiner Sicht bei keiner der in der Diskussion stehenden
Branchen gegeben.
({18})
Bei der einen fehlt es an allgemein verbindlichen Tarifverträgen, und bei der Zeitarbeit sehe ich persönlich
keine Verwerfungen durch ausländische Konkurrenz.
Ich warne vor einem: Dieses Gesetz darf nicht instrumentalisiert werden, den Wettbewerb in einer Branche
auszuschließen.
({19})
Deshalb sollten wir mit vorschnellen Ankündigungen
über eine Ausweitung zurückhaltend sein.
({20})
Eines nämlich hat die Vergangenheit gezeigt: Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist kein Allheilmittel. Der
Arbeitsplatzabbau in der Baubranche konnte so allenfalls verlangsamt werden. Es gibt eben selten Patentlösungen.
Das ist übrigens auch die Essenz des Filmes „Die fetten Jahre sind vorbei“. Der Stein des Weisen existiert
nicht. Es braucht maßgeschneiderte Lösungen. Das heutige Gesetz ist ein Teil davon. Stimmen Sie also zu!
({21})
Für die Fraktion Die Linke ist der nächste Redner der
Kollege Werner Dreibus.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Die Fraktion Die Linke wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Die Regelung ist notwendig und überfällig. Zum
Thema „fällig“ will ich nur sagen: Allein von der Koalitionsvereinbarung bis zum heutigen Tag sind eineinviertel Jahre vergangen. Die Regelung ist also überfällig.
Dieser Schritt ist notwendig und richtig. Es ist aber im
besten Fall ein Trippelschritt angesichts der Dimension,
die die Entwicklung des Niedriglohnsektors in Deutschland angenommen hat. Davon sind viele Branchen und
6 bis 7 Millionen Menschen betroffen. In den letzten
15 Monaten, seit dem Herbst 2005, also während Ihrer
Regierungszeit, wurden es immer mehr.
Die Koalition erwägt seit vielen Monaten verschiedene Maßnahmen im Bereich des Arbeitsmarkts: Subventionen, gesetzlicher Mindestlohn von 4 Euro, Vereinfachung der AVE, jetzt die Verfolgung sittenwidriger
Löhne. Das ist alles nur Gerede. Es fehlen Taten zugunsten derer, die seit Monaten und Jahren auf Regelungen
hinsichtlich der Niedriglöhne warten.
({0})
Insofern ist das, was die Koalition neben dem heutigen
Schritt macht, noch nicht einmal ein Trippelschritt, sondern
entspricht vielmehr einem Fahren im Kreisverkehr. Wir
sollten uns daran erinnern, dass Bewegung nicht alles
ist; denn wer sich nur im Kreis bewegt, kommt nicht
voran.
Immerhin unterscheidet sich das, was der Staatssekretär heute zur Einführung dieses Gesetzentwurfs gesagt
hat, deutlich von dem, was die Koalitionsfraktionen im
Juni des vergangenen Jahres zu unserem Antrag zur Einführung des Mindestlohnes gesagt haben. Insofern
kann man zumindest erkennen - wenn auch mit großer
zeitlicher Verzögerung und damit zum Nachteil der Betroffenen -, dass die Koalition lernfähig ist. Das Lernen
geht aber viel zu langsam. Wir sollten uns in diesem Bereich keine Koalition erlauben, die sozusagen auf PISANiveau angekommen ist.
({1})
Was ist das eigentliche Problem? 6 Millionen Menschen arbeiten in Vollzeit zu Niedriglöhnen. 70 Prozent
davon sind Frauen. Hinzu kommen mehrere Millionen
Menschen in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen
und in Teilzeit. Ein sozialer Rechtsstaat wie unserer
kann eine solche Situation nicht länger hinnehmen. Jeder
Mensch muss von seiner Arbeit zumindest leben können.
Unsere feste Überzeugung ist: Stundenlöhne unter
8 Euro sind nicht existenzsichernd und insofern nicht
länger hinnehmbar.
({2})
Deshalb muss der Grundsatz lauten, so schnell es geht
einen gesetzlich verbrieften Anspruch für alle Menschen, die Arbeit haben, von mindestens 8 Euro einzuführen.
Wie kommen wir dahin? Ich möchte noch einmal die
drei verschiedenen Problembereiche bei Niedriglöhnen
skizzieren. Erstens. Es gibt Branchen mit untersten tariflichen Entgelten über 8 Euro. Der Gesetzgeber kann und
sollte auf dem Weg des Entsendegesetzes in der jetzt
vorliegenden Form schleunigst dafür sorgen, weitere solcher Branchen mit Tariflöhnen über 8 Euro in das Entsendegesetz aufzunehmen und diese Tarifverträge damit für allgemeinverbindlich zu erklären. Dazu ist eine
Vereinfachung des Verfahrens notwendig: beispielsweise
auch auf Antrag einer Tarifvertragspartei.
Zweitens. Es gibt Branchen mit untersten tariflichen
Entgelten unter 8 Euro, teilweise weit unter 8 Euro. Hier
hilft keine AVE. Im Gegenteil: Hungerlöhne würden so
per Gesetz verordnet. Eine Mindestlohnfestlegung über
AVE würde bedeuten, Löhne in Höhe von 4,38 Euro
oder 4,25 Euro - wie für Friseure, Köche, Hotelkauffrauen, Verkäuferinnen etc. - per Gesetz einzuführen.
Das ist ein untauglicher Weg.
({3})
Warum gibt es überhaupt Tarifverträge, die Niedriglöhne vorschreiben?
({4})
- Ich sage gleich etwas dazu. - Ich will daran erinnern,
dass das Bundesarbeitsgericht bereits in den 50er-Jahren
in einem Urteil zu einer solchen Tarifsituation - Herr
Niebel, an der Sie möglicherweise auch in bestimmten
Bereichen beteiligt sind ({5})
Tarifverhandlungen ohne die Möglichkeit des Drucks
durch Arbeitskämpfe als kollektive Bettelei bezeichnet
hat. In diesen Branchen finden Tarifverhandlungen als
kollektive Bettelei statt, so die Sprache des Bundesarbeitsgerichtes in den 50er-Jahren. Das ist das Problem.
Die Maßnahmen, die seit den 90er-Jahren ergriffen
wurden, und zwar von Ihnen allen, die Sie hier sitzen
- ich nenne nur: Kürzung des Arbeitslosengeldes, Armut
per Gesetz, Hartz IV, Massenarbeitslosigkeit, Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse -, haben letztlich dazu beigetragen, die kollektive Interessenvertretung und damit auch die Möglichkeit, bessere
Tarifverträge abzuschließen, deutlich zu verschlechtern.
({6})
Dritte und letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang: Es gibt Branchen - das ist ein zunehmend größer
werdender Teil -, in denen überhaupt keine Tarifverträge
gelten. Da kann man nun beim besten Willen keine Regelungen treffen, auch nicht per Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Es bleibt in diesem Bereich überhaupt nichts
anderes übrig, als gesetzliche Mindestlöhne einzuführen.
Eine Bemerkung noch zu Frau Connemann und dem
Vergleich, dass in Düsseldorf -
Herr Kollege, das geht jetzt eigentlich nicht mehr. Sie
haben vermutlich gar nicht gesehen, wie großzügig ich
Ihre Redezeit schon bemessen habe.
Sie haben wie immer recht, Herr Präsident! Lassen
Sie mich nur diese eine Bemerkung machen: Wenn man
die Debatte so führt, dass es in Düsseldorf auf Dauer höhere Löhne geben muss als in Dresden oder Bautzen,
({0})
kann ich nur sagen: Das ist zynisch gegenüber den Betroffenen. Eine solche Politik machen wir nicht mit.
({1})
Die Kollegin Brigitte Pothmer ist die nächste Rednerin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Müntefering, seit Montag hat für mich das Wort
„Scheinbeschäftigung“ eine neue Bedeutung. Am
Montag haben sich ja die Koalitionsspitzen mit dem
Thema Mindestlohn beschäftigt, und Sie sind später herausgekommen und haben gesagt - zum Schein -: Alles
ist auf dem besten Weg.
Sie werden zitiert:
Sittenwidrige Löhne müssen weg, am besten in allen Branchen.
({0})
Wir stimmen Ihnen zu, Herr Müntefering. Ich kann nur
sagen: Gut gebrüllt, Löwe. - Dann erklären Sie weiter,
dass Mindestlöhne in mindestens zehn Branchen in Vorbereitung sind. Ich habe da eine Frage: Was heißt eigentlich „in Vorbereitung“? Es ist zu lesen, dass Müntefering
weitere Branchen ins Auge gefasst habe. Ich übersetze
das so: Schauen wir mal; kommt es heut nicht, kommt es
morgen.
({1})
Ich kann nur sagen: Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, dann wird es noch Jahrzehnte dauern, bis wir
für diese zehn Branchen Mindestlöhne haben.
Es ist gut, dass wir das in der Bauindustrie geschafft
haben. Es ist auch gut, dass wir das jetzt im Gebäudereinigerhandwerk einführen. Aber Sie haben leider auch
heute wieder die Chance vertan, das zu tun, was Sie vorgeben tun zu wollen, nämlich das Gesetz zu nutzen, um
die Regelung auch auf andere Branchen auszuweiten.
Sie nennen hier die fleischverarbeitende Industrie, die
Land- und Forstwirtschaft, die Gastronomie und andere
Bereiche; ich will sie gar nicht alle aufzählen.
Sie haben auch gesagt, dass Sie die Zeitarbeitsbranche einbeziehen wollen. Da frage ich, Frau Connemann:
Warum ist das eigentlich nicht passiert? In der Zeitarbeitsbranche bestehen alle Voraussetzungen, von denen
Sie immer behaupten, dass Sie sie brauchen, um zu handeln.
({2})
Frau Connemann, Sie widersprechen sich doch selbst.
Ich kann Ihnen sagen, warum Sie es nicht getan haben.
Sie haben es nicht getan, weil es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern um politische Geländegewinne.
({3})
Dazwischen werden die Interessen der Betroffenen zerrieben. Sie dürfen sich nicht wundern, dass Sie Überschriften kassieren, die lauten: „Mit vereinten Kräften
nichts“. Das ist das Einzige, was die Große Koalition in
dieser Sache zustande bringt. Das ist leider zu wenig.
({4})
In einer Agenturmeldung habe ich gelesen:
Im Koalitionsausschuss hatten die Spitzen von
Union und SPD Müntefering dafür am Montag grünes Licht gegeben,
- Achtung, jetzt kommt’s! ({5})
wollten dies aber nicht als vorweggenommene Zustimmung gewertet wissen.
Was heißt das eigentlich?
({6})
Das heißt, Sie haben am Montag eine mögliche Zustimmung zu einer möglichen Ablehnung erreicht. Das haben Sie ausgehandelt, Herr Müntefering. Tut mir leid,
uns ist das zu wenig.
Ich gebe ja zu, dass Sie da wacker kämpfen. Aber es
kommt einfach zu wenig dabei herum. Ich glaube, wenn
Sie einmal darüber nachdenken, dann kommen Sie selbst
zu diesem Ergebnis. Deshalb flüchten Sie sich - das ist
jedenfalls mein Eindruck - in den Versuch, so zu tun, als
sei schon die bloße Debatte über Politik Politik. Das
werden Ihnen die Leute nicht durchgehen lassen. Da bin
ich mir ganz sicher.
Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass es
in Sachen Arbeitsmarkt so etwas wie ein Simsalabim
nicht gibt. Ich glaube, damit haben Sie recht. Ein Simsalabim erwarten wir auch gar nicht von Ihnen, aber einen
Hokuspokus eben auch nicht.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Anette Kramme für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Niebel,
({0})
ich hätte nicht gedacht, dass ich Ihnen einmal recht gebe.
Sie haben tatsächlich recht damit, dass wir hier und heute
ein großes Ding drehen. Sie haben auch recht damit, dass
es unsere wahre Intention ist, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf ganz viele Branchen auszudehnen.
({1})
Nun zu Herrn Dreibus. Bezüglich des Kreisverkehrs
haben Sie natürlich recht. Aber aus dem Kreisverkehr
wird ein Autobahnverkehr, wenn wir viele andere Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz einbeziehen.
({2})
Frank Dupré, der Bauunternehmer und Vizepräsident
des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, sagte
vergangene Woche gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“:
Gäbe es am Bau keine Mindestlöhne, ... dann wäre
in den vergangenen Jahren noch mehr Personal abgebaut worden.
Er ging noch weiter, als er den vereinbarten Mindestlohn
für notwendig erachtete, um überhaupt ein Instrument
zur Kontrolle auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen,
dass Herr Dupré recht hat. Die Zustände am Bau waren
verheerend. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz war und
ist ein essenzielles Ordnungselement. Es ist ein essenzielles Ordnungselement für die Arbeitgeber gegen die
Schmutzkonkurrenz und für die Arbeitnehmer gegen das
nationale und internationale Lohndumping.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat sich in der
Baubranche bewährt. Normalerweise fordern Wirtschaftsverbände und Arbeitgeberverbände den Abbau
von Arbeitsrecht, aber sogar der Hauptgeschäftsführer
Knipper des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie steht zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Er sagt:
„Die Mindestlöhne sind ohne Alternative.“
Die Baubranche ist seit 1996 im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Bei dieser Gelegenheit: Herr Niebel, die
FDP von damals hat diesem Entsendegesetz zugestimmt.
({3})
Sehr vernünftig! Heute redet man von maximalem Unsinn. Normalerweise wächst die Weisheit mit zunehmendem Alter; bei Ihnen scheint aber Alterstorheit eingetreten zu sein.
({4})
Meine Damen und Herren der FDP, lassen Sie sich sagen: Maximalen Unsinn verzapfen höchstens Sie mit Ihren bodenlosen Anträgen, sicherlich aber nicht die Bundesregierung.
Das Gebäudereinigerhandwerk und das Baugewerbe sind in einer sehr ähnlichen Situation. Das Gebäudereinigerhandwerk ist wie das Baugewerbe von
schmutzigen und skandalösen Arbeitsbedingungen bedroht. Wir müssen sicherlich damit rechnen, dass sich
die Bedingungen mit Ablauf der 2-3-2-Regelung gefährlich verschärfen werden.
Worauf gründet sich die prekäre Situation beider
Branchen? Sowohl im Gebäudereinigerhandwerk als
auch im Baugewerbe sind die Arbeitnehmer an unterschiedlichen Einsatzorten tätig. Daraus resultiert ein verstärktes Schutzbedürfnis. Sowohl das Gebäudereinigerhandwerk als auch das Baugewerbe sind in hohem Maße
lohnkostenintensiv. Beide stehen deshalb im besonderen
Wettbewerb mit Anbietern aus Ländern mit Niedrigstlöhnen.
Das Gebäudereinigerhandwerk mit seinen rund
850 000 Arbeitnehmern hat durch einen bundesweiten
Mindestlohntarifvertrag die Voraussetzungen für die
Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz geschaffen. Es ist nun konsequent, die Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Die Tarifvertragsparteien befürworten diesen Schritt. Ich darf an
dieser Stelle nochmals zitieren. Arnulf Piepenbrock sagt:
Dadurch können wir die Branche vor Billiglohnkonkurrenten aus den neuen osteuropäischen EUMitgliedstaaten schützen, wenn ab dem Jahr 2009
die volle Freizügigkeit in der EU gilt.
Ich bin mir sicher, dass die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zur Stärkung des Gebäudereinigerhandwerks im innereuropäischen Wettbewerb beitragen wird. - Der BDA darf an dieser Stelle gesagt
werden: Hier haben sich erwachsene Menschen geeinigt.
Stecken Sie Ihre Nase nicht ständig in Angelegenheiten,
die Sie nichts angehen!
Beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz entscheiden allein die Tarifvertragsparteien, ob und in welcher Höhe
sie einen Mindestlohntarifvertrag schließen und ob sie
einen Antrag für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung stellen wollen. Die Tarifvertragsparteien haben es
selbst in der Hand, ob das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
in ihrem Bereich angewandt wird. Ich befürworte ganz
ausdrücklich, dass auch für die Gebäudereiniger die
Möglichkeit geschaffen wurde, Mindestlohntarifverträge
per Rechtsverordnung - und nicht über das Tarifvertragsgesetz - für allgemeinverbindlich zu erklären.
({5})
Es ist fast unmöglich geworden, Tarifverträge außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes über den Tarifausschuss - also über das Tarifvertragsgesetz - für
allgemeinverbindlich erklärt zu bekommen. Die Arbeitgeberseite geriert sich in unerträglicher Weise. Walter
Riester, ich glaube, du bist hier im Plenum: Dir gebührt
Dank dafür, dass du die Möglichkeit geschaffen hast,
Mindestlohntarifverträge am Bau mithilfe einer Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich zu erklären. Das
hast du gut gemacht. Wir dehnen das jetzt aus.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel muss es
sein, zu verhindern, dass Arbeitnehmer zu krass unsozialen und unfairen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden. Wir müssen etwas dagegen tun, dass durch legale
oder illegale Entsendung von Arbeitskräften aus dem
Ausland inländische Arbeitsplätze in erheblichem Umfang gefährdet werden. Die derzeitigen Schutzregelun8722
gen des deutschen Arbeitsrechts reichen nicht aus.
§ 138 Abs. 2 BGB - der Wuchertatbestand - greift erst
dann, wenn weniger als zwei Drittel des üblichen Lohns
bezahlt wird. Außerdem muss das Arbeitsverhältnis unter Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit
oder des Mangels an Urteilsvermögen geschlossen worden sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist unabdingbar, zahlreiche weitere Branchen in das Entsendegesetz aufzunehmen und einen ergänzenden gesetzlichen
Mindestlohn zu schaffen. Drei Viertel unserer europäischen Nachbarn zeigen uns, wie man gleichzeitig faire
Löhne garantiert und trotzdem Beschäftigung schafft
und sichert. Dass dies eben kein Widerspruch ist, sollten
sich die Westerwelles dieser Welt einmal vergegenwärtigen.
({7})
Wir wollen nicht, dass Deutschland immer mehr zu einem Billiglohnparadies für ausländische Großkonzerne
wird.
Lassen Sie mich mit den Worten von
Wenn ein Unternehmer heute nicht sieht, dass er
langfristig ein Eigeninteresse an sozialer und politischer Stabilität hat, dann … hat er seinen Unternehmensauftrag nicht richtig verstanden.
In dem Sinne!
({0})
Ich bedanke mich ganz herzlich.
({1})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Damen
und Herren! Nehmen wir zunächst ohne Scheuklappen
zur Kenntnis, wie sehr sich der deutsche und auch der
europäische Arbeitsmarkt in den letzten Jahren verändert
haben. Viele Unternehmer und Beschäftigte mussten in
dieser Zeit lernen, was es heißt, um die eigene Existenz
zu fürchten. Sie suchen verlässliche Orientierung, sie
verlangen Reformen, und zwar von uns, den Politikern.
Wir alle miteinander, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben erfahren, dass die Umsetzung von Reformen
in diesem Bereich keine Sache von Wochen oder Monaten, sondern eine längerfristige Angelegenheit ist. Bei einem handfesten und tiefgreifenden Strukturwandel - damit haben wir es auf dem Arbeitsmarkt zu tun - liegen
schmerz- und nebenwirkungsfreie Wundermittel leider
Gottes nicht auf der Straße.
Es ist ganz natürlich, dass sich Lösungskonzepte je
nach politischem Lager auch widersprechen. Eine offene
Diskussion ist notwendig, um miteinander auf den richtigen Weg zu kommen. Dieser Diskussion können auch
die beiden vorliegenden Anträge - der der FDP gegen
gesetzliche Mindestlöhne und der der Grünen, durch den
das Entsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet werden soll - dienen. Da aber beide Anträge in dieser Frage
überreizt sind, werden wir sie beide ablehnen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Grünen haben richtig erkannt - ich zitiere den
letzten Absatz Ihrer Antragsbegründung -:
Regionale und branchenspezifische Unterschiede
bei Lohnniveau und Produktivität müssen berücksichtigt werden, um Arbeitsplätze nicht zu gefährden.
Frau Pothmer, Sie können, wenn Sie wollen, aber Sie
ziehen nicht die richtigen Konsequenzen:
Ein einheitlicher, gesetzlicher Mindestlohn ist für
die Sicherstellung von Mindestarbeitsbedingungen
ungeeignet.
({1})
- Das ist Diktion der Grünen, letzter Absatz der Antragsbegründung. Lesen Sie! Er beschränkt die Autonomie der Tarifparteien und
führt aufgrund seiner Inflexibilität dort zu Arbeitsplatzverlusten …, wo eine branchen- und regionalspezifische Ausgestaltung des Mindestlohns die
Beschäftigten vor Ausbeutung schützen und zugleich Arbeitsplätze sichern kann.
({2})
Einen kleinen Augenblick bitte, Herr Kollege
Lehrieder. Wir machen die gleiche Prozedur wie vorhin: Paul Lehrieder ({0}):
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
- Die Abstimmung findet erst nach Schluss der Aussprache statt. Bis dahin bitte ich die anwesenden Kollegen, die Plätze einzunehmen.
({0})
Darf ich mich als Redner dem Appell des Präsidenten
anschließen, meine Damen und Herren? Dann geht es
schneller. Der eine oder andere, Herr Niebel, wartet auf
seinen Flieger.
({0})
So, bitte schön.
Liebe Kollegen von der FDP, wie Sie sehen, haben
die Oppositionskollegen die eigentliche Absicht des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erkannt. Es handelt sich
hier um ein Schutzgesetz unter Einbeziehung der Tarifparteien, eine vernünftige Regelung, die sich bewährt
hat. Es handelt sich nicht, Herr Niebel, um die Einführung der Mindestlöhne durch die Hintertür, wie Sie vorhin ausgeführt haben.
({0})
Es wird hier, entgegen Ihren Befürchtungen, kein krummes Ding gedreht, auch wenn die Wünsche in der Großen Koalition etwas differenzierter sind; das will ich einräumen.
Wir von der Union lehnen flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne nach wie vor ab.
({1})
Aber wir sind auch fest entschlossen, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner gegen sittenwidrige Löhne vorzugehen.
({2})
Indem wir heute das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf
das Gebäudereinigerhandwerk ausdehnen, wollen wir
vermeiden, dass die entsandten Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer benachteiligt werden. Wir wollen verhindern, dass unfairer Wettbewerb insbesondere die hier ansässigen kleinen und mittleren Unternehmen und damit
eine große Zahl von Arbeitsplätzen gefährdet.
Branchenübergreifende Entsenderegelungen, wie sie
die Grünen heute fordern, werden - Herr Dreibus, da
müssten Sie als Gewerkschaftssekretär eigentlich aufschreien - weder der Tarifautonomie noch der komplexen Struktur des Arbeitsmarktes gerecht.
Noch einmal zu den Linken. Herr Dreibus, ich bin etwas erschrocken, als Sie vorhin Zustimmung zu dem
Gesetz signalisiert haben. Ich habe den Entwurf noch
einmal nachgelesen, weil mich das etwas irritiert hat.
Aber ich glaube, ein gutes Gesetz kann man auch mit
Zustimmung der Linken auf den Weg bringen. Herzlichen Dank für Ihre Zustimmung!
Die einzelnen Sparten, meine Damen und Herren, von
Handwerk und Dienstleistung unterscheiden sich in den
Anforderungen, Steuerungsbedürfnissen und Wettbewerbsbedingungen zum Teil massiv voneinander. Was
der einen Branche hilft, muss nicht unbedingt gut für die
andere sein. In der Baubranche haben wir gesehen, dass
Entsendegesetz und tarifliche Mindestlöhne keine Allheilmittel gegen Arbeitsplatzabbau und rechtswidrige
Dumpingangebote sein können.
Im Gebäudereinigerhandwerk gibt es immerhin
300 000 Beschäftigte, die schutzbedürftig sind. Das Gebäudereinigerhandwerk ist ebenso kostenintensiv wie
das Baugewerbe und muss sich in besonderem Maße gegen Anbieter aus Billiglohnländern behaupten. Außerdem gilt wie im Baugewerbe ein bundesweiter Lohntarifvertrag mit einheitlichen Strukturen. In der
Gebäudereinigerbranche liegt der Mindestlohn bei
7,87 Euro im Westen und bei 6,36 Euro im Osten. Allein
daran sehen Sie, Herr Dreibus, dass wir in Ost und West
nach wie vor unterschiedliche Gehalts- und Lebensbedingungen haben. Die werden sich angleichen. Aber das
kann man nicht durch einen einheitlichen gesetzlichen
flächendeckenden Mindestlohn machen.
Ich hätte noch einiges zu sagen. Im Hinblick auf die
fortgeschrittene Zeit komme ich jedoch zum Ende. Ich
plädiere natürlich für Zustimmung zu diesem Gesetz.
Danke schön.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf der Drucksache 16/3064. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4554, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Das Erste war die Mehrheit. Damit
ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme dieses Gesetzentwurfs
die absolute Mehrheit - das sind 308 Stimmen - erforderlich. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie der FDP und der Fraktion der Linken verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die Plätze an den Abstimmungsurnen
einzunehmen und mir zu signalisieren, wenn die Plätze
besetzt sind. - Das scheint jetzt der Fall zu sein. Dann
eröffne ich die Abstimmung.
({0})
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung der Stimmen zu beginnen. Das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben.1)
Wir setzen die Abstimmungen fort.
1) Ergebnis Seite 8725 D
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/
4623. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag
bei Zustimmung der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 16/4554 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrages der FDP auf Drucksache 16/1653 mit dem Titel „Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition, der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2978
mit dem Titel „Arbeit in Armut verhindern“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung
bei Zustimmung durch die Koalition, die Fraktion der
FDP und die Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 29 a
und 29 b. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 29 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu den Protokollen vom 16. Mai
2006 über die Änderung des Abkommens vom
6. Juni 1955 über die Errichtung eines Internationalen Ausschusses für den Internationalen Suchdienst und der Vereinbarung vom
6. Juni 1955 über die Beziehungen zwischen
dem Internationalen Ausschuss für den Internationalen Suchdienst und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz
- Drucksache 16/4380 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({0})
- Drucksache 16/4573 Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer ({1})
Gert Weisskirchen ({2})
Harald Leibrecht
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({3})
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/4573, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen
des gesamten Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom
12. September 2002 zum Übereinkommen vom
16. November 1989 gegen Doping
- Drucksache 16/4012 Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses ({4})
- Drucksache 16/4561 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Winfried Hermann
Der Sportausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/4561,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der
Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Werner
Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Arbeitsplatzabbau bei Airbus verhindern Staatliche Sperrminorität bei EADS herstellen
- Drucksache 16/4308 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Als Erstem erteile ich das Wort dem Kollegen Herbert
Schui für die Linke.
({6})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung hat dem Umstrukturierungsplan von
Airbus ausdrücklich zugestimmt. Ebenso tut das die
französische Regierung. Der Widerstand der AirbusBelegschaften provoziert allerdings mittlerweile ein etwas farbigeres Bild. Präsidentschaftskandidat Sarkozy
- er ist ja gegenwärtig noch der Innenminister der
Villepin-Regierung - schließt nach einigem Hin und Her
eine höhere Beteiligung des Staates Frankreich nicht
aus.
Ebenso bunt waren die Reden aus den Koalitionsfraktionen in der gestrigen Aktuellen Stunde. Die Kollegen
von der SPD haben gestern die Manager von Airbus gescholten. Sie haben beklagt, dass das Management die
Mitarbeiter einer unerträglichen Unsicherheit aussetze.
Was sie nicht gesagt haben, ist: Wie halten sie es denn
mit „Power 8“? Sind sie dafür, oder sind sie dagegen?
Sind sie dafür, dass Stellen gestrichen werden, oder sind
sie dafür, dass Werke verkauft werden? Oder ist das
nicht der Fall?
Herr Kollege Wend, Sie haben sich gestern gegen
eine höhere Staatsbeteiligung an Airbus ausgesprochen.
Gleichzeitig haben Sie sich von der Vorstellung abgegrenzt, man solle alles dem Markt überlassen. Nun müssen Sie Farbe bekennen. Soll denn nun staatlicherseits
der Verkauf dieser Werke verhindert werden oder
nicht? Wie stehen Sie zu der Forderung der Präsidentschaftskandidatin Ihrer Schwesterpartei, der französischen Sozialisten, Madame Royal? Auch sie will
„Power 8“ nicht. Sie will dieses Programm aussetzen,
stattdessen eine öffentliche Beteiligung anstreben und
das Management gegebenenfalls zur Disposition stellen.
Da geht es offenbar ohne ordnungspolitisches, orthodoxes Denken.
Der Staat hat in der Tat vom Grundsatz her die Aufgabe, Arbeitslosigkeit zu verhindern und die industrielle,
die technische Entwicklung voranzubringen. Das geht
nur, wenn die Geschäftspolitik von EADS/Airbus wesentlich vonseiten des Staates mitbestimmt wird.
({0})
Gegenwärtig verzichtet der Staat im Rahmen des Aktionärspaktes auf sein Stimmrecht. Das ist ein Unding, auch
wenn Wirtschaftsminister Glos das ordnungspolitisch
und industriepolitisch für vernünftig hält.
Was ist denn nun der eigentliche Zweck von
„Power 8“? Daimler will aussteigen; Lagardère will aussteigen. Infolgedessen braucht EADS neue Finanzinvestoren. Dafür muss man den Konzern attraktiv machen. Man macht einen solchen Konzern aus der Sicht
der Finanzinvestoren attraktiv, indem man zumindest so
brutal vorgeht, wie Boeing das vor rund zehn Jahren getan hat. Das ist der ganze Zweck der Übung.
Wenn der Staat allerdings mit einer Sperrminorität
einsteigen würde - das heißt, nicht Deutschland, Frankreich oder Spanien in Konkurrenz zueinander, sondern
solidarisch -, dann wäre es nicht erforderlich, den
EADS-Konzern für die neue Verheiratung zurechtzuputzen. Dann muss nicht auf den Belegschaften herumgeprügelt werden, damit die Investitionsneigung der Finanzinvestoren steigt.
({1})
Wagen Sie also den entscheidenden Schritt und setzen
Sie sich ein, bejahen Sie eine staatlich finanzierte Kapitalerhöhung bei Airbus, damit die neue Technologie in
Bezug auf den A350 produziert werden kann. Bei einer
solchen Sperrminorität sind außergesellschaftsrechtliche Mittel möglich. Schließlich ist der deutsche Staat einer der wesentlichen Abnehmer der Produkte von EADS
im Bereich der Rüstung.
Die Beschäftigung muss im Konzern gehalten werden. Wird alles ausgelagert, wird wie bei Boeing alles
von Zulieferern hergestellt und im Konzern nur noch
montiert, dann werden wir weniger Impulse für den
technischen Fortschritt haben, dann installieren wir die
Basarökonomie, die Herr Sinn ständig kritisiert, dann ist
dem technischen Fortschritt und Ihrem Lissabonprozess
wirklich nicht geholfen.
({2})
Angesichts dessen, dass Airbus volle Auftragsbücher
hat, gibt es die reelle Chance, „Power 8“ zu streichen.
Die vollen Auftragsbücher sind für die Belegschaften in
Frankreich und Deutschland keine schlechte Verhandlungsposition. Das weiß auch EADS-Chef Enders, wie
sich daran zeigt, dass er zu den Streikdrohungen sagt:
Wir sind hier verwundbar. Wir wünschen den Gewerkschaften viel Erfolg bei ihrem Europäischen Aktionstag
und bei, wie ich mir wünsche, weiteren Aktionen gegen
„Power 8“.
Vielen Dank.
({3})
Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 22 a
und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, Drucksachen 16/3064 und 16/4554, bekannt: Abgegebene Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt 501. Mit Nein haben
gestimmt 50. Es gab keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 551;
davon
ja: 501
nein: 50
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({2})
Georg Fahrenschon
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Bernward Müller ({15})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Willy Wimmer ({25})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
SPD
Gregor Amann
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({26})
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({27})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({28})
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({29})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({30})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({31})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({32})
Frank Hofmann ({33})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({34})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({35})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({36})
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({37})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({38})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({39})
Michael Roth ({40})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({41})
Axel Schäfer ({42})
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({43})
Silvia Schmidt ({44})
Heinz Schmitt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({47})
Swen Schulz ({48})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({49})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({50})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({51})
Volker Schneider
({52})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({53})
Volker Beck ({54})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({55})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({56})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({57})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({58})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({59})
fraktionslos
Henry Nitzsche
Nein
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({60})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Horst Friedrich ({61})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({62})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({63})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Jetzt kommen wir zu unserer Rednerliste zurück. Ich
erteile das Wort dem Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Peter Hintze für die Bundesregierung.
({64})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung unternimmt alles in ihrer
Macht Stehende, damit die Erfolgsgeschichte Airbus
fortgeschrieben werden kann. Unter voller Anerkennung
der Verantwortung der Unternehmensführung hat sich
die Bundesregierung für einen fairen Chancen- und Lastenausgleich zwischen Deutschland und Frankreich eingesetzt. Dieses Ziel ist durch die im Board getroffenen
Vereinbarungen erreicht worden. Dabei geht es um die
Sicherung von Arbeitsplätzen und Technologiekompetenzen und letztlich um die Zukunftsfähigkeit der europäischen Luftfahrtindustrie. Es ist ein Erfolg von Minister Glos und Bundeskanzlerin Merkel, dass dieser
Ausgleich zwischen Deutschland und Frankreich so gut
gelungen ist.
({0})
Airbus ist dadurch erfolgreich, dass sich der Staat um
die Rahmenbedingungen und das Unternehmen um seinen Zweck, nämlich das Planen, Bauen und Verkaufen
von Flugzeugen, kümmert. Gerade wenn ein Unternehmen Probleme im Wettbewerb hat, sind unternehmerische Entscheidungen und unternehmerische Verantwortung gefragt. Das eben zitierte Reformprogramm
„Power 8“ liegt einzig und allein in der Verantwortung
des Unternehmens. Wir müssen hier die Zuständigkeiten
und die Verantwortlichkeiten von Politik und Wirtschaft
klar unterscheiden.
({1})
Arbeitsplätze werden dann sicher, wenn das Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit sichern kann. Das ist
Ziel und Zweck der ganzen Bemühungen.
Der Antrag der Fraktion Die Linke führt in die mückenreichen Sümpfe der Staatswirtschaft. Vor einem solchen Irrweg kann ich nur nachdrücklich warnen.
({2})
Die Privatisierung der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie im Jahr 1989 war darauf ausgerichtet, einen
leistungsfähigen deutschen Partner für die spätere europäische Integration zu schaffen.
Der Geist der deutsch-französischen Partnerschaft ist
die Seele des Unternehmens Airbus. Auch die Gründung
von EADS N.V. im Jahre 2000 erfolgte auf dem Fundament der deutsch-französischen Kooperation. Selbst in
den Tagen, in denen in Frankreich Wahlkampf ist, wodurch es vielleicht zu dem einen oder anderen Missverständnis zwischen Deutschland und Frankreich kommt,
müssen wir sagen: Die Idee, von der Airbus getragen ist
- die europäische Idee, dass Deutschland und Frankreich
eine Gemeinschaft bilden -, ist eine gute und vitale Idee.
Wir wollen dafür sorgen, dass diese Idee auch in Zukunft
stark und vital bleibt.
({3})
Seit der Gründung des Unternehmens liegt die industrielle Führung beim jeweiligen industriellen Partner. Es
sollte auch weiterhin der Grundsatz gelten: Die Wirtschaft macht die Wirtschaft. - Das Interesse Deutschlands ist es, dass in jedem Fall der bestehende Aktionärspakt aufrechterhalten wird. Der Aktionärspakt ist
die Grundlage für einen fairen Chancen- und Lastenausgleich zwischen Deutschland und Frankreich. Die industrielle Führerschaft von EADS liegt bei Daimler-Chrysler und bei Lagardère. Diese Konstruktion hat sich
bewährt.
Im vorliegenden Antrag wird vorgeschlagen, die Bundesrepublik Deutschland möge eine Sperrminorität bei
EADS erwerben. Ich möchte Sie informieren, dass
EADS, wie Sie sicherlich wissen, eine Aktiengesellschaft nach niederländischem Recht und mit Sitz in den
Niederlanden ist. Das niederländische Aktienrecht kennt
im Unterschied zum deutschen Aktienrecht keine Sperrminorität. Die Hoheit über die Gestaltung der Gesellschaft hat man, wenn man auf der Hauptversammlung
über 50 Prozent der Anteile plus eine Aktie verfügt.
Minderheitenrechte, die im deutschen Aktienrecht existieren, gibt es im niederländischen Aktienrecht nicht.
({4})
Das sage ich nur als Hintergrundinformation. Denn es ist
wichtig, dass wir, wenn wir über diesen Antrag diskutieren, die rechtlichen Grundlagen vor Augen haben.
({5})
Den Kern des Antrags bildet der Wunsch, die Arbeitsplätze bei uns im Lande zu sichern und die Arbeitsplatzchancen zu steigern. In diesem Punkt besteht allerdings
ein großer Unterschied zwischen der Meinung des Antragstellers und der Position der von der Großen Koalition getragenen Bundesregierung. Die Regierung ist eindeutig der Auffassung, dass die Wettbewerbsfähigkeit
des Unternehmens die Grundlage für die Sicherheit der
Arbeitsplätze im Unternehmen ist.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, möchten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Schui zulassen?
Ja. Ich lasse eine Zwischenfrage des Kollegen Schui
zu.
({0})
Ich habe zwei Fragen:
({0})
Erstens. Ist Ihnen bekannt, dass man Gesellschaftsverträge ändern kann?
Zweitens; diese Frage ist mir noch wichtiger. Würden
Sie auch dann am Aktionärspakt festhalten, wenn Lagardère und vor allen Dingen Daimler-Chrysler aussteigen,
und würden Sie in diesem Fall befürworten, dass das
Stimmrecht automatisch einer unbekannten Gruppe von
Finanzinvestoren übereignet wird?
Ich beantworte Ihre beiden Fragen gerne.
Zu Ihrer ersten Frage. Ich habe Sie davon unterrichtet,
dass das niederländische Aktienrecht eine Sperrminorität
nicht kennt. Natürlich ist das niederländische Parlament
frei, das Aktienrecht der Niederlande zu ändern. Ich
glaube aber nicht, dass das in Kürze ansteht. Auch
glaube ich nicht, dass wir darauf Einfluss nehmen sollten.
({0})
Ihre zweite Frage war eine „Was wäre, wenn …“Frage. Der von mir geschätzte Wolfgang Schäuble sagt
immer: „Wenn meine Oma Klavier spielen würde, …“ Ich will damit zum Ausdruck bringen: Ihre Frage beruhte auf so vielen Spekulationen, dass ich sie nicht in
einer für Sie befriedigenden Weise beantworten kann.
Ich gehe davon aus, dass die am Aktionärspakt Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen. Das jedenfalls ist
der Wunsch der Bundesregierung. Ich möchte jetzt nicht
spekulieren, was unter völlig anderen Umständen zu tun
wäre.
({1})
Airbus hat natürlich auch Probleme; das ist ganz klar.
Ein Unternehmen, das seine Probleme ignoriert, kann
sehr rasch in Schwierigkeiten geraten. Airbus hat auf
dem Weltmarkt ein grundsätzliches Problem, das allerdings in einer erfreulichen Tatsache begründet liegt: in
der Stärke des Euro.
Airbus produziert in Euro und verkauft in Dollar. Der
Euro ist stark, der Dollar schwach. Das ist ein Problem.
Kursabsicherungsgeschäfte hat das Unternehmen zwar
getätigt. Aber der Euro hat sich im Vergleich zu anderen
Währungen so stark entwickelt, dass das heute ein echter
Kostenfaktor für das Unternehmen ist. Mit jeder weiteren Stärkung des Euro muss eine zusätzliche Last geschultert werden. - Das ist das eine.
Das andere ist: Airbus steht auf dem Weltmarkt im
Wettbewerb mit einem anderen großen Hersteller, der
seinen Sitz in Nordamerika hat. Dieser Hersteller hat
seine Fertigungstiefe drastisch reduziert. Nun muss das
Unternehmen Airbus entscheiden, was sinnvoll ist und
was nicht. Aber es kann nicht sehenden Auges akzeptieren, dass auf der einen Seite ein Unternehmen die Risikolast verteilt und dafür Partner gewinnt, während es
selber mit der Risikolast alleine dasteht. Auch Airbus
braucht Partner bei der Tätigung von Investitionen und
beim Tragen der Risiken. Über die anderen Probleme haben wir bereits gestern ausführlich gesprochen.
Ich verstehe die aus der Ungewissheit resultierenden
Sorgen der Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze. Das
Konzept, das die Airbus-Führung vorgelegt hat, dient
letztlich der Stärkung aller Standorte, wenn auch in Zukunft möglicherweise unter einer anderen industriellen
Verantwortung. Es kann sein, dass ein Standort letztendlich besser dasteht als heute, wenn das Konzept realisiert
wird.
Die Bundesregierung ist für die politischen Rahmenbedingungen zuständig. Sie hat sich im Zusammenhang
mit Airbus permanent um die Arbeitsplatzproblematik
gekümmert. Ich erinnere an den A380-Darlehensvertrag, mit dem wir ausdrücklich einen Schwerpunkt auf
die Arbeitsplatzsicherheit sowie die Ansiedlung und den
dauerhaften Erhalt von Arbeitsplätzen insbesondere in
den neuen Bundesländern gelegt haben. Airbus Deutschland wurde im A380-Darlehensvertrag verpflichtet, mindestens 500 Vollarbeitsplätze in den neuen Bundesländern bis 2006 zu schaffen und diese mindestens bis 2010
zu erhalten. Eine Nichterfüllung dieser Verpflichtung ist
pönalisiert. Airbus Deutschland hat diese Verpflichtung
vollständig eingehalten bzw. übererfüllt und noch mehr
Arbeitsplätze geschaffen. Wie Sie sehen, setzen wir uns
dafür ein, dass Arbeitsplätze in Deutschland gesichert
und erhalten werden.
({2})
Wir werden auch zukünftig im Rahmen unserer Luftfahrtforschungsprogramme die Mittel für die Forschungsförderung gezielt an deutsche Standorte vergeben, um technisches Know-how in Deutschland zu
erhalten, auszubauen und weiterzuentwickeln. Dadurch
tragen wir dazu bei, Zukunftstechnologien in Deutschland zu einer Erfolgsgeschichte zu machen.
Airbus hat alle Chancen - davon bin ich überzeugt -,
seine Probleme zu meistern und seine Erfolgsgeschichte
fortzuschreiben. Das ist gut für Deutschland, das ist gut
für Frankreich, das ist gut für Europa, und das ist gut für
die Arbeitnehmer. Das ist letztlich gut für alle.
Ich bedanke mich.
({3})
Jetzt hat Jürgen Koppelin das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren von der Linken, selbst in Ihren bisherigen Anträgen war selten so viel Widerspruch
zu lesen wie in Ihrem jetzigen. Auch Ihre Begründung,
Herr Kollege Schui, enthielt viel Widersprüchliches.
Darauf komme ich gleich zurück.
Die Überschrift Ihres Antrages lautet: „Arbeitsplatzabbau bei Airbus verhindern“. Sie haben aber keinen
einzigen Vorschlag gemacht, aus dem hervorgeht, wie
Sie das verhindern wollen. Vielmehr fordern Sie nur eine
staatliche Beteiligung.
({0})
Das lehnen wir allerdings ab. Des Weiteren erklären Sie,
der Konzern müsse attraktiv gemacht werden. Ich behaupte angesichts der guten Auftragslage: Der Konzern
ist attraktiv. Es hat überwiegend am Missmanagement
gelegen, dass der Konzern in Schwierigkeiten geraten
ist.
({1})
Zu dem von Ihnen angesprochenen Arbeitsplatzabbau: Folgten wir Ihrer Politik, müsste EADS noch einmal 11 000 Arbeitsplätze abbauen. Sie von der Linken
haben nämlich nicht einmal zugestimmt, als es um die
Vergabe von Rüstungsaufträgen an die Bundeswehr
ging. Ich kann Ihnen den genauen Betrag nennen: Die
Aufträge, die die Bundesrepublik Deutschland in den
letzten Jahren an EADS vergeben hat, hatten ein Volumen von 10,5 Milliarden Euro. Aber nicht einmal gab es
Ihrerseits Zustimmung. Nun reden Sie davon, es dürfe
kein Stellenabbau stattfinden, und das, obwohl wir
11 000 Menschen hätten entlassen müssen, wenn wir Ihrer Politik gefolgt wären.
({2})
Aber nicht nur das: Der Bund hat in den letzten Jahren viel getan. Als Haushälter habe ich nachgerechnet,
dass der Bund Aufträge in Höhe von insgesamt
13,45 Milliarden Euro an EADS vergeben hat. Das ist
eine gewaltige Leistung des Bundes, auch um die Auftragsbücher zu sichern. Man muss außerdem wissen,
dass der Bund zusätzlich Bürgschaften in Höhe von
11,1 Milliarden Euro übernommen hat. Wir übernehmen nämlich auch Bürgschaften für die Airbusse. Insofern kann man feststellen, dass der Bund alles getan hat,
um das Unternehmen abzusichern. Daran liegt es nicht.
Wir sollten uns vielmehr mit der Frage befassen, ob
es wirklich gut ist, dass der Staat an einem solchen Unternehmen beteiligt ist. Wenn Sie zum Beispiel mit
Herrn Enders sprechen - tun Sie das ruhig, auch als
Linke! -, dann werden Sie feststellen, dass beispielsweise 20 Prozent der Aufträge von EADS aus Amerika
kommen. Es wäre noch viel mehr möglich, aber das Problem ist, dass amerikanische Kunden EADS als französisches Staatsunternehmen betrachten, aber nicht bei einem Staatsunternehmen kaufen wollen. Insofern kann
man sich vorstellen, wie die deutsche Beteiligung wahrgenommen würde. Deswegen meinen wir - ich denke,
zu Recht -, dass sich der Staat, sei es die Bundesrepublik
oder Frankreich, eigentlich aus diesem Konzern zurückziehen müsste. Das ist das Entscheidende; dann wird
dieser Konzern noch attraktiver.
({3})
Ich komme noch einmal auf die Aufträge zurück, die
wir im Verteidigungsbereich vergeben haben. Sie widmen diesem Thema nur einen Satz. Sie deuten nicht einmal an, was Sie machen würden, wenn diese Aufträge
ausblieben, die schließlich einen Anteil von 49 Prozent
am Auftragsvolumen von EADS ausmachen. Wie haben
Sie von den Linken sich das vorgestellt? Sollen die
11 000 Mitarbeiter Kochtöpfe und Pfannen herstellen,
wenn keine Aufträge im Verteidigungsbereich mehr erfolgen?
({4})
Meines Wissens gibt es in diesem Bereich schon ein
Überangebot.
Was Ihre Forderung angeht, den politischen Einfluss
zu stärken, ahne ich schon, wie das aussehen würde.
Dann kommen die Politiker wieder in die Aufsichtsgremien. Ich habe noch kein Unternehmen erlebt, in dem es
richtig funktioniert hat, wenn Politiker die Mehrheit in
den Aufsichtsgremien hatten.
({5})
Nein, die Politik muss aus den Unternehmen herausgehalten werden. Das ist das Entscheidende. Wir wünschen
uns vielmehr, dass sich auch die Franzosen Stück für
Stück aus dem Konzern zurückziehen. Ich glaube, dann
hätten wir eine große Chance.
({6})
In einem Punkt unterstütze ich den Herrn Staatssekretär: EADS ist ein attraktives Unternehmen. Wir sollten
es nicht schlechtreden, sondern alles tun, damit dieses
Unternehmen auch weiterhin gute Chancen hat. Die
Auftragsbücher sind voll. Alle Chancen sind gegeben.
Entscheidend ist, dass auch das Management begreift,
dass sich die Verantwortung nicht auf die Auftragsbücher beschränkt, sondern auch auf die Arbeitnehmer erstreckt.
Bei dieser Gelegenheit will ich feststellen - das sage
ich als Abgeordneter der FDP -, dass sich meines Erachtens die Gewerkschaften im Zusammenhang mit EADS
sehr vernünftig verhalten haben.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({7})
Dann gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen Ditmar
Staffelt für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben das Thema im Grunde schon gestern
durchdekliniert. Dass wir es heute noch einmal tun, ist
womöglich nicht zwingend erforderlich, aber wir wollen
das gerne tun.
({0})
Denn ich glaube, dass wir im Zusammenhang mit Airbus/EADS eine ausgesprochen gute Bilanz vorzuweisen
haben.
Zunächst ist im Zusammenhang mit der deutschen
Luftfahrtindustrie das sehr gute kontinuierliche Arbeiten
mit Airbus/EADS, aber auch mit der Zulieferindustrie zu
nennen. Das Thema kommt im Übrigen vor dem Hintergrund der besonderen derzeitigen Situation bei Airbus
häufig genug viel zu kurz. Ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen.
Zweifelsfrei hat es Fehleinschätzungen des Managements gegeben, insbesondere was die Wünsche der
Kunden - der Besteller - betrifft und was in diesem Zusammenhang die neuen technologischen Voraussetzungen an den Flugzeugen selbst betrifft.
Es nützt uns aber nichts, jetzt auf die Fehler der letzten Jahre zu verweisen. Was die damalige Zeit angeht,
kann ich im Bundestag nur eines berichten: Nach unserem Besuch bei Boeing in Seattle und in Chicago haben
wir gegenüber der Airbusführung die Herausforderung
im Zusammenhang mit der Boeing 787 zwar angesprochen; sie ist aber leider nicht auf Resonanz gestoßen,
vielleicht auch deshalb, weil man sich auf die große Herausforderung des A380 konzentriert hat und glaubte,
mit der A350, einer - um es so auszudrücken - wenig innovativen neuen Maschine einfacher technologischer
Art, die Wettbewerbssituation gegenüber der Boeing 787
ausgleichen und meistern zu können. Diese Rechnung
des Managements ist nicht aufgegangen. Die Folge dieser Tatsache haben wir heute gemeinsam zu beklagen.
Aber es ist noch eines richtig: Wir haben uns - da
knüpfe ich an die Kollegen Hintze und Koppelin ausdrücklich an - immer, und zwar gleich, welche Bundesregierung, in den letzten Jahren und Jahrzehnten darum
bemüht, die Workshares für die deutsche Luft- und
Raumfahrtindustrie zu sichern. Wir haben immer darauf
geschaut, dass sich unser staatliches finanzielles Engagement selbstverständlich auch in Arbeitsplätzen, insbesondere in technologisch hochwertigen Arbeitsplätzen
niederschlägt. Das ist uns im Grunde bisher auch außerordentlich gut gelungen.
({1})
Ich halte es für eine sehr verkürzte Analyse der Probleme, wenn es von der linken Seite heißt, im Moment
wollten Daimler und Lagardère aus dem Unternehmen
aussteigen, deshalb müsse man die Braut hübsch machen
und wir setzten darauf, durch Entlassungen oder durch
eine strukturelle Veränderung des Unternehmens industrielle Investoren zu finden. Wenn Sie das so sehen, dann
haben Sie sich mit der Materie bisher nicht ausreichend
beschäftigt. Das muss ich Ihnen sagen.
({2})
Das Unternehmen ist in einer sehr schwierigen Lage,
weil es große Herausforderungen zu meistern hat.
Vielleicht sollten Sie sich einmal daran erinnern, dass es
nicht nur um den A380 geht, sondern auch um den
A400M, den Militärflieger, ein Transporter wohlgemerkt. Es geht um einen neuen A350 und eine neue
A320er-Familie. Das muss erst einmal in einem solchen
Unternehmen sowohl von der finanziellen Seite her als
auch von der Manpower her bewältigt werden. Dieses
hat nun ganz und gar einen anderen Zuschnitt als Ihre
Behauptung, es gehe hier nur darum, in ganz simpler Art
und Weise so ein Unternehmen lean zu organisieren, damit sich neue industrielle Investoren - in Ihr Konzept
würden Heuschrecken noch viel besser passen - das
Ding unter den Nagel reißen. So einfach kann man es
sich nicht machen.
({3})
Wir haben sehr viel staatliche Unterstützung gegeben. Wir haben sie nicht nur gegeben, weil wir die Auftragsbücher der EADS sichern wollten, Herr Koppelin,
sondern auch, weil die EADS qualitativ hervorragende
Produkte hergestellt hat
({4})
und weil wir die Bundeswehr nach den Zeiten des Kalten
Krieges für neue Aufgaben umgerüstet haben, was natürlich insbesondere der Luftfahrtindustrie zugute
gekommen ist, wenn Sie beispielsweise an die Hubschrauber denken. Wir haben mit dem Luftfahrtforschungsprogramm immer dafür Sorge getragen, die Großen und die Kleinen in der Luftfahrtindustrie in die Lage
zu versetzen, mit staatlicher Hilfe neue Technologien zu
entwickeln, um damit deren Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Auch das ist eine Sache, die - im Übri8732
gen unumstritten in der Luftfahrtindustrie - den Bundesregierungen der vergangenen Jahre zu danken ist.
Ich füge noch eines hinzu. Das betrifft die sogenannte
Launch-Aid, also die Unterstützung bei der Neuentwicklung von Flugzeugen. Wir sind gehalten, rückzahlbare
und verzinsliche Darlehen zu geben, um ein sogenanntes
Level-Playing-Field gegenüber Boeing, also eine vergleichbare Wettbewerbsgrundlage, aufrechtzuerhalten.
An Boeing fließen Mittel von der NASA und vom Pentagon, und Boeing profitiert von Steuerreduktionen. Es
ist nicht umsonst eine Auseinandersetzung in Form eines
WTO-Streitverfahrens in Genf anhängig, weil die Amerikaner der Auffassung sind, wir würden hier zu viel tun.
Wir haben eine andere Rechtsposition. Wir sagen: Wir
tun nur das, was wir tun müssen, damit Airbus keine
Nachteile entstehen. - Dieses muss geklärt werden. Das
ist ein Hinweis darauf, wie stark sich der Staat bei
EADS/Airbus engagiert hat. Ich bin sehr skeptisch, ob
der Staat gut beraten ist, sich über diesen Ansatz hinaus
etwa als Shareholder stärker zu produzieren.
Meiner Ansicht nach ist es folgendermaßen: Wenn es
zu einer Kapitalerhöhung kommen sollte, dann ist die
EADS gut beraten, industrielle strategische Partner zu
finden, die auch einen Beitrag zur Fortentwicklung der
Qualität des Unternehmens leisten können. Das wäre außerordentlich wichtig. Es geht also darum, Partner zu
finden, die den nächsten Schritt der technologischen Ertüchtigung des Unternehmens unterstützen können. Es
geht doch gar nicht darum, dass wir glauben: Wenn der
Staat sich beteiligt, dann wird das Unternehmen zu dauerhaftem Erfolg geführt. Das ist doch eine Schimäre von
gestern.
({5})
Einfluss können wir im Übrigen auch ausüben, ohne
Shareholder zu sein. Es gibt sogar Situationen, in denen
man sagen muss: Bisweilen ist derjenige, der andere Hilfen anbietet, sehr viel besser dran, in der Beeinflussung
eines Unternehmens einen bestimmten Weg zu gehen,
als derjenige, der im Aufsichtsrat sitzt. Überlegen Sie
sich das also gut. Ich glaube, Sie sprechen nicht den
richtigen Weg an.
Ich darf noch einmal sagen: Unsere französischen
Freunde sollten auch im Wahlkampf ein bisschen zurückhaltender mit ihren Forderungen sein.
({6})
Wir haben aus Paris gehört: Wir wollen, dass ein Einziger an der Spitze steht; wir wollen darüber hinaus ein
Verhältnis von 60 : 40. Ich weiß nicht, welche Forderungen dort noch gestellt worden sind. Es glaubt doch wohl
keiner, dass wir auf solche Rufe von jenseits des Rheins
sofort, eilfertig entsprechende Angebote unterbreiten.
Ganz im Gegenteil: Was die Spitze von Airbus und
EADS betrifft, geht es vor allem um Vertrauen innerhalb
des Unternehmens.
({7})
Was man dort braucht, ist weder ein Franzose noch
ein Deutscher, sondern einen EADS-Chef bzw. einen
Airbus-Chef, der für das Unternehmen und in der Hauptsache nicht für ein Land oder eine Nation steht. Wenn
dieses Unternehmen ein europäisches Unternehmen werden soll, dann muss man an der Spitze über die nationalen Grenzen des Denkens hinaus eine neue Unternehmensphilosophie schaffen. Dabei sollten wir das
Unternehmen unterstützen; denn nur so wird es dauerhaft global Erfolg haben.
Schönen Dank.
({8})
Die Kollegin Kerstin Andreae hat ihre Rede bereits zu
Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4308 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage soll zusätzlich an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen werden. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist
das so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung
von Umweltschäden
- Drucksache 16/3806 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
- Drucksache 16/4587 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({1})
Horst Meierhofer
Sylvia Kotting-Uhl
Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat-
tieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Dann eröffne ich hiermit die Aussprache und erteile
das Wort für die Bundesregierung dem Bundesminister
Sigmar Gabriel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Staat hat die Aufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen
zu schützen. Das ist nicht nur sein verfassungsrechtli-
cher Auftrag, sondern auch Grundlage jeder nachhalti-
gen Entwicklung.
1) Anlage 15
({0})
Das Verursacherprinzip ist eines der tragenden Prinzipien, um unsere umweltpolitischen Ziele, also die
Ziele der Nachhaltigkeit, zu verwirklichen. Der Gesetzentwurf für ein Umweltschadensgesetz orientiert sich
strikt an dieser Idee: Wer Umweltschäden verursacht
oder zu verursachen droht, ist dafür verantwortlich. Der
Verursacher hat die Gefahr von Umweltschäden zu vermeiden und trotzdem eingetretene Umweltschäden zu
sanieren. Das gilt für alle erheblichen Schäden am Boden, an den Gewässern und auch an der Biodiversität.
Damit wird zugleich die EU-Umwelthaftungsrichtlinie
in deutsches Recht umgesetzt, und das - wie so oft von
fast allen Beteiligten in diesem Haus gefordert - im
Maßstab eins zu eins.
Das Umweltschadensgesetz ergänzt die bestehenden
Regelungen zur Vorsorge gegen Umweltbeeinträchtigungen und richtet den Fokus auf die Sanierung entstandener Schäden an Umweltgütern. Mit dem Gesetz wird
das Schutzniveau, das die Umwelt als Gut der Allgemeinheit genießt, dem Schutzniveau von individualrechtlichen Schutzgütern angeglichen. Schäden der Böden, der Gewässer und des Naturhaushalts sind zu
vermeiden; für eingetretene Schäden hat der Schadensverursacher Ersatz zu leisten.
({1})
Der weltweite Verlust an biologischer Vielfalt ist
neben der Klimaveränderung die größte globale umweltpolitische Herausforderung. Das Umweltschadensgesetz leistet seinen Beitrag dazu, das Ziel einer Trendwende bis zum Jahr 2010 zu erreichen, wie es die
internationale Verabredung vorsieht. Es bietet Arten und
Lebensräumen im Sinne der europäischen Habitatrichtlinien einen erweiterten Schutz. Schädigungen dieser Arten und Lebensräume sind bei jeder beruflichen Tätigkeit zu vermeiden. Das Gesetz setzt hier auf einen
weiten Anwendungsbereich und beschränkt sich bei den
Biodiversitätsschäden nicht darauf, nur Betreiber von
Anlagen oder Tätigkeiten, die als potenziell gefährlich
eingeschätzt werden, in die Pflicht zu nehmen.
Mit der Kostenanlastung an die Schädiger folgt die
Richtlinie dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip.
Sie internalisiert externe Kosten der Umweltnutzung.
Sie schafft so wirtschaftliche Anreize, berufliche Aktivitäten von vornherein in einer Weise durchzuführen, dass
es erst gar nicht zu Schädigungen der Umwelt kommt.
Auch das ist ein weiterer Baustein einer intelligenten,
ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik
({2})
Die Pflichten der Schadensverursacher dürfen aber
nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müssen natürlich auch durchgesetzt werden können. Das Gesetz folgt
dabei einem doppelten Ansatz. Es gibt auf der einen
Seite der zuständigen Behörde Mittel des Verwaltungszwangs bis hin zur Ersatzvornahme auf Kosten des
Schadensverursachers an die Hand. Es entspricht zum
anderen dem Geist der Århus-Konvention: So können
nicht nur diejenigen, die von einem Umweltschaden betroffen sind, sondern auch Umweltverbände die Verpflichtung zur Sanierung von Schäden einklagen.
Ich glaube, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht haben, sowohl die euoparechtssichere Umsetzung zu gewährleisten als auch allen Interessen - denen der Natur und der Wirtschaft - angemessen
Rechnung zu tragen. Im Sinne einer ökologischen Industriepolitik wünsche ich mir allerdings, dass das Umweltschadensgesetz nach Möglichkeit überhaupt nur in sehr
wenigen Fällen Anwendung finden muss.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Jetzt hat der Kollege Horst Meierhofer das Wort für
die FDP-Fraktion
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass das Umweltschadensgesetz darauf abzielt, Industriebetriebe für die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden mit in die Verantwortung zu nehmen, hat
der Herr Minister Gabriel schon angesprochen. Es ist natürlich richtig, wenn diese Unternehmen eine Verantwortung dafür tragen. Dass das nicht ausschließlich den Bürgerinnen und Bürgern als Last aufgebürdet werden
sollte, ist auch eine Selbstverständlichkeit.
Es ist aus meiner Sicht ebenfalls richtig, dass man gerade bei der Biodiversität den Grundsatz verfolgt: Nicht
nur dann, wenn ein Mensch oder ein Unternehmen geschädigt wird, soll dafür Ersatz geleistet werden; auch
der Wert als solcher muss natürlich Berücksichtigung
finden. - Deshalb halte ich es für richtig, dass das so geregelt werden soll. Das ist ganz neu in Deutschland. Darüber freuen wir uns als FDP.
({0})
- Dann freuen wir uns alle.
Es gibt ein paar Punkte, in denen wir vielleicht unterschiedlicher Meinung sind. Aber Grundlage ist ja eine
europäische Richtlinie, die umzusetzen ist - darüber
kann man nicht hinweggehen -; dazu sind wir verpflichtet.
Bei aller Kritik, die wir bereits in der letzten oder vorletzten Legislaturperiode an der damaligen Verhandlungsführung geübt haben, gibt es einige Punkte, die zu
begrüßen sind. Dass man das eigenverantwortliche Handeln stärkt und dass man versucht, für umweltpolitische
Ziele ein bisschen mehr Sensibilität bei den Unternehmen zu schaffen - darin stimmen wir alle, glaube ich,
überein. Das hat sich schon in den 80er-Jahren gezeigt,
als im Zusammenhang mit den Sandoz-Unfällen die Idee
entstand, dass man auch dann etwas tun sollte, wenn
kein Individuum geschädigt ist.
Ganz allgemein können wir mit der Umsetzung in
diesem Gesetz relativ gut leben. Das gilt etwa für die
Reichweite des Begriffs der geschützten Arten und der
natürlichen Lebensräume. Dazu gab es Kritik vonseiten der Industrie, das gehe zu weit, das solle sich auf irgendwelche geschützten Räume beschränken. Das sehen
wir ausnahmsweise anders.
Wenn wir uns schon darauf verständigen, Arten zu
schützen, und wenn wir uns darauf verständigen, dass
die Biodiversität als eigener Wert zu schützen ist, dann
macht es natürlich keinen Sinn, eine Art, die vom Aussterben bedroht ist, beispielsweise der Uhu oder ein anderes Tier, nur in den Bereichen zu schützen, die man ihr
vorher sozusagen zugebilligt hat. Entweder macht man
es ganz oder gar nicht. Deswegen ist es so, wie es umgesetzt worden ist, glaube ich, richtig.
({1})
Dass es uns im Ausschuss auch noch gelungen ist, die
vorsorgliche Ermächtigungsgrundlage für eine Pflicht
zur Deckungsvorsorge aus dem Gesetz zu streichen, hat
uns natürlich sehr gefreut. Dass die CDU/CSU und die
SPD einen Antrag, den wir eingebracht haben, ebenfalls
eingebracht haben und wir dementsprechend alle an einem Strang gezogen haben, fand ich sehr positiv. Das ist
ein Punkt, der uns sehr gefreut hat.
({2})
- Ich glaube, sogar die Linke hat mit uns an einem
Strang gezogen.
({3})
- Zumindest hatten wir von euch noch nichts gehabt.
Das kam dann am nächsten Tag. Aber das ist auch egal.
({4})
- Ja, vermutlich ist dieses Mal falsch gezählt worden. Aus unserer Sicht war das Vorgehen auf jeden Fall ganz
vernünftig. Der Versicherungsmarkt sollte erst einmal
ohne Vorfestlegungen die Möglichkeit haben, sich zu
entwickeln. Das ist nun möglich. Das ist keine Frage, die
man im parteipolitischen Gezänk lösen sollte.
Ein weiterer Punkt, der heftig diskutiert wurde, ist die
Möglichkeit einer Kostenfreistellung. Die Richtlinie
gibt den Mitgliedstaaten in zwei Fällen die Möglichkeit,
Unternehmen von den Kosten für die Sanierung eines
Umweltschadens freizustellen, zum einen, wenn dieser
Umweltschaden durch eine genehmigte Tätigkeit entstanden ist, und zum anderen, wenn nach damaligem
Stand von Wissenschaft und Technik nicht davon ausgegangen werden konnte, dass ein Schaden für die Umwelt
entstehen könnte.
An dieser Stelle liegt das Problem, das der Grund dafür ist, dass wir uns enthalten werden. Der alten Bundesregierung ist es nicht gelungen, die Kostenfreistellung
europaweit einheitlich zu regeln. Aus unserer Sicht
braucht man auf diesem Gebiet keinen Wettbewerb zwischen den Ländern in Europa. Aus unserer Sicht wäre
eine Einigung auf europäischer Ebene, das heißt, dass
alle Staaten gleich verfahren, das Vernünftigste gewesen,
weil Deutschland sonst Wettbewerbsnachteile haben
könnte. Das wollen wir nicht.
Deswegen darf ich an dieser Stelle die einzelnen Länder bitten, sich selbst einzubringen und die Kosten von
den Unternehmen zu nehmen. Vor dem Hintergrund des
Konnexitätsprinzips haben die Länder, die zahlen, auch
das Recht auf eine freie Entscheidung. Da es sich aber
um ein vernünftiges Anliegen handelt, hoffen wir, dass
sie sich einheitlich entscheiden werden und die Kosten
dann übernehmen, wenn den Unternehmen keine Verantwortung zugeschrieben werden kann, weil alles ordnungsgemäß getan wurde. Ich glaube, dann könnten die
deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb
vielleicht sogar einen Vorteil haben.
({5})
Noch eine kleine Anmerkung: Vielleicht hätte man
die Anhänge der Richtlinie komplett übernehmen können. Das ist leider nicht geschehen. Es wird wieder auf
Anhänge verwiesen. Man sagt, an dieser Stelle könne
man einfach verweisen. Natürlich ist das rechtlich möglich. Man kann das Gesetz so machen. Wenn man aber
beim Umweltgesetzbuch alles vereinheitlichen will, alles in ein Gesetz packen will, damit es einfacher umzusetzen ist, dann hätte man das hier auch so machen können. Packen Sie den ganzen Anhang ins Gesetz. Das
wäre eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Dann hätten wir die
Vereinfachung, die wir uns für die Zukunft wünschen,
schon mit diesem Gesetz erreicht.
Ich darf zum Schluss noch einmal an die Länder appellieren, auf diesem Gebiet einheitlich vorzugehen, damit keine Nachteile für unsere Wirtschaft entstehen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Jetzt spricht Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Rahmen der Diskussion über den europäischen Verfassungsvertrag führen wir derzeit sehr engagiert eine
Debatte über die Fragen: Wofür sollte Europa zuständig
sein? Welche Kompetenzen müssen nach Europa? Für
welche Fragen sollten die Regelungen besser auf nationaler Ebene getroffen werden? Oftmals gibt es kritische
Stimmen. Es wird gesagt: Muss sich Europa hier einmischen? Ist es nötig, dass auch dieses Detail von der Europäischen Union geregelt wird?
Andreas Jung ({0})
Ich möchte die Umsetzung der Umweltschadensrichtlinie in deutsches Recht zum Anlass nehmen, sehr deutlich zu sagen: Es ist gut, dass es Europa gibt, und es ist
gut, dass sich Europa den Fragen des Schutzes von Umwelt und Natur mit großem Nachdruck annimmt.
({1})
Wir wissen, dass Umweltfragen, wie die Frage des
Schutzes von Böden, von Gewässern oder der Artenvielfalt, nicht an nationalen Grenzen haltmachen. Ich will
die Flüsse als Beispiel nennen: Ein Fluss schert sich
nicht um Ländergrenzen, er schert sich nicht um Nationalstaaten.
({2})
Deshalb ist es gut, dass die Initiative der Europäischen
Union gekommen ist.
Deshalb ist es gut, dass wir dieses Gesetz ebenso
ambitioniert in deutsches Recht umsetzen.
Wir erreichen damit Fortschritte in all den genannten
Bereichen. Minister Gabriel hat die entscheidenden
Punkte hervorgehoben. Ich möchte noch einmal ein
Prinzip ansprechen, das mir besonders wichtig erscheint:
Mit diesem Gesetz normieren wir das Verursacherprinzip. Damit ist derjenige, der einen Schaden verursacht,
grundsätzlich auch dafür verantwortlich, diesen Schaden
zu beheben und die Kosten dafür zu tragen. Das verankern wir im Umweltschadensgesetz, und das halte ich
für richtig.
({3})
Besonders wichtig ist mir, dass wir mit diesem Gesetz
tun, was auch Minister Gabriel gefordert hat, nämlich
die europäische Richtlinie eins zu eins in deutsches
Recht umzusetzen. Diese Tendenz war im Gesetzentwurf schon enthalten. Es gab wenige Punkte, an denen
wir im Ausschuss nachgebessert haben. Mit der Einszu-eins-Umsetzung steht die Große Koalition zu dem,
was sie in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten hat und
was uns von Rot-Grün unterscheidet, woran man also
die Handschrift der Union erkennt: Rot-Grün hat bei der
Umsetzung immer noch etwas draufgesattelt und damit
häufig die eigenen Ziele konterkariert.
({4})
Dadurch wurde auch die Wettbewerbsfähigkeit des
Standortes Deutschland beeinträchtigt. Deshalb ist es
gut, dass wir bei diesem Gesetz zu einer Eins-zu-einsUmsetzung kommen.
({5})
Ich will noch einige Punkte konkret ansprechen, auch
wenn der eine oder andere schon von dem Kollegen
Meierhofer thematisiert worden ist. Erstens. Welche
Schutzgebiete sind überhaupt betroffen? Die Richtlinie
der Europäischen Union bietet Auslegungsspielräume.
Man kann die Auffassung vertreten, dass ausschließlich
die Natura-2000-Gebiete betroffen sein sollen. Man
kann aber auch die Auffassung vertreten, dass eine solche Begrenzung aus der Richtlinie nicht hervorgeht.
Ich sage offen, dass in unserer Fraktion die Auffassung, dass eine Begrenzung auf die Natura-2000-Gebiete aus der Richtlinie herauszulesen ist, Anhänger hat
und Sympathie findet. Wir müssen aber zur Kenntnis
nehmen, dass die Kommission eine völlig andere Auffassung vertritt und sagt: Nur mit dem, was im Gesetzentwurf der Bundesregierung normiert ist, werden wir
unserer Pflicht einer europarechtsgetreuen Umsetzung
gerecht.
Wir haben uns dafür entschieden, nicht den Konflikt
mit der Kommission zu suchen, auch wenn der Europäische Gerichtshof die letzte Entscheidung trifft. Aber in
der Koalition haben wir auch verabredet, dass wir keinen
nationalen Alleingang wollen. Wir haben deshalb die
Bundesregierung aufgefordert, in einem Jahr zu berichten, wie die anderen Mitgliedstaaten die Richtlinie in
diesem Punkt umgesetzt haben. Wenn sich herausstellen
sollte, dass die Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten einen anderen Weg als Deutschland gewählt hat, nämlich
den, dass doch nur Natura-2000-Gebiete betroffen sind,
wollen wir diesen Punkt noch einmal aufrufen und eine
Neuregelung besprechen.
({6})
Zweitens. Machen wir Gebrauch von der Haftungsprivilegierung, die Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie ermöglicht? Auch hierüber haben wir diskutiert. Auch hier lassen sich Argumente finden, dies zu tun, wenn auch
andere Mitgliedstaaten das machen. Wir müssen aber zur
Kenntnis nehmen, dass eine solche Regelung die Zustimmungspflicht des Bundesrats auslösen würde. Der
Bundesrat jedoch sagt deutlich, dass er das nicht mittragen würde; denn wenn es eine Privilegierung für diejenigen gibt, deren Verhalten ohne Verschulden zu Schäden
geführt hat, wenn also Handlungen zu Schäden führen,
ohne dass das vorhersehbar gewesen wäre, müsste irgendjemand die Kosten tragen, und das wären dann die
Länderhaushalte. Die Länder jedoch sagen: In einem
solchen Fall soll der Betreiber bzw. der Unternehmer
oder die Allgemeinheit den Schaden tragen; auf jeden
Fall sollen nicht die Länderhaushalte belastet werden.
Ich denke, für eine solche Einstellung sollte man Verständnis haben. Deshalb haben wir diesen Punkt nicht
weiterverfolgt.
Zwei weitere Punkte sind mir besonders wichtig, und
zwar die beiden Punkte, wo es, ausgehend von dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, gelungen ist, noch
Veränderungen durchzusetzen, so beispielsweise in einem Punkt eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Ein Punkt, der
bereits angesprochen wurde, betrifft die Deckungsvorsorge. Der Gesetzentwurf sah schon jetzt eine Ermächtigung der Bundesregierung vor, eine Regelung zur
Deckungsvorsorge zu normieren, ohne dass die Europäische Union jetzt schon angekündigt hätte, in dem Bereich tätig zu werden, ohne dass jetzt schon solche Absichten vorliegen. Erst im Jahr 2010 will man überhaupt
Andreas Jung ({7})
prüfen und darüber nachdenken, ob man in dieser Richtung initiativ wird.
Wir haben einerseits festgestellt, dass schon die Normierung im Gesetzentwurf, die vorgesehene Normierung, zu Unsicherheit, zu Sorge, nicht nur im Bereich
der Versicherungsbranche, sondern auch im Bereich von
Wirtschaft und Landwirtschaft, geführt hat, dass gefragt
worden ist: Was ist denn da Sache? Wenn man so etwas
ins Gesetz schreibt, schon jetzt die Bundesregierung ermächtigt, dann muss doch etwas im Busch sein!
Wir haben andererseits gesagt, dass überhaupt kein
Anlass besteht, dass wir als Parlament unseren Gestaltungsspielraum schon jetzt aus der Hand geben und
quasi in vorauseilendem Gehorsam die Regierung hierzu
ermächtigen.
Deshalb haben wir gesagt: Dieser Punkt muss raus.
Das haben wir in den Ausschussberatungen gemeinsam
durchgesetzt, und das wurde auch - das ist angesprochen
worden - von der FDP-Fraktion unterstützt. Ich finde,
das ist ein wichtiger Punkt, der die Zustimmung noch
leichter macht.
({8})
Ich komme zu dem letzten Punkt. Auch der ist schon
angesprochen worden. Die Richtlinie eröffnet die Möglichkeit, dass für unerhebliche Abweichungen von dem
normalen, dem Ausgangszustand - ich nenne sie Bagatellabweichungen; also dort, wo Populationen nur in
geringfügigem Umfang beeinträchtigt sind, sodass es die
natürlichen Schwankungen nicht übersteigt, sodass die
Abweichungen durch natürliche Entwicklungen wieder
beseitigt werden - eine Privilegierung insoweit vorgesehen wird, dass sie nicht als erhebliche Schädigungen gelten.
Ich halte es für wichtig, dass wir das tun. Denn bei all
dem, was ich vorhin dazu gesagt habe, was ich für richtig halte, hohe Umweltstandards, müssen wir immer die
Verhältnismäßigkeit wahren und nicht schon bei ganz
kleinen Abweichungen möglicherweise große Kostenfolgen verursachen.
Deshalb haben wir die Auffassung vertreten: Die
Möglichkeit, die die Richtlinie eröffnet, muss auch in
den Gesetzestext aufgenommen werden. Das haben wir
durch unseren ebenfalls in den Ausschussberatungen
durchgesetzten Änderungsantrag getan und wollen das
nachher so abstimmen. Ich halte das für wichtig, weil es
dem Geist der Richtlinie entspricht, weil es hohe Umweltstandards setzt, sie in Europa auf Augenhöhe durchsetzt, die Verhältnismäßigkeit wahrt, damit der Umwelt
dient und die Wirtschaft nicht über Gebühr beeinträchtigt.
Wir begrüßen deshalb ausdrücklich diese Umsetzung
der Richtlinie in deutsches Recht.
Herzlichen Dank.
({9})
Der Kollege Lutz Heilmann hat das Wort für die Linken.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Meierhofer von der FDP, ich glaube, es ist
nicht ausreichend, wenn sich die Wirtschaft „ein bisserl
mehr“ um die Umwelt kümmert. Gestern hat der EUGipfel stattgefunden, und ein Topthema war der Klimawandel. Ich denke, „ein bisserl mehr“ ist zu wenig, es
muss erheblich mehr getan werden.
Wer haftet für Umweltschäden? - Für Umweltschäden haften momentan nach dem Umwelthaftungsgesetz
Betreiber von Anlagen. Umweltschäden, die durch berufliche Tätigkeiten verursacht werden, etwa von Landwirten, werden bisher keiner Haftungsregelung unterworfen. Die Kosten dafür trägt die Allgemeinheit, das
heißt der Steuerzahler. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll diese Gesetzeslücke nun geschlossen werden.
Wir begrüßen es ausdrücklich - der Herr Minister hat
es angesprochen; man kann fast schon sagen, es ist ein
einmaliger Fall -, dass hier eine EU-Richtlinie von der
Bundesrepublik auch einmal pünktlich umgesetzt werden wird.
({0})
Doch wie so häufig liegt natürlich auch hier der Teufel im Detail. Schauen wir uns ganz einfach einmal den
Gesetzentwurf genauer an. Bezeichnend dafür ist nämlich zum Beispiel der Verweis auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz. Nach diesem können Verbände wie Greenpeace in Umweltangelegenheiten nur dann klagen, wenn
das Drittschutzerfordernis erfüllt ist. Das Umweltrechtsbehelfsgesetz schränkt damit die Mitwirkungsmöglichkeiten sowohl der Bürgerinnen und Bürger als auch der
Umweltverbände unzulässig ein. Durch den Verweis des
Umweltschadengesetzes auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz wird auch die Klagemöglichkeit von Umweltverbänden in Fällen, für die das Umweltschadensgesetz gilt,
erheblich eingeschränkt.
Wir erachten das als eine nicht hinnehmbare Einschränkung. Wir sagen, das Umweltrechtsbehelfsgesetz
verstößt gegen die Århus-Konvention und damit auch
gegen die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie der EU.
Bei der EU-Kommission ist diesbezüglich - wer sich
auskennt, weiß es - bereits eine Beschwerde anhängig.
Letztlich wird natürlich wieder der EuGH darüber entscheiden.
Weiterhin unklar ist, was unter „Berücksichtigung“
nach § 9 Abs. 1 Satz 3 zu verstehen ist. Wir befürchten,
dass dies eine vollständige Freistellung beim Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln durch die Landwirtschaft zur
Folge hat. Das kann weder im Sinne des Gesetzes noch
richtlinienkonform sein.
({1})
Durch die Änderungsanträge, die wir am Mittwoch
im Umweltausschuss beraten haben, wird das Gesetz leider nicht besser, sondern erheblich schlechter. Sie schränken mit dem neuen Verweis auf § 21 a Abs. 2 und 3 des
Bundesnaturschutzgesetzes den Anwendungsbereich des
Gesetzes im Naturschutz erheblich ein. Das Gesetz gilt
somit nur noch bei Schädigungen an EU-rechtlich geschützten Arten und Lebensräumen. Zudem schaffen Sie
mit der Neufassung des § 21 a Abs. 5 großzügige Ausnahmen und erhebliche Interpretationsspielräume für die
Beurteilung von Schäden an Arten und Lebensräumen.
Der Natur tun Sie damit keinen Gefallen.
Aus beruflichen Tätigkeiten in § 14 Abs. 1 machen
Sie bestimmte Tätigkeiten. Dies bedeutet eine weitere
Einschränkung des Anwendungsbereiches. Im Übrigen
spricht die EU-Richtlinie ausdrücklich von beruflichen
Tätigkeiten. Wenn Sie davon reden, dass Sie Rechtseinheit und einheitliche Rechtsbegriffe auf europäischer
Ebene und auf nationaler Ebene haben wollen - Kollege
Jung, im Umweltausschuss haben Sie das gesagt -, warum weichen Sie jetzt hier davon ab? Das ist für mich
vollkommen unverständlich und nicht einsehbar.
({2})
Noch ein paar Gedanken zur Deckungsvorsorge.
Sehr viele oder fast alle von uns haben ein Auto. Wenn
man sich beim Händler ein Auto gekauft hat, sucht man
sich als nächstes eine Versicherung. Von der Versicherung holt man sich eine Doppelkarte und geht damit zur
Zulassungsstelle. Erst dann wird das Auto zugelassen.
Das heißt, jedes Auto braucht eine Haftpflichtversicherung. Die sogenannte Deckungsvorsorge ist damit vergleichbar. Im Übrigen gibt es auch für Rechtsanwälte
- Kollege Jung, Sie sind, soweit ich weiß, Rechtsanwalt Berufshaftpflichtversicherungen. Warum nehmen Sie
diese Verpflichtung heraus? Hier hätte man Vorreiter
sein und eine bessere Lösung anbieten können. Das sind
Beispiele für Regelungen im Gesetzentwurf, die wir für
kritikwürdig erachten.
Ich fasse zusammen: Das Gesetz wird zwar fristgemäß erlassen, es bleibt aber hinter seinem Anspruch zurück. Eine gerechte Schadenshaftung für Umweltschäden durch Handlungen wird damit nicht erreicht.
Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.
Der Anwendungsbereich wird marginal sein.
Zwei Sätze habe ich noch, Frau Präsidentin.
Das ist zuviel.
Das Gesetz enthält Bestimmungen, die europarechtlich problematisch sind. Deshalb können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen und werden uns
enthalten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
({0})
So weit ist es noch nicht, weil jetzt erst einmal die
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die Grünen
spricht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrter Herr Minister, ich möchte Ihnen ein besonderes Lob zollen,
({0})
weil Sie an einem Freitagnachmittag bei einem Thema
von so offensichtlich nicht überschäumender Attraktivität den Gesetzentwurf selbst vorgestellt haben. Sie bekommen noch ein Lob, weil Sie inzwischen auch der
Debatte folgen. Ich bin also voll des Lobes für den Minister.
({1})
Damit es jetzt aber nicht so aussieht, als würden wir
die Koalition nur loben, kommt jetzt gleich ein Tadel an
den Kollegen Jung hinterher.
({2})
Rot-Grün hätte immer noch eins draufgesattelt.
({3})
Das war eine der Kernaussagen in Ihrem Beitrag. Sie,
die neue Große Koalition, sind doch stolz darauf, dass
Deutschland heute innerhalb Europas beim Umweltschutz und beim Klimaschutz als Vorreiter gilt. Wie
hätte das entstehen können, wenn wir nicht immer ein
bisschen mehr gemacht hätten, als nur das, was aus Europa kommt, eins zu eins umzusetzen? Dann wären wir
kein Vorreiter. Man muss sich als Land schon entscheiden, was man möchte.
({4})
- Dabei bleibt es hoffentlich auch. Sie haben die Verantwortung.
In der Politik lernt man - vor allen Dingen in Regierungszeiten -, auch mit halbvollen Gläsern positiv und
konstruktiv umzugehen. Ich gestehe, dass ich - auch in
der Politik - ein etwas mehr als halbvolles Glas immer
ganz gern habe. Deshalb finde ich, dass wir dem Gesetzentwurf, der heute vorliegt, zustimmen können. Denn er
erfüllt das Kriterium des etwas mehr als halbvollen Glases.
({5})
Wir werden uns - anders als die Oppositionskollegen also nicht enthalten, sondern zustimmen.
({6})
Ich will aber jetzt nicht mehr darüber reden, was in
diesem Glas ist - der Minister und Kollege Jung haben
das schon deutlich dargelegt -, sondern darüber, was in
diesem Glas nicht ist: die Haftung der Landwirtschaft.
Diese Ausnahmeregelung ist weder nachvollziehbar
noch vernünftig noch dem Ziel dieses Gesetzes wirklich
zuträglich.
Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen, und zwar
hinsichtlich der Pestizide. Mir liegt hier eine Zahl vor, die
relativ ungeheuerlich ist. Für den Fall, dass Sie sie mir
nicht glauben wollen, schicke ich gleich voraus, dass sie
von der zuständigen Berichterstatterin des EU-Parlaments
stammt. Sie wissen wahrscheinlich, was ein Kilo Pestizide
kostet, wenn man es kauft. Es ist die bescheidene
Summe von 10 Euro. Wissen Sie auch, was es kostet, ein
Kilo Pestizide wieder aus dem Wasser herauszuholen?
Das ist die unbescheidene Summe von 100 000 Euro. Ich
finde, das zeigt, dass eine Landwirtschaft, die so, wie
jetzt, als dieses Gesetz vorgelegt wurde, durch ihre Lobbyarbeit darauf beharrt, mit einem übermäßigen Chemieeinsatz arbeiten zu dürfen, nicht nur einen unökologischen,
sondern auch einen unökonomischen Weg beschreitet.
Mit der Ausnahme in diesem Gesetz schreiben Sie
fest, dass genau diese immensen Kosten, die durch
unsachgemäßen Landbau von der Landwirtschaft
verursacht werden, weiterhin von der öffentlichen Hand
und nicht, wie es in dem Gesetz ansonsten vorgesehen
ist, von dem Verursacher selbst getragen werden müssen.
Das ist ein deutliches Defizit innerhalb dieses Gesetzes.
Ich bin froh, dass der Biolandbau, bei dem auf diese
Dinge verzichtet wird, vor allem in den Jahren unter der
grünen Ministerin einen deutlichen Aufschwung genommen hat. Wir haben hier noch Verbesserungsbedarf.
Nur 4,7 Prozent des Gesamtvolumens sind Ökofläche.
Österreich ist mit einer Ökofläche von 14,1 Prozent zum
Beispiel deutlich besser als wir. Hier sind wir also noch
nicht Vorreiter; hier gibt es noch einen Nachholbedarf.
Ich hoffe, dass auch aufgrund des Hinweises auf die
Zahl, was es uns kostet, diese Pestizide wieder aus dem
Wasser zu holen, vielleicht auch von der Großen Koalition ein bisschen in diese Richtung gearbeitet wird, und
wünsche Ihnen - ähnlich wie der Kollege Heilmann ein schönes Wochenende, auch wenn es für manche von
uns noch ein bisschen dauert.
Danke schön.
({7})
Jetzt hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die
SPD das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Freitagnachmittag ein solches Thema zu behandeln,
ist nicht ganz einfach, aber ich bin mir sicher, dass dieses
Gesetz, das wir heute beschließen werden, in Zukunft in
der Praxis eine noch viel größere Aufmerksamkeit erfahren
wird.
In der Tat betreten wir hier heute nämlich Neuland,
und es ist gutes Neuland. Frau Kotting-Uhl, ich gehöre
der Fraktion an, die mit Ihnen die Grundlagen geschaffen
hat und jedenfalls in diesen Bereichen mit der CDU/
CSU jetzt noch ordentlich eins drauflegt. Insofern sind
wir stolz, dass wir das heute beschließen können.
({0})
Wir sind einer der ersten EU-Staaten, die die EUVorgaben in nationales Recht umsetzen. Dieses Gesetz
ist aus meiner Sicht eine logische Konsequenz der
Gesetze, die wir hier vor einigen Monaten beschlossen
haben, nämlich des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes,
das dazu dient, mehr Transparenz und mehr Öffentlichkeit
in Umweltrechtsbelangen zu erreichen, und des Umweltrechtsbehelfsgesetzes, das dazu dient, einen weiten
Zugang zu den Gerichten und zur Überprüfung zu ermöglichen.
({1})
- Herr Kollege Heilmann, Sie wissen, dass wir uns hier
für eine größere und erweiterte Klagemöglichkeit ausgesprochen haben. Wir werden sehen, was wir da erreichen
können.
Mit diesem Gesetz betreten wir heute in der Tat juristisches Neuland. Bislang war es nicht möglich, Schädigungen der Umwelt, die nicht Privateigentum betrafen,
tatsächlich geltend zu machen. Dies ist eine Neuerung.
Der Bundesminister hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass dieses Gesetz in den Kontext der allgemeinen
Diskussion passt, in der es darum geht, wie wir Güter
der Allgemeinheit eigentlich schützen. In diesem Gesetz
ist ferner vorgesehen, nicht erst bei der Schädigung,
sondern weit früher anzusetzen, nämlich bei der Information und auch bei dem Vorsorgeansatz. Auch dies ist
ein wichtiger Aspekt.
({2})
Mit diesem Gesetz bleiben wir nicht im Unbestimmten;
denn es wird erst einmal nicht ins Zivilrecht verwiesen.
Es muss also keine dritte Person vorhanden sein, die einen Schaden an ihrer Gesundheit oder an ihrem Eigentum
geltend macht. Nein, wir befinden uns hier nicht im
Zivilrecht, sondern im Ordnungsrecht. Erstmals werden
Behörden in die Lage versetzt, sowohl auf Vorsorgemaßnahmen als auch auf Informations- oder Sanierungspflichten hinzuwirken und diese gegebenenfalls auch
durchzusetzen.
({3})
Ein Aspekt, der aus meiner Sicht in den nächsten Monaten und Jahren durchaus noch erhebliche Beachtung
finden wird, ist die Stellung der Verbände, die sich in
ihren Satzungen dem Schutz der Umwelt verpflichtet
haben. Es ist im deutschen Recht bislang nicht üblich
gewesen, dass Verbände die Funktion von Anwälten
wahrnehmen und den Schutz der Güter der Allgemeinheit
tatsächlich, im Zweifel auch gerichtlich, durchsetzen.
Das ist schon ein erheblicher Schritt hin zu mehr
Umweltschutz, weil zu mehr Durchsetzbarkeit von
Umweltschutz. Das ist uns ganz wichtig. Wir sind sicher,
dass die Verbände diese Aufgabe, die ihnen nun übertragen
wird, auch verantwortungsvoll wahrnehmen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend sagen, dass mit diesem Gesetz die Diskussion
über das Umweltrecht nicht zu Ende sein darf und nicht
zu Ende sein kann. Wir als Große Koalition haben uns
mit der Schaffung eines Umweltgesetzbuches eine große
Aufgabe gestellt. Auch in den Beratungen zu diesem Gesetz haben wir gesehen, wie wichtig es ist, europäisches
Recht mit dem deutschen Recht in Übereinstimmung zu
bringen und deutsches Umweltrecht in einem Gesetzbuch zusammenzufassen. Die entsprechenden Debatten
sind in vollem Gange. Das Ministerium ist dabei, dieses
UGB, also das Umweltgesetzbuch, zu konzipieren. Die
Politik ist in den nächsten Monaten aufgerufen, ordentlich daran mitzuarbeiten. Wir werden das tun.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und
des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und
Sanierung von Umweltschäden, Drucksache 16/3806.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4587, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung
der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmergebnis wie vorher angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über Einmalzahlungen für die Jahre 2005,
2006 und 2007 ({0})
- Drucksache 16/4379 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 16/4572 Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Siegmund Ehrmann
Dr. Max Stadler
Silke Stokar von Neuforn
Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/4582 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Bettina Hagedorn
Roland Claus
Anja Hajduk
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP
vor.
Es war verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren,
doch die Kolleginnen und Kollegen Siegmund Ehrmann,
Dr. Max Stadler, Petra Pau und Silke Stokar von Neuforn
und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph
Bergner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf
Drucksache 16/4379. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4572,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/4624 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Änderungsantrag
bei Zustimmung der Fraktionen von FDP, Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung durch die Koali-
tionsfraktionen abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf
in dritter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses
angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 4. Juli
2006 zur Verlängerung des Abkommens vom
9. April 1995 zwischen der Bundesrepublik
1) Anlage 16
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Deutschland und den Vereinigten Arabischen
Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen
- Drucksache 16/4378 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksache 16/4579 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding ({4})
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren.
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kolleginnen
und Kollegen Dr. Barbara Hendricks, Carl-Ludwig
Thiele, Axel Troost und Lothar Binding.1)
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir debattieren heute auf Antrag der Fraktion des Bünd-
nisses 90/Die Grünen den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zur Verlängerung des Doppelbesteuerungs-
abkommens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten
vom 9. April 1995. Dazu von mir keinen neunminütigen
Beitrag, aber drei Minuten zum Standpunkt der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion.
Die Verlängerung dieses Abkommens ist notwendig,
da das Doppelbesteuerungsabkommen von 1995 ausge-
laufen wäre und bis zum Zeitpunkt des Auslaufens keine
Einigung über ein neues Abkommen erzielt werden
konnte. Um es hier nicht zu einem vertragslosen Zustand
kommen zu lassen, wurde das bisherige Abkommen um
zwei Jahre verlängert.
Wir als Unionsfraktion begrüßen diese Verlängerung;
denn wir brauchen ein Doppelbesteuerungsabkommen
mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Lassen Sie
mich dazu kurz drei Gesichtspunkte nennen:
Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Handels-
und auch politischer Partner von außerordentlicher
Bedeutung in dieser krisengeschüttelten Region. Wir haben
dort 2004 eine strategische Partnerschaft begründet. Die
Handels- und Wirtschaftsbeziehungen haben sich, auch
auf der Grundlage des Doppelbesteuerungsabkommens
von 1995, auf hohem Niveau entwickelt. Rund 500 deut-
sche Unternehmen sind dort tätig. Sie bedienen weite
Teile des arabischen und asiatischen Marktes. Der Export
in die Vereinigten Arabischen Emirate ist allein im Jahr
2005 um 22 Prozent auf über 4 Milliarden Euro ange-
stiegen. Beim Import liegen wir dort an vierter Stelle.
Beachtlich ist auch das Investitionskapital an den Verei-
nigten Arabischen Emiraten.
1) Anlage 17
Unsere politischen Beziehungen sind ein Spiegelbild
dieser wirtschaftlichen Entwicklung. Wir haben, wie
gesagt, eine strategische Partnerschaft begründet. Angela
Merkel hat ihre erste Reise im Rahmen der EU-Präsidentschaft in die Vereinigten Arabischen Emirate unternommen.
Der zweite Grund, warum wir ein Doppelbesteuerungsabkommen wollen, ist, dass die Vereinigten Arabischen
Emirate keine Steueroase - mit solchen Ländern schließen
wir sonst keine Doppelbesteuerungsabkommen ab - im
eigentlichen Sinn sind. Solches zu behaupten, ist eine
klassische Halbwahrheit: Die Vereinigten Arabischen
Emirate haben sicherlich die eine oder andere Oase; aber
eine Steueroase sind sie deshalb noch nicht. Von den
vier OECD-Kriterien für Steueroasen - nämlich erstens
keine oder geringfügige Steuererhebung, zweitens Gesetzes- und Verwaltungspraxis, welche einen effektiven
Informationsaustausch der Behörden verhindert und damit Steuerflucht begünstigt, drittens Privilegierung nicht
ansässiger Personen, viertens Fehlen substanzieller wirtschaftlicher Aktivitäten, also Briefkasten- und Buchhaltungszentren - trifft höchstens das Kriterium Nummer
eins zu. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind in der
Tat in der glücklichen Lage, nur die Ölförderung besteuern
zu müssen. Wir wären froh, wenn das bei uns der Fall
wäre; aber wir können uns das nicht leisten. Ansonsten
liegen aber keine Kriterien für eine Steueroase vor. Wir
sollten deshalb im Interesse unserer wirtschaftlichen und
politischen Beziehungen ein Doppelbesteuerungsabkommen anstreben und keine unselige und auch falsche
Oasendiskussion führen.
Der dritte Grund ist, dass wir Teil der Europäischen
Union sind und dass fast alle unsere europäischen Partner
Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten
Arabischen Emiraten haben - Großbritannien, Frankreich, zuletzt Spanien, seit 2006, Luxemburg seit 2005
und Österreich seit 2004 -, die sich auch alle an das
OECD-Muster anlehnen. Ein deutscher Alleingang wäre
hier weder politisch noch wirtschaftlich zu verantworten.
In diesem Sinne bejaht die CDU/CSU-Fraktion die
heute zur Beschlussfassung anstehende Verlängerung
des Doppelbesteuerungsabkommens um zwei Jahre und
bittet das Bundesfinanzministerium - ich weiß jetzt
nicht, wen ich da ansprechen soll; ich bitte also die Bundesregierung -, im Rahmen der anstehenden Verhandlungen
ein Doppelbesteuerungsabkommen auszuhandeln, das
fair und von gegenseitigem Respekt getragen ist.
Danke schön.
({0})
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard
Schick, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Doppelbesteuerungsabkommen sind ja eigentlich Abkommen
zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. DoppelbesteuDr. Gerhard Schick
erung liegt aber nur vor, wenn sowohl das eine als auch
das andere Land Steuern erhebt. Da in den Vereinigten
Arabischen Emiraten auf fast alle ökonomischen Sachverhalte ein Einkommensteuersatz von Null gilt, kann es
per Definition gar keine Doppelbesteuerung geben.
Bei der Diskussion geht es also um den anderen Teil,
der durch Doppelbesteuerungsabkommen geregelt wird,
nämlich um die Vermeidung von so genannten weißen
Einkünften. Damit wird die Tatsache bezeichnet, dass
einige deswegen keine Steuern zahlen, weil sie grenzüberschreitend wirtschaftlich tätig sind. Auf diesen Aspekt, Herr Kolbe, sind Sie überhaupt nicht eingegangen,
obwohl er in den Verhandlungen immer einen sehr großen Raum einnimmt.
Man muss schon feststellen - deshalb wollen wir darüber debattieren und haben diesen Punkt nicht ohne Debatte einfach durchgewunken -, dass das Abkommen
mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Sonderstellung unter den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen einnimmt; denn es generiert in einzigartiger
Weise die Nullbesteuerung, also weiße Einkünfte.
Obwohl man nun einen Vergleich mit anderen EUStaaten anstellen kann, möchte ich eine andere Frage
stellen, nämlich die, wie Sie einem deutschen mittelständischen Unternehmen erklären wollen, dass es auf
seine Gewinne in Deutschland insgesamt 47,5 Prozent
Einkommensteuer zahlen muss, dass man aber gleichzeitig in Dubai 0 Prozent Steuern zahlt, wenn man einen
Anteil an einem Immobilienfonds besitzt. Diese Frage
ist nicht populistisch, sondern sie stellt sich im Fall einer
Unternehmensnachfolge ganz konkret.
Es wäre interessant, einmal die konkrete Position des
Wirtschaftsministeriums zu erfahren, das sich dafür eingesetzt hat, dass wir diesen Zustand um weitere zwei
Jahre verlängern. Wir sind dagegen, weil wir der Meinung sind, dass es keine faire Verteilung der Lasten ist.
Es entspricht nicht der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Was noch schlimmer ist: Es ermöglicht - Doppelbesteuerungsabkommen wirken ja immer in einem
Netz zusammen -, dass auch Erträge aus anderen
Staaten über die Vereinigten Arabischen Emirate steuerfrei nach Deutschland gebracht werden. Ich kann für
meine Fraktion nur sagen: Das ist keine sinnvolle Steuerpolitik.
({0})
Man braucht gar nicht den Begriff von einer strategischen Partnerschaft heranzuziehen. Man kann auch mit
strategischen Partnern sinnvolle Abkommen schließen.
In den Ausschussberatungen ist deutlich geworden,
dass es jetzt darum geht, mit welcher Position Deutschland in die Verhandlungen geht. Sie von der CDU/CSUFraktion und, wie ich höre, auch das Wirtschaftsministerium vertreten die Position, dass es durchaus so weitergehen soll. Wir als Grüne sind der Meinung, dass es
nicht so weitergehen kann. Wir müssen vielmehr ein
Mindestniveau bei der Besteuerung erreichen. Deswegen wird unser Abstimmungsverhalten im Parlament
nicht nur von der Frage bestimmt, ob wir das konkrete
Protokoll verabschieden wollen, sondern auch von der
Frage, mit welcher Position wir in die Verhandlungen zu
diesem Abkommen hineingehen.
Ich finde einen Punkt ziemlich enttäuschend. Die
Linksfraktion will diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Sie halten hier immer großen Reden über Steuergerechtigkeit und über die sich zunehmend öffnende Schere
von Arm und Reich. Sie fordern, dass es eine faire Lastenverteilung in diesem Land gibt. Wenn es aber einmal
konkret darum geht, ein Steuerschlupfloch zu schließen
und hierfür ein klares Signal zu geben, dann: Fehlanzeige.
({1})
Ich finde das sehr enttäuschend und möchte Sie auffordern, dass Sie in Zukunft Ihren großen Ansprüchen auch
einmal ein wenig Substanz folgen lassen.
({2})
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
dem Protokoll zur Verlängerung des Abkommens mit
den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der
wirtschaftlichen Beziehungen auf Drucksache 16/4378.
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/4579,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion
Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDPFraktion angenommen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 10 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Beschäftigungspolitische Verantwortung der
Bundesregierung im Zusammenhang mit dem
Personalabbau bei deutschen Großunternehmen
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das
Wort dem Kollegen Werner Dreibus, Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich weiß, es ist spät. Ich weiß auch, dass wir Ihnen
mit dieser Aktuellen Stunde keine große Freude bereiten. Aber hier kommt es auf die Sache an.
({0})
Beim Beispiel der Telekom geht es um die Arbeitsplätze, das Einkommen, die Arbeitszeit und die Arbeitsverträge von immerhin 50 000 direkt betroffenen Menschen. Das betrifft natürlich auch die Familien dieser
50 000 Menschen. Damit geht es um sehr viel. Es geht
bei diesem Konflikt der Telekom - das ist eher eine
kleine Arabeske - unter anderem um eine Arbeitszeitverlängerung für weniger Geld. Wenn wir heute Nachmittag eine Stunde Arbeitszeitverlängerung haben, dann
ist das sozusagen eine Parallele, aber wenn überhaupt,
dann höchstens einmalig und nur betreffend die Zeit und
nicht das Geld.
({1})
Nun zur Sache selbst. Der Anlass für unsere Aktuelle
Stunde ist die in der vergangenen Woche getroffene Entscheidung des Aufsichtsrates der Telekom. Wir sind der
Auffassung, dass in der darauffolgenden Sitzungswoche
des Bundestages darüber unter dem Gesichtspunkt der
beschäftigungspolitischen Verantwortung der Bundesregierung zu diskutieren ist. Der Aufsichtsrat hat entschieden, 45 000 bis 50 000 Mitarbeiter in einen sogenannten
T-Service auszugliedern. Das ist eine interne Ausgliederungsstrategie, der - so der Aufsichtsrat - als Teil der
Ausgliederung dann eine externe Auslagerung folgen
soll.
Der Vorgang selbst erinnert, zumindest was das strategische Vorgehen betrifft, diejenigen, die sich in dieser
Sache ein wenig auskennen, an das, was vor einigen Jahren bei Siemens passiert ist und was dann zu BenQ geführt hat. Was wir dann bei BenQ erlebt haben, werden
wir hoffentlich nicht auch bei der Telekom erleben.
Wie sieht es nun mit der beschäftigungspolitischen
Verantwortung der Bundesregierung aus? Wir wissen,
noch ist der Bund direkt und indirekt über die KfW an
der Telekom mit zusammen 32 Prozent der Aktien beteiligt. Wir wissen auch, dass als Vertreterin der KfW Frau
Matthäus-Maier und als Vertreter der Bundesregierung
Herr Staatssekretär Mirow im Aufsichtsrat der Telekom
Sitz und Stimme haben. Seit vergangenen Donnerstag
wissen wir aus öffentlichen Erklärungen der Vertreter
der Beschäftigten im Aufsichtsrat, dass alle Vertreter der
Beschäftigten im Aufsichtsrat - er ist, wie wir wissen,
paritätisch zusammengesetzt - gegen die Vorlage des
Unternehmensvorstandes gestimmt haben. Die erste
Frage, die wir heute stellen - wir hoffen sehr, dass wir
darauf eine vernünftige Antwort bekommen -, ist, wie
sich die Bundesregierung unter Vorhalt dieser Beteiligungsstruktur in dieser konkreten Situation zu den beschäftigungspolitischen Maßnahmen des Vorstandes der
Telekom verhält.
Ich will ein paar wenige Sätze dazu sagen, was das für
die Betroffenen heißt. Die Arbeitszeit der Betroffenen
wurde 2004 auf 34 Stunden gesenkt. Bezahlt werden
derzeit 35,5 Stunden. Es gab einen sogenannten
Teillohnausgleich. Brutto hat jeder Beschäftigte 6,7 Prozent weniger als vor dieser Maßnahme. Der erste Schritt,
an der Arbeitszeitschraube auf Kosten der Beschäftigten
zu drehen, ist schon erfolgt.
Jetzt soll für die Betroffenen ein zweiter Schritt folgen. Deren Arbeitszeit soll wieder auf 38 Stunden heraufgesetzt werden - und dies ohne Lohnausgleich -, um
die Lohnkosten erneut zu senken. Beide Maßnahmen zusammen bedeuten, dass, je nachdem, wie man das rechnet, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telekom
um die 13 Prozent ihres Lohnes für die Fehlplanungen
und Fehlmaßnahmen bezahlen sollen, die das Management gemacht hat.
Das halten wir für völlig unvorstellbar. Wir halten es
für völlig falsch, dass die Bundesregierung als Anteilseigner diesem Konzept offensichtlich zustimmt und im
Aufsichtsrat nicht die Möglichkeit genutzt hat, wenigstens die Alternativvorschläge, die vonseiten der Arbeitnehmervertreter, der Betriebsräte und der zuständigen
Gewerkschaft Verdi vorgetragen worden sind, zum Anlass zu nehmen, die Entscheidung vom vergangenen
Donnerstag nicht zu fällen, sondern sich konstruktiv mit
diesen Alternativvorschlägen zu beschäftigen und die
Beschäftigten nicht dem Druck von Maßnahmen auszusetzen, die bei diesen - deshalb habe ich am Anfang
meiner Rede das Beispiel Siemens/BenQ erwähnt - nur
Angst auslösen können. Die Telekom ist sicher kein krisengeschütteltes Unternehmen. Aber auch ein Unternehmen, das in Schwierigkeiten ist, ist schlecht beraten,
wenn die Beschäftigten Angst haben.
Vielen Dank.
({2})
Es spricht jetzt der Kollege Alexander Dobrindt für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dass es in dieser Aktuellen Stunde nicht um
ein einzelnes Unternehmen geht. Wir müssen uns grundsätzlich die Frage stellen, wie sich die Großkonzerne in
der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf das Generieren von Arbeitsplätzen verhalten. Gleichzeitig müssen
wir uns die Frage stellen, wie sich der Mittelstand in Bezug auf das Generieren von Arbeitsplätzen verhält.
Sie von der Linken haben das aktuelle Beispiel Deutsche Telekom aufgenommen. Ich kann Ihnen sagen: Wir
haben in dieser Woche bereits Gespräche mit der Deutschen Telekom geführt, auch hier. Ich weiß nicht, ob Ihre
Fraktion dazu bereit ist, aber wir sind selbstverständlich
bereit, den Prozess, den dieses Unternehmen im gegebenen Rahmen zu durchlaufen hat, zu begleiten.
Wir haben der Telekom auch bei den Gesprächen hier
im Deutschen Bundestag ins Stammbuch geschrieben,
dass uns drei Sachen besonders wichtig sind: Wir haben
natürlich die Forderung an dieses Unternehmen, dass
Standortsicherung betrieben wird. Wir wollen nicht, dass
die Deutsche Telekom sich aus der Fläche zurückzieht,
sich auf Ballungsräume beschränkt. Wir wollen, dass
dieses Unternehmen auch in den ländlichen Räumen vertreten bleibt. Deswegen ist eine Frage wie die, wie die
Callcenterstruktur in Zukunft ausschaut, für uns besonders wichtig.
Wir haben weiter gesagt: Die Beschäftigungssicherung hat für uns absoluten Vorrang. Auch unter diesem
Gesichtspunkt muss man solche Unternehmensentscheidungen betrachten. Die Telekom ist ein Unternehmen,
das heute, anders als noch zu Monopolzeiten, im Wettbewerb steht. Die Telekom hat erkannt - da werden alle zustimmen können -, dass das, was sie an Produkten anbietet, oftmals zu teuer ist, nicht mehr wettbewerbsfähig ist.
Deswegen versucht sich die Telekom so aufzustellen
- auch in der Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern -, dass sie zukünftig wieder wettbewerbsfähig ist.
Genau dadurch werden die Arbeitsplätze im Unternehmen gesichert. Auch das haben wir von der Deutschen
Telekom gefordert. Einen solchen Prozess kann man
aber nur zusammen mit den Menschen im Unternehmen
gehen. Eine Qualitätsoffensive kann man nur starten,
den Service des Unternehmens kann man nur dann deutlich ausbauen, wenn man die Mitarbeiter, die diesen Service bringen sollen, bei der Stange hält, sie motiviert.
Auch das haben wir von der Deutschen Telekom verlangt. Die Mitarbeiter müssen diesen Prozess mitmachen. Ansonsten ist eine Qualitätsoffensive nicht möglich.
({0})
Jetzt will ich zum Mittelstand, den ich eingangs angesprochen habe, zurückkommen. Denn so einfach machen
wir es Ihnen nicht, dass wir hier nur kritisierten, die
positiven Meldungen aus der Wirtschaft aber nicht ansprächen. Der Mittelstand hat im letzten Jahr Tag für Tag
1 250 neue Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen.
Deswegen ist der Mittelstand das Netz und der doppelte
Boden für Arbeitsplätze in Deutschland. Es ist wichtig,
dass wir das in dieser Debatte ganz deutlich machen:
Jobmotor in Deutschland ist und bleibt der deutsche Mittelstand. Deswegen müssen wir ihn ins Zentrum unseres
Interesses stellen, wir müssen ihn deutlich stärken und
daran arbeiten, dass es dem Mittelstand in Deutschland
weiterhin gut geht.
({1})
Der Mittelstand bleibt in Deutschland. Die globalisierten
Unternehmen haben in anderen Ländern neue Märkte
entdeckt. Sie versuchen - das ist nicht zu kritisieren -,
ihre Produkte dort zu produzieren, wo sie sie verkaufen.
Sie stehen heute in einem globalen Wettbewerb, in dem
der Preis eine große Rolle spielt und in dem für die
Preiskalkulationen auch von Bedeutung ist, dass man
sich, was die Arbeitsplätze angeht, weltweit breit aufstellt.
({2})
Der Mittelstand kann das nicht tun. Deswegen müssen wir die Verantwortung übernehmen, den Mittelstand
zu stärken. Das hat die Bundesregierung getan. Das
CO2-Sanierungsprogramm ist ein Riesenerfolg. In der
letzten Woche wurde im Deutschen Bundestag das
zweite Mittelstandsentlastungsgesetz beschlossen. Die
Reform der Unternehmensnachfolge steht an. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Reform mittelstandsgerecht ausgestaltet wird. Ein Mittelständler muss die in
seinem Unternehmen bestehenden Arbeitsplätze im Fall
der Unternehmensnachfolge zukünftig erhalten können,
ohne dass zusätzliche Kosten anfallen. Ich glaube, das ist
die richtige Antwort auf den Stellenabbau in der Großindustrie. Das Jobwunder Mittelstand muss von uns forciert und gestärkt werden. So müssen wir in die Zukunft
gehen.
Danke schön.
({3})
Der Kollege Haustein ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sprechen heute über die beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großunternehmen. Erst einmal muss man feststellen, dass kein
Unternehmer seine Arbeitskräfte gerne entlässt. Er ist
froh, wenn er genug Aufträge hat, Gewinn macht und
über die Runden kommt.
({0})
Ein Unternehmer möchte, dass seine Angestellten ihren
Arbeitsplatz behalten und ihren Lohn bekommen und
dass es mit dem Unternehmen vorwärts geht. Das ist
doch der Sinn eines Unternehmens.
Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, wie stark
die Unternehmen belastet werden.
({1})
- Ja. Seit diesem Jahr auch durch die Bundesregierung.
Aber das ist ja bekannt.
({2})
Die Belastungen durch die Bürokratie gehen ins Unermessliche.
({3})
Es wird zwar von Bürokratieabbau gesprochen.
({4})
Aber durch das Vorziehen des Termins für die Zahlung
der Sozialbeiträge wird mehr Bürokratie aufgebaut. Außerdem wird dadurch die Liquidität der Unternehmen
belastet.
({5})
- Nein, das tut man nicht.
Abgesehen von der Bürokratie, deren Umfang viel zu
groß ist
({6})
- nein -, ist auch die Steuer- und Abgabenlast in
Deutschland viel zu hoch; auch das muss man klar und
deutlich sagen. Wir brauchen eine Flexibilisierung auf
dem Arbeitsmarkt und mehr Freiheiten für Unternehmen. Dann kann es aufwärtsgehen.
({7})
Was soll denn die Telekom als Global Player machen?
Sollte sie warten, bis sie pleite ist, oder sollte sie jetzt auf
die neuen Anforderungen in der Welt und im Lande reagieren? Die Telekom muss etwas unternehmen. Sie darf
nicht einfach abwarten, bis es nicht mehr weitergeht.
Das, was die Manager der Telekom jetzt tun müssen, tun
sie sicherlich nicht gerne. Aber sie müssen es tun, damit
das Unternehmen überlebt.
({8})
Zu diesem Zweck muss rationalisiert werden. Ansonsten
geht es nicht voran.
Wir müssen eine Flexibilisierung beim Kündigungsschutz und beim Tarifrecht durchführen,
({9})
ohne allerdings die Rechte der Arbeitnehmer zu beschneiden.
({10})
Die Arbeitnehmer sind das Kapital eines Unternehmens.
Niemand will ihre Rechte einschränken. Aber ein Unternehmen kann nur dann überleben, wenn es kostendeckend und rational arbeitet.
({11})
Nun komme ich zu den kleinen und mittelständischen
Betrieben. In diesen Unternehmen werden in Deutschland Arbeitsplätze geschaffen. Aber die Inhaber dieser
Unternehmen haben häufig das Haus, den Hof und die
eigene Großmutter bei der Bank verpfändet.
({12})
In diesen Betrieben ist der Urlaubsanspruch geringer,
und es muss 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden.
Diese Betriebe sind dafür verantwortlich, dass es in unserem Land aufwärtsgeht. Das wird immer wieder verkannt.
({13})
Die hohen Kosten führen einerseits zu Entlassungen
und andererseits dazu, dass viele Unternehmen davor zurückschrecken, Leute einzustellen. Stattdessen wird auf
Subunternehmer oder Leiharbeitnehmer ausgewichen.
({14})
Ich kann Ihnen versichern: Wenn wir nicht endlich die
Reformen durchführen, die wir in diesem Land brauchen
- ich meine richtige Reformen und nicht solche Reförmchen, die ständig gemacht werden -,
({15})
dann wird der gegenwärtige Aufschwung nicht lange
Bestand haben. Aber trotz des Aufschwungs - der ein
Weltmarktaufschwung ist und nicht Erfolg der Bundesregierung - nimmt die Bundesregierung die notwendigen Reformen nicht in Angriff.
({16})
Das ist das Problem, das wir haben. Wir müssen uns entscheiden: Reformen und Aufschwung oder so weiterwursteln.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({17})
Auf unserer touristischen Tour durch Deutschland erhält nun das Wort der Kollege Martin Dörmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
- Das wird er sicherlich freiwillig vortragen.
Glück auf, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Obwohl die Arbeitslosenzahl im Vergleich
zum Vorjahr um mehr als 800 000 zurückgegangen ist,
werden wir immer wieder von Meldungen aufgeschreckt, nach denen gerade deutsche Großunternehmen
in erheblichem Umfang Personal abbauen. Aktuelle Beispiele sind Allianz, Schering, die Deutsche Bank oder
Airbus. Die Hintergründe sind jeweils sehr unterschiedlich. Gemeinsam haben sie, dass die Ursachen für den
Abbau von Arbeitsplätzen im Unternehmen selbst bzw.
im Marktumfeld liegen. Sie sind also weder von den Beschäftigten noch von der Politik zu verantworten. Bei einigen Unternehmen spielen gravierende Managementfehler eine entscheidende Rolle. In einigen Fällen wird
Personal abgebaut, obwohl die Ertragslage des Unternehmens sehr gut ist.
Die SPD fordert deshalb gerade die Großunternehmen auf, ihrer Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer gerecht zu werden.
({0})
Oft wird - aus unserer Sicht: zu früh und zu einseitig vor allem im Personalabbau das Allheilmittel für größere
Produktivität gesehen. Stattdessen sollten mehr und
rechtzeitig gezielte Innovationen, intelligente Produktentwicklungen, stetige Weiterbildung der Beschäftigten
und andere Maßnahmen der Beschäftigungssicherung
durchgeführt werden. Insofern brauchen wir einen deutlichen Mentalitätswechsel zumindest in einem Teil der
Wirtschaft; denn nicht der Abbau, sondern der Erhalt
von Arbeitsplätzen sollte oberste Priorität haben.
({1})
In der aktuellen Debatte in den letzten Tagen spielt der
geplante Personalumbau bei der Deutschen Telekom AG
eine besondere Rolle. Deshalb möchte ich hierauf etwas
näher eingehen. Erinnern wir uns: Die Privatisierung der
Telekom und die Öffnung des Telekommunikationsmarktes haben zu einem scharfen Wettbewerb und zu deutlich
günstigeren Preisen für die Verbraucherinnen und Verbraucher geführt. Es geht um Absenkungen von bis zu
96 Prozent. Heute zahlen wir beispielsweise für ein Inlandsgespräch nicht mehr 30 Cent wie 1997, sondern gerade einmal 1 Cent. Parallel dazu sank die Zahl der Beschäftigten bei der Telekom innerhalb Deutschlands von
255 000 im Jahr 1990 auf 166 000 im Jahr 2006, während
bei den Wettbewerbern etwa in gleichem Umfang Beschäftigung aufgebaut wurde. Der Personalabbau bei der
Telekom erfolgte stets - das ist ganz besonders wichtig sozialverträglich, das heißt ohne betriebsbedingte Kündigungen, durch natürliche Fluktuation oder durch freiwillige Instrumente. Ich denke, dies ist ein positives Beispiel
dafür, dass man auch einen schwierigen Strukturwandel
sozial gestalten kann.
Der Bund ist noch zu knapp 32 Prozent Anteilseigner;
das wurde gerade erwähnt. Auch wenn der Bund schon
aus aktienrechtlichen Gründen nicht direkt in unternehmerische Entscheidungen eingreifen kann, hat seine Beteiligung doch indirekt dazu beigetragen, dass der Stellenabbau - im Gegensatz zu manch anderen
Unternehmen - sozialverträglich erfolgte. Auch unter
diesem Gesichtspunkt sollte der Bund nach Ansicht der
SPD-Fraktion auf absehbare Zeit mindestens 25,1 Prozent der Aktienanteile an der Telekom behalten, um eine
Sperrminorität sicherzustellen.
({2})
Von dem geschilderten Personalabbau zu unterscheiden sind die aktuellen Umbaupläne bei der Telekom. Sie
zielen auf eine bessere Servicequalität, Beschäftigungssicherung und Kostensenkungen ab. Ein zentraler Punkt
dieses Konzepts ist die Gründung von drei neuen Gesellschaften unter der Bezeichnung T-Service. Geplant ist
insbesondere die Überführung von bis zu 50 000 Beschäftigten zu T-Service, die allerdings weiterhin - das
ist wichtig - unter dem Dach des Konzerns bleiben sollen. Es geht also nicht um einen weiteren Personalabbau,
sondern um einen Umbau innerhalb des Konzerns. Die
Unternehmensleitung erhofft sich hierdurch eine bessere
Wettbewerbsfähigkeit angesichts von 2 Millionen Kunden, die die Telekom alleine 2006 im Festnetzbereich
verloren hat.
Es ist allerdings mehr als verständlich, dass die Beschäftigten die bei T-Service geplanten Einsparungen bei
den Personalkosten durch längere Arbeitszeiten und eine
Absenkung des Entgeltes kritisch sehen. Es ist nun Sache der Tarifvertragsparteien, die konkreten Arbeitskonditionen bei T-Service zu vereinbaren.
In politischer Hinsicht ist aber zu wünschen, dass bei
den anstehenden Tarifverhandlungen gemeinsame Lösungen gefunden werden, die sowohl den Interessen der
Beschäftigten als auch der Wettbewerbssituation der
Deutschen Telekom gerecht werden müssen. Meiner Ansicht nach darf es aber nicht zu radikalen Einschnitten
bei den Beschäftigten kommen. Denn es kann nicht das
Ziel sein, einen Lohnwettkampf nach unten zu führen.
Außerdem braucht die Telekom auch weiterhin motivierte Beschäftigte.
Es ist aber angesichts der schwierigen Marktsituation,
in der sich die Telekom befindet, unrealistisch, davon
auszugehen, dass keinerlei Veränderungen notwendig
sind. Man wird abwarten müssen, was die anstehenden
Tarifverhandlungen ergeben. Ich hoffe auf gemeinsam
getragene Lösungen.
Immerhin gibt es ein positives Signal bei den Auszubildenden. Die Deutsche Telekom und Verdi haben sich
darauf verständigt, dass auch 2007 wieder 4 000 junge
Menschen neu eingestellt und mindestens 1 000 Nachwuchskräfte vor allem in den Serviceeinheiten übernommen werden. Damit ist die Telekom nach wie vor das
Unternehmen mit den meisten Auszubildenden in
Deutschland.
Ich denke, diese Einigung gibt Hoffnung. Sie sollte
auch Vorbild für andere sein.
Vielen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Kai Wegner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man regelmäßig die Ausführungen der Linkspartei.PDS in diesem Haus verfolgt, dann könnte man den Eindruck gewinnen, die deutsche Wirtschaft bestehe nur aus
seelenlosen Großunternehmern, die feuern und heuern
wie zu Zeiten des Manchesterkapitalismus.
({0})
- Es freut mich, dass Sie das bestätigen. - Diese ständigen Behauptungen Ihrerseits sind aber nicht nur unwahr
und populistisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linkspartei.PDS, sondern obendrein auch unverantwortlich.
({1})
Die anhaltend gute Konjunktur - das ärgert Sie offensichtlich - hat den Arbeitsmarkt in Deutschland längst
erreicht und bestätigt den von der Bundesregierung eingeschlagenen Kurs. Binnen Jahresfrist erhöhte sich die
Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um fast eine
halbe Million. Die Tendenz ist steigend.
Der überaus positive Saldo der Arbeitsmarktzahlen
soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch
Stellenabbau gegeben hat. Die medienwirksamsten Fälle
wurden bereits angesprochen; sie sind allgemein bekannt. In der Regel handelt es sich hierbei in der Tat um
Managementfehler, die man wahrlich nicht der Bundesregierung zuschreiben kann.
In meinem Wahlkreis Berlin-Spandau befinden sich
zahlreiche Industrieunternehmen. Auch dort gab es in
den letzten Jahren Werksschließungen und Stellenabbau.
In meinen Gesprächen mit den Betroffenen konnte ich
die Verzweiflung spüren.
Entlassungen sollten für ein Unternehmen niemals
eine leichte Entscheidung sein. Besonders bei größeren
Unternehmen muss sich das Management auch und gerade seiner sozialen Verantwortung bewusst sein und bedenken, was es für einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin und deren Familien bedeutet, wenn er oder sie
entlassen wird.
Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, wenn
große Konzerne medienwirksam Rekordgewinne verkünden und im nächsten Augenblick einen drastischen
Stellenabbau ankündigen.
({2})
- Ich hoffe, Sie bestätigen gleich meinen nächsten
Punkt. - Unverständlich ist für mich aber auch die Wirtschaftspolitik der Linkspartei.PDS. Sie ist nicht nur unverständlich, sondern auch erfolglos, wie die Zahlen in
Berlin zeigen, wo Sie den Wirtschaftssenator stellen.
({3})
Statt sich um Investoren in dieser Stadt zu kümmern
- ich denke dabei zum Beispiel an den Flughafen Tempelhof -, ruft Ihr Senator indirekt zum Boykott von Produkten von Bayer Schering Pharma auf.
({4})
Diese Reaktion auf den angekündigten Stellenabbau ist
wohl kaum dazu geeignet, irgendeinen Arbeitsplatz bei
Bayer Schering Pharma zu retten. Vielmehr macht dieses
Beispiel Ihr gestörtes Verhältnis zur Wirtschaft deutlich.
({5})
Anstatt um Investoren zu werben, werden diese in der
Bundeshauptstadt beschimpft und vergrault. Berlin verliert nach und nach seine industrielle Grundlage, und den
PDS-Wirtschaftssenator Wolf kümmert das nicht einmal.
({6})
Bevor Sie andere verantwortlich machen, sollten Sie
ganz genau dahin schauen, wo Sie regieren und wo Sie
Verantwortung tragen. Ich schlage Ihnen vor: Korrigieren Sie Ihre verfehlte Wirtschaftspolitik. Die können Sie
korrigieren; denn dafür tragen Sie Verantwortung.
({7})
- Das zeigen Ihre Zwischenrufe nur zu deutlich. Ich
freue mich darüber.
Ich verstehe bis heute nicht - ich hoffe, dass Sie es
mir irgendwann einmal erklären werden -, warum Sie
immer noch der Planwirtschaft nachtrauern. Begreifen
Sie endlich: Staatswirtschaft und Planwirtschaft haben
ausgedient. Es ist vorbei. Warum hat die Planwirtschaft
ausgedient? Weil sie im Staatsbankrott endete. Das müssen Sie viel besser wissen als ich.
({8})
Meine Damen und Herren von der Linkspartei, PDS,
statt Unternehmer zu schelten und mit Unterstellungen
zu arbeiten, sollten wir darüber diskutieren, wie wir Beschäftigung in Deutschland erhalten und ausbauen können. Die großen Unternehmen kennt jeder. Sie werden
viel zu oft mit der deutschen Wirtschaft gleichgesetzt.
Die Realität in diesem Land sieht aber anders aus.
99,7 Prozent von 3,4 Millionen Unternehmen in
Deutschland gehören zum Mittelstand. Er ist der Jobmotor unserer Wirtschaft und sichert den weitaus größten
Teil der Arbeitsplätze in Deutschland. Damit das auch
zukünftig so bleibt, muss der Mittelstand weiterhin im
Fokus der Bundesregierung stehen.
Ich bin ganz optimistisch - die Zahlen zeigen, dass
der Mittelstand wieder einstellt -, dass es im Mittelstand
vorangeht. Der Mittelstand ist wieder optimistisch. Es
gibt mehr Optimisten in unserem Land und damit Potenzial für neue Arbeitsplätze. Einzig und allein Sie von der
Linkspartei, PDS haben das noch nicht verstanden und
verwalten Depressionen in unserem Land, die wir nicht
gebrauchen können.
({9})
Ich möchte meine Rede mit einem Dank an die kleinen und mittelständischen Unternehmer beenden. Sie
leisten einen Beitrag für die Zukunft ihrer Unternehmen
und auch für die Zukunft unseres Landes.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Herbert Schui für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Dobrindt hat mir das Stichwort geliefert. Es geht eigentlich gar nicht um ein einzelnes Unternehmen, sondern
ums Ganze. Das Ganze findet - das gilt auch für die Telekom - seinen Anfang bei der Gründung des Gemeinsamen Marktes als Vorläufer der EU. Die Idee beim
Gemeinsamen Markt war Deregulierung auf den Gütermärkten einschließlich der Dienstleistungen als ökonomische Güter und darin eingeschlossen die Telekommunikation. Wenn es doch nur bei der Deregulierung der
Gütermärkte geblieben wäre!
Dass sich das Telefonieren verbilligt hat, wie Herr
Dörmann von der SPD sagte, liegt nicht an der Deregulierung oder an der Öffnung des Marktes, sondern vor allen Dingen daran, dass sich eine völlig neue Technik in
diesem Bereich durchgesetzt hat.
({0})
Das ist die logische Konsequenz gerade bei den Telekommunikationsmärkten. Das ist der entscheidende
Punkt. Durch ein wenig Deregulierung können Sie die
Preise nicht senken. Das können Sie nur, wenn die produktionstechnische Voraussetzung gegeben ist. Lassen
wir es dabei.
Die Grundlage ist, dass über die Deregulierung auf
den Gütermärkten gleichzeitig Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten geschaffen worden ist. Nun ist es so, dass
die Neueinsteiger im Geschäft der Telekommunikation,
die nicht an Tarifverträge gebunden sind, die Löhne sehr
weit drücken können. Herr Haustein von der FDP hat
ausdrücklich nochmals Flexibilität auf den Arbeitsmärkten gefordert.
({1})
Das wird den Lohn so lange drücken, bis fast niemand
mehr von der Masse der Bevölkerung telefonieren kann.
Dann haben Sie Ihr Ziel erreicht.
({2})
Dann wird Ihnen wahrscheinlich immer noch nicht deutlich werden, dass die Entwicklungsmöglichkeiten der
Unternehmen auch davon abhängen, wie hoch die Masseneinkommen und damit die Löhne sind. Das ist ein
ganz entscheidender Punkt.
({3})
Sie haben der EU also zu einem schlechten Start verholfen. Die Deregulierung auf sämtlichen Märkten, damit verbundene Lohnsenkungen, das Infragestellen und
der Abbau der Sozialsysteme, all das führt dazu, dass die
EU keine Staatsidee mehr formulieren kann. Wenn Sie
über Deregulierung und dergleichen sprechen, dann können Sie doch nicht in Analogie zur Begründung der
Französischen Republik über Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit reden und auch nicht über das, was in der
Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten steht.
Das Einzige, worüber Sie dann noch reden können, sind
freie Märkte. Das ist keine Staatsidee. So wird aus der
EU niemals ein souveräner Staat. Das ist das Problem.
Wenn Sie so weitermachen, dann wird es selbstverständlich niemals zu einer EU-Verfassung kommen. Die
Erklärungen dafür werden Sie damit zurückweisen, dass
sie populistisch - so hat es Herr Wegner von der CDU/
CSU ausgedrückt - seien. Was ist Ihrer Auffassung nach
populistisch? Immer dann, wenn ein unmittelbar einsichtiges und richtiges Argument vorgetragen wird, wenn die
Mehrheit des Volkes dieses Argument bereits verstanden
hat und zu Aktionen neigt, wenn die Politiker allerdings
überhaupt noch nicht begriffen haben, worum es geht,
erklären ebendiese Politiker dieses Argument für populistisch und versuchen, sich aus der Argumentation herauszuwinden.
({4})
Das ist ein lausiger Trick.
({5})
- Wenn Sie keinen europäischen Staat wollen, dann bringen Sie doch eine Demarche vor, die den Austritt aus der
EU zum Inhalt hat. Warum sind Sie für den Verfassungsvertrag, wenn Sie keinen europäischen Staat wollen?
({6})
Dann können Sie diese ganze Angelegenheit doch ablehnen.
Mein letzter Punkt bezieht sich auf den Mittelstand.
In einem Antrag, den die FDP vor einem Jahr eingebracht hat, habe ich gelesen, dass Mittelstand eine Geisteshaltung ist.
({7})
Daraufhin habe ich bei einigen philosophischen Fakultäten nachgefragt, ob Mittelstand eine Geisteshaltung sein
könne. Die Reaktion war bedenkliches Kopfschütteln;
eine richtige Auskunft habe ich nicht bekommen. Man
konnte sie mir nicht geben. Es hieß, so etwas gibt es
nicht.
Dem Mittelstand geht es gut, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage groß ist.
({8})
Dann können mittelständische Unternehmer mehr Leute
einstellen und ihre Produktionstechnik verbessern. Ihr
Bild von der Wirtschaft ist romantisierend, wenn Sie
glauben, dass nur der mittelständische Unternehmer aufgrund der ihm eigenen mittelständischen Gesinnung
dann in der Lage ist, mehr zu produzieren, mehr Arbeitsplätze zu schaffen - und zwar unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, unabhängig vom Masseneinkommen -, wenn er hofiert wird und wenn die
Arbeitsverhältnisse flexibilisiert werden.
Herr Kollege Schui!
Sofort. - Sie können die Wirtschaftstheorie mit Ihrem
Mythos vom Mittelstand nicht ersetzen.
Vielen Dank.
({0})
- Das war populär.
({1})
Das Wort hat nun die Kollegin Katja Mast für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir diskutieren in dieser Aktuellen
Stunde über die Personalpolitik großer Unternehmen in
Deutschland. Die Politik, also wir, kann in unserer
Marktwirtschaft in die Führung von Unternehmen nur
begrenzt eingreifen. Ich spreche hier als Arbeitsmarktpolitikerin und zeige in meiner Rede daher auf, wo unsere Arbeitsmarktpolitik steuernd eingreifen und gestalten kann.
Ich beginne mit einem Beispiel aus der Telekommunikationsbranche. Ein in Vollzeit beschäftigter Mitarbeiter in einem Callcenter wird tariflich mit ungefähr
1 600 Euro netto im Monat entlohnt. Ein vergleichbarer
Callcenterangestellter eines Billiganbieters verdient nur
ungefähr 800 Euro netto im Monat, also nur die Hälfte.
Diese Entgeltstruktur hat natürlich Auswirkungen auf
das Preisniveau der angebotenen Dienstleistungen.
Nun seien wir mal ehrlich! Bei welcher Telefonauskunft rufen wir an? Wählen wir, wenn wir zu Hause telefonieren, einen preiswerten Anbieter, der auch preiswert
beschäftigt? Natürlich schauen Verbraucher auf den
Preis, aber auch auf Qualität. Doch wer glaubt, dass wir
diesen Unterschied im Lohngefüge nur durch Qualität
ausgleichen können, der irrt.
Das Beispiel zeigt den Wettbewerbsdruck, unter dem
beispielsweise die Telekom steht. Dynamik in der Personalstruktur ist ein normaler Vorgang. Der Staat - und damit das Arbeitsrecht - kann in engen Grenzen Einfluss
nehmen, wenn unternehmerische Entscheidungen darauf
abzielen, Unternehmensstrukturen zu ändern, betriebliche Organisationen umzugestalten, einen Standortwechsel vorzunehmen oder Einsparungen von Arbeitskräften
zu veranlassen.
Gerade das Beispiel der Telekom zeigt aber, dass es
jetzt an den Betriebsparteien liegt, einerseits die notwendige Verbesserung der Servicequalität und andererseits
den Erhalt von Arbeitsplätzen miteinander in Einklang
zu bringen. Beschäftigungssicherung muss dabei natürlich ein Ziel sein.
Aber auch dann, wenn ich hier auf die Verantwortung
der Betriebsparteien verweise, gilt: Politik kann handeln.
Ich bin stolz darauf, dass wir bei den Koalitionsverhandlungen eine Verständigung darüber erreicht haben, die
Mitbestimmung in Deutschland so zu erhalten, wie sie
war - auch heute noch ist -,
({0})
und zwar bevor wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen von der Union an einen Tisch gesetzt haben.
({1})
Bezogen auf die Telekom heißt das: Die Telekom
plant derzeit, ihren Servicebereich umzustrukturieren
und in Servicegesellschaften zu überführen. Die neuen
Servicegesellschaften werden unter dem Dach der Deutschen Telekom AG bleiben. Für circa 50 000 Mitarbeiter
bedeutet dies eine Überführung und nicht eine Auslagerung. Aufgrund des von mir skizzierten deutschen Mitbestimmungsrechts ist es aber nicht möglich, den Telekommitarbeitern von heute auf morgen zu kündigen, ihr
Gehalt zu kürzen oder ihre Arbeitszeit einfach mal so zu
verlängern. Hier hat die Politik den Betriebspartnern
durch die Mitbestimmung große Gestaltungsspielräume
ermöglicht. Darauf bin ich als Sozialdemokratin stolz
- da bin ich ganz ehrlich -; denn Mitbestimmung ist für
uns ein hohes Gut in Deutschland.
Um die Möglichkeiten des politischen Handelns aber
noch an einem anderen Beispiel konkret zu machen,
gehe ich auf die aktuelle Debatte bei den Postdienstleistern ein. Minijobs und Armutslöhne bei den neuen Postdienstleistern verdrängen bei der Deutschen Post AG sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mit tariflicher
Bezahlung. Bei den neuen Postdienstleistern gibt es fast
nur prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Diese taugen
nur als Hinzuverdienstmöglichkeit mit Zweitjob oder
zum Bezug von aufstockendem Arbeitslosengeld II trotz Vollzeitarbeit.
Aber auch hier kann Politik handeln und ist nicht
machtlos.
({2})
Das zeigen uns 20 europäische Nachbarstaaten,
({3})
die einen Mindestlohn eingeführt haben.
({4})
Diese Länder sorgen mit ihren Mindestlöhnen für Mindeststandards. In Deutschland haben wir soziale Mindeststandards bereits im Arbeitsschutz, Jugendschutz,
Kündigungsschutz und Arbeitszeitgesetz. Nun ist es
meiner Meinung nach an der Zeit,
({5})
mit gesetzlichen Regelungen zum Thema Mindestlohn
aktiv zu werden.
Für das Baugewerbe haben wir mit dem Entsendegesetz schon eine tragfähige Lösung gefunden. Heute MitKatja Mast
tag haben wir bereits entschieden, das Entsendegesetz
auf die Gebäudereinigerbranche auszuweiten,
({6})
und werden somit für 850 000 Beschäftigte in dieser
Branche ordentliche Löhne garantieren können.
({7})
Wir alle wissen, zu welchen Bedingungen Putzfrauen
und Putzmänner derzeit in Deutschland arbeiten, gerade
auch Putzkräfte aus anderen Ländern, speziell hier in
Berlin. Aber wir haben es in der Großen Koalition geschafft, dass 850 000 Menschen in Deutschland von diesem Mindestlohn profitieren. Auch darauf sind wir Sozialdemokraten stolz.
({8})
Der Kollege Peter Weiß hat nun das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
dieser von der Linkspartei beantragten Aktuellen Stunde,
die am Freitagnachmittag unter massivem öffentlichen
Interesse stattfindet, wirklich etwas Positives erfahren?
({0})
Wenn man die Reden der beiden Vertreter der Linkspartei zusammenfasst, stellt man erstens fest, dass sie
suggerieren, der Staat, die Bundesregierung könne regulierend in den deutschen Arbeitsmarkt eingreifen.
({1})
So soll es Ihrer Meinung nach sein. Das Bild des
Staatsdirigismus, der Planwirtschaft, das die DDR seligen Angedenkens in den Staatsbankrott getrieben hat,
({2})
soll nun auf die ganze Bundesrepublik ausgedehnt werden. Das ist das Modell.
({3})
Ich finde, das ist ein Schreckensszenario für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land.
({4})
Zweitens. Die Botschaft der Rede des Kollegen Schui
lautet: Monopole haben etwas Gutes. Er ist gegen Deregulierung und gegen die Öffnung der Märkte. Er hat für
Monopolwirtschaft gesprochen. Es ist doch ein Segen,
dass wir heute auswählen können, dass Angebot und
Nachfrage den Preis bestimmen, dass nicht Monopolunternehmen in verschiedenen Sektoren den Bürgerinnen
und Bürgern die Preise diktieren, gleich ob sie angemessen sind oder nicht. Das ist mit Blick auf den Arbeitsmarkt, auf die Möglichkeiten der Verbraucherinnen und
Verbraucher in unserem Land und auf die Chancen der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Schreckensbild. Arbeitsplätze und wirtschaftlicher Fortschritt wachsen unter Wettbewerbsbedingungen und nicht bei Monopolstrukturen.
({5})
Die Linkspartei malt hier ein Schreckensbild an die
Wand.
Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen. Die
Verantwortung für das konkrete wirtschaftliche Handeln
der einzelnen Unternehmen liegt zuallererst beim Management. In der Tat erwarten wir auch und gerade von
den Unternehmen, an denen der Bund noch beteiligt ist,
dass das Management zielgerichtete, zukunftsweisende
Entscheidungen trifft. Natürlich wünschen wir auch der
Telekom wirtschaftlichen Erfolg. Wir wünschen, dass sie
sich so aufstellt, dass sie im Wettbewerb mit anderen bestehen kann, dass sie sich auf die Zukunft ausrichtet.
Mitverantwortung für die Entscheidungen des Managements tragen auch diejenigen, die die Aufsicht führen. In einem mitbestimmten Unternehmen wie der
Deutschen Telekom tragen übrigens beide Seiten, Arbeitnehmerseite und Arbeitgeberseite, in gleichem Maße
- der Aufsichtsrat ist paritätisch besetzt - die Verantwortung. Es ist natürlich bedauerlich, dass diese beiden Seiten in der letzten Aufsichtsratssitzung unterschiedlich
abgestimmt haben und die Entscheidung durch die
Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden gefällt wurde.
({6})
An diesem Beispiel lässt sich sehr gut zeigen, dass zu
einem erfolgreichen Management auch gehört, die Zusammenarbeit, den Konsens mit den Arbeitnehmervertreterinnen und den Arbeitnehmervertretern zu suchen
und solche Kampfabstimmungen, wie sie bei der Telekom stattgefunden haben, möglichst zu vermeiden.
In einer solchen Aktuellen Stunde sollte man keine
Nebelkerzen werfen. Die Verantwortung für die Entscheidungen in den Großunternehmen unseres Landes
- das gilt auch für die Telekom - liegt nicht bei der Bundesregierung. Sie liegt auch nicht in den Händen von uns
Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie liegt zuallererst bei den Unternehmen, bei der Unternehmensführung und bei denjenigen, die als Mitglieder des Aufsichtsrates die Aufsichtspflicht über diese Unternehmen
wahrnehmen.
Deswegen können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dieser Aktuellen Stunde nur eines mitnehmen: Das, was wir Politiker machen können - das
liegt in unserer Verantwortung -, ist, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen.
({7})
Peter Weiß ({8})
Dass wir nach Jahren des Arbeitsplatzabbaus in
Deutschland unter dieser Großen Koalition endlich die
Trendwende geschafft haben, ist für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Großbetrieben ebenso wie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen und mittelständischen Betrieben, die der eigentliche Jobmotor
bei uns in Deutschland sind, die erfreuliche Nachricht.
Es geht wieder aufwärts. Es entstehen wieder Arbeitsplätze in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit geht deutlich
zurück. Diese Bundesregierung ist auf dem richtigen
Weg. Sie setzt die richtigen Rahmenbedingungen für
eine erfolgreiche Wirtschaft und damit für neue Arbeitsplätze in Deutschland. Auf diesem Weg wollen wir sie
tatkräftig weiter unterstützen.
Vielen Dank und ein schönes Wochenende.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde ist recht allgemein gehalten. Aber natürlich geht es um die Zukunft
der Arbeitsplätze bei der Deutschen Telekom. Wir wissen, es soll bei der Deutschen Telekom keine Entlassungen geben. Aber für die Beschäftigten geht es um die
Qualität ihrer Arbeitsbedingungen, um die Höhe ihrer
Löhne. Viele haben Angst, dass der Ausgründung in eine
neue Gesellschaft irgendwann der Verkauf dieser Gesellschaft folgen könnte, auch wenn das Management hier
beruhigt.
({0})
Politik muss diese Ängste und diese reale Bedrohung
von Arbeitsverhältnissen ernst nehmen. Das heißt aber
nicht, dass wir jetzt aufgefordert sind, wohlfeile Forderungen an das Unternehmen zu stellen. Die neue Leitung
der Deutschen Telekom steht vor großen Herausforderungen, um die knapp 200 000 Arbeitsplätze auf Dauer
gegen einen aggressiven Wettbewerb zu sichern.
Die Probleme der Deutschen Telekom sind sicher
auch hausgemacht, sind Folgen früherer Fehlentscheidungen des Managements, aber auch Folgen der besonderen Belastungen im Vergleich zu den Wettbewerbern
durch die Privatisierung vor zehn Jahren. Sie sind aber
auch Folgen des Wettbewerbs auf dem Telekommunikationsmarkt. Dieser ist von der Politik gewollt. Durch
seine Preissenkungen hat er den Internetboom der letzten
Jahre überhaupt erst möglich gemacht. Stellen Sie sich
einmal vor, auf die alten Telefonrechnungen wären
Handy- und Internetkosten noch draufgekommen. Das
hätte ein normaler Arbeitnehmer oder eine normale Arbeitnehmerin nicht mehr bezahlen können. Von daher
waren der technische Fortschritt und damit verbundene
Preissenkungen natürlich gewollt. Aber dieser Wettbewerb hinterlässt seine Spuren, tiefe Spuren.
Nicht zuletzt sind aktuelle technische Neuerungen,
vor allem die Umstellung auf internetprotokollbasierte
Netze, eine entsprechende Herausforderung. Diese
Netze benötigen nur noch 10 bis 20 Prozent des Personals, das bei den alten Techniken notwendig war. Das ist
die schwierige Aufgabe von Unternehmensleitungen,
Beschäftigten und Gewerkschaften.
Aber auch Politik hat eine Aufgabe. Aufgabe der Politik ist es, zu analysieren, welche Rahmenbedingungen
auf dem Telekommunikationsmarkt in Deutschland und
der Europäischen Union herrschen müssen, um niedrige
Preise, modernste Technologie und gute Arbeitsbedingungen gleichwertig zu gewährleisten.
Ein guter Anlass dafür ist die Überarbeitung der
Regulierung des Telekommunikationsmarktes auf europäischer Ebene. Spätestens mit der Umrüstung auf internetprotokollbasierte Netze sinken die Markteintrittsbarrieren für Wettbewerber noch einmal entscheidend. Das
ist der Punkt, an dem man überlegen muss, ob man die
bisherigen Formen der Regulierung eins zu eins fortschreibt oder ob man auf ein klares Kartellrecht umstellt,
um eine Regulierung, die Druck in Bezug auf Arbeitsverhältnisse macht und an bestimmten Stellen auch ein
Hindernis für Investitionen in neue Arbeitsplätze ist, in
ein normales Kartellrecht zu überführen.
Wir müssen eine Antwort darauf finden, warum
Deutschland und die Europäische Union bei den Investitionen in Telekommunikationsnetze hinter die USA,
Asien und auch hinter das Europa, das nicht zur Europäischen Union gehört, zum Beispiel die Schweiz, zurückfällt. Diese Investitionen sind die eigentliche Methode,
um neue Nachfrage, neue Märkte und damit auch neue
Arbeitsplätze zu schaffen.
({1})
In den USA entstehen neue Telekommunikationsgiganten, in Asien auch.
In Zukunft werden sich aber nicht nur Telekommunikationsfirmen gegenseitig Konkurrenz machen, wie wir
das heute noch - siehe Zeitungsbeilagen und Plakate gewöhnt sind. Es werden ganz andere Firmen auftreten,
denn die Ware Netz, also der Transport von digitalen Daten, wird immer preisgünstiger. Die Konkurrenten der
Telekommunikationsfirmen wie der Deutschen Telekom
heißen in Zukunft Google, Microsoft, Time Warner und
Ebay. Diese unterliegen keiner marktspezifischen Regulierung, sondern werden im Gegenteil von der heutigen
marktspezifischen Regulierung noch mit einem günstigen Zugang in die Netze versehen, während sie in ihrem
eigenen Bereich zum Teil über natürliche Monopole verfügen, nämlich bei den Inhalten.
({2})
Telekommunikationsmarkt, Fernsehmärkte und
Märkte anderer digitaler Medien wachsen zusammen.
Deutschland und Europa können auf Dauer nicht drei,
sich zum Teil noch widersprechende, marktspezifische
Regulierungen behalten. Wir brauchen eine einheitliche
Regulierung entlang der Maßstäbe eines durchsetzungsfähigen Kartellrechts. Es muss durchsetzungsfähig, aber
auf Dauer nicht mehr marktspezifisch sein. Das schafft
neue Luft für Unternehmen wie die Deutsche Telekom
für Investitionen. Würden wir nur das Niveau der USA
und der Schweiz bei Investitionen pro Kopf in die Telekommunikation erreichen, wäre das in der Europäischen
Union eine Verdrei- oder Vervierfachung. Das wären allein für Deutschland zusätzliche 100 000 Arbeitsplätze.
Der Markt für diese Dienstleistungen ist da. Darüber
müssen wir sprechen und dann auch entsprechend handeln.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde, wir bestreiten am Freitagnachmittag eine sehr bemerkenswerte Debatte. Bemerkenswert sind insbesondere die Wortmeldungen der Kollegen von der Linksfraktion.
({0})
Ich frage mich da in der Tat: Was hat es eigentlich den
betroffenen Mitarbeitern der Telekom gebracht, was Sie
hier heute zum Besten gegeben haben? Vor allem bei Ihren Einlassungen, Herr Dr. Schui, die doch sehr philosophisch waren, habe ich erhebliche Zweifel, ob das in der
Sache irgendetwas bewirkt hat. Insofern habe ich schon
die Frage zu stellen, inwieweit es notwendig war, diese
Aktuelle Stunde durchzuführen, wenngleich ich Ihnen
zugestehen will, dass wir uns politisch auch einmal ganz
allgemein über dieses Thema unterhalten und uns genau
ansehen müssen, was in den deutschen Großkonzernen
so abläuft.
Es wäre schön gewesen, wenn wir auch die Meinung
der Grünen hätten erfahren dürfen.
({1})
Leider war das heute am Freitagnachmittag nicht möglich. Wir verstehen das sicherlich alle.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will aber sagen,
dass ich trotzdem dankbar für diese Debatte bin, gibt sie
doch die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass allen
schlechten Nachrichten zum Trotz, die wir leider zur
Kenntnis nehmen müssen, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wirklich positiv ist. Ich darf Ihnen noch einmal vortragen, wie die Zahlen, die wir in der letzten Woche zur Kenntnis nehmen durften, aussehen. Wir haben
im Vergleich zum Vorjahr einen Abbau der Arbeitslosigkeit um über 800 000 Personen.
({2})
Wir haben 150 000 jugendliche Arbeitslose unter 25 Jahren weniger als im Vorjahr. Wir haben im Vergleich zum
Vorjahr 77 000 ältere Arbeitslose weniger. Wir haben
vor allem 452 000 mehr sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse. 452 000 Menschen waren
letztes Jahr noch arbeitslos und haben jetzt wieder eine
Beschäftigung. Ich finde, auch diese Aktuelle Stunde ist
durchaus dazu geeignet, sich noch einmal mit diesen
Menschen zu freuen, die vor einem Jahr noch arbeitslos
waren und jetzt wieder eine Beschäftigung haben.
({3})
Gleichwohl gebe ich durchaus zu, es gab und gibt einen bedenklichen Abbau beim Personal, insbesondere
bei großen deutschen Konzernen. Da ist die Telekom
kein Einzelfall. Wir haben in den letzten Jahren dort leider einiges zur Kenntnis nehmen müssen. Ich möchte
das nicht im Einzelnen vortragen; die Namen sind Ihnen
allen bekannt, ob es nun BenQ, Schering, Alcatel, Allianz
oder Marktkauf ist. Überall dort hat es einen Personalabbau in erheblichem Maße gegeben. Ich schließe mich all
denen an, die auch heute noch einmal die Gelegenheit
genutzt haben, um deutlich zu machen, dass man kein
Verständnis dafür haben kann, dass man auf Bilanzpressekonferenzen auf der einen Seite große Gewinne verkündet, auf der anderen Seite aber auf derselben Pressekonferenz sagt, wir müssen uns leider von einigen
Tausend Mitarbeitern trennen. Dafür habe ich genauso
wenig Verständnis. Deswegen ist es gut, dass wir darüber reden.
Wenn man sich einmal die Bedeutung der DAX-Unternehmen ansieht, stellen wir fest, die 30 DAX-Firmen
haben im letzten Jahr gut 27 Milliarden Euro an Gewinnen ausgeschüttet. Sie haben 3,6 Millionen Menschen
beschäftigt. Sie haben trotzdem in den letzten Jahren
44 000 Arbeitsplätze gestrichen.
Herr Schui, wenn Sie sagen, Mittelstand sei eine Geisteshaltung,
({4})
weise ich zumindest darauf hin, dass im Mittelstand seit
1995 2,4 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden sind.
Ich finde, wir sollten die Debatte heute dazu nutzen, uns
bei den kleinen und mittleren Betrieben in unserem
Lande dafür zu bedanken, dass sie den Mut aufgebracht
haben, in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation
noch neue Arbeitsplätze zu schaffen, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({5})
Trotzdem muss darauf hingewiesen werden, dass man
Arbeitgeber braucht, wenn man Arbeitsplätze haben
will. Wer möchte, dass Arbeitgeber Arbeitsplätze anbieten, muss insbesondere in der Politik dafür sorgen, dass
die Rahmenbedingungen, in denen sich die Wirtschaft
bewegt, wettbewerbsfähig ausgestaltet sind.
Stefan Müller ({6})
Ich finde, dass die Große Koalition seit ihrem Amtsantritt einiges vorzuweisen hat. Wir haben zum Beispiel
den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zum
1. Januar dieses Jahres um 2,3 Prozent gesenkt. Auch da
gilt die klare Ansage: Jeder finanzielle Spielraum, der
noch in diesem Jahr aufgrund besserer wirtschaftlicher
Entwicklung und verbesserter Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt entsteht, muss weitergegeben und genutzt
werden, und zwar nicht für neue Arbeitsmarktprogramme, vielmehr muss er an die Beitragszahler zurückgegeben werden. Jeder finanzielle Spielraum muss durch
Senkung der Beiträge sichtbar werden.
({7})
Wir werden die Politik der Großen Koalition fortführen. Wir setzen den Bürokratieabbau fort. Auch darüber
ist schon gesprochen worden. Wir werden noch in diesem Jahr ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht auf den
Weg bringen. Das alles sind Dinge, die in letzter Konsequenz - Sie werden es erleben - dafür sorgen, dass es
aufgrund der Politik dieser Großen Koalition bis zur
Bundestagswahl 2009 deutlich mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geben wird.
Wir lassen uns auf diesem Weg nicht beirren. Wir werden so weitermachen. Eine konstruktive Mitarbeit der
Opposition wäre erwünscht. Aber im Zweifel schaffen
wir das auch allein.
Herzlichen Dank und schönes Wochenende!
({8})
Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
führen diese Diskussion bis zum Ende, weil wir deutlich
machen wollen, dass wir bei dieser Thematik nichts zu
verbergen haben und dieser Diskussion nicht ausweichen müssen. Wir hätten diese Debatte nicht gebraucht,
um uns klarzumachen, dass es zum Beispiel bei der Telekom um 50 000 Beschäftigte geht. Das sind mehr als
zehnmal soviel wie bei Airbus, über die wir so viel diskutiert haben. Um die Dimensionen sichtbar zu machen:
Es geht um ein Viertel aller Beschäftigten im gesamten
Telekommunikationssektor. Es geht um ein Drittel der
Inlandsbeschäftigten der Deutschen Telekom AG. Das
sind ungefähr genauso viel, wie bei allen Wettbewerbern
zusammen arbeiten. Um so viele Menschen geht es. Das
ist ein neues Ausmaß des Beschäftigungsabbaus in der
Branche.
Es gibt bisher - wir haben es erlebt - jährlich etwa
zehntausend Arbeitsplätze weniger bei der Telekom.
Aber man muss dazu sagen: Die Gewerkschaften und die
SPD haben gemeinsam dafür gesorgt, dass der Personalabbauprozess bei der Telekom bisher ohne betriebsbedingte Kündigungen ausgekommen ist und immer auf
der Basis von betrieblichen und tarifvertraglichen Regelungen abgelaufen ist. Wir sind sehr froh darüber, dass
wir das trotz aller Schwierigkeiten gemeinsam geschafft
haben.
({0})
Welche Verantwortung gibt es heute noch? Wir können natürlich viel über die Liberalisierung auf dem Telekommunikationsmarkt philosophieren. Das ist aber leider Geschichte. Wir müssen feststellen, dass sich der
Markt aus einem Bündel von Gründen, die heute schon
genannt worden sind und die ich nicht wiederholen will,
in einer bestimmten Weise entwickelt. Die Telekom leidet unter Sachzwängen, unter Wettbewerbsdruck, unter
Regulierungsdruck und unter Managementfehlern.
Die Frage lautet: Was können der Staat, was kann die
Regierung in dieser Situation tun? Ich denke, eines kann
sie nicht tun. Man muss sich nur einmal überlegen, was
passieren würde, wenn sie das tun würde, was Sie von
der Linkspartei sich offensichtlich vorstellen. Wenn
heute ein Vertreter der Bundesregierung erklären würde,
jetzt einmal so richtig in den Aufsichtsrat und in den
Vorstand hauen zu wollen, weil das alles so nicht geht,
dann möchte ich einmal wissen, was auf den Aktienmärkten passieren würde. Ich möchte wissen, ob ein einziger Arbeitsplatz gesichert würde, wenn wir das so
machten, wie Sie es gern hätten.
({1})
Aber was kann man tun? Ich denke, wir müssen dem
neuen Vorstand von Herrn Obermann eine Chance geben. Denn er hat zwei richtige Ansätze. Er hat erstens
gesagt, dass der Säulenegoismus im Konzern überwunden werden muss. Zweitens hat er gesagt: Wir brauchen
Service, Service, Service. Das heißt, Betriebsabläufe
müssen reorganisiert werden, Arbeitsprozesse müssen
verbessert werden, und die EDV muss in Ordnung
gebracht werden. Das ist genau das, worauf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Konzerns sehnsüchtig
warten. Der Konzernbetriebsrat hat öffentlich deutlich
gemacht, dass er hinter diesen Zielen steht.
({2})
Wir rufen dem Herrn Obermann aber gleichzeitig zu,
dass dieser Prozess eben nicht ohne qualifizierte und
motivierte Mitarbeiter und nicht im Niedriglohnbereich
funktioniert. Man kann den Beschäftigten nicht einfach
erklären, dass sie eigentlich zu wenig arbeiten und zu
viel verdienen. Der Prozess funktioniert nur mit den Beschäftigten, den Betriebsräten, den Gewerkschaften, der
Präsenz in der Fläche und stabilen Zukunftsperspektiven
für die Beschäftigten. Das muss jetzt aber auf betrieblicher Ebene und nicht hier im Deutschen Bundestag und
nicht in der Bundesregierung ausgehandelt werden.
({3})
Herr Kelber hat gesagt, dass wir eine Neujustierung
der Regulierungspolitik brauchen. Das möchte ich unterstreichen. Wir brauchen Rahmenbedingungen auf dem
Arbeitsmarkt - Stichwort: Mindestlohn -, und wir brauchen eine Stabilität des jetzigen Minderheitsanteils des
Staates, um eine Zerschlagung des Konzerns zu verhinKlaus Barthel
dern, wie uns die Beispiele in anderen Ländern gelehrt
haben.
Eines brauchen wir aber wirklich nicht: Populismus.
Herr Schui, ich will hier nicht über einen europäischen
Staat philosophieren, sondern nur sagen, was wir von Ihnen in der Telekommunikationspolitik im letzten Jahr
hier erlebt haben. Sie haben es abgelehnt, Vorruhestandsregelungen bei der Telekom, bei der Post und bei
der Bahn zu ermöglichen, obwohl die Konzerne sie
selbst bezahlen wollten, indem Sie die Gesetze, mit denen wir das erlaubten, hier im Deutschen Bundestag abgelehnt haben. Sagen Sie das einmal den Beschäftigten
und den Beamtinnen und Beamten der Telekom.
({4})
Sagen Sie den Beschäftigten der Telekom außerdem,
dass wir bei der Regulierung nachjustiert haben, dass wir
nämlich zum Beispiel die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass die Investitionen ins Breitbandnetz
bei der Regulierung begünstigt werden. Stattdessen hat
Herr Schui hier damals eine Rede gehalten, bei der man
gedacht hat, er wolle das antimonopolistische Bündnis
wieder aufleben lassen. Das ist Populismus und passt
nicht zusammen.
Sie können hier keine in sich schlüssige Politik vertreten. Je nachdem, wie es sich gerade ergibt, tragen Sie
sie zum Beispiel auf dem Rücken von Beamtinnen und
Beamten aus oder Sie sprechen bei der Regulierungspolitik von scheinbaren Preissenkungen oder wie auch immer. Solange Sie so argumentieren - auch innerhalb eines Politikfeldes -, dürfen Sie sich doch nicht wundern,
dass Ihre Kritik, die Sie an der Regierung und dieser Koalition üben, nicht wirklich ernst genommen werden
kann.
({5})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, geruhsames und friedliches Wochenende, das vielleicht
auch Gelegenheit bietet, die heute Nachmittag mehrfach
beschworenen Geisteshaltungen zu prüfen und weiterzuentwickeln, um dann mit alten und neuen Einsichten zur
nächsten Sitzung des Deutschen Bundestages zu erscheinen.
Diese berufe ich auf Mittwoch, den 21. März 2007,
13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.